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Full text of "Münchener Beiträge zur Romanischen und Englischen Philologie"

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MÜNCHBNER  BEITRÄGE 


ZÜB 


eOHANISdNDNDiGUSClfPEOLOeiE. 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


H.  BREYMANN  und  J.  SCHICK. 


XXX. 


FRANgOIS  HABERT  UND  SEINE  ÜBERSETZUNG  DER 
METAMORPHOSEN  OVIDS. 


LEIPZIG. 

A.  DEICHERT' SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG  NACHF. 

(GEORG  BÖHME). 

1904. 


FßANCOIS  HABERT 

UND  SEINE  ÜBERSETZUNG  DER 
METAMORPHOSEN  OVIDS 


VON 


Db.  AUGUST  LEYKAUFF. 


LEIPZIG. 

A.  DEICHERT'SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG  NACHF. 

(GEORG  BÖHME). 

1904. 


Alle  Rechte  yorbehalteD. 


Yor^oi^t. 


Es  ist  mir  eine  angenehme  Pflicht^  an  dieser  Stelle  meinem 
Terehrten  Lehrer,  Herrn  Professor  Dr.  ßreymann,  der  mir 
das  Thema  zur  vorliegenden  Arbeit  stellte  und  mich  bei  der- 
selben mit  Rat  und  Tat  in  liebenswürdigster  Weise  unter- 
stützte, meioen  herzlichsten  Dank  auszusprechen.  Gleichzeitig 
fühle  ich  mich  Herrn  Professor  Dr.  Schick  für  seine  freund- 
liche Beihilfe  bei  der  Korrektur  zu  hohem  Dank  verpflichtet, 
und  endlich  möchte  ich  es  nicht  unterlassen,  verschiedenen 
Bibliotheken:  der  h  Hof-  und  Staatsbibliothek,  sowie  der  k. 
üniversüätsbibliothek  in  München,  der  k,  Bibliothek  in  Dei'lin,  der 
Bibliotheque  nationale,  der  Bibliotluque  de  V Arsenal  und  der 
Bibliotheque  de  Genevieve  in  Pari^,  sowie  dem  Herrn  Konser- 
vator der  Bibliotheque  publique  in  Versailles,  für  ihre  Bemühungen 
an  dieser  Stelle  meinen  wärmsten  Dank  auszusprechen. 


162159 


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Inhalt. 


Seite 

Vorwort V 

Benützte  Literatur VIII 

Einleitung 1 

Kap.  I.    Habert's  Leben  und  Weltanschauung. 

§  1.    Infiere  LebensTerhftltnisse. 

Geburtsort  und  -jähr  S.  3.  —  Eltern  und  Geschwister  S.  5.  — 
Studien  S.  6.  —  Jahre  der  Not  S.  7.  —  Erstlingsdichtungen 
S.  8.  —  Freunde  und  Bekannte  S.  9.  —  Liebesleid  S.  11.  — 
Theatralische  Aufführungen  S.  11.  —  Galante  Abenteuer  S.  14.  — 
Krankheit  und  Geldsorgen  S.  14.  —  Beziehungen  zum  K.  Hofe 
S.  15.  —  Besuch  der  Vaterstadt  S.  18.  —  In  Bourges  und  Quan- 
tilly  S.  18.  —  Todesjahr  S.  19. 

§  2«    Habert's  Weltanschanniig. 

1.  Keligiöse  Ansichten. 

Katholik  S.  20.  —  Über  Nächstenliebe  und  Freigebigkeit 
S.  20.  —  Idealbild  des  Christen  S.  20.  —  H.  als  Orthodoxer 
S.  21.  —  Bibelleser  S.  22.  —  Französische  Bibelübersetzung 
S.  23.  —  Propaganda  für  Bibelkunde  S.  23.  —  Über  die  niedere 
Geistlichkeit  S.  24.  —  Über  den  Ablaßhandel  S.  26.  —  Über 
die  höhere  Geistlichkeit  S.  26. 

2.  Literarischer  Standpunkt. 

Die  klassischen  Dichter  S.  27.  —  Verwendung  der  drei  Götter- 
namen: Venus.  Juno,  Pallas  S.  28.  —  Die  Humanisten  S.  32.  — 
Altfranzösische  Literatur  S.  32.  —  Zeitgenössische  Dichter: 
Marot,  St.  Gelais  etc.  S.  33.  —  Unmoralische  Dichter,  S.  35.  — 
Die  Lateinschreiber  S.  35.  —  Die  Plejade  S.  35.  —  Vergleich 
zwischen  den  klassischen  Dichtern  und  den  Zeitgenossen  S.  36. 


—    VII     - 


Kap.  2.  Habert  als  Übersetzer  der  Metamorphosen  Ovid's. 

§  1.    Frttliere  nnd  gleiehzeitig  französisehe  Metamorphosen- 
übersetznngeii. 

Seite 

1.  Chrestien  de  Troyes 38 

2.  Malkaraume  [c.  1250] 38 

3.  Anonymus:  Ovide  moralise  [c.  1310] 38 

4.  Anonymus:  La  Bible  des  pofetes  [c.  1493J 40 

5.  Cl.  Marot  [c.  1531] 42 

6.  M.  d'Amboise:  Biblis  et  Caunus  [1532] 43 

7.  Anonymus:  Le  Grand  Olympe  [1532] 44 

8.  M.  d'Amboise:  Buch  10  [1543] 46 

9.  J.  Colin:  Proces  d'Alax  et  d'UIysses  (13.  Buch)  [1547J ...  46 

10.  Bouchetel:  Biblis  et  Caunus  [1550] 46 

11.  Anonymus:  Narcisse  [1550] 46 

12.  Aneau  [1566] 47 

§  2.    Habert's  Metamorphosenilbergetznng. 

1.  Piramus  und  Thisbe  [1641] 50 

2.  Narcisse  [1541] öl 

3.  Metamorphosen,  6  Bücher 59 

4.  Metamorphosen,  15  Bücher  [1557] 59 

I.  Vereinfachungen. 

a)  Unterdrückungen 61 

b)  Ersatz  eines  Satzes 62 

c)  Andere  Vereinfachungen 64 

d)  Auslassungen 64 

11.  Umschreibungen. 

a)  Erweiternde  Umschreibungen 67 

b)  Erklärende  Umschreibungen 71 

c)  Weitschweifigkeit  im  Ausdruck 71 

d)  Statt  des  bildlichen  Ausdruckes  der  unbildliche    ...  73 

e)  Übersetzangen  nach  dem  Sinn 73 

III.  Fehler  und  Ungenauigkeiten 74 

1.  Habert  und  Le  Grand  Olympe 76 

2.  Habert  und  Marot 84 

Literarischer  Wert  der  Haber  tischen  Metaraorphosenübersetzung  102 

Anhang:    Bibliographisch-kritische    Übersicht    der 

Schriften  Habert's 105 


Benutzte  Literatur. 


Amboyse,  M. :  Les  cent  epigrammes  auec  la  vieioQ,  la  com- 
plaincte  de  vertu  .  .  .  et  la  fable  de  lamoureuse  Biblis  et  de 
Caunus,  traduyte  Douide  par  Michel  dambojse  .  .  .  Paris. 
s.  a.  (Privileg  vom  6.  März  1532).     S^. 

A  D  e  a  u ,  B. :  Trois  liures  de  la  Metamorphose  d'Ovide.  Trar 
duictz  en  vers  Frangois.  Le  premier  et  second  par 
Gl.  Marot.    Le  tiers  par   B.  Aneau.     Lyon.  1556.    8®. 

Aiinales  poetiques  ou  Almanach  des  Muses.  Paris. 
1778—88.     40  Bde.     8«. 

Bartsch,  K.:  Albrecht  von  Halberstadt  und  Ovid  im  Mittel- 
alter (=  38.  Bd.  der  Bibliothek  der  gesamten  deutschen 
Nationalliteratur).     Quedlinburg  und  Leipzig.  1861.     8^. 

Böhm,  K. :  Beiträge  zur  Kenntnis  des  Einflusses  Seneka's 
etc.  (Münchener  Beiträge  zur  romanischen  und  englischen 
Philologie,  Heft  XXIV).     Erlangen  u.  Leipzig.  1902.   8«. 

Bonnard,  J.:  Les  traductions  de  la  Bible  en  vers  fran^ais 
au  moyen-äge.    Paris.  1884.     8^. 

Bourciez,  E.:  Les  moeurs  polies  et  la  litterature  de  cour 
sous  Henri  II.    Paris.  1886.     8^ 

Boy  er,  H. :  Un  menage  litteraire  en  Berry  au  seiziöme  siöcle. 
ßourges.  1859.    8^ 

Chamard,  H.:  La  date  et  Tauteur  du  Quintil  Horatian, 
in :  La  Revue  d'Histoire  litteraire  de  la  France  V,  54—71. 

Chevalier,  J.:  Histoire  religieuse  d'Issoudun.  Issoudun. 
1900.    8^ 


—    IX    — 

CoUetet,  W. :  Traitte  de  la  Poesie  morale  et  sententieuse. 

Paris.  1658.     16«. 
Crapelet:  Les  po^tes  frangois  depuis  le  XII®  si^cle  jusqu'ä 

Malherbe,     Paris.  1824.     3  Bde.    8^ 
Darmesteter,  A.,   et  Hatzfeld,  A.:   Le  seizi^me  si^cle 

en  France.     Paris.  1878.    8^ 
Denais,  J. :  Les  Po^sies  de  Germain  Colin  Bacher,  Angevin. 

Paris.  1890.     8^ 
Dolet,  E. :   La  mani^re  de   bien  traduire  d'ane  laDgue  en 

aultre.     Lyon.  1540.     8^ 
Dnbellajy  J.  du:  La  deffence  et  illustratioD  de  la  langue 

francoyse,  p.  p.   E.  Person.   Versailles  et  Paris.  1878.  8^ 
Dnplessis,   6.:    Essai  bibliographique   snr  les   difPerentes 

dditions  des  CEu?res  d'Ovide,  om^es  de  planches,  publikes 

au  XV«  et  XVI«  siöcles,  in:  Bull,  du  BibUophile.  1889. 

S.  1-27,  97—123. 
Freymond:  Siehe  die  Festschrift  zu  Tobler's  Jubiläum  1895. 
Graesse,  J.  6.  Th.:    Lehrbuch   der  allgemeinen  Literär- 
geschichte.   Dresden.  1837—59.     4  Bde.    8^. 

:  Trösor  de  livres  rares  et  pröcieux.  Dresden.  1858.  4*^. 

Grillon  des  Chapelles:   Esquisses  du  Departement  de 

rindre.     Paris.  1852.     3  Bde.     8». 
Hart,  H. :    Ursprung  und   Verbreitung   der  Pyramus-  und 

Thisbesage.     Progr.    Passau.  1889.    8». 
Hennebert,  F.:   Histoire  des  traductions  fran^aises  d'au- 

teurs  grecs  et  latins  pendant  le  XVI®  et  le  XVII«  siöcles 

in:   Annales  des  UniversitSs  de  Belgique.    Questions  de 

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Junker,  H.  P. :  Grundriß  der  Geschiebte  der  französischen 

Litteratur.     Münster  i.  W.  1894.     8\ 
Kehrli,    Heinr. :    Die   Phaetonfabel    im   Ovide   moralis6, 

Bern.  1897.    4^ 
Kremp,    G. :    Histoire   de    la    ville   d'Issoudun.     Issoudun. 

1887.     80. 
Kühne,  H. :   Prolegomena  zu  Maitre  Elies   altfranzösischer 

Bearbeitung  der  ars  amatoria  des  Ovid.    Diss.    Marburg. 

1883.    80. 


—    X    ^ 

La  Barre-Duparcq,  E.  de:  fiistoire  de  Henri  II.    Paris. 
1887.     80. 

Langlois,   E.:   Origine  et  sources  du  Komau  de  la  Rose^ 

in:   Biblioth^que  des  ecoles  firangalses  d' Äthanes  et  de 

Rame,  fascicule  68,  Paris.  1891.    8^ 
Lintilhac,  E. :  Precis  historique  et  critique  de  la  litterature 

frau^aise.    Paris.  1890.     8^. 
Lotheissen:  Margareta  von  Navarra,  ein  Lebensbild.    Wien. 

1885-    80. 
Lübke,    W. :    Geschichte    der.  Renaissance   in   Frankreich. 

2.  Aufl.    Stuttgart.  188Ö.    8«. 
Marcou,    L.   Th.:    Morceaux    des    classiques    frangais  des 

XVI«,  XVII«,  XVin*  et  XIX«  siöcles.  Paris.  1884.  8«. 
Marot,  Cl.:  (Euvres,  p.  p.  Gr.  Guiffrey.  Paris.  1875.  4^. 
Minckwitz,  M. :  Beiträge  zur  Geschichte  der  französischen 

Grammatik  im  17.  Jahrb.,  in:  Körting's  Zeitschrift  XIX, 

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Ovide,  P. :  Les  quinze  liures  de  la  Metamorphose  D'ouide, 

Poete  treselegant,  contenans  L'olympe  des  Histoires  poe- 

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Palissot,  Gh.:  Oeuvres.     Li^ge.  1777.'  7  Bde.     8«. 
Paris,    G.:    Ohr^tieu   de  Legouais   et  autres  traducteurs  et 

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d'une  grande  bibliotheque.  Paris.  1779—88.  7  Bde.  4^ 
Perenie,  A. :   Recherches  historiques  et  archeologiques  sur 

la  ville  dlssoudun.     Issoudun.  1847.  18562.     8**. 
Picot,  E.:   Catalogue  des  livres  composant  la  bibliothöque 

de   feu  M.  le  haron  J.  de  Rothschild.     Paris.  1887—93. 

3  Bde.     8«. 
Rabelais,  F. :  (Euvres,  p.  p.  Burgaud  des  Marets  et  Rathery. 

Paris.  1857.     8«. 
Sainct-Gelays,   M.    de:    (Euvres    completes,    p.    p.    Pr. 

Blanchemain,     Paris.  1873.     8^. 


—    XI    — 

Schick,  J. :  Kleine  Lydgatestudien,  im:  Beiblatt  zur  Anglia 

VIII,  134  ff. 
Sibilet,  T.:  Art  poetique  Francois.     Paris.  1548.     8^, 
Sieper,    E.:  Les  Echecs   amoureux,   in:   Literarhistorische 

Forschungen,  herausg.  von  Schick  und  Waldberg,  Nr.  IX. 
Stollreither,E. :  Quellen-Nachweise  zu  John  Gower's  Con- 

fessio  Amantis.     München.  1901.     8'*. 
Sudre,   L. :   P.  Ovidii  Nasonis  Metaraorphoseon  libros  quo- 

modo  nostrates   medii  aevi  poetae  imitati  interpretatique 

sint.     Parisiis.  1893.     S^. 
T  ar  b e ,  P. :  Les  oeuvres  de  Philippe  de  Vitry.  Reims.  1850.  8«. 
Theret,  A.:  Litterature  du  Berry.     Bourges.  1900.     8^ 
Viollet  le  Duc:  Catalogue  des  livres  composant  la  biblio- 

th^que  poetique  de  M.   V.  1.  D.     Paris.  1843.     8^ 
Wagner,  E.  W. :  Mellin  de  Saint-Gelais,  eine  literatur-  und 

sprachgeschichtliche  Untersuchung.     Ludwigshafen.  1893. 

8o.n 


*)  In  der  obigen  Liste  sind  folgende  von  dem  Verfasser  be- 
nutzte Werke  nicht  mit  aufgeführt  worden,  da  deren  Titel  bereits 
bei  Klein.  Der  Chor ,  p.  IXff.;  Ebner,  Beitrag,  p.  Xff.  undßuchet- 
mann.  Rotrou^s  Antigmie^  p.  VIII ff.  verzeichnet  sind:  Birch-Hirsch- 
ield,  Geschichte  etc.;  Brunet,  Manuel  etc.;  Chasles,  ^tude^  etc.; 
Faguet,  La  tragidie  etc.;  Fries,  Montchrestien'a  „Sophonisbe"  etc.; 
Girardin,  Tabkau  etc.;  Crodefroy,  Histaire  etc.;  (joujet,  BibliO' 
theque  etc.;  Histoire  litteraire  etc.;  Hoefer,  Nouvelle  biographie  etc.; 
J  u  1 1  e  V  i  11  e ,  Histoire  de  la  langue  etc.  ;Lacroix-Du  Verdier,  Biblio- 
fhiqiics  etc.;  La  Valli^re,  Biblioth^que  etc.;  Michaud,  Biographie 
etc.;  Älorf,  Geschichte  etc.;  Niceron,  Memoires  etc.;  Parfaict, 
Histoire  etc. ;  P e  1  e t i e r ,  VArt  Poetique  etc. ;  Sainte-Beuve,  Tableau 
etc.;  Suchier-Birch-Hirschfeld.  Geschichte  etc. 


Einleitung. 


Frangois  Habert,  ein  Zeitgenosse  und  Anhänger 
Marot's,  dichtete  ungefähr  in  den  Jahren  1540 — 60.  Ohne 
tiefer  auf  sein  poetisches  Schaffen  einzugehen,  hat  die  Kritik 
der  Folgezeit  den  Stab  über  ihn  gebrochen  oder  ihn  doch 
recht  oberflächlich  und  einseitig  beurteilt.^)  Erst  die  neuesten 
Literarhistoriker  geben  eine,  wenn  auch  zum  Teil  absprechende, 
80  doch  richtigere  Beurteilung  seiner  Leistungen.  Während 
Julleville^)  und  Morf*)  nur  einzelne  charakteristische 
Seiten  seines  Wirkens  hervorheben,  betrachten  Birch- 
Hirschfeld*),  namentlich  aber  Theret*)  die  reichhaltige 
Produktion  Habert's  in  ziemlich  eingehender  Weise. 

Trotzdem  ist  bisher  noch  manche  Seite  seines  dichte- 
rischen Schaffens  unbesprochen  geblieben  oder  falsch  beurteilt 
worden;  auch  hat  man  ihm  als  Menschen  und  Zeugen  seiner 
Zeit  wohl  nicht  genügende  Beachtung  geschenkt.  Es  dürfte 
sich  daher  verlohnen,  noch  etwas  genauer  auf  sein  Leben  und 
Denken  einzugehen. 

Auf  vier  Seiten  zählte  Goujet  (1740 ff.)  die  Hauptdaten 


*)  Vgl.  Öoujet,  Bibliothhqiie  VI,  25 ff.;  Niceron,  Mhnoires 
XXXUI,  182ff.;  La  Croix-Du  Verdier,  Bihliomques  I,  223;  III, 
«56  fr. 

«}  Eist  de  la  Langue  et  de  la  Litt.  fr.  lU,  127,  128. 

')  Gesch.  d.  neuer,  frzs.  Lit.  I,  54.  Morf's  Urteil  läßt  sich  in  die 
Worte  zusammenfassen:  Armselige,  fade,  eintönige  Dichtung,  aber  in 
klarer,  fließender  Sprache. 

*)  Gesch.  der  frzs.  Lit.  S.  154—157;  dazu  S.  37.  Anm.  19. 

»)  Litterature  du  Berry,  S.  9-147. 
Mttnchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.   XXX.         1 


im  Leben  des  Dichters  anf.^)  Seitdem  hat  die  Habert- 
Biographie  keinen  nennenswerten  Fortschritt  gemacht,  da  die 
nachfolgenden  Literarhistoriker  sich  in  der  Hauptsache  mit 
Goujet's  Angaben  begnügt  haben.  Der  Dichter  erwähnt  in  seinen 
Schriften  manche  Einzelheit  seiner  privaten  Verhältnisse;  er 
spricht  von  seinen  Studien,  die  mit  dem  Tode  seines  Vaters 
plötzlich  abgebrochen  werden  mußten ;  er  verbreitet  sich  über 
seine  Tätigkeit  in  den  verschiedenen  Stellungen,  die  er  bei 
Juristen  und  Geistlichen  einnahm;  endlich  bietet  er  dankens- 
werte Aufschlüsse  über  seine  Aufnahme  und  seine  Wirksam- 
keit am  Hofe.  Unsere  Darstellung  von  Habert's  Leben  und 
Weltanschauung  gründet  sich  also  auf  eine  eingehende  Durch- 
forschung seiner  Schriften,  deren  Zahl,  chronologische  Folge 
und  Ausgaben  weiter  unten  eingehend  beleuchtet  werden  sollen.*) 
Es  war  dies  nötig,  da  die  bisher  verÖflFentlichten  Zusammen- 
stellungen*) weder  vollständig  noch  kritisch  gesichtet  waren. 


1)  Bihliothkque  XIII,  9—13. 

•)  Siehe  den  Anhang. 

»)La  Croix-Du  Verdier,  Bihl  fr.  I,  223ff.  u.  III,  656ff.; 
Nioepon,  Aßm.  XXXIII,  184ff.;  Goujet,  Bibl  fr.  XIII.  Uff.; 
Graesse,  Trhor  III,  192;  Brunet,  Man.  du  Uhr.  III,  2ff.  u.  Suppl. 
ö8öff.;  Picot,  CatcUogue,  S.  455ff.;  Birch-Hirschfeid,  Geschichte 
etc.,  S.  37;  T  her  et,  La  litUrature  du  Berry,  S.  126—129. 


Kapitel  I. 

Haberf  s  Leben  oud  WeltanschauHng. 

§  1.   Äußere  Lebensyerkältnisse. 

€Ma  terre  naturelle 
Est  en  Berry,  Yssouldun  on  Vappelle 
Ou  i'ay  esie  des  bons  espns  cogneu.if  *) 
Mit  diesen  Worten  stellt  sich  Pran^ois  Habert  in 
seinen  „Jngendgedichten  des  Freudelosen^  dem  Bischof  von 
Noyon  vor.  Issondon,  seine  Vaterstadt,  stand  seit  1517  unter 
der  Verwaltung  einer  hochgebildeten  Fürstin,  der  Schwester 
Franz'  I.,  Margareta  von  Navarra.  Mit  ihr  hatte  der  Geist 
der  ReoaissaDce  und  der  Reformation  seinen  Einzug  gehalten, 
und  Männer  wiePierrre  Guenois  (1520),  den  berühmten 
Rechtsgelehrten  und  Mitarbeiter  des  Cujas,  Denis  duJon, 
ein  Opfer  der  Reformatioo,  und  Franz  Habert,  den  Hof- 
dichter Heinrichs  II.,  zählt  die  Lokalgeschichte  ^)  mit  Stolz 
zu  den  ihrigen.  Die  schöngeistige  Gesellschaft  dieser  Stadt 
reimt  und  dichtet,  verfaßt  Balladen,  Rondeaux,  Epigramme  etc. 
Neben  Blois^  wo  der  Hof  sich  öfters  aufhielt,  genoB  Issondun 
den  Ruf,  daß  seine  Bewohner  das  reinste  Französisch  sptächen. 
^Ich  weißy'*  sagt  ein  Zeitgenosse,  der  Dramatiker  Bou che t^), 

')  Jeunesse  du  B.  de  L.,  epistre  XIII,  S.  41/r. 

*)  P creme,  Rech,  hist.,  S.  414;  Kremp,  Eist  d,  L  ville  d^L^ 
8.  26;  Chevalier,  Hist  relig.  d^L,  S.  214:  Boy  er,  Un  menage  Utt.j 
S.  9;  Theret,  Liitirature,  S.  1. 

*)  Julleville,  Les  Mysteres  II,  130. 

1* 


—    4    — 

^daß  eure  Sprache  ohne  falschen  Accentj  nicht  barbarisch  ist,  und 
ich  bin  fest  überzeugt,  daß  sie^  in  Gallien  derjenigen  des  Hofes  am 
nächsten  steht, ^  Dies  war  das  Milieu,  in  dem  der  junge  Habert 
sich  bewegte. 

Die  genaue  Zeit  seiner  Geburt  ist  unbekannt.  Da  die 
„Jugendgedichte  des  Freudelosen  (1541)"  sein  erstes  Werk 
sein  dürften,  so  wird  er  wohl  um  1520  das  Licht  der  Welt 
erblickt  haben,  wie  das  auch  bisher  ganz  allgemein  ange- 
nommen worden  ist.^) 

Das  von  einigen*)  angenommene  Jahr  1608  kann  nicht 
richtig  sein,  da  sich  Habert  auf  dem  Titelblatte  der  Jeunesse 
du  B,  d,  L.  (1541)  noch  <escollier  estudiant  ä  Tholose*  nennt. 
Mit  33  Jahren  wird  er  kaum  mehr  Student  gewesen  sein  oder 
sich  als  solchen  bezeichnet  haben.  Ferner  ist  zu  beachten, 
daß  in  den  1558  erschienenen  ^Discours  de  la  courty^  (siehe 
Anhang,  S.  121)  sich  ein  von  dem  Verleger  dieser  Schrift, 
Philippe  Danfrie,  herrührendes  Sonnet  befindet,  welches  fol- 
gendermaßen beginnt: 

«i  France  a  receu  un  honneur  admirahle 

Regnant  Fran^ois  taut  puissant, 

A  voir  la  court  dhai  tel  roy  tres-puissant, 

Plaisir  n^estoii  ä  ce  pUxisir  semblahle. 
Du  Roy  viuant  qui  n^est  moins  vaierable 

Veux  tu  sQauoir  Vhoneur  resplamlissant  ? 

Icy  Vestrit  un  potite  naissant 

Sur  Hdlicon  aux  neufs  seurs  agrmbk, 

De  cest  auth^ur  humble  est  Vaffection 

Pour  les  vertiis  oü  gist  pcrfection, 

Bonte,  grandeur  .  .  .> 

Dazu  bemerkt  Desbarreaux-ßernard  sehr  richtig: 
tSi  Fr.  Ilabert  etait  ne  en  1508,  d  aurait  eu  cin/fuante  ans  lors- 
qu^il  publia  smi  Discours  de  la  court,  Dans  eette  hypothese,  Vepi- 
ihete  de  pocte  naissant  ne  lui  etait  jhxs  applicable.»^) 


1)  Pereme,  Rech.,  S.  347:    «de  1515  ä  1520»;  Graesse,  XeÄr- 
buch  etc.  III,  473;  Godefroy,  Bist.,  S.  610. 

2)  Nouv.  biogr.  g^.  XXUl,  11. 

»)  BuU.  du  Bibl  (1870/71),  S.  362. 


—     5     — 

Habert's  Vater  war  ein  kluger  und  ehrenwerter  Alter 
{sage  vieiUard  et  hing  de  vüupere),  der  dem  jungen  Franz  eine 
gute,  religiöse  Erziehung  zu  teil  werden  ließ.  „Mein  Sohn,^^ 
pflegte  er  zu  sagen  ^),  „sieh  die  Nachtigall  an/  Sobald  sie  Junge 
h<äf  hört  sie  auf  zu  singen  und  sorgt  für  deren  Nahrung.  So 
sollen  auch  wir  unseren  Kindern  Nahrung  spenden,  nicht  nur  für 
den  Körper^  sondern  auch  für  den  Geist,  und  diese  geistige  Nahrung 
ist  die  heilige  Schrifl.^^  In  schöner  Weise  deutet  er  dann  die 
Nachtigall  symbolisch: 

Le  rossignol  ses  petits  nourissant 

Est  le  Seigneur  Celeste  iout  puissant 

Qui  nous  nourrist  tant  de  manne  fertile 

Qne  du  repas  de  son  pur  euangile 

En  nous  monstrant  que  nous  deuons  nowrir 

Les  indigents  que  la  favm  fait  mourir 

En  nous  monstrant  que  tous  sont  noxr  enfants 

Qui  en  la  foy  de  Christ  son[t]  trinniphants,^) 

Da  Habert  seiner  Mutter  nie  Erwähnung  tut,  so  dürfen 
wir  wohl  annehmen,  daß  er  sie  schon  früh  verloren  hatte. 
jjDir  war  das  Schicksal  nicht  abhold,^*  schreibt  er  einmal  an 
seinen  Freund  Jehan  le  Brun  ^),  ,ydenn  du  hattest  und  hast 
noch  jetzt  die  Mutter.^^  Mit  diesen  Worten  wollte  er  offenbar 
andeuten,  daß  er  (Habert)  nicht  in  derselben  glücklichen 
Lage  war. 

Der  alte  Habert  hatte  sieben  Kinder,  vier  Töchter  und 
drei  Söhne:  Franz,  Claudius  und  Peter.  Drei  der  Töchter 
starben  schon  vor  1540,  also  bevor  des  Bruders  Dichter- 
laufbahn  begann.^)  Die  vierte  scheint  um  1540  verheiratet 
gewesen  zu   sein.*)      Der    eine    Bruder   —    Claude  —  war 


*)  Dicts  de  sept  Soges  Giiij/r. 

')  Dicts  de  sept  Sages  Giiij/r.  f.  (Zwiegespräch  zwischen  den  Hirten 
Kobinet  und  Luquet). 

»)  Suytte  du  B,  d,  L.,  S.  48/vff.:  Epistre  VI:  A  Maistre  Jehan 
le  Brun. 

*)  Jeun.  du  B.  d.  Z».,  S.  27/r:  Ep.   VII  ä  une  sienne  seur. 
»)  Ji^n.  du  B.  d.  L.y  8.  27/r : 

Dieu  voiUoit  des  quafre  vous  eslire 

Pour  vng  grand  fruict  en  ce  monde  produire. 


—     6     — 

tgreffier  ä  buzancoys^  ^),  der  andere  —  Pierre  —  war  Literat 
(maistre  escrivain)  in  Paris,  wo  er  eine  Abhandlung  über 
die  Kunst,  ^rasch  und  leicht  französisch  lesen,  sprechen  und 
schreiben  xu  lemen^^  einen  „Katechismus  der  Tugend^^  etc.  schrieb.*) 

Um  seine  Gymnasialstudien  zu  machen,  wurde  der  jungte 
Franz  nach  Paris  geschickt.  Hier  begeisterte  er  sich  für  die 
alten  Klassiker  und  machte  die  ersten  Versuche,  lateinische 
Verse  zu  schmieden.  Überhaupt  eignete  er  sich  eine  gründliche 
Kenntnis  des  Latein  an.  Seine  Lieblino;sdichter  waren  Ovid 
und  Horaz.     Griechisch  scheint  er  wenig  gekonnt  zu  haben. 

Die  Großstadt  bot  dem  Jüngling  manche  Anregung; 
^Fwcunde  et  heureiise^  nennt  er  seine  Studienzeit  in  Paris  ^), 
wo  er  mit  einem  Verwandten,  seinem  cousin  germain  Guillo- 
teau  einen  innigen  Freundschaftsbund  schloß.  Später  — 
wann,  wissen  wir  nicht  —  kam  sein  Vater  in  die  Hauptstadt 
und  nahm  den  Sohn  aus  der  Schule  heraus.^) 

Franz  kehrte  nach  Berry  zurück,  wo  er  seine  poetischen 
Versuche  unentwegt  fortsetzte,  angeregt  durch  seinen  Pariser 
Gönner,  maistre  Charters  Billon.^)  Es  währte  jedoch  nicht 
lange,  so  bezog  der  junge  Dichter  die  Universität  Toulouse. 
wo  er  sich  mit  solchem  Eifer  dem  Rechtsstudium  widmete, 
daß  ihm  keine  Zeit  blieb,  seinen  dichterischen  Neigungen  zu 
folgen.*)  Noch  in  späteren  Jahren  finden  wir  Spuren  dieser 
juristischen  Tätigkeit.  In  seiner  einzigen  Prosaschrift,  einem 
„Katechismus  der  christlichen  Nächstenliebe" '),  schreibt  er 
einen  einförmigen  und  öden  JuristenstiL  Er  definiert  z.  B. 
(S.  16/r)  die  christliche  Nächstenliebe  als  la  renj)roque  dilection 
ordonn6e  ,  ,  ,  au  nouueau  testametU  .  .  .  passe  par  Iss  fideles  Notaires^ 

*)  Comb,  d.  Cup.  Piiij'v :  Ep.  a  maistre  Cl.  Hdbert, 

*)  Le  moyen  de  promptement  et  facilement  apprendre  en  lettre 
francoyse  ä  bien  Kre,  prononcer  et  escrire.  P.  Ph.  Danfrie  et  R.  Breton. 
1549.  8^.  LHnstitution  de  Vertu  contenant  plusieurs  exoellentes  sentences 
morales .  . .  Paris,  Jean  liuelle.  1556.  16^.  —  Vg^i.  auch  Goujet, 
BMiotMque  fr.  XIII,  48  ff. 

^  Jeun.  du  B.  d.  L.,  Epistre  liminmre,  S.  4/v. 

*)  Ibd.  Ep.  d  m.  niaistre  Charles  billorij  S.  47/r. 

'^)  Ibd.,  S.  48/v. 

•)  Ibd.  Ep.  ä  M.  VEuesque  de  Noyon.  S.  04/r  (Druckfehler  f.  40i 

"')  LHnstitution  de  liberalite  ehrest.  P.  Iö51. 


—  t  — 

^»^  MatrCf  Lut  c<  MaHkieu,  H  raiifU  p^  Jtsudirisi,  tn  stJHe  de 
laqiieUe  raiificationj  il  a  respandu  son  sang  .  .  . 

An  einer  anderen  Stelle  (S.  17/r)  iAgt  er:  Par  libercdüe 
ninsi  difmitj  Chrestiennement  gardM  et  mise  a  eaxeuiionf  selon 
ks  troys  poincts  stufdiett^  nous  euitons  la  fnalheurewse  et  interdicte 
auarice. 

Diese  Zeit  ernsten  Studiums  wurde  plötzlich  durch  einen 
harten  Schicksalsschlag  unterbrochen:  Habert's  Vater  starb« 
Traurige  Tage  begannen  für  den  jungen  escoüiet  esiudiant^ 
Der  verstorbene  .^Mäcen^S  wie  er  seineu  Vater  nennte  hinter-» 
liefi  ihm  nicht  soviel  pour  viure 
Eneores  moitis  pour 
Les  liures  poursnyre,^) 

Freunde  und  Bekannte  bittet  der  arme  Rechtspraktik&nt 
um  Vermittlung  einer  Stelle  oder  um  Geld.  Ein  halbes 
Jahr  lang  dient  er  einem  jungen  protenotaire.  Doch  dieser 
Wohltäter  verreist  und  Habert  verliert  seinen  Posten.^)  Seine 
Gläubiger  drängen  ihn  und  besonders  seine  Hausfrau  setst 
ihm  arg  zu: 

Pöur  ceste  heure  tmg  prisonnier  eö  suiSj 
Mais  ee  tCest  pas  pour  aele  plein  d'eocces 
Ains  seuletnent  par  faulte  de  pecune 
Et  ma  priaon  cV«<  ttie  liostderie 
DorU  la  maistresse  est  du  debte  murrte 
Et  vCay  vigueur  au  courroux  resister 
Si  ie  ne  veuix  de  Vargent  luy  compier,^) 

Dami  befällt  ihn  noch  eine  Krankheit: 

Dessus  la  peau  les  os  sont  apparens  *) 
Et  n^ay  atnys  pour  comfort  ne  parens  .  .  . 
Dueil  Sans  cesser  en  moy  se  continue 
Et  iour  en  iour  ma  bourse  diminue 
Toui  le  profßt  de  si  peu  de  doctrine 
Qui  est  en  moy  se  med  en  mededne^ 


^)  Jewn.  du  B.  d,  L,^  Ep.  a  m.  maistre  charles  büUmf.&,  48/r. 

•)  Jrnn.  dH  Ä  d.  L.,  Bp.  XHI,  8.  41/r. 

*)  By^yttt  du  B,  d.  L,,  £p.  UI,  S.  44/r. 

^)  Combat  de  Oup,,  Fiiijlv:  Ep,  a  inaiatre  Ol.  HaJnrt. 


—    8     — 

In  dieser  traurigen  Lage  fragt  er  Fortune,  welchen 
Dichternamen  er  sich  beilegen  solle : 

,  .  ,  Dy  nioy  qusl  nom  veulx  que  ie  porte 
Et  que  t'eseripue  en  mes  dictz,  lequel  est  ce? 
Elle  respondy  le  Banny  de  lyesse^) 
Croy  qiie  ce  nom  est  pour  toy  destine,^) 

Eine  gedrückte  Stimmung  herrscht  in  der  ErsÜings- 
dichtung  des  y^Fretidelosen^^ ;  mit  einer  gewissen  Befangenheit 
unternimmt  der  junge  Autor  seinen  ersten  Flug.  j,Bevor  ihr 
das  kleine  Werk  veröffentlicJU,*^  schreibt  er  seinem  Freunde 
Guilloteau,  ,jzeigt  es  euren  guten  Freunden;  wenn  sie  es  lesen, 
tverden  sie  vielleicht  sagen,  daß  es  j/ein'*  (polj)  sei  oder  sich  dar* 
Über  lustig  Knochen  und  es  als  ,, schwer  fällig ,  unzusammenhängend 
und  stillos^*  bezeichnen ; 

Si  bien  m'en  vient,  vous  en  serez  Vau/^ur, 
Si  deshonneur,  Ven  seray  Pinuenteur,^) 

Bei  einem  Besuche  der  antiken  Dichter  im  Elysium 
fordert  ihn  Ovid  auf,  einige  seiner  Verse  vorzutragen,  doch 
er  lehnt  ab  mit  den  Worten: 

Mon  Stile  n'est  pas  assez  pour  toy  suhHl: 
Car  des  Francoys  qvHon  veoit  poetiqu£r 
Je  suis  le  moindre  ä  bien  le  praciiquer»^) 
Schüchternheit  und  Bescheidenheit  spricht  aus  allen  diesen 
Äußerungen.    Zu  dieser  vorsichtigen  Haltung  hat  wohl  nicht 
wenig  der  Streit  zwischen  Marot  und  Sagen,   der  gerade  um 
1540  tobte,  beigetragen.     Habert  selber  gesteht,   daß  er  sich 
vor  der  literarischen  Kritik,  dem  „Bisse  der  Hunde^^  fürchte.*) 
So  gering  er  aber  seine  Anfangsleistungen  einschätzt,  so 
Großes  gedenkt  er  noch  auszuführen.     Auch  in  ihm  glüht 


*)  Jeun.  du  B.  d,  L,:  Preface  aux  Uctewrs,  S.  7/r. 

^)  Jeun.  du  B,  d.  L.:  Freface  aux  lecteurs^  S.  7/r;  den  gleichen 
Namen  hatte  schon  der  Dichter  Meschinot  angenommen. 

')  Jeun,  du  B.  d.  L,,  S.  3/r  fF. :  Ep.  liminaire  ä  maistre  Jehan  Guilloteau. 

*)  Suyte  de  la  ieun.  S.  87/r. 

^)  Jeun.  du  B,  d,  L.j  S.  5/r.  Ahnlich  äußerte  sich  schon  Michel 
d'Amboise  in:  ^Les  Bucoliqv^es  etc.  (1530]«  in  seiner  schwülstigen, 
pedantischen  Sprache :  «Toute  banne  ceuvre  est  ä  ceste  heure  floccipenMe, 
mordue  et  dUacerle»  (zit.  nach  Hennebert,  Les  trad.  etc.  S.  99). 


—     9     — 

der  Ehrgeiz  des  Kenaissancedichters :  ,fMich  treibfs,^^  sagt  er, 
jytiti  Buch  zu  schreiben^  durch  das  ich  berühmt  werden  möchte^  une 
Ovidf  Horaz  und  Homer ^^^)  Denn  die  Natur  hat  uns  Ton  den 
Tieren  unterschieden,  die  nur  nach  materiellen  Dingen  {asuure 
terrien)  streben,  tsans  veoir  le  cieh.  Daher  ist  es  nötig,  so 
schließt  er, 

*que  nou8  laissotis  ouuraige 
Qui  8oU  2)Qur  nous  süffisant  tesmoigtiage 
Uauoir  vescu,*  ^) 

Doch  wie  kann  er,  der  arme  kranke  Dichter,  zu  Ruhm 
gelangen?  Dazu  müssen  ihm  seine  Ereunde  behilflich  sein. 
Der  junge  Student  schließt  sich,  wie  wir  gehört  haben,  dem 
maistre  Charles  Billon^  aduocat  en  la  cour  de  parlement,  an; 
er  legt  ihm  seine  lateinischen  Verse  vor  und  bittet  ihn  später 
um  seine  Protektion  und  um  Vermittlung  einer  Stelle  bei 
einem  Prälaten.  Auch  in  der  Folgezeit  korrespondieren  die 
beiden  Freunde  in  gereimten  lateinischen  Episteln.^) 

Der  ebenfalls  schon  erwähnte  maistre  Jehan  Giiilloteau 
besorgte  den  Druck  und  die  Ausgabe  der  „Jugendgedichte  des 
Freudelosen^^. ^)  Die  beiden  Freunde  liebten  sich  wie  „Orestes 
und  Pylades".  Eine  Meinungsverschiedenheit  kann  das  schöne 
Verhältnis  nur  vorübergehend  trüben.  Denn  als  Guilloteau 
von  einer  längeren  Reise  zurückkehrt,  empfängt  er  einen 
poetischen  Brief  folgenden  Inhalts:  „Ich  freue  mich  sehr,  daß 
du  von  deiner  weitere  Reise  wieder  xuri'ick  bist;  müde,  in  Frank' 
reich  zu  kben^  wollte  ich  schon  auswandern  utid  mich  in  einem 
fremden  Lande  niederlassen.  Doch  deine  Uückkunft  hält  mich  nun 
fest;  vergiß  unsem  kleinen  Zwist*^  etc,^) 

Einem  gewissen  Eenoist  Foucheret  sind  die  in  dem 
Combat  de  Cujndo  enthaltenen  (s.  unten,  Anh.  S.  106)  ^Epistres 
cupidiniquesi  gewidmet.  An  ihn  richtet  sich  eine  Epistel,  die 
Habert  ursprünglich  verbrennen  wollte,  da  er  sich  nicht  zu 
schreiben  getraute.^)    In  einer  anderen  Epistel  dagegen  nennt 


»)  Jeun.  du  Ä  d.  X.:  Frif  aux  lecteure,  S.  6;v. 

»)  Jeun,  du  B.  d,  L.,  S.  47/rff.j  S.  72/v. 

*)  iM.,  S.  4/v. 

*)  Combat  de  Cup,    Oiiijjr, 

^)  Ibd,  (ohne  Seitenzahl). 


—     10     — 

^r  ihn  schon  in  der  Überschrift  son  bon  aniy  und  entwirft  ihm 
eine  kurze,  realistische  Schilderung  seines  Krankenlagers: 
En  languissant  is  sui»  au  liöt  mtUlade, 
Sans  qu6  h  corps  de  se  gutrir  s'azarde 
Trouuer  9te  puw  komme  qui  me  Supporte^ 
Encores  moins  qui  vers  may  se  transporte. 
Le  vin  m^est  plus  aygre  que  la  mouiarde, 
Le  medecin  me  dict  donnez  vous  garde 
De  menger  fruictz  ne  cresson  en  saU<ide. 
May  ie  luy  dis  le  diable  vous  empörte 
En  languissant^) 
Gelegentlich  der  Aufführung  der  großen  Mysterienspiele 
in  Issoudun   machte  Habert  die  nähere  Bekanntschaft  eines 
Kollegen,  des greffier  Jean  le  Brun,  welcher  wegen  allzu  derber 
Anspielungen  auf  bekannte  Persönlichkeiten  eingesperrt  wurde, 
indes  Habert,  der  die  Spottverse  verfaßt  hatte,  straflos  davon 
kam. 2)     Infolgedessen   trat   zwischen    beiden   Freunden   eine 
Spannung  ein,  die  längere  Zeit  andauerte.     Da  reichte  Habert 
zuerst  die  Hand  zur  Versöhnung;  er  bat  um  Entschuldigung, 
erinnerte  an  die  alte  Jugendfreündschaft,  machte  dem  greffier 
Komplimente  wegen   seines  juristischen  Wissens,  seiner  Vor* 
liebe  für  Poesie  u.  s.  w.*) 

Wenu   ihm   ein  Freuud   nicht   gleich   antwortet,   fühlt  er 
sich  sehr  gekränkt: 

*Que  7)1  e  sert  si  frequente  escripiure 
Qua f  1(1  de  ta  pari  ie  n^ay  nulle  lecUire  P» 
schreibt  er  in  vorwurfsvollem  Ton  an  den  maü-ire  Cruillaume 
Chappuxet  aus  Issoudun.*)  Chappuzet  und  Habert  waren 
Mitglieder  eines  Kreises  von  Schöngeistern,  die  der  Abbe 
Brugerat  um  sich  sammelte.  Hier  saß  man  nicht  feierlich 
zu  Tafel,  sondern  jeder  setzte  sich  ins  Gras  und  bei  einem 
guten  Glase  Wein,  den  der  joviale,  geistliche  Gastgeber 
spendete,    hörte   man   den   blasons  zu,   die   der   eine  oder  der 


*)  Ibd.  (ohne  Seitenzahl). 
')  Siehe  weiter  unten,  S.  12fif. 
»)  Suytte  du  B.  d.  L.,  S.  49/r. 
*)  Jeun.  du  B,  d.  X.,  S.  24/vfF. 


—   11  — 

andere  vorlas.  Chappazet,  der  Sekretär  der  Gresellschi^t,  be- 
gann vorzutragen  uod  ihm  folgte  gewöhnlich  Habert  noiit  den 
Erzeugnissen  seiner  Muse.  Endlich  gab  der  freundliche  Wirt 
sein  Urteil  über  die  poetischen  Leistungen  seiner  Gäste  ab. 
Habert  hatte  fiir  die  Unterhaltung  des  schönen  Rasenplatzes 
zu  sorgen  und  die  Teilnehmer  (freres)  des  literarischen  Zirkels 
für  den  bestimmten  Tag  einzuladen. 

Auch  in  Damengesellschaft  bewegte  sich  der  junge  Dichter 
gern.  Bei  einer  madame  Guerin  de  Villebouche^)  war  er 
häufig  eingeladen.  Sie  pflegten  miteinander  zu  musizieren. 
Die  Dame,  die  eine  sehr  schöne  Stimme  besaß,  saug,  und 
Habert  spielte  die  Flöte. 

An  einer  anderen  Stelle  weiht  er  uns  in  seine  Herzens- 
angelegenheiten ein.  ,jlch  bin  besiegt,  und  der  ist  der  Sieger, 
den  man  mit  verbundenen  Augen  darstellt''^  so  klagt  er  den 
schelmischen  Liebesgott  an.^)  Amors  spitzer  Pfeil  hatte  ihn 
getroffen,  sans  espoir  de  re^nede.  Gern  scherzt  und  tändelt  er 
an  lauschigen  Orten  und  manch  feuriges  Liebesgedicht  {maint 
blason  et  jiropos  amoureux)  fließt  aus  seiner  Feder.  Doch  ver- 
schweigt er  uns  die  Namen  seiner  Geliebten.  Wohl  deuten 
auf  ihre  körperlichen  und  geistigen  Eigenschaften  verschiedene 
Stellen  hin,  in  denen  der  Dicliter  seine  Ansicht  über  das 
Ideal  weiblicher  Schönheit  darlegt.^) 

Endlich  haben  wir  noch  des  Anteils  zu  gedenken,  den 
Habert  an  theatralischen  Aufführungen  in  Issoudun  nahm. 
Im  Jahre  1634  war  die  Passion  in  Poitiers  mit  ungeheurem 
Erfolg  gegeben  worden.*)  Habert's  Vaterstadt,  die  sich  auf 
ihre  künstlerischen  und  literarischen  Leistungen  etwas  zu 
gute  tat,  wollte  nun  auch  ihre  Mysterienspiele  haben.  Billon, 
wahrscheinlich  der  gleiche,  den  wir  als  Freund  Habert's  schon 


^)  Jcwn.  du  Ä  d.  L.,  S.  71  (üruckf.  f.  17)  v,  S.  47/v. 

^  JW.,  S.  22/vff. 

*)  Jeun,  du  B,  d.  L..  S.  13/r;  Suytte  du  B,  d.  L.,  £p.  XI,  S.  ö9/r. 
u.  Ditain  de  la  Brünette,  la  Rousse  et  la  blanche^  S.  76/r;  Jeun.  du  B, 
d.  X. :  Epistre  ii  ä  vne  ieune  fille  d^vng  tapissier  merueiüeuse  en  beaulte. 
S.  lö/r. 

*)  JulleviUe,  lee  Mysteres  II,  123. 


—     12     — 

kennen  gelernt  haben  ^),  wandte  sich  an  den  Juristen  and 
überaus  fruchtbaren  Dichter  Jean  Bouchet*),  der  den 
Spielen  in  Poitiers  beigewohnt  hatte,  und  ersuchte  ihn^  die 
Aufführungen  in  Issoudun  zu  leiten.  Der  Prokurator  lehnte 
dankend  ab,  übersandte  jedoch  dem  Bittsteller  sein  Manuskript 
und  erteilte  ihm  Anweisungen  über  die  Inscenierung  und 
Einstudierung.  ^) 

Im  Jahre  1535  wurde  das  Passionsspiel  wirklich  gegeben. 
Beim  Klang. der  Fanfaren  hatte  man  schon  einen  Monat  zu- 
vor dieses  Ereignis  feierlich  angekündigt.*) 

Später  arteten  diese  Spiele  aus.  Habert  berichtet  uns 
folgendes  darüber:  Eine  lustige  Gesellschaft  von  Juristen 
hatte  die  Sache  in  die  Hand  genommen.  Der  /^re//^- Jehan 
le  Brun  gab  die  Idee  und  den  Plan  an,  Habert  machte  die 
Verse.**)  Ein  Parlamentsadvokat  Leconte  verfaßte  mehrere 
Rondeaux;  ebenso  unterstützten  sein  Kollege  <imaistre  Claude 
Lacube  hien  entendu  en  poesie  tant  latine  qite  Frmicoyse»  und 
der  Abt  Brugerat  tatkräftig  das  Unternehmen.  Es  ging 
dabei  sehr  tidel  her  und  manches  Fäßchen  und  manche 
Flasche  wurde  geleert.*) 

Einige  Jahre  dauerten  wohl  diese  Aufführungen :  „Immer 
noch  beliauptete  die  Basoche  ihre  histige  Herrschaft.^*'  Als  man  sich 
aber  unbedachterweise  zu  Angriffen  auf  bekannte  Persönlich- 
keiten hinreißen  ließ,  wurden  nach  einem  tollen  Karnevals- 
dienstag  die  supposiz  verhaftet  und  ins  Gefängnis  geworfen, 
und  zwar,  wie  Habert  sagt, 


>)  Vgl.  oben,  S.  9. 

2)  Theret,  1.  c,  S.  136ff. 

')  JuUeville,  les  MysÜres  II,  128ff. 

*)  Pereme,  Recherches  hist^  S.  164:  *La  triomphante  etniagnifique 
monstre  du  Sainct  MysÜre  de  la  Passian  de  notre  Seigneur  JMaus-Chriat. 
On  cotistruisit  ä  cet  effet  un  immense  amphitheäire  en  6o«,  rappelant 
cea  enormes  idifices  qti'ofi  n^avait  pas  mis  depuis  Us  temps  des  Romains, 
McUheureusement  les  details  relatifs  ä  cette  reprSsentation  ne  noiis  ont 
point  6U  conserues.» 

*)  Suytte  du  B,  rf.  L.,  S.  63/r. 

«)  Ihd.,  S.  60/v. 


—     13     — 

par  sergens  deshyaulxj 
Ha,  i'ay  grand  tort,  ie  veulx  dire  royaulx,^) 
Doch  war  die  Haft  eine  leichte.  Ja,  die  Schauspieler  erhielten 
sogar  die  Erlaubnis,  Besuche  ihrer  Freunde  und  Angehörigen 
zu  empfangen,  unter  ihnen  auch  unser  Dichter,  der  sich  oft 
einstellte  und  seine  Freunde  zu  trösten  versuchte.  Le  Brun's 
sorgsame  Mutter  schaffte  ihrem  Sohne  ein  Bett  ins  Gefängnis. 
Man  wollte  offenbar  die  hasoclmns  nur  schrecken ;  sie  wurden 
bald  wieder   auf  freien  Fuß  gesetzt  und  es  wurde  verboten, 

de  proclamer  lihelle. 
Depuis  ce  temps  baxoche  tnise  m-rier 
Cessa  blasofis. 

Mit  Bedauern  sah  Habert  diese  tollen  Fastnachts- 
lustbarkeiten verschwinden;  ier  möchte  sie  gern  wieder  zu 
neuem  Glänze  bringen: 

tDont  stiis  d'cuhiis  qu'il  eii  sott  dispute 

El  Bmgerat  fnir  ce  fatct  consulte 

Qui  des  long  temps  s^est  monstrc  secourable 

Aiix  botis  siippostz  .  .  . 

En  ce  faisant  baxoche  reprendra 

Son  lox  preyniem-) 
Erst  acht  Jahre  später  (1549)  berichtet  uns  Habert 
wieder  einiges  über  das  Theater  seiner  Heimatstadt.  Die 
einst  so  ausgelassene  Karnevalsgesellschaft  war  im  Laufe 
der  Zeit  eingeschlafen.  Man  sammelte  zwar  Beiträge  ,fbis 
xum  Erbrechen^',  doch  machte  man  von  dem  Aufführungsrecht 
von  Theaterstücken  keinen  Gebrauch  mehr.  An  Humor  und 
Scherz  taten  es  die  kleinen  Städte  der  Umgegend  den  Ein- 
wohnern von  Issoudun  zuvor.  Diese  spießbürgerliche  Saum- 
seligkeit ärgert  unseren  dereinst  so  eifrigen  Bazochien  so  sehr, 
daß  er  in  einer  geharnischten  Epistel  seine  Landsleute  auf- 
zuwecken sucht: 


»)  Suytte  du  B.  d.  i.,  S.  48/v. 

•)  Suytte  du  B.  d.  L.,  S.  50/r.  —  Goujet's  Bemerkung  (Bibl  fr. 
Xin,  13) :  tH.  refusa  depuis  de  se  melei'  de  ces  divertissements  trop  libres 
et  trop  satiriques»  ist  also  unrichtig. 


—    14    — 

<0u  est  ce  Roy?  ha  iL  eueur  resfroydi? 
Ou  est  Bazoche?  est  son  sens  estourdy? 
.Ou  est  Bacchits  cour7vnn4  de  lyerre? 
Que  vierht  il  vers  vostre  Roy  grand  erre?  (sicl) 
Ou  sofit  tabours  sonnants  soir  et  matin 
Pour  recorder  en  dance  ou  en  fesim 
Tous  vos  blasona?  pour  iß  taut  icy  mettre 
Vous  dormez  irop,  cest  la  fin  de  ma  fe/lr«.»^) 
Die  Jahre  1541—43  waren  fär  Habert  yerhängnisvoU. 
Er  hatte,  wie  wir  gehört  haben,  das  juristische  Studium  auf- 
gegeben.    Mittellos  und  ohne  Beruf  stand  er  da.    Die  Not 
trieb  ihn,   Buch  auf  Buch  zu  schreiben.    Er  war  dem  Spiel 
ergeben :  „  Und  verliere  ich  alles  bis  aufs  Hemd,  tadelt  michj  wenn 
ich  eine  Träne  da^^m   vergüße^^   schreibt  er   trotzig   an    einen 
Bekannten,  der  ihn  zum  jeu  de  la  botäe  herausgefordert  hatte.-) 
Zu  allem  Unglücke  läßt  er  sich  noch  mit  liederlichen  Frauen- 
zimmern ein;  ein  galantes  Abenteuer  folgt  dem  anderen,  bis 
eine  ernste  Krankheit   diesem  ausschweifenden  Lebenswandel 
ein  Ende  macht.') 

Seine  Schulden  häufen  sich  derart,  daß  er  ins  Gefängnis 
wandern  muß :  ,,  Magerkeit  verzehrt  mich^'  klagt  er  in  einem 
lateinischen  Epigramm,  ,,und  die  Schwärze  des  Ortes  quält  mich  ; 
eine  .schwere  Kette  trage  ich  an  den  Fiißen,^^  *)  Als  er  seine  Strafe 
abgesessen  hatte,  war  er  wieder  mittellos.  Rin  an  Guillaume 
Chappir/et  gerichteter  Brief  schildert  uns  seine  Lage :  „M 
freue  mich,  dich  ülter  mein  Be finden  und  meine  Genestntg  in 
Kenntnis  setzen  zu  können.  Seit  vier  Monaten  habe  ich  kein  Geld 
mehr;  ich  laufe  hemm  bei  meineyi  Freunden  und  kitte  rmi  KreAii. ; 
und  was  mehr  ist,  ich  hin  in  Freiheit  und  fürchte  immer  in  Oe- 
fangenschaft  zu  sein,  obwohl  ich  keine  Ausschreitungen  begehe;  ich 
muß  mirh  wieder  nach  einer  Stelle  umsehen,  um  etwas  zu  ver^ 
dienen  ^^  *) 


*)  Temple  de  Chast.  (1549):  Atix  Bazochiens  d^Yss&uldun  o.  8. 
*)  Liure  des  vis.  fant,  ohne  Seitenzahl  (vorletztes  Epigramm). 
')  Vgl.  Comb,  de  Cup.,  Epistres  Cttpidiniques  Hiij/vff.,  woselbst  diese 
wenig  erbaulichen  Dinge  mit  breiter  Ausfü-hrlichkeit  geschildert  sind. 
*)  Jardin  de  fodicite  (ohne  Seitenzahl,  gegen  Ende). 
^)  Comb,  de  Cupidon,  Ep.  ä  matstre  G.  chappuzet,  ohne  Seitenaahl. 


—    15     — 

Zudringliche  Gläubiger  belästigen  ihn.  6ar  oft  sucht  er 
das  Weite,  um  den  Schutzleuten  zu  entgehen,  die  ihn  ver- 
haften wollen: 

II  m'e9t  aduis  que  tout  vif  on  mescorehe 
Quand  on  tue  va  mes  debtes  denicmdani.^) 

Eine  adlige  Dame,  Madame  de  Touteville,  Gräfin 
von  Sankt  Paul,  und  viele  andere  bittet  er  um  Geld;  einen 
protenotaire  des  Grafen  geht  er  an,  für  ihn  ein  gutes  Wort 
bei  dem  Gemahl  der  genannten  Dame  einzulegen.^) 

Um   dieser  Not  für  immer  ein   Ende   zu   machen,  faßt 

Habert  einen  kühnen  Plan.    Er  sucht  an  den  Hof  zu  kommen, 

wendet  sich  jedoch  nicht  an  Franz   1.,   sondern   an  dessen 

Sohn,     den    nachmaligen    Heinrich    II.      In    einer    an    den 

Dauphin    gerichteten    Epistel,    die    den    Schluß    der   Nouvelle 

Vrnu^   bildet   (1543),    vergleicht  er  Heinrich  11.    mit  Vulkan 

und  bittet,  in  die  Zahl  seiner  Diener  aufgenommen  zu  werden : 

Ndtk    Vnlcanus  {Vukmn\  qne  par  grnce  et  faumir 

Amntqu'allerckerchcrIJischezet  Cerß  (Herbst  1643?)'^) 

Tofi  vonloir  me  ßt  r/i  de  tes  serfz,   [sie!] 

In  dem  (Euire  Bucolique,  das  der  „neuen  Pallas  (1545)** 
beigegeben  ist,  erzählt  er  von  einem  neuen  Versuch,  Zutritt 
beim  Dauphin  zu  erhalten.*)  Der  Hof  befand  sich  damals 
in  Anet,  dem  reizenden  Schlosse  der  „Senescliallin"  (Diana 
von  Poitiers),  einem  Meisterwerke  der  drei  größten  Künstler 
der  französischen  Renaissance.  Hier  traf  Habert  die  hoch- 
üebildete  „Schäferin  von  Navarra",  sowie  den  Dauphin,  in 
dessen  Dienst  er  treten  wollte.  Er  überreichte  ihm  seine 
Dichtung ;  man  fand  sie  elegante^  honeste  et  resolüe.  Doch  es  blieb 
bei  dieser  lobenden  Anerkennung;  die  Herren  und  Damen 
des  Hofes  belustigten  sich  lieber  mit  der  Jagd,  als  mit  den 
Versen  eines  armen  Dichters: 


»)  IM.,  cüij/rff. 

*)  Livre  des  vis.  fcmt  iiij/r»  £y/v.  Für  Goujet's  Bemerkung 
(Bibl.  fr.  XIU,  12j:  »H,  fut ,  .  Secretaire  de  M.  le  Duc  de  Nevtrs  qui 
U  fit  c9Hno%tre  ä  la  Cour  . , ,  H. . , .  fut  bien  accüeiüi  de  Fran^ois  I» 
^iode  ich  uirgends  eine  Belegstelle. 

»)  S.  untea  S.  111. 

*)  Nouv.  Pallas  (ed.  1545)  S.  63 ff. 


—     16     — 

€si  souuent  Bergers  vont  ä  la  cfiasse 
Que  tout  espoir  hors  de  mon  cueur  ie  cliasse.^^) 
So  mußte  Habert  „den  Wert  von  20  Hammeln"  aus- 
geben, ohne  am  k.  Hofe  eine  feste  Anstellung  oder  auch  nur 
Zutritt  daselbst  zu  erlangen.  Er  gab  seine  erfolglosen  Be* 
mühungen  auf  und  kehrte  krank  und  niedergeschlagen  zu 
seinen  Freunden  nach  Paris  zurück. 

Als  aber  kurz  darauf  der  Dauphin  wieder  auf  ihn  auf- 
merksam gemacht  worden  war  und  erfahren  hatte,  daß  Habert 
der  Verfasser  der  „neuen  Venus"  (1643)  sei,  <qu^auoit  receu 
son  amye  exaulcee»  (Catherina  v.  Medici),  ließ  er  ihm  sofort  „den 
Wert  eines  fetten  Ochsen"  ''^)  ausbezahlen. 

Ha  (dis  ie  lors)  o  Berger  honnorable 
Tu  m^as  este  au  besoing  secourahle, 
Je  te  jtrofnetx  que  rna  rurale  Muse 
Dilatera  ta  lotienge  diffuse,^) 
Auf  den  Wunsch  des  Dauphin  verfaßte  er  nun  die  „fiene 
Pallas*^,  die  er  im  Jahre  1544  zu  Evreux  überreichte.     Gleich- 
zeitig  beglückwünschte  er  seinen  fürstlichen  Gönner  mit  be- 
geisterten Worten  zur  Geburt  seines  ersten  Sohnes*): 

^)  Nouv.  Fall,  S.  67. 

^)  Diese  seltsame  Rechnungsart  nach  Ochsen  nnd  Hammeln  hängt 
wohl  damit  zusammen,  daß  damals  die  Viehzucht  in  Issoudun  in  hoher 
Blüte  stand.  Es  wird  dies  ausdrücklich  von  dem  Geschichtsschreiber 
Chaumeau  bezeugt:  «La  ville  d' Issoudun  est  en  troys  ckoses  princi- 
palement  recommendable :  Vune  pour  raison  de  VetendurC  de  sa  Jurisdiction, 
Vautre  pour  la  grande  abondunce  des  trouppeanx  de  brebiSj  aigneaux  et 
moutons  qui  sont  ordinairement  nourritz  au  dit  Heu,  etc.»,  zit.  nach 
Chevalier,  Hist  relig.  d'Iss.^  S.  8. 

»)  Nouv.  Fall.,  S.  68. 

*)  Die  beiden  ersten  Kinder  des  Dauphin  waren  Töchter,  Elisabeth 
und  Claudia.  Der  älteste  Sohn,  der  nachmalige  Franz  II.,  wurde  am 
19.  Januar  1544  geboren.  Dieses  Datum  berechtigt  zu  dem  Schlüsse, 
daß  H.  ira  J.  1544  schon  die  „neue  Pallas"  überreicht  hat,  ferner 
daß 'dieses  Gedicht  vor  der  „neuenJuno"  entstanden  ist  (vgl.  Anhang.) 
Unrichtig  ist  daher  auch  die  Bemerkung  Paulmy's  in  den  MSlanges 
(Vn,  251),  der,  gestützt  auf  eine  spätere  Ausgabe  der  neuen  Pallas 
vom  Jahre  1546,  in  dem  erwähnten  Prinzen  den  Herzog  Franz  von 
Alen^on  sieht.  Außerdem  heißt  es  ja  gleich  in  der  Überschrift  des 
Gedichtes  {Nouv,  P.,  S.  58):  »Inuention  sur  la  Naissance  de  Mon- 
seigneur  le  Duc  de  Bretaigne  etc.». 


—     17     — 

*0r  est  ü  nay  le  desirS  Enfant^) 


Le  Duo  Francoys  de  brauche  Liliak: 
Louee  en  soü  ton  Espouse  hyalle 
Noble  Daulphin  .  .  . 
La  eruatUi  qui  se  voulut  armer 
Contre  le  cours  du  Datdphin  mw  en  cendre^ 
Ores  ne  peuU  destruire  ou  consumer 
Cil  dont  on  voit  vn  Heritier  descendre.^ 
Der  Dichter  bewarb  sich  um  die  Gunst  der  Königin  und 
ihrer  Schwägerin,   Margareta  von  Navarra.*)     Der  Dauphin 
(der  spätere  Heinrich  II.)  zog  ihn  auch  gelegentlich  zur  Ge- 
sellschaft  bei ')   und    stellte  ihm  schließlich  eine  Stelle   bei 
Hof  in  Aussicht.^)    Doch  erst  im  Jahre  1546  oder  im  Anfang 
des  Jahres  1547  scheint  er  eine  solche  bekommen  zu  haben. ^) 
jfXächst  Goiif'^   sagt  er.   „Wn  ick  meinem  fürstlichen  Freunde  xn 
Dank  verpflichtet^^: 

tUvn  m^ha  creie  (sie!)  ä  sa  forme  et  semblaneej 
Uautre  appelee  a  sa  court  d^excellence.i^^) 
Im  Jahre  1548  war  der  königliche  Hof,  der  bekanntlich 
seinen  Aufenthalt  oft  wechselte,  in  Fontainebleau  und  hier 
scheint  Habert  das  Bruchstück  seiner  eben  gefertigten  Ovid- 
übersetzung  vor  Heinrich  II.  rezitiert  zu  haben.')  Von  hier 
ging  er  nach  Paris,  um  seinen  Kollegen,  den  Hofdichter 
Meilin  de  Saint-Gelais  aufzusuchen.^) 


M  Nouv.  FaU.,  S.  57. 

*)  Dicts  de  sept  Soges  (1549;  Druckerlaubnis  vom  24.  Febr.  1548): 
Eglogue  aur  la  naisaance  de  M.  le  daulphin  (ohne  Seitenzahl). 

»)  iM.,  Eij/v. 

*)  IM..  Aij/r. 

*)  Für  diese  Annahme  spricht  der  Umstand,  daß  Habert  (Nauv, 
Venus  [1547]  8.  16)  Heinrich  II.  (König  seit  30.  März  1547)  noch  als 
Dauphin  tituliert  und  ihn  seinen  Freund  nennt.  Femer  heißt  es  in 
einem  £ztrait  du  Priailege  auf  S.  2  von  Les  quatre  liures  de  Caton 
(P.  1548;  Druckerlaubnis  v.  22.  Janaar  1546):  Francoys  Habert,  Poete 
de  numsieur  le  Daulphin. 

•)  Nouv.  Venus  (vor  dem  30.  März  1547),  S.  16. 

')  Ep.  Her.  (1550),  S.  68/r. 

*)  8.  weiter  unten,  8.  33. 
Miinchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.    XXX.        2 


—     18     — 

Das  Ende  des  Jahres  1648  brachte  für  Habert  ein  freu- 
diges Ereignis :  Er  stattete  seiner  &eburtsstadt  Issoudun  einen 
längeren  Besuch  ab.  Manch  frohe  Stunde  verbringt  er  im 
Kreise  der  ehemaligen  Schulkameraden  und  Freunde.  Beim 
Jahreswechsel  (1549)  hat  er  für  jeden  ein  paar  schmeichel- 
hafte Verse,  ein  poetisches  ^Etrenne"  in  Form  eines  Epi- 
gramms etc.^) 

Über  den  Grund  seines  Besuches  in  Issoudun  läßt  er 
uns  im  Unklaren.  Doch  scheint  er  im  Auftrage  des  Königs 
dort  gewesen  zu  sein,  da  er  sagt:  Königliche  Arbeiten  haben 
mich  hier  festgehalten.^  Überhaupt  scheint  er  bei  Heinrich  IL 
sehr  in  Gunst  gewesen  zu  sein ;  denu  der  König  nennt  ihn  in 
einem  Privileg  vom  13.  April  1551  (auf  dem  Titel  steht  irr- 
tümlicherweise 1541)^)  ymstre  eher  et  hien  ayme  Francois  habertj 
nostre  Poete  Francois,^* 

In  der  Nachbarstadt  Bourges  hielt  er  sich  eine  Zeitlang  auf. 
Hier  lebte  und  dichtete  sein  Freund  und  Kollege  Nicolas 
le  Jouure.  In  dem  gastfreundlichen  Hause  Bouchetel's, 
des  Euripidesübersetzers ,  fand  er  herzliche  Aufnahme  und 
ließ  sich  die  guten  Weine  von  Bourges  vortreflFlich  munden.*) 

Doch  konnte  ihn  das  Leben  und  Treiben  der  Provinz 
auf  die  Dauer  nicht  fesseln;  er  sehnte  sich  nach  Paris  zu- 
rück. fjAber  eher  werden  die  Fische  in  der  Luft  Na)irung  siichen^^y 
schreibt  er  im  Jahre  1549  ^)j  „und  die  Vögel  im  Meer  ihren 
Unterhalt,  als  ich  am  königlichen  Hof  sein  werile  ;  mit  Schmerzen  warte 
ich,  bis  die  Zeit  abläuft,  um  unverzüglich  an  den  Hof  zu  gehenJ^ 

Endlich  schlug  die  Scheidestunde.  Einige  poetische  Ab- 
schiedsgrüße an  JaquesThiboust;  den  ^^Mäcen  und  Vater 
der  Schriftsteller**, •)  und  an  seine  Gönnerin  Madame  Anne 
Bisoton  de  Loches')  — ,  und  Habert  ist  wieder  in  der 
geliebten  Hauptstadt. 


')  Tempk  de  Chast,  (1549),  Ep.  ä  Claude  Maupas  (ohne  Seitenzahl). 

')  Ihd.,  A  Monsieur  F.  Begnier  (ohne  Seitenzahl). 

')  Les  sermans  satiriques  d^Horace, 

*)  Temple  de  Chast  (1549)  L/vff.;  Ep.  Her.  (1650),  S.  102/v. 

^)  Ihd.^  A  Nicole  le  Jouure  (ohne  Seitenzahl). 

«)  Temple  de  Chast.  Dij/v;  Boy  er,  M^.  litt.  S.  35  fi 

')  Ibd.,  Eiij/r. 


—     19     — 

Bald  finden  wir  ihn  jedoch  wieder  in  der  Provinz,  und 
zwar  inQuantilly,  bei  seinem  Freunde  Thiboust.  Hier 
beginnt  er  die  Satiren  des  Horaz  zu  übersetzen,  die  er  in 
Paris  vollendete  und  seioem  Gönner  (1549).  widmete.^)  Aber- 
mals lud  ihn  Thiboust  ein;  er  versprach  zu  kommen  und  am 
liebsten  bis  zu  seinem  Tode  zu  bleiben. 

Doch  mußte  Thiboust  auf  die  Ehre  eines  so  langen  Be- 
suches verzichten.  Habert  kam  von  Bourges  aus  in  Quan* 
tilly  an  und  hielt  sich  nur  sechs  Stunden  auf.  Die  drei 
Töchter  des  Hauses  Jaqtielinej  Jekanne  und  Marie  boten  alles 
auf,  dem  Gast  den  Aufenthalt  angenehm  zu  machen;  besonders 
der  Wein  schmeckte  ihm  vorzüglich  und  uicht  leicht  hatte 
er  in  seinem  Leben  glücklichere  Stunden,  als  gerade  damals, 
1560.«) 

Zu  seinem  großen  Leidwesen  stirbt  Thiboust  1555,  und 
bereits  1556  folgen  ihm  Jean  Bouchetel  und  Nicolas  le  Jauure^) 
ins  Grab.  Im  Jahre  1557  erscheint  Habert's  bedeutendstes 
Werk,  die  Übersetzung  der  15  Bücher  der  Metamorphosen 
Ovid's,  die  Frucht  einer  mehr  als  achtjährigen  Arbeit,  deren 
Fortschritte  Heinrich  II.  mit  lebhaftem  Interesse  verfolgt 
hatte.*)  Die  späteren  Arbeiten  Habert's  bringen  keine  Lebens- 
nachrichten mehr;  er  starb  wahrscheinlich  nach  1561,  da  in 
diesem  Jahre  sein  letztes  Werk*)  erschien. 


§  2.  Habert's  Weltanschauung. 

1.  Religiöse  Ansichten. 

Die  Reformation  hatte  längst  angefangen,  sich  in  Frank- 
reich zu  verbreiten.  Da  sie  sich  von  antiroyalistischen  Ten- 
denzen nicht  immer  frei  hielt,  so  ist  es  begreiflich,  daß  die 
französischen   Könige,  Franz  I.    und   sein    Nachfolger  Hein- 


*)  Le  Premier  Hure  des  Serm.  aüj/v. 
^  IHacours  du  Voyage  de  V.  (1550),  (ohne  Seitenzahl). 
»)  Diuiru  Oracles  (1556):  Depl  de  J.  Bouchetd  o.  S.;   Temple  de 
Chaat.  L/vff. 

*)  Quinze  liures  de  metam.:  Epistre  au  Roy,  am  Anfang. 
»)  Siehe  S.  123. 

2* 


—     20     — 

rieh  U.,  die  Calvinisten  verfolgten.^)  Die  Gebildeteu  sahen 
sich  yeraulaßt,  zu  der  neuen  Lehre  Stellung  zu  nehmen.  So 
erklärt  es  sich,  daß  auch  Habert's  Interesse  sich  in  erster 
Linie  auf  religiöse  Fragen  richtete. 

In  einer  Epistel  an  seine  Geliebte,  vne  üune  fiUe  cCung 
tapissier  merueiUeuse  en  beauÜS  '),  schreibt  er  einmal,  daß  er  „ein 
besserer  Katholik"  werden  würde,  wenn  er,  anstatt  einer  Reli- 
quie, sein  Schätzchen  küssen  dürfte.  Diese  Mitteilung  über 
seine  Konfession  ist  insofern  interessant,  als  seine  Jugend- 
poesie durchaus  keinen  spezifisch  katholischen  Charakter  an 
sich  trägt. 

Seine  Weltanschauung  ist  die  christliche.  Im  Mittel- 
punkte der  Religion  steht  für  ihn  das  Prinzip  der  Nächsten- 
liebe.^) Leider  sei  sie  so  selten  zu  finden,  meint  er;  da  man 
sie  so  gering  achte,  habe  sie  uns  verlassen  und  sich  in  höhere 
Regionen  begeben. 

Nicht  genug  kann  er  die  christliche  Freigebigkeit  em- 
pfehlen :  „Die  populäre  Meinung,  daß  man  die  wohlgdeiiete  Nächsieti- 
liebe  bei  sich  selbst  beginnen  müsse,  ist  vollständig  ketzerisch  und 
gegen  die  evangelische  Lehre}^  *)  Die  christliche  Liebe  wendet 
sich  an  den  notleidenden  Nächsten ;  sie  ziert  besonders  Fürsten 
und  Prälaten.  Seine  Mahnungen  gipfeln  in  dem  Satze :  „i^ei- 
gebigkeü  ist  der  Ursprung  alles  Guten,  die  Wurzel  aller  Glücke 
seligkeitj  die  Quelle  aller  Weisheit^^  *) 

Nach  dem  2.  Juli  1541  (Datum  des  Privilegs)  ließ 
Habert  auf  Anreguog  seiner  Freunde  •)  den  PhilosopJie  parfaict 
erscheinen,  eine  Schrift,  welche  wir  etwa  Der  echte  Christ  be- 
titeln könnten: 

<^C'est  vng  iraicte  ou  paindre  ie  m'ajjlique 
Le  Phihsaphe  accoinply  et  parfaict 
Que  ie  inieiprete  hornme  scientiflqiie 
Et  uertuenx  .  .  .^) 

*)  De  la  Barre-Duparcq,  Histaire  de  Henri  II,  S.  319. 

*)  Jeun.  du  B.  d.  L.,  S.  15/v. 

»)  Ibd.,  S.  65/r. 

*)  LHnst.  de  Lib.,  S.  24/r. 

»)  Ibd.,  S.  17/v. 

*)  Phil.  parf.  (ohne  Seitenzahl),  am  Anfang. 

')  Ibd.,  aiij/v. 


—     21     — 

Habert's  „vollkommener  Philosoph"  ist  der  gebildete, 
sittenreine,  ideale  Mensch,  Plato's  naXbg  xiya&bg  dnijQ  in 
christlichem  Gewände.  Seine  Eigenschaften  sind  Seelengröße, 
Tagend,  Freigebigkeit,  Klugheit,  christliche  Nächstenliebe, 
Ehrenhaftigkeit,  Liebe  zu  Gott  und  zu  den  EUtem;  er  be- 
schäftigt sich  mit  Wissenschaft  und  Poesie,  namentlich  reli- 
giöser. Diese  Tugenden  erwirbt  er  in  beständigem  Kampf 
mit  der  Welt  und  dem  Fleische.^)  Sein  Ziel  ist  die  Seligkeit 
(le  ual  bien  fortune),  nicht  das  Tal  „BrOnceval,  in  welchem 
einst  das  Blut  von  Menschen  und  Pferden  floß"  %  auch  nicht 
der  Ort,  wo  die  heuchlerischen  Mönohe  hinkommen,  sondeiii 
das  ewige,  himmlische  Tal,  wo  Gott  selbst  uns  aufnimmt 

Ein  christlich-religiöser  Geist  weht,  wie  gesagt,  durch 
seine  Dichtung.  Häutig  paraphrasiert  oder  übersetzt  er  Stellen 
aus  der  heiligen  Schrift,  die  ihm  nicht  übel  gelingen.  So 
gibt  er  z.  B.  das  Gebet  des  Herrn  folgendermaßen  wieder: 

0  pere  supemel 

SanetifU  soU  ton  nom  ceternel 

Ton  regne  aduienne^  et  ton  uouUnr  se  face 

En  terre  ainsi  qv^en  la  coplesie  place^ 

Et  ce  ioiirdhuy  ne  nous  reffuse  pas 

Le  pain  qui  est  Vaidinaire  repas, 

Tons  nos  pechez  par  toy  nous  soient  remys 

Comme  votUons  ayiner  nos  ennernys 

Et  ne  permetx  que  nous  soyons  tentex 

De  Vennemyj  ains  de  mal  exemptez,^) 
Seine  anfangs  maßvollen,  christlich-religiösen  Anschali- 
ungen  ändert  Habert  sehr  rasch,  als  er  an  den  Hof  des  pro- 
testantenfeindlichen Heinrichs  U.  und  der  orthodox-katholischen 
Katharina  von  Medici  berufen  wurde.  Jetzt  wurde  er  auf 
einmal  der  strenge  zelotische  Katholik,  der  dem  Dauphin  die 
ausdrückliche  Versicherung  gab:  cJ'at'mc  Veglise  vraü  et  Ca" 
tholiquei^  *),   indem    er   noch   hinzufügte,    daß   die  ketzerische 


')  Fhü.  parf.,  eiij. 

«)  Ibd.,  fiij/r. 

■)  Jeun.  du  B.  d.  L.,  S.  107/v. 

*)  Nouv.  Jun.,  S.  30. 


—    22     - 

Lehre  nicht  göttlich,  sondern  ein  Werk  des  Antichrist  ^),  ja, 
geradezu  ein  Verbrechen  sei.*)  Deshalb  müsse  ^,die  Kirche, 
welche  die  Meinung  nicht  hat,  welche  die  Gläubigen  heseeli^^y  ver- 
nichtet werden,  um  der  wahren  Kirche  Platz  zu  machen. 
Um  dies  zu  erreichen,  fordert  er  den  König  auf,  ein  dahin 
zielendes  allgemeines  Edikt  zu  erlassen,  weil  sonst  zu  be- 
fürchten sei,  ,fdaß  man  das  auserwählte  Volk  vemichte^^.^)  End- 
lich eifert  Habert  auch  gegen  die  Anabaptisten  und  gegen 
die  „ÄtheisteHf  welclie  Jesum  Christum  aller  Orten  verleumden  und 
wirklich  glauben,  daß  es  keinen  Öoti  gebe^  und  daß  die  Seele,  wie 
der  Körper  sterblich  sei^^,*) 

Habert   war,   wie  gesagt,   sehr  religiös  und  zugleich  ein 
eifriger  Bibelleser:  jjch  pflege  täglich  früh  aufzustehen,^^  sagt  er, - 
„und  zu   lesen,    uhis    Gott   einst   offenbartet^  ^)     Er  wird   nicht 
müde,  die   Lektüre  frommer  Schriften  zu  empfehlen,   außer 
dem  Alten  und  Neuen  Testamente, 

sainct  Jherosme  au  texte  euangelicque 
Puis  de  Dauid  le  psauUier  propheticque 
Theophilacte,  Origene  et  Lactance  .  .  . 
Sainct  Augustin,  Bernard  et  Cyprian*^) 

Im  Temple  de  Chasiete  ermahnt  er  seine  Zeitgenossen: 
„Habet  die  Gaben  des  Evangeliums  mehr  im  Herzen  als  die  Verse 
Homer's  und  VergiVs,  leset  nicht  mehr  in  Oger  dem  Dänen  .  .  . 
noch  in  Gawein,  der  so  viele  Abenteuer  ausführte.  Besser  sind 
die  heiligen  Bücher,^^  ')  Seine  Gegner  können  ihn  nicht  irre 
machen:  „Ihr  verliert  die  Zeit,**  ruft  er  ihnen  zu,  ,jWenn  ihr 
l^mmt,  mich  zu  tadeln,  wenn  ich  die  heilige  Schrift  verteidige;  je 


^)  Ibd.,  S.  13. 

*)  Nouv.  Pallas  (Ausg.  1545)  S.  48.  —  Birch- Hirsch  fei  d's  An- 
sicht {Gesch.  d.  frzs.  Lit.,  S.  114):  „Habert^  der  am  meisten  kirchlich 
.gesinnte  der  gleichzeitigen  Poeten,  ist  darum  doch  kein  Ketzerfeind  wie 
Gringore,  Bouchet  und  BourdignS  gewesen,^^  werden  wir  auf  die  erste 
Periode  seines  Lebens  beschränken  müssen. 

«)  Nouv,  Pall.  (1545),  S.  41. 

*)  Ep,  Her.  (1660),  S.  68/r. 

*)  Nouv,  Juno  (1547),  S.  26. 

«)  Temple  de  Vert,  S.  c/r. 

')  Temple  de  Cfiast  (gegen  den  Schluß), 


—    23    — 

mehr  ihr  mich  deshalb  tadelt,  um  so  inehr  tväl  ich  sie  lehren,^) 
Im  Tempel  des  Lasters  ist  sie  yerboten,  dort  liest  man  nur 
den  Kosenroman  und  Ovid's  ars  amandi.*) 

Der  Dichter  liebt  es,  seine  Auseinandersetzungen  mit 
Zitaten  aus  der  heiligen  Schrift  zu  schmückcD.  Man  ver- 
gleiche z.  B.  die  hübsche  Stelle  aus  Johannes: 

Je  suis  la  uie  et  resurrection 

Qui  croit  eii  nmy  en  ferme  intention, 

Voire  si  mort  la  rauy  ]>ar  enuye 

Jay  le  pouoir  de  luy  donner  la  wie.') 
überhaupt  sind  Habert's  Schriften  dieser  Periode  durch- 
tränkt von  dem  Geiste  des  Neuen  Testaments. 

Lange  beschäftigt  ihn  die  Frage,  ob  man  die  Bibel  fran- 
zösisch erklären  und  die  Lektüre  derselben  in  französischer 
Sprache  erlauben  solle: 

Si  longuement  Vay  este  en  esmoy, 

SHl  estoii  hon  de  lire  l'Eseripture. 

Je  n^ay  plus  de  doubiancej  pourquoy  ? 

Dieu  la  preschoit  ä  touie  creature.^) 

Soll  man  sie  vielleicht  „in*  Schottische  *)  ühersetzen  ?"  fragt 
er.  ffich  kann  wahrhaftig  nicht  glauben^  daß  der  Gegenstand,  den 
man  französisch  erklärt^  dem  Menschen  fremdartiger  ist,  als  das 
Lateinische,  Griechisdie  oder  Hebräische:^  ^ 

<Ce  qui  est  vtHe,  reueler 
Cela  me  semhle  estre  hon  et  propice.^"^) 
Jeder  Geistliche  sollte  die  Bibel  auswendig  wissen  ^),  aber 
Tiele  von  ihnen  lesen  sie  heutzutage  überhaupt  nicht  mehr.^) 
Allem  Volk  soll  sie   verkündet  werden,   auch  den  Frauen, 


»)  Ibd,,  S.  liy/r. 

")  Jardin  de  feel,  S.  cij/r.. 

")  Jard.  de  fcsL,  S.  D/v. 

*)  Nouv.  Jun.,  S.  26. 

»)  IM.,  8.  19. 

^  N(mv.  Jun.,  S.  19. 

')  Ihd.  S.  26. 

^  Songe  de  Fant.  S.  Cij/v. 

•)  Ihd.,  8.  Cij/r. 


denen  man  sie  infolge  einer  falschen  Erziehung  Torenthält.^) 
Christus  selbst  lehrte  ja  die  einfachsten  Leute,  die  schwer- 
falligen und  bäuerischen,  um  zu  zeigen,  daß  seine  Lehre  sanft 
sei  und  leicht  verständlich,  im  G-egensatz  zu  denen,  welche 
sie  verbergen  und  in  wundersame,  dunkle  Labyrinthe  ein- 
hüllen, in  der  Meinung,  ihnen  allein  gehöre  die  Kenntnis  und 
OflFenbarung.^ 

Die  Meinungsverschiedenheiten  und  Widersprüche  be- 
züglich der  Lehre  der  heiligen  Schrift  findet  der  Dichter  sehr 
bedauerlich;  mit  Unrecht  habe  man  versucht,  das  Buch  der 
Bücher  zu  verkürzen,  zu  erweitern  oder  fortzusetzen.  Kate- 
gorisch erklärt  er:  die  Bibel  ist  ein  Buch, 

^Auqnel  ne  fmdt  quelque  chose  adiüuster 
Duqtiel  aussi  rien  ne  conuient  oster. ^^ 
Die   Gegner    der   französischen   Bibelinterpretation    und 
-lektüre   sind  ihm   „allzu  engherzige  Leute",*)   manche  auch 

€iransgresseurs  .  .  . 
Qui  pour  auoir  rentes  et  reuenus 
Voiiloient  de  Dieu  escriptz  estre  incongnux,^^) 
Doch   ist   ihr  Widerstand   bereits   gebrochen;   die  fran- 
zösische Bibel  liegt  vor  uns,   dank  den  Bemühungen  unseres 
allerchristlichen  Königs  Franz: 

€(Test  luy  qui  ha  {dire  ie  Vose  bien) 
Entre  nox  mains  lettres  Saintes  rendues, 
Par  ignorance  et  mensonge  perdues.^^) 
Wie  auf  die  Bibelverächter,  so  ist  der  Issouduner  Dichter 
auf  die  Geistlichkeit  schlecht  zu  sprechen.     Mit  treffender 
Satire  verfolgt  er  die  verlotterten  Mönche.    Der  gute  Frater 
Morice,  der  sich  zu  Tode  säuft'},  der  Bruder  Toussaintz, 
der  auf  einer  Wallfahrt  nach  Rom  eine  Nonne  verführt  und 


^)  Jard.   de  fcel,   (ohne  Seitenzahl,   gegen  Ende);   Dicia  de  Sept 
Soges:  Egl.  swr  la  naiss.  de  msgr.  le  Daulphin  (ohne  Seitenzahl). 
«)  LHnst  de  Üb.  (1551),  S.  10. 
^  Songe  de  Pant,,  S.  Cij/v. 
*)  Nouv.  Juno,  S.  26. 
»)  Nouv,  Pallas,  S.  16. 
«)  Ibd.,  S.  61. 
^  Jeun.  du  B.  d.  L.,  S.  65/v. 


—     25     — 

sie  dann  zum  größten  Vergnügen  der  Brüder  in  sein  Kloster 
einzuschmuggeln  weiß^),  der  Beichtvater  Estienne,  der 
eine  Dame  bestiehlt ^),  der  bon  compaignon  Cordelier^), 
ein  Don  Juan  in  der  Mönchskutte  — ,  das  alles  sind  Q-estalten, 
welche,  mit  trefflicher  Realistik  gezeichnet,  Marot  alle  Ehre 
machen  würden. 

Die  Mönche  häufen  Schätze  und  Güter  in  ihren  Klöstern 
an,  trotzdem  ihnen  ihre  Regel  Armut  yorschreibt.^)  Sie  hassen 
die  Wahrheit  und  glauben,  daß  durch  sie  die  Welt  ver- 
schlechtert werde.^)  Sie  huldigen  ketzerischen  Ideen*),  sie 
sind  Pharisäer  und  Heuchler  ^ ;  an  der  Pforte  des  Jugend- 
tempels sagt  der  selbstgefällige  Franziskaner: 

Je  suis  deuotf  eatholic  ei  de  Vordre  ®) 

De  sainct  Francoys  .  .  . 

Je  scay  desia  tout  par  cueur  nion  psatUtisr 

Et  si  ay  uoix  dotUce  et  bien  ordonnee 

Qtumd  €ay  au  cueur  quelque  chose  entonnie 

Si  que  vertu  me  uoyant  ä  genoulx 

Man  gris  habit  et  ma  corde  et  mes  nouds 

Eüe  dira  que  uertueux  ie  suis. 
Doch   im    „Tbfe  der  Seligen^   im  Himmelf   findet  man  keine 
glattrasierten  und  geschorenen  Mönche  im  Kleide  der  Raben  und 
Elstern.'^ ») 

Überhaupt  ist  das  Mönchtum  eine  veraltete  Einrichtung. 
Zu  einer  Zeit,  wo  die  Christen  noch  in  geringer  Anzahl 
waren  und  sich  verbergen  mußten,  baute  man  Klöster,  um 
sich  gegen  die  Feinde  des  Evangeliums  zu  schützen.  Heut- 
zutage, wo  das  Christentum  überall  verbreitet  ist,  braucht 
man  sich  nicht  mehr  an  einem  einsamen  Orte  zu  verstecken, 

>)  Ibd.,  S.  67/r. 

•)  Combat  de  Cup,,  S.  Kiij/v. 

^  Jeun.  du  B.  d,  L.,  S.  29/v. 

*)  Phü.  parf.,  S.  e/v. 

*)  Jard,  de  fctl,  (nur  teilweise  nummeriert),  etwa  bei  S.  (Ji/r. 

•)  Dipl  poH.,  S.  33. 

')  Sänge  de  P.,  S.  diiij/v. 

•)  Temple  de  vert,  S.  bij/rf. 

•)  Fhü.  parf.,  S.  fiij/r. 


sondern    man    kann    frei    umhergehen    und    seinen  G-lanben 
offen  bekennen. 

Als  der  junge  Pantagruel  seinen  Ratgeber  bei  der  Be- 
rufswahl, den  G-argantua,  fragt,  ob  er  sich  in  die  Einsamkeit 
eines  Klosters  zurückziehen  solle,  antwortet  dieser  spöttisch: 
„Gewiß  nicht;  denn  du  könntest  dort  zu  fett  werden"  {Certes 
nenny,  ,  .  ,  en  ce  lieu  trop  tu  pourroys  engresser),^) 

Ebenso  bekämpft  Habert  eine  andere  kirchliche  Institution, 
den  Ablaßhandel  und  seine  Vertreter: 

ceulx  qtii  presckerent  iadis 
Que  par  argent  on  gaignoü  paradisy 
Et  qui  disoient  que  sans  merite  ou  aniure 
Pan  pour  argent  son  paradis  nous  euure 
En  rec^mant  grande  somme.  dargent 
Dont  y  a  eu  maint  poure  komme  indigent 
Qui  pour  tirer  bergers  du  purgatoire, 
Vaches  et  ueaulx  mectoieni  en  inventoire 
Pour  appaiser  ces  preschetirs  amassex 
Pour  alleger  ames  des  trespassex, 
Dont  üx  tiroient  biens  de  tout  le  plus  chiche[y] 
Mais  n'en  est  pource  [de]venu  plus  riche,^) 
Die  höhere  Geistlichkeit  ist  um  kein  Haar  besser  als  die 
niedrige.    Tityrus  (=  Petrus)  wohnte  in  elenden  Hütten  aus 
„Blättern  und  Gras^^   und   sandte  von  dort  aus  seine  Gebete 
zum  Himmel.     Dagegen  ist  sein  Nachfolger,  der  hohe  geist- 
liche Würdenträger  unserer  Zeit  „aufgeblasen  und  stolz  auf 
die  souveräne  vom  Gotte  Pan   ihm  verliehene  Macht."     Er 
läßt    seine  Herde    huDgem   und  dürsten   und   fuhrt  sie  auf 
schlechte  Weide,  wo  giftiges  Gras  wächst: 

E  faict  le  grand,  ü  est  presumptu^eux, 
E  cJiange  habitx,  son  aulbergeon  rustique 
n  mue  en  heau  uestement  Italique 


*)  Songe  de  Pant^  S.  c/v.    An  einer  anderen  Stelle  allerdings  {Jeun. 
du  B,  d.  L.j  S.  3ö/v]  lobt  er  den  Fürsten  Antoine  von  MelphCy 
D^auoir  esleu  vng  simple  monastere, 
Estroict  deuotj  reigle  canonicaL 
Doch  glaube  ich,  daß  wir  hierin  nur  eine  Schmeichelei  zu  sehen  haben. 
•)  Songe  de  Pant^  S.  dij/r. 


—     27     — 

De  uehux  eher,  il  deuient  fier  et  graue,  .  .  . 
Ses  chaulces  ont  müh  deschiquetures 
11  a  cheuätUx  exomex  cfe  dorures: 
Chaisnes  au  col  düng  or  clair  et  luysant  .  .  . 
R  entreprent  le  deduiet  de  la  chasse 
11  a  oyseaulx  et  chiens  en  abondapice  .  .  . 
Amhüian  en  luy  faict  sa  demeure: 
Et  imit  plus  a  de  uaehes  et  de  ueauhc, 
Thnt  plus  en  luy  sont  appetis  nousaulx 
De  posseder  terrea  et  cedifices  .  .  .^) 
Er  vertreibt  sich  die  Zeit  mit  Spielen ;  er  ist  unzufrieden, 
prozessiert    gern    und   stürzt    wegen    eines    heftigen  Wortes 
manchen  Armen  ins  Unglück.     Tityrus  (Petrus)  bekam  von 
Pan   (Christus)   die  Macht    €8elon  sa  plaisance  .  .  .  touie  chose 
lier . ,  ,  et  soubdain  deslier»,  und  er  gebrauchte  diese  Gewalt 
nach  der  Vorschrift  Gottes,  aber 

ces  bergers  ne  se  ueullent  renger 
Ä  ceste  chose,  ains  plus  tost  deroger.  *) 
Es  fehlen  ihnen  die  beiden  Haupteigenschaften  der  Seelen- 
hirten, feste  Willenskraft  und  Liebe  zu  Christo.^) 

2.  Literarischer  Standpunkt. 

Wo  immer  sich  Gelegenheit  bietet,  gibt  Habert  sein 
Urteil  über  antike  und  moderne  Dichter  ab.  In  den  Schriften 
der  Griechen  und  Römer  findet  er  Anmut,  Weisheit  und 
edlen  Gehalt^);  sie  zeigen  uns  deo  Weg  zu  dem  Gut,  das 
rein  geistig  ist  und  immer  dauert,  nämlich  zur  Tugend.^) 
Die  Sittenlehre  der  Alten  kommt  der  christlichen  sehr  nahe; 
dies  zeigen  uns  z.  B.  die  Worte  des  sterbenden  Aristoteles : 

En  c€  mortel  monde  ie  suis  uenu 

(Camme  nature  ordonne  Va)  taut  nud 


")  Sänge  de  Fant.^  S.  ciij|r. 

«)  Ibd.,  8.  d/v. 

•)  Songe  de  Pant^  S.  dijv. 

*)  Phü.  parf.,  Aij/r. 

»)  Ibd.,  biij/v. 


—     28     — 

En  doubte  i'ay  tiescu  mourant  mtssi, 
Dedans  tnon  cusur  ie  n^ay  moindre  soucy 
Et  ,n  ne  soay  ou  inon  chemin  s^aduance; 
Donc  toy  qui  es  la  primitive  essence 
Eecoys  Vesprii  ä  demence  et  mercy.^) 
Die   Aussprüche    der    griechischen    und   der   römischen 
Weisen   stehen  an   den  Wänden  des  G-lückseligkeitspalastes 
und  des  Tugendtempels;  hier  finden  sich  Namen  wie  Pytha- 
goras,   Sokrates,   Plato,   Aristoteles,   Cicero,   Seneka;    andere 
Männer   wird   man   hier  jedoch   vergeblich    suchen,    nämlich 
Virgile  aux  fahles  de  Priam,    Out  de   aux  amours  impudiquesj 
Homere  aux  gv^rres  heroicquesy  Catule  ou  Propose  (sie/). 

Mit  dem  Humanismus  und  der  Renaissance  stieg  die 
antike  &ötterwelt  in  all  ihrem  Glänze  wieder  empor.  Maler 
und  Bildhauer  begeisterten  sich  für  Jupiter,  Mars,  die  Liebes- 
göttin Venus  etc.  Kein  Wunder,  wenn  auch  der  Dichter 
dem  Zuge  seiner  Zeit  folgte.  2)  So  kehren  bei  Habert  die 
Namen  dreier  Göttinnen  beständig  wieder,  mit  denen  er  einen 
förmlichen  Kultus  treibt:  Juno,  Venus,  Pallas.  Es  finden 
sich  Ausdrücke  wie :  Juno  auoii  vers  moy  forfaict  *),  encor  moins 
Juno  nCa  supporU  ^)  etc.  Was  versteht  nun  H.  unter  der  Juno  ? 
Sie  ist  ihm  die  Göttin  des  Reichtums  und  des  Geldes.^) 
Venus  ist  die  Göttin  der  rasch  verrauschenden  Liebesfreuden, 
Pallas  die  DSesse  de  sdence,  d.  h.  der  rhetoriguey  ari  poetique 
und  der  christlichen  ReUgion.^)  Juno,  Venus  und  Pallas 
bieten  dem  Dichter  ihre  Dienste  an.  Kalt  weist  er  Juno 
und  Venus  von  sich:  „Ich  verweigerte  Reichtum  und  Erbe  und 
seid  versichert j  auch  manch  süßen  Kuß  der  Venus,  sowie  den 
kurzen  Genuß  des  göttergleichen  Körpers,  Dagegen  halte  ich  mich 
an  die  Güter,  die  Frau  Pallas  versprichty  näirdich  an  die  Wissen- 
schaff,  die  unsterblich  ist.*^  •) 

So  nimmt  Habert  bereits   in  seinen  ersten  Erzeugnissen 


*)  Phil  parf.,  b/vf. 

')  E.  Bourciez,  Les  mceurs  polies  etc.,  S.  179. 

»)  Jeun.  du  B.  d.  L.,  S.  48/r.       . 

*)  Ibd.,  S.  63/vff. 

*)  Suytte  du  Ä  d.  L„  S.  12/v. 

«)  Jeun.  du  B.  d.  L.,  S.  62/v. 


—     29     — 

die  alte  Götterwelt  in  seine  Poesie  herüber.  Doch  sind  ihm 
die  Göttemamen  zunächst  noch  Metaphern,  Symbole  der 
Wissenschaft,  Kunst,  Beligion  etc.  Erst,  als  er  in  nähere 
Beziehung  zu  Heinrich  11.  tritt,  versteht  er  unter  VenuS; 
Pallas«  Juno  bestimmte  Persönlichkeiten  des  Hofes.  Er  ist 
einer  der  ersten,  welcher  diese  Art  poetischer  Vergötterung 
der  Fürsten  in  die  französische  Literatur  einrührt^),  eine 
Sitte,  die  unter  der  Plejade  in  maß«  und  ziellose  Lobpreisung 
ausartete. 

Habert  schrieb  diesen  mythologischen  Stil  zuerst  wohl  in 
der  ^Erpo^iiion  tnorale  de  la  Fable  des  trois  Deesaes  Venus ^  Juno 
ei  Pattas:»^  (Lyon  1545),  tpoeme^  bizarre  ei  2)lai,  sori  de  pamphlet 
mystiqm:»,^)     Hier  sagt  er  (S.  25): 

Ceries  Venus  n'est  pas  encores  marte 
Deesse  eüe  est,  grand  honnew  on  luy  porte : 
Que  pkust  d  Dieu  la  voir  en  (la)  mer  pUmgee, 
La  Eqmbliqite  en  seroit  bien  vengee,^) 
Mais  peu  a  peu  Venus  s^abolira. 
Et  en  son  nom  Diane  on  publira, 
Que  toute  fable  a  diet  esire  pudique, 
Contraire  en  tout  au  vouhir  veneriq^ie, 
Certainemeni  dire  bien  je  puis  oreSf 
En  nostre  kmps  que  Venus  int  e)icores, 
On  luy  faict  feste,  on  erige  tropheeSj 
Et  en  son  nom  pompes  sont  estofees,  etc. 
Unter    dieser   unzüchtigen   Venus,    der   man  Feste   dar- 
bringt,  und  die   der  Dichter  am   liebsten  ins  Meer  versenkt 
sähe,  hat  Habert,  wie  Bourciez  meint,   nicht  eine    „moralische 
Abstraktion'^,  sondern  eine  historische  Persönlichkeit  verstanden, 
nämlich  die   schöne  Anna  von   Pisseleu,  Herzogin  von 
Etampes,  die  Geliebte  Franz'  I.     Ob  diese  Ansicht  Bourdex^ 


*)  Bourciez,  Mcewrs  pol.,  S.  179ff. 

«)  a.  a.  O.,  8.  187. 

*)  Etwas  Ähnliches  wird  über  den  unheÜvoUen  Einfluß  der  Göttin 
Venus  in  den  achtes  amoureux  berichtet.  Vgl.  Sieper,  les  ^checs 
amaureux,  in:  Literarhistorische  Forschungen  IX,  29  und  Schick, 
Kleine  Lgdgatestudien^  im  Beiblatt  zur  Anglia  VIII,  139. 


—     30     — 

richtig   ist,   wird  sich   bei   der  Dunkelheit   der  Steile   wohl 
schwerlich  entscheiden  lassen. 

In  seiner  iYet/«n  Fenu«.  dagegen  sagt  Habert  deutlich  und 
bestimmt,  wen  er  unter  dieser  Göttin  versteht,  nämlich  Katha- 
rina von  Medici: 

tma  Muse  s'applique 
De  VappeUr  la  nouveüe  Venus.» ^) 
Heute  würden  wir  diese  Dichtung  einen  für  Hofdamen 
bestimmten  Katechismus  der  Liebe  nennen,  in  welchem  die 
Gemahlin  des  Dauphin  als  das  Muster  reiner,  geistiger  Hin- 
gebung und  keuscher  Liebe  hingestellt  wird.  „Ich  toeiß  tvohl,^^ 
sagt  Habert,  „da/?  man  es  seüsam  finden  udrd,  unier  einem 
solchen  Titel  dein  Lob  zu  singen.  Doch  dafür  ist  Plato  mein 
Gewährsmann,  der  Schöpfer  zweier  entgegengesetzter  VenusgestpUenj 
die  ei}ie  unkeuschj  der  Inbegriff  alles  Lasters^  die  andere  keusch 
und  von  sehr  Iwher  IVürde,^^  *) 

Auch  bezüglich  der  neuen  Pallas^)  hält  Habert  eine  De- 
finition für  notwendig :  ,,Manche  werden  staunen,  wenn  sie  gerade 
den  Namen  Pallas  lesen;  bei  den  Alten  war  Pallas  die  Göttin  der 
Wissenschaft,  der  Philosophie ,  Geschichte,  Rhetorik,  Poetik,  Arith- 
metik und  Astrologie ;  nach  und  nach  sclUief  ihre  dem  erhabenen 
Schöpfer  feindliche  Lehre  ein;  nun  lehrte  ihr  Urheber  sie  ein  an- 
deres  Wissen,  fiämlich  dasjenige  des  Alten  und  Neuen- Testamentes.*^  *) 
Einerseits  ist  also  Pallas  die  Vertreterin  des  Christentums, 
bezw.  der  katholischen  Kirche: 

<^Viem  donc  ä  moy  noble  peuple  Gaüique 
Vien  d  Pallas  nouvelle  et  catholique.»  *) 
Andererseits  könnte  H.  aber  auch  unter  der  neuen  Pallas 
eine  fürstliche  Persönlichkeit  gemeint  haben.     Schon  in  der 
Exposition  morale  (1545)  ist  von  einer  neuen  Pallas  die  Rede : 
^Nostre  Pallas  ne  s&nible  d  Vandenne, 
Car  eile  est  plus  catholique  et  chresttenne, 


^)  Widmungsepistel  der  Nouv.  Vin.,  S.  4. 

«)  Nouv.  Yen.,  S.  6. 

»)  Vgl.  Theret,  1.  c,  S.  60ff. 

*)  Nouv.  Pall,  S.  8. 

»)  Ibd.,  S.  16. 


—    31     — 

Nostre  Pallas  ne  re^oü  heresie^ 
Encores  moina  punaise  htfpocrme^ 
Elle  re^t  Uwes  parlans  de  Dieu, 
Et  les  public  et  prononce  en  tout  lieu, 
Nostre  Pallas  est  hing  dHre  et  rancuncp 
Loing  du  desir  de  servente  pecune, 
Loing  de  vefigeance,  hing  d*oppresshn, 
Pleine  d'amour  et  de  compassion, 
Nostre  Pallas  chereke  au  Oiel  diademey 
Et  son  prochain  ayme  comme  soymesme,^) 
Dazu   bemerkt  Bourciez:    tll   me  semble  reconnatire  plus 
(Pun  trau  qui  s^appliquerait  bien  d  une  prhicesse  celebre  de  rSpaque^ 
la  sceur  meme  du  roi^  h  reine  de  Navarre.^^) 

Dieser  Ansicht  yermag  ich  nicht  beizupflichten.  In  der 
j^neuen  PaUas^^^  die  im  gleichen  Jahre  wie  die  Exposition  inorale 
(1645)  erschien,  spricht  Habert  von  Margareta  nur  vorüber- 
gehend : 

h  Royne  de  Nauarre 
Par  hauU  scauoirfe)  poulse  plus  loing  la  barre  •), 
und   etwas  Ähnliches   sagt   er  in   dem   Petit  anivre  bucolique, 
einem  Anhange  zur  „neuen  Pallas'^: 

Je  veis  la  grand*  Bergere  de  Nauarre, 
Qui  en  s^uoir  poulse  plus  hing  la  Barre 
Sur  le  troupeau  du  sexe  Feminin.^) 
Wenn  er  sie  hätte   verherrlichen  wollen,  hätte  er  wohl 
nicht  in  so  dürftigen,  inhaltslosen  Phrasen  von  ihr  gesprochen. 
Daher  scheint  mir,  daß  die  Pallas  der  Exposition  morale 
dasselbe  bedeuten  soll,  wie  die  „neue  Pallas'S  d.  h.  die  christ- 
liche, bzw.  die  katholische  Kirche.   Selbst  Bourciez  ist  seiner 
Sache    nicht    ganz  sicher,    denn    er   sagt    weiter:     tll   n'est 
point  jusqu^ä  cetie  question  soulevie  d'herdsie  qui  ne  sfaccorde  bien 
avec  le  portrait,     Marguerite  n'etait  point,  au  fond  de  sa  petite  cour 
de  Nirae,   sans  en  avoir  plusieurs  foia  encouru  le  soup^ti,   trop 
haut  plaeee  cependant  pour  en  etre  atieinie,   et  H,  Ven  ddgage  i  sa 


^)  Expos,  marakf  S.  5 
*)  Mofura  pol,  S.  189. 
»)  Now>,  Paü,,  S.  19. 
*)  a.  a.  O.,  S.  66. 


—     32     — 

f(Mjon^  comme  Vont  fait  plus  tard  certains  hiatorienSy  par  une  af- 
firmaiion  peremptoire.^^) 

Unter  der  j^netwa  Juno^^  ist  wie  unter  der  neuen  Venus 
Katharina  von  Medici  gemeint,  die  Gemahlin  des  Dauphin. 
Sie  belehrt  uns  über  die  Tugenden,  die  christliche  Religion 
und  muntert  auf  zum  fleißigen  Lesen  der  heiligen  Schrift; 
sie  predigt  im  wesentlichen  die  gleichen  Grundsätze  wie 
die  „neue  Pallas". 

Mit  seiner  Vorliebe  für  die  Alten  hängt  auch  Habert's 
Verehrung  für  die  großen  Humanisten  seiner  Zeit  zusammen. 
Dem  berühmten  Hellenisten  Budaeus  (-f  1536)  widmet  er 
er  eine  lateinische  und  französische  Deploration  *),  die  er  wahr- 
scheinlich schon  während  seiner  Gymnasialzeit  in  Paris  ver- 
faßt hatte ;  er  beklagt  den  Verlust  des  großen  Philologen,  er 
schildert  den  Leichenzug,  an  dem  ganz  Paris  sich  beteiligte, 
die  allgemeine  Trauer  des  Landes  und  schließt  mit  einem 
Fluch  auf  den  Tod,  dieses  monstre  infect^  cruel  et  insensL  Zwei 
Hirten,  Janot  und  Perrinet,  beklagen  den  Tod  des  großen 
Holländers  Erasmus  von  Rotterdam  (f  1540):  „EV-  bebaute 
die  Felder  der  griechischen  und  lateinischen  Sprache  in  fruchtbarer 
Weise^^j  sagt  Janot  (Habert).*)  y.Schon  vor  langer  Zeit  nahm 
mir  mein  Großvater  den  Pathelin  aus  der  Hand  und  kaufte  mir 
dafür  die  Colloquien  des  ErasmuSf  die  mich  sehr  entzückten;  dar- 
über war  mein  Großvater  so  zufriedefi,  daß  er  mich  zu  seinem 
Universalerben  einsetzte.  Beinahe  umrde  ich  noch  einen  fetten  Stier 
verkaufen,  um  mir  sein  Buch  vom  Alten  und  Neuen  Testament  an- 
zuschaffen,^^ 

Für  die  altfranzösische  Literatur  hat  er  so  wenig  Ver- 
ständnis wie  alle  seine  Zeitgenossen.  Nur  den  Rosenroman 
schätzt  er  hoch,  sowie  dit  Dichter,  die  im  Geiste  dieses 
Werkes  zu  dichten  fortfuhren :  die  Rhetoriker  AlainChartier 
und  Jean  Molinet  mit  ihren  faden  Allegorien.^) 


^)  Les  niceurs  pol,  S.  189. 

3)  Suytte  du  B.  d.  X.,  S.  68/r;  Jeun.  du  B.  d.  X.,  S.  66/r. 
*)  Comb,  de  Cup.,  Mij/v. 

*)  Ep.  Her.  (1551):  Ep.  ä  M.  de  Sainct  Gelais  8ur  Vimmortalitt 
des  poetes  frangois,  S.  70/r. 


—     33     — 

Sein  Ideal  ist  GlSment  Marot,  der  „Fürst  unter  dm 
Dichtem  semer  Zeit^^,^)  Marot's  Stil  ist  vie  „Honig,  schöner  als 
weiße  Rosen^^^)  Von  elegantem  ßan  sind  seine  Verse,  lieblich 
und  sanft.  Weh  denen,  die  Marot  angreifen!  „Ihr  dummen 
LeuUj^^  ruft  er  ihnen  zu  %  „die  ihr  eure  Feder  spitzt  gegen  Marot.^^ 
fünem  quidam  qui  se  disoii  ressembkr  d  Marot  de  stille^)  schickt 
er  ein  Bondeau,  in  welchem  er  sagt:  „0  schwerfälliger  Dichter, 
du  hast  die  Kühnheit,  didi  so  sehr  xu  überheben .^^  ^)  Natürlich 
▼ersetzt  er  Sagon,  Marot's  Hauptfeinde,  manchen  Hieb: 
„Sagoin'',  meint  er, 

<Ce  mot  est  beau,  car  de  sagesse  il  vient, 

Ce  que  foUie  irUerpreter  conuient,*  *) 
Aber  den  Lorbeerkranz  unter  den  lebenden  Dichtem  er- 
kennt er  seinem  Kollegen  bei  Hof,  Meilin  de  Saint-  Ge- 
lais zu,  demgegenüber  er  sich  sehr  unansehnlich  dünkt 
und  von  dem  er  stets  mit  der  größten  Hochachtung  spricht.^) 
Von  sich  selber  sagt  der  eitle  Dichter,  er  enthalte  sich  des 
Urteils  über  seine  eigene  Person;  es  gentige  ihm,  „in  dem 
Munde  derjenigen  zu  sein,  die  klare  Augen  haben,  um  gut  zu  ur- 
teilend^. Die  Königin  von  Navarra  lobt  er  wegen  ihrer 
religiösen  und  gelehrten  Poesie.  Endlich  gedenkt  er  des 
Prokurators  J.  Bou che t^),  der  einen  Kreis  von  rhetorischen 
Dichtern  alten  Stiles  um  sich  gesammelt  hatte,  la  Perri^re's, 
der  ein  paar  Bücher  moralphilosophischen  Inhalts  schrieb. 

Von  den  Dichtem  des  Lyoner  Kreises  erwähnt  er  Mau- 
riceScöve,  Sainte-Marthe,  H6roet,  la  Borderie  ^) 
und  GillesDaurigni  (=  d' Aurigni).  ®)   Am  meisten  schätzt 


*)  SuyUe  du  B.  d.  L.,  S.  66/r;  Temple  de  Chast,  L/r. 

•)  Sugtie  du  Ä  d.  L.,  S.  67/r. 

»)  Suytte  du  Ä  d.  L.,  S.  72/v. 

*)  Ibd.  S.  67/v. 

^)  Ep.  Her,  (1650),  8.  72/v  f.  u.  S.  112/v. 

^  Siehe  oben,  S.  12.  —  Über  diese  und  emige  andere,  hier 
nicht  aufgfeführte  Autoren  finden  sich  bei  Th6ret  (1.  c,  S.  131 — 145) 
einige,  übrigens  sehr  oberflächliche  Bemerkungen. 

^  Siehe  Hennebert,  Traductions^  S.  75,  Anm.  2. 

•)  Ep.  Her.  (1550),  S.  71/r.  Von  dem  letztgenannten  sagt  H.,  dafi 
er  zu  großen  Hoffnungen  berechtigt  habe;  leider  sei  er  vom  unerbitt- 
lichen Tode  vor  der  Zeit  hinweggerafft  worden.  D'Aurigni  war  also 
Milnolteiier  Beiträge  z.  romanischen  n.  engl.  Philologie.    XXX.         3 


—     34    — 

er  die  Übersetzer:  den  Abt  Hugo  Salel  (Homer),  den 
königlichen  Sekretär  Bouchetel  (Earipides).  Michel  d'A m - 
boise  (Juvenal,  Ovid,  Demokrit  etc.),  Des  Essarts  (Ama- 
dis),  Des  Masures  (Aneis)  und  Jean  Martin  (Arkadia). 
Ferner  spricht  er  von  Des  Autels,  Forcadel,  Peletier, 
6.  Vincent,  von  seinem  intimen  Freunde  Nicole  le 
Jouure.*)  Endlich  erwähnt  er  in  der  angeführten  Epistel 
an  Saint-G-elais  einen  Dichter  Boiu.  Ob  er  damit  den 
vülustre  inconnu^  Bouju  aus  Anjou^  oder  den  Advokaten 
AndrS  Bouiu^)  oder  einen  anderen  meint,  läßt  sich  schwer 
sagen. 

Abfallig  beurteilt  er  nur  wenige  Dichter:  Godard, 
Grenoille*)  und  Andouille'^)  erscheinen  ihm  schwerfallig 
und  ungebildet  Von  einem  gewissen  Coquillart,  wahr- 
scheinlich c  Quiäaume  Coquillart^  Official  en  VEglüe  de  Rheims»^)^ 
sagt  er,  daß  er  rimes  de  cuisine  schmiede  und  wie  ein  kleines 
Kind  dichte.  Goujet  ^  stellt  Coquillart  als  schmutzigen,  ge- 
meinen Dichter  hin,  der  namentlich  die  Frauen  herabzu- 
setzen liebe. 

Mit  dem  gröbsten  Geschütze  zieht  Habert  gegen  einen 
Feind  zu  Felde,  den  er  als  quidam  d^Aniou  bezeichnet: 

«0  gros  lourdais,  pleust  a  dieu  qu'aux  cfieueulx 

Peusse  tenir  cesie  teste  st  foile, 

Je  la  rendroye  beaucoup  plus  tetidre  et  nioüe 

Que  n'est  ton  venire  et  dUing  cueur  remply  d'ire 

Je  te  feroye  de  tes  propox  desdire 

Oreuß  vUain,  que  ne  puiz  tu  cretier 

Puisque  bien  scaix  les  innocens  greuer,:^^)  * 


ia  dem  Abfassungsjahre  der  Ep.  Her.  (1550)  bereits  gestorben.  Hiemach 
ist  Goujet 's  und  anderer  Literarhistoriker  Ansicht,  er  habe  bis  1553 
gelebt,  zu  berichtigen.    Siehe  Bibl  fr.  XI,  165. 

*)  Temple  de  Chast,  S.  D/v  und  Fiiij/r, 

»)  La  Croix,  BibL  fr.  I,  394;  Revne  d'hist.  HU,  IV,  413. 

»)  La  Croix,  Bibl.  fr.  l.  19. 

^)  Temple  de  Chast.  (ohne  Seitenzahl). 

*)  Ep.  Her.  (1550),  S.  107/v:  De  maistre  AndouiUe. 

•)  La  Croix,  Bibl.  fr.  I,  320. 

')  Bibl  fr.  X,  156  flf. 

»)  Jeun.  du  B.  d.  L.,  S.  43/rff 


—    35    — 

Endlich  kämpft  Habert  gegen  die  Sittenlosigkeit  einzelner 
zeitgenössiacher  Dichtungen,  zu  denen  er  auch  das  eine  oder 
andere  Werk-  seiner  Jugendzeit  rechnet:  „Venus  ist  nicht  in 
diesen  Blättern*^  versichert  er  dem  Leser  der  „Sieben  Wei- 
sen".^) Den  „züchtigen  Jungfrauen  und  Frauen"  gibt  er  den 
Rat,  Marot's  „Tempel  des  Cupido'*  nicht  zu  lesen,  da  „keusche 
Liebe  dadurch  vernichtet  und  erlöscht  werde".*)  Besonders 
die  Kitterromane  wie  Ogier  der  Däne,  die  4  Haimonskinder 
o.  8.  w.  verderben  die  Jugend  und  bieten  ihr  „Galle  unter 
einschmeichelnden  Worten.  Und  doch  wird  ein  Lancelot, 
Gawein,  Perceforest  und  manch  andere  nichtsnutzige  Schrift 
sich  eher  in  den  Händen  eines  jungen  Mädchens  finden,  als 
ein  frommes  Buch!"*) 

Mit  scharfen  Worten  verurteilt  er  die  Latein  schreibenden 
Dichter,  jjene  Kälber,  die  den  Ruf  modemer  Dichter  suchen,  die, 
um  XU  zeigen,  daß  sie  Latein  können, 

lyescorcherofit  comme  vn  pauure  maetin**,  *) 
Obwohl  er  selbst  ein  paar  lateinische  Gedichte  verfaßte, 
ärgert  er  sich  über  das  Latein  derer,  die  nichts  von  Latein 
rerstehen : 

<c(Te8t  vn  langage  hien  affable 

Que  le  latin  hien  entendu 

Toutefoys  il  est  deffendu 

A  cfulx  qui  n'g  eniendent  goutte,»^) 

Er  glaubt,  das  jüngste  Gericht  sei  nahe,  «cor  ies  bestes 
parlent  latin,y>^) 

Es  fällt  uns  auf,  daß  H.  die  Vertreter  der  Plejade  in 
seiner  „Unsterblichkeitsepistel**  nicht  erwähnt.  War  er  viel- 
leicht verletzt  wordeo  durch  die  Heftigkeit,  mit  welcher  die 
jüngere  aufstrebende  Dichtergeneration  die  Anhänger  der 
Marot'schen  Richtung  bekämpfte?  Emphatisch  hatte  Du 
Bellay  ausgerufen:    <0  combien  ie  desire  roir  sechei'  ces  Prin- 


*)  Dicts  dt  sept  Soges,  Aü/v  (Eingangsepistel). 

«)  Temple  de  Chast,  Aiij/r. 

»)  Ep.  Her.  (1551),  S.  3/vf. 

*)  Temple  de  Chast.^  Schluß :  Exhortation  sur  Vart  poet. 

»)  Suytte  du  B.  d,  L.  (1541),  S.  59/v. 

3* 


—     36     — 

tenSj  chatier  ces  Peiües  ieunesses,  rabbattre  ces  Coups  d^essay,  tarir  . 
ces  Fontaines  —  ces  humhUs  Esperans,  ces  Bannt z  de  lyesse,»^) 
Später  allerdings,  als  die  PIejade  sich  Geltung  verschafft 
hatte,  wandelt  unser  Dichter  ganz  in  den  Sparen  dieser  pseudo- 
klassischen Kichtung;  er  lobt  Bonsard's  Oden  und  stellt  ihn, 
sowie  Du  Bellay  und  0.  de  Magny  den  Alten  an  die  Seite.  ^) 

H.  teilte  nicht  die  Ansicht  der  Bonsardianer,  welche  die 
antiken  Dichter  allen  anderen  voranstellten.  „Ich  sehe  gar 
flicht  ein,^^  sagt  er,  ,jwarum  gerade  die  französischen  Dichter  den 
alten  Dichtern  nachstehen  sollen.  Unsere  Zeit^  namentlich  die 
Epoche  Heinrich^ Sy  des  unbesiegbaren  Fürsten^  hat  Rhetoren,  DiclUer^ 
Philosophen  hervorgebracht^  die  sich  den  Alten  kühn  an  die  Seite 
stellen  können.  Man  denke  nur  an  Dichter  wie  Cl,  Marot,  Saint- 
Gelais,  Ronsard,  Du  BeUay,  Olivier  de  Magny,  an  Philosophen  und 
Philologen  wie  Budceus,  Oallandius,  P,  Pamus,  Regius,  Codusj 
Carpentarius,  Sabligneus,  Danesius,  Hector.^ 

Wie  wir  Ijeutzutage  die  Griechen  und  Eömer  bewundem, 
so  soll  die  Nachwelt  uns  verehren ;  unsere  Sprache  und  unsere 
Dichtkunst  sollen  bei  ihnen  die  Stelle  des  Altertums  ein- 
nehmen. Darum  müssen  wir  ,, unserer  Sprache  aufhelfen  und 
sie  ebensosehr  oder  noch  mehr  zur  Blüte  bringen,  wie  Latein, 
Griechisch  und  Hebräisch,  das  wir  jetzt  aller  Orten  publiziert 
sehen". 


*)  Deffence  et  lllustr.  etc.,  p,  p.  Person,  S.  149. 

«)  Ep,  Her.  (15ö0),  S.  llO/r;  Div.  Oracles,  S.  41/vff. 

')  Les  Diuins  Oracles  de  Zoroastre,  S.  41/vff. 


Kapitel  IT. 

Habert  als  Übersetzer  der  Metamorphosen  Ovid's. 


Seit  Beginn  seiner  dichterischen  Laufbahn  war  H.  von 
dem  sehnlichen  Wunsche  beseelt  gewesen,  ein  großes  Werk 
;ni  schaffen,  das  seinen  Namen  unsterblich  machen  würde. 
Daher  begann  er  bereits  um  das  Jahr  1547  die  Metamorphosen 
Ovid's  zu  übersetzen.  Er  selber  hielt  diese  Übertragung, 
welche  mehrere  Auflagen  erlebte  ^),  für  seine  bedeutendste 
Schöpfung*),  wie  auch  Fontaine  dieses  Werk  lobend  er- 
wähnt.') Bevor  wir  jedoch  näher  darauf  eingehen,  erscheint 
es  angezeigt,  einen  kurzen  Blick  auf  die  französischen  Me- 
tamorphosenübersetzungen vor  Habert  zu  werfen. 

§  1.  Frfihere  und  gleiclizeitlge  franzosisclie 
Metamorphosenübersetzuiigeii. 

Bekanntlich  war  Ovid,  der  doctor  egregitis,  dessen  ^prae- 
cepia  lecta  erant  quasi  evangelium* ,  neben  Vergil  der  Lieblings- 
dichter des  Mittelalters.^)  Seine  Erfahrungen  und  Vorschriften 
in   Liebesangelegenheiten    fanden  allgemeinen   Anklang,    und 


»)  S.  Anhang,  S.  115,  120. 

«)  Qmme  liur.  d.  M6t.,  Ausg.  1657 :  Epistre  au  Roy.^  o.  S. 

*)  Dnbellay,  Deffence  etc,  p.  p.  Person,  S.  211. 

^)  Bartsch,  Albrecht  von  Halber$tadtf  p.  Iff.;  Sudre,  Ovidii  .  . . 
lihroB  quomodo  .  .  .  poetae  . . .  imitati . . .  sint  S.  47 ;  Kühne,  ProU- 
gomena,  S.  Iff.;  Stollreither,  Quellen  . .  .  S.  32ff. 


—     38     — 

man  dachte  meist  gar  nicht  daran,  wie  sehr  die  Weltanschauung 
des  glänzenden  heidnischen  Hofdichters  von  der  Keligion  und 
Moral  des  Mittelalters  abwich. 

Zwei  Episoden  aus  den  Metamorphosen  waren  bereits  im 
12.  Jahrhundert  von  Chrestien  de  Troyes^)  übersetzt  und 
später  von  einem  unbekannten  Dichter  des  14.  Jahrhuuderts 
in  seiuen  Ovide.  moraiisd  aufgenommen  worden.  Fabeln  aus 
den  Metamorphosen,  wie  die  von  Orpheus  und  Eurydice,  Dä- 
dalus,  Narcissus  waren  längst  bekannt,  andere,  wie  die  von 
Pyramus  und  Thisbe,  sogar  „sprichwörtlich  geworden";  auch 
hatte  man  schon  früh  daran  gedacht,  einzelne  Teile  in  das 
Italienische')  und  in  das  Französische  zu  übertragen.  Um 
die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  übersetzte  Jean  Malka- 
raume  einen  kleinen  Teil  der  Metamorphosen  und  nahm  ihn 
in  sein  biblisches  Gedicht  auf.*) 

Erst  zu  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  ging  ein  fran- 
zösischer Dichter  daran,  sämtliche  Bücher  zu  übertragen:  es 
war  dies  ein  Franziskaner^)  aus  der  Champagne,  der  den 
lateinischen  Hexameter  durch  paarweis  gereimte  Achtsilber 
ersetzte.  Allerdings  waren  vor  ihm  schon  ähnlichs  Versuche 
gemacht  worden,  die  „Verwandlungen"  zu  übersetzen: 


^)  Er  gibt  sich  in  dieser  ÜbersetzuDg  den  Beinamen  Chrestiien 
li  Gois, 

•)  Siehe  ß  e  1 1  o  r i n  i  *  s  treffliche  Untersuchungen  {Traduzioni  it.  deW 
Art.  amat.  e  delle  Bemedia  amoris  (189Ä)  und  Delle  Eroidi.  Torino.  1900). 
Vgl.  Romania  1883.  XXII,  .339. 

»)  Herrig'8  Archiv,  1887,  LXXVII,  212;  Bonnard,  I>«  traductions 
de  la  BibU,  8.  64. 

*)  Tarbe,  Ghivres  de  Philippe  de  Vitry,  Heims  1860,  meinte,  es 
sei  dies  Philippe  de  Vitry  gewesen.  Dann  wurde  Chrestien 
Legouais,  bzw.  Chrestiien  li  Gois  als  der  Verfasser  jener  Über- 
setzung angesehen;  vgl.  darüber  G.  Paris,  in  der  Hist.  litt.  XXIX, 
455  ff.,  509  und  in  La  litt.  fr.  du  moy.  äge.  2.  Aufl.  Paris,  1890,  S.  80; 
Langlois,  Origines  etc.,  S.  21;  Sudre,  I.  c,  S.  6.  Daß  man  aber 
bis  jetzt  den  Verfasser  nicht  kennt,  und  daß  Chrestien  li  Gois  nur  ein 
Beiname  ist,  den  sich  Chrestien  de  Troyes  gegeben  hatte,  ist  von  Thomas 
und  Gaston  Paris  nachgewiesen,  siehe  Romania  1893,  XX  TT,  273;  vgl. 
auch  Freymond,  Festschrift  zu  Tobler's  Jubiläum  1895,  S.  297 ff.; 
Kehrli,  Die  Phaetonfabel,  S.  9  und  die  Anm.  1  auf  dieser  Seite. 


—    39    — 

tPlttMur  oni  essaUj  san»  faUkf 

A  faire  ce  qua  je  propos 

Sans  taui  aocompUr  Uur  pourpoa.*^) 
Doch  ist  uns  hiervon  nidits  erhalten  geblieben.  Was 
des  Verfassers  Verfahren  anlangt,  so  übersetzt  er  zuerst  eine 
Fabel  nnd  gibt  dann  eine  ErUämng  ihres  physischen^  his- 
torischen,  moralischen  und  sogar  biblischen  Sinnes ;  war  doch 
Orid  ein  Zeitgenosse  Jesu  Christi  1  So  ist  denn  z.  B.  die 
Erzählung  von  der  Weltschöpfung  zu  dem  alttestamentlichen 
Schöpfungsberichte  in  Beziehung  gebracht  worden.  Anderer- 
seits gab  die  Beschreibung  des  eisernen  Zeitalters  dem  Dichter 
Veranlassung,  die  Mängel  der  Eechtspflege  seiner  Zeit  zu 
kritisieren.  Das  Beispiel  Fhaetons  zeigt  den  unbesonnenen 
Jüngling,  der  seine  Kräfte  überschätzt.  Um  jeden  Preis  will 
der  Übersetzer  eine  Lehre  oder  eine  moralische  Nutzanwendung 
aus  der  Fiktion  seines  Originals  ziehen: 

€Si  Vescrüure  ne  me  meni 

Tout  est  pour  nostre  enseignemeni 

QuanquHl  a  es  Uwes  escripi,i^^) 
Über  die  Art  der  Übersetzung  hat  bereits  T  a  r  b  6  ^)  folgen- 
dermaßen geurteilt:  tDe  temps  ä  atäre  sa  versificcUion  est  penible: 
an  voit  qu^eüe  käie  oontre  un  texte  dont  eüe  veut  rendre  le  sens  et 
les  heauUs :  eüe  parte  avec  eile  les  traces  des  efforts  qu'eUe  vient  de 
faire,  (Test  ainsi  qu'elle  conserve  par  exemple  les  disinsnees  la- 
tines  des  substantifs  qu^elle  rencontre,  Les  gmüifSf  Us  aoeusaiifs 
surviverU  d  la  tradttdion^  qtiand.  meme  la  rime  n'a  pas  besoin 
d'eux,    Le  texte  renferme  de  nombreux  passages  ancUogues  d  celui-oi: 

Juno  la  fenime  Jovis 

S^en  aperput^  ce  m^est  vis: 

Si  commenca  Jovem  enquerre. 

Sa  fecondüe   Ventratne  souvent  au  deld  des  Hmites  que  doit 

respecter  un  tradueteur,  II  s'ahandoyine  voloniiers  d  des  descriptions 
qui  dinotent  un  esprit  curieux  et  ohservaieur,  Ses  eapHocUians 
morales  sont  quelqpsfois  trap  longues:  elles  se  r^eteni  de  temps  ä 
atäre  et  souvent  dans  les  memes  iermes,y^ 


>)  HUt.  litt,  XXIX,  514. 
*)  Etat  litt.  XXIX,  514. 
»)  (Euvrea  de  Philippe  de  Vitry,  S.  XIX. 


—    40    — 

In  den  Jahren  1337 — 1340  verfaßte  ein  Dominikaner, 
PeterBerguire  (Bersuire,  Bercheure,  f  1362),  der  Übersetzer 
Livius'^),  einen  allegorischen  Kommentar  zn  Ovid's  Meta- 
morphosen in  lateinischer  Sprache,  der  das  15.  Buch  seines 
Reductorium ,  eines  encyklopädischen  Werkes,  bildete.  Er 
kannte  anfangs  die  Übersetzung  des  Franziskaners  nicht.  Erst 
1342  arbeitete  er  seinen  Kommentar  danach  um  und  erzielte 
damit  einen  großen  Erfolg.  Nachdem  er  zuerst  tod  Thomas 
Waleys  (Valois)  in  das  Französische  übersetzt*)  und  von 
dem  Drucker  Colard  Mansion  1484  veröffentlicht  war,  wurde 
die  französische  XTbersetzung  ihrerseits  in  das  Englische  über- 
tragen und  von  Caxton  (f  1491)  gedruckt.^)  Im  Jahre  1493 
erschien  das  gleiche  französische  Werk  unter  dem  Titel:  La 
Bible  des  poetesj  herausgegeben  von  AntoineV6rard^),  und 
von  Neuem  veröffentlicht  zu  Paris  im  Jahre  1631.*) 

Wie  bereits  bemerkt,  übersetzte  das  Mittelalter  nicht  aus 
ästhetischem  oder  literarischem  Interesse,  sondern  aus  Freude 
an  moralischen  Sentenzen  und  sittlich-erbaulicher  Belehrung. 
Und  doch  bedeuten  diese  Übersetzungen  einen  Fortschritt 
gegenüber  den  früheren  Kompilationen,  die  von  Troja,  Theben, 
Aneas,  Alexander  etc.  erzählen! 

Nach  diesen  ersten  wenig  gelungenen  Versuchen,  in  die 
Gedankenwelt  des  Altertums  einzudringen,  stürzen  sich  die 
Dichter  der  Benaissance  mit  wahrem  Feuereifer  auf  die  an- 
tiken Geistesschätze,  so  daß  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts 
bereits  sehr  viele  der  wichtigsten  Werke  der  Griechen  und 
Römer  in  französischen  Übersetzungen  vorlagen.  Die  Übersetzer, 
welche  damals  als  „ruhmreü^  Eroberer  im  Beiche  der  Geister^' 
erschienen  •),  standen  in  sehr  hohem  Ansehen;  ja,  manche  von 


*)  Hist  m.  de  la  Fr.  XXIV,  173. 

•)  Brunet,  Manuel  IV,  282;  flennebert,  1.  c,  S.  93;  Du- 
plessis,  BuU,  du  hiblioph.j  S.  4. 

»)  Julleville,  Hist  du  theatre  I.  249. 

*)  Brunet,  Manuel  IV,  282;  Hkt  HU,  XXIX,  456;  Duplessis. 
1.  c,  S.  4. 

*)  Kehrli,  Die  Fhaetonfabel  S.  llf. 

•)  Morf,  GeacL  der  frz.  Lit,  S.  101;  Hennebert,  TraducHons, 
S.  15. 


—    41     — 

ihnen  hielten  sich  für  nicht  minder  bedeutend  als  die  Schöpfer 
der  Originale.  Es  wurden  die  Grenzen  zwischen  eigener 
Schöpfnngy  Nachahmung  und  Übersetzung  häufig  ohne  alles 
Bedenken  verwischt^);  man  betrachtete  eben  das  Übersetzen 
als  eine  ebenso  vornehme  wie  schwierige  Kunst ,  zu  deren 
Erlernung  bestimmte  Begelo  aufgestellt  wurden.  So  verlangte 
Etienne  Dolet  (1540)  von  dem  Übersetzer  fünf  Eigen- 
schaften: 1.  Er  muß  den  Sixm  des  fremden  Textes  und  die 
fremde  Sprache  vollständig  verstehen;  2.  genaue  Kenntnis 
seiner  Muttersprache  besitzen;  3.  nicht  sklavisch  am  Texte 
haften  und  Wort  für  Wort  wiedergeben;  4.  fremde  Rede- 
wendungen, z«  B.  Latinismen  vermeiden,  und  5.  auf  die 
Stellung  und  Verbindung  der  Worte  d,  h.  auf  die  Harmonie 
des  Satzes  achten.^)  Ahnliche  Vorschriften  wurden  von 
einem  Zeitgenossen  Dolet's,  von  T.  Sibilet  in  seinem  Art 
po^tique  (1648)  gegeben.')  Er  fugte  den  guten  Rat  hinzu, 
man  solle  sich  gute  Übersetzer  wie  Marot,  Salel,  Heroet, 
Desmasures  und  Peletier  zum  Muster  nehmen.  Einige  Jahre 
später  (1565)  erkennt  J.  Peletier^)  allerdings  an,  daß  die 
Ehre  dem  Autor  gebühre:  <Un  Traducteur  n'a  james  le  nom 
iVAnteur:^\  aber,  so  fahrt  er  fort,  das  Übersetzen  ist  dennoch 
eine  sehr  verdienstvolle  Arbeit;  denn  wir  bereichern  unsere 
Sprache  durch  manche  gute  Wendimg  und  erschließen  uns 
eine  herrliche  Quelle  moralischer  und  historischer  Bildung. 

Unter  den  Übersetzern,  die  nun  den  Büchermarkt  über- 
schwemmten, befanden  sich  begreiflicherweise  auch  viele  un- 
geschickte, denen  Du  Bellay  ein  eigenes  Kapitel  widmet  und 
welche  er  verächtlich  mit  dem  Namen  traditeurs  bezeichnet*). 
Denn,  sagt  er,  sie  verraten  ihr  Original,  indem  sie  z.  B.,  statt 

1)  Minckwitz,  1.  c,  XIX,  88. 

*)  La  maniere  de  bien  traduirej  S.  llfif. ;  vgl.  auch  Hennebert, 
Bist  des  traduct,  S.  38  ff. 

»)  S.  166  ff. 

«)  L'Ärt  PoeUque,  S.  30  ff.  Auch  meint  er,  daß  das  Übertragen 
ein  ebenso  mühsames,  wie  undankbares  Geschäft  sei,  da  ein  guter  Über- 
setzer doch  nur  ein  Porträt  kopiere. 

*)  Deffence^  p.  p.  Person,  S.  67  ff.  —  Auch  im  Italienischen  hieß  es : 
Traäuttore,  traditore. 


—    42    — 

direkt  das  griechische  Original,  nur  die  lateinische  Übeitragang 
-desselben  in  die  moderne  Sprache  übersetzen.  Die  fremde 
Poesie  mit  ihrem  eigentümlichen  Kolorit,  mit  der  Pracht. 
Kühnheit  und  Mannigfaltigkeit  ihrer  Darstellung  lasse  sich 
überhaupt  nicht  wiedergeben;  leichtsinnig  {de  gayeU  de  ccewr^ 
legeretneni)  gehe  mancher  Übersetzer  an  sein  Werk,  um  es 
ebenso  leichtsinnig  auszufahren :  <0  Apolan!  6  Muses!  prophaner 
ainsi  les  sacrees  JReliques  de  l'Atitiquitdf* 

Wie  im  Mittelalter,  so  war  auch  im  Anfange  des  16. 
Jahrhunderts  der  färben-  und  phantasiereiche  Dichter  des 
augusteischen  Hofes,  Ovid,  ein  Liebling  des  lesenden  Publi- 
kums. Seine  eleganten  Fabeln,  die  Kinder  einer  leicht- 
geschürzten Muse,  übten  noch  immer  ihren  Zauber  aus. 

Marot  übertrug  um  1631  die  ersten  zwei  Blicher  der 
Metamorphosen  für  den  König  Franz  I.^)  Er  wählte  gerade 
Ovid's  Verwandlungen  einerseits  wegen  der  Anmut  des  Stiles, 
andererseits  wegen  der  großen  Mannigfaltigkeit  des  Inhalts: 
tSi  la  nature  en  la  diuersM  se  resiouyt,  lä  n£  se  debvra  eile  me- 
lancolier».^  Zugleich  weist  er  die  Maler  seiner  Zeit  darauf 
hin,  daß  auch  ihnen  Ovid  manch  dankbaren  Vorwurf  biete. 
Diese  Anregung  findet  Guiffrey^)  überflüssig,  da  gerade  zu 
dieser  Zeit  Künstler  wie  Bosse  und  Primatice  die  königliche 
Residenz  in  Fontainebleau  mit  Bildern  aus  den  Metamorphosen 
ausmalten. 

Der  Anfang  dieser  Übersetzuug  wurde  dem  König  im 
Schlosse  zu  Amboise  Torgelegt.  Der  bescheidene  Marot  ge- 
steht, daß  seine  Kenntnisse  im  Lateinischen  nicht  weit  her 
seien,  und  Gruiffrey  vermutet  wohl  nicht  mit  Unrecht,  daß 
Marot  bei  diesem  Werke  die  klassische  Bildung  seiner  Freunde, 
namentlich  des  Sekretärs  und  Dichters  Jacques  Colin,  sehr 
häufig  in  Anspruch  genommen  habe.^)  Marot  war  redlich  bestrebt, 
den  lateinischen  Text  genau  wiederzugeben.    Es  gelang  ihm 

')  G.  (t  u if  f  r e y .  Les  osuures  de  ClSment  Marot  II,  299 ff. ;  im  Druck 
erschien  Marot's  Übersetzungr  erst  1534;  vgl.  Guiffrey,  1.  c.  II,  262; 
Hennebert,  Traductions^  S.  92ff. 

•)  Les  ceuvres  de  Marot  II,  299  {Prolog  an  Franz  L). 

»)  Ibd.  II,  301. 

*)  Ibd,  n,  300. 


—    43     — 

aucby  eine  im  großen  und  ganzen  klare  Übertragung  zui^tande 
zn  bringen.  Da  er  indes  das  lateinische  Original  nicht  immer 
Terstand,  so  war  er  zu  einzelnen  Auslassungeu  gezwungen, 
rund  häufig  vermissen  wir  die  feinen  Schattierungen  des  6e- 
dankenSy  die  Eleganz  und  Anmut  des  Ausdrucks. 

DieErzählung  von  der  unkeuschen  Geschwisterliebe  zwischen 
Biblis  und  Cauntis  wurde  Ton  Marot^s  Leidensgefährten,  Michel 
d'Amboise,  nicht  erst  1648^),  sondern  bereits  im  Jahre 
1532^)  in  paarweise  gereimte  Zehnsilber  übertragen.  Die 
Übersetzung  ist  ziemlich  weitschweifig  und  umständlich.  Am 
besten  gelungen  ist  der  Liebesbrief  der  Biblis,  der  bei  Orid 
folgendermaßen  beginnt: 

Quamj  nisi  tu  dederis,  non  est  habitura  scdiUem^ 
Hanc  tibi  miltü  amans.  pudet  ah,  pudet  edere  nomen. 
Et  si  quid  cupiam,  quaeris^  sine  nomine  uellem 
Posset  agi  mea  causa  meo,  nee  cognita  Byhlis 
Ante  forem,  quam  spes  uotorum  certa  fuisset.^) 

Die  französische  Übersetzung  lautet: 
Cestuy  escript  ton  amye  ienuoye 
Ha  que  iay  honte:  honte  que  It  nom  veoye 
Cy  imprime.     Si  tu  ueulx  faire  enqueste 
De  ce  qus  U£ulx  demander  jmr  requeste 
Je  uouldroy  bien  ores  me  estre  permis 
Sans  que  mon  non  y  fust  escript  oii  mis 
Que  tresbien  fust  ma  cause  debatue 
Et  que  Biblis  ie  ne  feusse  cogneue 
Jusques  au  temps  que  ksperance  vaine 
Fut  en  mon  cuenr  veritable  et  certaine.^) 
Der   Übersetzer   folgt  ziemlich   genau   dem   lateinischen 
Texte,  den  er  jedoch  bisweilen  mißversteht.     Die  unglückliche 
Biblis  ruft  z.  B.  einmal  aus:  „Weh  mir!  Wohin  gerate  ich?" 
Hei  mihi:  quo  lahor?  quem  mens  mea  condpit  ignem?^) 


»)  Th6ret,  1.  c,  S.  138;  Birch-Hirschfeld»  1.  c,  Anno.,  S.U. 

*)  Das  Privileg  ist  vom  6.  Man  1532. 

«)  P.  (Md.  Met  (1546),  S.  244/26  (Bach  9). 

*)  Blatt  LXI,  r. 

»)  Ovid,  Met.  1546,  244/16  (Buch  IX). 


—     44    — 

Amboise  hält  labor  für  ein  Substantiv  und  übersetzt: 

O  qud  labeur:  quelle  peine  appercoü 

Mon  poure  esperit  ?  *) 
An  einer  anderen  Stelle  fehlt  es  an  historischer  Treue : 

vacuam  tenei  altera  ceram^) 
D' Amboise : 

Uautre  vng  papier:  ou  descript  ny  a  goutte*) 

Oder   der    römische    Dichter   sagt    mutat^)    (sie    ändert 
nämlich  die  Worte  auf  dem  Wachstäfelchen).     Dies  wird  von 
dem  Franzosen  in  folgender  Weise  wiedergegeben  : 
Dancre  ou  de  pleurs  coulantes  de  sa  face 
Elle  transmue,^) 
Merkwürdigerweise   verfallt  Habert,   der  sonst  nicht  von 
dieser  Übersetzung  abhängig  ist,  an  einer  ähnlichen  Stelle  in 
den  gleichen  Fehler: 

Inque  uicem  sumptas  (sc.  tahellas)  ponit,  positasqus 

resumiU^) 
Or  en  la  main  le  papier  eile  prent 
Puis  le  (lelaisse  et  soudain  le  rejyrenL'^ 
Später  spricht  er  allerdings  von  dre^) 
Die  bisher  besprochenen,  der  1.  Hälfte  des  16.  Jahrhun- 
derts  angehörigen   Einzelübersetzungen   aus   Ovid    waren   in 
paarweise  gereimten  Zehnsilbern  verfaßt.    Im  Jahre  1632  er- 
schien nun   eine  Übersetzung  sämtlicher  15  Bücher  in  Prosa 
unter  dem  Titel:  Le  grand  Olympe  des  histoires  poeti' 
ques  du  jyrince  de poesie  Ovide  Naso  en  sa  metaniorphose . . . traduit 
de  laiin  en  fran^ois.     Lyon,    Denis  de  Harsy,   1532.  8^\   wieder 
aufgelegt  1537,  1538,  1539.     Sie   besteht  aus  3  Teilen  zu  je 
5  Büchern ;  jedem  dieser  Teile  ist  eine  kurze  Einleitung  vor- 


0  Blatt  LXI,  V. 

«)  Ovid,  Met  1546,  S.  244/18. 

»)  Blatt  LXI,  V.    Ovid,  Met.  1546,  S.  244/20. 

*)  BlaU  LXI,  V. 

*)  Ovid,  Met.  1546,  S.  244/21. 

•)  Habert,  Quinzt  liur.  (1557),  S.  253/5  r. 

')  n.  TeU,  S.  2/v. 

»)  Habert,  Qu.  /.,  S.  253/11  r. 


—    45     — 

ausgeschickt,  die  für  die  Auffassung  des  Übersetzers  charak- 
teristisch ist.  In  der  Einleitung  zu  den  ersten  5  Büchern 
sagt  der  anonyme  Autor  tque  tel  Hure  sott  par  icelle  leu  sehfi 
le  naturd  du  Hure  sana  allegories*  ^),  und  fügt  dann  in  der 
2.  Einleitung  noch  die  Bemerkung  hinzu,  daß  ja  schon 
Augustin  im  2.  Buch  seiner  doctrina  chriaHana  die  allegorische 
Deutung  verbiete  ^);  unter  dem  Gewände  der  Fabel  werde  ein 
moralischer  Sinn  angedeutet,  den  der  Leser  leicht  selbst 
herausfinden  könne:  <cSi  Ventendement  du  Hseur  rCest  du  taut 
effaci  par  ignorancCj  ü  en  tirera  hanesies  enseignemens  et  moniere 
de  bien  viurei^.  Im  Vorwort  zum  3.  Teile  endlich  lobt  der 
Übersetzer  Ovid's  ^stille  flusnt  et  dor4,  remply  des  graces  panny 
la  7naieste  heraique  et  pondereuses  aentencesi^,  ferner  seine  „geist* 
reiche  Erfindungsgabe^.  Endlich  gibt  er  zum  Schlüsse  noch  die 
Versicherung,  daß  *la  grand  oeuure  U  Guide  est  songneusenietU 
en  langue  Francoyse  reposee  et  traduyde»,*) 

Unser  Anonymus  findet  also  Ovid's  klassisches  Werk 
schon  an  und  für  sich  lesenswert.  Ohne  lange  Erklärungen 
hinzuzufügen,  bietet  er  den  reinen  Text.  Und  doch  kann  er 
es  nicht  über  das  Herz  bringen,  hier  und  da  ein  Geschicht- 
chen einzuschmuggeln,  das  sich  nicht  bei  Ovid  findet.  So 
erzählt  er  gelegentlich  der  Schilderung  der  Jugendzeit  des 
Bacchus,  wie  sich  der  Gott  des  Weines  in  der  lybischen 
Wüste  mit  seinen  Gefährten  verirrte  und  dem  Verschmachten 
nahe  war,  als  ihm  sein  Vater  Jupiter  in  Gestalt  einer  Kuh 
erschien  und  Wasser  aus  dem  Boden  stampfte.^) 

Der  Verfasser  hat  teilweise  wörtlich  übersetzt,  teilweise 
nur  den  Inhalt  angedeutet,  aber  die  Lokalfarbe  nicht  gewahrt.^) 
Die  griechischen  Götter  und  Heroen  sprechen  und  handeln 
wie  altfranzösische  Ritter.  Als  z.  B.  Perseus  erscheint,  um 
die  an  den  Felsen  geschmiedete  Andromeda  zu  befreien,  heißt 
es:    «//   la  salua  courtoisement  et  luy  enquist  son  no7n,   sa   terre, 


»)  Ausg.  1639,  I.  Teil,  S.  2  v. 
»)  IL  Teü,  S.  2/v. 
»)  III.  Teil,  S.  2/v. 
*)  Grand  Ol  45/v. 

')  fiieiuiuf  ist  bereits  von  Hennebert  aufmerksam  gemacht  worden, 
siehe  dessen  Histoire  des  TraducHons  etc.,  S.  94. 


—    46    — 

san  estre,  qui  eile  estoit,  et  la  cause  pourquoy  eile  estoü  ainsi  tüee: 
La  pueeUe  fast  moult  honteuse  que  le  jouvenoü  la  veist  nue^  et 
votontierSf  si  eile  eusi  peUy  eile  se  feust  oauverie.  Elle  eut  teile 
dergongne  que  parier  n^osa  de  prime  face:  st  se  teut  un  peUj  et 
phra  tendremeni.y  Perseus  tötet  das  Ungeheuer  und  beiratet 
das  Mädchen,  bei  welcher  Gelegenheit  natürlich  tTotis  les 
princes  et  barons  du  royauhne  furent  aux  nopoesj  et  y  feit-on  moult 
esbateniM».  Schwierige  Partien  läßt  der  Übersetzer  ganz  aus. 
Nicht  mit  Unrecht  bezeichnet  daher  Atieau  in  seiner  Ein- 
leitung zu  den  3  ersten  Büchern  der  Metamorphosen  den 
Grand  Olympe  als  eine  Entstellung. 

Michel  d'Amboise  übertrug  im  Jahre  1543  das  10. 
Buch;  diese  Übersetzung  stand  mir  nicht  zur  Verfügung, 
ebensowenig  die  folgende:  <Le  proces  d^Aiax  et  d^ Ulysses  pour 
les  armes  d\4ckilles,  contenu  au  ireziesme  Hure  de  la  Metamor- 
phose d^Ovide,  translate  en  langue  fran^oise  par  M,  Jacques 
Colin,  abbe  de  S.  Ämbrois.  Lyon.  1547.  8^.*^)  Henuebert, 
welchem  diese  Übersetzung  vorlag,  hält  sie  für  ziemlich  gering- 
wertig.*) 

Eine  Übersetzung  der  Geschichte  von  Biblis  und  Caunus 
aus  dem  Jahre  1550  von  BoucheteH)  konnte  ich  ebenfitUs 
nicht  entdecken. 

Endlich  erschien  im  Jahre  1650  eine  Paraphrase  der 
Fabel  vom  schönen  Narcissus  unter  dem  Titel:  IJescription 
poelique  de  Vkistoire  du  beau  Nardssus.  Sie  wird  wohl  mit  Un- 
recht Habert  zugeschrieben,  da  sie  mit  zwei  ähnlichen  Habert- 
schen  Arbeiten  nichts  gemein  hat.*) 

Der  anonyme  Verfasser  beginnt  sein  Werk  nach  Art  der 
antiken  Epiker: 

Callio2)6,  dicies  moy  Vorigine, 
De  Narcissus  et  sa  beaute  diuine 
Dicies  la  moy,  car  bien  vous  le  scavez. 


^)  Bull,  du  Bibl.  (56.  anDce),  S.  100:  •Nous  n^avons  pas  pu  voir  ce 
volume  qui  passa  ä  la  vetite  Yemeniz  en  1867 »^  fügt  der  Verfasser  des 
genannten  Artikels  der  Titelangabe  hinzu. 

«)  Traductions,  S.  106/107. 

«)  Birch-Hirschfeld,  1.  c,  Anm.  11. 

*)  Vgl.  Anhang,  S.  118f. 


-     47     — 

Nuo  erzählt  er  den  Kampf  zwischen  den  Göttern  und 
den  Giganten,  Mutter  Erde  trauert  über  die  Vernichtung 
der  Tiere  und  Wälder  und  sie  gebiert  den  schönen  Narciß. 
Da  werden  die  Wälder  wieder  grün,  die  Vögel  beginnen  zu 
singen,  alles  yerliebt  sich  in  den  schönen  Jüngling:  Venus, 
Jano,  Diana,  Cupido,  die  Plejaden,  die  Oreaden;  besonders 
hat  ihn  eine  Nymphe,  namens  Echo,  ins  Herz  geschlossen. 
Die  abgewiesenen  Liebesgötter,  Venus  und  ihr  Sohn  Oupido, 
sinnen  auf  Rache.  Cupido  trifft  den  spröden  Narclß  mit 
seinem  Pfeile ;  der  Jüngling  verliebt  sich  in  sein  eigenes  Bild 
etc.  Im  weiteren  Verlaufe  der  Erzählung  folgt  der  Dichter 
ganz  seinem  Vorbilde  Ovid.  Diese  Paraphrase  ist  viel  schwung- 
voller  und  poetischer,  als  die  beiden  Bearbeitungen  Habert's. 

Im  Jahre  1556  übersetzte  B.  Aneau  das  3.  Buch  der 
Metamorphosen^)  und  gab  bei  dieser  Gelegenheit  die  Marot- 
sehe  Übersetzung  des  1.  und  2.  Buches  neu  heraus.^)  In 
einer  sehr  interessanten  Vorrede  erwähnt  er  zuerst  seine 
Vorgänger,  zwei  italienische  Übersetzungen  von  Nicolo  di 
Aügustini  und  Lodovico  Dolce,  zwei  französische, 
die  eine  von  einem  Anonymus,  die  andere  betitelt:  Le  grand 
Olympe.  Nach  einigen  Versen  Marot's  bemerkt  Aneau 
weiter,  daß  er  ursprünglich  beabsichtigt  habe,  das  ganze  Werk 
zu  übersetzen,  doch  sei  ihm  Habert  zuvorgekommen.  In  den 
beiden  ersten  Bücher ti  habe  er  den  Text  Marot's  an  einigen 
Stellen  verbessert,  die  er  auch  gewissenhaft  in  eckige 
Klammern  gesetzt  hat. 

Am  Rande  und  am  Ende  der  Seiten  gibt  er  mehr  oder 
weniger  gelehrte  Anmerkungen.  Doch  legt  er  die  Fabeln  nicht 
im  Sinne  der  heiligen  Schrift  aus;  denn  das  hieße  ^cmesler  k 
^'iel  auec  la  ierre>.  Auch  wolle  er  keine  alchimistischen  Er- 
klärungen geben,  weil  er  von  dieser  Wissenschaft  nichts  ver- 
stehe und  nicht  annehmen  könne,  daß  die  Alten  die  Fabeln 
in  diesem  Sinne  aufgefaßt  hätten.  Und  doch  dürfe  man  einen 
Dichter  nicht  „kalt  und  nach  detn  Buchstaben^  erklären,  sondern 

')  Vgl.  Hennebert,  1.  c.  S.  113ff. 

•)  Siehe  weiter  unten  S.  49.  Übrigens  hatte  Marot  die  Absicht 
gehabt,  auch  das  3.  Buch  zu  übersetzen;  vgl.  Hennebert,  1.  c,  8.  9ö, 
Audi.  1. 


—     48     — 

man  müsse  dem  r,geheimen  Sinne^  nachforschen;  die  ganze 
antike  Religion  sei  in  das  Gewand  der  Mythologie,  in  das 
Kleid  eleganter  und  lustiger  Fabeln  gehüllt.  Dazu  seien  die 
alten  Dichter  durch  zwei  Erwägungen  veranlaßt  worden: 
erstens,  weil  das  Wesen  Gottes  und  der  Natur  geheim  ge- 
halten und  nicht  in  „nackten  Worten  den  unkeuschen  Ohren  der 
Menschen^  offenbart  werden  sollte ;  zweitens,  weil  die  Menschen 
mehr  Gefallen  fänden  an  der  „fingierten  Lüge^  als  an  der  ein* 
fachen  und  7uickten  Wahrheit^'' ;  sie  seien  ja  selber  alle  Lügner ! 
Jener  geheimnisvolle  Sinn,  so  fährt  Aneau  fort,  lasse 
sich  durch  eine  dreifache  Art  der  Interpretation  entdecken, 
durch  eine  philosophische,  eine  moralische  und  eine  historische. 
Manche  Fabeln  lassen  beide,  andere  sogar  alle  drei  Er- 
klärungen zu;  ein  Beispiel  für  die  erste  Art  sei  Jupiter,  der 
sich  in  alle  schönen  Mädchen  verliebe  und  sie  befruchte;  er 
bedeute  nichts  anderes  als  den  „universalenj  großen  Geist,  die  Welt- 
seelcj  die  alles  liehe  und  alles  mit  sich  vereinigt  unssen  woUe^^,  Bei 
der  moralischen  Erklärung  verstehe  man  z.  B.  unter  den  Göttern 
die  Fürsten  und  Mächtigen  der  Welt:  Jupiter,  der  den  un- 
geschickten Wagenlenker  Phaethon  bestraft,  gebe  uns  das  Bei- 
spiel eines  guten  und  hochherzigen  Fürsten,  der  einen  ehrgeizigen, 
unfähigen  Emporkömmling  beiseite  schaffe.  Endlich  folgt 
die  historische  Erklärung :  Unter  Jupiter,  der  in  Gestalt  eines 
Stieres  auf  der  Insel  Kreta,  Europa,  die  Tochter  des  Königs 
von  Phönicien,  geraubt  habe,  sei  der  geschichtliche,  dritte 
König  von  Kreta  zu  verstehen,  der  den  Erdteil  Europa  den 
asiatischen  Königen  einst  entriß. 

Aneau's   Übertragung   des    3.   Buches    ist    sehr   genau. 
Nur  zwei  Fehler  sind  mir  aufgefallen: 

Ov. :  Separat  Äonios  Actaeis  Pliocis  ab  aruis 
Terra  ferax  .  .  .^) 

An.:  Efitre  les  ciuxmps  et  les  tetres  Attiques 
Et  Celles  la  des  fins  Macedoniquee^) 
Est  im  pays  qu-on  appelle  Phocis 
Qui  hs  sq)are  .  .  . 
(Aonien  =  Böotien,  nicht  Macedonien). 

1)  Ovid.  Met.  (1546)  31/13. 

«)  Aneau,  Troia  liures  d,  l  Met,  S.  40. 


—    49    — 

Ov.:  Buccina .  .  .  in  hxtumque  turbine  crescii  ab  inio^) 
An.:  C07nme  vn  iurbot^) 

(Turbo  =  Wirbel,  Windung,  nicht  der  Fisch 

Steinbutt!) 

Den  Eigennamen  gibt  Aneau  nur  dann  eine  französische 
Endung,  wenn  es  ihm  erlaubt  scheint,  um  nicht  in  den 
Verdacht  des  „Gräcisierens  oder  Laiinisierens^^  zu  geraten. 
Die  Namen  der  Hunde  Aktäons  übersetzt  er:  Adamas  = 
Diamant,  Hylaeus  =  Foresiier,  Äglaodos  =  Clairedmt.  Wort 
und  Vers  seines  Vorgängers  Marot  kritisiert  und  emendiert 
er  sorgfaltig.  Er  ist  der  erste  französische  Philologe,  der 
sich  an  Oyid  heranwagt.  So  gründUch  seine  Übersetzung,  so 
tief  ist  seine  Auffassung.  — 

Werfen  wir  einen  Blick  auf  die  verschiedenen  Über- 
setzongsversuche ,  die  im  16.  Jahrhundert  an  dem  Meister- 
werke Ovid's  unternommen  wurden,  so  läßt  sich  ein  gewisser 
Fortschritt  nicht  verkennen,  den  die  Kenaissancezeit  im  Ver- 
ständnis und  in  der  Würdigung  des  römischen  Dichters  ge- 
macht hat.  Die  langen  allegorischen  und  religiösen  Deutungen 
erscheinen  dem  humanistisch  Gebildeten  kindisch  und  lächer- 
lich. Diesem  Gedanken  gibt  bereits  Rabelais  im  Prolog  zum 
Gargantua  einen  unzweideutigen  Ausdruck,  wenn  et  sagt,  es 
seien  die  Allegorien,  welche  man  in  der  Tlias  und  Odyssee 
entdeckt  zu  haben  glaube,  ebensowenig  <tsongie8  d^Homere  que 
d'  Ovide  en  ses  Metamorphoses  les  sacrements  de  HEvangüe,  lesquelz 
un  frere  Lubin,  vray  croqtielardon,  s^est  efförce  difnonstrer,  si  d'ad- 
venture  il  rencontroit  gens  aussi  folx  que  luy  et  {comme  dit  Ic 
proverbe)  couuerde  digne  du  chaudron*.^)  Man  strebte  damals 
schon  nach  einem  reinen  Texte.  Allerdings  blieb  noch  die 
naive  Freude  an  der  moralischen  Erklärung.  Doch  ward  sie 
nicht  mehr  mit  dem  Texte  vermischt,  sondern  an  den  Rand 
gesetzt  oder  es  wurde  der  Leser  darauf  aufmerksam  gemacht, 
sie  sich  selbst  zu  abstrahieren.     Man  suchte  in  die  Tiefe  zu 


')  Ovid  Mit.  (1546)  S.  32/4. 
«)  Troi8  liures  etc.  S.  43. 
•)  Des  Marets  et  BatUry  (2.  Aufl.)  1,  79. 
Mfmohener  Beiträge  s.  romanischen  u.  engl.  Philologie.    XXX. 


—     50     — 

dringen.  Aneau  gab  einerseits  noch  philosophische  Deu- 
tungen im  Sinne  Plato's,  aber  andererseits  spürte  er  auch  schon 
den  wirklichen,  den  historischen  Grundlagen  der  Fabeln  nach. 
Die  wissenschaftliche  Forschung  hatte  begonnen.  Die  Über- 
setzer sind  jetzt  Philologen  und  Dichter,  nicht  mehr  Geist- 
liche und  Mönche,  wie  im  Mittelalter.  Eifrig  schafft  man 
Steine  auch  zum  Bau  der  Metamorphosen  in  der  National- 
spracfae  herbei.  Aber  den  stolzcnoi  Renaissancebau  des  ge- 
samten Ovid'schen  Kunstwerkes  hatte  man  doch  nicht  er- 
richtet. Dies  blieb  einem  anderen  Architekten  Torbehalten, 
der  ihm  allerdings  einen  etwas  eigentümlichen  Anstrich  gab, 
wie  das  noch  im  einzelnen  jetzt  dargelegt  werden  soll. 

§  2.  Hab^*t's  Metamorphosenttbersetzniig. 

Bevor  wir  Habert's  Gesamtübersetzung  der  Metamorphosen 
Ovid's  vom  Jahre  1557  betrachten,  müssen  wir  ein  paar  Über- 
setzungsversuche aus  seiner  Jugendzeit  besprechen.  In  der 
Jeufiesse  du  Banny  de  lyesse  übersetzte  er  zwei  Fabeln :  La  pre- 
miere  de  Piramus  ei  Thisbe^)y  la  seconde  du  beau  Narcissus^y 
beide  ampUfices  de  son  inuention.^)  Abweichend  vom  lateini- 
schen Texte  führt  Habert  Mars  und  Cupido  ein.  Zuerst 
entbrennt  Mars  in  Liebe  zu  der  jungen  Babylonierin  Thisbe. 
Auf  einem  arabischen  Renner  und  mit  einer  Hüstung  angetan, 
die  außen  reich  vergoldet  und  innen  azurfarben  schimmert,  zieht 
er  aus,  um  das  Herz  der  holden  Geliebten  zu  erobern.,  allein 
er  wird  abgewiesen.  Da  naht  sich  Cupido  dem  Mädchen. 
Bogen  und  Pfeile  und  alle  seine  Macht  über  die  Menschen- 
herzen will  er  Thisbe  zu  Füßen  legen.  Als  auch  er  keine 
Gnade  vor  ihren  Augen  findet,  sinnt  er  mit  Mars  auf  gemein- 
schaftliche Bache.  Auf  den  Bat  seines  Leidensgenossen  läßt 
der  Kriegsgott  vou  Vulkan  ein  Schwert  schmieden,  das  er 
dann  mit  heuchlerischen  Worten  Pyramus  zum  Geschenke 
macht.    Amor  trifft  das  Herz  der  beiden  jungen  Menschen- 


*)  Jeun.  du  Banny.  S.  89rff.;  von  Hart,  Ursprung  und  Yerhreitung 
der  Pyramus-  und  ThisbesagCj  nicht  erwähnt. 
«)  Jeu7i.  d.  B.  S.  105  r  ff. 
»)  Vgl.  Theret,  1.  c,  S.  32ff. 


—     5J      — 

kioder  mit  einem  Pfeile.  £s  folgt  eiu  langes  Zwiegespräch, 
das  nächtliche  StelldicheiD,  und  der  Tod  der  Liebenden  mit 
dem  Schwerte  des  Kriegsgottes  -*,  alles  genau  nach  dem  Isr 
teinischen  Vorbilde. 

Wir  haben  es  hier  nicht  mit  einer  Übersetzung  im  eigent- 
Uchen  Sinne  zu  tun,  sondern  mit  einer  freien  Bearbeitung. 
Ob  Habert  die  Episode  mit  Mars  und  Cupido  selbst  erfunden 
hat,  vermögen  wir  nicht  zu  sagen.  Doch  läßt  sich  unseres 
Erachtens  aus  einigen  anderen  Zügen  eine  Quelle  erschließen, 
die  er  für  diese  Fabel  benutzt  hat,  nämlich  «Lc  grand  Olympe 
des  histoires  poetiqtteit  du  pritwe  de  poesie  Ovide  JSaso  en  sa  Metoh 
iiiorphose  .  .  .   Tradiiict  de  latin  en  frati^s,      Lyon  1532.    8^.>^) 

Habert's  Darstellung  und  Le  grand  Olympe  haben  einige 
Züge  gemeinsam,  die  sich  im  lateinischen  Originale  nicht 
finden.  Beide  bringen  längere  Unterredungen  zwischen  den 
verliebten  Xacbbarskindern ;  bei  beiden  steckt  Thisbe  ihren 
Gürtel  durch  die  Mauerspalte,  wenn  sie  den  Geliebten  sprechen 
will;  als  sie  das  Haus  verläßt,  wird  sie  bemerkt,  im  Orand 
Olympe  von  einer  Wache,  bei  Habert  von  einem  Diener, 
welche  glauben,  sie  sei  eine  Göttin  und  sie  daher  passieren 
lassen.  Eiu  Vergleich,  den  der  lateinische  Dichter  bei  Ge- 
legenheit des  Todes  des  Pyramus  anwendet,  fehlt  in  beiden 
französischen  Übersetzungen.  Endlich  findet  sich  ein  gemein- 
namer  Anachronismus:  die  zwei  Leichen  werden  in  ein  Grab 
gelegt,  während  sie  bei  Ovid  auf  dem  Scheiterhaufen  ver- 
brannt werden   und  ihre  Asche  in  einer  Urne  vereinigt  wird. 

Am  Schlüsse  der  Fabel  findet  sich  bei  Habert  eine  Nutz- 
anwendung, wie  bei  den  Dichtern  des  Mittelalters  : 
Aynier  est  hon,  voire  hkn  ardemment 
Par  mariage  cufisi  q^ie  Dien  conmiende, 
Mais  Piramus  et  Thisbe.  follement 
En  ont  use,  nul  est  qui  rie  Ventefide. 

Gegenüber  der  Erzählung  von  Pyramus  und  Thisbe  (1541) 
zeigt  die  Übersetzung  der  Fabel  vom  schönen  Narciß  (1541) 

'j  Im  folgenden  ist  die  Ausgabe  vom  Jahre  1539,  welche  allein 
zugänglich  war,  benatzt  wordeD.  Dort  findet  sich  die  genannte  Fabel 
auf  8.  o5/vff.  Siehe  Hennebert,  1.  c,  S.  93.  —  Vgl.  auch  weiter 
unten,  S.  75  f. 

4* 


—    52    — 

einen  gewissen  Fortschritt.  Habert  geht  nicht  mehr  so  will- 
kürlich mit  seinem  Texte  um,  sondern  schließt  sich  ziemlich 
eng  an  denselben  an,  namentlich  im  Anfang.  Von  S.  87/14 
— 87/21  läßt  er  sein  Original  außer  acht,  und  so  ist  die  hoch- 
poetische Stelle,  in  welcher  Narcissus  durch  die  Zurufe  der 
verliebten  Echo  geneckt  wird,  Yollständig  mißlungen.  Am 
Ende  der  Fabel  bringt  es  der  Dichter  auch  hier  nicht  übers 
Herz,  einen  tSens  morah  fortzulassen: 

Voila  comment  ä  Nareissus  est  pris 

Pour  s'aymer  trop,  crains  donc  que  tu  hiy  semble 

De  Corps  mortd,  ne  soys  $i  fort  surpris, 

Que  d^auec  Dieu  Vesprit  se  desassemble.^) 

Auch  diese  Wiedergabe  der  Fabel  vom  schönen  Narciß 
ist  keine  originale,  sondern  lehnt  sich  stark  an  die  Über- 
setzung der  gleichen  Fabel  im  Grand  Olympe  an,  den  er  ja 
schon  für  Pyramus  und  Thisbe  benützt  hatte.  Eine  genauere 
Vergleichung  der  beiden  französischen  Texte  mit  dem  lateini- 
schen Originale  wird  uns  dies  zeigen.  Denn  erstens  haben, 
von  dem  lateinischen  Texte  abweichend,  beide  französische 
Übertragungen  völlig  oder  nahezu  übereinstimmende  Wörter 
und  Ausdrücke,  gleiche,  bzw.  ähnliche  Hinzufiigungen,  Aus- 
lassungen und  Fehler. 

.  I.  Übereinstlmmniigren. 

Ovid 

'        ^  \Hab,  105/1  r:  Cephems 

89/14  9yhiae  (^'  ^^'  ^1'''  P^«««»^  ^^^ 

\Hab.  109/1  r:  0  dieux  puissantz 

(Chr.  Ol,  48/r:  0  enfant  que  la  dedans 

I  Hab,  109/25  r :  0  bei  enfant  graamx 
\  mens  ä  moy 

(Chr.  Ol.  48/r:  Gratieux  suis  d  wer- 
..,. ^.  , . ,  „  J*^^  ^^  ^  ^»-^  ^^^^  f"^"^^ 

'  \Hab,  110/6 v:  Grace  et  beaulte  fönt 

[  en  moy  leur  demeure 


^)  Jeun,  du  B,  d.  L.,  S.  112/v. 


—     53    — 


Ovid 

90jS  Et  quantum  motu  formosi  mM- 
picor  oris 
Verba  refers  aures  non  peruenien- 
tia  nostras 


90i6  roger  anne  rogem? 


90121  dumque  dolet 

90128  ut  intabescere  flauae 

Igne  leui  cerat,  matutinaeque  pruu 

nae 
Sole  iepente  söhnt:  sie  attenuatus 

afnore 
Liquitur  et  tecto  paulatim  car- 

pitur  igni 
Et  neque  iam  color  est  mixto  can- 

dare  rubori 


Or,  Ol.  48lr:  et  qimnd  ie  parle  tu 
ouures  ta  bouchepour  respandre 
mais  ouyr  ne  te  puis 
Hab,  110120  V :  Et  quand  ie  parle  est 
ta  bouche  dechse 
Mais  ie  n'en  puis  ouyr  aulcune 
chose 
Or.  Ol.  dSjr:  ie  suis  Ie  requerant  et 

Ie  requis 
Hab.  llOlßr:  ie  suis  ..,Le  requerant 

et  Ie  requis 
(Gr.  Ol.  49 jv:  par  grand  ire 
XHab.  111112  V :  par  grand  yre 

Ghr.  Ol.  49lv:  tout  Ie  faisoit  fondre 
et  firire   comme  feu    la  glace. 
Ou  comme  Ie  soleü  la  neige 
Hab.  111(12  r:  son  cueurfond,  ainsi 
qu'au  feu  la  glace 
Ou  tout  ainsi  que  neige  descendue 
Interuenant  Ie  soleil  est  fondue 


S6';21  hunc  trepidos  agitantem  in  re- 
tia  ceruos 


S6I21  Aspicit  hunc  .  . .  Echo 
Corpus  adhuc  Echo 


f^^i23:  Xec  prior  ipsa  loqui  didi^it 


n.  Gleiche  oder  ähnliehe  Umschreibnngren. 

Gr.  Ol.  46lr:  ü  mist  toute  sa  eure 
en  deduit  de  la  chasse 

Hab.  106115  V :      il  ne  pourchasse 
Que   Ie  soulas  et  deduict  de  la 
chasse 

Gr.  Ol.  46\r:  üng  iour  d^aduenture 
Ie  veit  Echo  qui  belle  puceUe  es- 
toit  et  saige  ahrs 

Hab.  106121  v:  üng  iour  Ie  veid  au 
boys,  Echo  la  beüe  Saige  iadis 
et  prudente  pucelle 

Gr.  Ol.  46jr:  mais  commencer  aul- 
cune  raison  ne  pouoit  d'eüe 
mesme 

Höh.  10612  r:  mais  si  de  soy  ä  par- 
ier ne  commence 

Die  zuletzt  angeführte  Stelle  ist  von  beiden  Übersetzern 
zuerst  ausgelassen,  dann  aber  vor  Vers  26:  Reddere  de  muUis 
lä  uerba  nouissima  posset,  eingefügt  worden. 


—    54    — 


Ovid 

87113  comitum  seductus  ab  agmine 
fido 


88118  Dumqut  sitim  nedare  cupit 
sitis  altera  creuit 


corpus  putat  esse  quod  umbra 


est 


88129  Dumqiie  petit,  petitur 


Gr.    Ol.    47 jv:   qui   d^aduenture   se 
trouua  seul    et   esgare  pur    le 
bocage 
Hab.  107 115  r:  qui  estoit  esgarf 

En  la  forest  et  des  siens  separe 

Chr.   Ol.    dSjv:    La    luy    destrempa 

amours  vng  tel  breuuage  qu^eUe 

luy  fit  sa  soif  doubla' 

Hab.  lOBIlOv:  Mais  Cupido  Venfant 

delicieux 

Luy  feit  sentir  son  arc  pemicieux, 

Luy  preparant  soubdain  vn   tel 

breuuage 
Que    sa    soif   grande    augmenta 
d^auantage 
Gr,    Ol.   48jv:    aduis    luy   fist  que 
c'estoit  aulcune  belle  datne  ou 
damoyselle 
Hab.  109  j  21  v :  Pensant  que  cest  dame 
qui  le  suruient 
Pour  son  amour 
Gr.  Ol.  48jv:  Et  comme plus  amou- 
reusenient   le   regardoit,    aussi 
faisoit  luy  son  vmbre 
Hab.  10911  r:  Plus  il  se  veoitj  plus 
se  voir  il  s^efforce 
Mais  plus  ü  sent  d€  Cupido  la  force. 


III.  Gleiche  oder  ähnliehe  HinznfQgriuigreii. 


86110  iam  tunc  qui  posset  aniari 


86/11  de  quo  (sc.  in f ante)  consultus 


861  IS  si  se  7ion  noneint,  inqnit 


Gr.    Ol    46, r:   Pour   la  grand' 
beaulti  de  luy  chascun  Vay- 
moit  et  desiroit  voulsist  ou  non 
Hab»    10513 r:    Duquel   apres    la 
beaultS  corporelle 
Causa  chaleur  ä  mainte  damoyselle 
Ch:  Ol.  46 !r:  La  mere  qui  forment 
Veut  eher  vintscauoird  Thiresias 
sa  destinee 
Hab.    106,2 v:     Jliiresias,   par   sa 
mere  ordonnS 
Predestinoit .  .  . 
iGr.  Ol  46lr:  dist  qu'il  viuroit 
l        longuement,    muis   quHl   se 
{        gardast  soymesme  veoir 


-     56 


Omd 
S6I13  9i  se  non  nouerit,  inquit 

86115  vana 


86117  zwiachen  uideri  und  mvAÜ  ü- 
lufH  petiere 


86(ifO  Dmw  fugerent  Nymphae 


B7I22  egressaque  (9c.  Echo)  gylua  (bat 


8812  098a  fertmt  lapidis  traxUse  fi- 
guram 


88118  Dumquc  ntim  $edare  cupit, 
sitii  altera  cremt 


{106l5v:  de  viure  en  longue  vie 
S^ü  ne  prenoit  de  veoir  soymeames 
enuie 
iGr.  Ol.  46lr:  vaine  et .  .  .  falle 
\Hab.  10617 v:  vaine  et  f olle 
Gr.  Ol.  46lr:  ceatuy  Narcissus  eui 
le  renom  par  toutes  terres  loitig 
et  prea  qu-ü  estoit  le  plus  heoM 
iowiencel  du  inonde[,]  par  taut 
en  courroit  la  voix 
Hab.  10619  v:  Or  ce  pendant  Nar- 
cissua  doulx  et  tendre 
Fai8oit  le  bruyt  de  sa  beaultS  res- 

pandre 
En  dinera  lieux 
Gr.  Ol.  47lv :  tellement  que  les  nym- 
phes  avoient  loysir  de  a^en* 
fouyr 
Hab.  106l20r:  Nymphe»  auoient 

d'eschapper  hon  loysir 

Or.Ol.^fv:Narci99U8  8^en  y8»it 

du  boys  et  vint  ä  UPj^aine. 

Eeho  s^apparut  lors  deuantluy 

Hab.  108jl0v:  Narci88U8  eut  8% 

tri8te  courage 

Qu*U  delai88aparcowrrouxce8t 

umbrage 
Habandonnant  la  forest  te- 

nebreuse: 
Ädonc  Echo  d^amour  trop  furiewe 
Laiase  le9  boy9 
Chr.  Ol.  47lr:  Ses  08  gros  et  me- 

nus  sont  deuenus  pierres 
Hab,  lOHlllr:  Si  que  sea  os  tant 
les  gros  que  menus 
Sont  par  ce  feu  en  pierres  de- 
uenus 
Chr.  Ol.  48lv:  La  luy  destrempa 
amours  vng  tel  breuuage 
qu^eüe  luy  fit  sa  soif  doubler. 
La  se  sceut  amours  de  U»y  venger 
qui    tant   Vavoit   de9pitf 
par  9on  orgueil  et  par  son 
oultrecuydance 


66    — 


Ovid 


88118:  Dumque  sitim  aedare  cupit, 
sitis  altera  creuit 


89127:  aetas 


Hab.  109110V :  Mais  Cupido  Pen- 

fant  delicieftx 
Luy  feit  sentir  son  arc  pemi- 

cieux, 
Luy preparant  soubdain  vng 

tel  breuuage 
Que    sa    aoif  grande   augmenta 

d^auaniage, 
La  Cupido   le   dieu  puissant   et 

fort 
A  Narcissus  monstra  hien  son  ef- 

fort 
Dont  il  cogneut  son  bruict   au- 

thorisi 
Que  par  orgueil  auoit  tant 

despriai 
(Gr.  OL  48jr:  aaye  conuenable 
\Hal>.  1101 7  V :  aage  . . .  conuenable 


IT.  Gleiche  Auglasgungren. 


86117:  poteratque  puer,  iuueni8que\     /.  ij^ 

ui^^ri  ) 

86118:   tnulti    illutn    iuu ene 8, \  Beide   erwähnen    die   Knabenliebe 

tnultae  petxere  pueüae  f     nicht. 

86122:  Yocalia Nymphae,  quae 


Eine  Art  Parallelismtte,  den  beide 
wohl  für  überflüssig  hielten. 


Dieser  Vergleich  der  Liebe  mit  einer 
Fackel,  deren  Glut  mit  Schwefel 
genährt  wird,  fehlt  ebenfalls. 


nee  reticere  loquenti  . . . 
Nee  prior  ipaa  loqui  didicit,  re- 
sonabilis  Echo 
8717:  Non  aliter  quam  cum  summii 
drcundita  tedis 
Admotaa  rapiunt  uiuacia  aulphura 
flammas 

Ferner  ist  der  Schwur  der  abgewiesenen  Echo  (88/86), 
die  Beschreibung  des  schönen  Narcissus  (88/21)  und  eine 
Klage  (89/14)  von  beiden  Übersetzern  ausgelassen  worden. 

Y.  Gleiche  Fehler. 

(Or,  Ol.  46lr:  Cest  datne  auoit  neu- 
uellemetit  enfanti  leplusbeau 
enfant  maale  qu^oncques euat 
estS  veu 
Hab.  105/1  r:  Liriope  . . . 
D^ung  bei  enfant  iadis  se 
Vit  encincte 


8619:  eniaxL  est  utero pulcherrima 
pleno  infantem  Nymphae 


—     57     — 


88J39 : painUrque  accendi  t  etardet 


Beide  übersetzen  hier  statt   des  Nominativs  pulcherrima 
einen  Akkusativ,  den  sie  auf  infantem  beziehen. 

Quid 

Or,  Ol.  48lv:  Si  approcha  lafon- 
iaine,  et  commeplua  Vappro- 
chait  plus  la  representation 
s^approchoit 
Hab.  10914  r:  L^vmbre  respond  en 
faisant  le  pareü 
Pitts  pres  il  est,  plus  pres 
son  wnhre  approche 

Den  Übersetzern  bzw.   dem  ersten  Übersetzer  scheint  oc- 
cedert  vorgeschwebt  zu  haben. 

Qr.Ol.49jr:sx  est  Huri  ä  mar- 
tyre  en  enfer  ou  il  se  mire 
tousiours  sa  face  en  vne  tene- 
breuse  et  obscure  eaue  nammSe 
Stiz 
Hab.  111123  r:  Dont  maintenant  au 
regne  plutonique 
Martyre  esgal  ä  sa  vie  on 

applique 
Tousiours  ü  veoit  sa  face  claire 

et  blonde 
En  Veaue  de  Stix  fort  obscure  et 
profonde 
Or,  Ol  49lr:  le  tumbeau  pour  y 

mettre  le  corps 
Hab,  11213  v:         vng  monument 

Pour  y  loger  en  digne  sepulture 
,    Le  triste  corps 
In  den  beiden  letzten  Fällen  sind  heidnische  Gebräuche 
durch   christliche    ersetzt   und   das   Gesetz   der    historischen 
Treue  verletzt  worden. 


91114:  Tum  quoque  se  postquam  est 
infema  sede  receptusj 
In  Stygia  spectabat  aqua 


91119:  rogum 


Tl.  Sonstige  Ihnlichkeiten. 

o^ioo.    T^  •         I      •    j-  ^  Diese  Stelle  ist  bei  beiden  Übersetzern 

86  23:   Nee   prior  xpsa    loqui   dt- 1  ^  ,  ,  , 

didt  de  muUi,  ut  uerba  nouis-       ^"erst  ausgelassei..  dann  aber  vor 
sinta  pouet,  \    ^""  ^6:  Reddere  etc.,  emgeftgt 

'     worden. 
86131:  Huius  ait  linguae  qua  siwn 


ddusa  potestas 
Parua  tibi  datitur^  uocisque  bre- 
uissimus  usus 


Diese  Worte  der  Juno  werden  in  den 
>    französischen  Übertragungen  dem 
Ovid  selbst  in  den  Mund   gelegt 


—    58 


Ovid 


86132:  Vocalis  Nymphae . . .  Echo 


Sf^l2:  088a  ferunt  lapidis  traxisse 
figuram 


8812:  Vox  manet:  ossa  ferunt 
pidi8  traxisse  figuram 


la- 


Gr.  Ol  46lr:  Echo  qui  belle  pu- 

Celle  e8toit  et  8aige  cUor8 
Hab.  106121  v:  Ung  iour  le  veid  au 

hoys  Echo  la  helle 
Saige  iadis  ei  prudente  pucelle 
Chr.  Ol.  47 Ir:  Ses  08  gro8  et  menus 

8ont  deuenu8  piare» 
Hab.  1081 11  r:  Si  que  8e8  os  tant 

les  gro8  que  menu8 
Sont  par  ce  feu  en  pierres  de- 

uenu8 

In  den  beiden  vorausgehenden  Fällen  hat  Habert  zwei 
Worte  seines  Vorgängers  als  Reime  benützt.  Endlich  folgen 
ein  paar  Beispiele,  in  denen  die  beiden  Übersetzer  zwei  auf- 
einanderfolgende Sätze  in  umgekehrter  Reihenfolge  bringen: 

Grr.  Ol.  47 jr:  Se8  os  gros  et  menus 
sont  deuenus  pierres  et  sa  voix 
seulement  luy  est  demourSe 
Hab.  1081 11  r:  8i  que  ses  os  tant  les 
gros  que  menus 
Sont  par  ce  feu  en  pierres  deuenus 
Et  ä  Echo  doUnte  et  esplor6e 
Chose  aultre  n^est  que  sa  voix  de- 
meur6e 
(Or.   Ol.  47 jr:    Son  son  vit  perdu- 
rablement,  mais  eile  ne  sera  ia- 
mais  veue  ne  trou^ 
Hab.  1981 14r:  .  .  .  demouurU 

Le  son  d^icelle  a  perpetuiU 
Mais   tout  le  reste  est  plein  de 

nuUite 
Ouyr  le  son  d'Echo  bien  est  pas- 

sible 
Mais  de  la  veoir  et  trouuer  im- 
possible 

Tn  Habert's  Übersetzung  der  sämtlichen  15  Bücher  der 
Metamorphosen  vom  Jahre  1557  kommt  natürlich  die  Fabri 
vom  schönen  Narciß  wiederum  vor;  die  letztere  gibt  getreu 
den  lateinischen  Text  Ovid's  wieder  und  hat  mit  der  Be- 
arbeitung von  1541  nur  zwei  Verse  und  ein  paar  Reime  ge- 
meinsam.    Der  erste  Vers  lautet: 


8813 :  nulloque  in  mente  uidetur  . 
sonus  est  qui  uiuit  tn  illa 


—     59     — 

Dont  accomply  veneriqtie  plaisir 
Nymphes  auaient  cPeschapper  hon  loysir,^} 
und  in  der  Gesamtübertragung: 

Qu^apres  Veshat  de  l'amoureux  plaisir 
Nympheft  auoient  (T eschaper  (»ic!)  hon  loyfnrj) 
Der  zweite  Vers  lautet: 

Jeuv,  du  B.  d.  L.  (1541)  8.  1 10/12  v: 

Car  quani  vers  t&y  sont  mes  deux  bras  tendus 
Les  tiens  aussi  vers  moy  sont  estendus 
Gesamtübersetzung  (1557)  S.  79/29  v: 

C^r  qtuind  mes  bras  dessus  toy  sont  tendus 
Pour  m^embrasser  les  tiens  sont  estendus, 
Jeun.  du  B.  d,  L.  (1541)  Gesamtübers.  (1557) 

I04l9r:  torment  .  . .  commcncement  7615  r:  dire  .  . .  martyre 

„         martire .  .  .  dire  „       hlandissement.  . .  torment 

10814  V :  meschef  .  .  .  reelle f  76J21  r :  le  chef . .  .  rechef 

109i2v:  ordure  .  .  .  dure  7719 r:  ordure  .  .  ,pure 

10918  v:  reposer  , .  .  appaiser  771 23  r:  reposer  . . .  appaiser 

Im  Jahre  1557 'j  veröffentlichte  Franz  Habert,  der 
Hofdichter  Heinrichs  U.,  seine  Übersetzung  der  15  Bücher  der 
Metamorphosen  Ovid's  in  paarweise  gereimten  Zehnsilbern.*) 
Er  war  nicht  wenig  stolz  auf  dieses  Werk  und  unterließ  es 
auch  nicht,  gehörig  Reklame  dafür  zu  machen.  In  der  ein- 
leitenden Epistel  {Epistre  au  Ray)  rühmt  er  sich  seines  fürstlichen 
Gönners ;  er  nennt  ihn  den  ^^christlichen  Hektor'^  und  versteigt 
sich  zu  überschwenglichen  Lobeserhebungen: 

«Je  voudrais  bien  la  docte  langue  auoir 

De  CicSron,  sa  graee  et  son  Scauoir 

Pour  au  sommet  de  vos  vertiui  attaindreT>  ,^) 


»)  Jeufi.  du  B.  d.  X.,  106/18  r. 

«)  Quinze  livres  des  Met.,  76/17  v. 

')  Im  gleichen  Jahre  erschien  eine  andere  Übersetzung:  La  meta- 
morpose  d^Ovide  figtiree.  Lyon  (Jean  de  Toumes)  1557.  8^,  mit  reizen- 
den manrisehen  Blattomamenten  und  reichen  Hand  Verzierungen  aus- 
gestattet, vgl.  W.  Lübke,  Oesch.  d.  Renaiss.^  S.  26. 

*)  Chronologische  Einzelheiten  über  diese  Übersetzung  s.  unten 
S.  114  u.  120.  —  Habert  hatte  bereits  im  Jahre  1549  sechs  Bücher  der 
3Ietamorpho8en  übertragen  und  im  Druck  erscheinen  lassen,  nämlich 
Buch  3 — 6,  12  und  13;  leider  war  mir  diese  Übersetzung  nicht  zugänglich. 

^)  Diese  •Epistre  au  Boy»  ist  ohne  Seitenzahlen. 


—     60     — 

Weiter  verkündet  der  „untertänigste  und  ergebenste"  Hof- 
dichter,  daß  sein  königlicher  Mäcen  einen  gereiften  Verstand, 
Güte,  Freigebigkeit  besitze  und  einen  Körper  tqui  de  heauie 
passe  ioute  exceüence»  ;  er  walte  mit  G-erechtigkeit,  vernichte 
seine  Feinde,  sei  aber  auch  durch  Sanftmut  und  heldengleiche 
Huld  ausgezeichnet: 

*A  iamais  ks  ecrits  poiiiques 
Bhprimeront  voz  graees  heroiques,^ 
Kein  geringeres  Lob  spendet  Habert  seinem  Autor  Ovid, 
dessen  Metamorphosen  in  sich  sämtliche  griechische  Dichter 
vereinigen  und  verarbeiten ;  denn  sie  handeln  von  Philosophie, 
Rhetorik,  Musik  und  allen  Künsten ;  so  bieten  sie  dem  Leser 
eine  allseitige  Bildung;  Ovid's  Sprache  sei  sanfter  als  der 
Klang  von  Instrumenten,  namentlich,  wenn  er  Liebende  reden 
lasse;  seine  Darstellung  sei  so  plastisch,  daß  mau  versucht 
sei  zu  glauben,  daß  seine  Personen  leben. 

Wir  finden  also  bei  Habert  schon  deutlich  Spuren  eines 
ästhetischen  Interesses  an  der  Schöpfung  des  Dichters  von 
Sulmo;  doch  geht  dieses  nur  nebenher.  Hauptsache  ist  ihm 
die  den  Geschichten  zu  Grunde  liegende  Moral:  Jupiter  ist 
der  Weltschöpfer  und  Vater  aller  Dinge,  die  Giganten  sind 
.  die  Feinde  seines  heiligen  Namens.  Das  Beispiel  Lykaons, 
der  in  einen  Wolf  verwandelt  wird,  zeigt  die  Bestrafung  des 
Bösen  durch  die  göttliche  Gerechtigkeit.  Daphne's  Bettung 
und  Verwandlung  in  einen  Lorbeerbaum  bedeutet  den  Schutz, 
den  die  verfolgte  Unschuld  findet. 

tQuand  ü  {Ovid)  descrü  Us  amours  di^solues 
Pour  conuertir  ks  personnes  polhies, 
u\e  veut-il  pas  monstrer  euidemment 
Qu^vn  Prince  et  Roy  doibt  viure  prtidemment  ?* 
Dies   ist  in  Habert's  Augen  der  Nutzen  der  Fabeln  für 
den  Leser  im  allgemeinen;  ein  Fürst  jedoch  wird  auch  Ge- 
fallen finden  an  den   tBatailles  ordonmes^,  an  den  tPrinces,,, 
en  grauitc  tant  exquisey  .  .  .,  und,  meint  er, 

cne  sera  froim^  facilement 
Autheur  pour  plus  viure  ci uilement^. 
Wir  sehen   also,  daß  H.   z.  T.  noch  in  mittelalterlichen 
Anschauungen  befangen  war.    Die  Metamorphosen  waren  ihm 


—     61     — 

einerseits  eine  praktische  Sittenlehre,  andererseits  ejn  höfisches 
Anstandshnch. 

Wir  wissen  nicht,  welchen  lateinischen  Text  Habert  seiner 
Übersetzung  zu  Grunde  gelegt  hat.  Von  den  zahlreichen 
lateinischen  Textausgaben,  die  einander  sehr  ähnlich  sind,  hat 
uns  die  folgende  als  Grundlage  unserer  Untersuchung  gedient: 
Publ.  Ovidii  Nasonis  libri  XV,  Apud  Seh,  Gryphiwrij  Jjugduni 
1546.  8^,  Sie  steht  zeitlich  und  inhaltlich  der  französischen 
Übersetzung  sehr  nahe.  Man  kann  nun  einen  Autor  wörtlich 
übersetzen,  oder  seinen  Text  yereinfachen,  umschreiben  oder 
ihn  ungenau  und  falsch  wiedergeben.  Da  uns  die  erste  Art 
der  Übertragung  die  Eigenart  des  Übersetzers  wenig  oder  gar 
nicht  offenbart,  so  werden  wir  uns  auf  die  drei  übrigen  Über- 
setzungsarteu  beschränken  müssen  und  nacheinander  die  Ver- 
einfachungen,  die  Umschreibungen  und  endlich  die  Fehler 
und  Ungenauigkeiten  besprechen. 

I.  Yereinfachnngeiir 

An  vielen  Stellen  hat  Habert  seinen  Text  vereinfacht. 
Er  vermeidet  Parallelismen,  verkürzt  lange  Sätze  oder  läßt 
gar  Satz-  und  Redeteile  aus,  die  er  nicht  versteht,  oder  die 
sich  seinem  Versbau  nicht  fügen  wollen.  So  fehlt  manches 
charakteristische  Attribut  und  ungern  sieht  man  die  Poesie 
des  Originals  so  häufig  zerstört. 

a)  Unterdrflckang  einer  Idee  oder  eines  Satzes  bei  mehreren 
koordinierten  Ideen  oder  Sätzen« 

2117:^)  rudis  indigestaque  molesnec  7117 r:^  une  Masse  pesante^  lourde 
quicqwim  nisi  pondus  iners  sans  arty  Sans  ordre 

22(3:  qtwe  postquam  euoluit  caeco-  8129 v:  eut  desliez  ks  ilement  (sie!) 
que  exemit  aceruo  confusiment  liSz 

27 13:  t  er  que  quaterque  13125  r:  par  quatre  foys 

29/16:  ne  forte  sacer  tot  ab  ignibus  16/5  r:  que  tant  d*espaisse  fiame  les 
aeiherj  conciperet  flammaSj  Ion-  Cieux  sacrez  sotU)dain  brusle  et 
g  US  que  ardesceret  axis  enflame 

29128:  barba  grauis  nimbis,  canis  16j2dr:  d^abondante  eau  sa  Barbe 
fluit  unda  capillis  degoutoit 


1)  s=  Seite  21,  Zeile  7  der  lat.  Metamorphosen,  Ausgabe  1546. 

2)  =,  Seite  7,  Zeile  17  rechts  der  i'ranzös.  Übers,  vom  Jahre  1557; 
vgl.  oben  S.  120. 


30117:  cumque  . . .  simul  ITjdr:  auec 

SOI  19:  8i   qua   domus   mansit  po-  ITjTr:  Si  d^auanture  <m  appercoit 

tuitque    resistere     tanto  a  Vheure 

inddccta  malo  QuelqueMaisonquientieredemeure 

32112:  pletios  capit  alueus  amnes,  19/30  v:  Les  fleuues  pleins  reserrent 

flumina  Bubsidunt  lewrs  pasmges 

32/17:  inanem  . . .  desolatas  terras  19,12r:  desoU  le  circuit  terrestre 

33124:  pauido  . . .  ore,  pauetque  21l2v:  eile  craint 

33126:  caecis    obscura    latebris  21/4 v:  ambi^ 

(cerba) 

33126:  repetunt  secum  .  .  .  inter  21j4v:  ilz  examinent 

seque  uolutant 

34/8:  dwriüem  .  .  .  suumque  ri-  21l28v:  sa  durte  vsitee 

goretn 

36/26:  satpe  pater  dixit ...  saepe  24ll9v:  Souuentefoys  son  pere  luy 

pater  dixit  a  dict 

37/15 :  brachiaque  et  nudos  media  24/30 r :  ses  bras  bien  polis 

plus  parte  lacertos 

37/24:  moderantius,  oro,  curre,  fu-  25/7 v:  Je  te  Bupply  cownr  moing 

gamque  inhibe  vistement 

37/28 :  nesciSf  quem  fugias,  ideoque  25/3 r:  tu  ne  acais  pas 

fugis  De  qui  . .  .  tu  esloignes  tes  pas 

38' 4:  est . .  .  dicor  25/19 r:  on  me  dict 

38/23 :  insequituvy  ocior  est  26129 v :  est  plus  leger 

39/26:  haec  domus^  haec  sedes,  haec  27/13  r:  en  ce  lieu  la  .  .  .estla  mal- 

sunt  penetralia  magni  son  et  caueme 

43/22 :   faller  et,    et   credi  posset  32/5  v :  eile  eust  este  prise  pour  Diana 

Latonia 

44/4:  ibi .  .  .in  artmdine  3212 r:  Dans  le  Rouseau 

44110:  omnes  succubuisse  oculos,  ad-  32/15  r:  que  .  .  .  tous  les  yeux  de  la 

opertaqxie  lumin a  somno  Teste  endormie  estoient  vaincues 

45/17:  ede  notam  tanti  generis  me-  34/16 v:  Ren   moy  bien  seur  d^vne 

que  asser e  coelo  teile  origine 

46/4:  quod  nos  auditque  videtque  34/3 r:  qui  nous  voit 

.  .  .  quem  spectas 

46/5:  neget  ipse  uidendum  se  34l7r:  quHl  face  desormais  que  sa 

mihi,    sitque    oculis    lux   ista  clairie  ne  m^esdaire  iamaie 

nouis»ima  nostrts 

b)  Ersatz  eines  Satzes.  « 

1.  Darch  ein  Svbstaiitiv  (biw.  Fron.). 

22/18:  quarum  quae  media  est  9/15 v:  Vvne  au  milieu 

23/11:  occiduo  quae  littora  sole  tepes-   9l20r:  En  occident 
ciint 


—    63    — 

25(25:    Quasque    (sc.    opes)    recon-  12ßr:  oachtz  dedans  ses  veinea 

diderat,    Stygiisqtte   admouerat 

umbris 

'JSj3:  quod  tarnen  admisswin  sit,  (do-  14j24r:  toui  le  dilict 

cebo) 

34/14 :  quae ...ex iUis  (i. e. saxis) . . .  2119 r :  la  plus  molk  partie 

pars  humida  .  . .  et  terrena  fmt 

34125:  nee  quid  Hymen,  quid  amor,  24(17  v:    N'ayant    souci   d^amowrs, 

quid  sint  connuhia,  curat  fuyant  Hymen 

'H7I5:  quodque  cupit,  sperat  24j9r:  ei   le  plaisir  en  ses  dUWs 

conceu 

'i7jl6:  9i  qua  latent  25(1  v:  autres  parts  corporeUes  des- 

soubs  Vhabit 

37131:  quod  eritque  251 10  r:  chose  future 

39118:  finierat  Faean  27(27  v:  aux  dicts  du  Dieu 

39(20:    praerupta     quod     undique  27 (2  r:  haiUt  circuit  d^vne  ombreuse 

clattdit  forest 

40(8:    esse    putat   nusquam    atque  28(9  v:  il  craint  fort  son  trespas 

animo  jteiora  ueretur 

41,19:  cum  sol  tellure  suh  alta  est  29(14r:  de  nuict 

42jl:  iqthorat .  . .  quae  sit  30(4  v:  n^ont  de  leur  seur  cognois- 

sance 

42(27:    quem    lucida  partu   Fleias  31(10v:  ßs  de  Maia 

enixa  est 

43(20:  et  quoscumque  deos  habet  31(26  r:  et  Dieux 

44; lo:  qua  coüo  est  confine  caput  31(30 r:  sa  teste  h^betie 

44.18:  lumen  . .  .  extinctum  est,  cen-  32(27  r:  la  seuU  Mort  a  sa  lumiere 

tumquf  oculos  nox  occupat  una  estaincte 


2.  Durch  ein  Adjektiv  oder  Partidp. 

21j7:  quem  dixere  chaos  7117  r:  nomme  chaos 

24(23:  quae  deciderant  glandes  11123  V :  Le  Gland  tombe 

'25! 25:  qwisque  recondiderat  12(8 r:  les  Metaux  cachez 

'27,4:  cum  qua  .  .  .  sidera  mouit  13(27  r:  Faisant  trembler  les  Ästres 

32(23:  terrarum  quascumque  vident  19(21  r:  de  tous  les  lieux  terrestres 

estendus 
37(7:  quas  reliquit  24(13r:  laisse 

40(7 :  qui  uaga  fulmina  mitto  28(30  v:  gouuernant  la  fouldre 


3.  Oarch  ein  Terbnm. 

31(7:  terris  ubi  sistere  .  .  .  possit        1819v:  Heu  .  .  .  a  se  percher 
.33(7:  nuüa  mora  est  20(25  v:  sans  seioumer 


—    64    — 


41125:  non  habet  qua  brachia  ten- 

deret  Argo 
4216:  oret  opem 


4411:  ut  8e  mutarent 


291  25  r:  eüe  n'a  eu  bras  ne  main 

pour  luy  tendre 
30120  v:  powr   le  prier  de  secours 

fauorable 
32127V :  de  la  muer 


c)  Andere  Yerelnfachimgeii« 


21120:  habentia  pofidiM 

27(16:  illa  tempestate  .  . .  qtta 

27118:  honore  coeli 

2917:  partes  . .  .  assensibus  implent 

29112:  talia  quaerentes 

29127:  picea  tectua  caligine 

32124 :  haec  quoque  adhuc  uitae  non 

est  fidticia  nostrae  certa  satis 
33)22:     rumpitque     sileniia     uoce 

Pyrrha 
33127:  uerba  datae  sortis 
33(31:  lapides  in  corpore  terrae 
34j6:  sua  post  uestigia 
34118:  inque  bretii  spatio 
38/12 :  impulsos  . . .  dabat  aura  ca- 

pillos 
39j7 :  complexusque  suis  . . .  lacertis 
41115:  capiebant  quietem 
4316:  poteris  considere 
43j9:  et  euntem  multa  loquendo  de- 

tinuit  serntone  diem 
43/20 :  et  quoscunique  deosjunibrosaue 

sylua  feraxue  rus  habet 
4415 :  sonum  .  . .  simüernque  querenti 
44  8:  disparibus  ccUamis  conpagine 

cerae  inter  se  iunctis 
44/31:  coni'ugis  ille  suae  complexus 

colla  lacertis 
45114 :  magni  genitus  de  seniine  . . . 

Jouis 
46/13:  positosque  sub  ignibus  Indos 

sidereis 


8l22v:  le  pesant 

14/2  v:  quand 

14/24v:  du  Cid 

1616  v:  y  consentent 

16/3r:  lors 

16/23  r:  noir 

19/26r:  encores  n^est  nostre  scUut 

bien  seur 
20/27  r:  Pyrrha  parla 

21/4  v:  V  Oracle 

21/12v:  Les  pierres  sont  les  as 

21/25  v:  derrHre  eux 

21/15  r:  aprhi 

2618  v:  faisoit . . .  bransler 

2713  v:  il  embrorce 

29/7 r:  sommeüloient 

31/2  r:  repose 

31/8  r:  passant   le   iour   en  maint 

propos  rassis 
31/26 r: Dieux  Syluains  et,,. Dieux 

rastiques 
32/3  r:  vn  lamentable  son 
32/lOr:  la  Fluste  (aux  doux  accords) 

liez  de  cire 
33/22  v:  Vembrace 

33/20r:  fils  du  grand  Juppiter 

34/20r:   et   les   lieux  chaulds  des 
Indes 


d)  Auglassungeii. 
1.  eines  Substantivs. 


23 j9:  Nabataeaque  regna  Persida 
24/10:  iudicisque  ora  sui 


9/16r:  Nabathe  et  Perse 
10/24r:  de  iuge  aucun 


~  «&  — 

25126:  lumina  9ofa8  12l30r:  le  Sokil 

26120:  LycaoMoe  men»ae  13128 v:  de  Lyeaon 

27178:  hon  ort  coeh  14j24^:  dH  Cid 

2814:  contigerat  noatraa ,  .  .  aures  141 27 r:  me  vint 

28112:   traherent   cum   B^ra    ere-  15113 v:  Lorsque  la  Nuict  estait  in" 

pU9eula  necietn  teruerim 

28119:  de  gente  Molossa  15l29v:  de  Molosse 

29119:  correpiaque  regia  coeU     16l^r:  Ciel 
S0I5:  Jouis  ira  1719 v:  Juppiter 

32;  1:  humeroB  innat^  mwrice  fec-   191 10 v:  de  Pourpre  natureUe  esttmt 

tum  couuert 

33123:  iussisque  deae  20l28r:  ä  Themis 

34119 :  uiri  manihus  2111 7r :  par  Phomme 

37(12:  igne  micanies  . .  .  oculos         241 25 r:  ses  yeux  . . .  esHnceUans 
44:21:  tempora  . .  .  irae  3314 v:  son  Ire 

44126:  positis   in  m arg  ine  ripae  33(12 v:    se   prostemant   a  genoux 

proeubuit  genOms  sur  le  Biue 

4612:  ad  lumina  solis  34(30  v:  au  Soleil 

2.  diies  idjekthrs. 

24115:  tuba   directi  .   .   .   aeris  IllSv:  comets  d'Erein  et  Trompetes 

comua  flexi  sonantes 

2718:  captiuo  coelo  14j4v:  les  Regnes  cHestvns 

2810:  gelidi  Lyeaei  ISjlOv:  de  LycSe 

28117:  grauem  somno  151 24  v:  en  mon  Sommeil 

30(30:  graciles  capeUae  171 30 r:  les  Chieures 

3212:  caeruleum  Tritona  19l9r:  Triton 

32(18:  alta  sHentia  191 11  r:  en  silence 

36113:  sagittifera  .  . , pharetra      23ll9v:  de  sa  Trousse 
37118:  nympha  .  .  .  PeneXa  25l7v:  Nymphe 

39(31:  populifer  Sperchius  271 25 r:  le  fleuue  Sperche 

40(1:  lenisque  Amphrysos  27(27 r:  et  Amphryse 

42(29 :  potente  . .  .  manu  31(15  v:  en  sa  main 

43(3:  per  deuia  rura  31(23v:  sur  la  verdure 

43(7:  inter    hamadryadas  Nona-  31(21  r:  Ekmadryade 

crinas 
43(26:  pinuque  . .  .  acuta  32(12v:  Pin 

43(30:  arenosi  Ladonis  32(23v:  Ladon 

44  5:  sonum    tenuem  simüemque  32(3 r:  vn  son  lamentable 

querenti 
45(24:  iüe  ferox  tacui  34(12v:  me  sui  teu 

3.  6ltt6t  Parttslys. 

21(12:  circumfuso  , .  .in  aere        8(8v:  en  VEr 
22(20:  in  mare  perueniunt  partim  8(28r:   Et   la    grand   Mer    autres 
, . .  campoque  recepta  fleuues  regoit 

Mttnchener  Beitr&ge  e.  romanischen  n.  engl  Philologie.    XXX.         5 


—    66    — 

24111:  caesa  suis  montibus  10127 r:  des  Forests 

30129:  subiecta  uineta  17/29 r:  svr  les  vignes 

SljS:  crura  nee  ablato  prosunt . . .  18115 v:  ne  pieds . . .  servent  au  cerf 

ceruo 

3219:  cecinit .  ..inflata  191 23  v:  faxet  ouir 

34112:  de  marmore  coepto  2117  r:  quehjue  Marbrine  Image 

4.  eine»  Terbims. 

23/2:  nebulas  consistere  iussit  9/27 v:  il  situa  les  Nues 

3517:  concipiunt  et  ab  his  oriun-  22/24 v:  De  ces  deux  la  toute  ckose 

tur  cuncta  duobus  est  criee 

36115:  et  cuspide  fulget  acuta  23l24r:  d'ague  et  fine  poincte 

38/1:  quod  . .  .  fuitque  estque  25ll0r:  De  ce  qui  fut 

4614:  quod  nos  auditque  uidetque  34j3r:  qui  nous  voit 

5.  etiles  Saties. 

22j8:  densior  his    teÜus  elemen-  8j7r:  La  Terre  estant  plus  pisante 

taque  grandia  traxii  et  plus  grosse 

25/23:  Nee  tantum  segetes  alimen-   12/3  r:  Et  non  contens  ,.,  des  Bledz 

taque  debita  diues  posce-  des  Champs 

batur  humus 
28116:  an  sit  mortalis:  nee  erit  15l26v:  S'il  me  pourroit  tnortel^  ou 

dubitabile  uerum  Dieu  trouu^ 

31/14:  terra  ferax  dum  terra  fuit  18129 v:  Terre  fertüe  et  rare 
37J2:  sed  decor  iste  quodoptas  24/5r:  ta  beauti  conuenante  a  ton 

esse  uetat^  uotoque  tuo   tua  desir  et  veu  est  rSpugnante 

forma  repugnat 
37/7:  sepes  . . .  quas  forte  uiator  24ll2r:  seche  Espine 

uel  nimis  admouit 
4111:  Bos  quoque  formosa  est:  28/30r:  Mesme  Juno   laue  la  blan- 

speciem  Satwmia  uaccae  probat  cheur  ^elle 

42/4:  iüa  manus  lambit,  patriis-   30-15 v:  eile  .  .  .  venoit  lescher   le» 

que  dat  oscula  palmis  mains 

42/15:  quodque  unum  potes  (ad  30!14r:  Responds  .  .  .  mugissante 

mea  verba)  remugis 
42131  :ha€cubi  disposuitf  desilit  31/19 v :  Ü  deualle 
43/4:   (capellas)    dum   venit   ab-    31/23v:  Chieures 

ductas 
43/25:  sie  quoque  f  allebat j  re-  32/9v:  s'en  reuenoit 

deuntem 
4i/12 : s upp rimit  extemplo  vocem   32117 r :  adoncques 


—     67     — 

IL  Umsehrelbniigeii. 

Die  Kürze  des  Ovid'schen  Ausdrucks  ist  von  Habert 
selten  gewahrt  worden.  Um  einen  Reim  zu  bekommen,  zer- 
legt er  oft  einen  BegriflF  in  zwei  BegriflFe,  oder  er  gibt  ein 
einfaches  Wort  durch  einen  ganzen  Satz  wieder.  Eine  Menge 
kurzer  idiomatischer  Ausdrücke,  geographischer  Bezeichnungen, 
mythologischer  Anspielungen  muß  er  durch  Zusätze  erklaren. 
Bisweilen  überträgt  er  auch  weitschweifig,  ohne  daß  man 
einen  Orund  dazu  einsieht.  Die  bildliche  Ausdrucksweise 
seines  Autors  gibt  er  meist  durch  die  gewöhnliche  Rede 
wieder;  oft  übersetzt  er  frei  nach  dem  Sinn,  ohne  sich  um 
den  Wortlaut  zu  kümmere. 


a)  Erweiternde  Umschreibnngeii. 
L  Statt  eines  Substantifs  stehen  iwei  Substantlva. 


2114:  mea  tempora 
2^118:  flumine 
2SI3:  tonitrua 

25';6:  glades 
25126:  opes 
2ÖJ26:  nudorum 
2Hj27:  rabiem 
2915:  sie  stat  sententia 

29/12:  cur 06 
HOIH:  segetes 
S7j3:  votoque  tuo 
40114:  latebras  ferarum 

45116:  animis 
45121:  iramque 


7(11  r:  mon  estre  et  naissance 
8126  r:  les  fleuues  et  Riuieres 
9129. r:  le   Tonnere  et  les  Foudres 

lanciea 
11127  r:  glace  et  QeUe 
1217  r :  leg  Eichesses  ...etles  Metaux 
121 10  r:  crimes  et  maux 
15117  r:  fwrewr  et  rage 
16jl2v:  c'est  mon  arrest  et  demiere 

ordonrMnce 
16/29  v:  soing  et  eure 
17j5v:  Fourments  et  Bledz 
24/6  r:  a  ton  desir  et  veu 
28/23  v:  passages  et  troux  cachez  des 

animaux  sauuages 
33/23  r:  d^esprit  et  de  courage 
34/6  v:  8on  courroux  et  cholere 


2.  Statt  eines  Snbstantivs  steht  ein  Sati. 

21/5 :  ante mare et terrcu ...et ccelum   7/12 r :     auant    quHl    fust    aucune 

cognoissance   de  Terre,   Met  et 

Ciel 
llj7r:  que   chascun  recueUloit   des 

chesnes  verds 
12/10 r:  Qui  sont .  .  .  les  aiguüli/ns 

a  tou9  crimes  et  maux 


24/29:  de  uiridi  ilice 
25/26.:  inritamenta  malorum 


—    68    — 


27117:  monticolae  silvani 

iiSjl ;  hoc  ....  sermone 
28114:  pia  uota 

:  tolitaeque  cupidine  cwäii 

humani  generis  iactura 
301 1:  nuntia  lunonis 
30127:  summa  , . ,  in  ulmo 
33/29:  nidlumque  nefas 
4015:  fletibus 
4115 :  petit  kanc  Satwmia  mumia 


14/22  v:  lea  Syluains  qui  sont  aiix 

Monts  camus 
14/20  r:  comme  ü  s^ennUt 
15/18  v:  le  Peuple  doux  qui  lors  me 

va  priant 
ISjlSr:  Et  en  tenant  de  »m  premier 

cowrage 
Qyii  tant  de  Meurtre  a  esti  curieux 
16/18v:   De  ce  que   tous  humaina 

Bouffriront  Mort 
17/1  v:  qui  le»  messages  porte  de  sa 

Juno 
17/26r:  Qui  9ur  Ormeaux  eftoietU 

venua  se  rendre 
2119  v:  rien  qui  ne  pervienne  a  quel- 

que  fruict  et  bien 
28/4  v:  et  en  a  tant  ietti  de  lärme» 

d'asü 
29ll2v :  prie  que  de  la  vache  il  luy 

face  vn  prSsent 


3.  JSUtt  «iM8  idj«kttfg  stehen  iwei  Adjektifa. 


22/9:  denaior 
2311:  onerosior 
2415:  ignotas 
25/1 :  pretiosior 
25/14:  venae  peiaris 


8/7  r:  plus  pisante  et  plus  grosse 
9/25  v:  pius  lourd,  plus  pesant 
10112  r:  incognus  et  nouueaux 
11/15  r:  plus  souuerein  et  prScieux 
12/16v:  de  tous  metaux  le  pire  et 
le  moins  eher 

29/22:  poena  . . .  diuersa  16/12  r:  vne  autrepeine  , . .  contraire 

31/6:  crura  velocia  18/15  v:  piedz  prompts  et  legers 

34/10:  naturaquemitior  iUis  contigit  21/5 r:    Leur   nature   deuient  plus 

tendre  et  molle 
38/8 :  timido  . , .  eursu  25 129  r:     estant    fort    honteuse    et 

craintifue 


4.  Statt  eines  idjekttvs  steht  ein  Sati. 


21/16 :  innaMlis 

25/13:  non  scelerata  tarnen 


8/14  v:  Nauires  ne  portoit 
12il3v:  Et  neantmoina  cest  Äge  en 
sog  nHmprime 
Desir  malin  ^  pour  se  soüler  de 
crime 
26jl5:propago  contemptrix  »uperum   13/19  v:  dont  le  genre  odieux  depuis 

ce    Temps   fi^esprisa    les   haut» 
Dieux 


—    69     — 

2919:  terrae  martoHbus  orbae  161 20  v:  Quant  morts  seront  de  la 

Terre  moleste  les  habUane 
B0\20:  altior , .  .unda  17 ßr:  Veau  qui  n'est  pas  H  basse 

S6I4:  9ui$qtie  tnmca  vident  kumeri»  22/17 v:  Les  autres  »otUimperfaietg 

teüement 
Qu^üz  n^ont  encor  espauUs  nvUe- 

ment 
H5J28:  Daphne  Penäia  23lllr:  Daphni  ,  .  ,  qui  du  fleuue 

F^Se  la  fiüe  estoit 
S6J21:  innuptae  aemula  Phoebes         24/7  v:  Et  lafagon  de  Diane  eneuluoit 

Qui  le  renom  tousiourB  de  vierge 

auoit 
S6J28:    iUa    vehtt    crimen    taedas    24123  v:  Daphni  qui  lora  hayne  en 
exosa  iugales  8on  cueur  imprime, 

De  Marione  autant  comme  d'vn 

crime 
38J22:  hie  spe  celer  261 26  v:  respoiramoureuxdonnelieu 

de  tost  eourir 
4019:  a  patrio  .  . .  fkimine  281 14  v:  Auqud  son  pere  Inache  se 

tenoit 
413:  veri  quoM  nesda  2915  v:  Car  eUe  auoit  (a  peu  pres) 

asseuranee 
De  viritS  non  mise  en  apparence 
4117:  auspectum  291 16  v:  Juno  pourroit  se  doubter 

de  sa  ruse 
41 21:  amara  .  .  .  herba  29/18  r:  ou  gist  grand  amertume 

5.  Statt  einas  ProMmens  stehei  iwei  ProBomiBa. 

2112:  coeptia  adspirate  mein  7j6r:  inspirez  moy  en  mes  affections 

6.  Statt  elies  Protomeiis  steht  ein  Sati. 

3417:  quia  hoc  credat  21/29  v:  qui  croira  que  vSriti  cenoit 

37/12:  ecquid  24\23r:  o  quelle  grace  ilz  auroient 

37/17:  ad  haec  . .  .  verba  25/6  v:  du  propos  qui  s^enauit 

41/2:  etcuius  29/4 v:  et  le  Seigneur  a  qui  apper^ 

tenoit 

7.  Statt  eines  Terbs  stehen  iwei  Terba. 

32/4:  revocare  19/13v:  appeüer  pour  retoumer 

32/14:  decrescentibus  undis  19/4  r:  Ainsi  qtie  Veau  diminue  et 

descroit 
32/17:  vidit  19/10  r:  desmis  meit  sa  veue  pru- 

dente  .  . .  voyant 


—     70     — 


S5120:  perdidit 

3719:  pectore  . . .  Mo  uritur 

37111:  si  comantwr 

3912:  crescunt 
39119:  annuit 
4015:  äuget  aquas 

4016:  luget 
4216:  loquatur 

4SI  28:  cede 
46114:  transit 


221 14  r:  il  renueme  et  tue 

241 18 r:  Amour  .  .  ,8on  cuew  h'usle 

et  tarmente 
24124  r:  quand  mis  en  ordre  etpig- 

nez  ilz  seroient 
26120  r:  sont  muez  et  transformez 
27128  v:  en  remuant .  . .  consent 

2816  v:  il  en  faict  croisire  et  enfler 
8on  onde 

2817  v:  regrette  et  pleure 

30jl8v:  eu8t  voulu  . . .  retieler  et . . , 

compter 
32115  v:  Preste  VaureiUe  et  conaens 
341 19  r:  passa  ,  .  .  trauersa 


8.  Statt  eiies  Terbs  steht  ein  Sati. 


38125:  viribus  absumptis 

3916:  sentit  adhuc  trepidare  pectus 

4116:  suos  abdicere  amores 

4117:  non  dare 
43116:  inquit 

45119:  ait 


2615  r:  Daphni  qui  sent  sa  puis- 

sance  affoiblie 
2712  v:  il  sent  le  cuew  qui  encor 

se  remue 

291 14  v:  quand  ses  amours  ainsi  de- 
laisseroit 

29115  v:  si  ce  don  il  refuse 

31 120  r:  Mercure  alors  luy  feit  re- 
sponse teile 

33130  r:  Et  d'vn  hault  cueur  ces 
mots  luy  profira  . . . 


31118:  hie 


9.  Statt  eine«  id?erb8  stehen  iwei  Ad?erbia. 

18l8r:  lä..,y 


10.  Statt  eines  Adverbs  steht  ein  Sati. 


32126:  Sic 

33 j3:  nunc 
33j26:  int^ea 

4112:  et  uride 
4418:  aique  ita 


9112  r:   il    est  aussi   tout   clair  et 

euidant 
20117  v:  au  temps  ou  nous  sommes 
21j3v:   e^i   ce   discours  quand   tous 

deux  ilz  cheminent 
2913  v:  le  Heu  aussi  duqud  eile  venoit 
32,9 r:  Ce  qui  aduint,  car  le  Dieu 
Pan  deslors 

En  inuenta  la  Fluste  aux  doux 
accords 


—    71     — 


b)  Erklärende  Umsclireibaiigren. 

21110:  Titan  SjSv:  du  blond  Soleil  la  splendeur 

coustumiere 
21/11:  comua  .  . .  Pkoebe  8(4  v:  de  la  Lune  le  croiasant 

21114:  Ätnphitrite  8(9  v:  la  grand  Mer  OcSane 

23130:  satw  lapeto  10127 v:  FromSthSe  ancien 

2519:    aemina    tum  primum   Umgis  12j2v:  Alors  par  t(mt  le  Laboureur 
CereaUa  9ulcis  cbruta  sunt  commence 

D^vser  du  Soc  pour  cueillir  sa  Se- 
rn ence 
De  grains  et  Bledz  et  la  Terre 

fime  fut 
26118:  pat^  SaJtwmius  13126 v:  Juppiter  (sie!) 

27 ß:  anguipedum  14f2  v :  ces  Giants  peruers  auec  piedz 

Serpentins 
2819:  Maenala  1517  v:  Menale  le  hault  Mont 

28(10:  Cyllene  15(9  v:  la  Montagne  ,  .  .  de  CyüSne 

28124:  in  dominum  euerti  tecta  pe-  15(11  r:  Cor  ie  fey  lors  vn  grand 
nates  feu  allumer 

Et  sa  Maison  destruire  et  con- 

sumer 
29(24:  Aeoliis  . ,  .in  antris  16(18  r:  En  la  prison  du  Boy  des 

ventSf  Eole 
30(6:  (caendeus)  f rater  17(11  v:  son  frere  Neptune 

31(2:  Ner'eides  18(3  v:  Nymphes  de  Mer  Nereides 

gentiües 
31(31:  rector  Pelagi  19(8  v:  Neptun 

33(6 :  et  auxüium  per  sacras  quaerere   20(23  v:  Et  consulter  V  Oracle  et  la 
sortes  response  de  ThSmis  saincte  en 

lieuac  sacrez  absconse 
33(17:  Themi  20(13  v:  Thimis  saincte  Diesse 

33(28 :  Promethides  21(5(6  v :  Deucalion 

Epimethida  sa  femme 

34(2:  Titania  21(15  v:  Pyrrha 

35(13:  deus  arquitenens  22(15  r:  ÄpoUon  tenant  son  Are 

36(17:  nympha  Peneide  23(28  r:  Daphni  la  vierge 

c)  Weltschweillgkeit  im  Ansdmck« 

21(4:  Perpetuum  deducite  Carmen        7(6  r:  Inspirez  moy  en  mes  affections, 

A  ceüe  fin  que  par  itemel  CBUure 
Aux  successeurs  maints  secrets  ie 
descueuure 
26(17:  sanguine  natam  13(23  v:  origine  avoir  pris  de  ces 

Geants  cruelz  pleins  de  mespriz 


—     72     — 


et 
gaudet 


nunc    quoque 


30124:  coOem 

3112:  syluaaque  tenent  delpbtTieg  ei 
aliia  incumant  numa  agitaia^pte 
robata  ptUgant 


3114:  uehit  unda  leones 
3X120:  et  nmmna  montia 


3il26 :  nrnibUque  aqMonc  remotia  U 
coelo  terra»  ostendU  et  aethera 
terria 


32/6 :  quae  .  . .  UUora  uaoare  repXd 

34/3:  apea,.  .in  dMo  est 
34121:  experienaque  ktborum 

35112:  innumeras  epedes 

36115:  quod  facit 

37123:  crura  notent  sentes 

37126:  ctii  placeas 


sanguine  15121  v:  Ne  demandant  que  de  vovr 
et  repandre   Viniiute  sang  du 
Troupeau  faible  et  iandre 
17/18  r:    Sommet    d^vne    Montagne 

haulte 
18/5  v:  Forests  d'eau  a^itm 
Par  les  courbez  Daindphrng  sont  ht^ 

bitiea 
Qui  ga  H  ki  Jmrtent  Bameaux  et 

TroncB 
Des  Arbrea  granda  qui  dana  Veau 
aont  profonda 
18lllv:  lea  . , ,  Lyona  . . .  aont  deaaua 

Veau  marine  apparraiaaana 
18115  r :  PareiUement  lea  auibraa  Dkiux 
receua 
Pour  vSnSrer  aur  le  m<mt  Fer^ 
naaaua 
1912  v:  il  rendit  VEr  aerein 
Et  Aquilon  vint  doulcem^U  venter 
Qui  feit  Vorage  et  lapluye  abaenter, 
Lora  on  pouuoit  aux  Cieux  dreaaer 

aa  veue 
La  Terre  auaai  apertement  fut  veue 
19jl7v:   Et  ^umd   le   som   de  sa 
Trompe  eapandu 
Fut  parmy  VEr  haultement  en- 
tendu  . ,  .il  fut  ouy 
21117  v:  le  acrufmle  qu'eUe  ha 

Faict  aon  penaer  varier  ^  et  la 
211 23  r:  et  employi  a  touie  expi- 
rience  de  granda  travaux  portas 
en  patience 
2216  r:  de  Beatea  Offparentea 
Vn  nombre  grandf  en  formea  dilß- 
rentea 
231 23  r:  ^^  <^^  ^  Q^  playe  awm- 

reuae  eat  ioincte 
251 18  v:    Ei    que   deaaua  poignana 
Buiaaona  tu  tombea 
Qui  a  ta  cuiaae  . . . 
Faire  pourroient  aentir  playe  et 
doulcwr 
25j27v:  qui  ie  auia 
Qui  ton  amouraiviuementpowrauia 


—     73     — 

d)  Statt  des  bildlichen  Ansdrnckes  der  unbüdliche« 

31119:  cum  comarte  tori  ISIlOr:  Auec  $on  JE^owe 

36128:  taedas  iugaUs  241 24  v:  Mariage 

41116:  t»  skitume  manehant  29ßr:  veiUMmt 

45126:  $i  modo  sum  code$H  $iurpe  34115  v:  n  ie  suis  de  naissance  dt- 
creaius  uine 

e)  ÜbersetEiiHgeA  bmA  dem  SIha. 

22116 :  tdlMS  pressa  est  frauUate  $ua  SjS  r :  Aüa  chereher  la  demetire  plus 

hasse 
24113:  n^Maqvke  mortales praeter 9ua  llßv:  Qxr  tm  ehascun  diu  lieu  se 
liitora  noratit  contentoit 

Et  du  seiour,  auqud  Ü  habitoit 
2719:  tarnen  iUud  ab  uno  corpore  et  1416  v:  De  teile  Oent  crueÜe  et  sans 
ex  fma  penddxit  origine  beüum         pitiif 

Ce   niantmoins  ie   fi'avois  point 

affaire 
Qu^aux  seuls  OSants  que  ie  pou- 
uois  deffaire 
28115:  discrimine  aperto  15122  v:  Four  a  chascun  oster  scrt^ 

pule  tel 
29f6:  sHmulosque  frew^nH  adiciunt  Iß/lSv:  et  encor  plus  sa  cholere  ilz 

augmentent 
29/17:  Tamque  erat  in  totiu  spar-   16l3r:  Lors  il  eust  faict  la  fouldre 
9wr%t8  fuimina  terraa  deualler 

Pour  Vvniuers  de  la  Terre  brukr 
32131 :  te  sequererj  coniux,  et  me  quo-   20j9v:  Four  auec  toy  ma  vie  con- 
que  pontus  haberet  sumer 

Ie   lanceroys   mon  corps    dedans 
laMer 
34J22:  et  doeutnenta  damus  21j25r:  Dont  bienparla  ciairement 

nous  s^auons 
36114:  fitgat  hoc  . .  .  amorem  2SJ22r:   L'autre,  d'amowr  rend  Ie 

plaisir  amer 
36(29:  pukhra  uereetmdo  suffkndons  24/25  v:  En  augmentant  sa  heawU 
ora  rubore  nompareiüe, 

D^vne  couleur  honteusement  «er- 
meille 
38/10:  ohuiaque  aduersas  uibrabant  26/5  v:  Et  en  soufflant  derriere  sa 
fiamma  uestes  vesture 

Udie  monstroient  la  chair  tant 

blanche  et  pure 

38/14:    perdere    blanditias    iuMcnis  26jl0v:  du  ieune  Dieu  .  .  .p&w  de 

Dem  utque  monebat  ipse  amor,  doulceur    la   vierge   entretenir, 

admisso  sequitur  uestigia  passu         parquoy   d^amour   sa   ieunesse 

tentie 


—     74     — 


in.  Fehler  nnd  Ungenanigkeiteiu 

Man  muß  zugeben,  daß  der  Dichter  infolge  seiner  ein- 
gehenden Kenntnis  der  lateinischen  Sprache  seinen  Text  im 
allgemeinen  richtig  wiedergegeben  hat.  Einzelne  Unrichtig- 
keiten haben  sich  allerdings  eingeschlichen,  z.  B.: 

21,17 :  nulli  9ua  forma  manebat       8 /Iß  v :  nul  Eliment  n'auoit  sa  propre 

forme  (statt:  n.  6.  ne  gardoit) 
2212:  et  liquidum  spisso  se<^euit  8127 v:  en  diuisant  de  VEr  Vespece 
ab  aethere  caelum  impure  (statt:  pure) 

^'auecques    VEr    espais   et  plein 

d'ordure 

2219:  circumfluus  humor   ultima   819 r:  Ja  Terre  (statt:  VhumiditS,  la 

po88edit  solidumque  coercuit  or-  mer)  « . .  enuironnant  de  toutea 

hem  parts  le  Monde 

23/21 :  astra  tenent  coeleste  solum  10/9 v :  les Dieux ..,de8  Aßtrea (statt : 

les  Dieux   et  les  Aßtres)  sont 
du  Ciel  jouissans 
111 19  v:  »t*f  ^  Pommiers  les  Pom- 


formaeque  deorum 
24121:  arhuteos  foetus 


mes    {arhuttks   ist    ein   anderer 

Baam,   der  Meerkirschen-  oder 

Erdbeerbaum) 

12122 r:  noir  et  horrible  (statt:  päk) 

121 13 v:    les    corps    lourds    (statt: 

sanuages) 

.  caesa-   12l25r:  sa  grand  Barbe  terribk 

(statt:  cheuelure) 
sub  terra   14jl4v:  qui  court  dessoubs  la  forest 
Stygiale  (statt:   soubz   la  terre 
dans  la  f.) 
17j23r:nauigant  (statt:  maniant  les 

rames) 
20113 v:  auec  Terre  fermie  (Druck- 
fehler für  formee?) 
20j3r:  la  vouste  (statt:  les  crhteaux) 
27/1  r:  vn  beau  lieu  (statt:  un  bois) 
apparoist 
39/23:  deiectaque  graui  tenues  agi-   27/7  r:    et   agitant   son    cours  im- 
tantia  fumos  nubila  conducit . . .  petueux  ,  •  .    semble    arrester 

summisque  adspergine  syluis  (Druckfehler    für    arroser ?)   de 

influit  ses  flots  fluctueux 

Le  hault  Sommet  des  forests  om- 
brageuses 


2612:  lurida 
26121:  Corpora  dira 

27(3:  terrificam  capitis  . 

riem 
27/13 :  per  flumina  iuro  . . 

Stygio  labentia  luco 

30125:  ducit  remos 

33/2:  formatae  terrae 

33/11:  fastigia 
39/20:  est  nemus 


—     76     — 

40118:  pascua  Lemae  2813:  de  Lerne  les  estangs  (statt: 

les  päturages) 

4214:  terra  genitam  291 10 v:  qu^en  son  pays  (statt:  aas 

Erde,  de  terre)  ceste  vache  fut  nee 

43118:  naiaa  311 22  r:  vne  Naiade,   Nymphe  des 

eaux  (an  dieser  Stelle  naias  = 
Nymphe  im  allgemeinen) 

4414:  dumque  suspirat  31/1  r:  et  quand  encor  son  alaine 

respire  {suspirat  ist  nicht  =  at- 
met, sondern  =  seufzt,  souspire) 

45l20:etgetnmi8caudam  stellan-  33l2v:  Dont  la  queue  ha  pltimage 
tibus  implet  pricieux  (zu  ungenau) 

Der  Vergleich  des  französischen  Werkes  mit  dem  latei- 
nischen Utbilde  hat  uns  das  Verfahren  und  die  Eigenart  des 
Übersetzers  gezeigt.  Es  entsteht  nun  die  Frage,  ob  Habert's 
Arbeit  selbständig  ist  oder  ob  er  seine  Vorgänger  benützt 
hat.  In  seinem  ganzen  poetischen  Schaffen  ist  ja  der  Hof- 
dichter Heinrichs  II.  wenig  originell.  Überall  wandelt  er  in 
Bahnen,  die  schon  andere  vor  ihm  betreten  haben;  selten 
schlägt  er  einen  eigenen  Weg  ein.  Aneau's  Übersetzung 
des  3.  Buches  der  Metamorphosen,  die  1656,  also  etwa  ein 
Jahr  Yor  der  Habert'schen,  erschien,  zeigt  keine  Ähnlichkeit 
mit  dem  gleichen  Buch  bei  Habert.  Im  Jahre  1532  war, 
wie  bereits  erwähnt,  von  sämtlichen  15  Büchern  unter  dem 
Titel  Grand  Olynipe  eine  Prosaübersetzung  erschienen,  welche 
unser  Dichter  bei  der  Übertragung  der  Pyramus-  und  Thisbe- 
fabel  und  bei  der  Narcißsage  zu  Bäte  gezogen  hatte.^)  Zwei 
Jahre  später,  1534,  hatte  Marot  seine  Übersetzung  der  beiden 
ersten  Bücher  veröffentlicht.  Vergleichen  wir  nun  die  Über- 
setzung Habert's  mit  der  Übertragung  dieser  beiden  Autoren, 
so  finden  wir  eine  ziemlich  große  Zahl  von  Ähnlichkeiten, 
gleichen  Übersetzungen,  gleichen  Hinzufügungen  oder  Aus- 
lassungeo.  gleichen  Versanfängen  und  Reimen,  ja  sogar  gleichen 
Fehlem!  Im  folgenden  soll  nun  im  einzelnen  festgestellt 
werden,  in  welcher  Weise  Habert  den  Grand  Olympe  und 
Marot  benützt  hat. 

>)  S.  oben,  S.  50  ff. 


—     76     — 


I.  Habert  und  Le  Grand  Olympe.^) 
a)  Oleiehe  Übersetumgen. 


Ovid 
7511:  Deue 

7513:  pater 

75j8:  Agenorides 

7618:  Phoebique  oracula 
75113:  Moenia 

77/31:  se  retrahehat 

7918:  Quinque  superstitibua 
79120:  nepoB 

80/19:  Vincla  duae  pedibuB  demunt 


80/22:  Exäpiunt  laticem  NipheguCj 
HycUeque,  Rhanisque  Et  Psecaa 
et  Phialej  funduntque  cap<icihu8 
umi8 


81/11 :  Addidit  haec  .  .  .  uerba 


84/22:  Da  mihi  te  talem 


(Gr  Ol.  39/r:  Juppiter 
XHab,  64/2  r:  Juppiter 
(Gr.  Ol.  39/r:  Agenor 
XHab.  64/3  r:  Aginor  pSre 
fOr.  Ol.  39/r:  Cadmus 
\Hah.  64/lSr:  Cadmus 
IQr.  Ol.  39/r:  au  Temple  Apollo 
<Häb£5/2v:auTempk8ainctdePhibus 
[     Ou  le  sacri  Oracle  ü  cansuUa 
(Gr.  Ol.  39/r:  vne  citi 
XHab.  65/12v:  la  CitS 
Gr.  Ol  40/r:  il  se  print  ä  reculer 
Hdb.  67/14r:  trouue  la  maniere 
De   reculer  son    corps   massif 

arriere 
(Gr.  Ol.  41/r:  exceptez  cinq 
XHab.  68/18r:  Cinq  exceptez 
(Gr.  Ol.  42 /v:  Acteon 
XHab.  €9/17 v:  Action^ 
Gr.  Ol.  42/r:  deux  aultres  la  des- 

chaussoient 
Hab,  70;6v:  Deux  autres  sont  a  des» 

chausser  la  belle 
Gr.  Ol.  42lr:  Et  quatre  aultres  de- 

moysdhs  Nymphes,  Hyale,  Bha- 

nis,  Psecas  et  Phiole pu isoient 

Veauenla  fontaine  pow  la  lauer 
Hab.   70i9v:  NypM  [sie!],  Bhanis 

Psicas  et  Phiale 
Puysent  Veau  auecques  HiaU. 
fGr.  Ol.  43/v:  et  luy  dist 
XMab.  70/7  r:  Puis  luy  a  dict 
Gr.  Ol.  44/r:  que  .  . .  m  embrassez 

et  accoüez  ainsij  et  pareiUement 
Hab.    74/10  v:     Je     te    supply    de 

m^emhrasser   ainsi^    en   tel 

pouuoir 


^)  Zitiert  nach  Ausgabe  1639,  vgl.  S.  51. 

-)  Ovid  nennt  den  Namen  an  dieser  Stelle  noch  nicht. 


—     77     — 


85ß:    matemaque  tempora  complet 


Ootd 

(Qr,  Ol.  44'jr:  et  la  »e  nourrxBt 
comme  au  venire  dt  samere 
iuaquesau  iourdesanai»- 
»ance 
Hab.  74ll3r:  Et  fut  nourri  en  la 
Cuisse  du  pSre 
Ne  pltu  ne  moins  qu^au  ventre 

de  la  mire 
Juaques  au  tempa  et  iour  de 
8a  naissance 

{Gr.  0l.46jr:  caril  a  eati  femme 
Hab.  7511  v:  Qui  pour  autant  que 
femme  auoit  esti 
IOr.  Ol.  45 jr:  et  fut  enceatuy  e$tat 
bim  aept  ana 
Hab,   75lllv:   Et  par    aept    ana 
ehangi  ce  aexe  il  n^a 

86/16:  Nam  quater  ad  qumoa  unum  i^^P^'  ^/^-  AduintXXIana  aprea 

iHäb.  75l22r:  Ce  Narcia9ua  des  ana 


Cepkuim  annoa  addiderat 


\       n*auoit  que  eingt  et  vn  auee 


b)  Ihidiche  ÜbenetEimgeii. 


7512:  ae  confeaaua  erat 


7512:  Dictaeaque  rura  tenebat 


{Gr.  C 
ai 
Hdb. 


Gr. 


75110:  Boa  tibi,  Fhoebua  ait,  Solia 
occurret  in  aruia 


75/12:  Hac  duce  carpe  viaa  et  qua 
requieuerit  herba 


Ol  S9!r:  A  reprina  $on  diuin 

attour 
64l2r:  et  ae  repriae  aa  face 

Ol.  39lr:  en  Crete  en  aa  aale 

royaÜe 

Hab.  64ßr:  en  aon  Palaia  de  Crete 
Gr.    Ol.   S9jr:   II  euat  reaponae 

qu^en  aa  voye  il   trouue^ 

roit  vn  ieune  beuf  qui  onC' 

quea  n^auoitportS  leioug 

de  la  charue 
Hab.  65j6v:     Fhibua  reapond . . . 
Tu  trouueraa  en  ta  voyevne 

vache 
Qui    onequea    n^a   porti    le 

ioug  preaaant 
Gr.  Ol.  39ir:  qu'ü  le  auyuiat:  et 

au  Heu  ou  le  verroit  arreater 
Hab.  Öo'lOv:  Suy  ceste  wiche  ou 

giat  ton  aduanture, 
Puia   ou   verraa   qu'ette  prendra 

paature 


78 


Ovid 


7611:  iubet  ire  miniatros 
Et  petere  ^  (sie!)  uiuis  libandas 
fontibus  undas 


78/30:  atque  ita 
79111:  SidonixM  hospea 


79J14 :  soceri  tibi  Marsque  Vemtsque 
contigerant 


SOjlS:  Margine  gramineo 


S0jl4:  Hie  Dea  uenatu  ayluarwm 
fessa  solebat 
Virgineos  arttts  liquido  perfundere 
rore 


80/28:  Dunique  ibi  perluitur  solita 
Titania  lympha 


81/1:  iamefi  altior  iUis 

Ipsa  Dea  estj  colloque  tenus 
supereminet  omties 

81 18 :  et  ut  vellet  protnptas  Jiabuisse 
sagittas 


Or.  Ol.40jv:  ses  gen 8  et  compaig- 
nons  enuoya  ä  Veau  viue  ä 
wie  fontaine 
Hab.  65jl2r:  il  enuoya  ses  gens 
Chercher  eau  claire  en  pas  fort 
düigens 
iGr.  OL  41lr:  A  ce  mot 
\Hab.  eSjlOr:  Ainsi  disant 
(Qr.  Ol.  41  Ir:  Cadmus 
\Hab.  68; 21  r :  Cadmus  le  ßs  d'Aghwr 
Gr.  Ol.  41, r:  II  print  ä  femme  vne 
moult  belle  et  vaillante  damoy- 
seile  fille  ä  Mars  le  dieu  des 
bataüles  et  ä   Venus  la  d6esse 
d^amaurs 
Hab.  68;S0r:        auoir  en  Mariage 
Femm^  degrand  etdiuinparentage, 
Fille  de  Mars  et  de  venus  la  belle 
\Gr.  Ol.  42 Ir:  la  verde  herbe 
KHab.  69j28r:  V herbe  verdoyante 
Or.  Ol.  42 ir:  La  se  souUnt  accous- 
tumiement  baigner 
Diane  toute  nue 
Hab.  69:29  r:  En  ce  ruisseau  Diane 
se  bagnoit 
Quand   le  trauail    de  Chasse  Va 

gaignoit, 
La  eile  vient  et  sa  Troupe  loyaüe 
Pour  y  lauer  sa  forme  virginale 
Gr.  Ol.  42 y:  Tandis  comme  eile  se 

lauoit 
Hab.  70;llv:  Quand  Diane  vierge 
saincte  et  haultaine 
Lauoit  ainsi  son  corps  en  la  fon- 
taine 
Gr.  OL  42 ir:  plus  grande  d'eUes  es- 
toit  n^apparust  par  dessus  dies 
le  Chief  franc 
Hab.  70;2Sv:  die  estoit  plus  grande 
De  tout  le  chef  que  Nymphe  de 
la  bände 
iGr.  Ol.  4Siv:  et  stelle  eust  eu  son 
\        arc  prestj  Ven  eust  occis 


79 


Ovid 

IHah,  70j3r:  Et  tout  ainai  qu'auoir 
eüe  soubhite 
Pour  86  venger  son  Are  et  sa 
sagette 
(Qr,    Ol.    4Sjv:   Te  piaist  ü    moy 
toute  nue  veoir  baigner? 
Se  tu  peux  si  fen  vante  aux  dames 
la  ou  tu  seras 
Hab.  70j9r:  Soit  maintenant  par  toy 
propos  tenu 
Que  deDione  (sie!)  as  veu  le 

Corps  tout  nUf 
Si  a  aucun  le  peux  faire  sgauoir 


81112:  Nunc  tibi  meposito  uisam 
uelamine  narres 
Si  poteris  narrare  licet 


c)  Gleiche  Hlnzufttfirniiffeii. 


75/3:  Cadmo  imperat 


76J12:  Uma  dedit  sonitum 


84(6:  Ergo  vbi  captato  Sermone^  diu- 
que  loquendo 
Ad  nomen  uenere  louis,  suspirat 


Qr,  Ol.  39 jr :  app ella  Cadmus  son 

filz  et  luy  commanda 
Hab,  6416  r:  appella  .  . . 

Cadmus  son  fils,  puis  . . .  luy  com- 
mande 
Or.  Ol.  39 jr:  Lequel  quand  ü  tn- 
tendit  le  son  des  potz  ou  ceaulx 
puyser 
Hab.  66l2v:    Ch-and   son    et  bruit 
a  rendu  le  vaisseau 
Dont  Hz  vouloient  puyser  de  la 
claire  eau 
(Chr.  Ol.  43!r:  Elles parlerent  de plu- 
sieurs  choses  ensemble,  maisluno 
qui  ne   tendoit  ä  aultre  chose 
qu^a    decepuoir    la    damoyselle 
par  paroles  obscures  luy  parla 
tant  d'unes  et  d'aultres,  que  de 
luppiter  commencerent  d  parier j 
Semele  qui  d'amours  fut  esprinse 
et  affoUe,  se  commenca  ä  van- 
ter  de  ses  amours 
Hab.  73j4r:  En  tel  habit  luno  dis- 
simuUe 
Tient  SimelS  doulcement  accoUie 
Qui  en  tenant  propos  soulacieux 
Du  ieu  d^  amours,  etfruictdSlicieuXy 
En  ses  amours  de  luppiter  se 
vente. 


—    80    — 


Ooid 

85120:  Nam  dw)  magnorum  uiridi 
coeuntia  syltM 
Corpora  serpentHtn  baculi  uiokh' 
uerat  ictu 


86130:  Ihnm  fmgereni  Nymphae 


Qr,    Ol  43jr:   Thiresias  s'en  alhit 

vng  towf  e$batctnt  par  tesprez 

delez  vng  boys,  ai  vif  Soncntwrt 

deux  Btrpens 
Hab,  7515 v:  Aduint  un  iour  pas- 

sant  par  vn  Boys  sonibre 
.    Que  deux  Serpens  ü  apperceut 
Or.  Ol.  47 jv:  teüement  que  tes  nym- 

phes  auoient  loysir  de  Ben- 

fuyr 
Hab,  76117  v:       Qu'apres  Vesbat 
Nymphes  auoient  d' eschaper  bon 

loysir 


d)  Ihnliche  Hlnxnflliraiigreii. 


7516:  Orbe  pererrato 


75112:  Deus 
8e  confessus  erat,  Dictaeaque  rura 
tenebat 


76128:  Erat.  ..  telum 


76130:  Vt  nemus  intrauit 


77119:  Terrague  rasa  sonat  squamis 


Gr.  Ol.  39 jr:  Cadmus  .  . .  s'atUmma 

. .  .pour  reeouurer  Europe 

sa  seur 
Hab.  641 15 r:   Cadmus  adonc  pour 

de  sa  Seur  s^enquerre 
Enuironne  Vvniuerseüe  Terre 
Or.    Ol.  39/ v:   resprins  son  diuin 

attonr  et  se  desduysoit  il- 

lec  auec  eile  en  grand  ioye, 

lyesse  et  soulas 
Hab.  64j2r:  etreprisesa  face  lou- 

ist  d^Europe 

(Or.    Ol.  40; v:  et  si  auoit  en  sa 
main  vn  dard 
IHab.  66j3r:  Et  prent  en  main  vn 
Dard 
Gr.  Ol.  40iv:  Si  semist achemin 
pour  aller  querir  ses  com- 
paignon»  au  boys,  m^mü 
les  trouua 
Hab.  66l7r:  Ainsi  s^en  va  en  la 
Forest  adoncques 
Chercher  ses  gents,  ou  quand 
il  fut  entrS 
(Gr.  Ol.  40lr:  Si  faisoit  trembler  la 

terre  d*enuiron  luy 
Hab.67ll9v:  AVenuironla  Terre 
resonnoit 


81     — 


Ovid 


78/14:   Eece   uiri  fautrix   auperas 
deiapsa  per  aur€u 
PaÜM  adegt 


78  17:  Paret 


78 '27:  Cadtnua  capere  arma  parahati 


79;  25 :  MoM  erat  infectus  variarum 
catde  ferarum 


Or,  OL  dljv:  A  tant  descendit  PaUas 
de  Vaer  pour  le  rasseurer 
Hab.  6918  v:  Adonc  Paüas  . . . 
Pour  Va88eurer  du  diel  est 
descendue 
Gr.  (H.dllv:  Cadmua  aceomplist  le 
commandement  de  la  de- 
esBe  Pallas 
Hab.  68ll4v:  Cadmus  aux  dicts 

de  Pallas  obtempire 
fOr.  Ol.  dl/v:  Si  s^appresta  incon- 
'        tinent  de  combattre 
Hab.  6814  r:  Et  accouroit  aux  armes 

vistement 
Or.  Ol.  42jv:  II  alloit  vne  foys 
par  ses'forestz  chasser  comme 
accoustum^  estoit  et  auoit  moult 
prins  de  sauluagine 
Hab.  69l20v:  Cest  ÄctSon  encores 
ieune  d^Äge 
Ckassoit  vn  iour  mainte Beste 

sauuage 
Deesus  vn  Mont^  et  ia  son  entre- 

prise 
Se  contentoit  de  mainte  beste  prise 
Gr.  Ol.  42lv :  sans  oeuure  d^ komme 

mortel 
Hab.  69'20r:  Non  point  basH  par 
komme  vigilant 
Non  point  construictdHndustrieuse 
eure 
(Gr.  Ol.  42 jr:  Moult  furent  les  pu- 
Celles  esbakyes  pource  que  cesiuy 
les  auoit  veues  nues:  et  plus 
pour  leur  dame  que  pour 
elles  mesmes 
Hab.  70il7v:  Qui  en  voyant  Vkomme 
qui  les  a  veues 
De  grand  douleur  n'ont  este  des- 

pourueueSf 
Et  de  leur  cris,  et  lamentable  vdx 
Ont  faxet  soubdain  risonner  tout 

le  boySf 
Et  beaucoup  plus  de  grief 
torment  se  donnent 
^    Pour  leur  maistresse 
Hftnchener  Beitrage  c  romanischen  u.  engl.  Philologie.   XXX.         6 


S0j9:  Arte  laboratum  nuUa 


80(29:  uiso  sua  pectora  Nympkae 
Percussere  uiro 


—    88    — 


Ovid 


81j3:  Qmx  color  infectis  aduersi  SoHs 

ab  ictu 
Nubibus  €896  soletf  aut  purpureae 

Aurorae 
Is  fuit  in  utUtu  uisae  sine  ueste 

Dianae 


75120 :  toUetis  speciosam  comibiis 
altia 
Ad  codum  frontem 


T6i4:  Et  (aicf)  speois  in  medio  uirgis 
ac  uimine  denstta 
Efficiens  humilem  lapidum 
compagibua  arcum 


76126:  Quae  mora  sit  sociis  miratur 
Agenore  natm, 
Vestigatqtie  uiros 


7 6' 27:  direpta  leoni  pellis 

76! 28:  telum  splendenti  lancea  ferro ^ 
Et  iaculnm 


(Ghr,   Ol.  43lv:   Quand  Diane  8ceut 

que  Acteon  Veut  apperceue^  eile 

se  rougist  de  honte 
Hab.  70j25v:  Dont  son  clair  ieint 

par  honteuse  douleur 
S'entremesla  de  aemblable  coulewr 
Que  nou8  voyons  les  Nues  eatre 

teinctes 
Quand  eUes  8ont  du  chauld  Soleil 

atteincteSf 
SembUAlement  teüe  couleur  eile  ha 
Que  nouA  voyons  a  la  rouge  Aurora 
Diane  estoit  honteuse  du  mes- 

chef 
Honteusement  va  destourner 

son  chef 

e)  Gleiche  Anslaggungeii. 

Gr.  Ol.  39 jr:  et  dressa  ses  comes  en 

hault  deuers  le  del 
Hab.  65128  v:  ses  Cornes  eüeua 

Enuers  le  Ciel 
Or.  Ol.  40jv:  dans  vne  vieille  forestz 

(sie!) 
Hab.  65118 r:  Et  au  milieti  de  ceste 
forest  sombre 
ün  clair  ruisseau  estoit  cachi  en 

Vonibre, 
Et  tout  autour  de  maints  Saules 

couuertj 
De  maint  Osier  et  auire  arbrisseau 
vert 
Gr.    Ol.    40, 'v:    Cadmus  .  .  .  moult 
s^esbahissoit  de  leur  demeure,  et 
71«  scauoit  quelle  cause  les  de- 
tetioit  illec 
Hab.  66  29v:   Quand  de  ses  gents 
qui  fönt  si  long  seiour 
Le  puissant    fils    d'Aginor   s'eS' 
nierueille  .  . . 

{Gr.  Ol.  40 y:  ung  cuyr  de  Lyon 
Hab.  66 2r:  Peau  de  Lion 
Gr.   Ol.  40;V.    vn  dard  moult  fort 

tranchant  et  affili 
Hab.  66;3r:  vn  Dard  resplendissant 


83     — 


7s  17 :  Faret et impreaso sulcum 
patefecit  aratro 
Spargit    htuni     iusaos     mortalia 
«emtna  dentes 


Ovid 

{Gr.  Ol  dO/r:  me  tour 
Hab.  66j22r:  vne  Tour  forte  et  hault 
SleiUe 
(Qr.  Ol.  40jr :  Mais  Cadmus  qui . . . 
Hab.  67j30v:  Cadmus  armi  de  son 
Cuyr  de  Lyon 
(Gr.    Ol.    dlj'v:    Cadmus   accomplist 
le  commandement  de  la  deesse 
Pallas.     Et  tant  creust  la  se- 
mence  des  dens  semez  par  luy 
Hab.  68jl4v:  Cadmus  aux  dicts  de 
Pallas  obtemp^re 
Et  va  semer  les  Dents  de  la  viph-e 
Gr.  Ol.  42 jr:  vint  la  comme  fortune 
ramenoit  Acteon  ßz  de  la  fiUe 
de  Cadmus:  qui  de  Diane  riens 
ne  scauoit 
Hab.  70-13  v:  Comme  vouioit  la  for- 
tune volage 
Acteon  vint  par  Vincognu  passage 
De  la  forest,  voires  iusques  aux 

lieux 
Ou  se  bagnoient  les  Nymphes  aux 
beaux  yeux 
Gr.  Ol.  43 jv:  EUe  luy  arrosa  la  face 

d'eaue 
Hab.    70:5 r:   De   mesme  cueur  de 
Veau  eile  puisa 
Et  d^Action  le  visage  arrousa 
Gr.  Ol.  43 ;V :  Beroe  la  meiüe  nourrice 

de  Semele 
73j4r:  Beroe  de  SemeU  Nourrice 
Gr.  Ol.  44,v:  ainsi  comme  il  faict 
luno  sa  femme  qunnd  auec  eile 
se  desduyst 
Hab.   73,22  r:  Tel,  comme  il  va  sa 

luno  embrassant 
Gr.  OL  46 jv:  Liriope 
Hab.  75jllr:  Liriope 
Gr.  Ol.  4ii;r:  Aduint  XXJ  (sie !}  ans 
apres  que  cestuy  Narcissus  eut 
le  renom  par  toutes  terres  hing 
HHjl6:  Nam  quater  ad  quinos  unum  et  pres  qu'il  estoit  le  plus  beau 

C^hisius  annos  iouuencel  du  monde 


S0J25 :  Ecce  nepos  Cadmi  dilata 
parte  laborum^ 
Per    nemus    ignotum   non  certis 
passibus  errans 


S1J9:  sie  hausit  aquaSj  uultumque 
uirilem 
Perfuditj  spargensque  comas 
ultricibus  undis 

H4;o:   Beroe  Semeies  Epidauria 
nutrix 


84112:  tantus  taiis^e  rogato 

Det  tibi  coniplexuSy  suaque  an^ 
te  insignia  sumat. 

Hßj?:  Caerula  Liriope 


()* 


84 


Onid 

Addiderat,  poteratque  puer,fHab.  7Si22r:  Ce  Narcissus  des  ans 
iuuenisque  uideri  n^auoit  que  vingt 

Et  tm  auec  pour  sa  beauUS  su- 

presme 
Nymphes  Vaymoient  d'vne  chaleur 
extresme 


f)  Gleiche  Fehler  und  UngeiiAiilgkeiteii. 


75(2:  Dicta£€tque  rura  tenebat 


77124:  oh  Stentes  syluas 


7814 :  usque  seqiAcns  pressit 


8619:   enixa   est   utero  pule  her 
rima  pleno 
InfantemNymphae  («ic-O»  ^^  ^w<; 
qui  posset  amari 


Gr,  Ol.  89 jr:  en  Crete  en  sa  sale 
royalle  (statt :  pays) 

Hab.  64l3r:  en  son  Falais  de 
Crete 

Or,  Ol.  40 jV:  tout  ce  quHl  rencon- 
troit  (zu  anbesUmmt) 

Hab.  67/9  v:  ce  quHl  rencontre 

Qr.  OL  40lr:  le  hasta, . .  de  sipres 
{usqite  =  in  einem  fort,  fort  und 
fort) 

Hab.  67ll7r:  va  de  si  pres  son 
ennemi  pressant 

(Qr.  Ol  46!r:  Ceste  dame  auoitnou- 
uellement  enfanti  le  plus  beau 
enfant  masle  qu^oncques  eust  esti 
veu  {pulcherrima  ist  nicht  Ak- 
kusativ, sondern  Nominativ  und 
gehört  zu  Nymphae) 

Höh.  75114  r :  Duquel  conceut  vn  en- 
fant qui  eut  vie, 
Digne   d^aynxer,    cor   beau  estoit 

dessus 
Tout  autre  enfant 


II.  Habert  und  Marot.^) 
a)  Gleiche  Tene. 


34:7:  quis  hoc  credat? 


Mar.  789:  Mais  qui  croyra  que  ce 

seit  veritS 
Hab.  21129  v:  Mais  qui  croira  que 

vSrite  ce  soit 


*)  Zit.  nach  Guiflfrey  IT,  303  ff. 


85    — 


Ovid 


}ill20:  moüia  cum  duris,  sine  pon- 
dcre  habentia  pondus 


^:^.10:  Bclidumque  coercuit  orbem 


b)  IhBliehe  Terse. 

Mar, 41:  Auec  le  dur  lemolse  combatoit 

Et  le  pemnt  au  leger  deabatoit 

Hab.  8l21v:  Le  mol  au  dur  atpre- 

rnent  combatoit 

Et  le  pesant  au  leger  %e  batoit 

Mar.  64:  Enuironnant  de  tauts  costez 

la  terre 
Hab.  8l9r:  Enuironnant  de  toutes 

parts  le  Monde 
Mar.  94:  Et  tout  ainsi  que  Vouwier 
aduisi 
Feit  le  kault  cielpar  cercles  diuise . . 
Dont    le  dnquiesme  est  le  plus 
ardent  d^eulx 
Hab%  9j7v:  Et  comme  Dieu  sage  et 
bien  aduisi 
Le  Cid  en  cinq  cercles  a  diuis6 . . . 
Dont  le  dnquiesme  est  de  tousplus 
ardani 

IMar.  1^:  Boreas  froid  enuahit  la 
partie 
Septentrionne  auecques  la  Scythie 
Horrifer  inuasit  Boreas  \Hab.  9j21r:  Et  Boreas  va  saisir  la 

I        partie 

[    Des  sept  Trums,  en  lafroyde  Scythie 
Mar.  287:  Le  mary  s^offre  a  la  mort 


22:24:  ut  duae  dextra  coelum  toti- 
demque  Mnistra  parte  secant 
zonae,  quinta  est  ardentior  Ulis 


26(1:  Imminet  exitio  uir  coniugis 
iÜa  mariii 


26.28:  Plebs  habitat  diuersa  locis 


27  2:  Cdsior  ipse  loco,   sceptroque 
innixus  ebumo 


de  sa  femme 

Femme  au  mary  fait  semblable 

diffame 

Hab.  12119  r:  Femme  au  Mari  pour- 

chasse  Mort  infame 

Et  leMari  veult  la  Mort  de  safame 

Mar.  339:  Les  moindres  Dieux  en 

diuers  lieux  s^assirent 
Hab.  13/3 r:  Les  Dietix  moyens  en 

diuers  lieux  assis 
Mar.  347 :  luppiter  mis  au  plus  hault 
lieu  de  gloire 
Et  appuye  sur  son  sceptre  d'yuoire 
Hab.  13i23r:  luppiter  mis  au  lieu 
plus  souuerin 
En   s'appuyant  sur  son  Sceptre 
yuoirin 


—    86    — 


Ovid 


2919 :  quae  sit  terrae  forma  rogant 


29,12:  sibi  enim  fore  cetera  curat 


30i5:   nee    coelo    contenta   8uo    est 
louis  ira 


30 j7:  qui  postquam   tecta   tyranni 
intrauere  sui 


31j2:  syluasque  tenent  delphines 


31,4:  fuluoft  uehit  unda  leones 
Ynda  uehit  tigres:  nee  nire8  fuL- 
minis  apro 


3212:  Tarn  mnre  litfm  (nie!)  habet 


Mar.  483:  Ei  demander  vont  ä  lup- 
piter  quelle 
Forme  aduiendra 
Hab,  16:19v:  Et  demandS  ont  au 
grand  Dieu  Celeste 
Quelle  forme  aduiendra 
Mar.  491:  disant .  .  . 

De  toute  chose  ilala  eure  et  soing 
Hab.  161 29  v:  Disant  du  tout  quHl 

aura  soing  et  eure 
/Mar.  537:  Encor  . .  .  Vire 

De  luppiter  ne  fut  assez  contente 
Des  grandes  eaues  que  de  son  cid 
iecta 
Hah.  1719  v:  Encor  assez  n'est  lup- 
piter contant 
Des  grands  ruisseaux  du  cid  qu'ü 
va  iectant 
Mar.  544 :  Lesqudz  entrez  dedans  la 
maison  grande 
De  leur  seigneur 
Hab.  17  115  r:  Auxqudz  estants  au 
gran  Manoir  venus 
De  leur  Seigneur 
Mar.  594 :  Par  les  daulphins  les  boys 

sont  habitez 
Hab.  18;6v:  Forests  . . . 

Par  les  courbez  Daulphins  sont 
habitees 
(Mar.  598 :  La  mer  soustieni  les  roux 
lyons  puissants 
Tigres  legersporte  Veaue  vndoyante 
De  rien  ne  sert  la  force  fouldroy- 

ante 
Äu  dur  sanglier 
Hab.  ISllv:  Les  roux  lyons  outra- 
geux  et  puissajis  . .  . 
Tygres  portez  sont  sur  VOnde  emi- 
nente 
Et  rien  ne  sert  la  force  fulminante 
Au  fier  sanglier 
Mar.  675 :  Desia  la  mer  prend  bordz 

et  riues  neufues 
Hab.  19  29v:  Desia  la  Mer  prent  ses 
bors  et  riuages 


—     87     — 


Ooid 
32J13:  coUes  exire  uidentur 

32/19:  ita  Pyrrkam  affatu/r 
33126:  laedere  matemas .  . .  umhroB 


36 j8:  Füius  huic  Venerü  figat  tuus 
omnia,  Phoebe^  te  meus  arcuSy  ait 


3816:  Hei  mihi 


38124:  tergoque  fugacis 

Imminetet  crinem  aparsuin'cerui- 
cibua  afflat 


42112:  tu  non  inuenta,  reperta  es 


4319:  sedit  Ätklantiades 


Mar.   678:   Et   hors  de  Veaue  les 

montaignes  sortir 
Hab.   19,12  r:    Que   hora   des   eaux 

mainte  Montagne  sorte 
Mar.  689:  il  souspira 

Parlant  ainsi  ä  sa  femme  Pyrrha 
Hab.  191 14r:  il  souspire 

Puia    dict    ainsi  a  son  Espoitse 
Pyrrhe 
Mar.  759:  Et  d^offenser  craint  de 

sa  mere  Vame 
Hab.  21l2v:  L^ame  de  qui  eüe  craint 

d'offemser 
Mar.  911:  Lors  luy  respond  de  Ve- 
nus le  filz  eher 
Fiche  ton  Ära  ce  quHlpourra  flacher 
0  Dieu  PhebaSf  le  mien  te  fichera 
Hab.  23l8r:  Ainsi  respond  le  eher 
fils  de  Venus 
Fichey  0  Phebus^  tout  ce  que  tou- 

chera 
Ton    Are  puissant,    le   mien    fc 
fichera 
Mar.  1033:  0  moy  chetif^  o  moy  trop 

miserable 
Hab.  25j23r:  0  moy  chetifet  amant 

miserable 
Mar.  1070:  si  proehain  il  est 

De  ses  talona  que  ia  de  son  aleine 
Ses  beaulx  cheueulx  touts  espars 
il  aleine 
Hab.  2612  r:  Tant  pres  il  estoit  d'eOe 
Qu^ü  alainoit  desia  de  toutes  parts 
Ses  blonds  cheueux  dessus  le  col 
espars 
Mar.  1296:  Qu^en  te  trouuantiene 

fay  poinct  trou6e 
Hab.  3014  r:  Qu^en  te  trouuantj  ie 

ne  te  trouue  point 
Mar.  1351:  Mercure  adoncq  s'assit 

aupres  d^ Argus 
Hab.  3117 r:  Aupres  d^ Argus  Mercure 
s'est  assis 


—     88    — 


Ovid 


43122:  riH  quoque  cineta  Dianae 


45 ß:  lJng\daque  in  quinos  diUipsa 
äbmmiitur  ungiiCB 
De  boue  nü  superest  forma  niai 
eandor  in  illa 


45113:  Nunc  dea  linigera  colitwr  ce- 
leberrima  turba 


Mar.  1375:  et  cäncte 

A  la  foiQon  de  ceste  nohU  naincte 

Hob,  3213  v:  ceincte 

.    En  la  fagon  de  sa  maistresse  Saincte 

Mar.  1472:  Fut  diuisSe  en  cinq  on- 

gles  humains 

Brief,  rien  Wy  midela  vache  sur 

eUe 
Fors  seulement  la  blancheur  nor 
twreüe 

Hab,  3318  v:   Sont  diuisez  de  dnq 
angles  humaifis 
Breff  on  ne  voit  rien  de   Vache 

sur  eile 
Que  sa  blancheur  tant  pure  et  nor- 
tureüe 
Mar.  1481 :  Or  maintenant  en  Diesse 
honoree 
EUe  est  du  peuple  en  Egypte  adorie 
Hab.  33'jl7v:  Et  en  Egypte  a  present 
honorie 
Est  pour   Diesse    aux    Temples 
adorie 


c)  Gleiche  Yersanfftnge« 


{Mar.  757:  En  la  priant 
Hab.  20'29r:  En  la  priant 

.sedguidtentarenocebat(sic!)i^^l'  [^^^''.^^t?*'  '^"^^^ 
*  *      ^  \Hab.  21/21  v:  Mais  que  nuyra 

{Mar.  1003:  0  qtte  ie  craind  que 
Hab.  25,17  v:  0  gue  ie  croMS  qu'a 
Terre 
(Mar.  1383:  Du  mont  Lycie 
\Hab.  32jl0v:  Du  mont  Lycie 
Mar.  1522:  De  luy  donner  signes 

de  8on  vray  pere 
Hab.  .S4;23v:  De  luy  do^iner  certaine 
cogtioissance 


33! 24: . .  .pauido  rogat  ore 


3414:. 


37122: . . .  ne  prona  cadas 


43125 : . . .  colle  Lyceo 


45  30: . . .  ueri  sibi  Signa  parentis 


d)  Ihnllche  Tersanfänge. 


244:., 


.  rudis  et  sine  imagine  ^eiiii^/^T  ^^^'  ^^/^'  ^^^"^  '"''^^'^ 
\Hab.  10,9 r:  La  terre  ainsi  nagueres 


—    89    — 


Ovid 


26/17: 


.  scires 


IMar,   317:   Si   qu^ä  la  veoir  bien 
Veusaiez  deuitUe 
Hdb.  13l22v:  8%  qu'a  hien  voiir  . . . 
V0U8  Veu99%tz  öict 

e)  Gleiche  Reime. 

2115:  et  quod  tegit  omnia  coelum      Hab.  7jl4r:  qui  toutta  ckoBes 

Hent . . .  encloses 
Mar.  12:  les  semencea  . . .  enchsea 
toutes  choses 
21/9:  non  hene  iunctarum  discordia  Hab,  8jlv:  coniunction  dt  cho8€$  en 

vn  Corps 
discords 
Mar.  39:  guerre  et  discords 
en  vn  corpa 

IMar.  149:  creature 
nature 
Hab.  10115  V :  nature  (Umstellung) 
criature 
IMar.  177:  viure 
cuyure 
Hab.  10/21  r:  Ouiure  (ü.) 
viure 
IMar,  193:  alarrnea 
gensdarmes 
Hab.  Ilj9v:  Qendarmes  (ü.) 
alartnes 
!Mar.  225:  »ouuerain 
cerain 
Hab.  ll'lör:  souuerin 
Erein 
(Mar,  229:  annSe 


21/9:  $emina  rerum 

):  non  bene  iw 
semina  rerum 

21/19:  pugnabant 
23/24:  animal 


24/8:  aere 


24/16:  eine  müitis  ueu 


25/1:  pretioeioT  aere 


25/4:  annum 


27/27:  perhorruit 


27/30:  murmura  compresait 


28/22:  partim  torruit 


(Mar,  :i'^if:  an 
ordonnie 
Hab.  Iljl9r: 
ordonnAp 
(Mar.  39? 
addo 
Hab.  14ji 
nAnn 


annie 
ordonnie 
(Mar.  397:  estonnl 
addonni 

4j9r:  estonnSe 
adonnSe 

IMar,  403:  eilence 
exceüence 
Hab.  14/17  r:  exceüence  (U.) 
eilence 
!Mar,  447:  partie 
roatie 
Hab.  15/5  r:  partie 
roatie 


—     90     — 


Ovid 
28128:  nunc  quoque 

3019:  efiundite 

30131:  8ub  gurffite 

31111:  audita  est 

32115:  nudata 

33/12:  nne  ignibus 

33115:  precUms 

33129:  nwXcet 

34113:  aignis 

34/17:  mansit 

36/10:  Deo 


IMar,  457:  premier 
coustumier 
Hab.  15/25  r:  coustumier  (ü.) 
premier 
IMar,  551:  courses 
sources 
Hdb.  17/21  v:  source  (ü.) 
course 
IMar.  569:  submergUs 
desgorgUs 
Hab,  18/21  v:  submergies 
desgorgies 
IMar.  671:  entendre 
estendre 
Hab.  19/25  v:  entendre 
estendre 
(Mar.  681:  mouiUSes 
despouiüez 
Hab.  19/5  r:  moiüez 
despoiÜez 
IMar.  735:  estainctes 
attainctes 
Hab.  20/5  r:  estaincts 
'  attaincts 
IMar.  739:  Saisons 
oraisons 
Hab.  20/11  r:  saison 
oraison 
IMar.  765:  console 
parole 
Hab.  21j5r:  parole  (ü.) 
console 
IMar.  797:  ymages 
ouurages 
Hab.  21/7  r:  Image 
ouura^ge 
IMar.  805:  heure 
demeure 
Hab.  21/13r:  heure 
demeure 
IMar.  915:  lieu 
Dien 
Hab.  23/13  r:  lieu 
Dien 


—    91    — 


Ovid 
36/11 :  percu89i8  . .  .  pennis 

38113:  aucta  . .  .  forma 

38121:  eripitwr 


39/18:  Finierat 


39121:  Pindo 


40/22:  nebuku 


41/25:  tendere 


43/12:  pugnat 


44/26:  ripae 


44/31:  complexus 


Mar.  917:  voUen 

eahranUes 
Hab.  2315r:  voUe 

hransUe 
Mar.  1047:  augmenti^ 

tentet 
Hab.  26113  V :  tenUe  (U.) 

augmentSe 
Mar.  1061:  eschappe 

le  happe 
Hab.  26123  V :  le  happe  (ü.) 

eschappe 
Mar.  1119:  con$ent 

recent 

honneste 

teste 
Hab.  27'27v:  ricent  (U.) 

consent 

honeste 

teste 
Mar.  1127:  montaigne 

baigne 
Hab.  27  5r:  Montagne 

bagne 
\Mar.  1195:  nues 

venues 
Hab.  2S;i3r:  Nue 
^        venue 
Mar.  1259:  tendre 

tendre 
Hab.  29.25r:  tendre 

entendre 
fMar.  1357:  s^efforce 

force 
Hab.  31:9  r:  force  (U.) 
^        s'efforce 
'Mar.  1445:  arriue 

la  riue 
Hab.  13;llv:  arriue 

Riue 
'Mar.  1455:  embrasse 

grace 
Hab.  33  21  v:  grace  (U.^ 

Vembrace 


—    92    — 


Ovid 


dö/T:  contrahUur 


Mar.  1469:  deuiennent 

reuiennent 

maina 

humains 

eile 

natureüe 
Hab.  33j5r:  deuiennent 

reuiennent 

maina 

humaint 

eile 

natureüe 


f)  l]inlielie  Reime. 


2112:  coeptis  . . .  meis 


22119:  sorbentur 


23/16:  necquicquam 


24112:  descenderat 


24130:  cibia 


24125:  natos 


25 j7:  domoB 


(Mar.  4:  ceuure 
cceuure 
Hab.  7j6r:  osuure 
descueiuMre 
(Mar.  81:  se  hoytient 
regoipuent 
Hab.  8127  r:  boit 
regoit 
IMar.  133:  rien 
terrien 
Hab.  9l29r:  sienne 
terrienne 
IMar.  183:  fendu 
descendu 
Hab.  101 27  r:  descendus 
rendu8 
IMar.  201 :  pasture 
culture 
Hab.  11117  v:  mmrritwre 
agricuUure 
(Mar.  211:  alenies 
nies 
Hab.  11129  V :  omie 
nie 
/Mar.  237:  maiaons 
I        loisons 
\Hab.  11129  r:  Saison 
^        Maison 


—    93    — 


Ovid 
25117:  InMiaeque 

25118:  ventis 

25/20:  ignotis 

25125:  reeondiderat 

25/29:  Sanguineaque  manu 

26/3:  patrio8  . .  .in  anno8 

26/4:  Astraea 

26,9:  Olympum 

26/23:  Uta  .  . .  manifesta 

26/26:  regakmque 

26/26:  dextra  laevaque 


(Mar,  257:  Vioknce 
opuUnce 
Hab.  12i21v:  Inaolence 
violence 
IMar.  259:  souuent 
vent 
Hab.  12/29  v:  parauant 
vent 
IMar.  264:  comuea 
incognue8 
Hab.  12/25  v:  deuenus 
incognus 
IMar.  273:  vainet 
veines 
Hah.  12/7  r:  mondaines 
veines 
IMar.  281:  sanguinolente 
vioknte 
Hab.  12;13r:  insolente  (U.) 
sanguinolente 
(Mar.  291 :  prospere 
son  pere 
Hab.  12j23r:  vitupere 
son  Pere 
IMar.  293:  oultree 
Astrie 
Hab.  12  29r:  Astrie  (ü.) 
pinitrSe 
IMar.  304 :  facteur 
haulteur 
Hab.  13i9v:  Recteur 
haulteur 
(Mar.  329:  Celeste 
manifeste 
Hab.  133 r:  manifeste 
manifeste 
(Mar.  335:  royaXe 
solle 
Hab.  1317  r:  loyaüe 
Boyalle 
(Mar.  337:  estre 
senestre 
Hab.  13illr:  estre 
dexstre 


—    94    — 


Ovid 


27J15:  ense 


27123:  confremuere 


2915:  meruere 


29J24:  Aeoliis 


29126:  alü 


29129:  fronte  sedent  nehulae 


HOjlS:  defraeimto  cursu 


31122:  uir 


31124:  stagnare 


32ill:  coercuit 


32114 :  decrescefUibus 


IMar,  373:  haste 
gaste 
Hab.  14117  r:  haster 
gaster 
IMar.  389:  murmurent 
euretit 
Hab,  14jOr:  Mwrmure 
murmure 
!Mar.  475:  meritie 
arrestie 
Hab.  16;i0v:  miritS 
inquiti 
IMar.  513:  Eole 
vole 
Hab.  16!17r:  parole  (ü.) 
Eok 
!Mar.  517:  d'iceUes 
ailes 
Hab.  16121  r:  Esles 
eUes 
IMar.  523:  ßent 
distillent 
Hab.  16j25r:  cotdloieht 
distiüaient 
/Mar.  559:  espanduz 
J        estenduz 
\Hab.  17,1  r:  espanduz 
^        rendtiz 

IMar.  633:  vivant 
ensuyuant 
Hab.  18j21r:  viuathte 
seruante 
!Mar.  637:  continue 
deuenue 
Hab.  18  23r:  cognu 
deuenu 
IMar.  674:  comer 
retoumer 
Hab.  19  27v:  sonner 
retoumer 
IMar.  679:  paroissent 
descroissent 
Hab.  19,2 r:  croist 
decroist 


-    95     — 


thid 


S2I24:  turba 


H2126:  certa 


S6I15:  quod  facti 


S7j25:  moderantiuB 


S8I16:  üt  canis 


H9I16:  Caput  est 


39:20:  nemu8 


41115:  quietetn 


45129:  sororum 


'Mar,  699:  nwnde 

profonde 
Hab.  19j23r:  Monde 
^        Onde 
Mar.  702:  durie 

asseurie 
Hab.  19l25r:  Seur 
^       seur 
Mar.  925:  coincte 

poincU 
Hab.  231 23  r:  iaincte 

poincte 
Mar.  1009:  lentement 

doulcement 
Hab.  25l25v:  viatement  (U.) 
^        lentement 
Mar.  1053:  agüe 

habüe 
Hab.  26115V :  habile  (ü.) 

fertüe 
Mar.  1115:  dori 
I        decori 

Hab.  27j23v:  honorie 
'        dicorSe 
Mar.  1123:  forest 

est 
Hab.  27jlr:  apparoist  (ü.) 
^       forest 
Mar.  1239:  sommeiUant 

veillant 
Hab.  29j7r:  sommeiUoient 

veUloient 
(Mar.  1521:  sasurs 

seurs 

peine 

Clymene 

propose 

imposi 
Hab.  34,21  v:  doulceurs 

Seurs . . . 

Clymene  (U.) 

humaine 

impos^  (ü.) 

exposi 


—     96     — 


Ovid 


Mar.  1531:  voix 

voys 
tcfnptfc 

pere 
mets 

4614:  qui  no8  auditque 
uidetque 

jamai8 
Hab.  3413  r:  vait 

pouruoit 
vitup^rt 
pere 
desormais 

iamais 

g)  Gleiche  ümsehreibaiigeii« 


2114:  ad  mea  . . .  tempwa 

21111:  cornva 
21/17:  Ituis  egens  aer 
2215:  ignea  . .  ,ui8 
22/21:  Uttora 
22/23:  fremde 
22/27:  toHdem  plagae 

22/31:  Imminet  his  aer 

23/5:  his  quoque 

23/9:  Nahatheaqiie  regna  . 
daque 

23/15:  liquidum 
28/17:  limitihua  certis 
23/19:  aidera 


(Mar.  10:  iusque  au  tempa  de  mon 
estre 
Hab.   7/llr:    Iusque»  au  cowrs  de 
tnon  estre  et  naissance 
(Mar.  25:  la  lune 
yHab.  8/5  v:  la  Lune 
(Mar.  36:  L'aer  san»  clarti 
\Hah.  8/15  v:  VEr  sans  dairti 
(Mar.  53:  le  fexi 
\Hab.  8/3  r:  le  feu 
(Mar.  84 :  ports 
\Hab.  8l30r:  les  Forts 
(Mar.  86:  rameaux  et  fueiUes 
xHab.  9/4  V :  fueiUes  et  verds  Bameaux 
(Mar.  96:  cinq  regions 
XHab.  9/14v:  cinq  Rigions 

{Mar.  103:   Sur   tout   cela  Vaer  ü 
voulut  renger 
Hab.  9/22  v:  rangea  VEr 
(Mar.  113:  A  iceulx  vents 
\Häb.  9i3r:  Mais  a  ces  vents 
Fersi'  fMar.  123:  Nabathe  et  Ferse 
\Hab.  9!l6r:  Nabathe  et  Ferse 
(Mar.  132:  ciel 
XHab.  9/28r:  Cid 
(Mar.  136:  en  lieux  seurs 
\Hab.  10/2  v:  en  lieux  seurs 
(Mar.  138:  les  pianettes 
XHab.  10/4  v:  les  Flanetes 


97     — 


Ovid 
2S30:  8aiu8  lapeto 

249:  ligahantur 

2416:  gaUae 

2418:  intacta 

2419:  saucia  tiomeribus 

24  22:  camaque 
24124:  arbore  Jouis 

25  20:  carinae 
25:22:  humum 
25' 28:  utrogue 

2617:  scires 

26,18:  ut,  .  .uidit 
27,22:  struxerit  insidias 


(Mar.  159:  Prometheus 

\Hab,  10127  v:  PromHhie 

fMar.  178:  u  grauoyent 

\Hah.  10(21  r:  on  grauoit 

(Mar.  192:  Varmet 

\Hab.  1117 v:  VArmet 

(Mar.  197:  non  .  .  .  ferue 

XHab.  11(4  v:  non  ferue 

(Mar.  198:  du  soc  de  la  charrue 

XHab.  11114  v:  du  Soc 

(Mar.  205:  pareülement 

KHab.  Ili21v:  pareiüement 

(Mar.  208:  chesne 

\Hab.  11124V :  Chemes 

(Mar.  262:  et  mainte  nef 

\Hah.  12127  v:  Et  mainte  Nef 

(Mar.  265:  la  terre 

XHab.  12;29v:  la  Terre 

(Mar.  279:  par  ces  deux  metaulx 

XHab.  121 13  r:  par  ces  deux  Metaux 

(Mar.   317:  Si  qu'ä  la  veoir,   bien 

Veussiez  deuir^e 
Hab.  13122  v:  8i  gu'a  bien  veoir 

Vous  Veussiez  dict 
(Mar.  319:  Cecy  voyant 
yHab.  13/20  v:  Ce  que  voyant 
iMar.  386:  A  conspiri  encontre  moy 
XHab.  14jlr:  et  conspire  contre  moy 

h)  Ihnliche  Umsohreibiiiigren« 

(Mar.  23:  Aulcun  soleü  .  .  .  n'csiar- 

gissoit 
^Hab.  813  v:  du  blond  Soleil  la  spkn- 
[        deur  n^espandoit 

{Mar.  62:  s^en  alla  sa  demourance 
querre 
Hab.  818  r:  aUa  chercher  la  Demeure 
(Mar.  126:  Pres  de  VOccident 
\Hab.  9.20 r:  en  Occident 
(Mar.  152:  print  naissance 
XHab.  10;i9v:  print  natiuitS 
Mar.  158:  Du  ciel  qui  print  sa  fac- 

ture  auec  eile 
Hab.  10;26v:  Auec  lequel  naissance 
eile  auoit  pris 
Mttnchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.    XXX.         7 


21 10:  nullus   adhuc  mundo 
bebat  lumina  Titan 


prae- 


22  9:  circwnfiuus  humor  ultima  pos 

sedit 

23.12:  proxima  sunt  zephyro    ■ 

23  26:  natus  .  . .  est 


23! 29:  cognati . . .  coeli 


—     96     — 


Ovid 


Mar.  1531 :  voix 

voy8 

tempere 

pere 

meta 

4614:  qui  nos  anditque 

jamais 

uidetque 

Hab.  34l3r:  vait 

pouruoit 

vitupire 

pere 

desormais 

iamai8 

g)  Gleiche  Umsohrelbangen« 


21/4:  ad  mea  .  . .  tempora 

21111:  comua 
21J17:  Zttow  egens  aer 
2215 :  ignea  . . .  uis 
22121:  Uttora 
22123:  fronde 
22127:  totidem  plagae 

22131:  Imminet  hi8  aer 

2315:  his  quoque 

23  1 9:  Nahatheaqxie  regna  . 
daque 

23/15:  liquidum 
23/17:  limitibua  certis 
23/19:  sidera 


(Mar.  10:  iusque  au  temp8  de  man 
estre 
Hdb.   7/llr:   luaquei  au  eown  de 
mon  estre  et  naissance 
(Mar.  25:  la  lune 
\Hab.  8/5  v:  la  Lune 
{Mar.  36:  L'aer  san»  cUurU 
\Hab.  8/15  v:  VEr  sans  dairt^ 
(Mar.  53:  le  feu 
XHah.  8/3  r:  le  feu 
(Mar.  84 :  ports 
\Hab.  8/30  r:  les  Porta 
(Mar.  86:  rameaux  et  fuexüea 
XHah.  9/4  V :  fueiUea  et  verde  Bameaux 
(Mar.  96:  cinq  regiona 
\Hab.  9/14v:  cinq  Bigiona 

{Mar.  103:   Sur   tout   cekt  Vatr  ü 
voulut  renger 
Hab.  9i22v:  rangea  VEr 
(Mar.  113:  A  iceulx  venta 
\Hab.  9j3r:  Maia  a  cea  venta 
Perai-  fMar.  123:  Nabathe  et  Perae 
\Hab.  9/16  r:  Nabathe  et  Perae 
(Mar.  132:  ciel 
\Hab.  9/28r:  Ciel 
(Mar.  136:  en  lieux  aeura 
XHab.  10/2  v:  en  lieux  aeura 
fMar.  138:  ka  planettea 
XHab.  10/4  v:  lea  Planetea 


97     — 


Omd 
28  30:  9atu8  lapeto 

24  9:  ligahantur 

2416:  gdUae 

J^418:  intacta 

24,19:  saucia  wymenbus 

24,22:  camaque 

24124:  arbore  Jaui8 

23  20:  catinae 

2522:  humum 

25(28:  utroque 

26!  17:  scires 

26118:  ut,,.uidit 

27 '22:  Btruxerit  insidiaa 


(Mar.  159:  Prometheus 

XRab.  10127  v:  Promithie 

fMar.  178:  se  grauoyent 

\Hah.  10121  r:  on  grauoit 

(Mar,  192:  Varmet 

\Hab,  1117  v:  TArmet 

(Mar.  197:  non  .  .  .  ferue 

XHab,  1114  v:  non  ferue 

(Mar.  198:  du  soc  de  la  charrue 

XHah.  11114  V :  du  8oc 

(Mar.  205:  pareiUement 

ySab.  Ili21v:  pareiUement 

(Mar.  208:  chesne 

\Hab.  Ili24v:  Chemes 

(Mar.  262:  et  mainte  nef 

XHah.  12127  v:  Et  mainte  Nef 

(Mar.  265:  la  terre 

XRab.  12  29v:  la  Terre 

(Mar.  279:  par  ces  deux  metaulx 

\ffab.  121 13  r:  par  ces  deux  Metaux 

(Mar.   317:  8i   qu'ä  la  veoir^   bien 

Veussiez  deuinee 
Hab.  13/22  v:  Si  gu^a  bien  veoir 

Vous  Veussiez  dict 
(Mar.  319:  Cecy  voyant 
XHab.  13/25  v:  Ce  que  voyant 
iMar.  386:  A  conspiri  encontre  moy 
XHab.  14jlr:  et  conspire  contre  moy 


h)  Ihnllclie  Umsohreibongeii. 

iMar.  23:  Atdcun  soleü  ,  .  .  n^eslar» 
gissoit 
Hab.  8,3 v:  du  blond  Soleü  la  splen- 
deur  n^espandoit 

22,9:circumfluu8humorulHmapos^i^^^'  ^^'  ^'^^  «^'^  ^  demourance 
sedit  {        9««^« 

{Hab.  88r:  aüa  chercher  la  Demewre 
iMar.  126:  Pres  de  VOccident 
XHah.  9  20r:  en  Occident 
(Mar.  152:  print  naissance 
XHab.  l();19v:  ptint  natiuitS 

iMar.  158:  Du  ciel  qui  print  sa  fac- 
iure  auec  eile 
Hab.  10:26v:  Auec  lequd  naissance 
eile  auoit  pris 
KOnchener  Beiträge  z.  romaniachen  u.  engl.  Philologie.    XXX.         7 


23,12:  proxima  sunt  zephyro 
23  26:  natus  .  . .  est 


23;29:  cognati .  . .  coeli 


—    98    — 


Ovid 


24J22:  duris  rubetis 


23125:  quaaque  recandiderat 

Stygiiaque  admouerat . . .  opes 


27114:  depo9cunt 


85127:  Umpora 


36121:  innuptaeque  aemula  Fhoebeß 


S7jl:  dedit  hoc  paier  ante  Dianae 


S719:  Sic  deus  in  flammas  abiit,  sie 
pectore  toto  vritur 

4119:  sociae  generisque  torique 


41jl2:  fuit  anxia  fwrti 


4^116:  studiis 


23/15:  haec  super 


Mar.  206:  huisson»  phin^  d^sspmeu' 

ses  poinctes 
Hab.  11(22  V :  aux  poigmani^  buissmks 
Mar.  273:  les  richesses  vaines 
Qu^eUe  cachait  en  ses  profondes 
veines 
Hab.  12/7  r:  les  Richesses  mondaines 
Et  les  tnetaux  cachez  dedans  ses 
veines 
Mar.  391 :  Vont  suppliant  qu^en  leurs 

mains  veuiäe  mettre 
Hab.  1415  r:  en  requerrant  que  . . . 
entre  leurs  mams  smit  düi/uri 
et  mis 
JMar.  887:  Sa  blonde  iesU 
\Hab.  2319  V:  son  beau  chef 
Mar.   938:  En  imitant  la  pwxUe 

Diane 
Hab.  24j7v:  Et  la  faqan  de  Diane 

ensui%wit 
Mar.  959:  Juppiter  immortel 

Feit  bien  iadis  ä  Diane  vn  don  tel 
Hab.  24)1  r:  Juppiter  Dieu  de  puis- 
sance  immorteüe 
A  Diana  permeit  bien  chose  teüe 
iMar.  977:  Far  tout  son  cueur  se 
\  brusle  et  se  destruit 
\Hab.  241 19 r:  Ton  cueur  brusle  et 
\        tormente 

(Mar.  1229:  Sa  femme  et  sceur 
XHoh.  29:23  r  Son  Espouse  et  sa  Seur 
Mar.  1233:  craignit  gr andement 
Que  Juppiter  luy  prinst  furtiue- 
ment 
Hab.  29130  v:  die  estoit  en  grande 
crainte  et  doubtance 
(^  ceste  vache  ä  ses  yeux  pre- 

sentie 
Furüuentent  luy  fust  prise  et  ostee 
(Mar.  1373:  e7i  venerie 
\Hab.  3212  v:  a  la  Chasse 

i)  Gleiche  Ulnzufagrangen. 

fMar.  131:  sur  tout  cela 
\Hab.  9j27r:  Sur  tout  cela 


99     — 


Otnd 
23;29:  retinehat 

27 j8:  anguipedum 

32120:  0  saroTj  ö  caniux 
35117:  mille  grauem  Ulis 
3öi28:  Feneia 

36127:  nepote$ 

87(13:  09cula 

37115:  brachiaque 

37  122:  ne  prona  cadas 

40 j4:  Inachus 

4(},8:  Viderat . . .  Juppiter 

41116:  caetera  aervdbant 

42.3:  saiior  Inachus 

42113  :reHce8 

42117:  spesqiie  fuit  . . .  aecimda  ne- 
potum 

42i27:  natwnqtte 

42131:  patria  . .  .  a6  arce 

43}  26:  videt 


(Mar.  157:  retint  en  soy 
\Hab.  10'24v:  sentoit  en  soy 
Mar,  357:  Qeanta  qui  (mtserpen^ 

tins  piedz 
Hab.  14j2v:  OSants  .  .  .  aiiecpiedz 

Serpentins 
iMar.  691:  0  chere  espouse 
XHab.  19:15  r:  0  chere  Seur 
iMar.  873:  souhz  tant  de  traitz  tirez 
\Hab.  22;19r:  De  mille  Dards  tirez 
(Mar,  890:  au  fleuue  Penie 
XHab.  23'llv:  fleuue  Pinie 
Mar.  950:  enfants  et  beaulx  nep- 

ueuz 

Hab.  24;22 v : Maints  beaux  enfants 
Mar.  985:  Sa  bauche . .  .petite 
Hab.  24,27 r:  Sa   bouche  ronde  et 

petite 
(Mar.  988:  bras  polys 
XHab.  24i30r:  Ses  bras  bien  polys 

{Mar.  1003:  0  que  ie  craind  que 
Hab.  26;17v:  0  que  ie  crains  qu'a 
Terre 
(Mar.  1153:  Le  fleuue  Inache 
\Hah.  28, Iv:  le  fleuue  Inache 
(Mar.  1163 :  Or  .  . .  Juppiter 
\Hab.  2811V :  Or  .  .  .  Juppiter 
(Mar.  1240:  touts  les  aultres 
\Hab.  29 Hr:  Les  autres  tous 
(Mar.  1277:  leben  vieiUard  Inachus 
iHab.    3013c:     Le    bon    vieillard 
[        Inache 

fMar.  129H:  Las!  tu  te  taie 
\Hab.  30 8r:  Las?  Tu  ne  peux 

Mar.  1306:  le  second^  de  veoir  en- 
fants de  toy 

Hab.  30  20r:  de  voir  tes  enfans 
(Mar.  1328:  filz  .  .  .  Mercure 
XHab.  3ll3v:  fils  . .  .  Mercure 
(Mar.  1335:  Du  hault  Manoir 
\Hab.  3119v:  du  hault  Palais 
(Mar.  1382:  mi  iour  .  .  .  voit 
\Hab.  32  9v:  vn  iour 


—     100 


Ovid 
43128:  restabat  plura  referre 

44121:  Protinm  exarsit 
44126:  Nile 


Mar.  1387:  mainte  auUre  aduenture 
Bestait  encor  ä  dire  par  Mer- 
cure 
Hab.    32117  V :   De   ce   heaucoup   a 

Mercure  ü  restoit 
(Mar.  1435:  Soubdain  Juno  en  ire 
\Rab.  3313 v:  Juno  soubdain 
(Mar.  1443:  0  fleuue  Nu 
XHab.  33110V :  Le  fleuue  Nil 


k)  Ihnliehe  Hinsnfilcningreii. 


2111:  animuB 
2311:  iffne 

2318:  quin  lanient  mundum 

23115:  imposuit 

23124:  sanctius  his  animal 
24116:  fossae 
24129:  mella 


35:14:  te  quoque 
genuit 


3619:  animalia 


(Mar.  1:  ardent  desir 
XHab.  7jlr:  constant  vouloir 
Mar.  106:  plu8   que  le  feu   tant 

subtil  et  luysant 
Hab.  9l26v:  Que  le  feu  clair,  re- 

luisant  et  subtil 
Mar.  119:  qu'ilz  ne  rompent  et  ruent 
Lemondeiuspar  bouffements 
austeres 
Hab.  9'jllr:  que  par  leur  cours 
royde  et  impetueux 
Ne  soit  rompu  ce  Monde 
Mar.  132:  le  grand  ouurier  meit 
Hab.  9j27r:  le  grand  Dieu  tres- 

puissant  meit 
Mar.  149:  la  trop  plus  saincte  et 

noble  creature 
Hab.  10 15  V :  Vanimal  de  plus  noble 

nature 
fMar.  189:  fossez  et  murs 
\Hab.  11:3 v:  Fossez  et  Murailles 

(Mar.  219:  miel  dont  lors  chas- 
cun  goustoit 
Hab.  ll;7r:  Miel  que  chascun  re- 

cueilloit 
Mar.  863:  dont  se  repent  fen- 
Python   tum]        gendra  lors 

Hab.  2210r:  Teprocrea  ...se  rl- 
pentit 

{Mar.  915:  bestes  en  tout  Heu 
Hab.  23;  13 r : animatix ...en  maint 
Heu 


—     101     — 


Omd 
86117:  Dens 

87 ßS:  siderihua 

4019:  6  uirgo  Jotte  digna 


40(20:   tenuitque  fugam,  rapuitque 
pudorem 


40130:  praesenserat 


4511 :  poenas 


(Mar.  928:  Dieu  d'aymer 
\Hab.  23l27r:  Dieu  d'Amoura 
(Mar,  984:  estaiOes  des  cieulx 
\Hab.  24l26r:  Ästres  au  Ciel 
Mar.  1166:  o  vierge 

De  Juppiter  tres  digne  d^estre 
aymie 
Hab.  28116  V :  o  beUe  vierge 

Qui  de  ramonr  de  Juppiter  es 
digne 
Mar,  1187:  Betint  la  fuyte  ä  lo, 
ieune  d'aage 
Et  par  ardeur  rauit  son  pu- 
ceüage 
Hab,  28jl6v:  En  retenani  par  vio- 
lente  suitte  la  belle  lo  et  par 
amour .  .*. 
Bauit  la  fleur  de  sa  pudiciti 
Mar,  1207:  Mais  Juppiter  prer 

uoyait 
Hab,    28127 r:    Mais    Juppiter 
'        sentant 
Mar.  1457:  d*Yo  ,  .  .  la  grande 

peine 
Hab.  33j23v:  d'Io  .  .  .  la  peine  ri- 
goureuse 


1)  Übereinstimmende  Fehler  nnd  Ungenauigrkeiten. 


21J17:  nnüi  sua  forma  manebat 


24113:  littora 

24(21:  arbuteos  foetus 

26/2:  lurida 


44(4:  dumque  suspirat 


{Mar.  37:  Bien  n^auoit  forme 
Hab.  8jl6v:  nul  EUment  n'auoit  sa 
propre  forme  ^) 
(Mar.  188:  le  lieu  (zu  allgemein) 
XHab.  lljlv:  du  lieu 
(Mar.  203:  pommiers 
\Hab.  11:19 v:  Pommiers^) 
(Mar.  290:  venins  froidz  et  horribles 
XHab.  12(22  r:  noir  et  horrible^) 

{Mar.  1401:  quand  dedans  anhela 
Hab.   32jlr:    et   quand   encor   son 
allaine  respire^) 


»)  8.  S.  74  f. 


Ov.  4812:  Et  Clymene  ueros,  ait, 
edidit  ortus 


102     — 

^Mar.  368:  Ei  Clymene  a  produict 

Vray  naturel  et  legitime  fruict 

Hab.  3619  r:  De  ClymhU,  pärquoy 

pour  vray  estime 

Que  d^elle  et  moy  es  enfant'ligi- 

time  (einen  Bastard  könne  man 

nicht    als    ligitime   bezeichnen, 

bemerkt  Aneaa  zu  dieser  Stelle). 

Nachdem  wir  so  Habert's  Vorarbeiten  und  Quellen  und 

seine   Übersetzerarbeit   selbst   betrachtet    haben ,    ist    es    uns 

möglich,  ein  Urteil  über  sein  Werk  abzugeben. 

Doch  hören  wir  zuvor  Habert  selber  und  die  Ansichten 
der  Literarhistoriker,  welche  sich  schon  mit  Habert's  Meta- 
morphosenübersetzung beschäftigt  haben.  Der  Dichter  selbst 
äußert  sich  folgendermaßen: 

tAu  translateur 
Fratice  nc  doibt  moins  de  gr(  qu'a  rautheur^, 
femer 

tOest  CEiiure  .  .  .  o  Sire 
Votre  nom  rendre  wimortel  düstre», 
und  endlich: 

«Z)e  ma  Muse  loyalk 
Vhumble  labeur  qui  tant  se  publira 
Que  le  Croissant  au  Ckl  resplendira,»  ^) 
Dieses   überschwängliche  Selbstlob   würde   uns  abstoßen, 
wenn  wir  nicht  wüßten,  wie  hoch  die  Renaissancezeit  die  an- 
tiken Schriftsteller  und  Übersetzungen  aus  denselben  anschlug, 
und  wenn   wir  nicht  auch  bei  den   übrigen  Dichtem  dieser 
Periode  die  gleichhohe  Selbsteinschätzung  wahrnähmen.    Ein 
Zeitgenosse,  B.  Aneau,  den  wir  als  Herausgeber  von  Marofs 
Übersetzung    der  beiden   ersten   Bücher  der  Metamorphosen 
und   als  Übersetzer  des  3.   Buches   kennen  gelernt   haben*), 
rühmt  Habert  wegen    seiner   <^men'eUleu8e  ßlicite   et   faoilite   a 
townier  la  plus  graiide  partie*,^)     Auch   Ch.  Fontaine,,  der 
unseren   Dichter  gegen   einen  Angriff  du  Bellay's  in   Schutz 


')  Les  XV  liures  de  la  Metern.,  Epistre  au  Roy,  ohne  Seitenzahl. 
*)  s.  oben,  S.  47  ff. 

")  Preparation  de  la  voie  ä  la  lecture ...  de  la  Metam.  d*  Guide, 
Einleitung  zu  der  Ausgabe  1556. 


—     108     — 

Dttfam,  fuhrt  gerade  die  MBtamorphosenüb^nsetouag  Habert's 
all  sein  betonderefi  Vardi^nit  ao^^) 

Dagegen  gab  etwas  später  (1740)  Goujet  der  Meiauag 
Ausdruck^  es  sei  jene  Überaetzung  €(run  siiie  fort  maumiis  et 
peu  exaci  pmir  le  sevuf».^)  Ähnlich  drückt  sich  die  Bhgraphde 
ginhiüe  aus:  <Ceite  ver«wn  est  hin  de  reproduire  la  grdce  du 
kxte  original.^  Auch  Brunet  betont  die  Mangelhaftigkeit 
der  ÜbertragUDg :  <  Quoiqu^tUe  ne  soü  pcbs  bonne,  ebOe  versian  a 
eti  beatteoup  de  sucees  dans  sa  nouveaute,*^  Hennebert 
yermißt  an  ihr  besonders  Genauigkeit^  Elegaoz,  Feinheit  und 
Treue.*) 

Überblicken  wir  diese  ÄuBerungeu^  so  finden  wir,  daß 
Habert's  Arbeit  eine  sehr  verschiedenartige  Beurteilung  er- 
fahren hat.  Vom  Standpunkt  der  modernen  Zeit  aus  erscheint 
die  Übersetzung  zwar  klar,  aber  breit  und  oft  schwerfällig. 
Peletier's  Rat,  lauge  Umschreibungen  zu  yermeiden  und 
neue  Wörter ,  wenn  auch  mit  Vorsicht,  einzuführen '^) i  ist 
nicht  beachtet.  Vergebens  suchen  wir  den  Beichtum  an  Tönen 
und  Farben,  dem  wir  auf  Schritt  und  Tritt  in  Ovid's  Meta- 
morphose begegnen;  wir  vermissen  den  zarteu  Duft,  den 
liebenswürdigen  Scherz,  den  wir  am  Original  bewundern ;  mit 
einem  Wort,  es  fehlt  die  Poesie. 

Und  doch  erlebte  die  Übersetzung  mehrere  Auflagen.  Nicht 
mit  Unrecht !  Denn  trotz  aller  Mängel  besitzt  sie  einen  nicht 
geringen  Wert.  Die  früheren  Versuche  waren  weniger  Über- 
setzungen gewesen  als  Paraphrasen  mit  willkürlich  hinzu- 
gefügten allegorischen  oder  moralischen  Erklärungen.  Ja, 
man  hatte  sich  sogar  nicht  gescheut,  wie  wir  das  bei  der 
Prosaübertragung  vom  Jahre  1532  gesehen  haben,  Fabeln 
einzufügen,   welche  Ovid  gar  nicht  geschrieben  hatte.    Dann 


1)  8.  oben,  S.  35. 

•)  Bibl  fr.  VI,  24. 

»)  Manuel  IV,  28&. 

*)  Traductians,  S.  96:  •Sa  Version  ne  briüe  ni  par  Vexactitude^  in 
par  üigance,  Dans  son  nUtre  sautülant  de  dix  syUabes,  le  aeul  en 
vogtie  avant  la  pleiade,  ü  a  atissi  peu  de  nohlesae  et  moins  de  fidilitS  que 
Marot* 

»)  L*Art  Poetigue,  S.  32. 


—     104    — 

waren  einzelne  Bruchstücke  aus  dem  Werke  des  Dichters  ron 
Sohno  übersetzt  worden,  aber  all  das  waren  nur  unvollständige 
Versuche  und  schüchterne  Ansätze. 

Habert  erkannte,  daß  diese  Übersetzungen  in  künstle- 
rischer Beziehung  nicht  genügten ;  als  guter  Kenner  des  Lateins 
und  der  griechisch-römischen  Mythologie  durfte  er  ho£fen, 
etwas  Besseres  zu  leisten.  Grestattete  er  sich  im  einzelnen 
auch  manche  Freiheiten,  so  verfahr  er  doch  seiner  Vorlage 
gegenüber  nie  leichtfertig.  Den  Schmuck  der  lateinischen 
Bede,  ihre  Farben  und  Schattierungen  gab  er  nur  in  dem 
Falle  preis,  wo  er  nicht  imstande  war,  sie  wiederzugeben.  In- 
dem er  den  ganzen  Ballast  früherer  Erklärungen  beiseite 
ließ,  gab  er  den  reinen  und  voüsUmdigen  Text  in  gebundener  Bede 
wieder, 

V7ir  haben  gesehen,  wie  viele  Schwierigkeiten  überwunden, 
wie  viele  Versuche  gemacht  werden  mußten,  ehe  eine  halb- 
wegs brauchbare,  treue  Metamorphosenübersetzung  entstehen 
konnte.  Habert's  Arbeit  ist  eine  für  seine  Zeit  anerkennens- 
werte Leistung,  wenn  sie  auch  den  Anforderungen  der  Nach- 
welt nicht  mehr  genügt  Auch  vor  Schlegel  und  Tieck  mußte 
es  erst  einen  Wieland  geben! 


Anhang. 


Bibliographisch-kritische  Übersicht  der  Schriften 
Habert's. 

1540:  Les  Visions  du  Banni  de  lyesse.  Paris,  Amoul 
VAngdier^  1540.  8^.^) 

1541:  La  teunesse  du  Banny  de  lyesse,  escoüier,  es- 
iudiani  ä  Tholose  .  .  .  Paris,  Denys  Janot,  1541.  8®.    Äuee  priuilege. 

Dieses  Werk  wird  eingeleitet  durch  ein  in  Distichen  ab- 
gefaßtes lateinisches  Gedicht,  in  welchem  Habert  etwa  folgen- 
den Gedanken  Aosdmck  verleiht :  Viele  Dichter  in  lateinischer 
und  französischer  Sprache  haben  ihren  Namen  auf  ihre  Werke 
gesetzt  und  sich  unsterblichen  Ruhm  erworben ;  ich  will  nicht 
den  gleichen  Weg  einschlagen,  um  bekannt  zu  werden,  sondern 
unter  einem  Pseudonym  schreiben.  Die  Vorrede  an  die  Leser 
beginnt  mit  den  Worten:*) 

tPiiisqus  fortune  incessamment  me  hlesse 
Nomine  ie  suis  le  Banny  de  lyesse.i^ 

Endlich  sagt  er  in  der  einleitenden  Epistel  an  den  m<fistre 
Jehan  GuiUoteau:^  „Empfangt  also,  edler  Freund,  das  kleine 
Werk  des  Freudelosen  und  zeigt  es  Euren  guten  Freunden, 
Wenn  es  wert  ist  gedruckt  zu  werden,  möchte  ich  es  Euch 
anvertrauen." 


1)  Du  Verdier,  Biblioihique  (1585)  S.  422;  Niceron,  Mim. 
(1736)  XXXIU,  184;  Lacroix-Du  Verdier  (Aasg.  Juvigny  1772) 
lU,  659;  Brnnet,  Man.  du  libr.  III.  2. 

*)  Jeun.  du  B.  d,  X.,  S.  5/recto. 

»)  Ibd.,  S.  3/r. 


—     106     — 

Habert  hält  es  also  für  nötig,  in  diesem  Werk  seinen 
Dichternamen  anzugeben  und  die  Wahl  desselben  zu  be- 
gründen. Er  nennt  sich  einen  „Neuling  in  der  Poesie"  (no- 
uum  poetam)  und  fragt  seinen  Freund,  ob  er  seine  Gedichte 
für  wert  erachte,  gedruckt  zu  werden.  —  Das  Werk  enthält 
außer  verschiedenen  kleineren  Gedichten  die  Visions  fantas- 
tiques,  Pyramus  et  Thisbe  und  Narcisstis, 

1541:  La  suytte  du  Banny  de  Lyesse,  Paris,  Denys 
Janot,  1541.  8^.     Auec  priuüege  (vom  12.  April  1Ö40). 

Diese,  sowie  die  Torausgehende  Gedichtsammlung  ver- 
öffentlichte der  schon  genannte  maistre  Jehan  Ouilioteau;  sie 
enthält  zugleich  (p.  4  rectoff):  Le  Jug&tnent  dss  troys  Dcesses 
Juno,  PdUas  et  Venus  und  cLe  second  liire  des  Visions  fantastiques», 

[1541]:  Le  Combat  de  Cupido  et  de  la  Mort  nomielle- 
ntent  cofnpose  par  le  Banny  de  Hesse,  Prancoys  habert  . . .  Paris, 
Alain  Lotrian,  s,  a,  8^, 

In  dieser  Schrift,  welche  den  3.  Teil  der  Visions  faniastiques 
.bildet,  nennt  H.  zum  erstenmal  seinen  wirklichen  Namen  auf 
dem  Titel.  Auf  der  Eückseite  des  Titelblattes  steht  ein  Pri- 
vileg, datiert  voni  4.  Januar  1541.  Am  Schlüsse  des  Oofnbai 
findet  sich  die  Bemerkung:  Fin  du  troisienu  Uure  des  visions 
faniastiques  du  Banny  de  Liesse.  Diese  Bemerkung  setzt  die 
Existenz  von  zwei  Büchern  der  Visions  faniastiques  voraus, 
von  denen  sich  das  eine  in  La  ieunesse  du  Banny  de  Lyesse, 
das  andere  in  La  suytte  du  B.  d.  L.  befindet.  Näheres  weiter 
unten,  S.  108. 

1542:  Le  Philosophe  parfaiet.  Paris,  pour  Ponce  Roffety 
1542,  8^,     Druck-  und  Verkaufserlaubnis  vom  2.  Juli  1541. 

Habert's  Namen  enthält  die  einleitende  Epistel  an  Franz 
von  Bourbon,  Herzog  von  Touteviüe^  Graf  von  Sainct  PaiuL 

[1542]:  Le  iardin  de  forlicite  auec  La  louenge  et  haut- 
tesse  du  ISexe  Feminin  en  Byrne  francoyse,  diuisee  par  chapitres. 
Extra  icie  de  Henrieus  Cornelius  Agrippa,  par  le  Banny  de  Liesse. 
Paris f  Pierre  Vidoue,  s.  a.  8^.  —  Privileg  vom  27.  Nov.  1541. 

[1542]:  Le  Temple  de  Vertu,  Paris,  Ponce  Hoffet,  s.  a. 
8^.     Privileg  vom  28.  Juni  1542. 

Erschien  anonym;  doch  verweisen  Widmung  (an  Mme. 
Andrienne  de  Touteville,  Gräfin  von  Sainct  Paul,  s.  o.  S.  15), 


—     107     — 

Sprache  und  Inhalt  auf  Habert,  ebenso  die  Tatsache,  d^ß  der 
Tugendtempel  nur  einem  geöffnet  wird,  nämlich  dem  tphüo- 
sophe  parfaicU. 

1542:  Le premier  Hure  des  visions  d'Oger  le  Dan- 
noys  au  ro^ulme  de  Fairie,  Paris,  Ponce  Roffei,  1542»  kl.  8^,  — 
PriTileg  Tom  2.  Juli  lö42. 

Daß  diese  Schrift  bereits  lö40  erschienen  sein  sollte 
(vgl.  Th^ret,  1.  c,  S.  37 f.),  dafür  fehlt  bis  jetzt  jeder  Be- 
weis. Ebenfalls  anonym;  doch  spricht  ein  Dixain  a  Madafne 
la  Duchesse  de  Touteviüe,  Contesse  de  Saind  Paul,  für  Habert's 
Autorschaft;  hier  sagt  er: 

VCEunre  present  du  CheuaUer  exquü 

Dict  le  Dannoys  ä  tes  yeulx  se  presenie. 

Cest  luy  qui  a  par  sa  prouesse  acquis 

Loz  imnicnielj  si  de  ce  n^es  contente, 

Du  Phüosophe  est  la  lecon  presente, 

Ou  tu  pourras  prendre  quelque  plaisir.^) 
Dieser  Philosoph  ist  der  dem  Gemahl  der  Herzogin  yon 
Touteville  gewidmete  Phüosophe  parfaict.^)     Das  Werk  ist  in 
Habert's  Sprache  geschrieben  und  enthält  Habert'sche  Ge- 
danken. 

1542:  Le  Hure  des  Visions  fantastiques.  Paris, 
Ponce  Büffet,  1542.  kl,  8^,  —  Privileg  vom  3.  August  1542. 

Ist  auch  diese  Schrift  anonym  erschienen,  so  deuten  doch 
verschiedene  Anzeichen  auf  die  Urheberschaft  Habert's  hin : 
In  der  Ausstattung  stimmt  sie  mit  dem  Phil.  parf.  uud  Oger 
k  D.  überein,  und  ist  wie  diese  aus  der  Druckerei  von  Poyice 
Roffei  hervorgegangen.  Der  Verfasser  ist  ein  eifriger  Verehrer 
Marot's;  er  ist  wie  Habert  in  großer  und  anhaltender  Geld- 
verlegenheit; er  richtet  Epigramme  an  zahlreiche  Persönlich- 
keiten, denen  wir  bei  Habert  begegnen,  so  an  den  Grafen 
von  Sainct  Patä,  an  den  Euesque  et  Conte  de  Noyon  und  nament- 
lich an  Mme  Gilberte  Gutrin,  daine  de  Viüebouche.  Überhaupt 
deckt  sich  die  in  diesen  Gedichten  sich  äußernde  Geistes- 
und Geschmacksrichtung  ganz  und  gar  mit  der  Habert'S. 
Wie  oben  (S.  106)   bereits  bemerkt   wurde,   waren  1541 

*)  Le  Premier  Hure  des  vis.  d'Oger  le  D.  2,1t. 
«)  Siehe  oben,  S.  106. 


—     108    — 

zwei  Bücher  der  Visiom  fantasUques  von  Habert  veröfifentlicht 
worden.  Es  weist  nun  dieses  Buch,  das  aus  Vmons  und  MSpi- 
grammes  besteht,  am  Schlüsse  des  ersten  Teiles  die  Bemerkung 
auf:  Condiman  du  troysiesme  Mure  des  visions  fantastiques  au 
sens  alkgoric.  Merkwürdigerweise  steht  auch  am  Ende  des 
Combat  de  Cupidon  (s.  oben,  S.  106)  eine  fast  gleichlautende 
Bemerkung. 

1542:  Le  Livre  des  Visions  fantastiques  du  Banny 
de  lyesse,  natif  du  Yssouldun  en  Berry  ou  sont  contenues  les  amours 
infortumes  etc,  Paris,  Amoul  et  Charles  les  Angeiiers  frdres^ 
1542.  Id.  8^. 

Diese  Schrift  befindet  sich  in  der  Stadtbibliothek  von 
Versailles,  deren  Konservator  in  zuvorkommender  Weise  auf 
meine  Anfrage  mir  die  Mitteilung  machte,  daß  sie  mit  den 
von  Roffet  1542  gedruckten  Visions  nur  den  Titel  gemeinsam 
habe;  sie  enthalte  nicht§  von  einer  Reise  noch  von  einem 
Schiffbruche,  von  denen  das  bei  Roffet  erschienene  Werk  er- 
zählt. 

[1542]:  Le  Songe  de  PantagrueL  Auec  la  Deploration 
de  feu  messire  Anthoine  du  Bourg,  cheualier,  chanceliier  de  FVance, 
Paris,  Adam  Saulnier,  s,  a.  kl.  8^.     Privileg  vom  9.  Sept.  1642. 

Habert's  Name  findet  sich  in  der  Widmungsepistel  an 
Francoys^)  du  Bourg,  euesque  de  Rieulx.  Aus  dem  Umstände, 
daß  Du  Bourg  1538  gestorben  war,  schließt  Goujet*),  daß 
die  Deploration  eines  der  Jugendgedichte  Habert's  gewesen  sein 
müsse.    Jedenfalls  wurde  es  erst  1542  veröffentlicht. 

1542:  Le  Diffirent  du  corps  et  de  Vesprit.  Auecles 
cantiques  extraits  de  VOraison  Dominieale,  vne  Eglogue  et  F Epi- 
taphe de  v6nt6.     Imprim6  ä  Paris  par  Ouillaume  le  Bret,  1542.  8^.^) 

1542:  La  maniere  de  trouuer  la  pierre  PhilO" 
sophale  autrement  que  les  anciens  Philosophes.  Auee  le  Credo 
de  VEglise  Catholique,  Ensemble  cinq  Ballades  Euangeliques.  Impr. 
ä  Paris  par  Denis  Janot,  1542.     8^.^) 

^)  Nicht  Antaine,  wie  T  her  et,  1.  c,  p.  126,  N.  9,  angibt. 
»)  Bibl.  frgse.  XllI,  31. 
»)  Lacroix  (edit.  Juv.)  lU,  656. 

*)  Niceron,  M6m.  XXXTTl,  187,  der  sich  auf  Du  Verdier, 
Bd.  ni,  656  (6d.  Juvigny)  beruft. 


—     109     — 

1542:  La  Controuerse  de  Venus  et  de  Pallas, 
appeliant  du  Royal  Berger  Paris;  Juge  dekgui  par  Jupiter  au 
mögen  de  PadjudicoHon  de  la  Potnme  d^Or  ä  Venus,  par  laquslle 
est  entendu  le  conflii  du  vice  et  de  la  vertu.  Paris,  Denis  Janot, 
1542.     16^.^) 

1543:  Le  voyage  de  V komme  riche,  faict.  et  compose 
en  forme  et  moniere  de  Diahgue  par  maistre  Francois  Habert  dict 
le  Banny  de  Hesse.     Troges,  Nicole  Paris,  1543,     8\ 

Th6rety  1.  c,  p.  125,  Nr.  5,  zitiert  diese  Schrift  mit 
einem  etwiis  anderen  Titel  und  unter  dem  Jahre  1641,  Da 
sonst  kein  Literarhistoriker  diese  Schrift  erwähnt  und  Th^ret 
in  bibliofpraphischen  Dingen  sehr  ungenau  ist,  bedarf  seine 
Angabe  weiteren  Beweises. 

1545:  Deploration  poetique  de  feu  M,  Äntoine  du 
Prat  en  son  viuant  Chanceliier  et  Legat  de  France.  Auec  Vex- 
positon  morale  de  la  Fable  des  trois  Deesses  Venus,  Juno  et 
Pallas.  Par  Fran^oys  Habert  d'Issouldun  en  Berry.  Lyon,  Jean 
de  Taumes,  1545.     8^. 

Brunet  erwähnt  eine  andere  Ausgabe:  Lyon,  Jean  de 
Toumes,  1647.«) 

Der  Kanzler  Du  Prat  war  schon  1535,  also  10  Jahre 
Tor  dieser  Totenklage,  gestorben;  deshalb  sieht  Goujet^) 
hierin  ein  Werk  aus  der  frühesten  Lebenszeit  des  Dichters. 
Habert  selber  berichtet  nur*),  daß  er  seine  Deploration, 
,,neulich",  als  er  in  Amiens  krank  darniederlag,  dem  Sohne 
Du  Prat's  übersandt  habe,  und  sie  nun  in  verbesserter  Form 
veröffentliche.   War  es  vielleicht  anläßlich  des  10.  Todestages? 

Brunet  meint,  daß  auch  die  in  dieser  Schrift  enthaltene 
Fabel  von  den  drei  Göttinnen  früher  entstanden  und  schon 
in  der  Suytte  du  Banny  de  L,  gedruckt  worden  sei.  Er  ver- 
wechselt indes  die  Exposition  mmale  de  la  fable  des  trois  Deesses 
mit  Le  iugement  des  troys  Dresses  luno,  Pallas  et  Venus,  ent- 
halten in  der  Suytte  du  Banny  de  L.  1541,  S.  4  rectoff. 

>)  Ibd.  XXXIII,  186. 
•)  Suppl  I,  685. 
.•)  Bibl  fr.  XIII,  31. 
*)  Deploration,  A,  recto. 


—     110    — 

1545:  La  nouvelle  Pallas,  presentee  d  Motiseigneur  le 
Daulphin,  par  Frangoys  Haberi  natif  (fissouldun  en  Berry.  Iteni, 
La  naissance  de  Monseigneur  le  Duc  de  Bretaigne  Filz  dudid 
Seigneur,  Auec  vn  petii  cruure  Bucolique.  Au8»i  le  caniiqtie  du 
Peckeur  conuerii  d  Dieu.  Lyon,  Jean  de  TourtieSf  1546,  8^, 
Andere  Ausgabe:  Lyon,  Jean  de  Tournes,  1647.     8*.*) 

La  nouveüe  Pallas  ist  nicht  dasselbe  wie  die  in  der  De- 
ploration  1546  enthaltene  Exposition  inorale  de  la  fable  des  trois 
d^esses,  wie  Nic6ron  {M6m.  XXXIII,  188)  meint;  denn  in 
der  Ejcp.  umfaßt  das  Gedicht  Pallas  nur  drei  Seiten,  während 
es  als  Sonderdruck  66  Seiten  einnimmt. 

1545:  La  nouvelle  Juno,  presentee  d  ma  Dame  la  Daul- 
phine  par  Fran^'oys  Habert,  natif  d^Issatädun  en  Berry,  Auec 
VEsirene  donnee  d  ladieie  Dame  le  premier  iour  de  VAn.  Aussi 
l^  Estrene  au  petii  Duc,  Filz  de  monseigneur  le  Daulphin.  Lyon, 
Jean  de  Tournes,  1545.  8^,  Eine  andere  Ausgabe  wird  von 
Brunet^  zitiert:  Lyon,  lean  de  Tournes,  1547,  8^  Brunet 
fügt  bei,  es  sei  dies  eine  ^Nouvelle  edition,  retme  et  augmen- 
tee  d^une  partie  de  Vouvrage  oi-^lessus  intituUe :  Les  trois  nouveües 
dee^ses.Ti> 

1546:  Les  trois  nouvelles  deesses,  Pallas,  Juno, 
Venus,  (anonyme)  y   de  Vimprimerie  de  Jeanne  de  Marne f,   Paris, 

1546.  i^^«) 

1547:  La  nouvelle  Venus,  par  laquelle  est  entendue  pu- 
dique  Amour,  presentee  d  Madatne  la  Daulphine,  Jointe  vne  epistre 
d  Monseigneur  le  Daulphin,  Nouueliement  oomposee  par  Fran^ois 
Robert,     Lyon,  Jean  de  Tournes,  1547.     8^. 

Da  iu  der  einleitenden  Epistel  Katbarina  v.  Medicis,  die 
Habert  hier  als  die  neue  Venus  feiert,  noch  als  Dauphine 
bezeichnet  wird,  sie  aber  am  31.  Mäxz  1547  Königin  wurde, 
so  muß  die  Drucklegung  dieser  Schrift  kurz  vor  diesem  Datum 
erfolgt  sein. 

1547 :  La  nouvelle  Juno,  la  nouvelle  Pallas,  la  nouvelle 
Venus  et  aiitres  compositions  poetiques.     Lyon,    Jean  de  Tournes, 

1547,  8^, 


^)  La  Croix   [Bibl  fr.  I,  224)  gibt  1548  als  Erscheinangarjahr  an. 
«)  Manuel  111,  3. 
»)  Ibd.,  III,  2. 


—   111   — 

In  welcher  Reihenfolge  diese  drei  Gedichte  rerfaßt  worden 
sind,   l&St  sich   schwer  sagen.     In  der  nouveUe    Venus  (d.  i. 
Katbarina  ▼.  Medici»)  klagt  diese  Göttin   (S.   31);   daß  sie 
noch  keinen  männlichen  Nachkommen  habe: 
«  Venus  auoit  vn  filz,  ie  n*en  ay  pointf 
l^ftiis  d^en  auoir  ie  nCen  vmj  sur  le  point.* 

Da  ihr  erster  Sohn  (Franz  II.)  am  19.  Januar  1644  ge- 
boren wurde,  wird  dieses  Gedicht  kurz  vor  diesem  Datum 
entworfen  worden  sein. 

La  nouveUe  Juno  wurde  Tor  dem  Frieden  von  Cr6py 
(18.  Sept.  1644)  handschriftlich  überreicht.  Denn  Habert 
ermahnt  in  diesem  Gedichte  (S.  43)  die  beiden  kriegführenden 
Herrscher,  Karl  V.  und  Franz  I.,  Frieden  zu  schließen: 

«  Vous  les  deua:  Bois  vnis  st  raüiez, 

Que  direz  vous  de  la  gusne  finie? 

II  est  besoing  que  dueü  vous  oubliez 

Quand  Vvn  sa  Fille  au  FUx  de  Vautre  aüie. 

France  en  aura  vns  ioye  infinie 

Hespaigne  en  a  perdu  dueil  et  esmoy.> 

In  chronologischer  Mitte  zwischen  der  „neuen  Venufr" 
und  „Juno^  steht  die  „neue  Pallae''.  In  der  „neuen  Venus^ 
hatte  Hal>ert  die  Geburt  eines  Prinzen  ala  unmittelbar  bevor- 
stehend bezeichnet  (s.  weiter  oben),  in  der  „neuen  Pallas^  be- 
singt er  die  am  19.  Januar  1544  erfolgte  Grebort  des  lang 
Ersehnten  und  in  der  „neuen  Juno^^  gratuliert  er  dem  jungen 
Sprößling  zu  Neujahr  in  einem  poetischen  Bstrenne. 

1548:  Les  quatre  livres  de  Caion  pour  la  doctrine  des 
meur»  (sie!),  haduitz  de  vers  Laiins  en  rühme  Fran^se:  aueaf 
les  Epigrammes  moralisez,  et  autres  phtsieurs  petitx  atuvres,  Le 
tont  par  Pran^ois  Habert  Poete,  Auecq^  Priuilege  du  Roy,  Pari^, 
Estienne  Grotäleau,  1548,  16^ ^)  —  Andere  Ausgaben:  Thimn, 
par  Jan  VEspieier  (sie!),  1550^)  16^.  —  Lj/on,  Clmtde  Marchant, 
1552.^)    16^,  —  Paris,   Ph.  Danfrie  et  A  Breton,  1559.^  8^.  — 


»)  Nicht   1Ö62;    wie   Birch-Hirschfeld,   1.   c,   S.  156,   angibt. 
Theret,  1.  c,  S.  128,  fügt  kein  Datum  bei. 
«)  Brunet,  Suppl.  I,  685. 


—     112     — 

Unter  dem  Titel:  IjSS  qu.  L  de  C.  pour  la  dodrine  de  lajeunesse, 
par  F.  H.  Paris^  Nie,  Bonfons  (vers  1575)^\  8^\  desgleichen 
Paris,  L.  CaveücU,  1583,  8^.  —  Unter  dem  Titel:  Les  auHs 
doris  de  Caton  en  franQots.     Caen,  1579.  16^.^ 

In  der  Widmung,  welche  der  Ausgabe  1648  vorausgeht, 
redet  Habert  (S.  4)  den  Dauphin  folgeodermaßen  an: 

cA'^a  pas  longiemps  qu^a  ton  der  iugement 

Je  presentay  vn  liure  aeulement 

Eepresentant  de  Caton  la  doctrine 

Pour  ton  enfant  qui  ia  parle  et  chemine  .  .  . 
.  .  .  ensuyuant  ma  volunte  jyremiere 

Je  n^ay  voulu  exposer  en  lumiere 

Ce  liure  seid  que  je  te  vins  ofrir 

Mais  par  le  iemps 

J*ay  mis  ä  fin  les  Uwes  qui  sont  qu/xtre.> 
Ursprünglich  hatte  also  Habert  nur  das  1.  Buch  Cato's 
übersetzt  und  seinem  Gönner  übergeben.  Sämtliche  vier 
Bücher  lagen  erst  am  22.  Januar  1546  handschriftlich  vor. 
An  diesem  Tage  erhielt  nämlich  der  Buchdrucker  und  Buch- 
händler Estienne  Groulleau  die  Druckerlaubnis  für  sechs 
Jahre  nach  der  ersten  Drucklegung.') 

Die  Widmungsepistel  der  Ausgabe  1548  bezeichnet  auf 
S.  3  ff.  Heiurich  II.  noch  als  Dauphin  und  die  der  Über- 
setzung unmittelbar  folgende  Institution  puerile  spricht  noch 
von  dem  Großvater  des  petit  Duc  d.  i.  von  Franz  I.,  als  einem 
Lebenden.  Folglich  wurde  die  Übersetzung  dem  jungen 
Heinrich  II.  noch  vor  seinem  Regierungsantritt  (30.  März 
1547)  überreicht. 

Colletet*)  zitiert  noch :  « Vn  Liure  de  Fran^ois  HabeH 
d^Issoudun  imprime  premierement  ä  Paris  en  Leitres  Gothiques 
Van  1530  et  ä  Caen  l'an  1579  sous  ce  iure:  Les  mots  dorez  de 
Caton  en  Ff^an^ois.* 

Über  Habert's  Catoübersetzung  sagt  Goujet:*)  «J^ai  vü 


\)  Brunet,  Suppl  L  585. 

«)  Brunei,  Mafiuel  I,  1672. 

^)  Les  quatre  livr,  d.  C.  (1548)  S.  2:  Extraict  du  Friuilege. 

*)  Traitte,  S.  114. 

^)  Bibl  frgse  V,  7,  8. 


—     113    — 

pliis^iairs  Sditions  de  sa  traduction  des  Distiques  en  vers  fran^H, 
La  phts  aneienne  ne  porte  poini  de  date,  unais  eUe  est  stirement 
ik  1530.9 

Wir  bemerken  hierzu,  daB  die  zu  Caeti  1579  veröffent- 
lichte Ausgabe  sicherlich  Habert  zum  Verfasser  hat.^)  Sie 
ist  ein  Abdruck  seiner  Cato-Übersetzung  von  1648.  Mit  der 
von  CoUetet  und  Goujet  zitierten  Ausgabe  vom  Jahre  1530 
hat  sie  jedoch  nur  den  Titel  gemeinsam.  Allerdings  erschien 
1530  eine  UbersetzuDg  der  Disticha  Catonis,  aber  anonym 
und  mit  dem  Titel:  Le.s  motx  dorex  de  Chaton  en  francays  et 
cn  latin,  Auec  bons  et  tresuiiles  en^seignemens  .  .  .  Imprime  nou- 
uelkment  ä  Paris.  On  les  vend  au  Palays  en  la  Gallerie.  Auf 
der  zweiten  Seite  steht  die  Druckerlaubnis,  die  vom  9.  Februar 
1530  datiert  ist.  Wiederaufgelegt,  vermehrt  und  verbessert 
erschien  diese  Schrift  in  den  Jahren  1545,  1551,  1552. 

Den  Verfasser  dieser  Cato-Übersetzung  kennen  wir  nicht. 
Habert  ist  es  nicht;  denn  er  übertrug  die  Disticha  erst  Mitte 
der  vierziger  Jahre ;  außerdem  ist  seine  Übertragung  von  der 
seines  Vorgängers  vollständig  verschieden.  Der  ähnliche 
Titel  der  beiden  Schriften  verleitete  also  CoUetet  dazu,  sie 
ohne  weiteres  unserem  Habert  zuzuschreiben.  — 

[?]  Daß  H.  auch  Fabeln  verfaßt  hat,  geht  aus  einer  Notiz 
hervor,  die  sich  in  den  Annales  poiiiqnes  (1778 ff.)  findet.  Es 
heißt  dort:  «Vo?/.v  avons  trmive  chez  lui  un  Recueil  de  Fables  dont 
Vabbr  Goujet  ne  j)arle  poini :  et  c'est  peut-rtre  le  seid  de  ses  ou- 
n-ages  qui  meritoit  qn^on  en  parldt.  II  a  traite  plusieurs  stijeis, 
qtii  depuis  f&nt  vtv  ]mr  La  Fontaine  .  .  .  co^nme  ce  sont  les  plus 
aunennes  que  nous  ronnoissions  et  qii'eUes  ne  sord  pas  denuies  de 
latent,  nous  avons  an  qne  les  LeHetirs  seroient  curieux  comme  on 
iraiioit  re  genre^  avani  que  la  Fontaine  Veut  perfectionne,^  *)  Und 
daher  druckt  der  Verfasser  nur  drei  Fabeln  ab,   die  er  für 


»)  Brunei  I,  1672. 

•)  Ann.  poet  V,  11  ff.  —  Diese  Notiz  ist  dann  in  der  Folge  oft 
wieder  verwertet  worden,  so  z.  B.  von  Crapelet,  Les  poltes  frangais 
(1824)  III,  246 ;  von  P  e  r  e  m  6 ,  Recherches  (1847)  S.  350,  von  G  ri  1 1  on ,  Es- 
quisses  (1862)  III,  169;  von  Godefroy,  Hist  d.  la  Utt  fr.  (1878—79) 
1,612;  Marcou,  Morceaux  (1884)  S.  4f.;  von  Lintilhac,  Free,  hist. 
(1890)  S.  181  f.  u.  von  T höret,  Litt,  du  Betry  (1900)  S.  77 ff. 
Httncbener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.    XXX.  8 


—    114    — 

Erzeugnisse  H.'s  hält,  nämlich  die  Fable  du  Coq  et  du  Benard, 
die  Fable  nwrale  du  lion,  du  loup  et  de  Vasne,  und  Z>e  PAraignee, 
de  la  Gueppe  et  de  la  mouche.^) 

[?]  La  Marguarite  blanche. 

Dieses  Werk  ist  nirgends   erwähnt.    Daß   aber  H.   ein 
solches  Gedicht  verfaßt  hat,  läßt  sich  aus  einer  Stelle  in  den 
„Aussprüchen  der  sieben  Weisen"  (1549)  schließen.     Er  sagt 
dort  von  der  Schwester  Heinrich's  II.,  Margareta: 
€  Offert  luy  ay  la  Marguante  {sie!)  blmiehe 
Ou  sont  de  Dieu  plusieurs  propos  temis, 
Comme  üay  faid  la  nouvdle   Velins 
Inno  ausai  .  .  .>-) 

Der  Inhalt  des  Werkes  war  also  ein  religiöser ;  vielleicht 
wurde  es  nie  gedruckt. 

1549:  Les  Dicts  de  (sicf)  sept  sages  de  Grece,  Tra- 
duicts  de  Grec  en  vers  Latins,  par  le  Poete  Ausone  et  de  luy  en 
finie  Franc'oyse  par  Frampys  Hahert  d'Yssouldun  enBerrg:  iairuis 
autres  dicts  desdicts  Sages,  traduicis  d'Erasme,  auec  vne  eglogue  sur 
la  naissance  de  man  Seigneur  le  Dauphin  .  .  .  Paris,  Anthoine  le 
Clerc,  1549.  16^  (Druckerlaubnis  vom  24.  Febr.  1648).  —  Lyon, 
George  Poncet,  1549.^)  16^.  —  Lyon,  George  Poncet,  1554.  16^.^) 
—  unter  dem  Titel :  Les  IJicts  et  sentences  dorez  de^  tres  illustres 
sept  sages  de  Grece  traduicts  de  grec  en  vers  latins  par  le  poete 
Ausone  .  .  .  Lyoji,  Benoist  Riyaud,  1586,  12^, 

1549:  Le  Ternple  de  Chastetc,  Auec  jAusieurs  Epl- 
grammes  tant  de  Vitvuention  de  Vautheur  que  de  la  traduction  et 
imitation  de  Martial  .  .  .  Le  totä  par  Francoys  Habert  d'Yssoulduti 
en  Berry.     Paris,  MicJiel  Fexandat,  1549,  8^, 

1549:  Six  Liures  de  la  Metamorphose  d^Ouide^) 
tradnictz  selon  la  phrase  laiine  en  rime  francoise,  saroir  le  IJI, 
IUI,  V,    VI,  XII,  XIII ,     Le  tout  par  Frangoys  Habert  d*  Yssotüdun 


»)  Ann.  poit.  V,  13,  17,  21. 

*)  Dict8  de  sept  sages:  Eglogue  «ur  la  twissance  de  num  Seignetw 
le  Dauphin  (ohne  SeitenzähloDg). 
»)  Brunei,  Manuel  lU.  4. 
*)  Brunei,  Suppl  I,  586. 
'^)  Ibd.,  II.  114  f: 


—     116     -- 

en  Berry,   ei  par   lui  presente  äu  roy  Henry  dp.  Valens,   deuxiesme 
de  ce  nom,     Paris,  Michel  Fezandat,  1549.  kl.  8^. 

Habert  meint  wohl  diese  Ausgabe  in  der  Epistel  an 
König  Heinrich  II.,  welche  der  Gesamtausgabe  der  Metar 
morphosenübersetzung  von  1557  vorausgeht  (S.  2/r): 

*Des  long  temps 
Vostre  grandeur  Boyalle  .  .  . 

.  .  .  auoit  entre  atdre  ckose 
Veu  me4t  kibeurs  de  la  Metamorphose 
Ouidienne,  et  qu!a  ce  grand  rolume 
Impose  fin  n^auoit  encor  ma  plume, 
Mais  toiit  ainsi  (jue  le  temps  Va  souffert 
VoHs  en  auays  les  six  liures  offert.^ 
In    der  Widmungsepistel  der  Sermons   satinques  d^Horace 
(1551)  sagt  Habert: 

^Ces  iours  passez  Ouide  intennettani 
Que  pour  le  Roy  ma  main  ra  translcUani[^^ 
fPai  mis  mon  (ril  sur  les  sermons  d^Horaee.^ 
Aus  diesen  Worten  haben  Goujet^)  und  Birch- 
Hirschfeld*)  geschlossen,  daß  Habert  erst  seit  1551  an 
der  Metamorphosenübersetzung  gearbeitet  habe.  Die  Existenz 
des  oben  erwähnten  Buches  vom  Jahre  1549  beweist,  daß  er 
schon  einige  Jahre  vorher  angefangen  hatte,  sich  mit  Ovid 
zu  beschäftigen.  Ja,  es  muß  dies  wahrscheinlich  bereits 
1546,  jedenfalls  aber  vor  dem  30.  März  1547  —  dem 
Krönungstage  Heinrich's  II.  —  gewesen  sein.  Zu  diesem 
Schlüsse  berechtigen  uns  seine  vor  dem  24.  Februar  1548 
niedergeschriebenen  Worte,  welche  sich  in  den  Aussprüchen  der 
7  Weisen  (gedr.  1549;  Druckerlaubnis  vom  24.  Febr.  1548) 
befinden.  Es  heißt  daselbst  in  der  einleitenden  Epistre  au 
Roi^): 

€  Offrir  ie  rous  dcsire 
Mon  long  labeur  de  la  Metanu/iphose,  .  .  . 
.  .  .  cclUtyy  duquel  quelque  saison 


»)  Bibl  frcse.  VI,  26. 

•)  Gesch.  d.  frz,  Lit.  I,  156. 

')  IHcts  de  sept  s,  Aii/rf. 

8* 


—     116     — 

//  votis  pleut  voir  la  forme  commenr6ey 
Ains  qtie  vous  fust  la  couronne  laissee,» 
Die   sechs  Bücher  scheinen  in  Fontainebleau  überreicht 
oder  vorgelesen  worden  zu  sein,  wie  wir  dies  aus  einer  anderen 
Stelle  schließen  können  ^) : 

<tT)ans  fontainebleau 
Aujjres  du  Roy  s*enfla  mon  chalemeau, 
En  liiy  chantant  (Tnn  cneur  prompt  et  auido 
Voiuurt  tradukt  des  coips  nme%  d'Ouide.» 
Gedruckt  wurden  sie  1649  und   zwar  nach  dem  Trmple 
de  Cliasiete  (1549);  denn  in  letzterem  verspricht  H.,  dem  Herrn 
von  Quantilly   mit  jener  Übersetzung  ein  Greschenk   machen 
zu  wollen: 

tQuand  Vimprimeur  an  reut  la  produira,»-) 
Im    Quiutil  Iloratian   (1551)*)   wird  die  Übersetzung  be- 
sprochen.*) 

1549:  Les  troi's  livres  de  la  Chryaopre,  c^est-a-dire 
Vart  de  faire  Für  contenants  plusieurs  choses  jiaturellcs,  iraduictz 
de  Jean  Aurelle  Augurelj  poete  latin,  par  F.  Ilabert  de  Berry. 
Paris,  Benoist  Pravost  pour  Viuant  GnuÜJierotj  1549.  8^,  Privileg 
vom  28.  Sept.  1549. 

Ein  Abdruck  dieser  Übersetzung  findet  sich  in;  Ilertms, 
7)'ois  andens  traktex,  de  la  philosophir  naturelle  .  .  .  An  3.  Stelle 
steht:  La  Chrysopie  de  Jean  Aurelle  Augurel,  qui  enseigne  Vart 
de  faire  Vor  . .  .  Paris,  Charles  Hulpmu.  V)26,  2  tom.  en  1  vol.  8^,^) 
La  nouvellr  hiogntphie  imiverselk  (Paris  1855)  zitiert  unter 
Augurelli  Habert's  Werk  folgendermaßen:  Vart  de  faire 
Vor  a  fiti  iraduit  en  franrais  par  Frau^ois  Ifuhrrt,  Lyon,  1548,  16^, 
Hubert  ist  wohl  ein  Druckfehler  für  Habert;  das  Jahr 
1548  und  der  Erscheinungsort  Lyon  beruhen  vielleicht  auf 
einer  Verwechslung   mit  einer   anderen   von  Brunet  zitierten 


»)  Ep.  hei\  (1550)  S.  68  v. 

*)  Tempk  de  Chast:  A  Xicok  U  Jouure,  ohne  Seitenzahl. 

')  Siehe  La  R^vue  d'Hist.  litt,  de  la  Fr.  V.  64  ff. 

*)  Fontaine  sagt  daselbst:  »Francoys  Habert  a  bkn  tnontrf  quel 
bon  naturel  il  a  en  ses  poursuivies  translations  des  Metamorphose» 
d^Ovide.*     Siehe  Person,  La  deffence  etc.,  S.  211. 

6}  Brunet,  Markuel  III,  117. 


—     117     — 

AugurelluS'Ubersetzang :  At^rellus,  Facture  de  Vor,  trois  liures, 
Lyon,    Ginflaume  Rouille,   1541,   in-W^  (Andere  Ausg.  1648).*) 

1549:  Le  premier  Hure  des  Sermons  du  senteu' 
tieux  Poete  fforaee,  Traduict  de  latin  en  rime  FrariQoyse  par 
Fran^  Habeii  de  Berry.     Paris,  1549.  8\ 

Eine  andere  vermehrte  Ausgabe  dieses  Werkes  erschien 
unter  dem  Titel: 

Les  sermons  satiriqu^s  du  sententkux  Poete  Horace,  diuisex 
en  deux  liures,  inierpretez  en  rime  fran^oyse  par  Francoys  Haberi 
de  Berry.  Paris,  Michel  Fexandat  et  Robert  Grandjon,  1551.  8^, 
Inhalt:  1.  das  1.  Buch  der  Satiren,  wie  Ausg.  1649;  2.  das 
2.  Buch  der  Satiren;  3.  Epistehi:  Buch  I,  1,  2,  4,  5,  9,  20, 
29;  die  7.  Ode  des  I.  Buches  u.  anderes. 

Am  Ende  der  Ausgabe  steht  ein  Privileg  des  Königs 
vom  13.  April  1541  (offenbar  ein  Druckfehler  für  1561). 
Hier  wird  der  Dichter  bezeichnet  als :  <cnostre  eher  et  hien  ayme 
Francois  habert,  nostre  Porte  FVancois». 

Ein  späterer  Abdruck  dieser  Satiren  findet  sich  in: 

Les  OK  eres  de  Q.  Horace  Flacce,  mises  en  vers  fran^.  auec  le 
texte  latin,  partie  trad,,  partie  veüe  et  cmi^igee  de  nauveau  par  Luc 
de  la  Port£,  Paris,  Claude  Micard,  1584,  2  pari,  en  1  vol.,  pet. 
in'12''.')  — 

Im  Jahre  1550  gab  Habert  ein  Werk  seines  Freundes 
Jacques  Gassot  heraus  und  versah  es  mit  einer  einleitenden 
Epistel.')  Es  betitelt  sich:  cLe  Discours  du  Voyage  de  Venise 
a  Constantinople  .  .  .  par  maistre  Jaques  GassoL  Paris,  Antoim 
le  Clerc,  1550.  8^  (Druckerlaubnis  vom  22.  April  1550).  Neu 
aufgelegt  unter  verändertem  Titel:  Baurges,  Jean  Toubeau, 
1674.  8».*) 

1550:  Les  Epistres  heroides ,  tressalntaires  {sie!),  pour 
seruir  d^exemple  a  toute  am^  fidele,  Composces  par  F.  Habert 
d^Yssouldun  en  Berry,  auec  aucuns  Epigrammes,  Cantiques  spiri- 
tuelx,   et  Alphabet    moral  pour  Pinsfruction  d^u?i  ieune  Prince,  ou 

»)  Manuel  I,  556. 

»)  Brunet,  Manuel  III.  328. 

■)  IjC  Discours  du  Voyage  de  V.  ß,v. 

*)  Boyer,  Un  menage  litt.,  S.  43. 


—     118     — 

Princesse,  Item  la  Paraphrase  Laune  et  Fran^yse  sur  Voraison 
Dominieale,     Paris,  Michel  Fezandai,  1550.  8^. 

Es  ist  dies  der  erste,  aber  schon  vermehrte  und  ver- 
besserte Druck  der  Epistres  hero'ides,  die  Habert  bereits  1549 
der  Mme  Andrienne  Destouteville  handschriftlich  vorgelegt 
hatte.  1) 

Eine  andere  Ausgabe  (1551)  enthält  noch  eine  Inhalts- 
angabe und  das  Druckprivileg  vom  23.  Juli  1560.  Dann  er- 
schien eine  neue,  wieder  vermehrte  Auflage  mit  neuem  Titel : 
Les  Epistres  Heroldes  Pour  seruir  d^Exmnple  aux  Chrestiens,  re- 
tieties  et  ampUfUcs  depuis  la  premiere  impression,  Ei  depuis  pre- 
sentees  a  ma  Dame  la  Duchesse  d'Estouteuille,  CorUesse  de  S,  Paul, 
Par  Francoys  Habert  de  Ben-y,  Paris,  MicJid  Fezandat,  1559,  8^ 
(t^itiofi  fort  rare,  qui  differe  des  premieres»),^) 

Das  Buch  war  in  Frankreich  sehr  bald  vergriffen,  da 
viele  Exemplare  ins  Ausland  gingen.*)  Da  jedoch  Habert 
eine  Abschrift  davon  aufbewahrt  hatte,  so  ließ  er  diese  so 
viel  verlangten  Episteln  in  einer  vermehrten  Auflage  wieder 
abdrucken :  Leu  Epistres  Heroides  pour  servir  d'exemple  u.  s.  w. 
wie  in  Ausg.  1559.  Paris,  Michel  Fezandat,  1560.  kl.  8^.^) 

Die  Ausgaben  von  1559  und  1560  enthalten  folgende 
Gedichte  nicht,  welche  sich  in  den  beiden  ersten  Ausgaben 
von  1550  und  1551  befinden:  1.  Epistre  XIH  de  VAutheur  d 
monseigneur  de  sainct  Gelais;  2.  Cantiqties  Spiritudz;  8.  Epi- 
grammes;  4.  Alphabet  moral ;  5.  Paraphrase  LcUine  et  Francoyse 
sur  Voraison  Doininicale.  Dagegen  sind  die  beiden  Ausgaben 
von  1559  und  1560  um  fünf  Episteln  und  eine  Ehgie  de 
VAuteur  ä  Monseigneur  Jean  Delisle  vermehrt  worden. 

[IhhO]:  Description  poeiique  de  Vhistoire  du  beau 
Narcissus.     Lyon,  BalÜiaxar  Arnouüet,  1550.  8^. 

Dieses  anonym  erschienene  Werk  beginnt  mit  einer 
Widmung  an  eine  Dame:  A.  M.  L.  T.  D.  E.  C.  folgender- 
maßen :  Mad.  II  y  en  a  beaucoup  de  teh  qui  perissent  comme 
Narcisse,  pource  quUlz  se  voyent,  et  ne  sc  congnoissent  pas. 


')  Ep.  her.  (1550),  S.  2/r. 
*)  Brunet,  Suppl  I,  585. 

')  Ep.  Her.  (1560):    An   Madame  And^rietine   de    TouteviUe   (ohne 
Seitenzahl). 


—     119     — 

Das  auf  der  Pariser  Arsenalbibliothek  befindliche  Ex- 
emplar (B.  L.  8632)  trägt  auf  dem  Titel  die  baudschriftliche 
Bemerkung:  De  Jehan  Kax  Bourdel  (Brunet  liest:  De  Jehan 
Ruz  Dourdet  [ou  Bourdel]).  Auf  der  linken  Seite  steht  von 
einer  anderen  Hand  geschrieben :  cLe  pefii  marceau  est  certaine- 
nient  de  francoia  Habert  dit  le  Bannt  de  Liesse  doni  fai  plusieurs 
auires  ouvrages,>  Auch  Brunet  hält  unseren  Dichter  für  den 
Verfasser  dieser  Bearbeitung  der  Narcissussage.') 

Ich  kann  diese  Ansicht  nicht  teilen  ^) ;  denn  Habert  hätte 
dann  dreimal  die  gleiche  Sage  poetisch  behandelt:  in  der 
Jeunesse  du  Banny  de  Liesse  (1541)  S.  lOö/r — 112/v  hatte  er  la 
Fable  du  beau  Narzisse  bereits  erzählt,  darauf  hatte  er  sie 
in  den  Metamorphosen  (1549)  aus  Ovid  übersetzt.  (Übrigens 
sind  Stil  und  Gedankengang  jener  Narcissus- Bearbeitung  von 
dieseji  beiden  letztgenannten  Werken  verschiedeu.)  Endlich 
zitiert  das  Dictionnaire  des  anonymes  n^  7741  noch  folgendes 
Werk :  UHistoire  de  Naroissus  avec  Vargument  en  prose  par  C.  B. 
{Claude  Barthel),  Bemard,  Lyon  1551,  inrl2^.^  Sollte  hier 
vielleicht  eine  Verwechslung  mit  dem  bereits  genannten 
Bourdel  vorliegen? 

1551:  L^Histoire  de  Titus  et  Oisippus  et  autres 
j)etits  o'uures  de  Beroalde  Latin,  inter^n-eies  en  Rime  Fran^yse  par 
Francis  Habert.  Auec  VexaUation  de  traye  et  parfaiie  noblessey 
les  quaire  Ämours,  le  noureau  Cupido,  et  le  tresor  de  vie  de  Pin- 
rention  dudict  Habert»     Paris,  Michel  Fexandat,  155L  8^, 

1551:  L^institution  de  Liberalite  Chrestienne 
avec  la  Misere  et  Calamite  de  Ihomme  naissant  en  ce  monde  ])ar 
F.  Habert  de  Berry.  Paris,  Guillaume  Thyout  (Brunet*)  zitiert: 
Guillaume  Thiboust),  1551.  8^.  —  Druckerlaubuis  vom  19.  Juni 
1551. 

1555:  La  louange  et  vitupere  de  Pecufie.  Elegie 
marale  sur  deuz  vers  d^Horace,     Prine  ä  Dien  par  Manasses,  Boi 


^)  Manud  il,  622;  vgl.  auch  Graesse,  Trisor  II,.368. 

')  Picot,  Catalogue  1,  458  vertritt  die  gleiche  Meinung;  er  fügt 
noch  hinzu:  •UailleurSy  tous  les  ouvrages  quHl  (Habert)  pttblia  aprh 
1545  portent  son  nom  en  toittes  lettres».  Er  hält  den  genannten  Jehan 
Ruz  £oardel  für  den  Verfasser. 

»)  Manuel  Ul  5;  Suppl  I,  685. 


—     120     — 

de  Juda.  Cantique  sur  ravant-naissance  du  huitieme  enfant  du 
Rat  Henri  IL,  m  ä  Foniwnebkan  en  Van  1555,  nommt  Herniles, 
Thic  d'AnjoK.  Paris  (Drucker,  bzw.  Verleger  ist  nicht  an- 
gegeben), 1555,  8^.^) 

1556 :  L*excellence  de poesie,  oontemie en epistres,  dixains, 
huitains,  epitaphes,  auec  plusieurs  epigrammes,  le  tont  nouuellement 
comjjose  par  Pran^ois  Habel  {sie!),  Li/on,  Benoist  Bigaud  et  Jean 
Saugrain,  1556,  16^.-) 

1556:  Les  divins  oracles  de  Zoroastres  (.w/),  inter- 
pretex  en  rime  fran^aise  auec  vn  conimentmre  moral  sur  ledlt  Zo- 
roastres,  en  poesie  fran^aise  et  latine,  plus  la  comedie  du  monarque 
etc.     A  Paris,  Philippe  Danfri  (sie!)   et  Rieh,  Breton,  1556,  8^,'^) 

Andere  Ausgabe:  Les  Diuins  Oracks  de  Zoroastre,  ancien 
Phihsophe  Qrec,  Interpreter  en  Rivie  Francoise  par  Francis  Habert 
de  ßerry  .  .  ,  Paris,  Phil.  Danfrie  et  Rieh.  Breton,  1558,  8^. 

1556:  La  Harangue  de  la  Deesse  Astree,  sur  la  re- 
ception  de  noble  et  illustre  personne,  M.  Jean  Mosnier,  au  degrr 
de  Lieutenant  Ciuil  auec  dix  Sonnets  Ueroiqttes  de  {sie!)  la  per^ 
fection  des  Juges,  Ensemble  la  description  Poetique  de  Vtiüiie  et 
conseniation  des  Lettres,  de  VlmpHmerie  .  .  .  par  Fram^ois  Hahert 
de  Berry.     Paris,  Guill.  Thibout,  1556.  8^. 

1557:  Les  quinxe  Hur  es  de  la  Metamorphose 
d^Ovide  Interpreter  en  Rime  Fran^oisCy  seien  la  Phrase  latine. 
Par  FrnnQois  Habert  d^gssouldun  en  Berry,  et  par  luy  preseniez 
an  Roy  Henry  IL     A  Paris,  par  Jacques  Keruer,  1557.  8^. 

Brunet*)  erwähnt  eine  Ausgabe:  A  Paris,  chez  Ksiienne 
Groulleau,  1557,  8^. 

Diese  Übersetzung  ist  also  nicht  erst  1574  erschienen, 
wie  Hennebert*)  und  Birch-Hirschfeld  **)  angeben, 
sondern  bereits  1557. 

Spätere  Ausgaben  sind :  Paris,  Jeröme  de  Marnef  ei  Guil- 
laume  Carellat,  1573.  18^,  nouveUement  enriehis  de  figures  non  en" 


^)  Brunei,  Snppl.  I,  586;  vgl.  auch  weiter  unten:  La  preniiere 
Monarchie^  S.  43. 

•)  Manuel  III.  5. 

»)  Manuel  IV,  285. 

*)  Bist,  des  traductions,  S.  95. 

"*)  Gesch.  d.  frz%.  Litt.  I,  156. 


—     121     — 

core  par  cy-devani  itnprmiees  .  .  .,  ferner  Paris,  Jeröme  de  Mamefy 
1574,  1580,  1582,  1587.  16^.^)  . 

[1558]:  Discours  de  la  courU  Paris,  Phil.  Danfrie  ei 
Rieh.  Breton,  1558.  8^. 

Desbarreaux-Bei'Dard  sucht  zu  beweiseD,  daß  der 
Verfasser  dieser  anonym  erschienenen  Schrift  kein  anderer  als 
Habert  ist.  Sie  enthält  nämlich  auf  S.  49/r  ein  Sonett,  in 
welchem  die  Anfangsbuchstaben  jeder  Yerszeile  den  Namen 
Erangois  Habert  bilden.  Außerdem  ist  der  Discours  mit 
Habert's  Les  Diuins  Oracles  de  Zoroastre  (1558)  zusammenge- 
bunden.*) 

1558:  Le  Dieugard  de  la  rille  de  Paris ,  a  Monseigneur 
de  Guise,  Pair  et  grand  Ghainberlain  de  France  et  Lieutenant 
General  pour  le  Boy,  ä  son  retour  de  la  prise  de  Calais,  par 
Sonnets  heroiques.  Äutheur  Francs  Habert  de  Berry.  Auec  vne 
ehanson  en  Vhonneur  de  rnondict  Seigneur  de  Guise,  mise  en  mur 
sique  par  Frangois  le  Febures.     Paris,  Attaingnant,  MDL  VIII.  8^, 

Ein  Exemplar  dieser  bisher  von  keinem  Bibliographen 
Terzeichneten  Schrift  befindet  sich  in  Paris  auf  der  Biblioiheque 
Mazarine. 

1558:  La  premiere  Monarchie  Romaine  et  POrigine 
des  Boys  Bomains,  avee  la  hniange  des  sept  Ambassadeurs,  la  hu- 
ange  et  vitupere  de  Pecune^),  une  Eglogue  morale  sur  Horace,  la 
priere  du  Bd  Manasses;  le  tout  imprime  ensemble  d  Paris,  par 
Jean  CaveiUer  Van  1558  *)  (das  Format  ist  nicht  angegeben). 

Eine  andere  Ausgabe  wird  von  Lacroix-Du  Verdier*) 
zitiert  unter  dem  Titel:  La  premiere  Monarchie  et  origine  des 
Bois  Bomains,  la  puissance  Boyale  desquels  fut  reduite  en  deux 
Magistrats  ou  cmisuls.  Auec  la  puissance  des  sept  Ambassadeurs, 
assis  ä  la  table  du  grand  Boi  Ptolomee,  Lyon,  Jean  Saugrain, 
1559.  16^. 

1559:  Eglogue  Pastorale  sur   Vvnion  nuptiale  de 


»)  Nouv,  Biographie,  Bd.  XXIII. 

«)  Bua.  du  BibUoph.  (1870/71),   8.  368 if.;   Brunei,   Suppl  540; 
Picot,  Catahgue  I,  462. 
«)  Vgl.  oben,  8.  119. 
*)  La  Croix,  Bibl  fr.  I,  226. 
.  *)  Bibl.  fr.  m,  668. 


ireshault,  et  trespuissant  Seigneur  Philippes,  Boy 
d^Hespaigne,  et  de  tresexceUente,  ei  tresmertueuse  Prinoesse  ma- 
dame  Elisabeth  premiere  fUh  du  Roy  Henrt/  II,  Autheur  WanQois 
Habertf  de  Berry,  Pour  Jean  Moreau,  chex  Ja  veufue  Nicolas 
Büffet,  pres  le  coUege  de  Reims.     Paris,  1559.  Ä*. 

1559:  Les  Amours  Conjugales  de  tresvertueux, 
tresillnstre  et  tresmagnanime  Prinee  Emannel,  Duc 
de  Savoye,  Prinee  de  F^edmont  ei  de  treswenerahle  ei  treseocoeüente 
Princesse  ma  Dame  MargueHte  de  Valois,  Duchesse  de  Berry,  Seur 
unique  du  Boy  Eknry  IL  par  Somieis  Heröüqttes.  Auec  Ofueuns 
Epigrammes  moratix  en  Poesie  Fran^oise  et  Latine,  AtUhe^ir 
Franoois  Habert.     Paris,  Pierre  OauUier,  1559,^)  8\ 

1559:  La  reception  fadte  par  les  d^nUis  du  Rai  d'Espagne 
ei  de  la  Reine,  d  la  deUvranee  qui  leur  a  eie  faite  ä  Ronoevaux, 
par  le  Roi  de  Nauarre  ei  autres,      Vincent  Sertenas,  1559.^)  — 

Im  Jahre  1559  erschieo  eine  französische  Übertragung 
der  Sophonisbe  Trissinos  unter  dem  Titel:  Sophonisba  Tra- 
gedie  tresexceUente ,  .  .  Paris,  Ph,  Danfrie  et  R^  Breton,  1559,  8^.^) 
Anf  S.  2  dieser  Übersetzung  heißt  es,  sie  sei  von  St.'G«lais 
und  anderen  verfaßt  worden.  Blanchemain  behauptet  nun 
in  seiner  St.-G^lais-Ausgabe,  daß  auch  Habert  Mitverfasser 
dieses  Stückes  sei,  ohne  jedoch  einen  Beweis  hiefiir  zu  erbringen. 
Da  Habert  sonst  nie  aus  dem  Italienischen  übersetzt  hat  und 
zur  italienischen  Poesie  in  keiner  Beziehung  steht,  erscheint 
mir  Blanchemain's  Behauptung  recht  unwahrscheinlich.^) 

1559:  Les  Regretz  et  tristes  Lamentations  sur  le 
trespas  du  Treschrestien  Roy  Henri  IL,  compose  en  forme  de 
LHalogue,  par  Fran^^s  Habert  de  Berry,  Paris,  Jean  MoreaUy 
1559.  8^, 

1559:  Sonnet X  Heroiques  sur  le  Mariage  de  Monseigneur 
Charks  Diic  de  Lorraine,  et  de  niadanie  Claude  ij.  fUle  du  Roy 
Henry  II,  auec  une  Ode  sur  le  ddct  mariage.  Presentex  a  mon- 
dict  Seigneur  et  ma  Dame  son  espouse,  Par  Fra7icois  Habert  de 
Berry,     Paris,  Mariin  VHomme,  1559.  8^. 


1)  Brunei,  Suppl,  S.  586. 

«)  La  Croix,  Bibl  fr.  I,  223. 

3)  Brunei,  Suppl  805,  und  Man%iel  V,  953. 

*)  Böhm,  Beiträge  zur  Kenntnis  des  Einßutses  Seneeas  etc.,  S.  42  ff. 


—     123     — 

1560:  La  Deploration  sur  le  trepas  de  M,  le  Chan- 
edier  01% vier,  avec  nne  l^Ure  Laiine  et  Fran^oise  de  VEx- 
cellence  du  Senat  de  Paris,  imprime  ä  Pari»,  chez  MicJiel  Fexandat, 
Van  1560,^)    (Das  Format  ist  nicht  angegeben). 

1561:  Les  Metamorfoses  de  Cupido,  Fils  de  la  Deesse 
Gytheree:  qui  se  mua  en  diverses  formes,  contenues  en  la  page 
suyuante,  Le  dict  ceuure  dedii  au  Roy  treschresiien,  Francoys, 
dtuxiesme  de  ce  nom,  Autetir  FranQois  Habert,  de  Berry.  Paris, 
Jaques  Keruer,  1561.  8^. 

Das  Privileg  ist  vom  12.  Okt.  1560. 

«C«  poeme  .  ,  .  n^est  guere  qu^une  traduetion  des  Metamor- 
phoses  de  Nicole  Brizard,   impr,  d  Paris  en  1556,  8®.»  *) 

1561:  La  consolation  du  peuple  Gauloys,  griefue- 
ment  desole  pour  le  trespas  du  Roy  FrariQois  IL  Auec  les  Epv- 
taphes  dudict  Seigneur,  Auieur  Francs  Habert,  de  Berry,  Paris, 
Jean  Moreau,  1561.  8^,  (Druckerlaubnis  vom  27.  Dez,  1660.) 

In  dem  Widmungssonett  an  den  Prälaten  Mgr  Louys 
de  Bassey,  Abb6  de  Cisteaux  sagt  Habert,  daß  er 
noch  ein  größeres  Buch  zu  schreiben  beabsichtigt  habe. 


')  La  Croix,  Bibl  fr.  I,  21 
*)  £runet,  Manuel  III,  6. 


Lippert  &  Co.  (G.  Pätz'sche  Buchdr.  ,  Naumburg  a.  S. 


MÜNCHENER  BEITBÄGE 


ZÜB 


e0IUllISGlNinniEN6USraPE0L06IE. 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


H.  BREYMANN  und  J.  SCHICK. 


XXXI. 


DIE  ALTENGLISCHEN  DIALOGE  VON  SALOMON  UND 

SATURN. 


LEIPZIG. 

A.  DEICHERT'SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG  NACHF. 

(GEORG  BÖHME). 

1904. 


\ 


DIE  ALTENGLISCHEN  DIALOGE 


VON 


8AL0M0N  UND  SATURN. 


MIT  mSTOBISCHER  EINLEITUNG,  KOMMENTAR  UND  GLOSSAR 


HEBADSOEOEBEN  VON 


ARTHUR  RITTER  VON  VINCENTI 

DR.  PHIL. 


ERSTER  TEIL. 


LEIPZIG. 

A.  DEICHERT'SCHE  VERLAGSBÜCHHANDLUNG  NACHF. 

(GEORG  BÖHME). 

1904. 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


Herrn  Professor  Dr.  J.  Schick 


in  hoher  Verehrung  und  Dankbarkeit 


gewidmet. 


Vorwort. 


Die  vorliegende  Abhandlung  umfaßt  den  größeren  Teil 
der  Untersuchungen,  die  ich  im  vergaugenen  Jahre  der  üni- 
yersität  München  als  DiBsertation  vorgelegt  habe.  Die  noch 
ausstehende  Lautlehre,  ferner  der  unter  nochmaliger  Ver- 
gleichung  der  Handschriften  hergestellte  kritische  Text  mit 
beigefügtem  Kommentar  und  Glossar  wird  in  nicht  allzu 
weiter  Ferne  in  einem  zweiten  Teile  nachfolgen.  Damit  hoffe 
ich  einem  längst  empfundenen  Bedürfnisse  abgeholfen  und 
zugleich  auch  einen  Beitrag  zur  Aufhellung  des  ,, Wunder- 
lichen und  Dunkles"  im  altenglischen  „Salomo  und  Saturn" 
geliefert  zu  haben.  Ich  hoffe,  daß  die  in  mystisch-dunklem 
Zwielicht  stehenden  Figuren  von  Salomo  und  Saturn  durch 
vergleichende  Betrachtungen  in  etwas  helleres  Licht  gerückt 
sind;  ich  hoffe  den  Nachweis  erbracht  zu  haben,  daß  die 
altenglisohe  Überlieferung  in  drei  gesonderte,  unabhängige 
Stücke  zu  zerspalten  ist,  und  daß  das  Prosastück  von  einem 
Westsachsen,  die  zwei  poetischen  Stücke  von  auglischen 
Dichtem  herrühren.  Ich  hoffe  besonders  auch  der  Erkenntnis 
vorgearbeitet  zu  haben,  daß  das  zweite  dieser  anglischen 
Gedichte  mit  seinen  tiefsinnigen  Fragen  und  seinem  stim- 
mungsvollen Ton  sowohl  eine  Perle  altenglischer  Poesie,  wie 
auch  ein  merkwürdiges  Denkmal  altgernoanischer  Spekulation 
darstellt. 

Den  Bibliotheksverwaltungen  des  Corpus  Christi  College 
zu  Cambridge  und  des  Britischen  Museums  für  die  freund- 
liche Überlassung  der  Handschriften  meinen  aufrichtigen  Dank 
abzustatten,  ist  mir  eine  angenehme  Pflicht;  den  größten  Dank 
aber  für  die  wiederholte  und  tatkräftige  Unterstützung  bei 
Ausarbeitung  dieser  Abhandlung  schulde  ich  meinem  ver- 
ehrten Lehrer,  mit  dessen  Namen  sich  dieses  Buch  schmücken 
durfte. 

Arthur  von  Tincenti. 


Inhalt. 


Seite 

Vorwort VII 

Benutzte  Literatur IX. 

I.  Einleitang. 

Die  alifi^emeine  Geschichte  der  Sagen  von  Salomo 1 

Berichte  über  Salomo  aus  der  Bibel  und  dem  Talmud. 

Semitische  Fassungen  der  Sage 5 

Indogermanische  Fassungen 13 

Verhältnis  der  altenglischen  Sage  zu  diesen 23 

n.  Die  altenglische  Sage. 

A.  Überlieferung. 

1.  Ausgaben,   Textbesserungen  und  Besprechungen  der  alt- 
englischen Bearbeitungen  der  Sage 26 

2.  Beschreibung   der   Handschriften   und    ihr  Verhältnis  zu 
einander 44 

3.  Verzeichnis  der  handschriftlichen  Längezeichen     ....  49 

B.  Komposition. 

1.  Wesen  und  Erklärung  der  altenglischen  Fassungen  ...  52 

2.  Die  Persönlichkeiten  des  Salomo  und  Saturn 86 

3.  Über  die  Gottheit  Satum's  bei  den  Germanen 107 

4.  quellenfrage 122 


Benutzte  Literatur. 


Arndt,  Augustin:  Die  heilige  Schrift  des  Alten  und  Neuen 

Testamentes.  Regensburg.  10.  Aufl.  3  Bde.  1899—1900.  8^ 
Baring-Gould,   Sabine:   Gurions  Myths  of  the  Middle 

Ages.    London.  1884.     8®. 
Basset,  Kene:  Salomon  (Solaiman)  dans  les  legendes  mu- 

sulmanes,  in:   Kevue   des  traditions  populaires.     Paris. 

1888—1890.     80.     T.  IIl.  IV.  V. 
Bandet,  Louis:  Cosmographie  d'Ethicus.    Paris.  1843.   8®. 
BobertagyE. :  Salomon  u.  Markolf,  in :  Kürschner's  deutscher 

Nationalliteratnr.    Bd.  XI. 
Boguphal:  Chronicon  Poloniae  etc.,  in:  Monumenta  Poloniae 

historica,  ed.  Bielowsky  Bd.  II.    Lwow.  1872.    4^. 
Bornemann:  Das  Testament  des  Salomo,  in:  Illgen's  Zeit- 
schrift für  historische  Theologie.     Leipzig.  1844.    8®. 
Bosworth-Toller:  An  Anglo-Saxon  Dictionary.    Oxford. 

1882  etc.     40. 
Bouterwek,  K.  W. :  Caedmon's  des  Angelsachsen  biblische 

Dichtungen.    Gütersloh.  1854.     8^. 
Brandl,  AI.:  Mittelenglische  Literatur,  in:  Paulis  G-rundriß. 

n.  Bd.    VIII.  Abschnitt. 
Braune,  W.:  Gotische  Grammatik  ^    Halle.  1900.    8«. 
ten  Brink,  Bernhard:  Geschichte   der  englischen  Litte^ 

ratur.    Zweite  Aufl.,  herausgeg.  von  AI.  Brandl.     I.  Bd. 

Straßburg.  1899.     8«. 
:  Altenglische  Literatur,   in:   Paul's  Grundriß  II.  Bd 

VIII.  Abschnitt. 


—    X    - 

Brooke,   StopfordA.:  English  Literature  from  the  Be- 

gimimg  to  the  Norman  Conquest.     1899.    8^. 
:  The  History   of  Early  English  Literature  being  the 

History  of  English  Poetry  from  its  Beginnings  to  the 

Accession  of  King  Alfred.    London.  1892.    2  Vol.    8^ 
Brunet,  Gustave:  La  France   litteraire  au  XV«  siöcle. 

Paris.  1865.     8^ 
Bülbring,    Karl:    Altenglisches  Elementarbuch. '  I.  Teil : 

Lautlehre.    Heidelbeig.  1902.    B^. 
:   Sidrac   in  England,   in    der  Festgabe  für  Wendelin 

Förster.    Halle.  1902.    S^. 
Burdach,  Konrad:   Zum  Ursprung  der  Salomosage,  in: 

Herrig's  Archiv.    Bd.  CVIII.   Braunschweig.  1902.    8^ 
Ceriani,  Antonius  Maria:  Fragmenta  Parvae  Geoesis 

et  Assumptionis  Mosis,  in:  Monumenta  Sacra  et  profana 

ex  codicibus  Bibliothecae  Ambrosianae.    Tom  I.  u.  V. 

Mediolani.  1861  u.  1868.    4^ 
Cheyne,  T.  K.,  and  Black,  J.  S.:  Encyciopaedia  Biblica. 

London.     1899.     3  Bde.     4^ 
Ohild,  Francis  James:  The  English  and  Scottish  Populu: 

BaUads.    Boston  and  New  York.  [1882—1894].  6  Vol.  8«. 
Concordantiae   Sacrorum   Bibliorum    Vulgatae   Editionis 

emendatae  primum  a  Francisco  Luca,  nunc  studio  Huberti 

Phalesii.    Venetiis.  1719.    4<>. 
Concordantiarum  universae   scripturae  sacrae  thesaurus 

etc.  auctoribus  P.  P.  Peultier,  Etienne,  Gantois.    Pariinis. 

1897.     4^ 
Conway,  D. :  Solomon  and  Solomonic  Literature.    Londoti. 

1899.     S\ 
Conybeare,  John:  Illustrations  of  Anglo-Saxon  Poetry. 

London.  1826.     8^.  ^ 

Co si j  D ,  P.  J. :  Altwestsächüflche  Grammatik.  Haag.  1888.  6^. 
Crapelet:  Dictons  et  proverbes  populaires.  Paris.  1831.  8^ 
Diemer,  Joseph:   Deutsche  Gedichte  des  XL  und  XIL 

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Dieter,   Ferdinand:    Laut-    und   Formenlehre    der   alt- 
germanischen Dialekte.     Leipzig.  1900.     8^ 


—    XI    — 

Dietricli:  Die  Rätsel  des  Exeterbudis,  in:  Z.  f.  d.  A.  XL 
Berlk.  1659.     8^ 

BtOA^ei  Halicarnasensis  Andquitatiiiii  Romanarom  Yoliimen 
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allgemeise  Zeitschrift  von  Deutschen  für  Deutsche. 
Nürnberg.    Bd.  I.     1813.    S^. 

ten  Doornkaat  Koolmann,  J.:  Wörterbuch  der  ost- 
friesischen  Sprache.    Norden.  1884. 

Duff,  Gordon:  The  Dialogue  or  Communing  between  the 
Wise  King  Salomon  and  Marcolphus.   London.  1892.  8^ 

Dunlop,  John  Colin:  History  of  Prose  Fiction.  Revised 
by  Henry  Wilson.    London.  1896.    2  Vol.    8^. 

Earle,  J.:  Anglo-Saxon  Literature.    London.  1884.    8^ 

Ebert,  Adolf:  Allgemeine  Geschichte  der  Litteratur  des 
Mittelalters  im  Abendlande.  Leipzig.  III.  Bd.   1887.    8^. 

Eisenmenger^Joh.  And.:  Entdecktes  Judentum.  Königs- 
berg. I.  II.  1711.  8^;  dasselbe,  überarbeitet  und  heraus- 
gegeben von  Dr.  F.  X.  Schieferl     Dresden.   1893.    8®. 

The  Jevish  Encyclopedia,  Prepared  by  Isidore  Singer. 
New  York  and  London.   Vol.  I— IV.     1901—1903.    4«. 

EBchenbnrg,  Joh.  Joachim:  Denkmäler  altdeutscher 
Dichtkunst.     Bremen.  1799.     8^ 

:  Auszug  eines  handschriftlichen  altdeutschen  Gedichtes 

Yom  König  Salomon  und  Marcolphus,  in :  Böckh  und  Grär 
ter's  Bragur.    Leipzig.  H.  III.  Bd.     1792—96.     12«. 

EttmfiUer,  Lud.:  Engla  and  Seaama  Scöpas  and  Böceras. 
London.  1850.     8^ 

Eabricius,  Joh.  Alb.:  Codex  pseudepigraphus  veteris 
testamenti.    Hamburgi  et  Lipsiae.    1713.    2  Bde.    8^. 

Elayii,  Josephi  Opera  omnia  etc.  ed.  Sigeb.  Haver- 
camptts.    Amsterdam.  1726.    fol. 

Förster,  Max:  Das  lateinisch-altenglische  Fragment  der 
Apokryphe  von  Jamnes  und  Mambres,  in:  Herrig's 
Archiv  etc.  CVIII.    Braunschweig.  1902.     8^ 

•*-  •*-:  Jamnes  und  Mambres,  in:  Herrig's  Archiv  etc.  CX. 
Braunschweig.  1903.     8^ 


—  xn  — 

J^riedrich^  Johann:  Über  die  Unechtheit  der  Decretale  de 

recipiendis   et  non  recipieDdis  libris  des  P.  Gelasius  I, 

in :   Sitzungsberichte  der  k.  b.  Akademie  der  Wissensch. 

zn  München;  philos.  philol.  Klasse.     1888.    8^ 
furnivall,  P.  J. :  A  Bocke  of  Precedence  etc.,  in:  E.  E. 

T.  S.  Extra  Ser.  VIII.    London.  1869.    8». 
Garnett,  Richard  and  Gosse,  Edmund:  English  Liter- 

ature,  an  Illustrated  Record  in  four  Volumes.    London. 

vol.  I  und  m.     1903.    4^ 
Gast  er,  Dr.  M.:  Literatura  popularä  romänä,  cu  un  apen- 

dice:  Yoroava  Garamantilor  cu  Alexandru  Machedon  de 

Nicolne  Costin,     Bucuresti  1883.     8®. 
:   Literatura   popularä  romäoä  etc.  in:   Behaghel  und 

Neumann's  Literaturblatt  für  germanische  und  romanische 

Philologie  1883.     Sp.  230—233. 
Gering,  Hugo:  Die  Edda,  übersetzt  und  erläutert.  Leipzig 

und  Wien.  s.  a.  [1892.]     S^. 
Glycas,   Michael:   in  dem   Corpus  Scriptorum  Historiae 

Byzantinae.    Bonnae.  1836.    8^. 
Goedeke,   Karl:   Grundriß  zur  Geschichte  der  deutschen 

Dichtung.     2.  Aufl.     1.  Bd.     Dresden.  1884.     8^. 
—    — :    Deutsche    Dichtung    im    Mittelalter.      2.    Ausgabe. 

Dresden.  1871.     8«. 
Görres,    J.  J.:    Die   teutschen   Volksbücher.      Heidelberg 

1807.     8^ 
Grässe,   J.  G.  Th. :  Lehrbuch   einer  Literäxgeschichte  der 

berühmtesten  Völker  der  alten  Welt.  Dresden  u.  Leipzig. 

II.  Bd.     1837—59.     8^ 
Grein,  Chr.:  Kurzgefaßte  ags.  Grammatik.  1880.    8^. 
:  Zur  Textkritik  ags.  Dichter,  in :  Pfeiffer's  Germania  X. 

1866.     8®. 
:  Bibliothek  der  angelsächsischen  Poesie.  Kassel.  II.  Bd. 

1858.     8^ 
:  Sprachschatz    der    angelsächsischen     Dichter.     1861. 

2  Bde.     8«. 

Grein-Wülker:   Bibliothek    der  angelsächsischen  Poesie-. 

3  Bde.     1883—1898.     8^ 


—  xni  — 

Grein-Wülker:  Bibliothek  der  aDgelsächsischen  Prosa. 
Kassel.     5  Bde.     1881  etc.    8^ 

Grimm,  J.:  Besprechnng  der  deutschen  Gedichte  des  Mittel- 
alters, herausgeg.  von  y.  d.  Hagen  und  Büsching,  in: 
Heidelbergiscbe  Jahrbücher  der  Literatur.  2.  Jahrg. 
6.  Abteil.  Philologie,  Historie,  schöne  Literatur  und 
Kunst.    IL  Bd.     1809.    8^ 

:  Kleinere  Schriften.     Berlin.     Bd.  IV.     1869.     8<>. 

:  Deutsche  Mythologie.    Zweite  Ausgabe.     Göttingen. 

1844.  2  Bde.  8^  Vierte  Ausgabe  besorgt  von  Elard 
Hugo  Meyer.    Berlin.    3  Bde.     1875—1878.    8^ 

Grimm,  J.  und  Schmeller,  Andr.:  Lateinische  Gedichte 
des  10.  und  11.  Jahrh.     Göttingen.  1838.     8^ 

Gröber,  Gustav:  Grundriß  der  romanischen  Philologie. 
Straßburg.     IL  Bd.     1902.    8^ 

Grünbaum,  M.:  Beiträge  zur  vergleichenden  Mythologie 
aus  der  Hagada,  in:  Zeitschrift  der  deutschen  morgen- 
ländischen  Gesellschaft.    Leipzig.     31.   Bd.     1877.    8^ 

:   Gesammelte  Aufsätze  zur  Sprach-  und   Sagenkunde, 

herausgeg.  von  Felix  Perles.    Berlin.   1901.     8®. 

Guessard  et  Grandmais on:  Huon  de  Bordeaux.  Paris. 
1860.     8^ 

von  der  Hagen  und  Büsching:  Deutsche  Gedichte  des 
Mittelalters.    Berlin.    L  Bd.     1808.    4^ 

Halliwell,  J.  0.:  A  Selection  from  the  Minor  Poems  of 
Dan  John  Lydgate.    London  [Percy  Society],  1840.    8^ 

[Hammer,  Jos.  von]:  Rosenöl.  Stuttgart  und  Tübingen. 
L  Bd.     1813.    80. 

Hammerich,  Er.:  De  episk-kristelige  Oldkvad  hos  de  gotiske 
folk.    Kjöbenhavn.  1873.    S^. 

Hastings,  James:  A  Dictionary  of  the  Bible.  Edinburgh. 
4  Bde.     1898.    4^ 

Hauck,  Albert:  Realencyklopädie  für  protestantische  Theo- 
logie und  Kirche.    Leipzig.     18.  Bd.     1896.    8^ 

Hefele,  Carl  Joseph  von:  Conciliengeschichte.  Freiburg 
i.  B.  1875.    8^ 

Herford,  Charles:   Studies  in  the  Literary  Relations  of 


-    XIV    — 

England  and  Germany  in  the  Sixteenth  Century.  CanH 
bridge.     1886.     8^ 

Herr  mann,  PanI:  Deutsche  Mythologie  in  gemeinverständ-' 
licher  Darstellung.     Leipzig.  1898.     8^. 

:   Nordische  Mythologie  in  gemeinverständlicher  Dar- 

stellang.    Leipzig.  1903.     8^. 

Hertz,  Wilhelm:  Die  Rätsel  der  Königin  von  Saba,  in: 
Z.  f.  d.  A.  XXVII.     1883.    8«. 

Heusler,  Andreas:  Die  altnordischen  Rätsel,  in:  Zeit- 
schrift des  Vereins  für  Volkskunde,  herausgeg.  von 
Karl  Wemhold.     Berhn.     11.  Jahrg.     1901.     8«. 

Heusler,  Andreas  und  Ranisch,  Wilhelm:  Eddica 
Minora.    Dortmund.  1903.     8«. 

Heyne,  Moritz:  Beowulf*,  besorgt  von  Ad.  Socin.  Pa-- 
derborn.  1898.     8<>. 

Hickesius,  Georgius:  Linguarum  vett.  septentrionalium 
Thesaurus  grammatico-criticus  et  archaeologicus.  Oxo- 
niae.  1706.     2  Bde.  fol. 

Histoire  littßraire  de  la  France.  Paris.  Bd.  XXII.  XXIIL 
1855.  1856.     4^ 

Hofmann,  Konrad:  Über  Jourdain  de  Blaivies,  ApoUonius 
von  Tyrus,  Salomon  und  Marcolf,  in:  Sitzungsberichte 
der  k.  bayr.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  München^ 
philos.  philol.  Klasse.  1871.     8^ 

Holthausen,  F.:  Zu  alt-  und  mittelenglischen  Dichtungen, 
in:  Auglia  XXIIL    Halle.  1901.     8^ 

Jagic,  V.:  Die  christlich-mythologische  Schicht  in  der  russi- 
schen Volksepik,  in:  Archiv  für  slavische  Philologie. 
Berlin.    L  Bd.     1875.     8«. 

Jantzen,  Hermann:  Geschichte  des  deutschen  Streit- 
gedichtes im  Mittelalter,  erschienen  als  13.  Heft  der 
Germanischen  Abhandlungen,  begr.  von  Karl  Weinhold, 
herausgeg.  von  Fr.  Vogt.     Breslau.  1896.     8^. 

Kaluza,  M.:  Historische  Grammatik  der  englischen  Sprache« 
Beriin.    I.  TeiL     1900.     8«. 

Kampers,  Franz:  Mittelalterliche  Sagen  vom  Paradiese 
und  vom  Holze   des  Kreuzes  Christi.    Köln.  1897.     8^. 


-    XV    — 

Kauffmann,  Friedrich:  Deutsche  Mythologie.   Stattgart 

(GöBchen).  1890.     B^. 
Keller,  O.:   Untersuchungen  über  die  Geschichte  der  goie- 

chischen   Fabel,   in :  Jahrbücher   für   klassische   Philol. 

Suppl.    Bd.  IV.    Heft  3.    Leipzig.  1861.    8^ 

Komble,JohnM.:  The  Dialogue  of  Salomon. and  SaturnuSk 

London.  1848.     8^. 
:  Dasselbe,   ohne  Titelblatt  s.  a.    Klein  8^    (Britisches 

Museum.) 
:  The  Saxons  in  England.     A  New  Edition,   Eevised 

by  Walter  de  Gray  ßirch,    London.  1876.    2  Vol.    8«. 
Kluge,    Fried r.:    Etymologisches    Wörterbuch    der   deut- 
schen Sprache  <^.     Strasburg.  1899.     8^. 
:  Vorgeschichte  der  altgermanischen  Dialekte  *,  in :  PauFs 

Grundriß  I^.    Straßburg.  1897.     8^ 
:  Geschichte  der  englischen  Sprache  *,  in :  PauVs  Grund- 
riß I^     Straßburg.  1899.*  8'>. 
Koch,  Fried r.:  Die  Laut-  und  Flexiouslehre  der  englischen 

Sprache.     Kassel.    3  Bde.     1882—91.     8«. 
Köhler,  Reinh. :  Zur  Legende  Yon  der  Königin  von  Saba, 

oder  der  Sibylla  und  dem  Kreuzholze,  in :  Germania  XXTX. 

1884.     8^ 
Körting,  Gust. ;  Grundriß   der  Geschichte   der  englischen 

Litteratur.     Münster  i.  W.   1899.     8^ 
The  Koran,  Commoniy  Called  the  Alcoran  of  Mohammed. 

Translated  by  George  Säle.    London.  1764.     2  Vol.    8®. 
Liebermann,  Fei.:  Die  Gesetze  der  Angelsachsen.  Halle. 

1903  (1898).     I.  Bd.     4^ 
Liebrecht,  F.:  Zur  slavischen  Walthariussage,  in :  Germania 

XI  (1866). 

—  — :  Salomon  und  Morolf,  in:  Germania  XXV  (1889). 
:  Zur  Volkskunde.    Heilbronn.  1879.     8^ 

—  — :    Beiträge  zum  Zusammenhang   indischer   und    euro- 

päischer Märchen  und  Sagen,  in :  Theodor  Benfey's  Orient 
und  Occident.     Göttingen.  1862.    S^. 
Linke,   Kurt:  Die   Accente   im  Oxforder  und  Cambridger 
Psalter.     Diss.    Erlangen.  188«.     8». 


—    XVI    — 

Lipsius,  Kich.  Alb.:   Die  apokryphen  Apostelgeschichten 

und  Apostellegenden.  Braunschweig.  S  Bde.  1884 — 90.  8^. 
Lueg,  Leo:    Biblische  Realkonkordanz ^ ,  bes.  von  Heim. 

Regensburg,  1890.     8^ 
Lydgate,  Order  of  Fools,  siehe  Furnivall  und  Halliwell. 
Meyer,  ElardHugo:  Germanische  Mythologie,  erschienen 

als  1.  Bd.  der  Lehrbücher  der  germanischen  Philologie. 

Berlin.  1891.    8^ 
Meyer,    Wilhelm:  Die   Geschichte    des  Kreuzholzes   vor 

Christus,   in:  Abhandlungen  der  k.  bayr.  Akademie  der 

Wiss.  I.  Kl.  XVI.  Bd.  II.  Abt.  München.  1881.   4^ 
Michaelis    de   Y asconcellos,    Carolina:    Zur    Salman- 

Morolfsage,  in:  PBB.  VIII  (1872). 
Michelsen,Al. :  Alteste  christliche  Epik  der  Angelsachsen, 

Deutschen  und  Nordländer.   1874.   8^  (Übersetzung  von 

Hammerich.) 
Migne,  J.  F.:  Indices  Patrologiae  Latinae.  Paris.  1862 — 64. 

4  Bde.    4^ 

:  Patrolog.  Graeca.  Bd.  122.  (Testamentum  Salomonis.) 

—  — :   Dictionnaire   des  Apocryphes.     Paris.    2  Bde.    1856 

—58.    4^. 
Mogk,  Eugen:  Norwegisch-isländische  Literatur,  in :  Paul's 

Grundriß    der    germanischen    Philologie  *.      Straßburg. 

1902.     8^ 
:  Germanische  Mythologie,  in:  PauPs  Grundriß  *.  II.  Bd. 

Straßburg.  1898.    8«. 
Mone,  Fr.  J.:  Anzeiger  für  Kunde   der  teutschen  Vorzeit. 

5.  Jahrg.     Karlsruhe.  1836.     8^ 
Morley,  H.:  English  Writers».  London.  1898.  I.  und  IL  Bd. 

8^ 
Morris,  R.:  The  Bückling Homilies,  in:  E.  E.  T.  S.  (68.  63. 

73.  Bd.)    London.  1874.  1876.  1880.     8^ 
MüUenhoff  und   Seh  er  er:   Denkmäler  deutscher  Poesie 

und  Prosa  aus  dem   VIEL. — XTT.  Jahrhundert.     Dritte 

Ausgabe  von  E.  Steinmeyer.  1.  Bd.   Berlin.  1892.   8^. 
Müller,  Hugo:  Über  die  angelsächsischen  Versus  Gnomici. 

Dissertation.    Jena.  1893.     8^ 


—  xvn  - 

Murray  and  Bradley:  A  New  English  Dictionary  od  Hist- 
orical  Principles.     Oxford.  1888.  fol.  Bd.  A— R. 

Napier,  Arthur:  Wnlfetan.   Berlin.  1883.     8^. 

Outzen,N. :  Glossarium  der  friesischen  Sprache.  Herausgeg. 
Ton  L.  Engebtoft  und  C.  Molbech.  Kopenhagen.  1837.  8^ 

Panzer,  Fried r.:  Erzbischof  Albero  von  Trier  etc.,  in: 
Germanistische  Abhandlungen,  Hermann  Paul  zum 
17.  März  1902  dargebracht.     Straßburg.  1902. 

:  Hilde-Gudrun.    Halle.  1901.    8^ 

Panzer,  Georg  Wolfgang:  Annalen  der  älteren  deut- 
schen Litteratur.     Nürnberg.  1788.     3  Bde.    4®. 

Paris,  G.:  La  femme  de  Salomon,  in:  RomanialX.  1880.  8®, 
vgl.  Litterar.  Centralblatt  1880.    Nr.  40. 

:  Li  Bastars   de  Buillon,  in:  Romania  VII.    1878.     8®. 

Petsch,  Robert:  Neue  Beiträge  zur  Kenntnis  des  Volks- 
rätsels, erschienen  in:  Palaestra  IV.,  herausgeg.  von 
AI.  Brandl  und  Erich  Schmidt.     Berlin.  1899.     8». 

Piper:  Salman  und  Morolf,  in :  Kürschner's  deutsche  National- 
Litteratur.     Berlin  u.  Stuttgart.  [1887J.     Bd.  IL     8^ 

Poestion,  Jos.  Cal. :  Das  Tyrfingschwert.  Hagen  i.  W. 
und  Leipzig.  1883.     8». 

Pogatscher,  Alois:  Zur  Lautlehre  der  griechischen,  la- 
teinischen und  romanischen  Lehnwörter  im  Altenglischen. 
Straßburg.  1888.    8<>. 

Procop:  Gothenkrieg,  übers,  von  Coste.  Leipzig.  1885.  8^ 

Proverbes  au  vilain,  in:  Histoire  littfiraire  de  la  France. 
XXm.  Paris.  1866.     4^ 

B.eusch,Heinr. :  Der  Index  der  verbotenen  Bücher.  Bonn. 
2  Bde.     1883—1885.     8^ 

Richthofen,Karl  Freiherr  von :  Altfriesisches  Wörterbuch. 
Göttingen.  1840.     4». 

Rieger,  Max:  Alt-  und  Angelsächsisches  Lesebuch.  Gießen. 
1861.    80. 

Rituale  Ecclesiae  Dunelmensis,  Published  for  the  Surtees 
Society.    London.  1840.    8®. 

Rösch,  Gustav:  Die  Königin  von  Saba  als  Königin  Bilqis, 
in:  Jahrbücher  für  protestant.  Theologie.  Bd.  VI.  Leip- 
zig. 1880.     8^ 

II 


—    XVIII    — 

Roquefort,  J.  B.:  Glossaire  de  la  langue  romane.     Paris. 

2  Bde.  u.  Suppl.     1808.    8». 
Schade,    Oskar:    Veterum   Monumentorum   Theotisconim 

Decas.     Vimariae.  1860.     8^. 
Schaubach,    E. :    Gregor   Haidens  Salomon    und'Morolf. 

Diss.  Leipzig.  1881.     8^. 
Schaumberg,    W. :     Untersuchungen    über    das    deutsche 

Spruchgedicht  Salomon  und  Morolf,  in :  PBB.  II.    Halle. 

1876.     8<>. 
Scheler,   Aug.:   Li   Bastars  de   Buillon,   po^me  du  XIV* 

siöcle.  Bruxelles.  1877.     8^ 
Schipper,  J. :  Salomo  und  Saturn,  in:  PfeifFer's  Germania. 

Bd.  XXII  (N.  E.  Bd.  X).     1877.     8». 
Schmid,     Keinhold:     Die    Gesetze     der     Angelsachsen. 

Leipzig.  1858.     8^ 
Schönbach,  Anton:  Altdeutsche  Predigten.  Graz.  1886.  4*^. 
Schorbach,  Karl:  Studien   über  das  deutsche  Volksbuch 

Lucidarius,  in :  Quellen  und  Forschungen  zur  Sprach-  und 

Culturgeschichte  etc.,  herausgeg.  von  Brandl,  Martin  und 

Schmidt.     74.  Heft.     Straßburg.  1894.     8^. 
Schücking,   Levin  Ludw. :    Studien  über  die  stofflichen 

Beziehungen  der  englischen  Komödie  etc.   Göttinger  Diss. 

Halle.  1901.     8«. 
Searle,WilliamGeorge:  Onomasticon  Anglo-Saxonicum. 

Cambridge.  1897.     8«. 
Sidrach:  Le  livre  du  Saige.     Paris.  1533.     8^ 
Sievers,  Eduard:  Altgermanische  Metrik.  Halle.  1893.  8®. 

:  Angelsächsische  Grammatik  ^     Halle.  1898.     8^ 

:  Zur  Rhythmik   des  germanischen  Allitterationsverses, 

in:  PBB.  X  (1885)  und  XII  (1887). 

:  Salomo  und  Saturn,  in:  PBB.  X,  519.  XII,  480. 

:  Zum  ags.  Vokalismus.    Dekanatsprogramm.    Lpz.  4^ 

Singer,   S. :  Salomosagen   in  Deutschland,   in:   Z.   f.  d.  A. 

XXXV  (N.  F.  XXIII).     Berlin.  1891.     8^ 
Skeat,  Walter:  An  Ety mological  Dictionary  of  the  English 

Langua^e.     Oxford.  1882.     4^ 
:   A   Concise   Etymological  Dictionary   of  the  English 

Language.     Oxford.  1901.     8^ 


—    XIX    - 

Skeat,  Walter:  Principles  of  English  Etymology.    Oxford. 

'  2  Bde.     1891—1892.     8^ 
—  — :    Cain's  Jawbone,    in:   The  Academy.     Vol.  XLVIII 

(1895),  S.  343.     4^ 
:   Aelfric's  Lives   of  Saints,   in   E.  E.  T.   S.  (76.  82. 

94.  114.)    London.  1881.  1885.  1890.  1900.     8^ 
Smith,    Benj.    E. :    The   Cyclopaedia   of  Names.     London. 

[1894].     4^ 
Smith.  William  and  Wa  c  e,  Henry :  A  Dictionary  of  Christian 

Biography.     London.     4  Bde.     1877.     8^ 
Smyth,  Albert  H. :  Shakespeare's  Pericles  and  Apolloniu8 

of  Tyre,   in:  Proceedings  of  the  American  Philosophical 

Society.    Vol.  XXXVII.   Nr.  158,  S.  206.   Philadelphia. 

1898.     8^ 
S[tokesJ,   W.:  Three  Irish  Glossaries.     London.  1862.     8^ 
Streitberg,  W. :    Urgennanische  Grammatik.     Heidelberg. 

1896.  8^ 

Strobl,  J. :  Zur  Spruchdichtung  bei  den  Angelsachsen,  in: 
Z.  f.  d.  A.  N.  F.  19.  Bd.     Berlin.  1887.     8^ 

Stürenburg,  Cirk  Heinrich:  Ostfriesisches  Wörterbuch. 
Aurich.   1857.     8<>. 

Sweet,  Henry:  CoUation  of  the  Poetical  Salomon  and 
Saturn  with  the  Ms.,  in:  Anglia  I.  1877.     8^. 

:  The   Student's   Dictionary  of  Aoglo-Saxon.     Oxford. 

1897.  8<>. 

:    Sketch   of  the   History   of  Anglo-Saxon  Poetry,    in: 

Thoraas  Warton's   History    of  English   Poetry,    ed.    by 

W.  Carew  Hazlitt.     London.     L  Bd.     1871.    8^ 
Thiel,  Andreas:   S.  Gelasii   Papae  Epistolae   et  Decreta, 

in:  Epistolae  Romanorum  Pontificum  Genuinae.     Bruns- 

bergae.  1867.     8^ 
Thorpe,  Benjamin:   The  Homilies    of  the  Anglo-Saxon 

Church.     London.  1844—46.     2  Bde.     8^ 
Varnhagen,  Hermann:  Longfellow's  Tales  of  a  Wayside 

Inn  und  ihre  litterar.  Quellen.     Berlin.  1884.     8^ 
Vogt,  Fried r.:  Die  deutschen  Dichtungen  von  Salomon  und 

Markolf.   I.  Bd.  Salman  und  Morolf.  Halle  a.  S.  1880.  8<>. 

:  in  Paul's  Grundriß  11«.  229. 

II* 


—    XX    — 

Vogt,  Priedr.:   Zur  Salman-Morolfsage,  in:  PBB.   VIII. 

1882. 

:  Über  Sibyllen- Weissagung,  in:  PBB.  IV.     1877. 

W  ackernagel,  Philipp:   Das   deutsche  Kirchenlied  von 

der  ältesten  Zeit  bis  zu  Anfang  des  XVIII.  Jahrhunderts. 

2.  B|d.     Leipzig.  1867.     8». 
Wackernagel,  Wilhelm:  Geschichte  der  deutschen  Lite- 
ratur.    2.  Aufl.  bes.  von  Ernst  Martin.    1.  Bd.    Basel. 

1879.     8^ 
Wanleii,Humphredi:  Catalogus,  siehe Hickesii Thesaurus. 

Oxoniae.  1705. 
Weil,  G. :  Biblische  Legenden  der  Muselmänner.  Prankfurt 

a.  M.  1845.     8^ 
Weishaupt,  Adam:   Saturn,   Mercur  und  Hercules,   drei 

morgenländische  Allegorien.     Regensburg.  1789.     8*. 
Wesselofsky,  A.:   Neue  Beiträge  zur  Geschichte  der  Sa- 

lomosage,  in:  Archiv  für  slavische  Philologie.   VI  (1882), 

S.  393  ff.  und  548  ff. 
:  Slavische  Überlieferungen    über   Salomon   und    Cen- 

taurus  und  die  westeurop.  Legenden  über  Morolf  und 

Merlin.     St.  Petersburg.  1872.   8^  (russisch  geschrieben). 
:  El  Dyalogo   di  Salomon  e  Marcolpho,   a  cura  di  Er- 

nesto    Lamma,    in:    Giomale    storico   della   letteratura 

italiana  VIII.    Roma.  1886.    8^ 
Wetz  er  und  Weite:  Kirchenlexikon,     (Artikel  Salomo  und 

Ordalien.)    Preiburg.  1882.    S». 
Wiedenbauer,  Augustin:   Über  Salomon  und  Markolf, 

in:  Böckh  und  Gräter's  Bragur  IV.     Leipzig.  1796.     8^ 
Wilmanns:  Recension  von  Vogt's  Ausgabe,  in:  A.  f.  d.  A. 

VII,  274  ff.    Berlin.  1881.     8^ 
Wimmer,   Lud.   A.:  Die  Runenschrift,  übersetzt  von  Dr. 

P,  Holthausen.     Berlin.  1887.     8^ 
Wülfing,  Ernst:  Die  Syntax  in  den  Werken  Alfreds  des 

Großen.    Bonn.     2  Bde.    1894.    8<>. 
Wülker,  R.:  Geschichte  der  englischen  litteratur.   Leipzig 

und  Wien.  1900.     8^. 
:  Grundriß  zur  Geschichte  der  angelsächs.  Litt.  Leipzig. 

1885.     80. 


-    XXI    — 

Wynkyn  de  Worde:  Legenda  aurea.  1527.  fol.  (Trin.  Coli. 

Cambridge). 
Zupitza,  Julius:  Lateinisch-Englische  Sprüche,  in :  Anglia 

I,  (1878)  286. 

:  Zu  Salomon  und  Saturn,  in :  Anglia  in  (1880),  527—531. 

:  Ein  Zauberspruch,  in:   Z.  f.  d.  A.  N.   F.     19.  Bd. 

Berlin.  1887.     8^ 


L  Einleitung. 

Die  allgemeine  Geschichte  der  Sagen  von  Salomo.^) 

Nach  jahrhundertelangen^  wechselvolleu  Kriegen  gelang 
es  endlich  dem  jüdischen  Volke,  unter  Davids  Anführung 
über  die  feindlichen  Nachbarstämme,  besonders  die  Philister 
Herr  zu  werden  (2.  Könige,  Kap.  8  und  1.  Paralipomenon 
Kap.  20)  ^),  und  durch  weitere  glückliche  Siege  erlangte  Israel 


')  Über  die  allgemeine  Sagengeschichte  handelten :  F.  H.  v.  d.  Hagen, 
in  der  Einleitung  der  Ausgabe  des  Salomon  und  Morolf,  in  y.  d.  Hagen's 
and  Büsching's  Deutschen  Gedichten  des  Mittelalters  I.  Berlin  1806; 
J.  Grimm  in  der  Besprechung  dieser  Ausgabe  in  den  Heidelbergischen 
Jahrbüchern  der  Literatur,  2.  Jahrgang.  5.  Abteilung.  II.  Bd.  14.  Heft 
(1809),  ebenso  in  seinen  kleineren  Schriften  IV.  Siehe  ferner  Schelling : 
Allgemeine  Zeitschrift  etc.  1813 ;  Kemble  in  seiner  Ausgabe  des  Salomo 
und  Saturn  1848;  C.  Hofmann:  Über  Jourdain  de  Blaivies,  Apollonius 
von  Tyms.  Salomo  und  Markulf,  in  den  Sitzungsberichten  der  Münchener 
Akademie  der  Wissenschaften  1870,  philol.-histor.  Klasse;  W.  Schaumberg, 
Untersuchungen  über  das  deutsche  Spruchgedicht  Salomo  und  Morolf, 
in  PBB.  11.  Halle  1876.  Grundlegend  ist  das  Werk  von  Fr.  Vogt;  Die 
deutschen  Dichtungen  von  Salomon  und  3Iarkolf  I.  Bd.  Salman  und 
Morolf.  Halle  1880.  —  Siehe  femer  Herford:  Studies  in  the  Literary 
Relations  of  £ngl.  and  Germany.  Cambridge  1886.  £ine  kurze  Zu- 
sammenfassung findet  sich  bei  Grässe:  Lehrbuch  etc.  II.  3.  S.  466 — 71 
und  bei  Migne:  Dict.  des  Apocryphes  IT,  872;  beide  jedoch  veraltet; 
vortrefflich,  aber  nur  kurz  bei  Piper  (1887)  in  Kürschner^s  Deutscher 
Nationalliteratur  II.  S.  196—206;  ebenso  bei  Fr.  J.  Child  (1884):  The 
English  and  Scottish  Populär  Ballads,  Bd.  V,  S.  1  und  279 ff.;  ganz 
kurz  bei  H.  Smyth  (1898) :  Shakespeare's  Pericles  and  Apollonius  of  Tyre, 
in:  Proceedings  of  the  American  Philos.  Society  XXXVII,  S.  288 ff.; 
vgl.  endlich  auch  fl.  Varnhagen :  Longfellow's  Tales  of  a  Waysideinn 
und  ihre  Quellen.    Berlin  1884.    S.  26 ff. 

*)  Ich  zitiere  nach  Augustin  Arndt:  Die  heilige  Schrift  des  Alten 
und  Neuen  Testamentes.     Regensburg  1899. 

Münchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologe.    XXXI.       1 


seine  größte  AusdehnuDg,  vom  Euphrat  bis  nach  Ägypten 
(2.  Paral.  Kap.  9).  Die  einsichtsvolle  Regierung  des  weisen 
David  stärkte  das  Land  auch  im  Innern,  und  so  war  Ruhe 
in  ganz  Israel,  als  der  kaum  zwanzigjährige  Salomo  noch 
bei  Lebzeiten  seines  Vaters  auf  den  Thron  kam  (1.  Paralip. 
Kap.  18  und  22).  Unter  seiner  prunkvollen  Herrschaft  end- 
lich trat  das  jüdische  Volk  in  das  Verkehrsleben  ganz  Vorder- 
asiens ein.  Dies  erweckte  den  reflektierenden  semitischen 
Geist  und  brachte  eine  eigentümliche  Weisheit,  eine  reiche 
Fülle  von  Sprüchen  der  Lebensklugheit  hervor.  ^)  Wie  man 
David  als  den  Vertreter  der  lyrischen  Gattung  bei  den  Is- 
raeliten ansehen  kann,  so  erscheint  nun  Salomo  als  derjenige 
der  anomischen  Weisheit,  die  bei  den  semitischen  Völkern 
die  Philosophie  der  Inder  und  Iranier  vertritt.  Der  Ruf 
dieses  weisen  Königs,  der  tausendundfünf  Lieder  gesungen 
und  dreitausend  Sprüche  verfaßt  hatte  (3.  Kön.  Kap.  4,  32), 
verbreitete  sich  über  ganz  Westasien.  So  zog  nach  der 
Bibel  die  Köm'gin  von  Saba  an  seinen  Hof,  um  diese  Weis* 
heit  zu  hören  und  ihn  mit  Rätselfragen  ^)  auf  die  Probe  zu 
stellen  (2.  Paralip.  Kap.  9  und  3.  Kön.  10,  1).  Über  diese 
Begegnung  Salomo's  erhalten  wir  aus  der  jüdischen  Sage  nur 
späten  und  fragmentarischen  Aufschluß.  In  der  arabischen 
Sage  trägt  die  Königin  den  Namen  Bilqis.  Schon  Muhammed  ^) 
berichtet  darüber  in  gekürzter  Form,  wodurch  bewiesen  ist, 
daß  er  die  Kenntnis  der  Sage  bei  seinen  Zuhörern  voraus- 
setzte (27.  Sure  des  Korans  21 — 45).  Eigentümlich  ist  —  wie 
Hertz  bemerkt  — ,  daß  der  Königin  in  einzelnen  Fassungen 
der  Legende  selbst  die  tierischen   Beine   geblieben   sind,   um 


^)  Siehe  den  Artikel  über  Salomo  in  Albert  Hauck's  Baal- 
encyklopädie  für  protest.  Theologie.    Leipzig  1883,  S.  316. 

')  Hertz:  Die  Rätsel  der  Königin  von  Saba,  in  Z.  f.  d.  A.  XXVU. 
Iff.;  ferner  R.  Köhler,  Germania  XXIX,  53 ff. ;  Kampers:  Mittelalterliche 
Sagen  vom  Paradiese  und  vom  Holze  des  Kreuzes  Christi.  Köln  1897. 
S.  28—34,  92—100;  Rösch:  Die  Königin  von  Saba  als  Königin  ßilquis, 
in  den  Jahrbüchern  für  protest.  Theologie  1880.  VI,  624 ff.;  Vogt:  Über 
Sibyllen-Weissagung,  in  PBB.  IV.  48 — 100;  vgl.  ferner  Gaster:  Literatura 
popularä  romänä  etc.  S.  324  ff. 

»)  Siehe  Eisenmenger  1711.  II.  ßd.  443. 


—     3     — 

die  es  sich  bei  jener  Täuschung  in  der  jüdisch-arabischen 
Sage  handelt.^)  Diesen  Zug  hat  schon  eine  der  frühesten  Ge- 
staltungen der  Legende,  welche  in  der  Wiudsberger  Hand- 
schrift des  Honorius  Augustodunensis :  De  imagine  mundi, 
um  1150,  interpoliert  ist,  und  in  einer  lateinischen  Predigt- 
sammlung vom  Ende  des  12.  Jahrhunderts  wiederkehrt.  ^) 
Diese  Legende  liefert  auch  einen  sehr  interessanten  Beitrag 
zur  Markolfsage,  indem  sie  dem  Salomo  einen  zwerghaften 
Halbbruder  zuschreibt,  den  die  Königin  von  Saba  auf  ihre 
Bitte  zum  Geschenk  erhält. 

Der  Zug  jener  Königin  steht  jedoch  nicht  vereinzelt  da, 
denn  in  geistreichem  Bätseispiel  scheinen  sich  auch  Hiram, 
König  von  Tyrus,  sowie  der  Tyrier  Abdemon  mit  Salomo 
gemessen  zu  haben.  ^)  Darüber  berichtet  uns  Flavius  Jo- 
sephus^)  im  1.  Jahrhundert  nach  Christus,  zuerst  in  seinen 
Antiqq.  judaic.  VIIL  6,  3,  und  dann  wieder  Contra  Apionem 
I.  17,  18,  wo  er  Auszüge  aus  Menander,  welcher  die  tyrischen 
Urkunden  aus  dem  Phönizischen  in  das  Griechische  über- 
setzte, sowie  aus  dem  Historiker  Dios  gibt.  Menander 
sagt:  Nach  dem  Tode  des  Abibai  folgte  ihm  in  der  Re- 
gierung sein  Sohn  Hiram  ....  Zu  seiner  Zeit  lebte  der 
jüngere  Sohn  des  Abdemon,  welcher  immer  die  Fragen  löste, 
welche  Salomo,  der  König  von  Jerusalem  aufgab.  Und 
Dios  erzählt:  Salomo  habe  dem  Hiram  Rätsel  geschickt  und 
Ton  ihm  auf  Verlangen  welche  bekommen;  wer  sie  nicht 
lösen  konnte,  sollte  dem  Erratenden  Geld  zahlen.  Da  nun 
Hiram  darauf  eingegangen  war  und  die  Rätsel  nicht  lösen 
konnte,  so  habe  er  dann  viel  Geld  zahlen  müssen.  Dann 
aber  habe  er  durch  den  Abdemon,  einen  tyrischen  Mann,  die 
Aufgaben  lösen  lassen,  welcher  nun  seinerseits  dem  Salomo 
andere   Rätsel    aufgegeben    habe,    die    dieser   nicht   erraten 


^)  Siehe  arabische  Sage,  unten  Seite  9,  und  Hertz,  a.  a.  O.,  S.  23. 

*)  Abgedruckt  bei  W.  Meyer,  Die  Geschichte  des  Kreuzholzes  vor 
Christas,  &  109  ff. 

»)  Vgl.  auch  Smyth,  a.  a.  O.  290;  Child,  a.  a.  O.,  Bd.  I,  404. 

*)  £d.  Haverkamp  I.  434.  435  und  IL  447—449.  Siehe  auch 
J.  Grimm,  in  den  Heidelbergischen  Jahrbüchern  der  Literatur,  IL  Bd., 
S.   260—251  und  C.  Hofmann,  a.  a.  0.,  S.  420. 

1* 


—    4    — 

konnte  und  darom  dem  Hiram  viel  Geld  dazu  herausbezahlen 
mußte. 

Salomo's  Weisheit  tritt  auch  in  jenem  allbekannten  Urteils- 
spruche zutage,  den  er  bei  dem  Streite  der  zwei  Buhldimen 
um  das  Enäblein  fällte,  welches  die  eine  im  Schlafe  erdrückt 
und  der  anderen  in  das  Bett  gelegt  hatte,  während  sie  das 
lebendige  ihr  wegnahm  (3.  Kön.  Kap.  3,  16).  Wie  nun  hier 
überall  seine  Weisheit  gepriesen  wird,  so  wird  umgekehrt  auch 
getadelt,  daß  er  sich  von  Gott  abwandte ;  dies  hebt  besonders 
die  Hagada  hervor.  Der  Abfall  von  Gott  hat  seinen  Grund 
in  der  übergroßen  Liebe  Salomo's  zu  heidnischen  Weibern. 
Nach  3.  Kön.  11  liebte  er  besonders  die  ägyptische  Königs- 
tochter Pharao's,  ^)  die  er  nach  Kap.  3,  1  zu  seiner  Gattin 
erkoren  hatte,  und  der  er  auch  nach  Kap.  9,  24  ein  Haus 
errichten  ließ.  Er  erregte  aber  den  Unwillen  Gottes  da- 
durch, daß  er  den  Göttern  seiner  heidnischen  Weiber  Opfer 
darbrachte  und  sogar  Altäre  erbauen  ließ  (vgl.  Testament 
des  Salomo).  Daher  drohte  ihm  der  Herr,  sein  Königreich 
zu  nehmen  (Kap.  II.  9  und  12).  Daß  dies  wirklich  einmal 
eingetreten  sei,  schloß  man  aus  der  Stelle  des  Prediger's  1,  12 : 
Ich,  der  Prediger,  tmr  König  über  Israel  zu  Jerusalem. 

Nach  3.  Kön.  1,  5  ist  auch  bekannt,  daß  Salomo's 
Bruder  ^)  Adonia,  der  ältere  Sohn  David's  mit  der  Haggith, 
noch  zu  Lebzeiten  seines  Vaters  die  Krone  an  sich  gerissen 
hatte.  Als  nun  Salomo,  dem  die  Thronfolge  versprochen  war, 
zum  Könige  ausgerufen  worden  war,  verzieh  er  ihm ;  als  Adonia 
aber  die  schöne  Sunamitin  Abisag,  die  junge  Kebse  des  alten 
David,  durch  Salomo's  Mutter  Bethsabe  von  ihm  zur  Gattin 
erbat,  benutzte  Salomo  diesen  Verwand  und  tötete  ihn ;  denn 
er  befürchtete,  es  könnte  ihm  durch  die  Erfüllung  dieser 
Bitte  der  Anspruch  auf  mehr  eingeräumt  werden,  zumal  Adonia 
den  Feldherrn  und  Hohepriester  auf  seiner  Seite  hatte. 


*)  Siehe  auch  Vogt,  S.  IL.;  vgl.  G.  Paris:  La  femme  de  Salomon, 
in  RomaDia  IX.  1880.  S.  463  und  Literar.  Centralblatt  1880,  Nr.  40. 

-)  Vogt,  S.  LI  vermutet  hierin  den  Ausgangspunkt  zu  der  Tat- 
sache, daß  in  den  slavischen  Sagen  der  Freund  Salomo^s  als  Bruder 
dargestellt  wird.    Dagegen:  Wilmanns  in  A.  f.  d.  A.  VII.  276. 


—     6     — 

Daa  siDcL  die  biblischen  Berichte  über  den  Augustus  und 
Aristoteles  der  jüdischen  Nation.  Vergleichen  wir  damit  die 
Erzählungen  über  Salomo  im  Talmud^  so  sehen  wir,  daß  hier 
weniger  seine  Macht  und  Herrlichkeit,  als  vielmehr  sein  Über- 
mut und  Abfall  von  Jehova,  sowie  seine  darauffolgende  De- 
mütigung und  Strafe  hervorgekehrt  werden.^) 

Damit  kommen  wir  zu  den  anderen  semitischen  Bearbeitungen 
der  Sage,  in  denen  sogar  die  Geisterwelt  Salomo  Untertan  ist 
(s.  Eisenmenger  I.  355 ;  Schaumberg  S.  50 ;  Vogt  S.  IL.).  Bei 
den  Juden  finden  wir  die  Sage  in  kabbalistischen  und  talmu- 
dischen Schriften,  besonders  in  der  Hagada ^)  ausgeprägt. 
Nach  dem  talmudischen  Traktat  Gittin,  fol.  68  col.  1.  2,  läßt 
Salomo  einen  Teufel  und  eine  Teufelin  vor  sich  kommen,  um 
zu  erfahren,  wo  der  Wurm  Sch&mir  sei,  durch  dessen  Eiaft 
man  die  härtesten  Steine  spalten  könne,  die  er  für  den 
Tempelbau  benötigte  (siehe  auch  Vogt  im  Anhange).  Diese 
verweisen  ihn  auf  den  König  der  Teufel  Aschmedai,  der  sich 
auf  einem  Berge  aufhalte  und  aus  einer  Wassergrube,  die  er 
immer  mit  einem  Stein  zudecke  und  mit  seinem  Petschaftsring 
versiegle,  seinen  Durst  lösche.^)  Salomo  schickt  nun  den 
Teufel  Benajah  dahin,  damit  dieser  das  Wasser  auslaufen 
lasse,  dann  mit  Wein  fülle,  um  so  den  trunkenen  Aschmedai 
in  seine  Gewalt  zu  bekommen.  Dies  gelingt  ihm  auch,  und 
so  kommt  der  König  der  Teufel  vor  Salomo.  Als  dieser  von 
ihm  den  Wurm  Schämir  verlangt,  bedeutet  er  ihm,  daß  der 
Fürst  des  Meeres  ihn  besitze,  der  ihn  dem  Auerhahne  gebe,  auf 
daß  er  ihn  wohl  verwahre.  Er  bekommt  aber  schließlich  den 
Schämir,  woran  sich  dann  die  Geschichte  dieses  Wurms  reiht. ^) 


')  Grünbaum:  in  der  Zeitschrift  der  deutecben  morgenländischen 
Gesellschaft  XXXI,  198 fif.,  wieder  abgedrnckt  bei  Grünbaum:  Gesammelte 
Aufsätze  zur  Sprach-  und  Sagenkunde,  herausgegeben  von  F.  Perles, 
Berlin.  1901,  S.  22  ff. 

*)  Eisenmenger:  Entdecktes  Judentum.  Königsberg.  1711.  I,  350 ff. 
II,  440 ff.;  Grünbaam:  Beiträge  zur  vergleichenden  Mythologie  aus  der 
Hagada,  a.  a.  0.  198  ff.;  femer  Vogt,  S.  XL  VI;  Wilmanns,  in  Z.  f.  d. 
A.  VII.  276 ;  Wesselofsky :  Neue  Beiträge  zur  Geschichte  der  Salomons- 
sage,  im  Archiv  für  slavische  Philologie  VI.  393  und  &6öff. 

']  Vgl.  damit  das  Loblied  auf  Salomo,  anten,  S.  20. 

*)  Über  den  Schämir  vgl.  noch:  Benj.  E.  Smith:  The  Cyclopsedia 


—    6    — 

Die  Teufel  helfen  dem  Salomo  beim  Tempelbau,  solange 
er  Gott  dieut ;  nachdem  er  aber  gesündigt,  wenden  sie  sich 
Ton  ihm.  Auch  Aschmedai  streift  seine  Ketten  ab,  daran  er 
gefesselt  war  und  schleudert  den  König  Salomo  400  Meilen 
weit  hinweg.  Den  zauberkräftigen  Ring  des  Königs  wirft  er 
in  das  Meer.  Salomo  muß  nun  drei  Jahre  betteln  gehen. 
Er  kommt  in  das  Land  der  Ammoniter,  wird  in  die  könig- 
liche Küche  geführt,  wo  er  einige  Speisen  vor  dem  Könige 
kocht  und  alsbald  zum  Küchenmeister  angenommen  wird. 
Des  Königs  Tochter,  Naama,  verliebt  sich  in  ihn  und  will 
ihn  zum  Ehegemahl  haben.  Daraufhin  aber  verstößt  der 
König  seine  Tochter  mit  Salomo  in  eine  Wildnis.  Salomo, 
der  nach  Nahrung  ausgeht,  kommt  an  einen  Ort,  wo  er  einen 
Fisch  kauft,  in  welchem  sich  sein  Ring  findet.  Erfreut  geht 
er  nach  Jerusalem  und  treibt  den  Aschmedai  von  seinem 
Thron.  Er  läßt  dann  den  König  der  Ammoniter  kommen 
und  zeigt  ihm  an,  daß  er  sein  Schwiegersohn  sei.  Auch 
wird  in  dem  talmudischen  Traktat  gesagt,  daß  Salomo  alle 
Tage  von  zwei  Teufeln,  Asa  und  Asael,  zu  denen  ihn  immer 
ein  Adler  trug,  Weisheit  und  Kunst«  gelernt  hätte  (Eisen- 
menger  II.  440  und  Säle:  Koran  S.  96). 

In  einer  anderen  talmudischen  Variante^)  will  Salomo 
die  Kraft  des  gefangenen  Dämons  versuchen  und  dieser  ant- 
wortet ihm:  Gib  mir  deinen  Ring  und  ich  will  dir  meine 
Macht  zeigen.  Als  Salomo  seinen  Wunsch  erfüllt,  wächst 
Asmodeus  (Aschmedai)  riesig  empor ;  ein  Flügel  (Fuß)  stützt 
sich  auf  den  Himmel,  der  andere  auf  die  Erde.  Er  ver- 
schluckt Salomo  und  speit  ihn  400  Parasangen  weit  von  sich ; 
dort  bleibt  Salomo  drei  Jahre  als  Bettler.  Inzwischen  hat 
sich  Asmodeus  in  Salomo's  Gestalt  auf  dessen  Thron  gesetzt 
und  herrscht,  bis  er  Verdacht  bei  den  Mitgliedern  des  Synhe- 
driums  erregt.  Diese  suchen  den  König  auf,  bringen  ihm 
den  dem  Dämon  entwendeten  Ring,  worauf  aber  Asmodeus 
davonfliegt. 


of  Names.  London.  [1894].  S,  904 ;  ferner  Baring-Öould :  Curious  Myths 
of  the  Middle  Ages,  S.  386 — 416;  Gaster:  Literatura  popularfi  romänä, 
S.  78-80. 

»)  Siehe  Wesselofsky,  Archiv  VI,  S,  566. 


—     7     — 

Wie  Wesselofsky  zuerst  gezeigt  hat^),  zerfallt  die  Tal- 
muderzähluDg  in  zwei  Episoden:  1.  Fang  des  Asmodens;  seine 
Gespräche  mit  Benajab  und  Salomo;  2.  Vertreibung  Salomo's 
durch  den  Dämon.  Er  erblickt  in  letzterer  Episode  den  Ur- 
sprung für  die  Erzählungen  von  der  Entfährung  der  Ge- 
mahlin Salomo's  (siehe  später),  hingegen  in  der  ersten,  dem 
Bestandteile  der  Gespräche,  das  Prototyp  zu  den  Dialogen 
zwischen  Salomo  und  Saturn,  Salomo  und  Morolf. 

Irgend  eine  Variante  der  ersten  talmudischen  Erzählung 
lag  auch  der  muhammedanischen  Legende  von  Salomo  und 
Sachr,  der  an  Stelle  Aschmedais  tritt,  zugrunde.^)  Hier  bei 
den  Arabern^  spielt  Salomo  jedoch  nicht  die  kleinliche 
Rolle  wie  bei  den  Juden,  sondern  er  erscheint  als  ein  großer 
Zauberer,  dem  auf  Gottes  Geheiß  acht  Engel  die  Herrschaft 
über  die  Winde  übertragen.  Der  höchste  gibt  ihm  einen 
Edelstein,  indem  er  sagt:  Wenn  du  uns  einen  Befehl  zu  er- 
teilen hast,  so  hebe  nur  diesen  Stein  gegen  den  Himmel, 
uod  wir  erscheinen  als  deine  Diener.  Weitere  vier  Engel  über- 
geben ihm  mit  einem  anderen  Edelstein  die  Herrschaft  über 
alles,  was  auf  der  Erde  und  in  der  Luft  lebt.  Durch  einen 
dritten  Edelstein  bekommt  er  die  Herrschaft  über  Land  und 
Wasser,  so  daß  auf  seinen  Befehl  die  höchsten  Berge  ver- 
schwinden. Ein  anderer  Engel  überbringt  ihm  einen  vierten 
Edelstein,  wodurch  Salomo  die  Macht  über  das  Geisterreich 
erlangt.  Diese  vier  Steine  läßt  Salomo  nun  zusammensetzen, 
um  jeden  Augenblick  Gebrauch  von  seiner  Herrschaft  über 
das  Tier-  und  Geisterreich,  über  Erde  und  Wind  machen  zu 
können.  Seine  erste  Sorge  ist,  die  Satane  und  Djinn  zu 
unterwerfen.  Er  läßt  sie  alle  vor  sich  kommen  mit  Aus- 
nahme des  mächtigen  Sachr  und  des  Iblis,  des  Meisters  aller 


»)  Archiv  VI,  396. 

«)  Wesselofsky  im  Archiv  VI,  666. 

*)  Siehe  Weü:  Biblische  Legenden  der  Mnselmänner.  Frankfurt. 
1846,  226 ff.;  Jos.  von  Hammer:  flosenöl  I.  Stuttgart  u.  Tübingen.  1813« 
S.  147 ff.;  Rene  Basset:  Salomon  (Solaiman)  dans  les  legendes  musul- 
manes,  in  Revue  des  Traditions  Populaires.  Paris.  1888—1890,  T.  Ul, 
S.  353-359,  503,  537-538;  IV,  52—53,  231—234,  389-391,  486—493, 
592-594;  V,  298,  431. 


—    8    — 

bösen  Geister.    Jedem   drückt  er  seinen  Siegelring  auf  den 
Hals,  xxm  sie  als  seine  Sklaven  zu  zeichnen. 

Diese  bauen  nun  den  Tempel.  Es  folgt  dann  dieselbe 
Geschichte  mit  Sachr,  der  berauscht  wird  und  dadurch  in 
die  Macht  Salomo's  gerät,  wie  wir  es  schon  bei  Aschmedai 
gesehen  haben.  Salomo  will  dann  eine  Pilgerfahrt  nach 
Mekka  unternehmen.  Zu  diesem  Zwecke  läßt  er  einen  großen 
Teppich  anfertigen,  auf  dem  sich  alle  Pilger  niederlassen.  Den 
Vögeln  gebietet  er,  über  dem  Teppiche  in  geschlossenen 
Reihen  zu  fliegen,  um  die  darauf  Befindlichen  zu  beschatten. 
Den  Winden  befiehlt  er,  den  Teppich  mit  allem,  was  darauf 
ist,  in  die  Höhe  zu  heben  und  nach  Jathrib  (Medina)  zu  tragen. 
Als  sie  dort  angekommen  sind,  geht  er  allein  an  die  Stätte,  wo 
später  Mohammed  die  erste  Moschee  errichtete  und  verrichtet 
sein  Mittagsgebet.  Nach  seiner  Rückkehr  müssen  die  Winde 
den  Teppich  wieder  nach  Mekka  tragen.  Nach  drei  Tagen 
will  er  nach  Jerusalem  zurückkehren.  Als  aber  die  Vögel 
ihre  Flügel  ausbreiten,  bemerkt  Salomo  ein  Sonnenstreifchen 
auf  dem  Teppich,  woraus  er  schließt,  daß  irgend  ein  Vogel 
seinen  Platz  verlassen  habe.  Ein  Adler  macht  ausfindig,  daß 
der  Wiedehopf  fehle.  Dieser  muß  ihn  denn  auch  herbei- 
schaffen, und  der  Wiedehopf  entschuldigt  sein  Ausbleiben 
damit,  daß  er  bei  der  Königin  Bilqis  von  Saba  gewesen  sei^ 
deren  Geschichte  er  erzählt.  Salomo  hat  von  dieser  noch 
nie  etwas  vernommen;  daher  schreibt  er  an  sie  einen  Brief, 
drückt  seinen  Siegelring  darauf  und  übergibt  ihn  dem  Wiede- 
hopf zur  Beförderung.  Bilqis  erhält  diesen  am  nächsten 
Tage  und  schickt  auf  den  Rat  ihrer  Großen  Geschenke 
an  Salomo.  Dann  kleidet  sie  500  Jünglinge  als  Jungfrauen 
und  ebenso  viele  Jungfrauen  als  Jünglinge  und  befiehlt 
ersteren,  sich  wie  Mädchen,  letzteren,  sich  wie  Jünglinge  zu 
benehmen.  Auch  durch  andere  Kunststücke  sucht  sie  das 
Prophetentum  Salomo's  auf  die  Probe  zu  stellen.  Der  Wiede- 
hopf hört  dies  alles  an  und  berichtet  dem  Salomo 
dann  ausführlich.  Natürlich  errät  dieser  bei  der  Ankunft 
der  Gesandten  der  Königin  alles,  die  ihn  nun  mit  der  vollsten 
Überzeugung  seines  Prophetentums  verlassen.  Bilqis  kommt 
dann   selbst  zu  ihm;  doch  ehe  er  mit  ihr  das  Lager  teilen 


—     9     — 

will,  möchte  er  über  ihren  Körper  im  Beinen  sein  und  sehen, 
ob  sie  wirklich  Eselsfüße  habe,  wie  ihm  mehrere  Satane  glauben 
machen  wollen.  Daher  läßt  er  sie  durch  einen  Saal  führen, 
dessen  Boden  von  Kristall  ist  und  unter  welchem  Wasser 
mit  allerlei  Fischen  fließt.^)  Bilqis  glaubt,  sie  müsse  durch 
das  Wasser  waten  und  hebt  ihr  Kleid  bis  zu  den  Knieen 
auf;  zu  seiner  großen  Freude  erblickt  Salomo  einen  regel- 
mäßig gebildeten  Frauenfuß.  Nun  heiratet  er  sie,  setzt  sie 
wieder  als  Königin  Ton  Saba  ein  und  bringt  jeden  Monat 
drei  Tage  bei  ihr  zu. 

Bilqis  erhält  aber  bald  eine  gefährliche  Nebenbuhlerin 
an  Bjarada,  der  Tochter  des  Königs  Nubara,  welcher  eine 
der  schönsten  Inseln  im  indischen  Meere  beherrscht.  Dieser 
König  ist  ein  furchtbarer  Tyrann;  Salomo  zieht  daher 
mit  so  viel  Truppen,  als  sein  größter  Teppich  fassen  kann, 
gegen  ihn,  erobert  die  Insel  und  erschlägt  den  König  mit 
eigner  Hand.  Als  er  sich  aus  dem  Palaste  des  Königs  ent- 
fernen will,  tritt  ihm  eine  an  Schönheit  selbst  die  Königin 
von  Saba  übertreffende  Jungfrau  entgegen.  Salomo  läßt 
sie  auf  seinen  Teppich  bringen  und  will  sie  zwingen,  seinen 
Glauben  anzunehmen  und  sein  Bett  zu  teilen.  Djarada  sieht 
aber  in  ihm  nur  den  Mörder  ihres  Vaters  und  erwiedert 
seine  Liebkosungen  nur  mit  Seufzen.  Als  sie  auch  nach 
einem  ganzen  Jahre  noch  immer  ihr  Herz  seiner  Ldebe  ver- 
schließt, fragt  er  sie,  womit  er  ihren  Schmerz  lindern  könne. 
Sie  bittet  ihn  darauf,  durch  einige  Djinn  die  Statue  ihres 
Vaters  aus  ihrer  Heimat  holen  zu  lassen,  um  durch  dessen 
Anblick  Trost  zu  erhalten.  Salomo  ist  schwach  genug, 
ihrem  Wunsche  zu  willfahren,  und  so  zollt  Djarada  dem 
Standbilde  göttliche  Verehrung.  Vierzig  Tage  dauert  dieser 
Götzendienst,  bis  Assaf  davon  Kenntnis  erhält  und  in  einer 
Predigt  Salomo  deshalb  tadelt.  Darauf  eilt  Salomo  in  das 
Gemach  Djaradas,  und  da  er  sie  betend  vor  dem  Bilde  ihres 
Vaters  liegen  sieht,  zerbricht  er  dasselbe.  Dann  tut  er  40 
Tage  lang  Buße. 

Als  er  eines  Abends  nach  Hause  zurückkehrt,  und  einer 


')  Vergleiche  auch  Köhler,  Germ.  XXIX,  53. 


—     10    — 

seiner  Gattinnen  seinen  Siegelring  aufzubewahren  gibt,  nimmt 
der  Djinn  Sachr  seine  Grestalt  an  und  läßt  sich  den  Ring 
von  ihr  geben.  Als  Salomo  bald  darauf  ihn  wieder  zurück- 
fordert, wird  er  verlacht  und  als  ein  Lügner  aus  dem  Palaste 
getrieben.  39  Tage  irrt  er  so  auf  dem  Lande  umher.  Am 
40.  Tage  tritt  er  in  den  Dienst  eines  Fischers  und  hier 
wiederholt  sich  dieselbe  Geschichte,  wie  sie  uns  schon  in  dem 
talmudischen  Traktat  erzählt  ist,  nur  daß  der  König  und 
seine  Tochter  nicht  erwähnt  werden.  Salomo  kommt  wieder 
nach  Jerusalem,  wo  er  noch  10  Jahre  regiert.  Djarada  will 
er  nicht  mehr  wiedersehen,  dagegen  besucht  er  die  Königin 
Bilqis  regelmäßig.  Nach  deren  Tode  erscheint  auch  ihm  der 
Todesengel;  beide  gehen  in  einen  kristallenen  Saal,  wo 
Salomo  betet.  Dann  stützt  er  sich  auf  einen  Stock  und 
bittet  den  Todeseogel,  ihm  in  dieser  Stellung  seine  Seele  zu 
nehmen.  Dieser  willfährt  auch  seinem  Wunsche,  und  erst 
als  der  Stock,  vom  Wurm  zernagt,  mit  ihm  zusammenstürzt, 
merken  die  Djinn  seinen  Tod.  Engel  tragen  ihn  dann,  samt 
seinem  Siegelringe,  in  eine  verborgene  Höhle. 

Daneben  finden  sich  noch  andere  Sagen  von  Salomo's 
Weisheit  und  ihrer  Bestätigung  im  Gespräche  mit  Dämonen ; 
so  zum  Beispiel  die  Unterhaltung  Salomo's  mit  dem  Dschinnen- 
König  Schachruch,  ^)  der  ihm  von  den  Sphären  des  Feuers, 
des  Wassers  und  der  Luft  erzählt,  von  den  7  Erden  und  den 
7  Meeren,  die  er  durchreist  hat  und  endlich  von  dem  das 
ganze  Universum  umfassenden  alten  Weltdrachen,  der  die 
großen  Bevolutionen  der  Natar  bewirkt.  Er  hat  sieben 
hohle  Zähne,  und  diese  Zahnhöhlen  sind  die  sieben  Höllen. 
7mal  100000  Flügel  aus  biegsamen  Edelsteinen  streckt  er  in 
das  Unendliche;^  auf  der  Feder  eines  jeden  Flügels  steht 
ein  Engel  mit  feuriger  Lanze,  die  alle  zusammen  Gott  loben 
und  preisen.  Alle  7mal  100  000  Jahre  sagt  der  Drache: 
Gott  ist  groß,  und  Lob  sei  Gott;  dies  sind  die  Jubeljahre 
der  Welt.  Wenn  er  ausatmet,  speit  er  die  7  Höllen  aus, 
und  bringt  jene  großen  physischen  und  politischen  Revo- 
lutionen   hervor,    welche    die  Oberfläche   des   Erdballs   um- 

^)  Hammer,  Rosenöl  I,  205  ff.    Siehe  Vogt,  S.  LIII. 

*)  Siehe  auch  den  babyl.  Traktat  Uittin.  Näherei  bei  Vogt,  S.  213  ff. 


—  11   — 

kehren.  Wenn  er  einatmet,  wird  Ruhe  und  Ordnung  wieder 
hergestellt.  Die  Sterne  sind  die  Schuppen  seiner  Haut,  und 
sein  Schweif  ist  das  Chaos.  Alles,  was  da  ist,  umschlingt 
er  in  sich  selbst  verschlungen,  ein  Bild  der  Unendlichkeit, 
oder  die  Uuendlichkeit  selbst.  Die  Ägypter  haben  sich  die 
Natur  als  ein  Weib  gedacht,  das  in  der  Stellung  vierfüßiger 
Tiere  die  Welt  umfaßt  Daher  heißt  der  alte  Drache  bald 
ein  Weib  und  bald  die  Welt. 

Endlich  ist  im  Arabischen  noch  die  Unterhaltung 
Salomo's  mit  Simurg^)  über  das  Schicksal  und  die  Vorher- 
bestimmung zu  erwähnen. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  nicht  auch  eine  syrische  Salomo- 
Markolfsage  existiert  hat.  Eine  solche  ist  bis  jetzt  noch  nicht 
gefunden  und  auch  nicht  anzunehmen,  zumal  das  zu  einer 
solchen  Hypothese  angefiihrte  Zeugnis  des  Erzbischofs  Wil- 
helm von  Tyrns  bereits  von  Schaumberg  (S.  44)  zurückge- 
wiesen wurde.  Wilhelm  fährt  in  seiner  Historia  rerum  in 
partibus  transmarinis  gestarum  lib.  XIII.  c.  1 .  ^)  den  bereits 
zitierten  Ausspruch  des  Josephus  an  und  bemerkt  in  bezug 
auf  Abdimus:  Et  hie  fortasse  est,  quem  fabulose  popularium 
narrationes  Marcholfum  vocant,  de  quo  dicitur,  quod  Salo- 
monis  solvebat  senigmata,  et  ei  respondebat,  aequipoUenter 
iterum  solvenda  proponens. ')  Dieser  Ausspruch  beweist  je- 
doch nur  die  Verbreitung  der  Markolfsage  zu  Wilhelm's  Zeit 
(um  1170),  wird  aber  durch  frühere  Zeugnisse  hinfällig  ge- 
macht. 


>)  Roßenöl  I,  244  ff. 

°)  £d.  Bongars:  Oesta  Dei  per  Francos  II,  834. 

')  Melch.  Goldast  (unter  dem  angenommenen  Namen  Georg  Erhard) 
in  seinen  Symbolae  ad  Petron.  Francof.  1621.  8^  p.  726  (zuerst  Heleno- 
polis.  1610.  8^]  führt  diese  Stelle  an.  Entdeckt  wurde  dies  von  Eschen- 
burg,  Denkmäler  175.  Wieder  abgedruckt  bei  v.  d.  Hagen,  in  seiner 
Ausgabe,  S.  III,  Anm.  Er  sieht  hierin  den  orientalischen  Ursprung  der 
Sage.  Siehe  auch  Görres:  Die  teutschen  Volksbücher  1807,  S.  192; 
Grässe,  a.  a.  0.  II,  3,  S.  466;  Grimm,  a.  a.  0.,  S.  249  (EL  Sehr.  IV, 
47 ff.);  Kemble,  S.  11;  0.  Keller:  Untersuchungen  über  die  Geschichte 
der  griechischen  Fabel,  S.  370;  vgl.  C.  Hofmann,  a.  a.  0.,  S.  421.  Da- 
gegen wandte  sich  Schaumberg:  PBB.  43 ff.  Von  neuem  wurde  die 
Frage  untersucht  von  Vogt,  S.  XL  VI. 


—     12     — 

So  liegt  also  in  dem  Zauberringe  die  Macht  Salomo's 
über  die  DämoDen.  Einen  wichtigen  Beitrag  für  die  Eni* 
stehungsgeschichte  der  Sage  von  Salomo  und  seinem  Kampfe 
mit  den  Dämonen  lieferte  K.  Burdach^):  „Die  um  das 
Jahr  385  schreibende  französische  Jerusalempilgerin,  deren 
noch  nicht  lange  bekanntes  Reisememoire  man  sich  gewöhnt 
hat  als  S.  Silviae  peregrinatio  zu  zitieren,  erzählt,  in  der 
Kirche  des  hl.  Grabes  habe  bei  der  liturgischen  Ausstellung 
des  Kreuzes  Christi  am  Karfreitag,  nachdem  diese  kostbarste 
B^liquie  von  allen  Anwesenden  geküßt  worden  war,  ein  Diakon 
auch  noch  den  Ring  des  Salomo  und  das  Hörn,  womit  die 
alttestamentlichen  Könige  gesalbt  wurden,  zur  Verehrung  und 
zum  Kuß  dargereicht  (Kap.  37,  Itinera  Hierosolymitana  reo. 
P.  Geyer,  im  Wiener  Corpus  Scriptorum  ecclesiasticorum 
latinorum  Vol.  29,  S.  88).  Zwei  Jahrhunderte  später  be- 
stimmte der  Breviarius  de  fiierosolyma  (ebda.  S.  154)  das 
noch  genauer :  der  Siegelring  Salomo's  werde  gezeigt,  mit  dem 
er  sich  die  Dämonen  unterworfen  habe,  und  er  bestehe  aus 
Elektrum.  Aber  schon  das  älteste  Palästina-Itinerar,  im 
Jahre  333  von  einem  Siidfranzosen  verfaßt,  kannte  in  Jeru- 
salem eine  Krypta  am  heilkräftigen  See  Bethesda  (Betsaida), 
in  der  Salomo  die  Dämonen  peinigte,  und  ein  auf  wunderbare 
Weise  mit  einem  einzigen  Stein  gedecktes  Gemach  an  der 
Stelle  des  einstigen  Salomonischen  Tempels,  wo  der  alt- 
testamentliche  König  „die  Weisheit  beschrieb",  d.  h.  die 
Proverbien  und  den  Koheleth  (und  das  Buch  der  Weisheit?) 
verfaßte. 

In  diesen  magischen  Werkzeugen  des  Salomo,  in  diesen 
fabelhaften  Lokalitäten  seiner  Zauberkraft,  die  von  der  wunder- 
süchtigen Andacht  und  unermüdlich  schöpferischen  Phantasie 
der  altchristlichen  Jerusalempilger  angestaunt,  und  mit  mär- 
chenhaften, immer  weiter  ausgedichteten  Geschichten  jüdischer 
und  arabischer  Herkunft  iimsponneu  wurden,  liegt  unzweifel- 
haft der  Ausgangspunkt  für  die  gesamte  internationale  Sa- 
lomosage  des  Mittelalters.    Noch  im  12.  Jahrhundert  dauerte 


»)  In  Herrig'fl  Archiv  CVIII,  131;  ferner  7.  Kap.  yon  Burdach, 
Longinas  und  der  Gral  (noch  nicht  erschienen). 


—     13     — 

die  alte  Filgertradition  über  Salomo  fort;  im  Jahre  1137 
wiederholte  der  Bibliothekar  von  Monte  Cassino  Petms  Dia- 
konus die  Erzählung  von  dem  Hom  und  dem  Ring  Salomo's, 
die  in  der  Grabeskirche  zu  Jerusalem  gezeigt  würden.^  Bur- 
dach fügt  hieran  die  Frage:  „Ist  danach  das  geblasene 
Signalhorn  König  Salomos  in  der  russischen  Überlieferung 
nur  eine  mißverständliche  Umgestaltung  des  ursprünglichen 
Salbhoms?« 

Aus  dem  Orient  wanderte  die  Sage  nach  dem  Abendlande, 
Den  ältesten  Inhalt  derselben  in  Europa  yersuchten  Yogt^ 
S.  XL VII  und  Wesselofsky  zu  rekonstruieren,  und  ich  ver- 
weise darauf.')  Die  Sage  erzielte  im  Abendlande  einen 
riesigen  Erfolg;  sie  wurde  in  alle  Vulgärsprachen  übersetzt 
und  fast  überall  auch  poetisch  behandelt.  Aus  der  orien- 
talischen Sage  entwickelte  sich  nach  Vogt  die  griechisch- by- 
zantinische. Hierher  gehört  das  apokryphe  Testament  des 
Saiomo  ^\  in  dem  sich  Salomo  mit  den  Dämonen  unterredet 
und  ihnen  ihre  Verrichtungen  anweist;  aus  ihm  erfahren  wir 
auch,  daß  sich  Salomo  zum  Molochdienste  verleiten  ließ,  um 
die  Jebusitertochter  Sulamith  ^  zu  gewinnen.  Ferner  gehört 
hierher  die  Hygr'omantia  SaUnnonis  ad  fdium  Rohoam  *)  und  die 
Töv  SoXo^cjvianUInf  eidrjaig,^) 

Von  Byzanz  waoderte  die  Sage  über  südslavisches  Gebiet 
(serbisch-bulgarische  •)  Fassungen  des  XII — XIV.  Jahrb.  sind 
vorhanden  gewesen)  nach  Rußland.'^) 


»)  Wesselofsky,  Archiv  VI,  S.  406-410  und  564  ff. 

*)  Testamentum  Salomonis,  in  Migne:  Patrolog.  Graeca.  Bd.  122. 
Sp.  1315 — 58.  In  deutscher  Übertragung  von  Aug.  ßornemann,  in 
lUgens  Zeitschrift  für  die  historische  Theologie  1844,  III,  9. 

')  Siehe  G.  Paris:  La  femme  de  Salomon,  in  Romania  IX,  S.  436 
—443,  und  Litterar.  Centralblatt  1880.  Nr.  40,  Sp.  1333-35. 

*)  Fabricius:  Codex  pseudepigraphus  veteris  testamenti  I.  S.  1046. 

*)  Siehe  auch  eine  griechische  Fassung  der  Sage  bei  Michael 
Glykaa,  ed.  Bonn,  S.  342;  ferner  Fabricius,  a.  a.  O.  I,  1047. 

•)  Jagiö:  Die  christlich-mythologische  Schicht  in  der  russischen 
Volksepik,  im  Archiv  für  slav.  Philol.  I,  llOff.  S.  Vogt,  S.  XLVIII,  Anm. ; 
femer  Vamhagen,  a.  a.  0.,  S.  28 ff.;  Child,  Fr.  J.,  a.  a.  0.,  Bd.  V.  S.  3. 

^  Jagiö,  a.  a.  0.,  S.  103 ff.  Ferner  die  russisch  geschriebene  Ab- 
handlung Wesselofsky's :    Slavische  Überlieferungen   über  Salomon  und 


—     14    — 

Hier  ist  sie  in  drei  yerschiedenen  HauptfassuDgen  ^) 
überliefert,  die  insofern  den  semitischen  Bearbeitungen  noch 
am  nächsten  stehen,  als  Salomo  noch  Beziehungen  zu  außer- 
menschlichen Wesen  hat.  In  den  Volksliedern  sucht  ein 
Kaiser  Vasilj  Okuljevid  eine  durch  Schönheit  und  Ver- 
stand ausgezeichnete  Gemahlin,  worauf  ihm  seine  Großen 
Salomo's  Gemahlin  Salmanija  yorschlagen  (vgl.  Sulamith). 
Ein  gewisser  Ivaska  entführt^)  die  Eöaigin,  indem  Boten, 
als  Kaufleute  verkleidet,  über  das  Meer  fahren,  die  Königin 
auf  das  Schiff  locken  und  sie  betäuben.  Nach  drei  Jahren 
kommt  aber  Salomo,  als  Pilger  verkleidet,  zu  ihr;  sie  erkennt 
ihn,  setzt  ihn  in  einem  eisernen  Koffer  gefangen  und  gibt  ihn 
in  die  Gewalt  Vasiljs.  Dieser  bestimmt  für  ihn  den  Tod  am 
Galgen;  als  Salomo  gehenkt  werden  soll,  erbittet  er  sich  als 
letzte  Gunst,  sein  Hörn  noch  einmal  blasen  zu  dürfen,  da  er 
das  Spiel  von  seiner  Jugend  her,  als  er  das  Vieh  weidete, 
lieb  gewonnen  habe.  Auf  dieses  dreimal  gegebene  Zeichen 
eilen  geflügelte  Roßmenschen  herbei,  die  ihn  befreien.  Statt 
seiner  werden  nun  Vasilj,  Salmanija  und  Ivaska  aufgeknüpft. 

In  einer  russischen  Prosaversion  ^)  besticht  Salomo,  als 
alter  Pilger  verkleidet,  durch  einen  goldenen  Ring  eine  Jung- 
frau an  einem  Brunnen,  ihm  einen  Trunk  aus  einem  dem 
Könige  gehörenden  Becher  zu  gestatten.  Die  Königin  er- 
kennt dann  am  Ringe,  daß  der  Fremde  ihr  Mann  ist. 
Salomo  soll  gehängt  werden,  wird  aber  durch  sein  Horn- 
blasen  befreit.  Eine  andere  Fassung*)  kennt  Kitovras  als 
Entführer  von  Salomo's  Gattin,  der  einen  als  Kaufmann  ver- 
kleideten Zauberer   zu  Salomo   schickt.     Dieser  kauft  einen 


CeDtaurus  und  die  westearopäischen  Legenden  über  Morolf  und  Merlin. 
Petersburg  1872,  u.  Archiv  für  alav.  Philo!.  VI,  405—406  und  549  ff. 
Vgl.  dazu  Vogt,  S.  XLII,  u.  S.  213  im  Anhang  eine  elaviache  Bearbeitung 
von  Salomo  und  Aschmedai,  ferner  Dunlop,  History  etc..  revised  by 
Wilson  II,  p.  637;  Gaster,  a.  a.  0.  332;  Varnhagen,  a.  a.  O.  S.  48; 
Child,  a.  a.  0.  Bd.  V.   S.  2  und  279  ff. 

*)  Siehe  auch  Wilmanns  in  A.  f.  d.  A.  VII.  274. 

^  Über  den  Ausgangspunkt  fdr  die  Entführung  siehe  Vogt,  S. 
XLVIIIff. 

')  Vogt,  S.  XLm  und  Wesselofsky  in  Archiv  VI,  396. 

*)  Wesselofsky  in  Archiv  VI,  406-407. 


—     15     — 

Farptir  und  bittet  den  Kaufmann,  bei  ihm  am  nächsten 
Tage  zu  speisen.  Bei  dieser  Gelegenheit  versenkt  der  Gast 
die  Königin  in  Schlaf  und  trägt  sie  auf  das  Schiff.  Als 
Salomo  erfährt;  daß  seine  Gemahlin  bei  dem  König  Kitovras 
ist,  verkleidet  er  sich  als  Bettler  und  zieht  mit  einem  Heere 
hin.  Auf  sein  Homblasen  kommt  ihm  sodann  sein  Heer  zu 
Hilfe.  In  anderen  Versionen  ist  der  Eotführer  der  König 
von  Cypern  ^)  oder  der  König  Porus  von  Indien. 

Was  die  russischen  Sagen  betrifft,  die  sich  an  Salomo's 
Mutter  angeheftet  haben,  so  möchte  ich  für  diese  auf  Wesse- 
lofky's  Abhandlung  im  Archiv  VI.  S.  574  verweisen. 

Zu  den  slavischen  Bearbeitungen  gehören  auch  ver- 
schiedene polnisclie  *) ;  besonders  in  die  Walthersage  sind  ähn- 
liche Züge  aufgenommen  worden.  Graf  Walgerzs  (Walther 
der  Starke)  hält  sich  eine  Zeitlang  am  Hofe  des  Königs  von 
Franken  auf,  dessen  Tochter  die  schöne  Helgunda  ist.  Sie 
verliebt  sich  in  ihn,  beide  entfliehen  über  den  Bhein,  nicht 
ohne  daß  er  zuvor  einen  Kampf  mit  dem  anderen  Liebhaber, 
einem  alemannischen  Königssohn,  zu  bestehen  hat.  Nach 
einigen  Jahren  besiegt  Walgerzs  den  schönen  Wislaw,  Herrn 
von  Wislicz,  und  legt  ihn  in  seiner  Burg  gefangen.  Hel- 
gunda verliebt  sich  in  ihn  und  begibt  sich  mit  ihm  auf  die 
Flucht.  Sie  weiß  dann  Walgerzs  in  Wislaw's  Gewalt  zu 
locken.  Seine  Bewachung  ist  Wislaw's  häßlicher  Schwester 
anvertraut,  die,  von  Liebe  zu  ihm  gerührt,  ihn  befreit,  worauf 
er  Wislaw  und  Helgunden  tötet. 

Eine  welsche  Bearbeitung  der  Sage  zitiert  Kemble 
S.  99,  und  über  den  Einfluß  anderer  indogermanischer  Sagen 
siehe  Otto  Keller  *),  der  auf  eine  große  Ähnlichkeit  der  Aesop- 


^)  Wesaelofsky  im  Archiv  VI,  S.  398,  406  und  648  ff. 

*)  Siehe  Kemble,  S.  98;  ferner  Boguphal:  Chronicon  Poloniae,  in 
Monumenta  Poloniae  historica,  ed.  Bielowski  II,  012—514;  J.  Giimm: 
Latein.  Gedichte  des  10.  und  11.  Jahrh.  Göttingen.  1838,  S.  112 ff.; 
F.  liebrecht:  Die  slavische  Walthariussage,  in  Benfey's  Orient  und  Oc- 
cident  I,  125—129;  ferner  Germania  XI,  172—173,  XXV,  38;  Vogt, 
S.  LXVUI;  Wilmanns  A.  f.  d.  A.  VII,  283. 

*)  Untersuchangen  über  die  Geschichte  der  griech.  Fabel,  im  Jahr- 
buch für  klass.  Philol.  Supplement  Bd.  IV,  S.  36 ff.,  auch  separat  er- 
schienen, Leipzig  1862. 


—     16     -. 

und  Markolfsagen  hinweist,  ebenso  Schaumberg  (S.  37) ;  doch 
erklärte  sich  dagegen  Vogt  S.  LVI. 

Dem  Abendlande  kann  die  Sage  in  ihrer  byzantinischen 
Fassung  nur  durch  lateinisdie  Übertragungen  vermittelt  worden 
sein. ^)  Allein  die  erhaltenen  lateinischen  Bearbeitungen^) 
sind  später  und  haben  eine  von  den  Sagen  abweichende  Ge* 
stalt.  Der  ungeschlachte  Marcolphus  kommt  mit  seiner  eben 
so  häßlichen  Frau  vor  Salomo  und  stellt  sich  erst  Yor,  nach- 
dem ihm  Salomo  seine  Abstammung  yon  12  Generationen 
berichtet  hat.  Es  folgt  die  Beschreibung  der  beiden  Ehe- 
gatten, worauf  dann  das  Urteil  Salomo's  über  die  zwei  Buhl- 
dimen  angeführt  wird.  Alsdann  wechselt  Rede  mit  Gegenrede 
ab,  da  Salomo  mit  Marcolphus  disputieren  will,  nachdem  er 
ihn  als  einen  schlagfertigen  Menschen  erkannt  hat.  Der 
Dialog  besteht  aus  lauter  Sprichwörtern  und  Salomo's  Satz 
und  Marcolph's  Gegenrede  sagen  im  wesentlichen  dasselbe, 
nur  daß  sich  Marcolph  immer  unanständig  ausdrückt.  *)  Ver- 
gleicht man  die  Sprichwörter,  welche  Salomo  dem  Marcolph 
vorlegt,  mit  den  sogenannten  Salomonischen  Sprichwörtern 
des  Alten  Testamentes,  so  zeigt  sich  erstens,  daß  die  letzteren, 
wenn  auch  nicht  mit  denselben  Worten,  so  doch  dem  Sinne 
nach  gleich,  sich  in  ersteren  wiederfinden,  zweitens,  daß  in  den 
Proverbia  Salomonis  ein  besonderes  Narrenkapitel  ist  und  zwar 
gerade  das  26.,  in  welchem  Vers  8  ein  Merkur  erwähnt  wird.  *) 


^)  Über  Hss.  und  alte  Drucke  der  lat.  Gedichte  siehe  Eschenburg 
in  Bragur  IT,  456;  v.  d.  Hagen,  a.  a.  0.,  S.  IV,  Anm.  4;  Kemble,  S.  30ff.; 
Hofmann,  422  und  431;  Schaumberg,  S.  2 ff.;  Kürschner,  S.  200;  Duff: 
Anhang. 

*)  Auszüge  bei  v.  d.  Hagen,  S.  VI— XH;  Schaumberg,  S.  8—10, 
siehe  auch  Kemble,  S.  31.  Über  eine  Sapientia  Salomonis  siehe  Levin 
Ludw.-  Schücking :  Studien  über  die  stoffl.  Beziehungen  der  engl.  Komödie 
zur  italienischen  bis  Lilly.    Göttinger  Diss.  Halle.  1901,  S.  12,  Anm. 

')  Siehe  Hofmann,  a.  a.  O.  431.  Eine  Vergleichung  zwischen  dem 
deutschen  und  lateinischen  bei  Schaumberg,  S.  4,  ebenso  Kemble,  S.  50. 

*)  Von  alten  lateinischen  Drucken  konnnte  ich  im  Britischen  Museum 
einsehen:  1.  Dyalogus  Salomonis  ^  Marcolfi  G.  L.  [Oologne?  1473?] 
4®;  registriert  I.  A.  4442  (früher  C.  53.  c.  28).  2.  Dyalogus  Salomonis 
et  Marcolfi  G.  L.  [J.  und  C.  Hist:  Spire  1480?]  4»;  registriert  1070. 
m.  44.    3.  Dyalogus  Salomonis  et  marcolfi  G.  L.  [H.  Knoblochtzer:  Straß- 


—     17     — 

Im  Abendlande  taucht  eine  Notiz  über  Salomo  zum  1.  Male  in 
dem  sogen.  Decretum  Damasi  ^)  (366 — ^884)  auf,  das  unter  an- 
deren Büchern,  wie  Physiologns,  vom  Drachen  usw.^  anoh  eine 
Oootradictio  Salomonis  ^)  verdammt.  Was  diese  Contradiotio 
enthielt,  wissen  wir  nicht,  da  jede  Spur  verloren  ist.  Näheres 
darüber  siehe  bei  meiner  UntersuohuDg  über  die  Quelle  für  die 
altengl.  Fassungen  (8.  108  ff.).  Den  ältesten  Hinweis  auf  den 
Namen  Marculph  liefert  unser  ae.  Text  von  Salomo  und  Saturn 
(vgl.  darüber  später) ;  weitere  Anspielungen  und  damit  auch  Zeug- 
nisse für  das  Bekanntsein  der  Legende  finden  sich  bei  Notker^) 
in  der  Paraphrase  des  118.  Psalms,  dann  bei  Freidank*), 
Agricola'),  dem  provenzalischen  Dichter  Rambaut  d'Aurenga  ^) 


burg  1483?]  4»;  registriert  12330.  g.  36.  13  Blätter,  von  denen  nur  die 
erste  Seite  blank  ist.  (Falsch  im  Katalog  angegeben.)  4.  Incipiaut  ool- 
latiofies  quas  diountur  feoiase  matno  rex  salomo»  sapientissimtiS  et  mar- 
colphas  facie  deformis  et  turpissimue  tame»  yt  fertar  eloquentifleimas 
feliciter.  Ms.  Notes.  Q.  L.  [C.  Kachelofen:  Leipsic  1485?]  4^^;  registriert 
I.  A.  11653,  früher  12316.  d.  9.  5.  Incipiunt  coUationes  quas  dicuntur 
fecisse  mutoo  Rex  salomon  sapientissimus  et  Marcolphus  facie  deformis 
€t  tnrpissimus  tamen  vt  fertur  eloqaentlssimus  feliciter.  G.  L.  [C.  Rachel- 
ofen: Leipshs  U90?]  4°;  registriert  I.  A.  116&5,  frtiher  12816.  d.  66. 
Die  anderen  dortselbst  aufbewahrten  lat.  Drucke  scheinen  nach  der 
Übereinstimmong^  der  Anfangszeilen  denselben  Inhalt  zu  bieten,  wie  die 
angeführten. 

^)  Früher  als  Decretum  Gelasii  angesehen ;  vgl.  Friedrich :  Sitzungs- 
berichte der  bayr.  Akad.  der  Wissensoh.  phil.  bist.  Klasse  1888,  I,  54£r. 
und  Zahn,  Geschichte  des  neutestamentlichen  Kanons  II,  1,  S.  259  ff. 

>)  Siehe  Hoffmann,  a.  a.  0.  421;  y.  d.  Hagen,  S.  IV. 

")  Siehe  Keusch,  Heinrich:  Der  Index  der  verbotenen  Bücher. 
Bonn.  1883-85.  1.  S.  12  und  330;  A.  Thiel:  Epistolae  Rom.  Ponti- 
ficum.  Brunsbergae.  1868.  I.  469;  vgl.  auch  Schaumberg,  a.  a.  0.  S.  32 
und  Schaubach:  Gregor  Hayden's  Salomon  und  Marcolf.  Dias.  Leip- 
zig. 1881. 

^)  Siehe  Grasse,  S.  466;  Notker  ed.  Piper  II.  522,  12—22;  ferner 
Vogt,  S.  LVI. 

*)  £d.  Grimm  81,  3.  Siehe  auch  v.  d.  Hagen,  S.  XIV;  Schaum- 
berg, S.  28;  vgl.  Vogt,  S.  XV;  Eschenburg,  S.  177. 

*)  Siehe  Kemble,  S.  67;  daselbst  noch  andere  Anspielungen  in 
deatffchen  Dichtungen. 

''}  Siehe  Kamble,  S.  13,  der  nooh  andere  Anspielungen  in  der 
franz.  Lit.  angibt;  vgl.  Schaumberg,  S.  34 ff. 

Vftxicliener  Beiti&ge  z.  romanischen  n.  engl.  Philologie.  XXXI.        2 


—     18    — 

(f  1173).     Es  folgt  dann  das  bereits  angefahrte  Zeugnis  des 
Wilhelm  von  Tyrus  über  Marcolph.  ^) 

Von  allen  germanischen  Bearbeitungen  ist  die  altenglisrJie 
Sage  von  Salomon  und  Saturo,  der  die  vorliegende  Unter- 
suchung gewidmet  ist,  die  älteste.  Im  Deutschen  müssen  wir 
nun  verschiedene  Fassungen  der  Sage  unterscheiden.  (Siehe 
Kürschners  NatLitt.  XI,  296  und  Wilmanns,  A.  f.  d.  A.  VII, 
275).  Der  ursprünglichen  Fassung  kommt  vielleicht  der  An- 
hang zum  Sprachgedichte  am  nächsten  (vgl.  Vogt  S.  LXIII 
und  Wilmanns  S.  277;  doch  siehe  Wesselofsky  S.  564). 
Hauptsächlich  sind  aber  3  Bearbeitungen  in  betracht  zu 
ziehen:  1.  Salman  und  Morolf. -)  Dieses  Spielmannsepos 
handelt  von  2  Entführungsgeschichten  der  Salme;  sein  Inhalt 
ist  nach  Vogt  kurz  folgender:  Salman,  König  von  Jerusalem 
und  Kaiser  der  gesamten  Christenheit,  hat  die  Tochter  des 
Königs  Cyprian  von  Indien,  namens  Salme  entführt  und  zur 
Christin  gemacht.  Jenseits  des  Meeres  herrscht  zu  Wendel- 
see der  mächtige  Heidenkönig  Fore,  der  Sohn  des  Memerolt; 
er  fordert  seine  Helden  auf,  ihm  zu  einer  würdigen  Gattin 
zu  raten,  worauf  ihm  Salme  genannt  wird.  Er  beschließt, 
diese  mit  Gewalt  zu  rauben,   wird  jedoch   im  Kampfe  ge- 


*)  Über  den  Namen  Marcolph  siehe  Eschenburg,  Denkmäler  173; 
V.  d.  Hagen  IV,  Anna.  3;  Schelling,  a.  a.  0.  369;  Mone.  Anzeiger  1836 ; 
Hofmann,  der  den  Namen  mit  dem  hebr.  Mahol  identifiziert,  a.  a.  0. 
S.  418,  425;  Schaumberg,  S.  48;  Vogt,  S.  LVII;  Herford,  Studies, 
S.  250  u.  293;  Eisenmenger,  S.  65.  153;  besonders  Liebrecht  zur  Volks- 
kunde, S.  346;  über  Marcolf  bei  Lydgate:  Order  of  Fools,  siehe  ß.  E. 
T.  S.  Extra  Series  VIII.  79. 

•)  Ed.  V.  d.  Hagen,  S.  1 — 43;  neu  herausgeg.  von  Vogt  mit  aus- 
führlicher Einleitung.  Siehe  auch  Schaubach  für  Hs.  und  Drucke.  Ferner 
PauPs  Grundriß  «  II,  230;  Fei.  Liebrecht,  in  Germania  XXI,  385  und 
XXV,  33—40;  Friedr.  Panzer:  Hilde-Gudrun,  S.  268;  Wilmanns  im 
A.  f.d.A.  VIL  274—301;  Fr.  Panzer:  Erzbisch.  Albero  v.  Trier  und  die 
deutschen  SpieLaoannsepen,  in  den  Germanistischen  Abhandlungen,  Her- 
mann Paul  zum  17.  März  1902  dargebracht.  Straßburg  1902,  S.  318 ff.; 
vgl.  G.  Paris:  Li  Bastars  de  Buillon,  in  Romania  VII,  1878,  S.  462; 
femer  Wesselofsky :  El  dyalogo  di  Salomon  e  Marcolpho  etc.  in  Giornale 
storico  della  letteratura  italiana  VIH,  S.  275 — 276;  Singer:  Salomo- 
sagen  in  Deutschland,  in  Z.  f.  d.  A.  XXXV  (N.  F.  XXHI),  S.  177-187; 
Goedeke,  Grundriß  I»,  S.  68. 


—     19    — 

fangen  genommen.  Salman  übergibt  ihn  seiner  Frau  zur  Be- 
wachung, entgegen  der  Warnung  seines  Bruders  Morolf. 
Fore  schenkt  der  Königin  einen  Bing,  wodurch  sie  von  Liebe 
zu  ihm  ergriffen  wird.  Schließlich  befreit  sie  ihn,  und  nach 
einem  halben  Jahre  läßt  er  sie  durch  einen  Spielraann  ent- 
führen. Morolf  muß  nun  die  Königin  ausfindig  machen,  was 
ihm  auch  gelingt.  Salman  rüstet  ein  großes  Heer  aus,  das 
Morolf  im  Tannenwalde  im  Lande  des  Fore  versteckt. 
Salomo,  als  Rlger  verkleidet,  geht  auf  Fores  Burg,  wird 
aber  von  Salme  erkannt  und  soll  am  nächsten  Tage  gehängt 
werden.  Unter  dem  Galgen  erbittet  er  sich  als  letzte  Gunst, 
noch  einmal  sein  Hörn  blasen  zu  dürfen,  damit  St.  Michael 
zur  Rettung  seiner  Seele  herbeieile.  Dies  ist  aber  nur  das 
verabredete  Zeichen  für  Morolf,  der  herbeieilt  und  die  Heiden 
besiegt.  Fore  wird  überwältigt,  Salme  aber  nach  Jerusalem 
geführt.  Nach  Verlauf  von  7  Jahren  beschließt  der  König 
Princian  von  Akers,  die  schöne  Salme  zu  entführen.  Als 
Pilger  verkleidet  kommt  er  nach  Jerusalem,  wirft  einen  Ring 
in  den  Becher,  wodurch  die  Königin  von  Liebe  zu  Princian 
erfaßt  wird  und  nach  12  Wochen  mit  ihm  entflieht.  Salman 
sichert  Morolf  das  Leben  der  Königin  zu,  wenn  er  sie  wieder 
zurückbringt.  Dieser  entdeckt  den  Aufenthalt  der  Königin, 
doch  Salman  will  sich  nicht  noch  einmal  der  Lebensgefahr 
aussetzen.  So  zieht  Morolf  mit  einem  Heere  gegen  Princian, 
besiegt  ihn,  schenkt  ihm  aber  die  Freiheit.  Princian  ver- 
bündet sich  mit  seinem  Bruder  Belian,  jedoch  Morolf  siegt 
abermals.  Er  kehrt  nach  Jerusalem  zurück,  wo  er  dann  die 
Salme  im  Bade  ermordet. 

Die  zweite  Fassung  im  Deutschen  ist  in  dem  Spruch- 
gedicht gegeben,  das  den  Titel:  Der  andere  Morolf^)  führt. 
Dieses  bietet  im  wesentlichen  denselben  Inhalt  wie  die  la^ 
teinische  Prosa.  Zuerst  tauschen  Salomo  und  Morolf  Weis- 
heitssprüche aus,  es  wird  das  Urteil  Salomo's  über  die  2 
Buhldirnen  erwähnt ;  im  2.  Teile  werden  verschiedene  Streiche 


')  £d.  V.  d.  Hagen,  S.  44 — 64;  ferner  von  Schftumberg  und  Vogt. 
Siehe  auch  Piper  in  Kürschner's  National-Litteratur  ü,  206;  femer 
Bech  in  Pfeiffer's  Germania  XV,  129;  Jantzen:  Geschichte  des  deutschen 
Streitgedichtes  im  Mittelalter,  S.  21  und  86. 

2* 


—    20    ~ 

Horolf  8  erzilhlt,  wofttr  er  gehängt  werden  soll.  Er  darf  »ch 
den  Baum  dazu  selbet  wählen;  da  er  aber  natürlich  keinen 
passenden  ^odet,  unterbleibt  die  Zeremonie.  Dieses  Spmcb*- 
gedicht  wurde  später  noch  einmal  bearbeitet  um  1450  durch 
Gregor  Haiden,  welcher  es  dem  Landgrafen  Friedrich  VII. 
Ton  Leuchtenberg  ^)  zueignete  (S.  Sohaubach:  Diss.  Leipeig 
1881.)  In  dritter  Linie  wurde  die  Sage  auch  dramatisch 
behandelt,  in  der  Form  eines  Fastnachtsspieles  von  Hans 
Folz^)  (ca.  1480),  dann  Ton  Hana  Sachs  ^),  der  in  zwei 
Stücken  den  Gegenstand  benutzte. 

Ferner  ist  noch  die  deutsche  Prosa*)  zu  erwähnen,  die 
die  Unterredungen  Markolf  s  mit  dem  Könige  und  die  Streiche 
des  ersteren  erzählt,  wie  sie  in  der  lateinischen  Prosa  ge- 
schildert sind.  Über  spätere  Anspielungen  auf  die  deutsche 
Sage  (wie  bei  Luther)  vgl.  Kemble  8.  68  ff. 

Wichtig  ist  endlich  noch  das  dem  11.  Jahrhunderte  an- 
gehörige  „Loblied  auf  Salomo"*),  das  die  Sage  von  dem 
Drachen  erzählt,  der  berauscht  und  gefangen  wird,  der  also 
seine  Beziehung  zur  jüdischen  Fassung  nicht  verleugnen  kann. 

Eine  nordische^)  Bearbeitung  der  Sage  gibt  uns  Auf- 
schluß, wie  Hjorleif,  der  Weibertolle  —  der  drei  Weiber  zu 
gleicher  Zeit  sein  eigen  nennt  —  von  einem  seiner  Schwieger- 
väter überfallen  wird.  Er  entkommt  aber  aus  der  Biirg  und 
begibt  sich  auf  einem  Schiffe  nach  Hreidar's  Wohnsitze,  wo 
er  jedoch  auf  Betreiben  einer  seiner  Frauen  an  seinen  Schuh- 


*)  Siehe  Kürschnert  National-Litteratur  U,  212,  gedruckt  bei 
Kürschner  XI,  293—361.    Ein  Teil  bei  v.  d.  Hafren,  8.  XUI. 

*)  V.  d.  Hagen,  S.  X  V;  Gödeke,  Liitg.  I>,  332—54;  Jautzen,  a.  a.  0. 
S.  94. 

')  V.  d.  Hagen,  S.  XV ;  Gödeke,  ib.  II ',  412 ;  siehe  auch  Kürschner 
II,  214  und  Arnold  in  Kürschner's  Nat.-Litt.  ßd.  XXI;  femer  Kemble  96. 

*)  Siehe  Eschenburg  in  Bragur  HI,  381—82,  Anmeik.;  dann 
£sehenburg,  Denkmäler  17,  2-^3;  v.  d.  Hagen,  S.  XIV;  fernar  Daff, 
p.  XVI. 

^)  Abgedruckt  bei  Goedeke :  Deutsche  Dichtung  im  Mittalaltar  ', 
S.  102 ff.;  Tgl.  üerner  Goedeke's  Grondrifl  I',  S.  38. 

*)  F.  Liebreoht,  Zur  Volkakande,  S.  42 ;  Tgl.  Liebrecht  in  Germania 
XI,  178  und  Germania  XXV,  89;  Tgl.  auch  Kemble,  S.  97;  ferner  Vani- 
hagen  a.  a.  0.  S.  28  und  E.  Mogk,  in:  Paol't  Grundriß  II >.  S.  884. 


_     21     — 

bändeni  zwischen  zwei  Feuero  aufgehängt  wird«  Als  a.ber 
seine  Feinde  eingeschlafen  sind,  befreit  ihn  eine  seiner  anderen 
Frauen,  und  er  rächt  sich  an  seinen  Feinden. 

Eine  niederdeutsohe  Darstellung  der  Sage  erwähnt 
Ebchenburg,  Denkmäler  S.  178,  ferner  v.  d.  Hagen  S.  XVIII, 
Anra.  S3;  vgl.  Eemble  S.  97  und  Goedeke's  Grundriß  I^ 
S.  467;  eine  dänische  Bearbeitung  fand  Nyerup,  Bragur  III. 
3Ö8— 369,  ib.  380  und  392;  vgl.  Hagen,  Einleitung  S.  XVII; 
Odrres:  Über  die  teutschen  Volksbücher  S.  188  ff. ;  Kemble 
S.  97;  Cbild,  a.  ä.  O.  Bd.  V.  S.  8  und  280,  der  auch  eine 
schwedische  und  norwegische  Fassung  daselbst  S.  7 
und  280  angibt. 

Nachdem  wir  so  die  germanischen  Bearbeitungen  der 
Salomosage  betrachtet  haben,  wollen  wir  nun  zu  den  roma- 
nischen ttbergehen.  Das  Französische^  welches  hauptsächlich 
durch  die  Baschheit,  mit  der  es  sich  der  neuesten  Stoffe  be- 
mächtigte und  dieselben  in  poetische  Formen  brachte,  seinen 
Ruhm  als  Weltlitteratur  gewonnen  hat,  besitzt  eWei  Gedichte 
mit  der  Überschrift  Salomon  et  Marooul.  ^)  Eine  dritte 
Version  ist  verloren  (Kemble  S.  81).  Das  erstere:  La  die» 
putation  de  Salomon  et  de  Mareen ') ,  ist  eine  späte  Be- 
arbeitung der  Sage,  in  der  Mareen  in  obscöner  Weise  die 
Gewohnheiten  schlechter  Dirnen  darstellt. 

Das  zweite  Gedicht,  Proverbes  de  Marcoul  et  de  Sale- 
mon  *),  ist  das  Produkt  eines  Gelehrten;  es  enthält  Weisheit»* 


^)  Über  den  Namen  vgl.  Liebreoht:  Zar  Volkskunde,  B.  846 ff.; 
femer  Gi^lase  a.  a.  0.,  Kemble  a.  a.  O.,  S.  73^84;  Hofmann  a.  a.  O., 
Smyth  a.  a.  0. 

^  Gedrackt  bei  Mone:  Anzeiger  för  Kunde  der  teutschen  Vorzeit, 
1886,  V,  8.  6Bff.  Ich  habe  selbst  eine  andere  Darstellung  der  Sage  im 
Britischen  Museum  eingesehen,  betitelt:  Lts  dictz  de  Salomö:  anec 
queetes  responces  de  Maroou  Fort  joyeuses ;  registriert  unter  0.  22.  a.  35. 
Das  „Fort  joyeuses^  besieht  sich  besonders  auf  die  ,,putain^.  Siehe 
aneh  Oröber's  Grundriß  IT,  S.  700  und  Kürschner  a.  a.  O.;  femer:  His- 
toire  Htt4raire  de  la  France  XXII,  421  und  BomaniaVII,  461;  endlieh 
Kemble,  S.  76. 

*)  Gedruckt  bei  Crapelet:  Proverbes  et  Dictons  populaires  aux 
Xm«  et  XIV«  siecles.  Paris  1831,  S.  188^200  (und  Literatur  daselbst). 
Vergleiche  auch  Sehaumberg  a.  a.  0.,  S.  30;  ferner  Histoire  littöraire 


—     22    — 

Sprüche  und  ist  durchaus  ernst  gehalten.  —  Anklänge  an 
die  Sage  finden  sich  noch  in  einer  Episode  des  Bastars  de 
Buillon^),  wo  ein  Bastard  Baudouin  Ludie  raubt  und  sie 
gegen  ihren  Willen  heiratet.  Sie  aber  entflieht  zu  ihrem 
Verlobten  Corsabrin  und  dann  folgt  dieselbe  Geschichte 
unter  dem  Galgen  wie  im  Deutschen.  ^)  Ferner  wird  im 
Huon  de  Bordeaux^)  auf  die  Sage  angespielt;  dieser  ist 
durch  Oberons  Güte  in  den  Besitz  eines  Homes  gekommen, 
das  ihm  in  der  Stunde  der  Gefahr  die  Hilfe  des  mächtigen 
Geisterkönigs  und  seiner  Scharen  sichert;  ein  Bing,  der  zu- 
erst im  Besitze  des  Riesen  Orgueilleux  war,  der  aber  von 
Huon  getötet  wurde,  verleiht  ihm  wunderbare  Kraft.  Auch 
ihm  gibt  im  Gefängnis  ein  Mädchen  Trost  und  Hilfe.  Sein 
Gefolge  hat  er  zurückgelassen  usw.  Über  spätere  Anspielungen 
(bei  Rabelais)  vgl.  Eemble  S.  13.  81;  Herford  S.  255. 

In  Italien  war  die  Salomosage  sehr  beliebt,  denn  hier 
werden  die  Schwanke  MarcolPs,  der  als  Bertoldo  auftritt,  durch 
drei  Generationen  hindurch  geschildert. ')  Zuerst  hat  Giulio 
Cesare  Croce  della  Lira  ein  Leben  Bertoldo's  in  Stanzen  ab- 
gefaßt und  danach  auch  als  Volksbuch  in  Prosa  heraus- 
gegeben; Ende  des  16.  Jahrhunderts  erweiterte  er  es  durch 
die  Geschichte  von  Bertoldo's  Sohn :  Bertoldino.  Nach  Croce's 
Tode  dehnte  Camillo  Scaliggero  della  Eratta  die  Sage  noch 


de  la  France  XXIII,  S.  198;  Grimm  a.  a.  O.  252;  Brunei:  La  France 
litteraire  au  XV  8.  1865,  S.  187;  G.  Gröberes  Grundriß  H,  688  und 
700;  Kemble  a.  a.  O.,  S.  73;  siehe  ferner:  K.  Hofmann:  Amis  und 
Amiles  etc.  Erlangen  1882,  8.  XXXVII;  A.  Tobler:  Li  proverbe  au 
Yilain  1896. 

')  Ed.  Scheler  1877;  vgl.  Child,  a.  a.  O.  ßd.  V.  S.  6. 

')  Siebe  G.  Paris:  Li  Bastars  de  Buillon,  in:  Komania  YII,  460 ff.; 
Vogt  in  PBB.  Vn,  316;  Wesselofsky  a.  a.  O.,  S.  402. 

»)  Ed.  Guessard  et  Grandmaison.  Paris  1860,  S.  LVff.  Siehe  auch 
Wilmanns,  a.  a.  0.  284;  Wesselofsky,  a.  a.  0.  401;  Gröber,  Grundriß  11, 
700.  Siehe  bei  Gröber  II,  872  auch  das  Jugement  de  Salemon;  femer 
Literatur  bei  Brunet,  a.  a.  0.,  S.  187  über  andere  frz.  Bearbeitungen  be- 
treffs Salomo. 

*)  Siehe  J.  Görres,  a.  a.  0.,  S.  193;  v.  d.  Hagen,  a.  a.  0.,  S.  XVII 
—XX;  Schaumberg,  a.  a.  0.,  S.  37;  Kemble,  S.  99;  Herford,  S.  261; 
Gaster,  a.  a.  0.  S.  80—91;  Dunlop,  History  etc.  rev.  by  Wüson,  11.  S.  308. 


—     23    — 

weiter  aus,  indem  er  als  3.  Teil  die  Geschichte  des  Enkels: 
Kakasenno  beigab.  1736  wurde  in  toskanischer  und  1740 
in  bolognesischer,  1747  in  venezianischer  Mundart  eine  Mar- 
kolfdichtung  Ton  23  Dichtem  abgefaßt,  indem  Crespi's 
Zeichnungen  und  Mattiolis'  Stiche  ihnen  die  Anregung  gaben. 
Von  diesen  ital.  Fassungen  wurde  die  Sage  nach  Griechen- 
land gebracht  (siehe  Kemble  S.  102). 

Auch  in  Portugal  ^)  erfreute  sich  die  Sage  einer  großen 
Beliebtheit,  wovon  die  verschiedenen  Fassungen  Zeugnis  geben. 
In  der  einen  Fassuog  wird  der  König  von  Leon,  Gallizien 
und  Asturien,  Don  Bamiro,  von  dem  maurischen  Fürsten 
Abencadäo  seiner  Gemahlin  beraubt.  Bamiro  rüstet  eine 
Flotte  aus,  geht  in  Knappenkleidung  dann  an  das  Land, 
trifft  die  Magd  Artiga,  der  er  beim  Wasserholen  einen  Siegel- 
stein in  den  Becher  wirft  und  ihr  einen  Bing  gibt.  Die 
Königin  erkennt  den  Bing,  es  kommt  schließlich  zum  Kampfe, 
in  dem  Bamiro  siegt.  In  der  austührlicheren  ^)  Gestaltung 
raubt  der  bereits  verheiratete  König  Bamiro  die  Schwester  des 
Maurenkönigs  Alboazare  Albo^adam,  der  er  in  der  Taufe  den 
Namen  Artiga  gibt  Um  sich  zu  rächen,  entfuhrt  nun  seiner- 
seits der  heidnische  König  die  Gattin  Bamiro's.  Letzterer 
setzt  ihm  mit  einem  Heere  nach,  welches  im  Walde  versteckt 
wird  und  auf  den  Buf  seines  Homes  herbeieilt.  Die  Heiden 
werden  niedergehauen,  die  Königin  mit  einem  Mühlstein  in 
das  Meer  versenkt. 

Überblicken  wir  nun  die  Sage  im  ganzen,  so  sehen  wir, 
daß  die  einzelnen  Fassungen  oft  ziemlich  stark  voneinander 
abweichen.  Immerhin  aber  erkennen  wir  einen  allen  Be- 
arbeitungen eigenen  Typus.  Auffallend  ist,  daß  Salomo  in 
den  meisten  Bearbeitungen  nicht  die  einem  solchen  Glanz- 
könige gebührende  Stelle  einnimmt,  die  ihm  nach  der  Bibel 
zukommen  sollte.  Die  Verbindung  der  Sage  mit  den  Dämonen 
macht  es  ferner  wahrscheinlich,  daß  wir  in  einer  talmudischen 

^]  Siebe  Carolina  MichagUs  de  Vasconcellos  in  PBB.  VIII,  313 ff.; 
dazu  Vogt  ib.  319;  ferner  Wesselofsky,  Archiv  VI,  397  und  552 ff.;  Child, 
a.  a.  0.  Bd.  V.  S.  4.  Über  die  spanische  Fassung  siehe  Vamhagen, 
a.  a.  O.  S.  28. 

«)  Wesselofsky,  Archiv  VI,  653. 


—   u  — 

Fassung  den  ersten  Anaatz  zu  der  Sagenbildang  zu  suchen 
haben  (gegen  6rünbaum).  Doeh  frühe  schon  wurde  dia 
Sage  mit  dem  Christentum  verbunden ;  Begebenheiten  aus  der 
Bibel,  wie  der  Urteilsspruch  Salomo's,  werden  damit  yer- 
floohten;  die  große  Verbreitung  im  Mittelalter  geht  daher 
auf  den  tou  Burdach  entdeckten  Ausgangspunkt  zurück. 

Es  möge  mir  gestattet  sein,  an  dieser  Stelle  das  Verhältaie 
der  altenglischen  Fassung,  des  ältesten  Vertreters  der  abendlän- 
dischen Vulgärliteratur  zu  den  anderen  Bearbeitungen  in  grofien 
Zügen  zu  zeichnen.  Ich  möchte  daher  zur  rascheren  Orientierung 
ein  paar  allgemeine  Worte  über  jene  Torausschicken. 

Wie  auf  den  ersten  Blick  klar  ist,  gehört  der  „Salomo 
und  Saturn"  zu  jener  Gestaltung  der  Sage,  in  welcher  zwei 
durch  Wissen  besonders  hervorstechende  Persönlichkeiten 
sich  in  einem  Redekampfe  messen.  Es  handelt  sieh  also 
in  den  ae.  Dialogen  nicht  um  eine  Entf ührungsgeschiehte ; 
eine  Frau  des  Salomo  wird  überhaupt  nicht  erwähnt,  ein 
Ring  oder  Hörn  kommt  ebensowenig  zur  Sprache,  sondern 
wir  haben  hier  drei  Gespräche  vor  uns,  in  denen  Salomo 
als  König  der  „Christenheit"  dem  heidnischen  Saturn  gegen- 
übertritt.  Der  erste  poetische  Dialog  ist  ein  ganz  eigenartiges 
Produkt,  in  welchem  Salomo  die  Überlegenhrit  des  Pater 
Noster  über  die  Teufel  dem  Saturn  erklärt  und  dies  in  ganz 
orientalischer  Weise.  Ich  bin  der  Meinung,  daß  wir  hierin 
eine  Anlehnung  an  die  Dämonensagen  vor  uns  haben,  die 
wir  bei  den  Juden,  Arabern  und  im  Testamente  des  Salomo 
vorgefunden  haben.  Der  prosaische  Dialog  mit  der  riesen- 
haften Beschreibung  des  Pater  Noster  erinnert  an  jene  gi- 
gantische Beschreibung  des  Asmodeus.  In  dem  dritten,  je- 
doch sehr  ernst  gehaltenen  poetischen  Dialoge,  läfit  sieb 
Saturn  über  allgemeine  Dinge  theologischen,  naturwissen-» 
sch&ftlichen  oder  rein  menschlichen  Interesses,  wie  den  Fall 
der  Engel,  das  Alter,  das  Schicksal  usw.  belehren.  Zu  einer 
Vergleichung  dieses  Dialoßjes  kann  also  nur  der  ernste  fran- 
zösische und  der  erste  Teil  des  deutschen  Spruchgedichtes 
herangezogen  werden,  der  wieder  mit  der  lateinischen  Prosa 
übereinstimmt  (Kemble  S.  26).  Jedoch  beide  Dialoge  bieten 
gar  keine  gemeinsamen  Punkte  mit  jenem  (vgl.  Kemble  S. 


—     25    — 

133).  Wie  Kemble  Seite  50  und  €4  nachgewiesen^)  hat, 
sind  die  Reden  Salomo's  entweder  biblisch-theologisch  oder 
sie  enthalten  Beobachtungen  aus  dem  täglichen  Leben;  die 
des  Markolf  jedoch  sind  meist  germanische  volkstümliche 
Sprichwörter.  Saturn's  Aussprüche  erstrecken  sich  aber  ent- 
weder auf  Berufungen  aus  der  Weisheit  der  Philister,  oder 
er  fragt  nach  theologischen  Dingen,  wie  nach  dem  jüngsten 
Gericht,  nach  dem  guten  und  bösen  Geist,  der  jeden 
Menschen  begleitet  usw.  £ßfat  germamsch  ist  jedoch  bei 
ihm  die  Frage  nach  der  Wyrd;  auf  andere  Übereinstimmungen 
mit  der  altnordischen  Literatur  werde  ich  weiter  unten  S.  84  f. 
hinweisen.  Li  der  altaDglisohen  Prosa  wird  ein  Kampf  des 
Pater  Noster  mit  dem  Teufel  geschildert;  hierin  wäre  der 
Kampf  awischan  Christen  und  Heiden  der  anderen  Salomo- 
Markolphsagen  wieder  zu  erkennen.  Auch  die  in  der  Prosa 
auftretende  Zahl  12  000  spielt  nur  noch  eine  Bolle  in  dem 
deutschen  Spielmannsepos  (Vogt  XXVII).  Ferner  hat  die 
ae.  Sage  mit  den  anderen  gemeinsam,  daß  sie  im  Orient^ 
und  zwar  in  Jerusalem  spielt;  orientalische  Völker,  Fürsten 
lind  Länder  werden  genannt;  mit  der  deutschen  Fassung 
des  Spielmannsepos  stimmt  auch  die  Erwähnung  des  Wendel- 
sees überein.  Als  besonders  charakteristischen  Zug  erwähne 
ich,  daß  aujch  der  ae.  Salomo  als  christlicher  König  erscheint; 
sein  Qegenredner,  Saturn,  stammt  aus  einem  Biesengeschlechte 
(eormenstrynde).  Entgegen  Vogt  möchte  ich  aber  hier  bereits 
bemerken,  daß  man  ihn  nicht  als  Bruder  Salomo's  auffassen  darf. 
(Näheres  unten,  Seite  91,  bei  Besprechung  der  Pelrsönlichkeiten 
des  Salomo  und  Saturn.)  Saturn  hat  mit  Mareolf  gemeinsam,  d^ß 
•r  al«  ein  kluger  Mensch  dargestellt  wird,  ferner  daß  er  aus 
dem  Oriente  stammt  (vgl.  qui  ab  Oriente*  nuper  venerat.)  In 
der  Erwähnung  des  Pilgeranzuges,  der  Kutte  mit  dem  Palmen- 
zweig im  deutschen  Spielmannsepos  (Vogt  S.  XXX)  darf 
mao  yielleicht  auch  eine  schwache  Verbindung  mit  dem 
„palmenbezweigten^  Pater  Noster  erblicken. 


*)  Vgl.  auch  Schaumberg,  S.  ö8. 


IL  Die  altenglische  Sage. 


A.  Oberlieferung. 

1.  Ausgaben,  Textbessernngen  und  Besprechungen 
der  altenglisehen  Bearbeitungen  der  Sage. 

Die  erste  Nachricht^)  über  die  alteDglischen  Fassungen 
der  Sage  von  Salomo  und  Saturn  gab  Wanley  (1705),  der 
in  seinem  Catalogus  ^)  unter  den  Handschriften  der  Bibliothek 
des  Corpus  Christi  College  zu  Cambridge  die  beiden  alteng- 
lischen Handschriften,  und  zwar  Seite  149  die  für  uns 
wichtigere  folgendermaßen  anführt:  S.  16.  Cod.  membr.  in 
Octavo  crassiori,  ad  cujus  caicem  habentur  hse  Adootationes 
recentu')  manu  scriptae:  The  Rede  boke  of  Darbeye  (in  the 
Peake  in  Darbyshire*)  etc.    In  eo  autem  continentur*)  I.  Frag- 


*)  Siehe  Wülker,  R. :  Grundriß  zur  Geschichte  der  angelsächsischen 
Litteratur.  Leipzig  1885.  S.  362,  ebenso  Körung;  Grundriß  der  Ge- 
schichte der  englischen  Litteratur.  Münster  18d9'.  8.  66. 

')  Erschienen  als  11.  Bd.  Ton  Linguarum  Yett.  Septentrionalium 
Thesaurus  Grammatic<vCriticus  et  Archeeologicus.  Auetore  Georgio 
Hickesio,  unter  dem  Titel:  „Antiquie  Literatur»*  Septentrionalis  Liber 
alter  seu  Humphredi  Wanleii  Librorum  Vett.  Septentrionalium,  qui  in 
Anglise  Bibliothecis  extant,  nee  non  multorum  Yett.  Codd.  Septen- 
trionalium alibi  extantium  Catalogus  Historico-Criticus,  cum  totius  The- 
sauri Linguarum  Septentrionalium  sex  Indicibus.    Oxonise  1705. ** 

•)  Bereits  von  Wülker,  S.  362  in  recenti  verbessert. 

*)  This  booke  was  sumtime  had  in  such  reverence  in  Darbieshire 
that  it  was  commonly  beleved  that  whosoever  should  sweare  untruelie 
upon  this  booke  should  run  madd. 

*)  Nicht  continetur,  wie  Wülker  a.  a.  0. 


—     27     — 

mentum  Dialogorum  inter  Salomonem  &  Saturnum  Toteri 
manu  scriptum,  versibus  Saxonicis,  quibus  etiam  plurimse 
habentur  LitersB  Runicse,  sicut  &  in  Cod.  Exoniensis  Eccl. 
de  quo  vid.  D.  Hickesü  Qram.  —  Nicht  viel  mehr  erfahren 
wir  auf  Seite  114  über  die  zweite  Handschrift:  S.  2:  Cod. 
membr.  et  antiquus  in  fol.  a  Leofrico  Episcopo  EcclesisB 
Ezoniensi  dono  datus,  in  quo  continetur :  I.  Bedae  Veuerabilis 
Historia  Ecclesiastica  Gentis  Anglorum  ab  ^Ifredo  Kege 
Saxonice  Versa  ....  VII.  P.  216:  Inc.  Dicta  Satnmi  & 
Salomonis,  quse  sie  incip:  Saturnus  cwse))  hwaet  ic  ijlanda 
eallra  haebbe  boca  on  byrged  durh  sebregd  stafas  lar-crseftas 
on  locen  Libia  and  Greca.     Swylce  eac  istoriam  Indea  rices 

me  da  treahteras  tala  wisedon  on  |)am  micelan  bec 

M  ces  heardum  etc. 

Ebensowenig  teilt  uns  Conybeare  (1826)  mit,  der  die  Hs. 
selbst  nicht  gesehen  hatte  und  daher  in  seinen  lUustrations  ^) 
Seite  LXXXIII  die  ersten  sechs  Verse  von  B  nach  der 
Angabe  von  Wanley,  femer  von  A  die  Verse  311  (312)  *)  bis 
319  (320)  einschl.  nach  der  Abschrift  eines  Herrn  Shelford 
von  Corpus  Christi  College  druckte.  Infolgedessen  lernte  er 
die  beiden  Gedichte  nur  flüchtig  und  das  zwischen  diesen 
stehende  Prosastück  überhaupt  nicht  kennen,  da  er  es 
nirgends  erwähnt.  Hingegen  hatte  er  die  —  sowohl  von 
unseren  Gedichten  als  auch  von  der  eingeschobenen  Prosa 
dem  Inhalte  nach  vollkommen  abweichende  —  prosaische 
Fassung  der  Sage  im  Ms.  Cotton  Vitellius  A.  XV  eingesehen 
und  zieht  daraus  nun  für  unsere  Gedichte  falsche  Schlüsse. 
Denn  er  sagt,  als  er  auf  die  Entstehung  und  Bearbeitungen 
der  Salomo-Markolf-Satumsagen  kurz  zu  sprechen  kommt: 
^The  Saxon  compositions  cited  in  the  text  preserve  probably  a 
somewhat  earlier  modification  of  a  fiction  similar  in  sub- 
stance:  in  these  the  interrogator  is  named  Saturnus''. 


*)  llIastratioDS  of  Anglo-Saxon  Poetry.  London  1826,  S.  LXXXIl 
— LXXXV. 

*)  Die  eingeklammerten  Zahlen  beziehen  sich  auf  den  Text  in 
Grein- WüIker'B  Bibliothek,  die  anderen  anf  meine  Ausgabe,  deren 
Zählang  dorch  die  bisherige  falsche  Trennung  der  Verse  6^7  um  einen 
Vers  von  jenem  abweicht. 


—     28    — 

Von  Conybeare  druokte  wieder  EUmüUer  (1860)^)  die 
Verse  311 — 319,  ferner  Auszüge  aus  dem  Frosaatüok  in  Cottoo 
Vitellius  A.  XV  ab.  Die  erste  vissenacbaftliche  Ausgabe  so« 
wohl  der  aliitenereodeo ,  als  auch  der  prosaischen  alteng^ 
lischen  Fassungen  wurde  im  Jahre  1848  von  dem  gelehrten 
Jöhn  Mitchell  Kemble^)  für  die  ^Elfric  Society  veranstaltet, 
der  in  fünfzehnjähriger  Sammelarbeit  ein  ungeheuer  reicb- 
haltiges  Material  zusammenbrachte.  Kurz  zuvor  hatte  er  die 
Ergebnisse  seiner  Forschung  über  die  Entstehung  und  Ver- 
breitung der  Sage  in  einem  jetzt  sehr  seltenen  Büchlein^) 
verö£Pentlicht,  welche  er  aber  dann  mit  nur  unbedeutenden 
Änderungen  seiner  Ausgabe  für  die  iElfric  Society  einver« 
leibte.  Somit  enthält  jene  kurze  Darstellung  nur  die  bisto« 
rische  Einleitung,  jedoch  nicht  den  Text  und  die  Ausführungen 
über  „Salomon  and  Saturn ,  —  Traditional  Character  of 
Marcolfus^,  femer  nicht  die  im  Anhange  stehenden  Dialoge 
von  Adrian  and  Ritheus,  sowie  Adrian  and  Epictus.  la 
seiner  größeren  Ausgabe  druckte  nun  Kemble  zum  ersten 
Male  die  Handschriften  vollständig,  jedoch  leider  unkritisch 
ab.^)  Wie  wir  später  sehen  werden,  sind  unsere  Gedichte 
im  früh  -  westsächsischen  Dialekte  überliefert;  die  hs.  A.  ist 
frühestens  aus  dem  Ende  des  10.  Jahrhunderts  und  „der  Ab- 
schreiber hat  sich  sichtliche  Mühe  gegeben,  die  altertüm« 
liehen  Formen   durch   diejenigen   seiner  Zeit   zu    ersetzen/^ 

^)  Engla  and  Seaxna  Sedpas  and  Böceras.  London  1850.  S.  239 
und  42. 

*)  The  Dialogue  of  Salomon  and  Saturnn«,  with  an  Hißtorical  In- 
troduction  by  John  M.  Kemble.  London.  Printed  for  the  Aelfrio  Society 
MDCCCXLVm. 

^)  Die  Ausgabe,  welche  mir  im  Britischen  Kuseum  zur  Verfüguner 
stand,  ist  im  Katalog  registriert  unter:  12431.  bb.  2.  Salomon  and  Sa- 
turn [An  historical  Introduction  by  J.  M.  Kemble  to  this  Anglo-Saxon 
legend.]  [London?  1845?]  8».  Without  titlepage.  Prlvately  printed.  The 
Anglo-Saxon  text  to  which  this  is  an  introduction  was  afterwards  pab* 
lished  by  Mr  Kemble  for  the  Aelfric  Society.  —  Auf  dem  ersten  Blatte 
dieses  Büchleins  in  klein  8®  steht  der  geschriebene  Vermerk :  This  Edition 
of  Salomon  and  Saturn,  (with  the  exception  of  twenty  copies),  was  can- 
celled  by  Mr.  Kemble  when  he  undertook  to  bring  ont  the  Edition 
printed  for  the  .Elfrio  Society. 

*)  Den  Text  gibt  Kemble  nach  englischer  Art  in  Kumeilen» 


—    29    — 

Kenble  hat  ihn,  nie  Schipper  ^)  treffend  bemerkt,  ^in  diesem 
Streben  unterstttteen  zu  mliseeii  geglaubt,  und  ron  seinem 
Standpunkt,  naoh  dem  damaligen  Stande  der  Wissenschaft, 
mit  Recht;  nur  hätte  er  mit  noch  größerer  Konsequen2  ver-» 
fahren  mfissen.  Das  Richtige  freilich  würde  gewesen  sein, 
gerade  die  von  dem  Schreiber  der  hs.  übersehenen  altertüm-* 
liehen  Formen  als  Norm  anzusehen  und  darnach  die  Ortho-» 
graphie  zu  regeln. '^  Dazu  kommt  noch,  daß  Kemble  die 
Änderung  der  handschriftlichen  Lesart  des  zweiten  Oedichtet 
in  seinem  Dhicke  überhaupt  nicht  mehr  angibt.  ^)  Neben  der 
Urschrift  gibt  er  die  erste  ^)  englische  Übersetzung,  die  man 
im  Verhältnis  zu  der  damaligen  Kenntnis  des  „Anglo-Saxon** 
als  eine  treffliebe  Leistung  anerkennen  muß.  um  so  mehr 
ist  es  zu  bedauern,  daß  er  gerade  bei  der  ziemlich  großen 
Anzahl  schwer  verständlicher  Stellen,  welche  insbesondere  die 
Gedichte  bieten,  seinen  Kommentar  auf  das  Mindestmaß  be«- 
schränkt  hat,  wie  ihm  denn  neben  der  Übersetzung  ein  Olossar 
ganz  überflüssig  erschien.  In  seiner  scharfsinnigen  Beurteilung 
vermutete  er  bereits,  daß  man  es  hier  mit  zwei  verschiedenen 
Gtedichten  zu  tun  hätte;  seiner  hohen  Meinung  über  deren 
Inhalt  gibt  er  S.  133  Ausdruck:  ""The  first  part  of  the 
poetic  Salomon  and  Saturn  bears  no  relation  whatever,  save 
in  name,  to  the  dialogues  wbich  we  have  examined,  and  shall 
hereafter  examine.  The  second  part,  however,  in  as  much  as 
it  is  a  seriesof  riddling  questions  mutually  proposed,  approaches 
more  nearly  to  the  real  type  of  the  whole  matter,  —  the 
Problems  of  Salomon  and  Hyram.  Still  it  bears  little  resem« 
blance  to  either  of  the  prose  dialogues  in  Sazon,  and  none 
whatever  to  the  other  veraions  of  the  Salomon  and  Marcolf ; 
its  subjeets  are  theological  and  moral,  and  in  this  respect, 
difference  of  creed  considered,  it  might  be  more  properly 
compared  to  the  Waf))rttdnis-mal  than  to  aoy  other  com« 
Position  I  know.    Thus  it  sings  of  the  fall  of  the  angeis,  of 

^)  In  der  Collation  d€r  bsiden  Hm.  mit  Kemble's  T6xt,  in :  üermania 
XXII.  N.  K.  X.  Seite  61. 

*)  Siehe  Sweet  in  seiner  „Collation''  etc.,  in:  Anglia  1, 1878,  S.  160. 

*)  Abgwshon  von  den  wenigen  Yerien,  welche  Conyhtare  in  das 
EngUsciie  Itbertnig. 


—     30    — 

heayen  and  hell,  of  the  good  and  eyil  spirits  tbat  accom- 
pany  every  man,  the  one  to  tempt,  the  other  to  warn  and 
strengthen :  or  it  mixes  up  allegorical  and  mythic  narratives, 
as  where  it  speaks  of  death  by  the  title  of  Vasa  mortis,  and 
nnder  the  form  of  a  bird  etc.  Upon  the  whole,  although  its 
sabjects  be  similar,  there  is  no  one  question  found  in  the 
poetic  Salomon  and  Saturn  which  is  repeated  either  in  the 
prose  Version  or  in  the  Adrian  and  Ritheus^.  —  Mit  laut- 
lichen oder  metrischen  Untersuchungen  konnte  sich  natürlich 
Kemble  damals  nicht  befassen. 

Auf  Kemble's  Ausgabe  beruht  die  Wiedergabe  zweier 
Bruchstücke  von  Bouierwek  (1854).  ^)  Dieser  kommt  in  seiner 
Abhandlung  über  den  Götter-  und  Stemenkultus  der  heid- 
nischen Angelsachsen  auch  auf  deren  Glauben  an  ein  unab- 
änderliches Schicksal  zu  sprechen,  und  hiebei  führt  er  die 
Gespräche  Salomo's  und  Saturn's  über  die  „Vyrd"  aus 
unserem  zweiten  Gedichte  (v.  423  bis  zum  Schlüsse)  an.-) 
Auch  aus  dem  eingeschobenen  prosaischen  Bruchstücke  greift 
er  die  Unterredung  dieser  beiden  Weisen  über  den  Kampf 
des  Teufels  mit  dem  Paternoster,  wie  letzteres  den  Teufel 
mit  glühenden  Pfeilen  schießt,  heraus*),  wobei  er  auch  eine 
von  Kemble  zu  weit  gesuchte  Erklärung  verbessert.  Er 
wählt  für  die  alliterierenden  Darstellungen  die  Langzeile  und 
gibt  von  den  beiden  Auszügen  die  erste  deutsche  Über- 
setzung. 

Nach  Kemble  druckte  im  Jahre  1868  die  beiden  Ge- 
dichte in  Langzeilen  Christian  Grein  in  seiner  Bibliothek.^) 
Er  war  auf  diesen  Druck  angewiesen,  da  es  ihm,  dem  hoch- 
verdienten Forscher,  nicht  vergönnt  war,  in  England  selbst 
die  Hs.  einzusehen.  So  nimmt  er  also  auch  die  unrichtigen 
Lesarten  Kemble's  in  seine  Bibliothek  auf,  doch  muß  es  um 
so  mehr  unsere  Bewunderung  erregen,  daß  er  oft  sehr  gute 
Verbesserungen   vorgeschlagen    hat    und    sogar    bei    einigen 

')  K.  W.  Bouierwek:  Caedmon's  des  Angelsachsen  biblische  Dich- 
tungen.   1.  Teil    Gütersloh  1854. 
«)  S.  LXV— LXVII. 

')  8.  CXY.     Von  Wülker  in  seinem  Gr.  nicht  angegeben« 
«)  Bibliothek  der  angelsächsischen  Poesie  Bd.  II,  S.  354—368. 


—     31     — 

Stellen  zuerst  die  richtige  Erklärung  gab.  ^)  Einige  weitere 
TextYerbesserungen  lieferte  er  dann  in  der  Qermania  X  im 
Jahre  1865.«) 

Eemble's  Text  ist  auch  den  Ton  Max  Rkger  (1861) 
herausgegebenen  Bruchstücken  aus  unseren  Gedichten  (v. 
280—299,  1—19,  145—168)  zugrunde  gelegt.») 

Den  von  Kemble  und  Grein  gelieferten  Text  nach  der 
Handschrift  zu  verbessern  und  so  zu  einer  wirklich  kritischen 
Ausgabe  zu  gelangen,  war  die  nächste  Aufgabe  der  Herausgeber. 

Zuerst  verglich  H.  Sioeet*)  den  von  Kemble  gelieferten 
Text  mit  dem  der  Hs.  A  und  gab  die  Abweichungen  (mithin 
auch  die  von  Grein),  sowie  Erklärungen  einiger  von  diesen 
nicht  verstandenen  Stellen  in  der  Anglia  I  (1877).  In  dem- 
selben Jahre,  aber  nach  Sweet  gedruckt,  erschien  J.  Schipper^s 
Abdruck  der  Handschrift  A  nebst  Vergleichung  der  Hand- 
schrift B.  ^)  In  seiner  Einleitung  spricht  er  sich  auch  über 
die  ursprüngliche  Abfassung  der  Gedichte  aus,  die  er  in  „jene 
erste  klassische  Periode  der  angelsächsischen  Literatur^  ver- 
legt; darauf  gibt  er  das  bereits  angeführte  Urteil  über 
Kemble's  Text  ab  und  führt  einige  der  für  die  früheste 
Periode  des  westsächsischen  Dialekts  sprechende  Merkmale 
unserer  Gedichte  an.  Für  diese  sowohl,  als  auch  für  die 
eingeschobene  prosaische  Version  liefert  er  sodann  den 
kritischen  Text  mit  Variantenapparat,  enthält  sich  jedoch 
geflissentlich  weiterer  Editorenarbeit.  Während  nun  Schipper 
in  den  meisten  Fällen  mit  Sweet  —  gegenüber  Kemble  — 
übereinstimmte,  widersprachen  sich  doch  die  beiden  Gelehrten 
in  manchen  Punkten.  ^)    Dies  veranlaßte  Zupitza '')  im  August 


*)  Siehe  besonders  v.  107  (108). 

')  Zur  Textkritik  der  angelsächsischen  Dichter,  in:  Pfeiffer's  Ger- 
mania Bd.  X,  S.  428. 

')  Alt-  und  angelsächsisches  Lesebuch  nebst  altfiriesischen  Stücken. 
Gießen  1861. 

*)  CoUation  of  the  poetical  Salomon  and  Saturn  with  the  Ms.,  in: 
Anglia  Bd.  I,  S.  löO— 154  (1877  erschienen). 

»)  In  Pfeiffer's  Germania  Bd.  22  (N.  R.  10.  Bd.)  1877,  S.  50^70 
unter  dem  Titel:  Salomo  und  Saturn. 

•)  Vgl.  Engl.  Stud.  n,  26a 

')  Zu  Saiomon  und  Saturn,  in  der  Anglia  lil,  S.  527—631  (1880). 


—    33    — 

1877,  Schipper's  Abdruck  unter  gleichzeitiger  Zamehuug  Ton 
Sweet's  Berichtigungen  mit  den  Handschriften  su  eolla- 
tionieren,  und  dann  diese  Abweichungen  in  der  Anglia  Bd.  TTT 
(erschienen  1880)  mitzuteilen.  Die  Ergebnisse  all  dieser 
Textbesserungen  der  Gredichte  wurden  in  der  letzten  Ausgabe 
des  Salomo  und  Saturn  zusammengefaßt,  welche  Bruno  Aa^ 
mann  (1898)  für  die  Neuauflage  von  Qrein's  „Bibliothek  der 
angelsächsischen  Poesie^  besorgte.^)  Er  verglich  nochmalfi 
sorgfaltig  unsere  Dichtungen  mit  den  Handschriften,  so  daJB 
mir  bei  der  abermaligen  Nachprüfung  nur  einige  Ver- 
besserungen falscher  Lesarten  übrig  blieben;  er  führte  auch 
8.  237/8  die  handschriftlichen  Längezeichen  übersichtlich  ge^ 
ordnet,  aber  nicht  ganz  fehlerfrei  an.  Gemäß  der  Be» 
Stimmung  der  „Bibliothek"  mußte  er  jedoch  von  der  Wieder- 
gabe des  eingeschobenen  Prosabruchstückes  Abstand  nehmen. 
Weitere  Berichtigungen,  besonders  metrischer  Art  zu  Aßmann's 
Text  lieferte  HoUhamm^)  (1901). 

Nachdem  uns  also  in  der  „Bibliothek"  der  Text  der  alt* 
englischen  Fassungen  von  Salomon  und  Saturn  nicht  volU 
kommen  kritisch  und  dazu  unvollständig  vorliegt,  während 
jener  von  Kemble  und  Schipper  entweder  ganz  veraltet  oder 
auch  mit  kleinen  Mängeln  behaftet  ist,  so  möchte  ich  nun 
versuchen,  einen  den  modernen  philologischen  Anforderungen 
entsprechenden  Text  mit  vollkommenem  Variantenverzeiohnis 
zu  liefern.  Mit  Rücksicht  darauf  habe  ich  es  nicht  für  ver* 
lorene  Arbeit  gehalten,  sowohl  für  die  alliterierenden  als  auch 
für  die  prosaischen  Fassungen  der  Sage  die  Handschriften 
noch  einmal  einzusehen.  Da  femer  nur  Kemble's  Ausgabe 
einen,  jedoch  ganz  unzureichenden  Kommentar  enthält,  so 
habe  ich  mich  bemüht,  durch  einen  ausführlicheren  das  Ver- 
ständnis der  oft  schweren  Stellen  zu  erleichtern.  Zu  diesem 
Zwecke  habe  ich  die  gesamte  ae.  Literatur  in  Grein- 
Wülkers  Bibliothek  der  Poesie  und  Prosa,  femer  die   theo-* 


')  Von  Richard  Paul  Walker.  Leipzig  1896.  m.  Bd.  2.  Hälfte, 
S.  6&>-82  dintchließlioh. 

*)  Zu  Alt-  und  Mittelenglischen  Dichtungen  XU.  60.  Salomo  «ad 
Saturn  in  Anglia  XXIII,  123—125.  Halle  1901.  Früher  hatte  schon 
Sieters  in  PBB.  X  und  yHl  die  Gedichte  anm  Teil  metriaeh  nntersucht. 


—    38    — 

logische^)  Literatur  nach  Thorpe's  Ausgabe  der  Homilien 
Aelfric's,  sowie  Napier's  Ausgabe  der  Homilien  Wulfntan's, 
endlich  Skeat's  Ausgabe  Ton  Aelfric's  Lives  of  Saints  und 
Morris'  „Bückling  Homilies**  daraufhin  untersucht  und 
Parallelstellen  fiir  unser  Denkmal  in  dem  Kommentar  an- 
geführt. In  der  nachfolgenden  Inhaltsanaijse  sind  die  zum 
Verständnis  der  altenglischen  Dialoge  unumgänglich  not- 
wendigen Parallelstellen  bereits  kurz  angegeben.  Durch  das 
beigefügte  vollständige  Glossar  wird  einem  sämtlichen  Aus- 
gaben' anhaftenden  Mangel  abgeholfen.  Eine  ausführliche 
Beschreibung  der  Handschriften,  sowie  eine  Untersuchung 
über  ihr  gegenseitiges  Verhältnis  erschien  notwendig.  Des- 
gleichen wurde  ein  Verzeichnis  der  handschriftlichen  Länge* 
zeichen  mit  den  Abweichungen  von  Dr.  Aßmann's  Text  bei« 
gefügt  Durch  die  eingehende  Analyse  der  Gedichte  gelang 
es,  den  inneren  Zusammenhang,  besonders  des  2.  Gedichtes, 
klar  zu  legen,  dessen  logische  Verbindung  bis  jetzt  nur  teil- 
weise erkannt  war. ') 

Über  die  unbekannten  Verfasser  habe  ich  durch  die 
lautlichen  Untersuchungen  Genaueres  anzuheben  vermocht. 
Der  Untersuchung  unseres  altenglischen  Denkmals  schickte 
ich  eine  übersichtliche  Darstellung  der  allgemeinen  Sagen- 
geschichte unter  Berücksichtigung  der  neuesten  Literatur 
voraus,  nicht  allein  um  den  Leser  über  die  ungeheuer  weite 
Verzweigung  der  Sage  zu  orientieren,  sondern  auch  um  even- 
tuelle gemeinsame  Züge  der  ae.  Fassungen  der  Sage  mit  den 
anderen  Bearbeitungen  aufzudecken.  Bei  der  Darstellung  der 
allgemeinen  Sagengeschichte  habe  ich  mich  bemüht,  den  Inhalt 
der  einzelnen  Fassungen  der  Sage  dem  Leser  vor  Augen  zu 
führen;  es  würde  jedoch  nicht  in  den  Rahmen  vorliegender 
Abhandlung  fallen,  über   Quellen,  Verfasserfragen   etc.    der 


')  Für  die  rein  theologischen  Stellen  in  unseren  Dialogen  haben 
mir  besonders  die  fi.  Professoren  ßardenhewer  und  Knöpfler  (München) 
and  Prof.  Schrörs  (Bonn)  die  richtigen  Wege  gewiesen;  ihnen  allen 
spreche  ich  hier  meinen  wärmsten  Dank  aas. 

*)  Vgl.  Grein:  „Salomon  nnd  Satarn  tauschen  gegenseitig  weise 
Spräche  ohne  inneren  Zusammenhang  aus.*' 

Münchener  Beiträge  z.  romaniichen  a.  engl.  Philologie.   XXXI.        3 


—     34     — 

jüdischen,  arabischen,  russischen,  pobiischen,  deutschen,  fran- 
zösischen etc.  Fassungen  ebenso  wie  bei  der  englischen  zu  be- 
richten. In  der  Quellenfrage  unseres  Denkmals  glaube  ich 
durch  eine  eingehendere  Untersuchung  das  Verhältnis  der 
Contradictio  Salomonis  zu  unseren  Dialogen  mehr  geklärt  zu 
haben. 

Was  die  andere  altenglische  Gestaltung  der  Sage  von 
Salomo  und  Saturn,  die  im  Cotton  Vitellius  A  XV  über- 
liefert ist,  betrifft,  so  hat  dieser  Prosadialog  mit  unseren 
Gedichten  und  mit  dem  prosaischen  eingeschobenen  Bruch- 
stück nichts  als  die  Dialogform  gemein.  Er  weicht  auch 
von  den  anderen  Fassungen  der  Salomon-Markolf-Sage  gänz- 
lich ab,  da  er  in  das  reiche  Gebiet  der  Lucidarienliteratur  ge- 
hört, weshalb  er  eine  eigene  Untersuchung  erfordert.^) 


Daß  es  Not  tat,  das  Wesen  des  „Salomo  und  Saturn" 
klarer  zu  stellen,  zeigt  sich  am  besten,  wenn  wir  die  ver- 
schiedenen Auffassungen  dieser  Dialoge  von  Seiten  der  Forscher 
und  deren  oft  widersprechende  Ansichten  ins  Auge  fassen. 

Die  Urteile«)   von  Conybeare  (1826)  und  Kembls^)   (1848) 


*)  Literatur  darüber  siehe  bei  Wülker:  Grundriß,  S.  500;  ferner 
Besprechungen  bei  Conybeare,  a.  a.  0.;  Bouterwek,  S.  CXIU;  Xerable, 
a.  a.  0.;  Stopford  Brooke,  8.  289;  Köhler:  Kleinere  Schriften;  Skeat  in: 
The  Academy  1895,  II,  343;  E.  G.  Duflf,  8.  XIV;  sodann  die  treffliche 
Abhandlung  von  Max  Th.  W.  Förster:  Two  Notes  on  Cid  English 
Dialogue  Liter ature,  in :  An  English  Miscellany.  Presented  to  Dr.  Fumi- 
vall  in  Honour  of  bis  seventy-fifth  Birthday.  Oxford  1901.  Ferner 
Karl  D.  Bülbring:  Sidrac  in  England,  in  der  Festgabe  für  Wendelin 
Förster  zum  26.  Okt.  1901,  Halle  1902.  —  Über  den  me.  "Lucidary" 
siehe  besonders  Karl  Schorbacb:  Studien  über  das  deutsche  Volksbuch 
Lucidarius,  in:  Quellen  und  Forschungen  zur  Sprach-  und  Kultur- 
geschichte der  germ.  Völker  von  Brandl,  Martin  und  Schmidt,  74.  Hefl. 
Straßburg  1894. 

«)  Siehe  Wülker,  Grundriß  a.  a.  0. 

')  Nach  Kemble's  Ausgabe  übersetzte  Migne  in  seinem  Diction.  des 
Apocr.  Paris  1858,  II.  Bd.,  872  ff.  einige  Partien  des  Salomo  und  Saturn 
in  das  Französische. 


—     35     — 

habe  ich  bereits  angeführt.  Henry  Morley  ^)  (1864)  äußert  sich 
nur  kurz  in  der  Sache:  ^^Saturn,  in  the  poem^  seeking  from 
Salomon  knowledge  of  the  Paternoster,  is  instructed  of  its 
virtues,  and  those  of  the  word  of  God,  which  is  golden,  stoned 
with  gems,  and  silver-leaved.  Among  the  successive  letters  of 
the  word  Paternoster,  power  is  distributed ;  and  thns  in  myst- 
ical  way,  aecording  to  a  humour  of  the  East,  there  is  re- 
presented  contest  between  the  Paternoster  and  the  Devil,  who, 
HS  a  prose  continuation  of  the  dialogue  sets  forth,  will  take 
thirty  shapes,  and  be  met  in  each  by  the  Pater  Noster.  In 
answer  to  questions  of  Saturn,  "What  kind  of  head  has  the 
Paternoster?"  etc.,  Salomon  replies  in  strains  of  Eastern 
hyperbole.  In  the  second  part  of  the  poem,  Salomon  and 
Saturnus  exchaoge  at  random  metrical  proverbs  or  wise  coun- 
sels  in  a  dialogue  that  does  not  aim  much  at  coherence/' 
Über  die  Quelle  sagt  er :  ^' Among  spurious  books  of  Scripture 
was  a  "Contradictio  Salomonis",  withdrawn  from  the  Canon 
in  the  fifth  Century  by  Pope  Gelasius;  and  of  this,  or  som^ 
work  like  it,  the  Anglo-Saxon  poem  of  "Salomon  and  Sa; 
turnus"  —  wholly  wanting  the  characteristics  of  the  Anglo- 
Saxon  mind  —  may  have  been  a  Version."  —  Auch  C.  Hofmann  *) 
(1871),  der  einen  Vergleich  der  Sage  von  Salomon- Abdemon- 
Hiram  und  Salomon-Markolf-Saturn  zieht,  kommt  auf  unsere 
altenglische  Fassung  zu  reden,  deren  Ausbildung  er  in  letzter 
Linie  auf  den  Orient  zurückführt.  Hinsichtlich  des  Gegen- 
redners Salomo's  sagt  er :  Die  Kirchenväter  hielten  den  Saturn 
für  den  Malcolm  i.  e.  Moloch,  da  beide  Kinderfresser  waren^ 
freilich  mit  dem  Unterschiede,  daß  Saturn  seine  eigenen 
Kinder  fraß,  dem  Moloch  dagegen  die  Kinder  seiner  Anbeter 
in  seiner  ehernen  Bildsäule  geopfert  wurden  (S.  431). 

So  verwiesen  diese  Gelehrten  nur  auf  das  orientalische 
Element,  welches  sich  in  unserem  Salomon  und  Saturn  aus- 
prägt; das  heidnisch-germanische  wurde  zum  ersten  Male  von 


^)  English  Writers  I,  p.  328,  London  1864;  3.  Aufl.  (1897)  II,  205. 

*)  Über  Jourdain  de  Blaivies,  Apollonius  von  Tyrus,  Salomon  and 
Marcolf,  in  den  Sitzungsberichten  der  Münchener  Akademie,  phil.-hist. 
KJ.  1871,  £d.  I,  415—433.    Siehe  auch  Schaumberg,  S.  55. 

3* 


—    36    — 

Kembkf  dann  in  der  kprzen  Besprechung  H.  Sweefs^)  (1871) 
betont:  ''The  carious  poem,  Salomon  and  Saturn,  consists 
also  of  a  variety  of  gnomic  sentences,  mixed,  however,  with 
a  yariety  of  other  matter,  in  the  form  of  a  dialogue. 
Much  of  the  poem  is  of  foreign  origin,  and  often  wildly  ex- 
travaganty  but  many  passages  haye  a  strongly  heathen  char- 
acter,  and  are  probably  fragments  of  some  older  piece  re- 
sembling  the  Eddaic  Vaf|)rudnism&I."  Etwas  eingehender 
bespricht  Hammerich  ^  (1873)  unsere  Gedichte:  „Übrigens  ist 
jenes  Gespräch  ein  sehr  eigentümliches  Geistesprodnkt,  durch- 
aus phantastisch  abenteuerlich,  halb  germanischen,  halb  orien- 
talischen Charakters  und  etwas  barock.  Jedenfalls  ist  es  ge- 
eignet, die  Aufmerksamkeit  des  Lesers  zu  spannen,  wie  denn 
namentlich  die  Schilderungen,  die  es  enthält,  alles  Lob  yer- 
dienen.      Der   erste   Abschnitt   dieses    Bruchstückes   enthält 

Salomon's  Preis  des  göttlichen  Wortes Hier  verwandelt 

sich  auf  einmal  „das  Wort  Gottes**  in  das  Paternoster.  Und 
dieser  wohlgerüstete  Kämpe,  das  Gebet,  wird  mit  solchen 
Zügen  geschildert,  daß  sie  an  den  gewaltigen  Donnerer,  Gott 
Thor,  erinnern.  So  erscheint  in  der  prosaischen  Gestalt  des 
Gespräches  „Thor  mit  der  Feueraxt"  (statt  des  Hammers, 
Mjölnir),  im  heißen  Kampfe  mit  dem  Teufel.*)  Jeden  Buch- 
staben des  Paternoster  nennt  unser  Gedicht  eine  scharfe 
Waffe,  welche  den  Satan  und  „Satans  Degen",  die  bösen 
Geister,  steche,  haue,  zerschmettere,  yemichte.  „So  daher 
jemand  sein  Schwert  ziehen  will,  der  möge  zuvor  ein  Pater- 
noster singen."  Der  zweite  Abschnitt  enthält  ein  Bätselspiel 
zwischen  Saturn  und  Salomo,  jene  Art  geselligen  Spieles, 
welche  im  alten  Norden  durchweg  beliebt  war,  so  daß  wir 
an  einzelne  Stücke  der  älteren  Edda  erinnert  werden." 


*)  In  seiner  "Sketch  of  the  History  of  Anglo-Sftxon  Poetry",  in : 
Thom.  Wftrton'a  History  of  English  Poetry  etc.,  ed.  by  W.  Carew  Haz- 
litt.    London.  1871,  Vol.  H,  p.  18. 

')  Fr.  Hammerich:  De  episk-kristelige  Oldkvad  hos  de  Gotiske 
Folk.  1873,  S.  80—81.  —  Aus  dem  Dänischen  übersetzt  von  AI  Michel- 
sen:  Alteste  christliche  Epik  der  Angelsachsen,  Deutschen  und  Nord- 
länder   von  Fr.  fiammerich,  Gütersloh.  1874,  S.  111—113. 

^  Hammerich  druckt  dies  von  Kemble  ab,  ohne  die  Korrektur 
von  Bouterwek,  a.  a.  0.,  S.  CXV,  beachtet  zu  haben. 


—     37     — 

Im  Sinne  Kemble's  erklärt  sieh  W.  Schaumberg  ^)  (1876) 
über  unseren  Salomon  und  Saturn:  „Es  ist  nämlich  ein  sehr 
ernst  geführtes  Gespräch  über  die  Gottheit  Christi  und  über 
sonstige  Fragen  philosophischen,  theologischen  und  mystischen 
Inhalts.  Salomo  belehrt  einfach  den  letzteren,  von  einer  Auf- 
lehnung des  Saturn  oder  einer  Parodierung  der  weisen  Reden 
Salomo's  ist  nichts  darin  zu  finden.  Man  kann  überhaupt 
nur  dem  allgemeinen  Charakter  nach  sowohl  die  französischen 
Rezensionen  als  auch  die  deutsch-lateinischen  Dialoge  unter- 
einander und  mit  dem  Salomon-Saturn  vergleichen,  gemein- 
sames in  Sprüchen  etc.  bieten  sie  gar  nicht  dar.  Dem  all- 
gemeinen Charakter  nach  berührt  sich  das  Französische  mehr 
mit  den  deutsch-lateinischen  Dialogen,  in  einer  anderen  Be- 
ziehung aber  stimmt  es  mit  dem  angelsächsischen  übereint 
das  ist:  während  diese  beiden  nur  aus  Rede  und  Gegenrede 
bestehen,  hat  sich  um  die  deutschen  sowohl  als  lateinischen 
Dialoge  eine  Rahmenerzählung  geschlungen."  Schaumberg 
bespricht  auch  die  Entstehung  der  Salomo-Markolf-Sage,  die 
er  gegenüber  den  bisherigen  Ansichten  als  im  Abendlande 
ausgebildet  sich  vorstellt;  er  nimmt  als  Antagonist  Salomo's 
den  Gott  Saturn  und  erblickt  in  Markolf  den  jüdischen  Mar- 
kolis,  mithin  auch  den  römiachen  Mercurius. 

Sehr  ausführlich  äußert  sich  Ten  Brink^)  (1877)  über 
unsere  altenglischen  Bearbeitungen:  „Der  Wortkampf,  sei  es 
in  Sprüchen  oder  Rätseln,  sei  es  in  Prahlreden,  scheint  auf 
alter  und  tiefeingewurzelter  germanischer  Sitte  zu  ruhen.  Im 
altnordischen  Wafthrudnismal  sehen  wir  Odhin  unter  dem 
Namen  Gangradr  den  weisesten  und  stärksten  aller  Riesen,  Waf- 
thrudnir  besuchen  und  beide  ihr  Wissen  in  einem  Kampfe 
messen,  dessen  Preis  das  Leben  des  Unterliegenden  bildet» 
In  England  aber  tritt  die  dialogische  Gnomik,  soweit  sie  uns 
erhalten,  in  Verbindung  mit  einer  orientalischen,  jedenfalls 
im   Judentum  ausgebildeten   Sage    auf,    welche    den   König 

')  Untersuchungen  über  das  deutsche  Spruchgedicht:  Salomo  und 
Morolf,  in  Paul  nnd  Braune's  Beiträgen  zur  Geschichte  der  deutschen 
Sprache  und  Literatur,  Bd.  2,  Halle.  1876,  S.  31. 

«)  beschichte  der  englischen  Literatur  I,  8.  112—114.  I*  (ed. 
Brandl)  1899,  S.  105-106. 


—     38     — 

Salomo  im  Gegensatz  zu  Marcoiis,  dem  Mercur  oder  Hermes 
des  klassischen  Altertums,  als  den  Vertreter  jüdischer  "Weis- 
heit heidnischem  Wissen  und  heidnischer  Redegewalt  gegen- 
über darstellte.  An  Stelle  des  Marcoiis  jedoch,  dessen  Name 
bei  den  germanischen  Stämmen  in  das  anklingende  bekanntere 
Marculf  überging,  erscheint  in  der  altenglischen  Dichtung 
Saturn,  eine  Vertauschung,  die  sich  am  besten  doch  wohl 
aus  Verwechslung  von  Marcoiis  mit  Malcol  (Milcol,  Milcom) 
d.  i.  Moloch,  dem  orientalischen  Saturn,  erklärt.  Zwei 
poetische  Gespräche  zwischen  Salomo  und  Saturn  sind  uns 
—  beide  lückenhaft  —  überliefert,  deren  Inhalt  als  ein  durch- 
aus christlicher,  jedoch  sowohl  mit  rabbinistischen  wie  mit 
germanischen  Vorstellungselementen  versetzt  erscheint."  — 
Darauf  gibt  er  eine  kurze  Inhaltsangabe  der  beiden  Dialoge ; 
den  zweiten  hält  er  für  „vielleicht  etwas  älter".  Hinsichtlich 
des  Alters  sagt  er:  „Der  poetische  Stil  in  diesen  Gesprächen 
....  steht  der  älteren  Dichtung  näher  als  die  Diktion  in 
den  Metren  des  Boetius,  wo  ein  neues,  der  prosaischen  Rede 
verwandtes  Element  sich  geltend  macht.  Namentlich  aber 
hinsichtlich  der  Behandlung  des  Verses,  der  Alliteration  unter- 
scheiden sich  diese  von  jenen.  Wenn  in  Salomo  und  Saturn 
und  in  Satan  Zahl  und  Lage  der  Stäbe  der  alten,  aber  fast 
nie  ausnahmslos  befolgten  Regel  zuweilen  nicht  entsprechen, 
so  zeigt  sich  doch  mit  kaum  nennenswerter  Ausnahme  die 
relative  Tonstärke  der  Silben  bei  der  Alliteration  berück- 
sichtigt." 

Bestimmter  in  bezug  auf  eine  chronologische  Fixierung 
drückt  sich  Grem^)  (1880)  aus,  der  unsere  Gedichte  sehr 
frühe  ansetzen  will:  „Gleichfalls  dem  Anfang  des  8.  Jahr- 
hunderts dürfte  ein  angelsächsischer  poetischer  Dialog  zwischen 
Salomo  und  Saturn  angehören,  der  aber  lückenhaft  auf  uns 
gekommen  ist;  zuerst  belehrt  Salomo  den  Saturn  hauptsäch- 
lich über  die  mystischen  Eigenschaften  des  Paternoster,  und 
dann  tauschen  beide  gegenseitig  Sprichwörter  und  andere 
weise  Sprüche  ohne  inneren  Zusammenhang  aus." 


*)  Kurz  gefaßte  angelsächsische  Grammatik.    Kassel.  1880,   heraus- 
gegeben von  R.  P.  Wülker,  Leipzig.  1879,  S.  9. 


—     39     — 

Zu  neuen  Resultaten  gelangte  F,  Vogt^)  (1880),  nicht 
allein  für  die  ae.  Bearbeitung,  sondern  auch  für  die  Sagen- 
geschichte im  allgemeinen.  Da  jedoch  dieser  um  die  Salomo- 
sage  so  hochverdiente  Gelehrte  hinsichtlich  des  Saturn  eine  un- 
richtige und  daher  für  die  Gedichte  eine  nicht  immer  ganz 
einwandfreie  Auffassung  zeigt,  so  werde  ich  bei  meiner  Ab- 
handlung über  die  Persönlichkeit  des  Saturn  ausführlicher 
auf  seine  Abhandlung  zurückkommen. 

Kurz,  aber  ungünstig  urteilt  J.  Earle^)  (1884),  der  sich 
an  Kemble  anschließt,  über  unsere  Dichtung,  da  er  be- 
sonders die  eingeschobene  Prosaversion  berücksichtigt:  ^There 
are,  however,  some  places  in  which  one  is  moved  to  doubt 
whether  the  extravagance  is  the  product  of  pure  simplicity, 
and  without  the  least  tinge  of  droUery  ....  The  fragments 
preserved  are  partly  poetical  aod  partly  in  prose :  the  poetry 
is  rather  insipid."  Earle  führt  sodann  aus  der  Prosaversion 
die  Stelle  an,  in  welcher  das  Herz  des  Paternoster  geschildert 
wird,  und  bemerkt  dazu :  ^I  do  not  undertake  to  assert  that 
this  piece  is  as  old  as  the  first  half  of  the  tenth  Century  .  . . 
I  believe  that  these  "Dialogues"  are  the  only  part  of  Anglo- 
Saxon  literature  that  can  be  suspected  of  mockery.  The 
earliest  laughter  of  English  literature  is  ridicule;  and  if  this 
ridicule  seems  to  touch  things  sacred,  it  will,  on  the  whole, 
I  think,  be  found  that  not  the  sacred  things  themselves,  but 
some  unreal  or  spurious  use  of  them,  is  really  attacked.  So 
here,  if  there  is  any  appearance  of  a  sly  derision,  the  thing 
derided  is  not  the  Paternoster,  but  the  vain  and  magical  uses 
which  were  too  often  ascribed  to  the  repetition  of  it." 

Gegen  diese  abfällige  Kritik  wandte  sich  bereits  Wülker 
(1886)  in  seinem  Grundriß.^  Er  schließt  sich  an  ten  Brink 
an  und  sagt  (ib.  S.  365):  ^Es  ist  wohl  anzunehmen,  daß  die 


^)  Die  deutschen  Dichtungen  von  Salomon  und  Markolf.  I.  Bd. 
Salman  and  Morolf.  Halle  a.  S.  1880.  (Über  Salomon  und  Saturn  vgl. 
S.  LHl^LV.) 

•)  Anglo-Saxon  Literature.  London,  Society  for  Promoting  Christian 
Knowledge.  1884,  S.  210—212. 

')  (irundriß  zur  Geschichte  der  angelsächsischen  Litteratur.  Leipzig. 
1885.  S.  366. 


—    40     — 

beiden  jetzt  in  A  zusammengestellten  Gedichte  ursprünglich 
keinen  weiteren  Zusammenhang  hatten,  als  daß  in  ^  beiden 
Salomo  und  Saturn  auftreten.  Diese  rein  äußerlidie  Ähnlich- 
keit war  sicherlich  auch  der  Grund,  weshalb  man  sie  zu- 
sammenbrachte. Das  zweite  Gedicht  ähnelt  mehr  anderen 
Salomon-Saturn-Morolf-Dichtungen,  indem  es  ein  wirkliches 
Zwiegespräch  ist.  Daß  wir  etwa  dadurch  berechtigt  wären, 
ihm  ein  höheres  Alter  als  dem  ersten  zuzuschreiben,  scheint 
mir  durchaus  zweifelhaft,  auch  sonst  finde  ich  keinen  Grund 
für  eine  solche  Annahme. **  Wülker  gibt  sodann  eine  gedrängte 
Übersicht  des  1.  Gedichtes,  für  das  er  als  Quelle  eine  la- 
teinische Vorlage  voraussetzt  Fälschlich  hält  er  jedoch  die 
Verse  169—177  für  den  Schluß  des  1.  Gedichtes.  Wie  ich 
im  folgenden  zeigen  werde,  bilden  diese  den  Schluß  des  2. 
Gedichtes.  Auf  seine  weiteren  Ausführungen  werde  ich  bei 
meiner  Auffassung  der  ae.  Bearbeitung  näher  eingehen. 

Gleich  Wülker  befaßte  sich  auch  Ad.  Ebert^)  (1687) 
eingehender  mit  dem  Salomo  und  Saturn:  „Das  angelsäch- 
sische Werk  hat  einen  viel  altertümlicheren,  ernsten  Cha- 
rakter, der  den  orientalischen  Ursprung  dieser  eigentümlichen 
Dichtung  überall  offen  zeigt.  Sicherlich  ist  es  auf  Grund  einer 
lateinischen  Vorlage  verfaßt,  die  uns  nicht  überliefert  ist,  und 
gewiß  einer  griechischen  Quelle  folgte  ...  So  wie  wir  e» 
besitzen,  besteht  es  aus  zwei  Gedichten,  vom  ersten  sind  178,. 
vom  zweiten  328  Langzeilen  erhalten.  Innerhalb  des  ersten 
findet  sich  noch  ein  prosaisches  Stück  eingeschaltet,  das  viel- 
leicht darauf  hinweist,  daß  die  gemeinsame  Vorlage  ganz  in 
Prosa  verfaßt  war.  Und  dort  wird  der  Angelsachse  sich  ihr 
am  engsten  angeschlossen  haben.''  —  Gleich  Vogt  sieht  auch 
Ebert  in  Saturn  nicht  den  alten  Gott  der  klassischen  Mytho- 
logie, sondern  einen  Fürsten  der  Chaldäer,  wie  sich  aus  dem 
ganzen  Werke  ergibt,  und  den  Salonion  einmal  Bruder  nennt. 
Am  Schlüsse  sagt  er:  „Es  kann  wohl  zweifelhaft  sein,  ob  die 
beiden  Gedichte  von  einem  und  demselben  Verfasser  her- 
rühren;  dagegen   erscheint  es  mir  sicher,   daß   das  eine  im 


^)  Allgemeine  Geschichte  der  Literatur  des  Mittelalters  im  Abend- 
lande.   Leipzig.  1887,  in.  Bd.,  S.  91—96  einschl. 


—    41     — 

Hinblick  aaf  das  andere ,  und  beide  auf  Grund  derselben 
Qnelle  yerfaßt  sind,  so  viele  Berührungspunkte  zeigen  sie 
untereinander.  Der  Verkehr  Salomo's  mit  den  Dämonen, 
wie  er  in  apokryphiscben  Werken  des  Alten  Bundes,  so 
namentlich  in  dem  griechisch  geschriebenen  ^^Testament  Sa- 
lomo's**  geschildert  wird,  auf  Grund  weitverbreiteter  orien- 
talischer Sagen,  hat  die  Anregung  zur  Abfassung  des  grie- 
chischen Werks  gegeben,  welches  —  wie  ich  annehme  — 
in  lateinischer  Übertragung  für  den  Verfasser  des  einen  wie 
des  anderen  angelsächsischen  Gedichtes  die  Vorlage  bildete.^ 
Mit  Wülker  (S.  366)  weist  auch  er  die  von  Vogt  S.  LIV 
den  beiden  Gedichten  zugeschriebenen  Tendenzen,  daß  das 
erstere  es  auf  eine  Läuterung  der  abgöttischen  Überlieferungen 
abgesehen  habe,  und  das  zweite  die  Überlegenheit  christlicher 
Weisheit  über  die  weltlich-magische  Gelehrsamkeit  verherr- 
lichen solle,  zurück. 

Nur  kurz  spricht  sich  E.  Duff^)  (1892)  über  unsere  Ge- 
dichte aus :  ^The  earliest  form  of  the  story,  as  far  as  can  be 
gatfaered  from  allusions  to  it,  was  a  serious  dialogue  on  theo- 
logical  and  mystical  questions  between  two  persons  of  equal 
leaming  but  of  widely  different  feeling.  If  we  accept  As- 
modeus,  the  prince  of  demons,  as  a  prototype  of  the  early 
Marcolphus,  or,  as  he  was  called  in  England,  Saturnus,  the 
contest  becomes  one  between  inspired  and  infernal  wisdom; 
and  a  manifest  connection  is  found  between  the  Eastem 
allegory  and  the  earliest  forms  of  the  legend  in  the  West, 
in  which  Saturnus,  earl  of  a  country  '^where  no  man  may 

Step  with  feet",  contends  in  argument  with  Solomon 

From  a  remote  period  forms  of  the  dialogue  seem  to  have 
been  known  in  England,  and  two  very  early  versions,  under 
the  title  of  "Solomon  and  Saturnus",  are  still  in  existence  .  . . 
The  first  part  consists  of  Solomon's  elaborate  ezplanation  of 
the  Pater  Noster,  setting  forth  the  power  and  value  of  the  in- 
dividual  letters  in  a  manner  which,  to  a  modern  reader,  would 
seem  to  require  wisdom  even  greater  than  Solomon's  to  un- 


')  The  Dialogue  or  Gommuning  between  the  Wiee  King  Salomon 
and  Marcolphus.    London.  1892,  S.  XIII. 


—    42    — 

derstand.  The  second  part  is  a  theolbgical  and  moral  dis- 
putatioD,  bearing  no  resemblance  to  other  versions  of  tbe 
Story,  except  in  being  arranged  in  the  form  of  a  dialogue^'. 
Ausführlicher  geht  Siopford  A.  Brooke  (1899)^)  darauf 
ein:  "There  are  two  dialogues  between  Salotno  and  Saturn 
with  which  we  may  close  the  poetry  of  the  ninth  Century. 
They  are  fragmentary.  The  oldest  is  the  second  in  the  ma- 
nuscript   [11.    179 — 506].     We  guess  this   from   the   vigorous 

way   in  which  it  begins:    "Lo   I  heard ".     Darauf  gibt 

er  dann  eine  Inhaltsangabe  in  kurzen  Züpfen ;  über  die  Grund- 
idee äußert  er  sich:  "Solomon  Stands  as  the  representative  of 
Christian  wisdom,  Saturn  of  the  heathen  wisdom  of  the 
East."  —  Über  die  allgemeine  Sagengeschichte  urteilt  er  kurz : 
"In  the  "dialogues  between  Solomon  and  MarculP'  Marculf  does 
not  play  the  grave  part  of  Saturn,  the  Eastern  sage,  but  that 
of  tbe  peasant  or  mechanic  füll  of  uteducated  mother-wit  and 
rough  humour.  This  suits  the  raediseval  temper,  always  a 
little  in  rebellion  against  the  predominance  of  the  Church, 
the  Noble,  and  the  king.  And  again  and  again  Marculf' s 
native  wit  has  the  better  of  Solomon.  But  in  this  early 
Anglo-Saxon  dialogue  no  such  levity  is  allowed."  Das  1.  in 
der  Handschrift  stehende  Gedicht  hält  er  also  für  das  spätere : 
**It  has  no  introduction,  and  Saturn  at  once  asks  Solomon  to 
explain  to  him  the  power  of  the  Paternoster.  The  answer 
takes  up  the  whole  poem,  and  in  the  course  of  it  many  int- 

eresting  examples  of  folk-lore  and  superstition  occur." 

Von  der  eingeschalteten  Prosaversion  hat  auch  er  keine  allzu 
hohe  Meinung,  wenn  er  sagt:  "Then  a  prose  fragmeut  is  in- 
serted  füll  of  curious  thiogs  concerning  the  shapes  which  the 
Devil  and  the  Paternoster  will  take  when  they  contend  to- 
gether,  of  how  the  Paternoster  will  shoot  at  the  Devil,  of 
what  kind  of  head  and  of  heart  the  Paternoster  has,  and  of 
all  the  wonders  of  bis  body ;  wonders  so  heaped  up  and  amazing 
that  they  may  have  had  their  origiu  in  Eastern  imagination.^' 


^)  English  Literature  from  the  Beginning  to  the  Norman  Conquest. 
London.  1899,  S.  210 — 211;  dagegen  berührt  derselbe  Verfasser  den  "Sa- 
lomo  and  Saturn"  nur  kurz  in  seiner  zweibändigen  "flistory  of  Early 
English  Literature"  etc.     London.  1892,  L  Bd.,  S.  194. 


-    43     - 

Die  bisherigen  Ergebnisse  der  Forschung  faßt  G.  Kör- 
ihig^)  (1899)  in  ein  paar  Sätzen  zusammen.  Entgegen  seiner 
früheren  Ansicht  sagt  Wülker  (1900)*):  „Das  Gedicht,  das 
jetzt  in  den  Ausgaben  an  2.  Stelle  steht  (V.  179 — 606),  ist 
jedenfalls  das  ältere."  Dann  gibt  er  eine  Inhaltsangabe.  Nur 
kurz  spricht  sich  Mar  Förster^)  (1902)  über  die  vermutliche 
Quelle  der  ae.  Bearbeitung  aus.  „Daß  gerade  die  irisch- 
angelsächsische Kirche,  die  bei  ihrer  räumlichen  Entfernung 
von  Rom  allzeit  einen  nationalen,  selbständigen  Zug  gezeigt 
hat,  eine  fast  verschollene  Apokryphe  bewahrt  hat  (i.  e.  die 
von  Jamnes  und  Mambres),  ist  nicht  zu  verwundern.  Fehlt 
es  doch  nicht  an  Beweisen,  daß  die  irisch-angelsächsische 
Kirche  eine  besondere  Vorliebe  für  diesen  Literaturzweig  ge- 
habt hat.  James  weist  darauf  hin,  daß  eine  Form  der  Vita 
Adae  und  Evae  in  dem  irischen  Saltair  na  Rann  benutzt 
ist,  und  daß  der  altenglische  Dialog  zwischen  Salomon  und 
Saturn  möglicherweise  aus  der  Contradictio  Salomonis,  die 
das  Gelasianische  Dekret  verdammte,  geschöpft  ist"  etc. 

Die  letzte  Besprechung  finden  unsere  Dialoge  in  der 
großen  Literaturgeschichte  von  R,  Garnett  und  E.  Gosse  ^) 
(1903):  "In  didactic  literature  we  have  a  translation  of  the 
distichs  of  Valerius  Cato,  and  two  dialogues  in  verse  and  two 
in  prose  between  Solomon  and  "Saturn".  The  origin  of  these 
is  Hebraic;  they  belong  to  the  extensive  class  of  writings, 
founded  on  the  history  of  the  Queen  of  Sheba's  visit  to 
Solomon,  in  which  the  wise  king  is  represented  in  friendly 
contest  with  visitors  who  come  to  make  trial  of  his  wisdom. 
One  of  these  in  the  earliest  form  of  Hebrew  tradition  is 
Hiram,  King  of  Tyre,  whose  place  at  a  later  period  is  taken 
by  "Marcoiis",  no  other  than  Mercurius,  whether  the  Gentile 
deity  or  the  Egyptian  sage  Hermes  Trismegistus.     Entering 


*)  Grundriß  der  Geschichte  der  Englischen  Litteratur'.  Münster. 
1899,  S.  66. 

•)  Geschichte  der  englischen  Litteratur.  Leipzig  u.  Wien.  1900,  S.  48. 

*)  Das  lateinisch-altenglische  Fragment  der  Apokryphe  von  Jamnes 
und  Mambres,  in:  Herrig's  Archiv  Bd.  CVJII,  1902,  S.  27  (u.  Bd.  CX,  1903.) 

*)  English  Literature,  an  Illustrated  Record  in  Four  Volumes. 
London.  1903,  1.  Bd.,  S.  61—62. 


—    44    — 

Europe,  Marcoiis  became  the  German  Marcolf  or  Morolf,  and 
by  a  stroke  of  genius  was  transformed  into  the  prototype  of 
EnleDspiegel  aod  Sancho  ]panza,  piain  coarse  common-sense 
mockiog  divine  philosophy,  and  low  cunning  winning  an  ap- 
parent  triumph  OTer  lofty  but  unpractical  wisdom.  There  is 
nothing  of  this  profound  doable-edged  irony  in  tbe  Anglo* 
SaxoD  pieces,  where  "Saturn"  —  how  conÜDg  by  that  appel- 
lation  is  hard  to  teil  —  manifests  no  trait  of  Morolf  or 
Sancho,  bat  is  simply  a  propounder  of  queries  sometimes 
oncountered  by  meet  replies,  sometimes  by  a  recital  of  tbe 
wild  est  imaginings  of  the  Rabbis." 

So  möge  es  mir  nun  vergönnt  sein,  durch  die  folgenden 
Untersuchungen  etwas  mehr  Licht  über  den  rätselhaften  „Sa- 
lomo  und  Saturn"  zu  yerbreiten. 

2.  Beschreibimg  der  Handschriften  und  ihr  YerhUtni» 
zu  einander.^) 

Die  altenglischen  Bearbeitungen  von  Salomo  und  Saturn 
sind  uns  in  zwei  Pergamenthandschriften  ^),  in  beiden  jedoch 
lückenhaft,  überliefert,  die  jetzt  im  Corpus  Christi  College 
zu  Cambridge  aufbewahrt  sind.  Die  Haupthandschrift,  ein 
Codex  in  8®,  nach  Kemble's  und  Grein^s  Vorgang  mit  A  be- 
zeichnet, trägt  die  Nummer  422  (früher  S.  16),  die  andere, 
Handschrift  B,  die  Nummer  41  (früher  S.  2).  Erstere  ent- 
hält alles,  was  überhaupt  noch  von  unseren  Gedichten  er- 
halten ist.  Sie  besteht  aus  26  Seiten,  die  in  einer  kleinen^ 
oft  schwer  lesbaren  Schrift,  und,  wie  Kemble  vermutete,  von 
einer  weiblichen  Hand  geschrieben  sind.  Jede  Seite  umfaßt 
gewöhnlich  24  Zeilen;  die  1.  Seite  dieser  Handschrift^ 
welche  die  Verse  1 — SO**  enthält,  ist  so  gut  wie  ganz  un- 
lesbar, da  sie  durch  chemische  Einflüsse  fast  ganz  schwarz 
geworden   ist.     Ich   selbst  konnte  nur  auf  der  ersten  Zeile 

*)  Vgl.  Walker,  Grundriß,  S.  361;  femer  Kemble,  S.  132;  Grein, 
Bibliothek  II.  Bd.  S.  413;  Sweet,  Gollation  in  Anglia  I,  S.  150;  Schipper, 
Salomo  und  Saturn,  in  Germanis  XXII,  S.  51. 

')  Vergleiche  Wanley,  Catalogos.  S.  114  und  149;  siehe  oben, 
S.  26. 


—    45     — 

8 : : :  RN : :  ^),  auf  der  2.  Zeile  a :  da  von  ijlanda,  und  onb : : : :  von 
onbyrged,  auf  Zeile  3  on  von  onlocen,  auf  Zeile  4  : : : :  hter 
von  treahteras,  5  :  :  :  :  m  :  c  :  1 :  von  micelan,  9  :  :  :  :  odde  se  : : 
odde  eor  : : :  (hier  also  abweichend  von  B)  ^) ;  dann  auf  Zeile 
13  cantices,  aaf  Zeile  16  eordan,  Zeile  18  Se  :  :  :  :  done, 
Zeile  19  warad  he,  Zeile  20  on  domdsese  dr :  c :  und  auf  der 
letzten,  der  24.  Zeile,  of  :  dwi  von  of  edwittes  mit  Sicherheit 
entziffern.  Die  2.  Seite  der  Handschrift  ist  nur  gegen 
Ende  schwer  lesbar,  die  3. — 11.  Seite  sind  sehr  gut  zu  lesen. 
Die  11.  Seite  hat  unten  ein  groBes  Loch,  das  selbstverständ- 
lich auf  der  12.  Seite  wiederkehrt.  —  Der  Text  des  ersten 
Gedichtes  ist  uns  also  in  A  (von  v.  30*  ab  deutlich)  bis 
Y.  168  *)  einschließlich  (auf  Seite  6)  erhalten. 

Ohne  Unterbrechung  folgt  in  der  Handschrift,  in  der 
Mitte  der  Seite  6  und  von  derselben  Hand,  ein  Bruchstück 
aus  einem  Prosagespräche  zwischen  Salomon  und  Saturn. 
Dieses  geht  bis  S.  12  einschließlich.  Dahinter  ist  ein  Blatt 
herausgeschnitten.^)  Auf  dem  7.  Blatte,  also  Seite  13,  be- 
ginnen die  V.  169—177,  die  nach  vorliegender  Untersuchung 
den  Schluß  des  2.  Gedichtes  bilden. 

In  der  Mitte  derselben  Seite  fängt  das  2.  Gedicht  an, 
das  schon  äußerlich  durch  die  großen  Buchstaben  der  ersten 
ZeUe  kenntlich  ist:  HWJET  IC  FLITAN  3EFILE3N.  Die 
14.  Seite  ist  ausradiert  und  mit  lateinischem  Text  über- 
Bchrieben.  Von  der  15.  Seite  sind  die  ersten  6  Zeilen,  sowie 
die  Mitte  undeutlich,  die  16.— 19.  Seite  ist.  sehr  gut  zu  lesen; 
die  20.  dagegen  schwer,  die  nächsten  Seiten  wieder  gut, 
die  26.  Seite  jedoch  sehr  schwer.  Mit  Seite  26  schließt 
die  Handschrift;  das  übrige  scheint  nach  den  bisherigen 
Herausgebern   herausgeschnitten    zu    sein,    trotzdem    in    der 


')  Also  das  1.  Qedicht  begann  wie  das  2.  auch  mit  großen  Anfangs- 
bnchstabeti. 

*)  Dadurch  wird  die  von  Holihaufen  in  Angiia  XXfll,  S.  123 
verlangte  metrische  Konjektur  handschriftlich  bestätigt. 

*)  Ich  zitiere  nach  meiner  Ausgabe,  die  also  von  dem  Texte  bei 
Grein- Wülker  hier  um  eine  Zeile  diflFeriert. 

^)  Kemble:  ** After  a  lacuna  of  one  or  more  pages  the  Couplets  re- 
commence."  —  Es  fehlt  nur  ein  Blatt. 


—    46    — 

Handschrift  selbst  nichts  zu  bemerken  ist.  Ich  selbst  glaube, 
daß  nur  wenig  fehlen  kann  und  bin  der  Meinung,  daß  das 
nach  der  Prosa  ausgeschnittene  Blatt  die  Fortsetzung  des 
2.  Gedichtes  bildete,  an  die  sich  dann  der  Schluß,  eben  die 
Zeilep  169—177,  anreihten  (vgl.  unten). 

Das  Fehlen  eines  Blattes  müssen  wir  auch  nach  Vers  306 
annehmen,  obgleich  in  der  Handschrift  nichts  zu  sehen  ist, 
ebenso  nach  Vers  396  (vor  Blatt  23).  Der  Sinn,  alsdann 
besonders  das  Fehlen  der  Antwort  Salomo's  drängen  uns  zu 
diesem  Schlüsse.  Diese  zwei  Blätter  können  aber  nicht  zu 
demselben  Bogen  gehört  haben. 

Die  zweite  handschriftliche  Überlieferung  fi  steht  auf  dem 
ziemlich  breiten  £a.nde  der  Folioseiten  196 — 198  einer  sehr 
wertvollen  Handschrift  von  Alfred's  Beda  und  ist  in  einer 
großen,  deutlichen  Hand  geschrieben.  Die  Schrift  stammt 
wohl  aus  dem  Ende  des  11.  Jahrhunderts.  Sie  enthält  zwar 
nur  die  Verse  1 — 94  T,  doch  ergänzt  sie  auf  diese  Weise 
glücklich  die  Handschrift  A,  indem  die  wenigen  auf  der 
1.  Seite  der  hs.  A  noch  lesbaren  Worte  genau  mit  jenen  in 
B  übereinstimmen.  Nach  diesen  Handschriften  wurden,  wie 
ich  bereits  im  vorhergehenden  bemerkte,  die  beiden  Gedichte 
und  die  Prosaversion  zuerst  von  Kemble,  jedoch  unkritisch, 
dann  von  Schipper  gedruckt.  Die  Gedichte  allein  finden 
sich  bei  Grein  und  Grein-Wülker  in  der  Bibliothek.  Bei 
einer  nochmabgen  Vergleichung  fand  ich  zwar  nur  ein  paar 
Stellen,  die  für  den  Text  zu  verbessern  waren;  doch  ohne 
vorherige  Einsicht  der  Handschriften  wäre  es  nicht  möglich 
gewesen,  einen  Schluß  auf  das  nach  der  Prosa  fehlende  Blatt 
zu  machen.  Die  Accente  gebe  ich  im  folgenden  gesondert. 
Der  Umfang  der  Lücken  ist,  wie  bei  Schipper,  durch  Punkte 
(:  :  :  =  3  Buchstaben  fehlen)  bezeichnet.  „Abkürzungen, 
im  Text  durch  kursiven  Druck  angedeutet,  kommen  in  den 
beiden  Handschriften  nur  wenige  vor,  mit  Ausnahme  des  be- 
kannten, in  der  Regel  gebrauchten  Zeichens  ./  für  ond,  wie 
es  aufzulösen  ist  {nicht  and)  ^)  nach  Anleitung  einzelner  Fälle 


')  Schipper,  a.  a.  0.,  S.  51. 


—    47     — 

des  Prosabruchstückesj  wo  das  Wort  sich  öfters  auf  p.  7 — 12 
der  hs.  so  geschrieben  findet/^  Das  Getrenntstehen  der  Kom- 
posita habe  ich  im  folgenden  durch  Bindestriche  angedeutet. 
Was  das  Verhältnis  der  beiden  Handschriften  zu  einander 
betrifft,  so  will  ich  es  durch  eine  Gegenüberstellung  der  haupt- 
sächlichsten Abweichungen  klarlegen.  Die  Worte  vor  der 
Klammer  sind  jene  der  Handschrift  A,  die  daneben  stehenden 
jene  von  B;  die  Zahlen  beziehen  sich  auf  meine  Ausgabe. 
Aus  den  ersten  30  Versen  ist  also  nur  [eines]  odde  se  :  :  : 
odde  eor  :  :  :  gegenüber  odde  achte  eorlscipes  in  B  10  anzu- 
führen. .Die  Handschrift  A  liefert  also  hier  die  bessere  Lesart. 
Ferner  müssen  wir  zur  Vergleichung  heranziehen :  se  jepalm- 
twisoda  Pater  Nos/er^)  in  B  11;  ebenso  p  gepalm-twigude 
pater  nr  B  38  mit  daet  gepalm-twigede  Pat^r  Noster  in  A  38. 
Alsdann  :  gifrust]  gifrost  B  47 ;  eadost]  eadusd  B  35 ;  worolde] 
worulde  B  56;  gripu]  jripo  B  45;  fyrwit]  fyrwet  B  57;  fe- 
dersceatum]  federscette  B  31;  feohgestreona]  fyrngestreona 
B  31;  ungelic]  ungesibb  B  34;  getselrime]  getales  rime 
B  37;  ontyned]  untyned  B  39;  swylce]  swilce  B  42;  dy 
fehlt  B  42;  dreara]  dry  B  43;  intingum]  intingaa  B  44; 
sifrust  wealled]  gifrost  weallad  B  47;  steored]  stered  B  50 
(vgl.  dreosed  A,  B  59);  heofona  rices  heregeatewa  wiged] 
heofon  rices  herejeatowe  weged  B  51;  gast]  gsest  B  53; 
durh  jastes  gife  godspel  secgan]  durh  gajstses  gife  godspellian 
B  64;  vgl.  gaest  Geist  A  85;  scyldijü]  scyldü  B  55: 
A  ist  also  hier  ganz  gedankenlos;  asceadan]  asceaden  B  55; 
wuldorlicne]  wundorlicne  B  56;  gaf]  geaf  B  55;  mod  ge- 
menged]  mod  geond  menged  B  58;  hige  heortan  neah  hsedre 
wealled]  hige  heortan  hearde  wealled  B  61,  alsoB  gibt  besseren 
Sinn ;  jefeccan]  gefetian  B  68  (siehe  Sievers  *  §  106,  3  und 
416  Anm.  15  b  und  Bülbring,  §  546.);  clusum]  clausum  B  70; 
he  ahieded  zerstört]  hege  hege  hided  verbirgt  B  72:  B  also 
schlecht;  modigra  middan^earde]  modigra  middanjeardes  B  74; 
stadole  stren^ra  donne  ealra  stana  sripe]  stadole  he  is  strenjra 
|>one  ealle  stana  gripe  B  75   (vgl.  auch  80);  lamena]  lamana 


')  Die  kursiv  gedruckten  ßachstaben  zeigen  an,   daß  die  Hand- 
schrift die  gebräuchliche  Abkürzang  Nf  für  Noster  hat. 


—     48     — 

B  76 ;  wincendra]  winciendra  B  76  (siehe  später) ;  he  is]  his  B  77 ; 
dnmbra]  deadra  B  77 ;  B  ist  also  gedankenlos ;  earmrafisca]  earma 
fixa  B  80 ;  welm  Wasser  für  Fische]  wlecco  Stolz  B  81,  B  also 
gedankenlos ;  on  westenne  weard,  weordmynda]  westenes  weard 
weordmynta  B  82,  letzteres  metrisch  besser;  sodlice]  smealioe 
B  84;  hine  siemle  wile  lufian]  bine  symle  luian  wile  B  85; 
38estJ  sesid  B  85 ;  fechtende]  feohterne  B  86,  B  gedankenlos, 
gebrengan]  sebringan  B  86 ;  du  gebrengest]  du  sebrinjed  B  87, 
B  also  falsch ;  on  ufan]  ufan  B  87 ;  lerne]  yom  B  87  (siehe 
darüber  in  der  Lautlehre);  gud  msecja  gierde]  gudmaja  gyrde 
B  89;  sweopad]  swaped  B9I;  prologa  prima]  prologo  prim 
B  88. 

Einfluß  von  Nasalen  in:  begonsanne]  be^ansenne  B  63; 
donne]  t)ane  B  34,  als ;  forden]  fordan  B  47 ;  done]  |)ane  B  70. 

Brechung:  hwearfad]  hwarfad  B  34;  vgl.  auch  toweor- 
ped]  toworped  B  73. 

Palatalisierung :  ofslihd]  ofslehd  B  92;  scippend]  sceppend 
B  55;  scyppendes]  scippendes  B  78. 

U/0-Umlaut  etc. :  heofona]  heofna  B  36 ;  heofona]  heofon 
B  51;  hefenum]  heofnum  B  59;  seofan]  sefan  B  44;  seofan 
snytro  ^  saule]  sefan  snytero  .^  sawle  B  65  (Bülbring  §  234); 
vgl.  ferner  seolfres]  silofres  B  30;  sylfren]  seolofren  B  63; 
leaf  fehlt  B  63. 

Wechsel  von  ie,  i,  y:  fyljed]  filgid  B  91;  gefylled  oder 
gesylled]  sefiUed  fällt  B  40;  jimmum]  gymmmn  B  62;  sien- 
nihte]  synnihte  B  67 ;  hie]  hi  B  68,  69 ;  getimbred]  getymbred 
B  73;  scyldigra  scyld,  scyppendes]  scildisra  scild,  scippendes 
B  78;  siemle]  symle  B  84.  85;  hwilum]  hwylü  B  60;  gif]  gyf 
B  87;  sierde]  gyrde  B  89. 

Vergleiche  auch:  unnit  B  20;  ida  B  28;  aber  untyned 
B  39;  swylce]  swilce  B  47. 

Die  Handschrift  B  ist  jünger  und  hat  daher  die  Ent* 
rundung  des  y  zu  i  in  stärkerem  Maße  durchgeführt. 

Abkürzungen  kommen  vor:  englum]  englü  B  36;  |)am] 
})ä  B  53;   bocü]  bocum  B  60;  selmihtigü]  selmihtisnm  B  33. 

hwilum]  hwylü  B  60. 

Verschiedenheit  der  spirantischen  Schreibung  und  Syn- 
kope  erscheint:   halsan]  halijan   B  36;   hali^e]   halie   B  39; 


—    49    — 

bysis]  bisi  B  60 ;  mersan]  merian  B  64 ;  faeofonas]  heofhas 
ß  39;  heofona]  heofna  B  36;  ferigend]  feriend  B  79;  nerisend] 
Deriecd  B  79;  vgl.  seherian  B  33;  fremede]  fremde  B  33. 

Allgemein : 

Zeile  66  fehlt  in  A. 

ä  fehlt  in  B  90 ;  him  fehlt  in  B  91. 

B  hat  Vorliebe  für  J):  Jjone  B]  done  90  A. 

Die  Runen  sind  nicht  in  B  angegeben.  Wiewohl  B  in 
einigen  Fällen  bessere  und  ältere  Lesarten  bietet,  so  macht  es 
doch  auf  der  anderen  Seite  wieder  arge  Verstöße ;  man  kann 
eigentlich  keiner  Handschrift,  soweit  wir  die  Texte  vergleichen 
können,  den  Vorzug  geben.  Das  Schwanken  in  der  Aus- 
sprache des  i,  ie,  y  macht  es  wahrscheinlich,  daß  die 
Schreiber  beider  Handschriften  nach  dem  westlichen  Teil  des 
Westsächsischen  gehören  (Bülb.  §  306,  §  161  Anm.  2,  §  163 
Anm.).  Wie  femer  in  der  Lautlehre  gezeigt  werden  wird,  ge- 
hören die  Verfasser  der  Gedichte  dem  nordhumbrischen 
Dialektgebiete  an. 

3.  Yerzeichnis  der  handschriftlichen  Längezeichen.  ^) 

Hs.  A:  ä  90  (fehlt  bei  Assmann),  92,  95,  348,  463; 
abanne  478;  abelgan  327;  äbited  299;  &breoted294;  äc  300, 
333,  337,  361,  383,  445;  äcende  362;  ädreogan  360;  ^r  177, 
271,  273,  427;  äfeded  371;  äfiUed  296;  äfran(?)  374;  äge 
475  (fehlt  bei  Assmann);  ähieded  72;  ählog  177;  äldor  354; 
an  245,  253,  384;  äna  34,  273;  äne  362;  änra  232,  354;  än- 
sseced  181 ;  äre  358 ;  äsceadan  55 ;  ästyred  295 ;  ätol  468 ; 
ätole  128;  ädenden  473  (fehlt  bei  Assmann);  ädreotan  446; 
ädreoted  427 ;  ädrinsan  502 ;  äwa  321 ;  äweced  282 ;  äweorp  461. 

bän  143;  blican  234;  boca  183,  241;  bocstafas  161; 
breosttosa  183;  bringän  232;  brodor  327;  brucän  440. 

cempän  138;  corsiäs  185  (nicht  über  i);  d^d  299;  döm- 
daeses  271;  dömes  dsege  334;  endgum  344;  aber  nicht  eordan 
273,  dessen  Strich  über  r  kein  Accent  ist. 

*)  Vgl.  dazu  Linke,  Die  Accente  im  Oxforder  nnd  Cambridger 
Psalter.  Dias.    Erlangen.  1886. 

MÜnchener  Beiträge  z.  romanieohen  n.  engl.  Philologie.   XXXI.        ^ 


—    60    — 

f&ran  383;  feld-jönsende  163;  fgorbaende  278;  förhd  177; 
fet  263;  fl6t  191;  flow&n  320;  förcamen  206;  fireond  212  (toü 
Assmann  nicht  angeführt);  früma  279;  füll  308  (tod  Aas- 
mann  nicht  angeführt);  f^  414. 

särtom  144  (von  Assmann  nicht  angeführt,  allerdings  ist 
der  Accent  sehr  undeutlich);  jeltc  363;  jerlmes  289;  seomriän 
349  (von  Assmann  nicht  angeführt) ;  sewesän  180;  gilpän  204; 
36d  101 ;  3Öde  361  (yon  Assmann  nicht  angeführt). 

hine  274;  his  177. 

tren  299;  is  52. 

laen&n  (sie!)  325;  lic  151;  lix&n  234. 

m&ne  315,  324;  m&nfulra  147;  men  179;  monn  250; 
mortis  279;  m6t  320,  aber  nicht  396. 

ng  395;  nd  100. 

öf  67,  108,  176,  335,  336,  455,  461 ;  öfer  48,  274,  321 ; 
öferbided  298;  öfer-hnsesed  304  (von  Assmann  nicht  ange- 
führt); öfermodan  449;  öferstised  298;  öferwijed  297 ;  öffeoll 
214;  öfslihd  92;  Öfslog  213:  oft  346,  371,  426;  Öme  299;  6n 
82,  87,  91,  97,  113,  129,  134,  138,  154,  160,  176,  178,  213,  214, 
223,  245,  253,  257,  260,  262,  272,  285,  290,  296,  296,  307,  312, 
317  (fehlt  bei  Assmann),  325,  334,  364,  367,  383,  385,  387, 
389,  392,  412,  413,  414  (beide),  429,  430,  452,  457,  497, 
499,  500;  önseled  4t;  önbyrejed  241;  ön-fand  459;  önfod 
150;  önsan  450;  öngieldad  131;  önhsetan  42;  önlidisan  355; 
önlutan  355;  önmedlan  360;  önsendad  243;  onw^ned  (fehlt 
bei  Assmann)  219 ;  örda  230,  231 ;  ordum  141 ;  örjanes  32 ; 
örles  373  (fehlt  bei  Assmann);  örmod  348;  ördancas  71; 
öwiht  32. 

räcenteaje  292;  rapäs  330. 

salomön  368;  sceal  364;  sindön  236;  sorsfoilne  377; 
st^le  298;  swä  299;  to  68  (Accent  über  t);  t6  308,  415,  428, 
439,  445,  501,  503;  töbrseddön  430;  todraf  461 ;  torhte  (Accent 
über  dem  zweiten  t)  37;  tungän  229. 

näsa  279;  üt  163,  aber  nicht  unjelic  34;  wä  103;  Wät 
202,  428  (bei  205  ist  nur  ein  Punkt  über  t);  wSj  500;  wen- 
delsafe  202;  wie  466;  winrod  234;  wlntre  466;  wisdöm  180; 
wissefa  437. 

yra  47  trägt  keinen  Accent  (falsch  bei  Assmann). 


—    51     — 

Hs.  B:  äna  34;  äweaxen  27;  dömdse^e  25;  f&s  57;  f^a 
46;  jlSda  47;  irenum  28;  onh^tan  42,  aber  nicht  or|)anca8 
71;  Öwihit  32;  stäna  75. 

Prosa:  äbimelech  (S.  39);  äc  (S.  35);  &damas  (S.  36); 
ädyfed  (S.  38);  &n  (S.  37);  änra  (8.  36);  äspyrian  (S.  36); 
dömescan  (S.  35);  ealra  (S.  37);  sesomnöd  (S.  38);  ilcan 
(S.  37);  magön  (S.  36);  middangeard  (S.  37);  6f  seofones 
(S.  35);  öferjesette  (S.  85);  öferhleod  (S.  38);  öferworht 
(S.  36);  auf  jedem  ön  (S.  35);  ön  (S.  37);  femer  önseled 
(S.  35);  on-se-sömDÖd  (S.  38);  ebenso  auf  jedem  önlicnisse 
(S.  35);  örjan  (S.  38);  tösömne  (accent  über  t  und  s)  (S.  36); 
üppe  6n  (S.  35);  ös  (8.  35);  ütan  (8.  38,  39);  ymbtedmän 
(8.  37). 

Was  die  Accente  betrifft,  so  ist  deren  Bedeutung  trotz 
Linke's  Untersuchung  noch  nicht  Töllig  geklärt;  sicher  ist^ 
daß  wir  sie  in  unserem  Denkmal  nicht  als  Längezeichen  der 
betreffenden  Vokale  auf&ssen  dürfen*  Denn  sie  stehen  ent- 
weder auf  ganz  schwach  betonten  Wörtchen,  oder  auf  unbe- 
tonten Vor-  oder  Endsilben,  oder  gar  auf  kurzen  8tamm- 
silbenvokalen,  wahrscheinlich  um  den  Vortragenden  aufmerk- 
sam zu  machen,  daß  er  erstere  nicht  übergeht. 


4* 


B.  Komposition. 

1.  Wesen  und  Erklärung  der  altenglischen  Fassungen.  ^) 

Im  Altenglischen  sind  zwei  Arten  von  Dialogen  des 
Salomon  und  Saturn  zu  unterscheiden :  die  erste,  ziemlich  um- 
fangreiche ist  durch  die  Haupthandschrift  Nr.  422  des  Corpus 
Christi  College  zu  Cambridge,  die  andere,  viel  kleinere  durch 
das  Manuskript  Cotton  Vitellius  AXV  vertreten.  Vorliegende 
Abhandlung  ist  nur  der  ersteren  gewidmet;  die  letztere  er- 
fordert eine  eigene  Untersuchung,  da  sie  in  das  Gebiet  der 
Elucidarienliteratur  gehört. 

Wie  schon  bei  der  Vergleichung  der  altenglischen  Dialoge 
mit  den  semitischen  und  indogermanischen  Bearbeitungen 
ausgeführt  worden  ist,  stellt  der  ae.  „Salomon  und  Saturn" 
den  ältesten  Repräsentanten  der  Salomosage  in  der  abend- 
ländischen Vulgärliteratur  dar.  Er  besteht,  wie  im  folgenden 
ausgeführt  werden  wird,  aus  drei  voneinander  unab- 
hängigen, fragmentarischen  Zwiegesprächen.  Das  erste, 
ein  poetisches,  enthält  zuerst  Salomo's Preis  des  Paternoster, 
das  in  der  Gestalt  eines  Palmbaums  erscheint.  Darauf  schil- 
dert Salomo  dem  Saturn  die  Überlegenheit  der  Buchstaben, 
aus  denen  sich  das  Paternoster  zusammensetzt,  —  die  aber 
nach  Art  der  Runen  gefaßt  und  personifiziert  sind,  —  über 
den  bösen  Feind. 

Das  zweite,   ein  prosaisches  Zwiegespräch,  behandelt 


^)  Vergleiche  Kemble  in  seiner  Ausgabe ;  Hofmann,  a.  a.  O.  423  und 
431;  Schaumberg,  a.  a.  0.  31  und  45;  Vogt,  S.  LIV;  Duflf:  The  Dialogue 
or  Gommuning  etc.  S.  XIII. 


—     53    — 

im  ersten  Teile  den  Kampf  des  Paternoster  mit  dem  Teufel 
in  je  15  yerschiedenen  Gestalten;  daran  schließt  sich  eine 
Beschreibnng  des  Paternoster  als  eines  Riesen  von  unermeß- 
licher Größe.  —  In  der  Handschrift  folgen  alsdann  die 
Zeilen  169 — 177,  die  nach  vorliegender  Untersnchung  den 
Schluß  des  2.  Gedichts  bilden. 

Dieser  zweite  poetische  Dialog  ist  ein  Rätselspiel,  in 
dem  Salomo  und  Saturn  philosophische,  theologische  und 
mythische  Probleme,  wie  den  Unterschied  zwischen  Schicksal 
und  Vorsicht,  das  jüngste  Gericht,  den  „Wandernden  Wolf" 
zum  Gegenstande  ihrer  Betrachtungen  machen.  Beide  Ge- 
dichte hatten  also  keinen  weiteren  Zusammenhang;  sie 
rühren  auch,  wie  in  der  Lautlehre  gezeigt  werden  wird,  von 
zwei  verschiedenen  Verfassern  her.  Die  äußerliche  Ähnlich- 
keit, daß  in  beiden  Salomo  und  Saturn  auftreten,  war,  wie 
auch  schon  Wülker  ^)  bemerkte,  sicherlich  der  Grund  für  den 
Abschreiber,  daß  er  sie  in  eine  Handschrift  vereinigte.  Die 
Prosa  wurde  nur  des  verwandten  Inhalts  wegen,  den  sie  mit 
dem  ersten  Gedicht  hat,  eingeschoben ;  sie  ist  also  nicht  eine 
prosaische  Fortsetzung  des  ersten  Gedichts;  denn  hier  ist 
das  Paternoster  ganz  anders  aufgefaßt.  Zu  der  Beweisführung 
dieser  Behauptungen  erschien  neben  der  Lautlehre  eine  ein- 
gehende Analyse,  die  zugleich  eine  ausführlichere  Inhalts- 
angabe^) ersetzt,  unbedingt  erforderlich;  durch  sie  ist  es 
auch  möglich  geworden,  den  Kern  der  oft  sehr  schwer  ver- 
ständlichen Dichtung  und  das  Wesen  des  rätselhaften  Saturn 
zu  ergründen,  was  ich  im  folgenden  klarzulegen  versuche. 

Ohne  jede  Einleitung  beginnt  das  erste  Gedicht  so- 
gleich mit  der  Rede  Satums  (v.  1 — 19):  „Wahrlich,  ich  habe 
von  aller  Inseln  Büchern  gekostet  durch  gelehrte  Kunst^  ich 
habe  die  Weisheit  der  Libyer  und  Griechen  erschlossen,  ebeup 
so  die  Geschichte  des  Inderreiches.  Mir  wiesen  die  Erklärer 
die  Geschichten  in   dem   großen  Buche  M  :  ces  (?).  •)    Doch 

»)  Grondriß,  S.  365. 

*)  Eine  solche  findet  sich  bei  £bert,  a.  a.  0.  III,  97;  vgl.  ferner 
Bouterwek:  Ciedmon's  des  Angelsachsen  biblische  Dichtungen  S.  LXIV 
und  CXV;  ferner  Vogt  a.  a.  0. 

')  In  den  erhabenen,  schwierigen  Büchern  Mosis? 


—    64    — 

konnte  ich  memals  in  allen  den  alten  Sohriften  die  Wahrheit 
finden«  Da  suchte  ich  noch,  was  in  bezug  auf  Stolz  oder 
Machtfalle,  Stärke  oder  Besitz  Ton  Tagenden  das  palmen- 
bezweigte  (d.  L  sieggekröate ;  siehe  S.  69)  Paternoster  wfire. 
loh  gebe  dir,  o  Sohn  Davids,  Herrscher  der  Israeliten^  alle 
30  Pfand  geschlagenen  Goldes  and  meine  13  Söhne,  wenn  du 
jmcSx  dazu  bringst,  daß  ich  durch  das  Wort  des  „Cantic^^^),  durch 
Christi  Lehre  angeregt  werde,  wenn  du  mich  mit  der  Wahrheit 
Tersöhnst  und  ich  in  Sicherheit  fortgehe,  mich  befriedigt  auf 
den  Wassernicken  begebe,  über  den  £lufi  Chabur  (wie  ich 
„Goferflod^  wiedergebe)  die  ChaldSer  aufzusuchen/^  —  Daraus 
entnehmen  wir  also,  daß  Saturn  ein  Ohaldäer  ist,  und  sicher 
als  ihr  höchster  Fürst  aufgefaßt  wwden  muß.  Dasselbe  er- 
fahren wir  wieder  aus  U.*)  t.  175  und  806.  Er  ist  über  das 
Meer  von  ferne  hergekommen  und  will  wieder  über  den 
Wasserrücken  und  über  den  Chaburfluß  nach  Hause.  „Cofer- 
flod'^^)  kann  nur  diesen  linken  Nebenfluß  des  Euphrat  in 
Chaldäa  bedeuten  (ygl.  Kommentar).  Wenn  er  zwar  dahin 
zurückkehren  will,  so  brauchte  er  von  Jerusalem  aus,  wo  das 
Gespräch  stattfindet  (siehe  S.  63),  sich  nicht  auf  das  Meer 
zu  begeben.  Er  will  aber  jedenfalls  seinen  Weg  nicht  durch 
die  syrische  Wüste  nehmen,  daher  fahrt  er  auf  dem  Wendel- 
see, d.  i.  dem  Mittelländischen  Meer,  wie  wir  aus  U.  t.  802 
erfahren.     Er  hat   12  Söhne,  mit  denen  er  nicht  besonders 


^)  Nach  fibert's  Vorgang  behalte  auch  ich  die  Wiedergabe  det 
alteDgüschen  eantie  bei. 

*)  Die  römische  Zahl  bezeichnet  daa  zweite  Gedicht. 

*)  Unter  Coferflod  ist  kaum  das  Land  Chabul  zu  yerstehen,  das  in 
3.  Kön.  Kap.  9  und  13  erwähnt  vrird:  „Nachdem  aber  20  Jahre  ver- 
gangen waren,  und  Salomo  die  zwei  Bauwerke  errichtet  hatte,  das  ist 
das  Haus  des  Herrn,  und  das  Haus  des  Königs,  gab  Salomo  dem  Hiram 
20  Städte  im  Lande  Galiläa  (d.  i.  den  Distrikt  Chabul.  ganz  im  Norden 
des  Landes  der  Verheißung  und  zwar  noch  aufier  demselben  gelegen;  er 
wurde  wahrscheinlich  von  den  Israeliten  früher  erobert,  infolgedessen  teils 
verwüstet,  teils  entvölkert.  Arndt  I,  S.  810).  Als  nun  Hiram  von  Tyms 
kam,  die  Städte  zu  besichtigen,  die  ihm  Salomo  gegeben  hatte,  gefielen 
sie  ihm  nicht  und  er  sprach:  Sind  dies  die  Städte,  die  du  mir  gegeben 
hast,  mein  Bruder?  Und  er  nannte  sie  das  Land  Chabul  (d.  h.  mifl- 
fällig  bis  auf  diesen  Tag). 


—    56     — 

zufrieden  sein  muß,  da  er  sie  dem  Salomo  anbietet  Dazu 
will  er  ihm  noch  alle  30  Pfund  Goldes  geben,  also  er  scheint 
ein  reicher  Fürst  zu  sein ;  darauf  wird  wieder  angespielt  IL 
▼.  d06.  Es  kann  sein,  dafi  hierin  noch  eine  Srinnerung  an 
das  Sätselspiel  zwischen  Salomo  und  Hiram  liegt  (ygl.  oben 
S.  3).  EiT  «ist  im  Besitze  großen  Wissens;  denn  er  hat 
die  Bücher  Ton  allen  Inseln,  die  hier  doch  wohl  allgemeiner 
als  Halbinseln  oder  Länder  überhaupt  zu  fassen  sind,  durch- 
studiert, besonders  die  Weisheit  der  Libyer,  wohl  Egypter 
(man  denkt  an  Pythagoras,  Herodot  etc.),  die  wieder  ü. 
y.  195  erwähnt  wird,  dann  die  der  Griechen  und  Inder.  Damit 
scheint  der  Dichter  die  Länder  der  weisesten  Nationen  der 
damaligen  Welt  zu  bezeichnen.  Unter  dem  großen  Buche 
M  :  ces  sind  doch  wohl  die  einzelnen  Bücher  Mosis  zu  yer- 
stehen  (ygL  Kommentar).  Die  alten  Schriften  konnten  ihm 
nicht  Aufschluß  geben,  was  für  eine  Macht  dem  palmen- 
bezweigten  (sieggekrönten)  Paternoster  innewohne. 

Also  er  ist  ein  Heide,  der  über  das  Christentum  auf- 
geklärt sein  will,  denn  er  sagt  noch  einmal,  daß  er  durch  das 
Wort  des  Cantic,  durch  Christi  Lehre  angeregt  sein  möchte.  Das 
Cantic  schließt  wohl  den  Begriff  des  Außergewöhnlichen  ein ; 
wie  Ebert  bereits  ausgesprochen  hat,  weist  diese  Stelle  auf 
eine  lateinische  Vorlage  hin,  da  das  lateinische  Wort  auch 
Zauberlied  bedeutet.  Saturn  will  befriedigt  Ton  dannen 
ziehen,  also  möchte  er  jedenfalls  durch  die  Auseinander- 
setzungen seines  Gegenredners  selbst  bekehrt  werden. 

Salomo,  der  Sohn  DaTids,  geht  nun  (t.  20 — 34)  darauf 
ein  und  erklärt  dem  Saturn,  daß  der  Mensch,  der  durch 
den  Cantic  nicht  Christum  preisen  kann,  unnütz  im  Leben, 
leer  an  Weisheit,  und  gleich  dem  Vieh  sei.  Am  Tag  des 
Gerichts  wird  er  verdammt;  da  wirft  ihn  der  Teufel  mit 
eisernen  Kugeln  (?).  Dann,  heißt  es  weiter,  „wird  es  ihm  lieber 
sein  als  diese  ganze  lichte  Schöpfung,  und  wäre  sie  an  den  tier 
Enden  Toller  Schätze  (t.  31),  wenn  er  jemals  etwas  von  dem 
''organ"  —  also  dem  Paternoster  —  erfahren  hätte^'.  Salomo 
Terstärkt  sogar  seinen  Ausspruch  noch,  indem  er  hinzufügt: 
„elend,  fremd  dem  allmächtigen  Gott  wird  er  sein  und  weitab 
von  der  Gemeinschaft  der  Engel  wird  er  einsam  wandern.^ 


—     56     — 

Daran  schließt  sich  die  Frage  Satums  (v.  35—37),  welches 
von  allen  Geschöpfen  am  leichtesten  die  heilige  Türe  des  himm- 
lischen Reiches  ö&en  könne.  Salomo  (v.  38 — 51)  antwortet 
ihm,  daß  dieses  das  pahnenbezweigte  Paternoster  sei.  Dasselbe 
habe  aber  noch  andere  Eigenschaften:  „Es  macht  mild  den 
Schöpfer  y  macht  die  Todsünde  zunichte^,  dagegen  kann  es 
anch  dem  Teufel  so  zusetzen,  daß  ihm  die  Schweißtropfen 
hervorquellen.  Zum  Schlüsse  sagt  ihm  Salomo,  daß  der  Cantic 
von  allen  Büchern  Christi  das  berühmteste  sei:  er  lehrt  die 
Schriften,  lenkt  mit  seiner  Stimme,  hält  (behauptet)  die  (Wal)- 
statt,  trägt  des  Himmelreiches  fleeresrüstung. 

Saturn  (v,  52 — 61)  möchte  daher  wissen,  wie  das  „organ^ 
zu  lernen  sei,  damit  es  solche  Wirkung  hätte.  Elr  wollte 
schon  seit  langem  seinen  Geist  reinigen  von  Schuld.  Dem- 
nach hätte  er  schon  lange  bekehrt  sein  wollen,  yielleicht 
deshalb,  um  so  dem  Tode  gefaßter  in  das  Auge  sehen  zu 
können,  zumal  er  sich  auch  im  zweiten  Gedichte  eingehend 
nach  dem  Tode  erkundigt.  Denn  er  ist  schon  sehr  bejahrt, 
da  ihn  nach  II.  v.  246  bereits  „50  Winter  die  Neugierde 
plagt^^    In  keinem  Buche  konnte  er  etwas  darüber  finden. 

Salomo  antwortet  ihm  mit  einer  langen  Bede,  die  den 
Hauptinhalt  des  1.  Gedichts  bildet,  v.  62—168.  Er  preist 
zunächst  nochmals  und  in  ganz  orientalischer  Weise  das 
„Wort  Gottes"  (se  godes  cwide),  das  eben  wieder  das  Pater- 
noster bedeutet.  Dieses  ist  golden  und  mit  Edelsteinen  ge- 
schmückt, es  hat  silberne  Blätter,  es  ist  der  Honig  der  Seele, 
und  die  Weisheit  des  Sinnes;  es  kann  die  Seele  von  der 
ewigen  Finsternis  zurückholen,  es  beraubt  die  Hölle,  es  ist 
der  Arzt  für  die  Kranken,  ein  Wächter  in  der.  Wüste.  Und 
wer  eifrig  das  Wort  Gottes  singen  will,  der  kann  den  bösen 
Feind  zum  Fliehen  bringen,  wenn  man  zuerst  den  „Prologum 
primum"  gegen  ihn  losläßt,  dem  der  Name  P  ist.  —  Salomo 
legt  nun  die  geheimnisvolle  Kraft  der  einzelnen  Buchstaben 
des  Paternoster  dar.  Die  meisten  haben  Speere  oder  Ruten 
und  stechen  und  hauen  auf  den  bösen  Feind  ein.  So  heißt 
es  von  P:  Es  hat  der  Kampf held  eine  lange  Brute,  einen 
goldenen  Stachel,  und  schlägt  damit  immer  den  grimmigen 
Feind ;  ,  .  .  B  geht  zornig  auf  ihn  los ;  der  Fürst  der  Buchstaben 


—    57    — 

schwingt  ihn  an  seinem  Haar  herum  nnd  zerbricht  seine 
Glieder  am  Grestein,  so  daß  er  flieht  in  seine  Burg,  mit 
Finsternis  bedeckt.  —  Daß  R  als  Fürst  der  Buchstaben  auf- 
tritty  weist  nach  Ebert  auf  das  griechische  Grundwerk  hin,  in- 
dem P  in  dem  Monogramm  Christi  eine  hervorragende  Stelle 
einnimmt.  —  N  und  [O]  [oder  I,  siehe  Kommentar],  die  Zwil- 
linge der  Kirche,  tun  ihn  in  Acht  und  Bann ;  S,  der  Fürst  der 
Engel,  der  Stab  der  Herrlichkeit,  packt  ihn  bei  den  Füßen 
und  zerschmettert  ihm  die  Wangen  an  einem  Stein.  In  der 
Luft  quälen  ihn  die  „Zwillinge  des  Lebens"  mit  silbernen 
Ruten  (140  ff.).  Wer  diese  sind,  ist  mir  unklar,  die  Zwillinge 
des  Lebens  sind  doch  eigentlich  Leib  und  Seele  (oder  der 
Teufel  und  der  Schutzengel?). 

So  also,  sagt  Salomo,  kann  das  Gotteswort  (cwide)  jeden 
der  Feinde  zum  Fliehen  bringen  und  die  schwarze  Schar  der 
Bösen  bannen.  Diese  Feinde  nehmen  oft  die  Gestalt  einer 
Schlange  (wörtlich  Wurms)  an,  stechen  das  Vieh,  das  Pferd; 
ja  „der''  Feind  fesselt  sogar  die  Hände  des  dem  Tode  ge- 
weihten Mannes,  er  beschwert  seine  Hände,  wenn  er  im 
Kampfe  Sorge  tragen  will  für  sein  Leben  gegen  die  feind- 
liche Schar;  der  Feind  schreibt  auf  die  Waffe  des  Mannes 
eine  Menge  zum  Unheil  gereichender  Zeichen,  er  verzaubert 
das  Schwert  Salomo  gibt  nun  in  echt  germanischem 
Sinne  die  Nutzanwendung :  „Daher  soll  niemand  ohne  Bedacht 
das  Schwert  zücken,  wenn  auch  der  Glanz  ihm  gefallt,  sondern 
immer  soll  er,  wenn  er  sein  Schwert  zieht,  das  Paternoster 
singen  und  den  Falmbaum  mit  Freuden  bitten,  daß  er  ihm 
beides  gebe,  das  Leben  und  die  Hände  (d.  i.  den  Gebrauch 
der  Hände),  wenn  sein  Feind  kommt.^  Also  der  Palmbaum 
bedeutet  das  Paternoster ;  wir  haben  hier  eine  Nebeneinander- 
stellung  desselben  Begriffes,  den  im  ae.  üblichen  Parallelismus. 
Nach  T.  62  hatte  das  Paternoster  silberne  Blätter  und  war  mit 
Edelsteinen  geziert.   (Näheres  über  Palmtreow  im  Kommentar). 

Damit  ist  die  Rede  Salomo's  zu  Ende  gekommen,  und 
Saturn  könnte  seinem  Gegenredner  nach  einer  so  ausfuhr- 
lichen Beschreibung  und  Darleguug  der  hervorragenden  Eigen- 
schaften dieses  Palmbaums  Paternoster  nur  erklären,  daß  er 
zur  richtigen  Überzeugung  gelangt  ist  und   sich  zur  Lehre 


—     68    — 

Ohristi  bekeDnen  will.  Dieses  erfahren  wir  aber  nioht  mehr, 
denn  in  der  Handschrift  beginnt  ohne  Unterbrechnng  auf 
derselben  Seite  die  Prosa. 

Die  Verse  169 — 177  bilden  also  nicht  den  Schloß  des 
1.  Gedichtes.  Fassen  wir  den  Inhalt  des  ersten  Gedidites 
in  ein  paar  Worte  zusammen,  so  enthält  es  also  die  Schil- 
derung der  Gewalt  des  Paternoster  durch  Salomo.  Die  Kraft 
der  neunzehn  Buchstaben  desselben  wird  beschrieben,  indem  die 
paar  fehlenden  Buchstaben  nach  Grein,  Bibliothek  II.,  S.  368 
Anm.,  sich  leicht  ergänzen  lassen.  Bereits  Kemble  ergänzte 
O  in  V.  107,  und  Grein  J  nach  v.  122.  Grein  hat  überhaupt 
zuerst  den  Zusammenhang  der  Runen  erkannt,  indem  er  sagte : 
,,Gibt  man  die  Ergänzung  in  t.  123  (122)  zu  und  sieht  man 
in  y.  136^ — 137  (135)  das  nicht  genannte  B,  so  haben  wir  die 
neunzehn  Buchstaben,  aus  denen  das  lateinische  Paternoster  zu- 
sanmiengesetzt  ist,  und  zwar  im  ganzen  in  der  Folge,  wie  sie 
in  ihm  nach  und  nach  zuerst  auftreten,  .V  durch  U  yertreten.^' 
Zugrunde  gelegt  ist  das  Paternoster  nach  Matthäus  VI,  9 — 13 
einschließUch:  P ATERNOSQOICLFMDGBH.  Das 
Nos  beweist,  daß  nicht  die  Fassung  nach  Lukas  XI,  2 — 4 
(nach  der  Vulgata)  Torliegen  konnte.^)  —  Eine  lateinische 
Vorlage  ist  also  sicherlich  dafür  anzunehmen. 

Fragen  wir  uns  nach  dem  Zwecke,  den  der  Dichter  damit 
verfolgte,  so  glaube  ich  dies  dahin  beantworten  zu  können, 
daß  er  damit  die  Überlegenheit  der  christlichen  Beligion 
über  die  heidnisch-germanische  zum  Ausdrucke  bringen 
wollte.  Es  ist  erklärlich,  daß  er  dazu  das  Paternoster 
wählte,  da  dieses  in  wenigen,  aber  herrlichen  Worten  die 
Lehre  des  Christentums  enthalt.  Mit  Recht  wurde  daher 
bei  der  Bekehrung  der  Heiden  von  den  Geistlichen  ver- 
langt, daß  die  Germanen  zuerst  das  Paternoster,  dann  das 
Credo  beten  können.  Ich  möchte  nur  zwei  Stellen  aus  den 
Homilien  Wulfstans  anführen,  worin  es  heißt  (ed.  Napier, 
p.  125,  1):  Leofan  menn,  understandad  seome  . . .,  ))8Bt  »Ic 
cristen  man  mid  rihte  cunnon  sceall,  |>8et  is,  pater  noster  and 
a-edo  in  Deunt  .  .  .,  weiter  ib.  p.  136,  18 :  fordam  nan  man  ne 


')  8.  WÜUnr,  Giundrüt,  S.  366,  Anm. 


—    59     — 

mses  bim  sylfum  rihtlice  to  his  drihtne  bis  |»earfe  sesmcljaD, 
baton  be  cnnne  pater  noster  and  credan  (ygl.  aucb  eine 
HomiUe  Aelfrics,  Tborpe  n.  604). 

Über  die  Palmzweige  vgl.  die  Predigt  auf  den  Palm 
Simday  in  den  Blickling  Homilies,  S.  €7,  Z.  7 :  ))a  bsBron  bie 
bim  (Cbristo)  tojeanes  blowende  palmtwia^;  for)>OD  {)e  bit  wsbs 
Indisc  )>eawy  f^nne  beora  cininsas  bsefdon  nje  jeworbt  on 
beora  feoDdum,  ^  bie  wseron  eft  bam  bweorfende,  ))onne  eodan 
bie  bim  togeaDes  mid  blowendum  palmtwisnm,  beora  81568  to 
wyor))myndum.  Wel  f^t  jedafenode  {)8et  Dribten  8wa  dyde 
on  )>a  selicnesse;  for|ion  |)e  be  wses  wnldre8  cyniDg.  |)ysne 
dses  bie  nemdon  siges  dseg.  (Ein  Vergleicb  des  Gebetes  mit 
einer  Palme  findet  sieb  bei  Scbönbacb,  Altdeutscbe  Predigten  I. 
90,  4ff.y  Tgl.  femer  I.  192,  siebe  Kommentar.) 

Der  Diobter  wftblte  also  die  Qestalt  eines  Palmbaumes, 
da  eben  die  Palme  das  Zeicben  des  Sieges  ist.  Für  die 
eigenttimlicbe  Auffassung  des  alteugliscben  ^)  Dicbters,  den 
einzelnen  Bucbstaben  des  Paternoster  die  Überlegenbeit  über 
die  bösen  Feinde  zuzuscbreibeu,  möcbte  icb  auf  eise  Stelle 
der  Bibel  Terweisen,  d.  i.  Psalm  118,  in  dem  aucb  Gedanken 
über  das  Wort  Gottes  an  die  Betracbtung  der  Bucbstaben 
des  bebrtiscben  Alpbabets  geknüpft  werden.*)  Dies  soll  an- 
zeigen, daß  dem  Frommen  das  Wort  Gottes  ebenso  tief  ein- 
geprägt sein  müsse  wie  das  Alpbabet  seiner  Spracbe  (vgl.  damit 
aucb  die  Klagelieder  des  Jeremias  Kap.  1.  9.  3.  4.  5). 

Eine  andere  Frage  drängt  sieb  uns  wegen  der  „bösen 
Feinde^  auf.  Im  Paternoster  entbält  ja  nur  die  7.  Bitte 
einen  Hinweis  auf  den  Teufel,  aber  dieses  ist  meiner  Meinung 
nacb  bier  belanglos.  Ten  Brink  folgert  aus  der  Scbilderung 
des  Treibens  der  bösen  Geister  auf  einen  Zusammenhang  mit 


')  Aus  der  eogÜBchen  Literatur  möehte  ich  aU  ParallelBtelle 
Ohauoer's  ABC  anfahren,  das  freilioh  wieder  eine  Überseteung  aas  dem 
Franzöfiflchen  ist,  and  sein  Spiel  mit  den  Buchstaben  in  anderer  Weise  treibt. 

*}  Vgl.  auch  Migne,  Dict.  Col.  842:  Wagenseil,  dans  son  recueil 
d*6crits  composSs  par  des  Jaifs  contre  la  religion  chr6tienne,  pretend 
que  les  Jui&  attribuent  &  Salomon  une  priSre  qui  donne,  si  l'on  prend 
Im  premikres  lettres  de  chaque  phrase,  le  mot  hdbreu  correspondant  4 
Salomon  rez. 


—     60     — 

den.  germanischen  Eiben.  Ich  selbst  erblicke,  wie  ich  bereits 
erwähnt  habe,  in  dem  ersten  Dialoge  eine  schwache  Anlehnung 
an  die  Dämonensage,  die  wir  bei  den  Juden,  Arabern,  Griechen 
kennen  gelernt  haben.  Alles  wird  in  orientalischer  Weise 
geschildert;  ich  kann  jedoch  nicht  mit  Vogt  übereinstimmen, 
daß  dieser  Dialog  es  auf  eine  christliche  Läuterung  der  ab- 
göttischen orientalischen  Überlieferung  abgesehen  habe.  Ich 
glaube,  daß  der  altenglische  Dichter  den  Dialog  nur  mit 
Rücksicht  auf  seine  heidnischen  Germanen  verfaßt  hat,  was 
die  Runen  und  die  Aufforderung  zum  Gebete,  bevor  der 
Krieger  sein  Schwert  zieht,  bekräftigen.  Der  Dichter  be- 
nutzte also  die  in  England  jedenfalls  sehr  bekannte  Salomo- 
sage,  um  die  ausserordentliche  Kraft  des  Paternoster  zu  veran- 
schaulichen. Die  Kirche  gebrauchte  die  Dialogformen  als  ein 
Mittel  zur  Belehrung  der  Heiden;  in  dem  zweiten  Gedichte 
werden  wir  sehen,  wie  Salomo  dem  Saturn  den  Fall  der  Engel, 
das  jüngste  Gericht  etc.  auseinandersetzt;  das  prosaische 
Gespräch  im  Gotton  Vitellius  A.  XV  soll  ihn  über  die 
Schöpfung  der  Welt,  die  Bücher  Moses,  die  Erschaffung  des 
Menschen,  die  10  Gebote  etc.  aufklären.  Für  alle  Dialoge 
müssen  wir  also  christliche  Verfasser  annehmen. 

Noch  deutlicher  tritt  uns  die  Tendenz  der  Kirche,  mit 
Hilfe  des  Dialogs  den  Heiden  eine  Vorstellung  von  christ- 
lichen Dingen  zu  machen,  in  dem  in  der  Handschrift  auf 
das  erste  Gedicht  folgenden  prosaischen  Dialoge  von 
Salomo  und  Saturn  entgegen,  zu  dem  ich  nun  übergehen  will. 
Dieser  hebt  mit  der  Frage  des  Saturn  an,  in  wie  mannig- 
fachen Gestalten  der  Teufel  mit  dem  Paternoster  kämpfen 
wird.  In  dreißig  Gestalten,  antwortet  Salomo,  d.  h.  ein  jeder 
von  beiden  in  15.  Es  ist  klar,  daß  sich  dies  nach  der 
Beschreibung  des  Kampfes  des  Teufels  mit  dem  Falm- 
baum  Paternoster  nicht  sehr  gut  anschließt,  da  ja  dort  der 
Teufel  schon  besiegt  ist.  Der  Teufel  wird  also  zuerst  in  der 
Gestalt  eines  Kindes  sein,  das  Paternoster  aber  in  der  des 
heiligen  Geistes;  damit  wird  immer  ein  Gegensatz  ausgedrückt, 
wobei  natürlich  dem  Paternoster  der  bessere  Teil  zufällt ;  denn 
der  heilige  Geist  ist  selbstverständlich  dem  unerfahrenen 
Kinde    überlegen.      Das    dritte   Mal    kämpft   der  Teufel   in 


—     61     — 

der  Grestalt  eines  Drachen,  das  Paternoster  aber  in  der  G-e- 
stalt  des  Pfeiles,  der  Brachia  Dei  heißt;  damit  kann  eben 
der  Drache  erlegt  werden.  Jener  dann  in  der  Gestalt  der 
Finsternis,  dieser  in  der  Gestalt  des  Lichts. 

Manchmal  ist  der  Gegensatz  nicht  gleich  zu  erkennen, 
wie  Nr.  13  und  14 :  der  Teufel  ist  in  Gestalt  eines  Schwertes, 
das  Paternoster  in  der  einer  himmlischen  Brünne.  Damit  ist 
gemeint,  daß  das  Schwert  nichts  gegen  die  himmlische  Brünne 
ausrichten  kann. 

Die  zweimal  vorkommende  Gestalt  des  Paternoster  als 
eines  silbernen  Adlers  in  Nr.  16  und  18  und  den  daher  nicht 
zu  erkennenden  Gegensatz  für  den  Teufel  müssen  wir  der 
Unachtsamkeit  des  Schreibers  auf  Rechnung  setzen.  Das 
19.  Mal  ist  der  Teufel  in  der  Gestalt  des  Todes,  das  20.  Mal 
das  Paternoster  in  der  Gestalt  Christi.  Das  29.  Mal  ist  der 
Teufel  wieder  in  Gestalt  des  Todes ;  doch  da  bedeutet  Salomo 
dann  noch  einmal:  „Dann  ist  das  Paternoster  glorreicher  ge- 
wendet in  die  Gestalt  des  Herrn." 

Hieran  schließen  sich  noch  eine  Beihe  wunderlichster 
Fragen  und  Antworten;  so  fragt  Saturn:  Aber  wer  entdeckt 
den  Teufel  in  dem  Walde  des  Himmels  (!)  und  bringt  ihn  in 
die  Arme  der  Kämpen  Christi ,  die  so  heißen :  Cherubim  und 
Seraphim?  Darauf  Salomo:  üriel  und  Rumiel. ^)  Saturn 
fragt  darauf:  Aber  wer  schießt  den  Teufel  mit  glühenden 
Pfeilen?  worauf  Salomo  antwortet:  Das  Paternoster  schießt 
den  Teufel  mit  glühenden  Pfeilen,  und  der  Blitz  brennt  und 
zeichnet  ihn  und  der  Regen  kommt  von  oben  über  ihn,  und 
die  Wolken  führen  ihn  irre,  und  der  Donner  drischt  ihn 
mit  der  feurigen  Axt,  und  treibt  ihn  zu  der  eisernen  Kette, 
an  welcher  sein  Vater  gebunden  liegt,  Satan  und  Sathiel. 
Vergleichen  wir  damit  I.  v.  116,  so  sehen  wir,  daß  also 
das  Paternoster  nicht  gegen  Satan,  den  obersten  Teufel  selbst, 
auftritt.  Salomo  fährt  dann  fort:  und  wenn  der  Teufel 
sehr  müde  geworden  ist,  so  sucht  er  das  Vieh  eines  schuldigen 
Mannes  oder  einen  unreinen  Baum  auf,   oder  wenn  er  den 


^)  Ein  Bruchstück  eines  Dialoges  zwischen  Uriel  und  einem  Ramiel 
ist  in  dem  6.  nnd  7.  Buche  Mosis  (apokryph)  enthalten,  gedr.  bei  Ceriani: 
Fragmenta  Parvae  Genesis  et  Assumptionis  Mosis.  Tom  V.  (vgl.  Komment.). 


—     62     - 

Mond  oder  Leib  eioes  ungesegneten  Mannes  trifft,  dann 
geht  er  in  des  Mannes  Eingeweide.  Und  durch  seine  Hant 
und  durch  sein  Fleisch  geht  er  auf  die  Erde  und  von  da 
sucht  er  die  Wüste  der  Hölle  auf.  Vgl.  damit  die  Bück- 
ling Homilies,  ed.  Morris,  S.  47:  CwaB))  se  halja  lareow: 
Ne  ablinnan  we,  manna  beam,  (»set  we  Gode  cwemon,  .f 
deofol  tynan,  dseges  ^  nihtes,  J  midCristes  rdde  tacne 
US  sebletsian,  |)onne  flyh^  (»set  deofol  fram  us;  for- 
|)on  him  bi|)  mara  broga  |)0Dne  senisum  men  sy,  |)eah  hi[m] 
m<m  sl^  mid  sweorde  wi))  {ises  heafdes ;  vgl.  auch  S.  97 : 
For{>on  we  sceolan  weordian  |)set  halije  sisetacen  Cristes 
rode  c/  Softer  fylgeon  .  . . 

Nun  kommt  Saturn  wieder  auf  die  Gestalt  des  Pater- 
noster selbst  zurück  und  fragt:  Aber  was  für  ein  Haupt  hat 
das  Paternoster?  Salomo:  Es  hat  ein  goldenes  Haupt  und 
silbernes  Haar^);  unter  einer  einzigen  Locke  kann  man 
trocken  stehen,  wenn  auch  alle  Wasser  der  Erde  und  des 
Himmels  zusammen  regneten;  und  seine  Augen  sind  12000 
mal  glänzender  als  die  ganze  Erde,  wenn  sie  auch  mit  den  glän- 
zendsten Lilienblüten  überdeckt  wäre,  und  jedes  Blatt  der 
Blüte  12  Sonnen  und  jede  Blüte  12  Monde  hätte,  und  jeder 
Mond  12  000  mal  glänzender  wäre  als  er  vor  Abels  Ermordung 
war.  So  wird  dann  auch  ausführlich  das  Herz  des  Pater- 
noster beschrieben,  das  12000  mal  herrlicher  ist  als  alle  die 
7  Himmel,  die  über  uns  gesetzt  sind;  das  Paternoster  hat 
femer  eine  feurige  Zunge  und  eioen  goldenen  Bachen  und 
einen  leuchtenden  Mund.  „Und  wenn  auch  die  ganze  Erde 
neu  geworden  wäre  von  Adam's  Schöpfong  an  und  jeder 
einzelne  Mensch  die  12  Weisheiten  Habraham's,  Isac's  und 
Jacob's  hätte  und  300  Jahre  leben  dürfte,  sie  könnten  nicht 
die  Länge  seiner  Zunge,  noch  die  Kraft  ihrer  Macht  entdecken.^ 
Seine  Arme  sind  12  000  mal  länger  als  die  Erde,  seine  2  Hände 
sind  breiter  als  12  Mittelwelten,  ein  jeder  seiner  goldenen  Finger 
jedoch  ist  30000  mal  länger  als  die  ganze  Mittelwelt.  (Es 
hat  also  ganz  unproportionierte  Extremitäten.)  In  der  rechten 


^)  Im  1.  Gedichte  war  das  Gotteswort  golden,  mit  Edebteinen  ge- 
schmückt and  hatte  lilberne  Blätter  (y.  62—63). 


—    63     — 

fiUmd  des  Paternof ter  ist  die  Gestalt  eines  goldenen  Schwertes, 
dessen  Unke  Schneide  grimmiger  ist  als  die  Erde,  wenn  sie  auch 
Ton  wilden  Tieren  angefüllt  wäre,  und  jedes  12  eiserne  Homer 
hätte  nnd  jedes  Hom  wieder  12  eiserne  Zinken,  und  jede 
Zinke  wieder  12  Spitzen  und  jede  Spitze  wieder  12000^)  mal 
sdiärfer  wäre  als  ein  Pfeil,  der  Ton  120  Schmieden  (?)  gehärtet 
wäre  (der  120  Härtungen  erfahren  hätte?).  Mit  seiner  rechten 
Hand  könnte  das  Paternoster  alle  Geschöpfe  zu  der  Gestalt 
eines  Wachsapfek  zusammendrücken.  Der  Gedanke  des  Pater- 
noster ist  schneller  als  12  000  heilige  Geister,  wenn  auch 
jeder  12  Gefieder  hätte,  und  jedes  wieder  12  Flügel  und  jeder 
wieder  12  Siege.  Es  wird  dann  noch  die  Stinmie  beschrieben, 
die  alles  übertönen  würde,  wenn  jedes  Wesen  auch  eine 
goldene  Trompete  im  Munde  hätte  und  jede  Trompete  12 
Töne. 

Also  das  Paternoster  erscheint  hier  nicht  wie  im  1.  Ge- 
dichte als  ein  Palmbaum,  sondern  als  ein  Riese  von  wahrhaft 
unermeßlicher  Größe.  Es  wird  dann  die  Ausrüstung  geschil- 
dert, Ton  dieser  aber  nur  das  Banner,  indem  mitten  in  seiner 
Schilderung  die  Prosa  abbricht.  Es  heißt  da:  das  Pater- 
noster hat  ein  goldenes  Banner,  das  mit  12  Purpurtüchem(?) 
umgeben  ist  und  jedes  hängt  an  120  goldenen  Bingen;  das 
erste  Purpurtuch  heißt  Aumm  cseleste;  dann  nennen  die 
Engel  das  zweite:  Spiritum  Paraclitum;  in  dieser  Art  des 
Tuches  wird  der  heilige  Michael  am  jüngsten  Tage  gekleidet  sein. 
Das  3.  nennen  die  Engel  Pastoralices;  in  dieser  Art  war  das 
Purpurtuch,  das  einst  um  die  Säulen  von  Salomon's  Vater  David 
in  diesem  selben  Tempel  hing  (das  Grespräch  spielt  also  in  Je- 
rusalem). In  der  Gestalt  des  4.  Purpurtuches,  das  Solacitum 
heißt,  opferte  einst  Abimelech,  der  gute  König,  Christo  (!). 
Das  5.  Purpurtuch  heißt  Vita  Perpetua,  das  der  heiligen 
Dreieinigkeit  gehört;  das  6.  heißt  Sacrificium  Dei.  Dann 
ist  das  7 

Damit  bricht  die  Prosa  ab,  indem  in  der  Handschrift 
ein  Blatt  herausgeschnitten  ist.  Wenn  ich  mir  nun  die  Frage 
vorlege,  ob  dieses  eine  Blatt  die  Fortsetzung  der  Prosa  ent- 

^)  Der  Verfasser  ist  hier  wohl  von  der  Apokalypse  beeinflufit  worden. 


—    64    — 

halten  habe,  so  muß  ich.  diese  verneinen.  Das  möchte  ich 
mit  folgendem  begründen.  Der  Prosaverfasser  müßte  zunächst 
noch  die  5  anderen  Purpurtücher  aufzählen^  femer  hätte 
Saturn  doch  auch  nach  der  Bedeutung  der  120  goldenen 
Ringe  gefragt,  und  Salomo,  der  alles  weiß,  hätte  ihn  auch 
darüber  aufgeklärt.  Dieses  hätte  zwar  auf  den  zwei  Seiten 
Platz  gehabt,  wird  aber  durch  die  umständliche  Art  und 
Weise  der  Erklärung,  die  der  Prosaverfasser  dem  Salomo 
zu  eigen  gibt,  unwahrscheinlich  gemacht.  Ferner  muß  ich 
annehmen,  daß  Saturn,  der  sich  in  dem  Prosabruchstück 
eingehend  nach  allem  erkundigt,  auch  nach  anderen  Gegen- 
ständen der  Ausrüstung  des  Paternoster  gefragt  hätte,  so  be- 
sonders nach  dem  Schild  und  der  Rüstung  selbst,  ja  es 
könnte  mich  nicht  wimdern,  wenn  der  Verfasser  der  Prosa 
dem  Saturn  auch  noch  eine  Frage  nach  den  Siebenmeilen- 
stiefeln für  die  vorauszusetzenden,  die  Mittelwelt  an  Länge 
12000  mal  übertreffenden  Beine  des  Paternoster  in  den  Mund 
gelegt  hätte.  Dafür  hätte  aber  ein  einziges  Oktavblättcben 
nicht  ausgereicht.  Femer  hätte  Saturn  doch  auch  dem  Salomo 
erklären  müssen,  daß  er  nun  endlich  vollkommen  klar  über 
das  Paternoster  geworden  ist. 

Meine  Meinung  geht  vielmehr  dahin,  daß  sich  auf  dem 
herausgeschnittenen  Blatte  die  Fortsetzung  des  2.  Gedichtes, 
also  nach  v.  501  ^)  befand,  an  die  sich  dann  der  Schluß  des 
2.  Gedichtes  in  den  v.  169—177  anschloß.  Wie  in  der  Laut- 
lehre gezeigt  werden  wird,  gehören  diese  wenigen  Verse  der 
Sprache  nach  zum  2.  Gedichte,  sind  also  nicht  mehr  wie 
bisher  als  der  Schluß  des  1.  Gedichtes  zu  betrachten.  In 
sprachlicher  Beziehung  darf  ich  hier  bereits  anführen,  daß  die 
erine  auffallende  Formel  forcumen  J'  forcyded  v.  175  sich 
wieder  v.  205  vorfindet ;  andere  Übereinstimmungen  sind  in  der 
Lautlehre  verzeichnet. 

Daß  auf  dem  ausgeschnittenen  Blatte  höchstwahrscheinlich 
die  Fortsetzung  des  2.  Gedichtes  gestanden  hat,  möchte  ich  noch 
durch  folgendes  bekräftigen.  Wie  ich  in  der  Analyse  des  2.  Ge- 


^)  V.  504  bei  Grein- Wülker. 


—     65     — 

Gedichtes  sehen,  daß  in  Vers  4 74  ff.  Satum  dem  Salomo  es- 
chatologische  Fragen  stellen  zu  wollen  scheint.  Salomo  zielt 
am  Schlüsse  seiner  Antwort  auf  das  jüngste  Gericht  und  die 
Verurteilung  des  bösen  Menschen  ab.  Dieses,  sowie  die  letzte 
Frage  Saturns  nach  dem  jüngsten  Gerichte  kann  höchstens 
2  Seiten  in  der  Handschrift  ausgefüllt  haben,  muß  aber  den 
Versen  169 — 177  vorhergegangen  sein.  Denn  es  heißt  in 
diesen:  „Er  läßt  nicht  nach,  bevor  er  sicher  weiß,  oaß  die 
sündigen  Seelen  bei  den  Feinden  mitten  in  der  Hölle  stecken 
werden.  Dann  wird  der  hohe  König  befehlen,  die  Hölle 
zu  schließen  voll  des  Feuers  und  die  Feinde  mit  dazu."  Daran 
reiht  sich  v.  174  der  objektiv  gehaltene  Schluß,  der  dem  An- 
fange des  2.  Gedichtes  genau  entspricht:  „Es  hatte  da  der 
kluge  Sohn  David's  den  Fürsten  der  Chaldäer  überwunden 
und  zu  Schanden  gemacht;  aber  es  war  doch  der  befriedigt, 
der  auf  seiner  Reise  von  ferne  her  gekommen  war;  niemals 
zuvor  lachte  sein  Herz  (so)  auf."  Das  „von  ferne  her'*  ent- 
spricht genau  der  Aufzählung  der  vielen  Länder,  die  Satum 
durchzogen  hat,  im  Anfange  des  2.  Gedichtes. 

Bevor  ich  jedoch  zu  diesem  selbst  übergehe,  möchte  ich 
noch  auf  das  Prosabruchstück  zurückkommen.  Wir  haben 
gesehen,  daß  dieses  inhaltlich  von  dem  1.  Gedichte  abweicht. 
In  der  Darstellung  des  Riesen  Paternoster  werden  wir  an 
ähnliche  Beschreibungen  in  der  Psychomachie  des  Prudentius 
erinnert.  —  Im  1.  Teile  soll  wieder  die  Überlegenheit  des 
Paternoster,  jedoch  nicht  so  sehr  die  des  Christentums  über 
das  Heidentum  dargestellt  werden;  im  2.  Teile  will  der 
Verfasser  (seinen  heidnischen  Germanen)  einen  Begriff  von 
dem  Paternoster  geben,  wie  er  es  sich  vorstellt.  Allerdings 
läßt  dies  auf  keine  hohe  geistige  Veranlagung  schließen :  denn 
eine  solche  Beschreibung  des  Paternoster  ist  nicht  mehr 
schöpferische  Phantasie ;  wir  können  auch  keine  Vision,  sondern 
nur  das  Produkt  eines  nicht  mehr  ganz  normalen  Menschen 
darin  erblicken,  wenn  wir  ihn  nicht  gleich  für  12  000  mal 
verrückt  erklären  wollen.^)   Er  sticht  also  gegen  den  Verfasser 


^)  Ich  könnte   nur   einen  guten  Gedanken  von   ihm    anerkennen, 
wenn  er  die  120  goldenen  Hinge  und  die  so  häufig  auftretende  Zahl 
Mttnchener  Beiträge  2.  romanischen  u.  engl.  Philologie.    XXXI.        5 


r^        66        ^ 

des  1.  Gedichtes  {bedeutend,  oooh  lodir  ftbe^  gegen  den  des 
2.  Gedich;te8  ab,  das  leb  nun  analysieren  mll. 

Es  beginnt,  .entgegen  dem  ersten,  mit  «liner  eiHflchen 
^Eünleitung,  in  der  der  Dichter  selbst  spricht  (v.  178—^00?) : 
^Traun,  ich  habe  erfahren,  daß  in  frühej^en  Tagen  sinnes- 
Jduge  Männer,  Fürsten  der  JBrde  wetteiferten,  stritten  um 
jhre  Weisheit . .  .  Salomon  war  der  berühmtere,  wenn  auch 
Satl^rn,  der  kühne  Geistesheld,  die  Schlüssel  von  einigen 
Büchern  hatte ,  die  Schlösser  der  Gelehrsamkeit.  Das  ganze 
Land  durchwanderte  er,  das  Meer  der  Inder,  nach  Osten  hin 
die  Korsier  (Gedroeien  ?),  das  Reich  der  Perser,  Palästina, 
.die  befestigte  Stadt  Niniveh  und  nach  Norden  hin  die  Parther  (?), 
die  Schatzhallen  der  Meder,  das  Land  Marculfs,  das  Beiob 
Saul's,  wie  es  nach  Süden  zu  liegt  um  Gilboa  und  um  Geador 
nach  Norden,  die  Paläste  der  f^hilister,  die  befestigten  Plätze 
der  Griechen,  den  Wald  der  Egypter,  das  Gewässer  der 
3Iathäer,  die  Clauder,  Coreffer,  das  Beich  der  Ohaldäer,  die 
Mächte  der  Griechen,  die  Greschleohter  der  Araber,  die  Lehre 
der  Libyer,  das  Land  Syrien,  Bithynien,  Byzanz  (?),  Pamphyli^a, 
das  Grenzland  des  Perus  (Pontus?),  Macedonien,  Mesopotamien, 
Gappadocien,  Christi  Hierycho,  Galiläa,  Hierusalem  . .  ." 

Aus  diesem  Eingänge  erfahren  wir  also,  daß  Salomo  .doch 
4er  berühmtere  war,  trotzdem  Saturn  den  ganzen  damals  be- 
kannten Erdkreis  durchzogen  hatte.  Auffallend  ist,  daß  dabei 
sein  eigenes  Eeich  genannt  wird ;  worauf  sich  das  "Marculfes 
eard"  bezieht,  ist  nicht  klar;  selbstyerständlich  muß  «s  ein 
Land  im  Orient  bedeuten,  vielleicht  ist  damit  Syrien  gemeint 
(vgl.  damit  den  Bericht  des  Erzbischofs  Wilhelm  von  Tyrus 
oben  Seite  11,  ebenso  auch  „Marculphus,  qui  ab  Oriente  nuper 
venerat^'),  das  zwar  v.  195  wieder  erwähnt  wird.  Als  Apqpo- 
sition  zu  Meda  maddumeelas  darf  es  nicht  gefaßt  werden, 
da  eine  solche  Konstruktionsweise  überhaupt  nicht  in  usfieren 
rGedichten  vorkommt  Unter  Geador  ist  doch  %wohl  das  jieutige 
Qadara  südlich  vom  See  Genezareth  zu  vjersteheüoi ;  das  Gre*- 


12000,  die  Vervielialtigang  von  120  mit  100,  im  Hinblick  auf  das 
Großhundert  der  Germanen  eingeführt  hätte  (um  sie  noch  rascher  zum 
Gbriatentum  zu  bewegen?).  Wabreoheinlich  aber  hat  er  die^  Zahl 
)12000  dv  Offenbarung  Job.  Kap.  .7.  4  entlehnt. 


—    67    — 

«Eässer  der  Mathäer  halte  ich  fiir  den  See  Tiberias,  die  Heimat 
des  fSyaiigelisten  Matthäus ;  unter  Porus  haben  wir  vielleicht 
Pontus  oder  .den  König  Phaiao  von  Egypten  zu  yessteheq, 
der  als  iFore  in  dem  deutschen  Spielmannsgedioht  erscheint;  es 
kirnnte  auch  vielleicht  der  König  Porus  von  Indien  gemeint 
sein.  Eine  genauere  •Bestimmung  ist  nicht  möglich,  da  der 
Verfasser  des  2.  Gedichtes  die  Länder  nidit  nach  ihrer  geo* 
graphischen  Lage  aufzählt.  Von  .dem  irömischen  Beich  wird 
nichts  erwähnt,   dagegen  überwiegen  die  biblischen  tarnen. 

Leider  ist  die  nächste  Seite  ausradiert  und  -mit  lateini- 
schem Text  überschrieben.  Wahrscheinlich  hat  sidh  hier  Saturn 
ähnlich  wie  im  1.  Gedichte  als  einen  Menschen  vorgestellt, 
der  viele  Büdier  studiert  und  bei  all  den  genannten  Völ- 
kern Weisheit  vemcnnmen  bat;  es  wird  jedoch  im  folgenden 
nur  die  der  Philister  herangezogen.  Der  Ohaldäerfürst  wird 
auch  seinen  Grund  angegeben  haben,  warum  er  Salomo  auf- 
gesucht hat,  eben  um  zu  sehen,  wer  den  anderen  an  Weisheit 
übertreffen  könnte.  Wir  müssen  nach  der  Antwort  Salomo's 
annehmen,  daß  er  dies  in  besonders  prahlerischer  Weise  her- 
vorgehoben hat;  er  muß  femer  von  .dem  Lande  der  Philister 
erzählt  haben,  das  niemand  betreten  dürfe,  wohin  aber  er  doch 
allein  ging.  Nicht  umsonst  werden  immer  die  Philister  erwähnt, 
da  sie  die  erbittertsten  Feinde  der  Israeliten  waren. 

Die  Handschrift  beginnt  dann  mit  dem  Pragment  einer 
Rede  Salomo's:  „Oder  ich  schweige,  sinne  auf  etwas  Nütz- 
liches ....  ich  weiß  dann,  wenn  du  dich  begibst  auf  den 
Wendelsee,  über  den  Fluß  Chabur  dein  Volk  aufzusuchen, 
daß  du  dich  rühmen  willst,  du  hättest  die  Kinder  der  Men- 
schen besiegt  und  zu  Schanden  gemacht:  Ich  weiß,  daß 
die  Chaldäer  so  ruhmredig  waren  im  Kampfe,  so  stolz  auf 
ihr  Gold,  so  prahlerisch  auf  ihre  Herrlichkeiten,  als  an  sie 
die  Mahnung  erging  südlich  auf  dem  Sanerefeld.  Sage 
mir  von  dem  Lande,  wohin  keioer  .  der  Menschen  den  Fuß 
setzen  darf."  Hieraus  sehen  wir  also,  daß  Saturn  einem 
mächtigen  Volke  angehört.  Damit  stimmt  v.  327  überein 
(s.  später).  Jedoch  möchte  ich  bemerken,  daß  die  ,^umena 
beam",  auf  die  sich  Vogt  so  sehr  stützt  und  für  Saturn  den 
Schluß   zieht,  daß   er  übermenschlich  sei,  nicht  (gerade  be- 

6* 


—     68     — 

weisend  sind,  da  dies  eine  epische  Formel  ist.  Der  Kampfes- 
eifer und  die  Prahlsucht  derChaldäer  werden  besonders  hervor- 
gehoben. Die  Mahnung  sud  ymbe  Sanere  feld  bezieht  sich 
oflFenbar  auf  Genesis  Kap.  11.  In  Genesis  10  wird  bei  dem 
Geschlechtsregister  der  Nachkommen  Noe's  erzählt:  „Und  Chus 
zeugte  den  Nemrod;  dieser  fing  an  ein  Gewaltiger  zu  sein  auf 
Erden.  Und  er  war  ein  starker  Jäger  vor  dem  Herrn.  Daher 
entstand  das  Sprichwort :  Ein  starker  Jäger  vor  dem  Herrn  wie 
Nemrod.  Seine  Herrschaft  aber  erstreckte  sich  anfänglich  auf 
Babylon,  Arach,  Achad  und  Ghalanne  im  Lande  Sennaar^. 
Kap.  11  heißt  es  dann:  „Es  war  aber  auf  Erden  nur  eine 
Sprache  und  einerlei  Rede.  Und  als  sie  vom  Aufgange  her- 
zogen, fanden  sie  eine  Ebene  im  Lande  Sennaar  und  ließen  sich 
daselbst  nieder."  Es  wird  dann  der  Turmbau  zu  Babel  ge- 
schildert und  die  Sprachenverwirrung.  Darauf  spielt  Sa- 
lomo  an;  er  möchte  nun  etwas  von  dem  Lande  der  Philister 
erfahren,  das  der  Chaldäerfürst  auf  dem  fehlenden  Blatte  in 
prahlerischer  Weise  angedeutet  haben  muß.^) 

Saturn  erzählt  darauf  (v.  210 — 222):  Der  berühmte 
Seefahrer  war  geheißen:  „Wandernder  Wolf",  bekannt  den 
Völkern  der  Philister,  der  Freund  „Nebrond's"  (also  Nem- 
rod's).  Er  erschlug  auf  dem  Felde  25  Drachen  bei  Tages- 
anbruch, doch  ihn  erschlug  der  Tod ;  daher  kann  kein  lebendes 
Wesen  dort  weilen;  von  da  entstammten  zuerst  die  giftigen 
Scharen,  die  nun  wandernd  in  giftigem  Hauch  sich  Eingang 
schaffen.  —  Also  der  Freund  des  Chaldäers  „Nebrond",  der 
„Wandernde  Wolf",  war  gleich  diesem  ein  großer  Jäger, 
der  25  Drachen  erschlug,  aber  selbst  fiel,  wodurch  die 
Scharen  sich  ausbreiteten.*-^)  Durch  ihren  giftigen  Hauch 
kann  niemand  in  das  Land,  das  doch  wohl  das  Land 
der  Philister  selbst  ist.  Daß  dieser  Philisterfiirst  zu 
einem  germanischen  Namen  kam,  findet  seine  Erklärung 
wahrscheinlich  darin,  daß  der  Dichter  oder  seine  Vorlage  sich 


*)  Ich  fasse  dieses  also  gegen  Vogt  nicht  als  Saturn's  Reich;  daü 
der  Wandernde  Wolf  nicht  Saturn  ist,  beweist  dessen  Aussage,  daß  jener 
selbst  fiel. 

^)  Hierin  ist  vielleicht  noch  ein  Nachklang  der  Drachensage  aas 
der  jüdischen  Fassung  zu  erkennen. 


—    69     — 

an  die  Etymologie  des  Wortes  „Philister"  gehalten  hat,  welches 
„Wanderer^'  bedeutet  und  daher  ihrem  Fürsten  das  Prädikat: 
Wandernder  Wolf  gab  (vgl.  Encyclopsedia  Britannica  *  XVIII, 
766 :  The  very  name  of  Philistines  probably  comes  from  a 
Semitic  root  meaning  "to  wander" ;  the  Septuagint  calls  them 
!^U(Jf/)t;Ao«,  "aliens".) 

Die  V.  223 — 227  fasse  ich  nun  als  Antwort  Salomo's  auf, 
die  aussagt,  daß  der  Wandernde  Wolf  sich  eben  in  die  Ge- 
fahr begeben  hat  und  darin  umkam :  Denn  töricht  ist  der, 
der  in  tiefes  Wasser  geht  und  nicht  schwimmen  kann  oder 
den  Grund  nicht  erreichen  kann. 

Saturn  fragt  dann  (228—236):  Aber  wer  ist  der  Stumme, 
der  in  einer  Höhle  ruht,  sehr  weise  ist,  sieben  Zungen  hat, 
von  denen  jede  20  Spitzen  und  jede  Spitze  die  Weisheit 
eines  Engels  hat?  Salomo  gibt  die  Antwort  darauf  (v. 
236 — 240),  wenn  er  sagt:  Bücher  sind  berühmt.  Also  der 
Stumme  in  der  Höhle  ist  ein  Buch  in  seinem  Fache;  die 
7  Zungen  bedeuten  wohl  7  Siegel^),  jedes  Siegel  umfaßt 
wahrscheinlich  20  Blätter.  Es  ist  vielleicht  hier  das  Buch 
gemeint,  das  in  der  Offenbarung  des  Johannes,  Kap.  6  ge- 
nannt ist,  das  7  Siegel  hat  (vgl.  auch  Ezechiel  2,  9). 

Die  Frage  Satum's  entspricht  auch  äußerlich  ungefähr  der 
Antwort  Salomo's  in  der  annähernd  gleichen  Anzahl  von  Versen ; 
dies  stimmt  genau  bei  den  zwei  nächsten  Aussprüchen  Saturn's 
and  Salomo's,  die  ganz  allgemein  sich  auf  Bücher  beziehen. 
Darauf  sagt  Saturn  (v.  245 — 250):  Ein  Wesen  ist  in  der 
Welt,  um  das  mich  die  Neugierde  60  Winter  plagte,  weithin 
über  die  Schöpfung;  mein  sich  quälender  Geist  tut  dies 
immer  noch,  bis  der  ewige  Herr  mir  gönnen  wird,  daß  mich 
ein  weiserer  Mann  befriedige.  —  Trotzdem  Saturn  keine  weitere 
Bemerkung  macht,  so  will  doch  Salomo  ihn  sofort  aufklären. 
Er  beweist  alsbald,  daß  er  auch  in  der  Weisheit  der  Phi- 
lister beschlagen  ist,  wenn  er  sagt:  Ein  Vogel  sitzt  mitten  im 


')  Vgl.  damit  eine  Stelle  bei  Migne,  Dict.  843:  «Nicolas  Eymerio 
(Director.  Inquisitor,  part.  II.  quaest.  28)  dit  que  le  Pape  Innocent  VI 
condamna  et  fit  bruler  an  gros  livre  divise  en  sept  parties,  intitule  Le 
livre  de  Salomon,  et  rempli  d^invocations  et  de  pratiques  coupables  pour 
Commander  aux  demons.» 


—     70     — 

Lande  der  Philister,  ein  Berg  ist  rings  um<  ihn,,  ein  weiter 
goldener  Wall.  Eifrig  bewachen  ihn  die  Weisender  Philister; 
sie  glauben  ohne  Ghrund,  daß  ihn  das  ganze  Volk  ihnen  rauben 
möchte.^)  Mit  der  Schneide  des  Schwerte?  bewachen  sie  ihn; 
jede  Nacht,  Tt)n  Norden  und-  Süden,  geben  auf  beiden  Seiten 
200  Wächter  auf  ihn  Acht.  Der  Vogel  hat  vier  Köpfe 
von  Durchschnittsmenschen,  ist  in  der  Mitte  walfischaitig,  er 
hat  die  Flügel  eines  Geiers  und  die  Füße  eines  Greifen.  Er 
liegt  fest  in  Fesseln,  er  schaut  schrecklich,  mächtig  schwingt 
er,  und  seine  Ketten  erdröhnen.  Lang  kommt  ihm  die  Weilb 
Yor,  es  dünkt  ihm,  daß  es  dreimal  30000  Winter  seiesi, 
bevor  er  den  Lärm  des  jüngsten  Gerichts  hört.  Es  kannte 
ihn  auf  dieser  Erde  keiner  der  Menschen,  bis  daß  ich  allein 
ihn  fand  und  ihn  zu  fesseln  befahl  über  das  weite  Wasser 
hin,  daß  ihn  der  mutige  Sohn  Melot's,  der  Fürst  der  Philister, 
fest  mit  Ketten  schließen  ließ.  Diesen  Vogel  heißen  die 
weithin  wohnenden  Fürsten  der  Philister  Vasa  Mortis. 

Da  Salomo  dem  Fürsten  der  Philister  Befehl  erteilen 
kann,  so  hat  also  der  Verfasser  des  2.  Gedichts  hier  die 
Herrschaft  Salomo's  in  seiner  Jugendzeit,  als  die  Philister 
unterworfen  waren,  im  Auge.  Er  macht  sich  aber  eine  un* 
richtige  Vorstellung  von  der  Lage  des  Landes  der  Philister, 
wie  das  „ofer  brad  water"  von  Vers  274  zeigt.  Ich  glaube 
nicht,  daß  der  Todesvogel  Vasa  Mortis  zu  der  Art  von 
Drachen  gehört,  die  der  Wandernde  Wolf  erlegt  hat;  er 
scheint  etwas  heiliges  zu  sein,  da  200  Wächter  ihn  hüten: 
Daher  sehe  ich  hierin  eine  Anspielung  auf  den  Gott  Dagon 
der  Philister,  der  den  Leib  eines  Fisches  hat  (Samuel  1,  5); 
vgl.  damit  Encyclopsedia  Britannica  •  XVIII,  756:  ''The 
more  famous  Dagon,  who  had  temples  at  Ashdod  (1  Sam.  V; 
1  Mac.  X.  83)  and  Gaza  (Judges  XVI.  21  sq.),  seems  to 
have  been  more  than  a  mere  local  deity;  there  was  a  place 
called  Beth*Dagon  in  Judsßa  (Josh.  XV.  41)  and  another  on 
the  borders  of  Asher  (Josh.  XIX.  27).  The  name  Dagon 
seems  to  come  from  n  "fish",  and  that  this  idol  was  halA 
man  half-fish  is  pretty  clear  from  1  Sam.  V.  4,  where,  how- 

^)  oder :  sie  glaubeoi  daß  in  der  Nacht  ein  fremdes  Volk  ihn  rauben 
möchte  (siehe  Kommentar). 


-  n  - 

ever,  the  toxt  ib  haidly  8ound>  aüd^  we  oughli  probably  tö 
read,  omittiüg'  one  of  two>  consecative  num,  ''only  his  fisü-ptfrl^ 
wft9  left  to  him'\  To'  the  male  god  Dagon  answers  in  tbe 
Bible  die  femaie  deity  Asht'oreth,  whose  t'emple  spoken'  of 
in  1  Saiu.  XXXI.  VO  is  probably  the  ancient  temple  at  Ae- 
c&Ion,  which  Herodotus  regarded  as  the  oläest  seat  of  the 
^rorship  of  Aphrodite  Urania.  .  .  .  The  image  had  a  bnman 
head,  bat  was  continued  in  the  form  of  a  fish."  Die  Stielle 
erinnert  anch  sehr  an  das  Oesieht  des  Propheten  Daniel, 
Kap;  7,  6 :  „Danach  schaute  ich,  siehe,  da  war  ein  anderes 
Tiei*,  gleich  einem  Pantiier,  das  hatte  auf  seinem  Eücken  4 
J?lügel  wie  ein  Vogel,  a^oh  hatte  das  Tier  4  Köpfe,  und  die 
Herrschaft  war  ihm  gegeben^. 

Darauf  fragt  Saturn  (v.  280—289):  Aber  was  ist  das 
wunderbare  Ding^),  das  über  diese  Welt  dahinfährt,  unerbittlich 
einherschreitet,  die  Fundamente  erschüttert,  Tränen  verursacht, 
dem  nichts  edtgehen  kann,  kein  Stern,  Stein  oder  Tier,  dem 
jährlich  von  den  auf  der  Erde,  iti  der  Luft,  und  im  Wasser 
Üiebenden  dreimal  13000  zur  Speise  werden?  Darauf  gibt  ihm 
Sälomo  in  einem  ebenso  langen  Sinnesabschnitt  (v.  290 — 299) 
die  Antwort:  Das  Alter  ist  stärker  als  alles  auf  Erden,  es 
fesselt,  was  es  will ;  es  fällt  den  Baum  und  zerbricht  seine 
Zweige,  es  frißt  den  wilden  Vogel,  es  besiegt  den  Wolf,  es 
überdauert  Steine,  es  übertrifft  Stahl,  es  frißt  das  Bisen  durch 
Rost,  so  tut  es  auch  mit  uns.  In  diesen  Worten  Salomo's 
finden  wir  den  Weltschmerz  ausgedriickt,  daß  eben  alles  dbm 
Alter  unterworfen  ist. 

Hierauf  fragt  Saturn  wieder  (v.  300 — ?):  Aber  warum 
fällt  der  Schnee,  bedeckt  die  Erde,  zerdrückt  die  Früchte, 
sucht  die  Menge  der  Tiere  heim,  in  nassen  Schauem  stürmt  er 
daher,  bricht  das  Tor  der  Städte,  fährt  kühn  .  .  .?  Hier 
am  Ende  der  Seite  müssen  wir  annehmen,  daß  vor  Blatt 
19  ein  Blatt  fehlt,  wiewohl  in  der  Handschrift  selbst  nichts 
zu  sehen  ist;  denn  wir  vermissen  die  Antwort  Salomo's.  Es 
gebt  dann  weiter  mit  dem  Fragmente  einer  Kede  Salomo's: 


^)  Vgl.  damit':  Hvat  er  ist  undra  etc.,  bei:  Heosler  und  Kanisch: 
JSddica  Minora.    Dortmnnd'  1903.    S.  109fr. 


—     72    — 

Er  (oder  es)  richtet  Verheerungen  an,  um  vieles  stärker 
als  listige  Feindschaft  ^  die  ihn  in  die  verhaBten  Behau- 
sungen, dem  Teufel  zur  Freude,  unter  die  Verdammten  hinein- 
führt (vgl.  V.  497).  Bezieht  sich  dieses  vielleicht  auf  den 
Tod?  Das  folgende  würde  dazu  passen  (vgl.  309 — 310),  wo 
Saturnus  sagt:  die  Nacht  ist  das  dunkelste  der  Wetter,  die 
Not  ist  der  härteste  der  Schicksalsschläge,  die  Sorge  ist  die 
schwerste  Bürde,  der  Schlaf  ist  am  ähnlichsten  dem  Tode.  Auf 
diesen  allgemeinen  Ausspruch  hin  sagt  Salomo  (v.  311 — 319): 
Eine  kurze  Weile  sind  die  Blätter  grün,  dann  werden  sie 
fahl,  fallen  auf  die  Erde  und  verwelken.  So  werden  dann  die 
fallen,  die  lange  zuvor  Frevel  ausführen,  in  Verbrechen  leben, 
hohe  Schätze  verbergen,  sie  an  einem  festen  Ort  gierig  be- 
wachen, und  wähnen,  daß  der  allmächtige  Gott  sie  erhören 
wird.  —  Dies  hat  Salomon  wahrscheinlich  im  Hinblick  auf 
Saturn  selbst  gesagt ;  vgl.  damit  auch  Psalm  38,  7 :  Wahrlich, 
nur  als  ein  Schattenbild  geht  der  Mensch  vorüber  und  um- 
sonst macht  er  sich  Unruhe ;  er  häuft  Schätze  auf  imd  weiß 
nicht,  für  wen  er  sie  sammelt.  (Über  den  Vergleich  von 
Blume  und  Mensch  siehe  auch  Bückling  Homilies,  S.  59.) 
Die  nächsten  Fragen  und  Antworten  spinnen  den  Ge- 
danken weiter  fort.  Saturn  sagt  (v.  320—323):  Bald  wird  es 
oflFenbar,  wenn  die  Woge  über  alles  Land  fließen  wird;  sie 
will  durchaus  nicht  von  ihrem  Wege  abweichen,  wenn  die 
Zeit  kommen  wird,  daß  sie  den  Lärm  des  Gerichtstages  hören 
soll.  Der  Dichter  stellt  sich  also  vor,  daß  am  jüngsten  Tage 
eine  Woge  alles  vernichtet;  das  „bald"  ist  vielleicht  im  Hin- 
blick auf  das  Jahr  1000  zu  verstehen,  in  dem  man  allgemein 
das  Ende  der  Welt  vermutete,  vgl.  damit  Bückling  Homilies 
(ed.  Morris),  S.  117/119:  })onne  sceal  ]}es  middangeard  endian 
[im  sechsten  Zeitalter]  ^  [)isse  is  [)onne  se  msesta  dsel  agangen, 
efne  nigon  hund  wintra  ^  LXXI.  on  l}ys  jeare.  Ebenso 
Seite  107:  Magon  we  J)onne  nu  geseon  ^  oncnawan  ^ß  swil)e 
gearelice  ongeotan  [)8et  t)isses  middangeardes  ende  swi{)e  neah 
is .  Salomo  warnt  nun  (v.  324 — 328,  also  auch  äußer- 
lich ist  die  Antwort  hier  wieder  in  denselben  Sinnesabschnitt  ge- 
kleidet) Saturn,  auf  daß  es  ihm  nicht  schlimm  ergehe  am 
Tage  des  Gerichts;   das  Metrum  paßt  sich  auch  der  feier- 


—     73     — 

liehen  Rede  an:  „So  ^)  wird  es  dann  den  übermütigen  Menschen 
ergehen,  die  jetzt  hier  am  längsten  in  Verbrechen  leben  in 
dieser  yergänglichen  Schöpfung.  Einst  taten  dies  deine  Leute 
kund:  sie  kämpften  gegen  die  Macht  des  Herrn,  weshalb  sie 
ihr  Werk  nicht  vollenden  durften.  Doch  möchte  i^h  dich, 
„Bruder^,  nicht  erzürnen,  du  bist  aus  einem  sehr  bösen 
Geschlechte,  aus  einer  grimmigen,  mächtigen  Familie;  ver- 
falle daher  du  nicht  in  ihre  böse  Natur.  ^  Der  Turmbau 
zu  Babel,  der  hier  wieder  gemeint  ist,  war  also  die  größte 
Missetat  der  Chaldäer ;  diese  erscheinen  als  trotzige  Menschen. 
Über  den  Ausdruck  „Bruder^'  werde  ich  später  reden,  möchte 
aber  hier  bereits  auf  die  Ausdrücke  „cyning"  v.  329  und 
„hlaford**  Salomon  v.  368  verweisen. 

Saturn  fragt  nun  (v.  329—330):  Sage  du  mir,  „König" 
Salomo,  Sohn  David's,  welches  sind  die  4  Fesseln  des  dem 
Tode  geweihten  Mannes? 

In  den  2  nächsten  Zeilen  gibt  ihm  Salomo  die  Antwort, 
daß  dies  „gewordene"  (vollendete)^)  Geschicke  seien.  Ich 
glaube,  daß  diese  4  Geschicke,  denen  der  sterbliche  Mensch 
nicht  entgehen  kann,  eben  die  Nacht,  dann  die  Not  ist,  von 
der  es  ja  heißt:  „ned  bid  wyrda  heardost^,  alsdann  die  Sorge, 
und  der  (Todes-)Schlaf,  die  Saturn  v.  309 — 310  aufgezählt  hat. 
Meine  Meinung  finde  ich  noch  dadurch  bestärkt,  daß  dies  auch 
äußerlich  durch  dasselbe  Reimpaar  angezeigt  ist.  Diese  sind  erst 
(von  den  Nomen)  gewoben,  da  sie  vor  dem  Falle  der  Menschen, 
wodurch  letztere  dem  Tode  geweiht  wurden,  nicht  vorhanden 
waren.  Satumus  fragt  hierauf  (v.  333 — 334):  Aber  wer  richtet 
Christus  am  Tage  des  Gerichts,  wenn  er  alle  Geschöpfe  richtet? 
Salomo  antwortet  ihm  (v.  335 — 336) :  Wer  darf  denn  den  Herrn 
richten,  der  uns  aus  dem  Staube  erschuf,  den  Eetter  aus  der 
Wunde  der  Nacht?     Aber  sage  mir,  wer  waren  die  Retter? 

Damit  hat  nun  die  Rede  über  das  jüngste  Gericht  vor- 


')  Kemble,  Grein  und  Aßmaun  setzen  hier  Wa,  das  wohl  besseren 
Sinn  gibt,  aber  nicht  in  der  Handschrift  steht. 

')  Die  Hs.  liest  gewurdene  wyrda;  diese  auffallende  Partizipialform 
verbessere  ich  nicht  mit  Sievers  in  Pßß.  XII.  480  in  gewundene,  da  ich 
in  diesem  besonders  hervorgehobenen  Halbverse  eine  etymologische 
Spielerei  unseres  Dichters  mit  der  Wyrd  (Urd)  erblicke. 


—    74    — 

d^rhand  ihr  Ende  epreicht.  A«if  die  Frage  Salomo's,  wer  dio 
Retter  (aus  der  Wunde  der  Nacht)  waren,  kleidet  Satnm  die 
Antwort^  die  eben  die  Sonne  ist,  in  eine  weitere  Frage  (v. 
337 — 340):  ^Aber  warum  darf  nicht  die  Sonne  die  weiti» 
Schöpfung  heU  besoheinen^  warum  beschattet  sie  Bei^ 
und  Hügel  und  auch  manche  wüste  Plätze?  Wie  kommt 
das?''  Die  Antwort  Salomo's  wird  nun  in  einem  gleichen 
Sinnesabschnitt  von  4*  Zeilen  (v.  341 — 344)  wieder  in  eine 
Frage  gehüllt:  Warum  wurden  die  Schätze  der  Erde  nicht 
^eich  unter  die  Leute  y<erteilt?  Der  eine  hat  zu  wenig^  und 
muB  nach  Besitz  Verlangen  tragen;  selig  setzt  Gfott  den 
anderen«  zur  Ruhe  durch  seine  Verdienste. 

Saturn  fragt  nun  (y.  345 — 347):  Warum  sind  die  beiden 
Gefährten^  das  Weinen  und  das  Lachen,  immer  beisammen? 
Die  Antwort  Salomo's  (v.  348—349)  bezieht  sich  auf  den 
ersten  Gefährten;  ,,denn  elend  und  mutlos,  ja  Gott  verhaßt, 
ist  der,  der  immer  im  Unglück  jammern  will".  Dahinter 
ist  der  tiefere  Sinn  verborgen,  daß  durch  Weinen  und  Weh- 
klagen nichts  in  der  Welt  zu  erreichen  ist.  Der  Mensch  soll 
im  Unglück  nicht  traurig  die  Händia  in  den  Schoß  legen  und 
nachdenken  über  das,  was  nicht  mehr  zu  ändern'  ist,  sondiem 
er  soll,  durch  das  Unglück  gestählt,  seine  Kraft  betätigen*; 
dann  wird  auch  Gott  ihm  zur  Seite  stehen. 

Saturn  fragt  hierauf  (v.  350 — ^351):  Warum  können  wir 
denn  nicht  alle  glorreich  in  das  Reich  Gottes  eingehen? 
Salomo  klärt  ihn  indirekt  darüber  auf,  indem  dies  an  der 
Verschiedenheit  der  Menschen  liege,  wenn  er  sagt  (v.  352 — 
355):  Die  Umarmung  des  Feuers  und  der  Schauer  des 
Frostes,  Schnee  noch  Sonne  können  nicht  beieinander  wohnen 
und  ihr  Leben  verbringen,  sondern  was  weniger  Macht  hat, 
muß  jeweils  sich  beugen.  Saturn  fragt  wieder  (v.  366 — 388) : 
Warum  lebt  der  schlechtere  Mensch  länger,  dem  doch  in 
der  Welt  keine  größere  Ehre  widerfährt?  Salomo  antwortet 
(v.  359—360) :  Niemand  kann  für  irgend  eine  Zeit  die  fürch- 
terliche Reise  aufschieben,  sondern  muß  sie  über  sich  ergehen 
lassen.  —  Damit  erklärt  er  also,  daß  dem  Tode,  wann  und  wie 
er  kommt,  niemand  entrinnen  kann  (vgl.  auch  Psalm  48). 

Die  nächste  Frage  Saturn's  ist  wieder  aus  dem  mensch«* 


—     76    — 

lieben  Leben  genommeDj  indem  er  sagt  (t.  361 — 368):  Aber 
wie  kommt  es,  daß,  wenn  ein  Widib  Zwillinge  gebiert,  ihre 
Henrlichkeit  nicht  die  gleiche  ist?  Der  eine  ist  elend,  der 
andere  glücklich,  und  hoch  in  Gunst  bei  den  besten  der 
Menschen;  der  erstere  lebt  nur  kurze  Zeit  und  stirbt 
dann  unter  Sorgen.  Ich  frage  dich ,  o  „Herr"  Salomo, 
wessen  Lage  ist  die  bessere?  Die  Antwort  Salomo's  lautet 
in  einem  etwas  längeren  Sionesabschnitt  (v.  369 — 384),  daß 
keine  Mutter  bei  der  Geburt  ihres  Sohnes  Macht  über 
dessen  Gltick  hat,  sondern  dem  Schicksal*  gemäß  wird  eines  nach 
dem  anderen  sich  ToUziehen;  das  ist  das  alte  Verhängnis. 
Hier  haben  wir  denselben  Gedanken  ausgedrückt  wie  im 
Prediger  Kap*  9,  daß  alles  als  ungewiß  für  die  Zukunft  auf- 
bewahrt ist,  daß  alle  dasselbe  Geschick  trifft,  daß  alles  von  Zeit 
und  Zufall  abhängt.  Es  ist  eine  allgemeine  Betrachtung,  die 
damit  schließt,  daß  schon  in  der  Geburt  das  Leben  des 
Kindes  vorherbestimmt  ist,  daß  also  der  Mensch  dem  Ge- 
schicke blind  unterworfen  ist. 

An  das  Gespräch  über  das  Kind  schließt  sich  die  Frage 
Satum's  an  (v,  385 — 387),  warum  der  Mensch  nicht  in  der 
Jugend  arbeiten  und  nach  Weisheit  streben  wolle.  Die 
Antwort  Salomo's  lautet  in  einem  gleichen  Sinnesabschnitt 
▼on  3  Zeilen  (v.  388—390):  Ein  wohlhabender  Edler  kann 
leicht  für  sich  einen  milden  Herrn  wählen,  einen  Fürsten 
Ton  edler  Geburt,  der  Arme  kann  dies  nicht.  Ich  verstehe 
dieses  dahin,  daß  es  nur  dem  Reichen  vergönnt  ist,  in  der 
Welt  emporzukommen;  er  allein  kann  sich  auch  höheres 
Wissen  verschaffen.  Es  hebt  nun  in  Vers  391  die  Frage 
Saturn's  an:  „Aber  warum  dringt  mit  Gewalt  dieses  Wasser 
durch  die  Welt,  belastet  die  tiefe  Schöpfung,  und  kann  nicht 
am  Tage  ruhen;  nachts  presst  es  nicht (?),  durch  seine  Elraft 
reißt  es  alles  hin;  es  macht  zu  Christen  und  reinigt  eine 
Menge  Menschen;  mit  seiner  Herrlichkeit  verleiht  es  ihnen 
leuchtende  Glorie!  Ich  weiß  durchaus  nicht,  warum  der 
Strom  nachts  nicht  ruhen  kann  . .  .^^ 

Man  muß  hier  annehmen,  daß  vor  Seite  23  ein  Blat^ 
felüt^  wiewohl  in  der  Handschrift  nichts  zu  sehen  ist;  dieses 
muß'  eine  lange  Betrachtung  Saturn's  über  das  Wasser  (viel- 


—     76     — 

leicht  Taufe)  enthalten  haben,  was  man  aus  der  langen  Bede 
Salomo's  —  ich  fasse  die  Verse  auf  Seite  23  so  auf  — 
schließen  muß.  Was  Saturn  mit  dem  ewig  fließenden  Wasser 
meint,  ist  nicht  recht  ersichtlich.  Der  Gedanke  des  Dich- 
ters war  vielleicht  derselbe  wie  der  Heraklit's,  daß  in  der 
Welt  nichts  bleibendes  ist;  nicht  nur  die  einzelnen  Dinge, 
sondern  auch  das  Weltall  als  Ganzes  ist  in  ewiger  Umwälzung 
begriffen,  alles  fließt.  Heraklit  erklärte  jedoch  die  Welt  für 
ein  ewig  lebendes  Feuer,  das  Feuer  also  für  das  Wesen  aller 
Dinge;  dieses  trifft  genau  mit  der  Antwort  Salomo's  zu- 
sammen, die  nach  meiner  Ansicht  auf  dem  fehlenden  Blatte 
begann  und  eine  Betrachtung  über  das  Feuer  enthielt,  die 
sich  in  y.  397  also  fortsetzt :  .  .  .  „mit  der  Umfassung  seines 
Leibes ;  immer  ist  es  (also  es  kann  nicht  mehr  der  Strom,  se(!) 
stream,  sein)  seinen  Lehrern  gehorsam;  sehr  oft  zerstört  es 
auch  die  Macht  des  Teufels,  wo  die  Menge  der  Weisen  ver- 
sammelt ist.  Dann  entgleitet  der  Bissen  einem  weisen  Manne, 
er  besieht  ihn  bei  Lichte,  er  beugt  sich  danach,  er  macht  das 
Kreuzeszeichen  darauf,  belegt  ihn  mit  einer  Znkost  und  ißt  ihn 
selbst.  So  ist  dieser  eine  Bissen,  wenn  er  gesegnet  ist,  für 
jeden  Menschen,  wenn  er  es  versteht,  ein  viel  besserer  G^nuß, 
als  ihm  Schmaus  und  Gastmahl  von  7  Tagen  wären.  Das  Licht 
hat  die  Gestalt  und  Beschaffenheit  des  heiligen  Geistes  (Hinweis 
auf  das  Erscheinen  des  heiligen  Geistes  in  feuriger  Zunge  am 
Pfingsttage)  imd  die  Art  von  Christus  (indem  es  wie  dieser 
nach  dem  Himmel  zu  strebt).  Es  macht  dieses  oft  kund; 
(denn)  wenn  die  Unvorsichtigen  es  eine  Zeitlang  ohne  Fessel 
halten,  schlägt  es  durch  das  Dach,  bricht  und  entzündet  die 
Balken  der  Häuser,  wabert  hoch  und  weit  herum,  steigt 
empor,  züngelt  nach  seiner  Art.  Es  strebt  das  Feuer,  wenn 
es  kann,  seinem  Ursprünge  zu,  in  die  Wohnungen  des 
Vaters,  wieder  zu  der  Stätte,  von  der  es  zuerst  kam.  Es  ist 
durchaus  für  den  Edlen  wohl  zu  erkennen,  für  den,  der  teil- 
nehmen kann  am  Lichte  des  Herrn  (der  tiefer  hineinsieht  in 
die  Geheimnisse  Gottes?).  Denn  da  ist  keine  Art  von  Lebe- 
wesen, weder  Vogel  noch  Fisch,  weder  ein  Stein  der  Erde, 
noch  auch  eine  Woge  des  Wassers,  auch  kein  Holzzweig, 
weder  Berg  noch  Hügel,   noch   selbst  diese  Erde,   die  nicht 


—     77     — 

von  der  Art  des  Feuers  wäre."  Ich  glaube,  daß  auf 
dem  fehlenden  Blatte  eine  ausführlichere  Betrachtung  über 
die  Taufe  war,  von  der  Saturn  etwas  Yemommen  hatte  (ebenso 
wie  von  Christus  y.  333).  Danach  schloß  sich  vielleicht  die 
Firmung  an ;  was  die  ersten  Zeilen  von  Salomo  dann  bedeuten 
sollen,  ist  mir  nicht  ganz  klar;  soll  hier  auf  die  letzte  Oluug 
angespielt  werden  ?  Der  Bissen,  der  entgleitet,  bedeutet  vielleicht 
die  Hostie,  oder  es  ist  hier  eine  Anspielung  auf  ein  Gottes- 
gericht') (corsnsed).  Die  7  Tage  beziehen  sich  wohl  auf  das 
Osterfest,  das  7  Tage  gefeiert  wurde ;  danach  würde  dann  der 
Bissen  mit  der  Kommunion  in  der  Osterzeit  zu  identifizieren 
sein.  Es  folgt  sodann  die  Betrachtung  über  das  Feuer,  in 
der  wir  dieselben  Gedanken  wiederfinden»  die  später  Schiller 
in  dem  Liede  von  der  Glocke  zum  Ausdruck  gebracht  hat. 
Der  Schlußgedanke,  daß  das  Feuer  der  Grundstoff  von  allem 
sei,  ist  die  Philosophie  Heraklit's,  wie  schon  oben  hervorgehoben 
wurde.  Dies  ist  also  ganz  das  Gegenteil  von  dem  biblischen 
Salomo,  der  (Prediger  3,  20)  sagt:  Aus  Erde  ist  alles  ge- 
worden und  zur  Erde  kehrt  es  wieder  zurück. 

Derselbe  Gedanke  mit  dem  Feuer  kommt  auch  in  den 
Metren  des  Boethius  XX  vor.  (Grein-Wülker  III,  2,  S.  33, 
vgl.  auch  Crist  969  ff.).  Ich  glaube  aber  kaum,  daß  wir  hierin 
eine  Anlehnung  an  die  gnostische  Auffassung  der  Lehre  der 
Manichäer  zu  sehen  haben. 

Eine  ausführliche  Diskussion  entspinnt  sich  gegen  den 
Schluß  (v.  423  ff.)  über  die  Frage,  was  stärker  sei,  das  Schick- 
sal (wyrd)  oder  die  Vorsicht  (warnung),  wenn  beide  mit- 
einander kämpfen.  Hier  spricht  Saturn:  Sehr  oft  hörte  ich 
kluge  Männer  vorlängst  sagen  und  reden  von  einem  gewissen 
Ding,  nünlich  welches  von  beiden  ohne  Zweifel  das  stärkere 
wäre,  das  Schicksal  (wyrd)  oder  die  Vorsicht,  wenn  sie  oft 
in  grimmigem  Zwang  mit  einander  kämpfen,  und  welches  von 
beiden  zuerst  ermüdet;  gewiß  weiß  ich  es:  es  sagten  mir 
einst  die  Weisen  der  Philister,  wenn  wir  in  (Wort)streiten 
(zusammen)  saßen,   Bücher  ausbreiteten,   und   auf  den  Schoß 


^)  Vgl.  Liebermann,  F. :  Die  Gesetze  der  Angelsachsen.  Halle.  1903. 
(1898)  4«.    I.  S.  386,  408  fiF.,  425  fiF. 


—     78     — 

legten,  Weohsolrede  hielten,  manches  ausfindig  machten,  daß 
kein  Mensch  auf  Erden  wäre,  der  den  Zwiespalt  der  Beiden 
ergründen  könnte.  Darauf  erwidert  Salomo  (v.  4M — 440): 
Das  Schicksal  ist  schwer  zu  wenden,  gar  ernst  schreitet  es 
daher,  es  weckt  das  Weinen,  es  häuft  Weh  auf,  es  regt  den 
Geist  an,  es  führt  die  Jahre  herauf;  und  dennoch  vemutg 
ein  vorsichtiger  Mann  eine  jegliche  Schickung  zu  mäßigen, 
wenn  er  klugen  Sinnes  ist  und  bei  seinen  Freunden  Unter- 
stützung suchen  will,  aber  nichtsdestoweniger  den  göttlichen 
Geist  gebraucht. 

Salomo  redet  also  zuerst  von  der  Härte  des  Schicksals, 
mildert  jedoch  seinen  Ausspruch  mit  dem  Hinweise,  wie  man 
das  Geschick  mäßigen  könne.  Saturn  fragt  hierauf,  warum 
das  Schicksal,  die  Tochter  des  Todes,  bei  den  Menschen  wohne, 
und  sagt,  daß  es  erst  sehr  spät  im  Pehdestiften  ermüden 
werde  (v.  441--447):  Aber  warum  quält  uns  das  starke 
Schicksal,  der  Ursprung  aller  Frevel,  die  Mutter  der  Fehde, 
die  Wurzel  der  Leiden,  die  Quelle  der  Tränen,  Vater  und 
Mutter  der  ürschuld,  die  Tochter  des  Todes?  Aber  wozu  wohnt 
es  unter  uns?  Wahrlich,  spät  erst,  so  lange  es  lebt,  wird  es 
ermüden,  durch  frevelnden  Streit  Feindschaft  zu  erzeugen. 

Nach  allgemein  christlicher  Anschauung  wäre  das  Schick* 
sal  die  Tochter  des  Todes  durch  den  Sündenfall  geworden 
(vgl.  309 — 330);  so  antwortet  Salomo  Saturn  auf  die  Frage, 
warum  das  Schicksal,  der  Ursprung  aller  Frevel,  die  Menschen 
züchtige,  indem  er  den  Fall  Lucifer's  und  seiner  Genossen 
erzählt  (v.  448—473):  „Es  durfte  zusammen  nicht  Gemein- 
schaft des  seligen  Engels  und  des  übermütigen  im  Belobe 
Gottes  sein:  der  eine  gehorchte  seinem  Herrn,  der  andere 
begann  durch  geheime  Künste  für  sich  zu  rüsten  Banner 
und  breite  Brünne,  sagte,  daß  er  mit  seinen  Gesellen  ver- 
heeren wollte  das  ganze  Himmelreich  und  über  die  Hälfte 
tronen,  weggehen  mit  dem  10.  Teile,  bis  daß  er  sein  (ge- 
rechtes) Ende  durch  das  Schicksal  [fand].  (Der  10.  Teil  ist 
der  mit  Lucifer  abgefallene  Engelchor.)  Da  ward  die  edle  Schar 
in  Aufruhr  gebracht  durch  des  Teufels  Eingebung ;  er  (Gott) 
ließ  ihn  da  hinabstürzen,  fällte  ihn  unter  die  Säume  der 
Erde,    hieß    ihn  dort  festbinden.     Die  sind  es,  die  geigen 


—     79    — 

11918  fechten;  daher  koannt  einem  jeden  der  Menschen  die 
Vermehrung  des  Leids.  Als  der  selige  Gebieter  der  Engel 
Saskd.,  daß  sie  länger  von  ihm  die  Lehje  nicht  annahmen^ 
da  warf  er  sie^)  hinaus  aus  der  Heixlicbkeit  und  vertiiidb 
aie  weithin,  und  es  gebot  ihnen  das  Kind  der  Himmels- 
bewohner (==  Engel,  i.  e.  Ohristus)*),  daiß  sie  auch  sollten 
immerfort,  solange  sie  lebten,  wohnen  in  Qual,  Jammer  er- 
dulden, Klage  unter  den  Himmeln;  und  (er)  schuf  für  sie 
die  Hölle,  die  todeskalten  Behausungen,  mit  Winter  bedeckt, 
schickte  Wasser  hinein  und  Schlangenbehalter,  gräßlicher  Tiere 
(gar)  viele  mit  eisernen  Hörnern,  blutige  Adler  und  schwarze 
JNattem,  Durst  und  Hunger  und  grässliche  Not,  Schrecken 
iUr  die  Augen  und  Traurigkeit;  und  jegliches  dieser  Leiden 
▼erbleibt  für  sie  fortwährend,  ohne  daß  sie  es  ändern  können, 
immerfort,  solange  sie  leben.^ 

Hiemach  scheint  also  der  Autor  anzunehmen,  daß  das 
Schicksal,  wie  er  es  auffaßt,  das  Werk  der  Teufel  sei.  Letz- 
tere fanden  ihr  Ende  durch  .das  Schicksal.  Der  Stolz  der 
Engel  hat  die  Qual  und  die  Pein  der  Menschen  verursacht.; 
die  .Menschen  müssen  also  für  den  Stolz  der  Engel  büßen. 

Auf  die  weitere  Frage  Satum's:  ist  denn  auf  dieser  Erde 
irgend  einer  der  Menschen  von  irdischem  Geschlechte,  der 
den  Tod  erbitten  könnte,  bevor  der  Tag  kommt,  daß  seio 
Termin  abgelaufen  ist,  und  man  ihn  bestimmt  aus  (dem  Leben) 
entbietet  (vorladet),  bemerkt  Salomon :  Einem  jeden  (Menschen) 
sendet  der  Herr  einen  Engel,  der  zusehen  soll,  wie  sein  (des 
Menschen)  Sinn  wachse  in  Gottes  Freundschaft,  solange  es  Tag 
ist.  Dann  umgeben  ihn  zwei  Geister,  der  eine  ist  glänzender  als 
Gold,  der  andere  schwärzer  als  der  Abgrund ;  der  eine  kommt 
herüber  von  der  stählernen  Hölle ;  der  andere  lehrt  ihn,  daß  er 
die  Liebe  halte,  des  Schöpfers  Milde  und  seiner  Vertrauten 
Rat ;  (jener)  andere  lockt  ihn  und  lehrt  ihn  Verkehrtes,  zeigt 
und  offenbart  ihm  der  armen  Menschen  üble  Taten  und  reizt 
dadurch  sein  Gremüt;  er  führt  ihn  und  faßt  ihn  und  zieht  ihn 


^)  Das  ae.  hine  an  dieser  Stelle  ist  doch  wohl  als  Schreibfehler  für 
hU  aufzufassen. 

*)  Dagegen  übersetzt  £o8Worth-ToUer  p.  529  „beam  heofonwara^ 
mit  ^'childron  of  heaven-dwellers/' 


—     80     — 

durch  das  Land  bin^  bis  sein  Auge  yoU  von  Ärgernis,  durch 
der  Armen  Schuld  (Versündigung)  irre  geworden  ist.  So 
ficht  denn  der  Feind  auf  vier  Arten,  bis  daß  er  (der  Mensch) 
sich  wendet  auf  die  schlechtere  Seite  durch  des  Teufels  Taten 
den  ganzen  Tag  lang,  und  den  Willen  dessen  tut,  der  ihn  zum 
Üblen  verführt.  Dann  begibt  sich  weinend  der  Engel  auf  den 
Weg,  geht  zurück  in  seine  Heimat  und  sagt  alles  dies  (zu 
Gott):  Nicht  vermochte  ich  aus  dem  Herzen  den  stahlharten 
Stein  zu  entfernen,  er  steckt  mitten  in  ihm  .  .  .  (Damit  bricht 
die  Hb.  ab.) 

Der  Gedankengang  des  Dichters  war  also  folgender:  Die 
Frage  Satum's  (474 — 478) :  Kann  ein  Mensch  dem  Tode  ent- 
gehen? wird  von  Salomo  indirekt  beantwortet;  er  sagt:  Den 
Menschen  umgeben  zwei  Engel,  ein  guter  und  ein  böser; 
letzterer  verführt  den  Menschen;  der  gute  Engel  geht  daher 
von  dannen.  Der  Mensch  kommt  nun  zu  den  Teufeln  und 
bleibt  dort  bis  zum  jüngsten  Tage.  Diese  Fortsetzung  vermute 
ich  auf  dem  ausgeschnittenen  Blatte  vor  den  Zeilen  169 — 177. 
Die  Beschreibung  der  Hölle  hat  Salomo  schon  vorher  gegeben 
(465 — 473) ;  Saturn  hat  in  v.  476  bereits  den  jüngsten  Tag  an- 
gedeutet; er  wird  nun  auf  dem  fehlenden  Blatte  noch  die  letzte 
Frage  gestellt  haben :  Wie  geht  es  bei  dem  jüngsten  Gerichte 
zu?  Salomo  wird  da  zuerst  das  Los  der  Guten  beschrieben 
haben  und  dann  das  Los  der  Schlechten,  die  für  immer  in  die 
Hölle  geworfen  werden.  Diese  wird  alsdann  geschlossen,  was 
in  den  Versen  169 — 173  ausgesprochen  ist. 

Darauf  folgt  der  Schluß  des  ganzen  2.  Gedichts,  daß 
der  weise  Sohn  David^s  den  Fürsten  der  Chaldäer  im  Wissens- 
kampfe besiegt  habe;  dieser  objektive  Schluß  entspricht,  wie 
erwähnt,  dem  objektiven  Anfange  des  2.  Gedichts. 

Überblicken  wir  nun  das  ganze  2.  Gedicht,  so  können 
wir  acht  verschiedene  Hauptpunkte  unterscheiden: 

1.  Eingang  und  Schluß  des  Gedichts,  sowie  Angaben  über 
Saturn:  178—200,  169—177;  femer  201—209,  245— 
250,  324—328,  423—433. 

Über  Salomo  erfahren  wir  nur,  daß  er  der  Sohn 
David's  ist,  176  und  329,  ferner,  daß  er  weiser  als 
Saturn  ist,  174  und  181. 


—     81     — 

2.  Berichte  über  die  Philister:  Saturn's  Ausspruch  über 
den  Wandernden  Wolf,  210—222;  Salomo's  Schil- 
derung des  rätselhaften  Wesens  Vasa  Mortis  252 — 279; 
endlich  Saturn's  Aussage,  daß  die  Philister  ihm  nicht 
Auskunft  über  die  Wyrd  geben  konnten,  429;  vgl. 
auch  den  Eingang  des  Gedichts,  wonach  er  die  Paläste 
der  Philister  durchwanderte,  v.  191. 

3.  Naturwissenschaftliche  Besprechungen:  Saturn's  Frage 
nach  dem  Schnee,  300-^306  (?) ;  Salomo's  Ausspruch  über 
das  Hinwelken  der  Blätter,  311 — 319;  Dialog  über  das 
Wasser  und  Feuer,  391 — 422 ;  Frage  Saturn's  über  das 
ungleiche  Bescheinen  der  Sonne,  337 — 340;  Antwort 
Salomo's,  daß  Feuer  und  Frost,  Schnee  und  Sonne 
sich  nicht  vereinbaren,  352 — 355. 

4.  Allgemein  menschliche  Themata:  Salomo's  Ausspruch 
über  den  törichten  „Nichtschwimmer",  223 — 227;  der 
Dialog  über  Bücher,  228—244;  über  das  Alter,  280— 
299 ;  Salomo's  Ausspruch  über  die  ungleiche  Verteilung 
der  Güter,  341 — 344;  Salomo's  Bemerkung,  daß  der 
Schwächere  nachgeben  soll,  352 — 355;  Saturn's  Frage 
nach  dem  längeren  Leben  des  bösen  Menschen,  356 — 360 ; 
Dialog  darüber,  daß  die  Mutter  bei  der  Geburt  der 
Kinder  keine  Macht  über  deren  spätere  Lebensgestaltung 
hat,  361—394 ;  über  das  Arbeiten  in  der  Jugend,  385—390 ; 
Salomo's   Beschreibung  des  Feuers  (Lichts),  407 — 422. 

fi.  Kein  christliche:  Saturn's  Frage  nach  dem  Buche  mit 
7  Siegeln  (?),  228—235;  über  das  Wasser,  391— 396(?); 
Salomo's  Antwort  über  den  Bissen,  397(?)— 406 ;  Saturn's 
Frage  nach  dem  Reiche  Gottes,  350—351;  Salomo's 
Bericht  über  den  Sturz  Lucifer's  und  Beschreibung  der 
Hölle,  448 — 473;  Salomo's  Ausspruch  über  die  zwei 
Engel,  die  den  Menschen  umgeben,  479—601. 

6.  Fragen  nach  dem  Tod:  Salomo's  Hinweis  auf  den 
Tod(?),  306—308;  Saturn's  Vergleich  des  Schlafes  mit 
dem  Tode,  310 ;  Salomo's  Aussage,  daß  jeder  den  Tod 
erdulden  müsse,  359—360 ;  Saturn's  Vergleich  der  Wyrd 
als  Tochter  des  Todes,  445;  Saturn's  Frage,  ob  ein 
Mensch  dem  Tode  entgehen  könne,  474 — 478. 

Xttnchener  Beitr&ge  z.  romanischen  n.  engl.  Philologie.  XXXI.        6 


—    82     - 

7.  Über  das  jüngste  Gericht:  Andeutoiigen  Salomos,   271 
.  (bei  Vasa  Mortis);  319  (der  ewige  Herr  kann  die  geizigen 

Menschen  nicht  erhören) ;  Dialog  und  Warnung  Salomo's^ 
320—336;  Andeutung  Satum's,  476;  Bericht  Salomo's 
über  daßselbe  am  Schlüsse  des  2.  Gedichts,  169(?) — 173. 

8.  Über  die  Wyrd :  *  Ausspruch  Saturn' s,  daß  die  Not  die 
härteste  „Wyrd*'  sei,  309;  Dialog  (329— 331) ;  Ausspruch 
Salomo'si  daß  das  Geschick  schon  an  der  Wiege  des 
Kindes  stehe,  384;  Dialog  und  Aussage  Salomo's,  daß 
man  das  Geschick  mäßigen  könne,  424 — 473 ;  das  Schick- 
sal, welches  durch  den  Stolz  der  Engel  in  die  Welt 
kam  (458),  ist  die  Tochter  des  Todes  (445). 

So  sehen  wir  also,  daß  orientalisch-rabbinische,  christ- 
liche und  germanisch-heidnische  Elemente  in  dem  2.  Gespräche 
vereinigt  sind.  Gegenüber  dem  1.  Gespräche,  welches  den 
Kampf  des  Paternoster  in  Gestalt  eines  Palmbaums  mit  dem 
Teufel  darstellt,  femer  gegenüber  der  Prosa,  die  einen  anderen 
Kampf  des  Paternoster  mit  dem  Teufel  und  die  Beschreibung 
des  Riesenpaternoster  in  ebenso  sonderbarer  Vorstellung 
bietet,  haben  wir  hier  sehr  ernste  Auseinandersetzungen 
in  Rätselform.  Rein  äußerlich  ist  auch  zu  beachten,  daß  in 
dem  zweiten  Gedichte  im  Gegensatze  zu  dem  ersten  keine 
Runen  vorkommen. 

Der  Kern  des  Gedichtes  ist  in  den  Dialogen  über  die 
Wjrd,  das  Alter,  den  Tod  und  das  jüngste  Gericht  gegeben. 
Dies  entspricht  auch  der  Tendenz  des  zweiten  Gesprächs,  das 
wohl  den  alternden  Saturn  über  die  letzten  Dinge  des  Men- 
schen aufklären  sollte.  Damit  wollte  aber  der  Dichter  auch  den 
heidnischen  Angelsachsen  die  Vergänglichkeit  des  Lebens  vor 
Augen  führen.  Es  ist  das  Motiv,  welches  sich  durch  das 
ganze  zweite  Gedicht  hindurchzieht;  ich  glaube  aber  nicht, 
daß  der  nordhumbrische  Dichter  dies  aus  der  Bibel  entlehnt 
hat,  wo  Salomo  sagt  (Prediger  XII,  8):  O  Eitelkeit  über 
Eitelkeit,  alles  ist  Eitelkeit!  Denn  erstens  sind  zu  wenige 
Sprüche  aus  der  Bibel  genommen,  zweitens  sehen  wir  auch, 
daß  die  Entstehung  der  Welt  aus  dem  Feuer  gerade  ent- 
gegengesetzt dem  biblischen  Prediger  ist;  der  elegische  Ton, 
der  in  dem  Gedichte  sich  ausprägt,  durchzieht  überhaupt  die 


—    83     - 

ganze  ae.  DichtuDg.  Schließlich  ist  noch  hervorzuhebeD,  daß 
das  rein  christliche  Element  gegenüber  dem  germanischen 
Element  etwas  in  den  Hintergrund  tritt.  Immerhin  müssen 
wir  aber  auch  hier  im  Orunde  eine  Gegenüberstellung  von 
Heidentum  und  Christentum  anerkennen;  denn  Saturn  fragt 
nur  in  orientalischer  oder  germanischer  Weise,  während  Sa- 
lomo  alles  in  christlichem  Sinne  beantwortet.  Auffallend  ist, 
daß  der  Heide  Saturn  nicht  nach  Gott  Vater,  Christus  oder 
Maria  fragt.  —  Die  Belehrung  über  das  Alte  Testament,  die 
Erschaffung  des  Menschen,  das  Paradies,  die  10  Gebote  etc. 
ist  dafür  in  dem  prosaischen  Dialog  von  Salomon  und  Saturn 
in  der  Hs.  Cotton  Vitellius  A.  XV.  gegeben. 

So  sehen  wir,  daß  in  allen  drei  Fassungen  eine  Gegen- 
überstellung von  Christentum  und  Heidentum  sich  geltend 
macht;  ich  möchte  daher  den  terminus  a  quo  für  die  Ent- 
stehung der  Gedichte  in  jener  Zeit  erblicken,  in  der  das 
Christentum  noch  nicht  den  endgültigen  Sieg  über  das  ger- 
manische Heidentum  erruugen  hatte,  und  die  Kirche  es  für 
nötig  erachtete,  die  Vorzüge  der  christlichen  Lehre  durch  wahre 
oder  erdichtete  Erzählungen  glaubwürdiger  darzustellen. 

Hinsichtlich  unseres  2.  Gedichtes  wissen  wir,  daß  der 
Verfasser  ein  Nordhumbrer  war;  Nordhumberland  wurde  627 
christlich,  erst  674  wird  Wearmud  und  680  Jarrow  gegründet ; 
aber  schon  868  wurde  die  Kultur  durch  die  heidnischen  Dänen 
wieder  zerstört.  Diese  Überlegungen  geben  einen,  freilich  nur 
sehr  ungefähren  tertninus  a  quo.  Für  das  zweite  Gedicht 
könnte  das  Jahr  1000  einen  termmiis  ad  qtmn  bilden;  vgl. 
oben  S.  72  zu  Zeile  320. 

Blicken  wir  uns  in  der  altenglischen  Literatur  um,  wo 
noch  andere  Vertreter  zweier  verschiedener  Religionen  im 
Gegensatz  zueinander  stehen,  so  fällt  uns  besonders  die 
Gegenüberstellung  von  Wodan  als  Hauptgott  der  Heiden  mit 
dem  christlichen  Gott  in  den  Denksprüchen  II,  133  (bei 
Grein- Wülker  I,  348  ff.)  auf,  die  aber  mit  unseren  Gesprächen 
nichts  gemeinsam  hat;  ferner  sind  zu  einem  Vergleiche  mit 
unseren  Dialogen  noch  diejenigen  von  Adrian  und  Ritheus, 
oder  Adrian  und  Epictus  heranzuziehen.     Wie  Kemble  aber 

6* 


—    84    — 

bereits  nachgewiesen  hat,  haben  unsere  Dialoge   mit  diesen 
keine  Berührungspunkte. 

Betrachten  wir  die  gnomische  Dichtung  der  Angelsachsen, 
so  müssen  wir  besonders  die  Cotton-  und  Exeter-Denksprüche 
heranziehen^);  mit  Ausnahme  von  wenigen  im  Kommentar 
bemerkten  Stellen  haben  sie  aber  nichts  Übereinstimmendes. 
Zu  erwähnen  sind  femer  noch  die  altenglischen  Rätsel,  die 
mittelenglischen  Sprüche  Alfred's,  sowie  die  ApoJ)egms*), 
ferner:  Be  monna  crseftum,  Be  monna  wjrrdum,  Be  monna 
mode,  und  die  Gnomen  im  Beowulf:  183*>— 187,  287^—289, 
300,  455b  (Gsed  ä  Wyrd  swä  hio  scel),  1385^ ff.;  1535 ff.; 
2167»»— 2170»;  '2891/2;  im  Wanderer  (6.)  und  Seefahrer.  Je- 
doch alle  weichen  meist  von  unseren  ae.  Fassungen  ab.  Ein 
Vergleich  mit  den  mittelenglischen  Sprichwörtern,  wie  Pro- 
verbs of  Hending,  ferner  den  Demaundes  joyous,  Saint  Serf 
and  the  Devil  führt  zu  demselben  negativen  B.esultat. 

Die  Dialoge  von  Salomo  und  Saturn  erinnern  besonders 
an  die  Wortkämpfe,  die  bei  den  Skandinaviern  beliebt  waren. 
Aus  der  altnordischen  Edda  gehört  hierher  namentlich  der 
Redekampf  Odin's  mit  dem  Riesen  Vafl)rüdoir,  dessen  Ein- 
gangsstrophe bereits  unseren  Anfangsversen  ähnlich  lautet:^) 
„Rate  mir,  Frigg,  zu  reisen  verlangt  mich, 

Wafthrudnir  wünsch'  ich  zu  sehn; 
ausforschen  roöcht'  ich,  ob  an  alter  Kenntnis 
mir  gewachsen  der  weiseste  Thurs." 
Und  wieder  in  der  3.  Strophe: 

„Viel  fuhr  ich  umher,  viel  versucht'  ich, 
oft  schon  hab'  ich  die  Äsen  geprüft; 
nun  will  ich  wissen,  wie  Wafthrudnir 
in  seiner  Heimstätte  hausf 
Darauf  legt   Odin   seinem   Gegner  verschiedene  Fragen 


^)  Vgl.  Strobl:  Zar  Spruchdichtung  bei  den  Angelsachsen,  in:  Z. 
l  d.  A.  XIX,  54  und  XXXI,  54;  MüUer,  Hugo:  Über  die  ags.  Versus 
gnomici,  Dias.  Jena.  1893;  Zupitza:  in  Anglia  I,  285  und  Z.  f.  d.  A. 
XIX,  45. 

')  Bei  Kemble,  8.  258. 

^  Gering:  Die  Edda,  S.  59 ff. 


—     85     — 

vor,  von  denen  besonders  die  zwölfte  an  unser  erstes  Gedicht 
anklingt  (Strophe  42): 

„Gib  Antwort  zum  zwölften,  woher  du  alle  Geschicke 

der  Götter,  Wafthrudnir,  weißt? 
die  Runen  kennst  du  der  Eiesen  und  Götter, 
und  Wahres  nur  meldet  dein  Mund, 
in  Weisheit  bewährter  Thurs!" 
Darauf  Wafthrudnir: 

„Ich  kenne  die  Runen  der  Riesen  und  Götter, 

und  Wahres  meldet  mein  Mund, 
denn  die  Welten  alle  hab'  ich  durchwandert, 
die  neun  Welten  bis  zu  Niflheims  Tiefe, 
die  die  Scharen  der  Toten  verschlingt." 
Das  andere  Lied  in  der  Edda,  das  Hä.rbarl)sljö)),  in  dem 
Odin,  als  Gott  der  Vornehmen,  mit  Thor,  dem  Vertreter  des 
Bauernstandes,   in  einem  Kampfgespräche  wetteifert,  hat  mit 
unseren    Dialogen    nichts    gemeinsam.      Die    Sprüche    Hars 
(H^vampl)  bieten  einige  Ähnlichkeiten,  wie  I,  68  mit  v.  420, 

1,  74  mit  344,  I,  76  mit  360  (vgl.  Kommentar).  Bezüglich 
des  jüngsten  Tages  findet  sich  in  der  „Seherin  Weissagung" 
eine  andere  Auffassung,  die  daher  nicht  herangezogen  werden 
kann.  Über  das  Schicksal  hören  wir  in  Gripi8sp6  24 :  Mag  das 
Künftige  ruhen,  das  da  kommt,  wie  es  muß ;  52 :  Dem  Geschick 
trotzt  keiner;  ferner  Atlam^l  46:  Doch  keiner  entgeht  dem 
Schicksal.  —  An  das  Züngeln  des  Feuers  v.  410  ff.  erinnert 
Atlakvifia  43.  Die  Alvissm61  haben  mit  unserem  Denkmale  keine 
Berührungspunkte;  auch  nicht  die  Dialoge  der  Gylfaginning. 

Aus  anderen  Literaturen  ist  sodann  besonders  das  fran- 
zösische heranzuziehen.  Ich  fand  mehrere  Berührungspunkte 
in  dem  Dialog  zwischen  Sidrac  und  Boccus,  aus:  Le  livre 
du  Saige  Sidrac.  Paris  1530  (Privatbesitz  des  H.  Professor 
Bülbring)^)    und   habe    sie    im   Kommentar  vermerkt.     Das 

2.  Gedicht  steht  den  anderen  Bearbeitungen  der  Sage  von 
Salomo,  wie  den  Gesprächen  von  Salomo  und  Hiram  näher. 
Mit  der  satirischen  Tendenz  der  Salomo-Morolf-Dichtungen 
hat  es  aber  gar  nichts  gemein. 


^)  Für  die  liebenswürdige  Überlassang  dieses  seltenen  Büchleins 
spreche  ich  H.  Professor  Bülbring^  meinen  verbindlichsten  Dank  aus. 


2.  Die  Persönlichkeiten  des  Saiomo  und  Saturn. 

Betrachten  wir  die  Aussprüche  der  beiden  Gegenredner, 
so  sehen  wir,  daß  dem  Saiomo  nur  wenige  seiner  biblischen 
Sprüche  in  den  Mund  gelegt  werden.  Die  meisten  seiner 
Aussagen  sind  in  Form  von  Lebenserfahrungen  gegeben,  oder 
beziehen  sich  auf  theologische  Dinge,  wie  auf  das  jüngste 
Gericht  etc.  Über  ihn  erfahren  wir  aus  unseren  Dialogen, 
wie  ich  bereits  hervorgehoben  habe,  sehr  wenig.  Er  erscheint 
als  König  der  Christenheit,  der  den  Heiden  Saturn  über 
christliche  Dinge  aufklärt.  Meist  wird  er  von  Saturn  als 
Sohn  David's  angeredet:  so  v.  12,  174,  329.  Seiner  Frau, 
die  in  den  anderen  Salomosagen  eine  so  große  Rolle  spielt 
wird  mit  keiner  Silbe  Erwähnung  getan.  Das  Gespräch  spielt 
nach  der  Prosa  in  Jerusalem.  Daß  Saiomo  als  König  der 
Israeliten  den  Saturn  über  das  Paternoster,  das  jüngste  Ge- 
richt etc.  belehrt,  ist  nicht  so  auffallend,  da  er  ganz  all- 
gemein als  ein  weiser  König  gemäß  der  mittelalterlichen 
Auffassung  erscheint.  Es  war  damals  üblich,  Saiomo  auch 
Sprüche  zuzuschreiben,  die  nicht  in  der  Bibel  stehen;  diese 
Freiheit  erlaubte  sich  z.  B.  Chaucer  in  seinem  Melibeus.^) 
Wie  überhaupt  in  der  altenglischen  Literatur,  so  erscheint 
Saiomo  auch  in  unseren  Gedichten  als  der  Herrscher  Israels 
im  Sinne  der  Bibel,  oder  er  wird  auf  Christus  gedeutet; 
zwei  Beispiele  mögen  genügen.     Saiomo  wird  etymologisch  als 


^)  Vgl.  Conway:  Solomon  and  SolomoDic  Literature,  S.  235;  Kemble 
a.  a.  O.,  104 ff.;  Skeat,  The  Complete  Works  of  Geoffrey  Chaucer,  Oxford 
1894,  IV,  p.  200,  Z.  2187.  Nachh  Skeat's  Kommentar  (V,  p.  203)  stand 
das  Sprichwort  allerdings  z.  B.  in  Wycliffe's  Version. 


—    87     — 

der  Friedfertige  erklärt,  und  dann  mit  Christus  yerglicfaen 
in  einer  Predigt  Aelfrics  (Thorpe  II.  Bd.  S.  578):  Sodlice 
Salomon  is  gerebt  'Gesibsum',  fordan  de  be  and  ealle  bis  leoda 
wunodon  on  fulre  sibbe  etc.  (vgl.  1.  Faralip.  Kap.  22,  9. 
Ebenso  wieder  im  Anfang  des  Orrmulum).  Ein  zweiter  Ver- 
gleich Salomo's  mit  Christus  findet  sich  in  einer  Predigt 
Wulfstan's  (ed.  Napier  279). 

Wichtiger  ist  die  Persönlichkeit  Saturn 's.  Alle  Be- 
ziehungen, in  denen  er  sich  zeigt,  weisen  auf  den  Orient.  Er 
wird  als  ein  besonders  belesener  Fürst  der  Chaldäer  bezeich- 
net, der  viele  Bücher  durchstudiert  und  alle  Länder  des 
Orients  durchzogen  hat,  v.  1—7,  174—177,  182—209.  Wa- 
rum gerade  die  Chaldäer  eingeführt  werden,  werde  ich  im 
folgenden  zu  erklären  versuchen.  Er  ist  bereits  weit  über 
50  Jahre  alt  nach  v.  246,  und  hat  12  Söhne  nach  v.  14.  Sein 
Volk  wird  2  mal  genannt,  v.  19  und  203,  worin  ihr  Kampfes- 
eifer, aber  auch  ihr  Goldstolz  und  ihre  Prahlsucht  hervor- 
gehoben werden.  Saturn  ist  aus  einem  sehr  „bitteren'^  Stamme, 
aus  einer  trotzigen,  mächtigen  Familie  (v.  327).  In  sein  Land 
gelangt  er,  indem  er  sich  auf  den  Wendelsee  und  dann  über 
den  Chaburfluß ')  begibt.  Saturn  weilte  viel  bei  den  Philistern, 
mit  denen  er  disputierte;  er  hat  besonders  die  Weisheit  der 
Libyer,  dann  der  Griechen  und  Inder  studiert  (v.  3  und  195). 
Er  ist  Heide  und  will  zur  Lehre  Christi  angeregt  sein  (v.  15), 
daher  möchte  er  über  das  Paternoster  belehrt  werden  (v.  52). 
Im  2.  Gespräche  tauscht  er  Weisheitssprüche  aus,  die  meist 
heidnisch-germanisch  sind. 

Eingehender  bat  sich  zuerst  Vogt  über  unseren  Saturn 
geäußert.  Bei  seinem  Vergleiche  der  orientalischen  Über- 
lieferungen von  Salomo  mit  unserem  ältesten  abendländischen 
Gespräche  sagt  er  S.  LUI:  „Was  zunächst  die  Person  des 
Gegenredners  des  Salomon  angeht,  so  hat  derselbe  mit  dem 
Gotte  nichts  als  den  Namen  gemeinsam;  irgendwelche  antik- 
mythologische Vorstellungen  werden  mit  dieser  Persönlichkeit 
nicht  verknüpft,  sie  treten  überhaupt  nirgends  in  den  beiden 
ags.  Dialogen    zutage    und    man    ist    daher  auch  nicht  be- 

^)  Nicht  See  von  Gaphernauxn  nach  Grein;  vgl.  oben,  S.  54. 


—    88    — 

rechtigt,  als  die  denselben  zugrunde  liegende  Idee  die  Gegen- 
überstellnng  der  durch  Salomon  vertretenen  göttlichen  Weisheit 
des  Christentums  und  der  durch  Saturn  zu  vertretenden  welt- 
lichen Weisheit  des  antiken  Heidentums  zu  betrachten.^  — 
Wenn  zwar  auch  nicht  das  antike  Heidentum  durchschimmert, 
so  glaube  ich  aber  doch  bewiesen  zu  haben,  daß  eine  Gegen- 
überstellung zwischen  Christentum  und  Heidentum  in  den 
Gedichten  zum  Ausdruck  gebracht  ist.  Trotzdem  er 
orientalischer  Fürst  ist,  besitzt  er  germanisch-heidnisches 
Wissen ;  dies  kann  nicht  so  sehr  auffallen,  wenn  man  bedenkt, 
daß  sogar  der  Philisterfürst  in  v.  210  ff.  den  germanischen 
Namen  „Wandernder  Wolf"  führt.  Es  ist  eben  der  ang- 
hsche  Verfasser,  der  sein  Wissen  zum  Ausdruck  bringt. 
Mit  dem  „Wandernden  Wolf"  komme  ich  zu  einer  zweiten 
Berichtigung  Vogt's,  welcher  dessen  Land  als  das  des  Saturn 
auffaßt.  Wie  ich  im  vorausgehenden  gezeigt  habe,  dürfen 
diese  beiden  nicht  identifiziert  werden.  Denn  daß  der  „Wan- 
dernde Wolf"  nicht  Saturn  ist,  sagt  v.  214,  wonach  es 
heißt,  daß  er  im  Kampfe  mit  den  25  Drachen  fiel.  Auch 
nicht  ganz  richtig  sagt  Vogt,  daß  Saturn  als  ein  Biese 
dargestellt  wird;  denn  entgegen  seiner  Ansicht  möchte  ich 
noch  einmal  bemerken,  daß  Salomo's  Aussage,  Saturn  wolle 
sich  rühmen,  daß  er  die  Menschenkinder  überwunden  habe 
(v.  204),  nicht  beweisend  ist.  Saturn  ist  furchtbaren  Ge- 
schlechts nach  V.  327 — 328;  seine  Leute  wollten  gegen  Gott 
kämpfen  und  wurden  dafür  bestraft  (325).  Auch  in  dem 
folgenden  kann  ich  Vogt  nur  teilweise  beipflichten,  wenn  er 
sagt:  „Also  ein  orientalischer  Fürst,  welcher  übermenschliche 
Eigenschaften  besitzt  und  welcher  mit  dem  Namen  eines  heid- 
nischen Gottes  belegt  wird,  ist  in  diesen  angelsächsischen 
Dialogen  dem  Salomo  gegenübergestellt;  es  existierten  orien- 
talische Traditionen  von  Unterredungen  des  Salomon  mit 
Dämonen  oder  einem  Dämonenfürsten:  Da  ist  es  doch  nahe- 
liegend genug,  die  angelsächsische  Überlieferung  aus  der 
orientalischen  abzuleiten  und  die  zersplitterten^)  Attribute 
jenes  wunderlichen  Saturnus  auf  einen  Dämonenfursten  zurück- 


^)  Vogt  seist  uDrichtig  hinzu:  „teilweise  sich  widersprechenden.'' 


—     89     — 

zufuhren,  welcher  dieselben  in  sich  vereinigt.  Auch  ihrem 
Inhalte  nach  berühren  sich  noch  die  angelsächsischen  Ge- 
spräche mit  den  der  orientalischen  Sage  von  Salomon  und 
den  Dämonen  angehörenden.  Im  ersten  angelsächsischen 
Gespräche  handelt  es  sich  um  die  Bezwingung  der  Teufel 
durch  die  vom  Salomon  auseinandergesetzte  geheimnisvolle 
Kraft  der  einzelnen  Buchstaben  des  Paternoster ;  im  Testament 
des  Salomo,  und  ebenso  gewiß  in  vielen  späteren  im  Abend- 
lande verbreiteten  Salomonischen  Zauberbüchern,  handelt  es 
sich  um  die  Bewältigung  der  Dämonen  durch  allerhand  vom 
Salomon  angewendete  geheimnisvolle  Formeln  und  Symbole.^' 

Ob  man  mit  Vogt  nun  aber  zu  dem  Schlüsse  berechtigt 
ist,  der  ags.  Dialog  habe  es  auf  eine  christliche  Läuterung 
jener  abgöttischen  Überlieferungen  abgesehen,  möchte  ich,  wie 
gesagt,  sehr  in  Frage  stellen.  Das  erste  Gespräch  erinnert 
mich  auch  an  die  Unterredungen  Salomo's  mit  Dämonen; 
ich  glaube  jedoch,  daß  es  mit  Rücksicht  auf  die  heidnischen 
Germanen  gedichtet  ist,  wenn  es  heißt :  Der  Teufel  verzaubert 
das  Schwert,  die  Elu*e  des  £jriegers,  daher  soll  kein  Mann 
ohne  Bedacht  sein  Schwert  ziehen,  wenn  auch  der  Glanz  ihm 
gefällt,   sondern  immer  soll  er  zuerst  ein  Paternoster  beten. 

Allerdings  „an  Stelle  der  Zauberei  tritt  die  Kraft  des 
Gebetes,  die  aber  auch  noch  als  eine  magische  aufgefaßt  wird^^ 

Was  die  Prosa  anlangt,  so  ist  meine  Meinung,  daß  der 
Verfasser  durch  die  Personifikation  des  Paternoster  den  heid- 
nischen Germanen  eine  Vorstellung  von  der  außerordentlichen 
Macht  desselben  zu  geben  versuchte.  Ich  glaube  aber  nicht, 
daß  man  in  der  riesenhaften  Beschreibung  desselben  eine  Um- 
bildung jener  gigantischen  Größe  des  Asmodeus  erblicken 
darf,  ebensowenig  glaube  ich,  daß  ein  Einfluß  der  jüdischen 
Religion,  die  sich  Jehovah  so  riesig  vorstellt  oder  ein  Einfluß 
der  gigantischen  Größe  Christi   bei   dem  Elkesaiten  vorliegt. 

Über  das  2.  Gespräch  äußert  sich  Vogt:  „Hierin  wird 
man  an  die  orientalischen  Traditionen  von  Salomo's  kosmo- 
graphischem  Unterricht  bei  den  Dämonen  erinnert,  wenn  von 
Saturn's  hoher  Gelehrsamkeit,  von  seiner  Reise  durch  die 
Welt  berichtet  wird,  und  wenn  er  dem  Salomon  von  jenem 
entlegenen  wunderbaren  Lande  erzählt,  in   welchem  kein  le- 


—    90    — 

bendes  Wesen  existieren  kann/'  Dem  kann  ich  gar  nicht 
zustimmen.  Ich  habe  schon  erwähnt,  daß  man  unter  dem 
wunderbaren  Lande  nicht  das  des  Saturn  yerstehen  darf. 
Alsdann  erinnert  mich  das  Gespräch  auch  nicht  an  den 
kosmographischen  Unterricht  Salomos  bei  den  Dämonen. 
Vogt  meint  hier  besonders  jene  Stelle,  an  der  es  beißt: 
Nach  dem  Buche  Emek  Hammelech  fahrt  Salomon  täglich 
zum  Firmament  herauf  und  läßt  sich  von  den  Dämonen  Asa 
und  Asael  in  verborgener  Weisheit  unterrichten  (Eisen- 
menger  I,  358).  Seine  Gespräche  mit  Aschmedai  sind  hier 
Ton  untergeordneter  Bedeutung,  mehr  Beachtung  verdient  eine 
Unterhaltung,  welche  nach  musleminischer  Tradition  Salomo 
mit  dem,  dem  Aschmedai  entsprechenden  Djinnenfiirsten 
Schachruch  (d.  i.  Sachr)  hat  (Hammer,  Rosenöl  I,  205).  Der 
Djinn  erzählt  Salomo  von  den  Reisen,  die  er  als  Begleiter 
der  voradamitischen  Salomone  gemacht,  von  den  Sphären  des 
Feuers  etc.  (siehe  oben  Seite  10). 

Dagegen  muß  ich  einwenden:  Salomo  ist  bereits  im  Be- 
sitze seines  Wissens,  er  fragt  nur  ein  einziges  Mal  (v.  209; 
V.  341  ist  keine  wirkliche  Frage).  Wie  im  ersten  Ge- 
spräche wird  also  Salomo  als  der  gelehrte  und  belehrende 
dargestellt.  Das  kommt  auch  zum  Ausdruck  in  v.  181: 
„Salomon  war  der  berühmtere,  wenn  auch  Saturn,  der 
kühne  Held,  die  Schlüssel  zu  manchen  Büchern  hatte"; 
sodann  am  Schlüsse  des  Gedichtes,  v.  174  ff. :  „Es  hatte  da 
der  kluge  Sohn  David's  besiegt  und  übertroffen  den  Fürsten 
der  Chaldäer."  Vogt  sagt  aber  richtig :  „Es  ist  die  Tendenz, 
wie  vorhin  die  Macht  des  christlichen  Gebets  über  die  Gewalt 
der  Dämonen,  so  hier  die  Überlegenheit  christlicher  Weisheit 
über  die  weltlich  magische  Gelehrsamkeit  zu  verherrlichen." 
Aber  gegen  die  letzte  Schlußfolgerung  Vogt's  muß  ich  mich 
wieder  wenden,  wenn  er  sagt :  „Dürfen  wir  nach  alledem  den 
Gegner  des  Salomo  in  den  ags.  Unterredungen,  den  Chal- 
däerförsten  Satumus,  auf  einen  orientalischen  Dämonenfursten 
zurückführen,  so  dürfen  wir  nun  auch  andererseits  eben  diesen 
Satumus  dem  Kitovras  parallel  setzen,  nicht  nur  weil  Asch- 
medai und  Kitovras  identisch  sind,  sondern  auch  weil  der 
Satumus  eine  Beziehung  mit  dem  Kitovras  teilt,  welche  vom 


—    91    — 

Aflchmedai  nicht  überliefert  wird:  Saturnns  ist  ebenso  wie 
der  Eitovras  der  Bruder  des  Salomo.  Salomon  redet  den 
Saturnns  „Bruder*'  an,  v.  327 :  'ne  sceall  ic  de  hwaedre,  bro- 
dor,  abelgan'.  So  entspricht  nun  schließlich  der  Satumus 
auch  dem  deutschen  Morolf  und  Marolf:  jenem  als  Bruder 
des  Salomon,  diesem  als  sein  Gegner  im  Wortstreit  und  es 
ergibt  sich  nach  alledem  die  Parallele:  Aschmedai  —  Ei- 
tovras  —  Satumus  —  Marolf  und  Morolf." 

Vogt  macht  jedoch  hier  einen  Fehler;  denn  „brodor" 
ist  nicht  im  wortlichen  Sinne  zu  nehmen.  Ebert  vermutet 
Schwager;  meiner  Meinung  nach  ist  es  die  beliebte  Bezeich- 
nung der  Fürsten  untereinander.  Daß  wir  nicht  eineiv  wirk- 
lichen Bruder  zu  erblicken  haben,  begründe  ich  mit  folgendem : 
Saturn  redet  Salomo  niemals  mit  brödor  an,  sondern  stets 
mit:  Salomon,  sunu  Dauides,  und  dies  gleich  in  der  jener 
Stelle  folgenden  Frage  v.  329;  außerdem  noch  v.  13,  174; 
ja  er  redet  ihn  sogar  einmal  „hlaford  Salomon'S  ^'  ^^^i  &Q- 
Wäre  er  sein  Bruder  gewesen,  so  würde  er  kaum  diese  Aus- 
drücke der  Hochachtung  gebraucht  haben.  Alsdann  wird  be- 
tont, daß  er  ein  Fürst  der  Chaldäer  ist,  während  Salomo  als 
Herrscher  der  Israeliten  auftritt:  v.  13.  Er  selbst  will  zur 
Lehre  Christi  bekehrt  werden,  ist  also  Heide,  Salomo  aber 
ist  König  der  Christen.  Wenn  er  der  Bruder  wäre,  so  müßte 
es  doch  sehr  auffallend  erscheinen,  daß  die  beiden  in  einem 
so  starken  Gegensatze  stehen.  Zur  Bekräftigung  meiner  Be- 
hauptung möchte  ich  auch  anführen,  daß  wir  die  Bezeichnung 
Bruder  in  demselben  Sinne  3.  Kön.  9.  Kap.  13,  gebraucht 
finden.  Es  heißt  an  jener  Stelle,  als  Hiram  dem  Salomo 
seine  Ansicht  über  die  geschenkten  20  Städte  (im  Chabul 
Bistrict,  siehe  oben  S.  54),  die  ihm  nicht  gefielen,  aus- 
spricht: Sind  dies  die  Städte,  die  du  mir  gegeben  hast,  „mein 
Bruder"  ?  —  Ebenso  nennt  David  den  Jonathas  seinen  Bruder 
2.  Kön.  Kap.  1,  26,  trotzdem  er  nicht  verwandt  war.  Aus  der 
altenglischen  Literatur  zitiere  ich  die  Anrede  des  Engels 
Bartholomäus  an  Gudlac  y.  686:  Is  \ixt  min  brodor  etc.  I 

Daß  unser  Saturn  nicht  der  Vertreter  der  klassischen 
Mythologie,  sondern  ein  Chaldäerfürst  ist,  geht  aus  dem 
Voranatehenden  zur  Genüge  hervor.  Wir  wollen  nun  zusehen, 


—     92    — 

in  welcher  Beziehung  sonst  noch  Saturn  in  der  altenglischen 
Literatur  vorkommt. 

Im  klassischen  Gewände  erscheint  der  Qott  in  den 
Metren  des  Boetius  XXVI.,  bei  der  SchilderuDg  des  Trojaner- 
kriegs, als  Ulysses  auf  das  Eiland  im  Wendelsee  verschlagen 
wird,  das  die  Tochter  des  Apollo,  Circe,  inne  hatte  (Vers  34). 

Es  heißt  da^): 

Dies  war  der  Apollo  aus  edelem  Geschlechte, 
des  Jupiter  Sohn:  der  war  vor  Jahren  König; 
den  Großen  und  den  Kleinen  gab  er  vor, 
jedem  der  Männer,  daß  er  Gott  wäre, 
der  höchste  und  der  heiligste.     Der  Herr  führte  so 
das  abergläubische  Volk  zur  Irrlehre  hin, 
bis  daß  zuletzt  ihm  glaubte  der  Leute  Unzahl: 
denn  er  war  mit  Becht  des  Beiches  Hirte 
aus  ihrem  Königsgeschlecht  und  kund  ist  es  weithin, 
daß  in  der  Vorzeit  damals  der  Völker  jedes 
hielt  seinen  Herren  für  den  höchsten  Gott, 
und  sie  verehrten  ihn,   als  sei  er  der  Obherr  der  Glorie, 
wenn  er  zu  des  Beiches  Herrschaft  war  zu  Becht  erhoben. 
Auch  war  des  Jupiter  Vater  Gott  wie  er: 
Saturnus  hießen  den  die  Seeanwohner, 
der  Helden  Kinder.    Es  hielten  die  Völker 
einen  nach  dem  andern  für  den  ewigen  Gott: 
auch  sollte  sein  des  Apollo 
edelgeborene  Tochter  des  abergläubischen  Volkes 
der  Männer  Göttin.  — 

Ferner  in  einer  Predigt  Aelfric's:  De  falsis  deis,  in 
Napier's  VTulfstan  S.  105,  32 ff.;  vgl.  ib.  p.  VlII.«): 

„syt  da  hoejienan  noldon  beon  gehealdene  on  swa  feawum 
3odum,  swa  hy  sei  hsefdan,  ac  fengon  to  wurdjenne  sei  nyhstan 
mistlice  entas  and  strece  woruldmen,  pe  mihtige  wurdan  on 
woruldafelum  and  egesfuUe  wseran  t)a  hwyle,  ]^e  hy  leofedon, 


^)  Ich   gebe   die  Übersetzung  nach  Grein,  Dichtungen  der  Angel- 
sachsen (11,  197  f.). 

«)  Vgl.  auch  Skeat  in  E.  E.  T.  S.  Bd.  94,  S.  X. 


-    93     — 

and  heora  agenam  lustum  fullice  fuUeodan.  An  man  wses 
on  seardasum  eardjende  on  ))am  iglande,  |)e  Creta  hatte,  se 
wses  Saturnus  sehaten,  and  se  wses  swa  wselhreow,  |)set  he 
fordyde  his  ajene  beam  ealle  butan  anum  and  unfsederlice 
macode  heora  lif  to  lyre  sona  on  seogode.  he  Isefde  8wa))eah 
uneade  senne  to  life,  ))eah  de  he  fordyde  ))a  brodra  elles; 
and  se  wses  louis  gehaten.  and  se  weard  hetol  feond.  he 
aflymde  his  agene  fseder  eft  of  dam  ylcan  foresaedan  islande, 
))e  Creta  hatte,  and  wolde  hine  forfaran  ^eome,  gif  he  mihte." 

Darauf  wird  berichtet,  wie  „Jovis"  mit  seiner  Schwester 
Juno  die  Minerva  und  Venus  erzeugt,  dann  heißt  es  weiter: 
„jias  mänfuUan  men,  {)e  we  ymbe  specad,  wseron  getealde  for 
da  mserostan  jodas  |)a  on  dam  da^um ;  and  da  hsedenan  wur- 
dodon  hy  swyde  durh  deofles  laxe;  ac  se  sunu  wses  swa))eah 
swydor  on  hsedenscype  jewurdod,  {)onne  se  fseder^)  waere, 
and  he  is  geteald  eac  arwurdost  ealra  |)sera  soda,  ^e  |)a  hse- 
denan on    dam  dajum  for  3odas  hsefdon  on  heora  gedwylde 

sum  man  eac  wses  gehaten  Mercurius  on  life,  se  wses 

swyde  facenfuU  and  deah  füll  snotorwyrde,  swicol  on  dsedum 
and  on  leasbregdum ;  done  macedon  |)a  hsedenau  be  heora  getsele 
esiC  heom  to  mseran  gode  and  set  wega  gelsetum  him  läc  oSrodon 

oft  and  selome" etc.     S.  107:  *'nu  secjad  sume  |)a 

denisce  men  on  heora  gedwylde,  l)8et  se  louis  wsere,  \ie  hy 
|)or  hatad,  Mercuries  sunu,  })e  hi  Odon  namjad.  ac  hi  nabbad 
na  riht,  fordan  |)e  we  rsedad  on  bocum,  36  on  hse})enum,  36 
on  cristenum,  ))a3t  se  hetula  louis  to  sodan  is  Saturnes 
simu.***) 

Sodann   in   Aelfric's  Lives   of  Saints,   in   einer   Predigt 

*)  Über  fseder  von  anderer  Hand.  I.  saturnus. 

')  Vergleiche  auch  die  Version  bei  Kemble  S.  120—125.  Am 
Schlüsse  fügt  diese  noch  hinzu  (v.  116  iT.):  Hi  jesetton  eac  da  dsere 
sannan  and  da  [dam]  monan  and  dam  odrum  jodum,  selcum  his  d8e5; 

serest  daere  sunnan  done  sunnand8ß3. done  seofodan  d8D3  hi 

sealdon  Saturn e,  dam  ealdan  daera  3oda  fseder  him  sylfum  to  frofre, 
endenext  swa  deah  deah  de  he  yldest  wsere.  Hi  woldon  3it  wurdlan 
arwnrdlicor  da  3oda8  and  for3eafon  him  steorran  swilce  hi  ahton  heora 
3eweald,  da  seofon  tunslan,  sunnan  and  monan  and  da  odre  fif,  da 
farad  sefre  onseon  done  rodor  to  eastdsele  ward,  ac  hi  3ebi3d  seo  heofon 
andtrbeec  »fre  etc. 


—     94    — 

über :  Passio  Sancti  Sebastiani  Martyris  (ed.  Skeat  I,  S.  136, 
vgl.  auch  Zupitza  in  Z.  f.  d.  A.  N.  F.  XVII,  S.  206): 
|)a  cwsed  tranquillinus  to  chromatise  |)ns: 
))a  sodas  ))e  ge  wurdiad,  wseron  arlease  menn, 
yfele  geborene,  and  bysmor-fulle  on  life, 
mid  facne  afyllede,  and  ford-ferdon  earmlice. 
Cwyst  |)u  la  |)set  nsere  nan  lyfijende  god, 
a^r  ])aQ  de  saturnus  bis  suna  abite, 
and  heora  flaeac  sete  on  ))am  Ig-lande  creta. 
Eft  bis  sunu  louis,  jie  ge  wurdiad  for  god, 
se  wolde  acwellan  bis  unclaenan  fseder, 
|)e  abat  bis  gebrodra  |)a  bi  geborene  wseron, 
se  iouis  wses  afylled  mid  fulre  galnysse, 
and  nam  bis  agene  swystor  to  bis  fulnm  synscype, 
swa  swa  ge  raedad  on  eowrum  gerecednyssum. 

leb  gebe  nun  zu  den  anderen  Belegstellen  in  der  alt- 
engliscben  Literatur  über,  die  sieb  auf  den  Saturn  als  Stern 
bezieben.  So  in  den  Metren  des  Boetius  XXIV,  löflF.  (Grein- 
Wülker,  Poesie  III,  2,  S.  41): 

Du  meabtest  de  siddan  mid  dacre  sunnan  faran 

[uppe]  betweox  odrum  tunglum, 

meabtest  de  fullrecen  on  da?m  rodere  ufan 

siddan  weordan  .9  donne  samteoges 

a?t  dcTm  solcealdan  anum  steorran, 

se  yfmest  is  eallra  tungla, 

done  Saturnus  sundbuende 

batad  under  beofonum;  be  is  se  cealda: 

eallisig  tungl  yfemest  wandrad 

ofer  eallum  ufan  odrum  steorrum. 
Vgl.  ferner  Metra  XXVIII.  26  ff. 

Über  die  Bezeichnung  der  Sterne  mit  den  Namen  der 
Götter  darf  ich  anführen  Encyclop.  Brit.  XXI,  321 : 

The  designation  of  the  planets  by  the  names  of  gods  is 
at  least  as  old  as  the  4*^  Century  B.  C.  The  first  certain 
mention  of  the  star  of  Cronus  (Saturn)  is  in  Aristotle  (ifcto- 
physics,  p.  1073  b,  35).  The  name  also  occurs  in  ibe  Epi- 
noniis   (p.  987  b),  a  dialogue   of  uncertain  date,   wrongly  as- 


—     95     -- 

cribed  to  Plato.  In  Latin,  Cicero  (Ist  cent.  B.  C.)  is  the  first 
author  who  speaks  of  the  planet  Saturn.  The  application 
of  the  name  Saturn  to  a  day  of  the  week  (Saiumi  dies,  Sa- 
turday)  is  first  found  in  Tibullus  (I.  3,  18). 

Vergleiche  dazu  auch  die  Ausführungen  J.  Grimmas  in 
seiner  Deutschen  Mythologie  (4.  Aufl.  bes.  von  E.  H.  Meyer) 
S.  101:  „Von  Ägypten  her  durch  die  Alexandriner  kam 
siebentägige  woche  {ißdofidg),  wie  sie  in  Westasien  sehr  alt 
ist,  aber  wohl  später  erst  planetarische  benennung  der  Wochen- 
tage bei  den  Römern  auf,  unter  Jul.  Caesar  älteste  er- 
wähnung  des  dies  Satwni,  in  Verbindung  mit  dem  jüdischen 
sabbat,  bei  Tibull  1,  3,  18 ... .  Diese  namen,  samt  der  wochen- 
einteilung,  waren  aber  früher  als  der  christliche  glaube  von 
Rom  aus  nach  Oallien  und  Deutschland  übergegangen.  In 
allen  romanischen  ländem  dauern  die  planetarischen  namen 
bis  auf  heute  fort  (meist  in  sehr  verkürzter  gestalt),  nur  für 
den  ersten  und  letzten  Wochentag   ausgenommen:   statt  dies 

solis  wählte  man  dies  dominica, franz.  dimanche ;  statt 

dies  Satumi  blieb  das  jüdische  sabbatum, franz.  samedi 

(==  sabdedi,  sabbati  dies)." 

Über  die  Verbindung  Saturnstag  in  der  altenglischen 
Literatur  möchte  ich  nur  die  Homilien  Aelfric's  (Thorpe  II, 
260)  anführen: 

Eft  sodlice  se  Scyppend,  on  l)am  sixtan  daege,  on  rode 
hangiende,  bis  handjeweorc  alysde,  Adames  ofspring,  mid  bis 
agenum  deade,  and  on  byrgene  siddan  anbidiende  Iseg  on 
dam  seofodan  dsege,  de  ge  Sseternes  hatad:  ferner  Thorpe 
n,  364.  I,  216  (an  letzter  Stelle  saeterniht). 

Zu  den  altenglischen  Belegstellen  gehört  femer  das  Vor- 
kommen des  Namens  Saturn  in  geographischeyi  Nameii  und 
Pflanzen  *),  worüber  sich  Kemble  S.  128  folgendermaßen  äußert : 

" A  more  important  fact  however  is,  that  names  of  places 
and  plants  are  compounded  with  the  name  of  Ssetere.    In  a 

1)  Vgl.  auch  Kemble,  S.  119;  Bouterwek,  S.  LI;  Scbaumberg:, 
S.51,59;  Hofmann,  S.  431;  Vogt,  S.  LIV  und  CXU;  Herford  S.  2Ö4; 
Doff,  S.  XII;  Kemble,  The  Saxons  in  England,  a  New  Edition,  rev. 
by  W.  De  Gray  Birch,  vol.  I,  p.  372  flF. 


—    96     — 

charter  of  Edward  the  Confessor  I  find  the  name  Sffiteresbyiig, 
which  answers  exactly  to  Wodnesbyrig:  again,  in  the  north 
of  England  there  are  two  parishes  called  Satterthwaite,  and 
in  Devonsbire  one  called  Sattersleigh  ^) ;  while  the  common 
crowfoot  or  gallicrus  is  in  Anglo-Saxon  Satorl&d.*)  Now 
it  is  acknowledged  that  no  signs  of  ancient  divinity  are  more 
conTincing  than  the  appearance  of  a  name  in  the  appellations 
of  places  and  plants,  and  in  the  days  of  the  week,  and  all  the 
conditions  are  fulfilled  in  this  instance.  That  he  should  also 
appear  in  such  a  legend  as  the  one  under  consideration,  is 
another  evidence  of  his  divinity.  And  if  it  be  objected  that 
the  places  and  plants  named  from  bim  are  few  in  number,  I 
can  only  answer  that  they  are  at  least  as  numerous  as  those 
devoted  to  Bunor  and  Tiw,  whose  godhead  has  never  been 
doubted.'* 

Was  die  Etymologie  des  Wortes  betrifft,  so  kreuzen  sich 
hier  die  Meinungen.  Nach  der  Ansicht  Lassen's  ist  Saturn 
aus  Savitar  zusammengezogen  und  bezeichnet  demnach  einen 
Sonnengott  (Grünbaum  278).  In  der  klassischen  Mythologie 
tritt  er  immer  als  Allegorie  des  Ackerbaues  auf.^)  Dionys 
Ton  Halicamassus  (Antiq.  Rom.  I.  cap.  38,  ed.  Carolus 
Jacoby,  Lipsiae  1885,  S.  59)  leitet  seinen  Namen  von  Satu 
(Samen)  ab,  als  einen,  der  uns  mit  Gütern  sättigt  (Saturando), 
da  er  der  einzige  war,  welcher  die  Menschen  das  Land  zu 
bauen  und  die  Kunst  Getreide  hervorzubringen  lehrte.  —  Es 
möge  mir  gestattet  sein,  auch  ein  paar  mittelenglische  Ety- 
mologien anzuführen,  die  ich  der  Legenda  aurea  (von  Wynkyn 
de  Worde  1527 ;  Trinity  College  Cambridge  S.  C.O.C.XXXIX)*) 
entnommen  habe.  Diese  beziehen  sich  zwar  nicht  auf  den 
Gott  Saturn  selbst,  sondern  auf  den  Märtyrer  Satuminus: 

There  foloweth  the  lyfe  of  saynt  Satumyne.     And  fyrst 


^)  Seetere  könnte  zwar  auch  zu  seeta  etc.  gehören,  vgl.  Dorset, 
Somerset,  Eis  aas,  wenn  nicht  gar  zu  ssetere  Räuber. 

*)  Hierüber  vgl.  unten  S.  120. 

*)  Vgl.  Weishaupt:  Saturn,  Mercur  und  Herkules. 

*)  Für  die  Benutzung  dieses  Buches  bin  ich  besonders  Kr.  William 
White  zu  Danke  verpflichtet. 


—  »   — 

of  hit  oame :  Satamyne  is  sayd  of  saturate,  )>^^)  is  to  be  fiUed, 
^  of  DUZ,  y^  is  a.nnttfiy  for  )>*  paynyms'  wece  fylled  for  to 
martyr  him  lyke  as  Y  squyrel  Y  eteth  Y  i^atte.  for  wfaan 
Y  squyrel  pylleth  )>*  nutte  it  semeth  to  bim  bytter;  than  he 
ascesideih  a  tree  ^  lettetb  >*  nutte  £aU,  J  than  Y  ^^ 
hreketh  J  the  nutte  lepeth  out.  And  thus  were  Y  paynyms 
fylled  in  saynt  Saturnyne,  for  be  was  bytter  to  them  bycatMe 
he  wolde  not  do  sacrefyce,  J  thä  they  brought  hym  up  on 
hygh  on  Y  capytoU,  J  cast  hy  down  the  steppes,  so  Y  ^  his 
heed  was  broke,  J  Y  brayne  spränge  out. 

Satumyne  was  oideyned  byssbop  of  Y  disciples  of  Y 
apostles,  nß  was  sent  in  to  }>*  cite  ofTholouse;  J  whS  he 
entred  in  to  Y  cite  Y  devuls  cesed  to  gyue  answeres «/  thafi 
a  paynym  sayd.  But  yf  they  hewe  Satumyne  they  sh^lde 
haue  none  answere  of  theyr  goddes;  S  they  toke  Satumyne 
whiche  wold  not  do  sacrefice,  ./  boude  hy  to  Y  ^^^^  ^^  &  ^^ 
^  drewe  hym  unto  Y  hyghest  place  of  Y  capytoU,  S  cast 
him  down  ))e  steppes  to  ])e  groude,  so  Y  ^^^  ^^^^  brake  J  Y 
brayne  spränge  out,  J  so  accomplysshed  bis  martyrdom,  S  two 
women  buried  bis  body  in  a  depe  place  for  fere  of  l)e  payn- 
yms ^  after  bis  succesours  träsported  it  into  a  more  honour- 
able  place. 

There  was  another  Satumyne,  whome  the  prouost  of 
Borne  beide  longe  in  pryson  S  after  he  reysed  hym  on  eculee 
^  did  do  bete  hym  w*  synowes,  roddes  J  scorpyüs  ^  after 
dyd  do  bren  bis  sydes  S  after  heded  hy  about  Y  J^^e  of  our 
lord  C.C.LXXX.  vnder  Maximyen. 

And  yet  there  was  another  Satumyne  i  Africa  which 
was  broder  of  saynt  Satyre  saynt  renouele,  S  saynt  felicyte 
bis  sister  y  saynt  Perpetua,  whiche  was  of  noble  lignage, 
whiche  all  suffred  deth  togyder  of  whome  the  passyon  is 
holden  an  other  tyme.  And  whan  the  prouost  wold  ^  bare 
had  them  to  do  sacrefice  to  Y  ydoUes,  they  refused  it  vtteriy. 

Es  folgt  nun  der  Traum  der  Perpetua  und  Felicitö, 
danach : 


^)  Der  Druck  liest  {>•. 
■)  Der  Druck  liest  {>•. 
MüBohener  Beitrüge  z.  romaniichen  a.  engl.  Philologie.   XXXI. 


—    98    — 

cJatyre  S  Perpetue  were  deuoured  of  lyons,  J^  saynt  Sa- 
turnyoe  had  his  heed  smytten  of.  And  this  was  about  tbe 
yere  of  our  lorde  C.C.LVI  under  Valeryen  S  Galyen  em- 
perours. 

Femer  möchte  ich  über  Saturn  noch  zitieren  aus  Opus- 
cula  Mythologica,  Ethica  et  physica,  Graece  et  Latine.  Can- 
tabrigiae  1671  (Trinity  College  Cambridge),  S.  42:  Phurnuti 
über  de  natura  Deorum: 

De  Saturno.  Saturnus  est  ratio  omnium  conditarum 
rerum,  sicuti  praediximus,  et  potentissimus  est  omnium 
suorum  liberorum.  Falso  narrant  Satumum  a  love  vinculis 
astrictum,  sed  cum  ille  remotior  a  nobis,  extemo  cursu  circum- 
Yolvatur,  et  motus  tardus  non  facile  ab  hominibus  percipiatur, 
eum  quodammodo  colligatum  perhibent  Multorum  vero 
fide^)  profunditas  Tartarus  dicitur. 

Daß  man  unter  unserem  altenglischen  Chaldäerfdrsten 
keinen  Märtyrer  zu  verstehen  hat,  ist  klar;  ebenso  wenig  hat 
unser  Saturn  mit  dem  Gnostiker  irgend  etwas  gemeinsam.  Die 
flauptlehre  der  Manichäer  und  Gnostiker,  die  Erschaffung  der 
Erde  durch  die  Aeonen,  steht  sogar  in  direktem  Widerspruch 
mit  unseren  Versen  417 — 422. 

Es  harrt  nun  die  Frage  der  Lösung:  wie  kamen  die  ae. 
Verfasser  resp.  deren  Quellen  dazu,  den  Chaldäerfürsten  Sa- 
turn dem  Salomon  gegenüber  zu  stellen.  Zur  Erklärung 
sei  es  mir  vergönnt,  etwas  weiter  auszuholen.  Ich  halte 
mich  im  nachstehenden  an  die  Ausführungen  über  Saturn  in 
D.  Schenkel's  Bibellexikon,  Leipzig  1873.  S.  191  ff.: 

„Selten  mag  auch  bei  den  verschiedensten  Umbildungen^ 
welche  sich  die  alten  Götter  gefallen  lassen  mußten,  eine  so 
radikale  Verkehrung  des  Wesens  eingetreten  sein  wie  die, 
welche  der  altitalische  Saturn  bei  seiner  astrologischen  Ver- 
wendung erlitten  hat.  Ursprünglich  mit  der  hilfreichen  Ops 
verbunden,  zählte  er  zu  den  ältesten  und  populärsten  Götter- 
gestalten des  alten  Italien ;  Ops  war  die  gütige  Mutter  Erde, 
Saturn  ihr  Gatte,  der  männliche  Gott  der  Saaten,  altertümlich 


^)  Der  Druck  liest  fiderum. 


—     99     — 

SaetuFDus,  dann  Saturnus  geheißen Den  Saatengott  machte 

man  aber  auch  zu  emem  mythischen  König  des  Landes,  der 
das  Urvolk  zuerst  aus  seinen  Bergen  yersammelte,  mit  Ge- 
setzen versah  und  erzog.  Unter  diesem  König  war  das 
goldene  Zeitalter.  War  aber  so  der  alte  Gott  zum  König 
und  dieser  zum  Kulturbringer  geworden,  so  leitete  man  ihn 
auch  alsbald  von  da  ab,  von  wo  man  neben  vielem  anderen 
auch  Eeligiöses  entlehnt  hatte,  von  Griechenland,  und  ließ  ihn 
von  dort  eingewandert  sein  und  dem  Land  den  Namen  Latium 
gegeben  haben,  weil  er  dort  sichere  Zuflucht  gefunden  habe. 
War  so  der  echt  italische  Saturn  erst  zu  einem  griechischen 
Einwanderer  geworden,  so  identifizierte  man  ihn  mit  dem 
alten  Kronos,  sichtlich  weil  beide  die  Sichel  mit  sich  führten 
und  beide  im  goldenen  Zeitalter  herrschten. 

Li  einer  späteren  Ausbildung  wird  dann  Kronos  als  ur- 
alt und  darum  als  weise  und  aller  Listen  kundig  dargestellt; 
doch  evrig  zu  herrschen  ist  ihm  nicht  vergönnt,  seine  Eltern 
weissagen  ihm,  daß  seine  eigenen  Kinder  ihn  beseitigen 
werden  (so  schon  bei  Hesiod).  Daher  verschlingt  er  alle 
Kinder,  die  ihm  Rhea,  seine  Gemahlin,  eine  zweite  Per- 
sonifikation der  Erde,  gebiert,  mit  Ausnahme  des  jüngsten 
Kindes,  Zeus,  welches  sie  in  Kreta  verbirgt  und  dem  be- 
gierigen Vater  einen  in  Windeln  eingewickelten  Stein  gibt, 
den  er  verschlingt.  —  Der  kretische  Zeusmythus  ist  mit  dem 
Kronosmythus  verknüpft;  die  Kureten,  die  den  jungen  Zeus 
in  Kreta  erziehen,  sind  Phrygier  nach  kretischer  Überlieferung 
(Strabo  X,  3,  19).  Gleichzeitig  war  aber  Kreta  auch  ein 
Hauptplatz  phönizischer  Mythen,  welche  dort  mit  kleinasiati- 
schen und  griechischen  verschmolzen  wurden  (Preller).  So- 
bald nun  eine  Identifizierung  hellenischer  und  phönizischer 
Götter  versucht  wurde^  stach  bei  Kronos  der  Zug  bedeutsam 
in  die  Augen,  daß  er  die  Kinder  verschlungen  hatte,  und  dies 
führte  von  selbst  dahin,  daß  man  ihn  mit  dem  Kinder  ver- 
schlingenden, bösen  und  strengen  Wesen  zusammenstellte, 
welches  wir  als  Moloch  kennen,  obwohl  dies  nicht  überall 
geschehen  ist. 

So  werden  wir  schließlich  von  Kronos  weitergeführt  zum 
kanaanitischen  Moloch,   über   den  uns  auch  Diodor  XX,  14 


—    100    — 

die  wichtigste  Aufklärung  gibt.  Der  Name  selbst  bedeutet 
K&nig,  eine  besondere  Namensform  Milkom  bezeichnet  speziell 
den  ammonitischen  Stammgott  (die  Septnaghita  bietet  Moloch, 
Melcholy  die  syrische  Übersetzung  Malcum,  Hieronymus  Moloch 

und  Melchom) Die  Asche  und  Knochen  dieser  imglück- 

lich^  Opfer  [des  Moloch]  benutzten  die  Chaldäer  vermutlich 
zum  Wahrsagen 

Wenden  wir  uns  nun  zu  der  astrologischen  Bedeutung^ 
die  Saturn  erhalten  hat.  Hiermit  Yerlass^Q  wir  den  phö« 
nizischeu  Boden;  denn  Strabo  (XVI,  1,  629  und  Diodor 
Ily  30)  berichten  übereiustimmend  von  der  Astronomie  der 
Chaldäer,  und  letzterer  bietet  genügende  Anhaltspunkte,  um 
zu  erkennen,  daß  die  Lehre  derselben  die  Wurzel  aller 
späteren  Astrologie  geworden  ist,  denn  die  arabische  Himmels- 
kunde  (die  Wissenschaft  der  'anwa'  oder  Stemuntergänge)  ist 
nichts  als  Wetterbeobachtung  und  Wetterregel.  Diodor  nun 
berichtet,  die  Chaldäer  hätten  den  Planeten  große  Aufmerk- 
samkeit geschenkt,  sie  die  „Dolmetscher^'  genannt  und  den 
Planeten,  der  die  meisten  und  bedeutendsten  Vorzeichen  biete 
und  von  den  Griechen  Eronos  genannt  werde,  El  geheißen« 
Neben  diesem  haben  sie  noch  die  Planeten  Mars,  Venus,  Mer- 
cuiius,  Jupiter,  die  sie  so  wie  die  griechischen  Astrologen  be- 
zeichneten   Den  hier  babylonisch  El  genannten  Planeten 

finden  wir  nun  durch  die  Vermittlung  des  Kronos  latinisiert  als 
Saturn  wieder,  und  so  wird  dieser,  respektire  der  ihm  ent- 
sprechende Moloch,  in  das  astrologische  System  gebracht,  so 
daß  der  Planet  El-Moloch  oder  Eronos-Saturn  zum  wichtigsten 
Schicksalbestimmer  wird,  dem  tmter  den  Wochentagen  der 
Samstag  gewidmet  wurde.  Die  jüdische  Astrologie  nannte 
den  Stern  daher  später  sabtaj,  d.  i.  den  sabbatlichen  Planeten. 
Jenem  Planeten  gehörte  die  erste  Stunde,  die  zweite  dem 
Jupiter,  die  dritte  dem  Mars  etc.  Zählt  man  so  durch,  so 
fallt  jedesmal  die  erste  Stunde  des  folgenden  Tages  auf  den 
Planeten,  nach  dem  der  Ta^  benannt  ist,  als  1.  8.  15.  SS. 
(Saturn)  Samstag;  2.  9.  16.  23.  (Jupiter)  Donnerstag;  4.  11. 
18.  1.  (Sonne)  Sonntag  etc. 

Hieraus  aber  geht  unzweifelhaft  herror,  daß  der  El- 
Kronos-Satum  der  erste  und  höchste  Planet  war;  auch  lieBe 


—     101     — 

aicli  hieraus  erklären,  warum  gerade  sein  Tag  für  den  jüi« 
dischen  Ruhetag  ersehen  ist. 

Welche  Art  von  Verehrung  der  Saturn  bei  den  alten 
Chaldäem  genossen  hat,  wissen  wir  nicht  aus  unmittelbaren 
Zeugnissen  der  Alten,  wir  können  nur  Eückschlüsse  aus  der 
Lehre  der  Sabier  machen,  die  aber  jünger  und  getrübt  sind. 
Am  Sonnabend,  sagt  Dimischki  (gest.  1327),  kamen  die  Sabier 
in  schwarzen  Kleidern  und  mit  unentblätterten  Ölzweigen  in 
den  Tempel  des  Saturn  (der  Araber  nennt  ihn  Zuhal,  d.  h. 
der  Zögerer).  Als  Opfer  diente  ein  alter  Stier.  Saturn  hatte 
einen  sechseckigen  Tempel  aus  schwarzen  Steinen  und  Vor* 
hängen,  worin  an  einer  Wand  ein  Bild  des  Saturn,  als  alten, 
schwarzen  Mannes,  mit  einem  Beil  in  der  Hand,  gezeichnet 
war.  An  den  vier  übrigen  Wänden  war  Saturn  mit  einem 
Seil  in  der  Hand  abgebildet,  mit  dem  er  einen  Eimer  aus 
dem  Brunnen  zog,  sodann  als  Mann,  der  über  die  alten  ge* 
heimen  Wissenschaften  nachsinnt,  weiter  als  Zimmermann  und 
Maurer,  endlich  als  König,  auf  einem  Elefanten  sitzend,  den 
Rinder  und  Büffel  umgeben.  Eine  ähnliche  Schilderung  findet 
sich  auch  im  Dabistan  (engl,  von  Troyer,  London  1843, 1,  35). 

AJs  Planeten,  und  zwar  als  bösen,  kennen  auch  die 
arabischen  Astrologen  den  Saturn  unter  dem  Namen  Zuhal, 
sie  bezeichnen  ihn  als  den  großen  Unglücksstern  (en-nahs 
elakbar)  gegenüber  Jupiter  als  dem  großen  Glücksstern  (7  be- 
rühmte Tempel  hatten  die  alten  Araber  und  Inder,  welche 
den  7  Planeten  gewidmet  waren;  so  soll  auch  der  Tempel 
von  Mekka  dem  Zohal  oder  Saturn  geweiht  gewesen  sein 
(Shahrestan),  darüber  Koran  I,  22).  Diese  chaldäische  Lehre 
ist  auch  zu  den  klassischen  Völkern  gedrungen,  wie  sie  in  der 
Kürze  Properz  (Eleg.  IV,  1,  130)  darstellt." 

Hieraus  erkennen  wir  also,  daß  die  Chaldäer  schon  frühe 
als  Wahrsager  und  Schicksalsbestimmer  bekannt  waren.  In 
dem  Tempel  der  Sabier  ist  Saturn  als  Mann,  der  über  die 
geheimen  Wissenschaften  nachsinnt,  abgebildet;  dies  stimmt 
sehr  gut  zu  unseren  Dialogen.  Ferner  war  er  mit  einem  Seil 
abgebildet,  worauf  vielleicht  unsere  Stelle  v.  330  anspielt: 
„Was  sind  die  4  Fesseln  (räpas)  des  dem  Tode  geweihten 
Mannes",   denn  eine  solche  Fragestellung  ist  doch  sehr  auf- 


—     102     — 

fallend.  In  den  ae.  Gedichten  ist  Saturn  der  Fürst  der 
Chaldäer,  der  alle  Wissenschaften  durchstudiert  hat;  er  hat 
also  Ähnlichkeit  mit  dem  Manne,  der  über  die  geheimen 
Wissenschaften  nachsinnt  und  schließlich  König  wird.  Im 
zweiten  Gedichte  ist  Saturn  in  einer  sehr  innigen  Beziehung 
zu  dem  Schicksal :  er  will  von  Salomo  wissen,  ob  das  Schick- 
sal oder  die  Vorsicht  stärker  sei.  Die  alten  Angelsachsen  und 
Skandinavier  hat  ohne  Zweifel  die  Frage  nach  der  Zukunft 
in  höherem  Grade  interessiert  als  die  hochdeutschen  Stämme ; 
das  häufige  Vorkommen  der  Wyrd  in  der  altenglischen  und 
altnordischen  Literatur  spricht  sehr  deutlich  dafür.  Der 
Chaldäerfürst  Saturn  kann  demnach  seine  Beziehung  zu  dem 
unheilvollen  Sterne  und  dadurch  wieder  zu  El-Kronos  nicht 
gut  verleugnen. 

Ich  glaube  daher,  daß  den  altenglischen  Verfassern,  wenn 
nicht  den  Autoren  der  apokryphen  Quellen  unserer  Gedichte, 
eine  Erinnerung  an  den  chaldäischen  Stemenkultus  und  Wahr- 
sagedienst vorschwebte,  die  sie  ^natürlich  nur  durch  Ver- 
mittlung antiker,  vielleicht  altohristlicher  oder  keltischer 
Quellen  erhalten  konnten.  Der  göttlichen  Weisheit  Salomo's 
stellten  sie  die  Gelehrsamkeit  des  angesehensten  heidnischen 
Fürsten  gegenüber  und  wählten  dazu  den  Chaldäerfürsten. 
Die  Kirchenväter  sind  sich  über  den  Saturn  selbst  nicht 
klar;  Lactanz  hält  den  karthagischen  Saturn  nicht  nur  für 
den  phönizischen  Moloch,  sondern  beide  sogar  für  den  Erz- 
vater Israel.^)  Der  gemeinsame  Zug  des  Kinderfressens 
wird  doch  wohl  der  Grund  zu  der  Vermischung  von  Moloch 
und  Saturn  gewesen  sein.  Für  die  Verbindung  des  Salomo 
mit  Moloch  und  die  Ausgestaltung  zur  Sage  mag  vielleicht 
auch  der  Bericht  aus  3.  Könige  Kap.  11,  6  und  6:  „Und 
Salomo  verehrte  den  Moloch,  den  Götzen  der  Ammoniter" 
einen  Einfluß  gehabt  haben. 

Der  Name  Moloch,  der  König  bedeutet,  gehört  nur 
der   LXX   an;    im  Hebräischen   heißt   er  Molech,    Milcom, 

^)  S.  Kemble,  S.  120;  Hofmann  431.  Letzterer  glaubt,  daß  das 
26.  Kap.  der  Spriichwörter  Salomo's,  in  dem  ein  Mercurius  auftritt,  den 
Typus  für  die  Komposition  der  Salomo*  Marcolph-Sage  abgegeben  habe. 


—     103     — 

Malcom,  Malcol,  und  so  müssen  wir  wohl  mit  Ten  Brink  an- 
nehmen, daß  durch  die  Verwechslung  von  Malcol  mit  Marcol 
Saturn   als  Salomo's  Dialogist  in   die  Eeihe  gekommen  ist. 

Die  älteste  Aufzeichnung  einer  Zusammenstellung  Yon 
Salomo  (wie  wir  zu  lesen  haben  statt  Samson)  und  Saturn 
aus  der  Sachsenzeit  entnehme  ich  Kemble  (S.  84)  und  will 
diese  hier  ganz  wiedergeben,  da  sie  sich  mit  dem  Inhalte 
unserer  Prosa ,  femer  mit  der  Beschreibung  der  Hölle 
(v.  466 — 474)  sehr  eng  berührt.  Es  ist  ein  Dialog  zwischen 
einem  Teufel  \m6  einem  Klausner,  der  im  Ms.  Ootton  Tib. 
A.  ni,  fol.  86flF.  enthalten  ist. 

Hit  ^elamp  hwylan  set  suman  cyrre  {>  an  ancra  sefing 
anne  deöfol  durh  Godes  mihte,  «^  he  wses  se  ancra  on  De- 
beijdan  lande,  swide  lifes  man  hälig  geworden  j)arh  Godes 
mihte.  Da  se  ancra  anjan  |)reäpian  swtde  done  deöfol,  p 
him  ässede  eal  helle  wites  brösan,  and  eäc  heofona  rices 
fesemesse.  Da  cwsed  se  deöfol  tö  dam  a[n]cran  düs:  deäh 
dset  lenjeste  triöw  de  an  ^middan^earde  is,  ^  hit  stöde  donne 
on  üfon  dam  hehstan  stanclife,  de  an  middan^earde  is  hegest, 
^  mon  donne  gebunde  daes  monnes  fyt  tö  üfanweardan  dam 
treowe  de  w^re  «r  äne  niht  an  helle  mid  us,  ^  him  mon 
donne  lete  han^ian  p  heäfod  an  düne  nider  dset  him  sige  ^ 
blöd  on  äelcere  healfe  üt  {)urh  dane  müd  ^  l)urh  da  nös-l)yrle, 
^  hine  daer  öhtan  donne  ealle  da  yfela  .P  ealle  da  brogan  de 
sefre  eordwara  fram  sensinne  geh^dan  secgan,  ^  hine  ealle 
se  ydan  niodan  cnyssende  wseron  mid  eallan  ssebröjan,  de. 
he  ford  brind,  donne  wile  se  man  eal  lustlice  aefre  mä 
))olian,  c/  deah  he  scure  donne  gyt  ))usend  wintra  dartö  ^  & 
tausend  de  se  dömesdae;  scel  on  geweordan,  wid  dan  de  he 
yft  ne  |)urfe  nae&e  mä  da  helle  gesecan.  Da  git  cwaed  se 
deöfol  tö  dam  häligan  lifes  men,  wä  bid  dam  mannum,  de 
sculan  habban  heora  eardungstöwe  ön  helle  mid  tis,  dser  bid 
wöp  bütan  fröfre,  y  dser  bid  l)eöwdöm  bütan  freowdöme,  y 
unrotnes  bütan  gefean;  dser  bid  fülnys  bütan  äwendednysse, 
nß  bitemes  bütan  swötnesse,  ^  i&r  bid  hungor  ^  ])urst  an  helle 
suslum,  y  jeömerung  ^  l)oterun3,  y  daet  wyrste  wyrmcyncj 
eal  byrnende,  ^  dracan  kin  de  naefre  ne  sweortad;  daer  bid 
swefle  f^r,  sweart  .P  unädwsescedlic,  y  dser  bid  cele  ^  brene 


—     104    — 

ß  br6ga,  itior  J  ofiBrselifId,  ^r&naiis  ^  snoninns,  mnoht  cf  wop, 
onäo  ^  mordoT,  s&r  ^  sufil;  S  iwt  n&n  man  ne  mses  fidnui 
nsBfre  sehflpan.  Nis  d^  cynises  weorduns  ne  eBldormamieB 
werdnes;  d6r  nän  man  ne  mss  his  wildend  semunan  mid 
nanum  lofiumse,  for  däm  säre  de  hiom  ansittad.  He  cw»d 
d&  git  ae  deofol  t6  dam  haljan  anomn  düa,  ^  ssBde  16  him. 
fiios  eorde  ndere  mid  eallum  hire  wKstmum,  dses  de  W8^r 
OD  ne  30813,  ^  deäb  nsere  nä  märe  on  hire  brädnesse  seö  eorde 
donne  seö  hrfide  hei  is,  donne  is  se  micela  sarsecj  dy  das 
eordan  6tan  ymblised  cmnetlioe  micel,  ^  nis  eal  diös  eorde  be 
him  de  märe  de  an  price  bid,  de  bid  on  änum  weax-bryde 
^epricod.  f>a  cwsed  ae  deofol  da  jit  to  dam  ancran  düs:  deäh 
men  dane  garsics  mid  laanan  wsealle  ütan  bet^  ß  hine  man 
|>äm  nyfelle  f^res  of  heofones  hrof,  ß  hine  mon  donne  ütan 
besitte  »all  mid  emidbelsom,  swä  [licce  t>  hiora  selc  ödrum 
anhrine,  ^  si  donne  tö  ^hwylcum  belje  man  ^esitted,  ^  ae 
hebbe  Samsones  strengde,  se  de  ealle  FJÜBteisan  l)eöde  ämyrde 
ß  hyia  dügeda  äfelde,  ß  be  hsefde  XTT  loccas  se  ilca  Samson 
y  on  elcan  locce  wses  XII  manna  msegen,  ß  mon  donne  je- 
aette  isem  )iel  ofer  dses  f^rea  hrof,  ß  p  aie  eal  mid  mannum 
danne  äfyUed,  y  hiora  bebbe  seshwylc  hamor  on  handa,  y  bit 
donne  an^inne  eal  »tsidre  brastbgan,  ß  da  hameraa  beätaa 
y  deähhwaßder  for  eallnm  dyaan  jedene  ne  mseg  aiö  säwle  hi 
jareatan  inne  of  däm  egesan  de  he  mr  seaeh  tö  p  beö  da 
yrrnde  sefre  mä  for^itan  mage,  äne  helfe  tid  dieses,  de  ehr 
wflBS  äne  niht  an  helle.  Onsitan  we  nt  hü  ae  deofol  acede 
to  dära  hälsan  ancran  hyllewite,  awä  he  him  eäc  asede  keofena 
rScea  wuldrea  wlite ;  ß  he  cüde  awtde  wel,  ^  he  xiihte  eäde 
htt  aecsan  forden  ha  weea  bwilan  aciaende  «ogel  on  beofennm 
riee,  ac  hme  äwearp  Drykten  of  heofemon  for  bis  ofennettum, 
ß  donne  mödisan  üeönd  on  helle  wlte,  fordon  he  dyde  hine 
GECanheäbe  Gode,  ß  jet  he^ran  wölde  doo ;  «^  he  da  fordan  je- 
weard  tö  deöfle  äwend^  ^  ealle  hia  jeferan,  ß  eäc  eaJie  da  de 
wst  hifi  rfflde  w^roo  odde  seflier  beaawon,  ealle  hl  wurdon  of 
dim  ensebcum  hiwe  tö  deöflnm  äweiide,  ß  jeleöllon  da  heom 
an  helle  diöpniaae,  beauncon  ealle  tö  niedere;  ^  fordon  is 
^hwylcnm  deöfle  awide  cüd  hwylc  hit  ia  on  heofennm  rioe, 
mid  Criste  on  d^re  dean  myrhde :  wel  ia  däm  aefre  tö  womlde 


—     105     -. 

de  on  dfi^e  st6we  wunian  möt!  And  d&  cwsBd  se  Deöfol 
tö  dam  anoran  da  git  düs ;  deäh  de  sie  sam  smeteselden  dün 
eal  mid  giininum  asett  sei  sunnan  up^nge  od  neorxna  wonge, 
sf  Bie  donne  oferhlifise  ealle  eordan  brädnesse,  S  d£er  sitte 
donne  sum  cynebearn  an  üfan  dsere  syldenan  düne,  S  he  sie 
eac  an  middan  bis  fere  fegemiBse  S  hie  life,  S  he  möte  ds^r 
sittan  &  od  ende  his  lifes,  S  he  hsebbe  donne  Samsoneswlite 
S  his  wtsdöm,  S  him  sie  eal  middangeard  on  geweald 
seeealdy  mid  eallum  dam  welom  S  dam  weoruldsestreönum 
de  heofen  behweolfed  äbütan,  S  him  Saturnas  döhtor, 
y  deSii  de  him  ealle  streämas  honise  fleöwan,  S  him  danne 
an  eordan  n^efre  nc^re  senig  widerbresta  on  ])isum  life,  deäh 
de  him  sseön  ealle  wynsumnesse  S  ealle  swetnessa  tö  gehrior- 
dum  fordgeborenne,  S  him  donne  sie  singal  sumor  J  lytel 
winter,  ^  he  donne  sie  lange  tö  life  gescapen,  bütan  wrace 
S  bütan  säre,  S  he  donne  deähhwsedere  ne  mseg  for  sorgum 
daet  he  on  eallum  dysumm  wnldre  wunige,  gef  he  s^r  waere  äne 
niht  on  heofonum,  J  eft  dider  möte  S  sceäwigan  dar  dses 
heofoncjninges  ansiöne  S  da  wynsumnesse  de  on  heofonum 
biöd.  Bä  dset  deöfol  dis  eal  hsefde  ä^segd  d&m  haJigan  ancran, 
4ä  forlset  he  hine;  S  se  deöfal  gewät  da  tö  helle  tö  his  ear- 
dongstöwe.  Ac  utan  we  nü,  men  da  leöfestan,  geeamigan 
intö  gödan  dedum  dset  we  tö  üran  Dryhtne  becuman  mötan 
J  him  danne  mid  beön  S  mid  wunigan,  ä  bütan  ende.  In 
ecnesse  däm  Dryhtne  sie  symle  wuldar  S  werdmend  in  ealra 
weorulda  weoruld.     Amen. 

Für  Samsonea  wliie  and  his  wisdom  müssen  wir  also  Salo^ 
niones  lesen.  Samson's  Name  schlich  sich  aus  der  kurz 
zuvor  erwähnten  Stelle  ein. 

In  nächster  Linie  folgen  dann  unsere  altenglischen  Dialoge^) 
fon  Salomo  und  Saturn,  femer  der  prosaische  im  Ms.  Cotton 
Vitellius  A.  XV. 

Was  den  Gegenredner  des  Salomo  in  den  anderen  Sagen, 
]k(arculf ,  betrifft,  so  erscheint  er  in  der  englischen  Literatur 
nur  bei  der  Aufzählung  der  Länder  in  unserem  2.  Gedichte, 


^)  Vgl.  für  die  mittelenglische  Zeit.  Kemble.  S.  89fif.  und  Lydgate's 
Order  of  Fools,  in  E.  E.  T.  S.  Extra  Series  VIII,  79. 


—     106     — 

die  Saturn  durchwandert  hat;  hier  wird  ein  „Marculfes  eard" 
genannt  (v.  188),  als  ob  es  zwischen  Medien  und  dem  Reiche 
SauFs  liegen  würde.  Allerdings  darf  man  darauf  nicht  all- 
zuviel Gewicht  legen,  da  der  Dichter  die  Länder  nicht  nach 
ihrer  geographischen  Lage  aufzählt.  Ob  man  Marculfes  eard 
in  Beziehung  zu  dem  Weallende  Wulf  ^)  der  Philister  bringen 
darf,  möchte  ich  nicht  als  sicher  behaupten. 

Außerdem  erscheint  noch  ein  Mearchealf  in  Widsid 
23  (Gr.-Wülk.  I,  2),  der  über  die  Hundinger  geherrscht 
hätte.  Doch  wird  man  wohl  kaum  die  beiden  identifizieren 
dürfen.  Marculf  ist  sicher  ein  germanischer  Name;  auf- 
fallend ist  in  dem  altenglischen  Worte,  daß  keine  Brechung 
des  a  eingetreten  ist.  Was  der  Name  bedeutet,  ist  bis  jetzt 
noch  nicht  aufgeklärt.  Kemble  (S.  118)  vermutet  Mearcwtdf, 
also  Markenwolf,  Grenzwolf.  Mone  (vgl.  Kemble  S.  130) 
glaubt  die  Bedeutung  als  Spaßmacher,  me  sie  im  Nieder- 
ländischen erscheint,  nachgewiesen  zu  haben.  Eine  merk- 
würdige Stelle  führt  Kemble,  S.  119^),  aus  dem  Gott.  Ms. 
Cal.  A.  III.  fol.  4  an:  „Hethicus  uero  Gosmographus  dicit 
Gog  et  Magog  pluribus  insulis  uel  litoribus  usque  Euxinum 
maris  sinum  inclusos  in  Biritheis  montibus  et  Taracontis  in- 
sulis, contra  ubera  Aquilonis  . . .  Diem  festum  non  habent,  nisi 

quod  mense  Augusto   mediante  colunt  Saturnum 

in  insula  majori  maris  oceani  Taraconta. Appellauerunt 

lingua  sua  Morcholon,  id  est  stellam  Deorum,  quod  de- 
rivato  nomine  Saturnum  appellant."  —  Marculphus  hat  mit 
Saturn  den  Zug  gemeinsam,  daß  auch  er  vom  Osten  her- 
kommt; vgl.  jene  Stelle  der  lateinischen  Bearbeitungen: 
„vidit  quendam  hominem,  Marcolfum  nomine,  qui  ab  Oriente 
nuper  venerat."  Beide  sind  sehr  weise  und  wechseln  Sprüche 
aus ;  mit  der  Zeit  aber  schwindet  der  ernste  Saturn  dahin  und 
wird  zu  dem  listigen  Morolf,  ja  schließlich  zu  dem  niederen 
Marcoul  der  französischen  Fassung.  Kemble  (S.  12)  glaubt, 
daß  die  Umwandlung  der  Dialoge  von  Ernst  zu  Scherz   in 


1)  Vgl.  Kemble,  S.  119  und  Duff,  S.  XII. 

■)  Diese    Stelle    steht    jedoch   nicht    in    Baudet^s  -  Cosmographie 
d'Ethicus.    Paris.  1843. 


—     107     — 

Deutschland,  vor  dem  13.  Jahrhundert,  auf  fränkischem  Ge- 
biete und  zwar  auf  der  linken  Seite  des  Rheines  und  unterhalb 
der  Mosel  vor  sich  gegangen  sei.  Von  da  aus  wanderte  dann 
die  Sage  einerseits  nach  Frankreich,  andererseits  nach  Ober- 
deutschland. 

3.  Über  die  Gottheit  Satnm's  bei  den  Germanen. 

Ein  weiteres  Problem  ist  nun,  ob  wir  auch  einen  Saturn , 
bzw,  Ssetere  etc.  als  germanischen  Gott  ansehen  dürfen, 
wie  frühere  Gelehrte  glaubhaft  zu  machen  versuchten.  Über 
diesen  Punkt  handelte  zuerst  Jacob  Grimm  in  der  zweiten 
Auflage  seiner  deutschen  Mythologie,  I.  Bd.  S.  226—228 
(wörtlich  wiederholt  in  der  vierten  Auflage,  besorgt  von 
Elard  H.  Meyer  I.  Bd.  S.  204—206): 

„Noch  einmal  zurückwenden  muß  sich  die  betrachtung 
auf  einen  namen,  der  schon  s.  104,  105  ^)  unter  den  gottheiten 
der  woche  angeführt  wurde,  und  dem  seltsames  zusammen- 
treffen einzelner  umstände  fast  eine  stelle  in  unserem  ein- 
heimischen alterthum  zu  verschaffen  scheint,  die  hochdeutsche 
woche  läßt  zwei  tage,  gerade  in  der  mitte  und  am  Schluß, 
nicht  nach  göttern  benannt  werden,  wie  aber  mittwoch  ftir 
Wuotanstag,  ist.  auch  sambaztag  haare  neuerung,  welche  die 
kirche  wenigstens  bei  diesen  tagen  durchsetzte  oder  gern  an- 
nahm. Die  sechs  ersten  tage  heißen  nach  sonne,  mond,  Zio, 
Wuotan,  Donar  und  Fria;  welchem  gott  hätte  den  namen 
des  siebenten  herzugeben  gebührt?  für  Mars,  Mercur,  Jupiter, 
Venus  standen  jene  deutschen  gottheiten  zu  gebot,  wie  ließ 
sich  Saturn  verdeutschen?  das  mittelalter  fuhr  fort  den 
siebenten  tag  aus  dem  römischen  gott  zu  erklären,  unsre 
kaiserchronik,  die  auch  beim  dritten,  vierten,  fünften,  sechsten 
der  deutschen  götter  geschweigt  und  nur  von  Mars,  Mercur, 
Jupiter,  Venus  redet,  drückt  sich  unbeholfen  aus: 

an  dem  sameztage  sh 

einez  heizet  rotunda, 

daz  was  ein  herez  betehus. 


I)  Siehe  unten  S.  115  ff. 


—     108    — 

der  got  hiez  Satumüs, 
darnach  was  iz  aller  tivTel  ere, 
hier  ist  Satums  cultas  mit  dem  zu  aller  götter  oder  tenfel 
ehre  errichteten,  Yon  Bonifacius  in  eine  Marienkirche  um- 
gewandelten Pantheon  yerhunden.  Angelsachsen,  Engländer, 
Friesen,  Niederländer  und  Niedersachsen  haben  dem  dies 
Satumi  seinen  namen  selbst  gelassen :  S^teresdSg,  Saetemes- 
däg,  Saturday,  Saterdei,  Saterdach,  Satersdag,  auch  Irländer 
dia  Satuirn,  Satam  angenommen,  während  das  franz.  samedi 
(sabdedi),  span.  sabado,  ital.  sabato  zum  hochd.  samstag 
stimmt,  hier  ist  nicht  nur  ein  begrif,  wie  bei  den  übrigen 
göttern,  sondern  im  namen  gleichheit,  und  der  unyerschobne 
laut  scheint  unmittelbare  entlehnung  zu  yerraten;  oder  sollte 
die  berührung  zufallig  und  ein  deutscher  name  nach  dem 
fremden  verderbt  sein?  weder  ein  ahd.  Sätames  noch  Säzar- 
nestac  läßt  sich  aufweisen,  merkwürdig  aber  bedeutet  ags. 
ssetere  insidiator  (ahd.  säzari,  vgl.  säza,  mhd.  saze  insidiae  = 
läga,  läge),  was  noch  wichtiger  ist,  eine  ags.  urk.  von  £kluard 
dem  bekenner  (chart.  antiq.  rot.  M.  no.  1)^)  liefert  den 
Ortsnamen  Sseteresbyrig,  ganz  dem  Vödnesbyrig  vergleichbar^ 
und  die  pflanze  gallicrus,  nhd.  hahnenfuß,  engL  crowfoot, 
wurde  ags.  sätorläde  benannt,  gleichsam  Satumi  taedium 
(altn.  leidi,  ahd.  leidi)').  ich  erinnere  daran,  daß  schon  die 
alten  Franken  von  Satumus  (s.  88)^)  als  heidnischem  gott, 
imd  von  Satumi  dolium  (s.  105)^)  redeten,  was  freilich  auf 
den  bloßen  planetarischen  gott  bezogen  werden  darf. 

[Nachtrag.    DI.  Bd.   S.  83:   Die  kaiserchronik  3750 
sagt  noch  von  Saturn :  Satumo  dem  wilden  dem  opphere  wir 


*)  Kemble,  Cod.  dipl.  IV,  157.    [Sateres  byrig]. 

')  bei  den  Angelsachsen  haben  sich  verschiedenartige  gespräche 
zwischen  Saturn  und  Salomon  erhalten,  ähnlich  denen  zwischen  Salomon 
and  Harculf  im  innem  Deutschland,  nur  altertümlicher  und  von  der 
christlichen  fassong  oder  Überarbeitung  abgesehn  den  fragen  und  reden^ 
vergleichbar,  welche  in  der  edda  zwischen  Odinn  und  Vafjirudnir, 
zwischen  V!ng])örr  und  Alviss,  zwischen  Här  und  Gangleri  gepflogen 
werden,  der  name  Saturn  scheint  auch  hier  von  belang  und  eines 
heidnischdeutschen  gottes. 

»)  Siehe  den  Bericht  Gregors  S.  109. 

*)  Vgl.  unten  S.  117. 


—     109    — 

daz  koksilber  (quecksilber) ,  während  heute  Saturns  zeichen 
das  hlei  bedeutet  bei  Megenberg  66,  2.  57  wird  Saturn 
Satjar  genannt,  der  sächsische  Saturn  erhält  noch  bestätigung 
durch  die  berufung  des  Hengist  auf  Saturn  (s.  106)^),  und 
das  ags.  sätorläde  paoicnm  cmsgaUi  ist  ein  gras  wie  äy^ojimgy 
des  Kronos  kraut  (zu  s.  997).  an  Satumi  dolium  erinnert  Lu- 
cifer  sedens  in  dolia  upstandinge  s.  41  und  des  tiuvels  vaz. 
Haupts  zeitschr.  7,  327.  was  bedeutet  altn.  scätumir.  Sq. 
222*?]" 

J.  Grimm  hat  hier  die  Stelle  aus  Gregorys  yon  Tours 
(t595):  Historia  Francorum  2,  29 ff.*)  ins  Auge  gefaßt, 
in  der  Chrotchilde  ihrem  Gemahl  Chlodowieh,  den  sie  für  die 
Taufe  gewinnen  will,  die  Nichtigkeit  der  von  ihm  angebeteten 
Götter  darstellt: 

„Igitur  ex  Chrotchilde  regina  habuit  filium  primo- 
genitum.  Quem  cum  mulier  baptismo  consecrare  veUit,  prae- 
dicabat  assiduae  viro,  dicens:  'Nihil  sunt  du  quos  Colitis, 
qui  neque  sibi  neque  aliis  potuerunt  subvenire.  Sunt  enim 
aut  ex  lapide  aut  ex  ligno  aut  ex  metallo  aliquo  sculpti.  No- 
mina Yero  quae  eis  indedistis  homines  fuere  non  du,  ut  Sa- 
turnus,  qui  filio,  ne  a  regno  depelleretur,  per  fugam  elt^Msus 
adseritur,  ut  ipse  lovis  omnium  stuprorum  spurdssimus  per- 
petratur,  incestatur  virorum,  propinquarum  derisor,  qui  nee 
ab  ipsius  sororis  propriae  potuit  abstenere  concubitu,  ut  ipsa 
ait:  lovisque  et  soror  et  coniux. 


0  Siehe  anten  S.  114. 

«)  Ed.  W.  Arndt  et  Br.  Kniach.  Hannoverae.  1884.  4».  Bd.  I. 
S.  90.  Vgl.  dagegen  Rettberg,  Fr.  W. :  Kirchengeschiehte  Dentachlands. 
Göttingen.  1846.  L  S.  273:  „Glodwiga  Gemahlin  Clotilde  ans  burgnn- 
diflehem,  aber  rechtgläabigem  Stamme  hatte  nach  Gregori  Bericht  ja 
längst  sdn  Herz  bearbeitet,  wenn  anch  die  ihr  in  den  Mund  gelegten 
fteden  wohl  nnr  eine  Zntat  des  Berichtentatters  sind.  Der  Beweis  für 
die  Nichtigkeit  der  heidnischen  Götter  wird  darin  lediglich  aus  dar 
klassischen  Mythologie  geführt,  wie  Satnm  vor  seinem  Sohn  geflohen 
Jupiter  alle  Unzucht  geübt,  Mars  und  Merkur  nur  dämonische  Mächte 
seien,  und  dergleichen  Reminiscenaen  aus  älterer  lateinischer  Apologetik 
mehr.**  Siehe  auch  Elard  Hugo  Meyer  in  seiner  Germanischen  Mythologie 
(1891)  S.  51  über  Satumus-Freyr  in  den  romanischen  oder  antiken 
Rittersagen. 


—     110    — 

Grimm  fährt  daDn  fort  S.  205:  „Dieser  letzte  Dame  des 
sabbats  führt  auf  das  altn.  laugardagr,  schwed.  lögerdag,  dän. 
löverdag,  worunter  man  späterhin  sicher  den  wasch-  oder 
badetag  meinte,  wie  der  gleichbedeutende  {)yottdagr  lehrt; 
aber  früher  könnte  ein  Lokadagr,  Logadagr  gegolten  haben  ^) 
und  Logi,  Loki  dem  lat.  Satumus  entsprechen,  wie  das  volk 
die  in  Loki  nachgewiesene  idee  des  Teufels  auf  den  jüdischen 
satan  und  heidnischen  Saturn  überträgt  und  Loki  altn.  zu- 
gleich Verführer,  verlocker,  nachsteller  ist.  Sogar  ein  neben- 
name  Odins  aus  Ssem.  46*^  Sadr  oder  etwa  Sädr  käme  in 
betracht,  obschon  ich  es  vorziehe,  die  erste  form  für  Sannr, 
und  Sanngetall  gleichbedeutend  zu  nehmen. 

Unabweisbar  mahnt  aber  jene  ags.  Saeteresbyrig  aus 
der  mitte  des  11.  jh.  an  die  bürg,  welche  unsere  bisher  ver- 
achteten meidungen  des  16.  jh.  in  Bothes  Sachsenchronik  auf 
dem  Harz  dem  abgott  Saturn  errichten  lassen,  und  diesen 
Saturn,  wie  beigefügt  wird,  hieß  das  gemeine  volk  Krodo, 
wozu  wir  den  s.  170  berührten  namen,  für  welchen  ein  älteres 
Hruodo,  Chrodo  gemutmaßt  wurde,  herholen  dürfen.  -)  von 
Saturn  oder  Krodo  ist  zugleich  ein  bild  überliefert,  das  den 
götzen  als  mann  darstellt,  der  auf  einem  großen  fische  steht, 
in  der  rechten  ein  getäß  mit  blumen  und  in  der  linken  ein 
emporgerichtetes  rad  hält^) ;  dem  römischen  Saturn  wurde  die 
Sichel,  kein  rad  beigelegt. 


^)  Vgl.  Finn  Magnusen  lex.  s.  1041.  1042. 

*)  auf  Hrödo  ließe  sich  nun  jenes  Roysei  (die  spätere  schreibang 
ist  Reusei)  und  Roydach  bei  Gramaye  ziehen,  der  an  Mars  denkt:  Ur- 
kunden müsten  erst  außer  zweifei  setzen,  welcher  Wochentag  gemeint 
sei.  Hruodtac  ist  gerade  ahd.  mannsname  (Graff  5,  362),  alts.  flroddag 
gewähren  trad.  corb.  §  424  ed.  Wigand ;  sie  können  sich  zu  Hruodo, 
Hrödo  verhalten  wie  Baldag  zu  Baldar,  und  die  Kürzung  Roydag,  Rodag 
gliche  dem  Roswith  f.  Hrödsuith.  es  wäre  ein  starkes  zeugnis  für  den 
Chrodocultus,  wenn  Roydag  der  siebente  der  woche  ist;  bleibt  es  beim 
dritten,  so  darf  angeschlagen  werden,  daß  auch  der  dritte  Monat  dem 
Mars  geheiligt  war  und  den  Angelsachsen  Hr§dem6nad  hieß  (s.  170). 

')  Vgl.  dazu  eine  Stelle  aus  Richard  Owen  Cambridge's  "Scrib-? 
leriad"  (1751).  zitiert  bei  Henry  A.  Beers:  A  History  of  English  Ro- 
manticism  in  the  Eighteenth  Century.    London  1899.  8^  S.  228: 
But  chief  the  Saxon  wisdom  be  your  care, 
Preserve  their  idols  and  their  fanes  repair; 


—   111   — 

[Nachtrag.  III.  Bd.  S.  83.  DeHus  s.  41.  50  fuhrt 
krodeDduvel,  krodenheuker,  krodenkind  an.  rührt  der  erste 
aus  Botho?  pravi  spiritus  id  est  de  kroden  duyels  heißt  es 
im  gegensatz  zu  den  guden  holden  (s.  377)  in  einer  hildes- 
heim,  handschrift  des  16.  Jahrhunderts  froschmeus.  Hb.  YIII*: 
so  ungestalt  wie  man  den  kroden  teuffei  mahlt. 

Jomandes  de  rego.  succ.  p.  m.  2  hat  den  stamm  Saturnus, 
Picus,  Faunus^  Latinus  vgl.  561.  GDS.  120.  der  dem  Saturn 
entsprechende  slav.  Sitivrat  ist  der  indische  Satjavrata  d.  h. 
nach  Kuhn  der  wahrhafte  (erfüllte)  gelübde  hat,  so  auch 
Dhritavrata,  der  erhaltene  gelübde  hat  =  Varunas.] 

Hier  scheinen  slavische  Vorstellungen  einzugreifen.  Widu- 
kind  (Fertz  5,  463)  nennt  ein  ehernes  simulacrum  Saturni  bei 
den  Slaven  des  10.  jh.,  ohne  es  irgend  zu  beschreiben;  nun 
fuhren  altböhmische  glossen  bei  Hanka  14'  und  17'  weiter, 
in  der  ersten  wird  Mercurius  Radihost  wnuk  kirtow  (Badigast 
enkel  des  Kirt),  in  der  andern  Picus  Saturni  filius,  ztracec 
sitivratow  zin  (specht  söhn  des  Sitivrat)  genannt,  und  in  einer 
dritten  20'  heißt  Saturn  nochmals  Sitivrat.  wer  sieht  nicht, 
daß  Sitivrat  Satums  slavischer  name  ist,  der  zunächst  auf 
sit  =  satur  leitet?  Radigast  =  Mercur  (s.  108)  ist  des 
Stracec  =  Picus  söhn,  wie  griechische  mythen  Picus  (UlKog) 
dem  Zeus  gleichstellen,  und  ihn  das  reich  seinem  söhne  Hermes 
abtreten  lassen.  Picus  ist  Jupiter,  Saturns  söhn ;  außer  Sitivrat 
vernehmen  wir  noch  einen  anderen  namen  Satums,  nämlich 
Kirt,  der  offenbar  unser  Krodo  und  Hruodo  scheint.  Sitivrat 
und  Kirt  bestätigen  Saturn  und  Krodo,  ich  weiß  nicht,  ob 
bei  dem  slavischen  wort  an  das  böhm.  krt,  poln.  kret,  russ, 
krot  d.  i.  maulwurf  gedacht  werden  mag.^)  größere  lust  hätte 
ich  dem  namen  Sitivrat  den  nebensinn  von  sitovrat  (siebdreher) 
einzulegen,  so  daß  er  beinahe  gleichviel  mit  kolovrat  (rad- 
dreher)  wäre,  und  aufscfaluß  über  jenes  rad  des  Krodo  gäbe ; 
beide  rad  (kolo)  und  sieb  (sito)  laufen  um  und  ein  alter 
Zauber  lag  in  dem  siebdrehen.    Slavische  mytfaologen  haben 


And  may  their  deep  mythology  be  shown 
By  Seater's  wheel  and  Thor's  tremendous  throne.'^ 
^)  Bchwerlich  an  Kreta,  wo  Kronos  herrschte  und  Zeus  geboren  ward. 


—     112    — 

8itivrat  mit  dem  indischen  Satjavrata,  der.  au8  ^ner  großen 
Wasserflut  in  fischgestalt  durch  Vischnu  errette  wird,  zu- 
sammengehalten. Krodo  steht  auf  einem  fisch,  und  Vischnu 
'Wird  blumenkränze  um  den  hals,  in  seiner  vierten  hand  em 
rad  (tschakra)  tragend  vorgestellt.^)  Alle  diese  bezöge  sind 
noch  kahl  und  unsicher,  aber  sie  reichen  hin  das  hohe  alt^ 
eioer  deutschslavischen  göttersage,  die  an  mehreren  ecken 
hervorbricht,  zu  bewähren.^ 

Auf  Grimm  faßt  J.  M.  Kemble :  TheSaxons  in  Eng- 
land. A  new  edition,  revised  by  Walter  de  G-ray  Bir-ch. 
London.  1876.    L  Bd.    S.  372: 

^Among  the  Oods  invariaUy  mentioned  as  having  been 
worshipped  by  our  forefathers  is  one  who  answered  to  the 
Latin  Satumus,  at  least  in  name.  From  the  seventh  week- 
day  we  may  infer  that  his  Anglosaxon  name  was  S»tere, 
perhaps  the  Placer  or  Disposer^);  for  Ssetevesdseg  seems  a 
more  accurate  form  than  Saetemesdseg  whicb  we  sometimes 
find.  There  are  both  names  of  places  and  of  plants  formed 
upon  the  name  of  this  god:  as  Satterthwaite  in  Lancaahire^ 
Satterleigh  in  Devonshire  and  Saeteresbyrig  ^)  in  the  same 
county,  of  which  there  appears  to  be  no  modern  representadve ; 
white  among  plants  the  Gallicrus,  or  common  crowfoot,  is 
called  in  Anglosaxon  Satorl&de.  The  appearance  of  Ssr 
tumus  as  an  interlocutor  in  such  a  dialogue  as  the  Salomon 
and  Saturn  is  a  forther  evidence  of  divinity;  so  that,  taking 
all  circumstances  into  account,  it  is  probable  that  when  Gre- 
gory of  Tours,  Geoffrey  of  Monmouth  and  others,  number  htm 
among  the  Teutonic  gods,  they  are  not  entirely  mistaken.  Now 
there  has  been  a  tradition,  in  Germany  at  least,  of  a  god 
Ghrödo,  or  Hruodo,  whose  Latin  name  was  Saturn,  and  whose 
fignre  is  said  to  have  been  that  of  an  old  man  standing  upon 
a  fish,  and  holding  in  one  hand  a  bündle  of  flowers,  while 
the  oiher  grasps  a  wheel.  Grimm  imagines  herein  some 
working  of  Slavonic  traditions,   and  foUowing  the  Slavomc 


^)  Edw.  Moore  the  Hindu  pantheon.    Lond.  1810,  tab.  13  und  23. 
')  Grimm  seems  rather  to  imagine  insidiator.    Myth.  p.  226. 
»)  Cod.  Dipl  Nr.  813  [Bd.  IV.  157]. 


—     113     — 

Interpreters  conDects  this  Cbrödo  with  Kirt  or  Sitivrat,  and 
again  with  some  Sanskrit  legend  of  a  Satjavrata.^)  But 
the  reasoning  seems  inconclusive,  and  hardly  sufficient  to 
jastify  even  the  very  cautious  mode  in  which  Grimm  expresses 
himself  abont  this  Slayo  -  Germanic  godhead.')  More  than 
this  we  cannot  say  of  the  Anglosaxon  Ssetere,  whose  name 
does  not  appear  in  the  royal  genealogies;  nevertheless  we 
cannot  doubt  the  existence  of  some  deity  whom  our  fore- 
fathers  recognized  under  that  name." 

Zum  Beweise  für  die  Gottheit  Satam's  bei  den  Germanen 
wnrde  Ton  Grimm  die  Berufung  des  Hengest  auf  Saturn  bei* 
gebracht  (4.  Aufl.  S.  106):  „Unsere  Vorfahren,  in  natür- 
licher täuschung  befangen,  hüben  wohl  schon  frühe  an,  den 
Ursprung  der  wochentagnamen  auf  die  eigenen  götter  ihrer 
heimat  zu  beziehen.^ 

Wilhelmus  malmesbur.,  die  ankunft  der  Sachsen 
in  Britannien  berichtend ,  erzählt  von  Hengist  und 
Horsa,  daß  sie  aus  dem  edelsten  geschlecht  abstammten: 
erant  enim  abnepotes  illius  antiquissimi  Vo  d  e  n ,  de  quo  om- 
nium  pene  barbararum  gentium  regium  genus  lineam  trahit, 
quemque  gentes  Anglorum  deum  esse  delirantes,  ei  quartum 
diem  septimanae,  et  sextum  uxori  ejus  Freae  perpetuo  ad 
hoc  tempus  consecraverunt  sacrilegio  (Savile  1601,  p.  9).  Um- 
ständlicher bei  Galfredus  monemut.  (lib.  6  ed.  1687. 
p.  43),  Hengist  sagt  zu  Vortigern:  ingressi  sumus  maria, 
regnum  tuum  duce  Mercurio  petirimus.  ad  nomen  itaque 
Mercurii  erecto  vultu  rex  inquirit  cujusmodi  religionem  ha- 
berent?  cui  Hengistus:  deos  patrios  Saturnum,  atque 
ceteros,  qui  mundum  gubemant.  colimus  maxime  Mer- 
curium  (wie  bei  Tac.  9),  quem  Woden  lingua  nostra  appel- 
lamus.  huic  veteres  nostri  dicaverunt  quartam  septimanae 
feriam,  quae  usque  in  hodiernum  diem  nomen  Wo  de  nesdai 
de  nomine  ipsius  sortita  est.  post  illum  colimus  deam  inter 
ceteras  potentissimam,  cui  et  dicaverunt  sextam  feriam,  quam 
de   nomine  ejus  Fredai  vocamus.     Da   Matthaeus   west- 


')  Deut.  Myth.  p.  227. 
')  See  Salomon  and  Saturn,  p.  129. 
Mttncbener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.    XXXI. 


—     114    — 

monast  (flores^  ed.  1601.  p.  82)  in  ehuselnem  abweicht, 
mögen  auch  DOch  seine  Worte  hier  stehen:  cumque  tandem 
in  praesentia  regis  (Vortigemi)  essent  constitnti,  quaesiiit  ab 
eis,  quam  fidem,  quam  religionem  patres  eonim  oolnissent? 
cni  Hengistus:  deos  patrios,  scilicet  Satunram,  Jovem  atque 
ceteros,  qui  mundnm  gubernant,  colimas,  maxime  antem  Mer- 
cariam  quem  lingna  nostra  Voden  appeUamus.  huic  patres 
nostri  yeteres  dedicavenmt  quartam  feriam  septimanae,  qnae 
in  hone  hodiemum  diem  Vodenesday  appellatur.  post  illnm 
oolimns  deam  inter  ceteras  potentissimam,  vocabulo  Fream, 
CQJus  vocabulo  Friday  appellamns.  Frea  nt  Tolunt  quidam 
idem  est  qnod  Venus  et  dicitur  Frea,  quasi  Froa  a  frodos, 
quod  est  spama  maris,   de  qua  nata  est  Venus  secundum  fa- 

bulas,  unde  idem  dies  appellatur  dies  Veneris ^ 

Dazu  stimmt  die  Unterredung  Hengest's  mit  Vortigem 
in  Lagamon^s  Brut  v.  13897  ff.  (ed.  Sir  F.  Madden,  London 
1847.  Vol.  n.  S.  157): 

We  habbed  godes  gode,   |)e  we  luuied  an  ure  mode: 

])a  we   habbed  hope  to,   and  heored  heom  mid  mihte. 

[)e  an  hsehte  Phebus,  ))e  oder  Saturnus, 

{)e  |)ridde  hsehte  Wodan,  })at  is  an  weoli  godd. 

I>e  feorde  hseh[te]  Jupiter,  of  alle  l)inge  he  is  whar ; 

J)e  fifte  haehte  Mercurius,  l)at  is  l)e  hsehste  euer  us. 

])se  saRzte  haehte  Appollin,  |)at  is  a  godd  wel  idon. 

])e  seouede  hatte  Teruagant,  an  hseh  godd  in  ure  loD[d] . . 

Saturnus  heo  giuen  saetterdaei,  l)ene  Sunne  heo  giuen 

sonedaei. 

Vergleiche  dazu  den  Bericht  von  Wace^)  in  seinem: 
Le  Boman  de  Brut,  v.  6921  ff. : 

Par  le  sort  qui  sor  nous  chai 
Avons  nostre  pais  guerpi, 
Et  Mercures  nous  governa 
ün  Diex  qui  nous  amena  <;a. 
Quant  li  rois  a  o'i  nomer 
Le  Deu  quis  ot  k  govemer; 


*)  ed.  Le  Roux  de  Lincy.    Rouen.  1836.  4«.    L  319-320. 


—     115     — 

Draaanda  lui  quel  gent  avoient 

Et  en  quel  Den  dont  il  cr6oient: 

Kons  avonSy  fait-il,  pluisors  Dels 

A  qui  Doas  devuns  faire  autels, 

Ce  est  F4bus  et  Saturnus 

Jupiter  et  Mercurius. 

Altree  Dex  avons  nous  pluiBors 

Solooe  la  sant  as  anceseor« 

Mais  sor  tos  altres  honoroo, 

Ce  T0U8  di  bien,  Merourion 

Qui  en  nostre  luigage  a  non 

Wodeo;  par  grant  religiau 

Notre  anoiesor  taut  l'oDor^rent 

Que  le  quart  jor  li  consacr^rent ; 

Pour  Woden  lor  Deu  qu'il  am^rent 

Wodesdai  le  qart  jor  nom^rent 

Et  eneor  a  non  Wodesdai. 
Tacitus  scheint,  wie  G-rimm  S.  99  ausführt,  ,,keine  be- 
nennung  römischer  gottheiten  ohne  vorsieht  und  Überlegung  zu 
brauchen,  er  nennt  bloß  Mercur  und  Mars  (Grenn.  9.  ann.  13, 67 
biet.  4,  64),  von  vergötterten  beiden  Hercules,  Oastor  und  Pollux 
{Germ.  9.  43),  von  göttinnen  Isis  (Germ.  9),  die  terra  mater, 
mit  deutschem  namen  (Germ.  10),  die  mater  deum  (G-erm.  45). 
<7anz  unvergleichbare,  z.  b.  Apoll  oder  Bacchus  werden  niemals 
verglichen.  Das  auffallendste  ist,  daß  Jupiter  nicht  vorkommt, 
und  die  auszeichnung  Mercurs,  der  b^  den  Kömem  nur  eine 
^ottheit  zweiten  rangs  Uldet,  hier  als  vornehmste  unter  allen 
erscheint :  deorum  maxime  Mercurium  colunt,  dem  auch  allein 
menschenopfer  fallen,  während  Mars  und  Hercules  sich  mit 
thieren  begnügen,  das  hervortreten  Mercurs  erklärt  sich 
wahrscheinlich  daher,  daß  dieser  gott  auch  unter  den  Galliern 
als  haupt^ottheit  verehrt  und  zumeist  abgebildet  wurde  (deum 
maxime  Mercurium  colunt,  hujus  sunt  plurima  simulacra, 
Jul.  Gaes.  6,  17),  die  blicke  der  Römer  nach  Deutschland 
immer  aber  Gallien  im  Vordergrund  sahen;  vielleicht  hatten 
auch  gallische  berichterstatter  den  germanischen  gott  in  dieses 

licht  gestellt "^ 

Am  meisten   schien  für  die  Gottheit  Satum's  die  Be- 

8* 


—     116     — 

Zeichnung  des  letzten  Tages  der  Woche  bei  mehreren 
niederdeutschen  Völkern  zn  sprechen,  worüber  sich  Grrinim 
S.  104  äußert:  „Zumeist  verschieden  war  wohl  der  name  des 
siebenten  (tages),  man  bildete  nach  dies  Satumi  Säteresdag? 
vgl.  westph.  Saterstag,  Saiterstaig  Günther  3,  502  (a.  1366)« 
Ssp.  2f  66  liest  eine  hs.  für  sunavend  Satersdach. 

[Nachtrag.  III.  Bd.  S.  47:  sonnavend  Elempin.  sater- 
dag  ist  nl.  und  westf.,  nicht  sächs.  saterstag  Seibertz  s.  724^. 
1352.  satirsdach  Marienlieder.  Haupts  zeitschr.  10,  80.  81. 
saterstag  spinnr.  evang.  Cöln  (1538).  titel.  Freidank  169,  15 : 
suones  tac  verwandelt  eine  hs.  in  satersdach.  soterdag  Fir* 
menich  1,  30P.     sorreschteg  in  Eupen  a.  o.  1,  495]. 

Mnl Vn.  Saterdach  Maerl.   2,  114.  120.  123.  157. 

159.  276.  3, 197.  343,  daneben  sonnacht  Maerl.  2, 164.  3,  240. 

[Nachtrag.  IIL  Bd.  S.  47:  saterdach  Decker,  im  leven 
van  Jezus  s.  27.  28.  74.  75.  234  wird  der  jüdische  begriff 
von  sabbat  unpassend  immer  durch  saterdach  gegeben.] 

Nnl.  VII  Zaterdag. 

Altfries.  Saterdei,  belege  für  alle  diese  formen  hat  Bicht- 
hofen.^) 

Neufries.  VII.  sniuwn,  snioun,  gekürzt  aus  sinnejuwn, 
Sonnabend,  vgl.  tegenwoordige  Staat  van  Friesland  1,  121. 
Wassenberghs  bidraghen  2,  56.  Halbertsma  naoogst.  s.  281.  282. 

[Nachtrag  III.  S.  47:  wie  VII  sniuon,  snioun  ist  sna- 
vendes  aus  sunavendes  gekürzt  in  einer  anhaltischen  urk.  von 
1322  bei  Höfer  s.  163. 

Nordfriesische  formen  bei  Outzen  s.  38.*)  VII.  das  nordfr. 


1)  Altfriesischea  Wörterbuch.  Göttingen  1840.  S.  1000:  W.  389, 
16.  19.  390,  3.  31.  415,  12.  a.  1468  Schw.  623. 

•)  Glossarium  der  friesischen  Sprache.  Herausgeg.  von  Engelstoft 
und  Kolbech.  Kopenhagen  1837.  S.  38:  7.)  Sennan,  NordbulL  Sanneen^ 
Silt  Sennin.  Auf  den  westl.  Inseln  auch  Saterdei,  und  selbst  bei  den 
Saterländern  wie  bei  Wiarda,  wo  man  die  Namen  der  Tage  findet,  wie 
im  Ags.  seater-dseg,  engl,  saturday.  Mit  diesen  ist  zu  vergleichen 
Christoph  Amold^s  „Altsächsische  Wochengötzen,  s.  Saterdei.''  S.  297: 
„Saterdei,  der  Sonnabend,   auf  Silt,   W.  Br.  W.  B.   Kil.  Saterdag,  dies 

Saturni, Meines  Bedünkens  hat  er  aber  ebensowenig  den  Namen 

von  Saturn,  als  die  Saterländer,  welche  auch  selbst  diesen  Tag  Satertag 
nennen ;  s.  Hoche's  Reise.  S.  159 Weit  glaublicher  scheint  es  mir 


—     117     — 

in  abend  in  sennin  gleicht  dem  een  abend  in  der  englischen 
Volkssprache,  schott.  gude  eerif  Shakesp.  gooden.] 

Ags.  VU.  Ssetres  däg,  Sseternes  dag. 

Engl.  VII.  Saturday. 

Altn.  VIL  laugardagr  [Nachtrag  III.  S.  47  Altn.  Gula|). 
s.  9 VII  J)?atdagr. 

Schwed.  lördag  [Nachtrag  VII.  löghurdagh.  östg.] 

Dan.  löverdag  [Nachtrag  S.  48.  Jütisch.  VII  Luora. 
Foersom.  s.  12]. 

Man  sieht,  nur  in  dem  siebenten  tag  entfernt  sich  der 
nord.  name  von  dem  sächsischen  und  friesischen:  laugardagr 
bedeutet  badetag,  weil  am  Schluß  der  woche  gebadet  wurde, 
und  doch  ist  vielleicht  hier  Zusammenhang?  ein  lat.  gedieht 
des  neunten  jh.  auf  die  Schlacht  von  Fontenay  (Bouquet  7, 
304)  hat  den  merkwürdigen  vers:  sabbatum  non  illud  foit, 
sed  Saturni  dolium,  ein  teufeis  bad? 

Wenn  auch  die  Germanen  von  frühster  zeit  an  die 
siebentagwoche  nach  den  reihen  und  folgen  des  mondwechsels  ^) 


zu  seyn,  daß  er  diesen  Namen  daher  bekommen,  weil  er  bei  der  Ab- 
teilnng  in  Wochen  das  Ende  derselben  macht;  so  wie  so  manche  örter, 
und  besonders  in  unserem  Lande,  Satdorp,  Baterthorp,  Saterup  aus 
gleichem  Ursprünge,  als  Gränzörter,  wenigstens  ehemals  benannt  worden.^ 
—  Siehe  ferner  J.  ten  Doomkaat  Koolman:  Wörterbuch  der  osttriesi- 
Bchen  Sprache.  Norden.  1884.  IIL  Bd.  S.  86:  „sater-dag,  Sonnabend.  — 
Sprichw.:  d'r  is  g^n  saterdag  so  nat,  of  de  sünn'  schind  altid  wat;  — 
od.  d'r  is  gen  saterdag  so  kw&d,  of  de  sünn'  schind  frö  of  lat  etc.  — 

Es  wird  hier  auch  als  Beschwörungs-,  Kraft-  oder  Fluchwort  ge 

braucht,  ähnlich  wie  sakkerlöt  etc.  (z.  B.  saterdag!  wat  is  dat  od.  wat 
is  d'r  nn  mSr  los;  —  saterdag  nog^n  mal,  dat  kwam  d'r  up  an;  —  du 
saterdag  fan  'n  jang',  od.  du  saterdags  junge,  du  schast  ferdomd  wesen;  — 
bi  'n  saterdag,  kanst  da  net  hören;  —  bi'n  saterdag,  wat  deist  du  dnfel 
dar  etc.),  woraas  man  wohl  schließen  muß,  daß  darin  noch  eine  vom 
Gott  Saturn  herrtihrende  Beminiscenz  aus  altheidnischer  Zeit  stecken 
blieb."  Vgl.  femer:  Cirk  Heinrich  Stnrenburg:  Ostfriesisches  Wörter- 
buch.  Aurich  1857.  S.  210:  Saterdag  1.  Sonnabend;  holl.  zaturdag 

2.  Bösewicht,  Tangenichts  —  ein  Schimpfname  —  in  diesem  Sinne  je- 
doch gewöhnlich  Ssaterdagg  ausgespr.;  B.  W.  B.  satrian  Teufel;  —  er- 
innert wohl  an  den  seine  Kinder  verschling.  Saturn  oder  an  „Satyr^, 
holL  sater  (Spötter). 

1)  „dem  lat.  worte  vix,  gen.  vicis  entspricht  das  unverschobene 


—    118    — 

gekannt  haben,  ao  ist  ihnen  die  benennung  der  tage  und  deren 
anordnuDg  offenbar  aus  der  fremde  zugebracht  worden,  sonst 
würde  einzelnes  abw^hen,  und  Saturn  aus  dem  spiel  ge- 
blieben sein,  für  den  sich  kein  einheimischer  gott  darzubieten 
scheint 

[Nachtrag  S.  48:  Auch  Snorri  im  formäli  hat  Inter- 
pretationen und  ▼ergleichuDgen  aus  der  bibel  und  der  dassi- 
schen  mjthologie.    den  Freyr  hält  er  zu  Saturn.]^ 

Sind  wir  nun  nach  allen  den  beigebrachten  Stellen  wirk- 
lich berechtigt,  Saturn  in  das  Reich  der  germanischen 
Götter  aufzunehmen?  Ich  glaube  dies  entschieden  in  Abrede 
stellen  zu  müssen,  da  diese  Beweise  einer  wirklich  kritischen 
Prüfung  nicht  Stand  zu  halten  yermögen. 

Es  ist  ja  auffallend,  daß  die  meisten  Niederdeutschen  den 
4.  und  7.  Tag  in  abweichender  Fcmn  erhalten  haben  (ndl. 
Zaterdagh,  ndd.  säterdach,  engl.  Saturday)^),  während  die 
Oberdeutschen  diese  Tage  durch  „Mitte  der  Woche^  und 
„Sambaztac^  ersetzten.^)  Das  Fehlen  des  Wuotanestac  kann 
Mogk^)  nur  daraus  erklären,  daß  die  „oberdeutschen  Stämme 
keine  Gottheit  verehrten,  die  sie  für  den  römischen  Mercurius 
einsetzen  konnten,  wie  auch  bei  allen  germanischen  Stämmen 
keine  den  Saturnus  wiederzugeben  yermochte.^ 

Wenn  die  Germanen  bei  der  Übernahme  der  römischen 
Kultur  die  Tage  ihren  eigenen  Gottheiten  weihten,  die  meist 
mit  den  römischen  übereinstimmten,  so  Sonne  und  Mond  für 
den  1.  und  2.  Tag,  Tiw,  der  dem  Mars  entspricht  (noch  heute 
in  Tuesday),  für  den  3. ;  Wodan  für  den  4.,  also  wie  dies  Mer- 
ciurii;  Bunor  für  den  6.,  dies  Jouis;  Freya  für  den  6.,  dies 
Veneris;  so  erblicke  ich  in  dem  niederdeutschen  Saetere  für 
den  7.,  dies  Saturni,  nur  eine  Übertragung  des  lateinischen 
Gottes,  also  eine  gelehrte  Entlehnung.  Dies  wird  mir  bestärkt 


goth.  Tiko,  ahd.  wecliä  und  wehaal,  beide  der  wurzel  veika,  Taik,  ahd. 
yvicbu,  weih  gehörend,  weil  der  weohsel  ein  weichen  (recedere)  ist " 

1)  Vgl  Khige:  Vorgeachichto '  etc.  344  und  Etymol.  Wörterbueh*, 
unter  Samstag. 

^)  Vgl.  auoh  Kemble,  S.  128. 

>)  In  Paul's  Grundriß*  II,  329;  siehe  auch  MüUeahofi;  Deutseha 
▲Itertamskonde  V,  644. 


—     119    — 

durch  die  Notiz  in  Byrhtferhth's  Handboc  (ed.  Kluge  in  Anglia 
VIII,  321):  Ja  dagnm  Romani  y  eac  Angli  gehalgedon  od 
)>i8ra  tangla  gemynde  heora  dagas,  y  ))8eDe  forman  dseg  hig 
heton  sunnandseg  for{)an  heo  ys  ealra  tungla  wlitegost ....  % 
«^  )>one  seofodan  Saturnus.  Hig  wendon  ure  yldran  {)set 
hig  h^don  gast  of  Ji^re  sunDan  S  lichaman  of  )>am  monaD 

S  wsetan  of  Saturno ....  ))se9  sunnandseges  nama  wsm 

of  |)aBre  sunnaD  S  )>des  monandsßges  of  {)£e8  moDan ^ 

Saeternes  daeg  of  Saturno  ioris  fseder. 

Was  die  Berichte  über  Saturn  bei  den  emzeken  Autoren 
des  Mittelalters  betrifft,  so  sagt  schon  Jacob  Grimm  mit  bezug 
auf  Gregor  von  Tours  in  der  Mythologie  (2.  Aufl.  S.  96, 
4.  Aufl.  S.  88):  „Was  uns  Gregor  tur.  2,  29 — 31  von 
Chlodovicbs  taufe  und  den  ihr  vorhergegaDgenen  begeh  en- 
heiten  meldet,  ist  sichtbar  verziert  imd  namentlich  halte  ich 
die  reden  der  königin  für  erdichtet.^ 

Allerdings  fallt  dann  auf,  wenn  er  fortfahrt:  „Solch  ein 
umständlicher  bericht  von  Chlodovichs  heidenthum,  kaum  hun- 
dert jähre  nach  dem  ereignis  und  aus  dem  mund  eines  unter- 
richteten geistlichen,  wäre  abgeschmackt,  wenn  ihm  gar  nichts 
wahres  unterläge,  sobald  Gregor  einmal  an  die  stelle  der 
fränkischen  götternamen  lateinische  setzte  (worin  er  ganz  die 
ansieht  und  gewohnheit  seiner  zeit  befolgte),  muste  er  von 
selbst  darauf  gerathen,  auf  diese  namen  auch  lateinische  fabehi 
zu  beziehen,  und  es  ist  nicht  zu  übersehen,  daß  die  vier  ge^ 
nannten  gotter  lauter  Wochentaggötter  sind,  d.  h.  dergleichen 
völlig  hergebracht  war  den  einheimischen  gottheiten  zu  iden* 
tificieren ^ 

Aber  auch  dieses  erscheint  gemildert,  da  bereits  Rettberg 
erkannte,  daß  Saturn  hier  doch  im  Liebte  des  klassischen 
Altertums  erscheint,  „indem  der  Beweis  für  die  Nichtigkeit 
der  heidnischen  Götter  lediglich  aus  der  klassischen  Mytho- 
logie geführt  wird,  wie  Saturn  vor  seinem  Sohne  geflohen  etc.** 
(vgl.  oben  S.  109.  Anm.). 

Unterziehen  wir  nun  die  anderen  Berichte  der  alten  Ge- 
schichtsschreiber über  Saturn  einer  kritischen  Prüfung,  so 
können  wir  auch  hier  den  Platz  des  germanischen  Gottes  er- 


—     120     -  . 

schlittern.  Galfridas  monemut.  ist  längst  als  ein  Lügen- 
historiker  erkannt  worden  und  der  auf  Wace  beruhende  Bericht 
Lasamon's  kann  als  eine  späte  und  gelehrte  Stelle  von  vorn- 
herein  ausgeschaltet  werden. 

Auch  der  Satum  unserer  ae.  Dialoge,  in  dem  Jacob 
Grimm  einen  heidnisch-deutschen  Gott  sah  (siehe  oben  S.  108. 
Anm.  2),  ist  für  seine  Hypothese  hinfallig,  da  Satum  nach 
▼erliegender  Untersuchung  als  ein  Belehrung  suchender  Chal- 
däerfurst  erwiesen  ist.  Ein  weiterer  Beweis  gegen  die  Gott- 
heit ist  darin  zu  erkennen,  daß  Saturn,  bzw.  Ssetere  in  keiner 
ae.  Genealogie  erscheint,  ebenso  daß  Satum  dem  Tacitus  nicht 
bekannt  ist,  der  nach  Grimm  „keine  benennung  römischer 
gottheiten  ohne  vorsieht  und  Überlegung  zu  brauchen  scheint." 

Schließlich  scheinen  mir  auch  die  ae.  Lokalnamen  gar 
keine  Beweiskraft  zu  besitzen.  Ich  möchte  besonders  darauf 
hinweisen,  daß  diese  Namen  sich  entweder  im  Norden  Eng- 
lands Torfinden,  also  in  jener  Gegend,  in  welcher  unsere 
Salomo-Saturn-Sage  wohl  entstanden  und  besonders  heimisch 
gewesen  ist,  oder  in  der  äußersten  Südwestecke,  also  auf  ehe- 
maligem keltischen  Boden.  Joseph  Wright  in  seinen:  The 
English  Dialect  Dictionary  scheint  jede  Beziehung  zu  einem 
Saturn  zu  leugnen,  wenn  er  S.  310  anfuhrt:  Seater,  ab. 
The  pasturage  attached  to  a  dwelling;  a  meadow;  esp.  used 

in  place   names Setter,  sb.     Also  written  setr; 

and  in  form  saeter,  The  pasture  near  a  farm  or  collection 
of  peasants'  houses;  also  very  common  in  names  of  places 
[ON.  setr,  a  seat,  residence].   Vgl.  auch  S.  96  Anm.  1, 

Am  schlimmsten  steht  es  mit  demjenigen  Argument,  welches 
die  Zugehörigkeit  Saturn's  zum  germanischen  Pantheon  aus 
dem  imaginären  Pflanzennamen  Satorlfid  erweisen  will  (s.  oben 
Seite  96  und  112).  Dieser  verderbliche  Irrtum  entstammt 
einer  falschen  Lesung  im  Herbarium  Apuleji,  dessen  45.  Para- 
graph die  Überschrift  trägt:  Herba  galli  crus  ^  is  attorlade. 
Lye  hat  in  seinem  Dictionary  daraus  Sattorlade  gemacht^), 
und  andere  haben  ihm  dies  nachgedruckt;  so  Bosworth  in 


*)  Vgl.  Cockayne's  Leechdoms  I,  p.  22. 


—     121     — 

seinem  '^Dictionary  of  the  Anglo-Saxon  Language'^  London 
1838,  p.  303:  Sattorlade:  Sanuncnlus  flammula,  galli  crus; 
herba  sie  dicta,  Herb.  45. 

In  Wirklichkeit  heißt  die  Pflanze  ätorläde  und  ihr  Name 
kommt  in  dieser  richtigen  Form  im  ae.  und  frühmittel- 
englischen  häufig  genug  vor;  so  im  Herbarium  Apuleji, 
Cap.  46  (Cockayne  I,  22  und  148) ;  im  Läeceböc  I  (Cockayne, 
vol.  II,  p.  22,  15;  110,  8  und  114,  11);  in  Aelfrics  Vocabulary 
(133,  38),  wo  atterla{)e  das  lateinische  uenenifuga  glossiert, 
und  sonst  in  Wright-Wülkers  Vocabularies;  noch  in  der 
Ancren  Riule  begegnet  ein  atterlode:  s.  das  New  English 
Dictionary. 

Auch  bei  seinem  slavischen  Vetter  „Sitivrat^  wird  sich 
der  germanische  Pseudogott  in  der  jetzigen  kritischen  Zeit 
vergebens  nach  Hilfe  umsehen.  Denn  auch  dieser  ist  von 
maßgebenden  Slavisten  bereits  mit  rauher  Hand  aus  dem 
Tempel  der  slavischen  Götter  hinausgefegt  worden.  Grimm 
ist  bei  seinen  Ausführungen  über  „Sitivrat^^  als  den  vermeint- 
lichen slavischen  Saturn  (vgl.  oben  S.  111)  das  Opfer  eines 
Betruges  geworden.  Der  ebenso  kritische  wie  gelehrte  Louis 
Leger  sagt  über  diesen  Punkt  in  seiner  Mythologie  slave, 
Paris  1901,  S.  44:  <Une  falsification  bien  autrement  grave 
est  celle  de  la  Mater  verborum.  Elle  a  empoisonnS  pendant 
un  demi-si^cle  toutes  les  publications  consacrees  ä,  nos  6tudes. 
La  biblioth^que  du  MusSe  de  Prague  poss^de  un  manuscrit 
de  la  Mater  verborum^  sorte  de  dictionnaire  latin  compile  par 
Salomon  III,  6veque  de  Constance,  qui  pari^t  dater  du 
XIU*  si^cle;  il  est  accompagnS  de  gloses  allemandes  et 
tchdques.  Un  certain  nombre  de  ces  gloses  sont  authen- 
tiques.  Toutes  celles  qui  concernent  la  mythologie  slave  ont 
et6  fabriqu^es  au  XIX®  si^cle.  Je  les  ai  nagu^re  6num§r£es 
dans  la  Hernie  (Phistoire  des  religions  (annSe  1881,  t.  IV,  p.  134 
et  135).  Je  les  reproduis  ici  pour  mettre  les  lecteurs  en 
garde  contre  l'usage  qu*en  ont  fait  un  grand  nombre  de  mes 
pred^cesseurs.» 

In  der  Ajimerkung  hiezu  heißt  es  dann  mit  spezieller 
Beziehung  auf  Sitivrat:    <Le   mot  Sytivrat  est  fabrique  de 


—     122    — 

fa^oi^  ^  preter  mati^re  k  des  interpretationB  diverses.  Jacob 
Grimm  s'y  est  laissS  prendre  dans  sa  mythologie  allemande«»^) 
Nach  alledem  wäre  es  unkritisch  im  höchsten  Grade,  noch 
länger  an  die  einheimische  Gottheit  Satarn's  bei  den  Ger- 
manen glauben  zu  wollen. 

4.  Quellenfrage. 

Die  Vorlage,  die  unsere  ae.  Verfasser  benutzten,  habe 
ich  noch  nicht  ausfindig  machen  können.  Kemble^),  Morley 
und  neuerdings  Max  Förster  ^)  vermuteten,  daß  wir  sie  wahr- 
scheinlich in  der  von  dem  Papste  Gelasius  496  verbotenen 
Contradictio  Salomonis  zu  erblicken  hätten.  Dem  kann  ich 
aber  nicht  ganz  beistimmen.  —  Zuerst  sei  es  mir  gestattet, 
darauf  hinzuweisen,  daß  jenes  Dekret,  welches  eine  Contra- 
dictio Salomonis  verbietet,  nicht  von  Papst  Gelasius,  auch 
nicht,  wie  andere  behaupteten,  von  Papst  Damasus  (f  3B4) 
stammt,  sondern  daß  dieses,  wie  Friedrich^)  nachgewiesen 
hat,   eine  Privatarbeit  ist,   die   erst  nach  533  entstanden  ist. 

Betrachten  wir  nxm  das  Dekret^)  näher,  so  sehen  wir, 
daß  es  in  6  Hauptabschnitte  zerfallt:  1.  De  spiritu  saneto, 
2.  de  canone  scriptorae  sacrae,  3.  de  sedibus  patriarchalibns, 
4.  de  synodis  oecumenicis,  5.  de  libris  recipiendis.  —  Uns 
geht  nur  §  6  an.  Das  erste  Kapitel*)  davon  enthält  die 
Darlegung  des  Primats  der  römischen  Kirche.    Kap.  2  und  3 


^)  Der  Anglist  wird  auch  von  dem  nächsten  mythologischen  Namen 
mit  Interesse  Notiz  nehmen:  mStracec  sytivratov  syn  (Straceo  fik  de 
SytiTrat).  Picus,  Satorni  filias.  Straka  en  tch^que  veut  dire  pie.» 
Auch  dieser  Name,  an  den  Grimm  bekanntlich  ziemlich  groteske  Fol- 
gerungen  über  die  Bedeutung  des  Namens  Beowulf  knüpfen  wollte,  ist 
also  einfach  Fälschung. 

^  A.  a.  O.,  S.  112:  Tbat  this  Contradictio  Halomoms  was  the 
groond-work  of  our  Anglo-Saxon  poems  seems  veiy  possible. 

')  Zur  Apokryphe  von  Jamnes  und  Mambres,  in  Herrig's  Archiv 
CVIII,  S.  27. 

*)  In  den  Sitzungsberichten  der  bayr.  Akademie  der  Wiss.,  philol.- 
hist.  Kl.  1888.  I,  54  ff. 

^)  Siehe  auch  fiefele,  Coneiliengesehichte.  Freibarg  i.  B.  1875,  8. 619. 

*)  Ich  zitiere  nach  der  Ausgabe  Ton  A.  Thiel  in  £pistolae  Rom. 
Pontificum.    Brunsbergae.  1867,  S.  454. 


—     123     — 

fiibrt  die  Schriften  auf,  die  in  der  Kirche  anerkannt  sind; 
Kap.  4  aber  die,  die  zurückgewiesen  werden ;  dies  sind  zuerst 
als  Nr.  6  die  apokryphen  Äpostelevangelien,  dann  7.  die 
apokryphen  Schriften  der  Schüler  der  Apostel,  und  die  apo- 
kryphen Bttcher  der  heiligen  Schrift,  wie  Liber  proyerbiorom 
ab  haereticis  conscriptos  et  sancti  Xysti  nomine  praenotatas 
apociyphus,  femer  Liber  physiologus  ab  haereticis  conscriptns 
et  beati  Ambiosii  nomine  praesignatus ,  apocryphus,  8.  die 
Kirchenväter  und  Kirchenschriftsteller,  mögen  deren  Werke 
nun  echt  oder  unterschoben  sein;  darunter  z.  B.:  Historia 
Ensebii  Pamphili  apocrypha,  opascola  Tertulliani  apocrypha, 
opuscnla  Lactantii  apocrypha,  9.  folgende  5  Schriften: 

Epistola  Jesu  ad  Abgarum  regem  apocrypha. 

Epistola  Abgari  ad  Jesum  apocrypha. 

Passio  Quirici  et  Jnlittae  apocrypha. 

Passio  Oeorgii  apocrjrpha. 

Scriptura,  quae  appellatur  Salomoniscontra- 
dictio,  apocrypha. 

10.  Phylacteria  omnia,  quae  non  aogelorum,  ut  illi  con- 
fingunt,  sed  daemonum  magis  nominibus  consecrata  sont,  apo- 
crypha. Hsec  et  bis  similia,  quae  Simon  Magus,  Nicolaus, 
Oerinthus,  Mareion,  Basilides,   Hebion,  Paulus  etiam  Samo- 

satenus,  Photinus  et  Bonosus, Valentinus,  sive  Ma- 

nichaeus  Faustus  Afiricanus,  Sabellius,   Arius, Pe- 

lagius,  —  —  —  NestoriuB  Constantinopolitanus, 

Petrus   et  alias  Petrus,   e   quibus  unus  Alexandriam  alius 

Antiocbiam  macolavit,  Acadus nee  non  et  omnes 

haeresiarchae  eommque  discipuM  sive  schismatici  docuenint 
Tel  conscripseront,  quomm  nomina  minime  retinentur,  non 
solum  repudiata,  rerum  etiam  ab  omni  Bomana  catholica  et 
apostolica  ecclesia  eliminata  atque  cum  suis  auctoribus  auc« 
tOTumque  sequadbus  sub  anathematis  insolubili  vincnlo  in 
aetenram  confitemur  esse  damnata. 

Unter  Nr.  10  werden  also  alle  die  Irrlehrer  (gegen  Gott, 
die  Dreifaltigkeit,  Menschwerdung,  hl.  Geist,  Mutter  Gottes  etc.) 
verdammt. 

Wenn  ich  mir  die  Frage  Torlege,  ob  diese  imter  Nr.  9 
aufgeführte    contradictio    Salomonis    die    direkte   Quelle   fUr 


—     124    — 

unsere  ae.  Verfasser,  —  wir  müsseD  als  solche  wohl  Mönche 
aDoehmen,  —  gewesen  sein  könne,  so  glaube  ich,  diese  Frage 
verneinen  zu  müssen.  Was  jene  scriptura  enthalten  hat,  wird 
uns  wohl  ein  ewiges  Rätsel  bleiben.  Aus  der  bloßen  Angabe 
einer  contradictio  ist  kein  fester  Rückschluß  zu  machen;  sie 
kann  eine  Unterredung  Salomo's  mit  der  Königin  von  Saba, 
oder  mit  Hiram  von  Tyrus,  oder  mit  A  bdemon  etc.  enthalten 
haben. 

Dagegen  möchte  ich  aber  zur  Stütze  meiner  Behauptung 
folgendes  beibringen: 

Wie  wir  gesehen  haben,  ist  in  dem  altenglischen  Salomo 
und  Saturn  ein  Gegensatz  zwischen  christlicher  und  ger- 
manischer Weisheit.  Dies  war  sicherlich  nicht  der  Inhalt  der 
im  6.  Jahrhundert  verbotenen  Schrift.  Femer  tritt  als  Gegen- 
redner Salomo's  in  den  ae.  Gedichten  ein  Saturn  auf,  der,  wie- 
wohl ein  Chaldäerfurst,  doch  bei  den  heidnischen  Angelsachsen 
sehr  bekannt  gewesen  ist.  Wäre  ein  Saturn  der  Gegenredner 
in  der  Contradictio  gewesen,  so  wäre  er  wohl  aufgeführt. 
Jene  Contradictio  muß  eine  der  damaligen  Welt  sehr  bekannte 
Unterredung  zum  Gegenstand  gehabt  haben,  da  sie  so  kurz 
erwähnt  ist.  Der  Hauptgrund,  weshalb  ich  jene  scriptura 
als  direkte  Quelle  zurückweise,  ist  der,  daß  unser  ae.  Salomo 
und  Saturn  in  3  verschiedene  Teile  zu  trennen  ist,  zuerst 
das  Gespräch  Salomo's  über  den  „Palmbaum^'  Paternoster, 
dann  der  Kampf  des  Paternoster  mit  dem  Teufel,  schließ- 
lich die  allgemein  philosophischen  und  theologischen  Be- 
trachtungen im  zweiten  Gedichte,  die  alle  drei  mit  ger- 
manischen Elementen  vermischt  sind.  Ehidlich  gibt  uns  die 
Contradictio  auch  keine  Erklärung  für  die  verschiedenen 
Namen  des  Gegenredners  des  Salomo,  wie  Saturn,  Marculphus, 
Morolf,  Kitovras  etc. 

Ich  glaube  daher,  daß  aus  oder  neben  jener  Contradictio 
eine  uns  unbekannte  Disputatio  oder  Altercatio  entstanden  ist, 
die  die  altenglischen  Verfasser  kannten ;  es  ist  ziemlich  sicher, 
daß  sie  nach  einer  lateinischen  Vorlage  arbeiteten ;  die  vielen 
lateinischen  Worte,  darunter  besonders  der  Name  Satumus  und 
das  häufiger  vorkommende  Wort  caniic  drängen  uns  zu  diesem 
Schlüsse. 


—     125     — 

Für  das  1.  Gedicht  habe  ich  vergeblich  bei  Migne  (Patroiog. 
Bd.  218 — 222)  nach  einer  Vorstellung  des  Paternoster  als 
eines  Palmbaumes  gesucht.  Für  das  zweite  Gedicht  würde 
eine  Vergleichung  mit  den  lateinischen  Bätsein  vielleicht  noch 
etwas  zutage  fördern.  Auf  das  griechische  Grund  werk  deutet 
nach  Bbert  R,  der  Fürst  der  Buchstaben,  hin;  ferner  ist  zu 
beachten,  daß  fast  ausschließlich  orientalische  Länder  genannt 
werden.  Auch  die  Parallelstellen  mit  der  altnordischen 
Ldteratur  verdienen  unsere  Aufmerksamkeit,  wenn  wir  sie 
auch  wohl  als  Erbgut  aus  dem  urgermanischen  Poesienschatze 
ansehen  müssen.  Eine  nähere  Beziehung  zu  Skandinavien 
scheint  mir  auch  daraus  nicht  zu  erhellen,  daß  wir  die  ae. 
Sage  —  nach  der  Heimat  der  Verfasser  und  dem  Vorkommen 
des  Saturn  in  geographischen  Namen  —  mehr  dem  Norden 
Englands  zuweisen  müssen. 

So  ist  die  Frage  nach  der  direkten  Vorlage  unserer  ae. 
Verfasser  um  so  schwieriger  zu  entscheiden,  als  diese  uns 
keine  Quellen  angeben,  und  auch  die  anderen  Bearbeiter  der 
Salomosage  uns  hier  im  Stiche  lassen,  und  imser  Suchen 
wird  erschwert,  wenn  wir  erfahren,  daß  selbst  der  heilige 
Hieronymus  nur  als  fingierte  Persönlichkeit  vorgeschoben  wird, 
wie  dies  der  Verfasser  des  deutschen  „Lobgedichtes  auf 
Salomo"  tut,  wenn  er  v.  25  sagt  (Goedeke :  Deutsche  Dichtung 
im  Mittelalter  ^  S.  102): 

Ein  herro  hiz  Heronimus, 

sin  scripft  zelit  uns  sus, 

der  heit  ein  michil  wndir 

uzzir  einim  buchi  uundin 

uzzir  archely, 

daz  habint  noch  di  Crichi, 

wi  in  Hierusalem  giscach 

michilis  wndiris  gimach; 

ein  wrm  wchs  dar  inni, 

der  irdranc  alli  di  brunni, 

didir  in  der  burch  warin. 


Lippert  d  Co.  (G.  Päiz*sche  Buehdr.),  Nanmbarg  a.  S 


MÜNCHBNER  BEITRÄGE 


ZUB 


ROMiNISdNDiENGUSmPEOW. 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

E  BREYMANN  und  J.  SCHICK. 


TCTC-XTI 


DDE  POETISCHE  PERSONIFIKATION  IN  DEN  JÜÖEND- 
SCHAUSPIELEN  CALDERON'S. 


-♦• 


LEIPZIG. 

A.  DEICH ERT'SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG  NACHF. 

(GEORG  BÖHME). 

1904. 


DIE 

POETISCHE  PERSONIFIKATION 


IN  DEN 


JÜGMDSCHAÜSPIELEN  CALDEßON'S. 


EIN  BEITRAG 

zu 

STUDIEN  ÜBER  STIL  UND  SPRACHE  DES  DICHTERS. 


VON 


De.  ernst  LINDNE». 


-c^- 


LEIPZIG. 

k.  DEICHERT'SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG  NACHF. 

(GEOKG  BÖHME). 

1904. 


Alle  Rechte  vorbehalteD. 


Seinem  hochgeschätzten  Lehrer 


Herrn  Professor  Dr.  Breymann 


in  dankbarer  Verehrung  gewidmet 


vom 


Verfasser. 


Inhaltsübersicht 


Seit« 

B«nütKte  literatnr VII 

EinleituDg 1 

Kapitel  I:  Fenosifikationen  aus  dem  Gebiete  der  Natar. 

Die  Sonse 8 

Der  Mond 31 

Die  Morgendämmerung  und  die  Morgenröte 32 

Tag  und  Nacht 41 

Die  Sterne 48 

Der  Himmel 63 

Wolken  und  Blitze 57 

Die  Erde,  Länder  und  Städte 68 

Berge  und  Felsen 64 

Die  Steine 68 

Der  Garten,  Bäume  und  Blumen 69 

Der  Frühling 78 

Wasser,  Bäche  und  Flusse 81 

Das  Meer 85 

Der  Wind 88 

Feuer  und  Licht 93 

Häufungen 94 

Kapitel   II:    Die    Personifikation    von   Teilen    des   menschlichen 
Körpers,    sowie    von  Äußerungen    und   Zuständen  seiner 
sinnlichen  und  seelischen  Existenz. 
A.  Der  menschliche  Körper: 

Das  Haar 99 

Die  Augen 100 

Die  Ohren 102 

Zunge  und  Zähne 103 

Das  Herz 103 

Arme  und  Beine 105 

Hunger  und  Durst 106 


—    VI    — 

Seite 

Schlaf  und  Traum 107 

Der  Tod 108 

B.  Die  Seele 113 

Die  Liebe 115 

Die  Eifersucht 121 

Schmerz  and  Furcht 122 

Kapitel  III:  Die  Personifikation  von  abstrakten  Begriffen: 

Das  Schicksal 123 

Die  Glücksgöttin  Fortuna 125 

Das  Unglück 129 

Das  Glück  (La  dicha) 132 

Die  Ehre 134 

Der  Ruhm 136 

Das  Stillschweigen 137 

Zeit  und  Zeitverhältnisse 139 

Kapitel  IV:  Die  Personifikation  von  Gebäuden  und  Geräten.     .  142 

Ergebnisse 148 


Benutzte  Literatur. 


I.  Schriften  über  Galderon  nnd  seine  Werke. 

Abert,  Johann:  Schlaf  und  Traum  bei  Calderon.  In  der 
Festschrift  für  Professor  Urlichs.  Würzburg.  1880.  8<>. 
S.  163  bis  198. 

Baumgartner,  Alexander:  Calderon -Literatur.  In  der 
^Literar.  Rundschau  f.  d.  kathol.  Deutschland",  heraus- 
gegeben von  J.  B.  Stamminger.  Freiburg  i.  B.  1881. 
Nr.  11,  S.  321  bis  331. 

Baumstark,  Reinhold:  Die  spanische  National-Literatur. 
Dritte  Vereinsschrift  der  Görresgesellschaft  für  1877. 
Köln.  1877.     8^ 

Günthner,  Engelbert:  Calderon  und  seine  Werke.  Frei- 
burg i.  B.  1888.     2  Bde.     8^ 

Klein,  J.  L.:  Geschichte  des  Dramas.  Elfter  Band,  1.  u.  2. 
Abteilung.     Leipzig.  1874  u.  1875.     8^ 

LaBarrera  y  Leirado,  DonCayetano  Alberto  de:  Catälogo 
bibliogräfico  y  biogr&fico  etc.     Madrid.  1860.     4^ 

Lista,   Don   Alberto:  Lecciones  de  literatura  espafiola. 

2  Teile  in  einem  Bande.     Madrid.  1853.     S^. 
Münch-Bellinghausen,   F.   E.  von:    Die   alt.   Samml. 

span.  Dramen.    Wien.  1852.    4t^. 
Schack,  Adolf  Friedrich  von:  Geschichte  der  drama- 
tischen Literatur  und   Kunst  in  Spanien.     Zweite,  mit 
Machträgen  vermehrte  Ausgabe.     Frankfurt  a.  M.  1853. 

3  Bände.    8^ 


—    VIU    — 

Schäffer;  Adolf:  Geschichte  des  spanischen  Nationaldramas. 
Leipzig.  1890.    2  Bde.     8^ 

Schmidt,  Friedr.  Wilh.  Valentin:  Die  Schauspiele 
Calderons,  dargestellt  und  erläutert.  Herausgegeben  von 
Leopold  Schmidt.    Elberfeld.  1857.    8«.^) 

n.  stilistische  Abhandlungen. 
A.  Allgemeine  Werke  über  Stilistik  und  Rhetorik. 

Biese,  Alfred:  Die  Philosophie  des  Metaphorischen.   Ham- 
burg. 1893.     8<>. 
Brinkmann,  Friedrich:  Die  Metaphern.   Bonn«  1878.  8^ 
Gerber,    Gustav:    Die    Sprache    als   Kunst.     Bromberg. 

1873.     2  Bde.     8^ 
Gottschall,  Rudolf  von:  Poetik.  Breslau.  1882.  2  Bde.  8^ 
Pecz,  Wilhelm:   Beiträge  zur  vergl.  Tropik  der  Poesie. 

Berlin.  1886.  8^   (Berliner  Studien  für  klass.  Philologie. 

1886.  ni.)    Enthält  eine  reichhaltige  Literatur  über  die 

Tropen  und  eine  wertTolle  Einleitung. 
Tumlirz,   C:    Die  Lehre   von   den  Tropen   und  Figuren. 

Prag.  1892.    8«. 
Vischer,  Friedr.  TL:  Aesthetik.  III.  Teil,  2.  Abschnitt. 

Die  Künste.  5.  Heft:  Die  Dichtkunst.  Stuttgart.  1857.  8». 
Wackernagel,  Wilhelm:  Poetik,  Rhetorik  und  Stilistik, 

ed.  Ludwig  Sieber.    Halle.  1873.    8^ 

B.  SpezialanterBuchiingen.    ^ 

Arendt,  H. :  Die  Metapher  bei  Corneille.    Diss.    Marburg. 

1889.     8«. 
Goldmann,  Friedrich:  Die  poetische  Personifikation  bei 

Plautus.    2  Programme.    Halle.  1885  u.  1887.    4<>. 
Halfmann,  Robert:  Bilder  und  Vergleiche  in  Pdcis  Mor- 


^)  Die  Werke  der  folgenden  Autoren  wurden  gleich£ftll8  zu  Rat 
gezogen,  waren  aber  für  die  vorliegende  Arbeit  nicht  nutzbar:  Baumstark. 
(Ausflug  nach  Spanien),  Dorer,  Fastenratb,  Lemcke  (Handbuch),  Putman, 
Ribeiro,  Ticknor,  Ulbrich,  Zarate. 


gante.     Marburg.   1884.     8^.     (In  Stengel's  Ausg.   und 

Abhandl.  Nr.  23.) 
Hense;  C.   C:   Poetische  Personifikation  in  griech.  Dich- 
tungen, etc.;   a)  Erste  Abteilung.  Festschrift.  Parchim. 

1864.  8<>;  b)  1.  Teil.  Halle.  1868.    8^ 
:  Beseelende  Personifikation  in  griech.  Dichtungen,  etc. 

a)    £rste    Abteilung.   Programm.     Parchim.    1874.    4®; 

1))  Zweite  Abteilung.   Programm.     Schwerin.   1877.    4*. 
Ho  bürg:  Einige  Bilder  und  Personifikationen  aus  Shakspere. 

Programm.    Husum.  1872.    4^ 
Meier,  Diederich:   Vergleich  und  Metapher  bei  Moliöre. 

Diss.    Marburg.  1885.    8». 
Pott,  Friedrich:  Metaphern  vom  Leben  und  von  körper- 
lichen  Lebensverrichtungen    hergenonmien.     In    Kuhn's 

Zeitschrift,  1853.  IL  S.  101  bis  127. 
Raeder,Han8:  Die  Tropen  und  Figuren  bei  Garnier.   Diss. 

Kiel.  1886.    8«. 
Scholl,    Siegmund:    Die    Vergleiche    in    Montchrestiens 

Tragödien.    Diss.    München.  1894.    8<>. 
Schürmeyer,  Franz:  Vergleich  und  Metapher  bei  Bacine. 

Diss.    Marburg.  1886.    Q\ 
Tappert,  Wilhelm:  Bilder  und  Vergleiche  im  Orlando, 

etc.    Marburg.  1886.  8®.  (In  StengeVs  Ausg.  u.  Abhandl. 

Nr.  56.) 

III.  Texte. 

Calderon:  Comedias,  recogidas  por  Don  Joseph  Calderon, 
SU  hermano.    Madrid.  1636  u.  37.    2  Teile.    4^ 

— :  Comedias,  ed.  Hartzenbusch.  Madrid.  1848 — 50.  4  Bände. 
4«.    (Abkürzung  =  H.) 

Erenkel,  Max:  Elass.  Bühnendichtungen  der  Spanier, 
herausgegeben  und  erklärt.  Leipzig.  1881/87.  3  Bände 
und  Nachträge  zum  1.  Bande.    (Abgekürzt  =  K^,  K^N, 

Eressner,  Adolf:  Bibliothek  spanischer  Schriftsteller. 
Band  XX:  Calderon,  El  Medice  de  su  honra.  Leipzig. 
1898.    80. 


—    X    — 

IT.  TJbersetznngeii. 

'Gries,  J.  D. :   Schauspiele  von  Don  Pedro  Calderon  de  la 

Barca.    Berlin.  1816/29.     8  Bde.     8«. 
Latour,  Antoine  de:   (Euvres  dramatiques  de  Calderon. 

Paris.  1875.     2  Bde.     8^. 
Lorinser,   Franz:    Calderons   größte   Dramen   religiösen 

Inhalts.     Freiburg  i.  B.  1875/76.     7  Bde.    8». 
Malsburg,  Ernst  Friedrich  von  der:  Schauspiele  von 

Don  Pedro  Calderon,  etc.   Leipzig.  1819/25.    6  Bde.  8^ 
Martin,  Adolf:  Schauspiele  von  Don  P.  C.   Leipzig.  1844. 

3  Bde.     8^ 
Pasch,  Konrad:  Ausgewählte  Schauspiele  des  Don  P.  C. 

Freiburg  i.  B.  1891/96.     7  Bde.     8^ 
Schlegel,  Aug.  Wilh.:  Schauspiele  von  Don  P.  C.  de  la 

Barca.    Berlin.  1809.    2  Bde.    8». 

Die  Abkürzungen  von  Titeln  Calderon'scher  Stücke  sind 
in  der  Einleitung,  S.  5  f.,  angegeben.     Ferner  bedeutet 
C.         =  Calderon, 
Pers.    =  Personifikation, 
Perss.  =  Personifikationen. 


Einleitung. 


Während  die  Calderon-Literatur  eine  ziemliche 
Anzahl  von  Schriften  literarhistorischen,  kritischen  und  ästhe- 
tischen Inhalts  aufweist  ^),  fehlt  es  fast  noch  gänzlich  au  Unter- 
suchungen über  den  Stil  und  die  poetische  Sprache  des 
großen  spanischen  Dramatikers.  Nur  Ansätze  zu  solchen 
Untersuchungen  sind  vorhanden. 

Einige  Beobachtungen  über  den  Sprachgebrauch  bei 
Calderon  finden  sich  in  dem  trefflichen  Kommentare  Va- 
lentin Schmidt's  (1867)^);  einen  kleinen  Beitrag  zum 
Studium  der  poetischen  Sprache  unseres  Dichters  liefert 
ferner  Johann  Abert  in  seiner  Untersuchung  über  Cal- 
deron's  Gedanken  über  Schlaf  und  Traum  (1880).  Aber  das 
wertvollste  Material  zu  solchen  sprachlichen  Studien  liegt  in 
den  Ausgaben  KrenkeTs  (1 881  ff.)  aufgespeichert.  Erenkel 
geht  an  vielen  Stellen  auf  den  Sprachgebrauch  des  grossen 
Dichters  näher  ein,  weist  auf  verschiedene  Stileigentümlich- 
keiten desselben  hin  und  verwendet  ganz  besondere  Sorgfalt 
darauf,  durch  vergleichende  Anführung  von  zahlreichen 
Parallelstellen  Calderon  „aus  sich  selbst  zu  erklären".  ^)  Auch 
Pasch  macht  in  seinen  Übersetzungen  (1891  ff.)  auf  ge- 
wisse Eigentümlichkeiten  in  Sprache  und  Stil  aufmerksam^), 


»)  Cf.  Baumgarlner  und  Günthner  I,  S.  XI— XXXVIII. 
')  S.  (Uta  Verzeichnis  der  Bemerktingen  über  „Sprachgebrauch  wid 
Dichtergebrauch"  im  Register  C  am  Schlusse  dieses  Werkes,  S.  541  f. 
»)  Kl,  Vorrede,  S.  VI. 
*)  Bd.  I,  Vorrede,  S.  VIII. 
Mänchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.    XXXII.       1 


aber  das  sind,  wie  bei  Krenkel,  nur  einzelne  gelegentliche 
Beobachtungen,  die,  weit  entfernt,  die  betreffende  Stileigenheit 
erschöpfend  darzustellen,  namentlich  ohne  inneren  Zusammen- 
hang, wie  sie  gerade  der  Text  bietet,  nebeneinander  ge- 
stellt sind.  Zu  einer  umfassenden  Darstellung  von  Calderon's 
Stil  und  Sprache  bietet  sich  daher  noch  ein  dankbares,  er- 
giebiges Feld. 

Nun  machen  gerade  bei  Calderon  gewisse  Eigenheiten 
es  mehr  als  bei  anderen  Dichtern  nötig,  seiner  Sprache  er- 
höhte Aufmerksamkeit  zuzuwenden,  bieten  doch  namentlich 
sprachliche  Kriterien  oft  einen  Anhaltspunkt  für  die  Chrono- 
logie seiner  Stücke,  unterscheidet  man  doch  gerade  in  Hin- 
sicht auf  Calderon's  Sprache  drei  große  Perioden  der  Ent- 
wicklung.^) 

Ferner  weist  unser  Dichter,  um  mit  Gries  zu  reden ^), 
einen  „ungeheuren  Überfluß  an  gemachten  stehenden  Phrasen 
auf,  die  sich  bei  jeder  ähnlichen  Gelegenheit  wiederholen^. 
Es  dürfte  sich  wohl  der  Mühe  lohnen,  diese  Ausdrücke  zu 
sammeln  und  nach  bestimmten  Gesichtspunkten  geordnet  auf- 
zuführen. 

Aber  auch  die  nämlichen  Gedanken,  die  nämlichen  Bilder, 
Vergleiche  und  Anspielungen  finden  sich  in  seinen  Werken 
immer  wieder,  bald  mehr,  bald  minder  deutlich  ausgeführt: 
durch  eine  vergleichende  Zusammenstellung  solcher  Parallelen 
würde  man  das  Material  kennen  lernen,  dessen  sich  der 
Dichter  zur  Ausschmückung  seiner  Werke  bedient;  gleich- 
zeitig würde  eine  solche  Materialsammlung  beträchtlich  zum 
richtigen  Verständnisse  des  Autors  und  zur  Aufhellung  der 
zahlreichen,  noch  dunklen  Stellen  in  seinen  Werken  bei- 
tragen.*) 


ij  Schack  III,  S.  a3-~86;  Val.  Schmidt,  S.  4. 

')  Gries  an  Tieck,  29.  Mai  1829,  zit.  von  Sc  buch  ar  dt.  Neueste 
deutsche  Cald.-Lit,  Allgemeine  Zeitung  1881^  Nr,  193^  Dienstag,  12.  Juli, 

'j  Schuchardt,  a.  a.  O.  „  ..  das  SMimnief  oder  vielmehr  das 
Gute  bei  unserem  Spanier  ist^  dafi,  um  Weniges  vo7i  ihm  ganz  zu  ver- 
stehen, man  ihn  ganz  gelesen  Imhen  muß  . ,  .  Das  steht  fest,  dafi  es  keinen 
Dichter  gibt,  welcher  sosehr  sein  eigener  Kommentator  ist^  wie  Cal- 
deron.'' -  Cf.  K„  Vorrede,  S.  VI/ VII. 


•-     3     — 

Daß  ferner  durch  derartige  Arbeiten  für  die  Lexiko- 
graphie, für  noch  zu  erwartende  kommentierte  Ausgaben  der 
einzelnen  comediasj  sowie  für  den  Vergleich  mit  dem  Bilder- 
reichtum der  großen  Dichter  anderer  Nationen  viel  gewonnen 
würde,  sei  hier  nur  angedeutet.  Hiezu  kommt  noch,  daß  die 
Werke  Galderon's,  der  erfolgreicher  als  seine  Zeitgenossen 
bestrebt  war,  den  poetischen  Stil  zu  vervollkommnen,  auch 
in  stilistischer  Hinsicht  Repräsentanten  ihrer  Epoche  sind, 
und  einmal  als  wertvolles  Material  zu  Studien  über  den  estilo 
cuUo,  dann  aber  auch  als  Ausgangs-  und  Vergleichspunkt  für 
sprachliche  Untersuchungen  bei  seinen  großen  Vorgängern 
und  Zeitgenossen  dienen  können.^) 

Die  vorliegende  Arbeit  soll  nun  zur  Erforschung  der 
bilderreichen  Sprache  Calderon's  einiges  beitragen.  Da  es 
unmöglich  ist,  den  ganzen  bildlichen  Ausdruck  bei  diesem 
Dichter,  sei  es  auch  nur  in  einer  Auswahl  seiner  108  comedias, 
in  den  engen  Grrenzen  einer  Dissertation  darzustellen,  so  be- 
absichtigt der  Verfasser  zunächst,  in  den  Werken  der  ersten, 
d.  h.  der  Jugendperiode  Calderon's  ein  Gebiet  zu  behandeln, 
auf  welchem  die  dichterische  Individualität  des  großen  Spaniers 
besonders  deutlich  zum  Ausdruck  gelangt:  das  Gebiet  der 
poetischen  Personifikation,  ein  Gebiet,  das  durch  die  grund- 
legenden Arbeiten  H  e  n  s  e '  s  ^)  für  die  griechischen  und 
römischen  Dichter,  sowie  für  Shakspere  schon  längst  erfolg- 
reich angebaut  worden  ist. 

Bei  der  Bearbeitung  des  Themas  traten  dem  Verfasser 
eine  Reihe  von  Schwierigkeiten  entgegen. 

Es  handelte  sich  zunächst  darum,  Begriff  und  Umfang 
der  Pers.  genau  festzusetzen.  Die  Lehrbücher  der  Stilistik 
und  Rhetorik  sind  in  diesem  Punkte  selbst  nicht  einig  und 
fassen   den  Begriff  bald   enger,    bald   weiter.     Hense   und 


*)  „Zu  welch  einer  Fülle  interessanter  und  fruchtbringender  Beo- 
bachtungen ufhd  Erörterungen  femer  Sprache  und  Versifikation  der 
spanischen  Dramatiker  Veranlassung  geben,  braucht  kaum  erst  noch  hti'- 
vorgehoben  zu  werden.^    Lemcke  in  Gröberes  Zeitschrift^  1878.  II,  329. 

")  Poet.  Pers.  in  griech,  Dichtungen  mit  besond,  Berücksichtigung 
lat.  Dichter  und  Shaksperes.    L  Teil,  Halle.  1868. 

X* 


-    4    -   • 

Goldmann  ^)  bestimmen  den  Umfang  dieser  Redefigur  ent- 
schieden zu  weit,  und  fuhren  Wendungen  auf,  bei  denen  die 
Kraft  der  Pers.  nicht  mehr  gefühlt  wird*),  oder  die  besser 
als  Metonymie,  Synekdoche  oder  als  allgemeine  Metapher  zu 
bezeichnen  siod.  Zwar  „durchzieht  die  Pers.  die  ganze 
Sprache  unwillkürlich  und  unbewußt  in  jeder  Benennung"  *), 
aber  wir  müssen  streng  scheiden  zwischen  den  Perss.,  die, 
bereits  zu  einem  Bestandteile  der  Sprache  geworden,  dem 
Dichter  ohne  sein  Zutun  in  seinen  Werken  mit  unterlaufen 
(verblaßte  Perss.),  und  den  poetischen  Bildern,  die  er  ab- 
sichtlich zur  Ausschmückung  seiner  Sprache  verwendet. 
Nur  mit  diesen  poetischen  Bildern  haben  wir  es  in  unserer 
Abhandlung  zu  tun,  da  diese  allein  bei  der  Beurteilung  der 
dichterischen  Kunst  in  Betracht  kommen. 

Bei  einer  an  sich  bilderreichen  Sprache  wie  der  spani- 
schen^), ist  eine  solche  Scheidung  nicht  immer  leicht;  oft 
ist  nur  durch  Vergleichen  in  Wörterbüchern,  sowie  durch 
eingehendere  Beobachtung  des  Sprachgebrauchs  selbst  Auf- 
schluß zu  erhalten. 

Die  zweite  Schwierigkeit  bestand  in  der  Anordnung  des 
gesammelten  Stoffes.  Hense  geht  von  den  personifizierenden 
Attributen  aus,  denen  doch  nur  nebensächlicher  Wert  zu- 
kommt, während  Hoburg  und  Goldmann  besser  die  per- 
sonifizierten Gegenstände  und  Erscheinungen  selbst  der  Reihe 
nach  betrachten.  Der  Verfasser  zog  es  vor,  sich  dem  Ver- 
fahren der  letztgenannten  beiden  Autoren  anzuschließen^ 
um  so  mehr,  als  von  verschiedenen  Rezensenten   die  Anord- 


>)  Die  poet.  Pers.  hei  Plautm,  Halle.  1885  u.  1887. 

«)  Cf.  Hense,  Poet.  Pers.  7,  Vorrede,  S.  VI. 

^)  Gerber,  Die  Sprache  als  Kunst,  II,  1,  S.  108.  —  Über  die 
Perss.  in  der  ümgangssprachej  siehe  Pott  in  Kühnes  Zeitschrift  1853,11, 
S.  101/127  und  Biese,  Die  Philosojyhie  des  Metaphorischen,  S.  28. 

*)  Brinkmann  [Die  Metaphern,  Bonn.  1878)  sagt  S.  122  von  Cal- 
deron ;  „Man  möge  .  .  .  wohl  bedenken,  dafi  man  es  tnit  dem  Dichter  einer 
Sprache  zu  tun  hat,  in  deren  Diktion  überall  etwas  Prächtiges  waltet,  und 
worin  also  das  Majl  des  Erlaubten  höher  gesteckt  ist  als  im  Französischen, 
Englischen  oder  Deutschen.^^  Siehe  ibid.  S.  31  („An  .  .  .  Metaphern  ist 
besonders  Calderon  reich^),  sowie  die  eingehende  Betrachtung  der  spani- 
schen Metaphern,  S.  130  ff. 


—     B     — 

nung  des  Stoffes  bei  Hense  als  wenig  vorteilhaft  bezeichnet 
worden  ist^) 

Auch  empfahl  es  sich,  die  Gedanken  des  Dichters  aufs 
genaueste  zu  sondern:  so  wurde  jedes  Bild,  in  welchem 
mehrere  Vorstellungen  aus  verschiedenen  Gedankenkreisen 
verschmolzen  sind,  in  seine  einzelnen  Bestandteile  zerlegt  und 
an  verschiedenen  Stellen  des  öfteren  aufgeführt. 

Mit  der  Anordnung  stand  die  Frage  nach  der  Darstellung 
des  Stoffes  im  engsten  Zusammenhang.  Der  Verfasser  war 
bemüht,  trockene  Statistik  soviel  wie  möglich  zu  vermeiden; 
auch  schien  es  ihm  nicht  empfehlenswert,  die  Stellen  im 
Original  oder  in  der  poetischen  Übersetzung  ohne  inneren  Zu- 
sammenhang nebeneinander  hinzustellen.  Nach  reiflicher  Über- 
legung hielt  es  der  Verfasser  für  das  beste,  kürzere  Stellen 
in  möglichst  getreuer  Prosaübertragung  zu  geben,  unter  steter 
Hervorhebung  der  charakteristischen  Merkmale  der  Fers., 
bei  längeren  Stellen  dagegen  die  poetische  Übersetzung  an- 
zuführen, und  zu  Gleichnissen  und  Bildern,  die  aus  dem  Zu- 
sammenhange gerissen,  unverständlich  erscheinen  würden, 
einige  erklärende  Worte  hinzuzufügen. 

Als   „Jugenddramen''    kamen    zunächst    die   24  comedias 

in  Betracht,   welche  in  der  Primera  und  in  der  Segunda  parte 

de   las  comedias  de  Don  Pedro  Calderon  de  la  Barca   vom  Jahre 

1636,  bzw.  1637  abgedruckt  sind.    Es  sind  dies  die  folgenden. 

In  der  Primera  Parte: 

La  vida  es  suefio  (Abgekürzt:  Vida) 

Casa  con  dos  puertas  (Casa) 

El  purgatorio  de  San  Patricio  (Purg.) 

La  gran  Cenobia  (Cenobia) 

La  devocion  de  la  cruz  (Devocion) 

La  puente  de  Mantible  (Puente) 

Saber  del  mal  y  del  bien  (Saber) 

Lances  de  amor  y  fortuna  (Lances) 

La  dama  duende  (Dama) 

Peor  est&  que  estaba  (Peor  estä) 


^)  Cf.   Kuhn'8  ZeitschHft   1867,   XVI,   315-   Liferar.   Centralblatt 
1869,  S.  277. 


—    6     — 

El  sitio  de  Bred4  (Sitio) 
El  principe  constante  (Princ). 
In  der  Segunda  Parte: 

El  major  encanto  amor  (May.  encanto) 
Argenie  y  Poliarco  (Arg6nis) 
El  galan  fantasma  (Gal.fant.) 
Judas  Macabeo  (Judas) 
El  medico  de  su  honra  (M6dico) 
La  virgen  del  sagrario  (Virgen) 
El  mayor  monstruo  del  mundo  (M.  monstruo) 
Hombre  pobre  todo  es  trazas  (Hombre) 
A  secreto  agravio  secreta  venganza  (A  secr.  agr.) 
El  aströlogo  fingido  (Aströl.) 
Amor,  honor  y  poder  (Amor) 
Los  tres  mayores  prodigios  (Tres  m.  prod.). 
Zu  diesen  24  comedias  treten   noch   einige  wenige  hinzu , 
von  welchen  unzweifelhaft  feststeht,  daß  sie  der  Jugendperiode 
des  Dichters  angehören,  nämlich: 

Mejor  estd  que  estaba  (Mej.  estä),  verfaßt  c.  1631  % 
La  banda  y  la  flor  (Banda),  verfaßt  1632*),  sowie 
Un   castigo  en   tres  venganzas  (Castigo),   das  bereits 
im  Jahre  1633  gedruckt  vorlag.^) 

Endlich  dürfte  das  Stück  Con  quien  vengo,  vengo  (=  Con 
quien),  wie  Münch-Bellinghausen  so  überzeugend  dargetan  hat*), 
doch  wohl  auch  mit  zu  den  Jugendwerken  gerechnet  werden, 
um  so  mehr,  als  es  auch  bereits  1638  gedruckt  war*),  während 
bei  einigen   anderen  gemeiniglich  als  Jugendwerke  geltenden 


»)  Of.  Val.  Schmidt,  Wiener  Jahrb.  1822.  Anz.-BlaU  XVII,  7; 
Hartzenbusch,  Comedias  IV,  662 ff. 

«)  Val.  Schmidt,  1.  c,  XVII,  21 ;  Hartzenbusch,  1.  c,  IV,  668f. 

')  In  der  Parte  XXVIIl  de  comedias  de  varios  autores.  Haesca. 
(Bluson).  [Madrid.  Nat.-Bibl. :  T.  i.  30] ;  cf.  L a  Barrera,  S.  64  und  684j 
Hartzenbusch,  Comedias  IV,  654,  684,  701;  Münch-Belling- 
hausen, Samml.,  S.  21;  Ticknor,  Suppl.-Band,  (1867).  S.  114. 

*)  1.  c,  S.  30flF. 

*;  In  der  Parte  XXXI  de  las  meiores  comedias  etc.  Barcelona. 
[Wiener  Hof-  u.  Staatsbiblioth.];  cf.  La  Barrera.  S.  54;  Sa  Iva,  I,  414; 
Münch-Bellinghausen,  1.  c,  S.  22 f. 


—     7     — 

Stücken  die  Ansichten  der  Forscher  noch  recht  weit  aus- 
einandergehen. 

Diese  letzteren  Stücke,  sowie  diejenigen  Jugenddramen, 
welche  Calderon  in  Gemeinschaft  mit  anderen  Dichtern  ge- 
schrieben hat,  wurden  auf  den  Kat  meines  geschätzten  Lehrers 
Ton  der  Bearbeitung  ausgeschlossen,  die  letztgenannten  des- 
halb, weil  sich  hier  nie  von  vornherein  entscheiden  läßt,  was 
der  Anteil  unseres  Dichters,  was  der  der  Mitarbeiter  ist.  Die 
verwerteten  Stellen  in  den  28  bearbeiteten  Dramen  werden  nach 
der  Ausgabe  von  Hartzenbusch  (Madrid  1848 ff.)  zitiert; 
für  die  Vida  und  den  Principe^  sowie  für  den  Midico  standen 
dem  Verfasser  neben  H.  noch  die  mit  Verezählung  versehenen 
Ausgaben  von  Erenkel,  bzw.  Ereßner  zur  Verfügung. 

Da  aber  H.  nicht  durchweg  den  ursprünglichen  Text 
bietet  und  zuweilen  recht  willkürliche  Lesarten  bringt*),  so 
wurden  die  zitierten  Stellen  mit  der  Originalausgabe  der 
Werke  Calderon's  vom  Jahre  1636/37  verglichen  und  die  Sinn- 
varianten angemerkt. 

Es  möge  dem  Verfasser  auch  an  dieser  SteUe  ge- 
stattet sein,  seinem  hochgeschätzten  Lehrer,  Herrn  Professor 
Dr.  Breymann,  der  die  erste  Anregung  zu  der  vorliegenden 
Arbeit  gegeben  und  sonst  stets  hilfsbereit  des  Verfassers 
spanische  Studien  gefördert  hat,  für  manchen  Hinweis  bei 
der  Bearbeitung  des  Themas,  sowie  für  die  freundlichst  be- 
tätigte Mühewaltung  bei  der  Drucklegung  seinen  ergebensten 
Dank  auszusprechen.  Auch  seinem  verehrten  Lehrer,  Herrn 
Professor  Dr.  Schick  spricht  hier  der  Verfasser  für  die 
liebevolle  Hilfe  bei  der  Korrektur  den  gebührenden  Dank  aus. 


*)  „-BT.  ist  leider  oft  nachlässig^  oft  willkürlich  zu  Werke  gegangen 
und  überhebt  spätere  Herausgeber  durchaus  nicht  der  Arbeit,  zu  den 
Manuskripten  und  zu  der  Originalausgabe  zurückzugehen.^  Stiefel, 
Uteraturblatt  1885,  V,  240.  —  Cf.  Kr,  Vorrede,  S.  VIII f.;  Lemcke, 
Gröbers  Zeitschrift  1878,  II,  328  f. 


Kapitel  L 
Personifikationen  aus  dem  Gebiete  der  Natur. 

(Naturgegenstände  und  Naturerscheinungen.) 

Einteilung. 

Wir  betrachten  in  jedem  einzelnen  Abschnitte  zunächst 
die  Bilder,  welche  bei  dem  personifizierten  Gegenstande  die 
Vorstellung  der  menschlichen  Körpergestalt  erwecken  (Pias- 
tische  und  plastisch-beseelende  Personifikation  ^)) ;  gehen  dann  zu 
den  Bildern  und  Redensarten  über,  welche  dem  personifizierten 
Objekte  Züge  des  menschlichen  Geistes-  und  Seelenlebens 
verleihen  (Beseelende  Personifikation),  und  sehen  uns  endlich 
Vergleiche  und  Redewendungen  an,  in  welchen  zugleich  eine 
Personifikation  enthalten  ist. 

Freilich  ist  diese  Einteilung  nicht  immer  streng  durch- 
zuführen, da  viele  Bilder  zwei  oder  auch  alle  drei  Momente 
in  sich  vereinigen. 

Die  Sonne. 

Wie  Shakspere  ^),  so  verwendet  auch  Calderon  die  Sonne, 
tese  planeta .  .  .  siempre  hermoso,  siempre  vivoi^  *),  überaus  häufig 
zu  Gleichnissen  und  Bildern.     So  nennt  er  die  Sonnenstrahlen 


»)  Cf.  flense,   L   Teil,    Vorrede,  S.  Vff.,  sowie  Programm,   1877, 
S.  Iff. 

«)  Hoburg,  S.  4ff. 

»)  May.  encanto  I,  394*. 


—    9     — 

mit  Vorliebe  die  y^blonden  Haare^  der  Sonne,  mit  welchen 
sie  jeden  Morgen  unseren  Erdkreis  von  neuem  vergoldet^), 
oder  die  „goldenen  Locken^,  die  sie  weit  ausgebreitet  über 
Berge  und  Wälder  entfaltet.')  Noch  halb  im  Schlaf  breitet 
sie  ihre  rötlich-blonden  Haare  über  Jasminsträucher  und 
Aosen  aus,  wodurch  sie  die  Schatten  der  Nacht  verscheucht  ^ ; 
oder  sie  läßt  ihre  rotblonden  Haare  flattern,  während  sie 
ihre  Rosenwangen  im  krystallenen  Spiegel  des  Meeres  be- 
schaut^); die  Morgendämmerung  kräuselt  ihr  die  goldenen 
Stirnlocken,  während  die  kalte  Nacht  sie  wieder  in  Unordnung 
bringt.*) 

Endlich  steigt,  um  von  des  Tages  Mühen  auszuruhen, 
die  Sonne  am  Abend  ins  Meer  nieder  und  benetzt  ihr  krauses 
Haar.«) 

Auch  im  übertragenen  Sinne  spricht  Calderon  von  den 
goldenen  Locken  der  Sonne :  „Noch  sind  die  goldenen  Locken 
der  Sonne  hinter  dunklen  Wolken  verhüllt,  aber  bald  wird 
ihr  Licht  wieder  hell  erstrahlen,"  d.  h.  die  Wahrheit  wird 
bald  erwiesen  werden.  '^  So  sagt  auch  Don  Alvaro  zu  dem 
unschuldigerweise  verdächtigten  Grafen  Lara:  „Ich  werde 
so  lange  nach  den  Ursachen  forschen,  die  Eure  Ehre  ver- 
dunkeln, bis  die  Sonne,  die  Besiegerin  der  Schatten,  ihr 
krauses  Haar  wieder  rein  und  hell  entfaltet."  ^) 

')  vuelve  d  dorarle  (seil,  nuestro  hemisferioj  /  Con  nuevas  madejas, 
Castigo  lU,  392^ 

•)  el  8ol  Ui8  doradas  trenzas  /  Extiende  desmarafiadas  /  Sobre  los 
montes  y  selvas,  Purg,  I,  157 ^ 

')  medio  dortnido  el  sol^  /  Atropellando  las  sombras  /  Del  ocaso,  des- 
maranal  Sobre  jazmines  y  rosM I  Rubios  cabellos^  Princl,  246'*  =  1, 221  ff. 

*)  dntes  que  d  sol  otra  vez  /  Rubios  cäbellos  descoja,  /  Y  en  espejos 
de  cristal  I  Mire  meßUas  de  rosa^  Puente  I,  221". 

*)  el  alba  le  riza  /  La  crespa  melena  de  oro  /  Hasta  qiie  la  noche 
fria  I  8e  la  desmarafia,  Mej.  estd  I.  225'. 

*)  despenado  en  las  ondas,  /  Para  templar  su  fatiga  /  Los  cäbellos 
Crespos  moja,  Purg,  I,  156»»;  cf.  Arg^nis  1,  437'',  S.  12»). 

')  ahora  entre  nuhes  densns  /  Son  embozos  que  deshacen  /  Del  sol  las 
doradas  trenzaSj  Sab  er  I,  34  •. 

•)  Sacar^  d  hiz  la  verdad 

Destos  nuhlados  que  han  sido 
La  noche  de  vuestro  honor. 


—     10    — 

Neben  den  Haaren,  den  goldenen  Locken,  werden  der 
Sonne  noch  andere  Attribute  und  Tätigkeiten  des  mensch- 
lichen Körpers  beigelegt  und  ihr  so  menschliche  Körper- 
gestalt verliehen. 

Beim  Anbruch  der  Nacht  wendet  sie  ihr  leuchtendes 
Antlitz  von  der  Erde  weg  und  läßt  uns  im  Dunkeln  zurück  ^) ; 
wenn  nach  heißem  Kampfe  das  Schlachtfeld  von  Blut  tiber- 
strömt, dann  betrachtet  sie  ihr  Antlitz  in  scharlachroten 
Spiegeln  und  wundert  sich,  daß  sie  jetzt  ein  Meer  vorfindet, 
wo  ehedem  Land  war*),  während  sie  sonst,  wie  wir  oben  hörten, 
jeden  Morgen  ihre  Rosenwangen  im  kristallenen  Spiegel 
des  Meeres  betrachtet'),  aus  den  Blumenkelchen  der  hohen 
schneebedeckten  Berge  trinkt*)  und  ihre  Stirn  mit  kost- 
baren Edelsteinen  ziert*),  worunter  wir  offenbar  die  Tau- 
tropfen zu  verstehen  haben,  die  sie  nach  altem  Volksglauben 
in  Perlen  verwandelt.  •) 

Über  die  azurnen  Gefilde  des  Himmels  hin  erhebt  sich 
der  mit  goldenen  Säulen  gezierte  Palast  der  Sonne'),  der 
jedoch  nach  der  Meinung  des  Don  Juan  nur  als  „blauer 
Trug  der  Erdensöhne  und  Heuchler  seiner  blauen  Schimmer"  ®) 


Hasta  qtie  claros  y  UmpioB 

Deje  el  sol^  venciendo  sombras 

Cabellos  Crespos  y  rizos,    Sah  er  I,  30''/31». 

^)  cuando  el  sol  /  En  el  silencio  nocturno  /  Ausente  su  faz  Jiemwsa  / 
Dejando  d  ohscuras  el  mundo,   Vir  gen  I,  332  *'. 

*)  El  sol  mirando  su  faz  /  En  espejos  de  escarlata  /  Ihtdö  como  haU 
laba  mar  I  La  que  dejo  tierra;  tanta  j  Era  la  vertida  aangre^  Argenis 
1,  461'^. 

»)  Puente  I,  221",  s.  S.  9*). 

*)  aquel  monte,  /  Pirdmide  de  nieve,  /  Donde  en  copas  de  flores  el 
sol  bebe,  Puente  I,  212^ 

*)  las  Piedras  que  el  sol  cria  /  Petra  estrellas  de  su  frente,  Puente 
I,  213  ^ 

•)  Cf.  Ka,  S.  228,  za  V.  839  ff. 

')  De  los  palacios  del  sol  /  Los  dorados  balaustres,  Midico  I,  354' 
=  II,  94  ff. 

*)  si  no  es  que  fuese  I  Ese  palacio  del  sol  /  Mentira  azul  de  las 
gentes,  /  Hipocrita  de  sus  galas,  /  Pues  no  son  lo  que parecen,  Peor  estä 
I,  100  ^ 


—   11   — 

anzusehen  ist,   da  Q^stalt  und  Farbe  des  Himmelsgewölbes 
nur  auf  einer  Sinnestäuschung  des  Menschen  beruhen. 

Weiter  erfahren  wir  von  blutigen  Kämpfen  zwischen 
Sonne  und  Mond,  wenn  die  Sonne  nicht  gewillt  ist,  dem 
Monde  ihr  Licht  zu  geben,  das  in  seinem  Antlitz  wider- 
strahlt. ^)  Als  Kampf  zwischen  Sonne  und  Mond  bezeichnet 
und  beschreibt  unser  Dichter  auch  die  Sonnenünstemis  bei 
der  Geburt  des  Prinzen  Sigismund: 

—  die  Sonne,  blutigtriefend 
Einen  Zweikampf  mit  dem  Monde 
Unternahm  im  höchsten  Grimme; 
Und  getrennt  durch  unsem  Erdball 
Kämpften  diese  zwei  Gestirne, 
Da  sie  sich  nicht  fassen  konnten. 
Mit  der  yoUen  Kraft  des  Lichtes. 

(Gries.)*) 
In    das   Gebiet   der    plastisch-beseelenden  Pars,    gehört 
femer  die  mythologische  Darstellung  der  Sonne  als  Sonnen- 
gott Phoebus  Apollo,  der,  von  Sternen  und  Planeten  umgeben, 
stolz  daherkommt.') 

Am  Morgen  erhebt  er  sich,  um  der  Erde  neues  Leben 
zu  spenden  *) ;  zur  Zeit  der  Morgenröte  vergoldet  der  locken- 
haarige Phoebus  Felsen  und  Berge  mit  seinen  Lichtstrahlen  *) ; 
am  Abend  badet  er  seine  goldenen  Locken  in  den  silber- 
glänzenden Wogen  und  gibt  der  Nacht  die  Erlaubnis,  ihre 


^)  se  eclipso^  /  El  sol,  que  en  sangrienta  guerra  /  No  quiso  dar  d  la 
luna  I  Luz^  que  en  au  fax  reaplandece^  Furg.  1,  155 ^ 
•)  Vida  I,  4«^  =  I,  681ff.: 

—  el  8olj  en  su  sangre  tinto 
Entraba  sanudamente 
Con  la  luna  en  desafio; 
Y  s^lendo  valla  la  tierra, 
Los  dos  faroles  divinos 
Ä  luz  entera  luchaban, 
Ya  que  no  ä  hrazo  partido. 
•)  el  dorado  Febo  /  Acompanado  de  estrellas  /  Y  cercado  de  luceroSj 
May,  encanto  I,  391^ 

*)  Febo  madi^ga  I  Ä  dar  una  vida  al  mundo^  Puente  1,  212V 
•)  Febo  ini(mso  /  Cumbres  bana  y  montes  dora,   Vir  gen  1,  332»» 


—     12     — 

schwarzen  Schatten  zu  entfalten  ^) ;  wenn  dagegen  der  Himmel 
sich  verfinstert,  dann  heißt  es,  es  verberge  Apoll  im  Todes- 
kampf sein  goldenes  Antlitz  in  einem  Leichentuche  aus 
schwarzen  Wolken  *) ;  auch  zur  Nachtzeit  vergräbt  der  Gott 
der  Dafne  sein  Licht  zwischen  düsteren  Schatten.  *) 

Getreu  der  mythologischen  Auffassung  werden  der  Sonne 
auch  Rosse  und  Wagen  zugeschrieben. 

Auf  ihrem  reichverzierten,  prächtigen  Wagen  fahrt  die 
Sonne,  jene  leuchtende  Fackel,  rings  um  die  Welt  und  er- 
leuchtet den  Himmel  mit  ihren  Strahlen*);  vom  Wagen  des 
Faeton  steigt  sie  am  Morgen  herab  auf  die  Saphirmauer  des 
Himmelsgewölbes*);  am  Abend  sieht  sie  von  ihrem  Wagen 
aus  dem  Kampfe  ihrer  Strahlen  mit  den  Wellen  im  spanischen 
Meere  zu*),  oder  lenkt,  der  Bitte  des  die  Nacht  herbei- 
sehnenden Liebhabers  willfahrend,  die  Deichsel  ihres  Wagens 
durch  die  Gefilde  des  Sonnenuntergangs. ')  Beim  Einbrechen 
der  Nacht  wäscht  sie  ihren  leuchtenden  Wagen  im  spanischen 
Meere  ®),  oder  es  verbirgt  die  Nacht,  in  Schatten  gehüllt,  den 
leuchtenden  Sonnenwagen  in  den  kühlen  Wellen.*) 

Auch  Anspielungen  auf  die  Sonnenrosse  finden  wir;  so 
rühmt  Guido  von  Burgund  zwei  edle  spanische  Pferde,  welche 

*)  el  dorado  Ftho  j  En  ondas  de  plata  y  nitve  /  Bana  loa  rubios 
cabellos  I  Dando  licencia  d  la  noclie  /  Que  haje  entre  oscuros  velos,  Ar- 
(jenis  I,  437^ 

')  rfc  un  parasismo  el  mismo  Apolo  /  Amortajado  en  nübes,  la  do- 
rada  I  Faz  eacondio,  Fr  ine.  I,  248'  =  I,  523  ff. 

')  Espere  que  el  dios  de  Dafne 

Entre  sombras  y  hosquejos 
De  una  noche  sepuUase  j  Su  liiz,  Con  quien  II,  236 •. 

*)  Esa  luminar  antorcha,  j  Que  desde  su  plaustro  rico  /  El  cielo 
ilumina  ä  rayos,  i  El  mundo  describe  d  giros,  May.  encanto  I,  394 •. 

*)  del  carro  de  Faetonte  /  Säle  el  sol  de  zafir  d  la  muralla,  Vir  gen 
I,  334  K 

•)  el  sol  apenas  hoy  desde  su  coche  /  Lid  de  rayos  y  olas  /  Verd 
sobre  las  ondas  espanolas,  Gal.  fant.  I,  298 ^ 

')  parece  que  obediente  /  Ä  mi  voz  noble  y  bizarro  /  Gruia  d  pirtigo 
del  carro  I  Por  los  campos  de  occidente,  Gal.  fant.  I,  298*. 

*)  bana  /  AI  descender  la  noche  /  Su  luminoso  coche  /  En  las  fmdas 
de  Espana,  Furg.  I,  162»»;  Gal.  fant.  I.  292 ^ 

•)  la  noche,  /  Envuelta  en  sombras,  el  luminoso  coche  /  Del  sol  «- 
eonde  entre  las  ondas  puras.  Fr  ine.  I,  260  ^^  =  III,  686  ff. 


—     13     — 

die  Sonne  mit  Kecht  für  ihren  Wagen  begehren  könnte*), 
wie  denn  Calderon  schöne  Pferde  geradezu  „Sonnenrosse", 
cabcUlos  del  sol,  nennt.') 

Mannigfach  betätigt  sich  die  Phantasie  des  Dichters,  wenn 
es  gilt,  Sonnenaufgang  oder  Sonnenuntergang  zu  schildern. 

Heller  Lichtschein  im  Osten  verkündet  das  Kommen  der 
leuchtenden  Sonne'),  die  bald  im  Meere  sich  erhebt*),  bald 
in  einer  Wiege  aus  Blumen  geboren  wird  *) ;  voll  Stolz  kommt 
sie  hervor,  um  die  Sterne  auszulöschen  ^)  oder  begräbt  Legionen 
von  Sternen  in  den  saphirblauen  Wogen  des  Himmelsgewölbes  '^) ; 
auch  findet  die  Sonne,  der  Himmelsphönix,  fern  im  Osten,  in 
Lidien,  am  kühlen  Meeresstrande  Saphirwiege  und  Silbergrab.^) 

Beim  Sonnenaufgang  spielt  die  Morgendämmerung, 
die  alba,  eine  große  Rolle:  sie  bringt  uns  die  neugeborene 
Sonne  in  ihren  Armen*);  in  ihren  Armen  erwacht  Sol,  der 
größte  Planet,  zu  neuem  Glänze  und  kehrt  zu  den  Rosen  und 
den  anderen  Pflanzen  zurück.  ^^) 

Als  treue  Kammerfrau  zieht  die  Alba  jeden  Morgen  im 
Osten  die  Vorhänge  vor  dem  Bette  der  Sonne  weg**)  und 
kräuselt  ihr,  wie  wir  oben  gesehen,  die  goldenen  Stirnlocken.**) 


')  dos  caballos  j  De  alma  y  aliento  espanol,  Que  imra  su  carro  el 
sol  I  Con  razon  puede  envidiallos,  Puente  I.  207^' f. 

»j  Casa  1,  142 ^ 

')  del  sol  luciente  /  Pregona  la  venida  /  Coronado  de  Im  el  claro 
Oriente,  Judas  L  323 ^ 

*)  en  el  mar  madrugay  Banda  II,  153'. 

*J  en  cmia  de  flores  nace.  Sab  er  J,  24 ^ 

•)  Säle  con  lyanidad  borrando  estrellas^  Purg.  L  162''. 

")  en  ondas  de  zafiros  j  Sepulta  abismos  de  estrellaSy  Argen  is 
I,  444*;  Sepultando  estrellas  sale,  Lances  I,  37 •. 

*)  al  finix  celestial  la  playa  fria  /  Es  cima  de  zafir,  tumba  de  plata, 

Cenobia  I,   188^;  la  India,  que  eligio  / /  .para  su  ciina  el  sol^ 

Ä  secr.  agr.  1,  695 ^ 

•)  El  alba  . ,  .  en  sus  brazos  /  Nos presenta  el  sol  infante^  Devocion 
I,  61*=;  sol  infante,  cf.  Mdgico  II,  V.  832,  K«,  S.  227. 

")  el  mayor  planet a,  /  Que  en  los  brazos  de  la  aurora  /  Se  restituye 
luciente  /  Ä  las  plantas  y  d  las  rosas,  Vi  da  I,  16»  =  III,  607  flF. 

*')  Seis  veces  pues  corrio  al  sol  /  Las  cortinas  orientales  /  Sumiller 
el  alba,  Casa  1,  132»»;  Gal  Fant.  I,  307*. 

")  Mej.  estd  I,  225',  siehe  S.  9-^ 


—     14    — 

Weit  häufiger  sind  die  Stellen,  die  auf  den  Sonnen- 
untergang Bezug  haben. 

Bald  legt  sich  die  Sonne  im  Meer  zur  Ruhe^),  wo 
sie  sich  zwischen  Korallen  und  Perlen  verbirgt^);  bald  zieht 
sie  sich  hinter  karminrote  Vorhänge  zurück^),  bald  geht  sie 
nach  einem  anderen  Horizont^)  oder  zieht  mit  langsamen 
Schritten  in  die  Gefilde  des  Sonnenuntergangs  ein/) 

Die  Sonne  stirbt  im  Marmorgrab  "),  oder  findet  ihr  Silber- 
grab in  den  kühlen  Wogen  des  Meeres');  auch  sinkt  sie 
altersschwach  ins  diamantne  Grab  hinab  ^),  oder  es  begräbt 
die  düstere  Nacht  die  goldenen  Strahlen  der  Sonne  in  der 
dunkelgrünen  Meeresflut*),  wobei  das  ganze  Meer  zum  Grab 
wird  für  ihre  gewaltige  Lichtfülle  ^®)  und  der  blaue  Dreizack 
des  Meergottes  ihr  Licht  austilgt.  ^^) 

Wieder  tritt  uns  das  Bild  vom  Vogel  Phönix  vor  die 
Augen,  wenn  es  heißt,  am  Abend  verbrenne  die  Sonne  ihre 
goldenen  Schwingen  am  silbernen  Feuerherde,  um  während 
der  Nacht  wieder  neu  zu  erstehen. ^^ 

*)  en  el  mar  se  acuesta,  Banda  II,  153'. 

*)  äntes  que  el  sol  se  oculte  j  Entre  corales  y  perlas j  Princ.  I,  251* 
=  II,  20öfiF.;  Arginis  I,  444*. 

'j  iCudndo  no  se  acuesta  el  sol  j  Tras  corünas  de  carmin?  Mej. 
estd  I,  241^ 

*)  se  parte  el  sol  d  otro  horizonte,  Fi  (i  a  I,  1*»  =  I,  48;  Busca  el 
sol  nuevo  horizonte^  Castigo  HI,  392 ^ 

*j  con  lento  paso  I  Entra  el  sol  en  las  llneas  del  ocaso^  Castigo 
III,  381». 

*)  eyi  tumba  de  marmol  mwere,  Sab  er  I,  24'. 

')  Hagan  los  rayos  del  sol  /  Del  mar  sepulcro  de  plaia,  Sitio 
I,  113^;  cf.  Mägico  I,  V.  24 ff.,  K„  S.  143. 

*j  el  sol  caduco  muero  /  En  tümulos  de  diamante,  Ä  secr.  agr. 
I,  597  ^ 

*}  Äntes  que  la  oscura  sonibra  I  Sepulte  los  rayos  de  oro  /  Entre 
verdinegras  ondas,  Fi  da  I,  17»»  =  III,  804  ff.;  dntes  que  en  el  mar  se- 
pulte  I  El  sol  sus  rayos  .  . ,  .  Ä  secr.  agr,  I,  608°. 

")  siendo  monuntento  /  Todo  el  mar  d  todo  el  sol  /  Cuando  Uegase  d 
SU  centro,  Con  quien  II,  236'. 

")  I Apagut  el  azul  tridente/  Tu  luz!,  Qal.  fant  I,  298«. 

**)  dntes  que  en  esta  (seil,  noche)  renazca  /  El  sol  qtiemando  las 
plumas  I  De  oro  en  hogueras  de  plata,  Banda  II,  161  ^ 


—     16    — 

Andere  Stellen  melden  uns,  daß  die  Sonne  am  Abend 
den  Tod  erleide  und  die  finstere,  traurige  Nacht  ihr  die 
Leichenfeier  rüste.  ^) 

In  hellem  Glanz,  von  herrlichen  Lichtern  umgeben,  stirbt 
die  Sonne;  die  Abendröte  bedeutet  ihren  Todeskampf 2) ;  in 
den  Gefilden  des  Sonnenuntergangs  liegt  sie  als  rotleuchtender 
Leichnam^),  an  welchem  die  Sterne  als  schwache  Funken 
des  Lebens  zurückbleiben.  Mithin  ist  ihr  nicht  alles  Leben 
entflohen : 

Zwar  die  Totenfei'r  sich  haltend, 
Stirbt  die  Sonne  nicht;  sich  spaltend 
Hinterläßt  sie  viele  Sonnen, 
gleich  einem  Spiegel,  der  zerbrochen  in  vielen  kleinen  Spiegeln 
nur  um  so  öfter  widerstrahlt.*) 

Zur  Leichenfeier  der  Sonne  behängt  die  schwarze  Nacht 
ihren  Thronhimmel  mit  schwarzen  Trauerschleiem  *^) ,  der 
Himmel  zieht  seinen  schwarzen  Schleier  vor,  den  der  Wind 
ihm  webt;  um  den  Tod  der  Sonne  zu  beklagen ;  anstatt  froher 
Lieder  singen  die  Nachtvögel  in  klagenden  Tönen  der  Sonne 
den  Grabgesang.  6) 

Es  bedeutet  ja  ihre  Abwesenheit  den  Tod  für  alles  auf 
der  Erde,  und  erst  ihre  Wiedergeburt  verleiht  dem  Erdkreis 
neues  Leben,  neues  Sein  ^ ;  alles  erwacht  zu  neuem  Leben 


^)  de  luces  avara  /  Y  triste  la  noche  fria,  /  En  eclipsado  arreholj  / 
Las  exequia»  hace  cU  sol,  Gal.  fant.  I,  295 \ 

')  el  sol  entre  luces  hellas  /  Muerej  paredendo  en  ellas  /  Farasismo 
8u  arrebol,  I  Y  del  cadäver  del  sol  j  Cenizas  son  Icts  estrellaSy  Fuente 
I,  215«. 

')  en  los  campos  de  occidente  /  Es  un  caduver  el  sol  /  Cada  vez  q^ie 
resplandece,  Peor  estd  I,  IUI». 

*)  Conio  un  espejo  quebrado  /  Finge  varix>s  tomasoles^  /  Asi  el  sol 
entre  an-eboles,  /  Aunque  exequias  se  celebra,  /  No  muere^  sino  se  quiebra  / 
Pues  nos  deja  tantos  soles,  Puente  I,  215 ^ 

*)  la  noehe  negra  /  Por  las  exequias  dd  sol  /  Doseies  de  luto  cuelga^ 
Cenobia  I,  199^ 

•)  los  cielos  tenian  /  Corrido  el  oscuro  velo^  /  Luto  que  ya  por  la 
muerte  /  Del  sol  entapiza  el  viento,  I  Y  eti  sus  exequias  las  aves  /  Noc- 
turnas^  en  vez  de  versos  /  Cantan  caistros,  Purg.  I,  151  *. 

')  siendo,  /  Si  su  ausencia  muerte  d  todOj  /  Vida  y  ser  su  nacimiento, 
C astig 0  III,  392 ^ 


—     16     —       . 

bei  ihrem  warmen  Odem^),  wenn  sie  am  Morgen  mit  holdem 
Gruß  die  Berge  vergoldet  ^)  oder  lichtgekrönt  über  Berge  und 
Meere  emporsteigt,  um  über  Gipfel  und  Wellen  Glanz  und 
Strahlen  zu  verbreiten  ^) ;  lediglich  der  Glanz  der  Blumen 
welkt  dahin  unter  ihren  starken  Fußspuren.*) 

Betrachten  wir  jetzt  die  Fälle,  in  welchen  der  Sonne 
Züge  des  menschlichen  Geistes-  oder  Seelenlebens  verliehen 
werden,  Stellen,  in  welchen  sie  als  beseeltes  Wesen  erscheint, 
mit  Vernunft  und  Verstand  ausgestattet,  denkend  und  empfin- 
dend wie  der  Mensch,  indes  die  Erinnerung  an  die  menschliche 
Körpergestalt  weniger  in  uns  wachgerufen  wird.*) 

Als  bedeutendstes  Gestirn  des  Tages  führt  die  Sonne 
den  Vorsitz  in  der  Ständeversammlung  der  Planeten");  der 
Majoratsherr  Sol  hat  die  Pflicht,  für  die  glänzende  Luna, 
seine  jüngere  Schwester,  zu  sorgen,  indem  er  ihr  Licht 
spendet');  dafür  steigt  Luna  zur  Nachtzeit  als  Vizekönigin 
am  Himmel  empor®),  oder  es  bleiben  an  Stelle  der  Sonne 
der  Mond  und  die  Sterne  als  leuchtende  Vizeköniginnen  zu- 
rück. ») 

Die  Sonne  ist  der  Vater  ^°),  wie  auch  Herz  und  Seele  des 


*)  iPues  quien  no  vive  y  deapierta  I  Ä  los  aliento8  del  sol?  Sab  er 
L  24*. 

*}  la  salva  I  Del  sol  estos  montes  dora,  Arginis  1,  440  ^ 

')  sohre  montes  y  mares,  /  Cuando  coronado  asoma,  /  Luz  esparce, 
rayos  Mlla  j  Cumbres  bana^  espumas  borda,  Vi  da  I,  16'  =  III,  511  ff. 

*)  las  rosas  , .  .  Cuyos  muertos  resplandores  /  Ä  las  estampas  y 
htieUas  I  Del  sol,  Con  quien  II,  244 •. 

*)  Beseelende  Personifikation. 

•J  Yo  en  esferas  perfetas  /  Llamando  el  sol  d  cortes  los  planetas  / 
Le  vi  que  presidia  /  Como  mayor  ordculo  del  dia^   Vi  da  I,  9*"  =11,  623  ff. 

')  Äntes  que  la  breve  ausencia 

Del  sol,  mayorazgo  en  fin 
Di  luz  d  la  luna  tersa, 
Como  d  8u  menor  hermana,    Castigo  III.  383  ^ 

®)  vireina  dtl  sol  sah  luna.  Vir  gen  I,  337*". 

^)  Sustituyendo  su  ausencia  /  Las  estrellas  y  la  luna  /  Porque  abra- 
sadas  vireinas  /  De  la  majestad  del  sol  /  Son  la  luna  y  las  estrellaSj  Gal. 
fant.  I,  296 ^ 

")  es  padre  del  dia,  Fr  ine.  I,  256«^  =  lU,  50. 


_     17     — 

Tages  ^);  sie  zieht  den  Tag  hinter  sich  her^)  und  führt  ihn 
am  Ahend  nach  einem  anderen  Pole^),  wozu  sie  häufig  von 
der  kalten  Nacht  aufgefordert  wird.^) 

Als  gefühlvolles  Wesen  beweint  die  Sonne  den  Tod 
Christi  mit  blutigen  Tränen^);  sie  weint  beim  Unglück  des 
Volkes  Israel  ^)  und  nimmt  Anteil  an  der  Buße  des  Eusebio  ''), 
während  sie,  um  die  Greueltaten  des  Ludovico  Enio  nicht 
ansehen  zu  müssen,  einen  Trauerschleier  umlegt^),  und  lieber 
verlöschen  würde,  ehe  sie  die  schrecklichen  Zornesausbrüche 
des  Königs  Don  Pedro  mit  ansähe.*)  Bei  einem  gewaltigen 
Seesturm  legt  sie  Purpur-  und  Earmingewänder  an,  wenn 
sie  all  das  Unglück  bemerkt  ^^),  und  bei  dem  Unheil,  das 
durch  die  Neugier  des  Königs  Rodrigo  und  den  Einfall  der 
Mohren  über  Spanien  kam,  verfinsterte  sie  ihre  Strahlen  imd 
fürchtete,  gänzlich  zu  verlöschen. ^^) 

Vor  den  gewaltigen  Heeresmassen  des  Riesen  Fierabras 
erstaunen  Sonne  und  Meer'^);  beim  Anblick  der  Cyklopen 
gerät  die  Sonne  in  Aufregung  ^^) ;  bei  dem  Aufstand  in  der 
Residenz  des  Königs  Basilius  erschrecken  Sonne  und  Wind  **), 


')  Alma  y  corazon  del  dia,  Gal.  fant.  I,  295'. 

■)  Llevändose  tras  «i  el  dia,  May.  encanto  I,  394*. 

•)  Era  la  est^icion  que  ya  j  El  planeta  luminoso  /  Dejändonos  en  la 
noche  I  Llevaba  d  dia  d  otro  polo,  Oal.  fant.  J,  302 ^ 

*)  la  noche  fria^  /  En  mal  distinto  arrebol  j  Da  priesa  diciendo  al 
8ol  I  Que  se  vaya  con  el  dia^  Casa  I,  144*. 

*)  can  sangre  jLloro  la  muerte  de  Cristo,  Vi  da  I,  4*  =  I,  689  f. 

•)  Llore  el  sol,  Judas  1,  311  **. 

')  Y para  verlo  mejor  /  El  sol  descubre  sus  rayos,  Devocion  J ,  86 **. 

*)  mis  obras  /  Tan  abominables  son.  Que,  por  no  verlas ^  se  cubre  / 
De  luto  ese  resplandor,  Purg.  1,  163 ^'e 

•)  «c  muriera  estimara  f  La  luz  del  sol  por  no  veros,  Medico 
I,  So?«»  =  U,  552t. 

*•)  Äpercibiendo  tragediae  /  Vistiö  purpura  y  carmin,  Arginis 
1,  4Ö4H. 

"'^  el  sol  entre  sus  rayos  /  Eclipses  padedö^  temiS  desmayos^  Vir  gen 
I,  334*. 

'*)  ü  sol  de  verlos  se  espanta  j .  .el  mar  de  verlos  se  admira^  Fuen  te 
I,  a09^ 

")  El  sol  se  turba^  May.  encanto  1,  403^ 

")  El  sol  se  turba  y  se  embaraza  el  viento,  Fi  da  1, 14*  =  IIJ,  284. 
Münchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.  XXXII.        2 


—     18    — 

wie  beide,  bewundernswerte  Heldentaten  in  der  Schlacht  voll 
Aufmerksamkeit  verfolgend,  stumm  vor  Erstaunen  in  ihrem 
Laufe  innehalten  ^)  und  ebenso  scheint  die  Sonne  für  alles 
andere  blind  zu  sein,  wenn  sie  das  heldenmütige  Vorgehen 
des  Don  Diego  aufmerksam  betrachtet.^) 

Auch  Neid  empfindet  die  Sonne  bisweilen,  wiewohl  sie 
selbst  der  Inbegriff  aller  Schönheit,  Großartigkeit  und  Pracht 
ist  und  ihren  glänzenden  Lichtstrahlen  nichts  anderes  gleich- 
kommt.*) 

Sie  beneidet  gar  manchmal  den  König,  wenn  er  in  voller 
Kriegsrüstung  über  das  Schlachtfeld  dahinzieht  *) ;  mit  scheelem 
Blick  sieht  sie  auf  die  schöne  Dejanira,  die  es  ihr  an  Glanz 
bei  weitem  zuvortut,  so  daß  der  Meinung  des  Neso  zufolge 
die  Sonne  vor  dem  hellen  Lichte  der  Dejanira  nur  mit  Angst 
und  Furcht  ihre  Strahlen  hervorholt  ^) ;  selbst  auf  das  Glück 
eines  liebenden  Paares  scheint  sie  neidisch  zu  sein,  indem  sie 
zeitiger  als  sonst  zwischen  Gold-  und  Purpurwolkeu  ihre 
Strahlen  entfaltet  und  die  Liebenden  zur  Trennung  zwingt.^ 

Gleichwohl  hat  die  Sonne  selbst  einst  die  Qualen  der 
Liebe  empfunden,  da  sie  in  ihrem  Liebeseifer  voll  Treue 
einem  Lorbeer  nachgingt),  weshalb  Carlos,  der  die  Nacht 
herbeiwünscht,  um  mit  seiner  geliebten  Laura  beisammen  sein 
zu  können,  sich  vertrauensvoll  an  die  Sonne  wendet: 

O  du  strahlender  Planet,  ermiß  in  deinem  Liebesschmerz, 
wie  groß  der  meine  ist. 


^)  atentos  d  la  accion  /  Que  intenta  atrevido  un  hombrCy  /  Mudo  el 
viento  se  deüene  /  Y  d  sol  se  ha  parado  inmobily  Sitio  1,  124 'f. 

')  atento  d  su  f accion  se  via  /  Sordo  el  mar,  mudo  el  aire  y  eZ  Bol 
ciego,  Sitio  I,  111  ^ 

')  con  8u  lux  ardiente  I  No  Kay  cosa  que  no  iguale,  Amor  I,  370 ^ 

*)  Envidia  del  sol  tal  vez,  Amor  1,  372 ^ 

*)  Hermosa  Deyanira^  /  Ä  qytien  el  sol  tan  envidioBO  mira,  /  Que  con 
ansiaSj  con  penas,  con  desmayos  /  Saco  d  lucir  ante  tu  luz  sus  rayoSy 
Tres  m.  prod.  1,  284*. 

•)  /  Que  tan  veloz  ...  sea  I  El  tiempo !  No  me  parece  /  Que  hd  un 
hora  que  anochecioj  /  Y  presumo  que  envidioso  /  De  mi  gloria,  el  sol  her- 
mo80  I  Ma»  temprano  descubrio  j  Los  reflejos  .  .  .  Astrol.  I,  677*. 

')  Bien  podre  decir  mi  amor  /  AI  sol,  pues  su  hello  ardor  /  ün  laurd 
siguio  fiel,  GaL  fant  1,  289«. 


—     19    — 

Kürzend  diesen  Tag,  vereine 
Schnell  den  West  und  Orient: 
/  Oh  tüf  planeia  IvcieMe, 
Mide  en  tu  pena  la  mia, 
Y  haz  hoy  stncopa  dd  dia 
El  ocaso  y  el  Oriente/^) 
Auf  ihrer  täglichen  Wanderung  von  der  Perlmutterwiege 
zum    schneeigen    Grab    im   Meere  ^)    erlebt    die    Sonne    gar 
mancherlei,  nichts  bleibt  ihren  Strahlen  verborgen;  nur  ganz 
entlegene  Örter,  versteckte  Stellen  und  ferne  Gegenden  sind 
auch  ihren  Lichtstrahlen  unerreichbar,  und   dann   heißt  es, 
das  Licht  der  Sonne  habe  hierher  keinen  Weg  gefunden.^) 

Curcio  berichtet  von  einer  abgelegenen  Stelle  des  Ge- 
birges, wo  die  Sonne  vergebens  £inlaß  begehrte,  denn  Bäume, 
Blätter  und  Zweige,  kunstlos,  wenn  nicht  liebevoll  ineinander- 
geschlungen,  verwehrten  ihr  den  Eintritt^);  der  unglückliche 
Sigismund  haust  in  einem  finsteren  Turme  zwischen  den 
Felsen  und  Schluchten  des  Gebirges,  wohin  kaum  das  Licht 
seinen  Weg  findet,  da  plumpe  Steinsäulen  ihm  den  Zugang 
versperren  *) ;  Federico  wird  in  einen  finsteren  Turm  gesperrt, 
woselbst  ihn  die  Sonne  nicht  besuchen  soll®),  da  sie  durch 
keine  Bitze  Einlaß  findet.*^ 

Laura  lebt,  wie  sie  selbst  berichtet,  stets  im  Hause  ein- 

»)  Qal  fant  I,  298^ 

*)  Desde  la  cutia  de  nacar  /  Hasta  la  tumba  de  nieve^  Arginis 
J,  451  •. 

')  una  partej  donde  /  Ann  la  luz  del  aol  se  esconde,  /  Qu«  aqui  no 
lUgo  jamaSy  Purg,  I,  159 ^ 

*)  una  8eci*eta  estancia  /  Deate  monte^  d  cuyo  alberg^ie  /  El  8ol  ignaro 
la  entrada,  /  Porque  se  la  defendian,  /  RnsHcamente  enlazadas  /  Por  no 
decir  que  amarosas  I  ArboUs^  hojas  y  ramas^  Devocion  I,  58',  cf.  K,, 
8.  159,  zu  Mdgico  1,  322fi'. 

*)  Etitre  las  penas  y  riscos  /  De  eso»  montes^  donde  apinas  /  La  luz 
ha  haüado  Camino,  /  Por  defenderle  la  entrada  /  Sus  rnaticos  obeliscos^ 
Vida  I,  5*  =  I,  740flF. 

•)  Venid  /  Donde  una  torre  os  encierre,  /  Y  donde  el  sol  no  os  visite, 
Castigo  UI,  390^ 

')  donde  el  aol  apenas  /  Por  solo  un  resquicio  entre,  Castigo 
JII,  390^ 

2* 


—     20     — 

geschlossen,  so  daß  nicht  einmal  die  Sonne  sie  zu  besuchen 
kommt  ^);  da  Do&a  Angela  sich  verborgen  halten  muß,  so 
weiß  kaum  die  Sonne,  wer  sie  ist*);  Poliarco  soll  sich  für 
einige  Zeit  in  einer  dunklen  Höhle  verstecken,  nicht  einmal 
die  leuchtende  Kugel  der  Sonne  darf  von  ihm  erfahren  *),  und 
auch  Don  Lope  will  sein  Rachewerk  so  behutsam  und  heim- 
lich vollführen,  daß  kaum  die  Sonne  es  sehen  soll/)  Don 
Astolfo  berichtet  von  einer  Hütte,  welche  im  tiefsten  Walde 
verborgen,  kaum  der  Sonne  bekannt  ist^),  Aureliano  beherrscht 
die  entferntesten  Teile  der  Welt,  die  nicht  einmal  die  Sonne 
kennt®),  und  Julia  ist  bereit,  ihrem  Geliebten  überall  hin 
zu  folgen,  selbst  in  das  entfernteste  Land, 

„Dort,  wo  sich  des  Weltenrundes 

Hell  erglänzend  Rad,  die  Sonne, 

Kaum  vom  Tag  erlauschen  läßt", 
oder  wo  sie  mit  rotleuchtenden  Strahlen  die  Nacht  besiegt.') 
Nicht  überall  kommt  also,  wie  wir  sehen,  die  Sonne  frei 
und  ungehindert  hin;  Astolfo  erzählt,  man  habe  ihn,  um  ihn 
vor  der  Rache  des  Herzogs  zu  schützen,  in  das  entlegenste 
Zimmer  eingesperrt,  wohin  selbst  die  Sonne  nur  furchtsam 
und  in  kleine  Strahlen  aufgelöst,  gedrungen  sei  ®) ;  das  Laby- 


*)  siempre  cerrada  en  casa  /  Xi  aun  el  sol  me  llega  d  »er,  Mej. 
estd  I,  228^ 

*)  apenas  el  sol  sabe  /  Quien  soy,  Dama  J,  leg*»;  ibd.  I,  169*;  cf. 
Alcalde,  K,,  J,  V.  Ö4öff,  S.  182. 

')  no  ha  de  saher  di  ti  /  Ni  aun  la  luminar  estrdla  /  Del  sol^  Ar- 
ginis  I,  440'». 

*)  tal  mi  venganza  sea,  /  Obrando  discreto  y  sabio^  /  Que  apenas  el 
sol  la  rea,  Ä  secr,  agr,  I,  607». 

*)  Aquella  cabana,  aquella  /  Que,  en  lo  ignarado  del  soto,  f  ApSnas 
el  sol  la  sabe,  Gal.  fant  I,  302^ 

*)  Ocupas  lo  mos  remoto  /  Del  mundOj  que  ignora  el  sol  /  Sulcando 
estrellados  globos^  Cenobia  I.  187'». 

'^  Llevame  contigo^  y  sea  /  Patria  mia  el  mas  remoto  /  Clinuij  dande 
el  sol  apenas  /  Nndo  luciente  del  globo,  /  Se  dejar  acechar  del  dia^  j  0 
adonde  con  rayos  rojos  j  No  dejar  triunfar  la  noche.  Gal.  fant.  I,  303'. 

®)  Efi  el  ultimo  aposento,  /  Donde  ajyenas  temeroso  /  Entrö  el  sol 
deshecho  en  rayos,  /  Entro  el  aire  envuelto  en  soplos,  /  Me  encerraron, 
Gal.  fant.  I,  302»'. 


—     21     — 

rinth  des  Minotaurus  ist,   dem  Berichte  des  Lidoro  zufolge, 
ein  düsteres,  unheimliches  Bauwerk, 

Utia  oscura  horrible  casa 

Donde  apenas  el  sol  entrOj 

Y  es  verdadf  pues  aunque  enirara 

Libremeniey  entrara  ä  penas^), 
indes  Mariene  den  Königspftlast  zu  Jerusalem  als  einen  Tempel 
der  Ehre  bezeichnet, 

den  die  Sonne  selber 

Nicht  betreten  würd',  als  nur 

Sich  entschuldigend,  sie  käme 

Ihm  zu  leuchten.') 
Bisweilen    glaubt   die   Sonne,    sie    habe    sich   auf  ihren 
Wanderungen  am  Himmelsgewölbe  im  Wege  geirrt. 

Der  Riese  Fierabras  droht  dem  Kaiser  Karl,  er  wolle 
während  der  Schlacht  aus  einem  lieblichen  Tal  ein  rauhes 
Vorgebirg  von  Leichnamen  machen,  so  daß  die  Sonne,  wenn 
sie  beim  Aufgehen  Berge  sehe,  wo  früher  Wälder  standen, 
denken  werde,  sie  habe  bei  ihren  Wanderungen  am  Himmels- 
gewölbe den  rechten  Weg  verfehlt.*) 

Den  gleichen  Ausdruck  finden  wir  wieder  in  der  Stelle 
May.  encanto  I,  403«,  wo  die  Zauberin  Circo,  um  dem  Streit 
zwischen  den  Griechen  und  ihren  Mannen  ein  Ende  zu  machen, 
künstliche  Nacht  und  ein  Gewitter  heraufbeschwört: 

Wenn  Sonne  und  Mond  sehen,  daß  sie  heute  nur  so 
kurze  Zeit  zu  leben  haben,  werden  sie  denken,  sie  hätten  bei 
ihren  Wanderungen  am  Himmel  den  Weg  verfehlt,   oder  ich 

'i  Tres  m.  prod.  I,  275^ 

')  Templo  de  honor  talj  que  a  verle  /  El  sol  no  entrara^  ä  no  entrar  / 
Con  disculpa  de  que  viene  /  Ä  darle  la  luz;  que  aun  el  sol  /  No  entrara 
de  otra  suerte,  May,  monstruo  I,  493 ^  In  der  Ausor.  v.  1636,  2.  Teil, 
fol.  Ißö  recto,  2.  Spalte  lautet  diese  Stelle:  El  sol  se  atreve  con  miedo  /  Y 
entra  dentro^  porque  vietie  /  Ä  trnerle  luz^  que  el  sol  /  Aun  no  tntra  de  otra 
merie.  Vgl.  die  K,  zu  S.  163  angeführte  ähnliche  Steile  Lindahridis 
II,  262-. 

')  este  valle  hermoso.  /  Con  los  caddvereSy  sea  /  ün  bdrbaro  promon- 
torio:  j  Tanto  que  el  sol  al  nacer,  /  Viendo  tnonte  el  que  era  soio,  /  Piense 
qiie  ha  errado  el  ramino  ,  De  sus  telestiales  tomos,  Fuente  I,  208''. 


—     22     — 

hätte  von  der  Erde  aus  ihr  Licht  mit  einem  Hauche  ausge- 
löscht, i) 

Von  besonders  bemerkenswerten  Ereignissen  sagt  unser 
Dichter  mit  Vorliebe,  sie  seien  das  größte  Schauspiel,  das 
die  Sonne  je  auf  ihrem  Laufe  gesehen  hat;  in  vielen  Fällen 
ist  die  Redewendung  <que  viö  el  sol*  wohl  nur  als  Verstärkung 
des  Superlativs  aufzufassen. 

So  sind  die  Festlichkeiten  beim  Empfange  der  Infantin 
Maria  in  Wien  (1631)  <el  niayor  teatro  /  Qiie  viö  el  sol,  en 
cuanios  gira  /  Oircidos  de  vidrio  y  meve*  *),  die  Huldigung  für  den 
Kroninfanten  Baltasar  (1632)  bezeichnet  Calderon  als  <e/ 
7nayor  acto  /  Que  viö  el  sol  en  su  carrera*^)',  den  Zweikampf 
zwischen  dem  alten  Ursino  und  seinem  Sohne  nennt  Don 
Sancho :  ^el  duelo  /  Mas  exlrafio  y  mos  notable  j  Que  ha  visio  el 
sol  hasta  koy>  *),  und  Ulyxes  ist,  nach  der  Ansicht  der  Circe, 
„der  edelste  Grieche,  den  die  Sonne  sah".^) 

An  vielen  Stellen  wird  die  Sonne,  da  sie  allwissend  und 
allgegenwärtig  ist,  als  Zeugin  angerufen.*) 

„Heute  soll  die  Sonne  Zeugin  meines  stolzen  Mutes 
werden",  sagen  Sirene ')  und  Simon  **),  und,  um  die  Macht 
des  spanischen  Reiches  und  seines  Herrschers,  Philipps  IV. 
(1621 — 65),  in  würdiger  Weise  zu  verherrlichen,  ruft  der 
Marquis  Espinola  begeistert  aus: 

Möge 
Zeuge  seines  weitgedehnten 

^)  el  sol  y  la  luna  hoy,  j  Vicndose  vivir  tan  poco,  /  Piensen  que  el 
Camino  erraron  /  De  sus  celestiales  tornos,  /  0  que  yo  desde  la  fte»Ta  / 
Äpague  su  luz  de  t<n  soplOj  May.  encanto  I,  403*'. 

«j  Mej.  estd  J,  225*. 

*)  Banda  II,  151». 

*)  Con  quien  II,  253^ 

*)  May.  encanto  I,  392^ 

*)  testigo  I  Haz  dl  sol  de  que  conmigo  I  Lidiaste.  Tres  m,  prod. 
1,  285*. 

')  Hoy  el  sol  set-ä  testigo  j  De  mi  valor  arrogante^  May.  encanto 
I,  407*. 

^)  testigo  ä  las  fuerzas  /  De  mi  valor  siempre  augusto^  Judas 
I,  324«. 


—    23     — 

Reichs  die  Sonne  sein,  die  niemals 

In  demselben  untergehet. 
A  SU  düatado  imperio 
Sirva  de  iestigo  el  solj 
Sin  qiie  le  falte  un  momento,^) 
Die  Sonne  ist  ewig  und  unyergänglich ;  Jahr  für  Jahr 
zieht  sie  ihre  goldene  Bahn  am  Himmelsgewölbe  ') ;  wenn  sie 
am  Abend  uns  entschwindet,  so  wird  sie  anderen  Völkern  ge- 
boren^); jeden  Tag  stirbt  sie  und  erwacht  wieder  zu  neuem 
Leben,  dem  Vogel  Phönix  gleich,  der  aus  seiner  Asche  immer 
wieder  neu  ersteht.*) 

In  Glück-  und  Segenswünschen  spielt  deshalb  der  Spanier 
gerne  auf  die  ewig  lebende  Sonne  an:  ,, Mögest  du  so  lange 
leben  wie  die  leuchtende  Sonne,  die  Jahrhunderte  über- 
dauert^), heißt  es  gewöhnlich,  und  um  diesen  Glückwunsch 
besonders  wirkungsvoll  zu  gestalten,  fügt  der  galan  bei  seiner 
Geliebten  wohl  noch  hinzu:  Lebe  so  lange  wie  die  Sonne, 
ohne  daß  du  einen  Augenblick  nur  von  deinem  Glänze  ein- 
büßest: 

Ruego  al  cielo  .  . .  que  imites 

La  edad  del  soly  sin  que  iengas 

Solo  un  instante  de  eclipse.^) 
Bereits  eingangs,  S.  8,  wurde  erwähnt,  daß  Calderon 
die  Sonne  ungemein  häufig  auch  zu  Vergleichen  verwendet.  Bei 
der  lebhaften  Phantasie  des  Dichters  gilt  dieser  glänzende 
Himmelskörper,  das  größte  und  hervorragendste,  was  die 
Natur  aufzuweisen  hat,  gar  oft  nur  als  Superlativbegriff  oder 
als  Vergleichspunkt,  um  das  höchste  Maß  von  Reinheit, 
Schönheit,  Macht,  Größe,  Majestät,  kurzum,  den  Inbegriff 
aller  Vollkommenheit  auszudrücken,   wobei  Calderon  mit  der 


>)  Sitio  I,  116*. 

')  pasando  anoa  /  El  sol  por  dorcuhs  rumboa,  Vir  gen  I,  333  ^ 

*)  cuando  yace  f  Ä  nosotros,  d  otros  nace,  Vir  gen  I,  332  •. 

*)  el  8olj  que  cada  din  muere  y  nace  /  Y  fenix  de  8U$  rayos  se  re- 
nace,  Purg.  I,  164 ^ 

»)  Vivas  la  edad  del  sol,  Sitio  I,  119";  Purg.  I,  164»»;  Saber 
I,  21*»;  Con  quien  II,  237%  und  andere  Stellen  mehr;  imites  la  edad 
luciente  I  Del  sol,  que  por  siglos  dura,  Lances  I,  42 ^ 

•)  Astrol  1,  Ö74^ 


—     24     — 

Überschwänglichkeit  des  Südländers  sich  in  Übertreibungen  ge- 
fällt, die  uns  ruhigeren,  kaltblütigeren  Germanen  gar  oft  ab- 
geschmackt und  unnatürlich  erscheinen. 

Als  reiner  Superlativbegriff  wird  sol  eingeführt  z.  B.  in 
der  Stelle  AströL  I,  679',  wo  eine  Dame  sich  die  Nach- 
stellungen eines  galan  mit  den  Worten  verbittet:  Hier  sollt 
Ihr  bleiben,  und  wenn  die  Sonne  selbst  sich  unterstehen 
würde,  mir  nachzugehen,  so  würde  ich  beim  bloßen  Gedanken 
daran  ihr  Licht  auslöschen,  und  nicht  mehr  würde  sie  es 
wagen,  mich  ungestraft  anzublicken.  Aqui  os  habeis  de  quedar;  / 
Pues,  ciiando  el  sol  mismo  fuera  \  El  que  seguirme  ifUentarOy  / 
Solo  en  pensarlo^  eclipsara  /  Su  lux,  y  no  se  atreviera  /  Ä  rniranne 
si7i  desden (Guanto  mos  un  hambre  .  .  .)  ^) 

Die  Sonne  ist  das  Bild  der  höchsten  Reinheit^)  und 
Schönheit;  doch  im  Vergleich  zur  strahlenden  Schönheit  der 
Estrella  ist  selbst  die  Sonne  nur  ein  Schatten  und  der  Himmel 
ein  schwacher  Abglanz^);  der  Glanz  der  schönen  Zares  be- 
leidigt die  Sonne  ^),  da  Zares  das  Gefilde  mit  mehr  Licht- 
strahlen verschönt  als  Phoebus  ^),  und  wie  die  Sonne  in  ihrer 
einzigartigen  Götterpracht  die  Morgenröte  zum  Wettstreit 
herausfordert,  so  fordert  Dofia  Angela  an  Schönheit  und 
Glanz  die  Sonne  zum  Wettkampfe  auf.  •) 


^)  In  der  Ausg.  v.  1636,  2.  Teil,  fol.  212  yerso,  Spalte  2,  lautet  der 
Text  etwas  anders: 

De  dqui  no  habeis  de  pasar^ 
Pues  ctmtido  el  sol  mismo  fuera 
El  que  mir  arme  intentara, 
Sola  mi  vista  eclipsara 
Sil  luz  .... 
Cf.  Mägico  I,  V.  405ff.;  Alcalde  I,  V.  546ff.  =  H.  JII,  70'. 
«)  Cf.  Ka  zu  S.  215. 

^)  EsoH  rayos  excelentes,  /  De  quien  el  sol  fue  una  sombra  j  Y  el 
cielo  un  amago  breve,  Vida  1,  10 »^  =  II,  756 ff. ;  La  bellissima  Clara J 
Von  cuya  luz  es  la  del  sol  avara^  Hombre  I,  518'. 
*)  Luz  que  la  del  sol  afrenta,  Judas  I,  313  ^ 
*)  este  campo  hermosea  /  Com  mas  luz  que  la  febea^  /  JRues  ä  sus 
plantas  se  ven  j  Los  rayos  del  sol,  Judas  J,  323'*. 
•)  El  solj  deidad  Singular, 

Ä  la  aurora  desafia, 
Vos  {seil  Dona  A.)  al  sol .  .  .    Dama  I,  182*. 


—    25    — 

Von  schönen  Damen  lernt  überhaupt  die  Sonne  erst  den 
rechten  Glanz  und  die  rechte  Schönheit  kennen.  So  nennt 
ein  Liebhaber  die  Dame  seiner  Wahl  „das  schönste  und 
reinste  Licht,  von  welchem  die  Sonne  könnte  leuchten 
lernen"  ^) ;  ein  anderer  behauptet ,  seine  Oeliebte  sei  edler 
als  die  Sonne,  da  diese  erst  'von  ihr  müsse  leuchten  lernen  % 
und  ein  dritter  nennt  seine  Schöne  eine  „bessere  Sonne,  als 
die,  welche  am  blauen  Himmelszelt  mit  topasgelben  Strahlen 
sich  zu  erheben,  mit  rubinroten  sich  niederzulegen  pflegt"  ^), 
wie  denn  ein  galan  seine  Dame  fast  stets  sol  nennt  und  ihr 
deren  Glanz,  Reinheit  und  Schönheit  beilegt.^) 

So  wird,  um  nur  einige  wenige  Stellen  anzuführen, 
Lisarda,  die  ihr  Antlitz  verhüllt  hat,  eine  verborgene  Sonne 
genannt,  an  deren  Glanz  die  Blumen  sich  erfreuen  und  er- 
laben*); weiter  heißt  es  von  ihr,  sie  sei  ein  zarter  sanfter 
Lufthauch,  ein  Himmel  im  kleinen,  eine  herrliche  Blume, 
eine  feine  Perle  und  eine  leuchtende  Sonne®);  Argenis  ist 
eine  Sonne,  welche  den  Erdboden  mit  Fluten  von  Licht- 
strahlen überschwemmen  könnte  ^ ;  ein  galan  nennt  seine  Ge- 
liebte „die  leuchtende  Sonne  dieser  Erde"  ^) ;  wenn  die  In* 
fantin  Florida  im  Hause  des  Grafen  Salveric  absteigt,  wird 
dieses  zum  „Lichtpalaste  der  Sonne"  *) ;  Jerusalem,  die  Re- 


*)  La  luz  mos  hermosa  y  pura^  /  De  quien  el  sol  la  aprendidy  Dama 
I,  176»». 

')  mejor  sol,  pues  el  sol  jLa  luz  de  Lisarda  aprende,  Conquienllj  243^. 

*)  mejor  sol,  /  Qtte  el  que  en  campo  de  zafir  /  Suele  madrugar  topa- 
ciOf  I  Suele  acosiarse  ruhij  Mej.  estd  I,  241  ^ 

*)  Vgl.  hierzu  El  mejor  amigo  el  muerto,  H  IV,  479*:  No  hay 
quien  no  diga  d  su  dama  /  Sol,  estrella,  y  ella  sähe  /  Que  es  mentira; 
pero  es  /  Mentira  de  muy  buen  aire, 

*)  Vengais  d  dar  alegria,  /  Sol  disfrazado,  ä  estas  flores . , , 
Peor  estd  J,  95^ 

•)  C8  /  Lisarda  hella  aura  dibil,  /  ßreve  esfera^  hermosa  flor,  \  Perla 
fina  y  sol  ardiente^  Peor  estd  I,  100''. 

^  un  sol  que  causar  pudiera  I  Diluvios  de  luz  dl  »uelo^  Arginis 
I,  463  ^ 

*)  Quiero  .  . ,  j  Ir  donde  Laura  me  espera,  /  Luciente  sol  desta  esfera, 
Oal  fant  I,  299*. 

•)  Aqui  podrds  descansar,  /  Yo  quisiera  que  el  akdzar  /  Fuera  dd 
sol,  Amor  I,  368V 


—     26     — 

sidenz  der  Maxiamne,  ist  „die  erhabene  Sphäre  der  schönsten 
Sonne  Judaeas"  ^),  und  jeder  Raum  wird  zum  ffimmel,  wo 
Cloris  strahlende  Sonne  sich  blicken  läßt.  ^) 

Kommt  eine  solche  Dame  daher,  dann  geht  die  Sonne 
erst  auf,  denn  die  wirkliche  Sonne  ist  nur  ein  schwacher  Ab- 
glanz von  der  strahlenden  Schönheit  dieser  Dame ;  auch  heißt 
es,  der  Tag  breche  zum  zweiten  Male  an;  geht  die  Dame 
fort,  so  bedeutet  das  den  Sonnenuntergang. 

In  diesem  Sinne  begrüßt  Sigismund  seine  Base  Estrella: 
„Ihr  erfreut  selbst  den  leuchtendsten  Himmelskörper  durch 
Euren  Glanz;   was   laßt  Ihr  denn  noch  der  Sonne  zu   tun 
übrig,  wenn  Ihr  Euch  frühmorgens  erhebt? 
tarnatiecer  /  Podeia,  y  dar  alegria 
AI  mos  luciente  faroL 
iQu^  dejais  que  hacer  al  Sol, 
Si  08  levmitais  con  el  dia?^)* 
Rugero,  der  in   seinen  Armen  die  aus  dem  Seesturme 
gerettete  Aurora  daherträgt,  behauptet,  es  beginne  zum  zweiten 
Male  zu  tagen  und   die  Silberflut  des  Meeres  erlebe  einen 
zweiten  Sonnenaufgang.^) 

Oft  werden  solche  Vergleiche  auf  die  höchste  Spitze  ge- 
trieben; so  sieht  ein  galan  einen  blau  angestrichenen  Balkon 
als  den  Himmel  an,  an  welchem  seine  Dame  glänzender  als 
die  Sonne  aufgeht*);  ein  anderer  hält  für  seine  Geliebte  ein 
Zimmer  bereit,  in  welchem  die  eben  aufgegangene  Sonne 
wieder  untergehen  könne  •) ;  ein  dritter  begrüßt  seine  dmna 
mit  den  überschwänglichen  Worten: 
Wohl  nicht  umsonst 
Weicht  der  Sonnengott  zurücke. 


^)  la  esfera  sobej'ana  I  Del  mejor  sol  de  Judea,  May.  monstruo 
I,  491»'. 

■)  cualquiera  esfera  es  cielo  /  Donde  tanto  sol  se  ve,  BandaU^  156'. 

«)   Vida  1,  8^  =  11,  414ff.,  cf.  11,  o88ff. 

*)  Si  en  los  brazos  se  ofrece  /  Nuevo  sol,  de  las  ondas  dividido,  j 
Hoy  diri  que  amancce  j  Segunda  veZj  segundo  Oriente  ha  sido  I  Ese 
reino  de  plata,  Lances  I,  43^ 

*)  Lances  I,  40»',  cf.  Pasch  7,  S.  .%>. 

*)  Senoraj  ya  prevenido  j  . .  .  nn  cuarto  q\ied<i,  /  Que  ser  el  ocaso 
pueda  I  Dese  sol  reden  nacido,  Con  quicn  11^  247 ^ 


—    27     — 

Wenn  er  seine  Früh  umkränzet 
Sieht  von  Licht;  er  glaubt,  er  müsse 
In  der  Zeit  geirrt  sich  haben, 
Da  er  aufgeht  ohne  Frühe.  ^) 
Auch  den  König,  bzw.  den  Fürsten  nennt  Calderon  bis- 
weilen 8ol,  ist  doch  hienieden  auf  Erden  der  König  die  Sonne 
der  Menschen^;  so  nennt  der  Marquis  Esplnola  den  König 
Philipp  IV.  von  Spanien   „den  vierten  Planeten  des  Tages- 
lichtes*'^); so  nennt  der  Dichter  die  Residenz  Madrid: 

esfera  soberana, 
Trono,  dosel  y  cenit 
De  un  sol  espaüol,  que  viva 
Eternos  siglos  feliz.  *) 
Astolfo  und   nachher  Rosaura  begrüßen  Sigismund  als 
die  Sonne  Polens,  die  ihre  Umgebung  mit  göttlichem  Glänze 
erleuchte.  *) 

Natürlich  muß  in  solchen  Fällen  die  Sonne  erst  vom 
Könige  oder  Fürsten  „leuchten  lernen^,  da  ihn  eine  Sphäre 
des  Glanzes  und  Lichtes  umgibt,  gegen  welche  das  Sonnen- 
licht nur  ein  Schatten  ist,  und  ferner  müssen  die  dem  Fürsten 
an  Rang  zunächststehenden  Personen  mit  dem  Prädikate 
aurora  fürlieb  nehmen. 

So  ist  die  Gemahlin  des   Königs  Recisund  de  tanto  sol 


^)  Die   dama  ist   die  Sonne,   die   am  frühen  Morgen,   zur  Zeit  der 
Aurora,   die  Erde  mit  ihrem   Glänze   errüllt;   wenn   nun   die   wirkliche 
Sonne  daherkommt  und  bereits  dieses  helle  Licht  vorfindet,  so  muß  sie 
glauben,  sie  sei  heute  zu  spät  dran.   Banda  II,  157'»;  Schlegel  I,  S.  410. 
No  en  rawo,  al  ver 
Carmiada  de  reflejos 
Sil  aurora,  el  sol  se  retira, 
Como  quien  dice :  « Yo  deho 
De  haber  hoy  errado  el  dia, 
Fues  sin  aurora  amanezco.» 
Vgl.  hierzu  sois  el  dia  /  Que  amanece  sin  el  sol,  Dama  I,  181*". 
^  enla  esfera  del  mundo  /  El  rey  es  sol  de  los  homhres,  iS a 6 er  I,  20 ^ 
*)  Filipo  poderoso,  /  Cuarto  planeta  de  la  luz  del  dia,  Sitiol,  110*. 
*)  Hombre  I,  Ö03-. 

*)  08  mostrais  /  Sol  de  Polonia,  y  üenais  /  De  resplandor  y  alegria  / 
Todos  esos  horizmites  I  Con  tan  divino  arrebol,  Vida  I,  8'  =  il,  356 fiF. 
Luciente  sol  de  Polonia,  ibd.  I,  16«  =  III,  516. 


—     28     - 

divina  aurora^);  die  Prinzessin  Fenix  wird  bezeichnet  als 
aurora,  hija  del  sol  ^)  oder  als  de  aquel  sol  aurora  *),  und  dem 
König  Minos  und  seinen  beiden  Töchtern  schmeichelt  Lidoro, 
wenn  er  sagt,  es  sei  eine  Gnade,  „eine  Sonne  mit  zwei  Morgen- 
röten erblicken  zu  dürfen."  *) 

Den  ausgiebigsten  Gebrauch  von  dieser  allegorischen 
Verwendung  von  sol^  aurora  und  estrellas,  bzw.  Uiceros  hat  Calderon 
wohl  in  dem  Stücke  La  hart  da  y  la  flor  gemacht,  wo  er 
von  dem  Feste  der  Huldigung  für  den  Kroninfanten  Baltasar, 
das  im  März  1632  mit  großer  Pracht  in  Madrid  gefeiert 
wurde,  eine  ebeoso  farbenprächtige  wie  überschwängliche 
Schilderung  entwirft  und  in  höchst  origineller  Weise  den 
König  Philipp  lY.  mit  der  Sonne,  die  Königin  mit  der 
Morgenröte  und  die  beiden  Brüder  des  Königs,  Carlos  und 
Fernando,  mit  den  Morgensternen  vergleicht. 
Schlegel  I,  368 f.: 

An  diesem  berühmten  Tage, 

Ging  die  Dämmerung  im  Nebel 

Grauer  Schatten,  und  Aurora 

Auf,  von  Wolken  dicht  umgeben. 

Sie  tat  nicht  der  Sonne  Tor  auf, 

Das  Geleit  der  Morgensterne 

Gab  kaum  Spuren  ihrer  Schönheit. 

Und  ob  andre  Mal'  des  Wetters 

Graue  Einhüllung  dem  Zufall 

Möchte  zugeschrieben  werden: 

Nicht  durch  Zufall  heut  geschah  es, 

Nein,  nach  höheren  Befehlen. 

Laß  hier  eine  Lücke  leer 

Für  die  Ursach  ...**) 


•)  Virgen  I,  330". 

«)  Princ.  I,  216*  =  I,  144. 

')  Ibd.  I,  2ö7»  =  irr,  128. 

*}  Es  merctd  ver  un  sol  con  dos  auroras^  Tres  m.  prod.  I, 

••)  Banda  II,  158*: 

Este  pues  dia  felice, 

De  pardas  sombras  ctilnerta 

FJ  alba  salio^  y  la  aurora 


—     29     — 

Also,  es  herrscht  an  diesem  Tage  schlechtes  Wetter, 
aber  der  Dichter  weiß  diesen  Umstand  vortrefflich  auszu- 
nutzen und,  wie  sich  gleich  zeigen  wird,  selbst  hieraus  eine 
glänzende  Huldigung  für  die  spanische  Köoigsfamilie  abzu- 
leiten. 

um  nun  die  Spannung  des  Hörers  oder  Lesers  noch 
besonders  zu  erhöhen,  gibt  der  Dichter  jetzt  in  über  100 
Verszeilen  eine  genaue  Schilderung  des  Festes  und  fährt 
dann  fort: 

Schlegel  I,  373 f.: 

—  es  war  kein  Zufall 

Dies  Versäumen,  nein,  notwendig. 

Denn  in  Carlos  und  Fernando 

Prangten  die  zwei  Morgensterne, 

Sie  der  Sonne  schöne  Brüder, 

Die  in  ihrem  Strahl  sich  nähren. 

Aus  fuhr  an  Aurorens  Stelle, 

Sie  an  Schönheit  übertreffend, 

Isabeir  in  goldnem  Wagen, 

Ganz  besät  von  Amoretten. 

Und  wenn  es  Aurorens  Amt  ist, 
[374]  Blumen  geben,  wenn  ihr  Lächeln 

Blumen  zeugt:  der  Lilie  Frankreichs 

Prachtgeleit  sind  Blumen  eben. 

Und  wenn  seine  Sphär'  erleuchten 

Ziemt  dem  vierten  der  Planeten, 

War  Planet  der  vierte  Philipp, 

Über  diesem  Himmel  schwebend. 


Embozada  en  nubes  densas. 

No  le  dio  ventana  al  sol, 

Ni  los  luceroH  apetuis, 

Indicios  de  su  hermosura; 

Y  aunque  otras  veces  pudiera 

Atribuirse  d  accidente 

Del  tiempo  esta  parda  ausencla^ 

No  fue  accidente  este  dia, 

Sino  precisa  obediencia. 

Haz  parentesis  aqtd 

La  causa  . . . 


—     30     — 

Kind  Aurorens  und  der  Sonne 
Zog  der  heiterste  der  Sterne  .  .  .  *) 
Wenn  vor  jenen,  die  der  Sonne 
Morgensterne  selbst  beschämen: 
Wenn  vor  ihr,  die  mit  Auroren 
Blume  gegen  Blume  wettet; 
Wenn  von  ihm,  der  Strahl  um  Strahl 
Weiß  der  Sonne  Glanz  zu  schwächen. 
Endlich,  wenn  vor  solchem  Stern, 
Der  zur  Sonne  sich  verkläret:  — 
Die  des  Himmels  schwache  Schatten, 
Stummer  Pomp,  erloschne  Helle 
Diesmal  schienen,  war's  kein  Zufall, 
Der  sie  dem  Vergleich  entwendet, 
Sondern  Absicht,  da  aus  Furcht  sie 
Oder  aus  Beschämuug  fehlten.^) 


Banda  II,  153'>f. 

—  no  fue  acaso 
El  no  salir,  sino  fiter za. 
Parque  en  Carlos  y  en  Fematido 
Los  dos  luceros  st  osUnian^ 
Hermanos  dd  sol  hermosoSf 
Que  ä  sus  rayos  st  alinientan. 
Salio  efi  lugar  dt  la  aurora^ 
Mtjor  aurora  eyi  belleza^ 
Isabel  en  plaustro  de  oro, 
Que  mil  CapidtÜos  cercan. 

Y  si  es  de  la  aurora  oficio 
Dar  florts,  flores  engendra 
Su  hermosura;  flores  son 
Pompas  de  la  lis  francesa. 

Y  si  del  planeta  cuarto 
Es  üuminar  la  esfera 

[153*^]  Qxie  toca,  el  Cuarto  Filipo 
Fue  destt  citlo  el  planeta. 
Hijo  del  sol  y  la  aurora 

Iba  la  tnas  pura  estrella*) 

Luego  si  ä  tales  luceros, 

Que  d  los  del  sol  averguenzan, 


♦)  Der  Infant  ßaltasar,  der  bereite  oben  genannt  wird:  Hüo  dd 
alba  y  dd  sol,  II,  153  V 


—     31     — 


Der  Mond. 


Weit  weniger  häufig  als  die  Sonne  wird  der  Mond,  der 
mozarabische  Planet'),  personifiziert,  wie  überhaupt  unser 
Dichter  die  „Vizekönigin  der  Sonne"  *)  ziemlich  selten  er- 
wähnt. 

Der  Mond  birgt  sein  düsterblickendes  Antlitz  voll  finsterer 
Runzeln  zwischen  den  Wolken^);  zaghaft,  mit  zitternden 
Strahlen,  verbreitet  er  bei  seinem  Untergänge  sein  Licht  ^), 
das  er  von  der  Sonne  erbettelt;  je  nachdem  diese  ihm 
Licht  gibt,  macht  sie  ihn  arm  oder  reich  an  Lichtstrahlen.  ^) 
Auch  versorgt  der  Majoratsherr  Sol,  wie  oben  erwähnt,  die 
leuchtende  Luna,  seine  jüngere  Schwester,  mit  Sternennah- 
rung. •) 

Dafür  zahlt  der  Mond  zur  Nachtzeit  seine  Schulden  an 
die  Sonne  zurück,  indem  er  an  ihrer  Stelle  der  Erde  Licht 


8i  aurora  tal,  que  a  la  aurora 
FlortB  d  flores  apuesta; 
Si  d  tal  8ol,  que  rayo  d  rayo 
Los  rayoB  del  sol  desprecia^ 
Y  8%  d  tal  estrtlla  en  fin, 
Qtie  ya  jura  del  sol,  eran 
Las  del  cielo  somhras  breveSj 
Mudas  pompös,  luces  muertas, 
No  fui  accidente  del  tiempOy 
Rehtisar  la  competencia, 
Sino  estudiOj  pnes  faltaron 
De  temor  «  de  verguenza. 
*)  Si  ya  no  quiere  hacerle  tu  porfia 

On  planeta  mozdrabe  dd  dia^    Castigo  III,  381^ 
*)  vireitia  del  sol,  Virgen  I,  337^  Gal  fant.  I,  296«,  8.  S.  16». 
*)  la  luna  /  Saco  entre  nubes  el  ceüo  /  LUno  de  sombras  y  arrugas^ 
Feor  estd  I,  94». 

*)  ÄUu  luces  que  en  su  muerte  /  Temerosamente  pulsa  /  Ese  trimulo 
farol,  Peor  estd  I,  94». 

^)  de  la  luna  . .  .  /  Los  resplandores  mendigos,  /  Fues  una  dddiva 
9uya  I  Los  hacepobres  6  ricoSj  May,  encanto  I,  394*;  —  unfarold  otro 
forol  I  Mas  6  menos  rayos  fia,  Mej.  estd  I,  242*.  Zum  geliehnen  Lichte 
des  Mondes  cf.  Alcalde  III,  V.  leOfif.,  Xr„  S.  245. 
•)  Castigo  III,  383«,  s.  oben  S.  16'. 


—     32     — 

spendet  ^) ;  wie  die  SoDoe  am  Tage,  so  kommt  der  Mond  zur 
Nachtzeit  mit  seinen  Lichtstrahlen  überall  hin,  so  daß  eine 
Dame,  die  stets  im  Hause  sich  verborgen  halten  muß,  klagt, 
es  komme  unter  Tags  nicht  die  Sonne,  und  während  der 
Nacht  niemals  der  Mond,  der  ihr  unbeständiges  Wesen  nach- 
ahmen könnte,  zu  ihr  herein,  um  zu  sehen,  wie  sie  ihr  Un- 
glück beweine.  ^) 

Nicht  immer  ist  die  Sonne  gewillt,  dem  Monde  von 
ihrem  Licht  abzutreten  und  dann  kommt  es  zu  schweren 
Kämpfen  zwischen  den  beiden  Himmelskörpern. ') 

Noch  ist  zu  erwähnen ,  daß  der  Mond  in  seiner  stets 
wechselnden  Gestalt  den  Wankelmut  und  die  Unbeständigkeit 
versinnbildlicht^),  und  daß  unser  Dichter  das  Himmels- 
gewölbe bisweilen  als  den  cöncavo  alcdxar  de  la  luna,  den  von 
gewaltigen  Säuleu  oder  Bergen  gestützten  Lichtpalast  des 
Mondes,  bezeichnet.  *) 


Die  Morgendämmerung  und  die  Morgenröte. 

Nächst  der  Sonne  liefern  die  Morgendämmerung  und  die 
Morgenröte  unserem  Dichter  den  meisten  Stoff  zu  herrlichen 
Bildern. 

Calderon  gebraucht  die  Ausdrücke  alba  und  aurora  meist 
unterschiedslos,  wie  es  gerade  das  Metrum  oder  Assonanz  und 
Keim  erfordern ;  in  einigen  Stellen,  in  welchen  beide  Begriffe 

*)  Sigue  una  noche  importuna  /  Quedando  d  pagar  la  luna  /  Obli- 
gaciones  del  «o?,  Mej.  estd  I,  242. 

*)  Que  yo  /  Entre  dos  paredes  muera /  Donde  inconstante  la 

lunttj  I  Que  aprende  influjos  de  mi,  /  No  puede  decir :  »Yavij  Que  lloraba 
8u  fortuna»,  Dama  I,  169 ^ 

*)  S.  oben  S.  11. 

*)  mi  fortuna,  /  Mudable  maa  que  la  luna^  Princ.  I,  251  •  = 
II,  168f.  —  Dama  I,  169^  s.  Anm.  2. 

Sin  temer  mudanza  alguna  /  De  la  iniagen  de  la  luna,  Sab  er  I, 
21^.  —  La  luna  me  dio  inconstancia  I  En  la  condician,  Purg,  1,  151  **, 
u.  a.  m. 

*)  May.  encanto  I,  407*»:  May,  monstruo  I,  495*;  Ätezada 
coluna  I  Del  concavo  edificio  de  la  luna^  Mej.  estd  I,  234*.  Cf.  Val. 
Schmidt,  S.  426. 


—     33     — 

nebeneinander  vorkommen,  werden  sie  jedoch  streng  ge- 
schieden. 

Den  Unterschied  ^)  zwischen  den  beiden  erfahren  wir  aus 
der  SteUe  Dama  I,  181«: 

Die  Nacht  flieht;  es  erscheint  zunächst  die  Alba  und 
begrüßt  uns  mit  fröhlichem  Lächeln;  sie  macht  hell;  aber 
vergoldet  nicht.  Auf  sie  folgt  die  Aurora,  welche  noch  mit 
Ldcht  und  Strahlen  kargt;  sie  vergoldet,  aber  erwärmt  nicht. 
Hinter  der  Aurora  kommt  die  Sonne,  die  allein  erhellt,  ver- 
goldet und  erwärmt. ') 

Ein  anderes  Bild  enthüllen  uns  folgende  Stellen: 

Beim  muntern  Ruf  der  Sonne  erscheinen  Alba  und 
Aurora  mit  holdem  Gruß,  die  Alba,  die  vom  Tage  nichts 
gutes  hofft,  unter  hellen  Tränen,  die  stets  fröhliche  Aurora 
dagegen  mit  lachendem  Q-esichte.  ^) 

An  anderer  Stelle  heißt  es,  daß  bei  Tagesanbruch  die 
Aurora  in  den  Armen  der  Alba  liege  und  helle  Perlentränen 
weine.  *) 

Die  letztgenannten  Stellen  enthalten  ein  von  C.  ungemein 


*)  Cf.  K,,  S.  227  f. 

•)  Huye  la  noche^  [senorajy 

Y  pasa  d  la  dulce  salva 
La  risa  bella  del  alba*), 
Que  iluminaj  mos  no  dora. 
Despues  del  alba  la  aurora, 
De  rayoB  y  luz  escasa 
Dora,  mos  no  abrasa.    Pasa 
La  aurora,  y  tras  su  arrebol 
Pasa  el  sol,  y  solo  el  sol 
Dora,  ilumina  y  abrasa. 
*)  Ä  la  voz  presMrosa  /  Del  sol,  con  dulce  salva  /  Säle  Uorando  el 
aU>a  I  Y  riendo  el  aurora,  /  Q^e  esperan  en  un  dia  /  Efectos  de  tristeza  y 
alegria,   Cenobia  I,  197  c.  —  AI  tiempo  que  ya  la  salva  j  Del  sol  estos 
montes  dora  I  Säle  riendo  la  auroral  Y  scUe  Uorando  el  alba,  ArgSnis 
I,  4400. 

•   *)  llora  I  Blando  alj6far  la  aurora  /  En  los  brazos  del  alba,  Purg. 
I,  162b. 


♦)  Diese  Verszeile  fehlt  in  der  Ausg.  von  1636. 
Mflnohener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.  XXXII. 


—    34    — 

häufig  gebrauchtes  Bild:  in  sinniger  Weise  bezeichnet  der 
Dichter  den  Morgentau  als  „die  Tränen  der  Morgenröte^  ^), 
welche  von  der  Sonne  aufgetrocknet  ^)  und  in  Perlen  ver- 
wandelt werden.  ^)  Auch  der  rasche  Atem  der  Aurora  im 
Morgentau  erzeugt  die  Perlen,  die  „eisigen  Eeuertränen^.  ^) 

Oft  findet  sich  einer  dieser  Gedanken  weiter  ausgeführt, 
zu  farbenprächtigen  Bildchen  ausgemalt,  so  wenn  es  heißt, 
die  Sonne  entfaltet  goldene  Tücher  auf  der  Erde,  um  die 
Perlenträuen  der  Aurora  aufzutrocknen  ^),  wie  denn  auch  C. 
ungemein  häufig  auf  das  fröhliche  Lachen  der  Alba  und  die 
Tränen  der  Aurora  anspielt. 

So  erwidert  eine  Dame  auf  die  überschwänglichen  Ge- 
fühlsausbrüche ihres  Galan :  Ich  bin  nicht  Alba,  denn  mir 
fehlt  bei  aller  Zufriedenheit  das  lächelnde  Antlitz,  und  bin 
auch  nicht  Aurora,  da  ich  nicht  durch  Tränen  meinen 
Schmerz  zu  erkennen  gebe.  •)  Eine  andere  sucht  ihre  traurige 
Freundin  mit  den  Worten  zu  trösten :  Trockne  deine  Tränen, 
denn  Aurora  wird  böse  werden,  wenn  du  ihr  so  ihr  Amt  weg- 
nimmst.'^) und  ähnlich  spricht  Enrique  zu  Flora:  Seid  nicht 
mehr  traurig,  wohl  sahen  wir  die  Morgenröte  weinen,  doch 
nie  die  Sonne®),  oder  Don  Carlos  zu  Dofta  Violanta:  Hört 
auf  zu  weinen;  versetzet  nicht  den  Tag  in  Schrecken,  denn 
wenn  die  Alba  nicht  lächelt,  ist  es  nicht  gut,  daß  Aurora 
Tränen  vergieße.  ®)     Während  aber  die  Tränen  der  Menschen 

*)  las  Idyrinms  que  el  alba  j  Llora  cuando  va  d  salir^  Mej.  estd 

I,  241b. 

»)  El  llanto  (lel  alba  enjiiga ;  El  sol,  Puen^c  I,  212» 

»)  Vgl.  Kl,  S.  193,  zu  Frinc.  1,  225ff.,   und  K„  S.  228,  zu  Mag. 

II,  asiff. 

*)  las  perlas  /  Que  engaidra  el  veloz  aliento  /  De  la  aurmn  en  su 
rocio,  I  Layrimas  de  fuego  y  hielo^  Purg.  I,  152 *>. 

^)  el  Bol  despliega  /  AI  mundo  cendales  de  ovo,  /  Qxie  enjuguen  llanto 
de  perlas.  Cenöbia  I,  199b;  Princ.  I,  246b  ==  I,  225ff. 

^)  No  8oy  alha^  pxies  la  risa  /  Me  falta  en  contento  tanto;  /  Ni 
aurora.  pues  que  mi  llanto  /  De  mi  dolor  no  os  avisay  Dama  I,  182». 

'}  esas  lägrimas  enjuga;  j  Que  se  correrd  la  aurora  !  Si  asi  w*  oficio 
la  hurtas,  Peor  estd  I,  94b 

®1  llorar  el  aurora  I  Ya  lo  vimos^  mos  no  el  sol,  Sitio  I,  112 c. 

^'j  Suspended  el  llanto  agora,  /  No  deis  sobresalto  al  dia;  /  Que  wn 


—     35     — 

wirklicher  Trauer  entspriugen  und  Zeugen  sind  für  seinen 
Schmerz,  weint  Aurora  nur  geheuchelte  Tränen.  ^) 

Auch  andere  Anspielungen  auf  die  Tränen  der  Morgen- 
röte finden  sich :  dem  Galan  Enrique,  der-  in  die  schöne  Clori 
verliebt,  im  Garten  schmachtet,  verdanken  die  Pflanzen  mehr 
Tränen  als  der  Morgendämmerung  mit  ihren  Seufzern  ^) ;  der 
Riese  Fierabras  droht,  der  Aurora  zum  Trotze,  die  mit  ihren 
Tränen  und  Seufzern  das  Gras  habe  grün  entstehen  lassen, 
wolle  er,  -daß  vom  Blute  der  gefallenen  Krieger  gefärbt,  es 
rot  verderbe^),  indes  Poliarco  berichtet,  als  er  nach  durch- 
schwärmter  Nacht  sich  beim  ersten  Morgengrauen  von  seiner 
Geliebten  habe  trennen  müssen,  da  habe  in  seinen  Armen 
eine  Alba  geweint,  weil  die  andere  zu  lachen  begann.  *) 

Wie  bereits  von  KrenkeP)  mit  Recht  hervorgehoben 
worden  ist,  spottet  der  Dichter  aber  auch  über  die  Bilder 
von  den  Tränen  der  Morgenröte. 

„Herr  Ritter  von  der  Morgenröte,  was  kann  Euch  dran- 
liegen, wenn  beim  ersten  Tagesgrauen  ein  paar  Blumen  die 
Tränen  der  Aurora  trinken?  Was  habt  Ihr,  wenn  Ihr  wißt, 
daß  sie  Berge  vergoldet  und  Perlentränen  vergießt,  welche 
die  Erde  gern  hat  und  welche  nachher  die  Sonne  auf- 
trocknet?^* sagt  eine  spottsüchtige  Dame  einem  für  Dama 
Aurora  allzusehr  schwärmenden  Galan.  •) 


(/u€  el  alba  se  ria,  ■  No  es  bie^i  que  Ihre  el  aurora,  Ast r 61.  I,  583». 
Diese  4  Verazeilen  fehlen  in  der  Ausg.  v.  1636;  Casiigo  III,  3Ä)cf. 

*)  wo  eSj  setiOTj  poaihle  /  Que  [Flora]  aqiiellas  perUis  fingiera;  /  Que 
en  desprecio  del  aurora  /  Fuera  desaire  que  fueran  /  Para  ser  testigos 
falsos,  I  Siendo  finas^  tantas  perlas^  Castigo  III,  384  b. 

•)  Enrique  fut  viva  estatua  /  De  mis  jardines^  tan  rtt?a,  /  Que  les 
debieron  las  plantas  i  Mas  Idgrinias  ä  sus  ojos  /  Que  d  los  suspiros  del 
alba,  JBanda  II,  161». 

')  d  pesar  del  aurora^  /  Que  con  lägrimas  y  soplos  /  Qui^o  que  na- 
ciesen  verdes  (seil,  los  cespedes)^  Querre  yo  que  mueran  rojoSj  Puente 
I,  208»>. 

*)  alguna  noche  . . .  /  Llorö  en  mis  brazos  un  alba,  d.  i.  seine  Ge- 
liebte,  /  Porque  otra  empezo  d  reir,  Argenis  I,  454 *>. 

*j  K„  S.  193. 

•)  Don  Quijote  de  la  Aurora  .  .  .,  Banda  II,  151° f.,  siehe  bei 
K„  S.  193. 

3* 


—     36     — 

Ans  anderen.  Stellen  können  wir  uns  ein  YollstäDdiges 
Phantasiebild  der  Aurora  (Alba)  entwerfen. 

In  weiße  Nebel  gehüllt  ^),  schläft  sie  bald  in  einem  rosen- 
farbenen  Bette  ^),  bald  auf  einem  smaragdgrünen  Lager  mit 
Bettpfosten  aus  Erystall,  welches  ihr  vom  Zephyr  bereitet 
wird  ^ ;  beim  Erwachen  mahnt  sie  die  Sonne,  es  sei  jetzt  Zeit, 
den  Tag  hereinzulassen  ^) ;  sie  erhebt  sich  beim  ersten  Morgen- 
grauen ^),  schmückt  ihre  Purpurstirn  mit  Eosen  und  Nelken  *) 
und  kämmt,  von  Blumen  umgeben,  ihre  rötlich- goldenen  Haar- 
locken "^ ;  dann  kommt  sie  strahlengekrönt  ^)  hervor,  von  den 
Vögeln  begrüßt  •),  und  sucht  im  buntgefärbten  Walde  ihren 
Geliebten,  einen  Hirteu,  auf.  ^^) 

Daher  kann,   wie  die  spottsüchtige  Dame  Nise^^)  meint, 


*)  Enviielia  en  blanco  arrebol,  Peor  estdJ^lOS^]  Mej.  e  «  ^  d  1, 237  o. 
')  Dtterme  la  blanca  aurora  I  En  lecho  de  rosicler^   Con  quien 
II,  238c. 

•)  el  cifiro  hace^  /  Para  que  duerma  la  aurora  /  Lechos  de  esmeralda 
en  catres  /  De  cristalj  d.i.  grüne  Wiesen,  vom  Silberbach  durchflössen, 
Puente  I,  214b/c. 

*)  la  aurora  fria  / .  . .  Despierfa  diciendo  al  sol  /  Qv^  es  hora  qu^ 
venga  el  dia,  Peor  estd  1, 103b;  Mej.  estd  I,  237c,  beide  Male  am  Be- 
ginn der  dritten  jomada.    Zufall? 

*)  al  albor  pritnero^  Banda  II,  152» 

•)  Apinas  la  rubia  frente  /  Vträ  el  alba  coronada  /  De  ronaa  y  de 
claveles,  Peor  estd  I^  101^. 

')  madruga  /  La  aurora  d  peinar  en  flores  /  Las  madejas  de  aro 
rulnaSj  Peor  estd  I,  93«. 

•)  Sak  el  alba  coronada  I  De  rayos,  Cenobia  I,  199 *>. 
®)  bien  como  al  alba  I  Los pdjaros  saludanj  Tres  m.prod.  1,275«. 
'®)  Madrugar  entre  las  bellas 

SelvaSj  llefias  de  coloreSj 
Cambiando  tropas  de  flores 
Por  ejerdtos  de  esirellas^ 
No  es  desairej  si  tnire  eüaSj 
Busca  SU  amante  pastor; 
Y  el  madr^igar  en  rigor 
Gala  es  rfe  fi  verdadera, 
Pues  que  minos  dama  fuera 
Si  durmiera  con  amoi%    Banda  II,  152». 
**)  Siehe  oben  S.  35".     Nise  führt  mit  Don  Enrique  einen  Disput, 
in  welchem  sie  die  Vorzüge  der  Nacht  rühmt,  indes   der  galan  warm 
für  dama  Äwo7*a  eintritt,  Banda  II,  151c/152». 


—    37     — 

Aurora  keine  feine  Dame  sein^  denn  Frühaufstehen  ist  etwas 
für  gewöhnliche  Leute  ^)y  indes  Don  Enrique  der  Morgenröte 
eine  glänzende  Ehrenrettung  zu  teil  werden  läßt: 

Kränkt  Auroren  nicht  an  Rechten, 

Fräulein!  ich  muß  sie  yerfechten, 

Weil  ich  hold  den  Damen  bin, 

Und  wie  sollte  man  entzieh'n 

Huld'gung  einer  Schönen  dürfen, 

Von  der  alle  Düfte  schlürfen 

Nelk',  Orangen  und  Jasmin. 

Göttlich  Licht,  nur  ihr  verliehen, 

Schwebt  dem  Tag  beherrschend  vor, 

Bringt  den  Auen  muntern  Flor, 

SchafR;  den  Blumen  frische  Färbung, 

Ist  die  Zeit  der  Liebeswerbung, 

Weckt  der  Waldgefieder  Chor. 

Sagt,  ist's  recht,  daß  man  verschmäht 

Solche  Gaben?«) 

Nicht  immer  ist  Aurora  fröhlich   und   heiter  gestimmt, 
bisweilen,    an   unheilvollen  Tagen,   kommt  sie   schlaftrunken 


*)  Dama  en  fin  que  madrugüy  /  No  debe  de  ser  muy  dama; 

Se  hizo  para  gente  ruin  I  La  fiesta  del  madrugar^  Banda  II,  152  *. 
«)  Schlegel  1,  S.  356f.;  JSanda  II,  151c. 
No  hagaiSy  senoray 

Ese  deaprecio  al  aurora^ 

Que  es  dama,  y  soy  muy  cortes 

Y  no  dejarS  agraviar 

Üna  hermomra^  d  quien  deben 

Todo  cuanto  aliento  beben 

El  clavelf  jazmin  y  azär. 

Su  luZj  deidad  siyigularf 

Es  breve  imperio  del  dia 

De  los  campos  alegria, 

Pulimetito  de  las  flores, 

Estacion  de  los  amores, 

De  las  aves  armonia: 

Ved  si  es  justo  que  ofendais 

Tal  perf'eccion. 


—     38     — 

hervor,  ganz  ia  Trauergewänder  aus  grauen  und  schwarzen 
Wolken  gehüllt,  i) 

Auch  am  Tage  der  Huldigung  für  den  Kroninfanten 
kam  die  Alba  mit  grauen  Schatten  bedeckt,  und  die  Aurora 
in  dichte  Wolken  gehüllt,  hervor,  doch  hatte  dies,  wie  wir 
oben  gesehen  haben,  einen  bestimmten  Zweck.  ^) 

In  den  Armen  der  Dämmerung  wird  der  Tag  geboren  ^) ; 
in  einigen  Stellen  ist  sie  die  treue  Dienerin  der  Sonne.  *) 
Aus  einer  anderen  Stelle  erfahren  wir,  daß  auch  die  herrliche 
Aurora  mit  prächtigen  Rossen  angefahren  komme,  zur  Zeit 
wenn  die  Dämmerung,  in  Schatten  gehüllt,  über  die  Wolken 
dahinschreitet  *) ;  bisweilen  auch  steigt  die  Morgenröte,  gleich 
der  Sonne,  aus  dem  Meere  auf.  ®) 

Nennt  C.  schöne  Damen  häufig  sol,  so  nennt  er  sie  gar 
oft  auch  aurora ,  und  hier  können  wir  die  nämlichen  Über- 
schwänglichkeiten  beobachten. ') 

So  preist  Floro  die  schöne  Dejanira,  die  sein  Vater- 
land beglücke  als  aufsteigende  Morgenröte®);  Clori  und 
Nise  sind  sogar  schöner  noch  als  Morgendämmenmg  und 
Morgenröte  *),  wie  auch  der  König  von  England  die  Schön- 
heit der  Estela  von  Salveric  in  den  glühendsten  Farben 
schildert:  Man  könnte  meinen,  die  Dämmerang,  glanzumkleidet 
und  strahlengekrönt,  komme  nochmals  auf  das  Feld  und 
trage  in  ihren  weißen  Händen  den  Tau  gesammelt,  den  sie 
als  Tränen   zu   vergießen   pflegt.  ^^)     Wenn  man  sie  gesehen, 

*)  salio  I  La  aurora  meilio  desjnerta  /  Toda  veatida  de  luto  ■  Con 
nubes  pardus  y  negras^  Purg.  I,  157^. 

^)  Banda  II,  153»;  siehe  S.  28 ff. 

•)  en  brazos  del  alba  nace  el  dia,  Cenobia  I,  188*». 

*)  siehe  oben  S.  13. 

*)  A^o  tan  hertnosos  caballos  /  El  aurora  he^-mosa  ostenia  /  Cuando 
el  alba  dntea  que  el  sol  I  Sombras  visfe  y  nubeshuella^  Argenis  I,  444». 

•)  He  visto  salir  la  aurora  j  Del  mar,  Vir  gen  1,  332  b. 

')  Cf.  oben  S.  25  ff. 

'')  ifelice  el  dia,  senoraj  /  En  que  mi  patria  os  merece,  /  Por  ama- 
necida  aurora^  Tres  m.  prod.  I,  287^. 

•)  Mas  luZy  mejor  aurora  y  mejor  alba,  Banda  II,  155^. 

*^)  dijeras  que  el  alba  j  Vestida  de  resplandores,  /  0  de  rayos  coro- 
nada  /  Otra  vez  al  campo  sale^  /  Y  que  eyüre  sus  manos  blancas  /  Trae 
congelado  el  rocio  /  Que  por  l^igrimas  derrama,  Amor  I,  368c. 


—     39     — 

daDn  hat  man  die  herrliche  Alba,  ja,  die  Sonne  selbst  ge- 
sehen. ^) 

Kann  die  Sonne  erst  Ton  schönen  Damen  lernen,  was 
Glanz  und  Pracht  ist,  so  verdankt  auch  die  Dämmerung 
schönen  Damen  erst  ihre  weiße  Farbe  ^) ;  auch  braucht  die 
helle  Morgendämmerung  nicht  stolz  sich  zu  rühmen,  als  ver- 
danke ihr  der  Garten  seinen  Glanz,  als  habe  sie  der  Rose 
die  purpurrote  und  dem  Jasmin  die  weiße  Farbe  verliehen, 
denn  wenn  die  Prinzessin  E6nix  wie  eine  zweite  Morgenröte 
daherkommt,  so  erfiUlt  diese  durch  ihre  Schönheit  das  Gefilde 
mit  Pracht  und  Glanz.*) 

Auch  die  holde  Marlene  kann  großmütig  der  Dämmerung 
ihr  Licht,  dem  Tage  seinen  Glanz,  den  Blumen  ihren  Duft, 
dem  Gefilde  seine  herrlichen  Farben,  der  Blumengöttin  ihre 
Farbenpracht  und  der  Morgenröte  ihre  Perlen  zurück  er- 
statten. *) 

Gleich  der  Sonne  findet  Aurora  am  Abend  in  den 
schneeigen  Wogen  des  Meeres  ihr  Wellengrab;  das  ganze 
Meer  dünkt  ihr  klein  für  ihre  gewaltige  Fülle  von  Licht- 
strahlen*); auch  bezeichnet  Aurora  bisweilen  die  Abendröte, 
die  lieblich  herschwebt,  um  mit  ihren  Händen  die  Blumen 
aufzurichten,  die  während  des  Tages  vom  Fuße  des  Menschen 
zertreten  wurden.  •) 


*)  al  fin  I  Vi  al  alba  hermosa,  vi  aX  sol .  .  .  j  Si  vi  ä  Estela,  Ibd. 
J,  374  a. 

*)  Flor  hermosa,  ä  quien  le  debe  I  El  alba  el  pWwcr  candoVy  üas- 
tigo  III,  379c. 

•)  No  blasone  el  alba  pura  /  Que  le  debe  este  jardin  [  La  lux  nx 
fragrancia  hermosa,  /  Ni  la  pnrpura  la  rosa,  /  Ni  la  blancura  ei  jazmin, 
Fr  ine.  I,  245  >»  =  I,  32  ff.  —  sale  d  este  jardin  /  Fenix  ä  dar  vanidad  I 
AI  campo  con  su  hermosura,  I  Segunda  aurora  del  campo,  Ibd.  I,  245» 
=  I,  27ff. 

*)  Liberal  resHtuya  tu  alegria  /  Su  luz  al  alba,  su  esplendor  al  dia,  / 
Su  fragancia  ä  las  flores,  /  AI  campo  siis  colores,  /  Sus  maiices  d  Flora, 
Sus  perlas  d  la  aurora,  May.  monstruo  1,  481  »>. 

*)  en  lechos  de  nieve  /  Halla  undosas  sepulturas,  /  Juzgado  pnra  sus 
rayo»  I  Todo  el  mar  pequtna  tumba,  Peor  estd  I,  93«. 

•)  hasta  que  /  El  aurora  de  la  tarde  /  Salga  hermosa  d  florecer  /  Con 
las  manos,  cuantas  flores  /  Marchito  profano  el  piS,  Sab  er  I,  31c. 


—    40    — 

An  einer  Stelle  ist  auch  alba  offenbar  für  den  Begriff 
„Abeuddämmeruog^  gesetzt,  wie  aus  dem  Zusammenhange^) 
hervorgeht  und  aus  der  Verwendung  des  Verbums  bajar  er- 
hellt, {ya  el  alba I ... Baja),  was  C.  sonst  nur  vom  Einbrechen 
der  Nacht  sagt^): 

Die  schöne  Abenddämmerung  steigt  zwischen  den  Tulpen 
und  Lilien  herab,  von  Hyazinthen  bekrönt,  um  den  Blumen 
neues  Leben  zu  spenden:  ya  el  alba  hermosa, I Entre  axucenas 
y  lirios,  /  Baja  d  dar  vida  d  las  flores  /  Coronada  de  jacintos.  *) 

Auch  das  Wort  crepusculo  kann  sowohl  Morgen-  als  auch 
Abenddämmerung  bedeuten ;  in  ersterem  Sinne  finden  wir  das 
Wort  gebraucht  in  der  Stelle  Purg.  I,  164"*),  während  es 
in  der  zweiten  Bedeutung  in  recht  origineller  Weise  personi- 
fizirt  wird: 

Ein  Jäger  erzählt  dem  unwissenden  Bauern  Tosco,  im 
Gebirge  habe  ihn  die  Dämmerung  überfallen^),  und  der 
Bauer,  der  das  Wort  zum  ersten  Male  in  seinem  Leben  hört, 
meint,  dies  sei  ein  Verräter  oder  ein  verzauberter  Mensch 
oder  sonst  ein  furchtbares  Ungetüm,  und  fragt  den  Jäger  voll 
Teilnahme,  ob  der  Crespüculo  ihm  nichts  Böses  getan  habe: 
^Es  traidor.  j  0  es  encantado  ese  fiombre  ?  j  qY  c&mo  le  cogiö  ? 
j Hay  Uli! Y  diga ^  gno  le  hixo  mal ? •) 

Der  Jäger  läßt  den  Bauern  in  seinem  Irrtum;  er  redet 
ihm  vor,  dieser  Crespüsculo  sei  ein  Menschenfresser,  der  einen 
ganzen  Menschen  auf  einmal  verschlucke,  und  wenn  er  hungrig 
sei,  deren  zwei,  worauf  Tosco  vor  diesem  Ungetüm  immer 
größere  Angst  bekommt. '') 

In  einer  der  folgenden  Szenen*)  führt  uns  der  Dichter 

^)  Amor  I,  374^:  Der  König  soll  am  Abend  in  den  Garten  kommen: 
Baja  esta  tarde  al  jardin. 

«)  Vgl.  S.  44  ^^  u.  ". 

»)  Amor  1,  377«. 

^)  Como  d  las  auroras  rnele  /  El  crepdsculo  dudarj  /  8i  atnanece  6 
no  amanece. 

*)  en  el  monte  nhe  cogiö  /  El  crepiisculo  del  dia,  Amor  I,  370». 

«)  Ibd.  J,  370». 

')  Un  homhre  se  traga  entero^  j  Y  91  estd  con  hambrCy  dos  /  Juntos.  — 
Tosco:  Si  H  me  agarra,  muet'to  so, 

*)  Amor,  1.  Akt,  15.  Szene  =  I,  371c  und  372»    Cf.  Val.  Schmidt, 


—    41     — 

in  das  Schloß  Salveric,  ins  Zimmer  der  Estela,  woselbst  diese 
das  Kommen  des  in  sie  verliebten  Königs,  Tosco  den  Überfall 
des  menschenfressenden  Gespenstes  fürchtet.  Hieraus  entsteht 
eine  weitere  Reihe  komischer  Mißverständnisse,  und  besonders 
am  Schlüsse,  als  der  König  an  die  Türe  pocht  und  Tosco 
öffnen  soll,  da  kennt  er  sich  vor  Furcht  gar  nicht  mehr  aus : 
tsi  este  es  ladron^j  Y  me  xampaj  ^qu4  he  de  her?  j  Porque 
hoy  80  Tosco j  y  mafiana  /  Bios  sähe  lo  que  sere,  > 

Tag  und  Naclit. 

Ein  Kapitel,  das  mit  der  Fers,  der  Sonne  und  der  Morgen- 
röte im  engsten  Zusammenhange  steht,  die  Fers,  von  Tag 
und  Nacht,  mag  hier  vorweggenommen  werden,  umsomehr, 
als  C.  die  beiden  Begriffe  weniger  als  Zeitabschnitte,  denn 
als  Naturerscheinungen  auffaßt,  und  außerdem  dia  und  sol 
bei  ihm  oft  geradezu  identisch  sind. 

Der  Tag  wird  in  den  Armen  der  Morgendämmerung  ge- 
boren^); fern  im  Osten,  in  Indien,  steht  seine  Wiege  ^);  sein 
Vater  ist  Sol"),  der  leuchtende  Flanet,  der  den  Tag  hinter 
sich  herzieht  ^  und  ihn  lam  Abend  nach  einem  anderen  Fole 
entführt.  *) 

Gleich  der  Sonne  umkleidet  und  schmückt  der  helle  Tag 
jeden  Morgen  die  Gefilde  mit  neuem  Licht  ^);  das  fröhliche 
Lachen  der  Alba  und  die  Tränen  der  Aurora  bringt  er  uns 
jeden  Morgen,  um  uns  zu  mahnen,  daß  er  immer  wieder  neu 
sich  erhebt  zwischen  Lilien  und  Hyazinthen,  zwischen  Rosen 
und  Jasminen,  und  uns  Freud  und  Leid  bringen  kann.*) 


S.  248  f.  Nach  Schmidt  (S.  252),  gehört  dieser  „komische,  monologartige 
Dialog  zwischen  Tosco  und  Estela"   zu  den  besten  Szenen  des  Stückes. 

*)  en  brazos  dtl  alba  txace  el  dia,  Cenobia  I,  188 *>. 

•)  En  las  Indias  del  Oriente  /  Cuna  donde  nace  el  dia,  Puente  I, 
213c  j  Cenobia  I,  188 *>;  cf.  la  India,  que  eligio  . .  .  .para  su  cuna  el  sol, 
Secr.  agr.  I,  595c. 

»)  S.  oben,  S.  16 »«. 

*)  Gal.  fant  I,  302b;  5.  oben  S.  \1\ 

*)  Äntes  gi*c  el  clnro  dia  /  De  nueva  luz  los  campos  /  Lucido  adorne 
y  vista,  Judas  I,  319». 

•)  Bisa  y  Idgrimas  envia  /  El  dia  al  amanecer,  /  Para  darnos  d  en- 


—     42    — 

Gleich  der  Sonne  findet  der  Tag  als  Gaatfreund  des 
Meergottes  am  Abend  sein  Grab  in  den  kühlen  Wogen  ^), 
und  wenn  ein  Tag  zu  Ende  ist,  dann  ruft  er  den  folgenden 
an  seine  Stelle.  ®) 

An  das  vielgebrauchte  Bild  vom  Zahn  der  Zeit  erinnert 
uns  der  giftige  Zahn  der  Tage,  der  mit  langsam  wirkender 
Beharrlichkeit  baufällige  Gebäude  benagt*);  und  eine  treff- 
liche Wiederbelebung  der  verblaßten  Pers.  „  Der  Tag  kommt" 
finden  wir  in  der  Stelle  May,  encanto  I,  399°,  wo  der  Biese 
Brutamonte  zu  Clarin  sagt:  0  käme  doch  der  Tag,  an  dem 
ich  dich  auffressen  dürfte,  worauf  Clarin  erwidert:  O  käme 
er  doch  nie,  sondern  ginge  sich  die  Füße  wund  und  bliebe 
unterwegs:  «i\'b  HeguelNunca,  sino  deiq)€ado j En  el  camino  se 
quede, » 

In  der  überschwänglichen  Sprache  der  Liebenden  muß 
auch  der  Tag  zu  einer  Schmeichelei  herhalten;  es  begrüßt 
nämlich  Astolfo  die  schöne  Estrella  mit  den  Worten:  Ihr 
kommt  daher  wie  Aurora,  voller  Fröhlichkeit  und  Pracht, 
und  verhöhnt  so  den  Tag,  den  bereits  die  Nacht  verdrängt.*) 

Weit  häufiger  als  der  Tag  wird  die  kalte  Nacht,  die 
schöne  Gegnerin  des  Tageslichtes  *),  personifiziert;  häufig  auch 
finden  wir  die  beiden  Begriffe  einander  gegenüber  gestellt. 


tender  /  Que  amanece  cada  dia  /  Entre  lirios  y  azticenas,  /  Entre  rosas  y 
jazmineSj  I  Fara  dos  contraHos  finea  I  De  contentos*)  y  de  penas,  Är- 
gert is  I,  440c. 

M  el  dia  /  Ya  en  la  tumba  helada  y  fria^  /  Huesjyed  del  undoso  diosj 
Hace  noche,  Medico  I,  350*  =  I,  480ff. 

*)  Un  dia  llama  d  otro  dia,  Princ.  I,  251c  =  II,  159. 

')  el  edificio  .  .  .  mellado  j  Con  j^rolijas  porfias  /  Del  venenoso  diente 
de  los  dias,  Banda  II,  159^. 

*)  D.  h.  Aurora  erscheint  nur  am  Morgen,  Ihr  aber,  eine  zweite 
Aurora,  kommt  am  Abend,  wodurch  der  Tag  gewissermaßen  gefoppt 
wird :  sois,  burlando  el  dia  /  Que  ya  la  noche  destierra^  /  Aurora  en  el 
aUgHu,  Vi  da  I,  3«  =  I,  490  ff. 

^)  Emula  hermosa  de  la  luz  del  dia,  Gal.  fant.  I,  295»;  cf.  en  la 
oposicion  del  dia  I  Es  l<i  noche  ohscura  y  fria,  Hombre  I,  514  c. 


*)  Die  Ausg.   V.  1687   liest  concetos  statt  contentos.   —   Zu   dieser 
Stelle  siehe  VaJ.  Schmidt,  S.  284. 


—     43     — 

Der  Tag  fürchtet  die  Nacht  ^),  da  diese  oft  zum  Mörder 
des  Tages  wird^),  oder  wenigstens,  in  düstere  Nebel  gehüllt, 
rasch  heraufkommt  und  der  Sonne  befiehlt,  mitsamt  dem 
Tage  fortzugehen^);  auch  trägt  der  kalte  Nebel  der  Nacht 
den  Sieg  davon  über  die  Gefilde  des  Tages.  ^) 

Eine  ausfuhrliche  Beschreibung  der  Nacht  erhalten  wir 
aus  der  Stelle  Mej,  estd  I,  234»:  Die  dunkle  Nacht,  die 
Kaiserin  der  Träume,  trägt  auf  ihrer  schwarzen  Stirn  einen 
Kranz  Yon  Cypressen  und  Bilsenkraut.  Während  des  Tages 
hält  sie  sich  im  finsteren  Eeiche  des  Sonnenuntergangs  auf, 
gegen  Abend  erringt  ihre  Schar  von  Scbattengeistern  den 
Sieg  über  das  schöne  Heer  des  Tages.  ^) 

Ein  weniger  erfreuliches  Bild  finden  wir  in  demselben 
Stücke,  Mej.  estd  I,  241»:  Die  Nacht  ist  ein  feiges  und  furcht- 
sames Ungetüm;  leise  schleicht  sie  durch  den  Garten  über 
Nelken  und  Levkojen  hin;  vor  ihr  wagen  die  Bäche  nicht 
zu  murmeln  und  die  Blumen  nicht  zu  lachen;  sie  verhüllt 
das  krystallene  Himmelsschild  unter  Nebeln  und  begräbt  so 
ganze  Heere   von  Sternen   unter   saphirblauen  Grabhügeln.®) 

Die  Nacht  wird  im  Innern  eines  dunklen  Gewölbes  ge- 
boren "') ;  mit  Vorliebe  schlägt  sie  in  dunklen  Höhlen  ihr  un- 
heimliches Quartier  auf  ^);  furchtsam  liegt  sie  im  Labyrinth  des 


*)  El  dia  teme  la  noche.  Ce^iobia  I,  199^. 

*)  hasta  qu€  la  noche  fria  /  Sea  homidda  del  dia,  Mej.  estd  I,  227» 

^)  Casa  I,  144*;  s.  oben,  S.  17*. 

*)  ya  se  ha  declarado  /  Triunfante  la  niehla  fria  /  De  las  campanas 
del  dia,  Gal  fant  J,  299«. 

*)  Si  emperatriz  del  aueno,  /  De  cipres  coronada  y  de  beleno  /  Tienes 
la  adusta  frente  /  En  el  l6l>rego  imperio  de  occidente,  /  Triunfe  tu  hueste 
umbria  /  Del  maa  hermoso  ejei'cito  del  dia. 

*)  E}ra  la  noche  medrosa  /  Monstruo  tan  cobarde  y  vil,  /  Qiie  pisando 
blandamente  /  El  clavel  y  el  alheli, ,  Xo  dejo  d  fuentes  ni  flores,  /  Ni  mur- 
murear  ni  reir.  /  Entre  nieblas  empanado  /  El  cristalino  viril, !  Sepulfo 
abistnos  de  estrelUut  I  En  tiimulos  de  zafir.  Mej.  estd  I,  241». 

')  La  noche  sin  duda  nace  j  De  la  boca  desta  gruta,  Puente  I, 
211b;  Vida  I.  Ib  =  1,  69/72. 

•)  PoloDJa  hesrhreibt  uns  eine  Höhle  als:  U»  espacio,  un  vacio, 
harror  del  dia,  i  Funesto  albergue  de  la  noche  fria,  Furg.  1,  159^. 


—    u    — 

Minotaurus  ausgestreckt^)  oder  schläft  träge  in  ihrem  Bett, 
ohne  daß  irgend  ein  Gedanke  sie  aufregen  könnte.^) 

Ist  das  ferne  Indien  die  Wiege  des  jungen  Tages  und 
der  Sonne,  so  ist  dieses  Land  auch  zugleich  das  Grab  der 
Nacht.  8) 

Das  Einbrechen  der  Nacht  wird  uds  in  der  mannigfachsten 
Weise  geschildert.  In  Schatten  gehüllt ,  birgt  sie  den 
leuchtenden  Sonnenwagen  in  den  kühlen  Wogen  ^);  sie  rüstet 
der  Sonne  die  Leichenfeier*),  oder  erhält  vom  goldeuen 
Phoebus  die  Erlaubnis,  daß  sie  sich  unter  dunklen  Schleiern 
auf  die  Erde  herabsenke,  um  den  Sterblichen  Furcht,  Schrecken, 
Schauder  und  süßen  Schlaf  einzuflößen.^) 

Die  dunkle  Nacht  kommt  im  Westen  herauf)  und 
spannt  ihren  schwarzen  Mantel  aus  8)  oder  ihren  schwarzen 
Schleier •);  auch  steigt  sie  vom  Himmel- hernieder^®),  mit 
grauen  Schatten  bedeckt  ^^)  oder  in  ein  schwarzes  Leichentuch 


*)  La  lobrega  noche  aqui  j  Pavorosamente  yace,    Tres  m.  prod. 
I,  278c. 

*)  i  Como  tüy  NochCj  en  tu  lecho,  /  Perezosmnente  duermes,  /  Sin  ^ue 
de  aqueste  cuidado  I  El  empeno  te  despierte?  Tres  w.  prod.  I,  263c. 

')  La  India  qtie  eligio  /  Para  su  tumba  la  noche  /  Y  para  8u  cuna 
el  8ol  Secr.  agr.  I,  595c. 

*)  Princ.  I,  260b  =  III,  685 ff.,  s.  oben  S.  12». 
ft)  S.  oben  S.  15. 
«)  S.  obeu  S.  12»: 

el  dorado  Febo  .... 
Dando  licencia  d  la  noche 
Que  baje  entre  oscuros  velos^ 
Infundiendo  d  los  mortales, 
MiedOj  espantOy  horror  y  sueno, 

Argenis  I,  437c/438* 
')  Cuando  la  nochcj  escasa  I  De  luz^  salga  de  occidente^  Lances 
I,  51». 

**)  Extiende  8u  manto  negro,  Gal,  fant.  I,  294»;   Casa  I,  137». 
^)  Tendiendo  «<  n^gro  velo,  Dev.  1,  60c ;  Aströl.  I,  585^. 
^^)  la  noche  fria  I  Baja,  Puente  I,  216». 

**)  la  noche  funesta  /  Ya  de  somh-a  cubierta  f  Baja^  Secr.  agr.  I, 
603 » ;  Luego  q^ie  baje  la  noche / De pardas sombras cubiertay  M.monstruo 
I,  499 *>.  In  der  Ausg.  v.  1637  findet  sich  für  das  letztere  die  folgende 
Stelle :  Y  pues  ya  el  ave  notuma  /  estiende  las  alas  negras^  /  ha^.endo 


—     46     — 

gehüllt  ^) ;  sie  entfaltet  ihren  schwarzen  Schatten  *),  droht  mit 
schwarzen  Schatten  *),  oder  breitet,  von  Trauer  und  Schrecken 
umkleidet  *),  ihre  schwarzen  Flügel  aus  und  beschattet  den  Tag.^) 

Am  Morgen  zieht  die  kalte  Nacht  den  Mantel,  den  sie 
über  „des  bunten  Tages  reizende  Gestalten^^  gedeckt,  wieder 
Ton  der  Erde  weg*)  und  flieht  feige  vor  dem  hellen  Licht 
des  Tages.') 

Bisweilen  hat  sie  es  damit  recht  eilig ;  dann  faltet  sie  den 
Mantel  ihres  schwarzen  Dunkels  rasch  und  ohne  Ordnung, 
so  daß  er  allenthalben  Falten  bekommt  und  tüchtig  zer- 
knittert wird.®) 


8ombra»y  y  el  aol  /  Fenix  renace   de  estrellaSj  /  en  hogueras  de  zafir 
fol  161  verso,  2.  Spalte. 

*)  Envuelta  en  esa  löbrega  mortaja^  Dev.  I,  68%  Vir  gen  I,  337«. 
*)  apmas  koy  la  noche  /  Desplegado  habrd  la  negra  /  Sombra^  Mej. 
estd  I,  232». 

*)  con  aombras  I  Negriis  la  noche  amenaza^  Amor  I,  368». 
*)  De  luto  y  Horror  vestida^  Puente  I,  215c. 
^)  la  noche  /  Sus  alas  noctumas  Hende  /  Haciendo  sombra  d  los  diaSj 
Pfor  estd  1,  101»;  Puente  I,  216«. 

•)  Apenas  desdoblar  verdSj  senora^ 

La  falda  que  arrugo  la  noche  fria, 
Sobre  la  hermosa  variedad  del  dia^ 

May.  monstruo  I,  492». 
')  Su  manto  va  recogiendo  /  Y  cobardemente  huyendo  I  De  la  her- 
mosa  luz  del  dia,  Midico  I,  356»  =  II,  344  ft".;   huye  esta  beldad  de 
f ni  I  Conto  de  la  noche  el  velo  I  De  la  hermom  luz  dtl  dia,  Du  ende 
I,  176b. 

*)  doblando  el  manto  /  De  las  tinieblas  oscuras  /  La  noche^  como  le 
dobla  I  Sin  drden,  y  con  arrugas,  /  Mas  que  doblarle,  parece  /  0  que  le  aja 
6  le  arrebuja,  Puente  1,  212». 

Zu  den  der  Nacht  beigelegten  Attributen: 

manto:     Midico  J,  353b  =  n,  v.  5. 
Gal  fant  I,  294». 
Casa  I,  137». 
Secr,  agr.  l,  596»». 
Magic 0  I,  V.  887 f. 
velo:         Devocion  I,  60c. 

Aströl,  I,  585b 
mortaja:  Devocion  I,  68». 
Virgen  I,  a37c, 
fliehe  K„  S.  184,  zu  Mdgico  I,  887  f. 


—    46    — 

Obwohl  die  kalte  Nacht  mit  einem  einzigen  Morgenstern 
heller  lenchtet  als  der  Tag  mit  der  Sonne  ^),  so  wird  sie 
dennoch  von  der  Sonne  verabscheut,  da  sie  ihr  Licht  austilgt  *) ; 
die  Liebespaare  jedoch  verehren  und  schätzen  die  Nacht; 
bedeckt  sie  doch  gar  manches  heimliche  Liebesabenteuer  unter 
ihrer  schwarzen  Kapuze^);  gelangt  doch  der  gähn  meist 
„durch  der  Nacht  hilfreichen  Beistand"  in  das  Gemach  oder 
in  den  Garten  seiner  duTua.  *) 

Deshalb  wünschen  die  Liebenden  stets  die  Nacht  herbei, 
die  mit  ihrem  Schleier  die  Menschen  auf  kurze  Zeit  in  Schlaf 
versenkt^),  und  versprechen  ihr  für  ihren  Schutz  alle  mög- 
lichen Opfer,  so  Arnaldo,  der,  wenn  es  ihm  vergönnt  ist,  seine 
teure  Laura  zu  sehen,  der  bleichen  Gottheit  der  Nacht  aus 
Ebenholz,  Erz  und  Jaspis  einen  Tempel  verheißt  ^) ,  und  ebenso 
verspricht  Jonatas,  der  Nacht  zum  ewigen  Gedenken  Statuen 
unvergänglichen  Marmors  zu  errichten,  wenn  die  schöne  Zares 
nächtlicherweile  in  seinen  Armen  liegt. ') 

Für  die  Liebenden  beginnt  das  Leben  erst  in  der  Nacht, 
wenn  die  Sonne  tot  ist.     ^Muera  el  sol  y  viva  yo,>  sagt  der 


Zur  Erklärung  von  cUas  nocturnas  cf.  el  ave  de  la  7wche  /  Sits 
alas  noctiirnds  tiende  /  Haciendo  sombra  ä  loa  dias  /  En  los  campos  de 
occidente^  Mej.  estd  I,  229",  sowie  S.  44**. 

*)  Noche  hermosa,  que  con  solo  /  ün  lucero  resplundeces ;  Mas  que 
el  dut  con  el  sol,  Tres  m.  prod.  I,  263». 

')  la  noche  aborredda  /  Del  sol,  que  su  luz  ofende,  Puentel,  215 c. 

')  ^No  fue  la  noche  i  De  amantes  delitos  vuestros  j  Capa  oscura? 
fragt  Lisidu  mit  Recht  den  Don  Enrique,  Banda  II,  157 c;  tiene  som- 
bras  la  noche,  j  Rejas  mi  casa,  yo  coche,  Hombre  I,  505 c;  Siendo  ter- 
cera  fiel ,  La  noche  dqu^  no  consiguen  /  üna  reja  y  unpapel?)^  Äsecr. 
agr.  I,  602  c. 

*)  de  la  noche  ayudado,  Amor  1,  382»;  testigos  i  Fulron  de  ven- 
tnras  tales  j  La  noche  y  jardin,  Casa  I,  131  b. 

**)  Ven,  noche  fria,  j  Extiende  el  velo  que  diö  /  En  triste  funesto 
empetio  I  Breves  sepulcros  al  sueno,  Astral.  I,  585^. 

^)  si .  .  .  La  [luz]  de  Laura  merezco  j  Veras  que  d  tu  deidad  pdlida 
ofrezco  /  Por  victorioso  ejemplo  /  De  ebano,  bronce  y  jaspe  negro  templo . . 
Mej.  estd  I,  234». 

')  EstatnOrS  de  eterno  marmol  /  Pietiso  d  tu  memoria  hacer,  /  Ypor 
sacrificio  tuyo  /  Efi  tus  altares  pondre  /  Estatuas,  mdrmol,  luz  y  rosicler^  / 
Si  gozo  la  hermosura  de  Zares,  Judas  I,  322». 


—     47     — 

galan  ^) ;  woza  braucht  er  auch  die  Sonne ,  geht  ihm  doch 
Dächtlicherweile  am  Gartenzaun  in  seiner  Geliebten  eine 
schönere  Sonne  auf.  ®) 

Nur  ist  den  Liebespaaren  die  Nacht  stets  zu  kurz  für 
ihre  heimlichen  Zusammenkünfte ;  so  fleht  Jonatas  die  Nacht 
an,  sie  möge  mit  seiner  Liebesqual  ein  Einsehen  haben,  in 
ihrem  raschen  Laufe  innehalten,  und  nicht  dem  hellen  Tag 
und  dem  Sonnenlichte  nachgeben,  sondern,  seiner  Liebschaft 
eingedenk,  den  goldenen  Glanz  der  Sonne  mit  Schatten  zu- 
decken : 

Noclie,  si  de  mis  susjnros  /  Estds  ohligada,  ten  /  Tu  ciirso, 
quitale  al  dia  j  De  su  beldad  el  poder  \  I  Xo  obedexcas  d  la  luz  j  Del 
8olj  y  d  nii  amor  fiel,  j  Sepulta  en  oscuridadjSu  dora/lo  rosicler.^) 

Ebenso  möchte  Don  Juan  beim  ersten  Tagesgrauen  mit 
Mohn  und  Bilsenkraut  dem  Erdkreis  Ruhe  und  Schlaf  ein- 
flößen, um  noch  ein  Weilchen  länger  mit  seiner  Geliebten 
beisammen  sein  zu  können.  *) 

Nach  der  Meinung  der  Nise  ist  nicht  die  Morgenröte, 
sondern  die  Nacht  die  Königin  des  Feldes  ^),  und  wenn  schöne 
Damen  so  warm  für  die  dunkle  Nacht  eintreten,  so  braucht 
diese  nicht  mehr  die  herrliche  Morgendämmerung  um  ihren 
Glanz  und  Schmuck  zu  beneiden.  ^) 

Zum  Schlüsse  ist  zu  erwähnen,  daß  im  Vorspiele  zu  der 
comedm  *Los  tres  mnyores  prodigios*  neben  den  Nymphen 
Pales  und  Flora,  neben  Jason,  Theseus  und  Herkules  auch 
die  Nacht  in  allegorischer  Pers.  auftritt. ') 


»)  Astr6l.  J,  Ö85b;  cf.  Alcalde  II,  V.  526f.,  K„  S.  226. 

*)  No  te  olvideSj  Laura  bella^  /  De  que  en  la  reja  tu  sol  I  Eata  noche 
me  amanezcüj  Gal.  fant.  1,  297c. 

*)  Judas  I,  322ft 

*)  /  Oh  Leonor !  quisiera  ser  /  Del  toda  esa  esfera  duenOj  /  0  con  el 
opio  y  beleno  / . .  .  Infundir  en  la  fortuna  /  Del  orbe  silencio  y  »ueno, 
Con  quien  II,  238«. 

*)  La  reina  del  campo  es  I  La  noche^  Banda  II,  161«;  cf.  oben 
S.  36". 

•)  No  ya  la  yioche  oscura  /  Del  alba  envidie  pompa  y  hermosura^  / 
Si  hace  d  la  noche  salva  j  Mas  luz,  mejor  aurora  y  mejor  alba,  Banda 
II,  lö5b. 

0  Tres  m.  prod.  I,  263*ff. 


—     48 


Die  Sterne. 


Eine  Reihe  von  Stellen,  in  welchen  eine  Pers.  der 
Sterne  vorliegt,  gründen  sich  auf  die  noch  im  17.  Jahrhundert 
herrschende  astrologische  Anschauung,  daß  die  Sterne  mit  dem 
Geschicke  der  Menschen  innig  verknüpft  seien.  Nach  damals 
noch  weit  verbreiteter  Auffassung,  die  auch  C.  vollkommen 
teilt,  besaß  jeder  Mensch  seinen  glückbringenden  oder  un- 
heilvollen Stern.*)  So  fragt  Dejanira,  welcher  von  den  vielen 
Sternen,  die  das  blaue  Himmelsgewölbe  umsäumen,  der  ihrige 
sei  ^,  Eusebio  spricht  von  seinem  Stern ,  der  ihn  bald  feind- 
selig bedrohe,  bald  mitleidsvoll  beschütze^),  und  der  König 
Basilius  beklagt  den  unheilvollen  Einfluß,  der  seinem  Sohne 
Sigismund  von  dessen  Stern  drohe.*) 

Die  Sterne  sind  dem  Menschen  meist  feindselig  gesinnt 
und  verfolgen  ihn  unablässig.  So  haben  Rugero  ^)  und  Dona 
Maria  ^)  viel  unter  der  G-rausamkeit  ihres  schlimmen  Sternes 
zu  leiden;  Dofia  Beatriz  und  Dona  Clara  haben  unter  dem- 
selben Unglückssterne  viel  zu  leiden '') ;  Lisarda  jammert, 
daß  ihr  ünglücksstem  ihr  mehr  Übel  bereite  als  man  ahnen 
könne  ^),    und  der  treue  Diener  Coquin  beklagt  seine  Herrin 


*)  Selbst  das  Tier  hat  seinen  schlimmen  oder  gütigen  Stern :  Tarn- 
bien  un  bruto  nace  j  Con  mala  6  con  buena  estrelUif  Medico  I,  349«  = 
I,  434  f. 

*)  ique  estrella  de  cuantas  /  AqiAcse  azul  manto  bat'dafi ,  , ,  ,  Es  la 
mia?  Tres  m.  prod.  I,  286 »>. 

*)  la  estreüa,  /  Que  enemiga  me  amenaza,  /  Y  piadosa  me  reserva, 
Devocion  I,  65^. 

*)  Ä  Segiffmundo  mi  hijo  /  El  influjo  de  8u  eatrella  /  (Bien  lo  aabes) 
amenaza  j  Mil  desdichas  y  tragedias.  Vi  da  1,  6c  =  II,  113 f. 

')  ,'Oh  pasion  dura  y  cruel  /  De  la  estreÜa  en  que  nad!  Lances 
I,  42* 

•)  i  Ay^  crueldad  I  De  estrella  siempre  enemiga!  Aströl.  1,  087*». 

')  /  Que  parecidas  que  son 

Nuestras  penas^  Clara  beüa! 

Un  mismo  amor,  una  estrella 

Rige  nuestra  inclinadon^    Hombre  J,  509 *>. 

*)  es  tal  j  La  desdicha  de  mi  estreUaj  j  Que  me  previene  mos  tnal ! 
Del  que  presnmis^  Peor  estd  I,  102b. 


—    49     — 

Dofia  Mencia  als  eine  unglückliche  Frau,  die  von  ihrem  Sterne 
▼erfolgt  werde J)  Doch  bereiten  die  Sterne  bisweilen  auch 
Gutes ;  so  preist  Enrico  seinen  G-lücksstem,  der  ihm  die  hohe 
Gunst  der  Infantin  Florida  beschert  habe.  ^) 

Nicht  nur  einzelne  Sterne,  die  Planeten  überhaupt  be- 
einflussen den  Menschen ;  es  erzählt  Ludovico,  daß  bei  seiner 
Geburt  alle  sieben  Planeten,  Sonne,  Mond,  Merkur,  Venus, 
Mars,  Jupiter  und  Saturn,  mißmutig  und  feindselig  gesinnt, 
zugegen  gewesen  seien  und  jeder  ihm  eine  andere  schlechte 
Eigenschaft  verliehen  habe*),  während  wir  von  Cenobia  er- 
fahren, daß  die  Gestirne  sich  bemüht  hätten,  sie  mit  aller 
Schönheit  und  Kraft  auszustatten.  ^) 

Jedoch  selbst  der  feindseligste  Planet  vermag  den  Menschen 
in  seinem  Tun  nur  bis  zu  einem  gewissen  Grade  zu  beeinflussen ; 
bei  allen  feindlichen  Einflüssen  schlimmer  Gestirne  behält  nach 
der  Ansicht  unseres   Dichters   der  Mensch    trotzdem   seinen 
freien  Willen  und  kann  die  Sterne  bezwingen: 
„Da  die  sprödesten  Geschicke, 
Das  unbändigste  Gelüste, 
Die  feindseligsten  Gestirne 
Immer  nur  den  Willen  lenken. 
Aber  zwingen  nicht  den  Willen.'^) 


')  üna  infelice  mujer  J  Peraeguida  de  8u  esirellaj  Midico  I,  364  o 
=  m,  716  f. 

•)  mi  felice  estreUa  [  Me  ofrece  gloria  tan  bella^  Amor  I,  371» f. 

')  Todos  iiete  planetaSf  /  Turbados  y  descompuestos^  /  Amtieron  de»- 
igudUs  I  Ä  mi  infeliz  nacimientOj  Purg.  I,  151*. 

*)  Cenobia  .  .  .,  aquella  j  Deidad  en  quien  los  astros  8e  miraron  / 
Para  haeerla  tan  fuerte  como  bella  ...    Ccn.  I,  188«. 

')  el  hado  mos  esquivo^  /  La  inclinacion  mos  violenta,  /  El  planeta 
mas  ttttpio,  /  Solo  el  albedrio  inclinan^  /  No  fuerzan  el  alhedriOf  Vi  da  I, 
6»  =  I,  788 flf.  Weiter  finden  wir  in  der  Vida:  el  hombre  j  Predomina 
en  la»  estreüa»,  IJ,  125 f.;  vencerds  loa  estrellas,  /  Porque  es  posible  ven- 
Cellos  I  Äun  magnänimo  varon,  II,  388ff. ;  De  hados  y  estrellas  triunfando^ 
II,  466,  n.  a.  m.;  hierzu: 

Los  afectos  humanos  .../...  viven  atentos  d  una  estreüa  /  Que  su- 
perior  ilustra  y  predomina : 

Y  aunque  es  verdad  que  no  se  vencen  della^ 
Con  tal  podevj  ya  que  no  fuerza^  inclina^ 
Mttncbener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.  XXXII.       ^ 


—    60    — 

Freilich  ist  C.  in  dieser  Anschauung  nicht  immer  kon- 
sequent; es  heißt  in  anderen  Stellen,  daß  ein  Unglücklicher 
vergebens  gegen  seinen  Stern  kämpfe.^)  Die  Sterne  können 
schalten  und  walten ,  wie  sie  wollen  ^),  niemand  kann  sie  ssur 
Rechenschaft  ziehen'),  und  was  sie  verweigern,  kann  selbst 
durch  List  nicht  erlangt  werden.^) 

Natürlich  finden  wir  bei  unserem  Dichter  auch  zahlreiche 
Anspielungen  auf  die  damals  noch  weit  verbreitete  Astrologie, 
die  dudosa  detwia  de  tin  astro,^) 

Der  Himmel  schreibt  die  Geschicke  eines  jeden  Menschen 
mit  goldenen  Buchstaben  auf  krystallene  Tafeln  •) ;  der  Astro- 
log,  der  diese  Sternenzeichen  auf  den  demantnen  Tafeln 
zu  deuten  versteht,  wird  zum  lebendigen  Orakel  dieser  flüch- 
tigen   Schrift'),    wie   denn  der  gestirnte  Himmel  für  jeden 


Que  piei'den  lihertad^  discurso  y  hrio 
El  alma,  la  razon  y  el  albedrio.    Homhre  I,  509». 
Scherzhaft  heißt  es  von  einer  schönen  Dame,  in  die  ein  galan  ver- 
liebt ist:  Bien  merece  ser  estrella^  /  Si  8u  hernwsura  y  8U  brio  I In- 
clina  vuestra  albedrio.    Banda  II,  156». 

*)  es  en  vano  /  Que  un  desdichado  porfie  /  Contra  su  estrelkif  Aairöl. 
I,  574^.  iHdbrd  algun  homhre  en  d  mundo  j  Que  desenganado  quiera,  I 
0  que  quiera  ahorrecido  I  Porfiar  contra  su  estrella?    Sab  er  I,  36». 

')  Der  Mensch  kann  nicht  ändern,  was  die  Sterne  einmal  bestimmt 
haben : 

—  quien  tan  bien  conocio 
La  fuerza  de  las  estrellaSy 
Bien  verd  en  sus  luces  bellas 
Que  no  pude  torctr  yo 
Lo  que  dispusi^ron  eÜas^    Aströl.  I,  ö80c, 
.    *)  No  hay  de  lo  que  no  hacenj  Quien  las  totne  residencia,   Dama 
I,  169» 

*)  Lo  que  niegan  estrellas,  /  Industria  no  lo  concede,  Judas  I,  317». 
*)  May.  monstruo  I,  485 ^j  in  der  Ausg.  v.  1637  statt  dudoea 
=  Dtiquesa,  fol.  147  A.  2.  Spalte. 

*)  todo  el  cielo  escribe  /  Mi  desdicha,  que  en  el  grabada  vive  /  En 
papel  de  cristal  con  letras  de  oro^  May.  monstruo  I,  481  *». 

')  En  Idminas  leyendo  de  diamante  /  Caracteres  rfc  estreüas  .  . .  Tanta 
es  la  fuerza  de  su  estudiOy  tanta^  /  Que  es  ordculo  vivo  /  De  todo  ede 
cuademo  fugitivo  .  . .  May.  monstruo  I,  481*. 


—     51     — 

Astrologen  ein  schöngebundenes  Buch  ist,  in  welchem  er  unsere 
Schicksale  wie  in  einem  Register  eingetragen  findet.^) 

Wie  wird  sich  aber  ein  „Mann  von  tüchtiger  Art"  der 
Astrologie  gegenüber  verhalten? 

Er  wird  den  vorausgesehenen  Ereignissen  teils  Glauben 
schenken^  teils  sie  zu  vergessen  trachten,  und  entweder  ihnen 
vorbeugen,  oder  nicht  weiter  auf  sie  achten, 

Denn  er  kann  als  Herr  der  Sterne, 
Durch  die  Tatkraft  seines  Willens 
Auf  Gefahr  sich  vorbereitend, 
Böses  selbst  zum  Guten  wenden.  ^) 

Er  wird  weiter  nicht  blindlings  seinem  Sterne  sich  an- 
vertrauen ,  sondern  auf  seine  eigene  Kraft  und  eigene  Macht 
sich  verlassen;  diese,  nicht  die  Sterne  sind  die  Pole  seines 
Willens  ^),  wenn  auch  das  Volk  allgemein  in  dem  Irrtume  be- 
fangen ist,  die  Sterne  übten  den  hauptsächlichsten  Einfluß 
auf  den  menschlichen  Willen  aus.  *) 

Abgesehen  von  den  soeben  besprochenen  Fällen,  die  für 
die  Pers.  immer  wieder  die  nämlichen  Belege  liefern,  aber 
für  die  Beurteilung  der  poetischen  Sprache  nicht  ins  Gewicht 


')  eee  estreÜado  zafiro  , .  .  Ä  quien  le  mbe  ker  /  Es  encuademado 
lihrOf  I  Donde  estdn  nuestros  alientos  /  Aaentados por  regiatro^  May.  mon- 
struo  I,  485c. 

■)  debe  el  mron  perfecto  /  Ä  loa  aucesos  previstoa  /  Darios  dl  cridito 
en  una  /  PartCj  y  en  otra  al  olvido:  /  Aquipara  no  eaperarloa  /  Yallipara 
vrevenirloa; 

Puta  aenor  de  loa  eaträlaa^ 
Por  leyea  de  au  alhedriOj 
Previniindoae  d  loa  rieagoa 
Puede  hacer  virtud  del  vicio^ 

May.  monatruo  I,  4850. 
■)  No  fiar  de  mi  eatrella  mi  cuidadOj 

Sino  de  mi  poder  y  el  valer  into, 
Qtie  elloa  loa  poloa  aon  de  mi  albedrio. 

Qal.  fant  I,  295» 
*)  iO^  error  tan  recibido 

De  la  opinion  comun  . .  .ha  aido 
Decir  que  laa  eatrellaa 

De  amor  terceraa  aon,  y  que  eatd  en  eüaa . . . 
La  primera  eleccion  del  albedrio!    Gal  fant.  I,  295». 

4* 


fallen,  werden  die  Sterne  selten  personifiziert,  wenn  sie  auch 
sonst  häufig  zu  Bildern  und  Vergleichen  herhalten  müssen 
und  namentlich  in  der  schwülstigen  Sprache  der  Liehenden 
eine  bedeutende  Rolle  spielen. 

Die  Sterne  und  die  Blumen,  die  in  liebevollem  Frieden 
miteinander  leben ,  sind  oft  die  Vertrauten  der  Liebespaare  ^) ; 
so  befragt  eine  Dame,  die  ihren  Galan  erwartet,  die  Blumen 
und  die  Sterne,  ob  er  wohl  kommen  wird: 

Blumen  und  Sterne,  die  ihr  in  schönem  Wettstreit  mit- 
einander ringt,  in  der  Nacht,  um  Lichtzu  spenden,  am  Tage, 
um  zu  leuchten,  sagt  mir,  da  ihr  stumme  Zeugen  der  selt- 
samsten Liebe  seid,  ob  jener  glückliche  Liebhaber  mich  er- 
wartet — 

Flores  y  estreücts  que  heimosas 

Bayo  ä  rayo  ccytnpetis, 

De  noche  para  alumbrm-f 

De  diu  para  hmr ; 

Pu€8  sois  del  amor  mos  raro 

Mudos  testigos,  dedd 


*)  estrdlas  y  flores  /  Siempre  en  amorosas  paces^  /  Enlazadas  unas 
de  otras  /  Eran  terceras  de  amantes,  Ca»a  I,  131  ^ ;  die  Ausgabe  von 
1636  (fol.  30  recto,  2.  Spalte  oben)  liest  terceras  ö  amantes,  eine  Lesart, 
welche  natürlich  keinen  Sinn  gibt. 

Die  Sterne  werden  auch  sonst  oft  zu  den  Blumen  in  Beziehung 
gebracht.  „Bald  nennt  Calderon  die  Sterne  die  Blumen  der  Nacht, 
bald  die  Blumen  die  Sterne  des  Tages;  bald  ist  der  Himmel  ein  Feld 
von  Sternen,  bald  das  Feld  ein  Himmel  von  Blumen,**  so  könnte  man 
die  bekannten  Worte  Scback's  („bald  ist  der  Garten  ein  Meer  von  Blüten, 
bald  das  Meer  ein  Garten  von  Schäumen**,  III,  84)  passend  variieren. 

Als   Beispiele   seien    angeführt   das  Sonett   der  Prinzessin  Feniz, 
Princ.  I,  256»  =  II,  716flF.;  femer  Banda  II,  166c: 
iQui  trofeoa  son  mayorea? 
i  Un  campOj  cielo  de  flores, 
0  un  cielo,  campo  de  estreUas, 


sowie : 


8%  estrellas  del  dia  son  las  flores, 
Flores  son  de  la  noche  las  estrellas, 

Mej,  estä  L,  234»   und: 
las  rosas .... 
Estrellas  son  de  otra  esfera,       Con  quien  II,  244». 


—     53    — 

Si  aqtiel  veniuroso  a^natiie  .... 
Me  estä  esperando  . .  .  .  ^) 

Wenn  am  Abend  der  edle  Glanz  der  Sonne  erlischt, 
dann  bleiben  die  Steme,  ^die  hellen  Schatten  der  Sonne  "  % 
als  Yizeköniginnen  zurück^);  sie  werden  gleich  dem  Monde 
von  der  Sonne  mit  Licht  gespeist^),  doch  leben  sie  nur  kurze 
Zeit:  eine  Nacht  ist  das  Lebensalter  der  Sterne.^) 

Am  Morgen  muß  der  schöne  Haufen  der  Gestirne  und 
Himmelszeichen  ^)  vor  dem  Glänze  der  Sonne  zurückweichen ; 
verschwindet  doch  das  winzige  Licht  eines  Sternes  vor  dem 
Strahlenmeere  des  gewaltigsten  aller  Planeten.  ^ 

Bisweilen,  an  unheilvollen  Tagen,  entfernen  sich  die  Sterne 
voll  Mißmut  und  halten  es  für  besser,  wenn  sie  nicht  da  sind  ^ ; 
nur  der  Morgenstern,  der  infolge  seines  schönen  Glanzes 
Herrscher  im  unruhigen  Staate  der  Sterne  ist*),  verkündet 
den  nahenden  Tag.  ^^) 

Der  Himmel. 

Calderon  gebraucht  cielo  {cielos)  ungemein  häufig  metony- 
misch für  Gott,  Vorsehung,  Geschick  — ,  ein  Gebrauch,  der 


')  Qal.  Fant  I,  306«. 

•)  ciaras  sombras  del  sol,  Hombre  I,  505*. 

*)  Foco  hä  que  86  escanden  /  Del  8ol  las  luces  heUaSj  /  Dejando  por 
vireinas  las  estrdlaSj  Con  quien  11,  242b;  Sustituyendo  su  ausencia 
(seil,  ausencia  dd  sol)  /  Loa  estreüas  y  la  luna  /  Forqiie  ahrasadas  vireinas  / 
De  la  majestad  dd  sol  j  Son  la  luna  y  Jas  estreUas,  Gal  fant  1,  296 o; 
ähnlich  Mdgico  1,  Y.  655fr. 

*)  cobran . . .  /  Alitnentos  dd  sol  en  resplandores,  Princ.  I,  255 » 
=  U,  717  ff. 

*)  üna  noche  es  la  edad  de  las  estrellas,  Princ,  I,  255»  =  11,  723. 

*)  Toda  la  caterva  hermosa  /  De  los  astros  y  los  signos,  May.  en- 
canto  1,  394^ 

^  suda  ufia  estreUa  /  Deshacerse  al  resplandor  /  Del  sol^  planeta 
mayor,  Argenis  I,  448 c;  Estando  d  sol  ddantej  iQue  estrella  no  ca- 
duea?,  Sab  er  I,  26». 

")  con  mal  contenta  luz  /  Se  amentaron  las  estreüas,  /  Que  solo  esta 
vez  tuvieron  I  Por  venturosa  la  ausencia^  Purg.  I,  157*. 

•)  Yo  en  esas  cortes  bellas  /  De  la  inquieta  repüblica  de  estrellas,  / 
Vi  en  d  lugar  primero  /  Por  rey  de  las  estrdlas  al  hicerOf  Vi  da  I;  9o 
=  n,  619  ff. 

*•)  no  di6  nuevas  I  Del  dia  ningun  lucer o,  Banda  U,  153*. 


—     64    — 

auch  in  der  Umgangssprache  eingebürgert  ist;  man  denke  nur 
an  die  Ausdrücke:  Valgavie  el  ckJo!  Hago  testigo  el  eklo,  /Sea 
el  cielo  Ustigo!    Hago  al  cielo  ßiex,  u.  a.  m. 

Mit  diesem  metonymischen  Gebrauch  haben  wir  es  in 
unserer  Arbeit  nicht  zu  tun ;  wir  betrachten  lediglich  diejenigen 
poetischen  Bilder,  in  welchen  cielo  {cidos)  in  der  Bedeutung 
„das  Himmelsgewölbe"  personifiziert  wird. 

Da  treffen  wir  zunächst  auf  die  ungemein  anschauliche 
Schilderung  eines  Gewittersturmes :  Der  Himmel,  mit  schwar- 
zen Wolken  überzogen,  verkündet  unter  Donnern  der  Erde 
fürchterlichen  Krieg  und  schleudert  des  Wassers  Speere  und 
und  steinerne  Kugeln  auf  sie  herab : 

se  cubnö  /  El  cielo  de  nubes  nep'as,  j  Y  piihlicando  con  true- 
710S  l  AI  mundo  espantosa  guen-a,  /  Lamas  arrojaba  en  agua,  /  Balas 
disparaha  en  piedras,^) 

Aholich  beschreibt  der  Dichter  einen  heftigen  Schneesturm: 
Der  Himmel,  hinter  dichten  Wolken  verhüllt,  bekriegte  die 
Erde  mit  Strahlen  aus  Schnee:  los cielos  j  Rehoxadoa  entre  densasj 
Nubes,  con  rayos  de  nieve  j  Hicieron  al  mundo  guerra,  ^) 

Weiter  erfahren  wir,  daß  der  Himmel  am  Tage  ein  blaues 
Gewand,  einen  herrlichen  blauen  Schleier  trägt,  der  dem  bunten 
Frühling  gleicht,  *)  wie  ihn  denn  der  Dichter  an  einer  anderen 
Stelle  einen  „blauen  Narzissus"  nennt,  der  in  den  ruhigen 
Meereswogen  seine  Schönheit  betrachtet.*) 

Es  ist  zwar  in  Wirklichkeit  mit  diesem  blauen  Schleier 
nicht  weit  her,  denn  der  Dichter  sagt  an  der  nämlichen  Stelle 
von  dem  Blau  des  Himmels: 

Diese  Farbe  schwebt  im  Scheine 
Nur  dem  Auge  vor;  in  Wahrheit 
Ist  der  Himmel  nichts  als  Klarheit, 
Und  er  trägt  der  Farben  keine. 


*)  Devoc.  I,  ööo. 

»)  Purg.  I,  löOb. 

')  Se  viste  de  azul  el  cielo.  j  Prhnavera  es  su  azul  vfZo,  /  Donde  son 
las  flores  beUas  /  Vivas  luces^  Banda  II,  156  c. 

*)  Im  agnas  /  Tan  dulces  y  lisonjeras,  IQue  el  cielo j  Narciso  azulj 
Se  m6  conteniplando  en  ellaSf  Ä  secr.  agr,  1,  609«, 


—    55     — 

Drum  ist  seiner  Sphären  Reine 
Mit  erlognem  Blau  umfangen.  .  .  .,  ^) 

wie  denn  Calderon  an  mehreren  Stellen  ausspricht,  daß 
der  blaue  Himmel,  den  wir  schauen,  weder  Himmel  sei  noch 
blau.  2) 

Nicht  immer  trägt  der  Himmel  einen  blauen  Schleier; 
wena  er  Schmerz  empfindet,  legt  er  einen  grauen  Schleier^) 
oder  ein  schwarzes  Trauergewand  um  *),  und  „wenn  er  auch 
am  Ende  nicht  empfindet,  so  scheint  es  doch  wenigstens  so".  ^) 

Zur  Nachtzeit  legt  der  Himmel  ebenfalls  einen  schwarzen 
Schleier  an,  um  den  Tod  der  Sonne  zu  betrauern®),  oder  es 
dient  der  dunkle  Schleier  der  Nacht  ihm  zum  Gewände,  mit 
welchem  er  sich  yerhüllt. ') 

Bisweilen  empfindet  der  Himmel  Neid,  so  über  das  große 
Heer  der  Spanier,  da  es  an  Glanz  und  Größe  sein  Stemenheer 
bei  weitem  überragt®),  oder  über  den  Schmuck  der  Nymphe 
Flora,  der  Herrscherin  im  fröhlichen  Reiche  der  Quellen  und 
Blumen,  da  ihre  Farbenpracht  in  den  grünen  Laubgängen 
gar   oft   seine   blauen  Schleier  an  Glanz  übertrifft,  wenn  im 


»)  Schlegel  I,  403f.;  Banda  II,  156b. 
«)  Peor  estä  I,  100c,  g.  oben  bei  sol,  S.  10». 
e/  cielo  azul  que  miramos^ 
f.Habrd  alguno  que  no  crea 
Vulgarmente  que  es  zafiro 
Que  hermosos  rayos  ostenta? 
Pues  ni  es  cielo,  ni  es  azul,    Sab  er  I.  34». 
■)  Siente  el  cielo  y  se  oscurece 

Cubierto  de  un  pardo  velo,    Sitio  I,  112 c. 
*)  Cnbrese  el  cielo  de  lutOj  Arg.  I,  454 1. 
*)  Y  si  al  fin  no  siente  el  cielo, 

Poi'  lo  menos  lo  parece,    Sitio  1,  112 o. 
«)  Purg.  I,  151  c,  s.  S.  15«. 

')  el  manto  negro  /  Capa  de  noche  que  viste  /  Para  disfrazarse  el 
cielo,  Casa  I,  137». 

*)  el  ejercito  .  .  j  Tan  numeroso  que  diö  /  Envidia  ä  la  celesiial  /  Es- 
fera,  viendole  igunl  j  En  todo  d  sus  liices  bellas]  /  Porque  al  competir  con 
dlas,  I  Excedio,  dando  desmayos,  /  En  resplandor  d  sus  rayos,  /  Y  en 
nümero  ä  sus  estrellas,  Sitio  1,  113». 


—     56     — 

Widerstreite  der  Garten  zu  einem  grünen  Himmel,  der  Himmel 
zu  einem  blauen  Garten  wird.  ^) 

Eine  Pers.  liegt  auch  vor  in  der  Drohuog  des  Sigismund : 
Himmel)  wie  tust  du  recht,  daß  du  mir  die  Freiheit  nimmst. 
Denn  gegen  dich  würd'  ich  zum  Riesen ,  und  um  der  Sonne 
jenes  krystallene  Gewölbe  zu  zerschmettern,  häufte  ich  Berge 
▼on  Jaspis  auf  dem  Felsengrund  empor. 

/  Ah  cielos,  /  Que  bien  haceis  en  quiiamie  j  La  libertad  /  Por- 
que  fuera  /  Contra  vososiros  gigante  /  Que  para  quebrar  al  sol  /  Esos 
vidrios  y  cristales  /  Sobre  cimientos  de  piedra  /  Puswra  montes  de 
jaspe.  *) 

Eusebio  empfindet  Furcht,  nachdem  er  eine  schwere 
Freveltat  begangen :  „Seht  ihr  nicht,  wie  der  Himmel  blutig- 
rot über  mich  kommt?  Wo  gibt  es  für  mich  noch  Sicher- 
heit, wenn  der  Himmel  mir  seinen  Zorn  sehen  läßt?^ 

g'JVb  mir  als  sangriento  el  cielo 
Que  todo  sobre  mi  viene? 
ßDonde  estar  seguro  puedo, 
Si  airado  el  cielo  se  muestra?^) 

Ähnlich  ruft  Polonia  im  Fieberschauer  aus :  Der  Himmel 
zittert  und  wankt  in  seioen  Polen,  und  sein  wunderbares 
Prachtgebäude  bedroht  mich  im  höchsten  Zorne.*) 

Schönen  Damen  muß  sogar  der  Himmel  huldigen,  so  der 
göttergleichen    Estrella,    „zu    deren    Füßen    sich  /  Senkt   des 


*)  Flora  ..../..  cuya  cultura  el  cielo  /  Mismo  entidiö  tantas 
veces Tres  m.  prod.  I,  ?36bf. 

»)  Vida  I,  3»  =  I,  329 ff.  —  Gleich  Sigismund  will  der  König 
Egerio  wie  ein  zweiter  Nimrod  den  Himmel  stürmen,  Purg.  I,  149«. 

')  Devocion  I,  63*>.  Vielleicht  steht  hier  cielo  airado  bereits 
metonymisch  für  Gott,  wie  denn  die  eigentliche  und  die  übertragene 
Bedeutung  von  cielo  oft  ineinander  übergehen.  Man  vergleiche:  No  ha 
»ido  I  Airado  el  cielo  conmigo,  j  Curcio,  eii  haherte  iticontrado  (hier  ist 
cielo  ==  Gott  oder  Geschick),  Dev.  I,  66^  mit:  Los  ejes  rotos  videlfirma- 
mento,  j  Eil  cielo  desatö  toda  su  ira.  /  La  tierra  se  esireniece  y  gime  d 
viento,  Purg.  I,  160». 

*)  El  cielo  tiembla  /  Desquiciado  de  sus  polos,  /  Y  su  fdbrica  perfecta  I 
Ä  mi  nie  estä  amenazando  j  Con  su  eminente  soberbia^  Purg.  I,  158» f. 


—     67     — 

Himmels  Glanz  und  Wonne^  ^),  wie  denn  eine  solche  Schön- 
heit bisweilen  auch  cielo  ^)  genannt  wird.  Wenn,  nach  der  An- 
sicht der  Philosophen,  der  Mann  eine  kleine  Welt  darstellt, 
so  ist  die  Frau  gewiß  „ein  Himmel  im  Kleinen."  *) 

So  ist  die  Infantin  Florida  „der  Himmel  selbst"  ^),  die 
zarte  Marianne  ist  ein  „vergänglicher  Himmel"  ^);  Lisarda 
Tergleicht  die  schöne  Florida  mit  dem  Himmel,  während  sie 
sich  selbst  bescheiden  „tierra"  nennt  ^) ;  zum  Schlüsse  einigen 
sich  die  beiden  Schönen :  Laßt  uns  beide  Himmel  sein  .  .  . 
Nur  des  Mondes  Himmel  schein'  ich,  Scheint  der  Sterne 
Himmel  Ihr. ') 


Die  Wolken  und  die  Blitze. 

Vom  Himmel  steigen  die  Wolken  gleich  Wassersüchtigen 
bisweilen  zum  Meere  hinab ,  um  ihren  brennenden  Durst  zu 
löschen  ^) ;  sie  werfen  sich  auf  das  Meer,  um  in  seiner  blauen 


^)  esta  diosa  humana,  /  Ä  cuyoa  divmos  pies  /  Postra  el  cielo  8u  arre" 
hol,  Vida  I,  8b  =  n,  401  ff. 

*)  Cf.  en  esta  aldea  vi  la  maravilla  j  Del  cielo,  reducida  en  una 
datna  .  , .  Ä  secr.  agr.  1,  598» 

»)  Fida  I,  9b  =  II,  580 ff.;  siehe  Ki,  zu  dieser  Stelle  (S.  96); 
Homhre  I,  503 <'.  Weiter  heißt  es  von  der  schöuen  Estela  Ton  Sal- 
veric: Si  d  otras  hermosuras  /  Un  mundo  pequeno  üaman  I  Tu  eres  un 
cielo  pequeno,  Amor  I,  368«. 

*)  d  mismo  cido,  Amor  1,  367«. 

*)  cielo  caduco,  May,  mofistruo  1,  501 «. 

•)  cudn  gravemente  yerra 

Quien  asi  rinde  d  Ui  tierra 
Todas  las  luces  del  cielo,    Peor  estd  I,  93b. 
')  Fueramos  cielos  las  dos  .... 

Sere  el  cielo  de  la  Imia,  (=  FlSrida) 
Y  vos  (=  Lisarda)  el  de  las  estrellas,  Restd  I,  93b ; 
vgl.  za  dieser  Stelle  Klein  11,  1,  S.  511. 

*)  Tal  vez  la  mibe  mas  lijera 

AI  mar  sedienta  baja,  y  llena  subCj 
Caldndose  hoy  al  mar  desa  manera 
Hidröpica  sin  duda  alguna  nube, 

Tres  m.  prod.  I,  268b. 


—     58     — 

Flut  den  Regen  zu  empfangen,  den  sie  in  Krystall  wieder  TÖn 
sich  geben.  ^) 

Hoch  über  der  Erde  schmieden  sie  ihre  Blitze,  die  ver- 
hängnisvolle  Ausgeburt  der  Wolken*);  nur  bei  Erdbeben 
scheint  es,  als  ob  sie  im  Innern  der  Erde  ihre  Waffen 
schmiedeten  ^) ;  mit  ihren  Blitzen,  mit  Donner  und  Regen  stiften 
sie  Frieden  unter  den  kämpfenden  MeoschcD,  d.  h.  ein  heftiges 
Gewitter  macht  dem  Kampfe  ein  Ende.*) 

In  einem  Falle  werden  auch  die  Wolken  als  Zeugen  an- 
gerufen;   es   schwört  nämlich  der  Tetrarch   dem  fliehenden 
Tolomeo,  er  werde  ihn  überall  mit  seiner  Rache  verfolgen: 
„Flögst  du  auch  zur  Himmelssphäre, 
Sollen  dort  der  Wolken  Heere 
Zeugen  meiner  Rache  sein!^^ 
Si  al  mLsmo  cielo  ie  subes, 
Campana  serän  las  nvhcs 
Qiie  hagan  de  mi  honor  alarde,  *) 

Die  Erde. 

Für  gewöhnlich  zeigt  uns  die  Erde  ihr  ernstes,  bekümmertes 
Antlitz  voll  finsterer  Runzeln  ^),  doch  bei  besonderen  Anlässen 
öffnet  sie  ihren  Mund,  um  sich  zu  beklagen,  und  speit  graue 
Rauch-  und  Feuerwolken  aus*),  wie  denn  finstere  Gewölbe 
und  Höhlen,  sowie  Minen  und  Schächte  als  grausige  Schlünde 

*)  Ä  la  mar  se  arrojan 

Ä  concehh'  en  zafir 

Lluvias  que  en  criatal  ahortan, 

Princ.  I,  V.  254ff.  =  I,  246o. 
•)  Del  emhrion  de  las  nubes 

Sean  los  rayos  abortos^    M.  encanto  I,  403«. 

Äl  rayo  que  de  la  nube 

Frenado  es  fatal  aborto,    Gal.  fant  I,  302 ^ 
•)  iCudndo,  contra  la  costiimbre^ 

En  el  centro  de  la  tierra 

Forjan  sus  rayos  Ins  nubes?  May.  cncanfol,  408«. 
*)  pusieron  paz  las  nubes . .  .    May.  encanto  I,  404». 
*)  May.  monsUruo  I,  498c. 
•)  no  sufre  /  Ella  aun  de  su  grave  faz 
La  arrugada  pesadumbre; 
Pues  obre  para  quejarse 


—     59     — 

bezeichnet  werden,  aus  welchen  die  Erde  mit  traurigem  Grähnen 
ihre  Schrecken  ausdunstet.  ^) 

Trefinich  wird  die  Erde  personifiziert  in  der  Schilderung 
von  Wiege  und  Grab,  die  uns  Don  Fernando,  der  standhafte 
Prinz,  entwirft.  Er  vergleicht  die  Erde  mit  einem  Menschen, 
der  die  gefalteten  Hände  emporhält,  um  eine  Gabe  zu  em- 
pfangen, und  die  Häude  umdreht,  um  die  empfangene  Gabe 
wieder  wegzuwerfen. 

Bei  unserer  Geburt  nimmt  uns  die  Erde  in  ihre  gefalteten 
Hände  auf,  da  ihr  an  unserem  Besitze  gelegen  ist  (Form  der 
Wiege,  nach  oben  offen) ;  wenn  sie  aber,  ärgerlich  oder  zornig, 
sich  unser  entledigen  will,  kehrt  sie  die  gefalteten  Hände 
um  und  schleudert  uns  weg  (Form  des  Sarges,  nach  oben  ge- 
schlossen) : 

El  mundo,  cuando  nacemos 
En  senal  de  que  nos  busca 
En  la  cuna  nos  recibe^ 

Y  en  ella  nos  asegurcij 
Boca  arriba;  pero  cuando 
0  con  desddn  6  con  furia 
Quiere  anojamos  de  si, 
Vuelve  las  manos  que  Junta, 

Y  aquel  instrutnento  7ms7no 
Forma  esia  maieria  muda; 
Pues  fue  cunn  boca  arriba 

Lo  que  boca  abajo  es  tumba  .  .  .  ") 
In  vielen  Stellen  werden  der  Erde  Züge  des  menschlichen 
Seelenlebens  beigelegt. 

Beim  Tode  Christi  erbebt  sie  *) ;  bei  der  Geburt  des  Prinzen 


Una  boca^  y  de  ella  escupe 

Pardas  n%d>e8  de  humo  y  fuego.  M.encantolj  408 o. 

*)  La  harrihle  boca  . . .  /  Por  donde  en  tristes  bostezos  /  Eorrwes  la 

iierra  escupa^  Puente  I,  211»;  [la  mina],  por  cuya  boca  j  Bosteza  la 

iierra  asombroSj  Oal.  fant,  I,  302 o;  I,  301»;  el  hielo  con  que  bosteza  j 

Esta  rdstica  tristeza,  Vir  gen  I,  344* 

«)  Princ.  I,  259» f.  =  III,  494  bis  513. 
')  Aquel  mortal  parasismo, 

Cuando^  cerrados  los  cielos, 

La  tierra  se  estremeciS,     Virge^i  I,  331». 


—     60    — 

Sigismund  glaubt  die  Erde,  ?od  lebendigen  Flammen  über- 
strömt, ihren  letzten  Todeskrampf  zu  erleiden  ^) ;  sie  soll  An- 
teil nehmen  an  dem  Unglücke  des  Volkes  Israel ') ;  in  Blamen- 
schrift  verkündet  sie  die  Größe  Gottes^),  und  die  Seeleute, 
die  nach  langer  Irrfahrt  auf  der  stürmischen  See  glücklich 
den  rettenden  Strand  betreten,  rufen  ihr  begeistert  zu:  „Sei 
gegrüßt,  und  abermals  gegrüßt,  barmherzige  Matter^,  t^Sake^y 
salve  otra  vexy  Madre  piadosa  I  >  *) 

Wie  wir  oben  gesehen,  verkündet  ihr  der  Himmel  bis- 
weilen den  Krieg  und  schleudert  des  Wassers  Speere  und 
steinerne  Kugeln*^)  oder  Pfeile  aus  Schnee  auf  sie  herab*); 
doch  kommen  beide  meist  friedlich  miteinander  aus,  die  Erde 
verdankt  dem  Himmel  Schmuck  und  Schönheit,  und  hat  dafür 
keine  Geheimnisse  vor  ihm  in  ihrem  dunklen  Schöße, 
Weil  der  Himmel  selbst,  obwohl 
Himmel,  Zins  für  Wohltat  fordert.  "^ 

Kleidet  sich  der  Himmel  in  blau,   so  legt  die  Erde  ein 
grünes  Gewand  an  ^)  und  tritt  in  ihrer  Farbenpracht  oft  mit 

*)  anegado  /  El  orbe  eti  incetidioa  vivos,  /  Presumid  que  padecia  /  El 
ülHmo  parasUmOy  Vi  da  I,  4c  =  I,  6921!. 

')  d  tanta  ruina  j  Haga  sentimiento  el  orbCj  Judas  I,  311c. 
')  i  No  escribe  la  tierra  /  Cofi  caract^es  de  flores  /  Grandezas  vuestras  ? 
Purg.  I,  164». 

*)  Saltida  el  pehgrinOj  /  Qtie  en  salado  cristal  <ibri6  Camino^ 
La  tierra  donde  llega, 
Cuando  inconstante  y  ndufrago  se  niega 
Del  mar  d  la  inco^istancia  procelosa^  M.  encanto  I,  391», 

ebenso  Arginis  I,  437»; 
iOh  madre  tierra^  que  bien 

Me  recibes !  Dulce  patria  /  EreSj  Z  a  n  c  e  8  1, 43  o ;  cf.  Kf,  S.  200  f. 
*)  Devocion  I,  55«,  s.  oben  S.  54*. 
•)  Furg.  I,  150b,  s.  S.  64«. 
^)  d.  h.  es  kommt  alles  an  den  Tag: 

La  tierra,  viendo  el  adomo 
Y  la  Itermosura  que  debe 

Ä  ese  cristalino  globo 

Le  ofreciö  de  no  encubrirU 
Nada  en  su  centro  m<is  hondOj 
Que  aun  los  cielos,  cofi  ser  citlos, 
Dan  las  mercedes  d  logrOj  May.monstruoL,  497«. 
^)  el  suelo  de  verde  /  Se  viste,  Banda  II,  166  o. 


—    61     ^ 

dem  Himmel  und  dem  Meere  in  Wettstreit,  wobei  sie  mit 
ihren  blauen  Schatten  bisweilen  den  Himmel  und  mit  ihrem 
grfinen  Gewände  das  Meer  an  G-lanz  übertrifft.  ^) 

Wenn  wir  uns  jetzt  zu  den  einzelnen  Teilen  der  Erde 
wenden,  so  fesseln  zunächst  Erdteile,  Länder  und  Städte 
unsere  Aufmerksamkeit. 

Siegesbewußt  betritt  Don  Fernando  an  der  Spitze  des 
portugiesischen  Heeres  den  Strand  Afrikas:  „Ich  will  der 
erste  sein,  schönes  Afrika,  der  deine  sandige  Küste  erklettert, 
damit  unterdrückt  vom  schweren  Tritte  meines  Fußes  du  in 
deinem  Nacken  die  starke  Macht   spüien  mögest,   die  dich 

zähmen  soll Nur  keine  Furcht,**   sagt  er  drauf  zu  seinem 

Bruder  Don  Enrique,  als  dieser  beim  Betreten  des  Landes 
strauchelt,  „Dein  Fallen  kommt  daher,  daß  das  Land  selbst 
Dich  als  seinen  Herrn  gebeten  hat,  es  zum  Empfange  zu 
umarmen** : 

Yo  he  de  ser  el  primero,  Africa  bella^ 
Que  he  de  pisar  tu  morgen  arenosa^ 
Porque  oprimida  al  peso  de  mi  huella 
Sientas  en  tu  cervix  la  poderosa 

Fuerxa  que  ha  de  rendirte 

....  —  el  caer  agora  dntes  ha  »ido 
Que  yUf  conto  d  sehor,  la  misnia  tierra 
Los  brazos  en  albricias  te  ha  pedido.  *) 
Weiter  heißt  Europa  die  große  Mutter  so  vieler  mächtiger 
Berge ^),   und  Ludovico  berichtet,  daß   „Irland  ihn  wie  eine 
Mutter  aufgenommen  habe,  aber  bald  zur  Stiefmutter  für  ihn 
geworden  sei.***) 

In  den  bekannten  Worten  gleich  im  Anfange  der  Vida: 
„Wie  schlecht  empfängst  du,  Polen,  einen  Fremdling,  da  du 


*)  Y  la  Herta  ecn  los  dos, 

Fues  con  iomasoles  vence 
Äl  cielo  en  sonUfras  azules 
Y  al  mar  en  celajes  verdeSj    Arginis  I,  466» 
«)  Fr  ine,  I,  2470  u.  248»  =  I,  V.  477  ff. 

')  Ghran  madre  de  tantos  /  Hijos^  cuyo  aborto  fueron  /  Los  montes 
Virgen  I,  330«. 

*)  Irlanda  . . .  como  madre  /  Me  recibiö,  pero  luego  /  Fui  madrastra 
para  mi,  Furg.  I,  162» 


—     62     — 

mit  Blut  seine  Ankunft  in  deinen  Sand  niederschreibst"  ^)  ist 
doch  wohl  auch  Pers.  des  Landes  Polen  eher  als  Metonymie 
(das  Land  für  das  Volk)  anzunehmen.  Ahnlich  sagt  auch 
der  alte  Fabio,  der  von  einer  Reise  zurückkehrt :  „  Wie  schlecht 
empfängst  du  mich,  mein  Vaterland!  Am  Tage,  da  ich  an 
deiner  Schwelle  ankomme,  finde  ich  zuerst  meine  Leiden  und 
meine  Plagen  vor"^),  während  Otaüez,  der  bei  seinem  ver- 
meintlichen Ritte  durch  die  Lüfte  *)  glaubt,  in  seiner  Heimat 
angelangt  zu  sein,  voll  Freude  ausruft :  O  Vaterland,  laß  mich 
voll  Dankbarkeit  deinen  Boden  küssen :  t  Oh  patria  mia,  /  D^'a 
que  tu  tien-a  besä  /  Agradecicio !  »  *) 

Von  den  Städten  finden  wir  zunächst  Rom  und  Jeru- 
salem personifiziert. 

An  der  Spitze  des  aufrührerischen  Heeres  sagt  Sigismund : 
Könnte  mich  doch  Jieute  die  mächtige  Roma  im  Glänze  ihrer 
Jugendtriumphe  sehen!  Wie  würde  sie  sich  freuen,  in  mir 
den  Mann  gefunden  zu  haben,  der  ihre  gewaltigen  Heere  be- 
herrschte und  dem  bei  seinem  hochfahrenden  Sinne  es  ein 
Leichtes  wäre,  den  Himmel  selbst  zu  erobern : 

Sl  este  dia  me  viera 

Borna  cn  hs  triunfos  de  su  edad  primei'a, 

/  Ohj  cuanto  se  alcgrara, 

Vicndo  lograr  una  ocasion  tan  rara 

De  teuer  mia  fiera 

Que  sus  grandes  ejtrcilos  rigiera, 

A  ciujo  altivo  aJiento 

Fuera  poca  conquista  el  firmamentofi) 

Weit  grimmiger  hören  sich  die  Worte  des  Libio  an: 
„Wenn   du   auch   die  Kronen    vieler  Völker  trägst,  mächtige 


^)  Mal^  Folonia,  recihes  j  Ä  un  extranjero^  pues  con  sangre  escribes 
Su  entrada  en  tus  arenaSj  Vi  da  I,  1»  =  I,  17  ff. 

')  /  Q^  ^^h  patria,  me  recibes ! 

El  dia  que  ä  tus  nmbrales 
LlegOj  emnientro  lo  primero 
Mis  penas  y  mis  pesares,    Banda  II,  166». 

3)  Aströl  I,  592a 

*)  Aströl  I,  593a 

^)  Vida  I,  15c  =  III,  469ff. 


—    63     — 

Roma,  so  will  ich  heute  doch  an  dir  grausame  Rache  üben."*) 
Wir  haben  in  beiden  Fällen  an  die  symbolische  Darstellung 
der  Roma  als  Statue,  weibliche  Figur,  zu  denken. 

An  dieser  Stelle  müssen  wir  der  herrlichen  Worte  Er- 
wähnung tun,  die  der  siegreiche  Octavian  an  die  im  Morgen- 
sonnenscheine erstrahlende  Stadt  Jerusalem  richtet: 

„Sei  gegrüßt,  du  große  Hauptstadt  des  Orients,  du  gött- 
liches Jerusalem.  Sei  gegrüßt,  du  Kaiserin  von  Palästina 
und  Herrin  Asiens,  welcher  auf  Auroren  ros'umkränzten  Auen 

Durch  stumme  Strahlentöne 

Huldigt  die  Sonn'  in  jugendlicher  Schöne. 

Salve,  tu,  ö  gran  metropoli  de  Oriente, 

Jerusalen  divina. 

Salve,  ö  tu,  emperatrix  de  Palestina 

Y  del  Asia  sefvora, 

Que  en  el  rosado  imperio  del  aurora, 

Con  luden te  vox  muda^i 

El  sol  en  su  primera  edad  saluda.  *) 
Von  den  spanischen  Städten  wird  das  edle  Barcelona  mit 
einer  Fürstin  verglichen,  welcher  auf  hohem  Thron  am  Meere 
sitzend,  die  schaumigen  Wogen  die  Füße,  netzen*);  der 
Stadt  Madrid  winkt  Ota&ez  einen  Abschiedsgruß  zu^),  und 
die  Stadt  Toledo,  das  Herz  Spaniens •),  wird  von  dem  Ne- 
gerfürsten Aben  Tarif  in  Worten  ehrenden  Lobes  gefeiert, 
ja  selbst  der  Tajo,  welcher,  der  herrlichen,  unvergänglichen 
Stadt  die  Füße  bespült,  spendet  ihr  ungebeten  Goldkömer 
als  Tribut  in  seinen  Wellen. ') 


*)  Aunque  te  corones  I  De  naciones,  Hoy,  Borna,  en  H  determino 
Tengarme,  Cenobia  I,  200». 

')  In  der  Ausg.  v.  1637  voz  y  lengua  muda^  fol.  Iö6  verso. 

')  May.  monatruo  I,  494«. 

*)  la  ilustre  Barcelona,  /  Ä  cuyo  altivo  dosel  /  El  mar  con  rizas  es- 
pumas  I  Argenta  el  sagrado  piS,  Lances  I,  40». 

*)  ;Adio8,  Madrid!  desta  vez  j  No  pienso  volver  d  verte,  AstrdL 
I,  591  c. 

•)  es  Toledo  el  corazon  de  Espana,  Vir  gen  1,  3M^. 

')  Si  hablarte  puedo,  /  Escucha,  imperial  Toledo  .  .  .  .  /  inmortal 
ciudad  de  Espana, 

Vivo  solar  de  su  mejor  nobUza, 


—     64     — 

Berge  und  Felsen. 

Ausführlich  beschreibt  Calderon  den  Berg  mit  der 
Höhle  des  Fegefeuers^),  den  er,  wie  dies  im  Spanischen 
häufig  ist  %  mit  einem  menschlichen  Haupte  vergleicht,  wobei 
dem  Berge  Teile  und  Tätigkeiten  des  Menschen  beigelegt 
werden.  *) 

Heben  wir  die  personifizierenden  Züge  dieser  Beschrei- 
bung her?or: 

Der  rauhe   Berg,  dessen  düstere  Stirn   mit  Eichen  be- 
wachsen ist,  blickt  drohend  auf  das  reine  Licht  der  Sonne.  ^) 
Voll  Eigensinn  hat  er  nie  geduldet,   daß  der  Fuß  eines 
Menschen   ihn   betrete.      Sein  Antlitz  voll   grauser  Runzeln 
erregt  Bewunderung,  Staunen  und  Furcht  zugleich.*) 
Seht  ihr,  heißt  es  weiter, 

—  den  Felsen  dort,  der  nur  mit  Mühe, 
Wie's  scheint,  vermag  sich  aufrecht  zu  erhalten, 
Den  nur  die  Angst,  daß  er  zum  Abgrund  fliehe 
Im  Stande  war,  im  Sturze  aufzuhalten? 
Er  ist's  Gebiß,  daß  er  zusammenziehe 
Dort  eines  Rachens  gräßliches  Entfalten, 
Der  unter  ihm  mit  grausem  Klaffen  gähnet. 
Durch  den  des  Berges  Atem  schaurig  stöhnet.*; 

Ä  quien  el  TajOy  que  tus  plantas  bana, 

Qranos  de  oro  iributa  por  grandeza^     Vir  gen  I,  334». 
»)  Purg.  I,  1590. 
«)  Cf.  Kl  N,  S.  6. 

^  semblantej  boca,  labios^  cerviZj  cabellOy  grena;  c«fio,  ioberbia 
perezüj  melancdlico  bosteza. 

*)  rtistico  monte  .  .  . 

Cuyo  cenOj  de  robles  coronadOj 

Amenazö  del  sol  la  lumbre  pura  . . . 
*)  ....  es  tania 

Su  soberbia  que  nunca  ha  consentido 

Muda  impreium  de  conducida  planta. 

8u  semblante  intricado  y  retorcido, 

Que  visto  admira,  que  admirado  espanta^ 

Causando  (isombros .... 
•)  i  No  ves  ese  penascOj  que  parece 

Que  se  estd  »ustentando  con  trahajo, 


—     65     — 

Und  dieser  Schlund,  umgeben  von  Cypressen, 

Zwei  Felsen  bilden  seine  starren  Lippen, 

Er  ist  dem  wilden  Nacken  angemessen. 

Als  Mähne  hängt  hernieder  von  den  Klippen 

Unnützes  Kraut,  vom  Sonnenstrahl  vergessen.  ^)  .  .  • 

In  dieser  Beschreibung,  die  sich  über  32  Verszeilen  er- 
streckt, finden  wir  fast  sämtliche  charakteristischen  Züge  ver- 
einigt, die  der  Dichter  seinen  Bergen  zuzulegen  pflegt. 

Mit  finsteren  Blicken,  mit  düster  gerunzelter  Stirn  sehen 
die  Berge  auf  das  reine  Licht  der  Sonne ') ;  sie  krönen,  stolz 
emporragend,  ihre  hohe  Stirn  mit  Lichtstrahlen')  oder 
Sternen  *) ;  reichen  sie  doch  bis  an  das  Licht  der  Sonne  selbst 
hinan'),  vermögen  sie  doch  bisweilen  durch  ihre  Höhe  den 
Glanz  der  Sonne  zu  trüben.  *) 

Stolz  und  hochmütig  erhebt  der  Oeta  seine  Stirn*);  die 
rauhen  Berge  von  Phlegra  treten  mit  dem  Himmelsgewölbe 


Y  el  ansia  misma  que  padece 
Ha  tantos  siglos  que  se  viene  abajo? 
Fues  mordaza  es  que  sella  y  enmudece 
El  aliento  ä  una  hoca^  que  dehajo 
Ähierta  estä,  por  donde  con  pereza 
El  monte  melancolico  hosteza. 
')  Esta,  pues,  de  cipreses  rodeada, 

Entre  hs  labios  de  una  y  otra  pena^ 
Descubre  la  oerviz  desaHnada^ 
Suelto  el  cdbeUOj  ä  quien  sirviö  de  grena 
Inütil  yerha^  aun  no  dd  sol  tocada .... 

Furg.  I,  159«;  Lorinser  4,  S.  57f. 
*)  egte  monte  eminentCj  /  Que  arruga  cd  sol  el  ceno  de  la  frente, 
Vida  I,  1'  «  I,  15f.     Vgl.  zu  dieser  Stelle  Ki,  N,  S.  5. 

•)  esta  excelsa  cumh-e  j  Que  del  sol  se  atrevid  d  tocar  la  luni^fre,  / 
T  altiva  y  eminente,  /  Coronada  de  rayos  la  aUa  frente,  May.  encanto 
I,  407  ^ 

*)  aqueUa  /  Funta  vecina  al  sol^  que  de  una  estrella  /  Corona  su 
tocado,  Furg,  I,  149'. 

^)  aquella  ctimbrey  /  Que  al  sol  se  atreve  d  profanar  la  luwhre^ 
Furg,  I,  149 ^ 

•)  el  Oeta,  /  Monte  que  altivo  y  soherhio^  /  Es,  empinando  la  frente^ 
Verde  colwMt  del  cielo,  Tres.  m.  prod.  I,  282 •. 

Uünchener  Beiträge  z.  romanischen  n.  engl.  Philologie.    XXXII.      5 


—     66    — 

in  Wettstreit,  da  ihre  hohen  Bergesspitzen  sich  stolz  mit  den 
Sternen  messen  ^) ;  in  einem  Vergleiche  fiihrt  der  Dichter  auch 
den  Vesuv  ein,  der,  ein  rauhes  Vorwerk  aus  Stahl,  Feuer- 
geschosse und  Bauchsäulen  zum  Himmel  emporwirft  und  als 
Behell  sich  selbst  gegen  die  Sonne  wagt,  wenn  auch  seine 
Asche  im  Vergleich  zur  Sonnenglut  kalt  ist  wie  Schnee.^) 

Um  das  hohe  Haupt  der  Berge  bauschen  sich  die 
Wolken  als  Turban');  ja  bisweilen  stoßen  sie  mit  der  Stirn 
an  das  Himmelsgewölbe  an  oder  durchbrechen  sogar  den 
blauen  Himmelsschleier.*) 

Einem  Atlas  gleich  tragen  die  Berge  das  Himmelsgewölbe 
oder  den  Sonnenball  *)  auf  ihren  Schultern  •) ;  bisweilen  ö£fnen 
sie  den  Mund ,  um  Atem  zu  schöpfen  ^ ,  oder  gähnen  aus 
Langeweile  oder  Trägheit  melancholisch  vor  sich  hin,  aber 
Felsstücke,  die  wie  ein  Knebel  über  dem  Schlund  herabhängen, 
bringen  sie  zum  Schweigen.  ®) 


^)  Asperos  montes  de  FUgra,  /  Cuya  eminerwia  compite  /  Con  el  cielOf 
pues  8%u  ptmtas  I  Con  las  estreUas  se  miden,  May.  encanto  I,  409^ 

")  [No  asi]  el  Vesubio  fiero,  /  Q%ie  haluarte  rnsHco  de  acero,  /  Contra 
los  cielos  vomitar  presumo  /  Bombas  de  fitego  y  p6lvora  de  humo,  /  Co- 
munero  del  sol^  al  sol  se  atreve,  j  De  cuyo  incendio  es  la  ceniza  nieve; 
[Como  . .  J,  Gal  fant  I,  301». 

*)  Alias  montanaSy  de  quien  /  Ttirbanie  han  sido  las  nubesj  M,  en* 
canto  I,  409^ 

*)  una  montana  eminente,  j  Tanto  que  para  pasar  j  De  los  cielos, 
con  la  freute  I  AboUöy  si  no  rompio  j  Est  velo  azul  Celeste,  Purg.  1, 165 ^ 
*)  ^No  miras  ese  monte,  6  nuevo  Atlante, 

Que,  coluna  del  sol,  al  sol  se  atreve, 
Dando  bataüa  en  derretida  nieve 
AI  mar,  que  espera  aun  menos  arrogante? 

Arginis  I,  453»;  Tres  m.  prod,  I,  284^ 
•)  Zu  •espalda  de  un  monte»,  was  eine  bereits  verblaßte  Fers,  dar- 
stellt, cf.  Dante,  Inferno  I,  16 f.: 

[a  pit  d'un  colle  giunto] 
Chuardai  in  alto,  e  vidi  le  sue  spalle 
Vestite  giä  dei  raggi  del  pianeta  — 
Also  im  Italienischen  die  gleiche  Metapher  „Schulter  des  Berges** 
fiir  unser  deutsches  „Berg^cken". 

"0  la  roca  /  Abra  una  funesta  boca,  /  Tronera  por  quien  respira  /  Una 
cueva,  Arginis  I,  440^ 

*)  Purg.  I,  169",  s.  oben  S.  64 f.;  esta  boca,  j  Por  donde  metan- 


—     67     — 

Die  Berge  bekriegen  das  Meer  mit  Strömen  geschmolzenen 
Schnees^);  dafür  werden  sie  oft  vom  Meere  belagert^);  so 
liegt  Tox,  der  Geburtsort  des  heiligen  Patrizius,  aaf  einem 
Berge,  den  das  Meer  in  engem  Gefängnisse  gebunden  hält, 
d.  h.  das  Meer  umgibt  den  Berg  von  allen  Seiten.') 

Auch  Züge  des  menschlichen  Seelenlebens  werden  den 
Bergen  verliehen. 

Vor  dem  großen  Heere  des  Fierabras  mit  seinen  Ejriegs- 
elefanten  und  Pferden  bekommen  die  Berge  Angst  und  zittern, 
wenn  sie  eine  solch  ungeheure  Last  zu  tragen  haben  ^) ;  selbst 
ein  stolzer  Berg  ächzt  und  stöhnt,  wenn  der  rauhe  Wind  ihm 
gar  zu  arg  mitspielt.  ^)  Voll  Stolz  beschaut  aber  auch  der 
Berg ,  der  im  Winter  in  tiefe  Nebel  gehüllt  eisbedeckt  dalag, 
die  Farbenpracht,  welche  der  Frühling  mit  seinen  Blumen  ihm 
verleiht;  so  vermag  der  Berg  Enttäuschungen,  Mühsale  und 
Beschwerden  zu  ertragen,  wenn  ihm  nur  die  Hoffnung  auf 
bessere  Zeiten  bleibt;  wenn  ihm  die  Hoffnung  fehlte,  würde 
auch  er  der  Last  der  Jahre  erliegen.  •) 

Gleich  dem  Berge  ragt  der  Fels  hoch  empor  über  Land 
und  Meer,  als  Gebieter  von  Tälern  und  Wellen  "^ ;  die  Flüßchen 


c^ico  bosteza  /  El  monte :  sea  mordaza  dura  roca,  j  Que  enmudezca  tsU 
horroTy  e»ta  tristeza.  Vir  gen  I,  329 '^/^ 

*)  Arginis  I,  453»;  Tres  m.  prod.  I,  284^  s.  ob.  S.  66,  Anm.  6. 
*)  dd  mar  niiado,  Tres  m.  prod.  I,  267»;  Arginis  1,  439^ 
')  Tax , .  .  se  asienta  /  En  un   monte,  ä  guten  ü  mar  1  Ata  con 
prisiofi  estreeha,  Furg.  I,  150 •. 

*)  Los  montes  de  sustentaüos  /  Deliran  6  se  estremecen,  /  Que  montes 
vivos  parecen  I  Elefantes  y  cahaüos^  Puente  I,  209  ^ 

'*)  Quijase  un  monte  arrogante  /  De  las  injurias  del  viento,  /  Cuando 
le  ofende  violento,  Ä  secr.  agr.  I,  597  ^ 

•)  Apenas  el  invierno  helado  y  cano 

Este  monte  con  niehlas  desvanece, 
Cuando  la  primavera  le  florece, 
Y  el  que  hela<lo  se  mö,  se  mira  ufano  . . . 
Con  esperanza  sufre  desenganm 
ün  monte;  que  d  faltarle  la  esperanza 
Ya  se  rindiera  al  peso  de  los  anos, 

Tres  m.  prod,  1,  284*. 
')  esa  punta,  que  hace  /  Corona  al  mar  y  a  la  tierra,  j  Arhitro  de 
ondas  y  volles,  May.  encanto  J,  406 *". 

6* 


—     68     — 

Nereu8  und  Doris  sind  nach  dem  Zeugnisse  der  Mythologie 
die  Tränen,  die  ein  Felsblock  weint  ^) ;  in  sich  selbst  Terliebt 
wie  Narcissus  bespiegeln  sich  die  blnmengeschmüd^ten  Felsen 
im  Meere  %  wie  denn  auch  der  Fels,  auf  welchem  die  Stadt 
Toledo  gelegen  ist,  im  krystallhellen  Spiegel  des  Tajo  seine 
Schönheit  mit  solchem  Hochmute  beschaut,  daß  er  in  sich 
selbst  verliebt,  sich  nur  mit  der  größten  Mühe  über  dem 
Wasser  aufrecht  erhält.*) 


Die  Steine. 

Nicht  nur  Felsen,  auch  Steine  werden  von  unserem  Dichter 
beseelt,  empfindet  doch  selbst  ein  Stein  Schmerz,  wenn  er 
von  seinem  Felsenschoße  losgerissen  wird.*) 

Als  der  Herrscher  in  der  gelehrten  Akademie  der  Steine 
erscheint  infolge  seiner  strahlenden  Schönheit  der  Diamant^), 
vor  dessen  Blicke  nicht  einmal  der  Magnet,  dem  doch  sonst 
jedes  Stück  Stahl  gehorchen  muß  ^),  es  wagt,  seine  Kraft  fühlen 
zu  lassen,  denn  auch  er  muß  dem  Diamanten  als  seinem  Könige 
Gehorsam  schwören.  '^)  Der  Glanz  des  Diamanten  ist  nnr 
der  Sonne  vergleichbar,  ja,  ist  noch  weit  glänzender  als  das 
Sonnenlicht^),  wie  denn  dieser  Edelstein  in  verschiedenen  Stellen 


*)  Nereo  y  DoiHs,  /  Qu6,  lagrimas  de  un  penasco,  /  AI  mar  en  dos 
fuentes  corren,  May.  encanto  J,  393^ 

*)  las  faldas  lisonjeras  /  De  estos  elevados  riscas,  /  Que  son  delpuerio 
de  Jafa  I  Enamorados  Nardsos^  May,  mönstruo  1,  486 •. 

')  en  el  espejo  /  Del  rio  ve  su  hermosura  /  Con  tal  desvafiedmietUo^  / 
Que  enamorada  de  si  /  Sobre  las  ondas  del  Tejo  /  No  sin  gran  fatiga,  hd 
tantos  I  Siglos  que  se  estd  cayendo,  Vir  gen  I,  330". 

*)  De  SU  centro  con  dolor  /  Siente  ttna  pi^dra  arrancada,  Sitio 
I,  112 ^ 

*)  Yo  vi  entre  piedras  finas  /  De  la  docta  aoademia  de  stm  minaSy  / 
Freferir  el  diamante,  /  Y  ser  su  emperador  por  nias  brillante^  Vida  I, 
9«  =  II,  615 ff. 

*)  el  iman  dificilmente  /  Intentara  que  obediente  /  El  acero  le  de- 
jara,  Casa  I,  129». 

')  El  diamante^  d  cuya  vista  j  Ni  aun  el  iman  ejecuta  /  St*  propiedad, 
que  por  rey  /  Esta  obediencia  le  jura,  Princ.  I,  269*  =  III,  468 ff. 

*)  hace  de  la  luz  desden,  Astrol.  I,  581  ^ 


—     69     — 

geradezu  als  „Sohn  der  Sonoe^,  hijo  del  sci^  bezeichnet  wird  *), 
da  ja  die  Sonne  selbst  die  DiamantMi  erzeugt.') 


Der  Garten. 

Zunächst  lernen  wir  in  der  Schilderung  des  Wettstreites 
zwischen  Garten  und  Meer  eine  gute  Probe  des  esHlo 
rnUto  kennen'). 

Voll  Neid  auf  die  vom  Winde  zierlich  gekräuselten  Wellen 
möchte  der  Garten  es  dem  Meere  gleichtun,  da  kommt  ihm 
der  linde  Zephyr  zu  Hilfe  und  wiegt  die  Blumen  des  Gartens 
hin  und  her,  so  daß  der  Garten  aussieht  wie  ein  Meer  von 
Blumen.    Doch 

das  Meer,  betrübt,  zu  sehen 
Wie  der  Garten  zierlich  pranget 
Von  Natur,  nun  auch  verlanget 
Ihm  au  Schmuck  nicht  nachzustehen  .  . 
.  .  .  Und  so  sieht  man  lieblich  kämpfen 
Blaue  Flur  und  grüne  Bucht. 

Hit  den  gekräuselten  Wogen  und  den  bunten  Farben  ist 
der  Garten  ein  Meer  von  Blumen  und  das  Meer  ein  Garten 
Ton  Schäumen. 

—  el  jardin,  envidioso 

De  ver  las  ondaa  del  mar, 

Su  ourso  quiere  imüarf 

Y  asi  el  eifiro  amoroso 

Maiices  rinde  y  olores, 

Qtie  soplando  en  ellas  bebCf 


»)  P.  estä  I,  100»;  Banda  II,  168*.  Este  diamante,  farel  I  Que 
een  luz  hermeea  y  nuwa^  /  J^ira  su  hmpieza  prueha  /  8er  luden te 
Mje  del  sol,  Ä  secr.  agr.  I,  696r 

*)  [dimmantes]  .  .  .  Siendo  el  toi  qmen  tot  engendra,  Homhre  I, 
508°;  los  diamantes  ....  hoy  san  piedras^  y  rayos  fueron  antes  /  Del  sqI^ 
fue  perfieuma  y  üumina  /  Bästico  yrano  em  la  abrasada  miiuif  Ä  secr. 
agr.  I,  698*.  * 

*)  La  emuUicion  que  en  reftejos 

Tienen  la  tierra  y  el  niar,    Princ.  I,  246»  •»  I,  IXf. 


^     70     — 

Y  hacen  las  hojaa  que  mueve 
Un  ociano  de  flores; 
Ouando  el  mar,  trisfß  de  ver 
La  natural  campostura 

Del  jardin,  iambien  procura 
Adomar  y  componer 

Su  playa 

Compüe  con  dulce  efeto 
Campo  axui  y  golfo  verde, 
Siendo  ya  con  rixas  eqmmas 

Y  con  mexclados  colores, 

El  jardin  un  mar  de  flores^ 

Y  el  mar  un  jardin  de  espumas,  ^) 

Mit  Recht  bemerkt  KanDegießer  za  dieser  Schil- 
deruDg:  Gesucht  scheint  uns  Deutschen  die  Vergleichung 
zwischen  Meer  und  Garten,  aber  für  den  Spaaier  ist  sie  es 
nicht,  wenn  wir  uns  die  Lage  der  Gärten  an  den  spanischen 
Seeküsten  ganz  nahe  dem  Meere  denken.^) 

Die  Gärten,  in  sich  selbst  verliebt  wie  ein  schöner  Nar- 
zissus  aus  Smaragd,  beschauen  sich  im  Wasser') ;  mit  Gewalt 
entreißen  sie  dem  Jahre  den  holden  Frühling  und  behalten 
ihn  als  ihren  Genossen  zurück^);  sie  errichten  ihm  Statuen 
aus  Rosen  über  Tempeln  aus  Jasmin*),  da  er  in  schönen 
Gärten  mit  Vorliebe  seinen  Thronsitz  aufschlägt.*) 

Wenn  die  Prinzessin  Fenix  gleich  dem  glänzenden  Abend- 
rote über  das  Meer  hinfährt,  dann  glaubt  der  Garten,  das 
wirkliche  Abendrot  zu  sehen,  und  beklagt  sich  voll  Melancholie 
beim  Meere,  daß  der  Tag  so  kurz  gewesen,  da  nun  die  Sonne 


')  Fri7ic.  I,  245"  =  I,  77 ff.  Cf.Lances  I,  38«;  Caatigo  ^I,379^ 

«)  HerrigB  Archiv,  29.  Band,  1861,  S.  32. 

•)  Estoa  jardines  que  hermosos  /  Narcisos  8on  de  esmeralda  I  Y  en- 
amorados  de  si  j  Se  estdn  mirando  en  las  aguas^  M.  encanto  I,  404  ^ 

*)  usurpan  /  AI  ano  la  primavera  /  Y  aqui  la  tienen  por  9uya, 
Lances  J,  42^ 

^)  d  la  primavera  hermosa  /  Labran  estatuas  de  rosa  /  Sobre  templos 
de  jazmineSy  Princ.  I,  245»*  =  I,  57 ff. 

^)  So  nennt  unser  Dichter  den  Park  von  Aranjuez :  admirable  j  Dosel 
de  la  primavera,  Casa  I,  132 •. 


—     71     — 

schon  untergehe  ^) ;  die  schöne  Flora  beneidet  der  Garten  um 
ihren  herrlichen  Blumenschmuck ,  denn  er  möchte  in  der 
gleichen  Weise  mit  prächtigen  Blumen  geziert  sein  wie  sie  ^) ; 
in  der  schwülstigen  Spraohe  der  Liebenden  spielt,  wie  so  viele 
andere  Naturobjekte,  auch  der  Garten  eine  bedeutende  Bolle: 
kommen  doch  die  Liebespaare,  wie  wir  oben  gesehen  haben, 
bei  der  Nacht  heimlich  im  Garten  zusammen,  so  daß  der 
Garten  und  die  Nacht  oft  zu  Zeugen  von  so  manchem  Liebes- 
abenteuer werden. ')  Den  beiden,  dem  Sammelplatze  fiir  die 
Sterne  und  für  die  Blumen,  vertrauen  sich  die  Liebenden 
arglos  an  ^),  und  eine  Schöne,  die  sich  von  ihrem  Galan  ver- 
lassen wähnt,  klagt  dem  traurigen,  düsteren  Garten,  der  mit 
seinen  Quellen  und  seinen  Rosen  zu  fröhlichen  Zeiten  ihr 
Liebesglück  miterlebt  hatte,  auch  ihr  Leid: 

Triste,  funesto  jardin, 

TUj  que  un  tiempo  mos  alegre^ 

Si  pompa  del  amor  fuiste 

Ruina  ya  del  amor  eres 

Oye  mis  desdichasj  pues 

Lugar  ä  mis  dickas  deben 

Tus  crisiales  y.  ins  rosas.  *) 
Im    folgenden    betrachten   wir  das  anmutige    Volk   der 
Bäume*),  sowie  das  liebliche  Heer  der  Blumen.'') 


^)  cuando  tanto  arrebol  /  Errar  por  sus  ondas  vea  /  Con  grande  me- 
lancolia  /  El  jardin  cd  mar  dird: 

•  Ya  el  8ol  en  su  centro  estd: 

Muy  breve  ha  sido  esU  dia»,   Frinc,  I,  245»»  =  I,  63ff. 
•)  Flora  m  fin  /  Fu^  desperdiciando  flores,  /  Tan  hijas  suyas,  que 
ai  I  Para  adomarse  otra  aurora  I  8e  las  envidid  el  jardin,  Mej.  estd 

I,  241  •. 

■)  testigos  /  Fueron  de  venturas  tales  /  La  noche  y  jardin ;  que  solo  / 
Ä  los  dos  quise  fiarme,  Casa  I,  131»»;   Testigo  sea  el  jardin,  Banda 

II,  161»;  Estari  .  .  .  I  De  noche  en  ese  jardin  I .  , ,  d  fin  I  De  que  61  solo 
sea  tesHgo  I Del  afecto  d  que  me  obligo^  May.  encanto  I,  399* 

^)  C&mplice  d  la  noche  hice  /  De  hurtos  de  amor  agradables  /  Y  c&m- 
plice  hice  d  un  jardin^  /  Que  d  los  dos  quise  fiarme^  Qal.  fant.  I,  291  ^ 

*)  Oal  fant  I,  299»>/«. 

*)  Esa  amena  poblacion  /  De  los  drholes,  Ärginis  I,  440»*;  amena 
pobladon I De  los  montes,  Silio  1,  111\ 

')  ejircito  de  flores,  Judas  I,  311«. 


—    78     — 

Bäume  wid  Blumen  werden  oft  zu  stummen  Zeugen  für 
die  Gespräche  und  die  Gefühle  der  Menschen^);  gleiehwie 
den  Felsen  und  Steinen  klagt  der  Unglückliche  ilmen  sein 
Leid|  wenn  er  sich  von  seinen  Mitmenschen  verlassen  äeht  *X 
oder  er  wünscht  sich  nur  ein  paar  rauhe  Weidenbänme  sur 
Gesellschaft^  um  diesen  yorzujammern«  denn  wer  wie  sie  hört, 
aber  nicht  verstehti  wird  wohl  nichts  ausplaudern.')  Die 
Blumen  und  Sträucher  des  Garteos  hören  oft  die  fröhlichen  Ge« 
spräche  der  Liebespaare  mit  an  ^),  müssen  aber  auch  grausames 
Liebealeid  erleben');  und  wenn,  wie  man  sagt,  die  Wände 
Ohren  haben,  so  haben  die  Bäume  Augen  %  d.  h.  der  Mensch 
ist  nirgends  sicher,  belauscht  oder  beobachtet  zu  werden. 

Von  den  einzelnen  Bäumen  erwähnt  C.  zunächst  die 
Ulmen  auf  dem  Prado  zu  Madrid,  die  als  Kinder  der  Haupt- 
stadt ganz  nach  Art  der  Hauptstädter  sich  in  wollüstiger 
Liebe  umschlingen^,  sodann  finden  wir  in  Gleichnissen  die 
Eiche  (eZ  roble),  die  hoch  oben  auf  dem  Berge  stolz  zum 
Himmel  emporstrebt,  dabei  aber  dem  Blitzschlage  und  der 
Gewalt  des  Sturmes  ausgesetzt  ist');  die  Steineiche  {la  endna), 
die  voll  Übermut  sich  dem  Toben  des  Windes  und  der 
Wucht  des  Gießbaches  widersetzt,  aber  schließlich  doch  zu 


1)  Ta  estäi  d  90la8  conmigo;  /  SoU)  ärbolet  y  fiort9  /  PM«2en  9er  wm- 
dos  testigos  I  De  tus  voce»,  Dev,  I,  64*'. 

*)  Tan  infeliz  nu  tto  /  Que  ffa  no  tengo  un  amiga.  /  ArbokSj  penas  y 
floreSf  I  Pues  faltan  para  mis  quej<i8 1 Ä  lo»  hombres  loa  WfJM^  /  TenganlsM 
vuestros  rigores,  Sah  er  I,  32 •. 

*)  No  quiero  muu  cotnpania  /  Que  aquestos  rMicoe  sauces,  /  Fi^ea 
quien  99eu<^  y  no  aprende  /  Serd  fuerza  que  no  kable,  Devocion  I, 
61^;  die  Aiugf.  v.  1636  Ueat  foh  113r:   tronoos  mk(^  für  rüst  «hicm. 

*)  El  huerto,  /  Cuyas  flores  fueronjueces  /  De  mi  amor,  Con  quien 
11,  842«. 

^)  Siendo  jazminea  y  murtas  /  De  un  jardin  verdee  te9Hgo$  /  De  mi» 
ttmores  y  dudas,  Ptor  estd  1,  94\  —  Testigo  doy  d  unjasmin  [De  nd 
tragedia  cruel^  Ihd.  1,  104  V 

*)  8%  oyen  Uxm  paredes,  /  Loa  troncos  . . .  vtn  /  Y  nada  no8  estd  bien, 
MSdico  I,  347»»  =  I,  33ff. 

^  dlamos  bellos  . . .  ^' . . .  lascivos  /  Quereie  enlazar  loe  cueüoe  ?  /  Pero 
me  reeponderüs,  /  Con  verdad  desvanecidos,  /  Que  como  en  corte  nacidos  / 
Cortesano  amor  teneis  . . .  Hombre  I,  609«. 

*)  el  roble,  que  quiso  /  Ser  contra  el  cielo  gigante.  Sab  er  1,  25  \ 


-     73     - 

Falle  kommt  %  sodanik  den  Mandelbaum,  der  noch  im  Rauh- 
fröste des  Januar  seine  Blüten  entfaltet  und  eitel  und  hoch- 
mütig über  seinen  herrlichen  Blumenschmuck  heim  ersten 
Hauche  des  Südwinds  Fracht  und  Glanz  Terliert:  für  C. 
das  Sinnbild  des  ebenso  rasch  verfliegenden  menschlichen 
lidbens. ') 

An  einer  Stelle  finden  wir  die  Parabel  (cuento)  vom 
Jdandelbaum,  der,  ein  Narzissus  unter  den  Blumen,  der  un- 
scheinbaren Lilie  gegenüber  seinen  prächtigen  Blütenschmuck 
rühmt  und  behauptet,  sie  müsse  vor  Neid  dahinsterben,  wenn 
sie  ihn  sehe,  dann  aber,  als  der  rauhe  Südwind  grausam  seine 
Pracht  zerstört,  die  bescheidene  Blume  glücklich  preist,  der 
es  nicht  nach  Glanz  und  Majestät  gelüstet.^) 

Weiter  finden  wir  den  spanischen  Lorbeer  als  den  König 
der  Pflanzen  und  Blumen  bezeichnet^);  die  Granate  (der 
Granatapfel)  trägt  eine  Krone  aus  Stacheln,  zum  Zeichen, 
daß  sie  die  Königin  der  Früchte  ist  ^) ;  der  Epheu,  der  gegen 
die  Macht  der  Liebe  nicht  gefühllos  bleibt,  beklagt  sich,  wenn 
er  den  harten  Fels,  den  er  liebevoll  umkleidet,  verlassen 
muß^;   der  Jasminstrauch   wird   ziemlich   häufig  genannt^) 

*)  la  encina  .  .  .  opitesta  /  Ä  las  rdfagas  del  vientOj  /  Del  raudal  d 
Uu  violencias,  Gal.  fant.  I,  297'. 

Ärranque  el  raudal  vioUnte 

La  encina^  que  se  resistfj 

[No  el  jtmcOj  que  se  le  ofrece],     Vir  gen  I,  336  ^ 

')  ün  almendro^  de  hoja»  üerw,  /  Que  ufano  con  amhician  /  Ä  los  sus- 
piros  del  austro  /  Pompa  y  vanidad  perdiö,  Cen6bia  I,  192%  cf.  Ei, 
S.  124,  zu  Vida  HJ,  144flF.,  sowie  V.  Schmidt,  S.  335. 

")  un  almendro  ufano  / .  . .  Tanto  se  desvaneciö^  /  Que^  Narciso  de 
las  floreSy  /  Empezö  d  decirse  amore»;  /  Cuando  un  lirio  humilde  M,  /  Ä 
quien  vano  dijo  asi:  I  mFlor,  que  majestad  no  quiereej  ^No  te  desmayas 
y  mueres  /  De  envidia  de  verme  d  mi?i>  /  Soplö  en  esto  el  austro  fiero, 
Y  demMnecid  cruel  /  Toda  la  pompa  que  ä  H  I  Le  desvanecio  primero  . . .  / 
Volviö  al  lirio Y  dijole:  «;  Venturoso  j  Tu  . .  .!  Hombre  I,  Ö06\ 

*•)  Siendo  el  laurel  espatkd  j  Rey  de  Uis  plantas  y  flares,  Sab  er 

I,  21  ^ 

^)  la  granada^  /  A  quien  coronan  las  puntas  /  De  una  corieza,  en 
HtUül   De  que  es  reina  de  las  frutas,  Princ.  I,  259»  =  III,  4ö0ff. 

*)  Q(*^/Me,  parque  amar  sabe,  /  üna  hiedra^  si  perdi6  /  El  duro  69- 
eoüo  que  am6^  Ä  secr.  agr.  I,  ö97^ 

')  a  oban,  a  72». 


—     74    — 

und  muß  an  einer  Stelle  zu  einer  abgeschmackten  Schmeichelei 
herhalten : 

Eine  schöne  Dame  will  eine  Jasminblüte  pflücken,  da 
wirft,  nach  der  Meinung  ihres  Galan,  der  Strauch  ruhig  seine 
Blüten  zu  Boden,  damit  sie  von  den  Füßen  der  Dame  getreten 
werden,  und  sagt,  als  die  Hände  der  Dame  mit  seinen  Blüten 
an  Reinheit  und  Duft  wetteifern:  Nimm  meinen  Blättern 
die  Blüten,  doch  deine  Hände  zieh'  nicht  weg  Yon  mir,  denn 
es  ist  gleich,  ob  ich  deine  Hände  oder  meine  Jasminblüten 
habe  (d.  h. :  die  Hände  der  Dame  sind  ebenso  weiß  und  duftig 
wie  die  Blüten  des  Jasminstrauches).  ^) 

Einen  breiten  Raum  nimmt  bei  unserem  Dichter  die 
Personifikation  der  Blumen  ein,  wie  denn  überhaupt  Calderon 
diese  zarten  Kinder  der  Natur  bald  in  farbenprächtigen 
Schilderungen,  bald  in  herrlichen  Gleichnissen  ungemein 
häufig  erwähnt. 

So  verschiedene  Farben  die  Blumen  auch  später  anneh- 
men mögen,  so  werden  sie  doch  alle  in  einer  grünen  Wiege 
geboren  ^) ;  sie  erwachen  beim  ersten  Morgengrauen  zu  Glanz 
und  Freude^);  doch  währt  ihre  Pracht  nicht  lange,  ein  Tag 
ist  die  Lebensdauer  der  Blumen.^)     Schon  am  Abend,  wenn 


*)  Un  jazmin  tu  mano  hermosa 

Robahüj  y  el  apacible 
Rindio  aus  flores  al  stielo 
Forque  tua  planlos  las  pisen; 

Y  dijOf  viendo  que  ufanos 
Blancura  y  olor  compiten: 
•Quita  d  mis  hojas  las  ftoreSj 

Y  ius  manos  no  me  quites; 

Pues  es  lo  mismo  tener  /  Tus  nhanos  que  mis  jazmines^f 

AstroL  I,  574*. 

An  einer  Stelle,  in  welcher  Calderon  über  den  estilo  culto  spottet, 
sagt  er  von  den  Händen  einer  Dame,  sie  seien :  dos  azucenas  /  U  dos 
ramos  de  jazmin j  /  Que  en  pctrtidas  hojas  hacen  /  Una  blanca  flor  de  lis, 
Hombre  I,  öOS*'. 

')  Nacen  de  varios  colores  /  En  cuna  verde  lasfiores^  £an da  II,  156°. 

'j fueron  pompa   y   alegria^  /  Despertando  al  aXbor  de  la 

mafianaj  j  Ä  la  tarde  serdn  lästima  vana,  /  Durtniendo  en  brazos  de  la 
7ioche  fria,  Princ.  I,  264«  =  II,  682 flf. 

*;  un  dia  es  el  siglo  de  las  flores,  ibd.  I,  255*  =  U,  722. 


—     75     — 

die  altersschwache  Sonne  ins  diamantene  Grab  des  Meeres 
hinabsinkt  und  die  rauhe  Abendluft  die  Blüten  streift,  beginnen 
sie  zu  klagen  ^)  und  vollends  erregen  sie  unser  Mitleid,  wenn 
sie,  ihrer  Farbenpracht  beraubt,  in  den  Armen  der  kalten 
Nacht  schlafen^);  sind  sie  doch  wie  Waisenkinder,  wenn 
ihnen  das  schöne  Licht  des  Tages  fehlt.*) 

Im  Reiche  der  Düfte  herrscht  infolge  ihrer  Schönheit 
die  göttergleiche  Böse  als  Kaiserin  über  die  gewöhnlichen 
Blumen  %  die  ihre  Vasallen  sind.  ^)  In  schönen  Gärten  ruft 
der  Frühling  die  Stände  seines  Reiches,  die  Blumen,  zusammen, 
damit  sie  der  Rose  als  ihrer  Königin  huldigen,  welche,  ge- 
färbt mit  dem  Blute  der  holden  Venus,  ihren  Köuigspurpur 
anlegt.  ^ 

An  anderer  Stelle  freilich  bezeichnet  der  Dichter  die  Lilie, 
die  schönste,  reinste,  duftigste  Blume,  auf  deren  glänzendes 
Gefolge  sogar  die  Sonne  neidisch  ist,  als  die  ,,Königin  der 
Blumen^  '^),  doch  ist  diese  scheinbare  Inkonsequenz  leicht  zu 
erklären :  Calderon  spielt  an  dieser  Stelle  auf  die  französische 
Lilie,  Isabella  von  Bourbon,  die  Gemahlin  Philipps  IV.  an. 

Die  Blumen  besitzen  nicht  nur  eine  Herrscherin,  man 
unterscheidet  bei  ihnen  auch  Adel  und  gewöhnliches  Volk 
{nohleza  y  plebe).  So  jauchzt  der  ganze  Adel  und  das  gewöhn- 
liche Volk  der  Blumen   der  schönen  Florida  zu,   wetteifernd 


^)  QuSjase  tma  flar  constante  j  Si  d  aura  8U8  hojat  hierCf  /  Cuando 
tl  Bol  caduco  muere  j  En  tamulos  de  diamanten  Ä  secr,  agr,  I,  697 ^ 

')  S.  Seite  74,  Anm.  3. 

*)  espira  en  su  luz  el  dia:  j  De  tantas  flores  te  duele,  /  Hu^fanas 
9in  «u  hermoüura^  Qal.  fant.  I,  300^ 

*)  Yo  vi  en  reino  de  olores  /  Qtie  presidia  entre  comunes  flores  /  La 
deidad  de  la  rosa  /  Y  era  su  emperatriz  por  mas  hermosa.  Vi  da  I,  9*' 
=  II,  611  ff.  Die  Lesart  der  Aueg.  v.  1636,  fol.  13  r.  •com.  ftores»  er- 
scheint mit  Hinblick  auf  pkbe  und  plebeya  flor  (s.  u.)  besser  als  H :  »es- 
cuadron  de  flores; 

*)  lucir  I  Suele  entre  vasallas  flores  j  La  rosa  su  emperatriz,  Mej, 
est  dl,  241*. 

*)  esie  hermosa  jardin  /  Adonde  la  primavera  /  Llamö  las  flores  d 
cortes  I  Para  jurar  por  su  reina  /  Ä  la  rosa,  que,  tenida  /  En  sangre  de 
Venus  bella  I  Purpura  viste  real,  May.  encanto  I,  397^ 

')  la  mas  bella  /  La  mas  pura,  mas  fragrante  /  Flor,  la  flor  de  lis, 
la  reina  /  De  las  flores,  Casa  I,  132». 


—     76     — 

mit  den  Vögeln  und  den  Quellen^);  der  Adel  und  das  ge- 
wöknliche  Yolk  der  Blumen  und  der  Quellen  begrüßt  gar 
oft  die  schöne  Dejanira');  auch  beruft  der  Frühling  an  schön^ 
gelegenen  Plätzen  den  Adel  und  das  Volk  der  Blumen  zur 
Versammlung. ') 

In  der  Sprache  der  Liebeuden  spielen  auch  die  zarten 
Blumen  eine  bedeutende  Rolle. 

Der  Sonne  gleich  verbreitet  die  schöne  Lisarda  Fröhlich*- 
kext  unter  den  Blumen,  die  sich  von  den  Strahlen  ihres  Glan- 
zes nähren  und  ihr  als  ihrer  Göttin  ihre  Liebe  gestehen  ^)y 
und  weun  Ulysses  in  Circes  Armen  liegt,  so  beneiden  ihn 
selbst  die  Blumen  um  dieses  Glück  ^),  denn  auch  sie  wissen, 
was  Liebe  ist*),  sie  haben  eine  lebhafte  Empfindung  für  die 
Liebe,  so  daß  der  Mensch  ihnen  Liebesleid  und  Liebeslust 
ablernen  könnte.  ^ 

Jede  Blume  hat  einst  selbst  geliebt  ^ :  Die  veilchenblaue 
Lilie  (Hyazinthe)  erinnert  uns  an  den  verliebten  Hyacinthos, 
die  Sonnenblume  ist  Clicie,  die  Cy presse  ist  Cyparissus,  während 
die  Windrose  die  Erinnerung  an  Adonis,  die  Narzisse  das 
Andenken  an  den  schönen  Narcissus  wachruft.^) 

Von  der  Betrachtung  der  Blumen  im  allgemeinen  wenden 


>)  la  aclamaron  /  Toda  la  nobleza  y  plebe  /  De  las  Horts,  al  compas  / 
De  las  aves  y  las  fuentes,  Peor  estd  I,  100*. 

")  Deyanira  . . .  A  qmen  la  nobleza  y  pkbe  /  De  la»  fiores  y  cris- 
tales  I  Saludaron  tantas  veee»,  Tres  m.  prod,  I,  265^ 

')  llamö  I  Ä  cortes  la  primavera  /  La  noble  y  pUbeya  flor,  Purg. 
I,  163 ^ 

*)  Vengais  ä  dar  cUegria,  /  Sol  disfrazado  »  [Lisarda],  d  estas  fiores,  / 
Que  bebiendo  resplandores  /  De  una  luz  qae  no  se  ve,  j  Como  u  su  diosa, 
por  fe,  I  Os  estan  diciendo  amores,  Fear  estd  I,  95^ 

*)  entre  tnis  brazos  /  Envidia  d  las  fleree  das,  M.encanto  l,  406 \ 

•)  ^No  Henen  amar  las  fiores?  Amor  I,  378^ 

^)  Antes  ddlas  aprendi  .  .  .  /  Las  quejas  y  los  favores:  YenteflaWa« 
fuera  error;  /  Qtie  no  hay  fior  aqui  delante  /  Que  por  haber  sido  amante  j 
No  se  la  entienda  la  fior,  /  Todas  tuvieron  amor ,..  Peor  estd  1,  95^ 

')  4  No  es  este  cärdeno  lirio  /  El  gue  en  las  selvas  de  Areadia  /  Fui 
enamorado  Jacinto?  /  f,No  es  Clicie  esta  fior  del  sol,  I  Y  este  eipres 
dpariso ?  I  iNo  es  esta  anSmona  Adonis,  /  Y aquel  nareiso  Narciso ?  /  Fnss 
si  en  la  tierra  las  fiores  .  . .  Amanj  Amor  1,  378\  Zu  •Clicie»  cf. 
Mdgico  III,  204  ff.  K«,  S.  247;  zu  .NarcisoM  ibd.  S.  229. 


—     77     — 

ifir  uns  seu  den  einselnen  Blumen  selbst.  Oben  baben  wir 
schon  gesehen,  daß  die  rote  Rose  mit  ihrer  glänzenden  Pracht, 
mit  ihrem  Eönigspurpur,  die  Herrscherin  im  Reiche  der  Düfte 
ist.  Leider  währt  ihre  Pracht  nicht  lange;  wie  allen  Blumen 
ist  auch  ihr  nur  eine  kurze  Lebensdauer  beschieden.  Sie  er- 
wacht am  Morgen,  um  zu  blühen,  sie  blüht,  um  rasch  zu  altem, 
und  findet  in  derselben  Knospe  Wiege  und  Grab.  ^) 

Der  Rose  zunächst  an  Schönheit  und  Duft  steht  die 
Lilie,  die  Catderon  einmal  als  „Königin  der  Blumen**  be- 
zeichnet *),  während  er  sie  sonst  als  bescheidene  Blume  schildert, 
die  tief  unten  im  Tale  in  stiller  Ruhe  lebt,  imbekümmert  um 
Wctterstürme  und  drohende  Gefahren.*) 

Ferner  erwähnt  unser  Dichter  die  Sonnenblume,  die  ihre 
Blicke  stets  der  Sonne  zuwendet,  ziemlich  häufig  in  Gleich- 
nissen. ^)  So  versichert  z.  B.  eine  Dame  ihrem  Galan ,  sie 
werde  ihm  nie  untreu  werden,  sie  sei  wie  die  Sonnenblume, 
welche  stets  die  Sonne  anbete.  ^) 

Die  Wunderblume,  welche  nur  einen  einzigen  Tag  lebt, 
indem  sie,  ein  flüchtiger  Duft,  beim  Morgengrauen  geboren 
wird,  um  in  derselben  Nacht  zu  sterben,  ist  für  unseren  Dichter 
das  Sinnbild  der  Vergänglichkeit*);  die  roten  Nelken  versinn- 
bildlichen die  Farbe  des  menschlichen  Blutes,  und  häufig 
finden  wir  die  Drohung  ausgesprochen,  daß  das  grüne  Gras, 


')  Ä  ftorecer  Uu  rosas  madrugarony 

Y  para  envejecerse  flarederon: 
Cuna  y  sepulcro  en  un  hotan  haUaron 

Frinc.  I,  254«  =  II,  690ff. 

•)  Casa  I,  132*,  siehe  oben  S.  7ö'. 

*)  en  la  kumildad  de  los  valles  / .  .  .  vive  seguro  /  El  lirio  que  humiide 
nace,  Saber  I,  26»;  loa  lirios  que  se  humillan^  Virgen  I,  335**;  die 
Parabel  vom  Mandelbaom  und  der  Lilie,  Hombre  I,  506%  s.  oben,  S.  73'. 

*)  Cf.  K„  S.  247. 

*)  siguiendo  etemamente  /  De  tu  sombra  d  arrebolj  /  Sere  yo  et  fhr 
del  8ol^  I  Que  le  estä  adorando  siempre,  Castigo  III,  380*»;  M.  monstruo 
I,  48ö^ 

•)  maraviüa  fria,  /  Flor  que  nace  con  tl  dia,  /  Flor  que  eon  la 
noche  muercj  Cenobia  I,  189*^;  m.  fria,  /  Cuya  edad  es  el  termino  del 
dia,  Lances  1,  'iS'']  m.  que  nace  /  AI  alba^  y  muete  ä  la  noche  I  Como 
efmera  fragrante^  Saber  I,  25  •. 


—     78     — 

vom  Blute  der  erschlagenen  Helden  getränkt,  zu  roten  Nelken 
werden  solle. 

Voll  Ingrimm  ruft  der  Riese  Fierabras  aus :  Die  Blumen 
sollen  sich  in  den  Bächen  menschlichen  Blutes  spiegeln,  und 
das  bescheidene  Gras  unter  meinen  Füßen,  das  es  den  roten 
Nelken  gleichtun  möchte,  soll  Nutzen  aus  dem  Unglücke  ziehen ; 
der  Morgenröte  zum  Trotze,  die  mit  Tränen  und  Seufzern  das 
Gras  grün  entstehen  ließ,   will  ich,  daß  es  rot  verderbe.^) 

An  anderer  Stelle  heißt  es :  Das  Gefilde  soll,  von  purpur- 
rotem Blute  dampfend,  im  Todeskampfe  liegen,  so  daß  der 
Himmel  denkt,  er  habe  vergessen,  andere  Blumen  als  rote 
Nelken  zu  schaffen.^)  Oder  es  sieht,  nach  einem  blutigen 
Kampfe,  die  Sonne  die  Grashalme  des  Feldes  für  Nelken 
an,  denn  sie  starben  blutigrot,  wie  sie  smaragdgrün  ent- 
standen waren.  ^) 

Im  Zusammenhange  mit  dem  Garten,  mit  den  Bäumen 
und  den  Blumen  betrachten  wir  am  besten,  in  welcher  Weise 
der  holde 

Frühling 
mit  den  Frühlingsmonaten 

April  und   Mai 
personifiziert    wird;    schlägt    doch    der   Frühling   gerade   in 
schönen  Gärten  seine  Residenz  auf*),  beruft  er  doch  meist 
hier  die  Stände  seines  Reiches,  die  Blumen,  zur  Versammlung.  ^) 


^)  Las  flores  se  han  de  mirar  j  En  loa  humano8  arroyoB  /  De  sangre, 
y  €8to8  humildes  /  Cespedes  que  piso  y  tocOy  /  Compitiendo  los  claveles^  / 
Tendran  desdichas  d  log^'O ;  /  Fues  d  pesar  del  aurora,  j  Que  con  Idgrimas 
y  soplos  I  Quiso  que  naciesen  verdes^  /  Qtierre  yo  que  mueran  rojos^ 
Puente  1,  208 ^  Zum  Ausdrucke:  morir  rojo^  cf.  ibd.  212*»:  Decidme^ 
plantas,  que  tnoristeis  rojas  .  .  . 

')  Vea  en  pdrpura  caliente  /  Agonizar  estos  campos,  /  Tanto  que  los 
cielos piensen  j  Que  se  olvidaron  de  hacer  /  Otras  flores  que  claveks^  Princ. 
I,  257"  =  III,  199  ff.  Cf. :  anegadas  las  flores  I .  .  .  ,  con  la  pürpura  hu- 
mana  I  Se  olvidan  de  que  nacieron  I  Azfdes,  verdes  y  hlancaSy  Puente 
I,  210*. 

•)  De  la  lid  sangrienta  fui  /  Senor^  la  tragedia  tanta,  /  Que  d  sol 
tuvo  por  claveles  /  Las  hojas  de  la  campana,  /  Porque  murieron  coi'ales  / 
Si  nacieron  esmeraldas,  Argenis  Ij  451";  cf.  Princ.  I,  2ö7**  =  III,  184 ff. 

«)  S.  oben,  S.  70«. 

''j  yfay.  encanto  I,  397^  s,  oben  S.  75«;  Furg,  1, 163»»;  b.  S.  76*j 


—    79    — 

Gleich  den  Blumen  trägt  der  Frühling  ein  grünes  Ge- 
wand ^) ;  aus  Blumen  wirkt  er  sich  ein  huntes  Ruhebett.  *) 
Farbenpracht  zeichnet  ihn  aus,  herrlicher  Blumenschmuck 
ziert  ihn,  wenn  er  sich  auch  erst  Yon  schönen  Damen  seine 
Farben  holen  muß  und  bei  diesen  Schönen  neue  Kosen,  neue 
Blumen  kennen  lernt,  vor  welchen  selbst  seine  herrlichsten 
Blumen  zurücktreten  müssen  ^) ,  ja,  eine  solche  Schöne,  deren 
Purpurwangen  prächtigen  Rosen  gleichen,  erteilt  ihm  selbst 
im  Schlafe  Unterricht,  wie  seine  Blumen  beschaffen  sein 
müssen.  *) 

Wenn  man  das  spanische  Heer  gen  Breda  ziehen  sieht, 
so  glaubt  man,  die  lustige  Hochzeit  des  Winters  mit  dem 
Lenze  zu  schauen;  denn  die  starren,  funkelnden  Rüstungen 
sehen  aus  wie  Berge  von  Eis,  die  buntgefarbten  Federbüsche 
hingegen  gleichen  Feldern  von  Blumen.*) 

Wie  der  Lenz  selbst,  so  zeichnen  sich  auch  die  beiden 
Frühlingsmonate,  der  April,  „des  Jahres  Jugend"®),  und 
der  Mai,  der  König  der  zwölf  Monate,  der  Gott  des  Frühlings ') , 
durch  ihre  bunte  Blumenpracht  aus. 

Gleich  dem  Frühlinge  wirkt  sich  der  April  aus  Blumen 
einen  bunten  Teppich  ®) ;  mit  den  Blumen,  seinen  Schätzen  ^), 


hierzu :  En  la  falda  lisonjera  /  Beste  tnonie  coronado  /  De  ftores,  donde 
ha  Uamado  /  Ä  cortes  la  primaveray  Ä  secr.  agr.  I,  697*. 
*)  se  viste  I  De  verde  la  primavera,  Banda  II,  156  ^ 
•)  et  catre  de  las  flores  /  Que  tejio  la  primavera^  Yida  I,  12*^  = 
II,  1130 f.;  ese  mullido  catre  j  Que  hordS  la  pr,,  Tres  m.  prod.  1,  274 •. 
')  la  pr.,  /  Comprando  stts  colores,  /  Aprendio  nuevas  rosas^  nuevas 
floreSj  I  Con  quien  ya  las  que  fueron  mos  hermosas  /  Vulgares  flares  son, 
vulgares  rosas^  Tres  wt.  prod.  I,  275'. 

*)  Ariadna  .  .  .  /  Que  duerrne  dando  lecciones  /  Ä  la  primavera  her- 
mosa  I  De  c6mo  han  de  ser  las  flores^  Tres  m.  prod.  I,  280v 

*)  maridaje  lozano  /  Del  iyivierno  y  del  verano  .  .  ,  .  Sitio  I,  113 •. 
•)  la  juventud  del  ano,  Casa  I,  130**. 

"^  el  mayo  genül,  /  Que  es  rey  de  los  doce  meseSj  P.  estä  I,  100 ^ 
«/  QuiSn  coronarte  pudiera 
Mayo^  de  flores  y  mieses^ 
Por  rey  de  los  doce  meses, 
Por  dios  de  la  primavera!»  Hombre  I,  509*. 
•)  la  alfomhra  que  en  el  suelo  I  El  abHl  ha  matizado,  Puente 


—     80     — 

schmückt  er  Felder  und  Wiesen  aus  *) ,  oder  er  entwirft  die 
Zeichnungen  am  Landhanse,  welches  dann  der  Mai  mit  schönen 
Farben  bemalt.^)  An  seinen  Festgewändern,  den  bunten 
Feldern  und  Wiesen,  bilden  die  krystallhellen  Bäche  einen 
glasglänzenden  Saum.  ^) 

Zuweilen  auch  richtet  der  April  infolge  seiner  Unwetter 
unter  den  Blumen  ähnliche  Verwirrung  an  wie  ein  schöner 
Mann  unter  Damen,  weshalb  ihn  die  Blumen  galan  nennen  ^), 
und  Ton  einer  Falle,  welche  den  Eingang  zu  einem  unter- 
irdischen  Gewölbe  verdecken  soll,  sagt  der  Dichter,  sie  sei 
so  getreu  der  Natur  nachgebildet,  daß  selbst  der  April  sich 
täusche  und  glaube,  er  habe  die  aufgemalten  Blumen  ge** 
schaffen.  •) 

Dem  wärmeren  Klima  Spaniens  entsprechend,  spielt  dort 
der  April  die  Hauptrolle  als  Frühlingsmonat  ^) ,  während  der 
Mai  in  den  Dichtungen  seltener  erwähnt  wird. 

Der  Mai  malt  weiter  aus,  was  der  April  nur  zu  skizzieren 
begonnen  ^);  auch  bringt  der  holde  Mai,  der  König  der 
zwölf  Monate,  schönen  Damen  wie  einer  Blume  seine  Huldi- 
gung dar.*) 


I,  221 ' ;  esta  tejida  alfomhra,  /  Que  de  colores  diversas  /  Labrö  d  abrüf 
May.  encanto  I,  397  ^ 

^)  Los  tesoros  del  abril,  Fuente  I,  216«. 

*)  campos  que  el  abril  dtbuja,  May.  encanto  I,  407*. 

*)  esta  quinia^  /  Q^e  pule  ya  el  ahril,  y  el  mayo  pinta,  Banda  n, 
169»;  Tres  m.  prod.  I,  276«. 

*)  Los  arroyos  cristalinoSy  /  Que  d  las  galas  del  abril  /  Son  guar^ 
niciones  de  vidrio,  Amor  I,  377''. 

^)  por  deshechos  suyos  j  Llaman  galan  al  abrUy  MeJ.  estd  I,  841  \ 

^)  Una  losa  de  jazmin^  /  Con  tan  buen  arte  dispttesta,  /  Que  se  ha 
enganado  el  abril^  j  Creyendo  que  el  le  engendrö  /  El  sobrepuesto  matiz, 
Gal  fant.  1,  307^ 

')  Cf.  K„  S.  204,  zu  Princ.  I,  V.  504. 

*j  aquesta  quinta,  /  Que  bosqueja  el  abril  y  el  mayo  pinta^  Tres 
m.  prod.  I,  276«. 

*>)  Vi  una  estdtua  de  jazmines 

Coronada  de  cluvelts  [=  FWnda\ 
Ä  quien  el  mayo  gentüy 
Que  es  rey  de  los  doce  meses^ 
For  flor  jurö^    Feor  estd  I,  100«. 


—    81     — 


Das  Wasser. 


Zunächst  müssen  einige  Stellen  angeführt  werden,  in  denen 
der  esiüo  culto  sich  von  seiner  schlimmen  Seite  zeigt. 

So  sagt  der  Dichter  von  einer  Dame,  die  beim  Seesturme 
an  das  Land  zu  schwimmen  trachtet :  „Im  Kriege  der  Schnee- 
massen ringt  Erystall  gegen  Krystall^  ^) ,  wobei  imter  Schnee 
und  Krystall  der  weiße  Arm  der  Dame  gemeint  ist,  der  mit 
dem  Schnee  oder  Krystall,  d.  h.  dem  Wasser  ringt.  ^)  Oder 
es  heißt  von  einer  Dame,  welche  sich  zum  Bade  rüstet:  Sie 
steckt  ihre  Füße  ins  Wasser,  und  alsbald  kämpfen  Krystalle 
gegen  Krystalle  in  einem  Bürgerkriege,  d.  h.  die  Dame 
plätschert  mit  ihren  weißen  Füßen  in  den  Krystallen  des 
Wassers,  den  Wassertropfen,  herum.  *) 

Wenn  es  gilt,  ein  schnellfüßiges  Koß  zu  bilden,  so 
helfen  alle  vier  Elemente  zusammen.  Auch  das  Wasser  ist 
dabei  beteiligt,  denn  es  verleiht  dem  Rosse  die  schneeweiße 
Farbe. 

El  color  . . ,  siendo  hla'tico, 

Dice  el  agua:  <cParto  es  este 

De  mi  esfera^  sola  yo 

Pude  cuajarle  de  nieve.y  *) 

Bisweilen,  wenn  das  Wasser  in  kleinen  Atomen  hoch  auf- 
spritzt,  dann  heißt  es,  es  sei  auf  den  Wind  neidisch;  wie 
dieser  den  Staub  aufzuwirbeln  vermag,  so  will  auch  das  Wasser, 
daß  Stäubchen  seinen  dumpfen  Schaum  durchziehen  ^) ;  beim 
Empfange  der  Infantin  Maria  in  Wien  (1631)  wird  auch  ein 
Turnier  auf  der  Donau  abgehalten,  damit  nicht  bei  den  Fest- 
lichkeiten das  Wasser  sich  dem  Lande  gegenüber  zurückgesetzt 


^)  En  guerras  de  nieve  d  nieve  j  Cristal  con  cristal  pelea^  Lances 
I,  43^ 

«)  Cf.  ibd.  I.  43«:  El  cristal  de  sumano,  sowie  Pasch  VII,  S.  67^ 

•)  Metio  los  pif$  en  el  agua  /  Y  trabaron  entre  si  /  Cristales  contra 
cristaksl  üna  batalla  civilj  Mej.  estd  1,  241  ^ 

*)  Frinc.  1,  248«  =  I,  633ff. 

•)  del  viento  envidiosa  /  Quiere  que  ätomos  tamhien  /  Discurran  m« 
espuma  aorda,  Puente  I,  221  ^ 

Mttnchener  Beiträge  z.  romanischen  n.  engl.  Philologie.   XXXII.      6 


fühle  und  nicht  „neidisch  auf  die  Erde  stürbe"  ^) ,  und  als 
der  Dichter  sein  Schauspiel  tEl  mayor  encanto  amor^  auf  dem 
Teiche  von  Buen  Retiro  aufführen  ließ,  da  war  das  Wasser 
recht  beglückt,  daß  es  das  Theater  für  zwei  Sonnen  werden 
durfte.  2) 

Das  Wasser  im  wunderbaren  Brunnen  des  Heiligtums 
darf  über  eine  bestimmte  Höhe  nicht  emporsteigen ,  da  es 
hiezu  nach  der  Meinung  des  Mohammedaners  Selim  Ton  Allah 
keine  Erlaubnis  hat^),  das  Wasser  des  kleinen  Teiches  von 
Ontigola  hingegen  ahmt  in  seinem  Übermute  den  Wellen- 
schlag des  Ozeans  nach.*) 

Reich  an  personifizierenden  Merkmalen  ist  die  bei  Calderon 
zweimal  sich  findende  Schilderung  der  Quelle^);  es  werden 
ihr  nämlich  fünf  menschliche  Eigenschaften  beigelegt. 

Sie  ist  schmeichlerisch,  weil  sie  spricht,  aber  nicht  em- 
pfindet; lieblich,  weil  sie  Täuschung  erfindet;  furchtlos,  da 
sie  laut  spricht;  sanft,  da  sie  zu  schmeicheln  versteht,  und 
„spröde,  weil  sie  davonläuft  wie  ein  schüchternes  Mädchen". 

Mit  helltönender  Stimme  lädt  der  Silberquell  den  'Wan- 
derer ein,  krystallklares  Wasser  zu  trinken  aus  eogem  Kelche 
von  Gold*);  mit  lieblichem  Gesänge  feiert  der  Bach  die 
Güte  des  Himmels,  der  ihm  Voll  Majestät  freies  Feld  zu 
seiner  Flucht  verleiht'),  aber  er  bedenkt  nicht,  daß  er  bei 


')  el  Danubio  /  Era  el  circo  donde  habia  /  De  ser  un  tomeo  de  agua  / 
La  fiesta,  porque  de  envidüi  /  De  la  tierra  no  muriesey  /  Viendo  qiie  ella 
merecia  /  Siempre  en  8u  esfera  ä  sii  8ol . .  .  Mej.  estd  I,  226Y*- 

')  FuS  el  agxm  tan  dichosa  /  En  esta  noche  felice  /  Que  merceio  ter 
ieatro  /  De  soles  [=  Philipp  IV.  und  seine  Gemahlin},  May.  encanto 
1,410^ 

*)  No  tiene  de  Aid  licencia  j  Para  pasar  adeUinte^  Vir  gen  I,  344  ^ 

*)  ufano  entonces  /  Ese  breve  mar  que  imita  /  Del  oc4ano  las  ondas, 
Casa  I,  142^ 

^)  Frinc.  I,  250^f.  =  II,  11/20;  Amorl,  369\  Text  bei  Kj,  S.  222, 
y.  Schmidt,  S.  252. 

*j  la  plata,  j  Que  le  brhido  con  sonoro  /  Äcento  d  beber  cristal  j  En 
penada  copa  de  oro,  May.  mönstruo  I,  497'.. 

')  müsico  cdebra  /  De  loa  cielos  la  piedad  /  Que  le  dan  con  majestadj  / 
Abierto  campo  d  »u  huida,  Vi  da  I,  2»  =  I,  157  fi'.;  Lesart  von  Hj.  cf. 
Kl  N.  S.  7. 


—    83     — 

seinem  übereiligen  Laufe  bald  seinem  sicheren  Tode  entgegen- 
geht. 1) 

Preisen  die  einen  das  liebliche  Gemurmel  der  Bäche  und 
Quellen  als  fröhliche  Musik  ^)y  so  sind  andere  weniger  davon 
erfreut 

Der  vom  Unglück  verfolgte  Curcio  will  weder  den  Vögeln 
noch  den  Quellen  sein  Leid  anvertrauen,  denn  jene  haben 
eine  Sprache ,  und  auch  diese  murmeln,  sind  also  nicht  ver- 
schwiegen  genügt);  dem  Geheiß  der  Circe  gehorsam  sollen 
die  Bache  und  Quellen  nicht  durch  ihren  Lärm  Ulysses  im 
Schlafe  stören: 

Bauschen  lasse  die  Krystallen 
Keiner  dieser  Bäche!   Schweigend 
Rinnet  hiu,  ihr  Quellen!  zeigend 
Mit  gehorsam  leisem  Wallen, 
Wie  die  Lieb'  in  mir  beschafifen; 
Und  mit  rednerischer  Stille 
Sagt,  wie  seine  Kuh  mein  Wille 
Heilig  achte.*) 
Wenn  die  schöne  Mariene  am  Morgen  daherkommt,  dann 
bringen  ihr  die  Vögel,  die  Quellen  und  die  Blumen  holden 
Gruß    zur    Bewillkommnung  ^),    und    bei    den    schrecklichen 
Liebestragödien,  die  in  einem  Garten  sich  abgespielt  haben, 
fühlen  sich  selbst  die  Quellen  und  die  Blumen  zum  Mitleid 
und  zur  Teilnahme  bewogen :  die  einen  führen  statt  der  Perlen 
nunmehr  blutrote  Korallen,  die  anderen  bringen  statt  weißer 
Jasmine  nur  noch  rote  Nelken  hervor.®) 


*)  Ese  arrayOj  que  d  morir  I  Camina  con  tanta  prUsa^  Tres  nu 
prod.  I,  274^ 

']  con  tonos  difereniea  j  Dando  mdsica  las  fuentes^  Judas  I,  312  ^ 

•)  Ni  las  aveSf  ni  las  futntes  j  Sean  testigos  bastantes;  I  Que  al  fin 
las  fuentes  murmuranj  /  Y  tienen  lengua  las  aves,  Dtv.  I,  61  ^ 

*)  Schlegel  1,  S.  299.  No  hagan  ruido  los  cristales  /  De  los  arroyos^ 
caüando  /  Corran  las  fuentes ^  mostrando  /  Obedientes  y  leales  /  El  amor 
que  en  mi  se  encierra,  /  Y  en  retorico  sikncio  /  Digan  cudnto  reoerencio  / 
Su  descatiso,  May,  encanto  I,  405''. 

^)  Las aveSj fuentes y flores / La dan dulce parabien, Ma y.monstruo 
I,  481  \ 

•)  Tragedias  de  amor,  que  pueden  j  Tanto  mover  d  las  flores^  /  Tanio 

6* 


—    84    — 

Der  Usurpator  Lidögenes  wird  treffend  mit  einem  Bache 
▼erglichen,  der  bescheiden  aus  dem  Meere  hervorgeht  und, 
nachdem  er  Macht  und  Ansehen  gewonnen,  wieder  dahin  zu- 
rückkehrt, nicht  um  dem  Ozeane  Tribut  und  den  Lehenseid 
zu  leisten,  sondern  um  den  zu  bekriegen,  der  sein  Ursprung 
war  imd  dem  er  seine  Würde  und  seinen  Vorteil  verdankt.^) 

Weit  gewaltiger  und  majestätischer  als  der  muntere  Bach 
tritt  uns  der  stolze  Fluß  entgegen. 

Seine  Ufer  sind  starken  Achseln  vergleichbar,  aufweichen 
er  Befestigungstürme ^)  und  Häuser  mit  Leichtigkeit  trägt; 
nur  mit  der  größten  Anstrengung  jedoch  vermag  der  Fluß 
des  grünen  Wassers  den  gewaltigen  Bau  der  Brücke  von 
Mantible  auf  seinen  Schultern  zu  halten.') 

Bisweilen  ist  der  Fluß  höflich  und  küßt  den  Städten 
und  Häusern,  die  an  seinen  Ufern  liegen,  die  Füße  ^),  während 
er  sonst  meist  stolz  und  unaufhaltsam  dahineilend'^)  seinen 
„wasserreichen  Übermut"  •)  zum  Meere  hinträgt,  oder  anstatt 
dem  salzigen  Reiche  Tribut  zu  zahlen,  es  in  einer  Schlacht 
bekämpft.^) 

Der  Stadt  Toledo  bringt  der  Tajo  Goldkörner  als  Hul- 
digung dar');  Nil   und  Tiber  müssen  dem  mächtigen  Cäsar 


ablandar  d  las  fuentes,  /  Que  las  fuentes  y  las  flores  /  De  piadosas  y  corteses  / 
Carran  por  perlas  coraleSf  I  Den  por  jazmines  daveleSf  Gal.  fant.  I,  299*^. 

^)  Arroyo  fiii^  que  del  mar  /  Saliö  humilde,  y  adquiriendo  f  Caindal 
y  pompa^  volviö,  /  No  d  darle  tributo  y  feudo^  /  Sino  d  presentar  bataUa  / 
AI  mismo  que  fu^  su  centro,  /  Y  de  quien  Sl  recibiö  /  La  majestad  y  el 
aumento,  ÄrgSnis  I,  438**. 

*)  el  rio,  I  En  cuyos  hombres  se  asienta  /  El  segundo  fuerte  real, 
Sitio  I,  122*. 

•)  edificio  honroso,  /  Qu«  el  rio  del  agua  verde  /  Sustenta  sohre  sus 
homhroSf  Puente  I,  208«;  no  sin  fatiga  suma,  ibd.  I,  213*. 

*)  üna  quinta  .  .  .  cuyos  plantas  hesa  j El  rio,  Sitio  I,  122*; 
Vir  gen  I,  334*;  s.  unteD,  Anm.  8. 

*)  6  Quien  [podrd]  detener  de  un  rio  la  corriente  /  Que  corre  al  mar 
sobe^'hio  y  despenado?  Fi  da  I,  14»»  =  m,  243 f. 

*)  Su  caudalosa  soberbia,  Sitio  I,  122*. 

^3  Ikva  en  vez  de  tributos  I  Batalla  al  saXado  imperio,  Tres  m. 
prod.  I,  282*. 

•)  Toledo  . . ,  Ä  quien  el  Tajo,  que  tus  plantas  banaj  /  Gi'anos  de 
oro  tributa  por  grandeza.  Vir  gen  I,  334*. 


—    85     — 

Roms  demutsvoll  die  Füße  küssen  ^),  während  der  Nil,  jener 
lärmende  Hippogryph  aus  Krj'stall,  an  anderer  Stelle  auch 
als  Vasall  des  Kiesen  Fierabras  bezeichnet  wird.*)  Träge, 
langsam  verläßt  er  seine  Wiege,  doch  durch  sieben  Mün- 
dungen haucht  er  tobend  und  Schrecken  verbreitend  sein 
Leben  aus.*) 


Das  Meer. 

Ungemein  häufig  finden  wir  bei  unserem  Dichter  das 
Meer  personifiziert.  So  vergleicht  er  die  Wellen  des  Meeres 
vorzugsweise  mit  krausen  Haaren,  die,  zwar  grau  und  zer- 
zaust, bei  aller  Nachlässigkeit  schön  sind^);  oft  kräuselt  das 
Meer  die  Locken  auf  seiner  gerunzelten  ^)  Stirn  %  und  wenn  ein 
Fahrzeug  sanft  durch  die  schmeichlerischen  Wogen  ^)  hinfahrt, 
dann  sagt  der  Dichter  in  einem  glänzenden  concettOf  das  Schiff 
kämme  dem  Meere  die  krausen  Haare.  ^) 

Das  Meer  beugt  sein  krauses  Haupt  vor  dem  Berge,  der, 
um  es  noch  mehr  zu  quälen,  ihm  im  krystallenen  Gefängnisse 
einen  sandigen  Kerker  anweist  *)  und  dem  Mißmute  des  Meeres 


*)  8oy  d  ünico  Cisar  /  De  Roma^  y  el  Nilo  y  Tiber  /  Humildes  m%8 
plantas  hesan,  May,  motistruo  I,  488'. 

•)  depongo  gue  sea  /  Mi  vaaallo  aquel  ruidoso  j  Hipöyrifo  de  criatal,  / 
Que  nace  en  su  cuna  sordo,  /  Y  espira  por  Hete  bocas  /  Con  escdndaio  y 
asombrOy  Puente  I,  208*. 

']  Weiter  heißt  es  in  einem  Bilde  vom  Bach,  der  tobend  den  Berg- 
ftbhang  heruntereilt:  Con  poco  caudal  nos  causa  /  Tal  eacdndalo  y  ruidoj 
Que  finge  d  los  moradores  /  Las  siete  bocas  del  SilOj  Sab  er  I,  30". 

*)  los  cabellos  rizos,  /  Que  canos  y  ajados  son  /  Hermosos  con  desa- 
lino,  May,  encanto  I,  SOS^f. 

*)  el  ceno  del  mar,  Tres  m.  prod.  I,  283''. 

•)  el  copete  de  su  frente  riza^  May.  monstruo  I,  491''. 

')  Las  ondas  lisonjeras,  ibd.  I,  491''. 

•)  No  tan  presto  d  peinar  vuelvas  /  AI  mar  los  cabellos  rtzo«,  Ma  y. 
encanto  I,  393". 

•)  La  cdbeza  crespa  humiUa  /  AI  monte^  que  le  da,  para  maspena,  / 
En  prision  de  cristal  carcel  de  arena,  Purg,  I,  149*»,  d.  h.  der  Berg 
läßt  das  Meer  nicht  weiter  an  das  Land  herankommen.  Vgl.  Y  como 
el  mar,  tiene 'freno  I  De  arena  que  la  acobarde,  Vir  gen  I,  344**. 


—     86     — 

trotzend,  stets  die  Wogen  zerstäubt  zurückwirft,  die  seine 
Grundfesten  mit  krystallenem  Schießpulver  bekämpfen  ^) ;  beim 
Sturme  dagegen  wirft  das  aufgebrachte  Meer  seine  Wellen 
wie  Berge  hoch  empor  und  runzelt  voll  Ingrimm  seine  Stirn  *) ; 
mit  der  Gefräßigkeit  eines  Hungrigen  und  der  Gier  eines 
Durstigen  fordert  es  dann  seine  Opfer  ^) ;  namentlich  in  seinem 
Durste  kennt  das  wilde  Ungetüm^)  weder  Maß  noch  Ziel: 

Es  strebt  mit  durst'ger  Gier, 

(Sah  je  das  Wasser  man  so  dürsten  hier?) 

Zu  bergen  in  des  Schlundes  grausem  Naß 

So  yiele  Leute,  daß 

Grabmäler  von  Korallen, 

Särge  von  Schnee  zu  zimmern  ihm  gefallen 

In  silberheller  Gruft.*) 

Doch  wirft  das  Meer,  wenn  es  wieder  ruhig  geworden, 
mitleidsvoll  seine  Opfer  an  die  Küste  aus,  da  es  seine  Ver- 
heerungen und  Greueltaten  selbst  nicht  ansehen  kann^);  der 
weiße  Schaum  seiner  Fluten  bildet  wiederum  an  dem  blauen 
Gewände  der  Wogen  eine  schöne  silberne  Verzierung,  die, 
weil  sie  keine  bestimmte  Ordnung  in  der  Zeichnung  einhält, 


^)  Besiste  conslante  el  ceno  /  Del  tnar^  volvietido  deshechas  /  Lca  oXas^ 
que  8U8  cimientoB  /  Con  pölvora  de  cristal  /  Baieny  burlando  8U  estruendo 

Tres  M.  prod.  I,  283^ 

*]  el  mar  alter ado  /  En  pielagos  de  montes  levantado  j  Biza  la  al- 
iiva  freute,  Purg.  I,  149 ^ 

')  cuantas  [vidas]  /  Tu  hambriento  rigor  destruye,  /  Tu  sedienta  furia 
acaha,  Lancas  I,  43'';  mos  vidas  j  Que  el  mar  sediento  bebe,  ibd. 
*)  el  monstruo  fiero  del  mar,  Tres  m.  prod.  I,  271  \ 
*)  Con  un  furor  sediento 

(iQuien  ha  visto  con  sed  tanto  elemento?) 

En  8X18  entrafias  härbaras  esconde 

Diversas  gentea,  donde 

Ä  consagrar  se  atreve 

Sepulcros  de  cristalj  tumbas  de  nieve 

En  bovedaa  de  plata, 

Purg.  I,  149';  Lorinser  4. 
*)  el  mar  /  La  [=  dama]  arrojd  de  sus  entranas  /  Ä  estu  orilla,  per 
no  ver  /  Sus  eati-agos  y  vengamas,  Lances  I,  44 •;  el  mar  la  arrojd 
piadoso,  ibd. 


—     87     — 

nur  um  so  Bchöner  ist^);  uod  geduldig  trägt  es  wieder  die 
SchiflFe  auf  seinen  schaumbedeckten  Schultern.*) 

Der  König  von  Portugal  kann  daher  ganze  Städte  von 
SchiflFen  auf  den  leichten  Schultern  des  Meeres  erbauen'), 
und  Ulysses  erzählt,  die  Meerflut  habe  ihn  lange  Jahre  auf 
ihren  Schultern  als  Gast  beherbergt.*) 

Auch  den  Meergott  Neptun  finden  wir  bei  Calderon 
des  öfteren  erwähnt;  mißmutig  verzieht  beim  Seesturme  der 
wütende  Gott  sein  Gesicht  und  schüttelt  den  Dreizack*);  er 
quält  die  Griechen  im  Seesturme  •);  bisweilen  auch  gewährt 
der  Wankelmütige  mitleidsvoll  dem  Seemann  gute  Fahrt  ^) 
oder  beherbergt  ihn  lange  Jahre  als  Gastfreund.') 

Das  aufgeregte  Meer  wirft  bei  unserem  Dichter  fast  stets 
seine  Wogen  bis  zum  Himmel  empor. 

So  wagen  sich  einmal  gen  Himmel  Berge  aus  Salz,  Pyra- 
miden aus  Eis,  Türme  aus  Schnee,  Paläste  aus  Schaum*); 
ein  andermal  erheben  sich  krause  Berge  aus  Schnee  und 
zackige  Gebirge  aus  Krystall  ^®) ;  bald  streben  die  aufgebrachten 
Wogen  danach,  Stücke  des  Himmels  zu  sein  ^^),  bald  türmen 


*)  Bianca  espuma^  que  dl  azulj  Camdote  de  aguas  hace  /  Bella  guar- 
nidon  de  plata^  /  Que  sin  que  al  dibujo  guarde  /  El  &rdeny  es  mos  hermoso  / 
Por  ser  dibujo  sin  arte^  May,  encanto  I,  406". 

•}  naves  ..../....  siistenta  en  sus  nevados  hombroSf  Princ.  I, 
260'  =  m,  653. 

•)  sobre  la  espalda  leve  /  Del  mar  ciudades  fahrica  /  De  mil  armados 
bajeles,  Princ.  I,  2ö7»»  =  UI,  177ff. 

*)  Ese  piSlago,  que  sobre  /  Sus  espaldas  tantos  aiios  /  Butsped  me  ad- 
miHöj  May.  encanto  I,  393*. 

*)  saHudo  Neptuno  j  Parece  que  importuno  /  Turbo  la  faz  y  sacudi6 
el  tridente,  Purg.  I,  149«. 

•)  Sagrado  dios  Neptuno  j  /  iGriegos  ofendas  d  pesar  de  Junof^ 
May.  encanto  I,  390^ 

')  El  inconstante  Neptuno  /  FuS  piadoso  .  , .  Arginis  I,  449»/*». 

*)  Huesped  vivi  de  Neptuno  I  Seis  atlos,  May.  encanto  I,  393*. 

•)  se  atreven  aJ,  ddo  /  Montes  de  sal^  piramides  de  hielo,  /  Torres 
de  nieve,  älcdzares  de  espuma^  Purg.  I,  149*. 

**)  el  mar  . . .  /  soberbio  levanta  j  Rizados  montes  de  nicve^  /  De  cristal 
Crespos  montanas,  Vi  da  I,  18*»  =  III,  1010 fF. 

**)  Alterados  estos  mar  es  /  Ä  serpedazos  aspiren  /  De  hs  cielos^  May. 
encanto  I,  410\ 


—     88    — 

sich  die  Wellen  wie  Berge  hoch  auf,  daß  es  aussiebt,  als 
wollten  sie  die  Sonne  samt  den  Sternen  auslöschen^),  wie 
denn  auch  sonst  die  Meeresfluteu,  stöhnend  unter  der  schweren 
Last  der  Schiffe,  den  Ehrgeiz  hegen,  es  in  ihrem  Übermute 
den  Felsen  gleichzutun,  sich  hoch  aufzubäumen,  sobald  sie  sehen, 
daß  ein  Schiff  über  das  blaue  Gefilde  ihrer  salzigen  Ejrystalle 
dahingleitet.*) 

Eine  üppige  Phantasie  entfaltet  der  Dichter,  wenn  es 
gilt«  einen  Sturm  auf  dem  Meere  zu  schildern ;  bald  kämpfen 
Land  und  Meer,  aufs  äußerste  erregt,  mit  der  höchsten  Gewalt 
gegeneinander*);  bald  schwellen  die  Wogen  vor  Zorn,  und 
das  Meer,  ein  Nimrod  der  Winde,  türmt  Berge  auf  Berge, 
und  Städte  auf  Städte^),  oder  möchte,  einem  zweiten  Atlas 
gleich,  den  Himmel  selbst  stürmen.^)  Bisweilen  auch  wirft 
das  Meer  wie  zum  Hohoe  die  Munition  seiner  Tiefe,  Muscheln 
und  Perlen,  ans  Land  und  beschießt  aus  krystallenen  Feuer- 
schlünden die  nahen  Städte,  so  daß  diese  in  ihren  Grund- 
festen wanken.®) 

Der  Wind. 

Der  Wind,  ein  flinker,  hurtiger  Gesell,  gilt  auch  bei 
Calderon  vor  allem  als  das  Sinnbild  der  Schnelligkeit.    So 


^)  el  mar  se  queja^  /  Montes  sobre  montes  fucron  /  Las  ondaSj  cuya 
eminencia  j  Mo  ja  al  gol,  porque  pretende  /  Apagar  las  luces  bellas,  Purg, 
I,  150";  —  el  mar  se  altera,  j  Que  parece  q\ie  «i*a  ondas  /  Van  ä  apagar 
las  estrellas,  Cenohia  I,  199^;  ÄrgSnis  I,  464^ 

*)  las  ondas  /  Gimiendo  del  peso  grave  j  Con  amhicion  de  penascos  / 
Blasonan,  ctuindo  arrogantes,  /  Ven  por  ki  campana  azul  /  De  sits  aalobres 
cristales  /  Vagar  un  volcan  deshecho  ....  May.  encanto  I,  406*. 

•)  con  fuerza  mayor  j  Tierra  y  mar  en  siis  extremos  /  Luchan  con 
violencia  suma;  j  Y  il  que  sus  furios  dtsata^  /  Montes  fabrica  de  plata,  / 
Torres  levanta  de  espuma,  Lances  I,  43 ^ 

*)  Enojdronse  las  ondas,  /  Y  el  mar,  Nembrot  de  los  aires,  /  Montes 
puso  sobre  montes,  /  Ciudades  sobre  ciudades,  May.  monstruo  I,  482*': 
cf.  Schack  in,  S.  84. 

*)  Todo  el  reino  de  cristal,  j  Monstruo  de  vidrio,  gigante  /  De  zafir, 
es  nueve  atlayite  j  De  la  esfera  celestial,  Lances  I,  43 ^ 

•)  De  trabucos  de  cristal  /  Combatidos  sus  cimientos  /  Caducaron  las 
ciudades  /  Vecinas,  y  por  desprecio  j  Tiraba  el  mar  d  la  tierra,  /  Que  es 
municion  de  sus  senos,  /  En  sus  nacares  las  perlas,  Purg.  I,  152 •. 


—     89     — 

laufen  schnelle  Pferde  fast  stets  mit  dem  Winde  um  die 
Wette  ^),  oder  übertreffen  ihn  sogar  an  Geschwindigkeit,  und 
auch  der  Gedanke  des  Menschen  hält  mit  dem  Winde  gleichen 
Schritt^),  ja,  ist  sogar  noch  rascher  als  der  Wind. 

Becht  anschaulich  finden  wir  an  einer  Stelle  den  Wettlauf 
mit  dem  Winde  beschrieben: 

Der  Ritter  Guido,  der  aus  dem  Lager  des  Fierabras 
entflieht,  hält  anfangs  mit  dem  schmeichlerischen  Zephir 
gleichen  Schritt,  doch  mitten  im  Laufe  geht  dem  Winde  der 
Atem  aus,  so  daß  er  erschöpft  zurückbleibt  und  bekennen 
muß,  daß  das  Roß  geschwinder  sei  als  er.^) 

Im  Vergleiche  zu  schnellfüßigen  Rossen  ist  also  selbst 
der  behende  Zephir^)  träge '^);  versieht  er  doch  die  Pferde 
mit  Flügeln,  gleichen  sie  ihm  doch  so  sehr  an  Behendigkeit, 
daß  ihnen  die  Sporen  geben  Schimpf  bedeutet  und  nicht  Auf- 
munterung *) ;  ja,  wenn  dem  Winde  von  einem  feurigen  Renner 
berichtet  w^ird,  hört  er  auf,  Element  zu  sein,  um  ein  so 
schönes  Tier  zu  werden.') 

Häufig  nennt  unser  Dichter  schnelle  Pferde  deshalb  „die 
Söhne  des  Windes"  ®),  „die  rasche  Ausgeburt  der  Luft",  „den 
beseelten  Zephir"  •),   oder  auch  „die  Söhne  des  Windes  und 


^)  Vidal,  If.;  ün  bruto  veloz,  y  d  pensamiento  I  Van  corriendo 
parejds  en  el  viento,  Puente  I,  205 ^ 

")  Su  pensamiento  /  Va  corriendo  parejas  con  el  vientOj  Vir  gen 
I,  329»;  Puente  I,  205^  s.  ob.  Anm.  1. 

•)  Igual  pareja  corri6  /  Con  el  aura  lisonjera,  I  Y  en  medio  de  la 
carrera  /  Tan  atrds  se  la  dejo,  /  Qmc  publica  sin  aliento,  /  Que  confiesa  con 
desmayOj  /  Qtie  aquel  prodigio  violentOj  /  Si  hay  rayo  con  alma,  es  rayo,  / 
Si  hay  viento  con  cuerpo^  es  viento,  Puente  I,  221». 

*)  el  cifiro  satil,  Arginis  I,  454  ^ 

*)  El  cefiro  es  perezoso  /  Con  ese  cabaüo,  Gal.  fant.  I,  302". 

•)  dos  cahallos  / , . .  cuya  lijereza  /  El  viento  calzo  de  pluma :  /  Tan 
kijos  suyoSj  que  fuera  j  La  espuela  manchar  en  ellos  /  Desprecio,  y  no 
diligenda,  Gal.  fant,  I,  297*. 

')  un  cahallo  tal  /  Que  informado  du  el  viento  /  Dejo  de  ser  elemenio  / 
Por  ser  tan  hello  animal^  Astrdl.  I,  573 •. 

8)  hijo{s)  del  viento,  Princ.  I,  248«  =  I,  629 f.;  Purg.  I,  152»; 
Lances  I,  40^ 

»)  Veloz  ahorto  del  aura,  Fi  da  I,  18»  =  III,  937  f.;  el  cifiro  ani- 
modo,  Cen,  I,  189* j  cf.  K^,  S.  149. 


-     90     — 

des  Gedankens"  ^),  wie  er  an  einer  Stelle  schnellsegelnde 
Schiflfe  als  „Töchter  des  Windes"  -)  bezeichnet. 

Bisweilen  laufen  auch  Menschen  so  rasch^  daß  sie  dem 
Winde  Fesseln  anlegen  könnten  *),  oder  daß  im  Vergleiche 
zu  ihrer  Schnelligkeit  der  Wind  ein  unbedeutendes  Element, 
und  auch  der  Gedanke  schwerfällig  wäre.^) 

Wie  das  Meer,  so  wird  uns  auch  der  Wind  als  zornig, 
wütend  und  wankelmütig*)  geschildert. 

Voll  Ingrimm  schüttelt  der  Südwind  die  Ähren  des  Ge- 
treidefeldes •) ;  tobend  verkünden  sich  die  Winde  gegenseitig 
fürchterlichen  Krieg ') ;  das  auf  dem  Meere  fahrende  Schiff 
ist  der  Willkür  der  Winde  und  der  Wogen  preisgegeben®), 
wie  überhaupt  der  Seefahrer  den  Winden  auf  Gnade  oder 
Ungnade  sich  anvertrauen  muß  •)  und  nur  auf  dem  Lande 
vor  ihren  Wutausbrüchen  sicher  ist^^);  hier  darf  er  glücklich 
über  den  Zorn  der  Wogen  und  der  Winde  triumphieren.^*)   , 

Bei  Stürmen  auf  der  See  spielen  die  mörderischen  Winde 
und  Wogen  dem  Menschen  übel  mit.*^) 


')  DoB  cabdUos  . . .  dir6  dos  onzas  /  Hijas  del  viento,  aunque  mos  / 
Del  pensamiento  se  nombrany  Purg.  I,  156 »f.;  un  cahallo  . . .  Tan  veloz 
hijo  del  vientOj  /  Qiie  del  mismo  pensamiento  /  Concepto  le  imaginij  Vir- 
gen  I,  343». 

*)  hijas  del  viento,  Sitio  I,  111  ^ 

•)  pone  dl  viento  lazos  j  Su  gran  veloddadj  Vir  gen  I,  329'. 

*)  El  vientOj  st  le  comparas  /  Conmigo^  es  corto  elemento  /  El  pen- 
samiento es  pesado,  Argenis  I,  439»;  Ä  secr.  agr.  I,  595 •. 

*)  de  los  vientos  /  La  repetida  inconstanciay  May.  encantoly  404 •. 

•)  el  desden  /  Del  noto,  cuando  sacude  /  Las  espigas  de  una  mits^ 
Puente  I,  217'. 

^  bramando  publican  /  Entre  si  dura  guerra,  Judas  T,  324*. 

*)  Tome  pues  al  dibedrio  /  De  aire  y  mar  la  nave^  May.  encanto 
I,  393«. 

•)  d  la  discrecion  /  De  los  vientos,  May.  encanto  1,  396*;  409';  La 
discrecimi  de  los  vientos  j  Es  quien  la  {seil,  nave)  trae  y  Ueva^  Tres  m. 
prod.  I,  269*. 

**^)  libre  del  ultraje  I  Del  viento^  Arginis  1,  437*. 

^*)  contento  /  Ptieda  en  la  tierra  triunfar  /  De  la  cdlera  del  mar  /  Y 
de  la  Sana  del  viento,  May.  encanto  I,  392 ^ 

**)  Homicidas  los  mares  y  los  vientos,  /  Hoy  sei'än  nuestra  ruina, 
May.  encanto  L  390'. 


—    91     — 

Der  Wind  bekriegt  das  Schiff  und  läßt  es  oicht  ans 
Land  herankommeo,  sondern  treibt  es  immer  weiter  vom 
schützenden  Hafen  weg^);  der  Gott  der  Winde  befreit  diese 
aus  ihrem  Kerker,  damit  sie  dem  Meere  in  seinem  Zer- 
Btörungswerke  beistehen,  nnd  sie  fallen  ohne  Hecht  nnd 
Gesetz  über  das  Schiff  her,  das  mit  seiner  Trompete  sich 
selbst  den  Schwanengesang  singt.*) 

Ahnlich  erzählt  uns  Ulysses,  daß  die  Göttin  Venus,  über 
die  Griechen  erzürnt,  den  Winden  den  Kerker  geöfl&aet  habe, 
und  diese,  bereit,  den  Ulysses  zu  verderben,  voll  Wut  die 
gebrechlichen  Fahrzeuge  der  Griechen  angefallen  hätten.*) 

Ein  besonders  anschauliches  Bild  von  dem  Toben  und 
dem  bösen  Spiele  des  Windes  erhalten  wir  aus  dem  Berichte 
des  Ludovico: 

—  so  wütend  sich  erhebend 
Uns  grausamer  Sturm  erfaßte, 
Und  uns  züchtigte  so  schrecklich, 
Auf  den  Bergen,  in  dem  Meere 
Ringsum  tobend  so  verheerend. 
Daß  zum  Übermut  des  Meeres 
Lächeln  mußten  selbst  die  Berge/) 
Doch  nicht  immer  wütet   der  Wind  so  grausam  in  der 
Natur:  verkündet  er  doch  bei  allem  Heulen  und  Toben  die 
Größe  Gottes,   der  ihm  Leben  und  Bewegung  gibt*); -raubt 

*)  le8  hace  gv^erra,  /  Y , ,  no  les  da  lugar  /  Para  poderse  acercar  / 
ün  mento  que  de  la  tierra  I  Los  aparta,  Lances  I,  43 ^ 

•)  el  dio8  de  los  vientos  los  desata  I  De  la  prision  que  asisten,  /  Y 
ellos  sin  Uy  y  sin  aviso  embisten  /  Ä  ese  bajel^  cxiyo  darin  sonaba,  /  Cisne 
que  sus  exequias  se  cantdba,  Purg.  I,  149®. 

•)  Venus^  del  griego  ofendida  .  .  . 

La  cärcel  ahrio  ä  los  vientos, 
Para  mi  agramo  veloces .... 
Ellos  que  airados  embisten 

La  fragil  armada  rompen,  May.  encanto  1,393**/^. 

*)  enojado  et   viento  /  Nos  amenazo  cruel  /  Y  nos  casiigd  soberbio,  / 

Hadendo  en  niontes  y  tnares  /  Tal  estrago  y  tal  esfuerzo  /  Q^e  estos  hi- 

cieron  donaire  I  De  la  soberbia  de  aqv^lloSy  Purg.  I,  152 •;  Lorinser 

TV,  31. 

•)  i  El  viento  /  En  los  ecos  repetidOy  /  No  publica  qut  haheis  sido  f 
Autor  de  su  fnovimiento?    Purg.  I,  154 •. 


er  auch,  unhöflich  wie  er  ist,  der  Wiese  die  bunte  Farben- 
pracht^), so  kann  er  sich  auch  höflich  zeigen,  wenn  er  einen 
Liebhaber  begünstigt,  der  nächtlicherweile  seine  Geliebte  be- 
suchen will.^)  Mit  schmeichelnder  Zunge  löscht  er  dem  einen 
das  Licht  aus,  während  er  es  dem  anderen  zu  neuer  Glut  ent- 
facht^); bisweilen  belauscht  er  die  GrespräclüSL  der  Menschen 
und  plaudert  sie  weiter*),  weshalb  die  Menschen  mit  ihren 
Worten  nie  vorsichtig  gering  sein  können.*)         ^ 

Macht  auch  der  Wind,  wenn  er  feindlich  gesinnt  die  See- 
fahrer anfallt,  mit  seinem  Ungeftüj]^  genug  Mühe  und  Plage®), 
so  treibt  er  doch  mitleidsvoll  die  Schine  vorwärts '),  die  in 
seinen  starken  Armen  dem  Ziele  zustreben  ^),  und  der  schlaue 
Jäger  macht  sich  den  Wind  zinsbar,  indem  er  ihn  über  die 
Richtung  des  Schusses  täuscht.*) 

Im  Gegensatz  zum  schnellfüßigen,  tobenden  Winde,  dem 
Sinnbilde  der  Geschwindigkeit,  zieht  die  träge  Luft  langsam 
und  unhörbar  dahin  ^^) ;  gleich  dem  Sonnenlicht  ist  sie  überall 
zu  finden,  nur  in  ganz  abgelegene  Stellen  des  Waldes  kann 
auch  sie  nicht  eindringen,  sondern  muß  außen  lauschend  und 
Stille  gebietend  stehen  bleiben.^ ^) 

^)  Deaortes  el  viento  al  prado I Eoba  hermosura  y  colores,  Judas 
I,  311«. 

*)  El  viento  apenas  se  mueve  /  Que  parece  que  cortes  /  No  murmura 
de  tu  engafiOj  Judas  I,  322 •. 

•)  La  Ungua  de  los  vientos  lisonjei'a  /  Matarte  la  luz  pudo  /  Y  darme 
luz  d  mi,  Medico  I,  369''  =  II,  985flF. 

*)  iHabla  por  Ventura  el  aire?  Afddtco  I,  363«  =  III,  597. 

*)  CallUj  calla^  no  pronuncies  /  Otra  razon,  porque  tenio  j  Que  los 
vientos  nos  escuchetij  Medico  I,  353**  =  11.  18  ff. 

•)  violento  /  Para  enemigo  basta  y  sobra  el  viento,  Argenis  I,  446«. 

")  los  vientos  / .  . .  piadosos  hasta  aqxn  /  Kos  derrotaron^  Argenis 
I,  454«. 

^)  En  los  brazos  de  los  vientos^  Argenis  I,  442  **;  462*'. 

•)  El  astuto  cazador  /  No  adonde  la  caza  estä  /  Pone  la  mira,  ad- 
virtiendo  /  Que  para  que  el  viento  peche  /  Le  importa  enganar  el  viento^ 
Banda  II,  157«. 

^®)  apenas  el  aire  /  Que  corre  con  iardo  curso  /  Nos  sienta^  Vir  gen 
I,  333». 

**)  una  oculta  /  Parte^  murada  de  troncos,  /  Tanto  que  aun  no  pcwe- 
traba  /  El  aire  que  por  defuera  j  Le  andaba  acechando,  solo  /  Como  para 
hacer  silencio,  /  Ceceando  en  suspiros  roncos^  G  a  l.  fa  n  t.  I,  302  ** 


—    93     — 

Zum  Schlüsse  ist  noch  auf  die  bei  Calderon  ziemlich 
häufig  sich  findeude  Redeusart:  lisonja  del  aire,  Iwonja  del 
viento  hinzuweisen. 

Von  den  im  Winde  lustig  wehenden  Fahnen,  wie  von 
den  geschwellten  Segeln  heißt  es,  sie  buhlen  schmeichlerisch 
mit  dem  Winde*),  und  die  befiederten  Pfeile  sind  „giftige 
Vögel,  die  beseelt,  doch  ohne  Leben,  mit  der  Luft  kosen^.*) 

Feuer  und  Licht. 

Li  einigen  wenigen  Stellen  werden  Feuer  und  Licht  per- 
sonifiziert. 

Das  Feuer,  das,  wie  ein  blutiger  Henker*),  unbarm- 
herzig alles  yernichtet,  hat  bisweilen  Mitleid  mit  dem  Menschen 
und  tut  ihm  nichts  zu  leide  ^),  so  daß  der  spanische  General 
Don  Fadrique  den  Bewohnern  von  Breda,  drohen  kann,  mehr 
Mitleid  habe  das  Feuer  als  sein  Schwert.*^) 

Derselbe  General  mäßigt  sich  aber,  als  eine  schwache 
Frau  ihn  um  Gnade  anfleht:  Ich  will  an  Höflichkeit  nicht 
jenen  züngelnden  Flammen  nachstehen,  die  mir  hier  verkünden, 
welche  Achtung  sie  vor  Euch  haben. 

No  he  de  ser  menos  cortis 
Que,  esias  vividoras  Uamas, 
Que  ine  estän  didendo  aqui 
El  respeto  que  te  guardan,^) 
Gleich  dem  Winde  und  dem  Wasser  verkündet  auch  das 
Feuer  das  Lob   Gottes  ^,  und  selbst  wenn  es  mit  gieriger 


*)  Una  hlanca  handera  j  Con  los  vientos  lisonjera,  Sitio  I,  125 •; 
Virgen  I,  337»;  loa  velas I  Que  son  del  viento  lisonja^  Princ,  I,  246« 
=  I,  266f. 

•)  loa  venenosaa  aveSj  /  Que  con  almas  y  ain  vidas  /  Fuiron  lisonja 
del  atrc,  Fuente  I,  214 ^    Zu  dieser  Kedensart  cf.  K^,  S.  195. 

•)  fuij  Sangriento  verdugo  el  fuego,  Ä  secr.  agr.  I,  609 ^ 

*)  Enire  las  Ilamas  estuve  /  Libre^  sin  que  me  ofendieran  /  Y  adverti 
despues,  dudando  /  Que  haya  en  el  fuego  clemencia^  Dev.  I,  55^;  lapiedad 
del  fuego,  Sitio  I,  113^ 

*)  Mas  piedad  I  Tiene  el  fuego  que  mi  espada,  Sitio  I,  114 •. 

•)  Sitio  I,  114^ 

')  El  fuego  y  el  agua  luego,  j  i  Aldbanzas  no  os  previenen^  /  Y  para 
este  efecto  tienen  I  Lengua  el  agua  y  lengua  el  fuego?  Purg.  I,  154 »f 


—    94    — 

Flamme  der  Welt  den  Krieg  verkündet,  d.  h.  mit  dem  Blitzstrahl 
uns  zu  vernichten  droht,  stößt  es  dumpfe  Elagetöne  aus.^) 

In  vielen  Fällen  ist  bei  unserem  Dichter  das  abstrakte 
lux  identisch  mit  dem  konkreteren  Begriffe  ,, Sonnenlicht '^  oder 
„Tageslicht^,  wie  denn  Calderon  zwischen  sol,  dia  und  lux 
nicht  immer  streng  scheidet  und  oft  das  eine  für  das  andere 
setzt. 

Schon  oben  haben  wir  gehört,  daß  zum  finsteren  Turme 
Sigismund's  nicht  einmal  das  Licht  gelangt,  da  die  plumpen 
Steinsäulen  der  Berge  und  Felseo  ihm  den  Zutritt  verwehren^) ; 
schöne  Damen  wetteifern  oft  mit  dem  uns  blendenden  Lichte 
an  Beinheit  und  Glanz  ^)  oder  werden  geradezu  mit  dem  hellen 
Tageslichte  identifiziert.*) 

Das  Licht  der  Abenddämmerung,  das  sich  nicht  mehr 
recht  zu  zeigen  wagt,  nennt  unser  Dichter  medrosa  luxj  furcht- 
sames Licht. ^)  Li  diesem  Ausdrucke  liegt  wohl  noch  eine 
Fers,  vor,  hingegen  ist  hices  desmayadas,  ohnmächtiges,  blasses 
Licht®),  als  verblaßte  Fers,  anzusehen.  Doch  finden  wir  an 
einer  Stelle  die  letzterer  Bedewendung  zugrunde  liegende  An- 
schauung weiter  ausgeführt;  es  sagt  nämlich  Bosaura  vor  dem 
spärlich  erleuchteten  Gefängnisse  Sigismund's  stehend:  Ist 
denn  nicht  jener  trübe  Schimmer,  jener  bleiche  Stern  dort 
ein  kleines  Licht,  das  wie  ein  Ohnmächtiger  zitternd  mit 
flackernder  Flamme  seine  Strahlen  verbreitet?^) 

Häufungen. 

An  manchen,  meist  hochpoetischen  Stellen  werden  die 
vier  Elemente,  oder  verschiedene  Naturobjekte,   oft  auch  in 


*)  Quejase  el  fuego,  si  tticierra  /  Rayos  que  dl  mundo  hacm  guerra, 
Ä  secr.  agr.  I,  597 ^ 

*)   Viddl,  b^  =  I,  740 ff.,  siehe  oben,  S.  19». 

')  Stt  .  .  .  /  celebrada  hcrmosura,  /  Que  en  competencia  ae  atreve  / 
Ä  la  luz  que  nos  fatiga,  Lances  I,  41*. 

*)  es  luz  del  dia  /  Aurora  (=  Name  einer  dama\  ibd.  I,  41  ^ 

^)   Vi  da  I,  !»>  =  I,  52. 

«)  Fuente  I,  217^ 

^)  i  No  es  hreve  luz  aquella  /  Caduca  exhalacionf  pälida  estrella  j  Que 
en  tremulos  desmayos  j  Pidsatido  ardores  y  latiendo  rayos^  j  Hace  mos  tene' 


—     95     — 

VerbinduDg  mit  Menschen  und  Tieren,  zusammen  genannt,  um 
einen  dramatischen  Effekt  hervorzurufen;  es  sind  dies,  wie 
Schack^)  bemerkt,  „deklamatorische  Stellen,  die  ganz  wie 
rhetorische  Kunststücke  angelegt  sind^. 

Da  solche  Stellen  nicht  in  ihre  einzelnen  Bestandteile 
zerlegt  werden  können,  ohne  in  ihrer  Gesamt  Wirkung  ein- 
zubüßen, so  müssen  wir  sie  hier  eigens  betrachten. 

Die  unter  sich  uneinigen  Elemente,  Meere,  Feuer,  Erde 
und  Winde,  verkünden  das  Lob  Gottes^);  die  entfesselten 
Elemente,  Wasser,  Feuer,  Luft  und  Erde,  sollen,  der  Auf- 
forderung der  Cenobia  gemäß,  voll  Rachegefuhl  die  Feinde 
in  blutigem  Kriege  bekämpfen '),  und  wie  später  der  römische 
Kaiser  Aurelian  ihren  Klagen  gegenüber  taub  bleibt,  so  ruft 
dieselbe  Cenobia  verzweifelt  aus,  sie  werde  ihr  Unglück  den 
Winden,  dem  Himmel  und  der  Erde  vorbringen,  der  Luft 
ihre  Seufzer  und  dem  Meere  ihre  Tränen  geben.^) 

Curcio  erkennt  in  der  wildesten  Gegend  des  Gebirges 
die  Stelle,  an  welcher  er  vor  Jahren  seiner  Gattin  hatte  den 
Tod  geben  wollen:  „Jede  Blume  erfüllt  mich  mit  Schrecken, 
jedes  Blatt  mit  Schauder;  jeder  Stein  sieht  mich  seltsam  an, 
vor  jedem  Baumstamme  hab'  ich  Angst,  jeder  Fels  sucht 
mich  zu  erdrücken,  jeder  Berg  bedroht  mich,  denn  alle  sind 
Zeugen  einer  so  ruchlosen  Tat"  *) ;  Octavian  hört  den  Lärm 
von  Trommeln  und  Trompeten  und  glaubt,  die  Natur  trauere 
mit  ihm  in  seinem  Schmerz  um  den  Tod  der  Marlene: 


brosa  I  La  oscura  habitacion  con  luz  dudosa?^  Vida  I,  1"  =  I,  Soff. 
Cf.  Kj,  S.  43  die  zu  dieser  Stelle  gegebene  Erklärung. 

>)  III,  93f. 

-)  Los  discordes  elcmentos  /  MareSy  fuego,  tierra  y  vientos  / 1  No  pub- 
lican  vuestros  lörea?  Furg.  I,  154*. 

')  FMiquen  sangrtenta  guen-a  /  Con  mortales  sentimientoa  j  Tur- 
hctdos  loa  elementoa  j  Ayua,  fuego,  viento  y  Heira^  Cenobia  I,  194'. 

*)  *iAun  sin  verme  me  dejas?  I  Pues  con  ecos  veloces  j  Dari  d  los 
vientos  voces  /  Dave  d  los  cielos  quejas  /  Dave  d  la  tierra  espanto  /  A  los 
aires  suspiros^  al  mar  llanto.^     Cenobia  I,  198*. 

*)  no  Kay  flor  que  no  me  asombre,  /  Xo  hay  hoja  que  no  me  espante,  / 
No  hay  piedra  que  no  me  admire,  /  Tronco  que  no  me  acobärde^  /  Fenasco 
que  no  me  oprima,  /  Monte  que  nd  me  amenace,  j  Forque  todos  son  tes- 
tigos  I  De  una  hazana  tan  infame.  Devocion  I,  61*. 


—     96     — 

Ob  die  Himmel, 
Ob  die  Berge,  ob  die  Haine, 
Ob  die  Winde,  ob  die  Meere  .... 
Nicht  vielleicht  begehn,  mitleidig. 
Dieser  hingewelkten  Schönheit 
Wiederholte  Leichenfeier?*) 
Den    Tod    seiner   Geliebten    sollen    dem   Wunsche    des 
Lotario   gemäß   Himmel,    Sonne,   Mond   und  Sterne;   Erde, 
Wind,    Feuer    und    Wasser    betrauern*);    Menschen,    Tiere, 
Himmel,  Berge,  Tag  und  Nacht,  Sonne  und  Mond  sollen  auf 
die  Worte  des  Ludovico  hören  und  zittern  bei  seinem  Namen.*) 
In  Anreden  ist  bei  Calderon  die  Häufung  besonders  be- 
liebt, wie  er  sie  auch  anwendet  als  Zusammenfassung  der  Tor- 
hergehenden  einzelnen  Anreden  an  Menschen,  Tiere,  Himmels- 
körper  und   Naturobjekte,    eine  Stileigentümlichkeit,    welche 
Schack*)  und  Krenkel*),  sowie  Pasch®)  mit  Recht  her- 
vorheben. 

So  finden  wir  im  Principe  eonsiante  die  kurzen  Ansprachen, 
die  der  standhafte  Prinz  an  den  König,   an  seinen  Bruder 
Enrique,   an   die  Christensklaven,   an  die  Mauren,  sowie  an 
Himmel,  Meer,  Berge,  Wind^  und  Erde  hält  ^,  gleichsam  zur 
Bekräftigung  nochmals  zusammengefaßt  in  den  Worten: 
Porque  rey,  Iiermano,  moros^ 
Cristianos,  sol,  luna,  esireüas, 
CidOy  iierra,  mar  y  mento, 
FieraSf  monteSj  todos  sepan *) 

^)  i  Si  los  cielos,  /  8i  los  montes^  si  las  selvaSf  /  Si  los  vientoSy  si  los 
mares  . . .  Compadecidos  celebran  /  De  esa  difunta  hermoswa  /  Bepetidas 
las  exequias?  May.  monstruo  I,  487*. 

*)  Lloren  aquesta  desgracia  /  Cielo,  sol,  luna  y  estreUaSf  /  Tierra, 
vientOf  fuego  y  agwi^  I  Y  yo  mos  que  todos  llorCf  Lances  I,  43*. 

')  atiendan  ä  mi  voz  /  Hombres,  fieras,  cieloSf  montes,  /  Dto,  noche, 
luna  y  soly  Purg.  1, 164*;  —  Homhres,  fieras,  monteSj  globos  /  CeksHaUs, 
penas  duras,  /  Plantar  tiemaSj  secos  olmos,  /  Yo  soy  Ludovico  Enio^  / 
Temblad  ä  mi  nombre  todos^  Purg.  I,  162 ^ 

*)  m,  93  f. 

»)  Kj,  S.  230. 

^  Pasch  I,  S.  173';  11,  101». 

')  Princ.  I,  253»  =  H,  415—436 

8)  Princ.  II,  V.  437—440. 


—     97     — 

und  ebenso  energisch  bekräftigt  Estela  von  Salyeric  ihre 
Sache  in  einer  von  geschmacklosen  Häufungen  überladenen 
Stelle,  die  Schack  als  Beispiel  anfuhrt.^)  Um  noch  ein  Bei- 
spiel dieser  Art  zu  geben:  in  der  Stelle  A  secr.  agr, 
ly  597^  finden  wir  die  vorhergehenden  Gleichnisse  folgender- 
maßen zusammengefaßt: 

se  quejan  monte,  piedra, 

Ave,  floTj  eeOf  sol,  hiedra, 

TroncOy  rayo,  nuxr  y  viento. 

Mariene  ruft  Himmel,  Sonne,  Mond  und  Sterne ;  Gestirne 
und  Himmelszeichen;  Berge,  Meere,  Bäume  und  Pflanzen; 
Menschen,  Tiere,  Vögel  und  Fische  zu  Zeugen  ihres  Groß- 
mutes, aber  auch  ihrer  Rachegedanken  an  *),  wie  auch  Ariadne 
die  Tiere  des  rauhen  Berges,  die  Vögel  der  sanften  Lüfte, 
die  Bäume  des  grünen  Waldes,  die  Wellen  des  klaren  Flusses, 
die  Blumen  des  lieblichen  Gartens,  die  Planeten  der  blauen 
Himmelssphäre,  die  Sterne  des  hohen  Himmelsgewölbes,  die 
schaumigen  Wogen  des  weiten  Meeres  und  die  Weltteile  zur 
grausamen  Bache  auffordert.') 

Am  Schlüsse  der  Betrachtung  der  Naturgegenstände  an- 
gelangt, wollen  wir  uns  noch  umsehen,  in  welcher  Weise  Cal- 
deron  die  Natur  selbst,  la  docta  naturalexa,  personifiziert.^) 

Mit  ihrem  lieblichen  Pinsel  bemalt  die  Natur  Himmel 
und  Erde  prächtig  blau  und  grün*);  die  Tiere  haben  ihrem 
gelehrten  Pinsel  die   schönen  Streifen  und  Flecken   auf  dem 


')  Amor  I,  383V,  ».  Schack  ÜT,  S.  93f. 

')  d  ver  lleguen  /  Cieh^  sol,  luna  y  estreUas,  /  Aatros  y  Hgnos  celeatea^  I 
MonteSy  mores,  troncos,  plantas^  /  HombreSy  fleraSj  aves,  peces,  /  Que  como 
reina  perdonCf  I  Y  como  mujer  me  vengue!  May,  monatruo  I,  494 *'; 
diese  Aufzählung  fehlt  in  der  Ausg.  v.  1637. 

*)  Fieras  deste  inctUto  monte,  j  Aves  desoa  blandos  aires  /  Troncoa 
dese  verde  hosgrue,  /  Ondas  dese  claro  rio,  /  Deste  ameno  jardin  flores,  / 
Luces  desa  azul  esfera,  /  Estreücu  dese  aUo  mdml^  /  Espumas  dese  ancho 
mar,  /  Partes  que  haceis  todo  el  orbe,  I  Ä  la  venganza  os  convido,  Tres 
m.  prod.  I,  281^ 

*)  Siehe  K„  S.  45. 

*)  mos  colores  /  En  verde  y  azul  papel  /  Que  dibuß  en  cielo  y  tierra  / 
El  apacible  pincel  I  De  naturakza,  Castigo  III,  388», 

Münchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.    XXXII.      7 


i 


—    98    — 

Fell  zu  verdanken^);  schöne  Pferde  malt  der  Meisterpinsel 
der  Katur  mit  besonderer  Sorgfalt*),  und  wenn  die  Natur 
ihren  Pinsel  zweimal  verwendet,  so  pflegt  sie  aus  einer  Guß- 
form  zwei  verschiedene  Gebilde  hervorzubringen.') 

Eine  schöne  Dame  ist  das  Vollendetste,  was  der  Pinsel 
der  Natur  hervorzubringen  vermag^);  ja,  bisweilen  kann  die 
Natur  mit  ihren  feinen  Pinseln  die  Schönheit  einer  Dame 
nicht  nachbilden  und  gibt  voll  Arger  die  Hoffnung  auf,  je- 
mals wieder  etwas  so  Vortreffliches  schaffen  zu  können:  Da 
ich  mich  nicht  übertreffen  kann,  so  achtet  man  mich  nicht 
mehr,  denn  ich  kann  nichts  Schöneres  mehr  hervorbringen, 
seitdem  ich  dieses  Wunderwerk  geschaffen.^) 

Bisweilen  tritt  die  Natur  mit  der  Kunst  in  erfolgreichen 
Wettbewerb. 

Ist  die  Kunst  auch  bestrebt,  in  schön  gepflegten  Gärten 
der  Natur  vorauszueilen®),  so  nimmt  wiederum  die  Natur  sich 
vor,  die  schönen  Landschaftsbilder  des  Gartens,  welche  die 
Kunst  zeichnet  und  ausschmückt,  durch  die  Schatten  der 
Nacht  auszutilgen.'^ 

Im  Parke  von  Aranjuez,  an  einer  mit  prächtigen  Statuen 
gezierten  Quelle  sieht  Don  Felix  eine  schöne  Frau,  die  stumm 
und  regungslos  sich  im  Wasser  betrachtet,  so  daß  man  nicht 
glaubt,  sie  sei  ein  lebendes  Wesen,  während  die  Statuen  um 
sie  herum  so  lebenswahr  sind,  daß  man  nur  wartet,   bis  sie 

^)  la  piel  I  Qae  dibujan  manchas  hellas  . . .  Oracias  al  docto  pincdf 
Vida  I,  2*  =  I,  133ff. 

*)  un  caballo  hertnoso  /  Ä  quien  el  docto  pincel  /  De  natwraleza  hizoj 
Con  mos  estudio^  Lances  I,  40^ 

•)  en  una  estampa  j  Swle  duplicar  y  hacer  j  Dos  fonnas  naturaUza  / 
Con  repetido  pincelj  Homhre  I,  ölO*. 

*)  El  mos  düatado  amago  f  Que  hizo  el  natural  ffineel,  Lances 
I,  40  Y. 

')  Corrida  natwraleza  /  De  Siks  pinceles  sutiles  /  PerdU  la  esperanza, 
viendo  /  Que  imitartt  era  imposible,  /  Y  dijo :  •Pues  ya  no  puedo  /  Ex- 
cederme^  no  me  estimen;  /  Que  ya  no  tengo  q%te  hacer ^  /  Despues  que  este 
asombro  hice*,  Äströl.  I,  574*. 

^)  adelantarse  en  II  (scÜ.  jardin)  quiso  j  El  arte  d  lo  natural^  Amor 
I,  377  ^ 

^  el  natwral  presume  /  Yencer  hermosos  paises  /  Que  el  arte  dibuja 
y  pule,  Medico  I,  363»  =  II,  36ff. 


—    99    — 

zu  sprechen  anfangen.  Da  scheint  die  Natnr  zur  Kunst  zu 
sagen :  „Rühme  dich  nicht,  als  könntest  du  hier  den  Tod  mit 
größerem  Erfolge  Lügen  strafen  wie  ich  das  Leben,  denn, 
da  wir  in  den  entgegengesetzten  Fähigkeiten  einander  gleich 
sind,  kann  ich  eine  Statue  bilden,  wie  du  eine  Frau  schaffen 
kannst;  so  sieh  eine  Seele  ohne  Leben,  hier  wo  die  Marmor- 
statuen belebt  sind."  ^) 


Kapitel  n. 


Die  Personifikation  Ton  TeUen  des  mensehliehen  Körpers, 

sowie  Ton  Anßernngen  und  Zuständen  seiner  sinnliehen 

und  seelischen  Existenz. 

Die  Teile  des  menschlichen  Körpers. 

Wenn  wir  in  der  Betrachtung  der  einzelnen  Körperteile 
in  systematischer  Ordnung  von  oben  nach  unten  gehen,  so 
treffen  wir  zunächst  auf  einige  wenige  Fälle,  in  welchen  das 
Haar  personifiziert  wird. 

Vom  Haare  der  schönen  Flora,  das  aus  den  Fesseln  des 
Elfenbeingefangnisses,  d.  h.  den  Bingen  aus  Elfenbein,  befreit 
und  seines  Blumenschmuckes  beraubt,  frei  herabwallt,  sagt 
ihr  Galan :  es  sei  der  Sorgen  des  Tages  ledig  ^) ;  das  goldhelle, 


')  Estaha  en  la  primer  fuente  ....  Una  mujer  recostada  . .  . .  /  Tan 
divertida  en  mirar  /  Su  kermosura  en  el  estanque  /  Estabüy  que  puse  duda  / 
Sohre  jt  es  mujer  6  imagen;  /  Porque  como  ninfas  hellas  /  De  plata  brunida 
hacen  /  Quarda  ä  la  fuente ^  tan  vivas,  /  Que  hay  quien  espere  que  hohlen;! 
Y  ella  miraba  tan  mu^ta^  /  Que  no  pudo  esperar  nadie  /  Que  se  pudiese 
moveTf  I  La  naturaleza  al  arte  /  Mepareciö  que  deda'.j  *No  hlasones,  nö  te 
alabes  /  De  que  lo  muerto  desmientes  /  Con  mas  fuerza  en  esta  parte,  /  Que 
yo  desmiento  lo  vivo;  /  Pues  en  lo  contrario  igualeSj  /  8i  hacer  una  estatua 
yOj  1 8i  hacer  tu  una  mujer  sabes,  /  0  mira  un  alma  sin  vida  /  Donde  estd 
con  vida  un  jaspe.»    Casa  I,  1307131V 

")  Desenlazo  las  sortijas  /  De  la  prision  de  marß  I  ...  De  los 

7* 


—     100     — 

Tom  Schmuck  befreite  Haar  der  Mariene  fordert  an  Glanz 
selbst  die  Sonne  zum  Wettstreit  heraus^);  der  Bauer  Tosco 
freilich  entwirft  uns  in  seiner  derben  Schilderung  von  den 
Eeizen  der  Estela  ein  weniger  erfreuliches  Bild: 

Wenn  sich  Estela  ihren  falschen  Haarzopf  aufsetzt,  dann 
glaub'  ich  sagt  das  darunter  liegende  echte  Haar  zu  ihm: 
Der  du  mich  als  Märtyrer  siehst,  der  die  Qualen  des  Kräuseins 
aushalten  muß,  fall'  nicht  herunter,  halte  dich  fest  an,  sonst 
könnte  es  dir  leicht  wie  mir  ergehen: 

Y  cuando  .  .  . 
El  mofio  se  estd  poniendOf 
Pienso  que  le  estd  didendo 
El  cabeUo  que  hay  debajo: 
€Tu  que  me  miras  d  mi, 
Martir  de  rixado  useo, 
No  te  caigaSf  tente  en  ti; 
Que  cual  tu  te  ves  mi  vi, 
Verdate  como  me  reo.»*) 
Ungemein  häufig  werden  die  Augen  personifiziert. 
Wie  wir  im  Deutschen  sagen,  die  Augen  können  sich  an 
etwas  Schönem  nicht  satt  sehen,   so  heißt  es  im  Spanischen: 
die  Augen  dürsten,  los  qjos  iienen  sed. 

So  sagt  der  König,  der  die  schöne  Estela  bewundert:  Den 
Lippen  geh'  ich  Wasser,  den  brennenden  Durst  aber  fühle 
ich  in  den  Augen;  sie  sind  noch  durstiger  als  mein  Mund.*) 
Der  Dichter  geht  im  Bilde  von  den  dürstenden  Augen 
noch  einen  Schritt  weiter  und  nennt  sie  qjos  hidröpicos,  wasser- 
süchtige Augen,  da  sie  gierig  die  Reize  schöner  Damen  in 
in  sich  einsaugen.     Es  erklärt  der  Galan  Enrique,  die  schöne 


cuidadoa  del  dia  /  Ya  ahsudto  d  cabello  vi,  /  Siendo  ociano  de  rayos . . . 
Mej.  estd  I,  241». 

^)  desafia  /  AI  sol  esplendor  tan  hello  /  Desobligado  el  cahello  /  De 
lo8  adornos  del  din^  May.  tnofistruo  I,  499"";  für  loe  adomoe  liest 
die  Ausg.  v.  1637  f^las  prisiones»,  fol.  162 r,  1.  Spalte. 

«)  Amor  I,  377»;  vgl.  Schmidt,  S.  262. 

•)  Tieften  sed  labioa  y  ojps  . , ,  Ya  doy  el  agua  d  los  lahios  /  Teniendo 
el  fuego  en  los  ojos  . , , .  Äla  boca  el  agua  üevo,  j  Y m«  ojos  me  la  dan,  / 
Que  ya  con  mos  sed  estdn^  Amor  I,  369». 


-     101     — 

Olori  sei  der  Magnet  gewesen  fär  seine  durstigen  Augen,  die 
Strahl  um  Strahl  Glanz  und  Glut  der  Geliebten  getrunken 
hätten^),  und  Sigismund  glaubt  beim  Anblicke  der  Bosaura, 
seine  Augen  litten  an  der  Wassersucht,  denn  obwohl  sie 
wüßten,  daß  das  Trinken  ihnen  den  Tod  bringt,  so  tränken 
sie  doch  immer  mehr.^) 

ungemein  häufig  wird  den  Augen  eine  Sprache  beigelegt, 
drücken  sie  doch  in  stummen  Worten  aus,  was  die  Seele 
fühlt');  ja,  sie  reden  oft  eine  eindrucksvollere  Sprache  als 
die  Lippen^),  und  der  Mensch  kann  mit  dem  Munde  nicht 
verheimlichen,  was  die  Augen  offen  bekennen^);  selbst  wenn 
der  Mund  schweigt,  so  sprechen  dennoch  die  Augen.®) 

Astolfo  erklärt  der  Bosaura,  sie  verstehe  es  schlecht, 
sich  zu  verstellen,  da  ihre  Augen  ganz  anders  sprächen  als 
ihr  Mund');  was  hilft  dem  Menschen  auch  das  Verstellen, 
wenn  die  Augen  mit  ihrer  krystallenen  Sprache,  den  Tränen, 
nur  um  so  deutlicher  reden?*) 

Zuweilen  werden  die  Augen  zu  Dolmetschern  in  der 
Liebe*),  doch  wer  kein  Gefühl   für  die  Liebe  hat,   versteht 


^)  fu6  Clotri  el  9ol  hello  /  Luciente  iman  de  los  ojos  /  Qu«  hidröpicos 
se  bebieron  /  Bayo  ä  rayo  mejor  sol  /  Luz  d  luz  mejor  incendiOj  Banda 
n,  157*. 

")  Ojos  hidröpicos  creo  /  Que  mis  ojos  deben  ser;  /  Fues  cuando  es 
muerte  el  beber,  I  Beben  mos,  Fi  d  a  I,  2"  =  ü,  227  ff. 

*)  son  tnudas  lenguas I Del  almaj  Gal  fant  I,  297*;  Hombre 
I,  506%  s.  Anm.  5. 

^)  Nada  me  digan  tw  labios  /  Que  karto  me  ?uin  dicho  tus  ojoSy 
Saber  I,  32*";  la  lengua  te  diga  j  Lo  que  te  han  dicho  los  ojosj  Dev. 
I,  57*;  I,  58«;  Princ.  I,  252»  =  11,  249f.;  Si  no  te  han  dicho  mis  ojos, 
Amor  I,  377". 

*)  no  negard  la  boca I Lo  que  confiesan  los  ojos,  Amor  I,  374*; 
/  Qui  mal  han  disimulado  /  Tus  ojos,  Beatrix !  pues,  lenguas  /  Del  alma, 
me  han  dicho  ya  /  Tu  sentimiento  y  mis  quejas^  Hombre  I,  608*. 

•)  caüando  la  lengua  /  Y solo  hablando  los  ojos,  Oal.  fant  I,  302". 

')  /  Oh  qui  mal,  Rosaura,  puedes  j  Disimular  f  Di  d  los  ojos  /  Que 
SU  müsica  concierten  /  Con  la  voz,  Vida  I,  11*  =  II,  928 ff. 

•)  e  Q^  aprovecha  j  Disimular,  fingir  la  lengua  enojos,  /  Si  lenguas 
de  crist€U  hahlan  los  ojos?  Arg.  I,  441". 

•)  son  los  ojos  d  veces  j Intirpretes  del  amor,  Amor  I,  371*. 


—     102     — 

ihre  zarte  Sprache  nicht.  ^)  Häufig  müssen  deshalb  die  Lippen 
den  Schlüssel  abgeben  für  die  allzu  unverständliche  Geheim- 
schrift der  Augen.*) 

Als  mitfühlende  Wesen  teilen  die  Augen  mit  dem  Menschen 
Freud  und  Leid;  durch  ihre  Tränen,  die  Calderon  ebenfalls 
die  „Sprache  der  Seele'*  ^)  nennt,  nehmen  sie  lebhaften  Anteil 
an  dem  Kummer  des  Menschen;  die  Sorgen  sind  mit  den 
Augen  innig  befreundet  und  haben  keine  Geheimnisse  vor 
ihnen,  d.  h.  der  Mensch  verrät  sein  Weh  leicht  durch 
Tränen^);  und  wenn  der  Mensch  klagt,  dann  klagen  die 
Augen  mit.*) 

Die  Tränen  sind  oft  allein  Zeugen  für  des  Menschen  Leid 
und  Kummer*),  oder  Bürgen  für  die  Wahrheit  dessen,  was 
der  Mund  sagt.*^ 

Wenn  der  Mensch,  tödlich  verwundet,  blutüberströmt  da- 
liegt, dann  weinen  seine  Augen,  auf  die  Wunden  neidisch, 
blutige  Tränen.®) 

Fast  gar  nicht  finden  wir  das  nächstwichtige  Sinnesorgan, 
die  Ohren,  personifiziert;  an  mehreren  Stellen  klagt  der 
Dichter,  daß,  während  Augen  und  Zunge  durch  Lider  und 
Zähne  geschützt  sind,   das  Ohr  schütz-  und   wehrlos  sei,  so 


*)  los  ojo8  I  Sin  duda  hablaron  por  mi.  /  Pero  no  los  entendiS^  /  Que 
SU  lenguaje  sutü  /  No  le  sabe^  hermana^  hahlai%  /  Q^ien  no  le  sähe  «enfir, 
Amor  1,  374». 

*)  jffaz  contra-cifra  los  lahios  j  De  las  cifras  de  los  ojos;IQue  no 
te  entiendo,  Arg.  I,  449 ^ 

*)  fueran  lenguas  del  abna  I  Las  lägrimas  de  los  ojoSy  Banda 
n,  167». 

*)  los  enojos  /  Que  son  grandes  amigos  de  los  ojoSy  /  No  les  encubren 
nada,  Midie o  I,  361°  =  III,  308 tf. 

*)  No  te  espantes  que  los  ojos,  /  Tambien  se  quejen,  se9ior^  Midico 
I,  360»  «  m,  15 f. 

®)  Mis  Idgrinias  solo  sean  j  Hoy  testigos  de  la  mia  (pena)^  GaL 
fant  I,  297  ^ 

')  Serän  testigos  de  abono  /  Estas  lägrimas^  que  juran  /  Beste  luego 
que  es  verdad  I  Cuanto  la  lengua  pronuncia,  Peor  estä  I,  93*. 

®)  De  envidia  de  las  heridas  j  Hoy  lloran  sangre  los  ojoSj  Vir  gen 
I,  341*»;  Gal.  fant  I,  302'*;  en  bdrbaros  enojos  j  Le  (=^  sangre)  lloran 
las  heridas  y  los  ojos,  Con  quien  II,  246 *\ 


—     103     — 

daß  der  Meosch  fremde  Klagen  mit  anhören  müsse,  ohne  sich 
wehren  zu  können.^) 

Häufiger  dagegen  werden  Zunge  und  Zähne  per- 
sonifiziert. 

In  engem  Kerker  eingeschlossen  lebt  die  Zunge,  welche 
die  Natur  gleich  einem  furchtbaren  Ungetüm  hinter  starken 
Schlössern  und  Türen  in  Gewahrsam  hält;  hinter  Schranken 
ans  Korallen  ist  an  diesem  Kerker  nochmals  eine  Mauer  aus 
Perlen  angebracht.') 

In  der  oben  erwähnten  derben  Schilderung,  die  der  Bauer 
Tosco  Yon  den  Beizen  der  Estela  entwirft,  kommen  gleich  den 
Haaren  auch  die  Zähne  nicht  gut  weg :  die  Zähne  der  Estela 
sind  Bewohner  ihres  Mundes,  die  nach  einem  anderen  Hause 
sich  umsehen,  d.  h.  bald  ausfallen  werden :  Los  dientes  .  . .  / 
Son  vecinos  de  su  boca  /  Que  se  mudan  d  otra  cflwfa.*) 

Eine  weitere  Pers.  finden  wir  in  der  Stelle  Princ.  I, 
266«  =  m,  68fiF. 

Die  Nahrung,  die  der  Bitter  und  der  treue  Diener  mit 
ihrem  Herm^  dem  standhaften  Prinzen  in  der  Gefangenschaft 
teilen,  ist  so  gering  und  so  rasch  verzehrt,  daß  sie,  wenn  sie 
die  Lappen  berührt,  in  die  Brust  hinabgleitet,  ohne  daß  der 
Mund  etwas  davon  erfährt.^) 

Ziemlich  zahlreich  sind  die  Fälle,  in  welchen  das  Herz 
des  Menschen  personifiziert  wird. 

Als  ein   Gefangener  lebt  es  fest  eingeschlossen  in  des 


*)  /ay  cielos!  /  i  Porgut  ä  I09  oidoa  I  Tanibien  no  loa  defendisieia  I 
€on  mos  guardaa?  Argenis  I,  442*;  Turbados  mis  aentidoa  j  Puedm 
en  tanta  mengua,  /  Vencer  ojos  y  lengua,  /  Pero  no  loa  oidoa;  /  Que  tienen 
por  despojoa  j  Labioa  la  lengua  y  pdrpadoa  loa  ojoa,  Cen.  1, 198*;  iComo 
olvido  (la  naturaleza)  que  tuviera  /  Defenaa  el  oido ,  aiendo  /  El  que 
aprende  maa  aprieaa?  Con  quien  II,  240». 

•)  encerrada  /  En  carcel  eatrecha  wve,  /  Con  muralla  y  con  cancelea  / 
De  coralea  y  marfilea,  Arg.  I,  442*;  La  naturaleza  .  .  .  En  la  lengua 
puao  luego  /  Como  d  monatruo,  come  d  fiera  /  Terrible,  mayorea  guardaa  / 
De  eandadoa  y  de  puertaa,  /  Traa  cancelea  de  coral  /  Otraa  murallaa  de 
perlaa.  Con  quien  II,  240*. 

«)  Amor  I,  377*. 

*)  cuando  loa  labioa  toca,  /  Se  auele  paaar  al  pecho^  /  Sin  que  lo  aepa 
la  boca,  Princ.  I,  256«  =  III,  68ff. 


—    104     — 

Menschen  Brust ;  bisweilen  zeigt  es  sich  unter  Tränen  an  den 
Augen  ^)  oder  stürzt  sich,  in  Tränen  gehüllt,  zu  den  Toren 
der  Seele,  den  Augen,  heraus.^)  Es  sieht  gleich  einem  Astro- 
logen das  kommende  Unheil  voraus  und  verkündet  es  der 
Seele');  unbedenklich  darf  der  Mensch  den  Ahnungen  dieses 
Astrologen  Olauben  schenken,  denn  im  Unglücke  trifft  wohl 
jeder  Astrolog  das  Richtige.^)  Sucht  auch  das  Herz  zuweilen 
seine  Gefühle  durch  Mund  und  Augen  zu  verheimlichen^), 
so  gelingt  dies  nur  schlecht,  denn  die  Brust  schreibt  ihren 
Schmerz  und  ihren  Kummer  mit  Blut  auf  die  Tafel  des  Ge- 
sichts^), weshalb  denn  auch  das  menschliche  Antlitz  das 
Zifferblatt  der  Brust  genannt  wird.^ 

Auch  das  Blut  des  Menschen  wird  personifiziert:  Das 
unschuldig  vergossene  Blut  schreit  nach  Bache,  während  es 
in  Purpumelken  sich  ergießt.') 

Ungemein  stimmungsvoll  wirken  die  Worte,  welche  Curcio 
auf  der  Suche  nach  dem  tödlich  verwundeten  Ehisebio  aus- 
spricht :  „Ich  will  ihn  rasch  aufsuchen ;  jenes  kalte  Blut,  das 
mit  schüchterner  Stimme  mich  ruft,  muß  doch  wohl  mein 
eigenes  sein,  denn  sonst  würde  es  mich  nicht  rufen  und  ich 
würde  es  nicht  hören^' :  <  Voy  voktndo,  /  Qiie  aqueüa  aangre  fria,  / 


')  d  corazon  dentro  del  pecho  . . . .  En  Idgrimas  se  asoma  por  los 
ojo8f  Devocion  I,  66^ 

•)  Sdlga  en  lägrimas  envueUo  /  El  corazon  ä  las  puerias  /  Del  alma^ 
que  son  loa  ojoa,  MSdico  I,  307"  =  n,  574ff.;  Vida  I,  3»»  =  I,  424flF., 
fliehe  K^,  S.  55f.;  Saber  I,  25». 

*)  aslrSlogo  el  corazon  \  No  si  q\U  le  avisa  dl  alma,  Sitio  I,  11 3  ^ 

*)  Dicen  que  aströlogo  suele  /  8er  el  corazon,  y  yo  I  Presumo  que  he 
de  creerle;  /  Que  en  las  d^sdichas  no  Kay  /  Aströlogo  que  no  äderte, 
C astig 0  lU,  390^ 

*)  d  corazon  /  Disimula  cuanio  puede  /  Por  la  hoca  y  por  los  ojos, 
Princ.  I,  249»  =  I,  669ff. 

•)  Bien  su  dolor  y  su  pena  /  En  el  papd  de  la  cara  /  Escribe  con 
sangre  el  pecho ^  C astig o  IH,  382 •. 

')  La  muestra  del  pecho  ea  el  semblante,  Castigo  III,  377*»;  el 
rostro  es  rdoj,  adonde  j  El  corazon  hace  muestra,  Homhre  I,  508**. 

*)  aquesta  sangre  inocente  /  Que  estd  pidiendo  venganza  /  Desper- 
diciando  clavdes,  Devocion  I,  öS**;  Saher  I,  24*.  —  ya  agonizahaj 
Banado  en  su  sangre  fria,  /  Cuyo  aliento  pronunciaha  /  Mas,  cuanto  menos 
deda,  May.  monstruo  I,  484^ 


—    105    — 

Que  con  timida  voz  me  estä  Uamando  /  Älgo  tiene  de  mia;  /  Que 
sangre  que  no  fuera  /  Propia,  ni  me  Uamara,  ni  la  oyera.y^) 

Desgleichen  werden  Arme  und  Beine  personifiziert. 

Der  König  Basilius  hat  Furcht  vor  den  Armen  seines 
Sohnes,  da  sie  nach  seiner  Meinung  bereits  Unterricht  em- 
pfangen haben,  wie  man  tötet  ^),  während  Llocia,  die  auf 
die  feinen  Reden  des  Filipo  nicht  zu  antworten  weiß,  ihm 
ihre  Arme  entgegenstreckt,  damit  diese  ihm  stumme  Antwort 
geben.*) 

Calderon  liebt  es,  von  den  zierlichen  Füßchen  schöner 
Damen  zu  sprechen  und  ihre  elfenbeinweiße  oder  krystallhelle 
Farbe,  sowie  ihre  Kleinheit  zu  rühmen. 

Die  Füße  der  Flora,  die  in  blauen  Tuchschuhen  stecken, 
nennt  ihr  Galan  in  überschwänglicher  Weise  Perlmutter  streifen, 
Yon  dunkelblauem  Tuche  umarmt^),  oder  Krystalle,  die  mit 
den  Krystallen  des  Wassers  Krieg  führen  ^) ;  den  kleinen  Fuß 
der  Lisarda  nennt  Celio  eine  Geheimschrift,  welche  Amor 
schreibt,  einen  Kobold  unter  den  Füßen,  einen  Fuß,  noch  so 
jung  an  Jahren,  d.  h.  so  klein,  daß  man  ihm  einen  Vormund 
geben  sollte  ^),  während  Fersio  den  Fuß  der  Cenöbia  zunächst 
als  einen  Zwerg  unter  den  Füßen  und  sodann  als  ein  Knirps- 
chen bezeichnet.*^ 

Der  Leichnam  des  von  einer  Kugel  getroffenen  Clarin 


»)  Devocion  I,  67». 

')  tengo  miedo  ä  tus  hrazos,  Vida  I,  9**  =  11,  490;  estdn  ensefiados 
8i  I  Ä  dar  muerte,  ibd.  =  II,  373  ff. 

*)  Ä  ian  discretas  razones  /  Btida  y  ignoranU  8oy;  /  YaHloa  brazos 
08  doy  I  Por  guitarme  de  cuestionee,  /  Eüoa  sabrdn  reaponder  /  CaUando 
por  mi  deseo,  Purg.  I,  152*'. 

*)  rasgos  de  nacar  /  De  un  cendal  de  azul  turqui  /  AbrazadoSf  Mej, 
est  dl,  241  ^ 

*)  Mej.  estd  1,  241'*,  s.  obeo,  S.  81'.  Vgl.  weiter  die  Bezeichnung 
der  Füße  als  „Säulen  aus  Schnee",  columnas  de  nieve,  Banda  II,  165**; 
auch  verwandelt  das  Elfenbein  der  Füße  die  Erde  in  Schnee :  Esa  tierra 
que  d  marfil  I  De  tue  pies  convierte  en  ntere,  ArgSnis  I,  454°. 

•)  Cifra  que  aeienta  el  amor  . . .  PU  duende  . .  ,  Y  pU  tan  menor 
de  edad,  /  Qtie  le  pueden  dar  tutorj  Con  quien  II,  241''. 

')  Eee  enano  de  otros  piSe,  Cen.  I,  191*:  Enano  le  Uami  anies  I 
T  ahora  digo  Bonami,  ibd.  I,  191  ^ 


—     106     — 

spricht  zum  König  Basilius  durch  den  Mund  einer  Wunde  ^), 
die  mit  blutiger  Zunge  lehrt,  daß  der  Mensch  trotz  aller 
Vorsorge  gegen  sein  Schicksal  nichts  auszurichten  vermag^); 
ebenso  verkündet  der  von  Floripes  erstochene  Riese  „aus 
zweifelhaften  Mündern  Weh  und  Klagen^^  %  da  ja  die  Wunden 
gleich  den  Augen  Münder  sind,  die  niemals  lügen.^) 

Vom  menschlichen  Körper  und  seinen  Teilen  wenden  wir 
uns  weg  zu  den  einzelnen  Erscheinungen  des  physischen  Lebens ; 
da  treten  uns  zunächst  einige  wenige  Fälle  entgegen,  in  denen 
Hunger  und  Durst  personifiziert  werden. 

Vom  Hunger  belagert  weilt  Floripes  als  G-efangene  im 
Turme  von  Mantible  *),  wie  denn  auch  die  vier  Paladine  Karls 
des  Großen  in  demselben  Turme  unter  dem  stumpfen  Messer 
des  Hungers  und  des  Durstes  dahinschmachten  ®)  und  große 
Qualen  ausstehen  müssen,  da  das  Messer  des  Hungers,  wenn 
es  auch  unserem  Leben  ein  Ende  macht,  sich  selber  durch 
das  Schneiden  zu  schärfen  scheint.*^ 

Das  Alter  ist  bei  Calderon  nicht  sonderlich  beliebt, 
nennt  er  es  doch  das  „schwarze  Greisenalter^,  das  niemals 
eine  bunte  Farbe  annimmt,  je  mehr  man  auch  Schminke  auf- 
trägt^), und  das  sich  ärgert,  wenn  es  von  seinen  Jugend- 
streichen hört.®) 


*)  «boca  de  la  herida*,  Devocion  I,  59 ^  der  Mund,  die  Öfifnung 
der  Wunde,  wohl  eine  bereits  verblaßte  Pers.,  wird  hier  wieder  belebt. 
Cf.  For  la  infauata  boca  de  una  herida  /  El  alma  los  espiritüa  diviertet 
Con  quien  II,  246\ 

^)  Este  caddver  que  habla  /  Por  la  boca  de  una  herida,  /  Siendo  et 
humar  que  desata  /  Sangrienta  lengua  ...  Fi  da  I,  18'  =  lU,  910  ff. 

')  vertiendo  por  inciertas  /  Bocas  estas  desdichas  y  congojaSj  Puente 
I,  212  ^ 

*)  al  fin  heridas  y  ojos  /  Son  bocas  que  nunca  mienten,  Dcü.  I,  58**. 

*)  La  bellisima  Floripes,  /  En  la  torre  del  encanto  /  SUiada  por 
hambre  tnt?e.  Pt*ente  I,  214 ^ 

^)  Cuatro  paladines  yaoen  /  AI  cuchillo  de  madera  I  De  la  sed  y  de 
la  hambre,  Puente  I,  215 ^ 

*)  con  el  hambre  nos  previenes  /  Cuchillo,  que  al  romper  vida  tan 
corta  i  Parece  que  se  afila  en  lo  que  corta,  Vir  gen  I,  334*^. 

*)  Negra  vejez,  oh,  que  bien  /  Te  llaman  negra  en  rigor  /  Pues  nunca 
tomas  color  I  Por  mas  tinta  que  te  den,  Judas  I,  313 ^ 

')  Se  corre  la  vejez  /  De  escuchar  stis  mocedades,  Mej.  estdl,  237*. 


—     107     — 

Der  Diener  CoquiD,  dem  die  Zähne  ausgerissen  werden 
sollen,  bemerkt,  es  sei  gar  nicht  zu  verwundern,  wenn  da 
das  Alter  rasch  in  seinem  Munde  sich  festsetze.^) 

Bezüglich  der  Pers.  von  Schlaf  und  Traum  ist  zu- 
nächst auf  die  eingangs  erwähnte  Abhandlung  von  Abert^) 
zu  verweisen,  wenn  auch  der  Verfasser  mehr  die  atUos  als 
die  comedias  berücksichtigt  und  ferner  noch  nach  Keil 
zitiert.  Leider  wird  die  Schrift  durch  zahlreiche  Druckfehler, 
namentlich  in  den  im  spanischen  Originale  angeführten  Stellen 
unliebsam  entstellt. 

Die  Schlafenden  liegen  „in  des  Schlafes  Armen^,  in 
Morpheus'  Armen  sagen  wir  wohl  besser  im  Deutschen;  in 
den  Armen  des  Schlafes  ist  der  Mensch  gleichzeitig  tot  und 
lebendig^)  oder  ein  lebender  Leichnam,  da  der  Schlaf,  ein 
blasses  Abbild  des  Todes,  der  Herr  ist  über  das  menschliche 
Leben.*) 

Träge  macht  sich  der  Schlaf  nächtlicherweile  zum  Be- 
herrscher unserer  edlen  Sinne;  wie  ein  Dieb  stiehlt  er  uns 
das  halbe  Leben  ^) ;  der  Mensch,  der  sich  ihm  ergibt,  betäubt 
seine  Sinne  ^)  und  liegt  für  kurze  Zeit  als  Leichnam  im  Grabe 
des  Schlafes.*^ 

Aus  einer  Stelle  erfahren  wir,  daß  Licht  und  Schatten, 
d.  i.  das  Zwielicht  der  Abenddämmerung,  den  Schlaf  aus 
seinen  Fesseln  befreien,  und  dieser  vertauscht  das  helle  Licht 


*)  No  es  mi4cÄo  que  tome  postas  I  En  mi  boca  la  vejeZy  Midie  o 
I,  352»  =  I,  803ff. 

»)  „Schlaf  und  Traum  bei  C." 

")  entre  loa  hrazos  del  tmeno^  Dev.  I,  68**;  en  los  hrazos  delsueno  I 
Ä  un  tiempo  muere  y  vive,  Cen.  I,  197  ^ 

*)  en  br.  del  8.  /  Vivo  cadaver  soy^  porquel  el  es  dueno  /  De  mi 
v^idUf  de  suertCy  /  Que  vi  un  pdlido  amago  de  la  muerte^  Purg.  I,  149'; 
bei  Abert  =  8.  17ö«. 

*)  es  dueno  /  De  los  sentidos  el  sueno,  /  Ladron  de  la  media  vida^ 
Dama  I,  179°;  ^Es  hoy  perezoso  el  sueno  I  De  nobles  sentidos  dueno? 
May.  encanto  I,  405'';  Castigo  III,  385°. 

•)  mi  vida  / . . .  rendida  /  Äl  sueno,  los  sentidos  desvanece,  Castigo 
m,  385«. 

')  yace  /  En  el  sepulcro  del  suefio  /  Toda  mi  casa  cadaver,  Mej. 
e$tä  I,  237*;  el  noctwno  silencio  I  Construia  ä  los  mortales  j  Breves 
sepulcros  del  suenOj  Purg.  I,  151°. 


—     108    — 

des  Tages  mit  dem  miheimlichen  Dankel  der  Nacht  ^);  dem 
einen  fällt  er  lästig  und  bereitet  ihm  Verdruß  und  Kummer, 
wenn  er  ungerufen  zu  ihm  ins  Hans  kommt  ^);  der  andere 
ergibt  sich  gerne  seinen  Schmeicheleien  %  oder  ruft  den  „Herrn 
Yon  Schlaft  zur  Gesellschaft  herbei,  um  nicht  die  Nacht  fiber 
allein  sein  zu  müssen/) 

Daneben  findet  sich  auch  die  mythologische  Darstellung 
des  Schlafes  als  Gott  Morpheus,  dessen  todbringenden  Waffen 
der  Mensch  sich  unterwerfen  muß,  wenn  jener  abgezehrte 
Schatten,  der  gleichzeitig  schmeichelt  und  schreckt,  es  ge- 
bieterisch verlangt.*) 

Das  Wort  sueno,  das  bekanntlich  sowohl  „Schlaf"  als 
auch  „Traum"  bedeuten  kann,  wird  auch  in  dieser  letzteren 
Bedeutung  personifiziert. 

In  der  Schlußszene  der  Vida  versichert  Sigismund,  ein 
Traum  sei  ein  Lehrer  gewesen  •),  und  Payo,  der  sehr  schlÄfrig 
ist,  meint  scherzhaft,  während  die  Besucher  der  Messe  einzeln, 
einer  nach  dem  andern,  daherkommen,  kämen  seine  Träume 
stets  zu  zweien.'') 

Der  Tod. 

Einen  breiten  Baum  nimmt  bei  unserem  Dichter  die  Fers, 
des  Todes  ein. 


*)  Sombra  y  luz  confusamente  j  Hacen  que  el  atado  brocke  /  De 
sambra  y  luz  desabroche  /  El  sueHo,  ya  perezoso  /  Equivocando  el  dudoso  / 
Crepusculo  de  la  noche^  Gal.  fant  I,  299*. 

*)  Cierto,  aueno,  mi  senor  /  Que  estais  cansado;  y  no  esjusto  /  Venir 
d  casa  de  nadie  /  Ä  hacer  pesar  y  disgusto.  /  i  Yo  por  Ventura  os  üami? 

Virgenl,  S3S\    In  der  Ausg.  v.  1636  fol.  125 r.  findet  sich  no 

escuBO  statt  no  es  juato. 

')  entregado  I  Ä  las  lisonjas  del  sueno,  Arginis  I,  438". 

*)  Solo  estoy  ...  8i  ya  ä  Don  Monsiur  del  su^o  /  No  Uamo  que 
me  acompane,  Banda  n,  165  ^ 

*)  Se  da  ülises  por  vencido  /  Ä  la  deidad  de  Morfeo,  /  Ä  cuyo  letal 
trofeo  I  Las  potencias  ha  rendido^  /  Haciendo  de  todas  dueno  /  Esta  mad- 
lenta  sombra  /  Qtie  ä  un  tiempo  halaga  y  asombra,  May,  encanto 
I,  405  ^ 

•)  fui  mi  maestro  un  sueno,  Vida  I,  19^  =  III,  1115. 

')  Mientras  que  los  maitinantes  /  Van  viniendo  de  uno  en  uno,  /  M%8 
smnos  de  dos  en  dos^  Vir  gen  I,  333'. 


—     109     — 

Wie  die  Schlafenden  in  den  Armen  des  Schlafes^),  so 
liegen  die  Sterbenden  und  Toten  in  den  Armen  des  Todes  ^) ; 
so  heißt  es  tom  Infanten  Don  Enrique,  der  bei  einem  Sturze 
Tom  Pferde  sich  schwer  verletzt,  er  sei  dem  Tode  in  die 
Arme  gefallen^);  Rosaura  klagt,  daß  das  Unglück  sie  un- 
ablässig verfolge  und  nicht  ruhe,  bis  sie,  vom  Schicksal 
hart  getroffen,  in  den  Armen  des  Todes  liege  ^) ;  Muley  nennt 
sich  einen  Sohn  des  Unglücks,  der  schon  auf  der  Schwelle 
des  Lebens  in  des  Todes  Armen  geboren  sei^),  während 
Astrea  von  Aurelian  rühmt,  er  habe  oft  in  blutigen  Kämpfen 
den  Arm  des  Todes  zu  müßiger  Ruhe  gezwungen,  d.  h.  er 
habe  in  den  Schlachten  die  Arbeit  getan,  die  eigentlich  dem 
Tode  zukomme.^) 

Stolz  bezeichnet  der  Riese  Fierabras  sein  Schwert  als 
die  Sense,  die  der  Tod  in  seinen  Armen  schwinge  '^,  worauf 
der  Ritter  Guido  ihm  ebenso  kühn  erwidert,  sein  starker  Arm 
sei  der  Arm  des  Todes  selbst,  der  diese  Sense  bezwingen 
werde.®) 

„Mit  dem  Tode  ringen^  ist  eine  Redewendung,  deren 
personifizierende  Kraft  gewiß  verblaßt  ist,  und  fast  ist  uns 
das  Gefühl  für  das  äußerst  anschauliche  Bild,  das  dieser 
Redensart  zugrunde  liegt,  verloren  gegangen.  Der  Dichter 
belebt  jedoch  auch  das  Erstorbene  wieder,  wenn  er  von  einem 
tödlich  verwundeten,    aber   sich   wieder   zum   Leben    empor* 


»)  8.  oben,  S.  107. 

^  aganizando  J  En  los  hrazos  de  la  muerte.  Sab  er  I,  21%  36': 
Fuente  I,  222». 

»)  Tropexando  . . ,  I  En  loa  br.  de  la  m.,  MSdico  I,  347»'  =  I,  31f. 

*)  Juuta  verme  /  Herida  de  la  fortuna  /  En  los  br,  de  la  w.,  Vi  da 
I,  11»  =  n,  866f. 

*)  Tan  hija  fui  de  desdichas  /  Desde  mi  primer  Oriente^  /  Que  en  el 
umbral  de  la  vida  I  Naci  en  brazos  de  la  muerte,  Princ,  I,  249**  = 
I,  737  ff. 

•)  Tu  que  en  sangrientas  victorias ....  Tantas  veces  de  la  muerte  ', 
El  brazo  tuviste  ocioso,  Cen.  I,  187  ^ 

^)  Del  brazo  de  la  muerte  es  esia  espada^  /  Guadana,  Fuente 
I,  212«. 

*)  Este  es  el  mismo  brazo  de  la  m,  I  Que  manda  esa  guadana, 
Fuente  I,  212^ 


-     HO    — 

raffenden  Helden  sagt,  er  ringe  mit  eingebogenem  Arme  mit 
dem  Tode  —  con  la  muerte  /  A  brazo  partido  lueJia.^) 

Bei  der  Belagerung  von  Toledo  ringen  die  verzweifelten 
Bewohner  mit  aller  Kraft  mit  dem  Tode  •),  während  der  Ge- 
fangene im  dunkeln  Kerker,  um  auch  eine  Modifikation  dieser 
Bedensart  anzuführen,  mit  den  düsteren  Schatten  und 
Schreckgestalten  mit  verschlungenem  Arm  um  seinen  Tod 
ringen  muß.*) 

Auch  ein  Antlitz  und  Hände  werden  dem  Tode  zuge- 
schrieben. 

Voll  Stolz  rühmt  sich  der  standhafte  Prinz,  ihn  werde 
nicht  des  Todes  Antlitz  schrecken*),  und  der  König  Basilius 
erklärt,  falls  der  Tod  ihn  erwarte,  so  wolle  er  ihm  fest  ins 
Antlitz  blicken.^)  Irene  beglückwünscht  den  Libio,  „er  sei 
den  Händen  des  Todes  glücklich  entschlüpft^'  ^),  und  Marlene, 
welche  den  Tod  herbeisehnt,  bittet  ihn,  er  möge  so  leise 
kommen,  daß  sie  das  Geräusch  seiner  Tritte  nicht  vernehme. ') 

Stets  trifft  der  Tod  beim  ersten  Wurfe  sein  Ziel*);  un- 
ablässig bedroht  er  den  Menschen  in  seinem  Leiden*),  wes- 
halb er  nie  des  Menschen  Freund  werden  kann.^<^)  Niemals 
läßt  der  Tod  auf  sich  warten,  nur  bei  Menschen,  die  ihn  her- 
beisehnen, zögert  er,  einzig,   um   ihnen   nicht  angenehm  zu 


')  Puente  I,  211«;  En  el  ultimo  aliento  de  mi  vida^  /  Lucho  d  hr.p. 
con  la  muerte,  Con  quienU,  2i6^j  auch  Mägico  I,  V.  715 f.,  K,,  S.  176. 

*)  llegando  ä  loa  Ultimos  extremos  /  Luchando  d  brazo8  con  la  muerte 
fiera,  Virgen  I,  334«. 

*)  d  brazo  partido  /  En  esta  löbrega  estancia  /  Luchando  estoy  de 
mi  muerte  I  Con  las  sombras  y  fantasmas^  May.  monstruo  I,  491*. 

*)  ni  me  espantaraj  El  semhlante  de  la  muerte,  Princ.  I,  248**  = 
I,  V.  Ö82f. 

*)  8t  la  muerte  me  aguarda  I  Aqui,  hoy  la  quiero  huscar,  /  Esperando 
cara  d  cara,  Vida  1,  18*  =  IH,  942  flF. 

•)  De  las  manos  de  la  muerte  j  lAhre  quedaste,  Cenobia  I,  200*. 

')  Ven,  muerte,  tan  escondida [ Que  no  te  sienta  venir,  May.  monstr. 
I,  499«;  cf.  V.  Schmidt,  S.  264.    Diese  Stelle  fehlt  in  der  Ausg.  r.  1637. 

•)  de  una  vez  la  muerte  /  El  suyo  ha  acertado  ä  todos,  Oal.  fant 
I,  303*. 

•)  Ypara  lapena  mia  /  La  muerte  treguas  no  hace,  Puente  I,  216*. 

***)  Muerte j  nunca  al  hombre  amiga,  Arginis  I,  440«. 


~  111   - 

sein^);  zu  denen,  die  ihres  Lebens  überdrüssig  sind,  kommt 
er  gewiß  nicht.  ^) 

Freilich  ist  der  Dichter  bisweilen  anderer  Ansicht,  wenn 
er  sagt:  Niemals  zögert  der  Tod,  selbst  bei  denen  nicht,  die 
ihn  erwarten ;  Nunca  tarda  /  La  muerte,  aun  para  el  mismo  que 
la  aguarda.^) 

Läßt  der  Tod  auch  grimmig  seinen  Zorn  am  Menschen 
aus  ^),  schlägt  er  grausam  den  Menschen  nieder  ^),  so  vermag 
er  nicht  zwei  Menschen  zu  trennen,  welche  die  Liebe  yer- 
einigt*);  die  Bande  der  Freundschaft  und  Liebe,  durch  welche 
die  Menschen  aneinand ergekettet  sind,  vermag  er  selbst  mit 
hartem  Stahle  nicht  zu  lösen  ^),  er  müßte  sie  denn  gewaltsam 
in  Stücke  hauen. ^) 

Von  der  Todesangst,  die  er  im  Gefängnisse  ausgestanden, 
entwirft  uns  Clarin  eine  höchst  anschauliche  Schilderung :  „Im 
Turme  eingesperrt,  deckte  ich  dem  Tode  die  Karten  auf,  um 
zu  wissen,  ob  er  mir  gibt  oder  nicht;  auf  der  Karte,  die  er 
mir  gegeben  hätte,  stand  mein  Leben  als  Einsatz;  es  hätte 
mir  wahrlich  schlimm  gehen  können.^  ^) 

Ferner  hat  Calderon  den  Clarin  zum  Träger  des  nahe- 
liegenden Gedankens  gemacht,  daß  der  Mensch  zu  keiner  Zeit 


^)  presumo  que  tarda  I  Por  no  serme  lisonjera,  Amor  L  379". 

*)  nwnca  la  nwkerte  viene  I Ä  quien  le  cansa  el  vivir,  Devocion 
I,  64»;  Arginis  I,  454^ 

»)  Banda  II,  169r 

*)  Si  e8la  muerte  quien  no8  busca,  j  Quiebre  su  colera  en  ml^  Puente 
I,  211  ^ 

^)  de  la  muerte  el  feroz  I  Golpe,  Dev.  I,  68  ^ 

*)  no  dioida  la  muerte  /  Ä  dos  quejtmta  el  amor,  May.  monstruo 
I,  484^ 

')  nudo  tan  fuerte  /  Que  no  le  pueda  desatar  la  muertej  Peor  estä 
I,  94*;  loa  brazoa  I  Cuyo  lazo  serä  nudo  /  Tan  inviolable  en  mi  pecho  / 
Que  nunca  el  acero  duro  I  De  la  muerte  le  desate,  ArgSnis  I,  449  ^ 

•)  los  hrazos  /  Cuyo  lazo  y  nudo  fuerte  /  No  desatard  la  muerte  / 
Sin  que  los  haga  pedazos,  MS  die  o  I,  357  •  =  ü,  514  ff.  —  taUs  lazos  I 
De  amiatad  y  nudo  fuerte  /  No  los  desha^e  la  muerte  /  Aunque  los  haga 
pe^dazoSy  Arg,  I,  447°. 

•)  En  una  torre  encerrado  /  Brujuleando  mi  muerte  /  Si  me  da  o  si 
no  me  da^  I  Y  d  figura  que  me  diera  /  Pasante  quinola  fuera  /  Äfi  vida . . . 
7t  da  I,  17»»  =  in,  831  ff.    Zu  dieser  Stelle  vgl.  K^  N.,  S.  28  ff. 


—     112    — 

und  an  keinem  Orte  vor  dem  Tode  sicher  sei,   und  daß  der 
ihm  gerade  ent;gegengehe,  der  ihn  zu  fliehen  trachtet. 

Zunächst  hat  Clarin  eine  unbändige  Freude,  während 
der  Schlacht  in  seinem  Schlupfwinkel  vor  dem  Tode  sicher 
zu  sein:  „Hier  wird  mich  der  Tod  nicht  finden,  hier  lache 
ich  ihn  zweimal  aus."^) 

Aber  die  todbringende  Kugel  ereilt  auch  ihn,  und  sterbend 
muß  er  sich  als  einen  Unglücklichen  bekennen,  der,  weil 
er  vor  dem  Tode  geflohen,  erst  recht  mit  ihm  zusammen- 
getroffen sei: 

Soy  un  hombre  desdichadOj 

Que  por  quererme  guardar 

De  la  nmert€j  la  busqtd, 

Huyendo  deüa^  encontre 

Con  eUüj  pties  no  hay  lugar 

Para  la  muerte,  secreto: 

De  donde  daro  se  arguye, 

Que  quien  mos  su  efecto  Imye^ 

Es  quien  se  llega  d  su  efetoJ) 
Der  Held,  welcher  unter  den  Feinden  ein  großes  Blutbad 
anrichtet  und  so  den  Tod  in  seinem  Zerstörungswerke  unter- 
stützt, wird  passend  als  „Diener  des  Todes'*,  ministro  de  la 
muerte^  bezeichnet^);  das  Schlachtfeld  heißt  auch  ieairo  de  la 
muerte,  die  Bühne,  auf  welcher  der  Tod  sein  Spiel  treibt.*) 
Auf  dem  großen  Welttheater '^)  lauert  der  Tod  hinter 
den  Kulissen,  und  wenn  die  Menschen  ihre  Rollen  ausgespielt 
haben,  dann  macht  er  alle  einander  gleich,  d.  h.  nach  dem 
Tode  hören  alle  Rangunterschiede  auf.') 

Bei  dem  hartnäckigen  Kampfe  der  Makabäer  mit  ihren 
Feinden  schaudert  sogar  der  Tod,  wenn  er  sieht,  daß  so  viele 


')  La  muerte  no  nie  hallardj  Dos  higas  para  la  muerte,  Vi  da 
I,  17«  «  m,  865if. 

2)  Vida  I,  17«  =  m,  884 ff. 

»)  Judas  L  311  ^ 

*)  Princ.  I,  248«  =  I,  602. 

*)  el  gran  teatro  del  mundo,  Vida  1,  12^  =  II,  1087. 

•)  como  el  papel  se  acahe,  /  La  muerte  en  el  vestuario  /  Ä  todos  los 
deja  iguäles,  Sab  er  I,  24  ^ 


—     113     — 

Menschen  ihn  mehr  bekämpfen  als  ihm  Tribut  liefern^);  der 
tapfere  Lisidas  vermochte  mit  seiner  donnernden  Stimme 
selbst  den  Tod  zu  yerscheuchen  ^),  und  Dedo  wünscht  dem 
Aurelian^  es  möchten  ihm  aus  Jaspis  und  Erz  so  lebenswahre 
Statuen  errichtet  werden,  daß,  wenn  der  Tod  ihn  heimzuholen 
gedenke,  er  sich  in  ihnen  getäuscht  finde,  d.  h.  sich  an  diesen 
Statuen  vergreife,  statt  an  der  Person  des  Aurelian,  und  dieser 
also  ewig  leben  bleibe.')  Ahnlich  heißt  es  von  Leonor,  die 
trotz  Schmerzen  und  Betrübnis  am  Leben  geblieben,  sie  habe 
in  den  schützenden  Händen  des  Lebens  den  Tod  zum  Besten 
gehalten.^) 

Endlich  ist  noch  hinzuweisen  auf  das  Bild  vom  „Buche 
des  Todes",  aus  welchem  der  König  von  Fez  in  blutiger 
Schlacht  das  schönste  Blatt  herausreißen  solP);  auch  nennt 
der  Riese  Eierabras  seinen  krummen  Säbel  „ein  aus  dem 
Buche  des  Todes  losgerissenes  Blatt"/) 

Haben  wir  uns  in  diesem  Kapitel  zunächst  mit  dem 
menschlichen  Körper  und  seinen  Teilen,  mit  den  Betätigungen 
und  Zuständen  seiner  physischen  Existenz,  sowie  mit  dem 
Ende  derselben,  dem  Tode,  beschäftigt,  so  wollen  wir  jetzt 
die  Fers,  der  menschlichen  Seele  und  ihrer  Betätigungen,  die 
Fers,  von  Gedanken  und  Grefuhlen  des  Menschen  betrachten. 

Die  Seele. 

Die  Seele  wohnt  im  menschlichen  Körper,  aus  welchem 
sie  entflieht;   sobald  sie  eine  Tür  darin  geöffnet  sieht;  durch 


^)  Horror  ä  la  miama  muerte  /  Dard  el  Uutimoao  iniulto  /  Vtendo 
que  tantos  la  ofrecen  j  Mas  bataüa  que  tributOj  Judas  I,  324 ^ 

•)  LiHdaa  fuerte^  /  A  cuya  voz  se  rtHrd  la  muerte,  May,  encanto 
I,  407  ^ 

*)  en  jatpe  y  hronce  fuerte  /  Estatuas  tengas  tan  beUas  /  Que  yendo 
d  matarte  en  eücu  I  Se  halle  burlada  la  muerte,  Cenobia  I,  188  ^ 

*)  Leonor  . . .  /  D^6  la  muerte  burlada  /  En  loa  manos  de  la  vida, 
Ä  Beer,  agr,  I,  609^ 

^)  del  libro  de  la  muerte  /  Deaate  la  mejor  hoja,  Princ.  I,  247*  = 
I,  369  f. 

*)  eata  cuchiUa  corva  /  Que  ea  del  libro  de  la  muerte  /  Deaencua- 
demada  koja,  Fuente  I,  222  ^ 

Mttnohener  Beiträge  z.  romanischen  n.  engl.  Philologie.    XXXII.     8 


—     114    — 

den  :anb6ilvöll0ii  Mund  mian:  Wunde  h&uckt  sie  ikre  Lebei»- 
'igoäster  aus.^) 

So  "vramt  Tolomeo  den  Tetrarchen,  ihm  den  Ünglücto- 
^ch  aufi  A&T  Wonäe  zu  zieheü,  damit  seine  Seete,  wesan  «n 
4ie  Tüi'  geöffiiet  sehe,  nicht  ihren  Geist  ao^aache^,  und 
4e[  zum  Tode  ?eFwimdete  lisardo  seaM:  Meine  9eele,  glsab' 
rcAi,  zögert,  ans  dem  Körper  sni  entfliehen,  da  sie  bei  sovieden 
^r€fn  nicht  weiß,  welche  die  redite  ist.^ 

Oft  .tritt  die  Seele,  wie  das  Herz,  m  'TirlKiieii  aufgelöst, 
'M%  den  Allgen,  den  „Toren  der  Seele"*),  herror*);  und  wii*4 
auch  der  Körper  ins  Grab  gelegt,  so  herrscht  dennoch  im 
äitomel  die  Seele.*) 

Die  >8eele  isrt;  der  ^itz  der  Gedanken  und  der  GeiFiiUe, 
die  im  Mensdhen  bald  wirr  miteinander  kämpfisn  und  stUrmiscli 
hin  nnd  herwogen  '^,  bald  auch,  zaghaft  wie  sie  eond,  einen 
Bürgerkrieg  miteinander  führen.*) 

Wie  Aeneas  seinen  Vater  Anchfees  ans  dem  brennenden 
Troja  rettete,  so  muß  auch  der  Infant  Don  Enrique  sdae 
^Gefühle  in  Sicherheit  bringen,  bevor  er  in  seiner  Liebe  su 
Dofia  Mencia  sich  ai  weit  vergißt : 

^Estäse  Troya  (xrdiefido  j  Y  Eneas  dB  mis  senMdos  /  He  de 
Kbrarlos  de  fuego.t^) 

Die  Menschen  sollen  zuzeiten  in  einem  Selbstgespräche 
die  Seele  und  die  Gefühle  ziur  ^ohenschaft  ziehen. ^^) 


^)  Con  quien  11,  246»»;  siehe  S.  106^. 

')  Este  jpunal  no  me  saques  j  Forque  al  ver  la  puerta  abierta  /  Su8 
espiritus  no  exhale  I  El  alma,  May.  mönstruo  I,  482*. 

')  el  alma  pienso  que  eapera  /  Ä  salir  porque  entre  tantas  /  No  sähe 
cuäl  €8  la  puertOy  Devocion  I,  56*. 

*)  lae  pwRftas  l  Del  alma,  que  eon  los  ojoßy  MSdico  I,  367^  -a^ 
tl,  575  f. 

*)  en  despojos I  El  alma  sale  ä  los  ojos,  Astral.  I,  582*. 

*)  Dad  al  cuerpo  sepultura  /  Futs  reina  en  el  delod  ahnaj  Ca  st  ig  o 
m,  394*. 

')  en  mi  mis  pensamientos  /  Pelean  confusamente  /  Por  Uegarse  y 
por  Äwir,  Saber  I,  21^. 

•)  confusa  entre  mi  /  Cöbardes  mis  pensatnientos  /  TVo^n  una  guerra 
civil  Puente  I,  206«. 

*)  Medico  I,  348«  =  I.  242ff. 

*®)  un  soliloquio  reverendo  j  En  que  Iktfyhos  ä  cuentas  /  AI  ahna  y 


^       115     .r^ 

Das  mäcbttgste  QefüU,  das  den  Mensoheix  beaeeH;  ist 
AweHellos  die  Li e b e ,  and  da  diese  in  den  Drangen  •Cijdf^pn^s 
euke  IkttTOiTag^de  Bc^le  spielt,  so  .darf  es  uns  nicht  wunder- 
Mlunen,  wenn  wir  sie  oft  personifiziert  finden.  Fast  «tots 
tritt  uns  amor  hierbei  in  der  mythologischen  QestaH  des  liiehe^^ 
eettes  epfegegen,  der,  ein  blinde  kleiner  Schelm,  der  Sohfi  des 
Mars  und  der  Venus,  mit  seinen  Pfeilen  und  dem  Bogen  yiel 
Unheil  unter  .den  Menschen  anrichtet. 

In  fajst  «Uen  'Stellen,  in  wel<^n  ütmr  p^yrsonifiniert  wird, 
finden  «wir  emes  oder  meliere  der  dben  genannton  charak- 
lerUtiachen  Momente  bald  mehr,  bald  minder  .deutUofa  aus- 
geführt. 

Zunächst  suchen  wir  zu  erfahren,  wer  Amor's  £lten^  ge«- 
jwesen  seien.  Nach  der  Aussage  der  länen  jst  Amor  der 
Sohn  des  Mars  und  der  Venus;  andere  sagen,  Adonis  ^ei 
sein  Vater  ^),  denn  sein  stolzes  Wesen  schliejje  yoUkosnmen 
aus,  daß  er  als  der  Sohn  eines  gewöhnlichen  Grobsohnueds 
gelte.  Tapfer  und  mutig  wie  er  ist,  kann  er  nur  den  Kriogs- 
gott  zum  Vater  haben  *),  da  er  in  dessen  Armen  aufgewachsen, 
Yon  frühester  Kindheit  an  die  Furcht  vor  Krieg  und  JSxiegs- 
geschrei  abgelegt  hat.^ 

Dagegen  sind  wohl  alle  einig,  daß  Venus  die  schöne 
Mutter  sei,  welcher  der  kleine  Gott  Amor  als  Sohn  gehorcht.^) 

Zahlreich  sind  die  Stellen,  in  welchen  auf  Amor's  Pfeile 
und  seinen  Bogen  angespielt  wird. 


los  sentidoSy  Ftor  estäl,  95*;  ObligciindoU  ä  enaayar  j  SolüoquioSj  y  & 
llamar  /  Los  sewUdos  eada  dia  /  Ä  cumtas,  Banda  II,  165^ 
^)  Muchas  vsces  oi  que  Amor  vmdado 

Hijo  de  Marte  y  Venus  ha  nacido  .... 
Otros  dieen  que  Adonis  le  ha  engendrado . . . 

Feor  estd  I,  Ö9\ 
*)  Los  que  le  finden  valienite,  /  Fora  que  el  nambre  le  cuad/re,  /  Ik 
dan  d  Marifi  por  padre:  /  Que  su  orguUo  no  conaiente  /  Ser  hijo  de  un 
vü  herrero,  Sitio  I,  120V 

')  Amor,  al  fin,  que  no  teme  \  Los  escändalos  y  estruen^  /  Be 
Marte  (que  desde  niüo  /  Le  tiene  perdido  el  miedo,  /  Como  se  crio  en  sus 
brazos),  Con  quien  II,  236°. 

*)   Venus . . .  Hermosa  madre  de  amor  . . .  Dile  d  aquese  nino  dios 
Si  te  obedece  por  hijo,  Amor  I,  378**. 

8* 


—     116     — 

Wie  eine  lichte  Flamme,  wie  ein  behender  Blitz  strebt 
er  mit  seinem  Bogen  gerade  nach  dem  Widerspenstigsten  als 
seinem  Ziele  ^)^  in  seinem  Übermute  weiß  er  auch  stets  das 
höchste  Ziel  zu  treffen*);  selbst  Fürsten  und  Könige  sind 
Tor  seinem  Geschosse  nicht  sicher. 

So  gibt  er  voll  Stolz  dem  Herzoge  von  Florenz  zu  ver- 
stehen, 

„Eün  Blitz  sei  jeder  Pfeil  von  seiner  Hand, 
Da  er  wie  Blitze  pflegt  in  wilden  Wettern, 
Hohes  zu  treffen,  Gipfel  zu  zerschmettern.'^ ') 
Hat  der  König  von  England  auch  bisher  geglaubt,   daß 
Amor,  wenn   er  auf  einen  König  ziele,  goldene  Pfeile  und 
Geschosse  verwende,  so  wird  er  bald  eines  Besseren  belehrt: 
auch  für  ihn  gibt  es  keinen  Widerstand  mehr,  seitdem  Amor 
auf  des  Königs  Liebesglut  Pfeile  aus  Schnee  absendet.^) 

Stets  ist  Amor  in  seinem  Eifer  bereit,  nach  den  Menschen 
seine  Pfeile  zu  schleudern*);  wenn  ein  Pfeil  nicht  ausreicht, 
um  das  Ziel  zu  treffen,  dann  legt  er  deren  zwei  auf  seinen 
Bogen ;  erscheint  ihm  ein  Sieg  besonders  schwer  zu  erringen, 
dann  sendet  er 

Von  des  Bogens  Elfenbeine 
Mit  mehr  Kraft,  Geschick  und  List 
Widerhaken  zwei  je  zwei, 
Federn  ohne  Maß  und  Ziel^), 
so   daß  jedermann  sich  ihm  unterwerfen  muß.     Selbst  alte 


^)  es  una  ardiente  llama  / . . .  es  un  rayo  sutil^  /  Que  en  lo  mos 
rehelde  siempre  I  Va  anhelando  por  herir^  Puente  I,  206». 

*)  es  un  rayo  sutil  /  Qi*e  con  arrogancia  sabe  /  Lo  mos  eminente 
herir,  Arginis  I,  454^ 

■)  Bien  el  amor  hoy  del  poder  se  venga  /  Dando  ä  entender  ufano  / 
Que  es  rayo  cada  flecho  de  su  mano,  /  Fues  como  rayo  que  violento  pasa  / 
Lo  altivo  hiere  y  lo  eminente  ahrasa,  Banda  II,  159*». 

*)  Toda  mi  vida  pensi  /  Qtie  amor,  cuando  d  un  rey  se  atreve  / 
Fhchas  de  oro  y  rayos  mueve ;  /  ^  Mas  quS  resistencia  aguardo,  /  Si  para 
el  fuego  en  que  ardo,  /  Hoy  vibra  rayos  de  nieve?  Amor  I,  369'*. 

*)  estd  I  Siefnpre  flechado  tu  ardor,  Mej.  estä  I,  238 •. 

•)  por  juzgarme  imposible  /  Victoria,  con  mas  ardid,  /  Con  mas  poder, 
con  mas  fuerza  /  Flecho  el  arco  de  marfil  I  Harpones  de  dos  en  dos  /  Y 
plumas  de  mil  en  mil,  Puente  I,  206»;  Schlegel  II,  177. 


^     117     — 

Leute  können  sich  seiner  meuchlings  geschleuderten  Pfeile 
nicht  erwehren;  er  ist  feige  genug,  daß  er  auch  an  den  Be- 
siegten seine  Macht  erprobt,  obgleich  Menschen,  welche  die 
Last  der  Jahre  fühlen,  für  seine  Pfeile  ein  unwürdiges  Ziel 
sind.^) 

Manchmal  legt  Amor  seinen  Bogen  und  seine  Pfeile  ab 
und  tötet  mit  Feuerwaffen^;  als  er  ehedem  mit  Pfeil  und 
Bogen  die  Herzen  traf,  da  starb  die  Seele  langsam  dahin 
in  dumpfem  Liebesschmerz,  doch  seit  der  Erfindung  des 
Schießpulvers  kann  er  mit  seinen  Feuerwaffen  den  Menschen 
in  einem  Nu  besiegen,  denn  Feuerwaffen  wirken  schnell'); 
auch  spannt  der  grausame  Liebesgott,  seines  Bogens  und 
seiner  Pfeile  müde,  um  den  Liebhaber  zu  fangen,  ein  Netz 
aus,  worunter  der  Galan  die  lang  herabwallenden  Haare  seiner 
Geliebten  versteht.*) 

Wenn  ein  Liebender  bei  seiner  dama  keine  Gegenliebe 
findet,  dann  hat,  einem  alten  spanischen  Volksliede  zufolge  % 
Amor  die  Herzen  der  beiden  seit  früher  E^indheit  mit  zwei 
verschiedenen  Pfeilen  getroffen  %  und  zwar  den  einen  Menschen 
mit  einem  Pfeile  aus  Gold,  der  süße  Liebe  erweckt,  den 
anderen  mit  einem  Pfeile  aus  Blei,  der  Widerwillen  und  Ab- 
neigung erregt.^ 

Die  weiße  Hand  seiner  Geliebten  sieht  ein  Galan  als  den 


^)  tan  cobarde  ha  sido  /  Que  8u  violericia  prueba  en  un  rendido  . . . 
Banda  II,  1Ö9^ 

*)  Depuesto  el  arco  y  depueato  /  El  arpon^  quiso  tal  vez  /  Matar  con 
amiaa  dt  fuego^  Con  quien  U,  23ö^ 

')  Cuando  amor  con  arco  y  flecha  /  Los  corazones  heria^  /  Espacio  el 
alma  tenia  /  Para  morir  satisfecha  /  De  un  blando  dolor;  despues  /  Que 
pölvora  «c  inventOj  /  Y  anmu  de  fuego  tomo^  /  Hace  el  efecto  que  ves;  / 
Y  aai  en  un  pwnto  amor  ciego  /  Vence  ya . , .  Lances  I,  37';  cf.  Paach 
7,  S.  17». 

*)  Doradas  hebras  al  viento  /  Flechaba,  que  amor  cruel^  /  Cansado 
del  arco  y  flechaj  Trocö  la  aljdba  ä  la  redy  Lances  I,  40^ 

»)  Siehe  K^,  S.  213. 

*)  amor  en  nuestras  nitieces  / . . .  JStrio  nuestros  corazones  /  Con  ar- 
pone»  diferenteSj  Princ,  I,  249^  =  I,  760flf. 

')  Labrö  el  oro  en  mis  entranas  /  Dulces  lazos,  tiemas  redes,  /  Mihi- 
iras  el  plomo  en  las  suyas  I Libertades  y  desdeneSy  Göngora^  El  Es- 
panol  de  Oran,  siehe  Ki,  Anhang,  S.  291. 


—    118    — 

£!'öoher  an,  wachem  Amor  sein«  Pfeil»  yerdanke  ^) ;  eia  an* 
deper  schildert  seiti  Idebesw^rben  tun  eine  schöne  Dame  aU 
ein^n  regelrechten  Krieg,  in  welchem  Amot  dev  AnfHbxer 
sei^  indes  das  Heer  an»  Tränen,  Uebesqualen^  Seufzern,  aus 
Liebesgedanken  und  Liebessorgen  bestehe ;  als  Vorhut  komme 
Se  JßnttäuBchung,  al6  größt<er  Kanonier  das  Herz,  während 
die  Augen  Schildwache  stehen.^) 

Amor  ist  mächtiger  als  alle  Könige,  er  ist  der  Allein« 
herrscher  auf  Erden,  denn  seine  Macht  bändigt  Beiche  und 
bricht  Gesetze  ') ;  dennoch  ist  er  ein  schlechter  Ghrammotiker, 
da  er  bisweilen  eine  handelnde  Person  zu  einer  leidenden  machte 
d.  i.  Aktiv  und  Passiv  vertauscht^);  auch  tritt  er  alaMaler^) 
auf,  der,  wenn  er  für  gewöhnlich  mit  feurigen  Zügen  seine  Bilder 
in  die  Brust  des  Menschen  malt,  sie  auch  wieder  austilgt.^) 
Mit  Becht  auch  nennen  ihn  die  Leute  einen  Dieb^  oder  einen 
Straßenrättber  %  da  er  die  Menschen  auf  dem  Wege  überfällt 
und  sie  mit  den  Banden  der  Liebe  fesselt;  treffend  winl  er 
ferner  mit  einer  Sirene  verglichen,  deren  klagende  Stimme 
wunderiieblich  tönt  und  dabei  doch  voller  Verrat  steckt.*) 

Amor  ist  weiterhin  ein  durchtriebener  kleiner  Schelm, 
der  alle  Schliche  und  Umtriebe  kennt  ^^) ;  er  ist  unbesie^ar, 

^)  Dadme,  senora,  vuestra  blanca  manOj  /  Aljaba  d  guten  amar  8U8 
flechas  debe^  Peor  estd  T,  99*. 

*)  vierten  aliatados  /  Para  amaroa  y  serviros,  /  Lägri^nas^  penas, 
äü8piro8f  I  Pensamientos  y  cuidados.  /  Por  capitan  viene  amor,  j  Btawlto 
d  cualquiera  dano^  /  Y por  cabo  tl  desengano ,  Lances  I,  38*. 

■)  ÄmoTy  amor^  tu  rigor  /  Reinos  vence  y  qtiiia  leyes:  /  Maa  puede 
amor  que  loa  reyeaj  Solo  ea  monarca  el  amor^  Banda  IT,  164°. 

*)  Barbariamo  de  amor  grande^  /  Salir  d  ver  y  aer  viata ;  j  Puea^  mal 
grdmaticOy  aabe  /  Peraona  hacer  que  padece  j  De  la  peraona  que  hace, 
Gal  fant.  t,  291  ^ 

^)  Amor,  que  ea  pintor^  Dama  I,  182*. 

•)  aunque  amor  con  fd^lea  enojoa  /  Deade  elpecho  d  loa  ojoa  /  Linecta 
de  fuego  cörraj  Ahora  no  dibuja,  aino  borra^  Peor  eatd  I,  100*. 

')  Dignamente  /  Ladron  al  amor  le  llaman^  Caatigo  III,  386  *•; 
May.  monatruo  I,  492*. 

*)  Ciego  el  amor  oa  previno,  /  Pora  aer  mi  aalteadoraj  Caaal,  129 ^ 

^)  jAy  amor^  falaa  airena^  /  Cuya  queja^  cuya  voZj  / . . .  DulciHma- 
mente  auena^  /  T  eatd  de  traicionea  llena!  Sab  er  I,  28^ 

*®)  i  Que  pueda  un  dioa  nino  aabio  /  Con  trazaa  y  autilezaa?  Banda 
II,  164*. 


~    119    — 

denn  keine  Macht  Tennag  die  Liebe  zxl  bezwingen;  nicht 
kennt  die  Liebe  Unmöglichkeiten,  da  sie.  sieghaft  alle  Hinder- 
nisse aus  dem  Wege  räumt.  ^)  Die  Liebe  macht  im  Notfalle 
den  Menseben  zum  Tyrannen^)  und  triumphiert  sogar  über 
den  Tod,  wenn  auch  beide,  wie  die  Sage  geht,  von  demselben 
Baume  ihre  Pfeile  absehneiden,  da  sie  mit  ihren  Geschossen 
weder  auf  Zeit  noch  auf  Personen  Bticksicht  nehmen.^) 

Den  Wettstreit  zwischen  der  Liebe  und  dem  Tode,  um 
zu  ergründen,  wer  von  den  beiden  die  größere  Macht  besäße, 
sowie  den  endgültigen  Sieg  der  Liebe  schildert  uns  der 
Dichter  in  einem  Sonette,  dessen  Inhalt  „wohl  zu  dem  tief- 
sinnigsten gehört^  was  ^e  in  Worte  geüaßt  ist''/) 

Einst  stritten  Tod  und  Lieb^  um  zu  erkunden 
WeK  an  Gewalt  den  andern  überrage, 
Da  beider  Pfeilen  ja,  nach  ewiger  Klage, 
Kein  Leben,  keine  Freiheit  sich  entwunden. 

Jelzt  eine  Schönheit,  wie  noch  nie  gefunden, 
Eradivf  die  Lieb' ;  es  lag  ihr  Sieg  am  Tage ; 
Die  aber  fiült  der  Tod  mit  einem  Schlage, 
Und  Lieb'  und  Schönheit  seh'n  sich  überwunden. 

Die  Liebe  nun,  zwar  hierin  überboten, 

Ließ  zartem  Blech  ein  göttlich  Bild  entschweben^), 

Dem  nur  umsonst  des  Todes  Pfeile  drohteiL 

Drum  soll  den  Preis  mit  Recht  die  Lieb'  erheben. 
Denn  sie  beherrscht  die  Lebenden  und  Toten, 
Allein  der  Tod  nur  jene,  die  da  leben. ^) 


^)  Xo  al  hay  amor  imposibks;  I  Todo  h  venceyh  allaiMf  Ästrol. 
I,  ö8ö";  JudaB  I,  816»;  —  como  dio9  m  fin,  /  Triunfa  de  todo  üsspues, 
Banda  II,  170«. 

')  Amor  sw  twa^o  tnuma^  Dev.  I,  Q2\ 

*)  Por  no  dütinffuir  lo9  Hempo9  /  Ni  loa  per8ona8y  «e  cuenta  /  Qye 
de  un  arbol  mimto  eortan  /  La  muerte  y  amor  wb  fiechaa^  Gal.  fant, 

*)  VaL  Schmidt,  S.  268. 

^)  d.  li.  die  Liebe  schafft  das  Bild  einer  schönen  Frau. 

«)  May.  monatruo  I,  486*;  öries,  S.  234/35. 


—     120    — 

La  muerie  y  d  amor  una  lid  dura 
Tuvieron  sobre  cudl  era  mas  fuerte, 
Viendo  que  d  sus  arpones  de  una  suerte 
Vida  ni  libertad  viviö  segura, 

Una  hermosura  amor  divina  y  pura 
Perficionö,  donde  su  triunfo  advierte; 
Pero  borrando  tanio  sol  la  muertey 
Triunfo  asi  del  amor  y  la  Iiemiosura, 

Vi&ndose  amor  entönces  excedido, 

La  deidad  de  una  Idmina  apercibe, 

A  quien  borrar  la  muerte  no  ha  podido. 

Luego  bien  el  laurel  amor  reHbe, 

Pues  de  quien  vive  y  muere  dueno  ha  sido, 

Y  la  muerte  h  es  solo  de  quien  vive. 

Ans  zahlreichen  Stellen  erfahren  wir,  daß  Amor  blind 
ist  ^) ;  ist  er  doch  schon  mit  yerbundenen  Angen  auf  die  Welt 
gekommen  ^ ;  er  ist  ein  blinder  kleiner  Gott  ^  oder  ein  blindes 
Kind,  das  die  glimmende  Asche  des  Liebesfeuers  stets  zu 
neuer  Glut  entfacht^) 

Da  nun  Amor  blind  ist,  so  hat  ihm  der  Himmel  als 
Führerin  die  Eifersucht  gegeben;  diese  führt  ihn  nach  ihrem 
Gutdünken  wohin  sie  will,  und  er  hat  ihr  willenlos  zu  ge- 
horchen und  ihren  Worten  zu  glauben.'^) 

Mit  Recht  nannte  die  Heidenwelt  die  Liebe  einen  Gott  % 
und  Amor  ist  bis  heutzutage  heidnisch  geblieben ''),  so  daß 
ein  Galan  von  einer  schönen  Dame  sagen  kann,  sie  sei  in 
ihrem  Gebaren  so  heidnisch  —  tan  gentil  —  gewesen,   daß, 

*)  amor  es  ciego,  Astrdl  I,  576 ^ 

")  Amor  vendado  I .  . ,  ha  nacido,  Peor  estä  I,  99** 

•)  ciego  dioSf  Banda  IT,  151®. 

*)  Amor,  nino  ciego,  I  Las  cenizas  sopld  y  avivo  el  fuego,  Banda 
n,  156^;  „Liebesfeuer",  vgl.  M6dico  I,  348*  =  I,  129ff. 

^)  pintan  al  Amor  ciego  y  vendado,  /  Ä  quien  dieron  los  eielos,  /  Para 
que  le  guiasen,  ä  los  celos.  /  Mozos  de  ciego  han  sido ....  Eüos  han  con- 
ducido  I Ä  Amor  por  donde  quieren;  y  el  svjeto  ....  Peor  estä  1, 106'. 

«)  /  Que  bien  la  gentilidad  j  Llamaba  dios  al  amor!  Amor  I,  371*. 

^]  amor  hasta  hoy  es  gentil,  ibd.  I,  374*. 


—     121     — 

da  sie  Amor  als  ihren  Gott  verehre,  sie  gleich  ihm  keinen 
Glauben  habe,  wobei  tgentüi^  doppelsinnig  sowohl  ,,heidni8ch^ 
als  auch  „edel,  hübsch,  nett^  bedeuten  kann.^) 

Auf  ein  glücklich  liebend  Paar,  auf  schöne  Menschen 
überhaupt,  ist  sogar  Amor  neidisch.  „Selbst  Amor  darf  mich 
um  meine  Liebe  zur  schönen  Zares  beneiden^ '),  meint  Jo- 
natas  hochbeglückt,  und  der  wackere  Ritter  Guido  von  Burgund 
ist  ein  tapferer  Jüngling,  auf  welchen  selbst  Amor  neidisch  ist.^) 

In  engster  Verbindung  mit  der  Liebe  steht  eine  häßliche 
Leidenschaft,  die  Eifersucht,  die  Calderon  wohl  mit  Recht 
„das  größte  Scheusal  der  Welt^  nennt>) 

Schon  wissen  wir,  daß  die  Eifersucht  den  blinden  Amor 
leitet,  wie  und  wohin  es  ihr  gut  dünkt  ^) ;  in  dem  Belagerungs- 
kriege, den  Amor  gegen  spröde  Schönen  zu  befehligen  hat*), 
ist  die  Eifersucht  der  Baumeister,  der  die  Minen  anlegt,  da 
die  Eifersucht,  argwöhnisch  wie  sie  ist,  auch  das  Verborgenste 
aufzuspüren  pflegt.  Keine  ihrer  Kriegsmaschinen  arbeitet 
erfolglos,  da  sie  im  Liebeskriege  ihre  listigen  Anschläge  sogar 
unter  der  Erde  hervorholt.') 

Leise,  mit  Diebesschritten  schleicht  die  Eifersucht  herum  ^), 
genügt  doch  ein  Windhauch,  um  bei  einem  mißtrauischen 
Menschen  Eifersucht  zu  erregen*);  einem  Astrologen  gleich 
spiegelt  sie  dem  Menschen  Wahngebilde  vor,  die  doch  nicht 
zutreffen,  weshalb  man  ihr  nie  trauen  soll: 


*)  en  todo  tan  gentil  fui  /  Que  con  ser  amor  su  dios  /  Con  amar 
no  tuvo  fiy  Lances  I,  40^ 

*)  dejo  dl  mismo  amor  I  Envidioso  de  mi  hien,  Judas  I,  322*. 

•)  Aquel  pues  valeroso  /  J6ven,  que  al  mismo  amor  deja  envidioso 
Es  el  ilustre  Guido  de  Borgona,  Puente  I,  205 ^ 

*)  El  mayor  monstruo  dd  mundo,  ursprÜDgl.  Titel  der  comedia 
(H  1,  481  ff.). 

*)  Mozos  de  ciego  han  sido  .  .  .  Peor  estä  I,  106;  s.  S.  120*. 

•)  8.  S.  118,  Z.  3  von  oben. 

')  Para  hacer  niinas,  tambien  j  Conmigo  vienen  los  celos,  /  Porque 
»iempre  sus  desvelos  /  Lo  mas  escondido  vefi :  /  Ingenieros  son,  d  quien  / 
Ninguna  mdquina  yerra,  /  Pues  en  la  amorosa  guerra  /  Saca  ä  luz  su 
resplandor  I Estrdtagemas  de  amor  I  De  debajo  de  la  tierra^  Lances 
I,  38*. 

*)  Tienen  los  celos  pasos  de  ladrones,  Midico  I,  369"  =  11,  875. 

•)  basta  I  Para  dar  celos  el  viento,  Argenis  I,  451*. 


-     122    — 

*     „ist  fSifersucht 
In  der  Tat  ein  Astrolog, 
Glanby.  o  glaub  nicht  dea  Gespenstem, 
Die  ihr  böser  Zauber  wob.**  ^) 

Von  den  Gefühlen  des  Menschen  werden  feiner  der 
Schmerz  und  die  Furcht  personifiziert. 

Oft  legt  der  Schmerz  dem  Menschen  ein^  Knebel  auf 
den  Mund  und  einen  Strick  um  den  Hals  und  macht  ihn  so 
zum  Handeln  unfähig  ^),  ja,  bisweilen  wird  er  gar  zum  Mörder 
an  dem  Menschen.^ 

Die  Furcht  bemalt  die  Wangen  des  Menschen  mit 
Purpurfarbe^  so  daß  dieser  seine  Angst  nicht  verheimlicheo 
kann  ^) ;  sie  lehrt  ihn  trefflich  singen  ^)  oder  hält  dem  Feigen 
die  Hände  gefesselt,  so  daß  er  sich  nichts  zu  unternehmen 
getraut^;  auch  hält  sie  ihn  im  entscheidenden  Augenblicke 
mit  den  Fesseln  der  Beklemmung  am  Fuße  fest.^  Der 
Mutige  indes  wird  der  Furcht  trotzig  ins  Auge  schauen.^) 

Einem  Könige  gleich  beherrscht  der  Schrecken  bisweilen 
die  Sinne  des  Menschen;  ist  der  eine  Schrecken  vorbei- 
gegangen, so  tritt  rasch  der  nächste  als  Vizekönig  an  seine 
Stelle.^      Der    Schrecken    über    eine    begangene    Schandtat 


')  81  loa  celos  hicieron  /  Tctl  figura,  porque  aon  /  ABtr4loQ08,  por  lo 
miamo  /  No  dehea  creerloa,  no,  Peor  eatä  1, 104*;  Malsburg  I^  S.31fi. 

')  El  dolor  I  Me  atMpendid  con  poner  /  üna  mardaza  o»  la  kngva^  / 
Y  en  la  garganta  un  cordel,  Cenobia  I,  202  ^ 

*)  mi  dolor,  I Eate  aerd  mi  homieida,  Cenobia  L  192 ^ 

^)  6  Q^  ^^^  procwraa  /  Detmentir  eaoa  colorea  /  Qm  en  tua  rntjUlas 
dibuja  I  El  temor?  X an ee<  I,  42°. 

*)  /  Q^  9^o.n  müaico  ea  el  miedo!  Dama  1, 177*:  der  Diener  Cosme 
flingt  in  seiner  Angst  vor  dem  Kobold  ein  Kinderlied. 

*)  Atadaa  las  manos  I  Me  tiene  un  temoTy  Cenobia  I,  203*. 

')  el  temor  nie  tiene  I  Con  grilloa  de  miedo  al  piiy  Fr  ine.  I,  255** 
=  II,  762 f.  —  ApenM  las  plantaa  puedo I  Mooer,  que  el  miamo  temor/ 
Griüoa  ä  mia  püa  ha  puesto,  JJevocion  I,  63'';  ef.  el  harror  y  el 
eapanto  /  Son  de  mia  plantaa  priaionea,  Sab  er  I,  20 ^ 

^]  baatara  aer  dos  portuguesea  /  PartvctdareSy  para  no  haber  viato  / 
La  cara  al  miedo,  Fr  ine.  I,  250*  =  I,  865  ff. 

*)  No  dtjea  tan  preauroso  /  For  vWey  en  mis  aenOdos  /  Ün  aaombro 
de  otro  aaombro,  GaL  fant.  I.  302 ■. 


—     123    — 

ziiehtigjb  den  Mensehea  und  wird  an  ihm  zom  kähnen  nnd  ge- 
waltigBn  Henker.^) 

An  einer  Stelle  wird^  nm  dies  hier  anmifügen,  die  Gefahr 
personifiziert. 

Die  Grefahr  ist  Herrscherin  über  Wasser  nnd  Land;  auf 
den  Meere  wie  auf  dem  Festlande  hat  sie  ihr  Beich  gegründet; 
sie  kann  dies  beweisen^  indem  sie  sieh  auf  dem  Meere  ndt 
den  Trümmern  der  Schiffe  bekrönt  und  auf  dem  Lande  sich 
mit  so  mancher  Not  umgürtet.^) 


Kapitel  IIL 

Die  Personifikation  Ton  abstrakten  BegrilTeii. 

In  der  Fers,  der  abstrakten  Begriffe  nehmen  die  Stellen, 
in  welchen  das  Schicksal,  sowie  das  Glück  und  das 
Unglück  personifiziert  werden,  den  breitesten  Raum  ein. 

Das  Schicksal. 

Stets  sind  die  Menschen  dem  Zorne,  stets  der  Wut  eines 
allzustrengen  Schicksals  ausgesetzt");  stets  züchtigt  das 
grausame  Schicksal  den  Unschuldigen  und  nicht  den  mit 
Schuld  Beladenen^),  denn  es  ist  die  Art  des  Schicksals  und 
die  Pflicht  der  Glücksgöttin,  den  Menschen  zu  züchtigen  ohne 
Schuld.») 

^  (Ä  fm  paMa  fui  iraidarj  Lleg6  ü  rigor  /  A  ea§Ugarme  y  ä 
8er  I  Mi  verdugo  osado  y  fuerte,  Cenobia  I,  200*. 

*)  d  peligro  j  Eb  de  mar  y  tierra  dueno,  /  Parque  en  la  iierra  y  el 
mar  /  Tiene  el  peligro  su  imperio :  /  Digalo  alUf  coranado  [  De  tarUas 
naufragio»  cierto$,  /  Y  aqui  lo  diga,  cefiido  /  De  tantoe  preeisos  riesgos, 
May.  eneanto  I,  391®. 

^  Siempre  d  la  cdlera  expueetos,  /  Siempre  eapueetoe  d  la  $aHa  /  De 
loe  hadas  rigurosoB,  May,  eneanto  I,  401*. 

*)  Siempre  aevero  el  hado  /  Castiga  al  inocenU,  no  al  eulpado, 
Saher  I,  SO*. 

^)  da/r  fin  exdpa  castigos  /  Es  inclifiacion  del  hado  f  Y  e$  de  la 
fortuna  oficio,  Saher  I,  31*. 


—     124    — 

Nicht  achtet  das  Schicksal  menschliche  Schönheit  ^) ;  streng 
und  grausam  verweigert  es  edlen  Menschen  ihr  verdientes 
Glück  ^\  und  jeder  müht  sich  vergebens  ab,  dem  das  Schick- 
sal nicht  hilfreichen  Beistand  leistet.') 

Das  Schicksal  kennt  alle  Wege  und  weiß  den  Menschen 
selbst  im  Dickicht  des  Gebirges  aufzufinden;  dennoch  ist  es 
eines  Christen  unwürdig,  zu  sagen,  es  gebe  keinen  Schutz 
gegen  seine  Wut;  dem  klugen  Manne  wird  es  gelingen,  das 
Schicksal  zu  besiegen/) 

Freilich  sagt  der  Dichter  wieder  an  anderer  Stelle,  daß 
was  das  Geschick  anordne,  weder  Weisheit  verhüten,  noch 
Sorgfalt  vereiteln  könne. '^) 

Gar  selten  lügt  das  Schicksal,  wenn  es  Unheil  verkündet, 
denn  so  trügerisch  es  im  Glücke  ist,  so  sicher  ist  es  im  Un- 
glück.®) 

An  den  Gefangenen  im  Turme  von  Mantible  wird  das 
Geschick  zum  Mörder  ^),  indes  Ulysses  sich  freut,  daß  endlich 
das  Schicksal  auf  seiner  Seite  stehe  und  der  Himmel  ihn  be- 
günstige.') 

Die  übrigen  Perss.  des  Schicksals:  rigor  del  hadOf  hado 
inclemente,  las  iras  del  hadOf  u.  a.  m.,  gehören,  aus  der  Häufig- 
keit ihres  Vorkommens  zu  schließen,  der  Umgangssprache  an. 

Mit  hado  deckt  sich  in  vieler  Beziehung  der  Begriff /br/t/Tia; 


*)  el  hado  no  respeta  ä  la  hermosuray  Fear  estä  I,  100*. 

•)  el  hado  /  Niega,  cruel  y  severe  I  La  Ventura  ä  la  nohleza,  8 ab  er 
I,  22  ^ 

■)  En  vano  se  atreve^  en  vanoj  Aquien  la  suerte  no  ayttda,  Lances 
l  43*. 

*)  Aunque  el  hado,  senor,  sabe  /  Todos  los  caminoSj  y  haüa  /  Ä  guien 
busca,  entre  lo  espeso  /  De  las  penas,  no  es  cristiana  /  Detcrminacian  decir  / 

Qiie  no  hay  reparo  d  su  sana;  ISi  Jiay Yida  1, 18»  =  m,  921/928. 

Hierzu  Ftda  IH,  898/900. 

*)  lo  que  el  hado  dispone,  /  Ni  lo  previene  la  ciencia  /  Ni  el  estudio 
lo  conoce,  Judas  I,  311  \ 

0)  jQui  pocas  veces  el  hado  I  Que  dice  desdichas,  miente!  I  Pues  es 
tan  cierto  en  los  males  I  Cuanto  dudoso  en  los  bieyies,  Fi  da  I,  10**  = 
n,  739  ff. 

')  esos  de  quien  el  hado  es  homicida,  Puente  I,  212**. 

*)  ya  veo  /  Tan  de  mi  parte  los  hados,  /  Tan  en  mi  favor  los  cielos, 
May.  encanto  I,  392«. 


—     125     — 

beide  können  mit  „Schicksal,  Geschick''  übersetzt  werden, 
wenn  auch  fortuna  meist  nnr  das  gute,  günstige  Geschick,  das 
Glück,  sowie  die  Glücksgöttin  bezeichnet. 

Das  Glück. 

(Die  Glücksgöttin  Fortuna.) 

Eine  genaue  Beschreibung  der  Glücksgöttin  gibt  uns  die 
Stelle  Saber  I,  25»^): 

Die  Glücksgöttin,  die  ehemals  auf  Altären  verehrt  und 
von  unwissenden  Menschen  in  ehernen  Statuen  yerherrlicht 
wurde,  zeigt  uns  solch  ein  wüstes  Bild,  solch  ein  zweifelhaftes 
Antlitz,  solche  trügerische  Gesichtszüge,  solch  ein  flüchtiges 
Betragen,  daß  sie  bei  jedem,  der  sie  betrachtet,  den  Anschein 
erweckt,  als  mache  sie  verschiedene  Gesichter,  wie  die  Sonnen- 
blume, die  bald  grüne,  bald  rote  Farben  zeigt.  Sie  setzt 
ihre  Fußspitzen  auf  ein  Bad,  welches  die  Zeit  so  rasch  vor- 
wärts treibt,  daß  nicht  einmal  des  Menschen  Bede  es  ein- 
holen kann,  indes  ihre  Schönheit  der  vergänglichen  Wunder- 
blume gleicht,  der  nur  ein  einziger  Lebenstag  beschieden  ist. 

Während  uns  in  dieser  Stelle  die  Glücksgöttin  in  wunder- 
bar plastischer  Gestalt  entgegentritt  und  wir  von  ihrer  Haupt- 
untugend, ihrer  Wankelmütigkeit,  sowie  von  ihrem  fliegenden 
Rade  hören,  werden  ihr  an  anderen  Stellen  Attribute  des 
menschlichen  Körpers  beigelegt  und  ihr  so  ebenfalls  mensch- 
liche Körpergestalt  verliehen. 

Einem  unglücklichen  Menschen  ist  es  nicht  vergönnt,  dem 


»)  Saher  I,  25»: 

em  diosa,  que  en  altares 
Vivio  idolatrada  un  tiempo, 
Ä  quien  dieron  ignorantes 
Los  homhrea  bultos  de  bronce 
Sobre  eolumnas  de  jaspe, 
Es  de  aspecto  tan  confuso, 
De  tan  dudoio  semhlante. 
De  tan  enganoso  trato 
Y  de  condicion  tan  fdcil, 
Que,  ä  quien  la  mira,  parece 
Que  diverses  rostros  hace, 


—     186     — 

tiüficke  ins  Antlitz  zu  schauen  ^) ;  so  sagt  Ouido,  der  in  seia 
Gerfängniese  plötzlioh  Florfpes  erblickt,  er  bezweifle  noch  sein 
Glück,  denn  da  er  ihm  so  selten  ine  G^sidit  geschaut,  so 
habe  er  dessen  Gesichtszüge  nicht  merken  können');  Don 
Alvaro  fragt  die  wankelmütige  JPcMrtuna,  ob  er  noch  lange 
ihr  Spielball  bleiben  solle  oder  endlich  in  ihrem  Antlitz 
einiges  Erbarmen  finden  werde  ^,  indes  der  Graf  Lara  ihm 
versiofaert,  daB  jedermann  an  ihnen  beideo  das  wankelmütige 
Antlitz  der  Glücksgöttin  erkenne/) 

fitok  erklfirt  Flotfftes,  nioht  von  ungeflUir  wolle  Me  sich 
der  iridorwärtigen  Fortuna  ergebcm,  sondern  stascdhaft  gegen 
sie  ankämpfen :  Auge  .gegen  Auge,  Stirn  gegen  Stirn,  AntJitp 
gegen  AntBtz,  Körper  gegen  Körper;  wer  dann  sioge»  der 
möge  leben.  ^) 

Bereits  oben  haben  wir  erfahren,  daß  die  Glückagöttüi 
mit  den  Füßen  auf  einem  rasäh  Tollenden  Rade  steht,  da$ 
-mehr  fliegt  als  es  rollt,  wedialb  es  mit  Flügeln  gemailt  wivd  % 
und  das,  je  nacdidem  es  sidh  dreht,  die  seltsaoBOsten  Wirkungen 


Como  d  girasol  que  muestra 
Verdea  y  rojos  ceUyes. 
Ya  86  que  pone  las  plantaa 
Sobre  una  rueda,  ä  quien  trete 
Tan  veloz  el  tiempOf  que 
No  hay  discureo  que  la  alcance. 
Y  ya  8i  que  8u  hertnosura 
Es  maraviUay  que  nace 
AI  alba,  y  muere  ä  la  nocke, 
Como  efimcra  fragrante. 
^)  un  hotnbre  tan  desdichado  /  Que  la  cara  no  conoce  j  Del  hten, 
Saber  I,  21*. 

^)  Dudo  m\8  dichas,  senora;  /  Que  como  tan  pocas  veces  /  Las  vi 
el  rostrOj  no  observS  I  De  9u  rostro  las  espedes,  Puente  I,  218". 

*)  i Dirne,  hasta  cudndo,  fortuna, /  Objeto  tuyo  hedeser?  I ^0 cuändo 
tengo  de  ver  j  En  tu  faz  piedad  alguna?  Saber  I,  23®. 

*)  ninguna  /  Persona  que  d  los  dos  viera,  /  En  los  dos  no  conociera  / 
El  rostro  de  la  fortuna^  Saber  I,  32  ^ 

*)  No  me  he  de  dar  ä  partido  j  Äla  fortufia  inclemente^  /  Pues  la 
he  de  esperar  constante  /  Vista  d  vista,  frente  ä  frente,  /  Cara  ä  cara, 
cuerpo  ä  citerpo,  /  Pues  asi  viva  quien  vence^  Puente  I,  213". 

•)  Tu  rueda  pinta  con  afew,  /  Que  no  corre,  sino  vuela,  Banda 
II,  164«. 


—     137     - 

liarvorbrkigt.^)  Oft  kann  es  durch  ein«  einzige  Waldung  den 
Menschen  vom  höchsten  Glück  ins  größte  Unglück  stürzen ') ; 
bei  doer  Ueinen  Drefbong  können  Königtümer  und  Kaiser- 
möhe  sich  ändern.*) 

'Kann  anch  nach  der  Meinung  des  Ludovico  niemand  das 
nnbeständige  fiad  der  Fortuna  besiegen^),  und  fleht  auOh 
Don  Alvaro  die  Glücksgöttin  an,  ne  mSge  ihr  Rad  nicht  mehr 
«weiter  drehen,  da  er  mit  seiner  gegenwärtigen  Lage  zufrieden 
8d  ^),  so  erklärt  doch  Clorfquea  voll  Btolz,  sie  wllrde  am  !Bade 
einen  Nagel  anlegen,  um  seine  Bewegung  zu  hemmen^),  tmd 
£lorfpeB  glaubt,  Roldan  (Roland)  ^ei  gerade  der  rechte  Mann, 
dw  das  Rad^OT  Fortuna  aufhallten  könne.  ^ 

Die  'schlimmdte  Eigenschaft  der  Glücks^ttin  i^  unstreitig 
ihre  Wankelmütigkeit,  die  wohl  ein  jeder  einmal  kennen 
lerort.^)  In  zahlreichen  Stellen  spielt  Calderon  auf  diese 
'BMptoiltirgend  an,  und  Ausdrücke  wie  €la  forhma imonatante^), 
Ut  mcGnsümcia  de  la  foriuna,  la  mudable  condwUm  de  la  fmiuna^  ^^) 
n.  a.  m.  werden  bei  ihm  nachgerade  zum  G^meinplectze. 

Es  kann  mit  der  Glücksgöttin  auch  gar  nicht  anders 
«ein,  denn  da  sie   ein  Weib  ist^^),   so   ginge   es   nicht  mit 


*)  iEstos  8on,  diosa  fortuna,  /  Los  efectos  de  tu  rueda?  Sa 6 er  I,  32*. 

*)  .So  warnt  die  besiegte  Genobia  den  fliegesstolzen  Kaiser  Aurelian: 
podrd  ser,  qiAe  cansada  /  Deatos  aplauaos,  la  rueda  /  Di  la  vuelta^  y  qiie 
d  mis  pUs  I  Como  me  hos  vistOj  te  tfeas,  Cenobia  I,  199^ 

*)  d  una  hrwe  fdcil  vmlta  /  8e  truecan  kut  monarqidas  /  Y  loe 
iwtp€rio8  86  trueeanj  ibd.  I,  199*  f. 

*)  no  hay  quien  pueda  /  Vencer  la  inconstante  rueda^  Purguly  155*. 

*)  eupuesto  que  he  üegado  /  Ä  un  punie  fijo^  deten  /  La  rueda. 
Saher  I,  32*. 

^)  Busiera  un  clavo  d  la  rueda  ....  Pör  parar  el  movimientOj 
Judaß  1,  314". 

^  Tu  dparar  serös  hastantelDe  la  fortuna  la  rueda,  Puente  I,  216^ 

^)  Uegaa  I Ä  conocer  sus  mudanzas,  Cenobia  I,  199*. 

»)  Saber  I,  26*. 

")  Frinc.  I,  260«  =  m,  778f.  Vgl.  noch  in  denwelben  Stücke: 
mi  fortuna  /  Mudable  mos  que  la  luna,  I,  251 «  =  11, 168f. ;  —  «te  /  De 
la  f.  vaiven,  I,  25ö^  -*  11,  744 f.;  —  Deidad  de  los  hombres  varia,  May. 
monstruo  I,  490*. 

")  en  efetol  Es  la  fortuna  mujer,  (Jen.  I,  189»»;  Judas  I,  314«; 
Una  inconstante  mujer,  Saber  I,  32*. 


—     128     — 

rechten  Dingen  zu,  wäre  sie  nicht  launenhaft  und  wankel- 
mütig, i) 

Deshalb  ist  es  für  den  Mann  keine  Ehre,  sich  von  ihr, 
einem  unbeständigen  Weibe,  besiegen  zu  lassen;  sie  ist  doch 
wahrhaftig  keine  heilige  und  unnahbare  Gottheit,  denn  ein 
tapferer  Mann  kann  sie  bezwingen '),  wobei  er  freilich  mit 
Klugheit  und  Mäßigung  verfahren  muß.^) 

Fortuna  ward  stets  nur  vom  Feigen  gefürchtet*),  ihn 
stößt  sie  zurück,  indes  sie  dem  Mutigen  stets  beisteht^): 
fortes  fortuna  adjuvat.^) 

Glücklich  ist  daher  der  Mann  zu  preisen,  der  ihre 
Drohungen  nicht  fürchtet  und  sich  ihren  harten  Schlägen 
nicht  unterwirft  ^,  der  selbst  in  schwierigen  Lagen  auch  dem 
Glück  etwas  zu  tun  überläßt^) 

Zum  Schlüsse  ist  noch  auf  die  bei  Calderon  sich  häufig 
findende  Bedewendung :  „Fortuna  fuhrt  ihre  Trauerspiele  auf" 
hinzuweisen,  welche  gleich  den  „Armen  des  Todes"  ^)  wohl 
eine  jener  gemachten  stehenden  Phrasen  ist,  von  denen  Gries 
spricht.  ^*^) 

Beim  Volksaufstande  wird  der  alte  Thron  zum  „Frevel- 
schauplatz, wo,  uns  zur  Bedrängnis,  mit  Trauerspielen  schrecket 


*)  en  te  fortuna  fuera  accion  contraria,  j  Siendo  mujer,  no  ser 
mudable  y  varia,  Ctn.  I,  188". 

•)  cuando  vengas  d  ser  l  Dt  la  fort  vencido,  I  ^Es  honor  haberlo 
sldo  I  De  una  inconstante  mujer?  I  iEs  eata  f.  alguna  /  Deidad  santa  y 
eminetite?  I  No,  pttes  un  hombre  valiente  /  Sähe  vencer  la  fortuna,  Judas 
I,  314  ^ 

*)  quien  vencer  aguarda  j  Ä  su  fortuna,  ha  de  ser  j  Con  cordura  y 
con  templanza.   Vi  dal,  18  »>  =  HI,  1026  ff. 

*)  siempre  la  f.  I  Fui  sagrado  del  cobarde,  Judas  I,  314 ^ 

*)  d  los  audaces,  sin  duda,  /  Dicen  que  fortuna  ayuda,  (Yd  los 
timidos  repekt,  Con  quien  IT,  234»». 

•)  siempre  estd  la  fortuna  j  De  parte  del  atrevido,  Dev,  I,  6ö^;  la 
fort.  I  Ayuda  dl  atremmiento,  Casa  I,  137°, 

")  /Oh  venganzas  de  fortunalJiMil  veces  felice  el  hombre  I  Que  ni 
teme  tus  aniagos  I  Ni  se  sujet^  d  tus  golpes^  Judas  I,  311  ^ 

*)  Dejemos  d  la  Ventura  I  Algo  en  lance  tan  severo,  Peor  estd 
I,  102^;  dejemos  algo  /  Ä  la  fortuna^  Mej.  estd  I,  229 ^ 
.     ^)  8.  oben,  S.  109. 

lö)  Gries  an  Tieck,  Brief  vom  29.  Mai  1829. 


—    129    — 

da»  Verhängnis"  ^);  auf  dem  Welttheater  führt  Fortuna  ihre 
Trauerspiele  auf^);  bei  einem  blutigen  Gefechte  spielt  das 
Schicksal  vor  dem  Himmel  auf  smaragdgrüner  Bühne^  d.  h. 
dem  Wiesenteppich,  tausend  Trauerspiele^);  die  armen.  Ge- 
fangenen im  Turme  nennt  Floripes  die  Tragödien  Eortunas  ^), 
indes  Filipo  sich  als  „elende  Siegesbeute  der  Fortuna^' ^)  be-^ 
zeichnet. 

Gleich  der  Glücksgöttin  ist  auch  die  flüchtige  Gelegen- 
heit ein  wetterwendisches  Weib^),  welches  wir  Menschen 
aber  nicht  verachten  dürfen,  wenn  es  uns  laut  ruft  ^  oder  uns 
den  Haarschopf  bietet,  damit  wir  sie  festhalten  ^) ;  denn  wenn 
¥dr  sie  einmal  entwischen  lassen,  bietet  sie  uns  ihr  loses  Haar 
niemals  wieder.*) 

Das  Ungittok. 

Ist  auch  die  Wissenschaft  des  Unglücks  so  viel« 
umfassend,  daß  noch  niemand  dieselbe  ausstudiert  hat^^),  so 
wird  es  uns  doch  gelingen,  mit  Hilfe  der  von  Schuchardt 
angedeuteten  Leitlinien  ^^)  einen  Begriff  zu  erhalten,  in  welcher 
Weise  unser  Dichter  das  Unglück  personifiziert. 


')  Teatro  funesto  es,  donde  importuna 

Representa  tragedias  la  fortuyia^     Vida  I,  14"  =  III,  225f. 

*)  representar  tragedias  I  Asi  la  fortufia  sabe,  Sab  er  I,  24**;  la 
mayor  tragedia  /  Que  en  el  teatro  del  mundo  /  La  fortuna  representa, 
Cenobia  1,  198^ 

')  Dos  campos  que  se  am^fiazan,  /  Representatido  d  los  cielos  /  En 
teatros  de  esnieraldas  I  Mil  tragedias  la  fortunOy  Puente  1,  210 •. 

*)  esos  miseros  presos,  f  Tragedias  de  la  fortuna,  Fuente  I,  21 1^ 

*)  mise^'o  trofeo  I  De  la  fort.  Purg.  I,  1Ö3*'. 

*j  Mujer  es  la  ocasion,  Amor  I,  382 ^ 

")  esta  ocasion , . .  tan  ä  voces  nos  llama^  Dama  I,  186«. 

**)  El  copete  I  Nos  ofrece  la  ocasion ,  Puente  I,  218^  —  Über  diese, 
bekaante  Fiktion  vgl.  z.  B.  S  c  h  ö  n  w  e r  t h ,  Lit-Hist,  Forschungen  XXVI^ 
S.  2U/1Ö. 

•)  no  hagas  /  De  la  ocasion  desprecio;  /  Qwc  yiwvca  d  quien  la  d^a  / 
Volvid  el  suelto  cabello,  Amor  I,  382'*. 

^^)  es  estudio  tan  gründe  j  Aqu^te  de  las  desdichas  /  Que  no  le  ha 
alcanzado  yiadie,  May,  monstruo  I^  483*. 

^^)  „C.  liebt  es,  Sentenzen  auszusprechen  des  InhaItS|   da£  nie  ein 
Münchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.  XXXII.        ^ 


—     130     — 

Ein  Unglück  kommt  nie  allein^  sondern  die  Leiden  und 
Qualen  sind  miteinander  verkettet  und  verbunden,  so  zwar, 
daß  alle  in  einem  einzigen  Unglück  ihren  Ursprung  finden  ^) : 
Ein  Unglück  ruft  stets  das  andere  herbei.*) 

Diesen  Gedanken  führt  der  Dichter  in  der  mannigfachsten 
Weise  weiter  aus : 

Wie  ein  Tag,  wenn  er  zu  Ende,  den  folgenden  an  seine 
Stelle  ruft,  so  ruft  auch  eine  Qual,  eine  Klage  die  andere 
herbei  und  hält  sie  fest^);  oder  die  Qualen  gleichen  den 
Stunden  des  Tages,  denn  wenn  mit  der  letzten  Minute  die 
eine  aufhört,  so  fängt  eine  andere  an  *) ;  auch  Hydren  werden 
die  Qualen  genannt,  da  tausend  neu  geboren  werden,  wo 
eine  stirbt.*) 

Am  häufigsten  aber  werden  unsere  Leiden  und  Mühsale 
mit  dem  Vogel  Phönix  verglichen ;  wie  dieser  als  sein  eigener 
Erbe  im  Tode  zu  neuem  Leben  erwacht,  da  er  aus  seiner 
Asche  immer  wieder  neu  ersteht,  so  tritt  auch  stets  ein  neues 
Unglück  das  Erbe  des  vorigen  an®),  eines  entsteht  aus  der 
noch  warmen  Grabesasche  des  vorigen ')  und  bereitet  wieder 
dem  folgenden  das  Gemach.®) 


Unglück  allein  komme,  daß  nur  das  Unglück  wahr,  das  Glück  aber  er- 
logen sei,  daß  Schönheit  und  Unglück  immer  verbunden  seien,"  u.  s.  f. 
Allgem.  Zeitg.,  1881,  Nr.  193,  vom  12.  Juli. 

*)  las  desdichas  y  penas  /  Se  eslabonan  y  se  juntan  /  De  suerte  que 
salen  todas  j  En  tirändoae  de  una,  Con  quien  II,  247*. 

")  una  desdicha  otra  desdicha  Uama,  Vir  gen  I,  337*';  un  mal  d 
otro  med  llama,  Casa  I,  140 •. 

*)  Un  dia  llama  ä  otro  dia,  I  Y  asi  Uama  y  encadena  /  Llanto  ä 
llanto  y  pena  d  pena,  Fr  ine,  I,  251«  =  II,  159  ff. 

*)  8on  horas  las  desdichas^  /  Qwc  en  el  minuto  postrero  /  Que  una 
acaba,  empieza  otra,  C astig o  in,  378«. 

*)  Hidras  las  desdichas  son,  /  Mil  nacen  donde  una  wwere,  Puente 
1,  219  ^ 

•)  iinas  d  otras  suceden^  /  Herederas  de  si  mismas.  I  Ä  la  imitacion 
del  Fenix,  I  Tinas  de  las  otras  nacen,  /  Vimendo  de  lo  que  mueren^  j  Y 
siempre  de  sus  cenizas  /  Estd  el  sepulcro  caliente,  Vi  da  I,  11*  ==  11,  846  ff. 

^)  Puente  I,  219^  siehe  Kj,  zu  S.  106. 

*)  Bien  sabeis  de  las  desgracias^  I  Que  cualquiera  que  sucede  /  Hace 
el  aposento  d  otra:  j  Que  d  la  imitacion  del  fenix ^  j  Siempre  de  cenizas 
suyas  I  Estd  el  sepulcro  caliente,  Mej.  estd  I,  230*;  mis  desdichas,/ 


—     131     — 

Sagt  auch  ein  Weiser,  die  Unglücksfälle  seien  feige«  da 
nie  einer  allein  kommt  ^),  sondern  sie,  wie  allgemein  anerkannt^ 
stets  in  Truppen  daherziehen  ^)  und  ganze  Geschlechter  von 
Leiden,  ganze  Familien  von  Qualen  feig  und  frech  nach  dem 
Menschen  fahnden  und  ihn  überfallen^),  so  bekräftigt  doch 
Bosaura,  sie  seien  mutig,  denn  sie  schreiten  stets  tapfer  vor, 
ohne  je  sich  umzuwenden.  Wem  sie  zum  Geleite  dienen, 
der  kann  alles  unternehmen,  da  er  in  keinem  Falle  zu 
fürchten  braucht,  daß  seine  Leiden  ihn  im  Stiche  lassen/) 
Verfolgt  doch  das  Unglück  den  Menschen  unablässig:  zu 
Wasser  und  zu  Lande  weiß  es  ihn  zu  finden^),  im  Hause 
sucht  es  den  Unglücklichen  auf*);  die  Leiden  und  Qualen 
eilen  hinter  dem  Menschen  her,  und  wenn  sie  auch  über- 
einander stolpern  und  sich  gegenseitig  im  Wege  sind,  so 
haben  sie  ihn  doch  bald  eingeholt^);  nie  ermatten  sie,  bis 
sie  endlich  ihr  Opfer,  vom  Geschicke  hart  getroffen,  dem  Tode 
in  die  Arme  getrieben  haben. ^)    Nichts  anderes  deckt  ihnen 


Imitadoraa  del  fenix  /  Tanto  que  en  cuna  y  sepxdcro  /  Tinas  nacen  y  otras 
mueren;  /  Que  ä  las  desdichas  siempre  /  Otras  desdichas  hay  que  las  hereden, 
Gal.  fant  I,  299^ 

*)  Que  eran  cobardes,  decia  /  Un  sabio,  por  parecerle  /  Que  nunca 
andaba  tina  sola,  Vida  I,  II»  =  II,  853 ff. 

')  es  cosa  asentada  /  Que  son  cobardes  las  penas,  /  Pues  siempre  en 
cuadriUas  andan,  Mej.  estä  I,  239*^;  Tres  m.  prod.  I,  289», 

*)  Tantos  generös  de  agravios,  /  Tantos  linajes  de  penas  /  Como  co- 
bardes me  asaltan,  I  Como  atrevidas  me  cercan,  Medico  I,  357**  =  11, 
568 ff.;  dieselbe  Verbindung  generös  de  agravios,  linajes  de  penas  findet 
sich  noch  in  Purg.  I,  157°;  Con  quien  11,  240^ 

♦)  Yo  digo  que  son  valientes,  /  Pues  siempre  van  adelante  I  Y  nunca 
la  espalda  vuelven.  /  Quien  his  llevare  cor^igo,  /  Ä  todo  podrä  atreverse,  / 
Pties  en  ninguna  ocasion  f  ^o  hay  miedo  que  le  dejen,  Vida  I,  11*  = 
n,  856  ff 

*)  hallar  el  mal  ä  un  desdichado  sabe  j  En  la  tierra  y  el  agua, 
Arginis  I,  446". 

«)  Mi  desdicha  me  buscd  j  En  mi  casa,  Castigo  HI,  389*. 

^  mis  desgraoias  j  Tinas  con  otras  tropiezan,  /  Y  tan  en  mi  alcance 
andan,  Casa  I,  140*. 

*)  Nunca  me  he  hallado  sin  ellas  /  Ni  se  han  cansado  hasta  verme  / 
Herida  de  la  fort%Ana  j  En  los  brazos  de  la  muerte^  Fi  da  I,  11'  = 
n,  865ff. 

9* 


—     132    — 

dem  Kücken  als  sie  selbst,  so  daß  sie  deu  Menschen  nur  ver- 
la,ssen,  um  ihn  von  neuem  heimsuchen  zu  können.^) 

Der  Mensch y  den  sein  Unglück  begleitet,  iat  wahrlich 
nicht  allein ') ;  aber,  wenn  ihm  die  Unglücksfalle  Gesellschaft 
leisten  sollen,  dann  kommen  sie  gewiß  nicht  so  zahlreich  wie 
gewöhnlich^);  auch  sie  lassen  sich  bitten,  wenn  sie  merken, 
daß  sie  für  den  Menschen  von  Vorteil  sind/)  Manchmal  ist 
nämlich  das  Unglück  doch  zu  etwas  gut,  und  vielleicht  sogar 
die  Mutter  großen  Glücks/) 

Wie  wir  oben  gesehen,  betont  unser  Dichter  an  vielen 
Stellen,  daß  nur  das  Unglück  wahr,  das  Glück  aber  erlogen  sei. 
Das .  Unglück  lügt  nie  ®) ;  nie  sagt  es  falsch  von  der  Zukunft 
aus  ^) ;  eine  böse .  Prophezeiung  ist  nie  lügenhaft,  wenn  sie 
vielleicht  auch  erst  spät  in  Erfüllung  geht.^) 

Deshalb  gilt  das  Unglück  in  den  Reden  des  Volkes  für 
einen  ausgezeichneten  Astrologen,  der  in  seinen  Voraussagen 
stets  das  Richtige  trifft^),  indes  das  Glück  meist  vom  Miß-» 
trauen  begleitet  ist^^) 

Bei  dem  breiten  Raum,  den  in  unserem  Dichter  die 
Fers,  des  Unglücks  einnimmt,  verschwinden  die  wenigen. Eälle, 


^)  mis  desdichas  7W  titnen  /  Otraa  que  espaldas  lea  hagan  /  Sino  eüas 
mismaSy  de  suerte  /  Que  es  fuerza  que  d  mi  me  Imsquen,  /  Aun  para  que 
d  mi  nie  dejen,  Mej.  estä  I,  230*'. 

•)  no  estä  sola  /  Quien  estä  con  su  tristeza,  Mej,  estä  I,  231  •; 
Si  no  son  I  Compania  las  tristezasj  Sola  estoy^  Con  quien  II,  241*. 

•)  Sola  estoyj  no  nie  acompanan  /  Sino  solas  mis  desdichas;  /  Parece 
que  no  son  hartas,  /  Que  aun  para  hacer  compania  /  Hacen  las  desdichas 
falta,  Sitio  I,  113^ 

*)  ä  veces  /  Aun  las  desdichas  se  hacen  /  De  rogar,  si  les  parece  /  Que 
son  de  provechOf  Con  quieti  II,  242''. 

*)  ä  veces  la  desdicha  /  Es  madre  de  la  venturaj  Mej.  estä  I,  228''. 

•)  ^Mas  cuändo  desdichas  mienten?  Dama  I,  185". 

')  jcu/mdo  dicen  mal  /  Las  desdichas  que  han  de  ser!  Mej.  estä 
I,  243». 

*}  tarde  n  fiunca  son  j  Mcniirosos  los  iynpioSj  [sei],  presagios)^  Vi  da 
I,  4"  =  I,  678f. 

•)  de  los  males  stiele  /  Decirse  , . .  que  fueron  /  Astrologos  excelentes^  / 
Pues  siempi'e  adicinaron,  I  Y  dijeron  verdad  siempre^  Casa  I,  134^ 

*®)  siempre  andar  juntos  vi  j  Fortuna  y  desconfianza,  Casa  T,  135 ^ 


—     133     — 

in   welchem  das  GegeDteil  von  desdicha,   das  Glück,   la  dicha, 
personifiziert  erscheint. 

Des  Lebens  ungemischte  Freude  ward  keinem  Irdischen 
zuteil,  denn  stets  muß  der  Mensch  dem  Kummer  einen  Zoll 
von  seinem  Glücke  zahlen^);  außerdem  hat  das  Glück  den 
großen  Nachteil,  daß  es  stets  zu  kurz  ist^)  und  nach  kurzer 
Weile  wie  ein  Traum  zerrinnt.*) 

Auch  verträgt  das  Glück  sich  nicht  gut  mit  menschlicher 
Schönheit^);  ja,  beide  leben  in  beständiger  Feindschaft  mit- 
einander.^) Nach  der  Meinung  Calderon's  werden  namentlich 
schöne  Frauen  vom  Unglück  heimgesucht;  es  genügt  zu  wissen, 
daß  eine  Dame  schön  ist,  um  daraus  zu  schließen^  daß  das 
Glück  ihr  nicht  hold®),  und  umgekehrt,  hat  eine  Frau  vom 
Unglück  viel  zu  leiden,  so  dürfen  wir  annehmen,  daß  sie  sehr, 
hübsch  sein  muß."^ 

Doch  wäre  es  ein  Irrtum,  zu  glauben,  daß  häßliche  Leute 
vom  Unglücke  verschont  bleiben;  vor  einer  traurigen  Gestalt 
Üieht  das  Glück  erst  recht  ^),  während  es  sonst,  wenn  es  dem 
Menschen  günstig  gesinnt  ist,  ihn  gleich  dem  Unglücke  in 
jeder  Lage  zu  finden  weiß  •) ;  nur  darf  er  nicht  die  Tür  ver- 
schließen, wenn  das  Glück  ins  Haus  hereingehen  wül.^®) 


*)  tengas  felicemente  /  BieneSj  sin  que  d  los  pesares  /  Pagues  pension 
de  los  bienes,  Devocion  I,  58^ 

*)  Si  no  trajera  la  dicha  j  Esta  pension  de  ser  corta,  Ärginis 
I,  446». 

■)  toda  la  dicha  humana  /  En  fin  pasa  como  un  stteHo,  Ftda  1, 19« 
=  m,  1122  f. 

*)  no  st  avienen  bien  helleza  y  dicha^  Purg.  I,  166  ^ 

*)  dicha  y  hermosura  /  Siempre  enemigas  se  nomhran^  Tres  m,prod. 
I,  286  ^ 

*)  Hermosa  Deyaniray  /  Y  infelice  cuanto  hermosa,  ihd.  I,  286*^; 
quien  deda  beüa,  ya  deda  /  Inftlice,  Midico  I,  3öl»  =  I,  622 f.;  Leonor 
, , .  I  Tan  infeliz  como  hemxosa,  Ä  secr,  agr.  I,  609  ^ 

'')  segun  fu6  desdichada  /  Debiö  de  ser  muy  hermosa^  Vi  da  I,  16« 
=  m,  Ö47f. 

•)  de  mi  mala  figura  I  Se  anda  huyendo  la  rcwfwra,  Sab  er  I,  33 •. 

•)  cttando  /  Quiere  el  bien  haüar  d  un  hombre,  /  Le  halla  en  c^Mlquire 
estado,  Saber  I,  29«;  vgl.  hiezu  Ärginis  1,  446«,  S.  131». 

^®)  no  he  de  cerrar  la  puerta  /  Si  se  entra  la  dicha  en  casa^  Lances 
I,  44«. 


—     134 


Die  Ehre. 


Den  für  den  Spanier  so  wichtigen  Ehrbegriff  finden  wir, 
abgesehen  von  den  zahlreichen  verblaßten  Perss.  von  honor^ 
personifiziert  in  dem  Drama  El  Medico  de  su  honra,  wo  Don 
Gutierre  die  Ehre  seines  Hauses,  die  nur  von  einem  schwachen 
Weibe  abhängt,  als  einen  Kranken  betrachtet,  der  in  Lebens- 
gefahr schwebend  sich  schon  dem  Tode  nahe  fühlt,  indes 
Don  Gutierre  selbst,  als  der  Arzt  seiner  Ehre,  ängstlich  be- 
dacht ist,  sie  zu  heilen: 

„Ehre,  du  bist  in  Gefahr; 
Jede  Stunde  kann  entscheidend 
Für  dich  sein;  in  deinem  Grabe 
Lebst  du,  weil  nur  eines  Weibes 
Hauch  dich  nährt,  weil  du  in  ihr 
Schon  den  Band  der  Gruft  beschreitest. 
Ehre,  heilen  muß  ich  dich.^ 
A  peligro  esiais,  honor, 
Xo  hay  hora  en  vos  que  no  sea 
Oritica,  en  iniestro  sepukro 
ViviSj  puesto  que  os  alienta 
La  mujer,  en  ella  esiais 
Pisando  siempre  la  huesa, 
Yo  OS  he  de  curar,  honor. 

Langsam,  mit  Geduld  will  er  hiebei  vorgehen; 
Und  weil  dieses  Erstereignis 
Gleich  im  Anbeginn  der  Krankheit 
Die  Gefahr  so  drohend  zeiget, 
Sei  der  erste  Heilplau  dieser, 
Daß  dem  Übel  man  den  Eintritt 
Wehr'  und  seinen  Fortgang  hemme. 
Und  so  ordnet  und  verschreibet 
Dir  der  Arzt  der  eignen  Ehre 
Erstlich  die  Diät  des  Schweigens 

Y  pue^  al  prineipio  mufstra 

Este  prhnero  accidente 

Tan  grave  jyeligroj  sea 


—     135     — 

La  primera  medicina 
Cerrar  al  dano  las  pnerias^ 
Atajar  al  mal  los  pasos, 
Y  asi  receta  y  ordena 
El  Midico  de  su  honra 
Primeramente  la  dieta 

Del  silendo,  ^) 

während  er  als  zweites  Heilmittel  „Zärtlichkeit  bei  seinem 
Weibe,  Freundlichkeit,  Zuneigung,  Liebe,  Schmeichelei'n,  die 
unvergleichlich  ..."  2)  anzuwenden  für  gut  findet. 

Noch  öfter  bezeichnet  sich  Don  Gutierre  als  den  Arzt 
seiner  Ehre,  der  sich  vorgenommen  hat,  seine  Unehre  zu  heilen 
und  deshalb  zur  Nachtzeit  in  sein  Haus  kommt,  um,  wie  er 
sagt,  seinen  Kranken  zu  besuchen,  d.  h.  seine  Gattin  beim 
Stelldichein  mit  dem  Infanten  zu  überraschen.®) 

Wie  freut  er  sich,  da  er  seine  Gattin  allein  antrifft,  also 
die  Heilung  seiner  Ehre  für  gesichert  hält:  ^Bueno  he  haüado 
mi  honoTj  hacer  no  quiero  /  Por  ahora  otra  cura :  /  Pues  la  salvd 
en  Ü  esid  segura.^^) 

Doch  soll  er  leider  bald  erfahren,    daß  er  das  Opfer 
einer   geschickt   inszenierten   Täuschung   geworden   und   daß 
seine  Ehre  kränker  ist  als  zuvor,   weshalb  er  den  König  um 
Hilfe   anfleht  und  von  ihm  das  Leben  seiner  Ehre  erwartet: 
Von  dir,  Herr,  erwart'  ich  Leben 
Meiner  Ehr,  und  hoff*  einstweilen 
So  mit  Vorsicht  sie  zu  heilen 
Und  Gesundheit  ihr  zu  geben.*) 


*)  Midi  CO  I,  357«  =  II,  638  ff.;  üries,  Übersetzung,  Reclam's 
ÜDiv.-ßibl.  590,  S.  öl  f. 

*)  apliq\Aeis  j  Ä  vuestra  mujer  finezaa^  I  Agrados,  gustos^  amores,  / 
lAsonjaSj  que  son  las  fuerzas  /  DefensibUs^  Ibd.  I,  357°  «  II,  656  ff. 

*)  Medico  de  mi  honra  /  Me  Uamo,  pues  procura  mis  deshonra  / 
Curar,  y  asi  he  venido  /  Ä  visitar  mi  enfermo  . .  .  Mid,  I,  358*'  =  11, 
8öOff.  Of.  de  i^uestro  honor  I  Midico  os  llamais,  I,  360»»  =  in,  93f. 
Vgl.  weiter :  Esta  noche  tri  d  mi  casa,  /  De  secreto  entrari  en  ella  /  Por 
ver  que  malicia  tiene  I  El  mal,  I,  357''  =  II,  666  ff. 

*)  I,  359»  =  n,  879ff. 

*)  La  vida  de  vos  espero  j  De  mi  honra;  asi  la  curo  /  Con prevencion, 
y  procura  /  Que  esta  la  sane  pf^itnerOy  Medico  I,  360^  =  III,  41  ff. 


—     136    — 

im  allgemeinen  dürfte  zwar  in  Ehrensachen  die  Macht 
kein  guter  Arzt  sein.^) 

Auch  sonst  hat  Don  Gutierre  viel  mit  seiner  Ehre  zu 
sprechen,  wenn  sie  beide  allein  sind'),  da  er  gegen  seine 
Gattin  den  schweren  Verdacht  der  untreue  geschöpft  hat. 
Ist  doch  die  Ehre  eines  Menschen  aus  so  zartem  Stoffe,  daß 
ein  Blick  sie  schon  erschüttern,  ein  leiser  Lufthauch  sie  be- 
makeln kann.^) 

Der  Ruf,  der  Ruhm. 

(Die  Fama.) 

Fällt  es  bei  der  figürlichen  Verwendung  abstrakter  Be- 
griffe bisweilen  schwer,  zu  entscheiden,  ob  Metonymie,  ver- 
blaßte Pers.,  oder  wirkliche,  vom  Dichter  beabsichtigte 
„poetische  Pers."  vorliegt,  so  ist  dies,  der  Bedeutung  nach, 
"bei  dem  Worte  fama  wohl  am  allerschwersten. 

In  den  meisten  Fällen  steht  fama  abstrakt  für  das  kon- 
krete los  hombresj  so  in  der  bei  Calderon  häufigen  Kedewendung: 
tjyigalo  la  faniai^)\  schon  eher  Pers.,  wenn  auch  verblaßte, 
liegt  vor  in  der  Wendung:  ^Digalo  ä  voces  la  fama>  '^),  „Mag 
es  laut  der  Buf  verkünden^',  indes  liegt  zweifellos  die  beliebte 
Metonymie  abstr actum  pro  concreto  vor,  wenn  es  heißt,  der  Ruf 
verkünde  die  Reize  einer  schönen  Dame  als  einzig  dastehend.*) 

Bisweilen  jedoch  tritt  uns  die  Fama  in  allegorischer 
Pers.  als  ein  geflügeltes  ^)  Wesen  entgegen. 

Mit  schnellen  Flügeln  huscht  sie  leicht  durch  die  Lüfte 


')  d  dolenciaa  de  honor  j  No  es  huen  midico  el  poder^  Banda  11, 
167»;  170r 

*)  jAy  honor ^  tnucho  tenemos  /  Que  hahlar  d  solns  los  dos!  Midico 
I,  356*  =  n,  379f. 

')  el  honor  /  Es  de  materia  tan  frdgil,  /  Que  con  v.na  accion  se  quiebray/ 
O  se  mancha  con  un  aire,  Vidal,  3*»  =  I,  447ff.;  Ä  secr.  agr.  I,  506*. 

•*)  2.  B.  Saher  I,  24«. 

»)  Midico  I,  365»  =  HI,  785. 

•)  La  fama,  hermosa  con  extremo  os  llama  . , .  I .  ..ya  imesti'a  heldad 
aclama  I  Por  ünica,  Feor  estd  I,  99 •. 

■)  En  alas  de  In  fama,  Amor  883^  Sitio  I,  119*. 


—     137     — 

hin^);  dem  Neide  und  dem  Tode  trotzend  verktindet  sie  mit 
eherner  Zunge  den  Ruhm  des  Königs  von  Portugal')  oder 
bezeichnet  mit  goldenen  Bachstaben  auf  eherner  Tafel  den 
König  Yon  Spanien  als  den  Herrn  des  Erdkreises  '),  indes  sein 
Name  auf  des  Buhmes  Lippen  ewig  leben  bleiben  wird>) 

Die  Festlichkeiten  bei  der  Taufe  des  Infanten  Baltasar 
(Oktober  1629)  nennt  der  Dichter  ein  Schauspiel,  wozu  die 
ruhmgekronte ,  unsterbliche  Fama  mit  metallenen  Klängen, 
mit  eherner  Stimme  einlädt^);  durch  die  ruhmvolle  Über- 
windung Frankreichs  verleiht  ihr  Fierabras  Fittiche  zu  ewigem 
Fluge.  •) 

Das  Schweigen. 

Das  Stillschweigen  finden  wir  nicht  selten  personifiziert; 
das  retörico  silencio,  das  beredte  Schweigen,  dürfte  ja  allen, 
die  Oalderon's  Vida  einmal  gelesen  haben,  wohl  bekannt  sein.^) 

Das  Schweigen  ist  auch  eine  Antwort;  es  macht  größeren 
Eindruck  und  sagt  oft  mehr  als  des  Menschen  Worte  ^);  ja, 
oft  sind  die  Qualen  und  Leiden  des  Menschen  so  groß,  daß 
er  sie  in  Worten  gar  nicht  ausdrücken  kann,  wie  dies  die 
alte  Letra  verkündet,  die  auch  unser  Dichter  anführt: 

*)  la  fama  que  lijera  I  Loa  vientos  rompe  con  veloces  alas,  Sitio 
I,  110«. 

*)  Älfonso  te  Portugal f  /  Ret/  famoso^  d  quien  celebre  /  La  fama  en 
lengtuu  de  bronze  I Ä  pesar  de  envidia  y  muerte^  Fr  ine.  I,  257*»  = 
in,  158ff. 

*)  DueHo  te  aclame  del  orhe  /  La  fama  con  letras  de  oro  /  Sohre 
laminas  de  hronce,  Sah  er  I,  21  ^ 

*)  Ilustre  Alfonso Cuyo  nombre  viva  etemo  /  En  los  labios  de 

la  famUy  Saber  I,  35^;  en  los  l  de  la  /*.,  Ä  secr.  agr.  I,  610^ 

•)  Ün  teatro  en  quitn  la  fama^  /  Para  su  aplauso  inmortal,  j  Con 
aceritos  de  metalj  Ä  voces  de  bronce  llama!  Dama  I.  169 ^ 

•)  La  gran  victoria  en  que  triunfa 

Mi  hermano  de  Francia,  dando 
Ä  la  fama  etemas  plumas^  Puente  I,  210 ^ 

')  Kr„  S.  Vn  (Vorrede);  Vida  T,  2^  =  II,  636. 

^  es  el  sileficio  elocuente,  Con  quien  11,242*';  Bespdndate  retdrico 
el  silenciOy  Fi  da  I,  9  **  =  11,  636;  [los  discursos  . , ,  De  mi  vida]  dudo 
y  temo  /  Que  yo  los  pueda  decir^  I  Si  no  los  dice  el  silencio,  Con  quien 
n,  236^ 


—     138     — 

Zeuge  meiner  Herzensklage 

Soll  allein  das  Schweigen  sein, 

Kaum  faßt  meine  ganze  Pein 

Alles  das,  was  ich  nicht  sage. 
Solo  el  silencio   testigo  /  Ua  de  ser  de  mi  tormento,  /  Y  aun 
HO  cabe  h  que  siento  /  En  todo  lo  que  no  digo,^) 

Das  Stillschweigen  findet  oft  ein  Grab  in  des  Menschen 
Brust  ^),  oder  ein  eisiges  Gefängnis  *),  in  welchem  es  von  der 
Furcht  mit  Fesseln  und  Riegeln  angeschmiedet  wird>)  Der 
zur  Verschwiegenheit  verpflichtete  Mensch  ist  dem  Still- 
schweigen in  die  Hand  gegeben  und  darf  nicht  eher  reden, 
bis  es  ihn  aus  der  Hand  läßt  %  doch  fällt  es  namentlich  den 
Dienern  oft  schwer,  das  nötige  Stillschweigen  über  Geheim- 
nisse zu  beobachten*),  ja,  ein  Diener  sein  und  schweigen,  ist 
sogar  der  größte  Frevel.') 

OflFen  erklären  daher  die  Diener  Moron  und  Ponlevi, 
sowie  die  Zofe  Ines,  wenn  auch  das  Geheimnis  heilig  sei,  so 
feierten  sie  diesen  Heiligen  nicht®),  indes  Clarin  wohl  oder 
übel  den  Tag  des  heiligen  Secreto  durch  Fasten  im  Gefang- 
nisse feiern  muß: 

„Wenn  das  Schweigen  Heil'ge  macht. 

Wie  im  neuen  Festkalender, 

So  ist  Sankt  Sekret  mein  Heil'ger, 

Denn  ihm  fast'  ich,  ohn  Ergötzen."  •) 


')  May.  encanto  I,  397%  399»f.,  cf.  VaJ.  Schmidt,  S.  311. 

*)  aiendo  mi  pecho  j  Del  silencio  sepultura,  Con  quien  IT,  247 ^ 

*)  procura  romper  /  Las  priaioties  ä  un  secreto  /  Que  tantos  afios 
guardij  Aströl.  I,  574 ^ 

*)  rompiendo  d  mi  silencio  /  Las  prisiones  y  los  griUos  /  Cmi  que  eti 
cärceles  de  hielo  I  El  temo}-  los  ha  tetüdoy  May.  monstruo  I,  486*. 

*)  81  me  deja  I  El  silencio  de  su  mano^  Firfa  I,  7**  =  ü,  230  f. 

*)  Clarin  y  criado  /  Son  dos  cosas  que  se  llevan  /  Con  el  secreto  muy 
mal,  Vida  I,  7»»  =  H,  227ff. 

')  callCj  siendo  criado^  l  Que  es  el  mayor  sacrilegiOf  Vida  I,  13** 
=  III,  39  f. 

*)  au7ique  el  secreto  sea  santo  /  Yo  no  guardo  ä  San  Secreto  {Moron), 
Aströl.  I,  578*;  Sati  Secreto  j  Nxmca  es  fiesta  de  guardar  {Ponlevi)^ 
Banda  II,  152  **;  aunque  es  santo,  prometo  j  El  secreto  Singular,  /  Yo 
nunca  pude  yuardar  (La  fiesta  de  san  Secreto  (Lies),  Homhrel,blS\ 

*)  Si   llaman  santo   al   callar,  /  Como   en   caletidario  nuevo,  /  Sa/n 


—     139     — 

Die  Zeit  und  die  Zeitverhältsisse. 

„In  allen  Literaturen  ist  die  abstrakte  Zeit  zu  sinn- 
vollem Leben  personifiziert  worden."  ^)  Während  aber  Shak- 
spere  in  Perss.  der  Zeit  unerschöpflich  ist^),  finden  sich  bei 
Calderon  nur  einige  wenige  prägnante  Fälle  dieser  Art. 

Die  geschäftige  Zeit  schreibt  zu  ewigem  Angedenken  die 
Ruhmestaten  verdienter  Männer  auf  eherne  Tafehi  *) ;  als  ge- 
schickte Künstlerin,  sorglos  und  ohne  Mühe,  *  meißelt  sie  die 
harten  Felsen  zu  breiten  Wandelgängen  aus^);  auch  hat  sie 
das  Recht  und  die  Pflicht,  uns  jeden  Tag  an  Erfährung 
klüger  zu  machen,  so  daß,  nach  dem  Ausspruche  eines  Weisen, 
die  erfahrenen  alten  Leute  in  der  Schule  der  Jahre  die 
Schüler  der  Zeit  gewesen  sind.*) 

Der  König  Basilius  jedoch  nimmt  der  Zeit  diese  ihre 
Pflicht  weg,  da  er  vermöge  seiner  astrologischen  Kenntnisse 
die  Ereignisse  der  Zukunft  voraussieht.  Zugleich  gewinnt  er 
auch  der  Zeit  den  Dank  ab,  indem  er  anderen  mitteilt,  was 
eigentlich  sie  berichten  sollte.^)  Indem  der  gelehrte  Astrolog 
die  immer  noch  zu  früh  eintretenden  Schicksalsschläge  vorher- 
sagt, ist  er  gewissermaßen  eifrig  bemüht,  den  Lauf  der  eiligen 
Zeit  noch  zu  beschleunigen,  als  ob  es  nötig  wäre,  sie  noch 
an  ihren  schnellen  Lauf  zu  mahnen.^ 


Secreto  es  para  mi,  /  Pttes  le  ayuno  y  no  le  huelgOj  Vi  da  I,  13**  =  III, 
33ff.    Cf.  Val.  Schmidt,  S.  355. 

*)  Biese,  Die  Philosophie  des  Metaphorischen^  S.  100 f. 

«)  üottschall,  Poetik,  S.  170;  Hoburg,  S.  löfiF. 

')  SU  hlason  el  tiempo  presuroso  /  En  läminas  de  bronce  tiene  escritOj 
Sitio  I,  111*;  Invicto  Otaviano,  cHyo/Xombre  en  läminas  etemas I El 
tiempo  escriba,  dictado  j  De  las  pltimas  y  laslenguas,  May.  monstruo 
I,  487  %•  I,  483«. 

*)  Por  diversos  laberintos  /  Que  labrö  (artifice  diestrOy  /  Sin  estudio 
y  sin  cuidado),  I  El  desalino  del  tiempo^  May.  encanto  I,  391  ^ 

^)  Dijo  un  sdbio  que  los  viejos  /  En  üi  escuela  de  los  anos  /  Son 
discipulos  del  tiempo,  C astig o  III,  377 ^ 

•)  al  tiempo  le  quito  . ...  La  jurisdiccion  y  oficio  /  De  ensenar  mas 
cada  dia;  I  Pues  cuando  en  mis  tahlas  miro  I  Presentes  las  novedades  I 
De  los  venideros  siglos,  /  Le  gano  al  tiempo  las  gracias  /  De  contar  lo  que 
yo  he  dichOy  Vida  1,  ^^  =  l,  615 ff.    Siehe  Ki,  S.  62 f.  zu  dieser  Stelle. 

')  Un  doctisimo  hebreo  /  Tiene  Jerusalen,  cuyo  deseo  /  Siempre  ha 


—     140    — 

Eilt  auch  die  stolze  Zeit  ^)  mit  starrem  Flügelschlag  und 
hartem  Fußtritt  rasch  und  unaufhaltsam  dahin  %  so  geht  sie 
doch  recht  langsam  in  Not  und  Unglück^,  und  auch  der 
Ungeduldige  möchte  am  liehsten  die  altersschwache  Zeit  in 
seinen  Armen  halten,  um  ihren  Lauf  zu  beschleunigen.^) 

Gleich  der  Sonne  ist  auch  der  Zeit  ewiges  Leben  be- 
schieden. So  wünscht  dem  Könige  Pedro  sein  Bruder  eine 
lange  glückliche  Regierung  mit  den  Worten:  „Mögest  du  als 
dein  eigener  Etbe  um  Ewigkeiten  mit  der  Zeit  wetten."  *) 

Die  Zeit  zerstört  alle  Macht  und  Größe*);  mit  Leichtig- 
keit trägt  sie  ihre  Siege  davon ;  für  sie  wird  keine  Eroberung 
schwer,  da  selbst  das  Größte  und  Beste  der  Last  der  Jahre 
erliegen  muß.') 

Das  Kommen  und  Gehen  der  Zeiten  ändert  den  Zustand 
der  Dinge  ^),  und  der  Mensch  hat  unter  dem  Wankelmute 
der  Zeit  schwer  zu  leiden.*) 

Über  die  einzelnen  Zeitabschnitte  ist  wenig  Neues 
zu  berichten,  nachdem  wir  den  Frühling  und  die  FrühlingB- 
monate  April  und  Mai  im  Zusammenhange  mit  dem  Garten, 
mit  Bäumen   und  Bhimen,   die  Pers.   von  Tag   und  Nacht 


sidOf  estudioso  /  Apres^irar  al  tiempo  presuroso  /  La  edad,  como  n  fueraj 
Meneater  accordark  que  corriera,  May.  monstruo  I,  481  ^ 

*)  El  tiempo  . . .  ufanOy  May.  monstruo  I,  483°. 

*J  el  tiempo  que  mos  vtiela^  que  mas  corre,  /  Ni  con  loa  torpes 
alas  le  derribe  /  Ni  con  las  plantas  trägicas  le  borre  (le  ^=  el  nombre  de 
Cisar),  May.  monstruo  I,  495°. 

^iQue  tasado  que  anda  el  tiempo  I  en  las  penas!  Con  quien 
n,  236*. 

*)  Quisiera  al  tiempo  caduco  /  Tener  en  mis  brazos  koy  /  Para 
apresurar  su  curso,  Judas  I,  324°. 

*)  heredero  de  ti  mismo  /  Apuestes  edemidades  \  Con  el  tiempo^  Mid. 
I,  356°  =  II,  476  fF. 

*)  grandezas  /  Que  ha  de  deshacer  el  tiempo j  Fi  t^a  I,  13°  =  HE,  121'f. 

^  AI  peso  de  los  anos  /  Lo  eminente  se  rinde;  /  Que  d  lo  fddl  del 
tiempo  I  No  hay  conquista  dificil,  Fr  ine.  I,  245*  "=■  I,  21  ff. 

*)  Si  no  mudara  las  cosas  /  De  los  tiempos  el  vaiven^  Midico 
I,  352'>  ==  I,  844f. 

•)  Si  diga  cudnto  he  sentido  /  Este  inconstante  desden  /  Del  tiempo, 
Princ.  I,  255^  =  Ü,  740 ff.;  iQtden,  en  naciendo,  no  vive  j  Sujeto  d  las 
inclemencias  I  Del  tiempo  y  de  la  fortuna?  Ä  secr.  agr.  I,  596 ^ 


—     141     — 

aber  bei  der  Morgendämmerung  und  der  Morgenröte  betrachtet 
haben. 

Auf  den  jugendlichen  Sommer  folgt  der  greise  Winter  ^), 
der  die  Berge  in  tiefe  Ifebel  einhüllt.') 

Der  Sommer  hat  unter  der  schädlichen  Glut  der  Sonne 
viel  zu  leiden  ^) ;  die  Gluthitze  des  Sommers  ist  den  Menschen 
besondfors  gefährlich^  so  daß  wir  es  recht  wohl  verstehen, 
wenn  der  Bauer  Gil  renommiert,  er  töte  in  der  Schlacht  allein 
mehr  Leute  als  ein  Arzt  und  ein  heißer  Sommer  zusammen.^) 

Der  fröhliche  Herbst  dagegen  beschert  den  Bergen  grüne 
Wiesen,  den  Tälern  Früchte  in  reicher  Fülle.*) 

Von  den  Monaten  finden  wir  neben  den  häufiger  ge- 
nannten Frühlingsmonaten  April  und  Mai®)  nur  den  Januar 
gelegentlich  erwähnt,  als  den  unwirtlichsten  und  rauhesten 
Monat,  der  viele  Zerstörungen  anrichtet^;  die  Monate  Juli 
und  August  treten  uns  in  einem  Wortspiele  entgegen®),  und 
vom  Monate  Dezember  erfahren  wir,  daß  er  im  Feldzuge 
gegen  Holland  (1625)  den  kräftigen  Schultern  der  Soldaten 
Spuren  von  Reif  und  Frost  eingeprägt  habe.®) 


*)  al  joven  verano  /  Sigtte  el  cano  inviemo,  Mej.  estd  I,  241*». 

*)  el  inviemo  l^lado  y  cano  /  Este  monte  con  niehlaa  desvanece, 
Tres  m.  prod,  I,  284». 

•)  el  verano  /  Los  desprecios  del  sol  sufre  y  padece;  /  Llega  alegre  el 
otono  y  enriquece  j  El  monte  de  verdor,  defruta  el  llano,  Tres  m.  prod. 
I,  284  •. 

*)  Maio  solo  tnas,  que  juntos  I  Un  midico  y  un  esHOj  Devocion 
I,  66  •. 

»)  Tres  m.  prod,  I,  284%  8.  oben. 

«)  8.  S.  78  ff. 

')  partos  de  un  ano  mismo  /  Soti  las  pompas  del  ahril  /  Y  las  fndnas 
del  etierOf  Puente  I,  206*. 

*)  £b  antwortet  nämlich  der  eine  von  zwei  Dienern  auf  die 
Fragte:  „Wer  von  Euch  beiden  ist  Julius?**  scherzhaft:  Den  Herrn  Julius 
oder  August  dürftet  Ihr  an  der  Trockenheit  und  Dürre  leicht  erkennen 
. , .  El  senor  Julio  6  Ägosto^  /  Por  lo  seco  y  por  lo  flaco  /  Le  ptidiereis 
conocer,  Sah  er  I,  29  ^ 

^)  el  dicietnbre  . .  . .  /  Molduras  de  escarcha  y  hielo  /  Labre  en  sus 
robustos  hombroSj  Sitio  I,  111  ^ 


—     142     — 


Kapitel  IV. 


Die  Personifikation  yon  Gebäuden  und  Geräten. 

Den  niedrigen  Turm^  in  welchem  der  unglückliche  Sigis- 
mund  gefangen  gehalten  wird,  beschreibt  uns  der  Dichter  als 
„ein  roh  ßebäu  zwischen  kahlen  Felsen,  so  niedrig,  daß  es 
sich  kaum  getraut,  zur  Sonne  aufzuschauen^  ^),  indes  der  Turm 
von  Mantible  uns  als  ein  stolzer  Riese  aus  hartem  Stein  ge- 
schildert wird,  der  hoch  emporragt  und  mit  der  Stirn  am 
Himmel  anstößt.  Er  kleidet  sich  genau  wie  ein  Afrikaner, 
denn  die  Wolken  sind  der  Bausch  seines  Turbans,  und  damit 
seinem  Kopfputze  nicht  das  Abzeichen  der  Königswürde 
fehle,  setzt  er  den  Halbmond  des  Himmels  auf  die  oberste 
Spitze  auf.*) 

Türme,  Paläste,  Tempel,  ja  selbst  Landhäuser  erheben 
mit  Vorliebe  ihre  hohe  Stirn  bis  in  die  Wolken  oder  bis  zur 
Sonne  empor')  und  wollen  in  ihrem  Ehrgeiz  dem  Himmels- 
gewölbe an  Höhe  gleichkommen.*) 

Die  Brücke  von  Mantible  ist  so  hoch,  daß  ihre  finstere 
Stirn  dem  Sonnenball  zur  Stütze  dienen  könnte*);  verwegen 
und   trotzig  steht  sie  der  Sonne  gegenüber,   der  sie  infolge 


*)  Rtistico  nace  entre  deanudas  pema  /  Un  palacio  tan  breve,  /  Que 
al  8ol  apinas  d  mirar  se  atreve^  Vi  da  I,  1**  =  I,  56 ff. 

')  gigante  de  piedra,  /  Que  viste  africano  traje  /  Tan  al  prqpio,  que 
las  nubea  /  San  tocas  de  m  turhante^  j  Y  porque  ingignia  de  rey  I  En  8u 
tocado  no  falte,  /  La  media  luna  del  cielo  /  Se  le  pone por  retnate,  Puente 
I,  216  ^ 

•)  Eata  quinta  eminente  /  Que  al  sol  empina  la  elevada  frente,  Tres 
m,  prod.  I,  276^ 

*)  Ese  mipremo  edificiOy  j  Que  entre  aquesas  penaa  altas  /  Ä  igualarse 
con  el  cielo  /  Ambicioso  se  l^anta,  /  Templo  de  Jupiter  es,  Tres  m.  prod, 
I,  288  ^ 

*)  esa  fdbrica  altiva .  . .  En  cuyo  ceno  la  esfera  j  Del  sol  descansa 
y  estriba^  Puente  I,  213*. 


—     143     — 

ihrer  Höhe  die  Aussicht  versperrt.*)  Eitel  uod  hochmütig 
steht  der  Palast  der  Circe  da^  die  Luft  hemmend  und  die 
Berge  bedrückend  <),  während  das  Landhaus,  in  sich  selbst 
▼erliebt  wie  einst  Narzissus,  seine  Schönheit  in  der  grünen 
Meerflut  betrachtet '),  oder  die  Huldigung  des  vorübereilenden 
Flusses  empfängt,  welcher  dem  Landhause  bescheiden  die 
Füße  küßt.*) 

Zum  Schlüsse  ist  noch  auf  einen  Vergleich  hinzuweisen. 

Um  anzudeuten,  wie  ein  Untertan  in  der  Umgebung  seines 
Fürsten  am  ersten  dessen  Zorn  zu  fühlen  bekommt  und  des- 
halb sich  wohl  hüten  soll,  dessen  Unwillen  zu  erregen,  bedient 
sich  Calderon  des  Gleichnisses  vom  Turme,  der  als  Schutzwehr 
gegen  die  Blitze  hoch  oben  auf  dem  Hügel  thronend,  der 
Blitzgefahr  vor  allem  ausgesetzt  ist  und  deshalb  nicht  den 
Blitz,  die  verhängnisvolle  Ausgeburt  der  unheilschwangeren 
Wolke,  zum  Zorne  herausfordern  darf.*) 

Bei  der  Betrachtung  der  Fers,  mechanischer  Gegenstände 
treffen  wir  zunächst  auf  einige  wenige  Stellen,  in  welchen 
Wagen  und  Schiffe  personifiziert  werden. 

Der  Bauer  Gil  erzählt  von  einer  alten  wackeligen  Kutsche, 
die  im  Vergleich  zu  anderen  Kutschen  ausgesehen  habe,  wie 
eine  verschämte  Arme,  und  die,  mit  dem  Fluche  ihrer  Eltern 
beladen,  immer  tiefer  in  den  Schmutz  gesunken  sei');  die 
stolzen   Fahrzeuge,   welche    die   portugiesischen  Heere   nach 


M  Est  puentCj  que  atrevido  j  AI  sol,  que  le  mira^  enoja,  I  Pues  puesto 
en  la  mitad  del  mundo,  /  Ver  la  otra  mitad  U  estorba  ...  Pticn  fc  I,  221**. 

")  Vimos  un  rico  palacio^  /  Tan  vaiiamente  soberbio,  /  Que  embara- 
zando  los  aires  j  Y  lo8  montes  afligiendOj  /  Era  para  aquellos  nube  /  Y 
penaaco  para  estos,  May.  encanto  I,  391*. 

■)  eata  quinta,  /  Narciso  que  en  el  viril  I  Del  mar  mira  su  hermosuraj  j 
Enamorado  de  ai,  Arginis  I,  454  ^ 

*)  Una  quinta  hermosa  y  bella  /  E8  casa  de  recreacion  /  Suya,  cuyas 
plantas  beaa  I  El  rio,  Sitio  I,  122*. 

*)  AI  rayo  que  de  la  nube  /  Prenada  es  fatal  aborto,  /  No  le  burla 
aqueüa  forre  /  Que  cimera  de  un  escoUo^  /  Rebeüin  contra  los  rayos  /  Estd 
al  repäro  de  todos,  Gal.  fant.  I,  302 ^ 

•)  Este  coche  . . . .  /  Parecia  entre  los  otros  /  Pobre  coche  vergonzante;  / 
Ypar  maldicion  muy  cierta  /  De  sus  padres  /  Iba  de  estribo  en  estribo  . . . 
Devocion  I,  54*. 


—     144    — 

Afrika  hinübergetragen,  nennt  der  König  Alfonso  „Berge  des, 
Meeres,  schwanger  von  KriegsYolk^,  die  selbst  den  Himmel 
in  Schrecken  versetzen^);  das  bescheidene  Schiff  hingegen, 
das  dem  Ulises  imd  seinen  Gefährten  auf  dem  Krystallfelde 
des  Meeres  lange  Jahre  zum  Aufenthalte  gedient  hat,  soll, 
dem  Wunsche  der  Circe  gemäß,  im  sicheren  Haf^i  ausruhen 
von  der  langen  Irrfahrt;  sanft  und  ohne  große  An^rengimg 
möge  es  hier  seine  leinenen  Flügel  schlagen, 

„sich  dankbar  zeigend 

Für  die  Schickung,  für  das  Mitleid 

So  der  Himmel  ihm  erweiset."  *) 

Einen  breiteren  Baum  nimmt  die  Fers,  der  Waffen  ein. 

Don  Luis  entledigt  sich  des  Degens,  mit  dem  er  Don 
Manuel  verwundet  hat,  als  eines  ungetreuen  Dieners,  der 
seinem  Herrn  Verdruß  bereitet.  „Hier  ist  der  Degen,  der 
Euch  verletzt  hat;  er  kommt  zu  Euren  Füßen,  um  Verzeihung 
für  seine  Schuld  zu  erwirken."  —  Don  Manuel  nimmt  ihn 
an  mit  den  Worten:  „Das  Schwert,  stets  an  meiner  Seite, 
möge  mich  Tapferkeit  lehren."  *) 

Der  feige  Diener  Cosme  dagegen  weigert  sich,  im  Zwei- 
kampfe zu  fechten,  mit  der  Entschuldigung,  seine  Klinge  sei 
noch  eine  reine  Jungfrau,  die  er  ohne  Bing  und  Trauschein 
nicht  entblößen  dürfe*);  ebenso  weigert  sich  Chato,  sein 
Schwert  zu  ziehen  und  sucht  nach  allerlei  Ausflüchten :  seine 
Klinge   sei   noch  eine  unbefleckte  Jungfrau,   sie  sei  viel  zu 


^)  esa  mäquina  arrogante  j  De  naveSj  que  causando  al  cielo  asombros 

Aborten  gente  loa  prenadoa  montes  I  Bei  war,  Fr  ine.  I.  260* 

=  m.  651flf. 

^)  ese  bajelj  que  al  abrigo  /  De  dos  montes  surto  yace^  j  Permite  que 
agradecido  /  Ä  la  piedad  de  los  cielos,  /  De  los  hados  al  arhitrio,  /  Manda^ 
y  no  penosamente,  /  Bata  las  alas  de  lino^  /  En  tanto  que  te  reparas,  May. 
encanto  I,  394'. 

^)  Bien  como  aqud  criado  /  Qite  d  su  senor  aigun  disgusto  ha 
dado,  I  Hoy  de  mi  lo  despido.  /  Esta  es,  senor,  la  espada  que  os  ha 
herido;  j  Ä  vuestras  plantas  viene  /  Ä  pediros  perdon,  si  culpa  tiene  . . . 
Datna  I,  171*. 

*)  Es  doncclla,  j  Y  sin  cedula  6  palabra;  Xo  puedo  sacarla,  Datna 
I,  168*. 


—     146     — 

sittsam  und  schäme  sich,  vor  so  vielen  Leuten  entblößt  zu 
werden.^) 

Oft  besitzen  die  Worte,  welche  der  beredte  Stahl  ^) 
spricht,  mehr  Nachdruck  und  Kraft  als  die  Worte  der  Zunge  •) ; 
wo  das  Schwert  zu  sprechen  hat,  muß  die  Zunge  schweigen  ^) ; 
wichtige  Angelegenheiten  werden  überhaupt  nur  mit  dem 
Stahle  in  der  Hand  entschieden. 

Wie  die  Klingen  oft  zu  Schiedsrichtern  für  die  Tapfer- 
keit werden^),  so  kommen  auch  Fierabras  und  der  Kaiser 
Karl  überein,  daß  der  Krieg  ihr  Schiedsmann  sei,  daß  der 
Degen  Richter  ihres  Anspruchs  werde.^ 

Der  blinkende  Dolch  soll  Zeuge  sein,  daß  dem  Infanten 
von  Don  Gutierre  kein  Leid  geschehe ') ;  derselbe  Dolch  aber 
verkündet  dem  Könige  untrüglich  die  Schuld  des  Infanten: 
„Der  Dolch  beklagt  sich  über  Euch,  und  ich  muß  ihm  Gehör 
schenken."  *) 

Dem  schlafenden  Ulysses  legt  Polydor  den  Panzer  und 
die  WaflFen  des  Achill  zu  Füßen,  damit  jener  beim  Erwachen 
an  seine  Pflicht  erinnert  werde.  Hiebei  redet  Polydor  die 
Waflfen  an: 


')  La  mia  (=  espada)  j  Es  muy  recatada,  y  teme  /  El  parecer  des- 
honesta  /  Delante  de  tanta  gente  . .  .  Es  doncelkt,  /  Y  porque  mejor  lo 
pruebe,  /  Jarnos  sangrienta  se  lia  visto  ..  .Judas  l^  316  ^ 

«)  Retörico  el  aeero,  Dama  I,  186»;  (cf.  ibd  Ruido  de  cuchiUadas  / 
Habloy  siendo  las  lengiuis  las  espadas). 

*)  Discursos  han  sido  vanos  /  Los  que  la  lengua  primero  /  Ariicvla, 
que  el  acero,  Fuente  I,  218*. 

^)  donde  el  acero  /  Ha  de  hablar,  caUe  la  lengua,  Devocion  l,  bb^] 
La  lengua  /  Suspended,  y  hoble  el  acero^  Da  mal,  168*;  Besponda  presto,  / 
0  ya  desenvoinada  I  Lengua  de  acero,  lo  dird  mi  espoda.  Ä  secr.  agr, 
I,  603^;  Callando  doy  respuesta  con  la  espoda,  ibd,  1,  603". 

*)  sean  los  aceros  /  ÄrbUros  del  valor  en  la  campafia,  Puente 
I,  205  \ 

•)  Mi  hermano  y  Carlos  trataron  /  Que  fuese  ärbitro  la  lid,  /  Qtie 
fuese  juez  el  acero  j  De  su  pretension,  Puente  I,  206". 

')  Enrique  .  . .  .  /  Estä  seguro  conmigo,  /  Ypara  esto  hoble  un  testigo : 
Esta  daga,  esto  brillante  I  Lengua  de  acero  elegante,  Midico  I,  360** 
=  m,  53ff. 

*•)  i  Veis  este  punal  dorado  ?  /  Geroglifico  es  que  dice  /  Vuestro  delito: 
d  quejarse  /  Viene  de  vos,  y  he  de  oirle,  Midico  I»  361*"  =  HI,  209ff. 
MUnchener  Beitrage  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.  XXXII.      10 


—     146     — 

Ihr  Trophä'n,  die  in  der  Aschen 

Troja  immer  noch  beweinet, 

Die  ihr  um  so  heller  scheinet. 

Von  Trojaner  Blut  gewaschen! 

Sprecht  für  euch,  und  seid  nicht  Willens 

Hier,  von  schnöder  Lieb'  umdunkelt. 

Einzurosten,  da  ihr  funkelt 

Von  der  toten  Glut  Achillens.^) 
Sind  auch  die  spanischen  Waffen  wohl  unterwiesen,  über- 
all den  Sieg  davoDzutragen  *),  so  haben  doch  die  Kugeln  der 
Feinde  wenig  Respekt  vor  den  spanischen  Soldaten,  wenn  sie 
ohne  anzuklopfen  ins  Heerlager  zum  Besuche  hereinkommen.^) 
Neben  den  Waffen  finden  wir  die  Kleidung  des 
Menschen  personifiziert. 

So  rühmt  der  Bauer  Tosco  seinen  kurzen  Mantel,  der 
ihm  nur  bis  zu  den  Hüften  geht:  der  Mantel  sei  ungemein 
höflich  und  gamicht  hochmütig,  denn  wenn  sein  Besitzer  sich 
auch  niedersetze,  bleibe  er  immer  stehen^);  der  feige  Gil 
dagegen,  der  die  Tracht  eines  BÄubers  hat  anlegen  müssen, 
nennt  sein  Gewand  einen  großen  Schurken,  der  die  Leute 
belüge.^)  Doiia  Mencia  möchte  ihren  Gemahl  ebenso  oft 
umarmen  wie  die  Maschen  des  Panzerhemdes,  denn  diese 
halten  ihren  Gemahl  stets  liebevoll  umschlungen.') 

Viele  leblose  Gegenstände  werden  dadurch  personifiziert, 
daß  ihnen  der  Dichter  eine  Sprache  beilegt  oder  sie  zu  Zeugen 
anruft. 


*)  Trofeon  que  soberanos  /  Troya  entre  cenizaa  üoray  /  Y  aun  estais 
sudando  ahora  /  La  aangre  de  los  troyanoSj  /  Volved  por  voSy  y  entre  viles  / 
Amores  no  os  permitais  j  Empanar  . . .  May.  encanto  I,  408 ^ 

*)  Hoy  las  vidoriosas  armas  /  Muestren  sangrientas  que  estan  / 
Siempre  d  vencer  ensenadaSj  Sitio  I,  114 ^ 

•)  /  Miren  que  poco  resj}eto !  /  Sin  licencia  se  nos  entran  /  Ä  conver- 
sadotifj  Sitio  I,  117 ^ 

*)  siempre  tan  cortes  fu6  j  Que  d  ninguna  se  igualo,  /  Pues  aunque 
me  siento  yoj  Ella  se  me  queda  en  pie,  Amor  I,  377 •. 

*)  Ya  nos  ha  dicho  /  El  traje  que  es  bandolero  I . . .  El  traje  les  ha 
mentido  I  Como  muy  grande  hellacOj  Devocion  I,  66'. 

•)  Con  envidia  de  estas  redes,  /  Que  en  tan  amorosos  lazos  /  Estän 
inventando  ahrazos,  Medico  I,  354**  =  IL  157 ff. 


—     147     — 

So  sollen  z.  B.  der  Feldherrnstab ^)y  die  Schärpe^,  der 
Zettel^  ZeugDis  ablegen,  durch  eine  Aufschrift  spricht  der 
Briefe);  wie  es  fluchende  Menschen  gibt,  so  gibt  es  auch 
fluchende  Spielkarten,  die  jeden  Tag  lästern^),  und  das  vom 
Fürsten  von  Marokko  an  die  schöne  Fenix  geschickte  Bildnis 
wird  zu  einem  Oesandten,  der,  weil  er  eine  stumme  Sprache 
redet,  wohl  eine  Liebesbotschaft  überbringt.^ 

Im  Reiche  der  Münzen,  wo  Dukaten  und  Taler  als 
Könige  und  Fürsten  herrschen,  sind  die  unverschämten 
Pfennige  das  gemeine  Volk ') ;  die  Silbermünze,  die  bei  der 
Belagerung  von  Bred&  geschlagen  wurde,  fühlt  sich  unglück- 
lich, da  sie  keine  Zinsen  gewährt  und  jedermann  durch  ihre 
Inschrift  verkünden  muß,  daß  die  Stadt  belagert  sei.^ 

Schmunzelnd  bemerkt  der  Diener  Cosme  von  seiner  Geld- 
börse, die  er  im  Laufe  des  Tages  tüchtig  zu  füllen  Gelegenheit 
gehabt  hat,  sie  sei  heute  als  Jungfer  aufs  Pferd  aufgestiegen 
und  schwanger  wieder  heruntergekommen.*) 

Zum  Schlüsse  muß  noch  die  Pers.  der  Wörter  liaie!  = 
halt!  und  ihola!  erwähnt  werden. 

Der  Diener  Coquin  betritt  im  Selbstgespräche  ein  Ge- 
mach des  königlichen  Palastes   und  sieht  sich  plötzlich  dem 


^)  Esia  sena  /  Dirä  . . .  guten  fui:  j  El  baston  testigo  sea,  Cenohia 
I,  199«. 

*)  La  banda  hoble,  Banda  II,  156*;  Sea  esta  banda  testigo,  ibd. 

•)  Esta  carta  que  veis,  j  He  tenido  esta  tarde,  /  Mensajero  y  testigo  / 
De  tu  ausencia,  Aströl,  I,  684 •. 

*)  mNadie  rne  ahra,  porque  soy  /  De  Don  Manuel  solamente»,  Dama 
I,  173  ^ 

^)  ä  imitacion  de  las  gentes  /  Hay  barajas  mdldicientes,  /  Y  dicen 
mal  cada  dia,  Qal  fant.  I,  294^ 

•)  enibajador  /  Es  de  su  parte;  y  no  dudo  /  Que,  etyibajador  que  habla 
mudo,  I  Trae  embajadas  de  amor,  Fr  ine,  I,  245'  =  I»  109  ff. 

')  Cuartaaos  son  insolentes,  /  Que  en  la  repüblica  donde  /  Son  los 
principes  y  reyes  /  Las  doblas  y  patacones,  /  Ellos  son  la  comun  plebe, 
Damal,  172  ^ 

•)  Esa  nueva  moneda  , .  .  I . .  es  infelice  . .  Breda  sitiada  per  EspaHa 
dice,  Sitio  L  123*. 

•)  aquesta  Jornada  /  Subio  doncella,  y  se  apeö  prenada,  Dama 
I,  171  ^ 

10* 


—     148     — 

Könige  gegenüber.  Basch  bricht  er  sein  Selbstgespräch  ab: 
Doch  haltl  Denn  dies  ist  ein  gar  ehrenwerter  „Doch"  vom 
berühmten  Geschlechte  der  „Halt  —  hier"  von  Kastilien.  Es 
steht  ja  der  König  hier."  ^)  Der  Bauer  Tosco  dagegen  weist 
den  Ruf  hola,  mit  welchem  ihn  ein  Jäger  aus  dem  Gefolge 
des  Königs  angesprochen  hat,  entschieden  zurück :  er  sei  nicht 
der  Holla,  das  könne  er  beschwören,  und  er  bitte  ihn,  höf- 
licher zu  reden.*) 


Ergebnisse. 


Wir  haben  mit  der  vorliegenden  Untersuchung  einen 
Einblick  in  die  bilderreiche  Sprache  des  großen  Spaniers 
erhalten,  wir  sind  mit  gewissen  Eigenheiten  unseres  Dichters 
näher  bekannt  geworden,  und  haben,  trotzdem  wir  nur  etwas 
über  den  vierten  Teil  seiner  cotnedias  (28 :  108)  und  auch  da 
nur  eine  bestimmte  Figur  der  Bede  prüfen  konnten,  gesehen, 
wie  Calderon  bei  aller  Originalität,  bei  aller  Großartigkeit 
und  Farbenpracht  der  Diktion  eigentlich  nur  über  ein  be- 
stimmtes, fest  begrenztes  Gebiet  von  Gedanken,  Bildern,  Ver- 
gleichen und  Bedewendungen  verfügt,  über  welches  er  nicht 
hinauskommt,  eine  Eigenheit,  auf  welche  übrigens  schon 
Gries,  Schuchardt,   Krenkel  u.  a.  hingewiesen  haben. 

Von  dieser  Erwägung  ausgehend,  dürften  wir  nach  der 
Durchforschung  dieses  verhältnismäßig  kleinen  Teiles  von 
Calderon's  Werken  immerhin  ein  ausreichendes  Bild  von 
seiner  Art  zu  personifizieren  erhalten,  ein  Bild,  das  in  großen 
Umrissen  festgefügt  vor  uns  steht  und  nur  in  Einzelheiten 
noch  abzurunden  und  zu  ergänzen  wäre. 

Auf  Grund  des  vorliegenden  Materials  wird  die  Frage 
zu  erörtern  sein,  ob  Calderon  die  handelnden  Personen  seiner 


*)  Pero  i  täte !  (Que  es  un  pero  muy  honrado  /  Del  celebrado  linßje  / 
De  los  tates  de  Castiüa),  I  Parque  el  rey  estd  delante,  Midico  I,  356" 
=  421  ff. 

')  /  Hola,  aho,  pastor ! ,  . . .  Yo  no  so  hola^  jura  d  noSy  /  Y  avisoU 
que  habre  bien  ....  Amor  I,  369**.  Zur  Pers.  einEelner  Wörter  cf. 
Hense  I,  Einleitung,  S.  XXVI. 


—     149     — 

Stücke  durch  die  angewandten  Bilder  (Perss.)  in  besonderer 
Weise  charakterisiert. 

Schon  oben  ist  des  öfteren  darauf  hingewiesen  worden, 
wie  in  der  Sprache  der  Liebenden,  die  bei  Oalderon  rorzugs- 
weise  den  höheren  und  höchsten  Ständen  angehören,  das 
reiche  Gebiet  der  Natur  zur  Geltung  kommt,  und  wie  hier 
namentlich  die  Sonne,  die  Morgenröte,  die  Sterne  und  die 
Blumen  eine  große  Rolle  spielen. 

In  der  Sprache  der  Personen  aus  den  niederen  Ständen, 
der  Diener  und  der  Bauern  hingegen  finden  wir  kaum  eine 
Pers.  aus  dem  Gebiete  der  Natur  ^),  während  ihre  Sprache  für 
die  Perss.  der  mechanischen  Gegenstände  zahlreiche  Belege 
bietet.  Für  die  Natur  haben  diese  Personen,  die  bei  Calderon 
die  Vertreter  des  Humors  abgeben,  eben  keinen  Sinn;  die 
Geräte,  die  Kleider,  das  Geld,  die  Betätigungen  des  mensch- 
lichen Lebens  u.  ä.  liefern  den  Hauptstoff  für  ihren  engen 
Gesichtskreis. 

Li  der  Mitte  zwischen  den  criados,  den  Dienern,  und  den 
Angehörigen  der  höheren  Stände  steht  die  criada,  die  Kammer- 
zofe, die  als  Vertraute  ihrer  Herrin  schon  Anspruch  auf  eine 
höhere  Bildung  erhebt.  Ihr  Gesichtskreis  ist  erweitert,  sie 
hat  einen  Blick  für  die  Schönheiten  der  Natur,  wenn  sie  meist 
auch  nur  nachahmt,  was  sie  von  ihrer  Herrin  gesehen  und 
gehört  hat. 

Wir  erkennen  also,  daß  Calderon  seine  Personen  durch 
die  angewandten  Bilder  im  allgemeinen  recht  wohl  zu  cha- 
rakterisieren versteht. 

Dagegen  macht  unser  Dichter  in  der  Verwendung  der 
Bilder  (Perss.)  keinen  Unterschied  in  Hinsicht  auf  den  Stoff, 
den  er  behandelt:  ein  religiöses  oder  ein  mythologisches,  ein 
geschichtliches  oder  ein  symbolisches  Drama,  ein  Ritter- 
schauspiel oder  eine  comedia  de  capa  y  espada  wird  in  der 
gleichen  Weise  an  geeigneter  Stelle  mit  Bildern  ausgeschmückt, 
und  daß  hier  Calderon  bisweilen  des  Guten  zu  viel  tut,  wird 
unsere  Darstellung  gezeigt  haben. 


*)  So  findet  «ich  eine  solche  Pers.  in  der  Stelle  Arg  in  i  8  I,  440" 
(s.  oben,  S.  41,  Anm.  6),  was  jedoch  auch  Schmidt  „höchst  be- 
fremdend^ erscheint,  s.  dort,  S.  284. 


—     150    — 

Bei  aller  Begeisterung  für  den  großen  Spanier,  der  nns 
durch  langjähriges,  eingehendes  Studium  lieb  und  wert  ge- 
worden ist,  müssen  wir  bekennen,  daß  Calderon  in  seinen 
Perss.  in  vielen  Punkten  hinter  Shakspere  zurücksteht,  mit 
welchem  er  sonst  so  oft  in  Parallele  gestellt  wird,  und  daß 
seine  Perss.  trotz  aller  Farbenpracht  im  Ausdrucke  nur  selten 
die  Wärme,  das  Gefühlvolle,  Anheimelnde,  Ansprechende  der 
Perss.  Shakspere's  erreichen. 

Weitere  Schlüsse  zu  ziehen,  dafür  hält  Verf.  das  be- 
handelte Material  für  noch  nicht  ausreichend  genug.  Eis 
müßte  erst  der  gesamte  Bilderschmuck  iü  sämtlichen  Werken 
Oalderon's  genau  durchforscht  und  mit  dem  Sprachgebrauche 
seiner  großen  Vorgänger  und  Zeitgenossen  eingehend  ver- 
glichen werden,  bevor  man  ein  endgültiges  urteil  über  die 
poetische  Kunst  Oalderon's  und  über  die  Sprache  des  spani- 
schen Theaters  überhaupt  abgeben  könnte.  Freilich  bietet 
sich  auch  zu  diesem  umfangreichen  Unternehmen,  wie  bereits 
Stiefel  1884  in  bezug  auf  die  Textkritik  hervorgehoben 
hat,  noch  mehr  als  einer  Generation  Stoff  zu  ernster,  kritischer 
Arbeit. 


Lippert  A  Co.  (O.  Pätz^sche  Bnobdr.),  Naumburg  a.  S. 


MÜNCHENER  BEITRÄGE 


ZUB 


ROliNISCIiDiifiLISCIIiimOLOeiE. 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

E  BREYMANN  und  J.  SCHICK. 


xxxm. 

RICHARD   FLECKNOE. 


-* 


LEIPZIG. 

A.  OEICHERT'SCHE  VERLAGSBÜCHHANDLUNG  NACHT. 

(GEORG  BÖHME). 

1905. 


RICHARD  FLECKNOE. 


EINE   LITEEAEHISTORISCHE  ÜNTEKSÜCHUNG 


VON 


Db.  ANT017  LOHR. 


-<#>- 


LEIPZIG. 

A.  OEICHERT'SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG  NACHF. 

(GEORG  BÖHME). 

1906. 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


Yorwort. 


Die  ABregung  zn  vorliegender  Arbeit  verdanke  ich  fiem 
(JnirerBitätsprofessor  Dr.  Jos.  Schick,  der  in  einem  Kolleg 
über  die  englische  Literatur  der  Restanratioosaeit  die  Auf» 
hellmig  der  dichterischen  Persönlichkeit  B.  Flecknoe's  als 
Desideratum  bezeichnete.  Bisher  hatte  man  eigentlich  nieht 
viel  mehr  von  Flecknoe  gewußt,  als  daB  er  den  Titel  für 
eine  glänzende  Satire  Dryden's  geliefert  hatte.  Alles  andere^ 
was  man  von  dem  Manne  zu  sagen  wufite,  war  mehr  oder 
weniger  stark  problematisch,  und  mit  geringen  Ausnahmen 
hatte  der  eine  Literarhistoriker  die  Behauptungen  des  andern 
ziemlich  kritiklos  nachgeschrieben.  Da  ich  aus  verschiedenen 
Anzeichen  schließen  durfte,  daß  ich  in  Flecknoe  auf  eine 
recht  pittoreske  Persönlichkeit  stoßen  würde,  und  Langbaine, 
fast  ein  Zeitgenoase  Flecknoe's,  mir  bestätigte,  daß  der  Mann 
zu  seiner  Zeit  in  hohem  Rufe  stand,  so  machte  ich  mich  mit 
großem  Literesse  an  die  Arbeit,  diese  immerhin  eigenartige 
und  charakteristische  Persönlichkeit,  soviel  wie  möglich,  auf- 
zuhellen und  damit  zugleich  einen  bisher  dunklen  Winkel  der 
damaligen  Literatur  zu  beleuchten.  Eine  sogenannte  „Ehren- 
rettung", wie  der  Dichter  Robert  Southey  sie  an  Flecknoe 
versuchte,  lag  mir  fern.  Ich  wollte  nur  ein  Sandkorn  zu  dem 
stolzen  Bau  der  englischen  Literaturgeschichte  beitragen. 

Zum  Gelingen  der  Arbeit  trugen  die  stets  erneuten  An- 
regungen, Förderungen  und  Ratschläge,  die  mir  während  der 
Ausarbeitung  und  noch  während  des  Druckes  der  Unter- 
suchung  Herr  Prof.   Dr.  Schick   in  liebenswürdigster  Weise 


-    VI    - 

zuteil  werden  ließ^  wesentlicli  bei.  Ebenso  möchte  ich  an 
dieser  Stelle  den  beiden  Herren  Professoren  Brejmann  und 
Schick,  meinen  hochverehrten  Lehrern,  meinen  herzlichen 
Dank  für  die  Anleitung  zu  wissenschaftlichen  Arbeiten  aus- 
sprechen, die  ich  ron  ihnen  erhalten. 

Als  Förderern  meiner  Arbeit  sei  noch  warm  gedankt  den 
Herren  Dr.  Eugen  Oswald  in  London,  der  mir  den  Zutritt 
zum  britischen  Museum  ermöglichte,  und  Oberbibliothekar 
Mr.  Nicholson  in  Oxford,  der  mir  als  Vorstand  der  Bodleiana 
ToUes  Entgegenkommen  bewies.  Zu  danken  habe  ich  auch 
Rev.  Jos.  Gillow,  dem  Herausgeber  des  "Biographical  Dic- 
tionary  of  the  English  Catholics",  der  mir  in  liebenswürdiger 
Weise  briefliche  Auskunft  auf  einige  Fragen  erteilte.  Endlich 
—  last  not  least  —  möchte  ich  meinem  Freunde  Maximilian 
Pfeiffer,  früher  Assistent  an  der  hiesigen  Hof-  und  Staats* 
bibliothek,  jetzt  Sekretär  an  der  Staatsbibliothek  in  Bamberg, 
auch  hier  nochmab  danken  für  die  Bereitwilligkeit,  mit  der 
er  mir  stets  entgegenkam,  wenn  ich  an  der  Staatsbibliothek 
seine  Hilfe  in  Anspruch  nahm. 

Möge  der  kleine  Beitrag  zur  Geschichte  der  englischen 
Literatur  im  Bestaurationszeitalter  in  wissenschaftlichen  Kreisen 
wohlwollend  aufgenommen  werden! 

München,  im  Juli  1904. 

Der  Terfasser. 


Inhaltsübersicht. 


Seite 

literatorangaben VIII 

I.  Einleitung 1 

II.  Erste  literariBche  Vennche 9 

in.  Keisebriefe  und  ^^Kiscellania'^ 12 

IV.  Erster  dramatischer  Versach 37 

y.  Humoristische  Streifzüge  durch  London 48 

VI.  Charakterbilder 61 

VII.  Flecknoe  über  Oliver  Cromwell 58 

VUI.  Flecknoe's  Stellang  zar  Restanration 61 

IX.  Ein  neues  Bühnenstück 70 

X.  Eine  Umarbeitung  von  '^Love's  Dominion"  nebst  einer 

Abhandlung  über  die  englische  Bühne 78 

XI.  Neuausgaben  der  „Charakterbilder*^  und  eine  Sammlang 

verschiedener  Arbeiten 82 

XII.  Anlehen  bei  Moli^re 87 

HUI,  Davenant's  Heise  ins  Jenseits 91 

XIV.  Eine  neue  Sammlung  lyrischen  Inhalts 95 

XV.  Vermischtes 102 

XVI.  Betrachtungen  über  Flecknoe  als  Mensch  und  Dichter  104 

XVU.  Bisherige  Urteile  über  Flecknoe.    Endergebnis    .    .    .  108 

Fenonen-  und  Sachregister 112 


Literaturangaben. 


A.  Werke  Flecknoe'e. 

Hierothalamium,  or  the  Heavenly  Nuptials  of  our  Blessed 
Sayiour  with  a  Pious  Soule.    1626.    (L.  Stephen.) 

The  Affections  of  aPions  Soule,  unto  our  Sayiour- 
Christ.  Expressed  in  a  mixt  Treatise  of  Verse  and 
Prose.  By  i^chard  Flecknoe.  London.  1640.  Printed 
by  John  Baworth  for  William  Brocke,  dwelling  at  the 
Upper  end  of  Holbome  in.  Torping  Bents.  8^.  49  S. 
pBodleiana.] 

The  Furnace  of  Divine  Love  sufficient  to  melt  the 
hardöst  Hearts  to  Devotion  toward  cur  Saviour  Christ 
Wiitten  in  Latin  by  LudoYicus  Blosius,  Abbot  of  Lessy, 
of  the  Holy  Order  of  S.  Benedict  With  other  Pious 
and  useful  Treatises,  out  of  the  same  author.  And 
Engüshed  by  R.  P.  (Lond.?).  1642,  32  mo;  (Lond.) 
1686,  32 mo;  title,  &c.,  2flF.,  203  S.  (J.  Gillow.) 

Miscellania:  or,  Poems  of  all  Sorts,  with  divers  other 
Pieces.  Written  by  Richard  Fleckno.  Printed  by  T.  B. 
for  the  Author.    London.  1663.     146  S.    8«. 

Love's  Dominion:  a  dramatick  piece  [in  five  acts  and  in 
verse]  fiill  of  excelleot  Moralities;  written  as  a  pattern 
for  the  refonned  stage.    London.  1654  (anon.).  79  S.  8^ 

A  Relation  of  Ten  Years'  Travels  in  Europe,  Asia, 
Affrique  and  America.  By  way  of  letters  to  divers  noble 
Personages  from  Place  to  Place;   and  continued  to  this 


-    IX    - 

preaent  year  by  Bicbard  Flecknoe.  With  other  hifitoricai, 
moral  and  poetical  pieces  of  tbe  same  Author.  For 
tbe  Autbor.  Londoo.  [1656].  (Leslte  Stepben:  1656.) 
176  S.     16^ 

Tbe  Diarium,  or  Journall:  divided  into  12  Jornadas 
in  burleaque  Bbime,  or  Drolling  Verse,  witb  divers  otber 
pieces  of  tbe  same  autbor.  H.  Herringman.  London. 
1656.     104  S.    80. 

Enigmaticall  Cbaracters,  all  taken  to  tbe  Life,  from 
several  Persons,  Humours  and  Dispositions.     [London?] 

1658.  136  S.     8«. 

Tbe  Marriage   of  Oceanus  and  Britannia.     1659. 

[L.  Stepben.] 
Tbe  Idea  of  bis  Higbness  Olirer,  late  Lord  Protector, 

&c.    Witb  certain  brief  Eeäections  on  bis  Life.    London. 

1659.  68  S.    8^ 

Heroick  Portraits,  witb  otber  Miscellary  Pieces,  Made, 

and    Dedicate    to  His    Majesty.      By    Rieb.    Flecknoe. 

London.  1660,  Printed  by  Ralpb  Wood  for  tbe  Autbor. 

Vm  u.  120  S.    80.     [Bodleiana.] 
Erminia;   or,  tbe  Fair  and  Virtuous  Lady.     A  Trage-Co- 

medy.    Printed  for  tbe  Autbor.     London.  1661  u.  1665. 

96  S.     8*. 
Love's  Kingdom.     A  Pastoral  Trage-Comedy.     Witb  a 

sbort  treatise  of  tbe  Englisb  stage.    Printed  by  R.  Wood 

for   tbe   Autbor:    London.    [1664],     8^.     98    S.      (Das 

Datum  ist  weggerissen,   da  aber  die  Abbaodlung  über 

die    engliscbe   Bübne    1664    datiert   ist,    so  wird   dieses 

Datum  wobl  aucb  für  das  Stück  ricbtig  sein.) 

[Die    Abbandlung    bat    einen    Neudruck    erlebt   in 

Hazlitt's  ^'Englisb  Drama  and  Stage",  Roxburgbe  Library, 

1869.] 
Tbe  Damoiselles  a  la  Mode.    A  Comedy.    Printed  for 

tbe  Auibor.    London.  1667.     8^.     124  S. 
Sr    William    D'avenants    Voyage    to    tbe    Otber 

World:   Witb   bis  Adventures  in  tbe  Poets'   Elyzium. 

A  poetical  Fiction.     Printed  for  tbe  Autbor.    London. 

1668.     15  S.    8^ 


—    X    — 

Sixty  nine  Enigmatical  Characters,  all  very  exactly 
drawn  to  the  Life.  The  Second  Edition  bj  the  Author 
R.  F.  Esquire.  For  W.  Crook:  London.  1666.  154  S. 
120. 

Rieb.  Flecknoe's  ^nigmatical  Cbaracters.  Being 
ratber  a  New  Work,  tben  New  Impression  of  tbe  Old. 
Printed  by  R.  Wood,  for  tbe  Autbor:  London.  1666. 
118  8.     16^ 

A  Farrago  of  several  Pieces.  Newly  written  by 
Riebard  Flecknoe.  Being  a  Supplement  to  bis  Poems, 
Cbaracters,  Heroick  Pourtraits,  Letters  and  otber  Dis- 
courses formerly  publisbed  by  bim.  London.  1666. 
Printed  for  the  Author.    86  S.    8^     [In  der  Bodleiana.] 

Epigrams  of  allSorts,  made  at  Divers  Times  on  Several 
Occasions  (Epigrams  Divine  and  Moral  dedicated  to  her 
Majesty)  2  Tle.  For  tbe  Author  and  W.  Crook :  London. 
1670.  93  S.  12^  Daran  schließen  sich  die  "Epi- 
grams Divine  andMoral,  Dedicated  to  Her  Majesty". 
Sie  haben  eigenes  Titelblatt,  sind  aber  nicht  paginiert. 
Im  !&egister  werden  sie  jedoch  mit  den  übrigen  Epi- 
grammen aufgeführt. 

Epigrams  of  all  Sorts,  made  at  Several  Times,  on  Several 
Occasions.  Being  ratber  a  New  Work  than  a  New  Im- 
pression of  the  Old.  2  Tle.  Printed  for  the  Author: 
London.  1671.  88  S.  8^  Die  sich  wieder  ohne  Pa- 
ginierung hieran  anschließenden  "Epigrams  Divine  and 
Moral"  tragen  das  Datum  1670. 

A  Collection  of  the  choicest  Epigrams  andChar- 
acters  of  R.  F.  Being  ratber  a  New  Work,  than  a 
New  Impression  of  the  Old.  London.  1673.  2  Teile. 
99  u.  64  S.     8^ 

Euterpe  Revived,  or  Epigrams  made  at  several  times  on 
persons  most   of  them   now  living.  1675.     [L.  Stepben.] 

A  Treatise  of  the  Sports  ofWit.  1675.  [Ein  Exemplar 
in  der  Huth  Library,  das  zweite  bekannte  im  Besitze 
des  Earl  of  EUesmere.] 


—    XI    ~ 


B.  Referenzen. 

Allibone,   S.  Austin:  A  Critical  Dictionarj  of  English 

Literature.    London.  1859.     2  Bde.    4^ 
Baldwyn,    Charles:    The    Retrospectire    Review. 

Bd.  V.     S.  266—275.    London.  1822. 

ChalmerSy  Alexand&r:.  The  General  Biographical  Dic- 

tionary.     32  Bde.    London.  1812—17. 
Gib  her:  The  Lives  of  the  Poet»  of  Great  Britain  and  Ire- 

land.     5  Bde.    London.  1753. 
Darenanty  Sir  William:  Works.   With  prefatory  Memoir 

and  Notes,  vol.  I  of  the  Dramatists  of  the  Restoration. 

Edited  by  James  Maidment  and  W.  H.  Logan.    Edin- 
burgh. 1872. 
Dryden,  John:   Works.     By  Sir  Walter  Scott.    Revised 

by  G.  Saintsbury.     18  Bde.    Edinburgh.  1883—1889. 
:  Critical  and  Miscellaneous  Prose  Works.   By  Edmond 

Malone.    In  3  vols.    London.  1800. 
Earle,    John:    Micro-Cosmographie ,    1628.     In  "English 

Reprints'',  Edited  by  E.  Arber.     London.  1869. 
Encyclopsedia    Britannica.      9*^    edition.      24    Bde. 

London.  1876—89. 
Foley,  Henry  S.  J. :   Records  of  the  English  Province  of 

the  Society  of  Jesus.     7  Bde.    London.  1882. 
Gillow,  Joseph:   A  Literary  and   Biographical  History, 

or   Biographical   Dictionary    of   the   English   Catholics. 

4  Bde.    London.  1885—87. 
Hazlitt:  The  English  Drama   and  Stage  under  the  Tudor 

and  Stuart  Princes  1543—1664.    London.  1869. 
Knox,  Thomas  Francis:  The  First  and  Second  Diaries 

of  the  English  College,  Douay.    London.  1878.    8^. 
Koeppel,  Emil:  Quellen-Studien  zu  den  Dramen  Ben  Jon- 

son's,   John  Marston's  und  Beaumont's  und  Fletcher's. 

XI.    Heft    der  Münchener  Beiträge    zur    rom.    u.   engl. 

Philologie.    Erlangen.  1895. 
Langbai ne,  Gerard:  Account  of  the  English  Dramatick 
Poets.     Oxford.  1691. 


—    XII    - 

Marvell,  Andrew:  Works.     By  Captain  E.  Thompson. 

3  Bde.    London.  1776. 
Oyerbury,  Thomas:  The  Miscellaneous  Works  in  Prose 

and  Verse.     By  E.  T.  Bimbanlt  LL.  D.  etc.    London. 

1856. 
RoBcommon,  Earl  of:  In  ''The  Works  of  the  English 

Poets  from  Chancer  to  Cowper".     By  Dr.  S.  Johnson. 

81  Bde.    Bd.  IH  8.  261  ff. 
Saintsbury,  George:  John  Dryden.    London.  16B6. 
Scott,  Sir  Walter:  Memoirs  of  John  Dryden.    2  Bde. 

Paris.  1826. 
Southey,  Kobert:  Omniana,  or  Horae  Otiosiores.   2  Bde. 

London.  1812. 
Stephen's    Artikel:    Flecknoe    Richard   in   Stephen, 

Leslie,  and  Lee,  Sidney,  L.,  Dictionary  of  National 

Biography.    In  6B  toLs.    London.  1885—1901.    19.  Bd. 

S.  260—261. 


I. 
Einleitung. 

Die  Ironie   des  Schicksals  spielt  auch  in  der  Literatur- 
geschichte   eine    bedeutende    Rolle.      So    verdankt   Richard 
Flecknoe   sein   bisheriges  Dasein  in  der  Geschichte  der  eng- 
lischen Literatur  fast  einzig  der  Tatsache,  daß  John  Dryden 
in  seiner  glänzenden  Satire  ^Mac  Flecknoe''  den  Namen  des 
Unglücklichen  zur  Züchtigung  seines  Gegners  Thomas  Shadwell 
verwandte.     Weder  die  zahlreichen  Werke,  die  Flecknoe  ^for 
private    circulation'^     drucken     ließ,     noch     seine    zahlreichen 
hohen  Gönner  und  Gönnerinnen  hätten  ihn  vor  dem  völligen 
Vergessenwerden  gerettet,  wenn  nicht  Dryden's  Verse: 
"^//  human  things  are  subject  to  decay. 
And,  when  Fate  stimmonsj  motiarchs  must  obey, 
This  Flecknoe  found,  who,  like  Augusttis,  young 
Was  called  to  empire,  and  had  govemed  long; 
In  prose  and  verse  was  owned  tvithout  dispute, 
Through  all  the  realms  of  Nonsense,  absolute" 
ihn  ewiger  Lächerlichkeit  überantwortet  hätten. 

Über  den  Grund,  warum  Dryden  Shadwell  gerade  als 
den  poetischen  Sohn  Flecknoe's  hinstellt  und  ihn  dadurch 
besonders  brandmarken  will,  ist  schon  viel  geschrieben  worden. 
So  meint  Robert  Southey^),  der  erste,  der  Flecknoe  wieder 
zu  Ehren  bringen  wollte:  ^Perkaps  Dryden  was  offended  at  his 
invectives  againsi  the  ohscenity  of  the  stage,  feeling  himself  more 
notorious,   if  not  more  cidpable   than   any  of  his  rivals,  for  this 


')  South ey,  Omniana,  S.  105—110. 
Mänchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.    XXXIII. 


—    2    — 

scandalous  and  unpardonabls  offence^  Hat  diese  Vermutang^ 
schon  wenig  für  sich,  da  Dryden  doch  wohl  auch  Flecknoe's 
Bewunderung  für  seine  Werke  kannte,  so  ist  die  von  Alexander 
Chalmers^)  gänzlich  falsch.  Derselbe  sagt  nämlich :  ^^Somef?) 
have  Said  (hat  when  the  revolution  was  compleied,  Dryden  having 
8ome  Urne  before  turned  papist,  became  disqualified  for  Holding  hi^ 
place  of  poet-laureate,  It  was  acoordingly  taken  from  him,  and 
conferred  on  Flecknoe^  a  man  io  whotn  Dryden  is  said  to  have 
had  already  a  confirmed  aversion;  and  this  produced  the  famous^ 
Satire,  called  from  him  Mac  Fkcknoe  ..."  Diesen  Unsinn,  der 
auf  einer  Verwechslung  der  Personen  Flecknoe's  und  Shad- 
well's  beruht,  hat  Chalmers  Ton  Cibber  *)  übernommen,  der 
meinte,  der  neae  poeta  laureatus,  der  nach  der  Revolution 
geschaffen  wurde,  sei  Flecknoe  gewesen,  ^^for  whom  he  (Dryden) 
had  a  confirmed  aversion^  in  eonsequence  of  whieh  he  wrote  a 
Satire  against  him,  caUed  Mac- Flecknoe".  Dazu  hatte  schon 
Malone')  bemerkt:  ^The  wriier  seems  to  liave  thought  ihai  Mac 
and  Änti  ivere  synonymous^  Diese  Verwechslung  dauerte 
noch  lange  an.  Noch  Austin  AUibone^)  achreibt  1859,  in- 
dem er  sich  die  Sache  anders  zurecht  zu  legen  sucht :  ^Dryden 
held  Fkcknoe  in  great  contempt^  which  was  naiuraüy  augmented 
when  the  latter  uhis  named  poet-laureate  in  his  stead.  .  Shadtoell 
suhsequently  held  the  same  office,  and  hence  Dryden  ridictUes 
hivi  as  the  poetical  son  of  Fkcknoe,^^  Das  hat  AUibone  doch 
rein  aus  den  Fingern  gesogen! 

Neuere  Xritiker,  wie  Leslie  Stephen  *)  und  G.  Saintsbury  •) 
nehmen  wohl  mit  Recht  an,  daß  Flecknoe's  Anteil  an  Dryden's 
Satire  rein  dekorativer  Natur  sei.  Es  finden  sich  keine  An- 
haltspunkte dafür,  daß  Dryden  irgendwelchen  persönlichen 
Haß  ge^en  Flecknoe  hatte.  Flecknoe  selber  aber  war  ein 
großer  Verehrer  Dryden's  und  sang  in  einem  Epigramm  auf 

1)  Chalmers,  Biographical  DicHonary,  XIV,  368—70. 
«)  Cibber,  The  Lives  of  the  Poets,  IIL  61-63. 
')  Malone,   The  Critical  and  Miscellaneous  Frosetcorks  of  John- 
Dryden,  I.  169  f. 

*)  Allibone,  A  Critical  Dictianary  I,  603. 
*)  Stephen,  Dictionary  XiX,  260f. 
•)  Saintsbury,  John  Dryden,  87. 


—     3    — 

Drydeo  dessen  begeistertes  Lob.  Dryden  hätte  wohl  auch 
zu  Flecknoe's  Lebzeiten  diese  erbarmungslose,  und  in  dieser 
Weise  nicht  verdiente  Verdammung  des  armen  Dichterlings 
unterlassen.  Flecknoe  war  aber  zur  Zeit  der  Abfassung  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  schon  mehrere  Jahre  tot,  so  daß  eine 
persönliche  Kränkung  auctgeschlossen  war.  Andererseits  aber 
hatte  er  wohl  den  Poeten  der  Restauration  als  der  Popanz 
gegolten,  an  dem  der  Fluch  der  Lächerlichkeit  haftete. 
Schon  1645  hatte  ihn  Andrew  Marvell^)  in  dem  armseligen 
Kämmerlein,  das  er  während  seines  AuTenthaltes  in  £U)m 
bewohnte,  aufgesucht  und  dieses  Ereignis  dann  in  seinem  Ge* 
dichte:  ^Flecknoe,  an  English  Priest  at  Iiome'\  beschrieben, 
worin  er  den  Armen,  der  in  größter  Dürftigkeit  tLber  drei 
Stiegen  hoch  in  einer  Mansarde  hauste,  erbarmungslos  yer- 
spottet.  Nach  dieser  Beschreibung  war  Flecknoe  dünn  und 
httgev  wie  eine  Bohnenstange,  stets  verhungert  und  bettlerhaft 
zudringlich.  Dabei  trug  er  immer  eine  Menge  Manuskripte 
mit  sieh  herum,  die  er  bei  jeder  passenden  wie  unpassenden 
Gelegenheit  jedermann  vorlesen  wollte.  Dazu  kam  seine  Art, 
wie  er  als  Gelegenheitsdichter,  Lautenspieler  imd  mattre  de 
plaisir  in  adeligen  Häusern  sein  kärglich  Brot  erwarb,  sein 
Pochen  auf  seinen  Dichterruhm  bei  oft  sehr  schwachen,  ja 
sogar  mitunter  absurden  Leistungen,  sein  Renommieren  mit 
seinen  hohen  Gönnern  und  Bewunderern,  seine  fortwährenden 
Ausfälle  gegen  die  obszönen  und  lasziven  Schriftsteller  seiner 
Zeit,  und  schließlich  die  Manier,  wie  er  seine  Werke  ^^for 
privcUe  circulation^^  drucken  und  von  '^private  friends^^  be- 
zahlen ließ;  —  lauter  Gründe,  die  Flecknoe  zu  einer  fast 
sprichwörtlichen  Persönlichkeit  gemacht  haben  müssen.  Aus 
den  zahlreichen  Epigrammen,  die  Flecknoe  gegen  „Feinde^' 
und  „Neider^'  richtet,  läßt  sich  zur  Genüge  ersehen,  daß  er 
viel  verspottet  und  als  Dichter  arg  mitgenommen  worden  sein 
muß.  Die  Erwiderungen  Flecknoe's  sind  aber  meist  in  wür- 
digem Tone  gehalten.  Eine  solche  lautet  z.  B. 
In  Inimicum,^) 
"i  see  ikou  art  resolved  in  spighi 

»)  Marvell,  WGrk9,    By  Ed.  I%omp8on,  I,  280—86. 
")  ""Epigrama''.  1670.  60. 


—    4    — 

To  cry  down  every  thing  I  write\ 

And  Fm  resolved  in  spight  of  thee, 

To  torüe  so,  ihou  ashamed  sJialt  be, 

Boih  of  thy  envjj  and  thy  spighi 

To  cry  down  every  thing  I  write,^ 
Als  poetischen  Sohn  dieser  damals  gleichsam  sprich- 
wörtlich lächerlichen  Persönlichkeit  führte  nun  Dryden  Shad- 
well  eio,  um  ihn  desto  ärger  zu  treffen,  nicht  aber  aus  einer 
persönlichen  Abneigung  gegen  Flecknoe.  Daß  dessen  meist 
sehr  schlechte  Verse,  sein  nicht  selten  in  hellen  Unsinn  aus- 
artender Bombast,  verbunden  mit  seiner  Autoreneitelkeit, 
Dryden  nicht  gefallen  konnten,  ist  ohne  weiteres  klar. 
Literarische  Gründe  haben  daher  bei  dem  Bestreben,  ein 
Yergleichsobjekt  für  Shadwell  zu  finden,  wohl  eine  Haupt- 
rolle gespielt.  Vielleicht  läßt  sich  auch  daran  erinnern,  daß 
der  wohlbeleibte  Shadwell  als  „Sohn*'  des  spindeldürren 
Flecknoe  sich  besonders  komisch  ausnehmen  mußte.  Von 
dem  ^^pamphlei  whieh  Flecknoe  ivrote  in  vindiaUion  of  Dryden's 
enemy,  Sir  Thomas  Howard*^  ^)  ist  in  den  mir  zugänglich  ge- 
wesenen Werken  Flecknoe's  nichts  zu  finden.  Allerdings  ist 
in  der  '^Collection  of  the  choicest  Epigrams  and  Characters" 
von  1673  ein  Epigramm  auf  Thomas  Howard  enthalten,  jedoch 
bewegt  sich  dieses  in  Huldigungen  allgemeiner  Art,  und  läßt 
keine  weiteren  Schlüsse  zu. 

Etwas  durchaus  Bestimmtes  läßt  sich  auf  Orund  des  mir 
vorliegenden  Materials  über  das  Verhältnis  Flecknoe's  zu 
Dryden  nicht  aussagen;  aber  auch  sonst  fließen  die  Quellen 
über  Flecknoe's  Personalien  und  Verhältnisse  nur  recht 
spärlich.  Soviel  kann  indessen  mit  ziemlicher  Sicherheit  be- 
hauptet werden,  daß  Flecknoe  Engländer  und  kein  Irländer 
war,  wie  gerade  neuere  Grewährsmänner  ohne  plausiblen  Grund 
annehmen. 

Der  Einzige,  der  bis  jetzt  auf  Grund  von  Quellenstudien 
die  Personalien  Flecknoe's  festzustellen  versucht  hat,  ist 
J.  Gillow.*)     Nach  dessen  Ergebnissen  wäre  unser  Autor  in 


^)  Croker  and  Elwin,  Pope-Ausgabe^  IV,  314. 
•)  Gillow,    Biographical   Dictionary    of   the   English    CathoHcs, 
n,  293  ff. 


—    6    — 

Oxford  geboren,  also  ein  Engländer,  und  der  Neffe  des  Jesaiten 
William  Flecknoe,  dessen  Namen  manchmal  Flexney  geschrieben 
nnd  in  den  '^Douay  Diaries"  ^)  in  Flaxenus  latinisiert  sei.  Der 
letztere  sei  1576  in  Oxford  geboren,  im  JesnitenkoUeg  zu 
Douay  am  1.  April  1600  zum  Priester  geweiht  und  im  fol- 
genden Jahre  nach  England  in  die  Seelsorge  geschickt  worden. 
Später,  gegen  1611,  sei  er  dann  in  den  Jesuitenorden  ein- 
getreten. 

Auf  Veranlassung  dieses  seines  Onkels  sei  dann  wohl 
auch  Richard  Flecknoe  an  ein  ausländisches  Jesuitenkolleg 
geschickt  worden,  wo  er  dann  in  den  Orden  eingetreten  und 
und  zum  Priester  geweiht  worden  sei.  Die  stramme  Disziplin 
habe  aber  seinem  leichtlebigen  Naturell  nicht  zugesagt,  wes- 
halb er  bald  wieder  aus  dem  Orden  ausgetreten  sei.  Soweit 
Gillow  auf  Grund  seiner  bisher  nur  ihm  zugänglichen  Quellen. 
Eine  Nachprüfung,  die  ich  anstellte,  ergab  aber  die  gänzliche 
Hinfälligkeit  dieses  Resultates.  Vor  allem  hat  es  nie  einen 
Jesuiten  Flecknoe  gegeben;  der  Mann  heißt  William  Flexney 
(Flexneiiisjy  wurde,  wie  Gillow  dann  richtig  angibt,  1575  in  Ox- 
fordshire  geboren  und  trat  um  1611  in  den  Jesuitenorden 
ein;  wie  die  Quelle,  fl.  Foley^),  vermutet,  ist  dieser  Fkxneiy 
identisch  mit  einem  William  Flaxen  aus  Oxford,  der  in  den 
"Douay  Diaries"  in  Flaxenm  latinisiert  ist,  am  1.  April  1600 
zum  Priester  geweiht  und  am  25.  September  1601  in  die 
englische  Seelsorge  geschickt  wurde.  Diese  beiden,  deren 
Identität  doch  nicht  so  ohne  weiteres  feststeht,  hat  nun  Gillow 
für  eine  Person  genommen,  der  er  in  willkürlicher  Weise  den 
Namen  Flecknoe  gibt,  den  seine  Quellen  gar  nicht  kennen. 
Nur  der  Name  Fleckney  kommt  noch  in  einer  Liste  vor, 
und  wird  als  identisch  mit  Flaxen  bezeichnet.  Es  ist  ja 
immerhin  möglich,  daß  Fleckney  mit  Flecknoe  identisch  ist, 
da  solche  Formen  zuweilen  wechseln.^)  Auftällig  ist  nur,  daß 
dann   in  Gillow's  Quellen   nie  die  Form  Flecknoe  vorkommt, 

*)  Knox,  Tht  First  and  Second  Dianes  of  the  English  Coüege, 
Douay,  17,  32. 

*)  Foley,  Becords  of  the  Society  of  Jesus  VI,  30,  632;  VI, 
2.  Teil,  906. 

')  Vgl.  z.  B.  die  Doppelformen  von  Marley  und  Mario we. 


—     6     — 

während  in  Flecknoe's  Werken  der  Name  immer  gleich  ge- 
schrieben wird.  Doch  selbst  den  unwahrscheinlichen  Fall 
zagegeben  — :  aus  der  Tatsache,  daß  eventuell  ein  Jesuit 
Flecknoe  aus  Oxford  um  diese  Zeit  existierte,  darf  doch  noch 
nicht  geschlossen  werden,  daß  unser  Richard  dessen  Neffe 
war,  in  demselben  Orte  geboren  wurde  und  später  vom  Orden 
seines  Onkels  seine  Erziehung  erhielt,  ja  sogar  in  diesen 
Orden  eintrat. 

Ich  bin  mit  JGtev.  Jos.  Gillow,  der  mir  in  liebenswürdiger 
Weise  entgegenkam,  über  diese  Frage  in  Briefwechsel  getreten. 
Er  gibt  jetzt  selber  zu,  daß  sich  für  die  beiden  Angaben, 
Richard  Flecknoe  sei  aus  Oxford  und  ein  Neffe  des  Jesuiten- 
paters Fiexney  gewesen,  kein  positiver  Beweis  erbringen  läßt 
Dagegen  hält  er  daran  fest,  daß  Flecknoe  Engländer  war,  da 
keine  verläßliche  Autorität  auf  eine  irische  Abstammung  oder 
Nationalität  hindeute.  Der  Name  „Flecknoe'^  sei  aber  so 
selten,  daß  seiner  Überzeugung  nach  Richard  Flecknoe  nur 
von  der  Oxforder  Familie  Fiexney,  Fleckney  oder  Flecknoe 
abstammen  könne.  Dagegen  habe  ich  nur  einzuwenden:  die 
Quellen  nennen  nur  die  Namen  Fiexney  und  Fleckney  als 
die  einer  oder  zweier  Oxforder  Familien.  Woher  sollte  denn 
plötzlich  ein  Flecknoe  kommen? 

Für  Grillow's  Ansicht,  daß  Flecknoe  Engländer  ist,  spricht 
der  Umstand,  daß  alle  Gewährsmänner,  die  Flecknoe  als 
Iren  bezeichnen,  dafür  keinen  Beweis  vorzubringen  vermögen. 
Weiterhin  findet  sich  in  Flecknoe's  Werken  nichts,  was  sich 
auf  ein  Bewußtsein  der  Zugehörigkeit  zur  irischen  Rasse 
deuten  ließe.  Im  Gegenteil  weisen  viele  Stellen  direkt  darauf 
hin,  daß  sich  unser  Autor  ganz  als  Engländer  fühlte.  Er 
sagt  immer  ^^aur  naiion'^  von  England,  ^owr  ancestors*^  von 
den  alten  Engländern  u.  ä.  Das  Ansehen  Englands  im  Aus- 
lände macht  ihn  stolz  und  freut  ihn;  zu  wiederholten  Malen 
verteidigt  er  englische  Einrichtungen  gegen  fremden  Tadel, 
lauter  Momente,  die  für  Gillow's  Überzeugung  sprechen.  Auch 
glaube  ich,  daß  die  Bewunderung  Flecknoe's  für  Cromwell, 
der  doch  den  Iren  so  übel  mitspielte,  ebenfalls  gegen  das 
irische  Nationale  Flecknoe's  sprechen  dürfte.  Andererseits 
weiß  er  von  den  Iren  an  den  paar  Stellen,  wo  er  von  ihnen 


—     7     — 

spricht,  nar  Ungünstiges  zu  sagen.  Eünmal  bezeichnet  er 
'das  Irische  als  Sprache  eines  geknechteten  und  untergehenden 
Volkes  und  das  andere  Mal  zeichnet  er  in  seiner  Sammlung 
Ton  Epigrammen  und  Charakteren  aus  dem  Jahre  1673  einen 
^^Mtndicant  hish  priest",  wobei  diese  Gattung  recht  schlimm 
wegkommt.  Die  Bettelhaftigkeit,  geringe  Bildung,  elende 
Kleidung  und  schließlich  die  Eitelkeit  dieser  Klasse  werden 
^gerügt  und  yerspottet. 

Wir  hören  auch  nie  davon^  daß  Flecknoe  je  in  Irland 
weilte.  Bei  seiner  Reiselust  hätte  er  gewiß  auch  einmal  Lust 
bekommen,  sein  Vaterland  wiederzusehen,  wenn  er  wirklich 
ein  Sohn  der  grünen  Insel  gewesen  wäre.  In  Rom  speist  er 
•öfters  im  englischen  Kolleg  ^) ;  yon  einem  Besuche  des  irischen 
Kollegs  aber  hören  wir  nichts. 

Kurz,  es  spricht  alles  dafür,  daß  Flecknoe  Engländer 
war,  während  sich  für  seilte  irische  Nationalität  kein  einziger 
stichhaltiger  Beweis  erbringen  läßt.  Woher  kommt  es  dann 
aber,  daß  so  viele  neuere  Gewährsmänner  Flecknoe  für  einen 
Iren  halten?  Die  Benennung  *^Mac  Fleeknoe^\  die  Dryden 
seiner  Satire  gab,  bat  diese  Leute  irregeführt  und  sie  ver- 
anlaßt, aus  diesem  keltischen  Worte  für  „Sohn*'  auf  die 
Nationalität  Flecknoe's  zu  schließen.  Berechtigt  ist  eine  der- 
artige Schlußfolgerung  ohne  weitere  Gründe  natürlich  nicht. 
Drjden  wollte  eben  seiner  Satire  einen  flotten,  packenden 
Titel  geben;  dazu  eignete  sich  aber  ''Mac  Flecknoe"  besser 
^s  etwa  das  schwächliche,  unwirksame  "Son  of  Flecknoe'*. 
Damit  auf  Flecknoe's  etwaiges  Nationale  hinzuweisen,  lag 
Dryden  gewiß  ganz  fem,  und  hatte  in  diesem  Falle  auch  gar 
keinen  rechten  Sinn. 

War  Flecknoe  Priester?  Ich  glaube  diese  Frage  ver- 
neinen zu  müssen,  trotzdem  ich  mir  wohl  bewußt  bin,  mich 
•damit  in  Gegensatz  zu  allen  Gewährsmännern  neueren  Datums 
gestellt  zu  haben.  Dafür,  daß  Flecknoe  Priester  war,  seheint 
zu  sprechen,  daß  seine  ersten  literarischen  Versuche  religiöser 
Natur  sind  und  daß  er  auch  später  noch,  wie  die  "Epigrams 
-dirine  and  moral"  zeigen,  religiöse  Lyrik  von  der  Art  pro- 


>)  Foley,  Becords,  VI,  629,  630,  6%. 


—     8     — 

duzierte,  wie  sie  Ton  Laien  nicht  allza  häufig  yerfaßt  wird.. 
Auch  der  Umstand,  daß  Flecknoe  stets  eifrig  für  Sittlichkeit 
eintrat  und  gegen  die  obszönen  Dichter  seiner  Zeit  losdonnerte, 
sowie  die  Tatsache,  daß  er  in  seiner  Lyrik  die  Liebe  fast 
ganz  ausschaltete  und  auch  sonst  nur  gleichsam  objektiv  über 
dieses  Gefühl  sprach,  scheinen  in  dieser  Richtung  Fingerzeige 
zu  geben.  Das  ist  aber  alles  von  wenig  Belang,  wenn  man 
bedenkt,  daß  Flecknoe  Konvertit  war  und  als  solcher  sicli 
wohl  besonders  eifrig  in  seinem  neuen  Glauben  zeigte.  £s  ist 
ja  eine  alltägliche  Wahrnehmung,  daß  Konvertiten  —  und 
Flecknoe  bezeichnet  sich  in  der  Unterschrift  eines  Briefes 
mit  Nachdruck  als  solchen  —  ihrem  neuen  Glauben  ganz  be- 
sonders ergeben  sind  und  es  auch  nach  außen  hin  in  ihrem 
Tun  und  Lassen  zeigen.  Wenn  Andrew  Marvell  auch  Flecknoe 
als  ^'English  priest  bezeichnet,  —  was  offenbar  die  Veran- 
lassung war,  daß  die  späteren  Gewährsmänner  das  gleiche 
taten  — ,  so  wiegt  das  nicht  so  schwer  wie  die  Tatsache,  daß 
die  Jesuiten,  bei  denen  er  im  englischen  Kolleg  in  Rom  öfters 
speiste,  ihn  in  ihrem  ^'Pilgrim-hooV^  ^)  nur  als  *'Jtfr.  Richard 
Flecknoe^^  anführen,  während  sie  sonst  Stand  und  Rang, 
namentlich  aber  das  '^priesi^^  hinter  einem  Namen,  gewissen- 
haft verzeichnen.  Dafür,  daß  er  Laie  war,  spricht  ferner  die 
auffallige  Wahrnehmung,  daß  sich  nirgends  in  den  Werken 
Flecknoe'seine  Stelle  findet,  die  einen  positiven  Anhaltspunkt 
dafür  gäbe,  daß  er  wirklich  Priester  war.  Weder  in  den 
Reisebriefen,  wo  er  doch  auf  alles  zu  sprechen  kommt,  noch 
in  seinem  Selbstporträt,  in  dem  er  sich  sonst  so  offenherzig 
zeichnet,  ist  irgend  ein  HinWeis  darauf  gegeben. 

Es  ist  also  wohl  anzunehmen,  daß  Flecknoe  Laie  war. 
Dagegen  mag  er  in  einer  von  Geistlichen  geleiteten  Anstalt^ 
vielleicht  in  einem  Jesuitenkolleg,  erzogen  worden  sein  und 
dort  humanistische  Studien  gemacht  haben.  Er  selbst  sagt  in 
seinem  Selbstporträt,  daß  er  seiner  Erziehung  viel  zu  ver- 
danken habe.  Hier  mag  er  auch  konvertiert  haben ;  denn  da 
er  uns  von  Anfang  an  als  Katholik  schriftstellerisch  entgegen-« 
tritt,    muß    der   Glaubenswechsel    recht    frühe    erfolgt    sein. 


1)  Foley,  Records,  VI,  629,  630, 


Jedenfalls  aber  eignete  er  sich  auf  der  von  ihm  besuchten 
Bildungsstätte  eine  hübsche  Summe  Ton  Kenntnissen  an.  Er 
konnte  lateinische  Briefe  schreiben,  und  zitiert  in  seinen 
Werken  recht  häufig  Klassiker  wie  Cicero,  Horaz,  Seneca, 
Hartial,  Aristophanes,  Plautus  u.  a.  Namentlich  von  Horaz 
entlehnt  er  regelmäßig  Zitate,  um  sie  seinen  Büchern  und 
deren  Kapiteln  voranzustellen. 

Aber  auch  in  der  neueren  Literatur  ist  er  gut  bewandert. 
So  zitiert  er  z.  B.  in  seinem  „Charakter"  ^Of  a  Busie  Body** 
Chaucer's  Verse,  die  dieser  in  seinem  Prolog  zu  den  ^Canter- 
bury  Taks**  Tom  ^Sergeant  of  ike  Lawe^^  gebraucht: 
^^Nowher  so  hisy  a  man  as  he  ihei'  nas. 
And  yet  he  semed  bisier  than  he  was.** 

Ebenso  ist  ihm  Sidney's  „Arcadia"  ganz  vertraut,  und 
von  den  Elisabethanern  spricht  er  des  öfteren.  Außerhalb 
der  englischen  Literatur  kennt  er  von  italienischen,  französi- 
schen und  spanischen  Dichtern  Ariost,  Guarini,  Moli^re,  dem 
er  sein  Stück  ^Damoiseües  a  la  Mode"  entnahm,  Ronsard,  von 
dem  er  ein  paar  Gedichte  übersetzte,  MUe  de  Scud6ry,  von 
der  er  eine  poetische  Widmung  übertrug,  Du  Bartas,  Scarron 
{^the  Best  yet  France  had  ever  had^*),  Cervantes  und  Lope  de 
Vega.  Von  Künstlern  sind  ihm  bekannt:  Z.euxis,  Baphael, 
Tizian,  Yan  Dyck,  Breughel,  Callot  u.  a.  Daneben  ist 
FleckDoe  noch  ein  großer  Liebhaber  der  Musik,  der  sich  nie 
von  seiner  Laute  trennt. 

II. 

Erste  literarische  Versuche. 

Die  ersten  Veröffentlichungen  Plecknoe*s  sind  religiöser 
^atur.  Das  ist  bei  einem  Manne,  der  den  unter  den  damaligen 
Verhältnissen  in  England  doppelt  folgenschweren  Schritt  des 
Glaubenswecbsels  tat,  ohne  weiteres  verständlich.  Als  erste 
derartige  Schrift  führt  Leslie  Stephen  ^)  das  ^Hierothalamium" 
an,  das  ich  leider  nicht  eruieren  konnte.  Wenn  das  von 
L.  Stephen  angegebene  Erscheinungsjahr  1626  richtig  ist,  so 


>)  Stephen,  Dictionary  of  National  Biography,  1889,  XIX,  260 f. 


—     10    — 

ließe  sich  daraus  der  Schluß  ziehen,  daß  Flecknoe's  Qeburto- 
datam  wohl  ins  erste  Jahrzehnt  des  17.  Jahrhunderts  zu 
setzen  wäre. 

Die  zweite  Schrift  stammt  aus  dem  Jahre  1640.  Sie 
trägt  die  Überschrift  "TÄe  Affeäions  ofa  Piaus  Souk  unlo  our 
Savionr  Christ'.  Das  einzige  mir  bekannt  gewordene  Exemplar 
findet  sich  in  der  Bodleiaua. 

Das  49  Seiten  zählende  Werkchen  beginnt  mit  einem 
Vorwort  "Tb  ihe  Town-Eeader^^  worin  Fleckooe  erklärt,  daß 
er  schon  so  viele  unnütze  Stunden  in  der  Stadt  verlebt  habe, 
daß  er  sich  jetzt  dessen  schäme  und  sich  daher  aufs  Land 
zurückgezogen  habe.  Was  das  Büchlein  anlange,  das  er  dem 
Leser  bieten  wolle,  so  habe  er  auf  den  Geschmack  der  Leute 
Bücksicht  genommen.  Da  man  Ton  frommer  Lektüre  nichts 
wissen  wolle,  namentlich  wenn  sie  in  dicken  Bänden  vor- 
gesetzt werde,  so  habe  er  sich  bemüht,  sich  möglichst  kurz 
zu  fassen  und  die  geistliche  Speise  nur  in  kleinen  Portionen 
vorzusetzen.  Was  seine  vielen  lateinischen  Zitate  anlange, 
so  würden  diese  von  den  Kennern  des  Lateinischen  wohl 
freudig  begrüßt;  die  anderen  aber  könnten  auch  nichts  da- 
gegen haben,  da  die  Zitate  zum  Verständnis  des  Ganzen  nicht 
nötig  seien.  Wie  man  sieht,  macht  sich  die  drollige  Natur 
Elecknoe's  gleich  von  Anfang  an  bemerkbar/ 

Der  Inhalt  des  zu  zwei  Dritteilen  in  Prosa  und  zu  einem 
Drittel  in  Versen  abgefaßten  Werkchßns  ist  kurz  folgender: 
Eine  fromme  Frau  aus  Galiläa  kommt  nach  Jerusalem,  um 
Jesus  aufzusuchen.  Bei  ihrem  Eintritt  in  die  Stadt  sieht  sie 
die  ganze  Bevölkerung  in  großer  Aufregung.  Die  einen 
weinen  und  jammern,  während  die  anderen  jauchzen  und  jubeln. 
Plötzlich  erblickt  sie  auf  dem  Kalvarienberg  ein  grausames 
Schauspiel.  An  drei  Kreuzen,  von  denen  das  mittlere  etwas 
höher  als  die  beiden  andern  ist,  hängen  drei  Menschen. 
Um  das  mittlere  Kreuz  lagert  eine  Gruppe  von  Frauen,  dar- 
unter Maria,  die  Mutter  Jesu  und  Maria  Magdalena,  die  den 
Gekreuzigten  beweinen.  Die  fromme  Seele  aus  Galiläa  tritt 
herzu  und  weint  bitterlich  mit  den  übrigen,  ohne  zu  wissen, 
wen  sie  betrauert.  Erst  als  eine  der  Frauen:  0  Jesu,  Jesu! 
seufzt,  fragt  sie  nach  dem  Grunde  des  EJagens.     Die  An- 


—   11   — 

geredete  erzählt  ihr  nun  die  ganze  schreckliche  Leidens- 
geschichte des  Herrn,  unsere  fromme  Seele  aher  singt  hierauf 
einen  Dithyrambus  auf  den  gekreuzigten  Heiland  und  faßt 
gute  Vorsätze.  In  ihrer  Betrachtung  des  Kreuzbildes  wird 
sie  dann  schließlich  Ton  einigen  Männern  gestört,  die  auf  den 
Kalvarienberg  zueilen.  Schon  fürchtet  sie  Schlimmes.  Da 
erkennt  sie  Joseph  you  Arimathäa,  der  Jesus  vom  Kreuze 
herabnehmen  will.  Sie  schaut  seinem  Beginnen  zu  und  ver- 
läßt nach  der  Beisetzung  Jesu  mit  den  anderen  Frauen  toII 
lieiliger  Entschlüsse  den  Ort. 

Diese  biblische  Szene  hätte  sich  sicher  ganz  ergreifend 
ausmalen  lassen.  Leider  verdirbt  Flecknoe  durch  geschraubten 
Schwulst  die  ganze  Wirkung.  Ich  nehme  folgende  Stelle  heraus : 
"At  hearing  of  which,  ü  was  no  griefy  no  passion  of  the 
Umng  that  ceased  her;  hui  such  a  stupidüy,  as  death  eotUd  not 
have  rendred  her  more  immovable  for  ihe.  time^  so  irue  it  is,  Curae 
kves  loquuntur^  ingenies  stupenU  Seneca.  Uniil  at  last  ihe  flood- 
gaies  of  her  tears  tvere  drauni  up,  they  gushed  forth  in  such  c^nd- 
ance,  as  if  each  drop  had  stroven  io  fall  first  to  ihe  ground.  In 
so  much,  as  had  you  beheld  Niobe  weeping  her  children^s  losSj 
you  had  seen  an  itnage  and  hut  an  image  only  of  her  weeping 
him\  and  yet  in  this  excess  of  tears  and  grief  oä  if  she  had  been 
all  defeciive  io  estimaie  her  heart,  Die  more  to  grieve  and  exciiaie 
affection  to  weej)  the  more:  In  a  sad  and  mournftdl  aceent  she 
delivered  thisj 

To  excitate  the  affection. 

Am  I  a  Christian  then,  or  no? 

I  can  behold  Christ  suffering  so, 

And  feel  no  woe  ? 

Though  none  yet  soft  humanitie 

Should  make  one  man  commi^eratej 

When  he  beJiolds  another  die, 

Such  interest  haih  he  in  the  State: 

So  verie  Infidels  we  see^ 

Are  not  from  pity  free. 


Then  am  I  man,  or  am  I  none  ? 
Tliat  can  consiekr  him  as  one. 


—     12     — 

And  make  no  moane  ? 

Yet  wert  I  none^  the  sun,  tke  moon, 

And  such  as  hui  his  creatures  are,  T 

WotUd  cause  me  feel  hi^  sufferings  soon, 

ünless  I  were  more  senseless  far, 

Mare  duU  than  very  rocks  and  siones, 

Thai  now  hurst  forth  in  groanes,^^ 
Das  dürfte  zur  Genüge  zeigen,  daß  es  dem  Verfasser 
des  Werkes  bedauerlich  an  Sinn  für  Natürlichkeit  und  poeti- 
schem Gefühl  gebricht.  Er  vermag  uns  keine  echte  Empfindimg 
zu  vermitteln.  Das  Gefühl  höchsten  Schmerzes  will  er  uns 
hier  schildere,  —  und  wird  fast  lächerlich. 

Und  so  gehts  durchs  ganze  Büchlein  mit  Grazie  fort. 
,,Das  Echo'S  heißt  es  gleich  darauf,  ,,war  ganz  ermüdet  und 
konnte  ihre  lauten  Klagen  nicht  mehr  wiedergeben,  weshalb  sie 
schweigend  ihrer  Trauer  nachhing,  um  ihm  Buhe  zu  gönnen.*' 
Das  Gedicht  von  der  grausen  Mär,  wie  die  Liebe  und 
der  Tod  ihre  Speere  verwechselten,  das  wir  später  in  "Love's 
Kingdom"  wieder  antreffen  werden,  findet  sich  bereits  hier 
eingeschoben. 

Zwei  Jahre  nach  der  Veröffentlichung  dieser  Schrift, 
1642,  soll  Flecknoe  nach  der  Annahme  Gillow's  das  Werk 
"The  Fumace  of  Divine  Lote  eie*^  aus  dem  Lateinischen  über- 
setzt haben.  Die  Angabe  ^^Englished  by  7?.  F^  auf  dem  Titel- 
blatte scheint  allerdings  ziemlich  sicher  auf  unseren  Flecknoe 
zu  deuten.     Näheres  konnte  ich  aber  nicht  eruieren« 


HL 

Reisebriefe  und  ''Miscellania''. 

Aus  dem  gleichen  Jahre  1640,  in  dem  die  '^Affections 
of  a  Pious  Soule"  erschienen,  ist  auch  der  erste  Reisebrief 
datiert,  den  Flecknoe  in  seinem  Werke :  "Ä  Relation  of  Ten 
Years  Travells^*  *)  veröffentlicht. 


*)  A  Relation  of  Ten  Years  Travells  in  Europe,  Asia,  Affrique  and 
America,     By  way  of  leiten  to  divers  noble  Personages,  from  place  to 


^    13     — 

Das  ErscheinuDgsjahr  dieses  Buches  ist  auf  dem  Titel- 
blatte nicht  yermerkt.  Leslie  Stephen  gibt  das  Jahr  1666 
an.  Aus  den  von  ihm  genannten  Quellen  kann  er  das  aber 
nicht  geschöpft  haben,  denn  da  findet  sich  keine  derartige 
Angabe.  In  dem  von  mir  benützten  Exemplare  des  Briti- 
schen Museums  ist  von  fremder  Hand  das  Jahr  1654  als 
Erscheinungsjahr  auf  dem  Titelblatte  genannt.  Das  ist  aber 
jedenfalls  unrichtig.  Das  richtige  Datum  ist  augenscheinlich 
1655;  denn  aus  diesem  Jahre  stammt  der  letztdatierte,  darin 
enthaltene  Brief,  und  nach  Angabe  des  Titels  [^and  corUinued 
io  Ulis  present  yectr"]  hat  Flecknoe  das  Werk  noch  im  gleichen 
Jahre  veröffentlicht.  Gewidmet  ist  es  "Tb  all  those  Noble  Per- 
sonages  mentiotied  in  Diese  foüowing  leüers'\ 

In  der  Vorrede  an  die  Leser  fuhrt  dann  der  Verfasser 
aus,  daß  es  weder  Eitelkeit  noch  Ruhmsucht  sei,  die  ihn 
Äur  VeröflFentlichung  der  Reisebriefe  bewege,  sondern  der 
Wunsch,  die  Neugierde  einiger  hoher  Freunde  zu  befriedigen, 
und  andere,  denen  er  sehr  zu  Dank  verpflichtet  sei,  darin 
rühmend  zu  erwähnen.  Denn,  fragt  er  naiv,  "««ce  Fortune 
maifh'd  me^  and  hrought  me  to  my  cruickeSf  whom  sliould  I  rely 
upon  hut  the  best  able  to  Support  me?^* 

Wenn  er  ihnen  für  die  empfangene  Unterstützung  etwas 
Vergnügen  mache,  so  sollten  sie  ihn  in  Zukunft  nur  fröhlich 
weiter  unterstützen.  Also  eine  Art  öffentliche  Quittung  für 
erhaltene  Wohltaten  mit  der  Bitte  um  weitere  Spenden! 

Um  dann  seine  Dichterpersönlichkeit  in  das  richtige  Licht 
zu  rücken,  setzt  Flecknoe  einen  Brief  an  den  späteren  Herzog 
von  Newcastle  als  ein  ^'testimony  of  friends"  über  seine  bis- 
herigen poetischen  Leistungen  dem  eigentlichen  Texte  voraus. 

Der  Marquis  von  Newcastle  hatte  ihn  folgendermaßen 
angedichtet: 

"Fleckno,  thy  verses  are  too  high  for  me, 
Though  they  but  justly  fit  thy  Muse  and  thee, 
Caesars  shauld  be  thy  Theam  on  them  to  u/rile, 


place;  and  continued  to  this  present  year  by  Richard  Flecknoe.  With 
other  historical,  moral  and  poetical  pieces  of  the  same  author.  London. 
176  8.    8*>. 


—     14    — 

Though  thou^dst  expresse  them  more  than  they  could  fighiy 
Those  Worthies  rank  them  in  thy  wits  pure  file, 
Though  Homers  blush,  and  Virgils  hfty  stile: 
For  thy  poeüque  Flame  is  so  mueh  higher, 
Where  it  should  warm,  H  consumes  us  with  thy  fire. 
Thy  vaster  faney  does  embrace  all  things, 
And  for  thy  Subject  ought  fhave  greaiest  KingsV 
Darauf  erwidert  nun  Flecknoe  geschmeichelt,  daß  er  dieses 
hohe  Lob  zwar  noch  nicht  ganz  yerdiene,  aber  bald  Terdienen 
werde.     In  diesem  Sinne  habe  es  Mylord  wohl  auch  gemeint, 
da  es  veriiiessen  wäre,  anzunehmen,  Mylord  habe  ihm,  Richard 
Fiecknoe,  etwa  gar  schmeicheln  wollen! 

Der  tapfere  Marquis,  der  sich  noch  öfters  als  Gönner 
Flecknoe's  erweisen  wird,  hat  dieses  schwülstige,  schlecht  ge- 
reimte Lob  jedenfalls  auch  ehrlich  gemeint.  Andere  hohe 
Gönner  urteilten  ähnlich  über  ihren  Schützling,  der  ja, 
wie  Langbaine  bestätigt,  "oä  famoiM  as  any  in  his  Äge^^  war. 
Die  Angriffe  auf  Fiecknoe  gingen  dagegen  fast  alle  von  ein- 
fachen bürgerlichen  Literaten  aus,  die  mehr  künstlerisches 
Verständnis,  aber  auch  wohl  etwas  Brotneid  besalJen. 

Der  erste  Reisebrief,  den  Fiecknoe  geschrieben,  ist,  wie 
schon  erwähnt,  1640  aus  Gent  datiert  und  an  den  Colonel 
William  Evers  gerichtet,  der  einige  Jahre  nachher  in  der 
Schlacht  bei  Marston  Moor  fiel.  Fiecknoe  teilt  darin  die 
Gründe  mit,  warum  er  England  verlassen  habe.  Er  scheint 
um  sein  Fortkommen  bei  den  anbrechenden  unruhigen  Zeit- 
läuften besorgt  gewesen  zu  sein.  Er  schreibt  nämlich,  er  s^ 
ein  ZugTOgel,  der  fortziehe,  wenn  der  Herbststurm  heran- 
brause.  Die  Wogen  des  öffentlichen  Lebens  in  England 
gingen  hoch;  das  verkünde  Sturm,  weshalb  er  sich  beizeiten 
aus  dem  Staube  gemacht  habe.  Gent  habe  er  deshalb  zu 
seinem  Aufenthaltsort  gewählt,  weil  es  so  nahe  der  eng- 
lischen Küste  liege.  Es  gefalle  ihm  sehr  gut  da;  er  ver- 
kehre täglich  mit  dem  Stadtkommandanten,  Grafen  Salazar, 
und  den  anderen  vornehmen  Leuten. 

Der  zweite  Brief  ist  ebenfalls  aus  Gent;  er  trägt  das 
Datum  1641  und  ist  an  einen  ungenannten  Lord  aus  Anlaß 
der  Hinrichtung  des  Earl  of  Strafford  gerichtet.  Das  Strafford 


—    15     — 

TOD  Flecknoe   dabei   gewidmete  Epitaph   enthält  eine   zwar 
naheliegende,  aber  banale  Weisheit,  und  lautet: 
^To  see  such  Heads  off,  on  ihe  Seaffold  lie, 
Only  to  heq)  on  ih'  Head  of  Majestie, 
What  18  '/,  but  Admonüion  io  his  Peers, 
Sudi  Heads  once  off,  'Hs  Urne  to  hok  to  theirs" 

Darauf  zeichnet  Meckuoe  das  Charakterbild  Strafford's, 
den  er  natürlich  sehr  lobt.  Zum  Schluß  des  Schreibens  gibt 
er  dann  dem  Adressaten  die  tröstliche  Versicherung,  daß  er 
um  sein  ^Epitaph"  und  seinen  '^Character^'  nicht  besorgt  zu 
sein  brauche,  wenn  er  etwa  das  Los  Strafford's  teilen  müsse ; 
denn  er,  Flecknoe,  werde  die  Herstellung  mit  größtem  Ver- 
gnügen besorgen! 

Der  folgende  Brief,  1642  an  einen  Mr.  Henry  Petre  ge- 
richtet, teilt  Flecknoe's  Entschluß,  Gent  zu  verlassen,  mit. 
Die  Stadt  sei  jetzt  ganz  mit  englischen  Flüchtlingen  über- 
füllt, die  immer  über  ihre  in  England  zurückgebliebenen 
Angehörigen  und  ihre  geplünderten  oder  verlorenen  Oüter 
jammerten.  Das  könne  er  nicht  mehr  länger  mit  anhören. 
Deshalb  gehe  er  jetzt  nach  Brüssel  oder  Antwerpen.  Der 
Ort  sei  ihm  gleichgültig,  da  er  mit  Blas  sagen  könne :  Omnia 
mea  mecum  porto. 

Kurz  darauf  meldet  er  dann  richtig  der  Lady  Audley 
seine  Ankupft  in  Brüssel.  Er  hofft,  hier  länger  zu  verweilen, 
da  er  so  gute  Aufnahme  und  gnädige  Unterstützung  bei  der 
Marquise  von  Bergen  und  ihren  beiden  Töchtern,  der  Her- 
zo^n  von  Lothringen  und  MUe  de  Beauvais,  von  denen  er 
sehr  begeistert  ist,  gefunden  habe.  Mme  Berlamont  ferner 
habe  ihm  freien  Mittagstisch  bei  ihr  gewährt;  dort  treffe 
er  täglich  die  beiden  Töchter  des  Herzogs  yon  Arschot  und 
den  jungen  Prinzen  von  Arenberg.  Aus  dem  Ton  und  den 
Worten,  mit  denen  Flecknoe  das  vorbringt,  geht  hervor,  daß 
er  sich  furchtbar  wichtig  vorkommt.  Er  weiß  die  Ehre,  mit 
solch  hohen  Persönlichkeiten  verkehren  und  an  einem  Tische 
speisen  zu  dürfen,  nicht  genug  zu  betonen.  Für  das  Un- 
männliche und  immerhin  Erniedrigende  eines  solchen  Para- 
sitenlebens  scheint  er  kein  Verständnis  besessen  zu  haben. 

Ein  guter  Freund,   Mr.  Edward  Lewis,  wollte  ihm  nun, 


—     16     — 

wie  es  scheint,  dieses  Yerständnis  in  zarter  Weise  beibringen. 
Leider  ganz  erfolglos.  Denn  in  einem  Briefe,  immer  noch 
1642,  schreibt  Flecknoe  dem  genannten  Freunde,  der  ihm 
gemachte  Yorwurf,  er  verkehre  immer  nur  mit  Damen,  sei 
eine  Ehre  und  keine  Schande  für  ihn.  Denn  welch  edleren 
Umgang  könne  er  überhaupt  haben?  Bei  den  Damen  lerne 
man  nur  Tugend,  Noblesse,  edle  Gesinnung,  während  man 
sich  in  Gesellschaft  junger  Modestutzer  in  der  reinsten  Bordell- 
atmosphäre  fühle.  Das  Schreiben  klingt  in  ein  begeistertes 
Lob  der  Mlle  de  Beauvais  aus. 

Nach  einem  größeren  Zwischenraum  meldet  dann  1644 
ein  Brief  einem  ungenannten  Lord  Flecknoe's  Absicht,  nach 
Italien  zu  reisen.  Es  gehe  ihm  zwar  in  Brüssel  recht  gut, 
und  jeden  Tag  dürfe  er  mit  Mlle  d'Arschot  und  der  Prin- 
zessin von  HohenzoUem  singend  und  musizierend  im  Parke 
sich  ergehen ;  aber  die  gleichen  Verhältnisse,  die  ihn  seinerzeit 
aus  England  yertrieben  hätten,  seien  jetzt  auch  hier  einge- 
treten. Die  Franzosen  auf  der  einen  und  die  Holländer  auf 
der  anderen  Seite  bedrängten  das  Land,  und  die  Verhält- 
nisse verschlimmerten  sich  so,  daß  selbst  die  reichsten  Adels- 
familien kaum  mehr  genug  zum  Leben  hätten.  Um  dem 
Kriege  aus  dem  Wege  zu  gehen  und  seinen  Gönnerinnen 
nicht  mehr  zur  Last  zu  fallen,  wolle  er  deshalb,  so  schwer 
ihn  der  Abschied  auch  ankomme,  Belgien  yerlassen  und  nach 
Italien  gehen.  Das  sei  das  einzige  Land,  wo  gegenwärtig 
Friede  herrsche. 

Das  Reisegeld  erhielt  er  von  Mlle  Beauyais,  an  die  er 
dafür  von  allen  Hauptpunkten  seiner  Beiseroute  aus  Briefe 
mit  der  Schilderung  seiner  Eindrücke  und  Erlebnisse  sandte. 
Paris  gefiel  ihm  nicht  besonders;  er  fand  es  zu  unruhig  und 
aufgeregt.  Alles  sei  dort  in  beständiger  Eile,  schreibt  er, 
so  daß  man  in  einer  Woche  mehr  an  Geist  yerausgaben  könne, 
als  man  in  der  Einsamkeit  in  einem  Jahre  wieder  zu  sammeln 
imstande  sei.  Marseille  dagegen,  in  dem  er  über  Lyon  an- 
gelangt ist,  findet  er  entzückend.  Besonders  gefallen  ihm  die 
dortigen  Frauen;  er  nennt  sie  außerordentlich  hübsch  und 
unterhaltsam,  und  läßt  sich  sogar  zu  dem  Ausspruche  herbei, 
Venus  könne  nur  an  einem  solchen  Meere  geboren  sein,   über 


—     17     — 

Monaco,  wo  das  Schiff  Flecknoe's  sich  vor  Piraten  bergen 
muß,  geht  die  Reise  zur  See  nach  Genua,  von  wo  er  wieder 
zu  Lande  über  Lucca,  Pisa,  Florenz  und  Siena  nach  Rom 
reist.  Der  aus  Genua  datierte  Brief  fällt  schon  in  das  Jahr 
1645.  In  den  ersten  Monaten  dieses  Jahres  langt  dann 
Flecknoe  in  Rom  an,  wobei  er  sich  rühmt,  auf  der  ganzen 
Reise  von  Brüssel  bis  Rom  nicht  mehr  als  22  Pistolen  ver- 
ausgabt zu  haben. 

In  den  ersten  Briefen  aus  Rom,  die  alle  entweder  an 
Mlle  de  Beauvais  oder  ihre  Schwester,  die  Herzogin  von 
Lothringen,  gerichtet  sind,  schildert  er  die  Besuche,  die  er 
bei  zahlreichen  vornehmen  Familien  machte.  Wir  erfahren 
bei  dieser  Gelegenheit  auch  den  eigentlichen  Grund  der  Italien- 
fahrt unseres  Flecknoe.  Er  sollte  sich  beim  Vatikan  für  die 
Anerkennung  der  zweiten  Ehe  des  Herzogs  von  Lothringen, 
der  wegen  Lösung  seiner  ersten  Ehe  in  Rom  denunziert  und 
exkommuniziert  worden  war,  verwenden.  Dafür  erhielt  er 
noch  in  Rom  von  der  Herzogin  und  ihrer  Schwester  reichlich 
Geld.  Er  widmete  sich  auch  mit  regem  Eifer  der  ihm  von 
der  Herzogin  übertragenen  Mission  und  machte  zahlreiche 
Besuche  bei  den  maßgebenden  und  einflußreichen  Kreisen 
Roms.  Schließlich  mußte  er  aber  vom  Kardinal  Caraffa  er- 
fahren, daß  der  Herzog  selber  die  Ansicht  seiner  Gattin 
nicht  teile  und  seinen  Agenten  beauftragt  habe,  die  Sache 
aus  politischen  Gründen  möglichst  dilatorisch  zu  behandeln. 
Frankreich  und  Osterreich  hätten  ebenfalls  in  der  Sache 
Partei  ergriffen;  weshalb  der  heilige  Vater,  um  keine  der 
beiden  Mächte  vor  den  Kopf  zu  stoßen,  noch  keine  Ent- 
scheidung treffen  wolle.  Mit  dieser  Erklärung  war  natür- 
lich Flecknoe's  diplomatische  Mission  für  seine  Gönnerin  zu 
Ende. 

Damit  hörten  aber  auch  die  Unterstützungen  von  dieser 
Seite  zu  fließen  auf,  und  Flecknoe  geriet  in  wirkliche  Not. 
Aus  dem  schon  zitierten  MarvelFschen  Gedichte  erfahren  wir, 
daß  Flecknoe  in  einem  elenden  Stübchen  über  drei  Stiegen 
wohnte  und  bitter  hungern  mußte.  Das  Benehmen  Marvell's, 
der  für  den  armen,  mit  seiner  klapperdürren  Hungergestalt, 
seinem   zudringlichen   Wesen    und  seiner  Dichtereitelkeit  ja 

Münchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.    XXXIII.     2 


—     18    — 

wohl  etwAS  lächerlichen  Flecknoe  nichts  als  Spott  und  Hohu 
ühiig  hatte,  scheint  für  die  englische  Kolonie  in  Eom  typisch: 
gewesen  za  sein.  In  einem  Brief  an  einen  Freund,  der  in  den 
1.653  erschienenen  ^MisceUania**  abgedruckt  ist,  erwidert  Fleck- 
Qoe  auf  den  Vorwurf,  warum  er  in  Rom  nicht  mit  seinen  engli-^ 
sehen  Landsleuten  verkehre,  daß  ein  gemütlicher  und  friedlicher 
Verkehr  mit  ihnen  nicht  möglich  sei.  Er  fällt  über  sie 
folgendes  ergötzliche  Urteil :  ^For  your  ItoMonized-English  here^ 
who  ipere  accovnted  Devills  incarnate  in  the  Dayes  of  Puck  and 
Bobin'goodfellow,  wfien  Devills  were  nothing  nigh  so  block  as  now 
they  are;  I  know  not  wliat  a  Deviü  to  make  of  ihem^  bui  only  unU 
he  sure  to  have  nothing  to  do  with  them,^*  Von  dieser  Seite  war 
also  keine  Hilfe  zu  erwarten.  Dagegen  fand  er  im  englischen 
Jesuitenkolleg  in  Eom  freundliches  Entgegenkommen.  Das 
Pilgerbuch  des  Kollegs  weist  öfters  seinen  Namen  unter  denen 
auf,  die  Mittag-  oder  Abendessen  dort  empfingen.  Der  Um- 
stand, daß  unser  Dichter  stets  als  Mr.  Flecknoe  bezeichnet 
wird,  während  sonst  meist  nähere  Angaben  über  Stand,  Her- 
kunft etc.  gemacht  werden,  deutet  übrigens  darauf  hin,  daß 
ihn  die  Jesuiten  nicht  näher  kannten  und  er  daher  wohl 
kaum  ihrem  Orden  irgendwie  angehört  hatte.  Die  Jesuiten 
hielten  ihn  auch  jedenfalls  für  keinen  Geistlichen,  da,  wie  be- 
reits bemerkt  wurde,  die  Bezeichnung  "priest"  hinter  seinem. 
Namen  fehlt,  die  sonst  gewissenhaft  registriert  wird.  Nach 
diesen  Eintragungen  speiste  Flecknoe  am  29.  Dezember  1645 
zum  ersten  Male  im  englischen  Kolleg. 

Man  begreift,  daß  Flecknoe  die  ewige  Stadt,  in  der  er 
so  wenige  Gönner  fand,  unter  diesen  Umständen  nicht  gefiel. 
In  einem  Schreiben  an  einen  anonymen  Freund  schildert  er 
seine  Eindrücke  in  seiner  drolligen  Art  folgendermaßen: 
"Good  meat  is  there,  delioums  wifie,  and  excellent  fruit;  but  that 
is  ilie  climais  vertue,  and  none  of  ilmrs,  Qive  me  good  Company^ 
good  XatureSy  and  good  Mirth,  and  the  Deviü  of  any  such  thing 
tliey  have  here  all  being  for  tlieir  Interestj  and-  conserving  their 
IndimduumSj  I  never  hearing  a  hearty  laughter  since  I  came,  iwr 
seeing  a  sfnile  but  from  one  end  of  tJie  mouth  to  th^  other.  In 
a  Word,  wlicn  you  have  seen  thcir  Ruins,  you  have  seen  all  here; 
for  all  their  aniient  Structures  are  faln  to  ruin :  and  for  Generosüie 


—     19     — 

and  Magnificence,  it  seema  io  have  dyed  wüh  ike  last  Pope,  for 
now  ikere's  none  left  aUve^ 

Die  Sorge  um  seinen  Unterhalt  scheint  nun  Flecknoe 
aufs  politische  Gebiet  gefuhrt  zu  haben.  Ein  aus  dem  Jahre 
1646  datierter  Brief  an  den  spanischen  Grafen  Salazar,  den 
er  in  Gent  als  Stadtkommandanten  kennen  gelernt  hatte, 
zeigt,  daß  Flecknoe  im  spanischen  Interesse  in  Italien  zu 
wirken  suchte.  Nachdem  er  dem  Grafen  zuvor  zu  einer  ihm 
vom  König  von  Spanien  verliehenen  Auszeichnung  gratuliert 
hat,  teilt  er  ihm  mit,  daß  er  eine  Anekdote  verfaßt  und 
veröflfentlicht  habe,  deren  Nutzanwendung  für  die  Italiener 
darin  bestehe,  daß  sie  sich  zu  den  Spaniern  und  nicht  zu 
den  Franzosen  halten  sollten.  Auch  aus  einem  späteren  Briefe 
an  den  Grafen  Salazar  erhellt,  daß  Flecknoe  fortgesetzt  für 
die  spanischen  Interessen  in  Italien  tätig  war. 

Von  den  Schreiben  aus  Rom  ist  noch  ein  Brief  an  die 
Prinzessin  von  HohenzoUem  aus  dem  Jahre  1646  zu  erwähnen, 
in  dem  Flecknoe  sich  in  Klagen  über  sein  langweiliges  Leben 
in  Rom  ergeht.  Er  unterhalte  sich  mehr  mit  den  Toten,  den 
alten  Statuen  und  Gemälden  Roms,  als  mit  dessen  Lebenden, 
und  finde,  daß  die  ersteren  bei  weitem  die  bessere  Gesell- 
schaft seien. 

Am  21.  Juli  1646  speiste  Flecknoe  zum  letzten  Male  im 
englischen  Kolleg.  Wahrscheinlich  hat  er  bald  darauf  die 
ewige  Stadt  für  immer  verlassen.  1647  schreibt  er  dann  aus 
Marseille  an  Lord  Thomas  Somerset  einen  Brief,  worin  er 
behauptet,  er  hätte  Italien  längst  verlassen  und  unterdessen, 
gleich  dem  vielgewanderten  Odysseus,  weite  Reisen  im  Oriente 
gemacht.  Trotzdem  wisse  er  darüber  nichts  anderes  zu  be- 
richten, als  was  man  schon  tausendmal  gehört  habe.  Er  sei  im 
Archipelagus,  den  Dardanellen,  dem  Pontus  Euxinus  undHelles- 
pont  gewesen.  Wie  es  da  aussehe,  könne  der  edle  Lord  in 
anderen  Reiseberichten  nachlesen.  Er  sage  nur  soviel:  Kon- 
stantinopel sei  eine  der  schönsten  Städte,  die  er  je  gesehen. 
Die  bunten  Kleider,  schwellenden  Turbane  und  fliegenden 
Gewänder  der  Leute  nähmen  sich  dort  sehr  hübsch  aus,  so 
daß  die  Straßen  wie  Tulpenbeete  aussähen.  Wegen  der 
Kriege  mit  den  Venetianern  habe   er  dann  leider  umkehren 


—     20     — 

müssen  und  sei  auf  einem  französischen  Schiffe  nach  Marseille 
zurückgekehrt.  Die  ganze  Schilderung  dieser  angeblichen 
Orientreiae  macht  aber  durchaus  den  Eindruck,  als  ob  der 
gute  Flecknoe  nichts  oder  nicht  viel  vom  Orient  gesehen 
habe  und  dem  Lord  nur  blauen  Dunst  vormachen  wolle. 

Der  folgende  Brief  ist  bereits  aus  Lissabon  an  Lord 
Charles  Dudley  gerichtet  und  trägt  das  Datum  1648.  Flecknoe 
bedankt  sich  darin  beim  Adressaten  für  das  Reisegeld,  das 
ihm  dieser  gegeben,  und  erzählt,  daß  er  sich  in  Toulon  nach 
Spanien  eingeschifft  habe,  wobei  er  mit  naiver  Eitelkeit  be- 
merkt, daß  er  bei  einem  Geistlichen  übernachtete,  der  in 
Marseille  schon  von  seinem  Dichterruhme  gehört  habe.  Weiter- 
hin erfahren  wir  aus  dem  Briefe,  daß  Flecknoe  infolge  ver- 
schiedener Zwischenfälle  gegen  seine  Absicht  in  Spanien  nicht 
landen  konnte  und  auf  einem  holländischen  Kriegsschiffe  nach 
Portugal  kam.  Dort  hielt  man  ihn  für  einen  Spion,  nahm 
ihn  fest  und  führte  ihn  vor  König  Johann  IV.  Der  erkannte 
aber  gar  bald  Flecknoe's  Harmlosigkeit,  und  als  dieser  erst 
seine  Laute  vor  dem  Hofe  erklingen  ließ,  da  würdigte  ihn  der 
König  sogar  seiner  Freundschaft  und  gestattete  ihm  jederzeit 
freien  Zutritt.  Bei  einem  Landsmann,  Mr.  John  Muley,  erhielt 
er  sodann  auch  eine  freie  Wohnung  angewiesen. 

Von  hier  aus  richtete  er  Briefe  an  die  Gräfin  von  Ber- 
lamont,  worin  er  in  drolUger  Weise  das  Leben  am  portu- 
giesischen Hofe  schildert,  und  an  MUe  de  Beauvais,  der  er 
seine  Absicht,  nach  Brasilien  zu  reisen,  mitteilt.  Der  König 
habe  ihm  bereits  ein  Viatikum  von  200  Kronen  dazu  gegeben. 
Er  sei  auf  diesen  Reiseplan  verfallen,  weil  er  etwas  von 
einem  ^ Philosopher  and  Astrologer^^  in  sich  spüre,  der  die  Sterne 
des  anderen  Poles  und  die  Natur  der  anderen  Hemisphäre 
kennen  lernen  wolle ;  *^and  lastly",  fährt  er  in  seiner  grotesken 
Eitelkeit  fort,  "w^  desire  of  seeing  all  the  world  ü  so  iusatiahle 
as  just  like  another  Alexander  (fj^  not  thinhing  one  world  sufficient, 
I  am  secking  another  forth,^^ 

Einige  Monate  später  schildert  er  dann  von  Brasilien  aus 
in  einem  Briefe  an  Mlle  de  Beauvais  seine  Erlebnisse  auf  der 
Überfahrt  und  seine  Ankunft  in  Rio  de  Janeiro.  Er  fand 
im  dortigen  Jesuitenkloster  freundliche  Aufnahme  und  erhielt 


—    21     — 

sogar  zwei  Mulatten  zu  seiner  ständigen  Bedienung.  Flecknoe 
gibt  hierauf  in  einem  Schreiben,  das  bei  weitem  das  um- 
fangreichste der  ganzen  Sammlung  ist,  eine  eingehende  Be- 
schreibung von  Land  und  Leuten.  Über  die  Geographie,  die 
Flora  imd  Fauna  des  Landes  verbreitet  er  sich  in  eigenen 
Kapiteln.  Schließlich  kommt  er  auch  in  längeren  Aus- 
führungen auf  die  Eingeborenen  zu  sprechen.  Er  beschreibt 
sie  als  dumm,  phlegmatisch  und  ^in  servüudinem  natV\  Sie 
gehen  fast  immer  völlig  nackt,  konstatiert  er  weiter,  und  fügt 
in  seiner  naiven  Weise  hinzu :  ^with  ofily  some  rag  to  hide  their 
privy  partSf  whick  you  woidd  never  desire  to  see,  you  are  so  dis- 
gusted  tvith  the  rest^ 

Er  erzählt  dann,  wie  er  auf  einer  ^Hamatta",  einer  Art 
Sänfte,  die  von  vier  Eingeborenen  getragen  wurde,  Keisen  im 
Lande  machte.  Dabei  findet  er  auch  Gelegenheit,  sich  über 
die  Ein-  und  Ausfuhrartikel  Brasiliens,  die  portugiesische 
Kolonialpolitik  und  andere  interessante  Dinge  auszulassen. 

Aus  dem  Jahre  1649  besitzen  wir  keinen  Brief.  Flecknoe 
wird  sich  während  dieses  Jahres  wohl  noch  in  Amerika  auf- 
gehalten haben.  1650  dagegen  finden  wir  ein  Schreiben 
Flecknoe's  an  den  Jesuiten  J.  Pereiro  in  Brasilien,  worin  er 
den  Jesuiten  nochmals  für  ihr  Entgegenkommen  dankt  und 
ihnen  die  Abschrift  eines  Briefes  übersendet,  den  er  in  wohl- 
gesetztem Latein  an  den  Kardinal  Barba  in  Rom  geschrieben 
hatte,  und  der  voll  des  Lobes  über  die  Tätigkeit  der  Jesuiten 
in  Brasilien  ist. 

1650  muß  Flecknoe  dann  auch  wieder  nach  Belgien 
zurückgekehrt  sein,  denn  ein  Brief  an  die  Herzogin  von 
Lothringen  aus  diesem  Jahre  enthält  den  Bericht  der  Be- 
stattungsfeierlichkeiten bei  der  Beisetzung  der  Gräfin  Berlamont, 
wobei,  wie  es  scheint,  der  geschäftige  Flecknoe  eine  Haupt- 
rolle gespielt  hatte.  Weitere  Briefe  an  die  Herzogin  folgen 
noch  im  gleichen  Jahre.  Die  Herzogin  hatte  sich  seiner 
wieder  angenommen,  was  Flecknoe  nun  mit  ausgesuchter  Galan- 
terie im  Stile  der  Zeit  quittiert.  So  hatte  z.  B.  die  jugend- 
liche Tochter  der  Herzogin  entzündete  Augen  bekommen. 
Flecknoe  erklärt  nun  sofort:  ^Tlie  rednesse  of  her  Eyes  is 
nothing   eise   htit  as  the  hluahing  of  the  Morn  is  to  the-  day ;   and 


no  wonder  ihat  Aurora  should  precede  ihe  fair  Sunskine  Iier 
Eyes  promise ;  next  His  hut  justice^  that  those  Eyes  which  are  to 
inflame  so  tna?iy,  should  first  experience  whai  His  to  he  inflamed 
themselves,  that  she  may  say  with  Dido,  she  has  learnt  to  püy 
others  hy  her  own  harmes" 

In  einem  Brief  an  den  Herzog  von  Bucldngham  schildert 
uns  Flecknoe  die  Stellung  näher,  die  er  in  der  Familie  der 
Herzogin  von  Lothringen  einnahm.  Er  hat  die  Hoheiten 
durch  Spaße  in  guter  Laune  zu  erhalten,  muß  auf  der  Laute 
vorspielen,  vorlesen  usw, ;  kurz,  er  ist  förmlich  ein  maitre  de 
plaisir.  Dabei  befindet  er  sich  augenscheinlich  sehr  wohl, 
denn  er  prahlt  damit  anderen  gegenüber.  So  erzählt  er  in 
einem  "  To  Monsieur  Laurim,  Lieutenant  CHvil  at  Oant,  Anno  öÖ*^ 
überschriebenen  Briefe  zuerst  von  seinen  Reisen  in  „Asi4n{!), 
Affrika{!)  und  Amerika^,  und  bedauert,  der  Einladung  des 
Grafen  d'Averos,  Vize-Königs  von  Ostindien,  nicht  gefolgt 
zu  sein  und  auch  Indien  besucht  zu  haben.  Er  schließt  dann : 
"  You  should  see  if  you  were  at  Brüssels  I  am  admiited  to  such 
a  familiarity  uith  those  Grayidees,  as  some  Admire,  sonie  Envy, 
and  all  EmuluteJ^ 

Die  Herzogin  zog  sich  aber  bald  aufs  Land  zurück,  wo- 
hin ihr  Flecknoe  folgte.  Mlle  de  Beauvais,  die  ohne  ihn  in 
Brüssel  zurückbleiben  mußte,  suchte  er  damit  zu  trösten,  daß 
er  ihr  versprach,  allwöchentlich  für  sie  ein  gewünschtes 
Thema  brieflich  zu  behandeln.  Wirklich  schreibt  er  auch 
eine  Reihe  solcher  Lehrbriefe,  die  er  alle  seiner  Sammlung 
einverleibt  hat.  Einige  davon  sind  in  mehrfacher  Hinsicht 
interessant,  so  gleich  der  erste,  der  ^'Of  Languaye"  betitelt 
ist.  Flecknoe  beginnt  damit,  daß  er  sagt,  ein  Reisender 
müsse  sich  ebensowohl  mit  Sprachkenntnissen  wie  mit  Geld 
versehen.  Dann  beschreibt  er  die  lokale  Umgrenzung  der 
einzelnen  europäischen  Sprachen,  worauf  er  sogar  sprach- 
geschichtliche Untersuchungen  anstellt.  Dieses  fast  wissen- 
schaftlich zu  nennende  Interesse  an  den  Sprachen  ist  Flecknoe 
jedenfalls  hoch  anzurechnen.  Auch  ist  seine  Einsicht  in  das 
Verhältnis  der  verscliiedenen  europäischen  Sprachen  zueinander 
für  seine  Zeit  immerhin  respektabel.  Er  sagt  nämlich:  Alle 
Sprachen  Europas  gehen  auf  zwei  Hauptquellen  zurück,  auf 


—    23     — 

das  Deutsche  {^ Almain**)  und  das  Lateinische.  Das  Italienische, 
Französische  und  Spanische  stammt  vom  Lateinischen  ah,  das 
Niederdeutsche,  Dänische  und  Holländische  dagegen  >rom 
Deutschen.  Am  Schluß  des  Briefes  bespricht  et  dann  noch 
den  Einfluß  des  Handels  auf  die  Verbreitung  einer  Sprache 
und  die  Stellung  der  Dialekte  zur  Schriftsprache. 

Im  folgenden  Lehrbrief  behandelt  er  die  Aussptache. 
Hier  vertritt  er  allerdings  noch  einen  recht  elementaren  Stand- 
punkt. Er  fuhrt  das  Beispiel  der  Königin-Mutter  von  Frank- 
reich, Marie  von  Medici,  an,  did  es  nie  gern  gesehen  habe, 
wenn  er  die  Fehler  seiner  französischen  Aussprache  habe 
verbessern  wollen.  Sie  habe  zu  ihrer  Umgebung  immer  ge- 
sagt :  „Wenn  ihr  ihn  gut  sprechen  lehrt,  so  beraubt  ihr  mich 
des  Vergnügens  ihn  so  schlecht  parlieren  zu  hören."  Die 
hohe  Dame  wollte  sich  eben  ihren  Spaß  nicht  rerderben 
lassen.  Flecknoe  aber  faßt  das  ernst  auf  und  schließt  daraus, 
daß  es  genüge,  wenn  man  so  gut  sprechen  könne,  daß  man 
sich  zur  Not  zu  verständigen  vermöge. 

Ein  weiterer  Brief  handelt  vom  Ruhme  und  ist  großen- 
teils in  Versen,  und  zwar  in  heroics  couplets  abgefaßt.  Der 
Inhalt  bewegt  sich  in  Gemeinplätzen,  die  mit  vielen  conceits 
im  Geschmacke  der  Zeit  aufgeputzt  sind. 

Ein  anderer  Wochenbrief  trägt  den  Titel:  "Täc  Vices  of 
evü  Tongues  Arraign*d*\  Der  Inhalt  ist  ein  sehr  derber,  nicht 
wiederzugebender  Soldatenwitz. 

Unter  diesen  Lehrbriefen  findet  sich  auch  ein  an  eine  Mlle 
de  Clerque  in  Gent  gerichtetes  Schreiben,  in  dem  Flecknoe  das 
Leben  auf  dem  Landsitze  der  Herzogin  von  Lothringen 
schildert.  Nach  der  Morgenandacht,  ungef&hr  eine  Stunde 
vor  dem  Diner,  spielt  er  mit  der  Herzogin  und  ihrer  Tochter 
abwechselnd  Laute,  Guitarre  und  Geige.  Mlle  de  Beauvais 
kommt  auch  dann  und  wann  von  Brüssel  herüber,  und  da 
musizieren  oder  singen  sie  dann  alle  zusammen.  Nach  dem 
Diner  werden  1 — 2  Stunden  angenehm  verplaudert.  Wefin 
der  Tag  schön  ist,  wird  ausgefahren.  Von  diesem  Ausflug, 
der  nie  ohne  "Banquet  or  CoUation"  endet,  kehrt  die  kleine 
GesellschaftgegenSonnenuntergangzurück,  worauf  l—2Stunden 
Tor  dem  Souper  getanzt  wird.   Damen  sind  hierzu  meist  genug 


—     24    — 

vorhanden;  dagegen  mangelt  es  an  Herren,  wenn  gerade  keine 
Edelleute  von  Brüssel  herübergekommen  sind.  Nach  dem 
Souper  wird  Karten  gespielt,  gelacht  und  gescherzt.  Eine 
lebenslustige  Gesellschaft! 

Mit  den  zwei  folgenden  Briefen  treten  wir  ins  Jahr  1651 
ein.  Es  sind  wieder  Lehrbriefe,  von  denen  der  erste  "0/* 
aecrets^*  betitelt  und  recht  banal  ist.  Der  zweite  behandelt  das 
Thema:  ^How  we  are  to  contemn  the  Calumnies  of  the  World^\ 
und  erzählt  die  bekannte  Fabel  von  dem  Bauern,  der  mit 
seinem  Sohne  und  seinem  Esel  zur  Stadt  geht  und  es  jedem, 
der  ihm  begegnet,  recht  machen  will. 

Ein  weiteres  Schreiben  an  MUe  de  Beauvais,  das  von 
großer  Intimität  zeugt  und  im  Faschingsstil  gehalten  ist,  be- 
titelt sich:  *'7b  Mlle  de  Beauvais^  in  Raüleriej  on  his  heing  King 
on  Twelfth'nigM\  worauf  sie  ebenso  lustig  "-1  sa  Majesic  Fleck- 
notique"  repliziert. 

Dann  kommt  plötzlich  der  Bruch.  Man  scheint  Flecknoe's 
überdrüssig  geworden  zu  sein  und  es  ihn  auch  haben  fühlen 
lassen.  Beleidigt  verläßt  er  die  Familie  und  bemerkt  in 
seinem  Abschiedsbrief  an  Mlle  de  Beauvais:  "/^  being  not  my 
nianner,  who  lovc  not  to  he  treated  with  Indifference^  much  less 
urüh  Neglect,  to  importune  any  with  my  Company ^  longer  then  tltey 
may  take  delight  in  it^ 

Das  geht  noch  im  Jahre  1661  vor.  Wir  hören  dann 
drei  Jahre  lang  von  keinem  Briefe  mehr.  Ob  sich  Flecknoe 
während  dieser  Zeit  mehr  auf  dem  Kontinent  oder  in  England 
aufhielt,  ist  nicht  mit  Sicherheit  zu  entscheiden.  Jedenfalls 
hat  er  noch  1651  oder  im  Laufe  von  1652  London  und  Eng- 
land einen  Besuch  abgestattet,  wie  aus  seinem  1653  erschie- 
nenen Werke  ^^Miscellania^*  ohne  Zweifel  hervorgeht.  Anderer- 
seits erhellt  aus  demselben  Werke,  daß  er  sich  mit  der 
Familie  der  Herzogin  von  Lothringen  wieder  vollkommen 
ausgesöhnt  haben  muß,  denn  das  Buch  ist  nicht  nur  ^^A  la 
plus  Excellenie  de  son  Sex€^\  die,  wie  deutlich  ersichtlich,  keine 
andere  als  Mlle  de  Beauvais  ist,  gewidmet,  sondern  auch  der 
Inhalt  der  Schrift  bietet  eine  große  Anzahl  von  Huldigungen 
und  Schmeicheleien,  die  sich  auf  die  Herzogin  und  ihre  Schwester 
beziehen.    Flecknoe  wird   also   wohl   wieder  ihre  Gunst  oder 


—     25     — 

UnterstützuDg  genossen  haben;  vielleicht  hatte  er  auch  seine 
bisherige  Stellung  als  Gesellschafter  nach  kurzer  Unterbrechung 
wieder  aufgenommen. 

Erschienen  sind  die  ^^Miscellania-^ ^)  erst  1653  in  London. 
Das  Buch  ist  eine  Sammlung  von  kürzeren  und  längeren  Qe- 
dichteuy  sowie  einzelnen  Briefen  und  kurzen  Aufsätzen,  die 
Flecknoe  hier  gesammelt  hat,  weil,  wie  er  in  seiner  drolligen 
Art  bemerkt,  ^^being  ihe  loosest  of  my  Paper s^  tkey  were  niQst 
sybject  to  scattering,  and  it  will  g7*ieve  me  lesse  to  kave  them  lost 
aüogether  iken  by  parcels  as  they  were  before,^^ 

Dieses  Sammelwerk  ist  auch  die  erste  eigentliche  poetische 
Veröffentlichung  Flecknoe's,  da  seine  früheren  literarischen 
Arbeiten  religiöse  Zwecke  verfolgen. 

Der  poetische  Wert  der  Gedichte  in  den  ^^Miscellania^^ 
ist  recht  gering.  Es  sind  schlechte  Verse  im  Stile  Waller's, 
aber  ohne  seine  Formvollendung,  ohne  Tiefe,  ohne  den  Aus- 
druck echten  Gefühls,  und  außerordentlich  pretiös  und  ge- 
schraubt. Neben  Waller,  den  Flecknoe  gelegentlich  einmal 
*Hhe  best  of  Poeis'^  nennt,  ist  sichtlich  auch  der  Kreis  der 
Herzogin  von  Lothringen  in  Brüssel  von  großem  Einfluß  auf 
unseren  Autor  gewesen.  Dieser  Kreis  verehrte  und  bewunderte 
aber  besonders  die  damals  hochberühmten  Romane  der  MUe 
de  Scudfiry,  die  ihren  bekannten  Roman  tArtamene  ou  le 
grand  Cyrus>  sogar  eigens  mit  einer  sehr  pretiösen  und 
schmeichelhaften  Widmung  in  Gedichtform,  die  unser  Flecknoe 
ins  Englische  umdichtete,  der  Herzogin  von  Lothringen  über- 
reichen ließ.  ^ 

Das  Buch  beginnt  mit  dem  von  Southey^)  wie  von  der 
"Retrospective  Review"  ^)  so  bewunderten  Gedichte  ^^Invocation 
of  Süence^\  das  in  Flecknoe's  Gedichtsammlungen  noch  öfters 
wiederkehrt  und  ein  integrierender  Bestandteil  seines  Stückes 
^^Love^s  Dominion'^  ist,  dessen  Manuskript  damals  schon  vor- 
gelegen   haben    muß,    da    noch    drei   weitere   Proben   dem- 


*)  Misceüania:  or,  Poenis  of  all  sorts,  with  divers  other  FieceSj 
Written  by  Richard  Fleckno.  London,  Printed  by  T.  R.  for  the  Ätithor, 
MDCLni.  80.    146  S. 

*)  Southey,  Omniana.  I,  105—110. 

»)  Baldwyn,  Retrospective  Review.  1822.  V,  266—275. 


selben  eDtnommen  und  hier  wiedergegeben  sind.  Sodann  folgt 
in  der  Sammlung  ein  längeres,  ungefähr  400  Verse  zählendes 
Gedicht  in  Iieroic  couplets  mit  dem  Titel:  "TÄe  Meiamorphosed 
Lover8^\  Es  ist  pretiös  bis  zur  Albernheit.  Der  Inhalt  ist 
folgender:  Zwei  Jünglinge,  Asteron  und  Philocell,  sind 
schon  von  Kindesbeinen  an  die  besten  Freunde.  Bei  einem 
Peste  der  Liebesgöttin  Aphrodite  sehen  nun  die  Unzer- 
trennlichen die  holde  Aniouret,  und  werden  gleichzeitig  von 
heftigster  Liebe  zu  ihr  ergriffen.  Denn  obwohl  die  Schöne 
dicht  von  ihrem  Schleier  bedeckt  ist,  strahlt  sie  doch  hell 
wie  die  Sonne  und  stellt  sogar  die  Göttin  in  den  Schatten. 
Unwiderstehlich  angezogen^  können  die  beiden  kein  Auge 
mehr  von  ihr  wenden  und  folgen  ihr  überallhin.  Sie  sehen, 
wie  die  Holde  durch  den  Glanz  ihrer  Augen  die  Vögel  in 
der  Luft  betäubt,  daß  sie  nur  so  in  die  feinen  Netze  Amouret's 
herabtaumeln;  wie  die  Fische  im  Wasser,  von  dem  Glänze 
geblendet,  der  von  ihr  ausgeht,  auf  ihre  Lockspeise  zustürzen 
und  sich  ihr  gefangen  geben.  Aber  nun  ereilt  auch  die  Spröde 
ihr  Schicksal.  Sie  ist  in  den  Wald  gegangen,  wohin  ihr 
Asteron  und  Philocell,  von  den  Blumen  geleitet,  die  unter 
ihren  Tritten  aufsproßten,  schmachtend  folgen.  Da  springen 
plötzlich  zwei  grimme  Bären  auf  die  Holde  los  und  drohen 
sie  zu  zerreißen ;  die  beiden  Jünglinge  aber  eilen  ihr  schleunigst 
zu  Hilfe  und  erlegen  die  Untiere,  wobei  leider  Asteron  am 
rechten  und  Philocell  am  linken  Arme  verwundet  werden. 
Amouret  aber  zerreißt  bei  diesem  Anblick  ihren  Schleier 
und  verbindet  „mit  zarter  Hand  und  zarterem  Herzen"  die 
Wunden;  und  das  Mitleid,  das  sie  mit  den  beiden  hat,  wird 
zur  Liebe.  Asteron  und  Philocell  sind  darüber  anfanglich 
sehr  entzückt,  werden  aber  gar  bald  eifersüchtig  aufeinander. 
Ja,  die  Heimtücke  Amors,  „der  zwei  mit  einem  Pfeile  und 
eine  mit  zwei  Pfeilen  durchbohrt  hatte",  bringt  sie  sogar  der 
Verzweiflung  nahe.  Asteron  will  zuerst  sich,  dann  seinen 
Nebenbuhler  töten ;  schließlich  tut  er  keines  von  beiden.  Denn 
brächte  er  sich  selber  um,  so  zerstörte  er  ja  seine  Liebe  zu 
Amouret;  tötete  er  aber  Philocell,  so  vernichtete  er  dessen 
Liebe  zu  Amouret  und  verscherzte  vielleicht  gar  die  Gunst 
der  Geliebten. 


—     27     — 

As^ouret,  die  beide  Jünglinge  in  gleichem  Maße  liebt, 
beklagt  ihr  Los  ebeu  falls  aufs  bitterste.  Beständig  ringt  ßie 
qualvoll  die  Hände,  Tränenströme  entstürzen  ihren  Augen 
;uad  unaufhörlich  begehrt  sie  zn  sterben. 

Doch  kein  Hofifnungsstem  will  den  dreien  aufgehen.  So 
begeben  sie  sich  denn  zuguterletzt  gemeinsam  in  ein  Tal,  um 
da  zu  sterben.  Alle  drei  sind  vom  Weinen,  Wehklagen  imd 
Seufzen  so  eingefallen  und  entstellt,  daß  sie  einander  lange 
nicht  erkennen  können.  Unter  Stöhnen  und  Ächzen  hauchen 
sie  dann  ihren  Geist  aus,  worauf  sie  zum  Lohne  für  ihre  treue 
Freundschaft  und  Liebe  als  Dreigestirn  ans  Firmament  ver- 
setzt werden.  Damit  ist  die  rührselige  Seufzergeschichte^  die 
wohl  zweifellos  durch  Ovid's  Metamorphosen  angeregt  wurde, 
zu  Ende.  Die  anderen  Gedichte,  von  denen  eine  große  Zahl 
in  den  späteren  Sammlungen  Flecknoe's  wiederkehrt,  zeigen 
im  allgemeinen  den  gleichen  pretiösen,  geschraubten  Typus; 
namentlich  leistet  Flecknoe,  dem  Zuge  seiner  Zeit  und  der 
Rücksicht  auf  seine  abhängige  Existenz  folgend,  in  der 
Yerhimmelung  seiner  Gönner  und  Gönnerinnen  Großes.  Als 
Beispiel  dafür  diene  ein  kurzes  Gedicht,  das  Flecknoe  zuerst 
französisch  verfaßte  imd  dann  folgendermaßen  ins  Englische 
übersetzte : 

"Jm^/  OS  Flora  is  o*  tK  Sjyring 
And  o'  M  Stimmer  d-  Äuiumn  were 
Ceres,  and  Pomona  Queene, 
So  are  you  of  aü  ihe  year. 

They  do  wrong  then,  who  compare 
You  to  ane  o'  tV   Goddesses  alone, 
Who  amongst  aü  so  exceUent  are, 
As  you  surpasse  them  every  one,^^ 

Von  anderen  an  hohe  Persönlichkeiten  gerichteten  Ge- 
dichten seien  erwähnt :  "/n  execraiion  of  Üie  Sniaü  Poxe,  on  tke 
occasiori  of  the  Princess  of  Zollern's  sickne8se^\  ^^On  ihe  late  Duke 
of  Buckingham.  To  my  Lord  Duke,  his  So?ie^^',  "Tb  the  Lord 
N,  Eequesting  some  of  his  Verses  to  shew  to  the  Queen  of  Bo- 
hemia^^  (er  ist  nicht  wenig  stolz  darauf!);  "/»  memory  of  that 
ever  memorable  Lady  Ann  Packinton,  Lady  Audley"  usw. 


—     28     — 

Eigentliche  lyrische  Motive  behandelt  Flecknoe  nicht^ 
wie  man  sieht.  Was  er  bietet,  das  sind  fast  ausnahmslos 
Gelegenheitsgedichte.  Das  dichterisch  beste  Gedicht  neben  den 
paar   Proben   aus   "Lotv's  Dominion"  ist  wohl   das  folgende : 

The  Libei^ty,  Song. 
Free  as  I  was  hörn  Fll  live, 
So  shud  evertj  tviseman  da; 
Onely  Fools  Üiey  are  who  give 
Their  freedoms  to  I  know  not  who, 

If  my  wedkness  cannot  sare  ii, 
But  H  must  go,  whatere  it  cost; 
Some  more  strong  than  I  shall  have  it, 
Who  can  keep  what  I  have  lost  ? 

Still  sonie  excellen^cy  shud  he, 
More  fth^  Mr,  than  the  Slave, 
Which  in  othrrs  tili  I  see^ 
None  my  liberty  shall  have. 

Nor  is*t  exceüency  enotigh, 
Time  or  cJiance  ran  mar  or  make; 
But  U  shall  he  more  lasting  stu/f 
Shall  from  me  my  freedom  take. 

Wlierefore  Riches  n^ver  sJiall 
Captivate  my  liberty: 
Its  gold  chaines  are  too  slight  and  smaü, 
To  hind  a  heart  that  wdd  he  free. 

And  f/reatnesse  though  I  rcverence 
In  those,  yet  it  were  want  of  wit, 
Shud  take  argumcnt  from  thence. 
I  therefore  wo'd  he  slave  to  iL 

Beauty  too  I  can  admire, 

Änd  submit  unto  7  in  part, 

But  Dominion  intirCy 

^T  shall  nere  have  oV  my  freeborne  heart. 

Yet  for  a  freind,  Vd  do  so  much, 
My  liberty  away  to  give, 


—    29     — 

If  tM  World  were  any  sucfi^ 

Which  tili  I  can  see,  Fle  scarce  beleeve, 

Then  for  all  the  world  can  give 
rie  ne^re  he  brought  io  servitude, 
But  free  as  I  was  hörn  Fle  live, 
Or  rather  dije:  and  to  conclude, 

Tliose  to  whom  I'le  give  away 
That  which  none  too  dear  can  buy, 
Shall  he  fnade  of  better  clay, 
And  Jiave  better  soules  ilian  L 

Auch  hier  stören  schlechte  und  unkorrekte  Verse,  übel- 
klingende Kontraktionen  und  schwerfalliges,  unklares  Satz- 
gefüge an  zahlreichen  Stellen  die  poetische  Wirkung  des 
Ganzen.  Die  in  diesem  Gedichte  ausgesprochene  Freiheits- 
gesinnung ist  übrigens  um  so  bemerkenswerter,  als  sie  sonst 
von  Flecknoe  nicht  betont  wird.  Dem  Autor  scheint  das 
Lied  auch  besser  als  andere  seiner  lyrischen  Produktionen 
gefallen  zu  haben,  denn  er  verleibte  es  später  sowohl  seinen 
^  Cliaracters^*  wie  seinen  ^^Epigrams'*  von  1671  ein,  jedesmal 
wieder  etwas  abgeändert  und  teilweise  gekürzt. 

Auf  Seite  74  der  ^^MisceUania^^  beginnt  dann  eine  längere 
Abhandlung,  betitelt:  ^'Ä  Discoiirse  of  Langiiages,  and  parti- 
cularly  of  the  English  Tongue'\  die  eigentlich  nur  die  etwas 
erweiterte  Bearbeitung  des  an  Mlle  de  Beauvais  gerichteten 
Lehrbriefes  "0/"  Langimge''^  ist. 

Auch  hier  zeigt  sich  wieder,  daß  Flecknoe  für  seine  Zeit 
bemerkenswerte  sprachhistorische  Kenntnisse  besitzt  und  selber 
über  sprachliche  Dinge  nachgedacht  haben  muß.  Nachdem 
er  sich,  wie  früher,  über  die  Abstammung  der  europäischen 
Sprachen  verbreitet  hat,  kommt  er  besonders  auf  das  Englische 
zu  sprechen.  Er  bezeichnet  es  als  ein  auf  das  Deutsche 
i^^Dutch^^)  gepfropftes  Französisch,  das  mit  einigen  Zutaten 
aus  anderen  Sprachen  aufgeputzt  sei.  So  seien  die  Ausdrücke 
für  die  Künste  und  Wissenschaften  meist  dem  Lateinischen  oder 
dem  Griechischen  entnommen.  Das  Entstehen  der  englischen 
Sprache   schildert   er   folgendermaßen:    Das   Deutsche   oder 


—     30    — 

Sächsische  verdrängte  zuerst  das  Britische  und  beschränkte 
es  auf  die  Berge  von  Wales;  dann  taten  die  französisch 
redenden  Normannen  das  gleiche  mit  dem  Sächsischen:  sie 
vermengten  es  so  mit  ihrer  Sprache,  daß  es  im  Laufe  der 
Zeit  weder  sächsisch  noch  französisch  war,  sondern  zu  einer 
Mischsprache  wurde. 

Für  die  damalige  Zeit  ist  diese  AufÜEissung  jedenfalls 
nicht  so  übel.  Aber  nicht  nur  über  die  Geschichte  der  eng- 
lischen Sprache,  sondern  auch  über  die  Entwicklung  ihres 
*^8tyle  of  langiLoge^^  will  uns  Flecknoe  Aufschluß  geben.  Die 
alten  Engländer  (er  denkt  wohl  an  Chaucer,  den  er  kennt; 
weiter  zurück  datiert  Flecknoe's  Kenntnis  nicht,  soweit  sich 
aus  seinen  Werken  erkennen  läßt)  drückten  sich  schlicht  und- 
einfach  aus,  sagt  er;  zur  Zeit  der  Königin  Elisabeth  liebte 
man  dann  einen  prunkhaften  und  geschwollenen  Stil;  unter 
Jakob  I.  bevorzugte  man  das  Lehrhafte  und  gelehrte  Bildung 
Verratende;  unter  König  Karl  kam  die  Vorliebe  für  den  fran- 
zösischen Stil  bei  den  Vornehmen  in  Mode,  und  in  aller- 
letzter Zeit  brachte  das  puritanische  Kegime  den  Bibelstil  in 
Schwung,  und  die  Leute  ^^like  Qypsies  cant  it  now  in  ihe  Hebrew 
phrase^\ 

Flecknoe  teilt  den  Stil  in  zwei  Arten  ein,  1)  in  den 
gewöhnlichen  oder  Zeitstil,  und  2)  in  den  gelehrten  Stil. 
Den  letzteren,  meint  er,  solle  man  anwenden,  wenn  man  für 
den  Kuhm  und  die  Ewigkeit  schreibe.  Er  lasse  sich  am 
leichtesten  übersetzen  und  sei  überhaupt  an  bestimmte  Formen 
gebunden,  die  sich  nicht  so  bald  änderten;  der  Zeit-  oder 
Modestil  wirke  indessen  lächerlich,  wenn  die  Mode  eine  andere 
geworden  sei. 

Als  Stilfehler  bezeichnet  es  Flecknoe,  wenn  man  sich 
unverständlich  oder  geschraubt  ausdrückt ;  man  darf  aber  auch 
nicht  zu  schlicht  und  einfach  schreiben.  Es  ist  weder  schön, 
auf  Stelzen  daherzuschreiten,  noch  als  Reptil  aili  Boden  zu 
kriechen.  Es  ist  gleich  verwerflich,  nur  auf  den  Inhalt  oder^ 
nur  auf  die  Form  zu  achten.  Beide  müssen  in  gleicher  Weise 
berücksichtigt  werden. 

Dann  kommt  Flecknoe  wieder  auf  das  Sprachprobtem 
Zurück.  Er  unterscheidet  dreierlei  Sprachen :  erstens  Sprachen, 


—    31     — 

die  infolge  eines  reichen  literarischen  Erbes  noch  fortleben, 
wie  das  Griechische,  Lateinische  und  Hebräische;  zweitens 
Sprachen,  die  sich  lebendig  in  der  Gegenwart  fortentwickeln ; 
das  sind  die  Sprachen  gesunder  und  blühender  Völker,  wie 
das  Spanische,  Französische,  Italienische  und  Englische ;  drittens 
verfallende  Sprachen,  die  Sprachen  verachteter  oder  geknech- 
teter Völker,  die  keine  rechte  Literatur  haben.  Dazu  rechnet 
Flecknoe  das  Irische. 

Die  Vorzüge  einer  Sprache  findet  Flecknoe  nicht  so  sehr 
in  ihrem  Wortreichtum,  wie  in  ihrer  Qualität.  Nicht  im 
Beichtum  an  Vokabeln,  sondern  im  Wohlklange  einer  Sprache 
liege  ihre  Schönheit.  In  dieser  Hinsicht,  meint  er,  stände 
das  Englische  wohl  anderen  Sprachen  nach ;  sonst  aber  nehme 
es  in  jeder  Beziehung  den  Vergleich  mit  allen  anderen 
Sprachen,  toten  wie  lebenden,  auf.  Er  findet,  daß  das  Eng- 
lische die  an  conceits  reichste  Sprache  der  Welt  ist.  Das 
sei  auch  gar  nicht  weiter  verwunderlich,  da  die  Engländer 
das  witzigste,  froheste  und  umgangs&eudigste  Volk  seien,  das 
es  gäbe !  (Das  kann  man  heute  kaum  mehr  behaupten.)  Das^ 
Englische  eigne  sich  femer  vorzüglich  zur  Rhetorik  und  zum 
getragenen  Stil;  auch  sei  keine  andere  Sprache  an  Figuren 
und  Metaphern  reicher. 

Zu  diesen  Vorzügen  sei  das  Englische  durch  lebhafte 
Berührung  mit  anderen  Sprachen,  da  die  Engländer  ja  ein 
Handelsvolk  seien,  imd  durch  Übersetzungen  gekommen.  Die 
Bühne  habe  gleichfalls  sehr  viel  zur  Bereicherung  der  Sprache 
beigetragen  imd  ihre  Entwicklung  bedeutend  gefördert.  Die 
Bühne,  sagt  unser  Autor  weiter,  ist  die  Münze,  in  der  täg- 
lich neue  Worte  geprägt  und  in  Umlauf  gesetzt  werden. 
Bücher  haben  lange  nicht  denselben  Wert  und  Einfluß,  wie 
das  von  der  Bühne  herab  gesprochene  Wort.  Ich  fürchte 
daher,  fährt  er  fort,  von  der  jetzigen  Unterdrückung  des- 
Theaters eine  Verwilderung  der  Sprache.  Man  wende  nicht 
ein,  daß  auf  dem  Theater  viel  Unsittliches  und  Zotenhaftes' 
zur  Darstellung  komme;  das  ist  anderswo  auch  nicht  besser. 
Wenn  Mißbräuche  sich  eingeschlichen  haben,  so  soll  man  sie 
eben  abstellen,  aber  nicht  mit  der  Unterdrückung  des  Theaters 
auch  seinen  Nutzen  hintanbalten. 


—     32     — 

Schließlich  kommt  Flecknoe  noch  darauf  zu  sprechen^ 
warum  denn  das  Englische  trotz  all  seiner  Vorzüge  im  Aus- 
lande so  wenig  Achtung  und  Ansahen  genieße. 

Er  meint,  daran  sei  hauptsächlich  die  insulare  Lage 
Englands  schuld,  die  es  Fremden  weniger  nahe  lege,  auch 
englisch  zu  lernen.  Hätte  England  z.  B.  die  Lage  Frank- 
reichs inmitten  des  kontinentalen  Verkehrs,  so  würden  die 
Engländer  seiner  Überzeugung  nach  bald  nicht  mehr  die  ein- 
zigen Bewunderer  ihrer  Sprache  sein.  Als  weiteren  Grund 
führt  er  an,  daß  das  Englische  lauter  einsilbige  Worte  habe, 
was  für  fremde  Ohren  rauh  und  abgehackt  klinge.  Von 
großer  Bedeutung  hält  Flecknoe  noch  einen  dritten  Grund, 
der  zeigt,  daß  er  auch  phonetische  Beobachtungen  zu  machen 
weiß.  Er  sagt,  die  Engländer  sprächen  keinen  einzigen 
Vokal  wie  die  anderen  Völker  aus,  ein  Umstand,  der  sie 
in  hohem  Grade  unfähig  mache,  fremde  Sprachen  richtig  zu 
erlernen.  In  ihrem  Munde  seien  fremde  Laute  kaum  mehr 
kenntlich,  weil  sie  den  Mund  nicht  ö£Fneten  und  die  Worte 
aus  Atemmaugel  ersticken  ließen,  ein  Nachteil,  der  nicht  nur 
die  Rede,  sondern  auch  den  Gesang  beeinflusse.  Und  wenn 
beide  nicht  gebessert  werden,  müssen  sie  unangenehm  für 
fremde  Ohren  klingen,  schließt  Flecknoe  seinen  Aufsatz. 

Im  Anschlüsse  daran  behandelt  er  in  einem  weiteren  Essay 
ein  ähnliches  Thema.  Er  spricht  nämlich :  "  Of  translation  of 
Äuthorsr  ^) 

Nachdem  er  in  der  Einleitung  das  Übersetzen  als  geistigen 
Güteraustausch  zwischen  den  einzelnen  Völkern  charakterisiert 
hat,  gibt  er  einen  historischen  Überblick  über  die  Geschichte 
des  Übersetzens.  Er  beginnt  mit  dem  Turmbau  von  Babel, 
und  entwickelt  dann  die  eines  Körnchens  Wahrheit  nicht  ent- 
behrende Theorie,  daß  alle  Wissenschaft  auf  Übersetzung  be- 
ruhe und  ständig  von  Osten  nach  Westen  weiterwandere.  Die 
Brahmanen  Indiens  hätten  zuerst  die  Wissenschaft  besessen; 
von   ihnen   hätten    sie   die  Perser  und   Chaldäer  überliefert 


*)  Flecknoe's  Aufsatz  hat  mit  dem  1684  in  heroic  Couplets  ge- 
dichteten und  damals  berühmten  ''Essay  on  Tratislated  Verse"  des  Earl 
of  Roscommon  gar  nichts  gemein.  Roscommon  lehnt  sich  teüweise  an 
Boileau  an. 


—     33     — 

erhalten.  Dann  sei  sie  stets  auf  dem  Wege  der  Übersetzung 
nach  Ägypten,  Griechenland  und  Eom  weitergewandert.  Von 
den  Römern  hätten  sie  die  Völker  West-  und  Mitteleuropas 
erhalten,  von  wo  sie  im  Laufe  der  Zeit  nach  Amerika  weiter- 
rücken werde. 

Nach  diesen  Auslassungen  kommt  Flecknoe  auf  das 
eigentliche  Thema  zu  sprechen  und  spottet  über  Übersetzer, 
die  an  griechische  oder  lateinische  Worte  nur  eine  englische 
Endung  anfügen.  Das  sei  dasselbe,  wie  wenn  man  bread  und 
beer  als  breado  und  beero  ins  Spanische  übersetze. 

Weiterhin  bemerkt  Flecknoe,  daß  jede  Nation  bestimmte 
Charakteristika  besitze,  die  in  ihrer  Sprache  zum  Ausdrucke 
kämen,  z.  B.  die  Italiener  eine  ^insinuaiing  sweetnesse'^  die 
Spanier  eine  ^lowd  haughtinesse^^  die  Franzosen  eine  ^eff&niitiate 
niceti/^  usw.  Das  Schwierige  für  den  Übersetzer  liege  nun 
darin,  daß  er  nicht  nur  den  Sinn  der  Worte,  sondern  auch 
ihren  eigentümlichen  Charakter  und  Ton  wiedergebe. 

Dann  wirft  Flecknoe  die  Frage  nach  dem  ersten  Über- 
setzer auf,  den  er  bewundernd  apostrophiert: 

'*/  wonder  who  It  loas,  who  durst 

Adveniure  on  ikat  bold  wcnk  first: 

To  re-make  whai  the  Gods  unmade, 

To  joyne  what  they  disserer^d  had  : 

And  to  consolidate  agen 

Tlie  broken  InieUigence  of  men. 

WheW  it  the  God  of  Lear?iing  wey-e 

Pliebus,  or  one  of  higJier  fipJieer, 

Or  eise,  by  guesse  to  come  more  nigh, 

The  God  of  Language,  Mercury: 

For  sure  some  GodH  was,  d^H  wer''  known, 

Or  men  at  leasi  had  made  him  oneT 
Als  erstes  Erfordernis  für  einen  guten  Übersetzer  be- 
zeichnet Flecknoe  ein  gesundes  Urteil.  Denn  man  solle  nur 
Werke  übersetzen,  die  es  auch  wirklich  verdienen,  und  keine 
oberflächliche  Schundware  reproduzieren.  Weiterhin  muß  der 
Übersetzer  ein  guter  Stilist  sein;  wer  seine  eigene  Mutter- 
sprache nicht  tüchtig  beherrscht,  wird  auch  kein  guter  Über- 
setzer sein. 

Münchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.    XXXIII.    3 


—     34     — 

Ferner  muß  der  Übersetzer  in  hohem  MaJie  die  Sprache 
beherrsohen,  aus  der  er  fibersetzt;  noch  mehr  aber  muB  er 
mit  der  Materie  des  zu  übersetzenden  Werkes  vertraut  sein. 
Mecknoe  ist  überzeugt,  daß  einer,  der  den  bebandelten  Gegen- 
stand kennt,  in  der  Fremdsprache  selber  aber  nur  mäßig 
Tersiert  ist,  besser  übersetzt  als  ein  anderer,  der  zwar  die 
fremde  Sprache  yollkommen  beherrscht,  dem  aber  der  be- 
handelte Stoff  fremd  ist. 

Die  Hauptsache  aber  bleibe:  Induere  personam  attionsf 
Der  Übersetzer  müsse  sich  ganz  in  die  Gedankenwelt  seines 
Autors  hineinleben,  und  mehr  nachschaffen  als  mechanisch 
übersetzen.  Er  solle  sich  stets  fragen:  Wie  würde  sich  der 
Autor  in  der  Sprache,  in  die  ich  übersetze,  ausgedrückt  haben? 

Diese  Yorschrifben  und  Katschläge,  die  Flecknoe  dem 
Übersetzer  gibt,  berühren  ganz  modern,  wie  man  sieht,  zeugen 
Ton  gesundem  Urteil  und  sind  fast  durchaus  treffend. 

Zum  Schlüsse  seiner  Ausführungen  macht  Flecknoe  eine 
Bemerkung,  die  zwar  für  seine  Zeit  besonders  angebracht  war, 
bei  den  damaligen  Herren  Autoren  aber  wohl  verschnupfen 
konnte.  Er  sagt  nämlich,  die  Übersetzer  seien  auf  jeden 
Fall  ehrliche  Leute,  die  ihr  Handwerk  offen  betrieben,  was 
man  auch  sonst  gegen  sie  einwenden  möge ;  andere  Leute  aber 
ließen  sich  Schriftsteller  heißen  und  gälten  auch  dafür,  während 
sie  doch  bei  näherem  Zusehen  nur  viele  Bücher  übersetzt 
hätten,  um  eines  zu  schreiben. 

Auf  diesen  Essay  folgt  ein  Brief,  den  Flecknoe  von  Rom 
aus  während  seines  dortigen  Aufenthaltes  an  einen  Freund  ge- 
schrieben hatte.  Der  Brief,  der  in  wenig  veränderter  Form 
auch  in  Flecknoe's  Beisebriefsammlung  aufgenommen  und 
oben,  (S.  18),  schon  Erwähnung  fand,  klagt  besonders  über 
das  Verhalten  der  dortigen  englischen  Kolonie,  mit  der 
Flecknoe  nichts  zu  tun  haben  will.  Das  Gedicht,  das  sich 
nur  hier  am  Schlüsse  des  Briefes  findet  und  das  die  Freund- 
schaft besingt,  ist  eines  der  besten,  die  Flecknoe  gedichtet 
hat,  obwohl  auch  bei  ihm  die  Fehler  des  Autors  stark  ins 
Auge  fallen.    Es  lautet: 

^^Freindship  companion  of  each  gentle  brest, 
Withont  whose  Company  who  ere  can  be, 


—     35    — 

Must  either  he  a  God  ar  eise  a  best; 
Above  or  eise  below  humanüy, 

Freindship,  that  niarriage  hy  whose  rites  we  see 
IIoiv  not  two  hodyes  bat  two  Soules  conjoyn: 
Even  viaking  mortall  ihe  Divinity ; 
Whilst  of  all  morial  thing  thou  ort  most  divine, 

Thou  art  the  port,  saves  us  from  being  lost, 
The  Haren  where  we  certaine  Befuge  find: 
Wken  on  the  worlds  tempestious  waves  w'are 
And  7nade  the  tennis  Balls  of  Seas  and  Wind, 

Thou  in  this  vale  of  Tears  and  miserye^ 
Dost  with  tky  comfort  fnake  them  seem  so  light, 
As  rnidst  a  world  of  incofnmodityeSf 
We  scarcely  seem  incammodated  byU, 

Oh  may  we  maJce  a  Temple  of  our  Hearts, 
Which  dedicate,  and  eonsecrate  to  thee: 
Who  from  Religion  of  it  nere  departs, 
May  in  this  mortal  life  still  happy  be. 

And  lastly  be  so  happy  when  he  dyes, 
(As  every  one  at  lust  miist  passe  by  Death) 
To  have  his  Freind  stand  by  to  close  his  Eyes, 
And  gently  to  receii'e  his  dying  breath,^^ 

Das  letzte  Stück  des  Buches  ist  betitelt:  "^  whimzey 
written  front  beyond  Seas,  ahout  the  end  of  the  year  52  to  a  Friend 
latdy  retumed  inio  England.^'  Es  sind  Knittelverse,  mit  Prosa 
untermischt,  in  denen  Flecknoe  in  humoristischer  Weise 
schildert,  wie  er  nach  jahrelanger  Abwesenheit  im  Auslande 
wieder  die  Straßen  Londons  durchwandert  und  mit  gemischten 
Gefühlen  all  die  Veränderungen  wahrnimmt,  die  das  Commoiv- 
wealth  mit  sich  gebracht  hat.  Die  Sprache  ist  zwar  manchmal 
recht  derb,  aber  wirklicher,  gesunder  Humor  ist  dem  Ganzen 
oieht  abzustreiten.  In  Smithfield  beginnt  Flecknoe  seine 
Wanderung  und  ruft  aus: 

"0  Smith fieldy  that  in  Times  of  yore, 
With  thy  Ballets  did  make  all  England  roar, 

3* 


—     36     — 

Whilst   Goodwife  ürsuly  lookfd  so  higg 

At  roasiing  of  a  Barthohmew  Pig  : 

And  so  many  Enormities  ev&tn^  wh&rc 

Were  observed  by  Justice  Overdoe  ihere; 

Fall  lütle  (I  wuse)  didst  tkou  thmk  Uten 

Thy  mirih  should  he  spoyVd  by  the  Banbury  man: 

And  Uten  too,  Iie  as  Utile  did  thinke, 

How  some  in  the  world  should  make  him  stinket 

Von  da  begibt  sich  der  Dichter  nach  der  City,  wo  er 
ebenfalls  alles  verändert  findet,  und  nicht  zum  Vorteile.  Die 
St.  Paulskirche  ist  in  einem  elenden  Zustande,  das  Black- 
Friars-Theatre  liegt  gänzlich  verödet;  kein  Theaterzettel  am 
Eingang,  keine  Kutschen  auf  dem  Vorplatze,  kein  Theater- 
diener —  nur  Kirchhofsruhe  allenthalben.  Da«  entringt  nun 
Flecknoe  den  Ausruf: 

^^Poor  House,  tJmt  in  dayes  of  our  Grandsires 

Belongst  unto  the  Mendiant  Fryers: 

And  where  so  oft  in  our  Fathers  dayes 

We  fiave  seen  so  many  of  Shakespears  Playes, 

So  many  of  Johnsons ,  Beaumonts  d>  Fletchers, 

Until  I  know  not  what  Pwitan  Teachers: 

f[Vho  for  their  Tone,  their  Langtmge  <£-  Action^ 

Might  'gainst  tfie  Stage  make  Bedlam  a  fadion) 

Haie  made  wUh  their  Raylings  the  Players  as  j)oore 

As  were  the  Fryers  and  Poets  before: 

Since  tWast  the  tricke  onH  all  Beggars  to  make, 

I  wish  for  the  Scotdi^Presbyterian's  sake 

To  covifort  the  Players  and  Fryers  a  liitlc, 

Thou  mayst  be  turn^d  to  a  Puritan  spiUky 

Hierauf  wandert  er  an  den  Strand  hinunter,  wo  er  die 
Häuser  des  Adels  alle  leer  stehen  sieht.  Er  nimmt  dann  ein 
Boot  und  fährt  auf  der  Themse  nach  Westminster  hinauf, 
das  er  ebenso  verwahrlost  vorfindet  wie  St.  Paul.  Vor  dem 
Parlamentsgebäude  zieht  er  respektvoll  den  Hut  und  denkt 
sich,  das  sei  immer  noch  besser,  als  wenn  einem  der  Kopf 
abgenommen  werde.  Wie  er  jedoch  an  White-Hall  vorüber- 
kommt, schüttelt  er  nur  traurig  das  Haupt.   Schließlich  kehrt 


—    37     — 

er  dann  in  einer  alten  Taberne  ein;  aber  auch  da  siebtes 
recbt  armselig  aus,  und  der  Wirt  schneidet  das  reinste  Leichen* 
bittergesicht.  Die  herrschende  "^ma//-6cer"-Religion  hat  ihm 
seine  Kunden  entzogen,  denn  ^Hhey  can  he  inUxcicated  now  tmth 
Preaching  wHhout  drinky  <j&  that  spoyls  all  our  mirthj^  Und 
Flecknoe  bestätigt :  ^  Good  Drink  and  good  Rßligion  goes  together, 
and  Hwas  never  a  good  World,  since  Beer  d'  Ileresie  came  first 
into  England"  Mit  einem  Trinklied,  das  inhaltlich  stark  an 
ein  unter  Anakreon's  Einfluß  entstandenes  Trinklied  Abraham 
Cowley's  erinnert,  schließt  das  burleske  Stück  und  damit  auch 
das  ganze  Buch. 


IV. 

Erster  dramatischer  Versuch. 

Im  folgenden  Jahre,  1654,  weilte  Flecknoe  sicher  ständig 
in  England.  Die  mit  diesem  Jahre  wieder  fortgesetzten  „Reise- 
briefe^  sind  alle  in  England  geschrieben.  Der  royalistische 
Adel  war  teilweise  wieder  zurückgekehrt,  nachdem  unter 
Cromwell's  straffem  Regiment  ruhigere  Zeiten  gekommen 
schienen.  Flecknoe  bekam  daher  wieder  Gönner,  bei  denen 
er  jetzt  in  England  die  Rolle  weiter  spielte,  die  er  in  Belgien 
uei  der  Herzogin  von  Lothringen  innegehabt  hatte.  An 
Schmeicheleien  ließ  er  es  nicht  fehlen.  So  schreibt  er  einer 
vornehmen  Dame,  die  er  Cloris  nennt,  einen  Brief,  der  einer 
MUe  de  Scud§ry,  was  Pretiosität  anlangt,  Ehre  gemacht  hätte. 
Er  sagt  der  Dame  nämlich,  daß  sie  sehr  gut  daran  täte,  im 
Sommer  aufs  Land  zu  übersiedeln,  denn  zwei  Sonnen  zu 
gleicher  Zeit  könne  die  Stadt  unmöglich  aushalten!  Dabei 
erlaubten  sich  aber  die  angehimmelten  Damen  manchen  Scherz 
mit  unserm  guten  Flecknoe.  So  schreibt  er  selber  zu  gleicher 
Zeit  an  Lady  Tenham  von  einer  Damengesellschaft  im  ^Mul- 
bery-Garden"  in  London,  bei  der  er  als  einziger  Herr  an- 
wesend war.  Als  die  Damen  sahen,  wie  galant  und  dienst* 
beflissen  der  Gute  jeden  zu  Boden  gefallenen  Gegenstand 
aufhob  und  der  Eigentümerin  graziös  überreichte,  ließen  sie 


—     38     — 

absichtlich  Fächer,  Taschentücher  und  Handschuhe  faliefi,  so 
daß  der  arme  Flecknoe  mit  dem  besten  Willen  nicht  alles 
aufheben  und  wiederfinden  konnte  und  endlich  schweißgebadet 
und  todmüde  seine  Bemühungen  einstellen  mußte. 

In  diesem  Jahre  trat  Flecknoe  auch  zum  ersten  Maie 
als  dramatischer  Dichter  an  die  Öffentlichkeit,  und  zwar  mit 
dem  Stücke :  ^^Love^s  Dominion^  A  Dramatique  PiecCj  füll  of 
ExceUeni  Mordlüie;  Written  as  a  Patiem  for  the  Reformed  StageJ*  ^) 
Gewidmet  ist  es  der  Lady  Elisabeth  Claypole,  von  deren 
Vermittlung  der  Autor  die  Aufführung  des  Stückes  erwartete, 
wie  aus  den  Worten  der  Widmung  hervorgeht. 

In  der  Vorrede  an  die  Leser  setzt  dann  Flecknoe  seine 
Absicht,  durch  vorliegendes  Stück  die  Bühne  zu  reinigen  und 
moralisch  zu  wirken,  des  näheren  auseinander.  Er  sagt: 
**/  deny  not  hui  aspersians  (these  laiter  times)  have  been  cast  upoti 
the  steige  hy  the  Ink  of  some  who  have  uritten  obscenely  and 
scourrilously,  d'c,  but  instead  of  wiping  ihem  off,  io  break  the  OlasSy 
was  too  rigid  and  severe,  For  my  pari  I  have  endeavovred  here 
the  Clearing  of  it,  and  restoring  il  to  its  former  splendor,  and  first 
instittUion;  (of  teaching  Virtue,  reproving  Vice,  and  amendmeni  of 
Manners)  so  as  if  the  rest  but  imitate  viy  exampte^  those  who  shall 
he  Enemies  of  it  hereafter,  7nust  declare  themselves  Enemies  of 
Virtue,  as  formerly  they  did  of  Vice :  Whence  we  may  justly  hope 
to  see  ii  restored  again,  with  tlie  qualificaiian  of  an  hunible  coad* 
jutor  of  the  Piüpit,  to  ieach  Morality,  in  order  to  the  otfters  Dimnity^ 
and  tK  moulding  and  tertipering  mens  minds  for  tlie  better  reoeiving 
the  impressions  of  Qodliness  .  .  ." 

Zu  der  Wahl  seines  Stoffes  bemerkt  Flecknoe  weiter: 
^^Bhr  the  Design  or  choice  of  the  subjed,  I  thought  ü  necessary 
there  first  to  apply  the  Rffnedy,  where  the  härm  was  most  unir^rsalf 
Love  being  tJie  general  passion  of  evei-y  breast j  atid  there  to  begin 
the  Beformation  of  the  Stage,  where  iis  abxise  was  most  frequsnij 
and  most  notonous,  iis  greatest  disreglement  having  been  in  point 
of  Lore,  and  therefore  Hwas  first  to  be  rectifiedj  and  first  to  be 
redticed  to  its  right  Channel,  where  iis  overflow  and  debordment  was 
the  most  dangerous,     For  the  Plot,   l  have  taken  a  middle  way 


1)  London.  1654.    79  S.    8^ 


—    39     — 

betivixt  the  French  and  English,  the  ane  mdking  it  too  plainy 
and  the  other  too  confused  and  intrigtied.*^ 

Dabei  befolgt  aber  Flecknoe  die  für  das  französische 
Theater  so  typischen  drei  Einheiten  genau:  ^^For  the  real,  I 
have  ohseiDcd  all  the  Ruks  of  Art  in  handldng  it,  the  Scene  at 
Amathonte  in  OypreSy  never  going  out  of  view,  nor  out  of  the 
Precincts  of  Love^s  Temple;  continued  to  the  End  of  the  Ad,  to 
make  an  entire  piece  of  erery  Act,  and  some  disiinction  (by  cleering 
of  the  Stage)  betunüct  the  end  of  an  Act,  and  the  ending  of  a  Scene  ; 
the  Time  only  from  Moming  tili  Night.^* 

Das  Verzeichnis  der  Personen  des  Stückes,  bei  deren 
Anfzähinng  Flecknoe  stets  auch  die  Kostüme  als  Bühnen- 
weisung angibt,  lautet: 

The  Persona  Bepresented,  and  their  Habits: 

Philostrates,  Love's  Soveraign  Pontif,  and  Oovemor  of 
Cypres:  in  Pontiflcal  Ornaments,  a  Tyara  on  his  head,  dhc, 

Euphanes,  a  Noble  Cypriot  loving  BeUvida,  and  behved  by 
Philena:  like  your  aniient  Heroes  in  Müitnry  array,  a  Javelin  in 
his  hand. 

Philander,  a  Stranger,  arid  Bellindä's  beirotKd:  habiied  at 
all  parts  like  Eiiphanes,  but  girt  with  a  Scimiter,  Sc. 

Polydor,  one  of  Love's  Ministers,  and  Confident  of  Eu- 
phanes :  in  Roba  longa  of  Taffaia  imto  the  knee,  Buskins,  crown^d 
mth  Mirtle,  or  Roses,  &c, 

Pa mp hilus,  a  Cockscomb,  Stranger  to  tJie  customs  of  Love's 
Dominions:  in  Bidicuhus  Fantastique  Equipage,  —  Mysti  and 
Chorus:  like  the  antient  Egyptian  Priests,  in  long  BobeSf  croton^d 
with  Bases  or  Mirtles,  Buskins,  dx. 

Philena,  a  Noble  Nyfnph  of  Cypres,  hospitably  entertaining 
BeUinda,  and  loving  EupJianes:  in  long  Taffata  robes  to  the  midiegg, 
with  a  Tynsel  manile  of  different  colour,  fastned  on  the  one  Shoulder, 
and  hanging  doum  under  the  other  arm,  silver'd  Buskins  wüh  falls 
white  Tynsel  on  either  side;  her  hair  curled,  ivreathed,  or  pleytedj 
with  a  Coronet  of  Rosee  or  Mirile,  white  gloves,  a  coUar  of  Pearl 
about  the  neck^  dhc. 

BeUinda,    a   Noble  nymph,    cast   on   shore   in    Cypres  by 


—    40    — 

Strange  Äcddeni:  Iiabited  at  all  parts   like  Philena,    iheir  colours 
only  differeni, 

Flammette,  a  facetious  Nymph  of  Oypres,  and  Confident 
of  Philena:  more  simply  and  matronly  habited  than  the  rest. 

Masquers. 

Prologue, 

Hope,     In  green  Garments, 

Joy,     In  white  Oarments, 

Fear,     In  pale  Ash-colour, 

FruUlon.     In  Sky-colotir, 

Lover,  and  his  Mistre^sej  All  properly  habited  for  the  Dance. 
Giiards,  Eocectttionery   Grex  of  Youths  and  Virgins  drc. 

Das  Stück  beginnt  dann  mit  einem  Prolog  der  Mysti,  die 
um  Fernhaltung  alles  dem  Reiche  der  Liebe  Schädlichen 
flehen.  Hierauf  tritt  Euphanes  auf,  der  eben  im  Begriffe 
ist,  sich  aus  Verzweiflung  über  seine  unglückliche  Liebe  in 
seinen  Speer  zu  stürzen.  Polydor  verhindert  das  noch  glück- 
lich, und  tröstet  den  Unglücklichen  mit  Bellinda's  Versprechen, 
daß  nur  er  es  sein  solle,  wenn  sie  je  einen  Inselbewohner 
liebe.  Während  Polydor  wieder  abgeht,  ist  Philena  hinzu- 
getreten und  hat  Euphanes  freundschaftlich  angesprochen. 
Dieser  antwortet  ihr  aber  recht  unwirsch  und  bedeutet  ihr,  sie 
müsse  Beilinda  ihm  geneigt  machen,  wenn  sie  sich  ihm  ver- 
pflichten wolle.  In  einem  Monologe  beschließt  die  von  Liebe 
Gequälte,  das  grausame  Verlangen  zu  erfüllen.  Jetzt  tritt 
auch  Pamphilus,  der  Vertreter  des  derbkomischen  Elementes, 
auf  und  gibt  in  zotigen  Spaßen  seiner  Hoffnung  Ausdruck, 
hier  seiner  Leidenschaft  frönen  zu  können.  Die  von  ihm  an- 
geredete Flammette  kann  den  Zudringlichen  nur  durch  das 
Nahen  des  Pilostrates  los  werden.  Dieser  Liebespapst  über- 
gibt nun  in  der  folgenden  Szene  dem  Polydor  eine  Botschaft 
über  die  platonische  Liebe  an  den  Provinzstatthalter.  Dann 
treten  der  Chor  und  die  Mysti  auf  und  erklären  die  zwei 
Arten  von  Liebe,  von  denen  die  eine  "a  lustful  Irrutish  one^^ 
sei  und  die  andere  ^^Vemis  Urania\s  Sony 

Der  zweite  Akt  beginnt  mit  einem  Monologe  Bellinda'a, 
worin  sie  dem  stillen  Haine  anvertraut,  daß  sie  verliebt  und 


—    41     — 

sogar  verlobt  sei.  Da  sie  aber  über  den  Verbleib  ihres  Ge- 
liebten gar  nichts  weiß,  so  findet  sie:  "Loic'ä  a  solicitotis  thing 
and  füll  of  Fears^\  Von  Polydor  eingeladen,  zum  Tempel  zu 
kommen,  wird  sie  dort  von  Philostrat  in  Schweigen  gezaubert, 
und  dann  verschleiert,  unter  Gesang  und  Mu^ik,  in  eine  ein« 
same  Zelle  geleitet.  Flammette  hat  unterdessen  scheinbar 
deni  Drängen  des  Pamphilus  nachgegeben  und  ihm  versprochen, 
ihn  zu  einer  Nymphe  zu  führen,  die  keinen  seiner  Wünsche 
verweigern  würde.  Voll  sinnlicher  Glut  folgt  er  Plammette 
in  den  Wald,  wo  er  wirklich  eine  herrliche  Mädchengestalt 
am  Boden  liegen  sieht.  Aber  statt  der  erhofften  Nymphe 
hält  er  nur  eine  Puppe  in  seinen  Armen,  und  wird  von 
Flammette  gehörig  ausgelacht. 

Der  dritte  Akt  setzt  mit  Philander's  Ankunft  auf  Cypern 
ein.  Aus  einem  Monologe  des  Ankömmlings  erfahren  wir,  daß 
ihn  das  delphische  Orakel  hierher  gewiesen  habe.  Euphanes 
gesellt  sich  ihm  auf  dem  Wege  bei  und  erzählt  ihm,  daß  vor 
genau  sechs  Monaten  eine  herrliche  Nymphe  an  Gypern's  Ge- 
stade verschlagen  worden  sei.  Sie  befinde  sich  aber  in  der 
heiligen  Zelle  und  müsse  heute  noch  den  Eid  ablegen,  daß 
sie  jemand  auf  der  Insel  liebe.  Liebe  sie  jemand,  so  werde 
sie  gleich  mit  ihm  vereint  werden;  wenn  nicht,  so  müsse  sie 
sofort  die  Insel  verlassen.  Beilinda  habe  ihm  zwar  etwas 
Hoffnung  gelassen,  daß  er  der  Glückliche  sei,  den  sie  liebe; 
aber  bis  sie  den  Eid  abgelegt,  schwebe  er  noch  in  schreck- 
lichem Bangen.  Philander,  der  gleich  gemerkt  hat,  daß  es 
sich  um  seine  Verlobte  handle,  fühlt  die  Qual  der  Eifersucht 
in  sich  aufkeimen,  wie  sich  die  beiden  dem  Tempel  der  Liebe 
nähern,  zu  dem  eben  Beilinda  aus  ihrer  Zelle  zurückgeleitet 
wird.  Da  sie  mit  dem  scharfen  Auge  der  Liebe  ihren  Phi- 
lander sofort  unter  der  Menge  erblickt,  schwört  sie  vor  allem 
Volk,  daß  sie  einen  auf  der  Insel  liebe.  Philostrat  zaubert 
sie  hierauf  wieder  in  Schweigen  und  läßt  sie  in  ihre  Zelle 
zurückbringen,  wo  sie  noch  eine  Stunde  verweilen  muß.  Da 
alle  der  Ansicht  sind,  ßellinda  habe  mit  ihrem  Schwüre 
Euphanes  gemeint,  fühlt  sich  Philander  betrogen  und  verraten. 
Er  zieht  vom  Leder  und  dringt  auf  Euphanes  ein.  Polydor 
schreitet  polizeilich   ein  und   verhaftet  beide.     Philander  er- 


—     42     — 

klärt  nun,  Bellinda  sei  seine  Verlobte^  was  ganz  Hellas  be- 
zeugen könne. 

Zu  Beginn  des  vierten  Aktes  wird  uns  die  traurige  Kunde, 
daß  Bellinda  sterben  müsse,  weil  sie  falsch  geschworen  habe. 
Der  Chor  und  jdie  Mysti  erscheinen  wieder  und  berichten  die 
traurige  Mär,  daß  der  Tod  und  die  Liebe  ihre  Speere  ver- 
wechselt hätten.  Daher  komme  es,  daß  die  luiebe  jetzt  töte, 
statt  verwunde,  und  der  Tod  verwunde,  statt  töte.  Euphanes 
und  Philander  aber  erbieten  sich  um  die  Wette,  für  Bellinda 
sterben  zu  dürfen.  Inzwischen  haben  sich  alle  für  die  bevor- 
stehende Hinrichtung  schwarz  angekleidet.  Nach  Ablauf  der 
festgesetzten  Stunde  erscheint  dann  Polydor  mit  der  ver- 
schleierten Beilinda.  Fhilostrates  nimmt  ihr  den  Schleier  ab, 
worauf  sie  freudig  auf  Pbilander  zueilt,  welcher  anfangs  ent- 
rüstet zurückweicht.  Beilinda  klärt  aber  die  Zuschauer  rasch 
über  den  vermeintlichen  falschen  Schwur  auf,  worauf  unter  all- 
gemeinem Jubel  die  Liebenden  ihre  glückliche  Vereinigung 
feiern.  Alle  gratulieren  dem  seligen  Paare;  auch  der  Chor 
gibt  seiner  Freude  in  einem  Liede  Ausdruck.  Nur  der  arme 
Euphanes  macht  in  seiner  Erbitterung  Philena  Vorwürfe,  daß 
sie  so  schlecht  bei  Beilinda  für  ihn  eingetreten  sei,  und  bittet 
sie,  sich  doch  nie  mehr  vor  ihm  blicken  zu  lassen. 

Im  fünften  Akt  fleht  dann  die  verzweifelte  Philena 
Flammette  an,  ihr  ein  Kraut  zu  geben,  das  schmerzlos  töte. 
Diese  weigert  sich  anfanglich,  willigt  aber  schließlich  doch 
scheinbar  ein.  Während  sich  nun  Philander  und  Bellinda 
ihre  Schicksale  seit  ihrer  Trennung  durch  einen  Seesturm 
erzählen,  und  dann  zu  Ehren  der  Liebenden  ein  Fest  ver* 
aostaltet  wird,  treten  Polydor  und  Flammette  mit  der  Nach- 
richt auf,  die  arme  Philena  habe  sich  draußen  im  Walde 
vergiftet.  Euphanes  erhält  nun  von  allen  Seiten  die  härtesten 
Vorwürfe,  daß  er  die  Unglückliche  durch  seine  Herzlosigkeit 
in  den  Tod  getrieben  habe.  Inzwischen  hat  auch  Philostrates 
mit  den  Mysti  und  anderem  Gefolge  die  leblose  Philena  im 
Walde  gefunden.  Er  vermutet  sofort  ein  Verbrechen.  Man 
entdeckt  Pamphilus  in  der  Nähe,  der  Philena  für  eine  Puppe 
gehalten  hatte,  von  der  er  sich  nicht  wieder  übertölpeln  lassen 
wollte.     Man  hält  ihn  aber  für  den  Mörder  Philena's  und 


—    43    — 

nimmt  ihn  fest,  wobei  er  fürchterliche  Angst  aussteht,  die 
sich  bei  ihm  sehr  drastisch  äußert.  Bellinda,  Philander  und 
Flammette  treten  jetzt  hinzu.  Erstere  hält  ihrer  Freundin 
eine  schöne  Grabrede.  Plötzlich  erscheint  auch  Euphanes, 
zerrauft  sein  Haar,  schwört  der  Totgeglaubten  ewige  Liebe 
und  will  sich  dann  aus  Oram  töten.  Flammette  aber  fallt 
ihm  in  den  Arm  mit  der  Kunde,  daß  Philena  nicht  tot, 
sondern  nur  bewußtlos  sei.  Man  brauche  sie  bloß  mit  Wasser 
zu  besprengen,  um  sie  wieder  ins  Leben  zurückzurufen.  Da 
will  sie  denn  Euphanes  mit  seinen  Zähren  wieder  erwecken 
und  weint  herzbrechend  über  sie.  Und  wenn  auch  das  noch 
nicht  helfen  sollte,  will  er  all  sein  Blut  über  sie  vergießen. 
Da  erwacht  denn  Philena  wirklich,  verzeiht  Euphanes  seine 
Hartherzigkeit  und  wird  mit  ihm  glücklich  vereint.  Pamphilus 
wird  nun  freigelassen  und  schüttelt  eiligst  den  Staub  der 
Insel  von  seinen  Füßen;  Philander  und  Beilinda  aber  wollen 
für  immer  im  Reiche  der  Liebe  bleiben. 

Damit  schließt  das  romantische  Stück.  Die  Führung  der 
Handlung  und  der  äußere  Aufbau  desselben  sind  nicht  übel 
und  verraten  gute  Technik.  Die  Zeichnung  der  einzelnen 
Charaktere  ist  aber  eine  recht  farblose  und  oberflächliche; 
an  der  inneren  Motivierung  fehlt  es  durchaus.  Alle  Figuren 
des  Stückes  ohne  Ausnahme  machen  den  Eindruck  von  will- 
kürlich bewegten  Puppen;  keine  einzige  vermag  glaubhaft 
menschlich  zu  wirken.  Dieser  Eindruck  wird  durch  eine 
künstliche  Leidenschaft  der  Hauptpersonen  noch  erhöht; 
ebenso  durch  die  sich  überall  breit  machende,  lächerliche  und 
übertriebene  Sentimentalität,  eine  schwülstige  Sprache  und 
•viele  pretiöse  Conceits. 

Zur  Charakterisierung  des  heroisch -galanten  Stiles,  in 
dem  die  Peisonen  des  Stückes  reden,  seien  die  Worte  Poly- 
dor's  angeführt,  mit  denen  er  Euphanes  am  Selbstmorde  aus 
Liebesgram  hindert: 

^^Afid  sliall  EuphaneSj 
The  (jallani,  and  brave  Euphanes  die 
Only  io  p-event  Deaih?''     (Akt  1,  Sz.  2.) 

Als  in  der  gleichen  Szene  Philena  zu  den  Zweien  heran- 
tritt und  Polydor  abgehen  will,  um  die  Beiden  nicht  etwa  in 


—    44    — 

einem  Liebesgespräch  zu  stören,  da  hält  ihn  Eupbanes  mit 
der  beruhigenden  Versicherung  zurück,  daß  die  Liebespfeile 
aus  ihrer  beider  Augen  einander  nicht  so  heftig  entgegen- 
flögen, daß  Polydor  von  dem  Pfeilhagel  erschossen  würde. 

Es  ist  ganz  die  Atmosphäre  der  D'XJrf6,  Gomberville  und 
Scudery,  in  die  uns  Flecknoe  mit  seinem  Stücke  versetzt 
In  der  englischen  Literatur  werden  wir  an  Lyly's  „Euphues" 
und  Sidney's  „Arcadia"  ^)  erinnert.  Hier  wie  dort  finden  wir 
dieselben  langatmigen  Monologe,  die  gleiche  ungesunde  und 
farblose   Sentimentalität,    die  nämliche   schwülstige  Sprache. 

In  scharfem  Kontrast  zu  dem  sonstigen  Charakter  des 
Stückes  steht  die  Gestalt  des  Pamphilus.  Es  ist  der  Clown 
der  englischen  Bühne,  der  in  unserm  Fall  den  Gegensatz 
zu  dem  galanten  und  sentimentalen  Reiche  der  Liebe  ver- 
körpern muß.  Er  hat  die  Sprache  und  Manieren  eines  rohen 
Wüstlings,  der  nichts  Höheres  als  den  gröbsten  SinnengenuB 
kennt ;  dabei  ist  er  noch  außerordentlich  dumm  und  läßt  sich 
stets  übertölpeln.  Aber  auch  diese  derbkomische,  realistische 
Figur  zeigt  keine  individuellen  Züge.  Wenigstens  darf  sich 
ein  solcher  Kumpan,  der  nur  ins  Reich  der  Liebe  gekommen 
ist,  um  der  Lust  zu  frönen,  nicht  gar  so  unsagbar  albern  an- 
stellen, wie  es  der  Fall  ist. 

Bezeichnend  für   das  Stück  ist  der  Umstand,   daß  sich 
die  Helden    und  Heldinnen   beim  geringsten   Liebesschmerz 
gleich  umbringen  wollen.     Das  ist  besonders  für  die  galant- 
heroische Richtung  der  Scudery  und  Genossen  charakteristisch 
und  muß  die  damaligen  Pretiosen  hoch  entzückt  haben.    So 
will  sich  Euphanes  dreimal  —  am  Anfang,  in  der  Mitte  und 
am  Schlüsse  des  Stückes  —  unter  sehr  bombastischen  Redens- 
arten   töten;    Philena   macht   einen  Vergiftungsversuch,   und 
als  Philander  hört,   daß  sein  Geständnis,   Bellinda  sei   seine 
Verlobte,  dieser  gefährlich  geworden  ist,  ruft  er  aus: 
"0  Hemen  and  Earth! 
Whj  dd*s  not  föne  sink  widfr  me?  and  Vother 
Fall  on  my  mrsed  head,    am   gniUjj  of  Bellinda's  deatk  ? 

^)  Daß  sich  Flecknoe  die  „Arcadia"  sogar  direkt  zum  Vorbild  Dahm, 
geht  aus  einem  seiner  Briefe  hervor.     Vgl.  S.  46. 


—    45     — 

Bat  yet  H  i^  needless  too,  for  tkough  they  hoth 

Forbear  io  punish  me,  I  do  so  loaih 

My  haied  life  for%  fll  die  in  spighi  of  them, 

If  flames  or  steel,  or  preeipices 

Have  any  force  io  take  away  a  lifej^ 

(Akt  3,  Sz.  6.) 
Was  die  äußere  Form  des  Stückes  anlangt,  so  sind  die 
Partien,  in   denen  Pamphilus  auftritt,  in  Prosa  geschrieben. 
Sonst  herrscht  ein   sehr  frei  gebauter,   oft  recht  holperiger 
Blankvers  vor.    Dabei  sind  Kontraktionen  wie: 

^'Thne  i«?  a  Treamire  few  or  none  do  carc 
To  sare  tili  H  's  almost  lost  — " 
an   der  Tagesordnung.     Die  eingestreuten  Lieder  der  Mysti, 
des  Chors   usw.  zeigen  verschiedenes  Versmaß.     So   wendet 
Flecknoe  z.  B.   bei  der  Formel,   mit  der  Philostrat  Bellinda 
in    Schlaf   zaubert,   den    viertaktigen,    stumpf  ausklingenden 
trochäischen   Vers  an.     Die   Verse,   die  Flecknoe   in  seinen 
"Epigrams"   etwas  verändert  wiederbringen  wird,   und  die  er 
auch  schon  in  den  ^Miscellnnia''  abdrucken  ließ,  lauten: 
^^  Still  hörn  silence  thou  thaf  ort 
Floodgate  of  the  deepest  heart, 
Offspring  of  a  heaienly  kind, 
Frost  o'  th^  moiith  and  Thaw  o'  th^  mind^ 
Admirations  readiest  tongiie, 
Leave  thy  desari  shadesy  among 
Reverend  Herrn iis  haüowed  cells, 
Where  retirdst  devoiion  divells, 
IVith  thy  Enthusiasms  come^ 
Seixe  this  Nyrnph,  and  strike  lier  dumbJ^ 
Was  endlich  die  Quellenfrage   des  Stückes  angeht,   so 
scheint  die  eigentliche  Handlung  von  Flecknoe  erfunden  zu  sein. 
Die    Anregung   und    viele   Einzelheitendes    Stückes    hat   der 
Autor  aber  wohl  zweifellos  der  Maske  "TÄe  Tempk  ofLove^'^) 
von  William  Davenant  entnommen.     In  der  Maske  Davenant's 
wird  dieser  Tempel  der  Liebe,  dem  der  Flecknoe'sche  genau 


*)  In  der  Folio- Auegabe  von  Davenant's  Werken.  1673. 


—    46    — 

entspricht,  durch  den  Einfluß  der  ^^Chaste  Love^  auf  einer 
Insel  —  auch  das  hat  Flecknoe  in  seiner  Insel  Cypern  nach- 
geahmt —  wieder  errichtet.  Die  Botschaft  des  Philostrates 
an  die  Provinzstatthalter  über  die  piatonische  Liebe  scheint 
mir  ebenfalls  nur  eine  ausführlichere  Paraphrase  über  die 
Verse  Davenant's  in  der  genannten  Maske  zu  sein: 

^^They  raise  stränge  doctrines,  and  new  stets  of  Lave: 
Which  mtist  not  woo  ar  court  the  person^  but 
The  mind;  and  practice  generation  not 
Of  hodies  biä  of  souls.^^ 

Wie  wir  aus  einem  Briefe  Flecknoe's  an  eine  ungenannte 
Dame  aus  demselben  Jahre  1654  erfahren,  gedachte  unser 
Autor  ein  Seitenstück  zu  "Lore's  Dominion'^  zu  schreiben. 
Nachdem  er  die  Liebe  verherrlicht  hatte,  wollte  er  auch  der 
Freundschaft  ein  Denkmal  setzen.  Der  Brief,  in  dem  er  sich 
darüber  aussprach,  trägt  die  Aufschrift:  ^'Of  the  Temple  of 
Frendship,  a  Trctgecotnedy  Jie  mos  wTiting,  wüh  tJie  Character  of 
the  Persons.^^  Über  den  Plan  des  Stückes  läßt  sich  Flecknoe 
folgendermaßen  aus:  Da  die  Freundschaft  gleichsam  unsere 
zweite  Religion  ist,  so  wollte  ich  sie  so  schön  für  das  Auge 
darstellen,  daß  alle  von  ihr  entzückt  sein  sollten.  Ich  habe 
sie  daher  im  liebenswürdigsten  Geschlechte  personifiziert,  und 
zwar  in  lauter  weiblichen  Personen,  um  jede  Mißdeutung  zu 
vermeiden,  ^^Frcndship  being  noihiwj  but  Love  stript  of  suspition 
of  Ilannr 

Dann  beschreibt  er  im  einzelnen  die  Personen  seines 
Stückes:  ^^ First  then  for  Blondinia  cO  Lindiana,  I  niake  ihem 
xinduuting  to  their  fair  Sex,  all  the  Noblencsse  df*  Generosity  as 
ever  was  in  nian,  (€'  to  their  Frendship  all  the  dearnesse  cC-  tendemesff 
a.s  ever  was  in  Love, 

For  the  iwo  Pi'inresses  Marfiana  d'-  Phüothea,  I  make  them 
of  eqiial  pcrfection,  ihough  of  differeyit  disposition  (l'Uce  Pamela  and 
Philoclra  in  the  Avcndia)  highminded,  inagnaniinotis^  exceUing  in 
all  the  vnines  of  grcat  p'inces,  subject  too  to  their  noble  Vices  of 
Angn-j  Ambition  d-c,,  to  sh'ew  in  fme  that  they  are  not  nrtuous 
by  chanccj  but  hy  choice  eC'  Fleet ion,   sincr  they  may  be  otherivise, 

For  Bella roy  she  is  a  person  whose  divine  Conversation  wotdd 
cven  jnake  ymi  doubt  tiJie'er  she  were  human  or  no.    Her  wisdom 


—    47     — 

is  so  greaty  aa  there  is  no  Labyrinth  in  this  wcrld  she  tvould  not 
help  you  out  of,  hy  connecting  a  Thrid  of  first  and  seeond  eaiises, 
She  hos  a  charge  both  of  the  Altar  d-  Oradey  yet  in  her  breast  the 
purest  AÜaTy  and  mouth  the  truest  oracle;  so  as  in  foUowing  her 
ojnnion,  you  are  eure  of  truth  for  guide,  <£;  in  foüowing  her  ejth 
ampk,  you  are  eure  of  Heaven  for  Frend,^* 

Außer  diesen  musterhafteD  Damen  werden  noch  aU 
Personen  genannt:  Euphemia,  die  Schülerin  Bellara's,  und 
Campace,  die  für  Humor  zu  sorgen  hat. 

Das  Stück  spielt  in  einem  Amazonenstaat,  der  zwar  ge- 
wöhnlich friedlich  und  ruheliebend  ist,  sich  aber  jetzt  in  Kriegs- 
nöten befindet.  Das  letztere  brauche  niemand  zu  wundem, 
fügt  Flecknoe  bei;  seine  Frauen  seien  alle  große  Heldinnen, 
die  trefflich  mit  dem  Schwerte  umzugehen  wüßten. 

Gedruckt  scheint  das  Stück  niemals  vorgelegen  zu  haben ; 
es  ist  in  keiner  Aufzählung  der  Flecknoe'schen  Werke  ent- 
halten.   Auch  der  Autor  selber  erwähnt  es  nie  mehr. 

Auf  diesen  Brief  folgen  in  fter  ^^Relation  of  ten  years 
TraveUs"  eine  Anzahl  von  Gedichten,  meist  zum  Preise  vor- 
nehmer Damen  verfaßt,  deren  Gunst  der  Dichter  sich  durch 
recht  ergiebige  Schmeicheleien  gewinnen  oder  erhalten  will. 
So  singt  er  die  schwarzen  Haare  der  Lady  Biron  an;  bei  der 
Gräfin  Desmond  entschuldigt  er  sich,  daß  er  ihre  Reize  bis 
jetzt  noch  nicht  besungen  habe.  Das  sei  nur  deshalb  unter- 
blieben, weil  ihre  Reize  so  überwältigend  seien,  daß  sie  sich 
durch  keine  Worte  ausdrücken  ließen.  Ahnlichen  Inhalts  sind 
auch  die  an  Lady  Elisabeth  Darcey,  Lady  Isabella  Thinn 
und  Lady  Howard  gerichteten  Gedichte.  Nur  eine  "ißsa" 
tadelt  er,  daß  sie  noch  immer  jung  scheinen  wolle,  obwohl 
sie  es  längst  nicht  mehr  sei.  In  einem  anderen  Gedichte  ver-  • 
wahrt  er  sich  gegen  das  Gerücht,  daß  er  in  eine  ^^Phiüis'^ 
verliebt  sei,  weil  er  sie  so  oft  besinge. 

Das  Versmaß  dieser  Gedichte  ist  meist  das  h^oic  coupkt 
in  vier-  oder  mehrzeiügen  Strophen;  einmal  sind  auch  fünf- 
füßige Jamben  mit  der  Reimstellung  aaabbb  verwendet. 

Auf  diese  poetische  Abteilung  folgen  wieder  Briefe,  und 
zwar  aus  dem  Jahre  1655.  Der  erste  ist  an  den  Yizekönig 
von  Norwegen  gerichtet,  der  unsern  Flecknoe  um  Übersendung 


—     48     — 

von  Poesien  gebeten  hatte.  Flecknoe  schickt  ihm  darauf 
ein  recht  mittelmäßiges  Gedicht  **0n  his  choosing  Valeniuies^^ 
mit  einem  Begleitschreiben,  das  für  den  schwülstigen  Stil 
der  damaligen  Zeit  bezeichnend  ist.  Flecknoe  schreibt  dem 
Vizekönig,  er  solle  das  Gedicht,  wenn  es  ihm  nicht  gefalle, 
nur  gleich  verbrennen.  So  sterbe  es  doch  eines  natürlichen 
Todes  und  kehre  dahin  zurück,  wo  es  entstanden;  denn  in 
Flammen  sei  es  erzeugt!  Ein  weiterer  Brief  berichtet  der 
Gräfin  Desmond  den  Tod  der  Lady  Theophila  Carey,  der 
Tochter  des  Henry  Earl  of  Monmouth.  Einem  Mr.  Thomas 
Higgins  übersendet  er  eine  Ode  zum  Lobe  des  Landlebens, 
und  die  Herzogin  von  Richmond  erhält  einen  Kondolenzbrief 
und  eine  Elegie  auf  den  Tod  ihres  Gemahls.  Das  Buch 
schließt  dann  mit  ^'A  Consolatory  Episth  to  the  Queen  Motfier 
of  France^  Mm-y  of  Mediccs  *) ;  wiiiten  about  the  year  41,  Qmiiied 
in  its  place,  db  inserted  Iterey  Der  Brief  hat  einen  rein  reli- 
giösen Inhalt,  der  die  landfiüchtige,  greise  Königin  trösten  soll. 

f 
V. 

Humoristische  StreifzQge  durcli  London. 

Nachdem  Flecknoe  in  Form  von  Briefen  seine  ernste 
„Reisebeschreibung"  veröffentlicht  hatte,  machte  er  sich  auch 
an  eine  humoristische  Schilderung  von  Wanderungen  und  Streif- 
zügen, die  er  in  London  und  Umgebung  gemacht  hatte.  Mit 
dieser  Aufgabe,  die  seinem  grotesken  Humor  besonders  zu« 
sagen  mochte,  scheint  sich  Flecknoe  ganz  in  seinem  Fahr- 
wasser zu  befinden.  Man  merkt  ihm  ordentlich  das  innere 
Behagen  an,  mit  dem  er  bei  den  lächerlichen,  gewöhnlichen 
und  niedrigen  Situationen  und  Begebenheiten  seines  Stoffes 
verweilt.  Obscön  wird  er  dabei  allerdings  nicht,  aber  des 
öfteren  recht  roh.  Überschrieben  ist  das  Elaborat:  '^The 
Diari u 7n,  or  Journall:  DivUed  into  12  Jornadas  in  Biirlesque 


*)  Sie  war  die  Gemahlin  Heinrich  IV.,  wurde  später  aus  Prank- 
reich verbannt,  begab  sich  1638  nach  England  und  1641  nach  Köln,  wo 
sie  1642  starb. 


—    49    — 

Ehime,  or  Drolling  Verse.  Wüh  divers  other  fneces  of  ihe  samt 
AuUiory  ^)  Die  Jahrzahl  1656  ist  angegeben,  aber  der  Name 
des  Autors  fehlt  auf  dem  Titelblatte.  Mit  Absicht.  Denn 
wie  unser  drolliger  Flecknoe  bemerkty  hat  er  deswegen  sanen 
Namen  nicht,  wie  bei  seinen  anderen  Werken,  aufs  Titelblatt 
gesetzt,  weil  er  dem  vorliegenden  Opus  eine  weitere  Ver- 
breitung sichern  und  es  nicht  bloß,  wie  die  anderen  Bücher, 
in  den  Händen  seiner  .Freunde  sehen  will.  Er  hasse  es,  wenn 
das  Büchlein  mit  seinem  Namen  auf  dem  Titelblatte  im  Aui^ 
lagefenster  der  Buchhändler  hege,  und  die  Leute  es  anstarrten, 
aber  nicht  kauften.  Dem  neugierigen  Leser  woUe  er  aber 
seinen  Namen  nicht  yorenthalten,  weshalb  er  ihn  am  Schlüsse 
der  Vorrede  gerne  nenne.  Der  gute  Flecknoe  scheint  dem- 
nach gefürchtet  zu  haben,  daß  der  Anblick  seines  Namens 
auf  dem  Titelblatte  die  Kauilustigen  abschrecken  könne! 

Über  die  Idee,  die  ihn  bei  Abfassung  dieser  burlesken 
Dichtungen  leitete,  läßt  er  sich  in  der  Vorrede  ebenfalls  näher 
aus.  Die  Malerei,  sagi  er,  ist  stumme  Poesie,  und  die  Poesie 
redende  Malerei.  Dem  Epiker  Virgil  entsprechen  daher  ein 
Bafael  und  ein  Tizian ;  dem  Lyriker  Horaz  ein  Holbein  und  ein 
Van  Dyck ;  den  burlesken  Dichtem  aber  Breughel  und  Callot 
Bauern-Breughel  im  besonderen  will  nun  Flecknoe  nachahmen, 
nnd  ebenso,  wie  dieser  derblustige  Volksszenen  malte,  will  er 
solche  beschreiben.  Er  fährt  fort:  ""Thai  I  use  some  broad 
words  sometimeSy  'tis  but  conform  to  the  pattem  1  imitate:  Brughel 
representing  without  any  dishonesty,  here  a  Boor  shiUng^  ihere  a 
Boorinne  pissing,  to  render  the  mdgar  more  ridiculouSj  and  whose 
foUieSj  abuseSf  and  vices,  are  properly  tke  subject  of  SatyreJ^ 

Das  Versmaß,  das  Flecknoe  bei  seiner  burlesken  Dichtung 
anwendet,  besteht  aus  vierfußigen,  paarweise  gereimten  Jamben. 
Der  Enittelverscharakter  ist  stark  ausgeprägt 

Eine  einheitliche  Handlung  fehlt  natürlich.  Die  zwöif 
Jornadas  werden  inhaltlich  nur  dadurch  zusammengehalten, 
daß  der  Autor  erzählt,  was  er  an  jedem  Tage  in  London 
und  Umgegend  sieht  und  erlebt.  An  sich  ist  das  meist  recht 
wenig  humorvoll  oder  lustig;  erst  durch  die  Art  der  Dai> 


>)  London.  1656. 
Mtlnchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.   XXXIII. 


—     50    — 

Stellung  wird  es  zum  Burlesken  gestempelt.  So  interessant 
nun  auch  manches  aus  dem  Inhtüte  in  kulturgeschichtlicher 
Beziehung  sein  mag,  so  ist  das  Ganze  als  burleske  Satire 
doch  arg  witzlos  und  dürftig,  stellenweise  sogar  recht  lang- 
weilig. Flecknoe  beginnt  mit  der  Schilderung  der  Matrosen 
in  Gravesend  und  der  Fischweiber  in  Billingsgate.  Dann 
kommt  er  auf  die  Londoner  Bettler  zu  sprechen ;  die  Straßen- 
jungen machen  ihm  ebenfalls  zu  schaffen,  und  er  schimpft 
über  schlechte  Erziehung. 

In  einem  weiteren  Gesänge  wohnen  wir  dem  Gottesdienste 
einer  der  vielen  Sekten  bei,  die  damals  in  London  entstanden 
waren;  femer  hören  wir  während  eines  ganzen  langen  Ge- 
sanges von  nichts  anderem  als  von  einer  Ratte,  die  boshafter- 
weise Herrn  Flecknoe  nicht  schlafen  läßt,  schließlich  aber 
doch  nach  einer  herzbewegenden  Rede  des  Gestörten  ver- 
schwindet. Als  Flecknoe  dann  am  nächsten  Tage  die  Themse- 
schiffer um  eine  Gefälligkeit  bittet,  erhält  er  Götz  von  Ber- 
lichingens  klassische  Einladung  zur  Antwort.  Ähnliche  ge- 
schmacklose Roheiten  bekommen  wir  noch  mehr  zu  hören. 

Im  Hyde-Park,  den  er  besucht,  bemerkt  unser  Autor 
zu  seiner  Enttäuschung,  daß  die  Bäume,  die  er  hier  stehen 
glaubte,  verschwunden  seien.  So  geht  es  Dichtem  oft,  denkt 
er  sich  dabei.  Sie  glauben,  sie  hätten  Gedanken,  kostbarer 
als  Gold;  wenn  sie  aber  dann  mit  ihrem  Witz  zu  Markte 
gehen  wollen,  können  sie  nichts  damit  kaufen.  —  Sollte  dieser 
Einfall  auf  Selbsterkenntnis  basieren? 

Des  Herumlaufens  satt,  macht  sich  Flecknoe  nun  beritten. 
Da  passiert  ihm  aber  gleich  am  ersten  Tage  die  schreckliche 
Geschichte  mit  dem  Hunde  und  dem  Schweine.  In  South- 
wark  waren  nämlich  ein  Schwein  und  ein  Hund  aneinander 
geraten.  Um  den  Streit  zu  schlichten,  gibt  nun  Flecknoe  von 
seinem  Gaule  herunter  dem  Schweine  mit  der  Reitpeitsche 
einen  tüchtigen  Klapps,  worauf  das  Borstentier  unter  wütendem 
Grunzen  zur  Seite  springt  und  den  Stand  einer  Obsthändlerin 
umwirft.  Der  Hund  bellt,  die  Straßenjungen  stürzen  sich 
gierig  auf  die  herumkugelnden  Apfel  und  die  erboste  Händlerin 
rennt  Flecknoe  nach,  der  nur  durch  seines  Bosses  Schnellig- 
keit der  Rache  der  Furie  entgeht. 


—    61    — 

Er  begegnet  dann  einem  miBgestalteten  Clown,  der  ihn 
irre  fiihrt,  worauf  er  zu  einer  Landschule  kommt,  "where  the 
whip  is  alwayes  Walking",  und  über  die  er  daher  seinen  Spott 
ergießt.  Ein  letztes  Abenteuer  mit  einem  Müller,  dem  die 
Hosennaht  aufging,  während  er  sich  aufs  Pferd  schwingen 
wollte,  sei  nur  angedeutet. 

Wie  sich  aus  dem  Gesagten  ersehen  läßt,  ist  dieses  etwa 
1600  Verse  zählende  Diarium  ein  geistloses  und  minderwertiges 
Produkt.  Bezeichnend  aber  ist,  daß  Flecknoe  gerade  dieses 
Werk  für  weitere  Kreise  geeignet  hielt! 

An  das  Diarium  schließen  sich  dann  noch  einige  kürzere 
poetische  Darbietungen  an,  die  teilweise  in  Flecknoe's  späteren 
Sammlungen  wiederkehren.  Davon  ist  ein  Gedicht  auf  seine 
zerrissene  Hose,  und  ein  längeres  zweites,  in  dem  er  seinem 
Gaul  gute  Lehren  gibt,  recht  albern.  Das  Stück :  " Jb'»  Meto- 
morphose  into  a  Cow*^  ist  aber  eine  geradezu  unflätige  Para* 
phrase  der  antiken  Sage.  Den  Schluß  des  Buches  bildet 
endlich  ein  schwülstiger,  lächerlicher  gereimter  Brief  eines 
Verliebten  an  Cupido. 

VL 

Charakterbilder. 

Verfolgte  Flecknoe  mit  seiner  Schriftstellerei  einerseits 
den  Zweck,  den  Leuten,  denen  er  sich  verpflichtet  fühlte,  für 
ihre  Wohltaten  auf  diesem  Wege  zu  danken,  wie  er  es  in 
der  Einleitung  zu  den  Reisebriefen  ja  offen  ausspricht,  so  ist 
andererseits  sein  Streben,  wirklich  wertvolles  zu  schaffen  und 
seinen  Gönnern  Ehre  zu  machen,  nicht  zu  verkennen.  Man 
gewinnt  sogar  den  Eindruck,  daß  unser  Autor,  wenn  er  auch, 
im  Banne  einer  servilen  Zeit,  seinen  Patronen  und  Patronessen 
in  einer  uns  zwar  lächerlich  erscheinenden,  damals  aber  viel- 
fach üblichen  Weise  schmeichelte,  dabei  doch  verhältnismäßig 
wenig  gegen  seine  Überzeugung  sündigte,  und  derselben  sogar 
da,  wo  es  ihm  schaden  konnte,  zuweilen  Ausdruck  gab.  Was 
ihn  aber  entschieden  ehrt,  das  ist  sein  stetes  Eintreten  für 
alles  Gute    und  Schöne,   und   seine   Abneigung  gegen   alles 

4* 


—    58    ^ 

Schleehte  im  allgemeinen,  wnd  gegen  das  Obscöne  in  der  da- 
maligen Literatur  im  besonderen.  Sicher  ist  ein  Teil  der 
Verachtung,  die  ihm  von  Literaten  entg^engebracht  wurde, 
auf  Rechnung  dieses  ümstandes  zu  setzen;  sicher  ist  auch, 
daß  er  seine  Beliebtheit  durch  das  Streben,  der  herrschenden 
ausschweifenden  Literatur,  speziell  im  Drama,  entgegenzutreten, 
bei  den  aristokratischen  Kreisen,  für  die  er  schrieb,  im  all- 
gemeinen nicht  förderte.  Diese  moralische  Tendenz^  die  er 
namentlich  in  der  Vorrede  zu  '^Love^s  DominiorC^  betont 
hatte,  kehrt  er  auch  wieder  in  einem  neuen  Werke  hervor, 
das  den  Titel  führt:  ^^Enigmatical  Charactera,  all  tak&n 
io  the  life,  froni  several  Persons,  Humous's  and  DispositionsJ^  Das 
Erscheinungsjahr  ist  1658.  Seine  Hauptabsicht  bei  dieser 
Veröffentlichung  ist :  "to  honour  Nobiliiy,  praise  Vertue,  tax  Vice, 
laugh  at  Folly,  and  pitty  Ignorance^  Gewidmet  ist  das  Buch 
der  Herzogin  von  Lothringen,  unter  deren  Dach  er  es  ge- 
schrieben habe,  wie  der  Autor  in  der  Widmung  bemerkt.  Wenn 
man  also  nicht  annehmen  will,  daß  Flecknoe  seine  ^^CharacUrs*^ 
schon  1650  und  1651  geschrieben  habe,  so  wäre  diese  An- 
gabe ein  Beweis,  daß  sich  unser  Autor  auch  nach  der  1661 
erfolgten  Trennung  von  der  Familie  der  Herzogin  von  Loth- 
ringen noch  auf  dem  Kontinent  aufgehalten  und  in  die 
Familie  der  Herzogin  wieder  Aufnahme  gefunden  habe.  Für 
die  erstere  Annahme  spricht  aber  die  Tatsache,  daß  Flecknoe 
in  seinen  "Miseellania"  bereits  drei  der  hier  veröffentlichten 
^Characters^\  und  in  den  „Beisebriefen'^  einen,  publiziert  hat, 
daß  also  jedenfalls  ein  großer  Teil  der  „Charaktere''  schon 
früher  geschrieben  wurde. 

Über  den  Wert  seines  Buches  drückt  er  sich  in  der 
Widmung  recht  selbstbewußt  aus.  Er  sagt :  ''/  aeem  io  surpass 
mediocrUyf  and  (Xffproach  somcwhai  nigk  perfection,^^  In  der  Tat 
zeigen  diese  scharfumrissenen  Porträtskizzen  eine  tüchtige 
Beobachtungsgabe,  die  nur  leider  zu  sehr  am  Äußerlichen 
haften  bleibt  Der  Autor  war  weit  in  der  Welt  herum* 
gekommen,  hatte  sich  den  verschiedensten  Verhältnissen  an- 
schmiegen müssen  und  dabei  vieles  genauer  anschauen  ge- 
lernt. Aber  auch  der  kulturhistorische  Wert  verschiedener 
dieser   „Charaktere'',    die   auf  allerlei   Persönliehketten   und 


—    68    — 

Zustände  in  England  ein  Streiflicht  werfen,  ist  kein  nnbe- 
dentender.  Fleeknoe  selber  sagt  in  der  Vorrede,  daß  er 
immer  bestimmte  Persönlichkeiten  im  Auge  gehabt  habe.  Die 
edleren  seien  aus  der  Beschreibung  leicht  zu  erkennen,  da  «de 
ja  ohnehin  im  Leben  so  selten  seien;  bei  den  anderen,  meint 
er,  schade  es  nicht,  wenn  man  die  Einzelpersonen  nicht  heraus- 
kenne;  die  Typen  seien  dafür  um  so  sichtbarer. 

Die  äußere  Form  der  „Charaktere''  zeigt  allerdings  alle 
Fehler  und  Merkmale   der  damaligen  Zeit.    Selten  fließt  die 
Darstellung  klar  und  ruhig  dahin.     Sie  arbeitet  fast  stets  mit 
Antithesen,    Parallelen    und    Vergleichen.      Wortspiele    und 
sprachliche  Kunststücke  aller  Art  erhöhen  noch  die  Maniriert- 
faeit   der  Schilderung.     Die  Zeitgenossen   aber  betrachteten 
gerade  diese  Geistreichigkeit  als  besonderen  Vorzug.   So  singt 
der  Marquis  Ton  Newcastle  wieder  von  den   „Charakteren" 
seines  „ehrenwerten  Freundes"  Richard  Fleeknoe: 
„Flecknoef  ihy  Charaders  are  so  füll  of  wü 
Afid  fancy,  as  each  itord  is  throng'd  tmlh  it, 
Each  line's  a  volume,  and  wko  reads  wauld  swear, 
Whole  libraries  were  in  each  Character/* 

Bei  solchem  Lob  kann  man  es  Fleeknoe  doch  nicht  ver- 
denken, daß  er  etwas  eitel  wurde. 

Fleeknoe  hat  nicht  als  erster  diese  Literaturgattung  ge- 
pflegt, die  später  in  La  Bruyöre  einen  so  berühmten  Ver- 
treter fand.  Schon  zwei  Männer  vor  ihm  hatten  in  England 
derartige  kurze  Charakterskizzen  veröffentlicht.  Der  erste 
ist  Thomas  Overbury,  der  1614  unter  dem  gleichen  Titel 
^^Characters"  eine  Sammlung  solcher  Skizzen  herausgab.  An- 
geregt wurde  er  dazu  wohl  durch  Theophrasts  „^Hd-mol  Xagan" 
Tijgeg^^,  wenn  sich  auch  keine  direkte  Anlehnung  feststellen 
läßt.  Ihm  folgte  John  Earle,  der  1628  anonym  ein  Werk 
^^Mcrocosmographt/y  or  a  Piece  of  the  World  discovered  in  Essays  and 
Ckaracters'^  veröffentlichte,  das  eine  genaue  Nachahmung  der 
Overbury'schen  ^^Characiers^^  ist.  Nur  besitzt  Earle  mehr 
Humor  und  weiß  mehr  Maß  zu  halten  als  Overbury,  der 
satirischer,  aber  auch  roher  und  gewöhnlicher  ist. 

Overbury  rühmt  sich,  er  sei  der  erste  Vertreter  dieser 
apophthegmatischen  Dichtungsart  in  England.    Jedenfalls  ist 


—    64    ^ 

er  der  originellere,  EJarle  der  elegantere  Schriftsteller.  Die 
Werke  beider  Männer  waren  zu  ihrer  Zeit  hochberühmt  und 
erlebten  eine  Menge  Auflagen.  So  erschien  noch  1664  die 
18.  Auflage  von  Overbury's  ^^Characlers'^  in  London.  Von 
Earle's  ^^Microeosmography"  lag  1633  auch  schon  die  6.  Auflage 
vor.  Kein  Wunder,  daß  die  Werke  Flecknoe  bekannt  werden 
und  in  ihm  den  Wunsch  erwecken  mußten,  auch  so  ein  viel- 
bewundertes  Buch  zu  schreiben,  zumal  die  Art  dieser  Literatur- 
gattung gerade  seinem  Naturell  zusagen  mochte. 

Er  ist  denn  auch  seinen  Vorlagen  gegenüber  wenig 
origiDcU  geblieben.  Sowohl  in  der  ganzen  Anlage  des  Werkes, 
wie  in  der  Art  der  Ausführung,  folgt  er  ihnen  aufs  genaueste. 
Sogar  den  Titel  "Characters"  hat  er  von  Overbury  entlehnt. 
Auch  in  den  Stoffen  der  einzelnen  kleinen  Porträts  lehnt  er 
sich  öfters  sowohl  an  Overbury,  wie  an  Earle  an.  Auf  Over- 
bury gehen  die  Stücke  ^^Ofa  Ghaniber-mai(V\  ^^  Of  an  InimitabU 
Widdow'\  ''Of  a  mare  Imitabk  Widdow'\  ''Of  a  Flatterer",  ''Of 
a  Gree^isickness  Girle^\  ^^Of  a  make-bate^\  "Of  a  young  En- 
amourist"  und  einige  andere  zurück;  Earle  sind  die  Nummern: 
"0/"  a  high  spirited  man",  ^^Of  a  gaUant  warrior"  und  andere 
nachgebildet.  Overbury's  vielbewunderte  Beschreibung  von 
"^  Fair  aiid  Happy  MilkmaioC^  hat  Flecknoe  in  seinem  Charakter 
"0/*  a  pretty  swest  Innocence"  benützt. 

Dagegen  hat  Flecknoe  zu  einem  großen  Teile  Stoffe  in 
seinen  „Charakteren^'  verarbeitet,  die  seinen  Vorbildern  fremd 
waren,  und  die  teils  auf  seinem  katholischen  Bekenntnisse 
beruhen,  teils  gesellschaftlicher  und  zeitgeschichtlicher  Art 
sind.  Hierbei  fehlt  Flecknoe  sowohl  der  Humor  Earle's,  wie 
die  satirische  Schärfe  Overbury's ;  dagegen  sucht  er  sie  durch 
Wortwitze,  Pointen  und  gezierte  Sprache  noch  zu  übertreffen. 
Das  Lächerliche,  Absonderliche  und  Auffällige  der  charakte- 
risierten Personen  entdeckt  auch  er  mit  vieler  Schärfe,  bleibt 
aber  mehr  als  die  beiden  anderen  am  Äußerlichen,  Komischen 
haften. 

Besser  als  durch  eine  Abstraktion  läßt  sich  der  Begriff 
von  einem  Flecknoe'schen  „Charakter"  durch  das  bloße 
Zitieren  des  ^CJiaracter"  vermitteln,  in  dem  der  Autor  einen 
solchen  beschreibt: 


—    56     — 

^^Of  the  Auikors  Idea,  or  of  a  Character, 
It  gives  you  ihe  hint  of  discourse,  hui  discourses  not;  and  is 
ihat  in  mass  and  ingoi,  you  may  coin  and  wire-draw  to  etemity  ;  His 
more  Seneca  than  Cicero,  and  speaks  rather  the  language  of  orades 
ihan  orators:  every  line  a  sentence,  and  every  two  a  period,  It 
says  not  all,  hut  all  it  says  is  good,  and  like  an  air  in  Musick  is 
eiiher  füll  of  cloxes,  or  still  driving  towards  a  dose:  His  no  long- 
tuinded  exerdse  of  spirit,  hut  a  fordhle  one,  and  therefore  soonest 
out  ofhreath;  His  all  matter ,  and  hos  nothing  of  superfluity^  nothing 
of  drcumlociäion ;  so  little  comporting  tvith  mediocrüy^  as  it  er 
extols  to  Heaven,  or  depresses  unto  Helly  having  no  mid'  place  for 
Purgatory  left.  'Tis  that  in  every  sort  of  writing  ddighteth  mostj 
and  though  the  ireatise  he  gold,  it  is  the  jeweü  stiU,  which  the 
Author  of  Characters,  like  your  Lapidary,  produces  single,  whilst 
others  goldsmithlike  inchass  them  in  their  v)orks.  'Tis  a  Portraiture^ 
not  only  o'  th'  body,  hut  the  soul  and  mind;  whence  it  not  only 
delights  hui  teaches  and  moves  unthall,  and  is  a  sennon  as  well  as 
a  picture  to  every  one»  In  fine,  His  a  short  voyage,  the  rvriter  holds 
out  with  equal  force,  still  Coming  fresh  unto  his  joumeys  end, 
whilst  in  long  ones  they  commonly  tire  and  f alter  on  their  way: 
And  to  the  reader,  His  a  garden,  not  joumey,  or  a  feastj  where  hy 
reason  of  the  subjects  variety,  he  is  never  cloyed,  hut  at  each 
Character,  as  at  a  new  service,  falls  too  tvith  fresh  Appetite," 

Weibliche  Charaktere  zeichnet  Flecknoe  mit  Vorliebe; 
sie  gelingen  ihm  auch  im  allgemeinen  besser  als  die  männ- 
lichen.    So  sei  folgendes  Muster  weiblicher  Vorzüge  zitiert: 

"O/"  a  faire  and  virtuous  Lady, 
She  is  the  honour  of  her  sex  and  that  to  heatäy,  as  heauty  is 
to  others  all  grace  and  omament,  her  virtue  like  a  charm  rendering 
her  heauty  invtdnerable  against  nialidous  tongues;  and  tliat  which 
in  others  is  fragile  afid  of  glass,  so  maüeahle  in  Jier  as  it  can 
neitlier  he  hroken  nor  crackt,  whence  she  only  has  privilege  freely 
to  dress  herseif,  without  suspicion  of  härm ;  and  enjoy  all  lawful 
pleasures  without  danger  of  unlawful  ones;  whilst  all  w  suspicious 
and  dangerous  in  others:  to  condude  then,  as  antienüy  your  senii- 
gods  in  marrying  with  mortals  comunicated  to  them  their  divinüy, 
so  her  heauty   hy   the  marriage  of  sacred  virtue  is  consecrate  and 


—     M     -- 

rendred  all  eelesiial  and  divine ;  these  iitleft,  whicii  oihers  inewriously 
usurp^  only  of  right  appertaining  unto  her^  wJio  becomes  more 
venerable  by  age  and  immortal  hy  death  itsüfy  her  virtue  hamng 
radsed  her  above  time  and  nioriality" 

Daß  Flecknoe  die  Weiblichkeit  aber  auch  von  ihrer 
niederen  und  sogar  etwas  anstößigen  Seite  schildern  kann,  mag 
folgendes  Porträt  zeigen  : 

"0/  a  Chamhermaid, 

A  Ghambermaid  is  as  suspiciotis  a  nanie  for  a  maid,  as  a 
Oranimar  Scholar  is  for  a  great  scholar^  or  a  schooUmaster  for  a 
greai  Master,  <&c,  She  differs  front  the  toatting-wonian  onlg,  as 
Single  roses  do  from  double  ones ;  and  is  a  maid  of  one  coat,  whilst 
your  waiting-gentletvofnan  hos  many ;  for  the  rest,  she  is  the  gentler 
of  the  tioo,  when  she  falls  into  gefitle  handling ;  marry  tJie  rttde 
servingman  sJie  cannot  endure,  telling  htm,  she^s  for  his  heiter Sy  <Sx, 
She  is  the  more  suhject  to  towsing,  less  danger  there  is  of  rumpling 
her,  (an  advaniage  she  lias  of  the  gentlewoman  for  aU  she  is  so 
fine)  there  being  more  provocation  too  in  her  single  petticoat  (so 
mgh  querpo)  than  in  all  f  others  silken  gotcns,  Meanwhile  her 
words  and  actions  are  to  he  understood  hy  contraries,  and  when 
she  skreecks  and  cries  fie  aioay,  lay  hy  there ,  &€,,  you  must  under* 
stand,  they  are  interjedions  of  enoouragementj  not  prohihiiion,  as 
when  ehe  hids  herseif  t'  th'  dark  or  fains  to  sleep,  ^t  is  only  thaJt 
you  should  groap  her  out  and  take  napping,  itt,  Only  there^s  a 
certain  thing^  calVd  sweetheart,  and  a  certain  thing,  eaWd  fnatri' 
mony  tJiat  spoils  the  sport,  and  mahes  her  skie  and  cautimts;  for 
any  thing  eise  there  mag  he  sport  enough,  and  nothing  eV  the  worse: 
For  she  may  he  a  chamhermaid  still,  though  not  a  maid;  and  if 
she  he  right  and  of  the  game  indeed,  wliaisoever  they  say  ujito  her^ 
and  whatsoever  they  do  unto  her  too,  sheHl  he  sure  to  he  a  maid 
still  tili  she  he  married,  when  let  her  hushand  look,  where  sJie  he  a 
maid  or  no;  for  otiters  have  looKd  eyiough  and  found  her  none,^^ 

Als  letztes  Beispiel  dürfte  ein  Stück  von  Interesse  sein, 
das  möglicherweise   auf  SelbsterfahruDg  beruht.     Es  lautet: 

"0/  a  Novice, 
He  is  just  like  a  young  Lover,  atid  his  order  is  his  Mistresse^ 
who  makes  a  fool  of  him,  whilst  he  idolatrizes  it  more  than  your 


—    67     — 

Frtnch  Inamourists  do  their  Phillis^s  and  Chloris^s,  and  Don 
Quiehotc's  love  io  Duhinea  was  nothing  so  extravagant.  The  more 
doz^d  and  bemopt  he  is,  the  better  still;  His  a  sign  he^s  right,  and 
hos  a  true  vocation:  and  if  lie  have  any  wit  and  judgment  of 
hiß  oum,  they  cry  of  htm  for  a  very  Beprobate:  for  the  rest,  he 
kates  all  womankind  and  caUs  a  Petticoat,  Leviathan;  and  a 
stnoek  but  innocently  blanching  on  a  hedge:  Asteroth  or  the  fout 
devil  of  fomication ;  he  ivalks  with  his  eyes  fia^d  upon  the  groundy 
and  crumples  up  like  a  Hog-lowse  for  fear  of  effusion:  he  makes 
OS  rnany  stops  as  an  old  rusty  Jacky  and  winds  up  himself  a» 
oft  io  rectifie  his  intention^  Jie  says  his  our  Fathers  as  devouüy  as 
others  their  our  Father,  and  counis  all  damn^d  who  are  not  friends 
of  his  Order,  as  an  infallible  sign  of  predestination,  the  being 
devoted  to  it,  and  the  patron  ihereof:  he  is  as  lively  afier  a  dis- 
eipline  as  an  ape,  newly  whipt,  and  is  no  more  moved  then  a 
stntua  at  a  reprehension  or  reproach.  In  fine  his  novitiai  passes 
with  htm  just  like  an  enchantmentj  whilst  he  is  so  stund  and 
astonished  as  knoivs  not  what  to  do ;  only  toivards  the  end  he  eomes 
U>  himself  again,  recovering  by  degrees ;  and  the  charm  once  eapired, 
beeomes  Wce  other  menJ* 

Um  Ton  dem  Gesichtskreise,  in  dem  sich  die  ^Cbaraktere^ 
bewegen,  ein  Bild  zu  geben,  sei  noch  das  Inhaltsyerzeichnis 
des  134  Seiten  zählenden  Buches  wiedergegeben:  1)  Of  a 
Lady  of  excellent  convei'saiion,  2)  Of  one  tliat  is  the  foyle  of  good 
conversaiion,  3)  Of  an  Excellent  Companion.  4)  Of  one  that  xanies 
the  good  Companion,  6)  Of  öne  that  imitates  the  good  Companion 
another  way.  6)  Ofan  Irresolute  Person.  7)  Ofa  Fantastique  Lady, 
8)  Of  a  QreensicknesS'Girle,  2)  Of  a  Talkatit^  Lady.  10)  Of  a 
Taciium  Person.  11)  Ofa  Dutch  Waggoner.  12)  Ofa  Huge  Over- 
vahier  of  himself  13)  Of  an  ordinary  French  Laqiiey.  14)  Of 
a  Suspicious  Person.  15)  Of  Raillerie.  16)  Of  one  who  troubles 
herseif  with  every  thing.  17)  Of  one  who  troubles  himself  with 
nothing,  18)  Ofa  Chambermaid.  19)  Of  a  Nobleman^s  Chaplain„ 
20)  Of  an  Impertinent  Governant.  21)  Of  a  School  of  young 
Gentlewomen.  22)  Of  a  Xovice.  23)  Of  a  Fille  devote.  24)  Of 
an  Inimitable  Widow.  26)  Of  a  more  Imitable  Widow.  26)  Of  a 
Fifth  Monarchy-man.  27)  Of  an  Importunate  Visitant.  28)  Ofa 
French   daneing  Master  in  England.     29)  Of  your  Toum^ialkers. 


—    58    — 

30)  Of  a  horrible  uncked  atid  deboiched  Person.  31)  Of  a  VaUani 
Man.  32)  Of  an  alladmirable  Person.  33)  Of  a  Qallant  Warriar. 
34)  Of  a  miserable  old  Gentlewonian,  35)  Of  a  Lady's  lUÜe  Dog. 
36)  Of  ymr  Ladies  Colonel.  37)  Of  a  SckooWoy.  38)  Of  one 
that  shall  he  namelesse,  39)  Of  a  pretiy  sweei  Innocence.  40)  Of 
a  scrupulous  Honour.  41)  Of  a  Fleerer.  42)  Of  a  make-bate. 
43)  Du    Tour   d   la   mode.      44)    Of   a   changeable   Disposition. 

46)  Of  a  Physitian.     46)  Of  the  Authors  Idea,  or  of  a  Character. 

47)  Of  a  duU  Fellow.  48)  Of  a  hold  ahusive  Wü.  49)  Of  a 
troublesome  kindness,  50)  Of  a  Jansenist.  51)  Of  a  certain 
Nohleinan.  52)  Of  anothei\  53)  Of  a  Natural  Beauty.  54)  Of 
an  Ärtifidal  Beauty.  55)  Of  a  petty  Politique.  56)  Of  a  honte- 
bred  Country- Gentleman.  57)  Of  a  common  Äcquaintance.  58)  Of 
a  young  Envoy.  59)  Of  a  degenerate  Lord.  60)  Of  a  high  spirited 
Man.  61)  Öf  a  Proud  one.  62)  Of  a  low  spirited  Man. 
63)  Of  a  petty  French  Lutenist.  64)  Of  a  Flatterer.  65)  Of  a 
fair  and  virtuous  Lady.  66)  Of  a  quarrelsmne  Cockscomb.  67)  Of 
a  Cofnplementer,     68)  Of  a  young  Enamourist. 

Wie  man  sieht,  ist  das  Gebiet,  dem  Flecknoe  seine  Stoffe 
entnimmt,  sehr  ausgedehnt.  Außerdem  wäre  noch  zu  be- 
merken, daß  die  ^  Characters^^  wohl  dasjenige  Werk  Fleck- 
noe's  sind,  das  auch  heute  noch  unterhaltend  und  anregend 
zu  lesen  ist. 


VIL- 

Flecknoe  über  Oliver  Cromweli. 

Im  folgenden  Jahre  (1659)  veröffentlichte  Flecknoe  wieder 
eine  Arbeit  auf  dem  Felde  des  Dramas  unter  dem  Titel 
^Marriage  of  Oceanus  and  Biiiaiinia",  die  mir  leider  nicht  zu- 
gänglich war.  G.  Langbaine  bemerkt  darüber;  ^A  Masque, 
which  I  never  saw,  and  therrfore  am  not  dble  to  give  any  account 
of  it.*'  ^)  Sonst  ist,  wie  über  die  meisten  Arbeiten  Flecknoe's, 
nirgends  etwas  über  die  Maske  zu  finden. 


*)  An  Account  of  the  English  Dramatick  Poets,  &c.  1691. 


—     59     — 

In  das  gleiche  Jahr  1659  fallt  die  VeröffentlichuDg  eines 
Werkes,  das  Flecknoe  Ehre  zu  machen  geeignet  ist.  Es  ist 
das:  ^The  Idea  of  his  Highness  Oliver  Laie  Lord  Protector^  d^. 
Wüh  certain  brief  refledions  on  His  lAfeP  ^) 

Flecknoe  hatte  niemals  ein  Hehl  daraus  gemacht,  daß 
er  Eoyalist  sei ;  namentlich  in  den  Eeisebriefen  hatte  er  sich 
aus  naheliegenden  Gründen  öfters  gegen  die  Wendung  der 
Dinge  in  England  ausgesprochen.  Aber  auch  sonst  war  er 
als  Katholik  auf  die  Puritaner  herzlich  schlecht  zu  sprechen, 
was  er  z.  B.  im  oben  besprochenen  vorletzten  Stücke  der 
^Miscellania^*  hinreichend  bekundet.  Wenn  er  trotzdem  nach 
Gromwell's  Tod  vorliegendes  Werkchen  zum  Preise  des  großen 
Lord  Protektors  verfaßte  und  dessen  Sohne  Eichard  widmete, 
so  darf  man  vielleicht  annehmen,  auch  mit  Rücksicht  auf  den 
ganzen  Ton  der  Ausführungen,  daß  seine  Bewunderung  für 
Gromwell  zurzeit  wohl  echt  war.  Von  dem  schwachen 
Kichard,  der  bereits  am  22.  April  1659  das  Protektorat 
niederlegte,  war  keine  Belohnung  zu  erwarten.  Lady  Elisa- 
beth Claypole,  die  Lieblingstochter  CromweU's,  der  Flecknoe 
früher  sein  Stück  ^Love's  Dominion''^  gewidmet  hatte,  war 
dem  Protektor  schon  im  Tode  vorausgegangen.  Zudem  be^ 
reitete  sich  schon  die  Rückkehr  der  Stuarts  vor,  so  daß 
Flecknoe  auf  der  einen  Seite  kaum  auf  Belohnung  hoffen 
konnte,  während  er  andererseits  erwarten  mußte,  den  ganzen 
Kreis  seiner  bisherigen  Gönner  und  Freunde,  der  fast  aus- 
nahmslos aus  Royalisten  bestand,  zu  verlieren  oder  doch 
wenigstens  vor  den  Kopf  zu  stoßen. 

Flecknoe  ist  sich  der  Tragweite  seiner  Publikation  auch 
bewußt  gewesen ;  denn  er  spricht  in  der  Widmung  von  den 
vielen  Feinden  CromweU's,  die  er  in  zwei  Klassen  teilt:  Feinde 
von  CromweU's  Partei  und  Feinde  von  seiner  Person.  Die 
Ersteren  wüßten  Verdienst  auch  beim  Gegner  zu  schätzen; 
die  Letzteren  aber  verkehrten  aus  Haß  alles  ins  GegenteU 
und  seien  gemein  und  verleumderisch.  Gegen  sie  wiU  Flecknoe 
hauptsächlich  zu  Felde  ziehen.  Überhaupt,  fährt  er  fort,  ist 
es  in  unserer  Zeit  soweit  gekommen,  daß  die  jüngeren  Leute 


»)  London.  1669.    68  S.    8«. 


—    60    — 

alle  Handlungen  einer  Person  als  Ausfluß  von  Laflterhaftigkeit 
und  Ausschweifung  auslegen,  während  die  alten  überall  nur 
Politik,  persönliches  Interesse  und  Ehrgeiz  wittern,  so  dafi 
die  Nachwelt  auf  den  Gedanken  kommen  muß,  es  habe  in 
unserer  Zeit  keine  Tugend  und  keine  Ehrlichkeit  mehr  ge- 
geben, und  nun  findet  Flecknoe  die  schönen  Worte:  Ta 
vmdicat€  and  elear  it  from  which  aspersion,  I  have  urü  tkis  treaHsej 
io  let  post^rity  know,  ihat  as  tkere  taanted  not  some  in  thü  age 
to  do  brave  things,  so  there  wanted  not  otkers  to  celebraie  and  honour 
ikenir 

In  einer  Einleitung :  ^ Proemitim  to  tJie  Idea*^  betitelt,  setzt 
der  Autor  dann  des  Näheren  auseinander,  was  er  mit  dem 
Titel  des  Werkes  besagen  will.  ^Expect  of  me  no  eircumstanoes 
of  iime^  place,  nor  persans ;  that  is  for  those  wko  wrüe  the  annale» 
and  history  of  his  life.  I  only  write  his  elogiums,  they  shew 
you  the  things  he  did ;  I,  the  man  who  did  those  tkingsJ*  Flecknoe 
will  uns  den  allgemeinen  Eindruck  der  gewaltigen  Persönlich- 
keit Cromweirs  vermitteln,  unter  Weglassung  aller  neben- 
sächlichen und  zufalligen  Züge. 

Er  kommt  sodann  nochmals  auf  die  Gefährlichkeit  und 
Undankbarkeit  seines  Vorhabens  zu  sprechen :  "/  undertake  a 
work  (I  hnow)  dispkasing  and  ungrateful  to  the  mtdtitude,  naiuraUy 
envious  and  malicious/*  Aber  trotzdem  will  er  sich  nicht  ab- 
schrecken lassen :  "  Yet  tkis  in  spight  of  envy  and  malice  Fle  say 
of  htm,  tfiai  a  greater  and  ?nore  exeelient  personnage  hos  Tiowhers 
been  produc'd  by  this  latter  age ;  nor  fperhapsj  in  our  nation  Inf 
any  formet  ones.  And  if  men  anciently  kam  been  judged  fit  for 
empire  only  for  the  greatness  of  their  bodies ;  he  certainly  tvas 
mosi  fit  for  itj  for  the  greatness  of  his  mindy 

Hierauf  tritt  Flecknoe  in  die  Behandlung  seines  Themas 
ein.  Er  spricht  von  der  Geburt,  den  Familienverhältnissen 
und  der  Erziehung  CromwelFs,  und  verfolgt  sein  Leben  von 
der  Wahl  ins  Parlament  bis  zur  Laufbahn  des  sieggekrönteo 
Heerführers  und  weitblickenden  Staatsmannes.  In  dem  Kapitel 
über  den  Tod  des  Protektors  vergleicht  er  ihn  mit  Julius 
Cäsar;  er  sei  eben  so  groß  gewesen  wie  jener  und  ebenso 
vorzeitig  für  seine  großartige  Wirksamkeit  aus  dem  Leben 
geschieden.    Nachdem  unser  Autor  dann  noch  herrliche  Worte 


—       61        r^ 

fttr  Cromwell's  persönlichen  Charakter  gefunden  hat,  Bchließt 
er  seine  Abhandlung:  ^Thus  have  we  braught  his  life  (in  its 
Idea)  all  und&r  one  prospect  of  Üie  eye,  and  by  brief  glin^^aes  and 
refledians  given  ligkt  to  aee^  how  greai  a  person  he  was,  no  human 
hody  being  scarcely  capable  of  a  greater  saul;  how  fortune  and 
virkte  never  more  concur'd  to  the  adiancement  of  a  man;  how 
never  any  past  io  ihe  temple  of  honour  by  more  direct  ways,  through 
ihai  of  his  own  virtue  and  heroie  deeda;  how  mueh  he  meriied  of 
England  by  his  serving  and  conserving,  in  its  most  dangerous 
times ;  and  finally  how  both  at  home  and  abroad  he  was  ihe  honour 
of  our  nation,  wherefore  our  nation  should  be  most  unworthy  and 
ungrcUefulj  shotdd  ii  not  always  honour  hvnj*^ 

Diese  Auslassung,  wie  das  ganze  Werkchen,  würden  dem 
Charakter  und  der  Urteilsfähigkeit  Flecknoe's  Ehre  machen, 
wenn  man  überzeugt  sein  könnte,  daß  sie  wirklich  seine  auf- 
richtige Meinung  enthalten.  Charakterstärke  war  nun  einmal 
nicht  die  Lichtseite  der  damaligen  Zeit,  und  unser  Flecknoe 
hing  eben  auch  uur  gar  zu  leicht  sein  Mäutelchen  nach  dem 
Winde.  Wie  wir  sehen  werden,  betrachtete  er  gleich  im 
folgenden  Jahre  Cromwell  von  einem  wesentlich  anderen 
Gesichtspunkte. 


VIII. 

Flecknoe's  Stellung  zur  Restauration. 

Hätte  unser  Autor  1659  an  die  Restauration  der  Stuarts 
schon  geglaubt,  so  hätte  er  wohl  sein  Büchlein  über  Crom- 
well nicht  veröffentlicht.  Denn  es  muß  selbst  für  weniger 
charaktervolle  Naturen  nicht  angenehm  sein,  seine  Gesinnung 
schon  nach  einem  Jahre  öffentlich  zu  revidieren.  Das  tat 
aber  Flecknoe  mit  seinem  1660  erschienenen  neuen  Werke: 
**Heroi€k  Portraits"  *),  das  Karl  II.  gewidmet  ist  und  die  Stuarts 
in  der  schwülstigsten  Weise  verherrlicht,  während  der  vor  einem 


*)  Heroick  Portraits.  With  other  MisceUary  Pieces^  made, 
and  dedicate  to  Eis  Majtsty.  By  Bich.  Flecknoe,  London,  1660.  Printed 
by  Ralph  Wood  for  the  Auihor.  YUI  a.  120  S. 


—    62     — 

Jahre  noch  so  gefeierte  Cromwell  schlecht  wegkommt.  Flecknoe 
fühlt  selbst  etwas  das  Peinliche  seiner  Handlungsweise,  denn 
er  entschuldigt  sich  im  Vorworte  damit,  daß  er  die  meisten 
seiner  „Porträts"  schon  im  vergangenen  Jahre,  also  vor  der 
Kestauration,  abgefaßt  habe:  "Most  of  ihem  were  made  thelast 
year  at  Briiselles,  since  when,  tkough  their  Fortunes  he  changed^ 
their  Persons  are  not;  and  ihis  I  thought  ß  to  teil  yoUj  that  you 
may  not  suspect  me  of  Flattery  (!)j  (if  their  Persons  were  such  as 
tkey  cotdd  he  flattered)  for  all  flatter  fortunate  Princes;  hui  only 
Hope  flatiers  tke  unfortunate" 

Das  Buch  beginnt,  wie  nicht  anders  zu  erwarten,  mit 
dem  "Portrait  of  His  Majesty  Charles  ihe  77."  Nach  einigen 
schwülstigen  Versen  wird  die  äußere  Erscheinung  des  Königs 
folgendermaßen  beschrieben : 

"His  Stature*s  tau,  and  of  tlie  comliest  make^ 
His  visage  oval,  his  hair  thick  and  block, 
In  ample  curles,  on's  Shoulders  falling  dourn, 
Adoming  more  his  head,  tlian  any  croum. 
His  eyes  are  lively,  fuü  of  flame  and  sprüe, 
And  of  that  colour  most  delighia  the  sight  : 
Royal  and  largely  feaiured  aU  the  rest, 
Declaring  largeness  of  his  roycU  hreast,^ 

Seinen  geistigen  Vorzügen  sind  folgende  Verse  gewidmet: 
"For  moral  virtues  ihen,  h'as  every  one 
In  their  füll  splendors  and  perfectiorij 
Justice,  not  clouded  with  severity, 
Nor  temperance,  vnth  sower  austerity; 
And  n^er  in  none  more  courage  was,  nor  more 
Wisdom  and  prudence,  with  less  vaniiy,  nor 
With  lesser  artifice;  then  or's  passions  he 
Commands  so  ahsolutely,  and  sovereignly: 
It  shows  hirn  King  over  himself,  as  well 
As  over  others,  nor  does  lie  less  exceü 
In  civil  virtues,  which  adorn  no  less  _ 

The  rayal  throne,  oä  mildness,  gentleness^ 
Bavishing  sweetness,  debonarity, 
Obligingness  and  affability, 


—     63    — 

Thai  more  does  conquer  with  a  genile  word, 
Than  ever  any  conquered  hy  the  sword, 
Äcquiring  absolute  dominion 
And  sovereign  sway  d'r  hearts  of  every  one." 

Ferner : 

^Dances  so  admirahlyj  oß  your  eye 
As  well  OS  ear^s  aü  ckamid  with  harmony, 
Knows  musick,  poetry,  gaUantry  and  witj 
And  none  knows  better  how  to  judge  of  it : 
In  fine,  in  every  thing  that  curious  is, 
None^s  taste  was  e'er  more  delicate  than  hisJ*^ 

Nachdem  Flecknoe  so  den  König  in  ca.  110  Zeilen  be- 
sungen hat,  zeichnet  er  in  Prosa  das  „Porträt"  seiner  Brüder, 
der  Herzöge  von  York  und  Glocester,  unter  den  Decknamen 
Kastor  und  PoUux.  Kastor,  der  Herzog  von  York,  ist  zwar 
klein  von  Gestalt,  aber  in  seinen  Augen  liegt  ein  seltsamer 
Qlanz,  und  Größe  und  Anmut  streiten  sich  in  seinem  Antlitz 
um  die  Herrschaft.  Im  Felde  erzeigt  er  sich  ganz  besonders 
tapfer.  PoUux  ist  ebenfalls  klein;  er  kann  aber  bei  seinen 
jungen  Jahren  noch  wachsen.  Er  hat  einen  kleinen  Mund 
mit  rötlich  schwellenden  Lippen,  ^and  such  a  gentle  rising  in 
the  nose,  as  nothing  could  he  more  graceful  nor  hecoming" 

Von  anderer  Art  ist  das  folgende  Stück.  Es  ist  das 
„Porträt"  der  Prinzessin  von  Oranien.  Flecknoe  bemerkt, 
es  sei  von  einer  vornehmen  Dame  in  französischer  Sprache 
abgefaßt  gewesen  und  er  habe  es  nur  ins  Englische  übersetzt. 
Das  merkt  man.  Während  Flecknoe  nur  Bewunderung  und 
fade  Schmeicheleien  für  seine  Leute  hat,  weiß  die  Dame  bei 
aller  Artigkeit  der  Prinzessin  eine  Menge  wenig  liebens- 
würdiger Charakterzüge  vorzurücken.  Die  Prinzessin  ist  stolz, 
rachsüchtig,  falsch  und  so  faul,  daß  sie  lieber  allein  in  ihrem 
Gemach  bleibt  als  in  Gesellschaft  geht,  nur  um  sich  nicht 
umkleiden  zu  müssen. 

Nach  diesem  Prosastück  folgen  wieder  Verse,  die  das 
Porträt  der  Herzogin  von  Lothringen  darstellen.  Wie  aus 
dem  Vorwort  erhellt,  hat  Flecknoe  1659  wieder  die  Gast- 
freundschaft der  Herzogin  genossen,  die  überhaupt  seine  erste 


—     64     — 

Wohltäterin  und  Gönnerin  zu  sein  scheint.  Hier  kennt  er 
gar  keine  Grenzen  und  überbietet  sich  selber  in  den  lächer- 
lichsten Schmeicheleien.  Es  gibt  nur  zwei  strahlende  Dinge 
auf  Erden :  die  Sonne  und  die  Augen  der  Herzogin !  Niemals 
ist  das  Echo  so  glücklich  und  selig,  als  wenn  es  den  Wider- 
hall ihrer  Stimme  zurückgeben  kann!  Wenn  es  auf  der  Welt 
irgendwo  Wilde,  Barbaren  und  Unglückliche  gibt,  so  rührt 
das  lediglich  davon  her,  daß  sie  nicht  dort  weilt.  Man  hat 
bereits  den  Himmel  und  die  Seligkeit  des  Jenseits,  wenn  man 
ihre  Unterhaltung  genießen  darf.    Und  so  fort  mit  Grazie. 

Nicht  ganz  so  vollkommen,  aber  doch  auch  mit  zahl- 
reichen Tugenden  begnadet,  schildert  uns  Flecknoe  im  nächsten 
Stücke  ihre  Tochter  Anna.  Auch  der  Sohn  der  Herzogin 
erhält  sein  Wohlverhaltungszeugnis  ausgestellt. 

Weiterhin  bekommen  dann  noch  die  Herzogin  von  Rieh- 
mond^  die  Prinzessin  von  Arenberg,  der  Herzog  von  Buckiog- 
ham  und  der  Marquis  (und  spätere  Herzog)  von  Newcastle 
Lobpreisungen  in  Versen  und  in  Prosa.  Vom  Marquis  von 
Newcastle  bemerkt  er  u.  a.,  daß  er  Kunst  und  Wissenschaft 
besonders  hochschätze.  Es  sei  daher  zweifelhaft,  ob  die  Luft, 
die  sie  einatmen,  oder  die  Wohltaten  des  Marquis  den  Ge- 
lehrten zum  Leben  notwendiger  seien! 

Damit  endigen  die  ^Herokk  Portraits",  Wie  Flecknoe 
im  Vorwort  gesteht,  hat  er  diese  Schmeicheleien  geschrieben, 
um  den  betreffenden  Herrschaften  seine  Dankbarkeit  für  er- 
haltene Wohltaten  zu  bezeigen.  Er  läßt  auch  bei  der  Ge- 
legenheit durchblicken,  daß  andere  Leute  sich  ebenso  porträtiert 
sehen  könnten,  wenn  sie  sich  um  ihn  verdient  machten! 

Wie  er  im  Vorwort  femer  berichtet,  will  er  das  ^Pörtraä^^ 
als  literarische  Gattung  in  England  einfuhren.  In  den  fran- 
zösischen Salons  sei  es  bereits  in  Mode  gekommen.  E»  unter- 
scheide sich  vom  ^Character^^  dadurch,  daß  es  nicht  bloß 
^the  dispoaition  of  Ute  MiiidC^  einer  Person,  sondern  auch  nodi 
^the  Bodies  resemblance^^  biete. 

Der  zweite  Teil  des  Büchleins  enthält  sodann:  ^Other 
Miaceüary  PourtraitSj  PictureSy  Schizzos  eicj*  Im  Gegensätze 
zum  ersten  Teile  sind  hier  die  niedrigen,  gemeinen  und  lächer- 
lichen Leute  und  solche,  die  nicht  unter  die  ^Heroiek  PortraüsT 


—     65     — 

passeD,  abporträtiert.  Diese  Leute  begeistern  Flecknoe  auch 
nicht  mehr  zum  Yersemachen ;  alles  wird  hier  in  Prosa  ge- 
schildert. Teilweise  kehren  auch  Sachen  wieder,  die  wir 
schon  bei  den  ^^Enigmatical  Characters^^  antrafen.  Die  Titel 
lauten:  "TÄe  Portrait  of  Lysette,  My  Ladies  half  Gentle-woman^ 
^'Of  a  modern  CamisC'  ^^Of  a  mrious  GMiony  ^^Of  the  She- 
Qamestery  ^^Of  a  Formal  Scholar:'  ^^Die  Picture  of  a  GaUant 
FVench  Monsimr."  ^^Of  a  Lady  of  ihe  TimeJ'  '^The  Picture  of 
a  Dutch  Frow:'  ^^Of  a  Bilk  Gourtier:'  ^'Of  a  Busie  Body:' 
Interessant,  aber  mit  naturalistischer  Derbheit  gezeichnet,  ist 
"TÄe  Picture  of  an  English  Inn'\  *'7he  Portrait  of  OromweW', 
das  einen  so  starken  Gegensatz  zu  der  ein  Jahr  vorher  heraus- 
gegebenen Schrift  über  Cromwell  bildet,  findet  sich  auch  in 
dieser  Gesellschaft.  Es  lautet:  "//"  these  times  will  give  me 
leave,  the  fiäure  Fm  9ure  loill  thank  tne  for  inserting  this  tnans 
Portrait  amongst  the  rest,  Gurions  of  krunving  all  persans  eminent 
either  for  good  or  bad;  and  so  curums,  as  H  worM  go  as  far  to 
see  his  Picture  wlw  bumt  Dianas  Temple,  as  his  who  founded  il; 
besides  it  will  be  a  great  argument  of  the  gooduess  of  these  times, 
for  ondy  under  good  priyices  vien  dare  freely  speak  o'  th'  Bad. 

He  was  of  stature  rather  weü  sei  than  tau;  strong  and 
robustious  of  Constitution,  of  msage  leonin;  his  eyes  fierce;  his 
nose  of  the  largest  sixe  and  so  red,  as  that  was  well  applied  to 
him,  whicfi  was  said  of  Tiberius :  He  was  a  mass  of  day  tempered 
tvith  blood, 

This  was  his  MarticU  Face,  for  he  had  change  of  them,  and 
could  put  on  the  Foxes  as  well  as  the  Lions  contenance;  wJience 
you  may  easüy  guess  he  was  a  great  Dissembler;  and  H  was  ondy 
that  indeed  niade  hi7n  so  fit  to  Reign,  Though  the  art  Jie  us'd 
would  have  serv*d  at  no  other  time,  but  then,  any  wovld  serve, 
when  meti  were  prepared  for  Servitude  by  a  rabble  of  mercennary 
and  factious  Preachers,  and  a  fatal  Madness  had  possessed  the 
Nation,  which  now  tliey  are  cur'd  of;  they  are  shamed  to  seCj  how 
they  were  fooled  by  him  with  the  name  of  Liberty  without  the 
thing;  tmih  the  empty  husk  of  Parliament  without  the  kemel  of 
King  and  Lords;  and  mock^d  just  as  children  are  wüh  Hobby- 
horses,  when  they  complain  of  weariness,  by  giving  them  a  heavy 
stick  to  lugger,  would  weaiy  any  one  that  were  wise,  nwre  than 
Müachener  Beiträge  z.  romanischen  n.  engl.  Pkilologie.    XXXUI.    5 


—    66t    — 

Ihqp  to^re  befm-t:  na^  maäA  tmry  ksraa^  of  themsduaf  tmd spurt ff&lkd 
ond  ^utfa  nd  tktm  off  tkeir  lega  wiih  a  tht^rp  hk  <md  curb^  m 
Ihty  weU  (hsarvei,  who  eould.  run  awaif  mih  fkeir  läder  fsrmeriifi^ 
toktn  ^ey  wem  ansly  rid  tffüh  a  snaffk  and  g«ntle  katUL 

For  the  resiy  he  was  &f  sinmg  and  abie  paris,  and  if  ever 
amf  Ufas  Ärtifker  of  his  oum  fkiinrey  ii  wob  he:  vakani  of  hrs 
ptTBOHy  hui  never  using  force,  wben  straiegem  wmUd  suffiee:  hold 
and  resohite^  and  whtU  he  determmed  onca  io  do,  none  eould  hmtkr 
kirn  fron^  doing  it :  nor  euer  met  he  witk  any  abstach^  hiU  by  farce 
ar  sleigki  he  wotdd  remove  ü  straiffhi;  hy  wh4ek  he  arrwed  te 
grtai  fame ;  and  had  transniUied  it  greaiery  and  mors  pure  unto 
posterity,  had  he  not  confounded  the  soldier  wUh  ^  ptreaßhet.  In 
finey  Fortune  carried  kirn  up  so  high  and  on  so  unekdde  foundaiüm 
ae  the  fear  of  faUing  took  from  kim  all  the  pleasure  of  his  rise; 
and  he  lived  unih  aü  the  fear»  of  an  iü  cause  aboui  him,  whwk 
made  c»*t<e%  often  necessary,  though  H  was  not  naturale  Änd  do  but 
imagine  of  how  vast  comprehension  he  was,  who  grasped  and  held 
aü  England  together  whilst  he  lived;  whdeh  when  he  died  just  like 
a  Fagot  when  the  band  is  hroke^  feil  all  to  pieces  presentiy :  nor 
eould  the  Body  of  EebeUion  find  a  Spirit  great  enough  to  animate 
üy  wlten  he  was  gone.  And  thai  foundation  of  Shnpire  whicli  he 
sought  to  lay  in  his  Family ^  but  proved  thai  saying  true,  thai  greai 
enterprises  like  great  edifices,  are  onely  built  for  ruin,  unless  they 
be  finished»  To  conclude,  kis  Deaih  gave  peace  to  cM  Christendom 
who  looked  upon  him  ivhilst  he  lii^d  just  like  sonu  blax^ing  star, 
the  portent  of  war^  Ruine  and  destntction ;  and  wlien  he  died,  the 
fatal  Influence  ceased,^^ 

Darauf  folgt  das  ^Picture  of  HeW%  worin  in  mittelalterliek- 
grausiger  Art  die  Schrecken  der  Hölle   beschrieben  werden. 

Dann  kommt  zum  Schlüsse  ein  hochwichtiges  Stück,  das 
uns  die  besten  Aufschlüsse  über  die  Persönlichkeit  unseres 
Autors  zu  geben  vermag.  Es  ist  dies  Flecknoe's  Selbstporträ^ 
das  uns  trotz  all  der  naiven  Eitelkeit,  mit  der  Fleckaoe  bei 
aller  äußerlichen  Objektivität  sich  schildert,  doch  tiefe  Ein- 
blicke in  sein  Wesen  tun  läßt.  Auch  vom  äußeren  Menschen 
Flecknoe  können  wir  uns  an  der  Hand  dieses  Porträts  eine 
lebhafte  Vorstellung  machen.  Die  umfangreiche  Selbst- 
b«Bchreibuttg  hat  folgenden  Wortlaut: 


—    OT    — 

The  Portrait  of  ihe  Author, 

To  ike  Lady 

MaAaimey 

You  demand  my  PtniraU  (eoneidemble  for  noüwng  but  für 
tvriting  of  tke  rest)  and  hoiv  can  I  deny  you  my  P&rtraü,  to  whom 
I  havB  given  myself?  Behold  ü  kere  then,  wUk  aU  its  hnper- 
fictUms^  to  wkieh  I  have  added  those  of  my  tvriting  it:  and  tkat 
I  may  dedare  more  freely  and  with  less  ooneem^  I  shaü  put  off 
mim  oum  person  and  ptä  an  anothersy  wkilst  I  teä  you. 

In  his  person  there  is  not  mucft  to  eommend  nar  diseommend: 
kis  siature  i»  raiher  tau  tken  lowj  hetunxt  gross  and  sl&nder^  kia 
visage  oval  and  cheeks  a  liitle  sunk;  his  eyes  block  and  lively; 
no&e  weä  enough  proportioned ;  mauth  wi^  cheerftd  overture;  ?unr 
dark  and  limber;  complexion  tkiek  and  trouhledj  and  raiher  ftesh- 
eoloured  than  pale;  his  atr  and  moHon  sprightiy,  Naktre  seeming 
in  his  whole  oomposition  to  have  been  neither  too  negligent  nor  too 
eocact,  This  he  was  in  hi»  yotUhful  dayes,  but  now  his  Physio* 
gnorwy  is  muck  ehanged  by  Äge;  his  air  grisled,  his  beard  (ä  la 
mode  of  tke  time)  dose  shaven;  his  eyes  dim  and  deeply  sunk, 
(to  admonish  htm  perhapsy  His  time  to  look  into  kvmself).  In  fine, 
he  is  lüeXl  enough  content  rvith  his  exterior  (not  much  unlike  th<xt 
Portrait  which  commonly  passes  for  Seneea^s)  bui  wüh  his  interior 
not  so  well.  For  his  memory  is  so  fugitfoe  as  he  mvst  shoot 
ftying,  and  take  it  as  ii  comes,  or  eise  Uis  gone;  and  his  under- 
standmg  so  darkly  lodged,  as  he  is  forced  to  grope  it  out;  whenee 
his  Inventions  are  so  low  and  apprehensians  so  conftis^d;  as  tili 
he  hos  produeed  to  light  and  explicated  them  on  paper,  he  knows 
not  what  they  are,  Whence  he  torites  better  than  he  speaks  and 
his  writings  are  better  Company  then  himself,  As  for  his 
Moming  Thoughts  they  are  somewkat,  before  they  are  iryM  wiih 
the  Species  and  distradions  of  the  day;  but  afterwards  nothing  but 
confusion.  How  he  is  qualifUdy  you  know  Madame,  and  how  the 
Muses  and  Mus  ick  were  not  averse  at  his  nativüy,  and  he  bom 
so  averse  to  all  profitable  Arts,  as  he  prefers  the  Pleasant  to  the 
Profitable  in  every  thing. 

For  his  Minde,  Uis  neither  very  good,  nor  very  bad;  and  he 
is  raiher  enemy   to   Vice   then  any  great   friend   io  Virtue.     His 

6* 


—     68     — 

greatest  fauUs  are  tJwse  of  Omission^  (if  ihey  he  not  more  oiher*8 
faulis  then  his)  and  next  to  God,  he  ows  much  to  his  Edticatian, 
and  much  unto  his  Friends,  thai  he  commits  no  more;  and  not  a 
little  to  his  En&mieSj  whom  he  should  scom  ever  to  give  thai  ad- 
vantagCf  tnUy  to  report  any  härm  of  htm ;  and  if  falselyj  ^Hs  more 
their  hann  iJien  his, 

For  quieting  his  mind,  he  hates  Business,  a)ui  never  eures  for 
what  he  cannot  have,  nor  scarce  for  anything  others  can  deprive 
htm  of.  He  never  extends  his  desires  further  then  to  easie  ihings^ 
not  to  put  himself  on  the  rock  for  the  ohtmning  them;  and  oiüy 
paints  his  hopes  in  waier  cokmrs,  that  unthout  fretting  tJie  Table, 
they  may  easily  he  washed  out  again.  Ahove  all,  he  shuns  all 
high'Ways  of  the  vulgär,  and  hy-ways  i?i  religion,  not  to  erre  in 
doctrine  and  opinion.  But  pa^sing  wJiat  he  is  in  himself,  to  come 
to  wliat  he  is  to  otliers ;  he  is  shy  of  acquaintance,  and  familiär 
hui  unih  few,  and  these  otiely  of  the  nohler  and  heiter  sort.  He 
is  the  hast  hold  of  any,  disdaining  thai  shouid  he  paid  to  his 
holdness,  which  he  imugines  onely  due  to  merit.  Otiely  favour  can 
imholden  him,  when  Iie  is  familiär,  without  insinu4xting  and  in- 
croaching;  ohsequious,  tvithout  troubling  and  nwlesting  you;  and 
complaceni  unthout  flattery  and  assentation.  As  he  is  uHUingly 
enemy  to  none,  so  he  tvill  he  friend  to  none  against  their  will; 
nor  cares  to  Jiave  those  his  enemies,  who  are  never  liJce  to  he  his 
friends ;  tior  those  his  friends,  who  are  never  like  to  do  him  good. 
He  never  lost  any  friends  that  wcre  worth  tlis  keeping,  nor  never 
made  any  his  friends  but  onely  stwh;  and  if  any  unkindness 
liappens,  fie  retires  tili  the  reitiembrance  of  former  kindness  may 
effiace  the  memory  of  any  latter  unkindness ;  whence  mosi  commonly 
he  reiurns  in  greater  favour  than  hefore,  if  some  envious  of  his 
favour  hinder  it  not,  against  whose  malice  lie  never  sufficiently 
promdes,  who  having  no  secondary  ends  in  making  friends,  uses 
no  secoyidary  means  for  the  conserving  them.  He  loves  all  things 
cheerful,  splendioi4s  and  nohle,  and  hates  Sectaries  most  of  all, 
hecause  they  are  otherwise.  And  he  loves  easie  Company,  as  he 
does  easy  garmenls,  mcJcing  no  difficulty  to  cast  off  either,  wJien 
they  pain  or  trouhle  him ;  and  is  so  far  from  regretting  the  want 
of  them,  as  he  tJianks  God  he  can  want  such  trouhlesome  and 
needless  things. 


—     69     — 

If  he  dispraise  any,  *tis  more  his  love  of  perfection  then  hate 
to  thevn;  and  he  praises  more  unllingly,  then  he  dispraises;  yet 
since  every  one  hath  somewhat  praise-worthy  in  them,  and  so  on 
the  conirary ;  whilst  he  looks  on  his  friends  on  the  better  side,  his 
enemies  must  pardon  him  if  he  have  not  the  same  friendship  for 
them.  He  blows  not  Iiot  and  coldj  bui  may  be  bloum  so;  for  a 
cold  Word  freexes  him,  and  a  hot  makes  him  presenily  boil  over; 
when  next  io  his  Prince,  who  can  sovereignly  dispose  of  his  body^ 
and  God  who  can  dispose  of  soul  and  body  both,  he  cares  not  for 
offending  any,  who  first  offendeth  him;  and  he  rather  expresses  the 
resentments  of  his  offence  by  writing,  then  word  of  mouth,  because 
words  in  leiiers  are  not  so  apt  to  fly  and  break  forth  as  in 
Speech;  nor  to  rise  in  sparks  of  anger,  nor  flames  ofcholer,  when 
they  are  dead,  as  when  they  are  alive.  And  he  loves  an  open 
rather  than  a  covert  enemy,  wherefore  he  puis  them  timely  to  the  decla- 
raiion  of  their  enmity,  that  so  the  venom  driven  outwardj  there  may 
be  less  danger  for  himself,  and  for  others  too,  to  be  invenom^d  by  it. 

He  counts  conversation  between  man  and  man  his  second  Religion, 
and  so  that  be  good,  for  their  first  Religion,  or  the  conversation 
betwixt  God  and  them,  he  leaves  that  unto  theinselves;  this  makes 
fnany  imagine  him  less  xealous,  who  know  not  righily  to  distin- 
guish  bettoixt  xeal  and  factum;  and  who  overlash  as  far  in  their 
judgments,  as  he  underdoes  perhaps. 

Indeed  he  is  sorry  and  ashamed  not  to  have  that  dear  and 
tender  resentment  for  Almighty  God,  as  he  shotdd  have  for  a  noble 
friend;  and  thai  he  shotdd  be  so  untliankfuü  to  him  for  all  his 
benefits,  who  hos  blessed  him  with  a  happiness  and  felicity  as  far 
superior  to  Fortune,  as  health  and  repose  of  mind  is  to  Riches, 
and  the  solitnde  they  bring  along  rvith  them:  yet  he  thanks  God 
Jie  fears  him  so,  as  he  considers  himself  perpetiuilly  in  his  hands ; 
and  if  they  admired  anciently  the  audadty  of  young  Cato,  that  he 
durst  offend  them  who  held  him  out  of  the  window  and  threatened 
to  throw  him  down;  he  much  more  admires  the  aiidaciousness  of 
ihose  who  wiüingly  dare  offend  Almighty  God,  wito  holds  them  in 
his  hands  and  threatens  in  case  they  offend  him,  not  onely  to 
throw  tliem  on  the  ground,  but  to  the  boitomless  pit  of  Hell, 

Meantime,  there  is  nothing  more  easie  than  to  mistake  his 
disposition,   for  necessity   often  makes  him  do  many  things  which 


—     »0     — 

naktraüy  he  w&M  not  do;  and  he  eouid  he  fiaed^  had  'he  any 
ftermanent  habüaiioHf  and  appl^  himaelf  to  graver  sttuüeSf  häd  he 
not  mere  encowragemeni  for  lighter  anes;  and  if  he  regrei  Ifce 
want  of  Fcrtiune^e  assistanee  in  any  thmg^  'tie  io  furiher  hini  m 
hik  retreat^  ivhen  grawing  older,  he  shmM  be  glad  to  üUerpoae 
€Ofne  Utile  ^Mce  betwiaU  ihe  bueineas  of  Life  and  pr^paration  fär 
his  Deaih. 

But  'tis  Urne  to  kam  off,  lest  I  make  an  Jpology  for  Mm 
dnstead  of  his  Portrait;  and  tvrite  his  life  inaiead  of  giving  you 
ihe  Character  of  his  disposition. 

Danach  haben  wir  in  Flecknoe  das  Bild  eines  etwas 
achwachsiBnigen,  sonderbaren  und  eitlen,  aber  frommen  und 
sieht  unedlen  alten  Mannes  tot  uns.  Eine  Persönlichkeit, 
die  als  Dichter  ihrer  Zeit  etwas  zu  sagen  hat;  war  Flecknoe 
nicht ;  er  war  nicht  einmal  ein  bloßes  Formtalent.  Das  einzig 
Verdienstvolle,  das  wir  ihm  zuerkennen  müssen,  beruht  fast 
nur  in  seinem  steten  Auftreten  gegen  das  Unsittliche  und  Aus- 
sdiweifende  in  der  Dichtung  und  im  Leben  der  damaligen  Zeit 

IX. 

Ein  neues  Buhnenstiick. 

Dem  Zwecke,  die  Literatur  zu  „reinigen",  der  Flecknoe 
stets  Yor  Augen  schwebte,  diente  auch  das  Bühnenstück, 
das  im  folgenden  Jahre  1661  gedruckt  wurde  und  den  THtel 
trägt:  *^Erminia  or:  The  fair  and  virtuous  Lady,  A  Trage- 
comedy"^)  Gewidmet  ist  es  "7b  tthe  fair  and  virtuous  Lady> 
the  Lady  Southcoi^ 

In  der  Widmung  führt  der  Autor  dann  weiter  aus,  er 
müsse  gestehen,  daß  das  Stück  mehr  Lady  Southcot's  Ver- 
dienst sei  als  sein  eigenes.  Sie  habe  ihm  bei  der  Anlage 
des  Stückes  als  Vorbild  gedient;  von  ihr  habe  er  auch  die 
Inspiration  zu  seiner  Ausarbeitung  erhalten.  Auf  ihrem 
Landsitze  in  Westham  habe  er  es  in  Ruhe  und  fern  von 
allem  Trubel  der  Stadt  gedichtet.  Es  freue  ihn  daher,  daß 
er   sie    in   seinen    ^Heioick  Poriraits"    noch  nicht  gezeichnet 


')  Umdon,  Frinied  for  the  Auihor.    1661.    8«.    96  S. 


^    n  ^ 

*imd  verherrlicht  habe;  detm  das  kötme  >er  jdet  riel  >es8er 
in  der  Figur  der  Erminia  tun. 

Aus  der  Vorrede  zum  Stücke,  die  ^io  tke  (mly  few,  ihe 
besi  and  noblesf^  gerichtet  ist,  erfahren  wir  flodana  weitere 
interessante  Dinge.  Flecknoe  gesteht,  er  habe  die  Vorrede 
nur  deshalb,  wie  angegeben,  iiberschrieben,  weil  er  sein  Stück 
lediglich  zur  Zirkulation  unter  seinen  acHigen  Freunden  und 
Gönnern,  nicht  aber  für  die  Öffentlichkeit  habe  drucken  lassen. 
Wie  der  Fuchs,  dem  die  Trauben  zu  sauer  Bind,  erklärt  er 
weiterhin,  man  solle  nicht  die  Nase  darüber  rümpfen,  daß  er 
ein  Stück,  das  nicht  aufgeführt  worden  sei,  dennoch  habe 
erscheinen  lassen.  Er  habe  min  emnal  kein  Interesse  an  der 
Bühfie,  und  überlasse  sie  gerne  d«aen,  die  eines  hätten.  Br 
gebe  zwar  zu,  daß  das  Stück  dadurch,  daß  es  nicht  a«f  die 
Bretter  der  Bühne  komme,  tan  Kolorit  verliere.  Aber  vmtm 
man  es  im  l%eater,  von  Scbftnspielern  au%efühtt,  aneb  besser 
sehen  könne,  so  T^tmöge  man  es  doch  gedruekt  boiser  m 
Terstehen. 

Durch  eine  etwas  lebhafte  EmbiidiD||8kraft  lieAe  sich 
übrigens  die  szemsche  Anlfühmng  leieht  ersetzen.  Um  der 
Tielleicht  doch  nicht  genügend  refen  Phantasie  der  Leser 
nadizuhelf en ,  wolle  er  deshalb  die  Szenenwechsel,  die  Be- 
kleidung und  die  Namen  der  Schauspieler  angeben,  von  denen 
er  «8  am  liebst^i  geepielt  sehen  würde.  Doch  ein  Beweis, 
wie  bitter  er  die  NiditauiYÜhruog  seines  Slftekes  empfand! 

Das  Personenverzeichnis  lautet  nun: 

The  names  of  the   Persona:  The  actors*  namea: 


i  Z  Bird 


The  Duke  of  Missena  \  ^    .     .  , . 

I  CartufriglU 

Ihe  Prince  his  Son,  C.  Hart 

Qeander,  his  General  M,  Moon 

Ämtfiiier  his  friend  Buri 

^'**^'  l  Qmrtiers  of  {  ^^"^  <^  ^'  ^''^'^ 

Leontius  j  \       Argos  Wiuterton 

DimoigoraSf  a  aoldier 

Clinias     i  Two  of  Wat.  Ohm. 

CieaMo  \  Oleanders  siaves  Lacy 


—     72     — 

The  names  of  the   Persona:  The  actors*  names: 

ÄurindOy  alias  Cyn'ena, 

Princess  of  Argos  Mrs,   Win.  Marshai 

'ihe  Ditchessj  Mrs,  Marg,  Riiüer 

Erminia,  Cleatiders  Lady  Mrs,  Weai^r 

^,.   ,    J      The  Duchesses  Warnen 
Ohnda  | 

Althea,  Enninias  woman  Mrs,  Michel 

ServantSj   Guards  Sc. 

The  Scene:  Missena  in  Greece. 

Naiy-humoristisch  mutet  der  Prolog  an.  Flecknoe  hält 
dem  Publikum  vor,  daß  es,  wie  kleine  Kinder  nach  Spielzeug, 
80  nach  neuen  Stücken  schreie.  Habe  es  dann  wieder  ein 
solches  von  einem  Autor  erhalten,  so  mißachte  und  verwerfe 
es  dasselbe  und  begehre  nach  einem  neuen.  Trotz  dieser  be- 
trübenden Tatsache  habe  er  dem  Publikum  das  vorliegende 
neue  Stück  geboten,  um  zu  sehen,  ob  es  wirklich  eine  Zeit- 
krankheit sei,  daß  kein  Stück  mehr  Beifall  finden  könne.  Sei 
das  jetzt  auch  wieder  bei  dem  seinen  der  Fall,  so  wisse  er 
sich  zu  trösten;  er  steige  dann  einfach  von  der  Bühne  ins 
Parterre  hinab  und  verdamme  mit  dem  Publikum  die  Stücke 
anderer  Leute. 

Da  wir  uns  jetzt  in  der  Bestaurationszeit  befinden,  so 
erhält  der  Hof  noch  einen  eigenen  Prolog,  worin  Flecknoe 
versichert,  wie  er  das  bei  späteren  Werken  regelmäßig  tun 
wird,  daß  er  das  Stück  hauptsächlich  zur  Unterhaltung  Sr. 
Majestät  des  Königs  geschrieben  habe. 

Das  Stück  spielt  im  alten  Griechenland,  und  sein  Inhalt 
ist  kurz,  wie  folgt :  Der  Herzog  von  Missena  hat  nicht  seinen 
Sohn,  wie  man  allgemein  erwartete,  sondern  seinen  General 
Oleander  als  Befehlshaber  seiner  Truppen  in  den  attischen 
Krieg  geschickt,  um  sich  den  Zutritt  zu  dessen  Gemahlin 
Erminia,  zu  der  er  eine  heftige  Leidenschaft  gefaßt  hat,  zu 
erleichtem.  Aber  auch  der  Prinz,  sein  Sohn,  ist  in  Erminia 
vernarrt  und  sucht  durch  Bestechung  von  Erminia*s  Dienerin 
Althea,  sowie  durch  Vermittlung  seines  Pagen  Aurindo,  Zutritt 
zu  Erminia's  Gemächern  und  ihre  Gunst  zu  erlangen.     Da 


-     73     — 

kehrt  Cleander,  der  den  Krieg  glorreich  zu  Ende  geführt  hat, 
seinem  Heere  yorauseilend  plötzlich  nach  Hause  zurück, 
um  seine  geliebte  Grattin  zu  überraschen.  Zu  seinem  größten 
Erstaunen  findet  er  aber  den  Zugang  zu  seinem  Palaste  von 
Trabanten  verstellt,  und  sieht  dann  zuerst  den  Herzog  und 
später  eine  vermummte  Gestalt  sich  vom  Hause  entfernen. 
Da  schöpft  er  Verdacht  und  faßt  sofort  den  Entschluß, 
seine  Frau  auf  ihre  eheliche  Treue  hin  zu  prüfen.  Sein 
Freund  Amynter,  der  ihn  begleitet,  sucht  ihn  vergeblich  davon 
abzubringen. 

Als  Mohr  verkleidet,  bietet  er  Erminia  seine  Dienste  an, 
während  Amynter  einen  Brief  des  Inhalts,  daß  Oleander  noch 
immer  auf  dem  Kriegsschauplatze  festgehalten  werde,  dem 
Herzog  überbringen  muß.  Auf  diese  falsche  Nachricht  hin 
macht  der  Herzog  Erminia  sofort  wieder  einen  Besuch  und 
wirbt  drängender  um  ihre  Liebe;  sie  weist  ihn  aber,  wie  bei 
seinem  ersten  Besuche,  rundweg  ab,  was  den  als  stummen 
Mohr  zuhörenden  Oleander  bedeutend  beruhigt.  Bald  aber 
wird  er  von  neuer  Eifersucht  erfaßt,  als  er  die  Intimität 
Erminia's  mit  Aurindo  gewahrt.  Aurindo,  die  als  Prinzessin 
von  Argos  vom  Prinzen  wegen  seiner  Leidenschaft  zu  Er- 
minia verschmäht  worden  war  und  ihm  nun  als  Page  verkleidet 
dient,  hatte  sich  nämlich  Erminia  entdeckt  und  von  ihr  Hilfe 
in  ihrer  Liebesnot  erbeten  und  zugesagt  erhalten.  Aber  auch 
die  Herzogin,  die  Aurindo  natürlich  für  einen  Mann  hält,  und 
ihr  mit  Liebesanträgen  beschwerlich  fallt,  ist  über  die  schein- 
bar anstößige  Vertrautheit  zwischen  dem  Pagen  und  Erminia, 
die  ihr  Althea  verraten  hat,  über  die  Maßen  empört  und  sinnt 
in  ihrer  Eifersucht  auf  blutige  Bache.  Sie  bittet  ihren  Ge- 
mahl, Aurindo,  von  dem  sie  sich  Erminia's  wegen  verschmäht 
glaubt,  hinrichten  zu  lassen.  Aber  Leontius,  der  Höfling  aus 
Argos,  der  seine  Fürstin  in  der  männlichen  Verkleidung  längst 
erkannt  hat,  warnt  Aurindo  vor  der  drohenden  Gefahr.  Diese 
flüchtet  nun  zu  Erminia,  die  sie  in  ihrem  eigenen  Zimmer 
verbirgt,  was  den  Mohren  rasend  vor  Eifersucht  macht.  In- 
zwischen versucht  nun  der  Herzog  einen  letzten  Sturmlauf 
auf  Erminia's  Tugend;  er  besticht  den  Soldaten  Dimagoras, 
Erminia  zu  melden,  ihr  Mann  sei  auf  dem  Meere  ertrunken. 


—     74    — 

Wenn  «Erinima  ihren  Mann  tot  ^lamben  mufi,  hoflft  der  H«nog, 
«ein  Eiel  leichter  erreichen  zn  können.  Aber  Ermioia  ge- 
'bärdet  sich  bei  der  Schreckensbotschaft  ganz  troetloe  und 
föUt  gleich  in  Ohnmacht,  worauf  Dimagoras  auf  Andrängen 
Amynter's  den  Anschlag  eingesteht.  Als  sich  dann  der  fiei2ag 
«elber  einstellt,  um  ihr  heuchlerisch  sein  tielstes  Beileid  am- 
-zudrücken,  erfahrt  er  eine  letzte  Abweisung.  Auf  die  Kunde, 
Oleander  sei  ertrunken,  kommt  dann  auch  der  Prinz,  koi^ 
'dotiert  Erminia  und  tritt  zugleich  mit  seinem  Liebeswerben 
doppelt  ungestüm  hervor.  £rminia  geht  nach  einigem  Zögemi 
«cheinbar  auf  seine  Zumutung  ein  und  bitteft  ihn,  nachts  in 
ihr  Schlafzimmer  kommen  zu  wollen.  Auf  diese  Weise  will 
'sie  ihn  täuschen  und  mit  Cyrena,  in  die  sieh  Aurindo  jeM 
umgekleidet  hat,  y ereinen.  Der  Mohr  aber  hat  das  Gespräch 
tnit  angehört,  und  stürzt  nun  gegen  Abend  in  sinnloser  Eifer- 
-sucht  ins  Schlafgemach  Erminia's,  um  sie  dort  in  den  Armen 
jhres  Buhlen  mit  diesem  zu  töten.  Eh-  ist  der  Meinung,  sie 
wolle  an  zwei  Männer  zugleich,  an  Aurindo  und  an  den 
Prinzen,  ihre  Ehre  verlieren.  Zu  seiner  grenzenlosen  Über- 
Taschung  findet  er  aber,  als  er  mit  gezücktem  Schwerte  üben: 
die  Schwelle  des  Schlafgemaches  stürmt,  statt  des  jungen 
OSerrn  Aurindo,  ein  feines  Fräulein  vor,  das  Erminia  respekt- 
voll mit  „Hoheit"  anredet.  Beschämt  zieht  «r  eich  wieder 
zurück. 

Kun  bat  aber  die  verräterische  Althea  auch  den  Auf- 
enthaltsort Aurindo^s  erkundet  und  der  Herzogin  verraten,  die 
*sich  in  der  Nacht  mit  dem  Herzog  aufmacht,  um  das  Paar 
zu  überraschen.  Sie  begeben  sich  in  Erminia's  Palast  und 
pochen  an  ihrem  Schlafzimmer;  als  geöffinet  wird,  sind  sie 
^böchst  erstaunt,  den  Prinzen,  ihren  Sohn,  zu  sehen.  Ak 
•diesem  nun  die  Herzogin  die  gröbsten  Vorwürfe  'macht,  dftB 
'Or  sich  mit  einer  solchen  Dirne  wie  Erminia  eingelassen  habe, 
zieht  Cyrena  ihren  Schleier  zurück  und  gibt  sich  zum  all- 
gemeinen Erstaunen  als  Prinzessin  von  Argos  zu  erkennen. 
In  dieser  heiklen  Situation  bleibt  nun  dem  getäuschten  mti 
am  meisten  überraschten  Prinzen  nichts  anderes  übrig,  ak 
Oyrena  schleunig  für  seine  Frau  zu  erklären. 

Wie  sich  das  alles  nun  so  schön  aufklärt  und  entwickelt, 


—     76    — 

läidä  auch  Oleander  zu  seiner  keuachen  Gattin  tmcl  'wiofk: 
seine  Mobremnaske  ab.  Nach  einer  Weile  erscheint  dann 
vadk  er  mit  Erminia  anf  der  Bildää43he,  worantf  sich  alle 
Mifidentungen  und  Irrnngen  in  allgemeinfes  Wohlgefallen  tbkI 
gegenseitiges  Vergeben  aoflöaen.  Nnr  Althea  wird  aar  Strafe 
für  ihre  Untreue  von  ihrer  Herrin  ans  dem  Dienste  entlassen. 

Das  Stück  ist,  soviel  sich  ersehen  läJBt,  nicht  aufgeführt 
ivorden.  Jedenfalls  aber  ist  es  das  beste  Stück  Fleoknoe's 
«nd  hätte  das  Rampenlicht  viel  eher  ertragen  als  das  durcdi- 
gie&llene  **Lave^8  Kingdom^\  Ea  hat  eine  reiche,  verwickelte, 
spannende  Handlung,  und  die  Charaktere  sind  mit  ziemlicher 
^Folgerichtigkeit  gezeichnet.  Frezlioh  darf  man  aucli  hier 
fainen  za  streiken  Maßstab  anlegen.  DaB  sich  z.  B.  die 
als  so  überaas  sittenstreng  geschilderte  SSrmiiiia  zu  dem  ge- 
fährlichen Abenteaer  zugansten  Oyrena's  bereit  finden  laßt, 
ist  nicfat  recht  glaublich.  Auch  daS  sich  der  Herzog,  der 
im  Verlaufe  des  Stückes  Enninia  mit  allen  Mitteln  zum  Ehe- 
bruch zu  verführen  sucht,  am  Schlüsse  als  wackeven  Biedeiv 
mann  entpuppt,  und  noch  dazu  erklärt,  er  habe  nur  in  bester 
Absicht  Erminia  auf  die  Probe  stellen  wollen,  ist  eine  grobe 
ünwahrscheinlichkeit. 

In  recht  glücklicher  Weise  ist  dagegen  das  humoristische 
Element  im  Stücke  verwendet.  Die  zwei  Sklaven  Cleander's, 
Clinias  und  Cleobulo,  freuen  sich  riesig,  daß  sie  einen 
schwarzen  Genossen  bekommen.  Sie  hoffen  an  ihm  einen 
Prügeljungen  zu  haben,  an  dem  sie  ungestraft  ihren  Mutwillen 
ftuslsBsen  könnten.  Aber  so  oft  sie  ihm  einen  Sehabemack 
spielen  oder  ihn  -prügeln  wollen,  bekommen  sie  die  Schläge  und 
■QnUereien  von  dem  kräftigen  und  resolaten  Mofaren  jedesmal 
nk  Zinseszinsen  zurück,  so  daß  sie  zuletzt  sehr  froh  sind, 
ak  sich  der  angebliche  Mohr  imd  Mitsklave  als  ihr  Heer 
-entpuppt. 

Wenn  Fkdcnee  im  Epiloge  zu  dem  Stücke  meint,  dafi 
nUe  Zuschauer,  die  es  auf  der  Bühne  spielen  sehen,  dadurch 
das  Theater  reinigen  und  heben  helfen,  so  ist  das  doch  cum 
grano  salis  zu  verstehen.  Für  seine  Zeit  bedeutet  das  Stück 
^  wohl  einen  Fortschritt  zam  Moralischen  hin;  aber  absolut 
fenoQBiimen  ist  die  Atmosphäre  des  Glänzen  —  mit  Ausnahne 


—  To- 
des Charakters  der  Erminia,  die  sich  aber  auch  allzu  leicht 
zu  dem  Abenteuer  für  Cyrena  bereit  findet  —  immer  noch 
eine  ziemlich  schwüle,  so  daß  das  an  bedenkliche  Stoffe  aller 
Art  gewöhnte  Publikum  auch  in  dieser  Beziehung  auf  seine 
RechnuDg  gekommen  wäre,  wenn  das  Stück  eine  Aufführung 
erlebt  hätte.  Die  Bemerkung  Langbaine's,  Flecknoe  habe 
das  Publikum  überreden  wollen,  ^that  Imagination  wotdd  supply 
ihe  defeci  of  Action",  ist  jedenfalls  für  dieses  handlungsreiche 
Stück  unzutreffend,  und  gerade  dieser  B^ichtum  an  Handlung 
hätte  dem  Stücke  zu  einem  Erfolg  auf  der  Bühne  wohl  ver- 
helfen können. 

Über  die  Wahl  des  Namens  ^Erminia"  finden  sich  ver- 
schiedene Andeutungen  im  Stücke.  Flecknoe  will  eine  Frau 
schildern,  deren  besondere  Eigenschaft  die  Keuschheit,  die 
Reinheit  ist.  Er  vergleicht  sie  nun  mit  dem  Hermelin,  dessen 
Fell  von  fleckenloser  Weiße  ist,  und  bildet  aus:  ermine  = 
Hermelin,  den  Namen  Erminia.  So  sagt  Erminia  in  der 
4.  Szene  des  1.  Aktes: 

"TÄew  if  ihey  stir  abroad^  tke  world's  so  foul  and  diriy,  how 
idcely  one  must  go,  and  step  by  siep  pick  out  their  way^  not  to 
defile  their  Ermine  piirity?" 

Und  in  der  4.  Szene  des  3.  Aktes  heißt  es  noch  deut- 
licher : 

"OÄ  ye  Gods!  Erminia  is  as  white  I  see  as  is  her 
name  ar  mnocence  itself,  and  Fm  o'rjoyed  with  it/' 

Die  Handlung  des  Stückes  zeigt  reiche  Anklänge  an  das 
Drama  der  Shakspere'schen  Zeit.  So  erinnert  Cyrena,  die 
als  Page  verkleidet  ihrem  Geliebten  dient,  an  die  gleichfalls 
als  Page  auftretende  Viola  in  Shakspere's  „Was  ihr  wollt" 
und  an  Imogen  in  „Cymbeline".  Auch  in  den  "Two  Gentle- 
men  of  Verona"  ist  dieses  Motiv  schon  verwendet.  Die  Unter- 
schiebung der  treulos  verlassenen  Cyrena  an  Stelle  der  Er- 
minia meist  unwillkürlich  auf  „Ende  gut,  alles  gut"  hin,  wo 
Bertram  seine  rechtmäßige,  aber  von  ihm  verlassene  Gattin 
Helena  untergeschoben  wird,  und  auf  „Maß  für  Maß",  wo 
das  gleiche  Motiv  begegnet.  Das  Grundmotiv  des  Stückes, 
das  Liebeswerben  eines  Fürsten  um  die  Gattin  seines  für  ihn 


—     77     — 

Krieg  führenden  Generals,  bildet  wohl  eine  Erinnerung  an 
das  pseudoshakspere'sche  Stück  "King  Edward  III",  in  dem 
auch  das  Werben  des  Königs  an  der  Tugend  der  Gräfin 
Salisbury  scheitert.  Femer  könnte  das  Stück  "The  Faithful 
Friends"  von  Beaumont  und  Fletcher  hier  Pate  gestanden 
haben.  Der  König  Titus  Markus  von  Rom  sendet  nämlich 
in  diesem  Stücke  seinen  Günstling  in  den  Krieg,  um  dessen 
neuYermählte  Frau  für  sich  zu  gewinnen,  kommt  aber  damit 
nicht  zu  seinem  Ziele.  Daß  die  liebende  Oyrena  als  Aurindo 
noch  den  Liebesboten  zwischen  dem  Geliebten  und  der  Bivalin 
machen  muß,  ist  ein  Motiv,  das  Flecknoe  bereits  in  ^Lov^s 
Dominion'*  benützt  hat  und  das  vielleicht  eine  Reminiszenz 
aus  Shakspere's  „Was  ihr  wollt"  ist. 

In  ähnlicher  oder  gleicher  Weise  finden  sich  die  Motive 
und  Situationen  des  Stückes  in  verschiedenen  Dramen  der 
Restauration  und  der  ihr  vorhergehenden  Zeit. 

Da  sich  Flecknoe  hier  auf  realerem  Boden  bewegt  als 
in  seinem  phantastischen  "Love^s  Dominion",  so  ist  auch  die 
Sprache  in  der  ^Enninid!^  natürlicher  geworden.  Der  größte 
Teil  des  Stückes  ist  in  Versen  geschrieben,  und  zwar  wechseln 
heroic  couplets,  Blankverse  und  unregelmäßig  gebaute  Zeilen 
aller  Art  miteinander  ab.  Die  Verse  sind  fast  stets  derartig, 
daß  man  sie  nur  durch  die  Hervorhebung  am  Druck  als 
solche  erkennt.  Eigentlich  sind  sie  Prosa.  Schwülstige  Stellen, 
die  den  Einfluß  der  Arcadia  erkennen  lassen,  finden  sich 
zwar  auch  hier,  sind  aber  nicht  so  zahlreich  und  aufdringlich 
wie  in  anderen  Werken.  So  sucht  der  Prinz  z.  B.  Erminia's 
eheliche  Treue  durch  folgende  Phrase  wankend  zu  machen: 
"'7\1»  crime  in  Oleander  to  appropriate  to  himself  an  universal 
goodj  and  injusiice  in  you  to  consent  unto  tK  impoverishing  the 
World  to  enrich  Cleander^s  bed.^'  Von  schlechtem  Geschmack 
zeugt  auch  die  Szene,  in  der  sich  der  Prinz,  als  Kriegsgott 
Mars  verkleidet  und  auf  einem  Piedestal  stehend,  von  der 
arglosen  Erminia  um  glückliche  Heimkehr  ihres  Gatten  aus 
dem  Kriege  anflehen  läßt.  Als  die  Statue  des  Pseudogottes 
zum  Entsetzen  Erminia's  dann  plötzlich  lebendig  wird,  erklärt 
der  Prinz  galant:  "T/s  your  beauty,  fairest,  Iias  given  me  Life 
and  motion;   and  if  in  tJie  cold  veins  of  frozen  marble  H  lias  the 


—    7»     — 

tmrtiwus  foroe  to  inapm  and  infiise  mfk   spirii  and  vital  Kao^ 
imagine  in  my  hoeom  ivkai  ii  must  nemi»  beffet." 

Das  hätte   Sir  Philipp   Sidney   auch   oicdiLt  viel   belBMr 
machen  kömien. 


X. 

Eme  Umarbeitmig  von  ^Love's  Domnion'^  mbst  Maor 
AbhandJfing  Ober  die  englische  Bfthne. 

Endlich  sollte  ein  Wunsch  Flecknoe's,  den  ec  seit  langem 
gehegt  hatte,  wirklich  in  ElrfüUnng  gehen :  Eines  seiner  Stücke 
wurde  aufgeführt.  Diese  Tatsache  erfahren  wir  aas  dem 
Titel  der  1664  erschienenen  Neuau^abe  und  Umarbeitung  von 
^Lovt^s  Dominion''.  Sie  trägt  die  Aufschrift:  ^^Loves  King^ 
dorn.  A  Pastoral  Trag^Comedy.  Not  as  it  toas  acted  at  ihe 
Theaire  near  Ldncoln's  Jnn,  bui  as  it  was  wrütenj  and  sinee 
oorrected."  Gewidmet  ist  das  Stück  diesmal  dem  Herzog  von 
Newcastie.  Aus  dem  Wortlaut  der  Widmung  erfahren  wir 
sodann,  daß  das  Stück  bei  der  Aufführung  durchfiel.  Über 
die  Gründe  äußert  sich  Flecknoe  wie  folgt:  ^The  People^  who 
(as  one  says  weil)  are  Judges  tmihotä  Judgmentj  had  eondemn^d 
ikis  Play  on  the  Stage,  for  want  of  being  rightly  represented  tmto 
them ;  at  which  many  noble  Persons  were  so  much  offendedj  as  I 
Goutd  not  in  any  one  Act  do  it  mare  right,  or  give  them  more  satis- 
factionj  then  by  Printing  it,  io  shew  Ha  Innocence."  An  dem 
Mißerfolg  sind  also  nur  das  Publikum  und  die  Schauspieler 
schuld;  die  es  nicht  richtig  aufgeführt  haben !  Um  dem  Leser 
nun  das  Verbrechen  der  Schauspieler  recht  zu  beweiseo,  gibt 
Flecknoe  genau  sein  Bühnenmanuskript  in  der  vorliegenden 
Ausgabe  wieder.  Das  ist  aber  für  jeden  Urteilsfähigen  nichts 
anderes  als  eine  glänzende  Rechtfertigung  der  Schauspieler; 
denn  Love^s  Dominion  wäre  noch  aufzuführen  gewesen, 
aber  das  umgearbeitete  Love's  Kingdom  mußte  Ton  vorn- 
herein Fiasko  machen ;  wenn  die  Rßgie  das  Stück  daher  etwas 
veränderte  und  zurechtschnitt^  so  tat  sie  es  sicher  im  lateresse 
des  Autors  und  des  Stückes. 

Die   Umarbeitung  und   „  Verbesserung^'  des  Stückes  ist 


-^    79*    — 

ainilich  in  jedev  Beziehung  eine  ,fVerböaerang^^  geworden. 
So*  ist  gleich  die  Binfiibcung  dev  Yena3,  die  aii6  dian.  Wölken 
hai!ab<  einen  guilanten  Ptolog  apricht, .  als  verfehlt  und)  ge* 
aefamftekle»  zu  betiraeht^b  Mehr  nebensächlicher  Natur  ist 
die  Umwandlnng  de».  ^^Liebeepapates'^  Philostrates  in  einrai 
Sheetimaa^  den  den  Titel  ^^Lave^s  Ärch-FUmtin!^  führt  Folydoir 
ndrd  Atta  einem  ^^L&m\s  MiniMer*^  zu  einem  ^'Love^s  Inqmail(yii^\ 
Nen  i«b  die  Vignr  dea  Dit^phanee,  Advokaten  am  Gerichtshof 
dar  liebe ;  aus  der  Nymphe  der  Flammette  ist  ein^  Amasantha^ 
^'Qcvemesa  of  ike  Nymphs^',  geworden.  Bellinda  muß  jetzt 
achon  nach  dreimonatlichem  Aufenthalte  schwören,  da&  sie 
jemand  auf  der  Insel  liebe ;  zugleich  wird  am  nämlichen  Tage 
die  Jahireaflaier  der  Ankunft  der  Venus  auf  Cypem  abgehidten. 
Die  Hanpthandlung  geht  im  großen  und  ganzen  wie  früher 
weiter.  Nur  am  Schlüsse  ist  die  Änderung  eine  ebenso  aua- 
gadehste  wie  ungeachickte.  Diesmal  wird  nämlich  Palaraon 
(so  heißt  jetzt  Euphanea)  auch  durch  den  Vergiftungsveraucb 
ITilena's  noch  nicht  gerührt  Theotimus  gebietet  ihm  nuQ> 
daa  Herz  der  Filena,  das  er  geraubt,  ihr  wieder  zurückzu- 
erstatten und  ihr  sein  Herz  dazu  zu  schenken.  Der  Buchlose 
weigert  sich  dessen  aber  entachieden  und  soll  daher  als  Love^s 
RsbeU  zur  Strafe  auf  eb  ödes  Eiland  yerbannt  werden.  Aber 
anch  das«  nutzt  noch  nichta.  Palamon  erklärt  yielmehr  kalt- 
blütig, er  könne  wohl  den  Ort,  aber  nicht  sein  Herz  ändern» 
Da  tritt  plötzlich  ein  furchtbares  Erdbeben  ein,  der  Liebes- 
tempel erstrahlt  in  hellstem  Grianze  und  die  Liefoesgöttin 
schwingt  eine  flammende  Packel.  Durch  dieses  Wunder  wird 
muL  natürlich  auch  Palamon's  steinhartes  Herz  erweicht;  er 
siokt,  von  Liebesgluteu  verzehrt,  zu  Boden  und  heiratet  dann 
—  Filena.  Damit  ist  nun  glücklich  bewiesen,  daß  die  Liebe 
ayieh.  die  härteeiten  Herzen  erweicht,  und  die  Geschichte  zu 
Ende. 

Li  der  Nebenhandlung  wird,  die  wirklich  komische  Szene, 
in  der  Flammette  den  Pamphilua  mit  der  Puppe  narrt,  dies- 
mal weggelassen,  und  Pamphilus  ein&ch  mit  Kastration  be« 
droht,  weim  er  nicht  von  den  Nymphen  ablasse. 

Die  in  der  ersten  Fassung  eingehaltene  Szeneneinteilung 
ist  hier  angegeben. 


—     80     — 

Dem  bösen  Publikum  gegenüber,  das  sein  Stück  durch- 
fallen ließ,  begründet  Flecknoe  die  Vorzüglichkeit  seiner 
Leistung  im  einzelnen.  So  sagt  er  im  Vorwort:  "TÄe  greatest 
fault  in  this  kind  of  writing,  is  to  err  against  Art  and  Decorum 
(sie!)  of  which  I  hope  this  Play  w  /ree";  so  frei  allerdings,  daß 
nichts  Natürliches  mehr  daran  ist.  Zu  der  kritischen  Frage, 
ob  Blankvers  oder  nicht,  die  in  der  Restaurationszeit  eine 
so  große  Rolle  spielte,  nimmt  hier  auch  Flecknoe  Stellung. 
Er  bemerkt:  *^For  the  Rkißne^  His  more  excusahle  in  Pastorals, 
then  in  other  Plays;  and  wliere  I  leave  tlie  Rhynie  or  numbers, 
I  imagiWd,  that  as  a  good  Actor  ivas  like  a  good  Singer^  so  a 
good  Play  was  like  a  good  song ;  wliere  Uis  not  necessary  all  notes 
shu'd  he  of  equal  length^  Wie  in  der  ersten  Bearbeitung,  so 
ist  auch  hier  der  größte  Teil  des  Stückes  wirklich  im  blank 
verse  geschrieben,  der  aber  nicht  nur  sehr  unregelmäßig,  sondern 
auch  oft  recht  holprig  und  unpoetisch  gebaut  ist.  Die  Hand- 
lung des  Stückes  findet  Flecknoe  sodann  ^hieai  and  handsoTne^^(J)j 
die  Sprache  ^'sofi  and  gentle,  suitable  to  the  persons  who  speak, 
mittler  on  the  ground,  7ior  in  ilie  clouds;  bui  just  like  the  Stage, 
somewhat  elevated  above  Die  common^\  Aber  weder  das  ge- 
schraubte Pretiösentum  der  edlen  Figuren,  noch  die  Zotereien 
des  Pamphilus  können  den  Eindruck  beseitigen,  daß  der  Autor 
absolut  keine  wirklichen  Menschen,  keine  Individualitäten 
zeichnen  kann. 

Diesem  verunglückten  Stücke  ^^Love^s  KingdonC^  ist  in 
seiner  Ausgabe  von  1664  eine  wichtige  Abhandlung  bei- 
geheftet, die  "-4  Discourse  of  the  English  Stage'^  be- 
titelt ist.  Dieser  Essay  wird  von  Langbaine  als  Flecknoe's 
bestes  Werk  angesehen,  und  Hazlitt^)  hat  ihn  sogar  in  un- 
serer Zeit  neu  herausgegeben. 

Flecknoe  hat  seine  Auslassung  in  die  Form  eines  Briefes 
an  den  Marquis  von  Newcastle  gekleidet. 

Er  beginnt  mit  einer  kurzen  Geschichte  des  Dramas  bei 
den  Italienern,  Spaniern  und  Franzosen.  Dann  leitet  er  auf 
das  englische  Drama  über,   dessen  Anfänge  und  Entwicklung 


*)  Jlie  English  Drama  and  Stage  under  the  Tudor  and  Stuart  Frinces 
1543—1664.    (In  der  Roxburghe-Bibliothek)  1869.  275—281. 


—  Bi- 
er etwas  breiter  beschreibt.  Von  den  ElisabethEnern  s&gt  er : 
**7n  tfns  iime  W€ire  Poets  and  Actors  in  th&ir  greaiest  fUmriah^ 
Johnson^  Shakespectr,  unth  Beaumont  and  Flekher,  (heir  PöeiB,  and 
Fidd  and  Bwrbidge^  tkeir  Aetors,  For  Plays,  Shakespear  was  <me 
of  the  first  who  inverted  ths  Dtamatidc  Style,  front  duü  History 
io  quick  Comedy,  upon  whom  Johns&n  refin^d,  as  Beaumoftt  and 
Fleteher  ftrsi  imit  in  the  Heroiek  loay,  upon  whöm  StoMing  and 
alhers  endeavournd  to  refins  agen;  one  saying  taittikf  ofhis  Ayhura, 
tkat  't  was  fuü  of  ftne  flowers  bui  thsy  seem^d  raiher  stuck,  th&n 
growing  tksre  ;  a»  another  of  Shakespeares  wrUing,  that  H  was  a  ftne 
garden  bui  ii  wanted  weeding" 

Der  französische  Einfluß,  der  Flecknoe  bei  seinen  eigenen 
diamaiiseheo  Arbeiten  die  drei  anstotelischen  Suiheiten  so 
ausdrücklich  festhalten  ließ,  macht  sich  audi  hier  fiihlbar; 
So  beiaerkt  er  über  da»  englische  Theater  im  Gegenaatse  znni 
französisehen:  ^Tkere  are  few  of  our  Engiisk  Plays  (eoDcepüng 
oniy  sofne  few  of  Johnsons)  unihofä  some  ftaslis  or  other;  and 
if  the  Freneh  Jiave  fewer  then  our  Engldsh,  ^tis  beeause  tkey  eonfine 
ihsmselives  to  narrower  lifrvUs,  and  eonsequenUy  have  less  liberty 
to  erreJ'^ 

Die  hauptsächilichsteu  Fehler  der  englischen  Dramatiker 
bestehen  nach  Flecknoe  darin,  daß  sie  ihre  Stüebe  zn  sehr 
mit  Handlung  überladen  und  sie  zu  lang  und  zu  verwickelt 
werden  lassen,  so  daß  sich  der  Zuschauer  inü  Theater  gar 
nicht  mehr  auskenne. 

Er  selber  beschreibt  dann  folgendermaßen,  wie  ein  gutes 
Stück  beschaffen  sein  soll:  ^A  good  Play  shu^d  he  like  a  good 
stuff,  closely  and  evenly  urrought,  wiüiout  any  breakes,  ihrums  or 
hose  ends  in  ^um,  or  like  a  good  Picture  well  painted  and  de- 
signed;  the  Plot  or  Contfivement,  the  Design,  the  Wrüing,  the 
Cohris,  and  Counterplot,  the  Shadowings,  toiÜi  other  E^Tibeüishments ; 
or  finally,  it  shu'd  be  like  a  well  coniriv^d  Garden,  cast  into  its 
Walks  and  Counterwalk^ ,  bettoixt  an  AUey  and  a  Wildemess, 
neither  too  plein,  7wr  töo  confas^d," 

Die  allgemeine  Anschauung  seiner  Zeit,  die  Ben  Jonson 

über  Shakspere  stellte,  teilt  Flecknoe.    Er  bemerkt  über  die 

einzelnen  Dramatiker :  "  To  compare  our  EngUsh  Dramaiick  Poets 

togeiher    (unthaut   taxing   them)    Shakespear  exceUed  in  a  nakiral 

Münchener  Beiträge  z.  romaniichen  u.  engl.  Philologie.  XXXIII.      6 


Fetn,  Fletcher  in  Wii,  and  Johnson  in  Gravüy  and  Ponderousness 
of  Style;  whose  only  fatUt  waSf  he  was  too  elaboraie;  and  had  he 
mixt  less  erudition  wüh  his  Playes^  they  had  been  more  phasant 
and  deUghtful  then  they  are.  Comparing  htm  wUJi  Shakespear  you 
shaü  see  the  difference  hetwixt  Naiure  and  Art;  and  wiih  Fletcher ^ 
ihe  difference  betimxt  Wit  and  Judgment.'^^ 

Beaumont  und  Fletcher  findet  er  ausgezeichnet  in  ihrer 
Art ;  nur  wußten  sie  das  Dekorum  nicht  zu  wahren.  Nament- 
lich Fletcher  wirft  er  nicht  ohne  Berechtigung  yor,  daß  er 
^t?uit  loitty  obscenity''  in  seineu  Stücken  eingeführt  habe,  ^whick 
like  Poi^on  infus*d  in  pleasant  liqiwr,  is  akoays  the  more  dan- 
gerous  the  more  delightftUJ^ 

Von  den  Dichtern  leitet  Flecknoe  auf  die  Schauspieler 
über,  von  denen  er  namentlich  Field  und  Burbadge  preist. 
Der  fanatisch  puritanischen  Richtung  gegenüber,  die  das 
Theater  als  Teufelswerk  überhaupt  verwarf,  verteidigt  es 
Flecknoe  warm  als  harmlose  und  unschuldige  Erholung.  Dar 
bei  wiederholt  er  seine  schon  früher  ausgesprochene  Forderung^ 
das  Theater  müsse  moralisch  und  erzieherisch  zu  wirken 
suchen.  Zuletzt  streift  er  noch  das  Regiewesen  der  Bühne 
und  schließt  mit  dem  Geständnis,  er  habe  sich  deshalb  so 
über  die  moderne  Bühne  verbreitet,  um  anderen  Gelegenheit 
zu  geben,  sich  ebenfalls,  und  eiDgehender  als  er,  über  die 
Sache  zu  äußern. 

XI. 

Neuausgaben  der  „Charakterbilder''  und  eine  Sammlung 
verschiedener  Arbeiten. 

Im  folgenden  Jahre,  1665,  erlebt  Flecknoe  die  Freude, 
eine  zweite  Auflage  der  ^Enigmatical  Charactcrs^^  ^)  heraus- 
geben zu  können.  Die  „Charaktere"  scheinen  wirklich,  und 
zwar  verdientermaßen,   großen  Anklang  gefunden   zu  haben. 


*)  Sixty  nine  Eyiigmatical  Char acter 8^  all  very  exactly  drawn  to  the 
Life.  The  Secand  Edition  by  the  Author  R.  F.  Esquire.  For  W.  Crook: 
London,  1665.    Entspricht  inhaltlich  genau  der  ersten  Ausgabe. 


83     — 

denn  der  Autor  sah  sich  veranlaßt,  Doch  im  Dämlichen  Jahre 
eine  nochmalige  und  diesmal  stark  veränderte  Ausgabe  des 
Werkes  erscheinen  zu  lassen.  Der  Titel  lautet:  ^^Äenig- 
matical  Characters.  Being  rather  a  New  Work  then  New 
Impression  of  tke  Old.     London  1665" 

Ein  Huldigungsgedicht  an  Karl  11.  leitet  das  Buch  ein. 
Flecknoe  scheint  allerdings  Grund  gehabt  zu  haben,  dem 
König  zu  schmeicheln,  denn,  wie  er  mit  Stolz  im  Vorworte 
hervorhebt,  haben  seine  ** Characters^*  die  Ehre  gehabt,  "to 
have  plea^ed  crowned  Heads.^*  Femer  erfahren  wir  an  der 
gleichen  Stelle,  daß  der  Herzog  von  Gloucester  über  sie 
geurteilt  habe,  ^Hhat  some  of  them  were  the  best  as  ever  ke 
had  read,**  Flecknoe  wiederholt  sodann  nachdrücklich  seine 
moralische  und  erzieherische  Absicht,  die  er  mit  der  Ver- 
öflfentlichung  des  Werkes  habe.  Weiterhin  erfahren  wir, 
daß  sich  viele  Leser  über  die  „Schlüssel'  zu  den  einzelnen 
Charakteren  die  Köpfe  zerbrochen  haben.  Dazu  sagt  der 
Autor,  daß  er  niemandem  den  Gefallen  tun  wolle,  die  Namen 
der  Personen,  die  er  im  Auge  gehabt  habe,  auszuplaudern. 
Wer  daher  als  Urbild  dieses  oder  jenes  „Charakters"  eine 
bestimmte  Persönlichkeit  nenne,  tue  es  lediglich  auf  seine 
Gefahr  hin;  er  wolle  nur  soviel  verlauten  lassen,  daß  er  die 
Herzogin  von  Lothringen  und  ihre  Schwester  in  eiDigen 
„Charakteren"  gezeichnet  habe. 

Mit  der  Widmung  bekundet  Flecknoe  diesmal  einen  ge- 
sunden Humor.  Da  die  Herzogin  von  Lothringen,  der  die 
erste  Ausgabe  gewidmet  war,  inzwischen  das  Zeitliche  gesegnet 
hatte,  widmet  nun  Flecknoe  die  vorliegende  Ausgabe  einer 
anderen  Dame,  die  er  aber  nicht  nennen  will,  da  es  dem 
Wesen  des  ganzen  Buches  entspreche,  wenn  der  Name  ^^enig- 
ffiatkal"  bleibe. 

Inhaltlich  hat  Flecknoe  die  neue  Ausgabe  um  neun 
Stücke  vermehrt,  und  die  alten  neunundsechzig  hat  er  teil- 
weise umgearbeitet.  Von  den  neuen  „Charakteren"  bietet 
der  eines  ^*Mendicani  Irish  Priest**  besonderes  Interesse,  sowohl 
in  kulturhistorischer  Beziehung,  als  mit  Rücksicht  darauf,  daß 
sich  aus  dieser  Tatsache  ein  Schluß  auf  Flecknoe's  Nationalität 
ziehen  läßt.     Wenn  er  nämlich  selber  so  ein  armer  ^^mendicant 

6* 


—    84    — 

Msh  priesf-  gewesen  wäre,  hätte  er  sich  wohl  kanm  so  de« 
^ektierltch  über  diese  Menschenklasse  ausgelassen. 

Das  Stück  läutet :  ^^Hb  goes  otfer  seas  in  tro^mes^  and  ihere 
turne  heggar  before  he  tums  siudeni ;  and  learne  the  ari  of  oraving 
hefore  any  other  Art:  By  which  he  hrings  aü  the  town  where  he 
lims  inio  contributum  for  his  maintenaneef  one  gwing  kim  viduals, 
a/nother  clothes,  even  io  the  devoiä  honest  cobbleTj  who  givee  him 
the  mending  of  his  brougs  or  shoea.  If  they  he  many  of  them^ 
they  heg  some  old  house  or  other  (which  they  call  a  CoUegeJ  and 
there  live  together  like  so  many  heggar s  in  a  ham;  and  to  stir  up 
the  people^s  oharity  and  compaesum  toward$  them,  they  teil  ihem 
ktmeniable  stories  of  Irelandf  and  St.  Patrieks  Purgaioryf  ft&hich 
they  helieve  the  sooner^  heeause  they  look  like  so  numy  poor  fools  come 
out  of  it  themselves,)  Having  thus  provided  for  his  other  necessiUes, 
he  hegs  his  learning^  and  having  goi  a  few  scraps  of  Laim  togeiher^ 
is  made  Priest;  when  like  a  ragged  coUj  he  changss  his  coat  for 
a>  cassocky  so  old  and  threadbarey  asH  hos  neither  lining  nor  outside, 
and  yau  wotM  doubt  wherever  H  were  new  or  no.  Then  by  re*- 
commandation  to  some  under-SacrisUmj  Jie  gets  to  say  DirgeSy  Inf 
which  and  the  candles  endsy  he  picke  up  a  prüty  living,  and  is  as 
sure  as  the  beggars  of  the  parish  to  he  ai  every  dole  and  funeral. 
After  thisy  if  he  gel  a  Ghappel  of  some  twenty  Nobles  a  year^  or  to 
he  under-Pater  to  some  monastery  of  nims,  he  thinks  himself  a 
bishop  and  very  Patriarch;  and  if  he  chanoe  to  come  to  any  higher 
promoHon,  he  is  gloriousy  as  all  this  is  forgot,  and  in  short  time 
himself  tooj' 

Von  den  übrigen  neuen  Stücken  wären  noch  "O/"  a 
Chimerieal  Poe^^  und  ^^Of  your  fanaiic  Refornwrs^  zu  erwähnen; 
das  letztere  ist  gegen  die  Katholikenhasser  gerichtet. 

Die  folgende  Publikation  Elecknoe's,  die  1666  unter  dem 
Titel  "j1  Farrago  of  Several  Pieces",  erschien,  ist  ein  Sammelwerk 
wie^  die  *^Mi8cellama*\  Das  Werkchen  ist  der  Herzogin  von 
Newcaatle  gewidmet,  deren  Gastfreundschaft  und  Unterstützung 
Flecknoe  lange  genoß,  wie  er  angibt.  Auf  der  Besitzung  der 
Herzogin  in  Welbeck  sei  das  Buch  auch  entstanden. 

Im  Vorwort  erklärt  er  daim  ausdrücklich,  er  schreibe 
diese  kleinen  Sachen  nur  zum  Vergnügen  seiner  Erevmde  und 
nicht  für  die  Kritiker,   die  zu  gescheit,   oder  für  den  Pöb%l, 


—    88    — 

fler  zu  dumm  sei.  ^^I  pubUsh  thism  cnely  for  my  friends,  and 
skould  he  sarry  ihey  shotüd  cowie  into  ihe  hands  of  any  otherj* 
'Br  habe  nicht  den  Ehrgeiz,  sie  in  der  fiodleiana  zn  seilen, 
bemerkt  er.  [Das  einzige  Exemplar  dieses  Werkes,  das  iinir 
bekannt  wurde,  befindet  sich  nun  gerade  in  .der  Bodhiana.] 
Wenn  andere  Leute  fttr  den  Nachruhm  sefarieben,  so  .schreibe 
er  nur,  um  nicht  schon  bei  'Lebzeiten  für  tot  .zu  gelten. 
'^  When  I  am  dead^  let  posterity  ditpose  of  my  memory  as  it  pleases. 
Älwe,  1  deaire  to  live  uMi  this  r^puktHon,  of  .conaennng  an  tn- 
vidable  faüh  unio  my  friends,  a  loyal  heart  to  my  prinee  and  a 
good  conscienee  to  Almighty  Qod^ 

Das  Buch  beginnt  mit  eiuem  aufierordentlich  geechmack- 
lostti  •  Gedicht  auf  die  Schwangerschaft  der  Königin,  dem  ein 
eben  «olöhes  auf  ihre  Fehlgeburt  folgt.  Beide  sind  in  heroic 
eouplets  abgefaßt.  Weiterhin  finden  wir  eine  Reihe  von  Ge- 
legenheitsgedichten zum  Preise  «einer  Gastgeber  in  Welbeck. 
So:  ^^To  Jan  US.  Becomfnending  Welbeck  to  him,  On  Newyean^ 
day  1666.''  ^^On  the  Dtächees  of  Netoeastles  CtosetJ'  ^,On  Wel- 
beekJ'  **The  Birth-Day.*'  Diese  -Stücke  zeichnen  sich  durch 
'fade,  übertriebene  Schmeicheleien  und  durch  Mangel  an  dich- 
terischen Qualitäten  in  gleicher  Weise  aus.  Li  den  späteren 
Sammlungen  von  1670,  1671  und  1673  finden  sie  sich  zum 
größten  Teile  wieder.  Auf  die  Yerse  folgt  dann  eine  schwülstige 
Verherrlichung  in  Prosa:  ^TJie  Pourtrait  of  Margaret  Dutckees 
of  Newcastle^\  in  welchem  Stück  die  Herzogin  besonders  als 
Dichterin  und  Philosophin  gepriesen  wird. 

Der  Baronin  Bromley  erteilt  er  dann  gute  Batschläge 
•über  Erziehung.  Eine  Hauptsache  sei  die  Wahl  richtiger 
-Erzieher.  Man  solle  dazu  lieber  kluge  als  gelehrte  Leute, 
lieber  Gentlemen  als  Pedanten  und  lieber  erfahrene  Männer 
ab  Bücherwürmer  wählen.  Vor  allem  aber  müsse  der  Er- 
zieher tief  religiös  sein,  denn  ee  gingen  mehr  Seelen  aus 
Mangel  an  guten  Erziehern  als  Kinder  durch  schlechte 'Heb- 
ammen zugrunde. 

In  einem  weiteren  Stück  spricht  er  in  faden  Gemein- 
plätzen über  die  Wahl  eines  Weibes.  Nachdem  er  sich  dann 
noch  *^0f  Benefifs^'  verbreitet  hat,  schiebt  er  eine  Beihe  von 
^Charaeier^'   eio.      "0/"  one  who  ehanges  day  into  nigh(\   ^^Of 


—    86     — 

a  French  Taylor",  ^^Of  an  Old  Bachelor'',  *'0f  a  Wife  in  QeneraT 
und  "0/*  an  Excellent  Wife'\  In  ^^Ofyour  new  Irreligious  Order^ 
zieht  Flecknoe  sehr  scharf,  aber  nicht  ohne  Witz,  gegen  die 
Ausschweifungen  seiner  Zeit  los. 

Nun  folgt  ein  "Essay  of  History,  and  how  it  is  io  he 
tüTÜten'',  der  statt  selbständiger  Gedanken  fast  lauter  Geniein- 
plätze  enthält.  Geschichte  müsse  wie  eine  würdige  Matrone 
dargestellt  werden,  reich,  nicht  prunkend;  anständig,  nicht 
phantastisch.  Man  darf  nicht  bloß  Handlungen  berichten, 
denn  das  tun  auch  die  Zeitungen ;  man  muß  die  inneren  Be- 
weggründe dieser  Handlungen  aufzeigen.  Ein  Historiker  muß 
daher  richtiges  Urteil  besitzen. 

Im  nächsten  Aufsatz  ^  Of  Musick  and  Poetry"  beklagt  es 
Flecknoe,  daß  Musik  und  Dichtkunst  nicht  mehr  wie  in  alten 
Zeiten  innig  miteinander  verbunden  seien.  Hieran  schließt 
sich  der  hier  wieder  abgedruckte,  schon  bei  den  "Misceüania" 
behandelte  "Discourse  of  Langttage". 

Das  folgende  Stück  "  Of  Noble  Wonien"  ist  in  mehrfacher 
Hinsicht  interessant.  Flecknoe  gesteht:  "I  know  not  under 
what  consteüation  I  was  bom,  (hat  ü  hos  always  been  my  Fortune 
to  live  anwngst  the  best  and  noblest  of  womankind;  bui  I  am 
sure,  it  hos  been  a  happy  and  fortunate  one  for  me^  for  there  I 
have  seen  nothing  but  honourable  and  vertuous;  there  as  in  a 
Safictuary  I  have  lived,  protected  from  the  vices  of  the  tinie;  and 
there  (if  any  where)  I  have  found  tliat  saying  true,  thai  if  vertue 
could  be  seen  müh  mortal  eyes,  H  would  ravish  all  unih  admiration 
and  reoerence'' 

Nach  einem  moralisierenden  Stücke  "Of  Uwse  who  glory 
in  their  vices"  kommen  sodann  zum  Schlüsse  zwei  Briefe  an 
eine  mit  dem  Decknamen  "Theotima''  bezeichnete  Persönlich- 
keit, die  so  etwas  wie  ein  geistlicher  Berater  Flecknoe's  ge- 
wesen zu  sein  scheint.  Im  ersten  Brief  "  Of  Religion  and  Qood 
Life''  spricht  sich  Flecknoe  gegen  die  zahlreichen  Sekten  und 
Glaubensmeinungen  aus ;  die  hätten  nicht  die  Wahrheit,  denn 
nur  der  alten  Kirche  habe  Christus  versprochen,  daß  er  bei 
ihr  bleiben  wolle  bis  ans  Ende  der  Zeiten.  Er  schließt :  ^^Let 
US  hold  firm  unio  the  old,  which  our  Saviour  hiniself  hos  instituied 
and  taught  us,  who  says  of  himself,  that  he  is  the  Way,  the  TruÜi 


—    87     — 

and  the  Life;  the  Way,  in  which  we  cannot  erre;  the  Tnäh,  hy 
which  we  cannot  he  deceived;  and  the  LAfe,  in  which  and  hy  which 
we  are  to  live  etemally^ 

Der  zweite  Brief  enthält  die  Antwort  auf  den  Bat  seines 
Frenndes,  doch  Bücher  über  religiöse  Dinge  zu  schreiben. 
Flecknoe  dankt  "Theotimd^^  für  die  gute  Meinung,  die  er 
über  ihn  hat,  da  er  ihn  für  fähig  halte,  derartige  religiöse 
Bücher  zu  verfassen.  Aber  wo  finde  man  Leser  dafür? 
Kein  Mensch  wolle  geistliche  Schriften  lesen.  Es  gäbe 
übrigens  schon  religiöse  Werke  genug;  möchten  doch  die  ge- 
lesen und  befolgt  werden!  Weiterhin  meint  Flecknoe,  die 
Leute  hätten  mindestens  ebensoviel  Moral  wie  Religion  nötig, 
und  man  solle  zuerst  das  Laster  und  den  Unglauben  aus  den 
Herzen  reißen,  ehe  man  ihnen  Tugend  und  Gottesfurcht  ein- 
pflanze. Darauf  schließt  Flecknoe:  ^*This  then  is  the  toay, 
Theotima,  which  I  have  taken,  which  1  find  hut  approved  hy  you, 
I  shaU  vnth  the  more  cheerfulness  pursue  it,  and  ghry  in  the  title 
of  being 

Your  devoted  Servant  and  Convertit. 

Im  gleichen  Brief  beteuert  er  auch  "/  thank  God,  I  am 
still  constant  io  my  firsi  principles'\  Dieses  Schreiben  liefert 
uns  also  den  Beweis,  daß  Flecknoe  wohl  schon  in  der  Jugend 
zum  Katholizismus  übergetreten  sein  muß.  Die  immerhin  auf- 
fälh'ge  Tatsache,  daß  Flecknoe  in  allen  seinen  Schriften  nie 
von  seiner  Heimat,  seinen  Eltern,  Geschwistern  usw.  ein 
Wörtchen  verlauten  läßt,  ist  vielleicht  daraus  zu  erklären, 
daß  er  sich  infolge  seiner  Konversion  von  seiner  Familie 
lossagen  mußte. 

XII. 

Anlehen  bei  Moliire. 

Im  nächsten  Jahre,  1667,  erschien  dann  wieder  ein  neues 
Stück  unter  dem  Titel:  "T/te  Damoiselles  a  la  Mode, 
A  Comedy^^^),   das  Flecknoe   dem  Herzog  und  der  Herzogin 

*)  Compos'd  and  Written  hy  Richard  Flecknoe,  London:  Frinted 
for  the  Äuthor,  1667.    8^.    124  S. 


—    88    — 

mnjNaiwoaatle  widmate.  Die  .Quellen,  deneu  er  den  Stoff  Munt- 
.nubm,  ^bt  der  Autor  in  der  Vorrede  eelber  an.  Das  Lustspiel 
ist  einfach  eiue  Compilation  dreier  Stücke  vonMoU^re.  ^^This 
Gomedy!^  sagt  Flecknoe,  ^^ü  taken  out  of  mmol  Uoooelimi  Pieeea 
ofMoUere.  The  mam  plai  of  ihe  DamoiaüUsoviofhis  Preoieuaes 
JSidiindes;  ihe  Oountsrplot  of  Sganartüe,  out  of  his  Eseok  des 
Jmnmäs,  and  out  qf  ihe  Eacole  des  Maryß,  the  two  Natarak" 
iESr  Jiabe  .aber  das  .alles  nicht  so  direkt  .herübergenommen, 
^fpaateht  iFlecknoe,  so  «tlaB  er  kein  Verdienst  mehr  daoan  hätte ; 
jiondam  wie  die  Biene  habe  er  den  fremden  Stoff  gesanmielt 
und  dann  .ndt  seinem  eigenen  Wesen  durchtr&nkt.  Er  habe 
daher  nicht  bloß  übersetzt,  sondern  das  Stuck  mit  wirklich 
eoglisohem  Geiste  zu  erfüllen  gesucht. 

In  einer  Einleitung^  die  Flecknoe  dem  Stücke  voranstellt, 
läBt  er  sich  zwei  Theaterbesucher  über  das  Stück  unterhalten. 
,^at  er  ^ne  Partei  für  sich?^'  irägt  der  eine.  „Wenn 
jüemand  sein  Stück  hinaufschreit,  wird  es  sicher  nieder- 
geschrien, bevor  noch  der  Vorhang  gezogen  isf  „Was  das 
anbelangt,''  meint  der  andere,  „so  ist  er  ein  sonderbarer 
Kauz,  der  keiner  Partei  seinen  Erfolg  danken  und  lieber  auf 
eigenen  Beinen  stehen,  ak  auf  fremden  Stelzen  gehen  wilL'' 

Nach  dieser  captatio  benevolentiae  verteilt  Flecknoe  die 
S<>llen  des  Stückes  wieder  an  Schauspieler,  um  dem  phan- 
tasiebegabten Leser  die  Aufführung  teilweise  zu  ersetzen. 
Diese  Naivität  läßt  er  sich  nun  einmal  Jiicht  nehmen.  Die 
Aufstellung  lautet: 

The  RepresenterSf 
The  Persons  Represenied  as  they  were  first 

design^d 
Bonhomme,  Fathei'  to  the  Damseis  Cartivright 

Valerio,    i  In  love  with  Isabella  C,  Hart 

Ergasto,  \  His  fründ  W,   Winterioti 

Du  Buisson  i    .,   .,  ,     ,,  Buri 

^  s  ^uitors  unto  mevi  ^    r^     •    . 

La  Fleur       \  E.  Kemnston 

Sganarelle,   Guardian  to  Isahelle  J,  Lacy 

Marquis  Mascarillio  (  m      t  ,.       .     ,       ^'  Moon 

ComtJodeUt  j^Two  Laqueys  d^sgu^sed       j^shatterel 

IsabeUa,  a  uritiy  Damoiselle  Mrs,  IhUkr 


^ 


—    89     — 

The  Bepresenters^ 
The  P'&rvons  Represenied  as  they^were  fit^&i 

de9ign*d 

MJk  [    ,^^  1   .Dammsellea  a  la  Mode  The  Two  Marshak 

1  Anne  j 

Jjysetie,  ihe  DamoiseUes^  waüing  Woman  Nd  Guin 

Two  Naktral  Foals,  Sganafelk^s  Eomekeepera       Alexander  &  W^ 

hrdham  Baimon 
Tuio  Ghair'Mm;  Qenikmen  &  Ladies  for  the 

BaU 

The  Seene:  Paris, 

Die  ^Kompilation  ist  im  allgemeineii  ^b  eine  aiemlich 
glückliche  und  gelungene  zu  bezeichnen,  wenn  auch  eine  iÜbev- 
ladung  eintreten  mußte.  iPlecknoe  hat  es  yeP8tanden,  die  drei 
^^rerachied^neu  Moli^re  entnommenen  Motive  zu  einem  neuen 
•Gmizen  zu  komponieren.  Dabei  ist  er  von  «einer  Vorlage 
•«ehr  weuig  abgewichen.  Das  ''^Englishmg*\  von  dem  Fleobnoe 
«pricht,  bezieht  sich  nur  auf  die  stark  vergröberte  Sprache 
•und  auf  «pezifisch  englische  Einzelheiten.  Einige  Szenen  der 
Moli^re'schen  Stücke  bat  Flecknoe  zusammenziehen  müssen, 
qnn  nicht  gar  zu  weitschweifig  zu  werden,  aber  sonst  hat  er 
6i«ih  sogar  an  die  Szeneneinteilung  seiner  Vorlage  gehalten. 
«Die  Namon  'hat  er  teilweise  abgeändert;  aus  den  Bdelieuten 
'Ija  Grange  und  Du  Oroissy  hat  er  einen  Du  Buisson  und 
einen  La  Pleur  gemacht,  und  die  pretiösen  Fräulein  Madeion 
und  'Cathos  hat  er  in  eine  Anne  und  eine  Mary  verwandelt. 

Die  Art  nnd  Weise,  wie  Flecknoe  die  entlehnten  Stoffe 
^u  einem  neuen  Ganzen  verwob.  zeigt  am  besten  die  Inhailts- 
angabe  des  -Stückes. 

Bonhomme  besucht  mit  seinen  Töchtern  Anne  und  Mary 
figanarelle  und  dessen  Mündel  Isabella.  Dabei  tauschen  die 
'beidoi  Vettern  ihre  verschiedenen  Ansichten  über  Erziehung 
aus.  Während  Bonhomme  für  eine  vernünftige  Freiheit  seiner 
Töchter  eintritt,  ist  Sganarelle  für  ständige  Überwachung  und 
läßt  Isabella  'nicht  einmal  ihre  Cousinen  fortbegleiten.  Dafür 
muß  er  sich  dann  selber  unbewußt  zum  Liebesboten  zwischen 
«einer  listigen  Mündel  und  ihrem  Geliebten  Valerie  hergeben. 


—     90    — 

Den  Töchtern  Bonhomme's  werden  unterdessen  Ton  den  beiden 
Edelleuten  Du  Buisson  und  La  Fleur  ehrende  Heiratsanträge 
gemacht,  welche  die  jungen  Damen  jedoch,  als  dem  Ceremoniell 
des  Pretiösentums  zuwiderlaufend,  entrüstet  zurückweisen. 
Die  gekränkten  Freier  senden  nun  ihre  Lakaien  als  Marquis 
Mascarillio  und  Graf  Jodelet  verkleidet  zu  den  Fräulein,  die 
von  den  pretiösen  vornehmen  Herren  ganz  entzückt  sind 
und  für  sie  sogar  eine  Tanzunterhaltung  veranstalten,  wozu 
sie  die  Nachbarn  und  ihre  Base  Isabella,  die  aber  nicht  er- 
scheinen darf,  einladen.  Inmitten  des  Tanzvergnügens  treten 
nun  plötzlich  Du  Buisson  und  La  Fleur  mit  dicken  Knüppeln 
auf,  reißen  ihren  Dienern  die  Verkleidung  herunter  und  prügeln 
sie  zum  Entsetzen  und  zur  Beschämung  der  pretiösen  Fräulein 
tüchtig  durch. 

Während  dieser  Vorgänge  im  Hause  Bonhomme's  be- 
schließt Sganarelle,  seine  Mündel  schon  am  folgenden  Tage 
zu  heiraten.  Durch  eine  neue  List  gelingt  es  Isabella  aber, 
ihren  verhaßten  Vormund  zu  täuschen  und  zu  Valerio  zu 
fliehen.  Sganarelle,  der  infolge  einer  weiteren  Überlistung 
auch  seine  Einwilligung  zur  Heirat  des  jungen  Paares  gegeben 
hat,  muß  zum  Schaden  auch  noch  den  Spott  Bonhomme's 
ertragen.  Dessen  Töchter  sind  durch  die  Lektion,  die  ihnen 
ihre  Freier  erteilt  haben,  nun  vernünftiger  geworden  und 
reichen  den  beiden  braven  Edelleuten  die  Hand  zum  Ehebunde. 

Das  derbkomische  Element  des  Stückes  vertreten  die 
zwei  ^Natural  Fools^\  die  Moliöre's  Alain  in  der  t&ole  des 
Fjßmmes*  nachgebildet  sind.  Sganarelle  hat  sie  in  seinen 
Dienst  genommen,  weil  er  glaubt,  daß  sie  zwar  sein  Haus 
gut  bewachen  könnten,  aber  zu  dumm  seien,  um  etwas  zu 
stehlen  oder  davonzulaufen.  Natürlich  machen  sie  stets  alles 
verkehrt  und  geben  zu  mancher  komischen  Situation  Anlaß. 
Das  Beste  ist  wohl  die  Szene,  in  der  Sganarelle  ihnen  aufs 
dringendste  einschärft,  ja  niemand  einzulassen.  Um  sie  zu 
erproben,  dringt  er  nun  selber  ein  und  wird  von  ihnen  unter 
der  Tür  seines  Hauses  arg  durcbgebläut. 

Auch  bei  diesem  Stücke  muß  sich  Flecknoe  wieder  ent- 
schuldigen, daß  er  es  drucken  ließ,  ohne  daß  es  vorher  auf- 
geführt   worden    wäre.      In    besonders    naiv-drolliger   Weise 


—    91     — 

schiebt  er  diesmal  die  Schuld  den  Theaterdirektoren  in  die 
Schuhe.  Er  sagt:  *^For  ihe  acting  it,  tkose  who  have  ihe  Go' 
veming  of  the  Stage^  have  iheir  Humours,  and  wou'd  he  ivireated; 
and  I  have  mine^  atid  wo^nt  inireat  them;  and  were  all  Dramatick 
Wriiers  of  my  Mind,  they  shau^d  wear  iheir  old  Playes  thredbare, 
ere  they  shmCd  have  any  new,  tül  they  better  understood  their  own 
Inieresty  and  how  to  distinguish  beiwixt  good  and  had^ 

Das  Stück  scheint  übrigens  umgearbeitet  und  später  dann 
aufgeführt  worden  zu  sein,  wie  aus  einem  ^Prologue  for  the 
revival  of  his  Damoiseües  a  la  Mode,  acted  hy  his  Majesties  Ser- 
vants"  hervorgeht,  der  auf  S.  74  f.  der  '^Epigrams''  Ton  1670 
enthalten  ist. 

xin. 
Davenant's  Reise  ins  Jenseits. 

Das  Jahr  1668  brachte  wieder  eine  VeröflFentlichung 
unseres  Autors,  die,  so  unbedeutend  sie  an  sich  ist^  doch  für 
Flecknoe  ganz  charakteristisch  genannt  werden  muß.  William 
Davenant,  der  bedeutendste  Dramatiker  seiner  Zeit,  der  für 
die  Wiederbelebung  des  englischen  Theaters  nach  der  puri- 
tanischen Unterdrückung  erfolgreich  tätig  war,  hatte  eben  das 
Zeitliche  gesegnet.  Unser  Flecknoe  wußte  nun  nichts  Eiligeres 
zu  tun,  als  über  diesen  Mann,  den  er  sonst  hoch  verehrte, 
wie  aus  vielen  Bemerkungen  ersichtlich  ist,  ein  pietätloses 
Pamphlet  mit  dem  Titel:  "Ätr  William  D^avenant^s 
Voyage  to  the  Other  World:  With  his  Adventures  in  the 
Poets  Elizium.  A  Poeiical  Fiäion"  ^),  zu  schreiben,  das  er  für 
ungemein  geistreich  hält. 

Schon  das  Vorwort  ist  so  bezeichnend  für  die  freiwillig 
und  unfreiwillig  humoristische,  gutmütig-beschränkte  Persön- 
lichkeit des  Verfassers.  Er  beginnt  mit  dem  schönen  Ge- 
ständnis: ^^Iwrite  ordy  for  myself  and  private  friends ;  and  none 
prints  more  and  publishes  less  then  I:  nor  had  I  prinied  thiSj  bat 
only    to   let  you  see  how  Innocent   it   ie,   which  others  make  so 


»)  Lmdon,  Printed  for  the  Au^un-,  1666,    16  S.    »>. 


'Griminaiy  Weib&thin  gesteht  er,  daß  er  sich  (Jfters  Aber  'die 
<Welt  lustig  mache,  da  er  nicht  einsehe,  warnm  er  sidi  über 
sie  betrüben  solle !  und  weshalb  er  sich  nun  gerade  über 
diesen  Bayenant  und  keinen  anderen  lustig  nmchB?  Nun,  das 
ist  sehr  einfach,  —  ^eil  ihm  eben  gerade  "kein  anderer  ein* 
iällt,  und  sonst  aus  keinem  Grunde  I  So  yersichert  uns 'Herr 
Flecknoe  ganz  gleichmütig. 

Darauf  beginnt  er  die  Erzählung  von  Davenant^s  Reise 
in  die  andere  Welt  damit,  daß  er  Davenant's  Tod  konstatiert. 
Xein  Dichter  habe  dem  Dahingeschiedenen  eine  Elegie  ge- 
widmet. Nur  einer,  barmherziger  als  die  anderen,  habe  ihm 
folgendes  ins  Grab  nachgesungen: 

^^Now  Davenant's  dead,  ihe  Stage  ivill  mourn, 

And  all  to  Barbarism  turn: 

Since  he  it  was  this  latter  Age, 

Who  i^iefty  cMhx^d  Mm  Stage, 

Great  was  his  Wit,  his  Fancy  grecU, 
As  eVe  was  any  Foets  yet: 
And  more  Advantage  none  eV  made 
OHK   Wit  and  Fancy  which  he  had, 

Not  only  Ikddkts'  Arts  he  knew, 
But  even  Promethius'  too: 
And  living  Machins  made  of  Men, 
As  well  as  dead  ones,  for  ihe  Seene, 

And  if  ihe  Stage  ar  Theatre  he 
A  Utile   World,  Hwas  chiefly  lie, 
That  Atlaslike  supported  it, 
By  foi'ce  of  Industry  afid  Wit. 

All  this,  and  more,  he  did  beside, 

Which  Jiaving  perfected,  he  dy^d: 

If  he  may  properly  he  said 

To  dyy  wliose  Farne  will  ne'er  he  dead" 

Dieser  eine,  der  Torstehende  satirisch  empfundene  banale 
^Reimerei  yerfaßte.  ist  aber  niemand  anderer  als  unser  Flecknoe 
selber.  In  der  Ausgabe  seiner  Epigramme  von  1670  steht 
das  Gedicht  auf  8.  67. 


Nun  fängt  die  eigentiiche  AufzäUung  der  Abenteuer 
DaYenant's  im  Jenseits  an.  Grleich  bei  den  Beamten  des 
Parnaß,  die  zu  entscheiden  haben,  ob  jemand  in  den  Dicfatee* 
himmel  eingelassen  weiden  dürfe  oder  nicht,  geht  es  nicht 
ohne  Umstände  ab.  Als  Davenant  sagt,  er  sei  ein  ^Herakk 
Foei"  gewesen,  da  fmgeo  sie  ihn,  warum  er  denn  kriner  ge- 
blieben wäre?  Als  er  fortfährt,  er  sei  auch  ein.  Dramatiker 
gewesen,  da  erwidern-  sie  ihm,  warum  er  d^m  auch,  diese 
Tätigkeit  dem  Gelderwerb  zuliebe  aufgegeben  hätte?  Zuletat. 
bringt  er  vor,  er  sei  sogar  Foeta^  laureatue  gewesen;  Da  lachen^ 
die  Herren  aus  vollem'  Halse  und  meinen,,  der  Lorbeer  sei;. 
noch  nie  wohlfeiler  gewesen. 

A^uch  bei  Charon  kommt  Davenant  nicht  ungesohoren 
durch*  Der  hatte  nämlich  gehört,  der  Dichter  sei  sehr  reich,, 
ein  Umstand,  den  er  gleich  zu  seinem  Vorteil  auseoniitzeu 
gedachte.  Aber  als  es  zum  Zahlen  kam^  da*  hatte  der  arme 
Davenant  kaum  den  unerläßU<dien  Obolus^  was  den  Fährmann, 
der  Unterwelt  so  ergrimmtC)  daß  er  den  Dichter  über  den. 
Sfyx.  wieder  zurückfahren  wollte. 

Wie  Davenant  endlich  glücklich  im  Foetenhimmei  anlangt; 
findet  er  bald  zu  seinem  Schrecken,  daß  er  nur  vom  Begea 
in  die  Traufe  geraten  ist.  Er  wird  von  seinen  Dichterkollegen, 
sehr  ungnädig  aufgenommen,  da  er  sie  zu  seinen  Lebseiteui 
alle  irgendwie  erbost  hat.  Sogar  sein  Fate  ShaJc^oere,  den. 
er  fuff'  seinen  größten  Freund  hielt,  ^uhzs  as  much  offtnded  with 
him  as  any  of  the  resU  for  sa  spoiUng  and  mangUng  of  his 
Playes,*^  Ein  anderer  Rottet  Davenant  mit  lächerlichen 
Staten  aus  seinem  !E^8>  „Glondibert^  aus,  was  den  Armen. 
80  in:  Wut'  bringt,  daß  sieh  die  zwei  in  die  Haare  geraten* 
Die  kemischen  Dichter  nehmen  dann  Davenant  in  die  Mitte, 
schließen  einen  Ring  um  ihn  und  verhöhnen  ihn  abwechselnd. 
Plötzlich*  packen  ihn  jedoch  Fluto's  Gendarmen  und  führen» 
ihn  vor  den  Bichterstuhl  des  Minos,  Aeaeus  und  Rbadamantbusy 
wo  Momus  als  Staatsanwalt  fungiert.  Man  fragt  ihn  da  zuf- 
erst  nach  Bang  und  Stand.  Davenamt  erwidert^  er  sei  poeta 
laureatua  und  ä&t  größte  Dichter  seiner  Zeit;  Seine  Hyperbeln 
sei«»  soweit  wie  möglich  hergeholt,  und  "caneeäs^*  könnei 
er  machen^  wie  kein  anderer.  In  der  Tlragödie^  TragäomödiB 


—    94    — 

und  Komödie  sei  er  Meister,  und  in  seinem  Stücke  ^The  Siege 
of  Rhodes"  übertreffe  er  sowohl  die  antiken  wie  die  modernen 
Dichter. 

Darauf  liest  ihm  aber  Momus  ordentlich  den  Text.  Seine 
eigenen  Stücke  seien  YoUer  Mängel,  und  was  noch  schlimmer 
sei :  er  habe  mehr  gute  Stücke  anderer  Leute  verdorben,  als 
er  selber  geschrieben  habe.  Seine  Hyperbeln  und  Vergleiche 
seien  nichts  weniger  als  lobenswert.  Seine  Phrasen  klängen 
um  so  geschwollener,  je  leerer  sie  wären.  Sodann  mache  er 
stets  so  viele  Parenthesen,  daß  sich  kein  Mensch  mehr  in 
seinem  Unsinn  auskenne.  Was  seine  Lebensführung  anlange, 
so  wolle  er  lieber  schweigen;  man  kenne  ja  seine  Aus- 
schweifungen zur  Genüge.  Nur  seinen  Stolz  wolle  er  noch 
rügen;  er  habe  keinen  angeredet,  der  nicht  mindestens  ein 
Lord  gewesen  sei. 

Trotz  dieser  scharfen  Anklagerede  des  Momus  lassen 
aber  die  Richter  doch  Gnade  für  Recht  ergehen,  und  Dave- 
nant  wird  nur  verurteilt,  am  Hofe  der  Proserpina  und  ihres 
finsteren  Gemahls  den  Spaßmacher  abzugeben.  Li  diesem 
Amt  weiß  er  sich  bald  so  einzuschmeicheln,  daß  er  rasch 
vom  Hofnarren  zum  maitre  de  plaisir  an  Pluto's  Hof  be- 
fördert wird.  Und  so  geht  es  ihm  denn,  meint  Plecknoe, 
auch  in  der  Unterwelt  nicht  schlechter,  als  es  ihm  früher  auf 
der  Oberwelt  ergangen  war. 

Das  Postskriptum  zeigt  uns  Plecknoe  in  neuer  Beleuchtung. 
Im  Gefühle  seiner  Macht  und  Würde  bietet  er  den  Schau- 
spielern des  Lincolns-Inn-Fields-Theaters  vorliegendes  Pamphlet 
mit  dem  Bemerken  dar,  es  sei  doch  viel  harmloser  aus- 
gefallen, als  man  ihnen  vorgemacht  habe.  Wenn  es  ihnen 
aber  trotzdem  nicht  gefalle,  so  müßten  sie  bedenken,  daß  sie 
ihn  nicht  kränken  dürften,  da  er  gerade  so  gut  gegen  sie 
wie  für  sie  schreiben  könne.  Diese  Drohung  wird  aber  den 
Schauspielern  wohl  keinen  allzugroßen  Schrecken  eingejagt 
haben. 

J.  Maidment  und  W.  H.  Logan,  die  Herausgeber  der 
dramatischen  Werke  W.  Davenant's  in  der  Sammlung  ^Dror 
maiists  of  the  RestoraiwrlP,  urteilen  in  der  Einleitung  zum  ersten 
Bande  über   Flecknoe's  Pamphlet:    ^Än  eniire  ahsence  of  wü 


—    96    — 

ckaraeUrixes  this  effuMon^  which  was  no  doubi  intended  io  he 
immensely  satirical"  Da  das  Pamphlet  dem  Ansehen  Dave- 
nant's  ja  doch  keinen  Eintrag  getan  hat,  so  hätte  das  Urteil 
wohl  um  eine  Nnance  milder  ausfallen  dürfen.  Man  mag  die 
Auslassung  Flecknoe's  geschmacklos  und  taktlos  nennen; 
der  Ausdruck:  ^An  entire  absence  of  wif^  geht  doch  etwas 
zu  weit 

XIV. 

Eine  neue  Sammlung  lyrischen  Inlialts. 

Zwei  Jahre  später,  1670,  trat  dann  Flecknoe  wieder  mit 
einer  Sammlung  lyrischer  Erzeugnisse  an  die  beschränkte 
Öffentlichkeit,  wie  man  bei  ihm  wohl  sagen  muß.  Das  Werk 
trägt  den  Titel:  ^Epigrams  of  all  Sorts,  made  ai  Divers  Times 
on  Several  Occasions,^^  ^)  Gewidmet  ist  es  allen  adeligen  Gönnern 
des  Autors.  Das  ebenso  naive  wie  bezeichnende  Geständnis, 
daß  niemand  weniger  yeröffentliche  und  mehr  drucken  lasse 
als  er,  wird  hier  von  Flecknoe  mit  dem  Hinzufügen  wieder- 
holt, daß  er  eben  nur  für  sich  und  seine  ^Personal  Friends^^ 
schreibe.  Doch  es  kommt  noch  drolliger.  Der  Hauptgrund, 
warum  er  dichte,  gesteht  Flecknoe  diesmal  zu,  liege  darin, 
daß  er  nicht  vöIUg  müßig  gehen  wolle.  Und  wie  andere 
schrieben,  um  nach  ihrem  Tode  fortzuleben,  so  schreibe  er, 
um  etwas  von  sich  hören  zu  lassen  und  nicht  schon  bei  Leb- 
zeiten für  tot  zu  gelteo. 

Weiterhin  verbreitet  sich  Flecknoe  in  der  Widmung  über 
das  Epigramm,  das  sich  so  gut  für  seine  Zwecke  eigne.  Auch 
der  ständige  Ausfall  auf  die  obszönen  Dichter  fehlt  nicht. 

Fast  sämtliche  Gedichte  der  ersten  zwei  Bücher  der 
Sammlung  verherrlichen  Freunde,  Gönner  und  Gönnerinnen, 
oder  sind  Gelegenheitsgedichte.  Wenn  sich  in  ihnen  auch 
zuweilen  so  etwas  wie  poetisches  Gefühl  bemerkbar  macht, 
so  wirken  doch  die  vielen   Übertreibungen,   der  Mangel  an 


*)  London:  Ptinted  for  the  Author,  and  Will  Crook^  at  the  Green- 
dragon^  without  Temple-bar,  1670,    93  S,    12^, 


—    96     — 

Tiefe,  die  ewigen  Gemeinplätze  und  die  manirierte  Sprache 
auf  die  Dauer  unerträglich.  Der  Inhalt  der  Gedichte  ist, 
wie  sich  denken  läßt,  meist  unbedeutend  und  niohtesagend^ 
oft  geradezu  albern. 

Unter  anderen  dichtet  Flecknoe  den  Herzog  von  Moi>- 
m/oath,  den  Herzog  und  die  Herzogin  von  Newcastle,  Sir 
William  Dewcy,  Lord  Henry  Howard  von  Norfolk,  Prine 
Gosmo  von  Toskana,  den  Herzog  von  Albemarle,  die  Prin- 
zessin von  Arenberg,  Lady  Audley,  die  Herzogin  Mary  von 
Bichmond,  Mrs.  Stuart  u.  v.  a.  an.  Eines  dieser  vielfach 
schon  in  den  ^Eerokk  Portraüs^^  1660  veröffentliehten  Ge- 
dichte sei  zitiert,  weil  es  in  mehrfacher  Weise  typisch  ist: 

"7*0   his   Royal  Highness^    the  Duke  of  York,   re- 
iurning  from  our  Naval  Victory,  Anno  65, 
More  famous  and  more  great  ikan  eVe 
Caesar  or  Alezande)'  were! 
WJw  hos  both  done  and  mädone  too, 
What  tJiose  great  Ileives  could  not  do. 
Till  Empire  of  the  Seas  we  get, 
Ko  victory  can  he  compleal: 
For  Land  and  Sea  makes  hui  one  Ball; 
They  had  hut  lialf,  thou  hast  it  all, 
Great  Prince,  the  glory  of  our  duys, 
And  utmost  hound  of  human  praise! 
Increast  in  stile,  we  well  may  call 
Thee  noiv  the  whole  worlds  Admiral, 
Whilst  mighty  Charles  uith  Trideni  Stands, 
And  like  some  God  the  Sea  commands, 
Having  so  gloriously  dercoine^ 
What  710W  retnains  hut  to  come  home, 
And  fixed  in  our  British  SpJier, 
Shine  a  hright  Constellation  ther? 
More  fa?nous  and  moi'e  great  tJien  e^re 
Caesar  or  Alexander  were/^^ 

Man    bedenke    bei    dieser    plumpen    Anhimmelung    den 

kläglichen  Ausgang  dieses  Seekrieges  (1665 — 67)  für  England! 

Einen   besonders  lächerlichen  Eindruck  maehea  die  Ge* 


—    97    — 

legefibeitogedichte  über  unpasaeiide  und  geachmackloseTheaMB 
wie:  ^On  ihe  Lady  ßoehingham^s  Nursmg  her  Cküdren  her9elf^\ 
oder  ^On  the  Equal  Mixiure  of  Blood  and  Water,  after  letting  Nood 
of  MUe  de  BeauvaisJ^    Das  letztere,  weil  kürzer,  sei  zitiert: 
^QtiesUon:  Of  ^ü  jvst  mixiure  and  equaliiie, 
Of  waier  and  blood j  what  shv!d  ihe  reason  he  ? 
Answer:  The  reason^ s  deaVy  foreed  to  pari  unth  her, 
Each  ,drop  of  blood  far  grief  did  sÄerf  a  tear,^ 

Interessanter  ist  das  dritte  Buch  dieser  Sammlung,  das 
^Theatrical  Poems**  enthält.  Das  Gedicht  auf  Davenant 
wurde  bereits  erwähnt.  Auch  der  1667  zu  Chertsey  ver- 
storbene Abraham  Cowley  erhält  einen  Nachruf,  der  von  dem 
Hufe  dieses  Lyrikers  bei  seinen  Zeitgenossen  zeugt.  Die 
Verse  lauten: 

^On  Mr.  Abraham  Cowley. 
Cowley*8  not  dead,  immortal  is  his  Muse, 
Or  if  Iie  be,  a  Phoenix  he*s  beconie; 
Who  unique  in  his  kinde^  his  life  renues 
By  animating's  Ashes  in  his  Tomb" 

John  Dryden,  dessen  berühmte  Satire  ^Macflecknoe"  ihj» 
später  ein  ewiges  Brandmal  aufdrücken  sollte,  widmet  unser 
Autor  folgende  vpn  abgedroschenen  Gemeinplätzen  strotzendß 
Lobeshymne : 

^To  Mr,  John  Dryden. 
Dryden,  ihe  Muses*  darling  and  delight, 
Than  whom  none  ever  flew  so  high  a  flight, 
Some  have  their  veins  so  drosie,  as  from  earth 
Their  Muses  only  seem  io  have  ta*n  their  Mrth. 
Others  but  Water-Poets  are,  have  gon 
No  farther  than  io  tK  Founi  of  Belieon  : 
And  theyW  but  aiery  ones,  ufkose  Muse  soars  up 
No  higher  than  to  Mouni  Pamassus*  top; 
Whilst  thouj  unth  thine,  dost  seem  io  have  mounted  higher, 
Than  lie  who  feicht  from  Heaven  Celestial  fire; 
Ami  dost  as  far  su/rpass  all  others,  as 
Fire  does  all  oiher  Elements  surpass.' 
Mttnchener  Beiträge  z.  romanischen  n.  engl.  Philologie.    ZXXIII.     7 


—    98    — 

Dieses  Oedicht,  das  ja  formell  wie  inhaltlich  gleich  minder* 
wertig  ist,  beweist  wenigstens,  daß  Flecknoe  ein  Bewunderer 
der  Dry  den 'sehen  Muse  war,  und  Dryden  in  dieser  Hinsicht 
keine  Veranlassung  bot,  ihn  anzugreifen.  Freilich  besagt 
diese  Bewunderung  der  Kunst  Dryden's  für  den  Geschmack 
Flecknoe's  sehr  wenig ,  da  unser  Autor  allzusehr  gewöhnt 
war,  alle  Welt  anzusingen  und  zu  preisen. 

In  einem  anderen  Gedichte  dieser  Rubrik  verbreitet 
sich  Flecknoe  über  den  Unterschied  zwischen  den  Dramen 
seiner  Zeit  und  denen  früherer  Dichter.  Die  älteren 
Dramatiker,  sagt  er,  wußten  ihren  Stücken  etwas  zu  geben, 
das  die  Zuschauer  hinriß.  Die  heutigen  Dichter  wissen 
aber  nur  mehr  HiglU  conceits'^  zu  drechseln,  die  alle  Welt 
kalt  lassen. 

Er  schließt: 

"So  hard  H  is  now  for  any  one  to  tvriie 
With  Johnsons  fire,  or  Fletchers  flame  and  spright: 
Much  less  inimitable  Shakespears  way 
Promethian-like  to  animate  a  play.^ 
Wie  man  sieht,  gelingt  Flecknoe  doch  auch  zuweilen  eine 
gelungene  Wendung,   und  der  Ausdruck:   ^Promeihian-like  to 
animate  a  play^,  mit  dem  er  das  Schaffen  des  Shakspere'schen 
Genius  bezeichnet,  würde  auch  einem  Größeren  als  Flecknoe 
noch  Ehre  machen. 

Ehre  macht  ihm  ebenfalls  sein  auch  hier,  und  zwar  be- 
sonders stark,  ausgesprochenes  Bestreben,  der  ünmoralität  der 
damaligen  Bühne  entgegenzutreten.  Überaus  kräftigen  Aus- 
druck verleiht  er  seinen  Gefühlen  in  dem  Gedicht:  "/n  your 
scurrüous  and  obscene  Dramatick  Poets",  das  mit  den  Versen 
beginnt: 

"Shame  and  dwgrace  o'  ik'  Actors  and  the  Äge, 
Poet  mare  ß  for  tW  Brothel  than  the  Stage  I 
Who  makes  thy  Muse  a  Sirumpetj  and  »he  ihee 
Bawd  to  her  litst,  and  so  you  well  agree" 
In   einem  weiteren   Gedichte  nimmt   er  dann   Abschied 
von   der  Bühne,   für  die  er  nicht  mehr  schreiben  wolle,  weil 
sie  ihm  zu  schmutzig  geworden  sei. 


—     9»     — 

Aus  einem  Ver8stück:  ^Prologue,  intmded  forhis  Physitian 
againsi  his  WUr  geht  jedoch  hervor,  daß  Flecknoe  jeden- 
falls noch  im  Sinne  hatte,  eine  Farce  mit  diesem  Titel  zu 
schreiben.  Ob  er  aber  seine  Absicht  bei  seiner  jetzigen 
Stimmung  gegen  die  Bühne  wirklich  ausgeführt  hat,  und  ob 
die  Farce  eine  Übertragung  von  Moliöre's  «Le  mededn  malgre 
luh  sein  sollte,  wie  Langbaine  aus  naheliegenden  Gründen 
vermutet,  ist  nirgends  zu  ersehen. 

Die  vierte  Abteilung  Gedichte  benennt  sich:  ^Facetiaus 
and  droUing  Epigrams^\  Diese  humoristisch  sein  sollenden 
Epigramme  gehören  mit  zu  den  schwächsten  Leistungen 
Flecknoe's;  sobald  er  witzig  sein  will,  gelingt  es  ihm  nicht. 
Die  Gedichte  weisen  auch  kaum  eine  Spur  wirklichen  Humors 
auf,  und  stellen  meist  recht  fade  und  temperamentlose  Knittel- 
verse dar. 

Dem  Bande  ist  sodann  noch  eine  kleine  Sammlung  reli- 
giöser Gedichte  unter  dem  Titel  ^Epigrams  Divine  and 
Moral,  dedicaUd  to  Her  Majestf/\  beigeheftet.  Dieser  Anhang 
hat  eine  eigene  Titelseite  und  keine  Paginierung. 

In  der  Einleitung  hiezu  setzt  Flecknoe  auseinander,  daß 
er  dem  König  Johann  IV.  von  Portugal,  dem  Vater  der 
Königin  von  England,  zu  großem  Danke  verpflichtet  sei.  Dies 
habe  er  ihr,  seiner  Tochter,  schon  kundgeben  wollen.  Da  er 
aber  in  gänzlicher  Verborgenheit,  fern  ^from  the  light  of  Ckmff\ 
lebe,  so  wage  er  als  bloße  Null  nicht,  ihr  seine  persönliche 
Aufwartung  zu  machen.  Andere  Geschenke  als  seine  Ge- 
dichte könne  er  ihr  aber  nicht  machen,  weshalb  sie  mit  ihnen 
vorlieb  nehmen  möge. 

Nun,  der  Wille  war  jedenfalls  gut.  Aber  die  rein  reli- 
giösen Themata,  die  Flecknoe  da  in  schlechten  Versen  be- 
handelt, haben  durch  die  dichterische  Form  nicht  gewonnen. 
Es  sind  kalte  Gedichte,  ohne  Tiefe  und  poetische  Inspiration, 
die  handwerksmäßig  in  schlechte  Verse  gebracht  sind. 

Dieses  Buch  „Epigramme**  scheint  aber  trotz  allem  bei 
Flecknoe's  Freunden  Anklang  gefunden  zu  haben,  denn  bereits 
im  folgenden  Jahre,  1671,  gab  der  Autor  eine  neue,  veränderte 
Auflage  heraus   unter  dem  Titel:    ^^Epigrams  of  all  Sorts, 

7* 


—     100     — 

at  several  times,  on  severcd  ocoasions.  Being  rcUher  u  New 
Work,  ihan  a  New  Impression  of  the  Old,^*  ^) 

In  der  Vorrede  entschaldigt  der  Verfasser  diese  neue 
Ausgabe  damit,  daß  alle,  welche  die  Poesie  lieben,  sieh  des 
Dichtens  so  wenig  enthalten  könnten,  wie  der  Wassersüchtige 
des  Trinkens.  Flecknoe  scheint  demnach  seine  Diditwut  fSr 
«ine  Art  Krankheit  zu  halten.  Ebenso  solle  man  sich  über 
sein  fortwährendes  Umändern  und  Verbessern  seiner  W^ke 
nicht  wundem,  meint  er  weiter,  da  ja  nichts  in  der  Welt  voll- 
kommen sei,  sondern  alles  der  Verbesseruog  bedürfe.  Auch 
solle  man  keinen  Anstoß  daran  nehmen,  w^m  er  manchmal 
Leute  verherrlicht  habe,  die  es  nicht  verdienten.  Er  mache 
es  eben  wie  die  Biene,  die  den  Blumen  bloß  den  Honig  ent- 
nehme, während  sie  alles  andere  der  Spinne  überlasse.  Auch 
seien  seine  Produkte  nur  für  die  Tasche  und  das  stille 
Kämmerlein  berechnet;  die  Bibliotheken  und  Salons  mögen 
andere  Autoren  mit  Beschlag  belegen !  Soweit  die,  wie  stets, 
humorvolle  Einleitungi  die  diesmal  viel  mehr  Bescheidenheit 
als  sonst  atmet. 

Das  erste  Buch  der  neuen  Ausgabe  enthält  lauter  un- 
verGffentlichte  Gedichte.  Darunter  seien  erwähnt  eines  auf 
den  Herzog  George  von  Buokingham^  femer  Gedichte  auf 
den  Earl  James  von  Northampton,  auf  den  Tod  der  Herzogin 
Henriette  von  Orleans,  und  eines,  das  darauf  schließen  läßt, 
daß  Flecknoe's  Gönner  sich  nach  und  nach  von  ihm  zurück- 
zogen, so  daß  ihm  seine  Existenz  erschwert  wurde.  Einem 
Sir  Edward  Gage  teilt  Flecknoe  nämlich  seine  Absicht  mit, 
die  Welt  zu  verlassen,  die  täglich  schlimmer  und  herzloser 
werde,  und  schließt: 

"/  ihen  who  formerly  observ^d  kave  been 
Never  to  talk  but  of  some  King  or  Queen, 
Nor  in  disoourse  ever  io  have  Tnenüon  made, 
Biit  of  what  stich  a  Duke  or  Dtüehess  said, 
Whilst  all  my  chiefeet  study  was  to  know 
The  best  and  nablest  of  this  world  below; 


»)  London,  PrinUd  for  the  Author,  1671,    8^, 


—   lai   — 

Am  now  resolv'd  to  study^  in  some  Celi, 

Those  of  the  oiher  toorld  to  know  as  weU, 

Thai  whilat  Fm  known  enough  to  thoae  are  here, 

I  may  not  die  unknoum  to  those  are  tkere; 

But  may  before  I  die  so  happy  he, 

To  leave  the  worldy  before  the  workt  leaves  nteJ* 

Der  Entschluß  scheint  ihm  aber  trotzdem  so  schwer  ge- 
worden zu  sein,  daß  er  ihn  nicht  ausführte. 

Ein  anderes  Gedicht  dieser  Abteilung  verdient  sowohl 
wegen  der  neckischen  Grazie,  die  es  auszeichnet,  als  auch 
wegen  der  damals  sehr  bekannten  Persönlichkeit,  auf  die  es 
gedichtet  ist,  eine  besondere  Hervorhebung.  Es  ist  das  auf 
die  Schauspielerin  Nelly  Gwyn  gemachte  Gedicht  ^On  a 
little  pretty  Person**: 

"SÄ6  is  pretty,  and  ahe  knows  it; 

She  is  loitty,  and  she  shews  it; 

And  besides  that  she's  so  tvitty 

And  so  little  and  so  pritty, 

She  has  a  hundred  other  pcerts, 

For  to  take  and  conquer  hearts; 

'Mongst  the  rest  her  Ayres  so  sprightful, 

And  so  pleasant  and  delightful^ 

With  such  Charm  and  such  Attraction, 

In  her  words  and  in  her  action, 

As  whoe*r  does  hear  and  seCy 

Says  there^s  none  does  charm  but  she; 

Yet  who  have  her  in  their  anns, 

Say  she  *as  hundred  other  Charms, 

With  as  many  more  Attractions ; 

In  her  ivords  and  in  her  actions, 

But  for  that  suffice  to  teil  ye 

'Tis  the  little  pretty  Nelly:' 

Das  zweite,  dritte,  vierte  und  fünfte  Buch  der  Epigramme 
entspricht  sodann  im  allgemeinen  dem  ersten  bis  vierten  Buch 
der  Ausgabe  von  1670.  Der  Unterschied  besteht  nur  darin, 
daß  in  jedem  Buch  einige  Gedichte  der  ersten  Ausgabe  weg- 
gelassen  uud   andere  stellenweise  umgedichtet  sind;   «bens» 


—     102     — 

sind  neue  Gedichte  eingefügt  worden,  so  im  vierten  Buch 
ein  Gedicht  auf  die  Farce,  die  Elecknoe  als  Dichtungsgattung 
verteidigt,  und  ein  Preisgedicht  auf  Mrs.  Margaret  Hewes, 
^the  prettiest  Actress  of  ihe  Age",  die  sich  damals  von  der  Bühne 
zurückzog. 

Neu  ist  in  der  Ausgabe  von  1671  auch,  daß  die  einzelnen 
Bücher  Widmungen  tragen.  So  ist  das  zweite  Buch  Lady 
Gerard,  Baroness  of  Bromley,  zugeeignet,  das  dritte  William 
Earl  of  Devonshire,  das  vierte  „allen  Liebhabern  der  drama- 
tischen Muse",  und  das  fünfte  endlich  ist  Lord  Buckhurst 
und  Sir  Charles  Sedley  gewidmet. 

Die  ^Epigrams  Divine  and  Moral"  fehlen  auch  hier  am 
Schlüsse  des  Buches  nicht;  sie  entsprechen  genau  denen  der 
ersten  Ausgabe.  Sogar  die  Jahreszahl  (1670)  ist  unverändert 
geblieben. 

XV. 

Vermischtes. 

Wir  nähern  uns  jetzt  dem  Abschlüsse  von  Flecknoe's 
schriftstellerischer  Laufbahn.  Sein  letztes  mir  zugängliches 
Werk  erschien  zwei  Jahre  später,  1673.  Es  ist  dies  eine 
Auswahl  seiner  früheren  „Charaktere"  und  „Epigramme", 
denen  einige  neuere  Stücke  angefügt  sind.'  Der  Titel. lautet: 
^A  Collection  of  ihe  choicest  Epigranis  and  Charac- 
iers  of  Richard  Flecknoe,  Being  raiher  a  New  Work,  then  a 
New  Impression  of  ihe  OW 

Aus  der  Vorrede  erfahren  wir,  daß  der  Verfasser  vor- 
hat, die  Schriftstellerei  aufzugeben.  Vorher  aber  will  er  das 
vorliegende  Werk  noch  herausgeben,  weil  es  das  Lob  vieler 
Personen  enthält,  denen  er  sich  verpflichtet  fühlt.  Auch  ist 
er  bedeutend  bescheidener  geworden  als  ehedem,  und  gesteht 
zu,  daß  seine  kleinen  poetischen  Gaben  ^launch  not  into  the 
depth  of  Poetrif\  sondern  sich  hübsch  auf  der  Oberfläche  halten. 

Er  beginnt  dann  mit  dem  ausgedehnten  ^Pourtrq,it  of 
His  Majesty^^  das  er  schon  1660  in  den  ^Heroick  Portraits" 
verö£fentlicht  hatte.     Ebenso   bringt  er  in  den  vier  Büchern 


—    103     — 

von  Epigrammen  fast  ausschließlich  altes  Material.  Der 
zweite  Teil  des  Werkes,  die  „Oharakteriö",  bieten  mehr  Neues. 
Im  zweiten  „Charakter",  der  ^Of  a  Bunning  HeadP  über- 
schrieben ist,  schildert  sich  Flecknoe  gleich  selber.  Dieses 
interessante  und  für  die  Kenntnis  der  Geistesverfassung  und 
und  des  ganzen  Wesens  unseres  Autors  so  hochwichtige 
Dokument  lautet:  ^He  hos  so  many  wild  fcmdes  in  kis  Brain^ 
08  he  is  perpettially  distracted,  and  more  tvüd  when  joyned  toüh 
ihe  distraciions  of  tfie  day.  Eis  ihoiighis  are  like  a  swarm  of 
Bees  huxxing  up  and  down  his  headj  tvithout  Gonsistence^ 
Coherence  and  Consequence;  and  there  is  hardly  any  means 
to  settle  them,  His  head  is  a  Leaking  Fountain,  and  would 
he  wholly  dry^  but  for  ihe  contimioL  currant  of  his  Bunning 
Thoughts.  And  finally,  ihe  Figur  es  of  his  Mind  are  all 
broken  and  disjoynted,  like  ihose  of  agiiated  Water ,  and  it  is 
scarcely  ever  so  calm  to  represent  them  perfectly ;  only  as  you  ham 
Seen  colours  confusedly  laid,  coniracted  into  some  figure  hy  the  Art 
of  Prospective ;  so  someiimes  you  may  make  somewhat  of  them  in 
Writing,  when  on  Paper ^  as  in  a  Net  he  catches  his  flying 
thoughts;  and  ihen  you  may  see  they  have  more  Demo  er  itus 
than  Heraclitus  in  them,  that  they  more  laugh  than  cry,  are 
more  merry  than  sad;  And  finally  make  sport  with  the  World, 
not  for  any  ill  will,  but  for  its  good,  and  with  those  in  it, 
for  their  amendment,  not  their  shame,  A  pattern  of  all 
which  you  have  in  these  GharadersP 

Die  durchschossenen  Worte  sind  im  Originale  ebenfalls 
alle  durchschossen  gedruckt.  Aus  der  ganzen  Auslassung, 
zusammen  mit  vielen  anderen  Anzeichen,  scheint  doch  hervor- 
zugehen, daß  der  gute  Flecknoe  geistig  nicht  ganz  normal 
war  und  mit  zunehmendem  Alter  stets  geistesschwächer  wurde. 

Von  anderen  neuen  Stücken  wären  hervorzuheben:  "0/* 
Poetry  and  its  abnse^\  worin  er  wieder  gegen  die  obszönen 
Dichter  seiner  Zeit  loszieht  und  von  ihnen  sagt:  Hhey  con- 
verted  the  Laiiguage  of  tJie  Gods  into  tlie  Language  of  the 
Devil,  and  lost  all  the  Reveretice  atid  Esteem  tliey  had  before; 
desermng  more  the  coertion  of  ihe  Magistrate,  and  punishment  of 
ihe  Laws  ihen  common  Poysoners"  Interessant  ist  ferner  eine 
Auslassung:  ^Of  the  Parliament,  In  answer  to  the  ignorant 


—    104     — 

cbfeetians  of  9ome  StrangeraJ^  Sie  wandet  sich  gegen  die 
MeiBimgy  als  ob  in  England  das  Parlament,  und  nicbt  der 
König  henscbe,  und  behauptet  dagegen:  **The  King  of  England 
«9  as  absokiie  ob  any  Monarch,  nor  is  ihe  ParHamenl  such  a  Ourh 
or  Clog  io  kirn  a§  ihey  imagmtr 

Damit  scUiefit  die  mir  zugängliche  literarisdie  Tätigkeit 
Fleeknoe's  ab.  Die  1675  erschienenen  Publikationen:  ^Euterpe 
Revived,  or  Epigrams  made  at  several  iimes  ,  .  ,  on  persona .  .  . 
most  of  them  now  lwing'\  nnd  ^Ä  Treatise  of  ihe  Sports  of  Wü^ 
waren  mir  nicht  erreichbar. 


XVI. 

Betrachtungen  Ober  Flecknee  als  Mensch  und  Dichter. 

über  die  persönlichen  Schicksale  Fleeknoe's  wissen  wir 
nach  dem  Abbrechen  des  Keisebuches,  1665,  wieder  recht 
wenig.  Die  einzigen  spärlichen  Qaellen,  die  dieses  Grebiet 
anfzohellen  vermögen,  sind  die  Einleitungen  des  Autors  zu 
seinen  Werken,  und  gelegentliche  Angaben,  die  wir  da  nnd 
dort  aus  seinen  Werken  schöpfen  können.  Vor  allem  scheint 
das  eine  sicher,  daß  sich  Flecknoe  seit  Mitte  der  50  er  Jahre 
beständig  wieder  in  England  aufgehalten  hat.  Seinen  Unter- 
halt mußte  seine  Dichtkunst  und  sein  Lantenspiel  verdienen« 
Für  die  Leute,  die  bezahlten,  machte  er  Gelegenheitsgedichte 
aller  Art,  Hochzeits-,  Gebnrts-,  Sterbegedichte,  pries  die 
Schönheit  und  Tugend  der  Damen  und  die  Tapferkeit  und 
den  Edelsinn  der  Männer.  Widmungen  und  die  Drucklegung 
der  Bücher  mußten  natürlich  noch  eigens  bezahlt  werden. 
Wer  das  nicht  tun  wollte,  fiir  den  hatte  auch  die  Muse 
Fleeknoe's  nichts  übrig.   So  sagt  er  selber  in  einem  Epigramm: 

"Ta  tkese  from  uhom  I  for  rexcard  caril  look 
So  nmeh  as  comes  to  tlü  hinding  of  my  ho  oh; 
Much  less  the  printing ,  why  shxi*d  I present 
It  to  ^uniy  unlessH  he  out  of  compkment  ? 
And  I  donH  like  such  complemeufft  as  those^ 
Wliere  one  gets  nothing ^  and  is  stire  to  loose^ 


—    106    — 

In  der  damaligen  Zeit^  wo  es  noch  keine  freien  Bemfsschrift- 
steller  gab,  galt  dieses  Parasitenleben  aber  noch  für  keine 
Schande,  und  so  zog  denn  auch  Flecknoe  im  Sommer  mit  seinen 
jeireiligen  Gönnern  aufs  Land  und  besang  die  Freuden  des 
Landlebens  und  Ackerbau  und  Viehzucht;  im  Herbste  bo« 
gleitete  er  sie  dann  wieder  zur  Stadt  zurück  und  freute  sieh, 
wenn  er  in  den  Salons  als  Dichter  glänzen  und  als  ''polite 
English  Scholar"  gelten  konnte.  Dabei  fühlte  er  sich  durch- 
aus als  Gentleman,  und  beklagte  es  in  einem  Gedichte  an  den 
Bruder  des  Herzogs  yon  Newcastle,  daß  ihm  das  Schicksal 
einen  so  hohen  Sinn,  der  nur  auf  eine  höhere  Sprosse  der 
sozialen  Stufenleiter  passe,  bescheert  habe.  Er  könne  es  aber 
nicht  über  sich  gewinnen,  auf  unwürdige  Weise  einen  höheren 
Platz  zu  erringen. 

Diese  moralische  Gewissenhaftigkeit  zeichnet  Flecknoe 
überhaupt  vorteilhaft  vor  den  meisten  seiner  Dicbterkollegen 
aus.  Ob  er  nun  Priester  war  oder  nicht,  und  im  ersteren  Falle 
Bücksicht  auf  seinen  Stand  zu  nehmen  hatte,  so  viel  ist 
jedenfalls  sicher,  daß  er  selber  in  die  von  ihm  so  heftig  be* 
kämpfte  Laszivität  der  zeitgenössischen  Literatur  nie  verfiel. 
Die  vielen  Roheiten,  die  beim  Lesen  seiner  Werke  unser 
heutiges  Gefühl  verletzen,  empfand  man  damals  nicht  so  sehr 
als  solche.  Wie  sehr  er  darauf  bedacht  war,  in  sittlicher 
Hinsicht  kein  Ärgernis  zu  geben,  geht  schon  daraus  hervor, 
daß  er  kein  einziges  Liebesgedicht  verfaßte.  In  emem  Epi- 
gramm: **Why  I  write  not  of  Love^^  sagt  er  darüber: 

"Fott  fain  wou^d  have  me  writ  of  Love,  and  say 
It  may  he  chaste  and  vertiumSf  so  it  may: 
But  howsoever  vertuous  and  chatte  it  be, 
It  yet  does  come  so  nigh  unchasiüy: 
And  is  so  steep  and  slippery  a  preeipice, 
One  easily  thence  does  slide  and  faü  to  vice, 
Wlierefore  let  who^s  list  ivrite  of  ü  for  me, 
rU  keep  vie,  if  I  can,  froiyi  tK  danger  freeP 

Wie  mir  scheint,  waren  es  religiöse  Gründe,  die  Flecknoe's 
Stellungnahme  zu  der  Unsittlichkeit  in  der  damaligen  Literatur 
veranlaßten.     Überhaupt  lag  ihm   sein  Bekenntnis  stark  am 


—     106    — 

Herzen.  Abgesehen  von  den  noch  am  Ende  seiner  poetischen 
Schaffenszeit  für  die  Königin  gedichteten  religiösen  läedem, 
zieht  er  z.  B.  in  den  ^  Characters*^  scharf  gegen  die  ^FaruUick 
Eeformer»^^  und  ^^Cross-haters"  los,  und  auch  schlechte  Katho- 
liken, wie  ^The  shrewd  old  Catholie  Oenilewoman^f  werden  heftig 
getadelt  und  der  Verachtung  preisgegeben.  Dagegen  wird 
^Ä  good  honest  Caiholid^  und  ^Än  English  Papist  Ass**  gepriesen ; 
der  letztere  lasse  sich,  wie  ein  Esel,  alles  auflegen  und  er- 
trage geduldig,  daß  er  fortwährend  verfolgt  werde.  Das  Be- 
dauern Flecknoe's,  daß  der  £[atholizismus  in  England  von 
einer  ^smaü-beer  rdigion"  abgelöst  wurde,  haben  wir  schon 
oben,  bei  Besprechung  der  ^Misceüaniä'^  Yemommen. 

Aber  weder  Flecknoe's  Kampf  gegen  die  Laszivität  der 
zeitgenössischen  Literatur,  der  vielleicht  von  manchem  be- 
troffenen Dichter  unangenehm  empfunden  werden  mochte, 
noch  seine  Religion,  scheinen,  entgegen  dem  Urteile  einiger 
späterer  Gewährsmänner,  auf  das  Urteil  des  Publikums  über 
Flecknoe's  literarische  Erzeugnisse  von  irgendwie  bemerk- 
barem Einflüsse  gewesen  zu  sein.  Langbaine  konstatiert,  daß 
er  ^as  famous  as  any  in  his  age^^  war,  und  aus  den  von 
Flecknoe  reproduzierten  Urteilen  seiner  adeligen  Freunde  und 
G-önner  gewinnt  man  nur  die  Bestätigung  dieser  Angabe. 
Flecknoe  wußte  eben  dem  Zeitgeschmacke  entgegenzukommen 
und  die  abgedroschensten  poetischen  Gemeinplätze  und  al- 
bernsten pretiösen  Phrasen  nochmals  zu  variieren ;  dabei  wußte 
er  der  lieben  Eitelkeit  seiner  Gönner  in  den  an  sie  gerichteten 
Huldigungsgedichten  in  jeder  Weise  Kechnung  zu  tragen. 
Solche  Leute  sind  zu  ihrer  Zeit  immer  berühmt.  Die  Nach- 
welt richtet  dann  gewöhnlich  um  so  strenger  über  sie,  je  mehr 
sie  zu  ihrer  Zeit  gefeiert  waren,  wenn  sie  es  nicht  vorzieht, 
sie  in  der  Versenkung  des  Vergessens  verschwinden  zu  lassen. 
Die  ^Enigmatical  C}iaracters^\  die  bemerkenswertes  Be- 
obachtungstalent erkennen  lassen,  und  das  Stück  ^Erminia^\ 
das  auch  nicht  übel  ist,  lassen  das  Urteil  zu,  daß  Flecknoe 
nicht  unbegabt  war  und  unter  günstigeren  Verhältnissen  viel- 
leicht Namhaftes  geleistet  hätte.  Das  Fazit  seiner  wirklichen 
Leistungen  kann  kein  günstiges  genannt  werden.  Li  der  Lyrik 
ging  ihm   sowohl   das   dichterische   Gefühl,  wie   der  Sinn  für 


—     107     — 

die  poetische  Form  ab ;  was  er  uns  bietet,  ist  fast  Die  Lyrik, 
sondern  gereimte  Banalitäten  und  GFemeinplätze.  Im  Drama 
fehlt  es  ihm  durchaus  an  Gestaltungskraft: ;  während  der  Auf- 
bau seiner  Stücke  im  allgemeinen  nicht  schlecht  ist,  gelingt 
es  ihm  hingegen  nie,  die  handelnden  Personen  zu  individuali- 
sieren imd  glaubwürdig  erscheinen  zu  lassen.  Fast  überall 
aber  fehlt  es  ihm  an  einer  natürlichen,  dem  betreffenden 
Gegenstand  entsprechenden  Sprache  und  Ausdrucksweise,  ein 
Umstand,  der  auch  den  literarischen  Wert  seiner  sonst  tüch- 
tigen „Charaktere"  beeinträchtigt.  Die  Anerkennung  seiner 
Umgebung  war  daher  für  Flecknoe  ein  hinreichender  Lohn 
für  seine  Schriftstellerei ;  der  Nachwelt  konnte  er  als  Dichter 
nichts  mehr  bedeuten. 

Gegen  den  Schluß  seines  Lebens  scheint  Flecknoe  aber 
auch  mit  seinen  zahlreichen  Gönnern,  unter  denen  fast  der 
ganze  englische  Hochadel  vertreten  war,  immer  schlimmere 
Erfahrungen  gemacht  zu  haben,  wie  aus  manchen  Geständ- 
nissen hervorgeht.  Ob  er  dann  wirklich  die  Welt  verließ, 
wie  er  im  Sinne  hatte,  oder  ob  er  bis  ans  Ende  seines  Lebens 
in  der  Gesellschaft  verblieb,  wissen  wir  nicht.  Überhaupt 
herrscht  über  Flecknoe's  letzte  Lebensjahre  völliges  Dunkel. 
Nicht  einmal  das  Jahr  seines  Todes  ist  bekannt,  viel  weniger 
der  Ort,  wo  er  starb.  In  der  Widmung  an  Lord  Vaughan 
seines  1678  erschienenen  und  bei  der  Aufführung  durchgefallenen 
Stückes  ^Limherham^^  sagt  Dryden :  "/  have  seen  an  fistle  of 
Flecknoe^s  to  a  nobleman,  who  was  hy  some  exiraordinary  chance 
a  Scholar  (and  you  may  please  io  take  notice  hy  Üie  way  Jiow 
natural  ihe  conneciion  of  thought  is  betwixt  a  bad  poet  and  flecknoe), 
where  he  begins  thus:  Quatuordecim  jain  elapsi  sunt  anni,  etc; 
his  Latin,  it  seems^  not  Jiolding  otä  to  the  end  of  the  sentence: 
hut  he  endeavoured  to  teil  his  patron,  beivnxt  two  langtcagesj  which 
he  understood  alike^  that  ü  was  fourteen  years  since  Iie  had  tlie 
happiness  to  know  htm,  It  is  jicst  so  lotig  (and  as  happy  be  the 
omen  of  dullness  to  me,  as  it  is  to  some  clergymen  and  statestnen!) 
since  your  lordship  Jias  Jcnown  tliat  ihere  is  a  worse  poet  reinaitiing 
in  the   worldy   than  he  of  scatidalous  memory  who  left  it  last,^*  *) 


^)  Scott'8  Dryden,  VI,  6. 


—     108    — 

Daraus  schloß  nun  Malone^X  ^^^  Flecknoe  1678  ge^ 
storben  sei,  eine  Annahme,  die  von  ihm  dann  seme  Nach- 
folger übernahmen,  die  aber  wohl  mit  einem  Fragezeichen 
▼ersehen  werden  darf. 


XVII. 

Bisherige  Urteile  über  Flecicnoe.    Endergebnis. 

Was  die  Geschichte  der  Bewertung  Flecknoe's  in  der 
englischen  Literatur  anlangt,  so  waren  lange  Zeit  hindurch 
die  yernichtenden  urteile,  resp.  der  Spott  Dryden's  und 
Marvell's  für  die  Bewertung  Flecknoe's  maßgebend.  Das  ist 
um  so  verständlicher,  als  Flecknoe's  Werke,  die  fast  aus- 
schließlich "/br  private  friends'^  gedruckt  worden  waren  und 
der  Öffentlichkeit  daher  unbekannt  bleiben  mußten,  schwer  zu- 
gänglich waren.  Langbaine,  der  auch  Flecknoe's  dramatische 
Arbeiten  wirklich  kennt,  ist  in  seinem  1691  erschienenen  ^Ac- 
count of  the  English  Dramatic  Poets^\  allerdings  bemüht,  Flecknoe 
gerecht  zu  werden.  Er  rühmt  Flecknoe's  Ansehen  als  Dichter 
bei  seinen  Zeitgeuossen  und  bemerkt  dann  sehr  richtig :  ^Hi» 
Acquaintance  loiih  the  Nohility  wa^  more  than  wüh  the  Muses; 
and  he  had  a  greater  propens^Uy  to  Rirning,  than  a  Genius  io 
Poetry"  Cibber  ist  Flecknoe  nur  der  verächtliche  Dichter- 
ling-); Thompson,  der  Herausgeber  der  Werke  Andrew 
Marvell's,  nennt  ihn  kurz  und  gut  ^that  incorrigibk  poetaster",^ 
E.  Malone,  der  Herausgeber  Dryden's,  stimmt  ebenfalls  kräftig 
in  das  Verdammungsurteil  mit  ein.  Doch  haben  die  drei 
letztgenannten  augenscheinlich  keine  selbständige  Kenntnis 
von  Flecknoe's  Werken. 

Mit  Robert  Southey  beginnen  dann  die  Ehrenrettungen. 
In  seinem  1812  erschienenen  Werke   ^Oinnimw!^^)   behandelt 


^)  Halone,  Works  of  Dryden.    London.  1800.    I,  169/70. 
«)  Cibber,  Lives  of  the  Foets.    Londo7v.  1753.    III,  61—63. 
^)  Thompson,   Tfie  Works  of  Afidreio  Marvell.     London.  1776, 
I,  442. 

*)  Southey,  Onmiana.    I,  105—110. 


—    109    — 

Sottthey  auch  Flecknoe  und  findet,  daß  er  ^is  by  no  nieam 
ike  despicabk  lorüer  that  we  might  suppose  him  to  he  from  the 
miche  in  wkieh  his  mighty  enemy  (DrydenJ  hos placed  him"  Fleok- 
noe's  Epigramm  anf  einen  Greizhals: 

^Monej/s  like  muekj  thafs  profitable  whHe 
*T  serves  far  manurifig  of  some  fruüful  sail, 
But  on  a  harren  one,  like  ihee,  methinks, 
'Tis  Uhe  a  dunghill  that  lies  still  and  stinhf^ 
nennt  er  ^excellent  lines" ;   ein  anderes  Gedicht  erscheint  ihm 
^tcell  tumed'\  und  auch  sonst  gefällt  ihm  an  Flecknoe  sehr, 
**thai   he  is   never  in  the  slightest  degree  an  immoral  wrHer  htm- 
seif,   and  tJictt  he  expresses   a  due   abhorrence   of  the  misc^iievotis 
and  disgraceful  writings  of  his  contemjwraries** ,    Nur  die  häufige 
Anwendung  von  ^eolloquial  contractions"  findet  er  an  Flecknoe 
als  ^evil  fashion*^  zu  tadeln.    Freilich  ist  auch  das  Bändehen 
Epigramme  von  1670  alles,  was  Southey  von  Flecknoe  kennt. 
Andere  und  bessere  Werke  Flecknoe's  sind  ihm  nicht  einmal 
dem  Namen  nach  bekannt! 

Alexander  Chalmers,  der  sein  Wissen  aus  Cibber, 
Malone  und  Southey  schöpft  und  augenscheinlich  keine  weiteren 
Quellenstudien  gemacht  hat,  findet  sodann,  nach  Southey's 
Vorgang,  Flecknoe's  Dichtungen  **not  tmthout  some  proportion 
of  merit".^) 

Das  von  Southey  begonnene  Werk  der  Ehrenrettung 
wird  dann  von  der  ^Retrospective  Beview"*)  zehn  Jahre  später 
energisch  weitergeführt.  Die  Zeitschrift  knüpft  an  den  „Fall 
Flecknoe"  zuerst  folgende  allgemeine  Bemerkungen:  ^An 
ofidhor  who  was  knocked  down  by  such  authority  and  who  never  afkr^ 
wards  reeovered  from  the  hlow.  The  man  who  is  once  sealed, 
aUhaugh  undeservedly,  with  a  had  name,  must  he  contented  to  retain 
ii  for  life;  it  fixes  the  eye,  like  a  stain  on  a  fair  garment,  and 
is  as  difficult  to  he  oblUerated.  If  an  evil  report  he  onee  put  in 
dreulaiion,  his  enemies  confirm  it,  his  friends  have  not  moral 
eourage  to  deny  ii,  and  strangers  will  not  take  the  irouble  to  in- 
vestigate  its  correetness,"    Das  urteil  über  Flecknoe  als  Schrift- 


*)  Chalmers,  Biograpkieal  Dictionary,  XIV,  968—70. 

*)  Baldwyn,  Betro^ectwe  Remew,    London.  1822,    V,  286*-75. 


~     110     — 

steller  lautet  sodann :  ^He  is  not  the  contempiible  scribbler  he  hos 
been  generally  represtnted;  at  least,  he  could  wrüe^  and  hos  tvrüien, 
some  ihings  which  merit  praise,  and  ought  to  be  preserved,"  Frei- 
lich ist  auch  der  ^Retrospective  Review"  nur  ein  Bändcheo 
Epigramme  und  die  erste  Ausgabe  der  ^Enigmaiical  Charao- 
ters^^  zugänglich  gewesen.  Hinsichtlich  der  „Charaktere^ 
findet  der  Kritiker,  daß  Flecknoe  ^^succeeds  best  in  the  portraiture 
of  fem4Üe  excellence^\  wovon  Proben  gegeben  werden  und  was 
ja  auch  stimmt.  Unter  den  Epigrammen  werden  gleichfalls 
sehr  hübsche  Stücke  entdeckt;  das  Epigramm  auf  den  Geiz- 
hals, das  schon  Southey's  Beifall  gefunden,  erhält  das  Prädikat 
^h-ery  good^\  was  wir  nicht  gerade  unterschreiben  können. 
Der  Abstraktion,  die  der  Kritiker  aus  den  Proben  zieht,  kann 
man  dagegen  im  allgemeinen  beistimmen,  da  sie  charakte- 
ristische Eigentümlichkeiten  der  Flecknoe'schen  Muse  zum  Aus- 
druck bringt.  Sie  lautet:  ^^He  attempted  to  torite  smartly  rather 
than  tersely;  wittüy  rather  than  seriously;  ingeniously  rather  than 
profoundly.  But  although  he  has  not  the  slightest  claim  to  be  con- 
sidered  a  man  of  genius,  we  cannot  deny  him  the  praise  of  fancy 
and  ingenuäy,^^ 

Abgesehen  von  Dryden,  hat  keiner  der  vorstehenden 
Kritiker  auch  nur  den  größeren  Teil  der  Produktion  Flecknoe's 
aus  eigener  Anschauung  gekannt.  Sie  verließen  sich  bei  ihren 
urteilen  entweder  auf  andere  Gewährsmänner,  die  selber 
nicht  mehr  wußten  als  sie,  oder  sie  basierten  unsichere,  all- 
gemeine Urteile  auf  das  eine  oder  andere,  ihnen  zufallig  unter 
die  Hände  gekommene  Werk  Flecknoe's.  Diese  verschiedenen, 
zum  Teil  sich  widersprechenden,  Urteile  auf  Grund  einer 
genauen  Untersuchung  aller  zugänglichen  Werke  Flecknoe's 
auf  ihre  Richtigkeit  hin  zu  prüfen,  war  der  Zweck  der  vor- 
liegenden Abhandlung,  als  deren  Fazit  sich  etwa  folgendes 
Bild  der  Persönlichkeit  Flecknoe's  ergibt:  Unser  Autor  war 
ein  gutmütiger,  harmloser  und  anhänglicher,  aber  auch  eitler 
und  wichtigtuerischer  Mensch,  der  ganz  ein  Kind  seiner  Zeit 
war.  Als  Dichter  gelang  es  ihm  aber  nicht  einmal,  seiner 
Zeit  genug  zu  tun ;  über  die  Wiedergabe  abgedroschener  poeti- 
scher Gemeinplätze  und  die  mehr  oder  minder  gelungene 
Nachahmung  bekannter  zeitgenössischer  Werke  und  Schrift- 


—   111   — 

steller  kam  er  eigentlicli  nie  recht  hioaus.  Es  fehlte  ihm 
durchaus  an  Persönlichkeit,  die  Eigenes  und  Tüchtiges  aus 
sich  heraus  hätte  schaffen  oder  fremden  Stoffen  den  Stempel 
einer  bedeutenden  Individualität  hätte  aufdrücken  können. 
So  war  und  blieb  er,  trotzdem  er  majichmal  bessere  Leistungen 
zustande  brachte,  doch  stets  unter  dem  Mittelmaß  seiner  Zeit, 
ein  ^^wretched  poef\  wie  ihn  Walter  Scott  nennt,  der  Dryden 
nicht  untauglich  schien,  um  als  Greißel  des  immerhin  be- 
deutenderen Shadwell  benützt  zu  werden. 


Personen-  und  Saehregister. 

(Die  Zahlen  geben  die  Seiten  an.) 


Albemarle,  Herzog  von  96. 
Allibone,  Oritical  Dictionary  2. 
Arcadia  44,  77. 
Arenberg,  Prinz  Ton  15,  64. 
Arenberg,    Prinzessin    (siehe    auch 

Mlle  de  Beanvais)  96. 
Ariost  9. 
Aristophanes  9. 
d'Arschot,  Mlle  16. 
Audley,  Lady  96. 
d'Averos,  Graf  22. 

Baldwyn,  Betrospective  Review  25. 

Du  Bartas  9. 

Beaumont  77,  81,  82. 

Beauvals,  Mlle   de  (siehe  auch  Pr. 

V.  Arenberg)  15,  16, 17,  20,  29,  97. 
Bergen,  Marquise  von  15. 
Berlamont,  Gräfin  von   20. 
Blackfriars-Theater  36. 
Brasilien  20  f. 
Breugbel  9,  49. 
Bromley,  Baroness  85,  102. 
Buckharst,  Lord  102. 
Buckingham,    Herzog   von    22,   27, 

64,  100. 

Callot  9,  49. 

Carey,  Lady  Theophila  48. 
Cervantes  9. 

Ohalmers,   Biographical   Dictionary 
2,  109. 


Chaucer  9. 

Cibber,  Lives  of  the  Poete  2, 108, 109. 

Cicero  9. 

Claypole,  Lady  Elisabeth  59. 

Clerque,  Mlle  de  23. 

"Convertit"  87. 

Cowley,  Abraham  37,  97. 

Croker  and  Elwin,  Pope- Ausgabe  4. 

Cromwell,  Oliver  59,  65  £ 

Davenant,  Sir  William  45,  91  fl 
Desmond,  Gräfin  48. 
Devonshire,  William  Earl  of  102, 
Dewcy,  Sir  William  96. 
Douay,  Diaries  5. 
Dryden,  John  1,  2,  3,  4,  97. 

—  Limberham  107. 

—  Mac  Fleckuoe  1. 

—  Proseworks  2,  108. 
Dudley,  Lord  Charles  20. 
Van  Dyck  9,  49. 

Earle,  John  53. 
Bvers,  William  14. 

Flaxen,  Flaxenus  5. 
Fleckney,  Flexney,  Flexneius  5. 
Flecknoe,  Richard,  "Affectiona  of  a 
Pious  Soule"  10  f. 

—  "Damoiselles  k  la  Mode"  87  fl 

—  ^Davenant's  Voyage  the  Other 
World"  91  f. 


—     113     — 

Flecknoe,    Richard,    "Diarium,    or  I  Hewes,  Mrs.  Margaret  102. 

Joarnal"  48  f.  '  Higgins,  Mr.  Thomas  48. 

—  "Discourse  of  the  English  Stage"  |  HohenzoUern,    Prinzessin    von    16, 

80  f.  ,     19,  27. 


Holbein  49. 

Horaz  9,  49. 

Howard,  Sir  Thomas  4. 

Jakob  I.  30. 

Johann  IV.  von  Portugal 

Jonson,  Ben  81,  98. 

Karl  I.  30. 

Karl  II.  61,  83. 

Enox,  Douay  Diaries  5. 


—  "Enigmatical  Characters"  (1658) 
62  f.  ' 

—  "Enigmatical  Characters"  (1665)  i 
83f. 

—  "Epigrams   of  all  Sorte"  (1670)  | 
95  f. 

—  "Epigrams  of  aU  Sorts"    (1671)  > 
99f.  j 

—  "Epigrams   Divine   and   Moral"  ' 
99  f.  i 

—  "Epigrams  and  Characters"  (1673)  j 
102  f. 

"Erminia"  70  f.  1  Langbaine,  English  Dramatick  Poete 

—  "Euterpe  Revived"  104.  1      14,  58. 

—  "Farrogo  of  Several  Pieces"  84  f.   Logan,  W.  4,  94. 

—  "Eumace  of  Divine  Love"  12.     !  Lope  de  Vega  9. 

—  «Heroick  Portraits"  61  f.  |  Lothringen,   Herzogin   von  15,   17, 

—  "IdeaofhisHighness  Oliver"  59f. ,      22,  23,  25,  63,  83. 

—  "Love's  Dominion"  38 f.  i       .^  ^   ^^ 

—  «Love's  Kingdom"  78f.  I  M^idment.  J.  94. 

—  "Marriage  of  Oceanus  and  Bri- '  ^«^1«^^^  WorksofDryden2,108, 109. 

tannia"  58.  ^*^*^*^  ^• 

~  "Miscellania"  25f.  ^  Mar vell,  Works  3,  7    108. 

—  "Relation  of  Ten  Years  Travells"    ^^^^^'^  ^"^'^  ^°°  ^- 
^nc  Möllere  9,  88. 

—  "Temple  of  Friendship"  46f.  ^onmouth,  Henry  Earl  of  48. 

—  "Treatise  of  the  Sports  of  Wit"  '  ^""^^^^  ^^'  -^^^^^  ^0. 

^^'        ^  „.        ^  Newcastle,  Herzog  von  64,  88. 

Hecknoe   Wilham  5  |  y^^^^^^^     Herzogin  von  84,  85,  88. 

Fletcher  77,  81,  82   98.  ^^^^^^^^  ^         ^^^^^^  ^^  96 

Foley,   Records   of  the  Society   of  |  ^^^^^^^^  ^^^^  j^^^^  ^^^^  ^^  ^^ 

Jesus  5,  8.  I 

'  Omniana  (Southey)  1,  25,  108. 
Gage,  Sir  Edward  100.  \  Orleans,  Herzogin  Henriette  v.  100. 

Gillow,  Biographical  Dictionary  4,  6.  i  Overbury,  Thomas  53. 
Glocester,  Herzog  von  63.  I  Qvid,  Metamorphosen  27. 

tiomberville  44.  , 

Guarini  9.  Packinton,  Lady  Ann  27. 

Gwyn,  Nelly  101.  '  Parlament  104. 

I  Paulskirche  37. 
Hazlitt  80.  I  Pereiro,  P.  21. 

VÜBcbener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.    XXXIII.     8 


—     114     — 


Pilgrim-book  8. 

PlautuB  9. 

JPope.   Ed.  by  Croker  and  Blwin  4. 

Baphael  9,  49. 

Betrospectiye   Review    (siehe   atich 

unter  BaWwyn)  25,  109,  110. 
Richmond,  Mary  von  96. 
Rockingham,  Lady  97. 
Ronsard  9. 

Saintsbury,  John  Dryden  2. 

Salazar,  Graf  19. 

Scarron  9. 

Seudery,  Mlle  de  26,  37,  44. 

Sedley,  Sir  Charles  102. 

Seneca  9. 

Shadwell,  Thomas  1,  4,  111. 

Shakspere  76,  77,  81,  93,  98. 

Sidney,  Sir  Phüip  44,  78. 

Somerset,  Lord  Thomas  19. 


Southey,  Robert  (siehe  auoh  wölket 
Omniana)  1,  25,  108,  109. 

Stephen,  Dictionary  of  Nation^ 
Biography  2,  9,  13. 

Strafford,  Ewrl  of  14  f, 

Stuart,  Mrs.  96. 

Tenham,  Lady  27. 

Theophrast  53. 

Thompson  3,  108. 

Tizian  9,  4^. 

Toscana,  Prinz  Cosmo  von  96. 

dTrfig,  Honore  44. 

Yirgil  49. 

Waller,  Edmund  25. 

York,  Herzog  von  63,  96. 

Zeuxis  9. 


Lippert  ft  Co.  (G.  Pätz*sche  Buchdr.),  Naamborg  a.  S. 


MÜNCHENER  BEITRÄGE 


ZUB 


iliNßdNDiENGUSCIIiPEOLOßlE. 


HERAUSGEGEBEN 


vox 


H.  BREYMANN  und  J.  SCHICK. 


XXXIV. 

DER  EINFLUSS  VON  ARIOST'S  ORLANDO  FURIOSO  AUF 
DAS  FRANZÖSISCHE  THEATER. 


-^ 


LEIPZIG. 

A.  DEICHERT'SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG  NACHF. 

(GEORG  BÖHME). 

1905. 


DER  EINFLÜSS 


VON 


ARIOST'S  ORLANDO  FURIOSO 


AUF  DAS 


FRANZÖSISCHE  THEATER 


VON 


Db.  TH.  ROTH, 

OBERLEHBEK  AM  REALGYMNASIUM  ZU  YEGESACK. 


LEIPZIG. 

A-  DEICH ERT'SCHE  VERLAGSBÜCHHANDLUNG  NACHT. 

(GEORG  BÖHME). 

1905. 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


Inhalt. 


Seite 

Vorwort VI 

Benutzte  Literatur VII 

Einleitung. 

1.  Der  Einflul{  Italiens  auf  die  französische  Literatur  im  all- 
gemeinen     ' 1 

2.  Der  Einfloß  Italiens  auf  die  franz.  Lyrik 9 

3.  Italienischer  Einfluß  auf  das  franz.  Epos 25 

4.  Italienischer  Einfluß  auf  die  Erzählung  und  den  Roman      .    29 

5.  Italienischer  Einfluß  auf  das  franz.  Theater. 

I.  Italienische  Schauspieler  in  Frankreich 37 

II.  Einfluß  Italiens  auf  die  franz.  Tragödie 45 

III.  Einfluß  Italiens  auf  die  franz.  Komödie 53 

IV.  Einfluß  Italiens  auf  die  franz.  Pastorale 67 

V.  Einfluß  Italiens  auf  die  franz.  Oper 71 

Ariost  in  Frankreich. 

I.  Übersetzungen 75 

U.  Ariost  in  der  franz.  Lyrik **....    76 

m.  Ariost  im  franz.  Epos 88 

IV.  Ariost  im  franz.  Theater 102 

1.  Die  Bradamante- Episode 104 

2.  Die  Roland-Episode 166 

3.  Die  Isabella-Episode 194 

4.  Die  Ginevra-Episode 203 

5.  Die  Alcina-Episode 220 

6.  Die  Joconde- Episode 225 

7.  Die  Erzählung  vom  Zauberbecher 234 

8.  Die  Erzählung  von  den  verzauberten  Quellen   .    .    .  241 

9.  Die  Erzählung  vom  Amazonenstaate 242 

10.  Die  Ring-Episode 244 

11.  Die  Atlante-Episode 245 

12.  Einzelne  Entlehnungen  aus  dem  Orl.  für 245 

Ergebnisse 248 

Anhang:  Ariost-Ubersetzungen 256 


Vorwort. 


Die  vorliegende  AbhaDdlung  ist  der  erste  Versuch,  ein 
Gesamtbild  zu  geben  von  dem  Einfluß,  den  der  Orlando  fu- 
rioso  des  Ariost  auf  die  französische  Literatur  ausgeübt 
hat  Ihre  Entstehung  verdankt  sie  in  erster  Linie  den  An- 
regungen und  Ratschlägen  meines  hochverehrten  Lehrers, 
Herrn  Professors  Dr.  Breymann.  Daher  sei  es  mir  ge- 
stattet;  ihm  an  dieser  Stelle  meinen  tiefen  Dank  für  seine 
mühevolle  Unterstützung  sowohl  bei  der  Abfassung  der  Arbeit 
als  auch  ganz  besonders  bei  der  Durchsicht  der  Korrekturen 
auszusprechen. 

Bbensc?  herzlich  danke  ich  Herrn  Professor  Dr.  Schick 
für  seine  liebenswürdige  Beihilfe  bei  der  Durchsicht  der 
Korrekturen;  ferner  der  Staats-  und  der  Universitäts- 
bibliothek zu  München,  der  Stadtbibliothek  zu 
Bremen,  der  Kgl.  Bibliothek  zu  Berlin,  endlich  den 
Bibliotheken  de  l'Arsenal,  Mazarine,  Ste-6enevi^ve 
und  der  Nationalbibliothek  zu  Paris,  welche  alle 
meine  Wünsche,  soweit  sie  vermochten,  mit  bekannter  Bereit- 
willigkeit und  Liebenswürdigkeit  erfüllt  haben. 


Benützte  Literatur. 


Albert,  M.:  Les  thö&tres  de  la  Poire  (1660—1789).   Paris. 

(Hach.)  1900.    8^ 
Albo'ize,  E.:  Histoire  de  la  Comedie  italienne  en  France, 

in:  Le  monde  dramatique  (1835).  I,  342 ff. 
Allais,  6.:   Malherbe  et  la  po^sie  fran^aise  du  16«  sidcle. 

P.  1891.     8^ 
Andrae,  A. :   Sophonisbe  in  der  frz.  Trag.,   in:   Zschr.  f, 

fr.  Spr.  u.  L.  1891.    Suppl.  VI. 
Anonym:  Th6ätre  franQois.  P.  (G.  Loyson)  1625.     8^ 
Ariosto,  L. :   Orlando  furioso,   ed.   Casella.   Firenze.   1877. 

2  Bde.     8^. 
Arn  au d,  J. :   Les  Italiens  prosateurs  frangais.    Etudes  sur 

les  Smigrations  italiennes  depuis  Brunetto  Latini  jusqu^d, 

nos  jours.     Müan.  1861.    8®. 
Arnould,  E. :  Essais  de  throne  et  d'histoire  litt^raire:  De 

l'influence   exerc^e  par  la  litt^rature  italienne  sur  la  lit- 

tßrature  fran^aise.     P.  1858.     8®. 
Aumer,  Ch. :  Astolphe  et  Joconde  ou  les  coureurs  d*avan- 

tures.     P.  1827.     8^ 
Baif,   Ant.   de,   (Euvres  en  rime,    p.   p.   Marty-Laveaux. 

P.  1891.     8^ 
Baillet:  Jugements  des  Savants,  rev.  et  corr.  par  La  Mon- 

noye.  P.  1722.     7  Bde.     8^ 
Barbier,  A.  A. :  Dictionnaire  des  ouvrages  anonymes.  3.  Aufl. 

P.  1872—80.     4  vols.     8». 
Barth elemy,   G.:   Histoire  de  la  Comödie  fran^aise.    P. 

1886.     8^ 


—  vin  — 

Bauter,  Cb.  [Meliglosse] :  La  Rodomontade,  La  Mort  de 
Roger,  Tragedies  et  Amours  de  Catherine.  A  Monsieur 
le  Lieutenant  de  Civil.  S.  1.  s.  a.  (Paris.  Bibl.  nat.:  YS 
6680). 

Bauter,  Ch. :  La  Rodomontade,  Tragödie  de  Rodomont, 
avec  la  descente  aux  enfers,  avec  figures.  Troyes  (Nie. 
Oudot)  1619.  8«  (Paris.  Bibl.  nat. :  YS  6973). 

Becker,  Pb.  A. :  Jean  Lemaire  de  Beiges.  Straßburg. 
1893.     8^ 

:   Marg.   de  Valois.    über    Becker's   Sebrift   cf.    LBl. 

1902,  S.  176;  Guy,  in:  Anndes  du  Midi.  1902  (avrü). 

Bengesco:  Bibliographie  des  (Euvres  de  Voltaire.  P,  1882 
—1890.  4  Bde.     8^. 

Bernage,J.:  Etüde  sur  Robert  Garnier.  (Tböse).  P.  1880.  8^. 

Bern  ardin,  M.:  La  com6die  italienne  en  France  et  le 
Theätre  de  la  Foire.    P.  1892.     S^. 

B  e  t  z ,  L.  P. :  La  Litterature  compar^e.  Essai  bibliographique. 
Straßburg.  1900.    8^ 

Billard,  Cl.:  Tragedies  frangoises.  P.  1610.  8^  (Paris. 
Bibl.  nat.:  YS  2074.) 

Bizos,  G. :  Etudes  sur  la  Vie  et  ies  (Euvres  de  Jean  de 
Mairet.     P.  1877.     8«. 

Blanc,  J.:  Bibliographie  italo-frangaise,  in  der  Bibliographie 
de  traductions  fr.  d'aut.  it.,  p.  1266  flf.     P.  1886.     8^ 

Böhm,  E. :  Beiträge  zur  Kenntnis  des  Einflusses  Seneca's 
auf  die  in  der  Zeit  von  1652  bis  1662  erschienenen  fran- 
zösischen Tragödien.  Erlangen  und  Leipzig.  (A.  Deichert- 
Böhme)  1902.  8^  (Münchener  Beitr.  XXIV.  Heft). 

Bolte,  Job.:  Moli^re-Übersetzungen,  in:  Herr.'s  Arch.  Bd.  82, 
S.  108  flf. 

Bolza,  G. :  Manuele  Ariostesco.    Venetia.  1866.    8®. 

ßourciez,  E.  E.  J.:  Les  moeurs  polies  et  la  litterature  de 
cour  sous  Henri  IL  (Thöse).     P.  1886.     8<>. 

Bouvy,  E.:  Voltaire  et  ritalie.    P.  1898.     8^ 

:  Zaire  en  Italie,  in:  Anoales  des  Facultas  des  lettres 

des  Universites  du  Midi.   Bulletin  italien  (1901)  I,  22  ff. 

Campardon,  E. :  Les  Com6diens  du  Roi  de  la  troupe  ita- 
lienne pendant  les  deux  derniers  siöcles.  P.  1880.  2  Bde.  8®. 


-    IX    — 

Carducci,  G.:  L'Ariosto  ed  il  Voltaire,  in:  Fanfulla  della 
Domenica,  5  giugno,  1881. 

CaBanova,  6.:  Memoires  Gentes  par  lui-m§me.  P.  1880. 
8  Bde.    8». 

Castelnau:  Memoires  sur  les  rdgnes  de  FraoQois  U, 
Charles  IX,  Henri  III  et  de  Catherine  de  Medicis. 
P.  1621.    4^. 

Castre  (rAbb6  de):  Les  trois  si^cles  de  la  litt6rature  fran- 
Qaise.    A  la  Haye.  1781.     12«. 

Catherine  de  MSdicis:  Lettres,  in:  Docum«  ioed.  de 
l'Hist.  de  Fr.  1886,  Bd.  II,  S.  145. 

Chamard,  H. :  L'invention  de  Tode  et  le  differend  de  Ron- 
sard et  de  Du  Bellay,  iu:  RhlF.  (1899)  IV,  21  ff. 

Chappuys,  6.:  Le  Roland  furieux  mis  d'Italien  en  Fran- 
Qois.     I»  ed.    Lyon.  1576.     8^ 

Chappuzeau,  S. :  Le  Theatre   frangois.    Lyon.  1674.    8^ 

Chouquet,  6.:  Histoire  de  la  musique  dramatique  en 
France.     P.  1873.    8^ 

Claris  [=  Claretie]:  Le  Th6ätre  ä  la  foire  Saint- 
Laurent  pendant  la  premidre  moitie  du  18^  siecle.  P. 
1893.    8». 

Clement  (F.)  etLarousse,  P.:  Dictionnaire  des  Opöras. 
P.  8.  a.    8«. 

Coignee  de  Bourron:  Les  Amours  d'Angelique  et  de 
Medor  avec  les  furies  de  Roland  et  la  mort  de  Sacri- 
pant,  Roy  de  Circassye  et  plusieurs  beaux  effets  con- 
tenus  .en  cette  tragedie  tiree  de  TArioste  et  qui  est  en 
cinq  actes  en  vers  sans  distinctions  de  scenes.  Troyes. 
(N.  Oudot).    1620.     120. 

[Coignee  de  Bourron]:  Les  Amours  de  Zerbin  et  d'Isa- 
belle  princesse  fugitive  oü  il  est  remarque  les  perils  et 
grandes  fortunes  passees  par  le  dit  Zerbin  recberchant 
son  Isabelle  par  le  monde,  et  comme  il  est  deli?r6  de 
la  mort  par  Roland.  T[royes].  1621.     12». 

Co  11 6,  Pb. :  Joconde,  op6ra  comique  en  2  actes  et  en  vau- 
deville,  in:  Theatre  de  societe  ou  Recueil  de  diff6rentes 
pi^ces  de  theatre  tant  en  vers  qu'en  prose.  P.  1768. 
2  Bde.  8^  ibd.  1777.  3  Bde.  8^ 


—    X    — 

Corneille,   Th.:   ßradamante.   Tragedie.    Paris  (Chez    M. 

Brunei)  1696.  8»  (Paris.  Bibl.  nat.:  YS  8792,  selten.) 
Cotronei,  B. :  La  Fontaine  e  FAriosto,  in:  Kassegna  della 

Letteratura  ital.  e  stran.     Catania.  1890.     S.  68—89. 
Couture,   G.:   Pötrarque  et  Jacques  Colonne,    6?eque    de 

Lombez,  in:  Revue  de  Gascogne  (1881).  XXI,  32 fF. 
Dan ,  M. :  Trfisor  des Merveilles  de Fontainebleau.  P.  1642.  fol. 
Danchet:    Alcine,    Tragödie   lyriqne    en    5  actes   avec    ud 

Prologue,  musique  de  M.  Campra.     P.  1705.     8®. 
[Dancourt,  F.   0.]:  Angelique  et  M6dor,   com6die  en    un 

acte.     P.  1686.     8«. 
Dannheisser,   E. :    Studien  zu  J.  de  Mairet's   Leben  und 

Wirken    (Müncb.  Diss.).    Ludwigshafen  a.  Rh.  1888.   8^ 
:  Zur  Geschichte  des  Schäferspieles  in  Frankreich,  in: 

Z.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  1889.  XI,  65  ff. 
' :  Zur   Geschichte   der   drei  Einheiten,   in:   Z.   f.   frz. 

Spr.  u.  Litt.  1892.  XIV,  1—76. 
Degubernatis,  A.:  L'Arioste  et  Marc  Monnier,  in:Nuova 

Antologia.  2»  serie.  1878.     März— April,  S.  380  ff. 
Dejob,   Gh.:   Un  bei  libro  da  fare,   in:   Raccolta  di  studj 

critici,   dedicati  ad   AI.   d'Ancona.    Firenze.   1901.     8^ 

S.  133  ff. 

:  Etudes  sur  la  Tragödie.    P.  1897.     8^ 

Demogeot,  J. :   Histoire  de   la  littörature  fran^aise  avant 

Corneille  et  Descartes.     P.  1869.     8^ 
:  Histoire   des  littöratures  ötrangdres  considerees  dans 

leurs   rapports  avec  le   d6?eloppement  de  la  littfirature 

frangaise.    Litteratures  Meridionales.     P.  1880.     8®. 
De  Riebe,    G. :    Les  Amours   d' Angelique    et  de  MSdor. 

Tragicomedie   en  8  actes,   en  vers,   sans  distinctions  des 

scdnes,  et  avec  des  choeurs.  Poitiers.  (A.  Monnier).  1648.  4^ 
Des  Boulmiers:   Hist.   du  Th6ätre   de  TOpöra  comique. 

P.  1769.     2  Bde.     8^ 
Desfontaines,  M.:  CEuvres.    P.  1812.     12<>. 
Desforges,  Gh.:  Joconde.  Opöra  Comique  en  Deux  actes, 

en  vaudeville  et  en  prose.  P.  s.  a.  8^  (Bibl.  nat.:  Y  Th.  9682). 
Desnoisterres,    J.:    Vie    de    Voltaire.     P.    1868—1876. 

2  Bde.     8^ 


-    XI    — 

Despois,  E. :  Le  Thfeätre  fran^ais  sons  Louis  XIV.    2«  ed. 

P.  1882.     8^ 
Desportes,   Ph. :   CEuvres   compl^tes,    p.   p.  A.   Michiels. 

P.  1858.     8^ 
D'Eströe,  P.  D.:  Les  origines  de  la  Revue  au  Tb6ätre,  in: 

RhlP.  (1901).  VIII,  234—280. 
Dominique   et  Eomaguesi:   Arlequin  Roland,   Parodie 

et  Vaudeyille  en  un  Acte  de  la  trag.  lyr.  de  Roland,  in : 

Recueil  g6neral    des  Parodies.     P.  1727.    4  Bde.     12^ 
Donati,   L. :  L'Ariosto   e  il  Tasso  giudicati  dal   Voltaire. 

Halle  a.  S.  1888.    8^ 
Dorez,    L.,    et  Thuasne,    L. :    Pic    de  la   Mirandole   en 

France  (1485—1488).    P.  1897.     8^ 
Doumic,  R. :  L'opera  et  la  tragedie  au  17»  siöcle,  in :  Rev.  des 

deux  Mondes.  Juillet.  1895.     S.  445  ff. 
Du  Bellay ,  J. :  CEuvres,  p.  p.  Marty-Laveaux.    P.  1866—67. 

2  Bde.     8^ 
Du  Rocher,  R.  M.,  Sieur:  L'lndienne  amoureuse  ou  Theu- 

reux  Naufrage,  Tragicom6die  en  5  actes,  en  vers,  imit6e 

de  l'Arioste.    P.  (Chez  J.  Corrozet).  1631.     8^. 
Eicke:  Zur  neueren  Geschichte  der  Rolandsage  in  Deutsch- 
land und  Frankreich.     Leipzig.  1891.     8^ 
]&tienne,  M.:   Joconde   ou   les  Coureurs   d'Avantures.     P. 

9«  6d.  1821.  80  (Paris.  Bibl.  nat.:  YTh.  9689). 
Fagan,  Oh.  B. :  Joconde,  comßdie  en  un  acte,  in:  Xouveau 

Theätre  Frangois   ou  Recueil  des   plus  nouvelles  Piöces 

reprfisentees  au  Thfeätre  Fran^ois  depuis  quelques  annee8. 

P.  1743.   5  Bde.   8»  (cf.  5.  Bd.   S.  Iff.   oder  im  1.  Bd. 

der  (Euvres  compl^tes  de  Fagan.  P.  1760.  4  Bände.   S^). 
Faguet,  E. :  Desportes,  in:  Rev.  des  Cours  et  Conferences 

de  la  Sorbonne.  1893—1894.  nov.-mars,   S.  96  ff. 
:  Maynard,  in:  Rev,  d.  C.  et  C.  1894 — 1895.  nov.-mars, 

S.  33  ff. 
Favre,  J.:  Olivier  de  Magny  (These).     P.  1885.     8^ 
Ferrarri,  C:   Bibliografia  Ariostesca.   Bassano.  1881.     8^ 
Pest,   0.:   Der   Miles  gloriosus  in   d.  franz.  Komödie   von 

Beginn  der  Renaissance   bis  zu  Moli^re.     Erlangen  und 

Leipzig.  1897.  8^  (Münchener  Beiträge,  XIII.  Heft). 


-    XII    - 

Piamini,  Fr.-:  Studi  di  stör.  lett.  ital.  e  straniera.    Livorno. 

1895.     8^ 
:  Du  role  de  Pontus  de  Tyard  dans  le  petrarquisme  fr. 

Padova.  1901.     14  S.     8». 
Fränkel,   L. :   Einfl.  der  ital.   auf  die  englische  Literatur, 

in:  VoUm.'s  Jahresber.  1895/96  IV  (II,  430 ff.). 
:  Italienische  und  andere  romanische  Wechselbeziehungen 

zur  mittel-  u.  neuengl.  Lit.  bis  1895,  in :  Yollm.'s  Jahresber. 

1895/96  IV  (II,  441  ff.). 
Gab  Otto:   Notes   sur  quelques  sources  ital.  de  TöpopSe  au 

moyen-äge,  in:  Rev.  d.  1.  rom.  1897.  XL,  241. 
G6nin:  Farce  de  Pathelin.     P.  1857.     8^ 
Gidel,  F.:  Histoire  de  la  litt,  frang.  P.  1875/91.  4  Bde.  8«. 
Gilbert,  G.:    Les  amours  d'Angelique  et  de  Medor.    Tra- 

gicomfedie.  P.  (Chez  Gab.  Quinet).  1664  (Paris.  Bibl.  nat. : 

YTh.  806). 

Godefroy,  Ch.:  Histoire  de  la  litt,  frangaise.   P.  1878 — 81. 

3  Bde.     8^ 
G  u  i  d  i ,  U. :  Annali  delle  edizioni  e  delle  versioni  dell'  Ariosto. 

Bologna.  1861.     8^. 
Guy:   Les  sources  frang.   de  Eonsard,   in:  Rev.  d'Hist.  litt. 

1902.  IX,  217  ff. 
Hartmann,  G. :  Merope  im  französischen  und  italienischen 

Drama.     Erlangen   u.  Leipzig.    1892.   8®  (Münch.   Beitr. 

III.  Heft). 
Hauvette,  H. :   Les  relations  litteraires  entre  la  France  et 

ritalie,  in:  Annales  de  la  Faculte  des  Lettres  de  T Univ. 

de  Grenoble.     Grenoble.  1895.  VII,  239—257. 
:  Dante   dans   la  periode   fran^aise   de  la  Renaissance, 

in:  Annales  ....  Grenoble.    1899  (cf.  Giorn.  stör.   1901 

XXX VIII,  455  ff.). 
:  ün   chapitre   de  Boccace  et  sa  fortune  dans  la  litte- 

ralure  fran^aise,  in:  Bulletin  Italien.  1903.  lU,  1 — 6. 

:  Luigi  Alamanni.     P.  1903.     8«. 

Heaureau,    B. :    Histoire   litteraire    du  Maine.     P.    1844. 

3  Bde.     8^ 
Heroard:    Journal  .  .  .  sur    l'enfance    et    la   jeunesse    de 


—  xin  — 

Louis  XIII  (1601—1628),    extrait  des   MSS.   originaux 

par  E.  Soulifi  et  E.  Barthelemy.     P.  1868.    2  Bde.     8«. 
Hettner,  H.:  Französische  Literaturgeschichte  des  18.  Jahrh.'s^ 

5.  Aufl.  besorgt  von  H.  Morf.     Leipzig.  1894.     8*^. 
Hönncher,  E.:   Fahrten  nach  Mond  und  Sonne.     Studien 

zur   französischen   Literaturgeschichte   des    17.   Jahrh.'s. 

Oppeln-Leipzig.  1889.     8<>. 
Hoffmann,  F.  B. :  Ariodant,  drame  musical  en  trois  actes 

et  en  prose,  musique  de  Möhul.     P.  1799.     8^ 
Holly  F.:   Das  politische  und  religiöse  Tendeuzdrama  des 

16.  Jahrh.'s  in  Frankreich.     Erl.  u.  Lpz.   1903  (Münch. 
ßeitr.  XXVI.  Heft). 

Jal:  Dictionnaire  crit.  de  biogr.  et  d'hist.,  2«  ed.  P.  1872.  8®. 

Julleville,  Petit  de:  La  Comedie  et  les  Moeurs  en  France 
au  moyeu-äge.     P.  1886.     8^ 

Kawczinski,  G. :  Über  das  Verhähnis  des  Lustspieles  Les 
Contents  von  Odet  de  Toumöbe  zu  den  Esbahis  von 
J.  Grevin  und  beider  zu  den  Italienern.  Festschrift  zum 
8.  allgem.   deutschen  Neuphilologentag  in  Wien.    Wien. 

1898.  8^ 

Klingler,  0.:  Die  Comfedie-Italienne  in  Paris  nach  der 
Sammlung  von  Gherardi.  Ein  Beitrag  zur  Literatur-  und 
Sittengeschichte  Frankreichs  im  17.  Jahrh.  Diss.  [Zürich] 
Straßburg.  1902.     8*>. 

Knörich,  W. :  Die  Quellen  des  Avare,  in:  Z.  f.  neufrz. 
Spr.  u.  Litt.  1886.  VIII,  51flF. 

Köhler,  R. :  Eine  Stelle  im  Orl.  für.  und  Nachahmungen 
derselben,  in:  Z.  f.  Lit.  Gesch.  1876.  V.  Bd. 

Körting,    H.:    Geschichte   des    französischen    Romans    im 

17.  Jahrb.     Leipzig.  1886.     2  Bde.    8«. 

Köstlin,  H.  A. :  Geschichte  der  Musik.     5.  Ausg.     Berlin. 

1899.  8« 

Kowal:  L'Art  poet.  de  Vauquelin  de  la  Fr.    Progr.  Staats- 

Realsch.     Wien.  III.  1902.     8». 
Kugel,  S.:  Untersuchungen  zu  Mol. 's  M6decin  malgr6  lui,  in: 

Z.  f.  frz.  Spr.  u.  Lit.  1899.  XX,  1—71. 
LaBoetie,  E.  de:  Oeuvres,  p.  p.  Feugöre.  P.  1846.  8^ 


—    XIV    — 

La  Calprenöde,  S.  de:  La  Bradamante,  Tragedie.  A 
Paris.  (Chez  Sommaville).  1637.    4^ 

Lafontaine,  J. :  CEuvres,  p»  p.  H.  Eegnier  (Grands  Ecri- 
vains  de  la  France).    P.  1884—93.     11  Bde.    8^ 

La  Harpe,  J.  F.:  Cours  de  litterature.  P.  1834.  2  Bde.  8^ 

Lamartine,  A. :  (Euvres,  P.  (Lemerre).  1885—87.  12  Bde.  16®. 

Lanson,  G. :  Histoire  de  la  Littferature  frangaise,  7«  fed. 
P.  1902.    8^ 

La  Porte  et  Chamfort:  Dictionnairedramatique.  P.  1774. 
2  Bde.    8«. 

Laumonier:  La  Cassandre  de  Bonsard,  in:  Key.  de  la 
Renaiss.  1902  (oct-d6c.). 

Landau:  Die  Dramen  von  Herodes  und  Mariamne,  in:  Z.  f. 
vgl.  Lit.  1895.  VIII,  175  ff.,  279  ff. 

Laur,  E.:  Louise  Lab§:  Zur  Geschichte  der  franz.  Lite- 
ratur des  16.  Jahrh.'s     Straßburg.  1873.    8^. 

Laval,  Mathieu  de:  Isabelle,  imit6e  de  TArioste.  P. 
1576.     8^ 

Lefranc,  A.:  Le  platonisme  en  France  au  XV®  et  au 
XVI«  siöcle,  in :  Rev.  d'Hist.  litt,  de  la  France.  1896. 
III,  1—45. 

Lemaitre,  J. :  La  comödie  aprfes  Moli^re  et  le  tbSätre  de 
Dancourt.     P.  1882.     8^ 

Lemazurier:  Galerie  des  acteurs  du  ThSätre  fran^üis. 
Neudruck.     P.  1810.     2  Bde.     8^ 

Lemercier,  A.-P.:  Etüde  litteraire  et  morale  sur  les  po^sies 
de  J.  Vauquelin  de  la  Fresnaye.    P.  1887.    8®. 

Lenient,  C. :  La  Comfedie  en  France  au  18«  siöcle.  P. 
1888.     2  Bde.     8^ 

Lepage:  Le  Th6ätre  en  Lorraiue.    P.  1897.    8^ 

Le  Sage,  A.  R. :  Les  eaux  de  Merlin.  Opera  comique  en 
un  acte  et  en  Vaudeville,  im  2.  Bande  des  Th6ätre  de 
la  Foire,  contenant  les  meilleures  pißces,  qui  ont  6t6  re- 
presentees  aux  foires  de  St-Germain  et  de  St-Laurent... 
recueillies,  revues  et  corrigees  p.  M.  M.  Le  Sage  et 
d'Orneval.    P.  (Etienne  Ganneau).  1721.  9  Bde.     12«. 

Le  Sage  et  d'Orneval;   L'isle  des  Amazones.   Opera  Co- 


—    XV    - 

mique   en  un  acte  et  eo  Vaudeville,  im   3.  Bande  des 

Theätre  de  la  Foire.     P.  1721.  9  Bde.     12«. 
Lintilhac,  C:  Precis  bist,  et  crit.  de  la  Litt6rature  fran- 

gaise.     I.  Bd.     P.  s.  a.  [1890/91.]     8. 
Loforte-Randi:     ümoristi,     in:     Letteratura    straniera. 

Palermo.  1901.  3»8erie,  179  ff. 
Madeleine,  J.:  Quelques poötes  frangais  des  16«  et  17«  siöcles 

k  Fontainebleau.    Fontainebleau.  1900.    8®. 
Mahrenholtz,  E.:  Moli^re  und  die  römische  Komödie,  in: 

Herr.'s  Arch.  1876.  LVI,  24—264. 
:  Moliöre  und  die  spanische  Komödie,  in :  Herr.'s  Arch. 

1878,  LX,  284ff.  [Cf.  Frz.  Stud.  1881.  II,  154 ff.]. 

:  Moliöre's  Leben  und  Werke.     Heilbronn.    1881.     8^ 

Mahelot,  E. :  Memoire  de  plusieurs  decorations  [begonnen 

V.  L.  Mahelot,   fortg.   v.   M.  Laurent  i.  J.   1675;   Bibl. 

nat. :  mss.  fr.  24330] ;  zitiert  nach  Bigal :  Hist.  du  ThSätre 

fran^ais  avant  Corneille,  p.  3 10  ff. 
Mairet,  J.  de:  Le  Eoland  furieux.  Tragicomßdie.  A  Paris. 

(Chez  Aug.  Courbej.  1640.    4<>. 
Malherbe,  F.  de:  (EuTres  comp!.,  p.  p.  Laianne.  P.  1862. 

5  Bde.    8^ 
Marigny,  F.:  Les  Fetes  de  Versailles.    P.  1664.    8^ 
Marmontel,  J.  F.:  (Euvres  compl.   P.  1818.    19  Bde.   8^ 
:  Le  Roland  furieux,  trag,   lyr.,   musique  de   Piccini. 

P.  1875.     8». 
Marot,  J.:  (Euvres,  p.  p.  Jeannet.    P.  1883.    4  Bde.   8^ 
Marpillero,  G. :  I  suppositi  del  L.  Ariosto,  in:  Gior.  stör. 

1898.  XXXI,  291  ff. 
Maulde,  R.    de:    Louise  de  Savoie  et  Frangois  1«^     P. 

1895.     8^ 
Maupoint:  Bibliothöque  du  Theätre  frangois.    P.  1783.   8^ 
Mellin  de  St-Gelais:  CEuvres,  p.  p.  Blanchemain.  (Bibl. 

elz6v.)  P.  1873.     3  Bde.     8«. 
Merz,  J.:  Carlo  Goldoni  in  seiner  Stellung  zum  franz.  Lust- 
spiel.   Eine  Quellenuntersuchung  (Diss.).   Lpz.  1903.   8^. 
Moli^re,  J.  B. :  CEuvres,  p.  p.  Despois  et  Mesnard.    (Gr. 

Ecr.  de  la  Fr.)  P.  1873—93.     11  Bde,     8«. 


-    XVI    — 

Monselet,  Ch. :   Les  Oublies  et  les  Dedaign^s.    P.  1857. 

2  Bde.    80. 

Montchrestien,  A.  de:  Les  tragSdies,  d'apr^s  rsdition  de 

1604,  p.  p.  L.  P.  de  JuUeville.    P.  1891.    8^ 
Montreux,  Nicolas  (Ollenix  du  Mont  Sacr6):   Bergeriea 

de  la  belle  Julliette,   Ensemble  la  Tragedie  d'Isabelle 

De  rinvention  d'Ollenix  du  Mont  Sacr6,  Gentilhomme 

du  Mayne.     A  Paris  (Chez  G.  des  Rues).  1 596.    4  Bde. 

12<>  (Paris.  Bibl.  nat.:  Y«  7068  u.  Y  7069). 
Morf,   H.:   Die  franz.  Literatur  zur  Zeit  Franz  L  (1615— 

1647),  in:  Herr.'s  Arch.  1896.  XCIV,  207 ff, 
Morillot,  P. :  Scarron  et  le  genre  burlesque.  P.  1888.   8^ 
Nagel,  H.:  Das  Leben  und  die  Werke  J.  A.  de  Baifs,  in: 

Herr.'s  Arch.  1878.  LX,  241  ff.  u.  1879.   LXI,  S.  53  ff. 
Neri,  G. :  Una fönte  delP  Ecossäise  de  Voltaire,  in:  Bassegna 

bibliografica  della  lett.  ital.  1896.  VII,  821  ff. 
Nisard,  R.:  Hist.  de  la  litt.  fran^.  8«  6d.  P.  1881.  4  Bde.  8^ 
Nolhac,   P.  e  Solerti,   A.:   II  viaggio  in  Italia  di  En- 
rico III.    Torino.  1890.  8»  (Cfr.  Giom.  stör.  1891.  XVII, 

136  ff.), 
Oelsner,    K. :    Dante   in   Frankreich    bis   zum    18.  Jahrh. 

Berlin.- 1898.  8^     Koch's  Z.  f.  vergl.  Lit.-G.  XII,   488 

(Cfr.  Herr.'s  Arch.  1900,  CII,  229  und  Gior.  stör.  XXIX, 

142). 
Oriol,  A. :   Leopardi  et  la  litt^rature  fran;.,  in:  Bulletin 

italien.  II,  303  ff. 
Panard  et  Sticotti:  Roland,   Parodie,  im   1.   Bde.  der 

(Buvres  de  Panard.    P.  1763.    4  Bde.     12«. 
Palissot,  Ch. :'  Memoires  pour  servir  ä,  l'histoire  de  notre 

temps.     P.  1763.     8^ 
Paris,  G.:  La  pofisie  fr.  du  moyen-age,  2.  Aufl.   P.  1890.  8*>. 
:  La   nouvelle   frang.    aux   XV«  et   XVI«  siöcles,   in: 

Journal  des  Savants,  1895,  mai-juin. 
:  La  Source  italienne  de  la  Courtisane  amoureuse,  in: 

Raccolta  di  studj  .  .  ded.  al  D'Ancona.  Firenze.  1901.  4®. 
Parodies  du  nouveau  th^ätre  italien,  ou  Recueil  des  Parodies 

repres.  p.  les  Comediens  italiens.     P.  (Briasson).   1731. 

3  Bde.     12^ 


—    XVII    - 

Pasini,  F.:  La  „Bradamante'*  di  Roberto  Garnier  e  la  sua 

fönte   ariostesca,   in:   Annuario   degli  Studenti  Trentini. 

Trento.  1901.    8^    S.  121  ff. 
Pelissier,  G. :   Ronsard  et  la  Plfiiade,  io:  Petit,  de  JuUe- 

ville's  Bist.  d.  1.  langue  etc.  III,  137  ff. 
Perrens,   F.  T.:  La  ComÄdie  italienne  ä  Paris.    M"®  Ri- 

stori,  in:  Rev.  des  deux  Mondes,  15  juin  1855;   15  juin 

1867. 
Petitot,    G.:   Repertoire    du   Thöätre   fran^ais.     P.    1817. 

5  Bde.    8^ 
Pflänzel,  M.:  Über  die   Sonette   des  J.  du  Bellay  nebst 

einer  Einleitung   über   die  Einführung  des  Sonettes  in 

Frankreich.    Saalfeld.  1898.    8^ 
Picot,  E. :  Des  Fran^ais  qui  ont  6crit  en  italien  au  16«  si^cle, 

in:  Rev.  des  bibliothöques  1898.  janv.-juin.  XI. 
Picot,  E. :  Les  italiens  en  France  au  16«  sidcle,  io:  Bulletin 

italien  I,   92 ff.,   269 ff.;    II,   23 ff.   u.   108 ff.;   III,   25 ff. 

u.  219  ff. 
Pifteau,  C:  Hist.   du  Theätre  en  France.     P.  1879.     8^ 
Piferi,  M. :  Le  petrarquisme  au  XVI«  siede.    Petrarque   et 

Ronsard.  (Thöse).  Marseille.  1896.    8». 
Pinyert:  L.  de  Baif.     P.  1900.     8^ 
Quinault,  Pb. :  Le  Roland  furieux,   Tragedie  lyrique.   P. 

1685.     80  (Paris.  Bibl.  nat.:  YTh.  15725). 
Rabelais,   Fr.:  (Euvres,  p.   p.  L.   Jacob  Bibliophile.     P. 

1853.     8^ 
Rajna,  P:  Le  Fonti  dell'  Orl.  für.  1.  Aufl.   Fir.  1876.  8^ 
R6gnier,   M.:   (Euvres,   p.   p.  Jeannet.    P.   1874.    8®  und 

E.  Courbet.  P.  1875.     8^. 
Reynier,  G.:  Thomas  Corneille.  (Thöse).  P.  1892.  8». 
Rathery,  E.  J.  B.:  Llnfl.  de  lltalie  sur  les  lettres  fr.   P. 

1853.     8^ 
Riccoboni,  L.:  Histoire  du  Theatre  italien.    P.  1731.    8^ 
Riemann,  H.:  Opernhandbuch.  Lpz.  1887.  Suppl.  1893.  8^ 
Rigal,   E. :    La  Pastorale,    in:    JuUeville's  Histoire    de   la 

langue  etc.  (1897).  III,  3l6ff. 
:  Le  Thöätre  fr.  avant  la  periode  classique  etc.  P.  s.  a. 

[1901].     8<>. 

II 


—    XVIil    — 

Rigal,  E.:  Les  personnages  de  la  Com^die  an  16«  si^cle,  io: 

Rev.  d'Hist  litt,  de  la  France  1897.  IV,  161  ff. 
Robiou,  E.:  Essai  sur  Thist.  de  la  litt,   et  des  moeurs  pen- 

dant  la  premi^re  moitie  du   17^  si^cle.     Sous  le  rdgne 

de  Henri  IV.     P.  1868.     8^ 
Bochon  de  Chabannes:   Heureasement,   Com6die  en  un 

acte. et  en  vers,  p.  p.  J.  J.  01i?ier.    P.  1903.     8^ 
— :  La  coupe   enchantSe,   Com^die  en  un  acte   en  prose,   im 

I.   Bd.    des    Nouveau  Th6atre   de   la  Foire.     P.   1765. 

4  Bde.     8». 
Rolland,  R. ;   Histoire   de   TOpera  en  Eurppe  atant  LuUy. 

P.  1895.    8^ 
Ronsard,  P.:  (Euvres,  p.  p.  P.  Blanchemain.   P.  1867— 67. 

7  Bde.  8«.  (Bibl.  elz.), 
Roy,    Cb. :    Bradamante,   Tragödie,   Musique   de   la    Geste. 

P.  1707.  4«  (Paris.  Bibl.  nat.:  YS  6V»6). 
Saar,   K.:  Der  Komödiantenroman.    Berlin,  Stuttg.    (Spe- 

maon.)  s.  a.  8^ 
Saint-Amant:   CEuvres .  compl.,   p.  p.  L.  Livel.     P.  1855. 

2  Bde.     160. 
Saint- Marc  Girardiu:  Tubleau  de  la  litterature  fran- 

^aise  du  16«  si^cle.     5»  ed.     P.  1883.    8®. 
Sauvage,   P.  et  ***:   Angelique   et  Medor,    Opera  bouffe 

en  1  acte.     P.  1843.     8«. 
Scarron,  P. :   Le  Roman   comique,   p.  p.    V.  Fournel.     P. 

1857.     2  Bde.     16«. 
Schirmacher,  K. :   Theophile  de  Viau,  in:    Herr.'s  Arch. 

1896.  XCVl,  97—169,  u.  XCVII,  29—100. 
Schmidt,  Erich:  Charakteristiken.     Berlin.  1886.     8®. 
Schneegans^H.:  Molidre,  in:  Geisteshelden,  Bd.  42.  Berlin. 

1902.     8«. 
Schoembs,   J.:    Ariost's  Orlando  furiose  in  der  englischen 

Literatur  des  Zeitalters  der  Elisatfeth  (Diss.).   Soden  a.  T. 

1898.     8<^. 
Schoenherr,  P. :  St-Amant,  sein  Leben  und  seine  Werkr, 

in:  Z.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  1888.  X,  113 ff. 
Schuchardt,  H. :  L^Ariosto,  in:  Beilage  zur  allg.  Zeitung 

1875,  Nr.  149. 


—    XIX    — 

Schure,  E.:  Histoire  du  Drame  Musical.     P.  1873.     8^ 
Scoppa,  A. :   Trait6   de  la  pofesie  italieime,  rapportSe  ä  la 

pofeie  frantjaise.     P.  1803.     8^. 
Seele,  W. :   Voltaire's  Roman  Zadig  ou  la  Destinfee.     Eine 

Quellenforschung.     (Diss.).     Lpz.  1891.     8^. 
Soelthoff- Jensen,  K.  K.:  Le  5^  livre  de  Rabelais  et  le 

Songe   Poliphile,    oeuvre    etrange    du    dominicaiu    italien 

Fr.  Colonna,  in :  Rev.  d'Hist.  litt,  de  la  France.  1896.   8^ 
Steffens,  Gr.:  Rotrou-Studien  I.   Jean  de  Rotrou  als  Nach- 
ahmer Lope  de  Vega's.     Berlin,  1891.     8®. 
Stiefel,  A.  L. :   Unbekaänte  italienische  Quellen  Jean  Ro- 

trou's,   in:   Z.  vgl.  Lit.  1893.     Bd.  VL  ö  Suppl.  S.  Iff. 
:  Tristan  THermite's  le  Parasite  und  seine  Quellen,  in : 

Herr.'s  Arch.  1891,  Bd.  86,  47  ff. 
:  Einfluß    des   italienischen   Dramas    auf   das    anderer 

Länder,  in:  VoUm.'s  J.-Ber.  1896.  IV  (II,  555). 
:  Geschichte   der  Don  Juansage,  in:   J.-Ber.   f.  neuere 

d.  Lit.,  herausg.  v.  E.  Schmidt  1899,  Bd.  X,  ü.  Abteil. 
Stemplinger,  E. :  Ronsard  u.  d.  Lyriker  Horaz,  in:  Kört. 

Z.  f.  neufrz.  Spr.  u.  Lit.  1904.  XVI,  70 ff. 
Texte,  J.:   Les  origines   de  la  Renaissance,  in:   Rev.   des 

Cours  et  Cooferetices  1894,  nov.-mars.     S.  248  ff. 
:  L^nfluence   italienne    dans    la   Renaissance  fran^aise, 

in:   Etudes   de   littörature   europ§enne.     S.  25—48.     P. 

1898.  8^ 

Toldo,  P. :   A  proposito   d*una   fönte  ital.  del  Tartuffe,  in: 

Gior.  stör.  1894.     Bd.  23,  S.  297  ff. 
:  Contributo  allo  studio  della  Novella  francese  del  XV 

e  XVI  secolo.     Roma.  1896.     8®. 

—  — * :  La  Comedie  fran^-aise  de  la  Renaissance,  in :  Rev.  de 

l'Hist.    litt,   de  la  Fr.  1897.  IV,  366ff.;  1898,  V.  554ff.; 

1899.  VI,  571  ff. 

:  L'arte  italiana  nell'  opera  di  Rabelais,  in:  Herr.'s  Arch. 

1899.  Bd.  100,  S.  103. 

—  — * :  Deir  Espion  de  G.  P.  Maranno  e  delle  sue  attenenze 

con  le  Lettres  persanes  del  Montesquieu,  in:   Gior.  stör. 
1897.  XXVIII,  S.  84ff;  XXIX,  47 ff. 

II* 


-    XX    - 

Toldo,  F.:  La  Bottegd.  del  cafe  e  TEcossaise  del  Voltaire, 

in:  Gior.  stör.  XXXI,  442. 
—  — :   Quelques    sources    italiennes    du    Th^atre    comique 

d'Houdar  de  la  Motte,  in :  Annales  .  .  .  Bull.  ital.  1900. 

I,  200  fif. 
:    La   pofesie   burlesque,    in:    Z.    f.    rom.    Phil.    1901. 

XXIV  u.  XXV  und  RhlF.,  1901.  VIII,  569  flF. 
Torraca,  F.:  Gl' imitatori  del  Sannazaro.   Roma.  1882.    8*^. 
Trautmann:  Franz.  Schauspieler  am  bayerischen  Hofe,  in: 

Jahrbuch  f.  Münchener  Geschichte  II,  183. 
Treverret,  Ch.:  L'Italie  au  16«  siöcle.    P.   1879.  II«  serie. 

8«  [Cfr.  Rev.  critique  1880,  S.  37]. 
Vaganay,H.:Le  Sonnet  en  Italie  et  en France  au  16«  siöcle. 

Lyon.  1902.     8^ 
Vaganay  et  Vianey:   Un  modöle  de  Desportes,  in:  Rev. 

d^Hist.  litt.  1903.  X,  277  ff. 
Vaganay:  Du  Bellay  et  les  Rimes  diverses,  in:  Rev.  d'Hist. 

litt.  1901.  VIII. 
Vauquelin    de    la  Fresnaye:    Diverses   po§sies,    p.    p. 

J.  Travers.     Caen.  1869.  2  Bde.     8^ 

:  Les  Foresteries,  p.  p.  J.  Travers.    Caen.  1872.    8^ 

Vianey,  J.:  Mathurin  R6gnier.     P.  1896.     8^ 

:  Les  ödes  pindariques  de  Ronsard,  in :  Rev.  d.  langues 

rom.  1900.     sept.-oct. 

:  L'Arioste   et  la  Pleiade,   in:  Bull.  ital.  I,  293—317. 

:  La  Source  de  TOlive,  in:  Rev.   crit.    1902.    21  oct. 

:  ün  modöle  de  Desportes  non  signal6  encore,  in:  Rev. 

d'Hist.  litt,  de  la  Fr.  1903.  X,  277  ff. 
:  L'Arioste  et  les  Discours  de  Ronsard,   in:  Rev.  Uni- 
versitaire 1903.  XII,  473—75. 
:  La  part  de  Timitation  dans  les  Regrets,  in:  Bull.  ital. 

IV,  Iff. 
Vollhart,  W.:  Die  Quelle  von  Moliöre's  Tartuffe,  in:  Herr. 's 

Arch.  Bd.  91,  S.  55—68. 
Voltaire:  CEuvres,  p.  p.  Beuchet.  P.  1829—34.  70Bde.  8<^. 
Wagner,  E.  W. :   Meilin  de  St-Gelais.  —  Eine  literarische 

u.   geschichtliche   Untersuchung.      Ludwigshafen    a.   Rh. 

1893.     8^. 


—    XXI    — 

Weinberg,  Q.:  Geschichte  des  franz.  Schäferspiels  in  der 

ersten  Hälfte  des  17.  Jahrh.'s.  Frankfurt  a.  M.  1884.  8^. 
Wenzel,   G. :  P.  Larivey's  Komödien  und  ihr  Einfluß  auf 

Moliöre,  in:  Herr.'s  Arch.  Bd.  82,  S.  63—81. 
:  Ästhetische  und  sprachliche  Studien  über  Antoine  de 

Monchr6tien,  im  Vergleich  zu  seinen  Zeitgenossen.  (Diss.). 

Weimar.  1885.     8». 
Young:  Moliöre's  Stegreif komödien,  in:  ZfrSp.  XXII,  190 ff. 
Zumbini,  B.:  Studj  di  lett.  stran.   Firenze.  1893.  8^   (Vgl. 

Gier.  stör.  Bd.  23,  292  ff.). 


Anm.  In  der  obigen  Liste  sind  folgende  von  dem  Verfasser 
benatzte  Arbeiten  nicht  mit  verzeichnet  worden,  da  deren  Titel  bereits 
bei  Klein,  der  Chor,  p.  IX ff.,  Fest,  der  Miles  glor.,  p.  IX ff.;  Ebner, 
Beitrag,  p.IXff.;  Buchetmann,  Kotroa's  Antigone,  p.  VIII  ff. ;  Böhm,  Bei- 
träge, p.  Xff.  and  HoU,  Tendenzdrama,  p.  Xff.  aafgeführt  sind:  Amicis, 
L^mitazione  latina;  Ancien  th^fttre  fr.,  p.  p.  Viollet  le  Duo;  D^Ancona, 
I  comici  italiani;  Aneedotes  dramatiques;  Baschet,  Les  com^diens; 
Beaachamps,  Keoherches;  Belleaa,  (Eavres  po6tiqaes;  Bibliotheqae 
da  th.  fr.,  p.  p.  La  Valli^re;  Birch-Hirschfeld,  Geschichte;  Brunet, 
Manuel;  Ohasles,  E,,  La  com^die;  Ohasles,  Ph.  !&tudes;  Greizenach,  Ge- 
schichte; Darmesteter  et  Hatzfeld,  Le  16e  siede;  Dhom,  Welches  ist 
das  Verhältnis  . .  .  .;  Des  Masares,  Trag^dies  sainctes;  Didot,  Dict.  g6n. ; 
Doamic,  Marguerite  de  Navarre;  Da  Verdier,  La  bibliothöqae ;  Ebert, 
Entwicklangsgeschiehte ;  Fagaet,  La  trag^die;  Foarnier,  Le  th^&tre  fr. 
aa  16e  et  au  17e  siecle;  Foomier,  Varietes  bist,  et  litt.;  Garnier,  Les 
tragSdies,  heraasgog.  v.  W.  Förster;  Gaspary,  Geschichte;  Goedeke, 
Grandriß;  Goajet,  Bibliotheqae;  Gröhler,  P.  Scarron;  Haag,  La  France 
protestante;  Histoire  universelle  des  th6atres;  Jodelle,  (Euvres,  p.  p. 
Marty-Laveaax ;  Journal  du  th^atre  fran^ais  (zitiert  nach  Faguet); 
Julleville,  Histoire  du  th^ätre  en  Fr.  au  m.  äge;  derselbe,  Hist.  de  la 
langue  etc.;  Kahnt,  Gedankenkreis;  Klein,  Geschichte  des  Dramas; 
La  Croix  du  Maine  et  du  Verdier,  Les  biblioth^ques;  Larivey,  Les 
Gomedies;  La  Taille,  Jacques  de,  (Euvres;  Lenient,  La  Satire;  Leris, 
Dictionnaire  portatif;  Lotheissen,  Molifere;  derselbe,  Geschichte;  Lucas, 
Histoire  philosophique ;  Mairet,  Silvanire,  herausgeg.  v.  R.  Otto;  Magnin, 
Les  origines;  Marguerite  de  Navarre,  L'Heptameron ;  Michaud,  Biogr. 
univ.;  Moland,  Moli^re  et  la  com.  ital.;  Moreri,  Le  grand  Dictionnaire 
historique;  Morf,  Geschichte;  Mouhy,  Tablettes  dramatiques;  derselbe, 
Abrege;   Nagel,   A.    de    Bai'f;    Niceron,    Memoires;    Parfaict,   Histoire; 


—  xxn  ~ 

Dieselben,  Dictionnaire  des  theätres;  Pasquier,  Les  Äecherches;  Peters. 
P.  Scarron  [Müncheü«r  Beitrag«,  fl.  6];  Proelss,  Geschiebte;  ßein- 
hardstöttner,  Piautas;  Rigal,  A.  Hardy;  derselbe,  fisqoisse;  Saint e- 
Beuve,  Tableau  historiqne;  Sand,  Itasques;  Schmidt^ Wartenberg, 
Seneca's  Einfluß;  Stiefel,  Über  die  Chronologie;  Suchier  und  Birch- 
Hirschfeld,  Geschichte;  Tivier,  Histoire;  Toldo,  Figaro;  derselbe,  Ge 
que  Scarron  doit . . .  . ;  derselbe,  Le  theätre  de  la  Renaissance ;  Vapereau, 
Dictionnaire;  Wiese  u.  Percopo,  Geschichte. 


Einleitung. 


1.  Der  Einfluß  Italiens  anf  die  französische  Literatnr 
im  allgemeinen. 

Der  Einfluß  der  italieDischen  Literatur  auf  die  fran- 
zösische ist  der  tiefgehendste  und  erfolgreichste  gewesen,  den 
je  eine  fremde  Literatur  auf  das  französische  Schrifttum  aus- 
zuüben vermocht  hat.  Trotzdem  fehlt  es  immer  noch  an  einer 
das  gesamte  Gebiet  der  Literatur  umfassenden  Darstellung 
dieses  Einflusses.  Seitdem  mit  der  Renaissance  das 
Studium  des  klassischen  Altertums  seinen  Einzug  in  Frank- 
reich gehalten  hatte,  ward  man  nicht  müde^  die  Alten  als  die 
unerreichten  Vorbilder  zu  preisen  und  ihre  Nachahmung  als 
die  sicherste  Gewähr  für  die  Unsterblichkeit  eines  Werkes 
hinzustellen;  in  Wirklichkeit  aber  plünderte  man  die  Schätze 
der  spanischen  und  ganz  besonders  der  italienischen  Lite- 
ratur, meist  ohne  Quellenangabe,  oft  auch  mit  der  lügenhaften 
Angabe  antiker  Vorbilder.^)  Es  ist  daher  begreiflich,  wenn 
die  Literarhistoriker  des  16.  bis  18.  Jahrhunderts,  soweit  sie 
überhaupt  sich  mit  Quellenforschung  beschäftigen,  zunächst 
den  klassischen  Einfluß  auf  die  französische  Literatur  hervor- 
heben, weniger  aber  den  italienischen  beleuchten.  So  zählt 
Du  Verdier  (1586)  nur  die  Übersetzungen  und  freien  Über- 
tragungen italienischer  Dichter  auf,   scheint  aber  nichts  von 


')  Texte,  Le»  orig.  dt  Ja  Ben,  (R.  des  c.  et  e.)  1894,  8.  248:  €lls 
Mit  pleine  la  hauche  de  la  tragedie  grecque;  en  faxt  ils  liBent  et  relisent 
la  Sophonishe  de  Trissin;  s'ils  imiteront  Terence  ou  Piaute,  leur  vrai 
omd^k  est  une  comSdie  de  Bibbiena,» 

Münohener  Beiträge  z.  romanischen  n.  engl.  Philologie.    XXXIV.     1 


—    2     — 

der  italianisiereiiden  franz.  Lyrik  des  16.  Jahrh.  zu  wissen; 
80  erwähnt  er  von  Mellin  de  St- Gelais  nur  die  Gineira 
und  die  Sophonisbe  als  Nachahmungen  der  Italiener  ^)9  von 
Desportes  nur  die  Übertragungen  aus  dem  Rasenden  Roland 
und  aus  Aretino's  Marftm,^)  Goujet  behandelt  allerdings  in 
einem  eigenen  Bande  die  italienischen  Übersetzungen,  doch 
führt  er  von  sonstigen  Einflüssen  der  italienischen  Literatur 
wenig  an.  Du  Bellay  nennt  er  den  französischen  Ovid'); 
Konsard  hat  nach  ihm  nur  das  Altertum  zum  Vorbilde  ge- 
nommen ^) ;  auch  bei  Ant.  Baif  wird  mit  keinem  Worte  des 
italienischen  Einflusses  gedacht.'^)  Besser  unterrichtet  sind 
die  Brüder  Parfaict  in  ihrer  IKstoire  du  ihedtre  franQais  (1745  ff.) 
und  Beauchamps  in  seinen  Recherehes  (1735),  da  die  Bühnen- 
dichter gewöhnlich  die  Quelle,  aus  welcher  sie  ihre  Stoffe 
schöpften,  angegeben  haben.  Wo  das  jedoch  nicht  der  Fall 
ist,  sind  ihre  Quellenangaben  mit  großer  Vorsicht  aufzunehmen.*) 
Erst  im  19.  Jahrhundert  beschäftigt  sich  eine  Reihe 
hervorragender  Gelehrter  mit  der  Untersuchung  dieses  Ein- 
flusses. Ant.  Scoppa  stellt  1803  in  seinem  TraitS  de  la  poisie 
italienne,  rapporte  ä  la  poisie  fran^ise  eine  eingehende  Unter- 
suchung über  die  französische  Prosodie  an  und  kommt  zu 
dem  Besultate,  daß  ein  großer  Teil  der  franz.  Verskunst  von 
der  italienischen  beeinflußt  sei.^  Weit  wichtiger  ist  Rathery's 
Influence  de  VItalie  sur  les  lettres  frangaisesj  depuis  le  XIIP  s. 
jusqu^au  regne  de  Louis  XIV.  Doch  gibt  Rathery  nur  einen 
allgemeinen  Überblick  über  den  italienischen  Einfluß  in  Frank- 
reich; einen  großen  Raum  nimmt  zudem  die  Untersuchung 
von  Frankreichs  Einfluß   auf  Italien   ein^);  so  handeln   die 


>)  Biblioth.  S.  864. 

«)  Ihd.  S.  947. 

«)  Bibl.  frang.  XII,  119. 

*)  Ihd.  XII,  192. 

»)  Ihd.  XIII,  340. 

•)  Vgl.  über  die  geringe  Zuverlässigkeit  ihrer  Angaben  Böhm  ^  Beitr. 
z.  Kenntnis  d.  Einflusses  Seneca's  (8.  ^SSl),  woselbst  sich  noch  weitere 
lAteratumachweise  finden. 

'')  Traue,  S.  245 f. 

•)  Oelsner,    Dante    in  Frankreich,   unterzieht   das  Buch    einer 


—    3    — 

ersten  60  Seiten  nnr  von  dem  letzteren.  Spricht  er  z.  B.  von 
TassOy  60  ist  ihm  in  erster  Linie  daran  gelegen,  zu  be- 
weisen, daß  der  italienische  Dichter  häufig  auf  altfranzösische 
Quellen  zurückgeht;  zum  Schlüsse  erst  fügt  er  hinzu,  wie 
Boileau  und  Voltaire  über  den  Dichter  geurteilt  haben.^) 
Über  Konsard  und  seine  Schüler  weiß  er  nur  zu  sagen,  daß 
sie  besonders  Petrarca,  Bembo  und  Sannazar  nachahmen'); 
in  ähnlicher,  allgemeiner  Weise  wird  die  Pastorale  behandelt. 

Gründlicher  und  übersichtlicher  behandelt  Amould  den 
Gegenstand  in  seinen  Essais  de  theorie  ei  cThistoire  litteraire 
(1858);  er  betrachtet  die  einzelnen  Literaturgattungen  in 
chronologischer  Reihenfolge  und  untersucht  besonders  eingehend 
den  Einfluß  des  italienischen  Stiles  auf  den  französischen. ') 
Was  den  stofiFlichen  Teil  betrifft,  so  geht  er,  wie  sein  Vor- 
gänger, nie  auf  Einzelheiten  ein.  So  sagt  er  z.  B.  über  die 
franz.  Dichter  des  16.  Jahrhunderts*):  *Il  serait  facile  de  relever 
dans  les  ceuvres  de  Bonsard,  de  du  Beliay,  de  Baif,  de  Remi 
BelleaUy  de  Desportes  et  en  gincral  des  poetes  de  la  seconde  moiiii 
du  16*  siecle  un  grand  nombre  de  morceaux  lyriques,  ödes,  sonnetSj 
ehansons,  madrigaux,  imites  ou  traduits  de  Vitalien,  mais  cela  nous 
apprendrait  peu  de  chose.y  (\)  Ihm  ist  es  besonders  darum  zu 
tun,  das  resuUat  definitif  festzustellen. 

Auch  Demogeot  widmet  einen  größeren  Abschnitt  seiner 
Histoire  des  lüieratures  etrangeres  (1880)  dem  italienischen  J!in- 
flusse.^)  Er  verfolgt  ihn  als  erster,  allerdings  in  ganz  kurzen 
Umrissen,  vom  Beginn  des  15.  Jahrhunderts  bis  in  die  erste 
Hälfte  des  19.  Jahrhunderts,  lehnt  sich  jedoch  allzusehr  an 
Rathery  an,  den  er  auch  in  der  ausführlichen  Behandlung 
des  französischen  Einflusses  auf  die  italienische  Literatur 
nachahmt. 


scharfen  Kritik;  Demogeot,  Eist,  des  litt  itr.^  spricht  ihm  die  Oriind- 
lichkeit  ab. 

*)  InfluencCy  S.  96. 

•)  Ibd.,  S.  110. 

*)  Essais,  8.  335:  »De  Vinfluence  exercee  par  h,  littirature  italienne 
sur  la  litterature  fran^aise.» 

*)  IM.,  S.  416. 

»)  Chap.  Xni,  135  ff. 

!♦ 


—    4    — 

in  demselben  Jahre  (1880)  erschien  die  erste  be- 
deutendere Arbeit  über  die  italienischen  Schauspieler  in  Frank- 
reich, besonders  in  Paris,  von  Campardon,  welcher  sich 
ausschließlich  mit  der  inneren  Geschichte  derselben,  mit  ihr^ 
Beziehungen  zum  französischen  Hofe,  ihren  Einnahmen,  ihrer 
sozialen  Stellung  und  ihrem  Privatleben  beschäftigt.^)  Auch 
Baschet  geht  in  seinen  Comidiens  italiens  ä  la  cow  de  Fronet 
nicht  auf  den  literarischen  Einfluß  der  italienischen  Schau- 
spieler ein. 

Von  deutschen  Forschern  kommt  besonders  Lotheissen's 
Geschichte  der  franxös^iscJien  Literatur  im  17.  Jahrhundert  (1877) 
in  Betracht;  zwar  weist  er  nachdrücklich  auf  die  wichtige 
BrOlle  bin,  welche  Italiens  Schrifttum  in  Frankreich  spielt^, 
doch  geht  er  nicht  viel  über  BAtherj  und  Demogeot  hinaus; 
auch  ihm  ist  die  Pleiade  in  erster  Linie  Nachahmerin  der 
Alten,  Malherbe  einseitiger  Bewunderer  der  Griechen  und 
B<)mer,  Begnier  nur  ein  Schüler  des  Horaz.^)  Ergiebiger 
dagegen  ist  Proelss'  Abschnitt  über  dieses  Thema  in  seiner 
Geschichte  des  neueren  Dramas  (1880/83)  *),  besonders  der  Teil, 
welcher  die  französische  Oper^)  bebandelt,  während  ihm  da- 
gegen bei  der  Besprechung  der  Tragödie  und  der  Komödie 
nicht  wenige  Irrtümer  unterlaufen.®) 

Erst  das  letzte  Jahrzehnt  des  vorigen  Jahrhunderts  bringt 
a^§  mehrere  eingehende  Abhandlungen  über  einzelne  Epochen 
der  französischen  Ldteratur,  in  denen  die  italienische  Ein- 
wirkung sich  besonders  geltend  macht. 

Nolhac  und  Solerti  liefern  einen  ausführlichen  Bericht 
von  Heinrich's  III.  Reise  nach  Italien  und  von  seinem  ersten 
Zusammentreffen  mit  den  Catnici  gelost  in  Yenedig.'^  Stiefel 


*)  Les  comediens  du  roi  de  la  troupe  ilalienne  etc.  Par.  1880.    ^. 

«)  Geschichte  J,  25,  27,  2e4ff.;  ii;  9 ff. 

»)  Ibd.  J,  30. 

*)  Cf.  Bd.  II  Halhhand  i,  8-314. 

*)  Ibd.,  S.  234—310. 

•j  Ihd.,  S.  22 :  Die  Corrivaux  sollen  die  Übersetzung  eines  Ariosf  sehen 
Lustspieles  sein!  8.  26:  Die  Deguisez  des  J.  Oodard  sind  nach  ihm 
von  Larivey  beeinfiufU. 

'^  Nolhac  e  Solerti,  II  viaggxo  in  Italia  di  Enrico  III  etc 
1890;  vgl.  auch  das  Öiorn.  stör.  1891,  XVIL  146 ff. 


—    5    — 

untersucht  die  ital.  Qaellen  des  Paraaiie  von  Trisiran  VHermiU 
und  einige  unbekannte  Quellen  Botrou'scher  Stücke.^)  Texte 
beginnt  seine  Forschungen  über  Italiens  Einfluß  auf  die  fran- 
zösische Renaissance,  welcher  nach  ihm  darin  bestand,  daß 
er  in  die  Sprache  Anmut  und  Reinheit  brachte,  in  dem 
Dichter  einen  stark  ausgeprägten  Individualismus  großzog  und 
die  idie  düari  als  obersten  Grundsatz  für  jeden  Dichter  auf- 
stellte.^ Allerdings  bleibt  uns  Texte  einen  befriedigenden 
Beweis  für  diese  von  ihm  aufgestellten  Punkte  schuldig.  Die 
Zeit  Franz'  I.  wird  hinsichtlich  des  italienischen  Einflusses 
eingehend  von  Fr.  Flamini  untersucht,  welcher  im  4.  Kapitel 
seiner  Siuäi  eine  Reihe  neuer  Tatsachen  zutage  fordert  und 
besonders  das  Wirken  italienischer  Gelehrter  am  Hofe  und 
an  der  Pariser  Universität  schildert.^) 

Während  er  in  einem  weiteren  Kapitel  gelegentlich  der 
Besprechung  von  Odet  de  laNoue's  Gedichten  den  italieni- 
schen Einfluß  zur  Zeit  Heinrich's  III.  nur  kurz  behandelt^), 
ist  den  Entlehnungen  Desportes'  bei  den  italienischen 
Dichtem  ein  breiterer  Raum  gewidmet  %  wobei  er  viel  Neues 
bringt;  so  findet  er  in  Desportes'  Sonettonsammlung  Les  ren-- 
eonires  des  Muses  de  France  et  d^Italie  zu  der  bis  dahin  auf  43 
angegebenen  Zahl  von  entlehnten  Sonetten  10  weitere,  deren 
Quellen  Sonette  von  Domenichi,  Amomo,  Rota  und 
Marini.  bilden.*) 

Das  größte  Verdienst  um  die  Forschungen  auf  diesem 
Gebiete  jedoch  hat  der  unermüdlich  fleißige  Toldo  sich 
erworben,    der    eine    geradezu    erstaunliche    Kenntnis    der 


')  Tristan  V  Herrn,  Le  Parasite  (1891);  derselbe,  ünhdc.  ital.  Quellen 
J.  Rotroü'8  (1H9S). 

')  Les  origines  de  la  Ren,  (1894);  derselbe,  Vinfluenee  ital.  dans 
la  Ren.  fr.^  in  seinen  Ktudes  (189H). 

«)  Studi  di  storia  lett,  aap.  IV,  197—339;  auf  S.  206—209  führt  er 
die  Namen  von  6  bedeutenden  Gelehrten  an  der  Pariser  Univ.  an  von 
it€Ll.  Dichtem  a^n  Hofe  Franz  I.  toerden  besonders  Amomo  und  O.  Camillo 
Delminio  (S.  297 ff,,  bzw.  319 ff.)  behandelt. 

*)  Le  ritne  di  Odetto  de  la  Noue  e  Vltalianismo  a  tempo  d'Enrico 
III,  ibd.,  S.  370— 3H1. 

*)  I  plagi  di  Ph.  Desportes,  ibd.,  S.  347  ff.,  und  Appendix,  S.  431  ff. 

•)  Le  rime,  ibd.,  S.  358—360. 


—     6     — 

italienischen  und  französischen  Literatur  an  den  Tag  legt 
Er  untersucht  die  Quellen  der  französischen  Novellen  des 
16.  und  17.  Jahrhunderts  und  findet,  daß  nahezu  die  Hälfte 
derselben  lange  vorher  schon  in  italienischen  Novellensamm- 
lungen enthalten  waren.  ^)  Wenn  auch  G.  Paris  bestreitet, 
daß  Toldo's  Quellenangaben  für  alle  Novellen  richtig  seien, 
so  muß  er  doch  zugeben,  daß  in  den  meisten  ein  italienischer 
Einfluß  sich  geltend  macht.  ^)  Noch  wichtiger  sind  seine 
Untersuchungen  über  die  Komödie  der  Benaissancezeit,  welche 
er  in  einer  Reihe  von  Artikeln  in  der  Bevue  cPHütoire  litieraire 
de  la  Frafice  veröffentlicht  hat.*) 

Nach  dem  Vorbilde  G-aspary's  ^},  den  er  übrigens  nicht- 
erwähnt, zerlegt  er  die  Handlung  in  den  Lustspielen  in  ge- 
wisse Motive  und  vergleicht  diese  in  den  Komödien  der  beiden 
Literaturen.  Da  nun  gewisse  Motive  in  der  Komödie  aller 
Zeiten  unabhängig  voneinander  wiederkehren  und  die  Grund- 
lage fast  jeder  Intrigue  bilden,  müssen  viele  seiner  Quellen- 
forschungen mit  Vorsicht  aufgenommen  werden.  Wir  werden 
später  Gelegenheit  haben,  ihm  eine  Anzahl  von  Irrtümern 
nachzuweisen.  Trotzdem  darf  seine  Arbeit  auf  diesem  Gebiete 
als  eine  grundlegende  bezeichnet  werden,  ebenso  wie  seine 
Untersuchung  über  die  italienische  Kunst  bei  Babelais  ^),  über 
Montesquieu's  •),  Diderot's  ')  und  Voltaire's  *)  Beziehungen  zur 
Literatur  jenseits  der  Alpen. 


*)  Contrümto  (1895),  pass. 

*)  La  nouvelle  fr.  (Joum.  d.  Sav.  1895,  mai-juin,  289—303;  342 
—361);  der  formelle  Einfl^ifJ  toird  von  G.  Paria  voüst  zugegeben;  hin- 
sichtlich des  Stoffes  will  er  keine  y,lit€rarischen'*  Einflüsse^  sondern  in 
erster  Linie  Volksiiberlieferung  gelten  lassen  (vgl.  ibd.,  S.  294^  298,  350). 

»)  La  Comedie  de  la  Benaissance  (Rev.  d'Hist.  litt.  1897,  XXIII, 
366—392;  1898,  XXIV,  554—603);  bei  Betz,  La  liU.  comp,,  S.  60,  un- 
richtig angeführt. 

*)  Geschichte,  II,  611  ff. 

*)  Varle  ital.  nelV  op.  di  Babelais  (ANSp.  1899,  Bd.  100, 103—148). 

•)  DelV  Espion  di  G.  P.  Maranno  etc.  (Giom.  sior.  1897  ff.,  XXIX, 
47—79.) 

')  Se  il  Diderot  abbia  imitato  Goldoni  (Giom.  stör.  1895,  XXVI 
S.  350—376). 

*)  Attinenze  fra  il  teatro  comico  di  Voltaire  e  quello  di  Goldoni 
(Giom.  stör.  1897,  XXXI,  358). 


—     7     — 

Vianey  beleuchtet  zum  ersten  Male  das  Verhältnis  der 
Pleiade  zu  Ariost  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Lyrik  ^); 
wenig  gelungen  ist  ihm  die  Untersuchung  über  das  Theater 
des  16.  Jahrhunderts,  welches  nach  ihm,  besonders  in  den 
Tragödien  Garnier's  und  Montchrestien's,  einige  Beschreibungen 
von  Zweikämpfen  und  Schlachten  in  der  Manier  des  Ariost 
aufzuweisen  hat.^)  Die  Bradamante  Oamier's  erwähnt  er 
nicht,  ebensowenig  die  beiden  yorhergehenden,  dem  Orlando 
furioso  entlehnten  Tragikomödien,  von  denen  wir  allerdings 
nur  die  Titel  besitzen.  Bouvy  liefert  uns  in  seiner  Abhand- 
lung Voltaire  et  Vltalü  (1898)  ein  reichhaltiges  Material  über 
diese  Seite  der  Yoltaireforschung  ^) ;  doch  erschöpft  er  keines- 
wegs den  Gegenstand.  Creizenach's  dritter  Band  seiner 
Geschichte  des  neueren  Dramas  (1903)  berücksichtigt  im 
richtigen  Maße  den  Einfluß  Italiens  besonders  auf  die  Komödie, 
bringt  zum  Teil  neues  Quellenmaterial,  so  z.  B.  für  die  Cbm- 
vaux  des  J.  de  la  Taille,  die  er  ganz  richtig  auf  eine  Novelle 
im  Decamerone  (V,  1)'  zurückfuhrt^),  schließt  aber  seine 
Arbeit  mit  dem  Jahre  1570  ab.  Mit  der  Zusammenstellung 
italienischer  Dichter,  die  los  Französische  übersetzt  wurden, 
beschäftigen  sich  Blanc^)  und  Guidi');  doch  können  beide 
den  Anspruch  auf  Vollständigkeit  nicht  erheben;  besonders 
lückenhaft  ist  die  Kompilation  Blanc's;  von  den  94  Über- 
setzungen (nebst  deren  verschiedenen  Auflagen)  Ariost's  kennt 
Blanc  nur  46,  Guidi  zählt  deren  84. 

Den  ersten  Versuch,  die  bis  1900  vorhandene  Literatur 
über  die  Wechselbeziehungen  des  italienischen  und  französi- 


^)  L'Arioste  et  la  Pleiade  (Buü.  ital,  J,  293-^317). 

*)  Ibd.,  S.  313. 

.*)  B,  nennt  nicht  die  ital.  QtteUen  des  Zadig^  noch  die  der  J^cossaise, 
geht  nicht  auf  die  einzelnen  Nachahmungen  in  der  Fucelle  und  in 
Henri  IV.  ein;  auch  über  die  Quelle  Tancr^de^s  läßt  er  uns  im  ün- 
geicissen. 

*)  Geschichte  des  neueren  Dramas  III^  93  f. 

*)  Bibliogr,  des  trad.  fr.  d'aut,  ital,  in:  Bibliogr.  italico-fran^., 
II,  1265—1606. 

•)  Annali  delle  ediz.  e  delle  versioni  delV  Orl.  für.  e  ^altri  lavori 
etc.,  S.  177/f. 


—     8     — 

sehen  Schrifttums  machte  Betz  in  seinem  hibliographischen 
Werke  La  liUeraiüre  comparee  (1900).  Leider  sind  Betz*  An- 
gaben allzu  unyollständig  ^),  die  EinteUung  ist  mangelhaft, 
da  der  Verfasser  die  Titel,  anstatt  nach  Literaturperioden 
oder  Literaturgattungeo,  nach  der  Zeit  ordnet,  in  der  die  be- 
treffenden Werke  erschienen  sind.  Besonders  dürftig  ist 
der  itaUenisch-firanzösische  Teil  ausgefallen,  in  dem  Betz  zwar 
eine  ziemlich  grofie  Zahl  £ranzösischer  Arbeiten,  dagegen  fast 
gar  keine  deutschen  anführt  und  yon  den  deutschen  wissen- 
schaftlichen Zeitschriften  nur  ganz  wenige  in  den  Kreis 
seiner  Untersuchung  zieht. 

Von  den  bedeutendsten  franz.  Literaturgeschichten  des 
19.  Jahrhunderts  betonen  nur  die  in  der  jüngsten  Zeit  er- 
schienenen den  Einfluß  Italiens.  Während  Sainte-Beuve  *), 
Saint-Marc  Girardin  *)  und  Nisard  *)  auf  die  einseitigste  Weise 
die  Nachahmung  des  Altertums  als  vorherrschend  bezeichnen 
und  italienische  Einwirkungen  nur  flüchtig  berühren,  werden 
letztere  von  Lanson,  Morf  und  in  Petit  de  Julleville's  großem 
Literaturwerk,  wenigstens  in  bezug  auf  das  Theater  mehr  be- 
rücksichtigt;  allerdings  ist  es  bei  der  Anlage  dieser  Werke 
von  vornherein  ausgeschlossen,  daß  sie  auf  Einzelheiten  ein- 
gehen. 

Außer  den  angeführten  Werken  wurde  noch  eine  größere 


^)  S.  53  icird  ein  Artikel  von  Labitte:  Dante  j  trad,  de  M.  Fiorentino 
etc.  (R.  d.  2  Jkf.,  1.  nov.  1S40)  erwähnt^  doch  suchten  wir  den  Artikel 
vei'geblich  an  dieser  Stelle;  daselbst  vermissen  toir  bei  Hauvette's  Dante 
dans  la  poisie  fr.  de  la  Ren.  die  Angabe j  dafJ  die  betr.  AbhandL  nur 
eine  kurze  Rede  ist.  Auf  S.  58  ist  bei  Nunziante's  Marino  aÜa  corte 
di  Luigi  XIII,  welcher  in  der  Nuov.  AntoL  erschien,  die  Angabe  des 
Bandes  ausgefallen.  Murray^s  Artikel  The  influence  etc.  (S.  66)  erschien 
in  der  Academy  am  17.  Juli,  nicht  am  4.  Sept.  über  Betz*  unvoll- 
stäridige  Angaben  cf.  Minckwitz^  IM.  Bl.  f.  germ.  u.  rom.  Phil.  1902, 
S.  58;  ebetiso  Bouvy,  Bull  ital.  1901,  I,  57. 

*j  Tabl.  fiist.  etc.;  er  erwähnt  ital  Einfl.  weder  bei  Du  Belhy 
(S.  70 f.),  noch  bei  Ronsard  (S.  SOff.). 

*)  Tabl  de  la  litt,  fr.;  er  erwähnt  selbst  bei  MeH  de  St-Gelais 
(S.  66)  und  bei  Desportes  {S.  80)  keinen  Einfl.  der  ital.  Lit 

*)  Hist.  de  la  litt,  fr,  III,  74:  •La  tragidie  [est]  imitie  des  anciens, 
la  tragi'Comedic  imitee  des  Espagnols,  la  farce  imitee  de  Vitalien.» 


-^    9     — 


Anzahl  von  Spezialuntersachnngen  zu  Rate  gezogen,  welche 
im  Laufe  unserer  Abhandlung  besprochen  werden  sollen. 


2.  Der  Einfluß  Italiens  auf  dto  franzosiscfce  Lyrik. 

Der  Umstand,  daß  das  italienische  Rom  der  Sitz  der 
Christenheit  war,  brachte  es  mit  sich,  daß  sich  ein  reger 
Verkehr  zwischen  den  gebildeten  Kreisen  Frankreichs  und 
Italiens  bereits  frühzeitig  entwickelte.  Kardinäle,  Priester 
jeden  Standes  und  Ranges,  Diplomaten,  Heerführer  und  ganze 
Scharen  von  Söldnern  waren  stets  auf  dem  Wege  nach  dem 
Lande  jenseits  der  Alpen,  und  brachten  die  großartigen  Ein- 
drücke, welche  die  Trümmer  der  alten  Welt  und  die  Nach- 
kommen derselben,  ihre  neue  Literatur,  ihre  Liebe  zur  Kunst 
auf  sie  machten,  mit  nach  Hause.  ^)  Andererseits  sandte  Italien 
eine  Reihe  seiner  besten  Söhne  nach  dem  westlichen  Nachbar- 
lande, und  half  so  seine  höherstehende  Kultur  dort  zu  ver- 
breiten.^) Thomas  von  Aquio,  Brunetto  Latini  studieren  auf 
der  Pariser  Hochschule.  Pico  della  Mirandola^),  Dante*), 
Petrarca  *),  Boccaccio  ^)  verweilen,  wissensdurstig  oder  schutz- 
bedürftig, kürzere  oder  längere  Zeit  auf  französischem  Boden ; 
CrStin,  Molinet,  Chastellain,  Meschinot  lesen  und  studieren 
bereits  die  guten  Schriftsteller  Italiens  ^,  und  bald  dringen 


*)  Flamini,  Studio  pass. 

«)  Proelss,  Ge8ch.  II,  1,  HaJthb,,  S.  8;  Lanson,  Bist,  S.  152, 
besonders  aber  Arnaud,  Les  Italiefis  jn-osateurs  fr.,  wo  diese  Reiseti  der 
Italiener  nach  Frankreich  von  Brunetto  an  eingehend  behandelt  xoerden, 

•)  Dorez  etThuasne,  Pico  d.  l.  Mirandola  en  France  (cf.  Giorn, 
stör.  XXXI  ^4-5);  ebenso  Morf  L  10  [La  Croix,  Bibl  J,  459.  Seine 
Werke  wurden  von  A.  Baif  1557  übersetzt). 

♦)  Arnould,  Essais,  S.  3S8;  Rathery,  Infi.,  S.  20. 

*)  Lanson,  l.  c,  S.  15S,  164;  Arnould,  l  c,  S.  338;  Gaspary, 
J,  409;  Couture,  Petr.  et  J.  Colonne;  cf.  Romania  1882,  IX,  338. 

•)  Arnould,  l  c,  S.  338. 

')  Rathery,7nj^.,S.  5.5;  ¥h.  Chusles,  ttudes,  S.  86 f.;  Becker, 
Jean  Lemaire,  S.  298 ff.  findet,  daß  Martin  Franc,  der  Sekretär  der  Päpste 
Felix  V.  nnd  Nikolaus  V.,  eine  toichtige  Vermittlerrolle  zwischen  den  beiden 


—     10     — 

ÜbersetzungeD  der  großen  italienischen  Dichter  Dante,  Petrarca 
und  Boccaccio  in  weitere  Kreise  ein.*)  Aber  erst  als  die  durch 
Karl  VUI.  1494  begonnenen  Feldzüge  der  französischen  Könige 
Frankreich  das  Italien  derBenaissance  erschlossen  hatten,  ergoß 
sich  in  das  Land  ein  Strom  nener  Ideen,  welche  die  bereits 
vorhandene  Neigung  zur  Nachahmang  der  antiken  Literatur 
stärkten,  klärten  und  auf  eine  Besserung  der  unbefriedigten 
Lebenszustände  hindrängten.^)  Der  erste  bedeutende  Mann, 
bei  dem  sich  der  neue  Einfluß  zeigt,  ist  Jean  Lemaire  de 
Beiges.  Seine  italienischen  Vorbilder  sind  Dante,  Petrarca, 
Boccaccio,  Filelfo  und  Serafino.^)  Aus  der  Div.  Com.^  deren 
Verfasser  er  mit  J.  de  Meung  auf  eine  Stufe  stellt*),  nimmt 
er  die  Terzine  mit  ins  Französische,  und  dichtet  in  diesem 
Versmaße  seinen  Temple  d!Honneur  et  des  Vertus,^) 

In  seinem  Buche  Concorde  des  deux  langues  (1511),  in 
welchem  Lemaire  seine  Überzeugung  von  der  Überlegenheit 
der  italienischen  Sprache  zum  Ausdruck  bringt,  fordert  er 
am  Schlüsse  zu  gemeinschaftlicher  Kulturarbeit  der  beiden 
Länder  auf. 

Jene  Überlegenheit  bekundete  sich  auch  darin,  daß  eine 
Anzahl  Franzosen    sich   der   italienischen  Sprache  in  Wort 


Literaturen  gespielt  hat;  in  seinem  Champion  des  Dames  schiceht  ihm 
Dante' s  Div.  Com,  vor,  auf  welche  besonders  die  Nachahmer  des  Bösen- 
romans  ihre  Blicke  richten.  Bocc.^s  Decamerone  und  De  claris  mulieribus 
finden  frühzeitig  Nachahmer  in  Frankr.  Chastellain  schreibt  ihm  zu 
Ehren  den  •Temple  de  Bocace».  Von  Petrarca  sind  es  die  rührende 
Geschichte  von  Griselidis  und  die  ^Trionfi*^  welche  mit  Vorliebe  nach- 
gebildet werden, 

»)  Blanc,  Bibl  Bd.  II,  S.  1291—94  [Dante);  S.  1326—29  {Petrarca); 
S.  1278—1281  {Boccaccio) ;  von  der  Übersetzung  BoccJs  durch  Le  Ma^on 
werden  aüein  24  Ausg.,  bzw.  Neuauflagen  angeführt 

•)  Morf,  Gesch.  7,  10. 

»)  Becker,  l  c,  S.  297. 

*)  Oelsner,  Dante  in  Frk.,  S.  18. 

*)  Darmest.  etHatzf.,  Le  W  «.,  8.84;  Lanson,  l.  c,  8.  227; 
Birch-Hirscbfeld,  Gesch.  d.  frz.  IM.  im  16.  Jahrh.,  8.  73,  erwähnt 
nichts  von  einem  italienischen  Einflüsse  bei  J.  Lemaire;  öidel,  Hist. 
de  la  litt,  fr.,  S.  27,  nennt  den  «  Temple  de  Vinus*  eine  Dichtung  im  Geiste 
der  Trionfi;  Morf,  l.  c,  8.  19:  „Er  ahmt  gern  Petrarca  nach.*' 


—        11        -r- 

imd  Schrift  bedienten^  so  G-.  d'Avost^  Gab.  de  Gntterry, 
J.  Zaallart,  Ph.  E.  de  Gondi,  P.  Bricard.^)  Umgekehrt  sehen 
wir  Italiener,  welche  das  französische  Idiom  gebrauchen,  da- 
bei aber  eine  Reihe  von  Italianismen  mit  einmischen.') 
Der  bedeutendste  dieser  Italiener  ist  O«  Alione^),  ein  politi- 
scher Dichter,  welcher  die  Eroberungen  der  französischen 
Könige  in  Italien  feiert.  Es  ist  Flamini's  Verdienst,  eine 
Anzahl  der  berühmtesten  italienischen  Humanisten,  welche  in 
französischer  Sprache  schrieben,  der  Vergessenheit  entrissen 
zu  haben. ^)  Stärker  wird  der  italienische  Einfluß  mit  der 
Eegierung  Franz'  I.  Nach  Bathery  dichtete  dieser  König 
selbst  in  der  Manier  Petrarca's  Sonette  ^) ;  Froelss  *)  nennt  ihn 
einen  Bewunderer  Aretino's;  Maulde  beschäftigt  sich  mit 
der  italienischen  Erziehung  des  Fürsten  Yomehmlich  durch 
Quinziano  Stoa  und  schildert  den  Einfluß  derselben  auf  sein 
späteres  Leben.'')  Ob  aber  Franz  I.  ein  besonderer  Beförderer 
des  italienischen  Einflusses  auf  die  franz.  Literatur  war,  ist 
zu  bezweifeln.  Zwar  stand  er  der  Benaissancebewegung  und 
dem  Eindringen  italienischen  Wesens  mit  großem  Wohlwollen 
gegenüber,  doch  fehlte  ihm  auch  hier,  wie  in  der  Politik,  die 
nötige  Energie  und  Aufopferung.^) 


^)  Siehe  darüber  Picot,  Des  Frangais  qui  ont  eci^t  en  italien^  in: 
Rev.  des  biblioth^ques,  Bd,  XI,  S,  4-6. 

•)  Birch-Hirschf.,  Geschichte  d.  frz.  Litt,  S.  106;  „Alione's 
erste  Arbeiten  weisen  vielfache  Italianisnien  auf.** 

*)  Darm.  u.  flatzf.,  Le  16*  «.,  S.  86,  führen  seine  }Verke  an  und 
erwähnen,  toie  Wagner,  Meli,  de  St-Gelais,  S.  120,  Alione  als  den  Ver- 
fasser des  in  Terzinen  gedichteten  ^^Chapitre  de  Liherte*. 

*)  Studi,  S.  203 ff.  Fl.  hebt  hervor,  da/i  Bathery  kaum  die  Namen 
dieser  Männer  kennt  Fausto  Andreiini,  G.  Aüione,  Mario  Filelfo  und 
Quinz.  Stoa  werden  in  den  Studi  eingehend  beliandelt. 

»)  Infi.,  S.  70. 

•)  Gesch.,  Bd.  1,  Halbb.  2,  S.  98  ff. 

')  LHnflitence  de  Viducation  ital.  sur  Fr.  /«•,  in:  Societe  d^etud. 
ital  1,  3  ff.  Das  beste  ßild  vom  Italianismus  am  Hofe  Franz'  I.  ent- 
wirft Flamini  im  4.  Kap.,  S.  199—337,  seiner  Studi:  Le  kttere  italiane 
alla  Corte  di  Francesco  /.,  re  di  Francia. 

•)  Ähnlich  Morf,  Geschichte,  in:  ANSp.  Bd.  94,  S.  208,  und 
ProeUs,  /.  c,  Bd.  II,  Halbb.  I,  S.  8,  welcher  aber  den  Beginn  des 
Einflusses  der  ital.  Lit  später  ansetzt 


—     12    — 

Wichtig  ist,  daß  anter  seiner  Begiernng  zahlreiche  Über- 
setzungen italienischer  Dichter  in  Frankreich  erstehen»  1537 
wird  der  Cortegiano  Castiglione's  übersetzt^),  nachdem  im 
Gentilkomme  Pasquier's  um  1528  bereits  eine  Nachahmung 
dieses  so  berühmten  Werkes  erschienen  war.*)  1543  machte 
die  Übertragung  Ton  Ariost's  Orlando  furioso  ■)  Frankreich  mit 
den  fantastischen  Schöpfungen  des  ferraresischen  Dichters 
bekannt;  in  demselben  Jahre  erschien  auch  Macchiavelli^s 
„Kriegskunst^  in  französischer  Sprache.  Ein  Jahr  später  über« 
setzt  J.  Martin  die  Ärcadia  Sannazaro's,  ein  Werk,  das  nahezu 
ein  Jahrhundert  lang  den  gewaltigsten  Einfluß  auf  die  fran- 
zösische Literatur  ausüben  sollte.^)  1549  gab  J.  Vincent 
den  Franzosen  eine  Übersetzung  des  Orlando  innafnüraio^)\ 
1571  endlich,  bereits  nach  dem  Tode  Franz'  I.,  erschienen 
in  franz.  Sprache  Bembo's  ^)  Asolani,  welche  von  dem  bereits 
erwähnten  N.  Pasquier  in  seinem  Monopkile  nachgeahmt  worden 
waren.') 

Petrarca  war  längst  schon  übersetzt  worden;  seine 
Dichtungen  und  Bembo's  Asolani  erweckten  die  Begeisterung 
der  französischen  Dichter  für  platonische  Ideen  ®)  und  so  ent- 
stand nach  dem  Muster  der  italienischen  Akademien,  wenn 
auch  etwas  freiheitlicher,  die  Lyoner  Dichterschule,  deren 
Hauptvertreter  Sc^ve,  Dolet,  Babelais,  Sainte-Marthe  und 
Fontaine  waren.*) 

Den  Mittelpunkt  dieses  Piatonismus  bildeten  Marguerite 


»)  Morf,  Gesch.,  S.  35;  derselbe  in:  ANSp.,  Bd.  94,  8.  210;  ein 
ausführliches,  wenn  auch  nicht  vollständiges  Verzeichnis  der  ital.  Über* 
Setzungen  jener  Zeit  findet  sich  bei  Goujet,  VII,  Iff.^  VIII,  428 ff. 

•)  Toldo,  Contributo,  S.  41,  Anm.  4. 

*)  Birch-Hirschfeld,  Geschichte,  Anm.,  8.  29. 

*)  Du  Verdier,  8.  719. 

*)  Du  Verdier,  8.  627. 

«)  Du  Verdier,  8.  719,  von  J.  Martin  übersetzt. 

')  Toldo,  Contributo,  8.  46,  Anm.  2. 

•)  Biroh-Hlrschf.,  Gesch.,  8. 16Sf.;ibd.,  Anm.,  8.  29: die  Trimfi 
wurden  übers.  1514,  1519,  1531;  12  Sonette  v.  J.  Peletier  1647. 

*)  Siehe  darüber  eingehend  6eiBourciez,  Les  mceurspol.,  8. 101  ff.; 
Birch-flirschf.,  163/f.;  Lefranc,  Le  Platofiisme  etc.,  in:  Rev.  d^Hist. 
litt,  de  la  France  1896.  Ille  annee,  8.  1—45. 


—     13     — 

de  Nayarre  und  Heroet,  ihr  Sekretär  und  Verfasser  der  Par- 
faite  Amtfe.^)  Neben  Petrarca  und  Bembo  wurden  in  diesem 
Kreise  besonders  die  Italiener  Oayalcante,  Politiano,  Accolti 
und  Pico  della  Mirandola  studiert.^) 

Mit  dem  Einzug  der  Dauphine  Catherine  de  M6di- 
cis  in  die  französische  Hauptstadt  faßt  die  italienische  Lite- 
ratur in  Frankreich  festen  Fuß.*)  Die  florentinische  Höf- 
lingsgesellschaft bildet  einen  Herd  italienischen  Einflusses,  in 
dessen  Zentrum  lange  Luigi  Alamanni  stand,  der  in  zahl- 
losen Dichtungen  und  besonders  in  seinem  Gedicht  übei-  den 
Landbau  (1546)  König  Franz  feiert.  Leider  fehlt  uns  bis  jetzt 
eine  Würdigung  des  Einflusses  dieses  Italieners  auf  die  fran- 
zösische Literatur.*) 

Italienische  Künstler  und  Schriftsteller  lebten  in  Frank- 
reich oder  fanden  sich  dort  vorübergehend  ein,  wie  Bernhard 
Tasso  und  U  Rosso.  Äretino  erbat  sich  von  Italien  aus  die 
Gunst  des  französischen  Hofes.  Die  größten  italienischen 
Künstler  übten  ihre  Kunst  an  den  Prachtbauten  der  da- 
maligen Zeit :  Leon,  da  Vinci,  Andrea  del  Sarto,  Primaticcio, 


*)  Lefranc,  l.  c,  S.  9 ff.  Über  Mar g.^ 8  Briefwechsel  mit  der  ital. 
Dichterin  V.  Colonnttj  «.  Birch- Hirse hf.,  S.  112;  nach  Rathery  {Infi. 
S.  73^  schätzt  und  rühmt  diese  Fürstin  besonders  della  Casa^  Caro, 
Tolomeiy  Alamannij  Bemardo  Tasso. 

*)  Katharinen^s  Bedeutung  in  dieser  Beziehung  mird  bes.  eingehend 
von  Büurciez  (Les  moeurs^  S.  270  ff)  geschildert:  Sie  brachte  italienische 
AlmosenierCf  Astrologen^  Ehrendamen  etc.  mit  an  de7i  Hof.  Ähnlich  bei 
Arnould,  Essais,  S.  339;  Demogeot,  Eist,  S.  143;  Birch-H., 
S.  111-112;  Flamini  [Sludi,  S.  200)  hebt  hervor,  daß  Kath.  sich  be- 
sonders um  Fetr,  verdient  gemacht  habe,  weil  sie  eine  Sammlung  petrark. 
Sonette,  betitelt  *Laure  dAvignon*  herausgab.  Ihr  Sekretär  Tronchet 
übersetzte  70,  Philieul  de  Carpentras  in  ihrem  Auftrage  196  Sonette  des 
ital.  Dichters. 

')  Hauvette'8  L.  Alamamii  {S.  80)  berührt  diesen  Punkt  nur 
ganz  oberflächlich;  vgl.  die  Krit.  in  der  ZfSp.  1904.  XXVI,  Ref., 
S.  214 ff.;  Boss.  Hbl.  1904.  XII,  148 ff.;  Flamini  (Studi,  S.  269—285) 
erwähnt  ebenfalls  Alam.'^s  Einflu(i  auf  die  frz.  IM.;  ferner  behandelt 
er  neben  Alam.  den  bis  jetzt  ganz  unbekannt  gebliebenen  Hofdichter 
Martellif  welchen  er  «iZ  piü  cospicuo  letterato  italiano»  der  Zeit  nennt. 
(Cf.  S.  311—316,  woselbst  noch  einige  weitere  Namen  sich  finden.)  — 
Über  AI.  s.  noch  Bucbetmann,  Rotrou^s  Antigone,  S.  29. 


—    14    — 

Benv.  Cellini,  Fra  Giocondo  und  Domenico  da  Cortona, 
Paganino  und  Pachiazotti,  Andrea  Solario  ^)  waren  die  herTor- 
ragendsten.  Eine  Anzahl  von  Lehrstühlen  an  der  Pariser 
Hochschule  war  von  italienischen  Gelehrten  besetzt.^ 

Die  französischen  Lyriker  fangen  an,  ihre  Liebe  in  der 
Manier  Petrarca's  zu  besingen.  Selbst  Cl.  Marot  kann  sich 
vom  Einfluß  Italiens  nicht  frei  halten.  Während  seines 
langen  Aufenthaltes  in  diesem  Lande  lernt  er  die  italienische 
Sprache  und  Literatur  gründlich  kennen;  dem  Studium  der 
ersteren  verdankt  er  seine  glatte  Ausdrucksweise,  seine  kunst- 
vollendete  Form.^  In  seinen  Jugenddichtungen  merkt  man 
den  Schüler  Petrarca's;  im  Temple  de  Oupide  vermischt  er  die 
Manier  des  Bosenromans  mit  der  geistreichelnden  Kunst  des 
Dichters  der  Laura*);  er  übersetzt  sogar  eine  Reihe  Ton 
Sonetten  und  Visionen*)  und  studiert  mit  Vorliebe  Aretino, 
dessen  Stil  er  nachahmt.  •) 

In  grammatischer  Hinsicht  beruft  er  sich  gerne  auf  die 
Italiener,  so  bezüglich  der  Kongruenz  des  Partizips  Perfekti 
und  des  Gebrauches  des  Artikels.  "^  Die  Arcadia  Sannazaro's 
hat  er  ebenfalls  gelesen,  wie  aus  der  1631  auf  Louise  von 
Savoyen  geschriebenen  Totenklage  hervorgeht.*) 

Marot's  Freunde  und  Schüler  sind  fremden  Einflüssen 
sogar  noch  zugänglicher  als  ihr  Meister.  Desperiers^)  zeigt 
«eine  Vorliebe  für  die  italienische  Sprache  in  dem  häufigen 
Gebrauche  der  Diminutivform  auf  ei  und  ette.^^)    Noch  mehr 


^)  Flamini,  Studi.,  S.  226. 

«)  Morf,  Gesch,,  S.  36. 

*}  Demogeot,  Hist,  S.  138;  Bourciez,  in:  Hist.  de  la  lan^ue 
et  litt,  fr.f  hrg.  v.  P.  de  Julleville.  Bd.  III,  111^  erwähnt  nichts  von  einem 
ital.  Einflüsse. 

*)  Gidel,  Bist,  S.  55. 

*)  Demogeot,  l.  c,  S,  138;  Wagner  gibt  in  seiner  Arbeit  über 
MeUin  de  St-Gelms  (S.  120)  sechs  als  die  Zahl  der  übersetzten  Sonette 
an,  erwähnt  auch  ein  Epitaph  auf  Laura. 

«)  Rathery,  Infi.,  S.  72. 

')  Wagner,  Mellin  de  St-Gelais,  8.  121. 

•)  Morf,  Gesch.,  S.  50. 

•)  Über  Desperiers  cf.  Rev.  d'Hist.  litt.  1902,  IX,  100. 
^^)  Morf,    Gesch.,   S.   52;   ausführlich   über   sein   Leben   handelt 
Birch-Hirscbf.,  Gesch.,  S.  36f. 


—     16     — 

tritt  der  Italiamsmus  bei  Mellin  de  St-Gelais  zutage.  Dieser 
erscheint  als  eigentlicher  Träger  des  Kultus,  dessen  sich  die 
italienischen  Dichter,  vor  allem  Petrarca,  am  französischen 
Hofe  zu  erfreuen  hatten,  und  der  italienischen  Geschmacks- 
richtung in  der  Poesie,  welche  sich  mit  Du  Bellay,  Baif  und 
Bonsard  noch  in  der  folgenden  Schule  fortsetzte.^) 

1638  übersetzt  Saint-Gelais  den  Cortegiano  in  einer  uns 
yerloren  gegangenen  Fassung^;  1646  erscheint  der  erste 
Band  seiner  Gedichte,  worin  der  italienische  EinfluB  vor- 
herrschend ist.  Italianismen  finden  sich  im  Beim,  in  den 
Vokabeln  und  Wortformen  (besonders  der  substantirierte 
Infinitiv);  ital.  poetische  Formen  werden  eingeführt,  so  z.  B. 
das  Madrigal,  die  Terzine  für  die  beschreibende  Dichtung  und 
das  Pasquill.^)  Von  den  ital.  Lyrikern  ahmt  er  besonders 
Petrarca  und  Aretino,  von  den  Epikern,  wie  wir  sehen  werden, 
Ariost,  von  den  Dramatikern  Trissino  nach.  Im  Epigramm 
dagegen  nimmt  er  Boccaccio  und  Poggio  als  Muster. 

Auch  Margarete  von  Navarra's  Lyrik  steht,  wenigstens 
in  der  Form,  unter  Petrarca's  Einfluß.  Sie  schreibt  Terrinen 
nach  dem  Vorbilde  des  großen  Florentiners,  welchen  sie 
gründlich  studiert,  und  ahmt  Sannazaro's  „Weiden^  in  der 
Einkleidung  der  christlichen  Gedanken  in  antiker  Mythologie 
nach.*) 

>)  Siehe  Birch-Hirschfeld,  Geschichte,  8.  U9ff.;  Wagner, 
Meüin  de  St-Gelais,  Leben  u.  Charakteristik,  S.  9—119;  der  ital,  Einfl, 
auf  St.-Gel.  {S.  119—149)  ist  sehr  eingehend  behandelt.  Lenient  {La 
Satire  au  16*  «.,  S.  149);  Bourciez,  in  JulUviiys  großer  lAtt-Gesch. 
{Bd.  III,  Kap.  2,  S.  131)  sagt  von  St-Gelais,  er  schwanke  zivischen  Vn- 
gebundenheit  u.  petrark.  Manier. 

')  Morf,  Gesch.,  S.  52  drückt  sich  ungenau  aus,  wenn  er  sagt, 
daß  Meilin  d.  St-Gelais  eine  Ausgabe  des  Cort.  besorgt  hohe. 

•)  Wagner,  i.  c,  S.  120 ff.;  Morf,  Gesch.,  S.  52:  „Er  {Meüin) 
schreibt  Terzinen  auf  der  Spur  Bembos  und  Äriosts.**  Sainte-Beuve 
{Le  16*  s.,  S.  40)  und  St-Marc  Girardin  [^Tabltau,  S.  66)  erwähnen 
keinen  italienischen  Einfluß. 

*)  Horf,  Gesch.,  S.  60;  Lefranc  {Dem.  pois.  de  Marg.)  findet  den 
Einfluß  Dantes  bes.  in  zwei  der  von  ihm  hrsg.  Gedichte  Margaretens.  Nach 
Fi  cot  {Des  Frangais  qui  o?it  icrit  en  italien.  Bev.  des  bibl.  1900,  XI, 
S.  4 — 6)  schrieb  Marg.  sogar  4  Sonette  in  italienischer  Sprache.  Ahnlich 
flauvette,  in:  Bull.  ital.  Bd.  II,  217. 


—    16    — 

Obwohl  die  Franzosen  im  Jahre  1559  ihre  Eroberungen 
in  Italien  verloreo,  dauerte  der  literarische  Einfluß  Italiens 
unvermindert  fort,  wohl  deshalb,  weil  die  nunmehr  aus- 
brechenden Beligions-  und  Bürgerkriege  einen  solchen  Nieder- 
gang über  das  Land  brachten,  daß  die  Dichter  ihre  Blicke 
mehr  denn  je  nach  Italien  wandten  und  dort  ihre  Meister 
suchten.  Es  ist  daher  keineswegs  auffallend,  wie  Lotheissen 
meint,  „daß  mit  dem  Steigen  der  religiösen  Leidenschaften 
in  Frankreich  das  Anwachsen  des  italienischen  Einflusses  and 
damit  auch  der  klassischen  Studien  zusammenfällt.^  ^}  Nach 
Morf  beginnt  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  die  Periode 
des  Niedergangs  der  Kenaissance«Literatur  und  damit  des 
ital.  Einflusses.^) 

Noch  ehe  die  erste  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  zu 
Ende  ist,  treten  die  Dichter  der  Plejade  in  Tätigkeit.  Bis 
in  die  neueste  Zeit  hinein  glaubte  man  ihren  Versicherungen, 
Nachahmer  der  Alten  zu  sein.  Ein  eingehendes  Studium 
hat  das  überraschende  Resultat  ergeben,  daß  sie  weä  mehr 
unter  italienischem,  ah  ufUer  antikem  Einflüsse  stehen,  und 
daß  sie  oft  absichtlich  auf  antike  Nachahmung  hinweisen, 
wo  italienische  vorhanden  ist.  Die  Deffence  Du  Bellay's 
befürwortet  von  speziell  italienischen  Dichtungsarten  nur 
das  Sonett.*)  Die  antiken  Formen,  welche  Du  Bellay  empfiehlt, 
wurden  längst  schon  in  Italien  gepflegt  und  konnten  ebenso- 
gut als  Vorbilder  dienen,  wie  die  klassischen  Originale.  Sainte- 
Beuve*)  erwähnt  weder  bei  Du  Bellay  noch  bei  Bonsard 
italienischen  Einfluß,  Saint-Marc  Girardin  ^)  kennt  als  italieni- 
sches Vorbild  der  Plejade  nur  Petrarca,  auch  Darmesteter 
und  Hatzfeld  nennen  kein  anderes  italienisches  Muster^,  selbst 


')  Gesch.  J,  26. 

«)  OescK  S.  SS  ff. 

')  Livr.  II,  chap.  IV:  «...  So7ine  moy  ces  heanx  Sonnet»^  non  moins 
dode  que  plaisante  Invention  Ifalienne  .  . .  Ponr  le  Sonnet  donqties  tu 
as  Petrarqne  et  quelques  modei-nes  Italiens.» 

*)  I^  16*  siede,  S.  70  u.  SO. 

»)  Tahleau,  S.  66. 

•)  Le  16*  sxMe,  S.  06  ff.  und  S.  125. 


—     17     — 

G.  Pellissier  bringt  in  Julleville's  großer  Literaturgeschichte 
keine  neuen  Resultate.^)  Dagegen  hatte  bereits  in  den  50  er 
Jahren  des  vergangenen  Jahrhunderts  Amould  den  italieni- 
schen Einfluß  auf  die  Plejade  stark  betont.^)  Er  sagt:  „Was 
Ronsard  und  die  Lyriker  seiner  Zeit  besonders  erstrebten, 
war  die  Harmonie  der  Sprache.  Diese  suchten  sie  bei  den 
Italienern.  Man  las  nicht  nur  Petrarca  und  Sannazaro,  man 
las  sie  laut;  man  hörte  sie  rezitieren,  sucht«  die  Harmonie 
ihrer  Verse  zu  erfassen  und  in  die  Muttersprache  zu  über- 
tragen.^ Leider  läßt  sich  Amould  auf  eine  nähere  Unter- 
suchung nicht  ein.  Auch  Lanson  stellt  den  italienischen  und 
den  antiken  Einfluß  auf  gleiche  Stufe.') 

Texte,  der  tüchtige  Renaissanceforscher,  geht  noch  weiter, 
wenn  er  von  den  Dichtern  der  Plejade  sagt:  tUs  parlent  bien 
limä  de  Pindare  mi  d'Homfre;  au  fond  ils  songent  d  Petrarque 
ou  au  Tasse  ,  .  .  Partout  ce  soni  les  Italiens  qui  nous  foumissent 
et  les  genres  et  les  modeles.  >  *) 

Falsch  ist  es,  wenn  Proelss  neben  dem  antiken  und 
italienischen  Einflüsse  noch  den  spanischen  anführt  ^),  da  dieser 
erst  mit  dem  Ende  des  Jahrhunderts  sich  fühlbar  machte, 
als  das  Plejadengestim  längst  schon  untergegangen  war. 

Wir  wollen  nun  näher  auf  die  Untersuchung  des  Ein- 
flusses eingehen,  welchen  die  großen  Lyriker  Italiens  auf  jene 
franz.  Dichtergruppe  auszuüben  vermochten. 

Bonsard  ahmt  in  seinen  Oden  nicht  bloß  Pindar,  wie 
man  bisher  einseitig  annahm,  sondern  auch  Petrarca  und 
besonders  Alamanni  nach,  dessen  kymnes  pindariques  er  in 
seinen  Ödes  pindariques  die  Einteilung  in  Strophen,  Gegen- 
strophen und  Epoden  entlehnte.  •)  In  seinen  Sonetten,  ^Amours 

^)  Bonsard  et  la  PUiade  {Petit  de  Juüev.,  Hist  III,  lB7ft.). 

»)  Essais,  S.  412. 

')  Hist,  S.  164:  •Les  Italiens  sont  mis  sur  le  meme  pied  que  les 
anciefis.» 

*)  Bev.  des  cours  et  conf.,  März  1S94,  8.  248. 

»)  Gesch.,  Bd.  II,  Hhd.  2,  S.  15. 

")  J.  Vianey,  in:  Bev.  d.  lang.  rotn.  1900  sept.—oct.  Vgl.  noch 
die  Bev.  de  la  Benaiss.  1902  {oct.  -  dec.). 

Mänchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.    XXXIY.     2 


—  le- 
ck Cassandro  betitelt,  verbindet  er  die  Erotik  der  petrarki- 
schen  Manier  mit  dem  Schwelgen  in  mythologischen  Vor- 
stellungen ^) ;  daneben  macht  sich  auch  der  Einfluß  Bembo's 
und  anderer  Nachahmer  Petrarca's  geltend;  dagegen  befreit 
er  sich  in  den  tAtnours  de  Marien,  namentlich  im  ersten  Teile, 
Yom  Einfluß  Petrarca's  %  während  er  in  den  Eklogen  wieder 
ganz  in  dessen  Spuren  wandelt.  Zu  den  Eklogen  liefert  ihm 
nicht  nur  Vergil,  sondern  auch  Sannazaro  das  Beispiel,  oft 
sogar  den  Wortlaut.^)  Ob  Ronsard  jedoch  das  Sonett  in 
Frankreich  in  Mode  gebracht  hat,  ist  bezweifelt  worden. 
Pflänzel  datiert  die  ersten  französischen  Sonette  in  Petrarca's 
Manier  vom  Jahre  1511^),  während  Ronsard  die  seinigen  erst 
1547  veröffentlichte;  für  Du  Bellay  beansprucht  er  die  Ehre, 
das  Sonett  eingeführt  zu  haben  ^),  der  jedoch  erst  1549 
seine  ersten  50  Sonette  herausgab.  Wagner  endlich  sucht 
zu  beweisen,  daß  jene  Ehre  dem  Abbe  St-Gelais  gebühre, 
der  bereits  um  1511  sich  eingehend  mit  der  italienischen 
Poesie  beschäftigte,  während  Marot  erst  von  seiner  ersten 
italienischen  Reise  1535  an  mit  ihr  bekannt  wurde  ^;  doch 
unterläßt  Wagner,  ein  Datum  fiir  das  Erscheinen  der  ersten 
Sonette  St-Gelais'  anzugeben.  In  Vaganey's  Sonettenverzeichnis 
wird  Ronsard  als  der  erste  franz.  Sonettendichter  bezeichnet.  "^ 
Wie  dem  auch  sei,  Ronsard  war  einer  der  ersten,  die  in  der 
Sonettenform  dichteten  und  dieselbe  auf  französischem  Boden 
heimisch  machten. 

Mehr  noch  als  Ronsard  sucht  Du  Bellay  seine  Vorbilder 
jenseits  der  Alpen.  Seine  Olive  ist  eine  Sonettendichtung  nach 
dem  Muster  Petrarca's,  doch  benützte  er  nicht  nur  diesen,  wie 


")  Suchier  und  ßirch-Hirschf.,  Gesch.,  S.  349. 

«)  Morf,  Gesch.,  S.  158. 

*)  Torraca,  GH  imitafori  str.  del  Sannazaro,  S.  58. 

*)  J.  du  Bellay,  S.  7. 

*)  Ibd.,  S.  14. 

*0  Mellxn  de  St.-G.,  S.  124.  —  W.  erörtert  die  Streitfrage  sehr 
eingehend. 

^)  Le  Sonnet  en  It.  et  en  Fr.,  unter  dem  Jahre  1547  (die  Ab- 
handlung ist  nicht  paginiert). 


—     19     — 

Demogeot^),  Lanson^)  und  Pellissier')  zu  glauben  scheinen, 
sondern  er  plünderte  hauptsächlich  die  im  Jahre  1546  in 
Venedig  erschienene  Sonettensammlung  100  italienischer  Dichter 
aus,  von  denen  er,  wie  leicht  erkenntlich  ist,  30  teils  aufs  ge- 
naueste nachahmte,  teils  geradezu  übersetzte.  1553  schwört 
Du  Bellay  bekanntlich  den  Petrarkismus  ab,  jedoch  nicht 
den  italienischen  Einfluß.  Die  Aniiquiiez  de  Borne,  welche 
bis  in  die  neueste  Zeit  als  selbständige  Schöpfung  des 
Dichters  galten,  haben  neben  lateinischen  auch  eine  ilreihe 
italienischer  Vorbilder  aufzuweisen,  so  Guidiccioni,  Molza, 
Dante,  Ariost;  ja  selbst  Petrarca's  Geist  weht  in  Du  Bellay's 
Klageliedern.*)  Auch  Jodelle's  lyrische  Dichtungen,  seine 
TerceiSj  sind  Nachahmungen  von  Capitoli  italienischer  Dichter.*) 
Antoine  de  Baif^)  ist  mehr  Epiker  als  Lyriker;  als 
letzterer  schrieb  er  die  anmutigen  Amours  de  Meline  (1552), 
die  Amours  de  Francine  (1558)  und  Les  Amours  diverses,  Sonette, 
die  sich  im  Geleise  petrarkischer  Liebesdichtungen  bewegen, 
welchen  jedoch  ein  gewisser  naturalistischer  Sinn  eigen  ist.  Seine 
Embassade  de  Vemis  ist  eine  Nachahmung  Bembo's  und  enthält 
eine  Lobpreisung  der  Liebe.  Die  beiden  Dichtungen  Genevre 
und  Fleurdepim,  Nachahmungen  Ariost's,  werden  später  noch  be- 
handelt werden.  Pontus  de  Thyard  ist  einer  derjenigen  Dichter, 
welche  fast  gleichzeitig  mit  Ronsard  petrarkische  Dichtung 
pflegten ') ;  seine  Erreures  amoureuses  erschienen  in  ihrem  ersten 
Teile  sogar  vor  den  Amours  de  Cassandre,  Die  meisten  Versarten 
entlehnt  er  Petrarca,  Sannazaro  "),  Cariteo,  Teobaldeo.  Zahl- 
reiche Italianismen  und  Concetti  sind  in  seinen  Dichtungen  zu 
finden. 


>)  Eist,  S.  140, 

«)  HisL,  S.  282. 

»)  Eons,  et  la  PlHade  {JulleviUe,  Bist  III,  193), 

*)  Vianey,  BtdUtin  ital.  1901,  I,  31off.  u.  JF,  S9ff. 

*)  Darm,  et  Hatzf.,  Le  16*  siecle,  S.  116,  Anm,  2. 

•)  Nagel,  Das  Lehen  J.  A.  d.  Baifs  {Herr,  Arch.  Bd,  60, 
8.  241^266);  derselbe,  die  Werke  J.  A.  d.  BaXfs  {Herr,  Arch,  Bd.  61, 
8.  53—124). 

^  Flamini,  Role  de  F.  d.  Th.  dans  le  pitrarquisme  fran^.  (Rev. 
de  la  Renaiss.  1901,  1.  fasc), 

•)Torraca,  QU  imitatori  str,  del  8annazaro,  8,  40 ff, 

2* 


—    20    — 

Eine  größere  Anzahl  weniger  bedeutender  Poeten  schließt 
sich  den  Führern  dieser  petrarkischen  Liebeslyrik  an;  zahl- 
lose Sonette,  Oden,  Elegien  und  Eklogen  werden  gedruckt, 
alle  den  ewig  neuen  Gregenstand  der  Liebe,  bald  platonisch, 
bald  realistisch  behandelnd.  Eiine  gewisse  ermüdende  Ein- 
förmigkeit konnte  nicht  ausbleiben,  leidet  doch  schon  Petrarca's 
Canxoniere  an  diesem  Übel.  So  tragen  die  Sonette  Ta- 
hureau's  ^),  de  la  Feruse's,  Denisot's,  Ol.  de  Magny's  %  Fasserat's 
und  des  Masures'  dasselbe  Gepräge  petraririscher  Nach- 
ahmung. Der  bedeutendste  von  den  eben  angefühlten 
Jüngern  der  Plejade  ist  unstreitig  Ol.  de  Magny,  welcher 
neben  Petrarca  auch  Sannazaro  sich  zum  Vorbild  wählt, 
letzteren  besonders  in  seinen  1557  erschienenen  Soupirs,  in 
denen  sich,  nach  Morf,  auch  Fabrizio  Luna's  Einfluß  geltend 
macht.  ^)  Zu  den  Fehlern  Magny 's  rechnet  Lintilhac :  <Ueaxe^ 
de  facüite,  le  petrarquisme  et  la  serviiüc  dans  Virniiation  de  tous 
les  modcles  ordinaires  des  petrarqtdsants  depuis  Anacreon  jusqu^d 
Sannaxar,>^) 

Ein  ebenfalls  sehr  bemerkenswerter  Lyriker  ist  J.  Vau- 
quelin  de  la  Fresnaye.  Seine  Foresteries,  in  denen  er  seine 
Liebesgeschichte  erzählt,  sind  eine  Nachahmung  der  Ärcadia 
Sannazaro's.*)  Einzelne  Teile  sind  geradezu  wörtlich  übersetzt, 
so  ist  z.  B.  For.  /,  1  eine  Übersetzung  von  jEH.  //,  2  der  Are. 
und  For.  I,  6  von  Ed.  I,  9.^)  Auch  Vauquelin  huldigt  der 
petrarkischen  Manier,  auch  er  hat  seine  Laura  (Myrtin e), 
welche  er  in  Form  und  Inhalt,  ganz  wie  sein  Vorbild  besingt.^ 
Seine  beiden  Bücher  Idiüies  weisen  ebenfalls,  jedoch  nur  ver- 
einzelt, italienischen  Einfluß  auf.    Seine  Satiren  (1605)  galten 

i)Lemercicr,  Vauq.  d.  l.  Fr,,  S.  19;  Morf,  Gesch.,  S.  171. 
«)  Lintilhac,  Hist  J,  S.  201    Torraca,  l.  c,  S.  44. 
»)  Gesch.,  S.  172. 
*)  Hist,  S.  201. 

*)  Lemercior,  Vatiq.  de  la  Fr.,  S.  23 ff. 
«)  Ibd.,  S.  J25. 

"')  Ihd.,  S.  143,  ICO  Lemercier  mit  Bez.  auf  Petr.  folgenden  Vers 
VauqueliiVs  zitiert. 

Et  volontiers  ponr  lui  je  m'en  irois  ä  Borne. 
In  seinem  «Art  pociique»  {I,  547)  sagt  Vauquelin  von  Betr.: 

QuHl  oma  le  sonnet  de  sa  premi^re  gräce. 


—    21     ^ 

lange  Zeit  als  selbständige  Schöpfungen.  Goujet  ^),  Lenient  % 
Amoold^),  Morillot^)  erwähnen  nichts  von  einer  italienischen 
Beeinftossung  der  französischen  Satiren  in  dieser  Zeit;  allein 
schon  langst  ist  Ton  Lemereier  der  Beweis  geliefert  worden, 
daß  sie  zum  großen  Teil  Plagiate  sind  ^) ;  von  Ariost  entlehnt 
eVy  wie  wir  weiter  unten  sehen  werden^  über  die  Hälfte  seiner 
Episteln,  während  er  eine  Anzahl  von  Satiren  ans  SansoTino's 
Sajnmlnng  Setie  lAbri  di  satire  (1660)  übersetzt. 

Im  Jahre  1673  erschien  PL  Desportes'  erste  Gedicht- 
sammlung, deren  erste  Hälfte  Amours  de  Diane  und  Amours 
d'Hippolyie  überschrieben  ist,  und  aus  Sonetten,  Oden,  Stances 
und  Terzinen  besteht/)  Sodann  folgen  Liebesklag^i  (ßUgies)y 
Stücke,  welche  ans  dem  Orl.  fwr,  übersetzt  sind,nnd  Diverses 
Amours  et  atäres  aeuvres  mesides.  Später  kamen  noch  die  Demieres 
Amours  (Les  amours  de  Cleonice)  hiazn. 

Du  Verdier  zahlt  sieben  italienische  Vorbilder  für  die 
lyrischen  Gedichte  DeqM)rtes'  auf:  dellaCasa,  Mozarillo, 
Gnidiccioni,  Molza,  Copeta,  Sannazaro  und  Berni.^ 
IXese  Aufzählung  ist  jedoch  nicht  vollständig.  In  der  Dieme 
folgt  er  Yor  allem  dem  Sänger  der  Laura  %  dann  finden  sich 
auch  noch  Anklänge  an  Pamphiio  Sassa")  Fla  mini  findet, 
wie  bereits  S.  6  bemerkt  wurde,  noch  weitere  Vorbilder  in 
den  italienischen  Lyrikern  Domenichi,  Amamo,  Bota  und 
Marini.^^)  In  seinen  epischen  Versuchen  stoßen  wir  auf 
Aiiosfs  und  auf  Aretino's  Spuren.  ^^)     Schon  im  nämlichen 


*)  Thiätre  franc.  Uly  296. 

«)  La  Comedie,  S.  243, 

*)  Essais,  8.  426, 

*)  In:  Julkville,  Eist,  III,  2öH. 

*)  J^tude  litt.  8ur  les  poesies  de  J,  Vauq,  de  la  Fresnaye.  1887, 
&  199 ff.  VgL  ferner  Vianey,  in  der  Rev.  des  Universites  du  Midi, 
1895,  I,  S.  315  (dort  zeigt  V.,  daß  Vauq.  in  seinen  Satiren  ein  Plagiator 
gewesen  ist). 

«)  Morf,  Gesch.,  S.  177, 

')  Bihl,  S.  947. 

•)  Flamini,  Ess.,  S.  361  {pei  Morf\  S.  241  falsch  zitiert), 

»)  Vianey,  Ufi  modele  de  Desp,  {Bev,  d'Hist.  litt  1903,  S.  277 ff.). 

")  Ess,,  S.  368^360. 

")  Morf,  Gesch.,  S.  177, 


Jahre,  wo  Desportes'  Amaurs  cCHippolyte  erschienen,  schrieb 
ein  Anonymus,  nach  Goujet^)  ein  gewisser  R.  G.  de  Saint- 
Jory,  ein  Pamphlet,  Les  rencontres  des  Muses  de  France  et 
d'Italie,  in  welchem  er  für  43  Sonette  Desportes'  fünfzehn 
ital.  Vorbilder  nachweist.  Seitdem  hat  die  Forschung  gefunden, 
daß  die  Zahl  der  Plagiate  viel  größer  ist,  daß  indessen 
Desportes'  Nachahmungen  den  italienischen  Originalen  meist 
ebenbürtig  und  oft  überlegen  sind,  wie  Faguet  zu  beweisen 
gesucht  hat.^  Baillet  nennt  ihn  bereits  im  17.  Jahrb.  den 
Prince  des  po'etes  erotiqv£s^)j  Morillot  den  geschicktesten  der 
Petrarquisten.*) 

Desportes'  Schüler  B ertaut  steht  besonders  als  beschrei- 
bender Dichter  unter  italienischem  Einfluß,  sonst  hält  er  sich 
mehr  an  seinen  Meister  Desportes  und  an  Bonsard,  die  er 
ausdrücklich  als  seine  Vorbilder  bezeichnet.  !&Iit  Bertaut 
endet  die  Herrschaft  des  Petrarquismus  in  Frankreich; 
die  folgenden  Dichter  werden  jedoch  darum  den  italienischen 
Mustern  nicht  untreu.  Tansillo,  Berni,  Aretino  und  die 
burlesken  Dichter  treten  nun  an  Stelle  Petrarca's,  des 
Lyrikers  xcti'  H^X^v. 

Fr.  de  Malherbe  versuchte  der  franz.  Literatur 
eine  neue,  vom  italienischen  Einfluß  unabhängige  Lyrik  zu 
geben,  aber  auch  er  bildete  sich  an  den  Italienern  heran: 
sein  erstes  größeres  Gedicht  ^die  Tränen  des  hl,  Petrus^ 
(1587)  waren  eine  Nachahmung  von  Tansillo's  gleichnamiger 
Dichtung.**) 


»)  Bibl  fr.  XIV,  71. 

*)  Desportes  (Rev.  d.  cours  et  conf.  Janv.  —  Mars  1S94.  S.  385,  417, 
461,  481);  dasselbe  sagt  Morf,  Gesch.,  S.  178. 

')  Jugemens  des  Sav.  F,  37. 

*)  In:  Jullev.,  Eist.  III,  251:  «B  lui  (ä  Petrarque)  ap^ns  lesprocMrs 
de  composition  et  de  style,  auxquels  ont  ew  recotirs,  pen  om  heaucoup, 
tous  les  poltes  du  temps,  ä  la  seule  exce2)tion  de  Iht  Bartas.» 

■)  In  seiner  Yorr.  zu  Malh.^s  Wei'ken  gibt  Laianne  Tansillo' s  ^La- 
grime»  in  13  Gesängen  als  Quelle  an,  während  Allais  [Malh.,  S.  115) 
beweist,  daß  Malh.  die  erste  Ausgabe  der  ital.  Dichtung  in  42  Stanzen 
(1560)  benützte,  und  seiner  Vorlage  gefiau,  Vers  für  Vers  folgte.  Bob, 
Estienne  hat  1595  ebenf.  eine  Nachahm.  der  »Lagrime»  herausgegeben, 
s.  Allais,  l  c.  S.  286). 


Der  Satiriker  M.  R^gDier  folgte  den  Lateinern,  vor  allem 
floraz,  aber  auch  den  neueren  Italienern,  Bemi,  B.  Aretino 
und  Ariost.  Amould  beweist,  daß  er  auch  mit  Vorliebe  die 
Capitoli  Mauro's  und  Caporali's  studierte  und  nachahmte,  be- 
sonders in  Sitten-  und  Charakterschilderungen.^)  Flamini 
meint,  daß  sogar  zwei  Drittel  seines  Honnmr  ennemi  de  la  vie 
Kachbildungen  Mauro's  seien,  daß  er  mehrere  Züge  seines 
berühmten  Mauvais  gite  Bemi  entlehnt  und  noch  mehrere 
andere  ital.  Dichter  als  Modelle  benützt  habe.^ 

Thöophile  de  Viau  schrieb  außer  Komödien  eine  An- 
zahl Yon  Oden,  Sonetten  und  Satiren ;  die  in  diesen  Gedichten 
für  witzige  Vergleiche  und  sinnreiche  Gegensätze  zutage  tretende 
Vorliebe  mag  er  Desportes  und  den  Italienern,  besonders 
Marini  entlehnt  haben.  Eine  Untersuchung  seiner  lyrischen 
Dichtungen  nach  dieser  Seite  hin  fehlt  noch. 

Als  bedeutendste  Gefährten  Malherbe's  sind  Maynard 
und  Racan  zu  nennen.  Ersterer  gibt  selbst  in  einem  Briefe 
an  Conrart  zu,  daß  er  die  besten  italienischen  und  spanischen 
Bücher  täglich  lese*)/  sein  Philandre  ist  ganz  im  italienischen 
Geschmacke.  Racan  verstand  sehr  gut  italienisch;  er 
liebte  die  Italiener  und  ahmte  sie  nach.^)  Voiture  und  die 
Gäste  des  Hotel  Rambouillet  huldigen,  soweit  sie  für  die 
lyrische  Poesie  in  Betracht  kommen,  ebenfalls  der  Nachahmung 
Italiens ;  ist  doch  die  sich  dort  treffende  Gesellschaft  nur  eine 
Nachbildung  der  römischen  Gesellschaftskreise,  und  stammt 
doch  Cath.  deVivonne  mütterlicherseits  von  Italien  ab. 
Was  zur  Schönheit  des  Lebens  beitragen  konnte,  die  Pflege 
der  Kunst  und  Poesie,  die  gefällige  Unterhaltung,  den  leichten 
Verkehr   der   beiden    Geschlechter,    all   das  nahm  man  von 


1)  £m.,  S.  42fK 

*)  Studi,  S.  369.  Lotheissen,  Gesch.  1,  104,  sagt  von  RSgnier: 
Seine  HauptniMter  blieben  die  Lateiner-;  doch  benutzt  er  manchmal  auch 
einen  ital.  Dichter  als  Vorbild.  Von  diesen  Italienern  erwähnt  er  jedoch 
nur  Mauro. 

')  Faguet,  Maynard  (Rev.  d.  cours  et  conf.  Xov.  lH94—mars  1695, 
8.  33  if.),  wo  der  Brief  zitiert  wird. 

*)  Arnould,  Ess.y  S.  416. 


—    24    — 

Italien.^)  Demogeot  nennt  die  drei  Hauptdichter  des  Bdtels, 
Yoiture,  Benserade  und  Dorat  Jünger  der  Muse  Marini's.^ 
Dieser  italienische  Dichter,  welcher  am  fran2.  Hofe  eine 
glänzende  Stelle  ')  einnahm,  wirkte  geradezu  verderblieh  durch 
seinen .  Einfluß  auf  die  französische  Lyrik.  Seine  Über- 
treibungen in  der  Anwendung  von  Antithesen,  Wortspielen 
und  glänzenden  Bildern,  der  sogenannte  Marinismus,  fanden 
überall  Eingang.  Andererseits  ist  der  Zug  von  Freigeisterei, 
der  sich  um  diese  Zeit  in  der  franz.  Lyrik  geltend  macht, 
ebenfalls  auf  einen  Italiener,  Lucilio  Yanini,  einen  Schüler 
G.  Bruno's,  zurückzuführen.*) 

Mit  Boileau's  Auftreten  macht  sich  die  franz.  Poesie 
vom  italienischen  Einflüsse  frei*);  der  Hauptgrund  dafür  ist 
in  dem  raschen  Verfall  der  italienischen  Poesie  zu  suchen; 
außerdem  kommt  noch  hinzu,  daß  Frankreichs  Dichtkunst  sich 
gerade  um  diese  Zeit  zu  einer  hohen  Blüte  emporschwang. 
Erst  das  18.  Jahrhundert  kann  einige  vereinzelte  Nach- 
ahmungen italienischer  Lyrik  verzeichnen,  so  werden  Chia- 
brera's  Oden  von  Lebrun*)  nachgeahmt;  Filicaja,  der  Sänger 
der  Befreiung  Wiens,  ist  ein  Vorbild  J.  B.  Rousseau's. ') 
Größer  ist  der  italienische  Einfluß,  wie  wir  sehen  werden, 
auf  epischem  und  dramatischem  Gebiete.  Hettner's  franz. 
Literaturgeschichte  des  18.  Jahrh.  geht  leider  auf  keine 
Quellenuntersuchung  ein.^) 

Von  den  großen  französischen  Lyrikern  des  19.  Jahrhunderts 
kommt  allein  Lamartine  in  Betracht.     In   seiner  Jugend 


*)  Lotheissen,  Gesch.  I,  153 — 155. 

")  Hist,  S.  144.  ÄU8  einem  Briefe  Voiture^s  erfahren  v)ir^  dafl  er 
eine  Ubers.  des  Orl.  fnr.  an  Af««  ät  Saintot  sandte,  ein  Zeichen  von  der 
Beliebtheit  it.  Dichter  zu  jener  Zeit. 

»)  Siehe  darüber  Wiese-Percopo,  Qesch.  d.  it.  L.,  S.  387— 3S9. 

*)  Schirmacher,  Vaiture  (Herr,  Ärch.,  Bd.  96,  S.  109 ff.). 

•)  LansoQ)  Htsty  S.  806:  «Boüean  et  les  purs  cUusiqHes  natis  en 
(nämlich  von  der  Nachahmung  der  Italiener)  affranehissent,  ä  partir 
de  1660.^ 

•)  Demogeot,  Hist.  des  litt.  Hr.,  S.  146. 

')  Ibd.,  8.  146. 

*)  Weder  Lanson  noch  ei^ie  andere  frz.  Liti.-Gesch.  untersnekt  den 
italienischen  Einfluß  im  18.  Jahrhundert. 


liest  er  nach  seinem  eigenen  Geständnisse  Tasso's  Gerusalemme 
liberaia  und  die  anderen  großen  Epen  des  Cinquecento. 

So  groß  Leopardi's  Einfluß  auf  die  Lyrik  seines  eigenen 
Landes  war,  über  die  Grenzen  desselben  ging  er  nicht  hinaus; 
Tielmehr  ließ  er  sich  selbst,  wie  A.  Ori<d^)  bewiesen  hat, 
Yon  den  französischen  Dichtern  Rousseau,  Chateaubriand  und 
besonders  M"^^  de  Stael  beeinflussen.  Die  franz.  Lyrik  des 
19«  Jahrh.  ist  ihre  eigenen  Wege  gegangen,  ja  in  mancher 
Hinsicht  war  sie  derjenigen  der  übrigen  europäischen  Nationen 
weit  voraus  und  ist  heute  noch  in  steter,  selbständiger  Ent- 
wicklung begriffen. 


3.  Italieniseher  Einflofi  auf  das  Epos.^) 

Als  den  Schöpfer  des  neueren  klassizistischen,  französischen 
Epos  können  wir  Ronsard  betrachten.  Er  wollte  in  der  Franeiade 
ein  Epos  nach  dem  Muster  der  großen  antiken  Epen- 
dichter  schaffen,  doch  hält  er  sich  neben  Vergil  besonders  an 
den  Italiener  Ariost,  den  er  oft  nahezu  übersetzt,,  wie  wir 
später  zeigen  werden.  XJber  die  längeren  epischen  Gedichte 
Ba'if  s  und  Desportes',  Nachahmungen  einzelner  Episoden  des 
Orlando  furioso,  werden  wir  ebenfalls  in  einem  anderen  Kapitel 
handeln.  Der  Südfranzose  Du  Bartas  wendet  die  poetischen 
Prinzipien  Ronsard's  auf  einen  religiösen  Gregenstand  an; 
Amould  hält  es  für  möglich,  daß  Du  Bartas  des  großen 
Florentiners  Dipitia  Commedia  kannte  und  sie  zu  seinem  Vor- 
bilde machte.^)    Sicher  ist,  daß  besonders  in  dem  Epos  Judith 


')  Leopardi  et  la  litterat  fr.,  in:  Buü.  it.  1902,  t,  11,  303^326. 

*)  Daniels  Einfluß  im  15,  JahrK  war  kein  großer  (vgl,  0 eisner, 
Dante  in  Frkr.,  8.  3;  Arnould,  Eas.  392;  Bouvy,  Voltaire  etc. 
8.  37).  Im  3.  Teü  der  mMutadon  de  Fortune*  der  Cbrisäne  de  Fisan 
findet  iich  eine  Anspielung  auf  Inferno  XXVII;  einzelne  Naeh^ 
ahmnngen  finden  sich  im  i^Livre  du  Chemin  de  long  esinde»,  im  Gle88ar 
zum  »Livre  de  Frudence»,  wo  eine  Stelle  aus  dem  hvfemo  XVI,  124 
--126  angeführt  wird  («.  darüber  OeUner,  Dante  m  Frkr.,  8.  5 ff.); 
femer  Wiese,  gelegenÜ.  der  Kritik  von  OeUner's  Ähh,,  in  Herr. ^8  Arch, 
Bd.  102,  8.  229  f 

*)  Essais,  8.  442. 


Tasso  und  Ariost  für  einzelne  Stellen  benutzt  wurden*);  in 
seiner  Seconde  Semaine  (II,  2  u.  3)  werden  Petrarca,  Boccaccio, 
Ariost  und  Tasso  als  Hauptvertreter  der  italienischen  Poesie 
genannt. 

„Im  17.  Jahrhundert,  sagt  Amould,  steht  das  romantische 
Epos  Frankreichs  in  voller  Blüte,  wozu  besonders  der  schnelle 
Erfolg  des  befreiten  Jerusalems  und  das  Glück  des  mariniscben 
A  d  0  n  e  beitrugen.  Auf  Tasso  und  Ariost  gehen  besonders 
ScudSry,  St.-Amant,  Desmarets,  Ohapelain,  Le  Meine  zurück.^  ^ 
Doch  scheiterten  alle  Nachahmungen  an  dem  mangelhaften 
Stil  der  Franzosen,  sie  verstanden  nicht  das  Scherzhafte, 
Ironische  eines  Ariost,  noch  das  Erhabene,  Ernste  eines  Tasso 
nachzuahmen,  und  so  hören  sich  ihre  Epen  wie  Parodien  der 
großen  Italiener  an. 

Boileau's  Lutrin  hat  neben  dem  Froschmäusekrieg  auch 
den  Gerauhten  Wassereimer  Tassoni's  zum  Vorbilde.') 

Hierher  möchten  wir  auch  eine  Eeihe  von  burlesken  franz. 
Dichtern  stellen,  welche  insgesamt  bei  den  hirlesken  (auch 
bemesk  genannten)  Dichtern  Italiens  in  die  Schule  gingen. 
Italien  ist  das  Vaterland  des  Burlesken.^)  Pulci 
kündigt   es   an,   bei  Ariost  finden  sich  eine  Menge  von  bur- 


*)  Siehe  weiter  unten  beim  Abschnitte:  Einfl.  Ärioafs  auf  d,  frz. 
Epos;  Rathery,  Infi.,  S.  97 ff.  erwähnt  überhaupt  nichts  von  einem 
ital.  Einflu/i  auf  das  frz.  Epos. 

•)  Essais^  S.  445  ff.  Gemeint  sind  Saidery's  Alaric^  St.  AmanVs 
Alboinj  DesmareVs  ClouiSj  Chapelain's  Pucelle  und  Le  Moine's  St-Louis. 
Birch-H.  {Lit.-Gesch.j  S.  410)  erwähnt  hier  nichts  von  einem  ital. 
Einflüsse. 

»)  Suchier-Birch-il.,  Gesch.,  S.  485;  Gröbedinkel  (1882); 
K.naake  (1883);  Bobertag,  in:  B.  St.  I,  456;  H,  204. 

*)  Über  die  „Burleske*'  in  Italien  finden  sich  Andeutungen  bei  Wiese - 
Perc,  Gesch.,  S.  S4iiff.,  über  die  bürgerl.  Dicht,  in  Frankreich  bei 
Morillot  {Scarron  et  la  poisit  buri)  welcher  fast  nur  den  span.  Ein- 
flu/i  behandelt.  Wichtiger,  und  nur  auf  den  italienischen  Einfl.  bezug- 
nehmend, dagegen:  Toldo,  Ce  que  Scarron  doit  aux.  burl.  und  Schön - 
herr,  St.-Amant  (ZfrSp.  J,  HS  ff.,  wo  er  S.  139  eine  Definition  des  Burl. 
gibt,  jedoch  auf  den  ital.  Einfl.  nicht  näher  eingeht).  Cfr.  noch  Vianey, 
Bruscambille  etc.,  in:  Rev.  d'Hist.  litt  1901,  VIII,  569 ff  FernerToldo, 
in  Gröb:s  Z.  (1901).  XXV,  71  ff. 


—     27     — 

lesken  Bemerkungen.  Populär  jedoch  wurde  diese  Dichtungs- 
art bekanntlich  erst  durch  Bemi.  Eine  ganze  Schule  entstand 
um  ihn:  Folengo,  Molza,  della  Casa^  Firenzuoli,  llauro, 
Caporali  etc.  Der  bedeutendste  Vertreter  der  französischen 
burlesken  Dichtung  war  Scarron.  Seiner  Abstammung  nach 
Italiener,  kam  er  frühzeitig  nach  Bom,  kurz  nachdem  Lalli 
die  erste  Travestie  der  Aneide  veröffentlicht  hatte,  welche 
ihm  wahrscheinlich  die  Idee  zu  seinem  VirgUe  travesiy  gab.^) 
Als  weitere  Quellen  dieser  französischen  Travestie  sind  die 
Oigantea  Amelonghi's  und  die  Werke  Bracciolini's  nachgewiesen 
worden,  hauptsächlich  dessen  Schemo  degli  dsi.^) 

Auch  der  bereits  erwähnte  St-Amant  schrieb  1637  in 
diesem  Genre  seinen  Passage  de  Otbraltar  und  1643  seine  Borne 
ridicule.  Der  Mo'ise  sauve  desselben  Dichters  weist  Einflüsse 
klassischer  Schriftsteller  und  italienischer  Dichter,  besonders 
von  Castelvetro  Piccolomini  und  Tasso  auf.^)  Sarrazin  hatte 
ebenfalls  aus  Italien  eine  Vorliebe  für  das  Burleske  mit- 
gebracht und  schrieb  die  Aveniure  de  la  Souris,  Die  Blütezeit 
des  Burlesken  in  Frankreich  datiert  seit  Scarron's  Typhon  1644. 
Drei  Jahre  später  veröffentlichte  Loret  seine  Po^sies  burlesqttes ; 
1649  erschien  eine  Passion  de  Notre-Seigneur  in  burlesken 
Versen.  Alles  schreibt  in  dieser  Manier.  Morillot  führt 
folgende  bekannte  Autoren  von  Travestien  an:  Furetidre, 
Du  Fresnoy,  Perrault,  Br6beuf,  Barciet,  Claude  Petit-Jean, 
Bicher  d'Assoucy,  Picon  et  cent  autres.*) 

Folgendes  sind  die  Gegenstände,  welche  die  Franzosen, 
in  Nachahmung  der  Italiener,  mit  Vorliebe  in  burlesker  Weise 
behandelten  *) : 

1)  Die  Liebe  und  die  Frauen. 

2)  Persönliche  Angriffe  und  ärgerliche  Abenteuer. 

3)  Paradoxe. 


^)  S.  Krit  v.  Toldo's  Ce  que  Scarron  etc.^  im  Gioi*n.  stör.  XXV, 
S.  S2öflr, 

«)  Schönherr,  St-Amant,  in:  ZfrSp.  X,  174, 

•)  Scarron  etc.,  S.  152, 

*)  Toldo,  J&f.  «ttr  to  poesie  6uW.  {ZrPh.  XXV,  71.,  und  Vianey 
in  der  Rev.  d^H^^L  litt.  VIII  S.  569—576)-,  ferner  Arnould,  Eaaaig, 
8.  40L 


4)  Gegen  die  Ehre. 

5)  Verteidigung  einiger  moratischer  Gebrechen  und  des 
menschlichen  Elendes. 

6)  Verteidigung  der  Krankheiten. 

7)  Verteidigung  der  Tiere. 

8)  Burleske  Beschreibungen:  die  Brennessel^  derBinsen- 
korb  (le  cabas),  die  Mütze^  der  Tabak  etc. 

Sogar  ilronsard  hatte  einen  Panegyrikus  auf  das  Glas, 
Le  verre,  nach  Bino  geschrieben  ^),  ein  Loblied  auf  den 
Salat,  La  salade,  nach  Molza*),  endlich  les  Vues  ou  Nourelies, 
nach  Mattio  Franzesi.^)  Du  Bellay  schrieb  einen  Hymnus 
auf  die  Taubheit*),  Jamyn  ein  Gedicht  gegen  die  Ehre.*) 

Eine  größere  Zahl  burlesker  Dichtungen  findet  sich  in 
den  Mu^es  gaillwdes,  im  Cabinet  satiriqne  und  im  Famasse. 

Die  Prologe  Bruscambille^s,  welche  vor  den  Aufführungen 
im  Hotel  Bourgogne  gewöhnlich  gesprochen  wurden,  sind 
nichts  anderes  als  burleske  Satiren.*)  Er  lobt  da  die  Armut, 
die  Feigheit,  zählt  die  Freuden  der  Qalleux  (Krätzkranken), 
die  Tugenden  der  Puces  auf  und  ahmt  so  die  Italiener  nach« 
Auch  Eegnier's  Satiren  7  und  II  und  seine  ganze  Galerie 
häßlicher  Frauen  gehören  hierher.  Die  10.  Satire,  in  welcher 
er  ein  persönliches  Abenteuer  schildert,  ist  eine  Nachahmung 
Bemi's.  Thöophile  de  Viau  huldigt  dem  burlesken  Ge- 
schmacke  in  seinen  Rcgrets  faits  sur  un  fäcJieitx  logis.  Eine 
große  Anzahl  derartiger  Nachahmungen  finden  wir  in  den 
Studien  Toldo's  über  die  burleske  Poesie.') 

Allmählich  jedoch  stirbt  die  Burleske  aus  oder  fristet  in 


*)  Rons.,  (EuvreSj  p.  p,  Blanchemain  III ,  402. 

*)  Ibd.j  VIj  87.  Bino*8  und  Molza's  Gedichte  finden  sich  in  den 
Opere  hurlesche.  Londra.  172H.  Livr.  II,  214  u.  223. 

')  Kons.,  (Euvres,  p.  p.  Blanchem,  TT,  257,  —  Franzesi's  Geäkht 
befindet  sich  in  den  Opere  hitrL,  Livr.  11,  S.  97. 

*)  (Eueres,  p.  p.  Marty-Lav.  II,  S99ff. 

*)  (Euvres,  p.  p.  Colletet.  1879.  II,  20Hff. 

•)  Vianey,  Bruscambille  ei  les  poetes  bemesques' (Rev.  ^JBist  litt. 
VIII,  671). 

')  La  poesie  burl.,  Gröb.'s  Z.  XXV,  S.  71—93;  215—229;  257-^277; 
384-410. 


—    29     — 

den  literarischen  Oafös,  welche  besonders  von  E^ier  und 
Bertbelot  besucht  werden,  ein  elendes  Dasein.^) 

Nach  dem  Aussterben  des  burlesken  Genre  vergeht  eine 
lange  Zeit,  ehe  wir  wieder  etwas  von  italienischem  Einüusse 
auf  die  französische  Epik  bemerken.  Erst  in  Yoltaire's  beiden 
Epen  Henri  IV  und  La  Pucelle  finden  sich  einige  Anlehnungen 
an  die  italienischen  Epiker  Dante  und  Ariost  ^) ;  manche  Züge 
entlehnte  er  auch  dem  1623  vom  Italiener  Malmignati  ge- 
dichteten Enrico  quarto.^) 

Auch  der  größte  Epiker  des  neunzehnten  Jahrhunderts 
in  Frankreich,  V.  Hugo,  kannte  die  ^Divirui  Coniedia*  zwar 
nicht  gründlich,   aber  er  nennt  Dante  seinen  tdiv^in  maltre*.*) 

4.  Italienischer  EinlliiB  auf  die  Erzählung  und  den  Boman.^) 

Die  Quelle  des  modernen  Romans  und  der  modernen 
Erzählung  ist  Boccaccio's  Decamerone.  In  seinem  Werke 
findet  man  alle  Formen  dieser  Literaturgattung,  welche  die 
Geister  der  Renaissancezeit  bis  zum  17.  Jahrhundert  unter- 
hielten und  interessierten.  Die  Franzosen  wurden  durch 
Laurent  de  Premierfaict's  Übersetzung  des  Boccaccio  (1414) 
mit  dem  Decamerone  bekannt®);  doch  scheint  der  Erfolg 
dieser  Übersetzung  kein  großer  gewesen  zu  sein.  Denn  erst 
als  die  Novellen  Bandello's,  Giraldi's,  Poggio's  und  die  Facetien 

')  Vianey,  Bruscamhille  etc.,  in:  Bev.  d'Hist  litt.  YIII,  S.  ^69 ff, 

*)  Prato.  Tre  passi  d.  Diu.  Com.  etc..  in:  Giom.  Daiit.  I,  560 ff. ; 
Oelsner  (Dante  in  Frkr.,  S.  34)  behauptet  jedoch,  Volt,  hätte  sich  nie 
mit  Dante  beschäftigt]  vgl.  dag.  Farinelli's  scharfe  Kritik  von  Oelsner' 8 
Äbh.,  im  Oiom.  stör.  XXIX,  S.  142. 

«)  Hettner,  Gesch.,  S.  J^27. 

*)  Farinelli,  Gim-n.  stör.  XXIX,  142:  BouYy,  Bull.  ital.  1902, 
(Chronique)  sagt  von  V.  Hugo:  *0n  noserait  af firmer  que  V.  H. 
connüt  ä  fond  la  Div.  Com.  .  .  .  Mais  il  est  rertain  que  le  gi-and  poete 
frangats  nourrissait  un  vrai  culte  ponr  Dante,  et  quHl  arait  de  Vensemble 
de  son  pohme  une  idee  claire  et  vive.  Le  Furgatoire  et  le  Paradis  n^ont 
pas  autant  d^attrait  pour  V.  H.  que  VEnfer,  bien  quHl  les  juge  eux  aussi 
extraordinaires.  * 

•)  Körting's  Geschichte  des  frz.  Bomans  beschäftigt  sich  nicht 
mit  Quellenforschung.  Auch  sonst  ist  dieser  Gegenstand  noch  wenig  be- 
handelt worden. 

•)  Suchier  u.  Birch-H.,  Gesch.,  S.  262. 


—     30     — 

Straparola's  erschienen  waren  ^),  gewann  auch  die  fran- 
zösische Novelle  Lebenskraft  und  errang  bald  eine  der  italieni- 
schen Literatur  nahezu  gleichkommende  Stellung  in  der  Novellen- 
literatur. 

1536  vollendete  der  Sattler  Nicolas  aus  Troyes  eine  zwei- 
bändige Sammlung  von  Novellen,  von  welchen  uns  jedoch  nur 
der  2.  Band  (180  Novellen)  unter  dem  Titel:  Le  grand  Paran- 
gon  des  fiouvelles  tiouvelles  enthalten  ist.  Der  Verfasser  benützt 
vornehmlich  Ant.  de  la  Säle,  außerdem  besonders  Boccaccio 
und  andere  italienische  noveüieri.  Die  Comptes  du  monde  aven- 
tureux  werden  1555  publiziert;  1557 f.  erscheinen  die  Joyeux 
Devis  Des  Periers';  1565  veröffentlicht  Tahureau  seine 
Dialogues,  1572  werden  die  Discours  non  plus  melancoliques  qtie 
divers  und  der  Printemps  Iver's  veröffentlicht*);  1547  er- 
scheinen die  Propos  rustiques  und  1548  die  Balivemeries  des 
Noel  du  Pail  und  1585  die  Conies  et  discours  d^Eutrapel  von 
demselben;  die  Matinees  erscheinen  1585—86  und  die  4?^^ 
disnees  1587 — 88,  beide  von  Choliöres  verfaßt.  Die  Cofiies 
amoureux  des  Flores,  um  1531  veröffentlicht,  sind  zum  größten 
Teil  dem  Boccaccio  entlehnt,  während  die  1584  veröffentlichten 
Facetieuses  joumees  des  Chapuis  den  Notti  Strapola's  ent- 
nommen sind.*) 

Auch  das  17.  Jahrhundert  hat  mehrere  solche  Samm- 
lungen von  Erzählungen  aufzuweisen:  1603  le  Tresor  des  rS- 
criations;  1646  die  Galerie  des  curieux;  1668  den  Courrier  facSiieux ; 
1695  den  Bouffon  de  la  Cour  und  die  Gaquets  de  PAccouchie. 
Diese  Angaben  sind  größtenteils  nach  Toldo's  erstmaliger 
Zusammenstellung  gemacht.^)  Die  meisten  sind  Rahmen- 
erzählungen, gehen  also  in  ihrer  Form  auf  Boccaccio  zurück. 

*)  Über  die  ital  Nov.  8.  Näheres  6ct  Wiese -Pärc,  Gesch.,  S.  376 ff. 

«)  Cf.  KocKs  Z.  77,  274;  IX,  S3ff.,  54 ff.;  ZDA.  XXI,  445 ff.; 
Schnorr's  Arch.  VI,  130  Änm.;  Herr.  Arch.  XC,  182;  Liebau,  König 
Edw.  III,  S.  90  ff. 

»)  Toldo,  Contributo,  S.  V  u.  S.  83 ff.,  106 ff. 

*)  Contributo,  S.  Vf.  Toldo's  Zusammenstellung  ist  nicht  vollständig. 
Es  fehlen  z.  B.  noch:  Beüeforesfs  Bist,  (prodigieuses)  tragiques  ex- 
traites  des  ceuvres  ital  de  Bändel.  F.  1547  {s.  Du  Verdier,  S.  366)  und 
Henri  Philippe  de  Villiers^  Hecatomythie  {eine  Übertragung  der  Liebes- 
briefe Parabosc&s,  1536;  s.  Du  Verdier,  S.  572). 


—    31     — 

Schwerer,  oft  sogar  unmöglich  ist  es,  festzustellen,  ob  auch 
der  Inhalt  der  Novellen  vom  Italienischen  genommen  ist,  oder 
ob  die  behandelten  Stoffe  auf  den  mittelalterlichen  Anekdoten- 
schatz des  franz.  Volkes  zurückzuführen  sind ;  viele  von  ihnen 
sind  übrigens  Gemeingut  aller  damaligen  Kulturvölker.  Von 
den  Cent  Nouvelles  Nouvelles  gehen  mehr  als  30  auf  italienische 
Quellen  zurück^);  eine  große  Anzahl  italienischer  Novellen 
hat  auch  Margarete  von  Navarra  in  ihren  Hepiameron  auf- 
genommen.*) Im  Orand  Parangon  findet  Toldo  87  Novellen  '), 
denen  italienische  Quellen  zugrunde  liegen,  die  Comptes  du 
monde  aventuretix  enthalten  44^),  die  Joyeux  devis  endlich  50 
italienische  Novellen.^) 

Dieses  Ergebnis  von  Toldo's  Untersuchung  wurde  jedoch 
von  6.  Paris  angezweifelt*),  der  darauf  hinweist,  daß  eine 
Reihe  der  von  Toldo  als  italienisch  bezeichneten  Novellen 
teils  in  den  Fableaux  bereits  zu  finden  seien,  teils  in  der 
mündlichen  Überlieferung  des  Volkes  schon  seit  Jahrhunderten 
lebten.  So  behauptet  Paris,  die  Novellen  des  Orand  Parangon 
seien  puremeni  fran^ais  ^) ;  vom  Heptameron  sagt  er,  daß  der 
italienische  Einfluß  sich  nur  auf  die  Anlage  der  Sammlung 
und  auf  viele  Ideen,  aber  „literarisch^  auf  keine  der  Er- 
zählungen  erstrecke.^)     Ahnlich    spricht   er   von   den  Joyeux 


»)  Toldo,  Cmtr,,  S.  1—29. 

•)  Ibd.,  S.  30-82. 

•)  Ibd.,  S.  83-105. 

*)  Ibd..  S.  106—127. 

»)  Ibd.,  S.  128—153.  Such.-Birch-flirschf.,  S.  330  bezeichnen 
die  Joyeux  Devia  einfach  als  eine  Art  Fortaetzwvg  der  Fableaux. 

•)  La  nouv.  fran^.  {Joum.  d.  Sav.  1895.  mai-juin^  289—303  u. 
347—361).  Auch  Tobler  hat  einmal  gesagt:  „Toldo^s  Verweisungen  auf 
ital  Vorbilder  {Herr.  Arch.  Bd.  98,  S.  211)  sind  sehr  oft  wenig  überzeugend.'^ 

')  La  nouv.  fr.,  S.  298;  Wagner,  Mellin  de  St-G.,  8.  119  da- 
gegen: „In  dem  Grand  Par.  wird  die  ital.  Überlieferung  fortgesetzt.^ 

•)  Ibd.,  S.  550,-  Such -Birch-H.,  Gesch.,  S.  331:  „Einzelne  {No- 
vellen) stammen  aus  litt.  Qudleti,  aus  Ariost,  Masuccio]  G.  Cinthio, 
Sacchetti  etc."*.  Morl,  Gesch.,  S.  80  sagt,  das  Hepi.  erinnere  an 
Boccaccio.  —  Wenn  wir  bedenken,  daß  Le  Magon  von  Marg.  be- 
auftragt wurde,  den  Decameron  zu  übersetzen,  so  ist  wohl  anzunehmen, 
daß  die  eine  oder  andere  Nov.  ihrer  Sammlung  aus  dem  Decameron 
stammt. 


—    32     — 

Devis.^)  Doch  gibt  er  am  Schlüsse  seiner  Arbeit  den 
italienischen  Einfluß,  wenn  auch  in  beschränkterem  Grade  sm. 
Einen  zwingenden  Beweis,  daß  Toldo  im  Irrtum  sei,  hat  er 
jedoch  nach  unserer  Ansicht  nicht  geliefert,  da  ein  solcher 
vielleicht  überhaupt  nicht  zu  liefern  ist. 

Für  die  übrigen  bei  Toldo  aufgezählten  Novellensamm- 
lungen  ist  eine  genaue  Quellenuntersuchung  bis  jetzt  nicht 
angestellt  worden;  aber  es  ist  wahrscheinlich,  daß  auch  hier 
eine  reiche  Ausbeute  italienischer  Quellen  sich  ergeben  wurde. 

Die  beiden  Hauptwerke  Rabelais',  der  Oarganttm  und 
der  PaniaffTuel,  stehen  auch  vielfach  unter  dem  Einflüsse 
italienischer  Dichter  und  Schriftsteller.  Toldo  hat  sich  rem 
erstenmal  mit  ziemlich  eingehender  Genauigkeit  darüber  ge- 
äußert.*) Doch  bedarf  es,  um  ein  vollständiges  Bild  dieses 
Einflusses  zu  geben,  noch  der  Zuhilfenahme  einer  Anzahl 
anderer  Forscher. 

Aus  Pulci's  Morgante  Maggiore  nahm  Rabelais  die  Gestalt 
seines  Morgan;  nach  demselben  Italiener  führt  er  in  seiner 
Genealogie  Pantagruel's  (Garg.  II,  1)  62  Kolosse  an,  die  dem 
Stammbaume  des  Riesen  zur  Zierde  gereichen.^)  Ferner  ent- 
hält die  Reise  FantagruePs  Anklänge  an  Pulci  und  Folengo, 
welch  letzterer  zweimal  von  Rabelais  erwähnt  wird.^)  Das 
Erziehungssystem,  wie  es  der  französische  Satiriker 
aufstellt,  ist  teils  seinen  eigenen  Ideen  entsprungen,  teils  nach 
den  Theorien  der  Renaissance  geschaffen,  wobei  Castiglione's 
Cortigiano  besonders  berücksichtigt  wird.*)  Einfluß  der  italieni- 
schen Renaissancekultur  ist  es,  wenn  Rabelais  ganz  besonders 
das  Gefühl  der  Ehre  betont.*)    Die  Gestalt  des  Panurge  er- 

')  Ibd.,  S.  350;  Morf,  Gesch.,  S.  80:  „Sie  e^Hnnem  an  Sacchetti." 

*)  TJarte  ital.  nelV  opcf^a  di  F.  R.,  in :  Herr.'s  Ärch.,  Bd.  100,  S.  103 
— 147 'j  Arnould,  Ees.j  S.  465,  behauptet,  daü  ein  bestimmter  Einfluß 
Italiens  auf  Rabelais  sich  nicht  nachweisen  la«se. 

»)  Morf,  Gesch.,  S.  77. 

*)  Garg.  IT,  7;  IIl,  11.  Pulci's  Morgante  wird  in  Garg.  TT,  1 
angeführt. 

*)  Toldo,  L'arte  ital.,  in  Herr. 's  Arch.  C,  119. 

**)  Zumbini,  Stmlj  d.  lett.  stran.;  cap.  IV,  Rabelais.  Unsere 
Stelle  ist  angeführt  nach  dem  Referat  über  das  Buch  im  Gw*n.  stcr. 
XXIII,  292ff. 


—     33     — 

inpert  an  den  Brnnello  des  Innamorato  (C.  II,  6)  und  an 
den  des  Orl.  für.  (C.  III),  an  den  Margutte  des  Morgante 
Maggiore  (C.  XIX)  und  an  den  Cingar  Folengo*s  (Macch. 
n).^)  Die  Anekdote  über  das  Almosengeben  findet  sich  bereits 
bei  Poggio  (C.  N.  N.  XXV);  ebenso  erinnert  an  diesen  das 
Gelübde  im  Sturm.*)  F.  Colonna's  Polifilo  wird-  im  I.  Buche 
(Kap.  9)  des  Gargantua  erwähnt,  und  der  Schluß  des  &«  fiuches 
ist  nahezu  eine  wörtliche  Übersetzung  dieses  1499  in  Italien 
erschienenen  Werkes.^  Die  Abtei  Th61dme  ist  beschrieben 
nach  dem  Vorbilde  der  Henaissancepaläste ;  die  Liebe  der 
Thelemiten  war  die  platonische  Liebe  Petrarca's.*)  In  den 
Regierungstheorien  endlich,  die  er  in  seiner  großen  Satire  auf- 
stellt, sind  Macchiavel  und  Castiglione  seine  Quellen. 

Eine  Eeihe  italienischer  Schriftsteller  trägt  außerdem 
noch  zur  Bildung  Babelais'  bei;  er  selbst  nennt  sie  uns: 
Poliziano  (Garg.  I,  24),  Lorenzo  Valla  (I,  10),  Passavante 
(I,  14),  Pontano  (I,  19),  Alberti  (II,  7),  Pico  della  Mirandola 
(II,  18),  P.  Giovio  (V,  31),^) 

So  konnte  selbst  dieser  sonst  so  unabhängige  Geist  sich 
dem  Einflüsse  der  italienischen  Literatur  nicht  entziehen,  yiel- 
mehr  erwuchsen  ihm  seine  besten  Ideen  aus  dem  Studium  der 
italienischen  Dichter  und  Schriftsteller.  Mit  Recht  hat  Phil. 
Chasles  einmal  gesagt,  daß  Rabelais  die  Elemente  seiner 
„großen  Ironie"  hauptsächlich  in  Italien  sammelte.®) 


^)  Luzio's  Spigolature  Folenghiane^  Bergamo,  1897,  in  welchen 
ein  Kapitel  über  die  Nachahm.  FoVs  bei  Rabelais  handelt,  konnte  nicht 
benützt  iverden;  vgl.  Toldo,  /.  c,  S.  124, 

*)  Rabelais,  Garg.  IV,  18  u.  19. 

')Sölthoft- Jensen,  Le  5*  livre  de  Babelais,  etc.  (Rev.  ä^Hist. 
litt.  1896.  III,  608  ff.). 

*)  Toldo,  l.  c,  S.  137 ;  ferner  das  Referat  v.  ZumbinVs  Studj  in 
dem  Gior.  stör.  XXIII,  S.  292  ff.,  wo  noch  AriosVs  Insel  der  Alcina 
und  BemVs  rifacimento  delV  Orl.  innam.  als  Quellen  angeführt  werden. 

*)  Lanson,  Hist,  S.  254,  nennt  außer  den  bisher  erwähnten  Vor- 
bildern noch  Coccaie  und  Aretin.  Das  Verhältnis  des  Ersteren  zu  Rab. 
wird  untersucht  von  Lo forte- Ran di  in  den  •Umorisii»  [Lett.  stran. 
Palermo.  1901.  .?«.  seria,  S.  179 ff.);  der  Artikel  ist  sehr  allgemein  ge- 
halten; vgl.  Krit.  desselben  in  dem  BulL  it.  1901.  I,  317. 

«)  Etudes,  S.  446. 
Httnchener  Beiträge  z.  romanischen  a.  engl.  Philologie.    XXXIV.     3 


—     34    — 

Im  17.  Jahrhundert  sind  außer  den  bereits  erwähnten 
Novellensammlungen  noch  Lafontaine's  Contes,  eigentlich  nur 
Novellen  in  Versform,  zu  nennen.  Ihre  Quellen  sind  zum 
großen  Teil  in  Italien  zu  suchen.^) 

A.  Regnier  hat  allerdings  die  Quellen  sämtlicher  Conies 
in  der  Lafontaine-Ausgabe  der  Gi-ands  iJcrivains  eingehend 
untersucht  und  festgestellt,  doch  fehlt  bei  ihm  eine  übersicht- 
liche Zusammenstellung  der  Ergebnisse,  die  wir  nun  hier 
geben  wollen. 

I.  Teil  der  Contes: 

Conte  1  =  Ariost,  Orl.  f.,  Canto  XXVHI,  4  ff. 

„      2  =  Bocc,  Dec,  Giorn.  III,  7. 

.,       3  =       „  „  „       VII,  7. 

„    11  =  Candelaio  (letzte  Szenen). 

II.  Teil: 
Conte  1  =  Bocc,  Dec.  VIII,  8. 


V 

3  = 

jy 

?» 

IX,  6. 

V 

4  = 

JJ 

JJ 

III,  2. 

jy 

5  = 

J7 

J7 

II,  2. 

V 

7  = 

>J 

Ji 

VII,  5,  8  u.  9. 

yj 

8  = 

J> 

?> 

II,  10. 

•1 

9  = 

Jf 

?> 

VIU,  1. 

}? 

13  = 

7> 

17 

I,  2    (oder  aus  den  Diporti  des 
Parabosco). 

» 

14  = 

Bocc. 

.,  Dec 

.  II,  7. 

n 

15  = 

» 

7> 

IV,  2. 

J> 

16  = 

tt 

?> 

III,  1. 

III.  Teil: 

Conte  4  -= 

Orl. 

für.,  < 

C.  XLIII,  17  ff. 

')  Bekannt  ist  ja  Lafoniaine^s  Vorliebe  für  die  ital.  Dichter^  welche 
er  in  folgenden  an  den  Bischof  von  Soissons  gerichteten  Versen  zum 
Ausdruck  bringt: 

«Je  cheris  VArioste,  et  festime  le  Tasse; 

Plein  de  Machiavely  entefe  de  Boccace, 

Ten  parle  si  souveni  qu^on  en  est  etourdi; 

Ten  lis  qui  sont  du  Nord  et  qui  sont  du  Midi.» 
(Gr.  tcr.  IX,  204,  Vers  77-^0.) 


—     35     — 

Conte  5  =  Bocc.  Dec.  V,  9. 
„    13  =  Orl  für.,  C.  XLIII,  67  «F. 

IV.  Teil: 

Conte  6  =  Bocc,  Dec.  III,  8. 
„       7  =       „         „      i2L,  2. 
„      8  =  Pecorone,  Giorn.  I,  2. 
„      9  =  Bocc,  Dec  III,  10. 

„  10  =       „        „    IX,  10. 

„  15  =       „        „    III,  5. 

„  16  =  Ragionamenti  dell'  Äretino,  Giorn.  I,  1. 

V.  Teil: 

Conte  3  =  Bocc,  Dec  III,  3. 

,,      7  =  Novella  piacevolissima  des  Macchiavel. 

Von  den  64  Erzählungen  des  großen  Dichters  sind  also 
nicht  weniger  als  27  auf  eine  italienische  Quelle  zurück- 
zuführen. 

Als  eine  Fortsetzung  des  Eitterromans  haben  wir  den 
Schäferroman  zu  betrachten,  welcher  besonders  in  der  ersten 
Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  in  Frankreich  in  Blüte  ßtand. 
Sannazaro  aus  Neapel  schuf  dieses  Genre  mit  seiner  Arcadia 
(1489 — 1495).  Spanien  entwickelte  es  weiter  und  übertraf 
die  Arkadia  mit  Montemayor's  Diana  1560;  von  Spanien  aus 
gelangte  diese  Dichtungsart  sodann  nach  Frankreich.  Indessen 
macht  sich  auch  manchmal  ein  direkter  Einfluß  Italiens 
geltend,  wie  z.  B.  bei  Honore  d'Urfe.  Die  Quellen  seiner 
AstrSe  sind  in  Sannazaro's  Arcadia^  in  Tasso's  Aminta  und  in 
Guarini's  Pastor  fido  zu  suchen.^)  Birch-Hirschfeld  bemißt 
den  italienischen  Einfluß  auf  d'ürfe  sehr  hoch,  wenn  er  sagt: 
„Neben  den  spanischen  Mustern  sind  es  die  Erzeugnisse  der 
italiemschen  Schäferdichtung,  denen  d'Urf(§  für  seine  Schöpf- 
ungen am  meisten  zu  verdanken  hat.  Die  Vereinigung  mittel- 
alterlicher, antiker  und  italienischer  Bildungsbestandteile 


')  Lanson,  Eist,  S.  369  u.  370. 

3* 


—    36    — 

machte  das  Werk  zu  einem  Liebliogsbuch  der  Zeitgenossen, 
deren  Stimmungen  und  Lebensideale  es  aussprach."  ^) 

Während  das  Schäferspiel  für  die  ersten  Jahrzehnte  des 
17.  Jahrhunderts  sich  eine  hervorragende  Stelle  im  dramati- 
schen Genre  errang  und  bis  in  die  Mitte  desselben  Jahrhunderts 
sich  auf  der  Bühne  erhielt,  ward  dem  Schäferroman  eine  viel 
kürzere  Lebensdauer  zuteil.  Bald  nach  dem  Erscheinen  der 
Astrce  wandte  sich  die  Mode  dem  historischen,  und  später 
dem  mehr  realistischen  Roman  d  la  Princesae  de  Cleve  zu; 
andererseits  verfiel  in  Italien  die  Prosaerzählung  nach  Art  der 
Arcadia,  ohne  daß  ein  neues  Genre  an  ihre  Stelle  getreten 
wäre;  daher  hört  mit  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts 
der  Einfluß  Italiens  auf  diesem  Gebiete  auf.*)  Nur  wenige 
französische  Erzähler  des  18.  Jahrhunderts  wenden  ihre  Blicke 
dorthin.  Montesquieu*)  schreibt  seine  Lettres  persaties  nach 
dem  Vorbilde  G.  P.  Marana's  Vesploratore  turco  e  le  dt  Im 
relationi  scgrete  alla  Porta  oitomatiaj  M™®  d'Aulnoy  nach  dem- 
selben Muster  ihren  Prince  Marcassin.*') 

Der  komische  Koman  der  Franzosen  hat  seinen  Ursprung 
in  Spanien,  wo  Lazarillo  de  Tormes,  1553,  die  glänzende 
Reihe  der  nov^las  picarescas  eröffnete.  Ab  und  zu  jedoch 
scheinen  sich  auch  italienische  Einflüsse  bemerkbar  zu  machen ; 
so  geht  in  Cyrano  de  Bergerac's  Histoire  comiqiie  des  Etats  et 
E7npires  de  la  Lune,  1656  oder  1659,  und  desselben  Ver- 
fassers Histoire  comique  des  Etats  du  Soleilj  1662,  die  Idee 
der  Mond-   und   Sonnenreise   auf  Dante  und  Ariost  zurück.*^) 


1)  Such.-B.-Hirschf.,  Gesch.,  S.  S72. 

3)  Nach  Lintilhac  [Rist,  S.  J240)  benutzen  in  der  2.  Hälfte  des 
17.  Jahrh.j  der  Märchendichter  Ferrault  und  die  schriftstellernden  Damen 
ans  dem  Gesellschaftskreise  der  Marquise  de  Lambert  die  von  J.  Louvean 
loßO  übersetzten  Facetieuses  Nuits  des  Sfraparola. 

»)  Wiese-Pferc,  Gefich.,  S.  470.  Marana  (1042-1693)  lehit  drei 
Jahre  iy\  Paris  und  übersetzte  selbst  sein  Werk  ins  Franz.  Siehe  audi 
Toldo:  Les  Lettres  persanes  et  l' Espion  de  Mar,  [Gior.  stör.,  Bd.  XXIX, 
S,  47—49). 

*)  Darm,  et  Hatzf.,  Le  16^  s.,  S.  64  u.  Änm.  5. 

*)  Körting:,  Gesch.  d.  frz.  Born.,  Bd.  II,  Kap.  VII;  Hönncher 
(Fahrten  nach  Mond  und  Sonne  in  d.  frz.  Lit.  des  17.  JhrhJs)  streift  diese 


—    37     — 

5.  Einfluß  ItaUens  auf  das  franz.  Theater. 
I.  Italienische  Schauspieler  in  Frankreich. 

Der  Einfluß  der  italienischen  Schauspieler  auf  die  fran- 
zösische Bühne  kann  nicht  hoch  genug  angeschlagen  werden ; 
daher  ist  er  auch  schon  von  einer  großen  Anzahl  von  Literar- 
historikern einer  eingehenden  Untersuchung  gewürdigt  worden. 
Freilich  ist  es  oft  geradezu  unmöglich,  diesen  £influß,  soweit 
er  die  bloße  Kunst  des  Schauspielers  betrifft,  festzustellen, 
da  wir  hierüber  für  die  italienische  Bühne  des  16.  u.  17.  Jahr- 
hunderts nur  spärliche  %  für  die  französische  überhaupt  keine 
schriftlichen  Aufzeichnungen  besitzen. 

Gewöhnlich  bezeichnen  die  Literarhistoriker  als  Datum 
des  ersten  Auftretens  italienischer  Schauspieler  in  Paris  das 
Jahr  1571,  so  z.  B.  Lucas,  Campardon,  Baschet,  JuUerille; 
D'Ancona  schwankt  zwischen  1570  und  1571;  Bigal  nimmt 
1572  an.  Fest  gibt  als  Datum  das  „Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts^ an.  Es  ist  jedoch  wahrscheinlich,  daß  bereits 
früher  schon  ital.  Wandertruppen  in  Paris  gespielt  haben. 
Wir  wissen,  daß  solche  Truppen  wiederholt  vor  1571    einen 


(iueUenfr.  nicht.  Nach  Beyigesco,  Bibliogr,  Volt.  L  440 j  geht  Voltaire^ 8 
Micromegan  in  seiner  Idee  auf  Cyranö's  beiden  Roma/ne^  also  indirekt 
auf  it.  Einß.  zurück. 

*)  Hierher  gehören  vor  alUm  die  Scenarii  Gherardi's,  1694, 
1697  v/nd  1700  erschienen;  ihnen  gingen  voraus  die  weniger  bedeutenden 
Scenarii  von  Flam.  Scaln  und  Dom.  BiancoleUi^  bekannt  unter  dem 
Namen  Dominique  I.  Für  die  Zeit  von  Wi0^166n  ist  Dorefs  Muse 
historique  [3  vols. ;  neue  Ausg.  P.  lSo7.  4  vols.)  wichtig.  Eine  ausführliche 
kritische  Bibliographie  über  das  ital.  Theater  in  Paris  findet  sich  bei 
Klingler,  Die  Com.-Ttal.,  S.  19 ff.  Doch  vermisse  ich  folg.  für  diesen 
Gegenstand  in  Betracht  kommenden,  toichtigen  Werke:  Ebert,  Ent- 
tricklungsgesch.,  S.  l^^ff.;  Lucas,  Hist^  IIL  137—168;  Fournier, 
Varietes  hist.  et  litt.  7,  69 ff.;  D'Ancona,  Dell.  orig.  IL  455 ff.; 
JuUeville,  Les  comediens  fr.,  p.  67 ff.;  Fest,  Der  miles  glor.  (Münch. 
Beiir.)  8.43;  Rigal,  Le  Th.  fr.  avant  la  periode  class.,  S.  Iff.  Ver- 
eimelt  sieht  K 1 1  n  g  1  e  rntt^  seinem  Lobe  von  Sandys  Masques  et  Bouffans, 
dessen  biogr,  Teil  jedoch  auch  von  ihm  als  unzuverlässig  bezeichnet  wird 
(s.  8.  21,  Anm.  2). 


—     38    — 

Euf  nach  Frankreich  erhielten,  und  bei  einer  solchen  Ge- 
legenheit mögen  sie  wohl  auch  die  Hauptstadt  des  Landes 
betreten  haben.  Ebert  hält  es  nicht  für  unmöglich,  daß  die 
geistlichen  Komödien  der  Königin  von  Navarra  (gestorben 
1549)  durch  italienische  Komödianten  gespielt  wurden.^)  Von 
Trautmann  wissen  wir,  daß  bereits  im  Jahre  1496  italienische 
Schauspieler  sich  nach  Frankreich  „zerstreut"  hatten.*)  Proelss 
verlegt  ebenfalls  das  erste  Erscheinen  derselben  in  Frankreich 
in  das  Ende  des  15.  Jahrhunderts^)  und  Birch-Hirschfeld 
datiert  es,  allerdings  ohne  Quellenangabe,  von  1486  an.^) 
Lotheissen  endlich  nimmt  das  Jahr  1533  an,  in  dem  be- 
kanntlich die  italienischen  Komödianten  zu  Lyon  die  Calandriu 
Bibbiena's  aufführten.^) 

Von  1671  an  finden  sich  solche  Wandertruppen  beständig 
in  der  französischen  Hauptstadt.  Ganassa  war  der  Direktor 
der  ersten  Gesellschaft;  gleichzeitig  mit  dieser  wirkten  noch 
zwei  andere,  von  denen  wir  nichts  Näheres  wissen.®)  Als 
Heinrich  III.  1576  eine  Versammlung  der  Reichsstände  nach 
Blois  entbot,  lud  er,  um  sie  zu  unterhalten,  an  seinen  dortigen 
Hof  die  berühmte  italienische  Schauspielergesellschaft  der 
Comici  gelosi,  welche  er  auf  seiner  Reise  nach  Ober- 
italien  kennen  gelernt  hatte.  ^)    Diese  spielten  so  vortreflFlich, 


^)  Entwicklungsgesch.^  S.  122,  Anm.  1S4.  Laur,  Marg.y  S.  302, 
weifi  dasselbe  zu  berichten. 

2)  Ital.  Schauspiekr,  8.224.  Die  betr.  Stelle  laufet :  „Am  5,  Februar 
1490  schrieb  Herzog  Ercole  von  Fen-ara  an  Franz  von  Gonzaga,  daji 
die  Schauspieler,  welche  terenzinische  und  plaulinische  Stücke  an  seinefH 
Hofe  gespielt  hätten,  nach  aller  HeiTen  Ländern,  besonders  nach  Neapel 
und  Frankreich  sich  zerstreut  hätten.^ 

^)  Proelss,  Gesch.,  Bd.  7,  Halbbd.  II,  S.  98,  121,  166;  Bd,  U, 
HaWbd.  I,  S.  «. 

*)  Suchier  und  Birch-H.,  Gesch.,  S.  357. 

«)  Gesch.  /,  265. 

*)  Nur  bei  Bauchet  erwähnt,  L  c,  S.  39. 

')  Molantl,  Molicre  et  In  com.  it.  2.  Aufl.,  S.  38;  Lotheissen, 
Gesch.,  I,  266 ;  Nolhac  e  Solerti,  Viaggio  di  Enr.  III  {Giom.  stör. 
Bd.  XVII,  139 ff.  und  446 f.);  d'Ancona,  Yarieta  st.  e  lett,  2<^  serie, 
bescMftigt  sich  haupts.  mit  der  inneren  Geschichte  dieser  Truppe: 
Proelss  (/,  1.  26),  31orf  {Gesch.   197)  M^wf  Klingler  [Die  Com.-It., 


—     39     — 

daß  „sie  mehr  Zulauf  hatten,  als  die  vier  besten  Prediger 
zusammengenommen^.^)  Weitere  Gesellschaften  waren  die 
Fedeli^  unter  dem  berühmten  Direktor  und  Theaterdichter 
E.  G.  Andreini,  welche  von  Baschet  die  mattres  des  maitres  de 
Moliere  genannt  werden.*)  Das  berühmteste  weibliche  Mitglied 
dieser  Truppe  war  Isabella  d' Andreini,  welche  man  mit  der 
Isabella  im  Ol.  für.  verglich.  1584  spielte  Fabricio  de  For- 
naris^),  1600  kamen  die  Gelosi  abermals,  jetzt  unter  Flam. 
Scala,  welchem  später  ein  Saal  im  Palais  Bourbon  zur  Ver- 
fügung gestellt  wurde. 

Alle  diese  Truppen  erfreuten  sich  unvermindert  des  größten 
Beifalls,  waren  ihre  Mitglieder  doch  wirkliche  Künstler  und  den 
franz.  Schauspielern  weit  überlegen.  In  Frankreich  wurden 
außerdem  die  Frauenrollen  noch  von  jungen  Burschen  gespielt, 
während  bei  den  Italienern  auch  Frauen  die  Bühne  betraten 
und  die  Zuschauer  durch  den  Glanz  ihrer  Schönheit  und 
durch  ihr  anmutiges  Spiel  blendeten.^)  Die  italienische 
Sprache  war  dabei  kein  Hindernis,  da  das  Spiel  der  Komö- 
dianten so  deutlich  und  lebendig  war,  daß  auch  der  italieni- 
schen Sprache  nicht  mächtige  Zuschauer  das  Stück  verstehen 
konnten.*)  Vielleicht  wurden  sie  auch  vor  dem  Beginn  der 
Vorstellung  mit  dem  kurzen  Inhalt  des  betr.  Stückes  bekannt 
gemacht.  Dieses  war  immer  ganz  im  Charakter  der  cmnmedia 
deir  arte  aufgebaut:  Liebesintriguen,  Entführungen  oder  Ver- 
wechslungen, dabei  Übertreibungen  einzelner  Charakterzüge, 
wie  Prahlerei,   Geiz,  Furchtsamkeit  etc.     Daneben  aber  ver- 


S,  Iff.)  nennen  das  Jahr  1577,  wo  die  Gelosi  bereits  von  Blois  nach 
Faris  gezogen  waren, 

»)  Morf,  Gesch.,  197:  ähnlich  Ruth,  Gesch.  II,  493. 

^)  Näheres  über  die  Fedeli  siehe:  Bevilacquaj  Andreini  e  la  comp, 
dei  Fedeli  {Giorn.  st,  Bd.  XXIII,  76). 

•)  Les  com.,  S.  :134;  über  die  weitei-en  Schicksale  dieser  Fedeli  s. 
Parfaict  Eist,  du  Thrntre  fr.  III,  236 f.,  ebenso  in  ihrer  Hist.  du 
Thiätre  ital.  (P.  1753),  welche  nach  Klingler  {Die  Com.'ltal.,  S.  19)  ein 
vollst.  Plagiat  der  handschriftl.  Aufzeichnungen  Gueulette^s  sind. 

*)  Proelss.  Gesch.  II  1,  S.  26. 

*}  Lotheissen,  Gesch.,  I,  266. 

*j  Ein  grofier  Teil  der  bessere^i  Pariser  Gesellschaftskreise  verstand 
damals  das  Italienische  geläufig. 


—    40     — 

nachlässigten  sie  auch  die  commedia  ervdita  nioht,  veld^  nch 
jedoch  nie  einbürgern  konnte,  da  sie  für  denjenigen,  weicher 
des  Italienischen  nicht  mächtig  war,  unverständlich  sein  mußte. 

Der  Einfluß  der  italienischen  Bühnenkünstler  wirkte  wohl 
zunächst  auf  die  französischen  Schauspieler ;  diese  hatten  keine 
andere  Tradition,  als  das  künstlerisch  wertlose  Spiel  der 
Basochietis  und  der  Confreres  de  la  Passion.  Die  Kunst  der 
Italiener,  die  von  Natur  aus  schon  zu  Schauspielern  geboren 
sind,  und  bei  denen  ständige  Theater  sich  an  den  Fürsten- 
höfen schon  seit  Beginn  des  15.  Jahrhunderts  befanden,  wo 
sich  die  Kunst  von  Vater  auf  Sohn  vererbte,  mußte  für  die 
französischen  Kollegen  eine  Offenbarung  sein.  Sie  werden 
zunächst  versucht  haben,  ihr  Gebärdenspiel,  ihr  für  die  Bühne 
berechnetes  Kostüm,  ihre  Art  des  Vortrages  und  der  Be- 
wegungen nachzuahmen. 

Dann  ging  man  daran,  einzelne  Bollen,  die  auf  der 
italienischen  Bühne  immer  wiederkehrten  und  stets  den  Bei- 
fall der  Pariser  fanden,  auf  ihr  eigenes  Theater  zu  übertragen^ 
endlich  aber  übersetzte  man  eine  Reihe  von  italienischen 
Stücken  oder  ahmte  sie  nach,  um  mit  den  Italienem  kon*- 
kurrieren  zu  können.  So  lassen  sich  zweifelsohne  die  in  der 
zweiten  Hälfte  des  16.  und  in  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahr- 
hunderts in  Paris  erschienenen  Übersetzungen,  besonders  die- 
jenigen von  Larivey  auf  diese  Entwicklung  des  ital.  Einflusses 
zurückführen.^) 

Von  den  typischen  Rollen,  die  in  der  comimedia  dtJV  arte 
gebräuchlich  waren,  ging  vor  allem  die  des  großsprecherischen 
Soldaten  auf  die  französische  Bühne  über.  Fest,  welcher 
unter  Benutzung  der  einschlägigen  Literatur  die  Geschichte  des 
miles  gloriosus  bis  auf  MoUöre's  Zeit  untersucht  hat,  betont 
hierbei  zu  sehr  den  antiken  Einfluß  auf  Kosten  des  italieni- 
schen.^ Er  überideht,  daß  vor  ^^i/^ene  (der  ersten  französischen 
Komödie)  bereits  wi  italienisches  Lustspiel  ins  Französische 
übersetzt  wurde,  welches  den  prahlerischen  Soldaten  aufzu- 
weisen  hat.     Es   sind   dies    die   Ingannati   Giglio's,    1631 


')  Proelss,  Gesch,  Bd.  II,  Halhhd.  7,  26. 
•)  Der  mil.  glor.  in  d.  frz.  Litt.j  pass. 


-    41     - 

«rediieueii  und  1643  übersetzt^),  nicht  zu  verwechseln  mit 
den  IngannaH  Secchi's,  c.  1551.  Wenn  Fest  femer  be- 
hauptet, daß  6r6vin  bei  der  Zeichnung  des  Panihaleone  den 
antiken  ^imil^^  im  Auge  hatte,  so  müssen  wir  auf  die 
nmiesten  Forschungen  Toldo's  hinweisen,  welcher  zeigt,  daß 
Ghrevin's  Quellen  neben  der  erwähnten  Übersetzung  der  7n- 
garmati  nur  noch  Eugene  und  die  TrSsoriere,  also  keine  an- 
tiken Lustspiele  waren.  ^)  Andererseits  ist  nicht  unmöglich, 
daß  der  Rodomonte  des  Orl.  für,  dem  französischen  Dichter 
vorschwebte,  da  er  aus  diesem  Epos  die  beiden  An- 
fangsverse des  zweiten  Gesanges  anführt  (Akt  II,  Szene  3). 
Auch  R.  Belleau's  Capüaim  Bodomont  steht,  nach  Fest, 
unter  klassischem  Einfluß;  demgegenüber  ist  jedoch  einzu- 
wwden,  daß  der  Name  tJRodomont^  an  das  Epos  des  Ariost 
denken  läßt,  welches  damals  bereits  in  französischer  Über- 
setzung in  mehreren  Auflagen  erschienen  war.  Toldo  erinnert 
daran,  daß  die  Szene,  wo  Eodomont  erscheint,  eine  auffallende 
Ähnlichkeit  mit  einer  Stelle  im  Orl,  für.  (XLVI,  101)  habe.«) 
Daß  überhaupt  mit  dem  Namen  Rodomont  nicht  allein 
die  Idee  eines  großsprecherischen  Soldaten,  sondern  auch 
die  des  Ariost'schen  Helden  verknüpft  war,  beweisen  die 
Verse  einer  1622  erschienenen,  dem  Gros  Guillaume  zuge- 
schriebenen Satire,  worin  dieser  Volkskomiker  von  den  Cour^ 
tisans  aa^: 

<7&  fönt  les  Rodomonts,  les  Rogers ^   les  Bravaches, 

Ils  arhoriseront  quaire  ou  oinq  cens  pennackes 

Au  feste  sourciUenx  d\m  chapeau  de  cocu 

Et  rüont  pas  dans  la  pocJte  un  demy  quart  d!escu,^*) 


>)  Toldo,  La  com.  de  la  Ren,  {Rev.  d'Hist.  litt  1S97,  S.  379), 
Der  Schöpfer  der  Rolle  des  •matamoros»  der  comm.  delV  arte  ist  Silvio 
FiorüU,  welcher  sich  urkundlich  erst  1599  so  benannte  (s.  Stiefel, 
in:  ZfSp,  Bd.  26.  Rez.  u.  Ref.,  S.  35).  Sein  Sohn  war  der  berühmte 
SchoKSpieler  Tiberio  Fiorilli,  langjähriger  Darsteller  des  ScaramucciOy 
welcher  vieäeicht  den  matamoros  nach  Frankr.  verpflanzte  («.Klingler, 
/.  c,  S.  113). 

«)  La  com.  de  la  Ren.  {Rev.  d'Hist.  litt.  1898,  S.  556). 

•)  Ibd.,  S.  564. 

^)  Bei  Fest,  l.  c,  S.  72,  in  anderem  Zusammenhange  zitiert. 


—    42     — 

Moli^re  ließ  den  traditionellen  Capiiaine  fallen,  behielt 
aber  einige  seiner  Züge  in  verfeinerter  Gestalt  bei.^)  Der 
Grund,  warum  er  diese  Figur  nicht  vollständig  beibehielt, 
während  er  doch  eine  Reihe  anderer  komischer  Typen  der 
covim,  deir  arte  herübernahm,  scheint  mir  ein  ganz  äußer- 
licher zu  sein.  Die  italienischen  Schauspieler  verbannten  bereits 
vor  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  den  Capitano  von  ihrer 
Bühne  und  ersetzten  ihn  durch  andere  Charakterfiguren, 
die  allerdings  mehr  oder  minder  mit  jenem  verw^andt  waren. ^) 
Infolgedessen  verschwand  er  auch  bald  von  der  französischen 
Bühne,  oder  fristete  dort  nur  noch  ein  kümmerliches  Dasein.^) 
Denn  man  muß  stets  im  Auge  behalten,  daß,  wie  Moliöre, 
ebenso  die  späteren  Lustspieldichter  bei  den  Italienern  in 
die  Schule  gingen,  und,  wie  wir  sehen  werden,  für  sie  sogar 
ihre  Erstlingsstücke  schrieben. 

Von  weiteren  Typen  ging  auf  das  französische  Theater 
der  Pedant  über,  welcher  zuerst  durch  den  Cleandro  der  Suppo- 
siii  (übers.  1545)  in  Frankreich  Eingang  fand.  Im  Laquais 
Larivey's,  einer  Übersetzung  aus  dem  Italienischen,  findet 
sich  ebenfalls  ein  pedantischer  Professor.  Die  Amme  in 
ihrer  wichtigen  Rolle  ist  nach  Eournel  eine  Schöpfung  des 
italienischen  Renaissancelustspiels.*)  Durch  die  halia  in  Ariost's 
Suppositi  wurde. sie  den  Franzosen  bekannt.  Der  EJinfluß 
des  Altertums  auf  den  valet  ist  allerdings  unbestreitbar,  aber 
es  wirkt  auch  italienischer  Einfluß  mit.*)  In  den  Eshahis,  der 
Hauptsache  nach  einer  Nachahmung  der  Ingannati,  also  eines 
italienischen  Lustspiels,  tritt  uns  bereits  der  Typus  des  Dieners 
des  17.  Jahrhunderts  entgegen  dehire,  hcau  parleur,  abondant 
en  iwoverhesj  chevilk  ouiriere  de  Vaciion,^)  Die  ersten  Diener 
Moliöre*s,  hauptsächlich  Mascarille  im  Etourdi,  zeigen  vornehm- 
lich italienischen  Einfluß,   desgleichen  die  von  Regnard,   der 


1)  Fest,  Der  mil  glor.,  S.  122. 

*)  Schon  die  scenari  des  Flam.  Scala  {1611)  haben  keinen  Kapitä 
aufzuweisen;  ebensowenig  die  des  Dominique  u.  des  Gherardi, 
^)  Fest,  Der  miles  glor.,  S.  12S. 
*)  Fournel,  Le  Th.  au  IT'  ».,  S.  IM. 
*)  Ibd.,  S.  117. 
^)  Ibd.,  S.  117. 


—    43     — 

sich  ja  selbst  an  den  Italienern  heranbildete.^)  Lucas  -)  zählt 
noch  weitere  Typen  auf,  die  Moliöre  der  comm.  deW  arte  entlehnt 
habe,  z.  B.  den  Pantalon  (den  Arnolphe  des  Mol),  den 
Docteur  (Metaphraste  und  Pancrace),  den  Arie  quin, 
den  Pier  rot,  welcher  die  Rolle  des  Arlequin  spielt, 
den  Mezzetin  (Gros  Rene  und  Covielle),  den  Scara- 
muccio  (Scaramouche).  Eournel  nennt  dagegen  nur  Mas- 
carüle,  Sganarelle,  Metaphraste  und  Marphn^nuSy  den  Docteur,  den 
Mezzetin  oder  Leandro,  als  Typen,  deren  Vorbilder  auf  der 
italienischen  Bühne  zu  suchen  seien. ^) 

Es  erübrigt  noch,  das  Schicksal  der  italienischen  Schau- 
spieler in  Paris  bis  zu  ihrem  endgültigen  Verschwinden  zu 
verfolgen. 

Nach  dem  Tode  Moli§re's  nahmen  ihr  Einfluß  und  ihr  An- 
sehen etwas  ab.  Der  G-rund  davon  lag  darin,  daß  ihre  Schau- 
spielkunst keine  Entwicklung  aufzuweisen  hatte*);  die  Steg- 
reifkomödie wurde  nach  einem  konventionellen  rawctos  gespielt  % 
die  Handlung  blieb  im  großen  und  ganzen  dieselbe,  nur  die 
Rollen  änderten  sich  ab  und  zu.  Außerdem  hatten  die  Fran- 
zosen jetzt  ein  eigenes,  unübertrefi'liches,  abwechslungsreiches 
Lustspielrepertoire  in  Moliöre's  Meisterwerken.  Trotzdem  aber 
geben  die  ital.  Künstler  seit  1680,  wo  sie  das  Hotel  de  Bour- 
gogne  beziehen,  täglich  Vorstellungen.  Von  1682  spielen  sie 
auch  rein  französische  Stücke  in  französischer  Sprache,  nach- 
dem schon  seit  einem  ganzen  Jahrhundert  häufig  längere  Stellen 
in  französischer  Sprache  in  ihren  Stücken  vorkamen.®)    Damit 


')  Ihd.,  S.  119. 

*)  Hist.  phil.  J,  1S8.  Seine  Quelle  scheint  allerdings  der  unzuvei'- 
lässige  Cham  fort  yeß'esen  zu  sein. 

«)  Fournel,  l  c.  S.  1H4;  3Iorf,  Gesch.  {S.  197),  sagt  sehr  allge- 
mein: „Diese  italienischen  Truppen  haben  tiefe . . .  Spuren^*  zurückgelassen ; 
Schneegans,  Moliere  {S.  29)  zählt  die  einzelnen  Typen  der  ital.  Com. 
auf,  bespricht  aber  nur  ihr   Verhältnis  zu  Moliere. 

*)  Despois,  Hist.  du  th.  fr.,  S.  59 f;  Fest,  Der  mil.  glor.,  S.  58. 

*)  Über  die  Darstellung  und  Improvisation  s.  besonders  Albotze,  Le 
thidtre  de  Tabarin  (Le  monde  dram.  1835.  /,  S.  H61f.).  Betz  gibt 
fälschlicherweise  in  seiner  Litt.  comp.  [S.  56)  als  Titel  dieser  Arbeit  an  : 
Hist.  de  la  Com.  ital.  en  France. 

•)  Klingler,  Di«  Com.-Ital,  S.  171  ff. 


—     44    — 

fangt  für  dieComici  italiani  eine  TÖllig  neue  Epoche  an, 
die  sich  dann  durch  das  ganze  achtzehnte  Jahrhundert  hinaus- 
zieht; man  kann  sodann  ihre  Bühne  als  eine  national-fran-- 
zösische  bezeichnen. 

Auch  als  solche  i/t^ußte  sie  das  Interesse  der  Franzosen 
ganz  besonders  zu  fesseln,  indem  sie  es  sich  zur  Aufgabe 
machte,  bald  aktuelle  Ereignisse,  Skandalgeschichten  aus  der 
Pariser  Gesellschaft,  bald  Parodien  berühmter  Theaterstücke 
und  Opern  auf  die  Bühne  zu  bringen.*) 

In  der  Parodie  sind  sie  unübertrefflich:  Götter  und 
Menschen,  Meisterwerke,  wie  der  Cid  (1682)  des  großen  Cor- 
neille, alles  fällt  ihrem  Spotte  anheim.^)  „In  viel  weiterem 
Umfange  als  die  Tragödie  wird  die  Oper  parodiert:  die  Par- 
titur Lulli's,  die  Libretti  Quinault's,  .  .  .  P^court's  Tänze  und 
der  lärmende,  prangende,  szenische  Apparat,  den  man  dort 
entfaltete,  Musik,  Tanz,  Spektakel!  Das  gibt  Augen-  und 
Ohrenweide  die  Fülle."  *)  Man  kann  geradezu  sagen,  daß  die 
Italiener  dieses  genre  begründeten,  da  es  vor  ihnen  außer 
Donneau's  ^La  Cocue  imaginairei>  (1660)  wohl  nur  wenige 
Parodien  gegeben  haben  mag.  Noch  unzweifelhafter  gebührt 
ihnen  das  Verdienst,  das  Vaudeville  und  die  komische 
Oper  geschaflfen  zu  haben. 

Sobald  die  Musik  der  LuUi'schen  Opern  im  Volke  be- 
kannt zu  werden  begann,  bemächtigten  sich  die  findigen 
Italiener  einiger  besonders  beliebter  Arien,  versahen  sie  mit 
parodierenden,  oder  derbhumoristischen  Texten  und  flochten 
sie  in  ihre  Possen  und  Lustspiele.  Damit  ist  das  Vaudeville 
schon  geschaffen.  Bald  schrieb  man  anstatt  der  den  ernsten 
Opern  entlehnten  Musik  eigene  Partituren  und  es  entstand  so 
die  Operette.  Favart,  der  bei  den  Italienern'sich  heranbildete, 
hat  die  erste  derartige  Operette  geschrieben;  auf  der  Bühne 
der  Comici  italiani  fand  diese  neue,  schnell  beliebt  ge- 
wordene Gattung  ausgezeichnete  Darstellung. 

1697   wurde  die  Cornedie  italienne  unterdrückt  wegen  der 

M  P.  d'Estree,  Les  orig.  de  la  Bevue  au  theatre  {Bev.  rf'JKjt. 
litt  1901.   VHT,  2Si^280i 

-)  Klingler,  l  c,  S'.  179if;  Despois    Le  th.  fr.,  S.  65. 
»)  Klingler,  l  c,  8.  J8S. 


—    45     — 

Aufführung  der  Fausse  Prüde,  in  welcher  man  M™®  de  Main- 
tenon  leicht  erkennen  konnte^);  erst  1716,  als  der  Regent 
an  der  Spitze  des  Staates  stand,  durften  sie  wieder  zurück- 
kehren. Während  der  Zeit  ihrer  Verbannung  wurde  das 
Theätre  de  la  Foire  gegründet,  mit  welchem  sich  die 
Italiener  später  (1762)  verschmolzen*);  erst  mit  Beginn  der 
Revolution  verließen  sie  für  immer  die  Seinestadt;  1793  wurde 
ihr  Theater  zur  Oitera  comique  national,  aus  der  dann  1810 
die  heutige  Opera  comique  hervorging. 

n.  Die  Tragödie. 

Seit  dem  16.  Jahrhundert  begannen  die  Italiener,  sich 
eine  eigene  Tragödie  nach  den  regelmäßigen  Formen  der 
antiken  dramatischen  Kunst  zu  schaffen.  Auf  Trissiuo's 
Sophonishe  folgte  die  Bosmunda  und  der  Oreste  Ruccellai's,  die 
Tullia  Martelli's  und  die  neun  Tragödien  Giraldi  Cinthio's,  von 
denen  zwei  Didone  und  Cleopatra  betitelt  sind.  Diese 
neue  Kunst  Italiens  konnte  in  Frankreich  nicht  unbeachtet 
bleiben  und  unter  der  doppelten  Beeinflussung  durch  Italien 
und  Griechenland  treten  um  die  j^Iitte  des  16.  Jahrhunderts 
die  Jünger  des  Humanismus  mit  dem  Bestreben  hervor,  eine 
dramatische  Dichtung  zu  schaffen,  die  in  heimischer  Sprache 
den  großen  Mustern  des  Altertums  und  Italiens  nacheiferte. 
Bereits  hatte  Quinziano  Stoa,  der  Erzieher  Franz'  I.,  eine 
Anzahl  von  Stücken  geschrieben,  deren  Stoffe  der  römischen 
Geschichte  entlehnt,  und  deren  Vorbilder  griechische  Tra- 
gödien   waren.*)      Alamanni,    der   eigentliche  Vertreter  der 


*)  Despois,  Le  theätre  fr.,  S.  65.  Ein  Getnäldc  von  Watteau, 
Le  depart  des  comediens  Italiens  (um  1718  gemalt),  verewigt  dieses  denk- 
icürdige  Ereignis.  Eine  Reproduktion  dieses  Bildes  findet  sich  in  der 
Lit.-Gesch.  von  Suchier  und  Birch-Hirschf.,  S,  515 f,  und  bei 
Klingler,  l.  c,  S.  13. 

')  Wie  populär  die  ital.  Komödianten  noch  im  18.  Jahrh.  waren, 
beweist  Marmontel's  Ktage,  daß  die  »Deguisements»  der  ital.  Schau- 
spieler die  Werke  des  gro/Jen  Moliere  in  Vergessenheit  brächten  («. 
E.  Chasles  La  cotn,  fr.,  S.  5). 

•)  Darmesteter  et  Hatzf.,  Le  i6"<  «.,  S.  155,  ebenso  ßirch- 
flirschf.,  Geschichte  der  franz,  Lit,  62 ff. 


—     46     — 

italienischen  Literatur  am  Hofe  Franz*  I.,  bearbeitete  die 
Antigene  in  italienischer  Sprache,  die  dann  zuerst  in  Frank- 
reich gedruckt  wurde.  ^)  Italienische  Schauspieler  führten, 
wie  wir  bereits  gehört  haben,  lateinische  und  italienische 
Tragödien  am  Ende  des  15.  Jahrhunderts  in  Frankreich  auf. 
Bald  wurden  italienische  Übersetzungen  antiker  Tragödien  an 
den  Hof  gebracht.  In  einer  solchen  Zeit  entstanden  Jodelle's 
zwei  Tragödien  Cleopätre  und  Didon.  Der  Einfluß 
Seneca's  ist  unverkennbar');  aber  auch  die  Italiener  dienten 
ihm  als  Vorbilder.  Amould  hält  es  für  gewiß,  —  beweist 
es  allerdings  nicht  —  daß  der  franz.  Dichter  die  gleich- 
namigen Stücke  Cinthio's  kannte.')  Auch  Levrault  ist  der- 
selben Ansicht.  Er  sagt:  *(7e8t  ä  Cintio  qu'il  s^adressa,  Bit 
les  Premiers  pas  de  la  Muse  frafi^aise  sur  la  seine  iragique  furenf 
guides  . .  ,par  un poete  italien.y*)  Doch  ist  diese  Behauptung  bis 
jetzt  nicht  bewiesen  worden.  Kigal  leugnet  jede  Abhängigkeit 
der  Jodelle'schen  Didon  vom  gleichnamigen  ital.  Trauerspiel, 
da  dieses  viel  weniger  klassischen  Geist  in  sich  trage  *) ;  über 
die  Cleopätre  äußert  er  sich  überhaupt  nicht.  Böhm*)  ver- 
mutet, daß  Rigal  vielleicht  auf  Grund  einer  von  ihm  zitierten 
Stelle  bei  Du  Verdier ')  auf  die  Möglichkeit  eines  Abhängigkeits- 
verhältnisses der  beiden  französ.  Stücke  von  G.  Cinthio  ge- 
kommen sei.  Nach  Friedrich's  Untersuchungen  über  die 
Didodramen  ist  eine  Benützung  von  Dolce's  Didone  seitens 
Jodelle  ebenfalls  ausgeschlossen.®) 

Birch-Hirschfeld  erwähnt  bei  Jodelle's  Tragödien 
überhaupt  keinen  italienischen  Einfluß.®)    Morf  gibt  als  Vor- 

*)  Darmest.  et  Hatzf.,  Le  16«  sücle,  S.  155. 

*)  Siehe  darüber  die  gründliche  Arbeit  Böhm's  (Der  Einfl.  Seneca's), 
woselbst  weitere  Literaturangaben  über  Seneca*8  Einflvfi  auf  die  ersten 
franz.  Tragödien  sich  finden. 

*)  Essais,  S.  466. 

*)  Ih-ame,  S.  19. 

^)  Le  theatre  fr.  avant  In  per.  class.,  S.  271,  Anm. 

•)  Einfluß  Seneca^s  S.  74;  Böhm  gibt  als  Hauptquelle  der  CUopätre 
die  Antoniusbiographie  von  Flutarch  an  (i6d.,  S.  76). 

')  Bibliotheque,  S.  286;  vgl.  Böhm,  l  c,  S.  74  u.  Anm.  2. 

*)  Die  Didodramen,  S.  45;  vgl.  Böhm,  ibd.,  S.  47. 

»)  Suchier  und  B.-H.,  Gesch.,  S.  357. 


—    47     — 

bilder  Seneca  und  die  Italiener  an  und  findet,  daß  Jodelle 
nach  dem  Beispiele  der  Italiener  den  Chor  häufiger  am 
Dialoge  teilnehmen  läßt  als  Seneca.^)  Texte  spricht  allerdings 
nicht  speziell  von  Jodelle's  Stücken;  doch  legt  er  ganz  be- 
sonderen Nachdruck  auf  den  italienischen  Einfluß  bei  den 
ersten  Tragikern  der  französischen  Bühne. ^)  Böhm  äußert 
sich  selbst  nicht  über  diese  Quellenfragen  der  beiden  Stücke^ 
da  sie  außerhalb  des  Rahmens  seiner  Untersuchung  liegen^ 
führt  aber  diejenigen  Literarhistoriker  an,  welche  nun  Seneca 
als  Vorbild  nennen.^) 

In  der  von  Böhm  aufgestellten  Zeittafel  der  zwischen 
1552 — 1673  veröflFentlichten  franz.  Tragödien  findet  sich  an 
vierter  Stelle  die  Sophonisbe  St-Gelais'*),  über  die  bereits 
eine  stattliche  Literatur  existiert.  Die  umfangreichste  und 
gediegenste  Abhandlung  über  St-Gelais'  Sophonisbe  in  ihrem 
Abhängigkeitsverhältnis  zur  gleichnamigen  Tragödie  Trissino's 
mit  Berücksichtigung  der  weiteren  französischen  und  außer- 
französischen Bearbeitungen  dieses  Stoffes  ist  die  von  An- 
drae,  welcher  12  französische,  5  italienische,  2  spanische, 
1  portugiesische,  3  niederländische,  3  englische,  13  deutsche 
und  2  russische  Tragödien  über  diesen  Stoff  eingehend  be- 
handelt hat.*^) 

Was  St-Gelais'  Stück  betrifft,  so  haben  die  Untersuchungen 
von  Fries  •)  und  Wagner ')  ergeben,  daß  es  eine  Übersetzung 
von  Trissino's  Sophonisbe  ist  mit  einigen  wesentlichen  Ab- 
weichungen am  Schlüsse,  indem  er  den  Tod  der  Heldin  nicht 


»)  Gesch.,  S.  200. 

•)  Les  Origines  de  la  Ren.,  in:  Rev.  des  cours  et  conf.  1894;  nov. 
— mars,  S.  248:  *Hs  ont  pleine  la  bouche  de  la  tragidie  grecque;  enfait 
ils  lisent  et  relisent  la  Sophonisbe  de  Triss^in.  lls  feignent  de  se  demande^" 
«'ito  imiteront  Terence  ou  Piaute;  leur  vrai  modele  est  une  comedie  de 
Bibbiena.» 

»)  Einfluß  Seneca  s,  S.  57 ff. 

*)  Ibd.,  S.  27. 

^)  Siehe  StiefeTs  anerketmende  Kritik  dieser  Arbeit  in  Vollm.'» 
J.'B.  IV.  2.  S.  555  fr,  daselbst  (S.  656  ff.)  handelt  St.  noch  über  den 
Einfluß  des  italienischen  Dramas  auf  das  anderer  Länder. 

•)  Monchrestien^s  Sophonisbe,  seine  Vorgänger  u.  Quellen,  pass. 

')  Mellin  de  St-Qelais,  S.  120ff, 


~     48    - 

auf  der  Bühne  yor  sich  gehen  läßt,  sondern  ihn  nor  erzählt 
offenbar  um  damit  einer  von  den  italienischen  Dramaturgen 
aufgestellten  Forderung  zu  genügen. 

Der  von  Böhm  auf  „1556?^  datierte  Josias  des  Messer 
Fhilone  ^)j  unter  dem  er  den  Tragiker  Des  Mazures  vermutet, 
und  die  1561  gedruckte  SoUane  des  Bounyn*)  werden  von 
einigen  Literarhistorikern  als  Übersetzungen  aus  dem  Itaüeni- 
schen  bezeichnet^);  doch  wurde  bis  jetzt  noch  nicht  unter- 
sucht, inwieweit  diese  Behauptung  auf  Wahrheit  beruht.  Die 
Soltane  bezeichnet  der  auf  Venema's*)  Dissertation  fußende 
Morf  als  eine  „stümperhafte  Nachahmung  Seneca's,  ins- 
besondere seiner  Medea^.^)  Böhm  kommt  zu  demtselben  ur- 
teile, wenn  er,  allerdings  in  gemilderter  Form,  die  Soltane 
als  eine  „Kopie"  der  Senecatragödien  bezeichnet.^) 

Dagegen  sind  unstreitig  die  Italiener  als  die  Vorbilder 
der  Tullia,  eines  von  Böhm  nicht  erwähnten  Stückes  Le 
Breton's,  anzusehen,  das  dieser  naoh  der  gleichnamigen  Tra- 
gödie Martelli's  1533  schrieb.') 

Selbst  das  religiöse  Tendenzdrama  kommt,  wenn  auch 
vereinzelt,  von  jenseits  der  Alpen  herüber  und  gibt  den  Pro^ 
testanten  eine  Waffe  in  die  Hand  zur  Verteidigung  ihres  neuen 
Glaubens.  1558  übersetzte  nämlich  Jean  Crespin  aus  dem 
Italienischen  des  Francesco  Negro  seine  Tragedie  du  Boy  Frano- 
Ärbitre,  einen  „Prosatraktat  von  426  Seiten,  ein  dialogisiertes 
Pamphlet  von  unheimlicher  Beredsamkeit".®) 

Von  Le  Jars'  Liwnile  bemerkt  Ebert,  der  sie  sehr  ein- 
gehend behandelt,  daß  ihr  eine  italienische  Novelle  zugrunde 


')  Einfl.  Seneca'B,  S.  27, 

«)  Ihd,,  S.  27. 

^)  Ibd.,  S.  75,  Anm.  1  sind  die  betr.  AxUoren  gennannt  Holl 
{Tendenzdr.t  S.  169)  erwähnt  den  Josias^  den  er  ebetif,  dem  Des  Mazures 
zuschreibt. 

*)  Venema  besorgte  einen  Xeudruck  der  Soltane  (Marb,  Di$s. 
18S8.    A.  u.  A.  Nr.  81). 

6)  Gesch.,  S.  205, 

«)  Einfl.  Senecas,  S.  152.     Über  den  Ausdr.  ^Kopie'',  üwf,,  S.  150. 

•)  Morf,  Gesch.  204, 

»)  Holl,  Das  rel  u.  pol.  Ttndenzdr.,  S.  136  t*.  Anm,  1;  Morf, 
Gesch.,  S.  210. 


—    49     — 

liege. ^)  Nach  Morf  sieht  sie  wie  die  Bearbeitung  eines 
italienischen  Originals  aus.^) 

Von  B..  Garnier  und  Ant.  de  Montchrestien  werden 
wir  später  noch  reden;  auch  diese  beiden  Hauptvertreter 
des  Benaissancedramas  können  sich  dem  italienischen  Ein- 
fluß nicht  entziehen.  Doch  können  wir  hier  gleich  Mont- 
chrestien's  Sophonisbe  erwähnen,  die  dem  Gange  der  Hand- 
lung in  Trissino's  Trauerspiel  folgt.*)  Eine  weitere  nur  von 
Andrae  erwähnte  Sophonisbe  Mermet's  (1584)  ist  nichts 
anderes  als  eine  Übersetzung  der  Sophonisbe  des  italienischen 
Dichters.*) 

Hardy,  der  fruchtbarste  Theaterdichter,  den  Frankreich 
gesehen,  blieb  in  seinen  Tragödien  unabhängig  vom  Einfluß 
des  ital.  Theaters  %  während  dagegen  in  Theophile  de  Viau's 
Pyrame  et  Thisbe  sich  eine  bedenkliche  Neigung  zum  Marinis- 
mus bemerkbar  macht,  welcher  allmählich  die  ganze  fran- 
zösische Literatur  ergreift  und  sie  mehrere  Dezennien  hin- 
durch beherrscht.*)  Selbst  Corneille  bleibt  nicht  frei  von 
dieser  geschmacklosen  Moderichtung,  und  Eoileau  hat  allen 
Grund,  sie  zu  bekämpfen.') 

Von  Mairet's  Tragödien  gehören  hierher  seine  Sophonisbe 
und  sein   Marc-Antoine,   welch  letzterer  neben  Plutarch   und 


»)  Ebert,  Entw,,  S.  m, 

«)  Morf,  Gesch.,  S.  211. 

»)    Vgl  Kritik  vm  A  n  d r ae's  Sophonisbe  {ZfSp,  1891,  SuppL  6',  ,S.  5). 

*)  Ibd.,  S.  5.  Eine  neugedrtickte  Sophonisbe  vonMondot  aus  dein 
gleichen  Jahre  wird  voti  Andrae  ebenfalls  ertoähnt, 

•)  In  seinem  grutidlegenden  Werke  über  Alex.  Hardy  enoähnt  Bigal 
keine  ital,  Quelle.  Dagegen  hält  Morf,  L  c,  S,  226,  seine  Schäferspiele 
stofflich  von  Italien  beeinflniit.  Wir  werden  darauf  in  einem  späteren 
Abschnitte  zurückkommen. 

öj  MaHnismen:  Akt  I,  Sz.  1  {Vers  6-^10)  und  /,  i,  Vers  HS  f. 
Akt  7,  2.  Vers  ööf  Vgl.  Lotheissen,  Gesch.  I,  3 11  ff'.  Nach  Lucas, 
Hist.  (III,  275)  und  Lotheissen,  Qesch,  (/,  309)  fand  die  erste  Auf- 
führung von  Pyrame  et  Thisbe  1617  statt. 

')  Artpoetique  I,  43 ff.;  II,  105 f  G,  Scud^,  Boisrobert,  Cyr. 
de  Bergerac,  La  Calprenede  und  Benserade,  die  sich  in  der  Tragödie  ver^ 
suchten,  als  diese  ihren  Aufschwung  nahm  und  die  vornehmste  Dichtung»- 
form  wurde,  verrieten  eine  große  Neigung  zum  Marinismus. 

Münchener  Beiträge  z.  romanischen  a.  engl.  Philologie.   XXXIV.    4 


—  So- 
und Garnier  auch  auf  Qir.  Cinthio  zurückgeht  ^) ;  die  Mariamne 
des  Tristan  THermite,  die  in  demselben  Jahre  wie  der 
Cid  ihre  Erstaufführung  erlebte  und  einen  fast  ebenso  lebhaften 
Erfolg  errang,  weist  auf  die  €Mariannay>  Dolce's  zurück.*) 
Mit  der  nun  folgenden  Blütezeit  des  französischen  Trauer- 
spiels und  dem  gleichzeitig  eintretenden  raschen  Verfalle  der 
italienischen  Literatur  mußte  naturgemäß  der  Einfluß  Italiens 
immer  mehr  zurücktreten.  Die  Epigonen  eines  Corneille  und 
eines  Racine^  brauchten  nun  nicht  mehr  über  die  Alpen  zu 
gehen,  um  Vorbilder  für  ihre  Dichtungen  zu  finden;  und 
selbst  wenn  sie  dort  nach  solchen  gesucht  hätten,  würde  ihr 
Bemühen  vergeblich  gewesen  sein.  Denn  das  17.  und  die 
erste  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  bezeichnen  den  traurigsten 
Tiefstand  des  italienischen  Dramas  und  der  italienischen  Lite- 
ratur überhaupt.  Erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahr- 
hunderts beginnt  in  Italien  mit  Metastasio  *)  eine  neue  Periode 
der  dramatischen,  vorzüglich  der  tragischen  Kunst,  die  iu 
Frankreich  nicht  unbemerkt  blieb.  Metastasio  wird  gelesen 
und  nachgeahmt;  seine  vorzüglichsten  Bewunderer  sind  Vol- 
taire, Marmontel,  La  Harpe,  Rousseau.^)  Voltaire  folgt  ihm 
in  der  Nichtbeachtung  der  drei  Einheiten  {Semiramis)\  die 
Idee,  mit  dem  Orphdin  de  la  Chine  ein  chinesisches  Stück 
auf  die  Bühne  zu  bringen,  kam  ihm  bei  der  Lektüre  des 
Eroe  cinese  von  Metastasio.^)  Lefranc  de  Pompignan  soll  ihn 
zum  Vorbild  in  seiner  Didon  gewählt  haben  ") ;  Lemierre  schreibt 
seinen  Artaxerce  und  seine  Ypermnestre  in  Anlehnung  an  Meta- 
stasio's  gleichnamige  Tragödien^);   der  Titus  Du  Belloy's  ist 


*)  Dannlieisser,  Stud.  zu  Mairefs  Leb.  u.   Werken^  S.  110. 

')  Wiese-P^rc,  Gesch.,  S.  SOO.  Vgl.  noch  Landau,  Die  Dramen 
von  Herodes  u.  Mariamne,  in:  Z.  f.  vgl.  Lit.  1895,   VIII,  175 ff.,  '^79 ff. 

•)  Dejob,  ißtudes,  S.  158,  glaubt  bei  Racine  ital  Einfl.  zu  finden^ 
der  auf  die  ital.  Lektüre  in  seiner  Jugend  zurückzuführen  sei. 

*)  Ibd.,  S.  151-172. 

*)  Ibd.,  8.  152.  Hettner  geht  in  s.  Litt.-Gesch.  auf  Quellenfrageti 
*  nicht  ein. 

•)  ßouvy,  Voltaire,  S.  212. 

■'  Dejob,  l.  c,  S.  15^;  ebenso  Bouvy,  l  c,  S,  205 

*)  Petitot,  Repertoire,  Bd.  IV,  S.  195  u«rf  Dejob,  l  c,  S.  158 f. 


—     61     — 

eine  Nachahmung  der  (yiemenxn  di  Tito  Metastasio's,  seine  Zelmire 
eine  Nachbildung  der  Issipile.  *)  Marmonlel  und  Dßriaux 
arbeiten  seinen  Deniofoonte  zu  Opern  texten  um.^)  Vieuville 
ahmt  1766  dasselbe  Stück  nach.  Bursay  und  La  Ville 
endlich  bringen  je  einen  Artaxerce  nach  dem  Vorbilde  des 
Ärtaserse  des  italienischen  Tragikers  auf  die  Bühne,  und  am 
Ende  des  18.  Jahrhunderts  ist  es  wiederum  Metastasio,  den 
Lamac  in  seinem  TJumistocle  vor  Augen  hat.  Ja,  bis  ins 
19.  Jahrhundert  reicht  noch  sein  Einfluß.  Denn  Delrieu's 
Artaa-erce  (1808)  und  Arnault's  Regulus  verdanken  ihr  Ent- 
stehen dem  großen  Italiener.  Goldoni,  der  lange  Zeit  in 
Paris  weilt,  berichtet  besonders  von  der  Beliebtheit  der  Stücke 
Metastasio*^.^)  Von  Voltaire  ist  noch  zu  erwähnen,  daß 
seine  Mtrope  durch  die  Lektüre  von  MaflFei's  gleichnamigem 
Stücke  veranlaßt  wurde*),  beabsichtigte  er  doch  ursprünglich 
das  italienische  Stück  selbst  zu  übersetzen.  Bouvj  weist  auf 
eine  Keihe  von  Entlehnungen,  welche  Voltaire  bei  Maffei 
machte,  hin.  Auch  in  seiner  ißcossaise  läßt  sich  eine  italienische 
Quelle  nachweisen,  und  zwar  ist  es  diesmal  Goldoni's  Bottega 
del  cafiy  welche  ihm  einige  Szenen  lieferte,  wie  d'Ancona  *), 
Neri  ^  und  Toldo ')  nachgewiesen  haben.  Die  Quellen  zu 
Diderot's  Rührstücken    L«  Pire  'de  familk   und  Le  fils  naturel 


»)  Dejob,  M.,  S.  104  u.  Petitot,  l  c,  IV,  19Ö. 

2)  Ibd.,  S.  154;  ebenso  für  die  folgenden  hier  angef.  Sticke,  die  vmi 
Metastasio  beein/i.  worden  sind. 

')  (joldoni,  Memoiren j  Teil  II T,  Kap.  3.  Goldoni  seihat  ist  lange 
ohne  Einflufi  auf  die  franz.  Lit.  geblieben.  Mit  seinem  französisch  ge- 
schriebenen 'Bourru  bienfaisant»  hat  er  sich  jedoch  in  der  Literatur 
seiner  Zeit  einen  ehrenvollen  Platz  errungen  und  ist  von  den  Kritike^-n 
einstimmig  bewundert  worden  (J.  Merz,  C.  Goldoni,  S.  67). 

*)  In  Hartmann's  Merope  im  it.  u.  fr.  Ihr.,  S.  76,  werden  die 
Meinungen  einzelner  Literarhistoriker  über  Volt.'s  Entlehnungen  von 
Maffei  angeführt.  Jedoch  geht  aus  seinen  Ausführungen  nicht  klar  hervor-, 
worin  Maffei  den  frz.  Dichter  beeinflußt  hat.  S.  Krit.  über  Hartmamx's 
Merope,  in:  Z.  f.  vergl.  Litt.  1903.  N.  F.  VI,  416. 

*)  1  comici  italiani  in  Franda,  in:  Varietä,  3<*  serie,  S.  230. 

•)  Una  fönte  delV  Acossaise  di  Voltaire,  in:  Rassegna  bibliogr.  d. 
Utt  it,  VIT,  S.  44. 

')  Giorn.  stör.,  Bd.  XXXI,  442 ff.;  31erz  (C.  Goldoni,  S.  37)  über- 
geht diese  Frage. 

4* 


—    52    — 

sind  noch  nicht  eingehend  untersucht  worden.  Fr6ron  nennt 
das  erstere  geradezu  ein  Plagiat  des  gleichnamigen  Goldoni- 
schen  Stückes,  während  Kosenkranz,  der  Herausgeber  Diderot's, 
nur  eine  teilweise  Benützung  desselben  zugibt.^)  Von  dem 
zweiten  Stücke  erklärt  Diderot  selbst,  daß  es  unter  Goldoni's 
Einfluß  geschrieben  wurde.^) 

Auch  Alf  ier  i  fand  Nachahmer  in  Frankreich.  Lemercier 
▼erdankt  ihm  zum  großen  Teil  den  Erfolg  seines  Agamemnon, 
Legouv6  pdre  entlehnte  den  Schluß  seines  Jßteode  dem  Polinice 
des  Italieners.') 

Noch  in  der  Restaurationszeit  finden  wir  Spuren  italieni- 
schen Einflusses.  Denn  1821  brachte  Janin  einen  Oreste 
auf  die  Bühne,  der  die  meisten  Szenen  des  gleichnamigen 
Alfieri'schen  Stückes  enthielt;  dasselbe  kann  man  von  der 
im  nächsten  Jahre  aufgeführten  Clytemnesire  Soumet's  sagen. 
Endlich  zeigt  sich  Alfieri's  Einfluß  noch  1827  in  äuirand's 
Virginie^) 

Das  ganze  19.  Jahrhundert  hindurch  werden  italienische 
Tragödien  auf  franz.  Boden  in  italienischer  Sprache  auf  die 
Bühne  gebracht.  M°^®  Ristori,  die  große  Tragödin  der 
ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  führte  mit  ihrer  Truppe 
mehrmals  ital.  Trauerspiele  in  Paris  auf.^)  1830  ließ  die 
Herzogin  von  Berry  italienische  Tragödien  in  der  Haupt- 
stadt Frankreichs  aufführen;  doch  machte  die  Julirevolution 
diesen  Vorstellungen  bald  ein  Ende.  25  Jahre  später  trat 
M"^«  Ristori  noch  ein  letztes  Mal  mit  einer  Truppe  auf  und 
spielte  mit  außerordentlichem  Beifall  Alfieri's  Mirra  und  Pellico's 
Francesca  da  Rhnini,^)    Erst  gegen  1860  hören  diese  Gastspiele 


*)  Vber  Frero}V8  Behauptung  s.  Rosenkranz,  Diderofs  Leb.  u. 
W,  7,  275. 

*)  Au8<j,  V,  Bosenkr.   VII,  337. 

»)  Dejob,  ^tudes,  227 ff. 

*)  Dejob,  i/<  S.  227 f. 

^)  Dejob,  i6<i.,  S.  2S4:,  Anm.  i,  mit  weiteren  Lit.-Ang.  Jedoch 
vermissen  wir:  Perrens,  La  comedie  ital.  ä  Paris.  M^  Eistori  {Bev,  des 
deux  M.  15.  Juni  1855  tmd  15.  Juni  1857). 

'^)  Dejob,  ihd.,  S.  282. 


—    53     — 

der  Italiener  auf,  um  nochmal  gegen  Ende  des  Jahrhunderts 
durch  Eleonore  Düse  in  Mode  gebracht  zu  werden.^) 


in.  Die  Komödie. 

Noch  mehr  als  die  französische  Tragödie  steht  die  Ko- 
mödie in  ihren  Anfängen  unter  italienischem  Einflüsse.  Bereits 
9  Jahre  bevor  Jodelle's  Eugene  ou  la  Rencontre  über  die  Bühne 
ging,  hatte  Ch.  Estienne  ein  Lustspiel  *)  aus  dem  Italienischen 
übersetzt,  nachdem  die  Franzosen  schon  1533  zu  Lyon  die 
Calafidria  Bibbiena's  auf  der  Bühne  hatten  sehen  können.  In 
der  Vorrede  zu  seiner  Übersetzung  teilt  Estienne  dem  Leser 
mit,  daß  er  die  Lenay  den  Negromanf  und  den  Marescako, 
welchen  er  fälschlicherweise  ebenfalls  Ariost  zuschreibt,  ge- 
lesen habe,  und  fuhrt  sie  seinen  Landsleuten  als  Muster  vor. 
Im  Jahre  1545  erscheint  die  Übersetzung  der  Suppositi  des 
Ariost  durch  J.  Bourgeois*);  1549  empfiehlt  Du  Bellay  in 
dem  Manifeste  der  Pleiade  die  Komödie  und  die  Tragödie  im 
Gegensatz  zu  den  mittelalterlichen  Gattungen  des  Dramas.^) 

Im  Jahre  1552  endlich  erhalten  die  Franzosen  in  Eugene 
ou  la  Bencontre  ihre  erste  Originalkomödie.  Wir  finden  im 
Stücke  selbst  keinen  italienischen  Einfluß,  allein  der  Prolog 
ist  ganz  nach  italienischer  Manier  aufgebaut,  indem  er  die 
im  Stücke  auftretenden  Personen  kurz  andeutet.*) 

Aus  dem  umstände  nun,  daß  diese  erste  französische 
Komödie  nicht  unter  italienischem,  sondern  teils  unter  antikem, 
teils  unter  mittelalterlich-französischem  Einfluß  steht,  haben 
viele,  selbst  moderne  Forscher  den  italienischen  Einfluß  auf 
das  Lustspiel  überhaupt  viel  zu  wenig  betont.     Wir  wollen 


^)Larroomet,  La  Düse  et  le  public  parisien  (Nouv.  Et.  Paris, 
1899,  S,  239  f,). 

*)  Das  Sacrifizio  der  Intronati  zu  Siena  li)4H, 

')  Nach  Greizenach  {Gesch.,  III,  89)  wurden  wahrscheinlich  in 
Paris  die  Lucidi  des  Firenzuola  1555  und  Anfang  März  des  folgenden 
Jahres  in  Fontainebleau  die  Flora  des  Älamanni  vor  der  Hofgesellschaft 
aufgeführt. 

*)  Vgl.  Lanson,  Hist,  S.  275, 

*)  Vgl,  den  Prolog  in  den  ital.  Komödien  Androsia,  Cassaria  etc. 


—    54     — 

hier  die  Ansichten  einiger  wichtiger  Autoritäten  auf  diesem 
Gebiete  anführen. 

Schon  Vauquelin  gibt  zu,  daß  Frankreich  sein  Lustspiel 
nicht  selbst  geschaffen,  sondern  es  den  Italienern  und  Lateinern 
entlehnt  habe.^)  Auch  Beauchamps  gibt  den  italienischen 
Einfluß  auf  die  Komödie  zu,  wenn  er  auch  meint,  daß  seine 
Landsleute  nur  die  Fehler  der  Italiener  entlehnt  hätten.*) 

E.  Chasles  nennt  den  italienischen  Einfluß  auf  das  franz. 
Theater  (Komödie)  vorherrschend,  bezeichnet  jedoch  Italien 
als  ein  „trügerisches  Vorbild  und  als  einen  gefährlichen  Führer**  ^), 
während  dagegen  Lenient  die  Renaissancekomödie  auf  die 
mittelalterliche  Farce  zurückführt.*) 

Mahrenholtz  hinwiederum  gesteht  dem  franz.  Lustspiele 
nationale  Selbständigkeit  zu,  bedauert  aber,  daß  daneben 
„immer  wieder  die  plumpsten  Nachahmungen  der  spanischen 
und  römischen  Komödie  und  namentlich,  was  am  meisten  zu 
bedauern  sei,  die  italienische  coinmedia  ddC  arte  sich  Bahn 
brachen". '^) 

In  seiner  Einleitung  zur  Farce  de  PatlieUn  erklärt  endlich 
Genin,  daß  die  Verwicklungs- ,  wie  die  Charakterkomödie, 
aus  der  Farce  entstanden  sei.*)  Genin's  Ansicht  wird  auch 
von  Aubertin  vertreten'),  während  Darmesteter  und  Hatz- 
feld  jene  Komödie  aus  dem  italienischen  Lustspiele  und  der 
Farce  erstehen  lassen,  wobei  sie  jedoch  der  letzteren  die  größere 
Bedeutung  beilegen.  ®)  Ganz  besonders  vertritt  Petit  de 
JuUeville  die  Entwicklung  der  franz.  Komödie  aus  der  Farce 

*j  Art  poetique.,  Chant  IIT,  v.  ISO  f. 

')  Rech.  I.  Teilj  S.  150 ff.:  *Kous  lumes  Icurn  ouvrage^,  «otw  Irs 
imitämesj  il  nous  arriva  ce  qui  arrive^  quand  ön  stiit  ses  ffuides  sann  dis- 
cernementj  noHS  prtnies  leurs  difauts,  et  ne  tirämes  point  de  parti  de 
leiirs  heauth.* 

»)  La  ComMie  en  Fr.,  S.  109;  vgl  ibd.,  S.  10:  •On  lit  les  ancitnn 
ou  les  imite  ä  travers  Vinflxience  de  V Italic;  V Italic  fnt  nn  modele  de- 
eevant  et  unguide  dangereux.r> 

*)  La  Comedie  en  Fr.,  S.  ö73. 

»)  Momre,  Äbschn.  i,  S.  68. 

«)  Farce  de  Pathelin,  EinlHtung,  S.  IV ff. 

^  Hist.  du  th.  fr.  I,  r>R,H. 

«)  Le  16'  siede,  S.  176. 


—    55    — 

und  verteidigt  seinen  Standpunkt  mehr  als  einmal  in  seinen 
Werken.^)  Dagegen  erkennt  Rigal  voll  und  ganz  die  Be- 
deutung des  italienischen  Einflusses  an*);  als  einen  Aus- 
fluß der  mittelalterlichen  Farce  bezeichnet  er  diejenigen 
Stücke,  welche  nur  belustigen  wollen;  auch  betont  er,  daß 
die  meisten  Personen  der  französischen  Komödie  sich  bereits 
im  italienischen  Lustspiele  vorfinden.')  Barth^lemy,  dessen 
Geschichte  des  franz.  Lustspieles  übrigens  jedes  wissenschaft- 
lichen Wertes  entbehrt,  spricht  vom  italienischen  Einfluß  erst 
gelegentlich  der  Erwähnung  Scarron's/) 

Nach  Lotheissen  ist  das  Lustspiel  aus  dem  französischen 
Volksgeiste  hervorgegangen  ^) ;  an  einer  anderen  Stelle  läßt  er  es 
jedoch  von  „der  ausgelassenen  Gommedia  delP  arte^  ausgehen.^ 

Der  italienische  Einfluß  wird  ganz  besonders  von  Lanson 
betont,  welcher  das  französische  Lustspiel  geradezu  einen  Ab- 
glanz des  italienischen  nennt.  "^     Creizenach  schätzt  die  Be- 

^)  La  com.  et  ks  mceurs,  S.  1.  Femer:  Le  th.  en  Fr.^  S.  84ff:  «La 
com.  ihmeura  originale  ....  Un  ilement  nouveau  fut  empruntSj  non  de 
VantiquitCj  mais  de  la  com.  italj  qui  inspira  aux  Francis  le  goüt  et  leur 
donnu  les  modeles  d'une  intrigxie  plus  compliquSe,  de  ces  itnbroglios  que 
In  simplicite  du  mögen  äge  avait  igtiores  ou  dedaign^s.»  Hier  gibt 
Julleville  also  den  ital.  Einfl.  wenigstens  teilweise  zu.  Dagegen  sagt  er  in 
Bd.  II y  S.  421^  seiner  grojkn  Litt. -Gesch. :  *La  moralitS  aboutit  ä  la  grande 
comedie  de  caracteres;  la  sotie  devient  la  comedie  politique  et  socicUe.^ 

«)  Julleville,  Eist,  III,  216—318,  S.  266:  ^Les  comSdies  itant 
soutent  de  simples  traduetions.  sont  construites  ä  Vitalienne  plutot  qu'ä 
la  fran^aise.» 

^)  Ibd.y  S.  311;  Rigal  zahlt  hier  die  bereits  im  ital.  Lustspiel 
befiyidlichen  Personen  auf,  die  später  auf  die  frz.  Bühne  übergingen: 
•Leandre  et  IsabeHe^  les  amoureux;  Scapin  ou  Arlequin,  les  valets; 
Fantalony  le  vieux  marchand;  le  Docteur,  le  pedant  de  Bologne:  et  le 
cajntaifie  terrible  etc.» 

*)  Bist,  de  la  Com.  fr.,  S.  178. 

^)  Gesch.,  J,  24. 

«)  Ibd.,  l  335. 

"')  Bist,  S.  502 f. :  *Notre  comedie  du  XVI^  siede,  depuis  VAndrienne 
jusqiCaux  trois  demieres  comedies  de  Larivey  {1540 — 1611),  n^est  qu'un 
reflet  de  la  comHie  des  Italiens  ....  Cest  aux  Italiens  qyCon  va 
directement,  et  exclusivement.  Leur  exemple  vaut assez pour  imposer 
la  prose  ä  certains  de  nos  auteurs,  en  dipit  des  exemples  contraires  des 
anciens,    Intrigue,  dialogue,  types,  comique,  tout  vient  d'eux,  et  ceux  qui 


.      _     66    — 

deutnng  der  Vorbilder  des  klassischen  Altertums  für  das  Lust- 
spiel bei  weitem  nicht  so  hoch  wie  für  das  Trauerspiel,  da 
in  der  Komödie  der  italienische  Einfluß  weit  stärker  ein- 
gewirkt habe.^)  Morf  endlich  betont,  daß  Jodelle's  Nachfolger 
zwar  am  französischen  Schauplatz  der  Handlung  festhalten, 
daß  sie  sich  jedoch  im  Geiste  mehr  dem  römischen  und  dem 
auf  ihm  beruhenden  italienischen  Lustspiele  nähern.*)  —  Wir 
haben  hier  also  eine  Beihe  der  verschiedenartigsten  Ansichten, 
deren  Extreme  einerseits  von  Julleville  mit  der  Betonung  der 
Fortentwicklung  aus  der  Farce,  andererseits  von  Lanson  mit  der 
exklusiven  Hervorhebung  des  italienischen  Einflusses  vertreten 
werden.  Eine  genaue  Unterscheidung  der  verschiedenen 
Strömungen,  die  auf  die  Entwicklung  des  franz.  Lustspiels 
eingewirkt  haben,  wird  wohl  nie  möglich  sein,  und  wir  dürfen 
Bigal  recht  geben,  wenn  er  sagt:  tUhistoire  de  la  coniedie 
fran^ise  du  16  *  siede  doü  sc  resigner  ä  rempUicer  quelquefais  les 
cerfäudes  par  les  prohahiliUs.^  *) 

Während  die  erste  französische  Komödie*),  wie  wir  be- 
merkten, keinen  italienischen  Einfluß  aufzuweisen  hat,  vielmehr 
als  eine  aus  den  damaligen  Zeitverhältnissen  herausgewachsene 
„beißende  Satire  auf  die  Zuchtlosigkeit  der  katholischen  Geist- 
lichkeit" angesehen  werden  kann  %  schöpft  der  Verfasser  der 
1560  erschienenen  Esbahis,  J.  Grevin,  mit  vollen  Händen  aus 
einer  italienischen  Quelle,  nämlich  aus  den  von  Gh.  Estienne 
übersetzten   Ingannati  od.  Sacrifixio.^)     Wie   wir   bereits  oben 

essaient  ou  se  vantent  de  faire  des  compositions  originale^t  ne  se  distin- 
gnent  pas  du  tout  des  traducteurs.* 

')  Gesch.,  Bd.  ITI,  77, 

•)  Gesch.,  S.  217.  Levrault  (La  ConUdie,  1903,  S.  2H)  rechnet 
Eughie  und  La  Reconnue  noch  zu  den  Farcen,  u.  datiert  den  it.  Einfi. 
erst  von  den  nachfolgenden  Stücken  an. 

»)  Julleville,  l  c,  111,  296. 

*)  Die  Bezeichnung  „comidie"  findet  sich  urkundlich  unseres  Wissens 
1345  gelegentlich  eines  •mysthre»  der  Königin  von  Navarra  {Fr.  Parfaict 
in,  56"),  vielleicht  nach  der  in  demselben  Jahre  erschienenen  „Com e die 
tres  elSgante^  von  J.  Bourgeois,  welches  der  Titel  für  die  IJber^ 
setzmig  der  Suppositi  des  Ariost  ist. 

*»)  Holl,  Tendenzdrama,  S.  204. 

«)  Morf,  Gesch.,  S.  218;  Chasles  {La  com.,  S.  47)  gibt  knne 
Quelle  an.    Das  Datum  ist  nach  Holt  {Tendenzdr.,  S,  206)  angegeben. 


—     57     — 

gesagt  haben,  spielen  anch  Reminiscenzen  an  des  Dichters 
früheres  Lustspiel  «La  Tr^soriere*  und  an  Jodelle's  <c Eugene* 
mit  herein.  Grrfiyin  flicht  satirische  Auställe  ein,  deren 
Kosten  vorzüglich  die  Italiener  tragen.  In  der  Figur  des 
Pantaleone,  welcher  sich  von  nun  ab  auf  der  komischen  Bühne 
Frankreichs  einbürgert,  stellt  Gr6yin  den  bramarbasierenden 
italienischen  Kurschneider  dar. 

Remi  Belleau's  Lustspiel  La  Beconnue  ^),  welches  wir  gleich- 
falls schon  erwähnt  haben,  ist  allerdings  nach  den  lateinischen 
Mustern  desPlautus  undTerenz  gedichtet,  aber  es  finden 
sich,  wie  Toldo  nachgewiesen  hat,  darin  auch  Spuren  des 
italienischen  Renaissancelustspieles.  ^)  Holl  hält  die  Eshahis 
für  eine  Originalkomödie,  welcher  die  geschichtlichen  Ereig- 
nisse von  1562  und  1563  zugrunde  liegen.^) 

P.  le  Loyer  entlehnt  in  seinen  beiden  Stücken  le  Miiei 
insense  und  Ncphehcocugie  eine  Anzahl  von  Zügen  dem  italieni- 
schen Theater.*) 

Schwierig  scheint  es  dagegen,  das  Vorbild  der  NapoUtainea 
des  Fran^ois  d'Amboise  zu  finden.  Rigal  will  in  ihnen  eine 
Nachahmung  des  Akssandro  von  Piccolomini  sehen.*)  Toldo 
dagegen  glaubt  als  Quelle  eine  Novelle  im  Becamerone  gefunden 
zu  haben.*)  Birch-Hirschfeld  und  Morf  äußern  sich  über  die 
Quellenfrage  überhaupt  nicht. 

Tumöbe's  Les  Contents  (1584)  sind  nicht  den  Contenti 
des  Parabosco,  sondern  der  Hauptsache  nach  dem  Alessandro 
des  Piccolomini  mit  Benutzung  einiger  anderer  italienischer 
Komödien  entlehnt.') 


»)  Aufgef.  1Ö64.    Abgedruckt  im  Anden  Th.  fr.  iT,  341-438. 

«)  La  com.  fr.,  in:  Rev.  d'Eist.  litt.  1898.    S.  567. 

»)  Tendenzdr.,  S.  204. 

*)  Toldo,  Za  com.  fr.,  in:  Rev.  d'Hiat.  litt.  1898,  S.  564. 

*)  Rigal,  La  com.  de  la  Ren.  {in:  Jullev.,  Hist.,  III,  301). 

")  Toldo,  l.  c,  S.  585. 

^  Morf,  Gesch.,  S.  220;  ebenso  Toldo,  l.  c,  1899,  S.  571  ff., 
welcher  besonders  K.awczynski  {Festschrift  zum  VIII.  deutschen  Neu- 
phil.'Tage:  Über  da»  Verhältnis  von  *Les  Contents»  zu  *Les  Esbahis* 
und  beider  zu  den  Italienern)  berücksichtigt;  Fest  {Der  miles,  S.  66)  6c- 
handelt  sie  als  Originalkomödie. 


—    58    — 

Wichtiger  für  die  französische  Komödie  ist  Pierre  Larivey, 
dessen  ÜbertraguDgen  von  9  italienischen  Lustspielen  ins 
Französische  wir  jedoch  hier  nicht  erwähnen,  da  sie  bei 
Darmesteter  und  Hatzfeld^),  Kigal*),  Morf*), 
Suchier-Birch-Hirschfeld^)  angegeben  sind.  Interessant 
ist  aber,  daß  man  ihn  lange  Zeit  hindurch  für  einen  Original- 
dichter hielt,  der  die  Lateiner  und  Italiener  nicht  mehr  oder 
weniger  nachahmte,  als  es  die  anderen  franz.  Lustspieldichter 
taten.  Die  Gebrüder  Parfaict  nennen  seine  Lustspiele  tpieees 
de  theäire  ä  Vimitation  des  anciens  Grecs  et  Laiins  et  modernes 
Italiens,  jt^)  Chasles  sagt  von  Larivey,  er  habe  sich  von 
der  direkten  Nachahmung  freigemacht,  besonders  habe  er 
die  Komödie  wieder  zurückgeführt  zur  ursprünglichen  Quelle, 
dem  lateinischen  und  griechischen  Theater/)  Auch  Lenient 
stellt  den  französischen  Dichter  als  selbständig  hin,  der 
sich  allerdings  von  der  Stegreifkomödie,  der  Farce  und  den 
Lateinern  beeinflussen  lasse,  aber  seine  Stücke  imabhängig 
aufbaue.') 

Nach  Janet  (1855)  und  Lucas  (1682;  I,  26  ff.)  werfen 
Darmesteter  und  Hatzfeld  von  neuem  die  Frage  auf, 
was  Entlehntes  und  was  Originales  in  den  Lustspielen 
Larivey's  sei.  Sie  finden,^  daß  Larivey  nur  Übersetzungen, 
allerdings  mit  einzelnen  Änderungen,  geliefert  habe.  Die 
letzteren  bestehen  darin,  daß  er  den  Schauplatz  der  Hand- 
lung gewöhnlich  nach  Frankreich  verlegte,  daß  er  Neben- 
personen hinzufügte,  einige  Szenen  und  Rollen  fortfallen  ließ, 
so  daß  die  Stücke  scheinbar  den  Charakter  von  Original- 
komödien   bekamen.^)     Zu  einem   ganz  ähnlichen  Resultate 


')  Le  Iße  «.,  S.  179. 

"j  La  com.  /V.,  in  Julie ville's  HiMt.  III,  305  und  IV,  191. 

»)  Gesch.,  S.  245. 

*)  Gesch.,  S.  362. 

*)  Hist.  du  th.  in,  396  u.  425. 

•;  La  com.y  S.  llo. 

^  La  com.,  S.  576. 

*)  Le  16*  8.,  S.  179. 


—     59     — 

kommen  auch  G.  Wenzel*),  Morf*),  Birch-Hirschfeld •)  und 
Toldo.*) 

Larivey'8  Verdienst  liegt  darin,  den  Franzosen  das  Ver- 
ständnis der  italienischen  Lustspiele  erleichtert  und  sie  mit 
einer  Menge  neuer  Gestalten  und  Ideen,  mit  einer  Fülle  von 
echt  komischen  Szenen  und  mit  einer  Reihe  stereotyper 
Charaktere  bekannt  gemacht  zu  haben,  welche  von  nun  an 
in  den  französischen  Lustspielen  immer,  wenn  auch  in  ver- 
änderter Gestalt,  wiederkehren. 

Die  EseolUers  P  e  r  r  i  n '  s  1589  werden  von  Chasles  *) 
und  Darmesteter  und  Hatzfeld*)  als  ein  Originallustspiel 
angesehen.  Doch  findet  Toldo  einige  auffallende  Ähnlich- 
keiten mit  den  Siippositi  des  Ariost,  der  3£tksia  des  Gia- 
notto,  und  er  bemerkt,  daß  der  in  den  Escdliers  behandelt« 
Stoff  auch  bei  einer  Reihe  italienischer  Novellisten  vor- 
handen sei.^  Die  Tasse  des  Cl.  Bonet  geht  in  ihrem  Stoffe 
auf  eine  Erzählung  in  Sacchetti's  NovelUno  zurück.^)  Die 
Dff^uisex  TrottereFs,  welche  übrigens  in  keinem  Zusammenhang 
mit  dem  gleichnamigen  Stücke  Godard's  stehen,  sind  ganz  in 
der  Manier  der  italienischen  Stegreifkomödie  geschrieben.*) 
Die  Coniedie  des  praverbes  erinnert  durch  die  Dreizahl  der 
Akte  an  die  scenarii  des  Fl.  Scala^^);  das  Auftreten  der 
BoMmieiu  in  diesem  Stücke  geht  ohne  Zweifel  auf  die  Cingana 
des  Giancarli  (1695)  zurück.  ^^)     Der  Stoff  zu  Mairet's  Duc 


*)  Larivey'H  Komödien  u.  ihr  Einfl.  auf.  Moliere  {Herr,  Arch.,  Bd.  82^ 
S,  6.H--80). 

«)  Gesch.,  S.  :i4o. 

»)  Such,  und  ß.-H.,  Gesch.,  S.  Hti2. 

*)  La  com.  fr.  {Rev.  d^Hist  litt.  189H,  S.  582 ff.).  —  Holl  {Taidenz- 
drarnttj  S,  211)  glaubt,  daß  Larivey  seinen  Komödien  vielfach  die  Ereig- 
nisse der  Zeit  zugrunde  legt. 

»)  La  Com.,  S.  116. 

«)  Le  16e  8.,  S.  180. 

')  Rev.  d'Hist.  litt  1899,  S.  580. 

»)  Ibd.,  8.  590  ff. 

ö)  Toldo,  iM,  S.  605;  Morf  {Gesch.,  S.  2n)  sagt:  „Die  Diener- 
rollen  »ind  ganz  italienischen  Geistes.^ 

»•)  Toldo,  ibd.,  1900,  S.  270. 
")  Toldo,  ibd.,  S,  270. 


—     60     — 

d'Ossone  endlich  (1627)  findet  sich  in  der  41.  Novelle  des 
Massuccio;  eine  ähnliche  Erzählung  lesen  wir  in  den  Diparti 
des  Parahosco  (giom.  I,  nov.  2),  welche  in  die  Joyeux  Devis 
überging,  woraus  sie  später  Scarron  für  sein  Lustspiel  jFVe- 
caution  inutile  nahm.^)  Rotrou's  Quellen  sind  bereits  eingehend 
Ton  Stiefel  untersucht  worden,  welcher  für  Ciarice,  CiHe  und 
La  Scßur  italienische  Stücke  als  Vorbilder  gefunden  hat.*) 

Wir  kommen  nun  zu  Moli^re,  von  dessen  Beziehungen 
zu  den  Italienern  wir  bereits  gelegentlich  des  Abschnittes 
über  die  italienischen  Schauspieler  in  Frankreich  gesprochen 
haben.  Eine  beträchtliche  Anzahl  von  Abhandlungen  über 
diese  Beziehungen  ist  bereits  vorhanden,  und  wir  werden  im 
folgenden  die  wichtigsten  derselben  in  Betracht  ziehen. 

Grundlegend  ist  vor  allem  Moland's  Moliere  et  la  eom4die 
italienne  (1867),  worin  Moliöre's  Verhältnis  zu  den  Comici 
italiani  gründlich  dargelegt  wird,  während  Foumel  die  Stellung 
des  großen  Dichters  zur  zeitgenössischen  Komödie  betrachtet^) 
Den  Einfluß  des  plautinischen  Lustspiels  schildert  Reinhard- 
stöttner's  bekanntes  Werk.^)  Die  gründlichste,  umfangreichste 
wissenschaftliche  Arbeit  aber  bildet  die  von  Despois  und  Mes- 
nard  veranstaltete  Ausgabe  von  des  Dichters  Werken  in  der 
Sammlung  der  Grands  ßcrivains.^)  Die  neueste  Arbeit  über 
Moliere,  welche  die  bisherigen  Moli^reforschungen  gewissenhaft 
berücksichtigt,  bildet  Schneegans'  Moliere,^) 

Was  des  Dichters  Verhältnis  zur  italienischen  Schau- 
spielertruppe betrifft,  so  wissen  wir,  daß  er  schon  in  früher 
Jugend  ihre  Stücke  sah,  daß  er  später,  als  seine  Truppe  ab- 
wechselnd mit  den  Italienern  im  Palais  Bourbon  spielte,  mit 


»)  Unbek.  it  Quellen  Rotrou's  (ZfSp.  189 J,  Suppl.  o),  woselbst  retch- 
haltige  bibliogr.  Angaben  zu  finden  sind.  Der  Stoff  der  Amelie  ist  nach 
Stiefel  {ibd.f  S,  27)  zwei  spanischen  Stücken  und  einem  ital.  Pastoral- 
drama  entlehnt^  s.  auch  Vianey,  De%tx  sources  inconnues  de  Rotrou^ 
pass.,  und  Fest,  Der  mil,  S.  77 f. 

*)  Les  contemporains  de  Moliere,  Recueil  de  comedies,  s,  Introductiofh. 

')  Spätere  Bearbeitungen  plautinischer  Lustspiele, 

*)  Doch  fehlt  es  dem  Werke  an  einer  übersichtlichen  Zusammen^ 
Stellung  der  Quellen, 

*)  Geisteshelden,  Bd.  42  {1902). 


—     61     — . 

diesem  stets  auf  gutem  Fuße  stand,  mit  einigen  Mitgliedern 
sogar  freundschaftlich  verkehrte.^)  Da  Molidre  ein  ebenso 
guter  Schauspieler  wie  Lustspieldichter  war,  darf  man  an- 
nehmen, daß  er  die  mimische  Kunst  bei  den  Italienern  gelernt 
hat.  Despois  deutet  sogar  die  Möglichkeit  an,  daß  er  sich 
in  seinen  großen  Stücken  von  der  Schauspielkunst  eines 
Oharakterdarstellers  wie  Scaramouche  beeinflussen  ließ,  wenn 
auch  zu  bemerken  ist,  daß  die  Comici  italiani  schließlich 
doch  nur  immer  tpersontiages  de  Convention»  auf  der  Bühne 
darstellten.^) 

Ihr  Personal  bestand  so  ziemlich  für  alle  Stücke  aus 
zwei  Liebhabern,  drei  weiblichen  Personen,  zwei  für  die 
ernsten,  eine  für  die  komische  Rolle,  ferner  aus  Scaramouche, 
Pantalon,  dem  Docteur,  einem  Mezzetin  und  einem  Arlequin  ^), 
so  daß  im  ganzen  nur  10  Personen  für  eine  Aufführung 
nötig  waren ;  dabei  war  nicht  ausgeschlossen,  daß  bei  manchen 
Stücken  diese  Zahl  nicht  einmal  erreicht  wurde.  Moli^re, 
und  darauf  wurde  bis  jetzt  nicht  hingewiesen,  braucht  für 
seine  Lustspiele  gewöhnlich  dieselbe  Anzahl.  Gewiß  schwebten 
ihm  daher  bei  der  Abfassung  seiner  Komödien  die  italienischen 
Schauspieler  und  ihre  canevus  vor,  und  sicherlich  bildete  er 
seine  eigene  Truppe  nach  dem  Muster  jener.  Freilich  scheint 
nicht  ein  Mitglied  von  der  Moli^rcschen  Truppe  annähernd  so 
berühmt  und  beliebt  geworden  zu  sein  wie  Scaramouche, 
Trivelin  und  Aurelie,  mit  ihren  wahren  Namen  Tiberio  Fiorelli, 
Domenico  Locatelli  und  Brigida  Bianchi. 

Jedenfalls  lernte  Moliere  viel  mehr  bei  den  Italienern  als 
bei  den  französischen  Lustspieldichtern  des  16.  Jahrhunderts, 
bei  Jodelle,  de  la  Taille  u.  a.,  deren  Stücke  schwerfallig  in 


1)  Voll  hart,  Die  Quelle  van  Molibre's  Tartuffe  {Herr:  8  Arch. 
Bd,  XCIf  S.  91  f.).  Siehe  auch  die  Kritik  von  Toldo  (Giom.  stör. 
XXIV.  297)j  wo  derselbe  darauf  fünweistj  da/J  Moliere  die  Aufführungen 
italienischer  Künstler  besuchte^  und  dajl  er  auch  später,  als  «*  in 
den  Schauspielerstand  trat,  in  intimem  Verhehr  mit  seinen  Kunstge- 
nüssen blieb, 

»)  Despois,  Le  th.,  S.  59. 

«)  Despois,  ibd.,  S.  61, 


der  HaudluDg,  mangelhaft  in  der  Charakterzeichnung,  un^ 
künstlerisch  in  der  ganzen  Komposition  sind,  während  er 
an  den  Stegreifkomödien  dramatische  Lebendigkeit,  scharfe 
Charakterisierung  und  genialen  Aufbau  eines  Stückes  studieren 
konnte.^) 

Untersuchen  wir  nun  kurz,  in  welchen  Stücken  sich  h'ni- 
sichtlich  des  Stoffes  Einflüsse  sowohl  der  Stegreifkomödie,  vde 
der  tcomtnedia  entdita.»  bemerkbar  machen. 

Wir  wissen,  daß  Moliöre  während  seiner  Wanderjahre 
Farcen  nach  dem  Muster  der  Possen  der  commedia  deW  arte 
entwarf  und  aufführen  ließ  ^) ;  wir  kennen  nur  die  Titel  von 
drei  derartigen  Stücken:  Le  docteur  amo^iretix,  Les  trois 
docteurs  und  Le  maUre  d'^colCy  von  denen  das  letztere  wjüir- 
scheinlich  sich  an  die  Stegreif komödie  tArUquin  ('colier>  an- 
schließt. Schneegans  hält  es  nicht  für  ausgeschlossen,  daß 
die  drei  Titel  sich  auf  ein  Stück  beziehen.*) 

Von  den  erhaltenen  Stücken  gehören  hierher: 

1)  La  Jalousie  du  liarhouiUe.  Nach  Despois  findet  sich 
der  Stoff  zur  Handlung  dieser  Posse  im  Decamerone  (VII, 
4)*);  doch  lag  Moliöre  ein  bis  jetzt  nicht  aufgefundener 
italienischer  caneras  vor.  Schnoegans  gibt  als  Stoffquelle 
Decam.  IV,  3  an.*) 

2)  Le  Medeein  volant  ist  die  Nachahmung  eines  Des- 
pois®)   und    Schneegans '^)    unbekannten    Medico    rolanie,    den 


*)  Ähnlich  Wenzel,  La  com.  de  Larivey  {Herr.  Arch.  Bd.  LXXlly 
80),  und  Fest,  Der  mil.,  S.  06,  welcher  Wenzel  zitiert ]  fei-neriloland, 
La  com.  it,  S.  ;>,  uml  A.  d.  Breton  {beiJulleville,  Hist.f  Bd,  V,  15). 
welche  beide  den  Einfi.  der  ital.  Stegreifkomödie  auf  Molihre  in  hezuy 
auf  die  Lebendigkeit  der  Handlung  betonen. 

*)  Schneegans,  Mol.,  S.  29;  über  MoVs  Stegreifkom.  hat 
Young  in  der  ZfSp.,  Bd.  XXII,  190 ff.  ausführlich  gehandelt. 

^)  Moli  er  e,  S.  32;  Young,  i6d.,  S.  192,  der  sieh  über  diese 
Frage  nicht  öii/krtj  nennt  noch  die  Titel  von  9  weiteren,  Mol.  zuge- 
schriebenen Farcen. 

*)  Despois,  Les  asucres  de  Mol.  7, 11;  ebenso  Young ,  l.  c,  S.  198, 

»)  Moliere,  S.  3L 

•;  (Euvres  de  Mol.  l  47. 

')  Moliere,  S.  32. 


—    63    — 

Young  unter  den  Scenarii  inediii  della  Comm,  deW  arte  gefunden 
zu  haben  glaubt.^) 

3)  UiJtourdi  geht  nach  Despois^)  und  Schneegans*) 
auf  den  Innaveriiio  des  B  a  r  b  i  e  r  i ,  genannt  Beltrame 
(1629/1630)  zurück;  in  Akt  IV,  Sz.  2  übersetzt  er  geradezu 
aus  Em.  Groto*)  und  L.  de  Fornaris.  Rigal  sucht  zu 
beweisen,  daß  neben  dem  Innavertiio  des  N.  Barbieri  besonders 
der  ParaSite  des  Tristan  TErmite  in  Betracht  komme.*^)  Ab- 
weichungen von  Barbieri's  Stück  finden  sich  insofern,  als 
Moli^re  den  tCapUano  BeUerofoniej>  wegläßt  und  dafür  den 
alten  Amelme  mit  seinen  Eigenschaften,  wenigstens  zum  Teil 
ausstattet.^)  Nach  Schneegans  ist  das  „Gepräge  dieses  Lust- 
spiels durchaus  italienisch ''.'') 

4)  Der  erste  Teil  des  Df'pit  amoureux,  hat  Ähnlichkeit 
mit  der  Komödie  Secchi's:  Vinieresse,^) 

5)  Don  Garde  beruht  auf  den  Gelosie  del  principe  Rodrigo 
Cigognini's  (1654)®);  die  Heldin  des  Stückes,  ein  kriege- 
risches Mädchen,  erinnert  außerdem  an  die  Frauengestalten 
bei  Ariost  und  Tasso. 

6)  In  der  &oh  des  maris  sind  einige  Szenen  den  Esprits 
Larivey's,  welche  selbst  eine  ital.  Übersetzung  sind,  entlehnt.^®) 

7)  Le  Fdcheux  wurde  nach  einem  Canevas  Italien  gedichtet, 
welcher  den  Titel  führt;  Pantakom  amante  sfortunato  ^^) ;  übri- 
gens behandelt  die  8.  Satire  B^gnier's  denselben  Gegenstand. 

8)  Den  Stoff  zu  seiner  iJcole  des  femmes  fand  Moliöre 
entweder  im  Pecorone  des   Ser  Giovanni  Fiorentino,  oder  in 

*)  L,  c,  S.  207.  —  Scenarj  ined.^  S.  lOö—llO,     Diese  Sammlung 
wird  auch  hei  Klingler  {La  Com.-TtaL  etc.,  S.  21)  erwähnt. 
»)  (Euvres  d.  M.  /,  79. 
»)  Molih-e,  S.  SH. 
*)  Ibd.,  S.  38. 

*)  Les  com.  d.  Mol.  {Recue  universitairCy  lo  fevr.  1903). 
•)  Fest,  l.  c,  S.  121. 
')  Molüre,  S.  40. 

•)  Despois,  Mol.' Ausg.  J,  381,  wo  ausfuhrl.  darüber  gehandelt  wird. 
»)  iW.,  l.  c.  II,  217.    Ebenso  Schneegans,  i.  c,  S.  74. 
*®)  Despois,  l  c.  II,  340,  bei  Schneegans  nicht  erwcUmt, 
")  Despois,  l  c.  III,  ß. 


—    64    — 

den  Notti  facexiose  Straparola's  ^),  oder  endlich  in  der  ersten 
der  nouvelles  tragiqiies  Scarron's.*) 

9)  Von  dem  Stücke  Le  Mariage  force  sagt  Schneegans: 
^Die  Komik  darin  beruht  sehr  häufig  nur  auf  technischen 
Kniffen,  die  Moli^re  namentlich  in  seinen  schnell  entworfenen 
Possen  immer  wieder  zu  verwenden  weiß,  die  er  vielleicht 
auch  der  italienischen  Stegreifkomödie  abge- 
lauscht hatte."')  £in  bestimmtes  Vorbild  läßt  sich  jedoch 
nicht  anführen.  Despois  gibt  mehrere  Canevas  an,  die  Ähnlich- 
keiten mit  Moli^re's  Lustspiel  haben.  ^)  Jedenfalls  liegt  eine 
italienische  Quelle  zugrunde. 

10)  Bezüglich  der  Quelle  des  Tartuffe  ^)  haben  die  neuesten 
Forschungen  ergeben,  daß  der  französische  Dichter  ihn  nach 
dem  Muster  der  italienischen  Stegreifkomödie  //  Pedanie 
schrieb.")  Moland  gibt  als  Vorbilder  den  Finto  Ipocnto  und 
den  canevas  <Dottore  Bacchettone*  an,  welcher  in  der  erhaltenen 
Fassung  allerdings  erst  nach  dem  Tartuffe  erschien;  auch 
Decameron  lU,  8  erinnert  an  die  Fabel  des  Stückes. 

11)  Für  den  Avare  hat  Moliöre  eine  Reihe  von  italieni- 
schen Lustspielen  benutzt,  nämlich  die  Sporta  Gelli's,  die 
Oase  svalligiaie,  den  Cameriere  mobile^  den  Ämante  iradito,  alle 
drei  Stegreifkomödien  von  unbekannten  Verfassern,  endlich 
die  Suppositi  des  Aiiost.  Knörich  hat  1886  diese  Quellen 
des  Avare  einer  eingehenden  Untersuchung  unterzogen.^ 

12)  Der  Don  Juan  geht  allerdings  auf  den  Burlador  di 
Sevilla  zurück  ^),  allein  dieses  Stück  wurde  bereits  in  den  30er 


^)  Schneegans,  Moliere,  S.  91. 

*)  DespoiB,  l  c,  111,  144. 

•)  Molilre,  S.  112. 

*)  (Exivr.  de  Mol,  S.  IV,  8. 

*)Vollhardt,  Die  Quelle  des  Tartxiffe  (Herr. 's  Arch.,  Bd.  XCI, 
öoff).  Vollhardt  berücksichtigt  die  vorausgehenden  Forschungen,  bes.  die 
von  Mahrenholtz.  —  Schneegans  {Mol.,  S.  IIT)  kommt  zu  demselben 
Resultate. 

®)  In  den  ZfSp.  VIII,  51—68;  doch  ist  die  Arbeit  keinestcegs  als 
eine  abschli^iende  zu  betrachten. 

')  Lucas,  Eist.  J,  73;  Lotheiasen,  Gesch.  IV,  40;  Mesnard, 
(Euvres  de  Mol,  Bd.  F,  Iff.;  Schneegans,  /.  c,  S.  ISOff.  Eine  Zk- 
sammenstellung  über  die  neuesten  Forschungen  in  der  Don  Juan-Sage 


~    6B    — 

Jahren  des  17.  Jahrhmiderts  Ton  dem  Stegreifkomödiendichter 
Giliberto  am  italienischen  Theater  in  Paris  gespielt,  so  daß 
der  Stoff  dem  Theaterpublikum  schon  vor  Moli^re  bekannt 
war.  Zudem  wurde  das  italienische  Stück  II  Convüato  di 
pietra  des  Giliberto  von  zwei  Franzosen,  Dorimond  und  De 
YiUers,  bearbeitet  Die  Bearbeitung  des  letzteren,  le  FesUn 
de  Pierre,  diente  Molidre  als  Grundlage  seines  Don  Juan. 

13.  In  dem  Schwanke  Le  bourgeois  gentUhomme  (1671)  ist 
die  türkische  Zeremonie  (Akt  IV,  Szene  6 — 13)  dem  Steg- 
reiflustspiel  Le  disgraxie  d^ Arlecchino  entnommen.^) 

14.  Le  Malade  imaginatre  verdankt  mehrere  Züge,  wie 
Moland  behauptet,  der  Gestalt  des  Mamfurio  im  (Jandeiaio  des 
Giord.  Bruno.  ^ 

15.  In  den  Fourberies  de  Scapin,  welche  sich  ganz  der  Manier 
der  italienischen  Komödie  nähern,  ist  die  Szene  mit  dem  Sack 
den  Notti  facexiose  Straparola's  entnommen.^) 

Diese  Übersicht  der  stofflichen  Entlehnungen,  die  Moli^re 
bei  den  Italienern  machte,  beweist,  wie  tiefgehend  der  lite- 
rarische Einfluß  Italiens  damals  war.  Wiese  ^)  sagt  daher 
ganz  richtig,  daß  Moli^re's  Lustspiele  die  herrlichsten  Früchte 
der  italienischen  Stegreifkomödie  seien. 

Von  den  zeitgenössischen,  komischen  Dichtem  kommt 
vor  allem  Tristan  l'Hermite  in  Betracht,  dessen  Parnsite,  wie 
Stiefel  bewiesen  hat,  eine  Nachahmung  von  Fomarie's  Angelica 
(1584)  ist,  welche  selbst  als  ein  Plagiat  der  Olimpia  des  della 
Porta  angesehen  werden  kann.^)    Der  Amant  discret  Quinault's 


gibt  Stiefel  in  deni  Jahresbericht  für  neue  detUsche  Literaturgesch,  krag, 
V.   E,  Schmidt  1899.   Bd.  X,  /.  Abteilung,  7.  Abhandl 

»)  Mesnard,  (Euvres  de  Momre,  Bd.  VIII,  Iff,  35. 

•)  Moliere  et  la  comedie  it.,  S.  105—111. 

•)  Mesnard,  (Euvres  de  Molih-e  VIII,  390.  Vgl.  Schneeganä, 
Mol,  S.  212. 

*)  Wiese-P^rc,  Gesch.,  S,  435.  Auch  Schneegans  bezeichnet 
diesen  Einfl.  d.  Ital  als  „nur  vorteilhaft**  {Mol.  S.  30).  Siehe  femer 
Toldo  (Kritik  v.  VollharVs  „Quellen  des  Tartuffe"  Giom.  stör.  XXIV, 
301):  *Negli  albori  del  Rinascimento  la  commedia  deW  arte  fu  scuola 
alle  nazioni  d'Europa,  alla  Francia  sopratutto,  di  vera  e  Sana  comicita.» 

*)  Tristan  VHermite^s  Le  Parasite  u.  s.  Quelle,  in:  HerrJs  Arch. 
Bd.  86,  S.  ^ff. 

Münchener  Beiträge  z.  romanisclieu  n.  engl.  Philologie.    XXX IV.     5 


—    66    — 

geht  ebenfalls  auf  eine  italienische  Quelle  zurück.  Corneille 
lehnt  sich  in  seinen  ersten  Lustspielen  an  die  italienische 
Stegreif  komödie  an.  Der  imiamore  in  der  Illusion  comique  ist 
nicht  ein  Abklatsch  des  Gapitano  der  commedia  dell'  arte, 
sondern,  wie  Fest  beweist,  und  wie  Corneille  in  seinem 
tExanien*  selber  sagt,  ein  Phantasiegebilde. ^)  Begnard, 
der  würdigste  Erbe  von  Molidre's  Kunst,  arbeitete  in  seiner 
Jugend  für  die  Comedie  italienne.^  Sein  Stück  La  Sirdnade 
ist  ganz  im  Stile  der  ital.  Farce.  ^)  Le  Bai  und  die  Folies 
ammireuses,  deren  Gegenstand  der  Finta  paxza  von  Strozzi  ent- 
lehnt ist,  sind  ebenfalls  Nachahmungen  der  italienischen  Steg- 
reifkomödien/) Auch  in  der  Komödie  Le  diwrce  finden  sieb 
einige  der  ital.  Bühne  entlehnte  Szenen.^) 

In  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  nahm  der 
vielseitige  La  Motte-Houdar  den  Stoff  seiner  Komödien  zum 
großen  Teil  aus  Boccaccio;  drei  dieser  Novellen  des  ital. 
Dichters  hatte  bereits  Lafontaine  in  seinen  Ckmtes  bearbeitet 
doch  geht  aus  verschiedenen  Einzelheiten  hervor,  daß  La  Motte 
direkt  die  italienische  Quelle  benutzte.^)  Es  kommen  folgende 
Komödien  in  Frage: 

1.  La  Venitimne,  cotmdie'baüet,  1705,  läßt  all  die  Masken 
der  ital.  Komödie  wieder  an  uns  vorüberziehen. 

2.  Le  Talisman  =»  Bocc,  Dec.  II,  10. 

3.  Le  Magnifique  =  Bocc,  Dec.  III,  5. 

4.  Minutolo  =  Bocc,  Dec  III,  6. 

5.  Le  Calendrier  des  Vieillards  5=  Bocc,  Dec  II,  9. 

So  sehen  wir,  wie  der  Altmeister  der  Erzählung,  Boccaccio, 
noch  im  18.  Jahrhundert,  im  Zeitalter  der  nüchternen  Auf- 
klärung, seinen  Zauber  auf  die  Franzosen  ausübte. 

Fast  alle  Komödiendichter  des  18.  Jahrhunderts  bilden 


^)  Der  mil.  glor.,  S.  97. 

«)  Lucas,  Hi9t.,  i,  i^83f.;  III,  140 f.  Nach  L.  schrieb  er  10  Stücke 
für  die  ital  Bühne.  Nach  Fournel  (Le  th.,  S.  343)  verfafiU  er  für 
diese  auch  seine  letzten  Stücke. 

»)  Lenient,  La  Comedie  /,  25  w.  2S, 

*)  Ibd.,  S.  29. 

*)  Lucas,  Bist,  phil  III,  141. 

«)  Vgl.  Toldo,  Quelques  sources,  in:  BtUl.  it.  I,  200 ff. 


—     67     — 

sich  in  ihren  Werken  an  dem  italienischen  Theater  zu  Paris. 
Florion  arbeitet  ganz  nach  den  canevas  der  italienischen  Ko- 
mödie. Dufresnyi  Piron,  Delisle  und  Marivaux  verkehren  in 
ihren  Lehrjahren  vorzüglich  bei  den  Italienern  und  studieren 
deren  Technik,  die  sich  durch  eine  größere  Freiheit  aus- 
zeichnete als  diejenige  der  Comedie  fran^uise.^)  Mit  Beginn 
der  Revolution  wurde  das  Theater  der  Italiener  endgültig  ge- 
schlossen und  damit  endete  der  200  Jahre  andauernde  £influß 
desselben. 

Ein  Lustspieldichter,  des  19.  Jahrhunderts,  welcher  ganz 
besondere  Vorliebe  für  Italien  und  für  die  italienische  Lite- 
ratur besaß,  darf  hier  nicht  unerwähnt  bleiben.  Es  ist  dies  der 
geniale  Alfred  de  Musset,  von  dessen  künstlerisch  so  wundeiv 
bar  gebauten  Komödien  einige  auf  italienische  Chroniken 
zurückgehen.  Seinen  Lorenxaccio  entlehnt  er,  wie  Lafoscade  *) 
nachweist,  der  Chronik  Varchi's,  die  ^iQuenouilh  de  Barberine* 
ist  aus  einer  Novelle  fiandello's,  die  ^Cannosine»  aus  einer 
Erzählung  im  Decamerone  entstanden;  sein  Andr6  del  Sario 
endlich  kann  als  eine  Frucht  seiner  italienischen  Reisen  an- 
gesehen werden. 

IV.  Die  Pastorale. 

Die  Pastorale  nimmt  einen  so  wichtigen  Platz  in  der 
Geschichte  des  französischen  Theaters  ein,  und  der  Einfluß 
Italiens  auf  dieselbe  ist  so  bedeutend,  daß  wir  ihr  einen 
eigenen  Abschnitt  widmen  wollen. 

Der  Ursprung  der  italienischen  Pastorale  geht  nach 
Wiese')  zurück  auf  die  griechischen  dramatischen  Eklogen, 
und  es  war  kein  Geringerer  als  Boccaccio^),  der  sie  zuerst 
nachahmte,  bis  sie  sich  dann  im  Laufe  des  15.  Jahrhunderts 
zum  Schäferdrama  weiter  entwickelte,  mit  welchem  Namen 
wir  als   erstes   die   Flavia   1528   bezeichnen   dürfen.*)     Den 

^)  Lanson,  Hist,  S.  646. 

«)  Theätre  d'Alf.  de  Müsset,  S.  1S6,     Vgl.  auch  E,  Bouyy  in  der 
Chronique  des  Buü.  ital  1902,    II,  248. 
"*)  Oesch.  der  it.  Lit,  J,  316. 
*)  Lotheissen,  Gesch.,  /,  137. 
s)  Wiese  o.  Pörc,  Gesch.,  S.  316. 

5* 


—     68     — 

Gipfelpunkt  in  ihrer  Entwicklung  erreichte  die  Pastorale  in 
Tasso's  Aminia  1581  und  in  Guarini's  PtiMor  fido  1590.*) 
Die  Elemente  dieses  dramatischen  Genres  sind  nach  Weinberg 
folgende:  die  spröde  Geliebte,  der  liebedtirftige  Schäfer,  der 
weltkluge  Vertraute,  die  Entstehungsgeschichte  der  Liebe, 
der  erste  Kuß  und  die  schließliche  Vereinigung  der  Liebes- 
paare; dazu  kommt  meist  noch  ein  Wahrsager  und  ein  Satyr.') 
Was  die  Entstehung  der  französischen  Pastorale  betrifft, 
so  sind  so  ziemlich  alle  modernen  Forscher  darin  einig,  daß 
Prankreich  diese  Literaturgattung  der  apenninischen  Halbinsel 
verdankt.  Allerdings  erwähnt  Goujet  bei  der  Pastorale  nur 
die  Nachahmung  der  alten  Griechen  und  Lateiner.*)  Ra- 
thery*)  jedoch  führt  als  die  hauptsächlichsten  Vorbilder  der 
französischen  Pastorale  Sannazaro,  Tasso  und  Guarini  an. 
Amould  bezeichnet  Tasso,  Guarini  und  Marino  als  die  wahren 
Leiter  des  französischen  Geschmackes  in  der  ersten  Hälfte  des 
17.  Jahrhunderts  und  bezeichnet  den  italienischen  Einfluß  auf 
die  Pastorale  als  vorherrschend*) :  „Sie  (d.  ital.  Past.)  verlieh 
der  franz.  Literatur  einen  feinen,  zarten  Ausdruck  für  subtile 
Gedanken  und  innige  Gefühle ;  doch  wäre  ihr  Einfluß  auf  die 
Dauer  unheilvoll  geworden,  wenn  nicht  mit  der  Princesse  de 
Cleve  eine  neue  Periode  auf  dem  Gebiete  der  Erzählung  ein- 
geleitet worden  wäre.'^  Morf  glaubt  in  der  französischen 
Pastorale  einen  dreifachen  Einfluß  zu  finden.^)  Nach  ihm  ist 
sie  entstanden  unter  der  Einwirkung  des  Altertums,  der  Bibel 
und  Italiens.  Wie  Rigal  weist  er  auf  das  comSdü  betitelte 
Hirten-  und  Satyrspiel  Les  ombres  hin,  welches  unabhängig 
vom  italienischen  Einfluß  zu  sein  scheint.  Rigal,  der  dasselbe 
ins  Jahr  1666  verlegt,  findet  darin  bereits  einige  der  Haupt- 
oharakterzüge  der  Pastorale,  einen  Wahrsager,  einen  Satyr 
und   eine    spröde  Schäferin.')     Weinberg®),   der  sich  be- 

')  Rigal,  in:  Julleville,  Hist  III,  316. 

«j  Das  frz.  Schäferspiel,  S.  5  ff. 

3)  Bihl  fr.,  III,  247, 

*)  Infi.,  S.  110 ff. 

*)  Essais,  S.  4d3. 

^)  Gesch.,  S.  224, 

')  La  Pastorale,  in:  Juller.,  Hist.,  Bd.  III,  816.  \ 

®)  Das  frz.  Schäfersp.,  S.  4. 


—     69     — 

sonders  eingehend  mit  dem  französischen  Schäferdrama  be- 
schäftigt, hebt  hervor,  daß  während  der  Blütezeit  des  fran- 
zösischen Scbäferspiels  gerade  der  italienische  Einfluß  dem 
spanischen  weichen  mußtCi  daß  jedoch  die  italienischen  Pasto- 
ralen eines  Tasso  mid  Guarini  zu  bedeutend  gewesen  wären, 
um  nicht  beachtet  zu  werden.  Auch  Dannheisser  führt 
den  Ursprung  der  französischen  Pastorale  auf  italienischen 
Einfluß  zurück;  nur  die  Einführung  eines  neuen  Elementes, 
der  Zauberei,  sei  spanischer  Herkunft.^)  Seiner  Ansicht 
schließt  sich  Birch-Hirschfeld  ^)  an,  während  Lanson  sich 
hierüber  nicht  äußert.  Stiefel  betont  ganz  besonders  den 
Einfluß  Italieus  und  die  große  Anzahl  von  Übersetzungen 
italienischer  Pastoraleu.') 

Groto's  Dieromena  ist  das  erste  italienische  Schäfer- 
drama, welches  von  Brisset  1692  ins  Französische  über- 
tragen wurde.*)  Während  der  erste  französische  Pastoral- 
dichter Montreux,  den  wir  später  noch  kennen  lernen 
werden,  ganz  in  den  Fußstapfen  Montemayor's  wandelt, 
ahmt  Hardy  den  Pastar  fido  Guarini's  nach*);  ebenso  ist  die 
Theorcis  des  P.  Trotterei,  1610,  eine  Nachbildung  des  „treuen 
Hirten".')  In  den  Bergeries  Racan's  finden  sich  stellenweise 
Anklänge  an  die  nämliche  italienische  Pastorale,  nur  ist 
in  der  letzteren  die  Intrigue  viel  feiner.')  Nach  Arnould 
sind  sie  in  Inhalt  und   Stil  Nachahmungen  Boccaccio's  und 


>)  Zur  Gesch.  des  Schäfersp.'s  in  Fr,,  in:  Zßp,  1889,  II,  68:  „Schon 
im  16.  Jahrh,  drängte  sich  die  it.  Fastorale  der  Beachtung  und  Nach- 
ahmung der  Franzosen  auf.^ 

*)  Such.  u.  Birch-H.,  Gesch,,  S.  383. 

»)  ZfSp..  Bd.  XX VL  Ref.  u.  Bez.  1  u.  2,  S.  38:  „Von  1094-1630 
befassen  sich  einige  40  Dichter  mit  der  Pastorale.  Zahlreiche  Über- 
setzuttgen  tourdeti  den  ital.  Past.  von  Grotto,  Ongaro,  Bracciolinij  Bonarelli, 
IsabeÜa  Ändreini  zuteil. 

*)  Blanc,  Bibl.  11,  1305.  Dagegen  gibt  Goujet  (Bibl  fr.,  XIII, 
373)  1595  als  Erscheinungsjahr  an. 

*)  Riga],  Hardy,  S.  ol3ff.;  Weinberg,  Das  frz.  Schäfersp., 
S.  36:  Weinberg  geht  leider  nur  selten  auf  die  Quellenfrage  ein. 

«)  Weinberg,  ibd.,  S.  53;  Parfaict,  Hist,  IV,  151. 

')  Weinberg,  ibd.,  S.  53:  „Bacan  bezeichnet  sich  als  Nachfolger 
GuarinVs.''     Vgl  Dannheisser  (ZfSp.  XI,  75). 


—     70     — 

Sannazaro's.^)  Mairet  hat  den  Stoff,  nicht  aber  die  Form 
seiner  Pastoralen  den  Italienern  abgelauscht.^)  Wichtig  ist 
die  bereits  erwähnte  Übersetzung  der  Filis  de  Sciro  (1607)  *), 
1629  von  Du  Gros,  1630  von  Pichou  übersetzt.*)  Richelieu 
hielt  sie  für  die  richtigste  und  am  besten  komponierte 
Pastorale.*)  Eine  Reihe  von  französischen  Dichtern,  die  sich 
dieser  Literaturgattung  widmen,  halten  streng  an  den  italieni- 
schen Vorbildern  fest.  Zu  dieser  italianisierenden  Richtung 
gehören  besonders  d'UrfS  mit  seiner  Süvanire  (1627),  Rays- 
siguier,  der  Übersetzer  des  <iAniinta*  Marechal,  der  bereits 
erwähnte  du  Gros  und  Baro.*) 

Auch  der  besser  bekannte  Rotrou  schöpft  gerne  die 
Stoffe  zu  seinen  Tragikomödien  und  Schäferspielen  aus  italieni- 
schen Quellen,  wie  Stiefel  eingehend  bewiesen  hat.')  Die 
Pelerine  ammireuse  1634  ist  nachgebildet  der  Peüegrina  des 
G.  Bargagli®);  Rotrou's  ganz  in  der  Manier  der  Pastorale 
sich  bewegende  Tragikomödie  Cdlie  hat  als  Vorbild  OH  duoi 
fratelli  rivali  des  della  Porta  ®) ;  auch  in  seinen  anderen  Stücken 
Füandre,  Clorinde,  Amäie  und  Florismonde  ist  der  italienische 
Einfluß  unverkennbar.^®) 

Von  1638—1650  erscheinen,  wie  Weinberg*^)  bemerkt, 
keine  Schäferspiele  mehr ;  was  dann  folgt,  ist  schon  als  Über- 


»)  Essais,  S.  452. 

«j  Dannheisser,  Z.  Gesch.  d.  drei  Einh.  (ZfSp.  XIV,  S.  S); 
ferner  Birch-H.  {Suchiei'  u.  Birch-H.,  Gesch.,  S.  384):  „Mairets  Sü- 
vanire wird  gedichtet  in  all  der  Strenge,  die  in  dieser  Dichtungsart  bei 
den  Italienern  beobachtet  wurde^. 

>)  Wiese-Pörc,  S.  336. 

*)  Rig:al  (JuUev.,  Hist,  Bd.  IV,  34S):  Dannh.,  Z.  Gesch.  d.  dr.  Einh. 
(Zßp.,  Bd.  XIV,  66):  Übers,  v.  Du  Gros  1628(9).  Lucas  gibt  als  Jahres- 
zahl für  die  Abfassung  v.  Du  Cros*  •La  Fillis»  1629  an.  Auch  Wein- 
berg nimmt  als  Abfassungszeit  1029,  als  Druckjahr  1647  an. 

*)  Birch-H.  {Such.  u.  B.-H.,  Gesch.,  S.  383). 

«)Dannheisser,  Z.  Gesch.  d.  Seh.  {ZfSjh,  Bd.  XI,  85). 

')  Unbekannte  Quellen  Rotrou's  [ZfSp.  1891,  Suppl  V,  Iff'.}. 

«)  Ibd,  S.  4ff. 

»)  Ibd.,  S.  49ff. 

>ö)  Rigal,  in:  JuUev,,  Hist  IV,  348. 

»»)  Das  frz.  Schäfersp.,  S,  136. 


—     71     — 

gaog  zur  Oper  zu  betrachten,  von  welcher  wir  im  folgenden 
Abschnitte  sprechen  werden. 


V.  Die  Oper. 

Die  Oper  im  modernen  Sinne  hat  ihren  Ursprung  in  den 
Residenzen  der  italienischen  Fürsten  des  16.  Jahrhunderts, 
in  den  prunkliebenden  Kreisen  der  florentiner  und  lombardi- 
sehen  Aristokratie,  an  den  Höfen  der  Medici  und  Sforza.^) 
Gegen  Ende  dieses  Jahrhunderts*  tritt  nämlich  die  Musik  in 
Verbindung  mit  der  Lyrik,  indem  Gedichte  Sannazaro's, 
lyrische  Stellen  aus  Ariosto's  Orlando  furioso  und  aus  Tasso 
in  Musik  gesetzt  werden.^  Tragödien  und  Schäferspiele  werden 
mit  Chören  ausgestattet,  die  gesungen  wurden,  Konzerte, 
Ballette  und  allegorische  Darstellung  unter  musikalischer  Be- 
gleitung bildeten  die  Zwischenakte.  So  entstanden  die  Opern 
eines  Pen  und  Monteverde,  welche  bald  über  die  Grenzen 
des  Landes  hinaus  bekannt  wurden.^) 

In  Frankreich  erfolgte  die  Einführung  der  italienischen 
Oper  durch  Mazarin,  der  selber  ein  Italiener  war,  und  welcher 
1642  italienische  Schauspieler  und  Tänzer  nach  Paris  kommen 
ließ.  Diese  spielten  hier  zum  erstenmal  (1645)  eine  Oper  vor 
dem  französischen  Publikum,  welche  teils  gesungen,  teils  vor- 
getragen wurde  und  einige  Ähnlichkeit  mit  dem  bereits  seit  dem 
14.  Jahrhundert  existierenden  Ballett  {ballet  de  cmtr)  hatte.*). 

Es  war  dies  Strozzi's  Festa  teairale  della  finta  paxxa, 
zu  der  Sacrati  die  Musik  geschrieben  hatte.  Zwei  Jahre 
später  ging  eine  zweite  nicht  minder  berühmte  Oper,  der 
Orfeo  Monteverde's,  über  die  Bühne,  ohne  jedoch  einen  großen 
Erfolg  beim  französischen  Publikum  zu  erringen.^) 


»)  Schure,  Eist,  8.  284, 

«)  Wiese-Perc,  Gesch.,  S.  437. 

»)  Schure,  Hist,  S.  234. 

*)  Chonquet,  Eist,  S.  90:  vgl  La  Porte  u.  Chamf,  Dict, 
J,  161;  Nuitter,  Les  orig.,  8.  33;  Vapereau,  S.  1515, 

*)  Chouquet,  /.  c,  8,  92ff,;  La  Harpe,  Cours  de  litt.  I,  6*54; 
«Ce  speetacle  ennuyait  tout  Paris.  Tr^peu  degens  entendaient  V Italien, 
et  presque  personne  ne  savait  la  m\mq\ie.*    Dagegen  behauptet  £ouTy 


—     72     — 

Schon  1646,  also  ein  Jahr  nach  der  Erstanffiihning  der 
Finta  paxxa^  traten  die  Franzosen  mit  regelmäBigen  eonUdüs 
de  mimque,  die  sich  im  Geleise  der  italienischen  Oper  be- 
wegten, hervor,  konnten  aber  mit  der  italienischen  Oper  nicht 
konkurrieren,  auch  nicht  als  diese  neue  französische  Gattung 
in  Cambert  einen  genialen  Schöpfer  und  in  Lully  und  Bameau 
talentvolle  Fortsetzer  fand.^) 

Das  erste  französische  musikalische  Drama,  das  mit  der 
italienischen  Oper  annähernd  verglichen  werden  kann,  ist 
Cambert's  Muse  ingraie,  1669,  deren  Text  von  dem  geschickten 
Perrin  verfaßt  war  und  ein  Pastoralthema  behandelte.^)  Musik 
und  Text  stehen  so  vollständig  unter  italienischem  Einfluß^ 
daß  von  einem  selbständigen  Erstehen  der  franz.  Oper  nicht 
gesprochen  werden  kann.^)  Daher  gibt  auch  La  Porte-Cham- 
fort  bereits  im  18.  Jahrhundert  zu,  daß  die  Franzosen  keine 
eigene  Oper  geschaffen  haben. ^)  Arnould^)  und  Birch- 
Hirschfeld')  bezeichnen  die  italienische  Oper  als  eine 
„italienische  Erfindung".  Proelss  dagegen  nimmt  eine 
WeiterentwickluDg  des  französischen  Balletts  und  der  fran- 
zösischen Ballettmusik  an,  deren  Ergebnis,  unter  Hinzutritt 
italienischen  Einflusses,  die  franz.  Oper  wäre.'')  Demgegenüber 
muß  aber  behauptet  werden,  daß  das  französische  Ballett, 
wie  es  seit  dem  14.  Jahrhundert  bestand,  unter  Katharina 
von  Medici  durch  das  nach  Frankreich  gebrachte  italienische 
Ballett  verdrängt  wurde,  wie  Doumic  nachgewiesen  hat.^) 


(BiM,  it,  I,  263\  da^i  sich  der  Einfluß  des  Orfeo  in  Frankreich  bes.  auf 
dem  Theater f  durch  das  Erstehen  mehrerer  lyrischer  Tragödien  unmittelbar 
bemerkbar  machte. 

^)  Chouquet,  Hlst.j  S.  90  u.  91. 

*)  Nuitter,  Les  arig.y  S.  34  f.,  wo  er  das  Entstehen  der  franz.  Oper 
ausführlich  schildert 

»)  Koestlin,  Gesch.,  S.  222. 

*)  Dict.  dram.  II,  332. 

ö)  Essais,  S.  481. 

•)  Suchier  u.  B.-H.,  Gesch.,  479;  Lanson,  ä»1,  S.  331,  Atm  i, 
berührt  das  Äbhängigkeitsverh.  d.  frz.  Oper  nicht. 

')  Gesch.,  Bd.  II,  Halbband  2,  S.  238. 

")  Kritik  v.  RoUand's  Gesch.  d.  Oper,  Rev.  des  2  Mtmdes,  juiUet, 
1896.  S.  447, 


—     73    — 

Zehn  Jahre  nach  Cambert's  erster  Oper  erfolgte,  wiederum 
nach  dem  Beispiele  Italiens,  die  Gründung  einer  Mnaikakademie, 
tpour  y  reprisenter  et  chanter  en  public  des  operas  et  reprisentaiwne 
en  musique  et  en  vera  franste  pareüles  et  sembUtbke  ä  ceUe  (Pltalie:^.^) 
Lully  brachte  diese  neugeschaflfene  und  staatlich  anerkannte 
Oper  bald  auf  eine  hohe  Stufe,  wenn  er  auch  die  italienische 
Oper  zu  Paris  nicht  verdrängen  konnte.  So  sehr  Lully  in 
seinem  späteren  Leben  seine  eigenen  Wege  ging,  verdankte 
er  doch  seine  ganze  musikalische  Ausbildung  den  Italienern, 
besonders  dem  beriihmten  Caletti,  genannt  Cavalli,  dessen 
Serse  er  in  seiner  Jugend  aufführen  sah.^  Bameau,  der 
zweite  Hauptvertreter  der  französischen  Oper,  ist  ei9  B^ 
wunderer  Fergolese's,  welcher  mit  seiner  Serva  padrona  1746 
einen  ungeheuren  Erfolg  in  Paris  errang.') 

Die  Oper  nahm  überhaupt  im  18.  Jahrhundert  eine  so 
bedeutende  Stellung  unter  den  dramatischen  Genres  ein,  daß 
das  Publikum,  wie  zur  Zeit  der  Erstaufführung  des  Cid,  für 
dieses  oder  jenes  Stück  leidenschaftlich  Partei  ergriff,  und 
daß  literarisch  hervorragende  Männer  in  diesen  Streitigkeiten 
die  Führerrollen  übernahmen.^)  Fast  durchgehends  handelte 
es  sich  hier  um  die  Rivalität  der  sogenannten  französischen 
und  der  italienischen  Oper.  Bereits  1702  begann  der  Streit 
mit  Baguenet's  Parallele  des  Italiens  et  des  Fran^ais,  worin  er 
den  Italienern  den  Vorzug  gibt.^)  Mit  dem  Auftreten  Gluck's 
und  Piccini's,  den  damals  berühmtesten  italienischen  Opem- 
komponisten,  brach  der  Kampf  der  beiden  Sichtungen  heißer 
aus  denn  je.  Bekanntlich  endete  derselbe  mit  dem  Siege  der 
Gluckisten,  der  jedoch  nur  ein  vorübergehender  war.    Denn 


0  Chouquet,  Eist,  S.  102;  ebenso  Koestlin,   Gesch.,  S.  224. 

-)  Koestlin,  Gesch.,  8.  222. 

*)  ProeUs,  Gesch.,  Bd.  IT,  Hbd.  2,  S,  252-,  Chouquet,  ibd., 
S.  134  f.,  bezeichnet  als  Datum  der  Erstaufführung  dieser  Oper  in  Paris 
1746,  durch  die  Truppe  Riccoboni's-,  1752  erschien  eifie  neue  Truppe  aus 
Italien,  welche  einen  dwchschlagcfiden  Erfolg  errang, 

*)  LauBon,  Hist,  S.  643,  sagt  hierüber:  tL'Opera  deoient  au 
18*  sUcle  noire  premÜhre  seine,  La  pompe  du  spectacle,  ks  fnachines, 
les  costumes,  tout  Veclat  de  la  mise  en  scene  flatte  les  yeux  et  amuse  la 
frivolitS  du  public  mondain.» 

»)  Koestlin,  Gesch.,  S.  229, 


—     74    — 

neben  ihm  und  besonders  nach  seinem  Weggange  wurden  mit 
Vorliebe  italienische  Komponisten  zur  Bühne  zugelassen: 
Salieri,  Sacchini,  Paisiello,  Guglielmi,  Cimarosa,  Bianchi,  Frid- 
zeri,  Prati,  Cambini,  Bmni  und  Mengozzi.*)  Im  19.  Jahr- 
hundert treten  die  Namen  eines  Spontini,  Kossini,  Bellini, 
Donizetti  und  Verdi  in  den  Vordergrund  *),  und  sie  bezeichnen 
ebensoviele  Siege  der  italienischen  Oper,  die  schon  längst  ihr 
eigenes  Theater  in  Paris  hatte  und  stets  über  vorzügliche 
Kräfte  verfügte.  Noch  zur  Zeit  des  zweiten  Kaiserreiches 
stand  die  italienische  Oper  in  voller  Blüte,  besonders  weil 
Napoleon  III.  große  Liebe  zur  Musik  hatte.  Cimarosa  und 
Paisiello  waren  seine  Lieblingskomponisten. ^)  In  neuester 
Zeit  brachte  es  Mascagni  allerdings  nur  zu  einem  leichten  Er- 
folge, während  dagegen  den  Franzosen  eine  Reihe  einlieimischer 
Opemdichter  in  Meyerbeer,  Halev}',  A.  Thomas,  Gounod  und 
Bizet  erstand.*) 

In  einer  Geschichte  der  französischen  Oper  darf  die 
komische  Oper  {opera  houffe,  op6ra  comique)  nicht  vergess^i 
werden.  Lenient  nennt  sie  ein  „nationales  Produkt**,  doch 
konstatiert  er  eine  gewisse  Verwandtschaft  mit  der  italieni- 
schen Stegreif komödie.  ^)  Koestlin  sieht  die  Keime  der 
komischen  Oper  (com4die  ä  ariettes)  in  den  Voix  de  viüe.*) 
Besonders  aber  war  es  der  italienische  Opemkomponist  Duni, 
welcher  mehrere  französische  Singspiele  schrieb  und  der  tat- 
sächliche Begründer  des  französischen  Singspiels  ist.  Als  den 
bedeutendsten  Franzosen  in  diesem  Genre  nennt  Koestlin  Gretry, 
welcher  sich  an  italienische  Vorbilder  hält.  Proelss  läßt  die 
komische  Oper  aus  dem  Jahrmarkttheater  hervorgehen,  gibt 
aber  zu,  daß  ihre  Komponisten  die  Italiener  als  Vorbilder 
hatten.'')  Vapereau  endlich  weist  darauf  hin,  daß  die  italieni- 
schen Schauspieler  eine  Truppe  von  cofmdicns  chwitants  in  ihrem 


')  Cbouquet,  Hist,  8.  177f. 

*)  Proelss,  GtBch.,  Bd.  II,  2,  S.  260. 

»)  Chouqnet,  Hist  211,  212. 

*)  Proelss,  QtBch.  II,  2,  S.  261:  Chouquet,  /.  c,  S.  184. 

»)  La  Com.  IT,  163  u.  166. 

•)  Gesch.,  S.  23S. 

')  Gesch.  II  2,  S.  247  u.  252. 


—     7B     — 

Saale  spielen  ließen.^)  Diese  eomSdiens  chantants  müssen  jedoch 
Italiener  gewesen  sein,  da  sie  sonst  schwerlich  von  den  Schau- 
spielern diese  Erlaubnis  erhalten  hätten.  Aus  diesen  Anfangen 
entwickelte  sich  die  Op^a  comique  zu  einem  bedeutenden 
Faktor  im  literarischen  Leben  der  französischen  Hauptstadt.^) 
Mit  Panard,  welcher  neben  Grßtry  als  ihr  hervorragendster 
Librettist  anzusehen  ist,  macht  sie  sich  vom  italienischen 
Einfluß  YÖllig  unabhängig  und  bildet  sich  zu  einer  vor- 
herrschend moralischen  Bühnengattung  aus,  während  sie  vorher, 
hauptsächlich  mit  italienischen  Kräften,  Parodien  und  Vau- 
devilles  aufführte.*) 

Nachdem  wir  im  vorausgehenden  eine  kurze  Übersicht 
des  italienischen  Einflusses  auf  die  Literatur  der  Franzosen 
zu  geben  versucht  haben,  kommen  wir  nun  zum  Hauptteile 
unserer  Abhandlung,  nämlich  zur  Untersuchung  des  Ver- 
hältnisses, in  welchem  Ariosto's  unsterbliches  Epos  zur 
französischen  Literatur,  insbesondere  zum  französischen  Thea- 
ter steht. 

Ariost  in  Frankreich. 

L  Übersetzungen. 

So  beliebt  auch  die  italienische  Sprache  im  16.  und 
17.  Jahrhundert  in  Frankreich  war,  so  blieb  ihre  gründliche 
Kenntnis  immerhin  nur  auf  kleine  Kreise  beschränkt.  Um 
daher  eine  Einsicht  in  die  Meisterwerke  der  italienischen 
Literatur  zu  gewinnen,  mußten  sich  die  weiteren  E^reise  des 
gebildeten  Publikums  mit  Übersetzungen  aus  dem  Italienischen 
behelfen,  von  denen  die  hauptsächlichsten  bereits  eingangs 
erwähnt  wurden.  Was  die  Übersetzungen  betrifft,  welche 
Ariost's  Orlando  furioso  und  seine  minder  bedeutenden  Dich- 
tungen erfuhren,  so  haben  wir  im  Anhange  dieser  'Ab- 
handlung zum  erstenmal  versucht,  ein  vollständiges  Verzeichnis 


»)  Dict,  S.  1507. 

*)  Claris  (t.  e.  Claretie),  Le  Th.  de  la  foire  Saint-Laurent    Kap, 
111,  S.  95. 

«)  Lenient,  La  Com.,  Bd.  IT,  171. 


—     76    — 

der  französischen  Ariost-Übersetzungea  anfzusteUen.  Für  die 
älteren  ÜbersetzuDgen  stehen  uns  du  Yerdier  ^)  und  Goujet  ^) 
zur  Verfügung,  für  die  neueren  machten  Ferrazzi^,  Blanc^) 
und  Quidi  '^)  Zusammenstellungen,  von  denen  jedoch  keine  auch 
nur  annähernd  yoUständig  ist.  Am  lückenhaftesten  ist  die 
Yon  Ferrazzi,  relativ  am  yollständigsten  die  von  Guidi. 


II.  Äriost  in  der  französischen  Lyrik. 

Obwohl  Ariost  in  erster  Linie  Epiker  war,  übte  er  doch, 
einen  ganz  bedeutenden  Einfluß  auf  die  französische  Lyrik, 
insbesondere  des  16.  Jahrhunderts  aus.  Wir  werden  sehen, 
auf  welche  Weise  die  französischen  Lyriker  es  yerstanden 
haben,  einzelne  Stanzen  des  Orlando  auszusuchen  und  sie  in 
geschmeidige  Sonette  zu  verwandeln,  oder  seine  Satiren  oft 
nahezu  wörtlich  nachzubilden. 

Nachdem  der  Orlando  furioso  durch  die  erste  Lyoner 
Übersetzung  von  1543  weiteren  Kreisen  des  gebildeten 
Publikums  zugänglich  gemacht  worden  war,  gewann  er  bald 
einen  allgemeinen  Ruf,  und  die  zahlreichen  Übersetzungen  be- 
zeugen, daß  er  schon  damals  eines  der  meist  verlangten  Bücher 
war.  Besonders  schnell  muß  er  sich  in  Lyoo,  dem  Er- 
scheinuDgsorte  der  ersten  Übersetzung  und  dem  Sitze  einer 
reichen,  blühenden  Kolonie  eingebürgert  haben.  Wir  hören 
bereits  von  der  schöoen  Seilerin  Louise  Lab6  (1526 — 1566), 
daß  sie  den  „Rasenden  Roland^  gelesen,  und  sich  mit  den 
beiden  Heldinnen  des  Epos  Marfisa  und  Bradamante  verglichen 
habe.^)    Taillemont,  gleichfalls  ein  Lyoner  und  ein  bedeutendes 


')  La  Bibl.  de  Du  Verdier,  pass. 

*)  Bibl  frati^,  VII,  345  ff,  —  Weder  du  Verdier's  noch  Goujefs 
Verzeichnis  kann  Amp^iß-ch  auf  Vollständigkeit  erheben,  wie  aus  U7iserer 
Zusammeyistellung  (s.  Anhang)  hervorgeht. 

•)  Bibliogr.  Ariostesca,  S.  172'-176. 

*)  Bibl  it-fr.  II,  1271- 127 ry. 

^)  Annali,  S.  177 ff.  —  Rathery,  Infi.,  S.  95,  erwähni  nur,  daß 
zaJUr.  Übersetzungen  des  Ariost  erschienen  seien. 

«)  Birch-Hirschf.,  Oesch.  d.  frz.  Lit.  d.  16.  Jahrh.,  8.  176; 
ebenso  Laur,  Louise  Labi,  S.  S. 


—    77     — 

Mitglied  der  dortigen  Dichterschule,  in  welcher  eine  „Haupt- 
quelle der  preziösen  Literatur  zu  erkennen  ist**,  bearbeitet, 
wie  wir  später  sehen  werden,  eine  Episode  aus  Ariost. 

Auch  am  Hofe  der  schöngeistigen  Königin  von  Nayarra 
findet  der  Divino  Ariosto  schnell  Anhangt);  wir  wissen  zwar 
nicht,  ob  der  Orl.  fiir.  sich  unter  den  Lieblingsbüchem  Mar^ 
garetens  befand,  aber  wir  wissen,  daß  ihr  Sekretär  Quill. 
Belliard  ein  Buch  lyrischer  Gedichte  verfaßte,  unter  denen 
sich  Nachahmungen  aus  Ariost  befinden.^)  Vielleicht  wählte 
er  gerade  diesen  Dichter  als  Vorbild,  um  einen  Wunsch  seiner 
königlichen  G-ebieterin  zu  erfüllen. 

Bedeutend  aber  wird  Ariost's  Einfluß  erst,  als  die  Dichter 
der  Pleiade  ihre  Tätigkeit  beginnen,  und  die  lyrische  Poesie 
unter  ihnen  eine  Blütenperiode,  wie  kaum  ein  zweites  Mal 
wieder,  erlebt.  Diese  Dichter  der  Ronsard'schen  Schule, 
einschließlich  ihres  Hauptes,  waren  keine  genialen  Schöpfer, 
die  aus  eigenem  Herzensbronnen  ihre  Lieder  hätten  quellen 
lassen  und,  unbekümmert  um  die  Regel  und  Autorität,  sagen 
können,  was  ihre  Brust  bewegte ;  diese  Schüler  der  Renaissance 
brauchten  vor  allem  Vorbilder,  an  die  sie  sich  klammem, 
auf  die  sie  sich  berufen  konnten,  sie  brauchten  StoflF,  der  ihnen 
würdig  genug  schien,  um  in  antike  Verse  gekleidet  zu  werden ; 
und  selbst  da,  wo  ihr  Herz  spricht,  wo  die  Liebe  ihnen  eine 
beredte  Zunge  verleiht,  wagen  sie  es  nicht,  einen  Schritt  allein 
zu  tun,  selbst  da  füllen  sie  ihre  Verse  mit  fremden  Worten 
und  Ideen  aus. 

Die  glühende  Begeisterung  für  Petrarca  und  den  Petrarkis- 
mus  war  bald  verraucht ;  man  merkte  bald,  daß  der  Stoff,  der 
jenen  Dichtem  zugmnde  lag,  einer  Entwicklung  nicht  fähig 
war;  er  mochte  die  lyrischen  Geister  in  ihren  Jugendjahren 
begeistern,  ihnen  den  rechten  Ausdmck  für  die  Form  ihrer 
Lieder  geben,  den  zum  Manne  heraogereiften  Dichter  jedoch 
konnte  Petrarca's  monotoner  Piatonismus  nicht  befriedigen. 

Welche  Fülle  von  Ideen  und  Idealen  bot  dagegen  der 


*)  F 1  a  m  i  n  i ,  Varietä,  S.  265,  bemerkt,  daß  ihn  Franz  I.  in  seineyi 
lyrischen  Versuchen  nachahmte;  doch  erfahren  triV  nichts  Näheres  darüber, 
*)  La  Croix,  Bibl  I,  311. 


—     78     — 

wunderbar  vielseitige  Dichter  des  Orl.  für. !  Mit  welch'  zartem 
Empfinden  schildert  er  nicht  die  Liebe,  die  im  Herzen  seiner 
Mädchengestalten  glüht;  und  wie  lebendig  weiß  er  nicht  uns 
diese  selbst  zu  schildern!  Wie  blaß  und  verschwommen, 
wie  seelenlos  mußte  da  im  Vergleiche  zu  diesen  Heldinnen 
Petrarca's  Laura  erscheinen! 

So  sehen  wir  denn,  wie  die  Pleiade  und  ihre  Epigonen 
erfüllt  sind  von  dem  Geiste,  der  aus  dem  Orlando  weht,  wie 
sie  alle,  die  antik  sein  wollenden  Jünger  Ronsard's,  halben 
Wegs  stehen  bleiben,  um  die  Schätze  aufzulesen,  die  ihnen 
eine  erst  kurz  verflossene  Epoche  anbot,  und  die  das  Alter- 
tum niemals  geben  konnte. 

Als  einen  Vorläufer  der  Pleiade  können  wir  den  eifrigsten 
Schüler  Petrarca's  auf  französischem  Boden,  Meli  in  de 
Saint-Gelais  betrachten;  aber  man  findet  bereits  bei  ihm 
Spuren  Ariost'scher  Nachahmung.  Hören  wir  zuerst,  was 
einzelne  Kritiker  hierüber  sagen. 

Rathery  begnügt  sich  mit  der  Bemerkung,  daß  er  dem 
Ariost  „einige  Stücke^  entlehnt  habe^),  während  Flamini  die 
6.  Elegie  des  italienischen  Dichters  erwähnt,  die  St-Gelais 
nachgeahmt  habe.^)  Wagner  dagegen,  welcher  hauptsächlich 
den  Epiker  St-Gelais  studiert 3),  zählt  zu  diesen  Nach- 
ahmungen das  Gedicht,  welches  I^un  Eslmigement  betitelt  ist  % 
und  jenes,  welches  beginnt  mit  den  Versen: 

<iEt  toy  doulx  vent  faisant  donlx  bruit  en  l'air 
Qui  Varreie  pour  entendre  vies  dicts.> 
Vianey  endlich  bezeichnet   die  6.  und   7.  Elegie   des  Ariost 
als  Vorbilder  von  St-Gelais.*) 

Allgemein  drückt  sich  Morf  aus,  indem  er  sagt,  St-Gelais 
schreibe    Terzinen    auf   der    Spur    Bembo's    und    Ariost's.^) 


1)  Influence,  S.  107. 

*)  SUidi,  S.  265. 

3)  Melin  de  St-Gelays,  S.  127. 

*)  (Euvres  de  Meilin  J,  210;  die  Quelle  ist  dort  (S.  212)  mit  folgefiden 
Worten  angegeben:  *Cecy,  pris  d^AriostOy  est  pour  reciter  sur  U  lutk 
ou  guiterre  avcc  le  chant  qu^on  appeüe  Romaneaquc.» 

»)  Ärioste  et  la  FUiade,  Buü.  ital.  /,  295  ff. 

^)  Gesch.,  S.  53. 


—     79     — 

Ebenso  erwähnen  Birch-Hirschfeld  ^)  und  Bourciez^)  den 
Lyriker  Mellin  nur  allgemein  als  Nachahmer  der  Italiener 
und  der  alten  Klassiker. 

Es  scheint  auch  in  der  Tat,  daß,  außer  den  eben  ge- 
nannten Stellen,  sich  keine  nachweisbaren  Entlehnungen  oder 
Anklänge  an  das  italienische  Epos  bei  Mellin  de  Saint-Gelais 
finden;  wenigstens  führte  uns  unsere  Untersuchung  über  den 
lyrischen  Teil  Saint*Gelais'  zu  diesem  Schlüsse;  der  Epiker 
Saint-Qelais  dagegen  ist,  wie  wir  später  sehen  werden,  ein 
eifriger  Nachahmer  Ariost's. 

Weit  bedeutender  jedoch  ist  die  Einwirkung  Ariost's  auf 
Joachim  Du  Bellay,  neben  Bonsard  das  fähigste  Mitglied 
der  Plejade. 

Pflänzel,  welcher  eine  eingehende  Studie  über  dessen 
Sonett^nsammlung  Olive  (1549)  yeröffentlicht  hat,  findet  in 
derselben  folgende  Einflüsse:  Petrarca,  die  blasoneurs, 
Ariost,  die  neuplatonische  Lehre,  einen  gewissen  christiani- 
sierenden Zug,") 

Von  Ariost  erwähnt  er  nur  eine  Nachahmung ;  allgemein 
sagt  er,  daß  Du  Bellay  ihn  besonders  in  der  Schilderung  der 
sinnlichen  Beize  nachgeahmt  habe.  Pflänzel  kennt  augen- 
scheinlich den  italienischen  Dichter  yiel  zu  wenig,  sonst  hätte 
er  finden  müssen,  daß  Sonette  7,  8,  10,  11,  18,  30,  35  in  der 
Olive  den  Sonetten  23,  7,  17,  12,  8,  10,  2  bei  Ariost  ent- 
sprechen, d.  h.  mehr  oder  minder  frei  übersetzt  sind.  Aber  nicht 
genug :  die  schönsten  Beden,  welche  Ariost  den  Helden  seines 
Epos  in  den  Mund  legt,  yerwendet  Du  Bellay  für  seine  Sonette, 
oder  vielmehr,  er  gießt  sie  in  die  Sonettenform,  die  er  in 
Italien  kennen  gelernt  hatte.  Jene  berühmten  Klagen,  welche 
Bradamante  um  ihren  geliebten  Eoger  anstimmt^),   teilt  Du 


0  Gesch.  der  frz.  Lit  des  16.  Jhr.,  S,  151. 

')  Les  mcsurs  polies^  S.  282,  wo  besonders  der  ital.  Einfl.  auf  die 
Sprache  des  Dichters  hervorgehoben  wird. 

")  Über  die  Sonette  des  J.  Du  Bellay  S.  28 ff.  —  An  Ariost 
(C.  JX,  67)  erinnert  Sonett  14:  die  Beize  Olivens  sind  ähnlich  geschildert 
wie  die  Schönheit  der  Ariosf sehen  Olimpia. 

*)  Orl  für.  C.  XXXII,  st.  18—26,  C.  XLIV,  st.  41-48  u.  61—65; 
C.  XLV,  St.  26—40. 


—    80    — 

Bellay  für  seine  Zwecke  in  drei  Teile  ein,  d.  h.  er  bildet 
daraus  drei  Sonette.  Roland's  Klagen  bei  der  Nachricht, 
daß  Angelika  mit  Medor  Liebesschwüre  getauscht,  werden 
bei  Da  Bellay  in  zwei  Sonetten  wiedergegeben^);  ein  Sonett 
behandelt  Sacripant's  Klage  über  die  untreue  Angelika's.*) 
Die  Schönheiten  seiner  Geliebten  Olive  weiß  der  französische 
Dichter  mit  keinen  anderen  Worten  besser  zu  preisen,  als  mit 
denen,  welche  Ariost  gebraucht,  um  Alcinens  Reize  zu  schildern, 
mit  denen  sie  Ruggiero  zu  betören  sucht.*)  Wir  können  hier 
auf  eine  nähere  Yergleichung  der  beiden  Dichter  nicht  ein- 
gehen, doch  wollen  wir  nach  Yianey  eine  Zusammenstellung 
derjenigen  Sonette  der  Olive  geben,  welche  unverkennbar  ihren 
Ursprung  in  Ariost's  Baseftdem  Roland  haben*): 

Olive:  Son.  25«^)  =  Orl  für.:  C.  XLIV,  61—62 
S.  39  =  „  „  C.  XLIV,  63—64 
S.  29  =         „       „       C.  II,  65—66 


*)  Orl.  für.,  a  XXIII,  st  108-109;  st.  128—129. 
«)  Son.  25;  dessen  1.  Strophe  lautet: 

*Ie  ne  croy  point,  veu  le  dtieil  que  ie  meine 

Pour  Vapre  ardeiir  d^une  flamme  subHlej 

Que  mon  cell  feust  en  larmes  si  fertüe, 

Si  n^eusse  au  chef  d^eau  vive  une  fontaine»  etc. 
■)  Orl  für.,  C.  VII,  12  ff.    Daneben  wird  auch  Ariosfs  prächtige 
Schilderung  von  OUmpia^s  köfperlichen  Reizen  gerne  nachgeahmt;  s.  Orl. 
für.,  C.  XI,  57  ff. 

*)  Bull.  ital.  L  293. 

'')  Die  ersten  vier  Verse  des  Sonetts  25  lauten: 

•Me  soit  amour  ou  rüde,  ou  favorable, 

Ou  fuiult,  ou  bas  me  pousse  la  fortune^ 

Tout  ce  qu'au  coeur  ie  sens  pour  Vamour  d^me 

Jusq^ä  la  mort,  et  plus,  sera  durahle.» 
Vgl.  Orl.  f.,  C.  XLIV,  61,  2—5: 

•  0  siami  Amor  benigno,  o  m'usi  orgoglio, 
0  me  Fortuna  in  alto  o  in  bmso  ruote; 
Immobil  son  di  ve^'a  fedes  coglio.» 

Oder,  um  ein  anderes  Beispiel  zu  wählen,  Sonett  97: 

•  Qui  a  peu  voir  la  matinale  rose 
Dune  liqueur  Celeste  emmieUee 
Quand  sa  rougeur  de  blanc  entremeslie 
Sur  le  naif  de  sa  branche  repose*  etc. 

Vgl  Orl  f.,  C.  I,  St.  42,  43. 


—    81     — 

Olive:  8.  47  =  Orl  für.:  C.  XXXIII,  63—64 

S.  31  =  „  „  C.  XLV,  37—39 

S.  37  —  „  „  C.  XXXII,  20—21 

S.  25  =  „  „  C.  XXni,  125—126 

8.  42  =  „  „  C.  XXIII,  127 

S.  97  —  „  „  C.  I,  42—43 

S.  91  =  „  „  C.  VII,  11—14. 

Ziehen  wir  außerdem  in  Betracht,  daß  der  Dichter  der 
Olive  außer  Ariost  noch  dreißig  andere  italienische  Lyriker 
ausplündert^),  dann  bleibt  nicht  mehr  viel  für  Fetrarca's 
Nachahmung  übrig.  Wir  müssen  daher  die  Meinung  einer 
Anzahl  yon  Forschern,  welche  in  der  Olive  ausschließlich  eine 
Nachahmung  Petrarca's  sehen,  entschieden  als  irrtümlich  zu- 
rückweisen. 

Während  nämlich  Sainte-Beuye  von  einem  italienischen 
Einfluß  bei  Du  Bellay  überhaupt  nichts  zu  wissen  scheint^, 
erwähnen  St.  Marc-Girardin*),  Lanson*),  Pellissier*), 
ja  selbst  noch  Morf  •)  und  Birch-Hirschfeld  ')  nur  Petrarka  als 
Vorbild  für  die  Olive.  Auch  in  den  Antiquitez  de  Rmne  und 
in  den  Begrets,  die  gewöhnlich  als  Ausfluß  persönlichster  Ge- 
fühle betrachtet  werden,  finden  sich  Anklänge  an  Ariost, 
xmd  zwar  an  dessen  Satiren,  wie  Vianey  nachgewiesen  hat; 
Alcina  und  Ruggiero  werden  in  den  Begrets  in  den  So- 
netten LXXXVII — XC  genannt^);  in  dem  berühmten  Sonett 


^)  Vianey,  Les  sourcea  itcU.  de  V Olive  {Annales  internationales 
d/Hist,  Congrss  de  Baris,  1900.  P.  1901.    S,  73 ff.) 

*)  Le  16*  siecle,  S.  70-80. 

»)  Tableau,  S.  70. 

*)  Hist,  S.  281  ff. 

*)  B(ynsard  et  la  PUiade  {Eist.,  p.  p.  Jullev.  Bd.  III,  192):  *Tous 
{ses  sonnets)  s'inspirent,  fond  et  forme,  du  chantre  de  Laure.» 

*)  Oesch.,  S,  163.  „Olive,  eine  Sonettdichtung  nach  dem  Muster 
Petrarkas.'' 

')  Suchier  u.  B.-Hirschf.,  Gesch.,  S.  347:  Die  Sonette  in  der 
Olive  sind  freie  Übertragungen  aus  Petrarca^ s  •Canzoniere»  und  Nach' 
ahmungen  des  Meisters. 

^)  Vgl.  die  letzten  drei  Verse  von  Sonett  LXXXVII: 
•Bref,  ie  ne  suis  plus  rien  qu^un  vieil  tronc  anime, 

Mänchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.    XXXIY.    ^  « 


—    82    — 

CXXTX,  wo  er  das  Ende  seiner  Verbannung  begröBt,  bedient 
er  sich  jener  zwei  Stanzen,  in  denen  Ariost  das  Ende  seines 
Epos  ankündigt;  wir  wollen  beide  Stellen  zum  Vergleiche 
anführen : 

Du  Bellay: 

«Je  voy  (Dilliers)  je  voy  sei'ener  la  tempeste, 
Je  voy  le  t^ieil  Prote  son  troj^)eau  renfej-nier, 
Je  voy  le  verd  Triion  a^lgäier  sur  la  mer, 
Et  voy  PAsire  jumeau  fla^nhoier  sur  ma  teste: 

Ja  le  vent  favorable  d  mon  retour  s'appreste, 

Ja  vers  le  front  du  port  je  commence  d  ramer. 

Et  voy  ja  tatU  d'amis,  que  ne  les  puis  nomnier, 

Tendant  les  hras  veis  nioy,  sur  le  bord  faire  feste: 

Je  voy  nion  grand  Ronsard,  je  le  eognais  d^iei, 
Je  voy  mon  eher  Morel,  et  mon  Dorat  atissi, 
Je  voy  mon  Delahaie,  et  mon  Paaohal  encore: 

Et  voy  un  peu  plus  hin  (si  je  ne  suis  deeeu) 
Mon  divin  Mauleon,  duquel  sans  Pavotr  veu, 
La  grace,  le  s^avoir^  et  la  vevtu  j'adore. 

Ariost,  Orl.  für.,  C.  XLVI,  st.  2  u.  3: 
<cSento  venir  per  allegrexxa  un  tuono, 
Che  freyner  Varia  e  rimbombar  fa  Vonde, 
Odo  di  squiüe,  odo  di  trombe  un  suono, 
Che  Palto  populär  grido  confonde, 
Or  comineio  a  discemere  cki  sono 
Questij  dCempion  del  porto  ambe  le  sponde. 
Par  die  tuiti  s^allegritio,  cVio  sia 
Venuto  a  fin  di  cosi  lunga  via. 


Qui  8€  plaint  de  se  voir  ä  ce  bord  transformi^ 
Comme  le  myrte  Anglois  au  riuage  d^Älcitie,» 
Ebemo  San.  LXXXVIIl   Vers  4—8: 

•Qui  ni'estreindra  le  doigt  de  l'anneau  de  Melisse, 
Pour  me  desenchanter  comme  un  autre  Roger?»  etc. 
Ferner  Son,  XC  Vers  8,  wo  die  alten  Zauberinnen  u.  die  bösen 
Sieben  „Alcinea"*  genannt  werden. 


--     83     ^ 

Oh  de  che  beüe,  e  sagge  donne  veggio, 
Oh  de  che  CavcUieri  il  liio  aäomo! 
Oh  de  ch*amiei,  a  chi  in  eierno  deggio, 
Per  la  letixia,  ch^han  del  mio  retomof 
Mamma,  e  Oinevra,  e  Valtre  da  Coreggio 
Veggo  del  molo  in  miW  oftremo  carno, 
Veronica  da  Oambera  e  con  loro, 
Si  grata  a  Feto,  e  al  santo  Aonio  coro.* 

Wir  sehen  hier,  wie  Du  Bellay  nahezu  Vers  für  Vers 
seinem  Vorbilde  folgt,  wir  bemerken  zugleich  den  häufigen 
Gebrauch  mythologischer  Anspielung  bei  dem  französischen 
Dichter,  den  wir  als  eine  charakteristische  Eigentümlichkeit 
der  Pleiade  ansehen  können*^) 

In  den  Aniiquitez  de  Bome^  deren  Quellen  neben  einigen 
lateinischen  Dichtem  besonders  Castiglione,  Guidiccioni  und 
Ariost  sind,  kommt  für  unsere  Untersuchung  namentlich  Sonett 
14  in  Betracht,  das  eme  Nachbildung  Ton  Orl  für,  0.  XXXVII, 
80  und  110  ist.«) 

/  Da  Du  Bellay  bereits  die  schönsten  lyrischen  Stellen  aus 
dem  „Basenden  Roland^  in  seine  Sonette  herübergenommen 
hatte,  konnten  die  nachfolgenden  Dichter  nicht  mehr  viel 
Neues  in  ihm  entdecken;  doch  gehen  auch  sie  noch  oft  auf 


^)  Morf,   Gesch.,  8,  16.%  bezeichnet  als  Vorbilder  Du  BeUay's  in 
diesen  beiden  Sammlungen  Navagero,  Sannazar  und  Castiglione,  dagegen 
nicht  Ariost     Suchier-Birch-H.,   Oesch.  352,  scheint  sie  für  unab- 
hängig von  ital,  Einfluß  zu  halten.  —  Von  der  Art,  wie  Du  Bellay  den 
ferraresischen  Dichter  in  den  Eegrets  nachahmt j  sagt  Vianey  in  dem 
Bulletin  Italien  {t  IV,  fasc.  1,  S,  47) :  •ll  ne  copie  jamais  VArioste,  sans 
doute:  mais  ü  a  sa  malice,  et  son  äpreti,  sa  ligne  precise  et  son  coloris 
discrety  son  art  d^enfermer  un  grand  sujet  dam  un  petit  cadre.» 
*)      *Comme  on  passe  en  este  le  torrent  sans  danger ^ 
Qui  souloit  en  hyver  estre  roy  de  la  plaine, 
Et  ravir  par  les  champs  d^utie  fuite  hautaine 
L'espoir  du  laboureur,  et  Vespoir  du  berger»  etc. 

Vgl.  Orl.  /•.,  C.  37,  st.  110: 

*Come  torrente  che  superbo  faccia 

Lunga  pioggia  talvolta  o  nievi  sdoltej»,  etc. 

6* 


-^     84    ~ 

diese  Quelle  zurück,  so  Eonsard  im  I.  Teile  dar  Amaurs  de 
Cassandre,  Sonette  183^)  und  192.«) 

Wo  Ronsard  die  Reize  seiner  Kassandra  schildert^  schwebt 
ihm  Ariost's  Beschreibung  von  Alcina  und  Olympia  Tor. 
Manchmal  ist  es  unmöglich,  festzustellen,  ob  Ronsard  Du 
Bellay  oder  Ariost  unmittelbar  nachgeahmt  hat,  so  beim  Liede 
welches  beginnt  mit  den  Worten: 

tLasf  je  n^eusse  jamais  pense>, 

welches  sich  bereits  bei  Du  Bellay  ganz  ähnlich  vorfindet 
(Sonett  35),  und  welches  auf  Orl.  für.  C.  XLIV,  61—62  zu- 
rückgeht.*) 

ßai'f,  der  in  seinen  epischen  Versuchen  einer  der  glück- 
lichsten Ariostnachahmer  ist,  greift  auch  in  seinen  lyrischen 
Gedichten  auf  den  Orl.  für,  zurück.  Gerade  so  wie  Ronsard 
seine  Cassandre,  so  besingt  Baif  seine  Miline  und  später 
seine  Francinej  indem  er  sie  mit  der  Schönheit  einer  Alcina 
und  Olympia  ausstattet.  Das  Gedicht  Dieu  garde  le  hois^) 
enthält  z.  B.  eine  besonders  lange  Beschreibung  Mßline's, 
die  der  Hauptsache  nach  Ariost's  „Rasendem  Roland'*  ent- 
lehnt ist;   wenn  er  sagt,  seine  Geliebte  habe  eine  Nase,    €oü 


*)      *Son  chef  est  d'or,  son  front  est  un  tableau 

Qu  je  voy  peint  le  gain  de  mon  domniage; 

Belle  est  sa  mainy  qui  me  fait  devant  öge 

Changer  de  teint^  de  cheveux  et  de  peau»  etc. 
Vgl.  O.  für.,  C.  VIJ,  12. 
•)      *Q^iand  le  grand  etil  dans  les  Jumeaux  arrive, 

Un  jour  plus  doux  serena  Vunivers, 

D^espies  crestez  ondoyent  les  champs  vers, 

Et  de  coideurs  se  peinture  In  rive»  etc. 
Vgl.  0.  für.,  C.  XVI,  68. 

*)  Das  Lied   ist  nach  jenem  Briefe,   dai  Bradamante  an  Boger 
sendet j  gedichtet.    Die  erste  Strophe  lautet: 

•Las  je  n'eusse  jamais  pensS, 

Dame  qui  caxises  ma  languenr^ 

De  voir  ainsi  ricompensi 

Mon  Service  d'une  riguenrj 

Et  quen  Heu  de  me  secourir 

Ta  a-iuiiite  m^eust  fait  mourir.»    {(Euvr.  de  Rons.,  S.  81.) 
*)  (Eueres  de  Baxf  {p.  p.  Marty-Lav.)  t.  I,  S.  6S. 


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Venvie  ne  irotae  rien  ä  reprendre^,  so  entlehnt  er  diesen  Vorzug 

der  Alcina  des  Ariost: 

tQuindi  ü  naso  per  mexxo  il  viso  scende, 
Che  nori  trova  rinvidia  ove  Vemende^  ^). 

Von  den  Hüften  M^line's  rühmt  er,  sie  seien  faits  au  toutj 
wobei  er  sicherlich  an  Olympia  denkt,  yon  deren  fianchi .  . .  e 
coscie  Ariost  sagt:  tPareano  fatti Da  Fidia  a  iomo.^) 

In  den  Diverses  Amours  übersetzt  er  jene  schlüpfrige 
Elegie  6,  wo  Ariost  der  Nacht  dankt,  daß  sie  seiner  Liebe 
günstig  gewesen,  und  Elegie  7,  wo  die  Nacht  vom  Dichter 
verwünscht  wird,  weil  sie  zu  hell  geblieben  sei.*) 

Die  erstere  der  beiden  Elegien  Ariost's  findet  sich  auch 
bei  Bemy  Belleau*),  der  ebenfalls  als  ein  Nachahmer  des 
Italieners  zu  bezeichnen  ist,  wenn  er  auch  in  erster  Linie 
sich  yon  den  bemesken  Dichtem  beeinflussen  läßt.  In  der 
premiere  jouniee  de  Ja  Bergerie  zitiert  Vianey  eine  Stelle, 
welche  die  bereits  erwähnten  Klagen  Bradamante's  para- 
phrasiert  ^) ;  allerdings  könnte  auch  Du  ßellay's  Olive  (Son.  27) 
ihm  als  Quelle  gedient  haben,  die  aber  selber  wieder  auf 
Ariost  zurückgeht. 

Zu  den  Jüngern  der  Fleiade,  und  zu  den  ersten  französi- 
schen Sonettisten  dieser  Schule  gehört  Olivier  deMagny, 
dessen  Muster  und  Vorbild  in  Sannazar  zu  suchen  ist.^)  In 
seinen  Sot^pirs  machen  sich  auch  Spuren  Ariost'scher  Lyrik 
bemerkbar.  Die  Sonette  35  und  91  ')  sind  freie  ÜbiBrsetzungen 
der  Sonette  10  und  12  Ariost's.     Sonett  17,  welches  das  Lob 


>)  Orl  für.  0.  YIl,  12. 

»)  Ihd.  C.  XI,  69. 

»I  Ed.  Marty-Laveaux  /,  SSO. 

*)  Ed.  Marty-Lav.  /,  ISO. 

»)  Buü.  ital  2901, 1,  274.  Die  Stelle  findet  sich  in  B.  Beüeau's  (Euvres, 
{p.  p.  Mart.-Lav.  J,  256);  sie  entspricht  Orl.  für.  XXX IT,  21. 

•)  Favre  geht  in  seinem  Olivier  de  Magny  auf  eine  Quelleti- 
ttnter stichung  nicht  ein. 

')  Siehe  Vianey,  L'Arioste  et  la  FlHade.  Bullet,  ital.  1901,  t.  i, 
295 ff,  —  Eine  ausführliche  Beschreibung  V07i  Magny's  Aufenthalt  in 
Italien  findet  sich  in  der  Vorrede  von  Courbet's  Ausgabe  der  Oden 
V.  Ol.  d.  Magny,  S.  XXIV ff. 


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der  Treue  singt,  ist  dem  Anfang  des  XXI.  Gesanges  (St.  1 
u.  2)  im  „Roland"  entlehnt.^) 

Der  galante  Abbfi  und  Hofdichter  Ph.  Desportes,  be- 
kannt als  Verfasser  eines  Roland  furieux,  eines  3£ort  de  Bodo- 
7no7it  etc.,  hat  sich  den  Ruf  eines  großen  Plagiators  erworben, 
unter  den  ausnahmslos  italienischen  Nachahmungen  befindet 
sich*  sein  oft  zitiertes  Gedicht  Contre  une  nuid  trop  daire  *),  das 
eine  Übersetzung  der*  bereits  mehrfach  behandelten  siebenten 
Elegie  Ariost's  ist. 

Als  einer  der  letzten  Vertreter  der  Ronsard'schen  Schule 
ist  der  Satiriker  J.  Vauquelin  de  la  Fresnaye  zu  be- 
zeichnen, der  erst  in  neuester  Zeit  eine  gebührende  Wür- 
digung erfahren  hat.  Ste.-Beuve  erwähnt  ihn  nur  vorüber- 
gehend.^) St.  Marc-Girardin  und  Nisard  übergehen  ihn  mit 
Stillschweigen,  während  Darmesteter  und  Hatzfeld  ihn  nur  als 
Nachahmer  von  Horaz  kennen.*) 

Erst  Lemercier  unterzieht  seine  Satiren  einer  eingehenden 
Quellenuntersuchung,  die  ein  sehr  überraschendes  Resultat 
ergibt.^)  Seine  Satiren  sind  nämlich  zum  großen  Teile  nur 
Übertragungen  aus  Sansovino's  Sammlung  Seite  libri  di  Satire 
(1560),  in  welcher  Vauquelin  auch  Ariost's  Satiren  fand;  in 
der  Vorrede  sagt  er  aDerdings:  €VÄrioste  qne  fay  pareWevient 


*)  Ne  fune  intorto  credero  che  stringa 

Soma  cosij  nl  co^  legno  chiodo,  - 
Come  la  fe  ch'una  beUa  alma  cinga 
Del  8U0  tenace  indisaolvhil  nodo. 
K^  dagli  aniiqui  par  che  8%  dipinga 
La  Santa  Fh  vestita  in  altro  modo^ 
Che  (i'wn  vel  hianco  che  la  cuopra  tutta; 
CKun  8ol  punto,  un  8ol  neo  la  pm  far  brutto. 
*)  S.  Flamini,   Studio  S.  431—441.    Neben  Desportes  erwähnt  er 
Gilles  Durand,   der  denselben  Gegenstand  nachahmte.    Im  2,  Buche 
der  »Diane»  {Son.  63)  schildert  er  die  Beize  seiner  Geliebten  nach  Anosfs 
Beschr.  v.  Olympia  u.  Alcina  (p.  p.  Michiels,  S.  lOS). 
')  La  poeMe  fr.  du  16^  siecle,  S.  112. 

*)  Le  16 f  stiele,  S.  143.  Auch  Lanson,  Rist,  S.  340,  encähnt 
nichts  von  einem  ital.  Einfl.  auf  den  Satiriker,  Suchier  «.  Birch-Hirschf. 
erwähnen  ihn  zwar  im  Index.,  wo  auf  Seite  357  verwiesen  wird,  doch 
ist  er  dort  nicht  genannt. 

*)  Etudes  sur  Vauqtielin  etc.,  S.  189  ff. 


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9uwi  en  quelques  unes  de  mes  Saures»;  doch  geht  daraus  nicht 
herror,  daß  er,  wie  es  tatsächlich  der  Fall  ist,  fünf  yod  den 
sieben  Satiren  des  Ariost  gans  oder  teilweise  übersetzt  hat: 

1)  Sat.  II,  3,  an  d'Anberrüle  gerichtet  =  Ariost:  Sat.  3. 
Teilweise  ist  sie  fast  wörtlich  übersetzt. 

2)  Sat.  III,  2,  an  J.  de  Morel  =  Ar.,  Sat.  4,  an  Sig.  Malag. 

3)  Sat.  II,  8,  an  M.  Le  BJanc  =  Ar.,  Sat.  6  (über  die 
Frauen  u.  d.  Ehe),  an  Ant.  Malag. 

4)  Sat.  II,  3,  an  M.  de  Perron  =  Anfitng  ▼.  Ar.,  Sat.  6 
(gegen  die  Humanisten),  an  P.  Bembo. 

5)  Sat  I,  3,  an  M.  de  Piron  =  Ar.,  Sat.  7.  Vauquelin 
(Satire  I,  3)  ftLrchtet  sich  nach  Paris  zu  gehen  und  gibt  dafür 
nahezu  dieselben  Gründe  an,  wie  Ariost  für  seine  Weigerung, 
sich  nach  Born  zu  begeben.^) 

Die  Faresteries,  eine  Jugendarbeit  nach  dem  Muster  der 
Arcadia  Sannaxaro^s,  weist  eine  Stelle  auf,  die  uuTerkennbar 
den  Stempel  der  farbenglühenden  Sprache  Ariost's  trägt  ^) ;  es 
ist  dies  die  Idylle,  welche  Ä  sa  Ninfe  betitelt  ist.*)  Die  Be- 
schreibung der  Schönheit  dieser  Nymphe  ist  eine  Nachbildung 
der  schon  mehrmals  erwähnten  Schilderung  Alcina's  und 
Olympia's.*) 

Endlich    spendet  Yauquelin    in    dem   Art  poeiique    dem 
Dichter  des  „Rasenden  Roland"  ein  hohes  Lob: 
Pitts  hardiment  a  pris  les  gestes  hasard&ux 
De  tios  vieux  paladins  eannus  par  taut  le  monde, 
Ei  des  preux  Chevaliers  de  nostre  Table  Ronde.^) 

Auch  der  bedeut^adste  Satiriker  dieser  Zeit,  Math. 
Signier,  schöpft  ebenso  gerne  aus  den  Italienem  wie  aus 
Horaz.    Lanson  bezeichnet  Bemi,  Caporali  und  Aretino  als 


*)  Fl  amini,  Shtdi  311—316  erwähnt  einen  gewissen  in  Paris 
lebenden  Simeoni,  welcher  die  Satiren  Arioifs  nachahmte;  doch  sind 
nur  einige  seiner  Schriften  bis  jetzt  gedruckt  worden.  —  Nach  Le- 
meroier's  ürteü  (/.  c,  S.  267)  gelang  es  Vauqy/slin  nichts  den  feinen 
Spott  des  Italieners  zu  erreichen. 

«)  31orf,  Gesch.,  S.  176. 

3)  IL  Teil,  2.  San. 

*)  Orl  für.,  C.  VII,  12 f.  u.  C.  XI,  76f. 

»)  Kap.  II,  Vers  902—904. 


—     88    — 

seine  itaUenischen  Vorbilder^);  Birch-Hirschfeld  flibrt  eben- 
falls nur  Berni  und  Aretino  an  ^) ;  Petit  de  JuUeville  dagegen 
erwähnt  außerdem  noch  Mauro.^)  Keiner  von  ihnen  scheint 
von  den  zwei  Stellen  in  BSgnier's  Satiren  zu  wissen,  die 
aus  Ariost  übersetzt  sind;  sie  zeigen,  daß  der  französische 
Dichter  die  Satiren  Ariost's  zum  mindesten  kannte.  Die 
beiden  fraglichen  Stellen  sind: 

1)  R6gnier,  Sat.  III,  173—180  =  Ariost,  Sat  I,  154 
— 165  (an  Galasso  Ariosto). 

2)  R6gnier,  Sat.  II,  40—42  =  Ariosto  Sat.  II,  88—90 
(an  Aless.  Ariosto  u.  an  S.  Bagno).  Als  Beispiel  geben  wir 
diese  letztere  Entlehnung  R6gnier's: 

R6gnier,  Sat.  II,  40—42: 

« Cest  qiie  la  pauirete  conime  moy  les  affole. 
Et  que  grace  ä  DieUf  Phcßinis  et  son  troupeau, 
Nous  n'evsmes  sur  le  dos  iamais  un  hon  mantean,^ 

Ariost,  Sat.  n,  88—90: 

€  Apollo,  tua  nwccy  ttm  merce,  santo 
CoUegio  della  Muse,  io  non  possiedo 
Tanto  per  roi,  ch!w  possa  farmi  un  manto,^ 
Mit  dem  Erbleichen  des  Pleiadengestirnes  endete  auch 
die  kurze  Blütezeit  der  französischen  Renaissancelyrik.     Ver- 
gebens suchte  Malherbe  ihr  neues  Leben  einzuhauchen,  ver- 
gebens wies  er  auf  Rom  und  Griechenland   hin;   es  waren 
falsche  Wege,   die   er  seinen  Landsleuten  zeigte.     So  sehen 
wir  auch,  wie  Ariost  nicht  weiter  mehr  mit  dem  Zauber  seiner 
Sprache,  mit  der  Farbenpracht  seiner  Bilder  und  der  Innig- 
keit seiner  Gefühle  den  Geist  der  jugendlichen  Lyriker  Frank- 
reichs fesselt  und  ihnen  nicht  mehr  die  zahlreichen  Liebes- 
sonette einflößt,   durch  die  ihre  Namen  unsterblich  wurden« 

III.  Ariost  im  französischen  Epos. 

Wir  behandeln  in  diesem  Abschnitte  zugleich  auch  das 
Epos  in  ungebundener  Sprache,  der  Erzählung,  und  beginnen 


>)  Hist,  S.  341. 

«)  Such.  a.  Birch-H.,  Gesch.,  S.  378. 

')  Eist.  IV,  32. 


—    89    — 

mit  dem  originellsten  Erzähler  des  16,  Jahrhunderts,  mit 
Rabelais,  welcher,  wie  wir  bereits  gehört  haben,  eine  um- 
fassende Kenntnis  der  italienischen  Literatur  besaß,  und  der 
auch  Ariost's  OrL  für.  gelesen  und  in  seinen  Oargantua  und 
Pantagruä  mehrmals  verwertet  hatte.  Vor  allem  ist  es  die 
berühmte  Sturmscene  (Pantagruel,  livre  IV,  chap.  XVIII  ff.)  ^)j 
zu  der  eine  Episode  im  Orl.  für.  Anlaß  gegeben  hat  (Orl. 
für,  C.  XI,  st.  37,  38).  Ferner,  wie  Ariost,  so  yerwünscht  auch 
Rabelais  die  Erfindung  des  Pulvers.*)  Panurge's  Gestalt  er- 
innert an  den  Brunei  des  III.  G-esanges  im  „Rasenden 
Roland".  Für  seine  Reise  in  den  Mond  ist  das  Vorbild  in 
AstolPs  Mondreise  zu  suchen.  Endlich  geht  die  Beschreibung 
der  Abtei  Th^l^me  auf  die  unvergleichliche  Schilderung,  der 
Zauberinsel  Alcinen's  zurück.  Auch  Rabelais'  Ansichten  über 
die  Ehe  enthalten  Andeutungen  an  die  Satiren  Ariost's. 

Bald  nach  der  ersten  Übersetzung  des  OrL  für.  ins  Fran- 
zösische, versuchte  Berengerde  laTour  eine  der  schönsten 
Episoden  daraus  frei  nachzuahmen  (24.  Gesang :  Isabelle  und 
Zerbin),  die  1558  unter  dem  Titel  PAmie  des  Amies  erschien.^ 
Goujet,  von  dem  wir  allein  ein  Urteil  über  diese  Nachahmung 
haben,  stellt  sie  über  Desportes' '  Boland  furifux.^) 

Das  Jahr  1572  ist  für  die  französische  Epik  bedeutungs- 
voll, weil  damals  Ronsard's  Frandade  erschien.  Von  den  meisten 
Forschem  wird  Vergil  oder  Ovid  als  Hauptquelle  und  Vorbild 
des  französischen  Epikers  angegeben.  Mit  Unrecht;  denn  Ronsard 
ahmt  mit  Vorliebe  einen  obskuren  alexandrinischen  Dichter, 
Apollonius,  der  eine  Argonautica  verfaßte,  nach  und 
übersetzt  ihn,  weil  dieser  in  der  Beschreibung  ganz  besonders 
glänzende  Partien  aufzuweisen  hatte.*)    Seine  Bewunderung  für 


*)  Kap.  18:  Coniment  Pantagruel  evada  une  forte  tempeste  en  mer. 

')  Pantagruel^  Livre  IV.  eh.  LXII:  *Comment  Gaster  inventoyt 
art  et  moycn  de  non  estre  hless4.  ni  touchS  par  conpz  de  canon.» 

')  Vollst  Titel:  L'amie  des  amieSj  imitation  de  VArioste,  divis6e  en 
4livres  par  Berenger  de  la  Tour.,  Lyoti.  15oS^  8^.  —  Vgl.  La  CroiXj 
Bibl  J,  TT. 

*)  Bibl.  fr.  Vlfj  359:  "Les  vers  ont  un  totir  plus  aisi  et  plus 
naturel  que  ceux  de  .  .  ,  Ph.  Desportes.»  —  Das  Gedicht  ist  in  Zehn- 
Mlbern  abgefafit. 

•)  Vian6y,  L'ArionU  et  la  Pleiade,  Bull.  ital.  I,  305. 


—    90    — 

den  sp&tgriecbischen  Dichter  war  jedoch  nicht  so  einseitig, 
daß  er  nicht  anch  nach  anderen  Quellen  sich  umgesehen 
hätte.  Die  wichtigste  dieser  sekundären  Quellen  ist  der 
OrL  für.,  den  er  bereits  in  drei  kleineren,  vor  der  Fran- 
ciade  erschienenen,  epischen  Erzählungen  stofflich  benützt 
hatte,  nämlich 

1)  In  V Hymne  de  la  Lau  et  de  Zethes,  wo  die  Senapes* 
Episode  zweifellos  einen  Einfluß  der  HarpyenerzähluDg  im 
Sri.  für.  (C.  XXXm,  108  ff.)  aufweist.*) 

2)  Im  Poenis  d'OrpMe^),  in  welchem  die  Geschichte  von 
EIeurd6pine  und  Richarde  (Fiordiligi  und  Ricciardetto)  teil- 
weise nachgeahmt  ist^);  teilweise  übersetzt  ist  sie  in  der  Er- 
zählung von  Iphi9, 

3)  Im  Hymne  de  Pollttx  et  de  Caaior,  insofern  der  Zwei- 
kampf zwischen  PoUux  und  Amycus  ao  verschiedeDe  Episoden 
im  Orl.  für,  erinnern,  in  denen  Ariost  mit  einer  etwas  er- 
müdenden Monotonie  Zweikämpfe  seiner  Helden  schildert^) 


»)  (Euvres  de  Ronsard  (p.  p.  Blanchem,)  V,  19-^2.   Vgl.  z.  B.  dae 
Erscheinen  der  Harpyen  an  der  Tafel  des  Senapes  bei  beiden  Dichtem: 
Rons.,  ibd.,  S.  40  u.  Orl  für,  C.  XXXIU,  st.  119  «.  120. 
•)  (Euvr.  de  Ronsard  {p.  p.  Blanchem.)  III,  425. 
«)  Orl.  für.,  C.  XXV,  st.  S5ff.     Vgl  Rons,  ibd.,  429: 

•  Tu  exerces,  amour,  sur  mon  cceur  ta  malice: 

On  ne  voit  qü'une  vache  aime  une  autre  genisse, 

La  jument,  la  jument,  la  br^is^  la  brebis; 

La  biche  n'aitne  point  Vautre  biche;  et  je  s^tis 

Seide  pucelle  an  monde  aimant  une  p^iceüe, 

For^ant  la  majesti  de  la  loi  naturelle.» 

Vgl  Orl  f,  C.  XXV,  st.  35: 

•Se  pur  volevi,  Amor,  danni  tormento, 

Che  fincrescesse  il  nUo  felice  siato, 

Ualcun  niartir  dovevi  star  contento. 

Che  fosse  ancor  negli  altri  amanti  usato. 

Ne  tra  gli  uomini  mai  ne  tra  Varmento, 

Che  fe^nmina  ami  femmina  ho  trovato: 

Non  par  la  donna  alV  altre  donne  bella, 

M  a  cetTic  cervia,  ne  aW  agnelle  agnella.* 
*)  Giluvres  de  Ronsard  {p.  p.  Blanchem.)   F,  2 ff.;  vgl  8.  65;  femer 
8.  59,  wo  die  Mädchen  mit  Frühlingsblumen  verglicheti  werden.     Vgl, 
die  bekannte  Stanze  im  Orl  f.,  C.  I,  st.  4S. 


—    91     — 

In  der  Franciade  sind  es  vor  allem  zwei  Schilderangen 
die  den  unverkennbaren  Stempel  der  deskripÜTen  Manier  des 
italienischen  Epikers  tragen:  die  Schilderung  eines  Turniers^) 
und  eines  Schiffbruches^);  einige  Gleichnisse  sind  sogar 
wörtlich  ins  Französische  herübergenommen  worden. 

In  demselben  Jahre,  wo  Ronsard  den  Franzosen  das 
erste  moderne  Epos  gab,  erschienen  zwei  weitere  Nach- 
ahmungen aus  dem  OrL  für.  Die  erste  besteht  in  einer 
Sammlung  von  Gedichten')  verschiedener  Autoren,  welche 
in  bunter  Reihenfolge  die  verschiedensten  Episoden  des 
„Rasenden  Roland^  behandeln: 

1)  Roland  furieux  PK  Desportes 

2)  Bodomant  „ 


*)  (Euvrea  de  Rofisard  {p.  p.  Blanchem.  III^  12f^). 
Vgl.:  *I)u  coup  donne  le  rivage  tremhla, 

La  nier  fremity  le  fleuve  se  trouhla; 

En  mille  esdats  les  pointes  aHrles 

Furent  toucker  les  voüters  etheries»,  etc. 
Vgl,  damit  Orl.y  für,  C.  XL  F,  st.  6ü,  wo  der  Angriff  der  Gegner 
im  Zweikampf  dem  Sturme  auf  der  hohen  See  verglichen  vird. 
*)  Franciade  {III,  94 ff.): 

« Tantost  pendus  ils  voisinent  les  cie^ix, 

Tantost  ils  sont  aux  enfers  stygieux.» 
Vgl.  OrL  für.,  C.  X.  st.  106: 

'fSi  forte  ella  nel  mar  hatte  la  coda. 

Che  fa  vicino  al  ciel  Vacqua  innalzare»,  etc. 
Vgl  femer  t.  III,  96  u.  97 ,  wo  das  Eindringefi  der  Wogen  auf 
das  Schiff  geschildert  wird,  u.  Orl.  für.  C.  XL,  st.  29^30: 

*Ainsi,  de  mÜle  et  miUe  flots  vouth 

Qui  r'assailloient  la  nef  de  tous  costez»,  etc. 
Ferner : 

*0u  les  filles,  sans  chois,  florissent  tout  ainsi 

En  gräces  et  beautez  es  maisons  de  le^tr  mere, 

Qite  les  fleurs  des  jardins  en  la  saison  2^'emier€.> 
Orl  für.,  l  c: 

•Come  nel  mar  che  per  tempesta  freme, 

Assaglion  Vacque  ü  temerario  legno, 

CK'or  deUa  prora^  or  daüe  parti  estreme 

Cercano  entrar  con  rahbia  e  con  isdegno*,  etc. 
*)  Titel:  Imitations  de  qwlques  chans  de  VArioste,  par  divers  poetes 
fran^oiSj  nommez  en  la  quatrieme  page  suyvante.    P.  XDLXXIL  8^.» 


3)  De^ix  complaintes  de  Bradamant    Ph.  Despories 

4)  Le  premier  livre  d^Ängelique  „ 

5)  Oenevre  le  eommeneent  Samgelais 

6)  La  Suyie  J.  A.  de  Baif 

7)  Fieurdepine  „ 

8)  Benaud  J^oys  <P  Orleans 

Von  Despories'  Nachahmnngen  sagt  Goujet,  daß  sie 
dessen  erste  poetische  Versuche  gewesen  seien:  tu  les  croyoU 
peu  dignes  de  voir  le  joun^.^)  Den  ersten  Teil,  Roland 
furieux,  welcher  im  Vergleich  zum  Original  sehr  abgekürzt 
ist,  schrieb  der  Dichter  zu  seiner  Unterhaltung  ^) ;  vom  zweiten 
Teile,  der  Geschichte  des  Rodomont  ^),  behandelt  die  Einleitung 
Hodomont's  Kampf  mit  Roger  und  seinen  Tod  von  der  Hand 
des  letzteren,  wie  Ariost  ihn  im  46.  Gesänge  darstellt.^)  Der 
weitere  Teil  dieser  Episode  jedoch  und  «Le  premier  livre 
d^Angelique»  sind  nicht,  wie  Goujet  meint,  €de  tinvention  du 
Poete  frangois^  *),  sondern  freie  ^Nachahmungen  Yon  Aretino^s 
Marfisa  und  Le  lagrime  dt  Jngelica.^)  Die  beiden  Ellagen  Bra- 
damante's  behandeln  endlich  jenen  Schmerzensausbruch  des 
ritterlichen  Mädchens,  der  mit  der  bekannten  Strophe  beginnt : 

tMisera!  a  cid  mai  piü  creder  debU  io? 

TV  dir  cKognuno  e  perfido  e  crudele, 

Se  perfido  e  crudel  sei,  Buggier  mio, 

Che  si  pieioso  tenni,  e  si  fedeU, 

^)  Bihl.  fr,  Vri,  362.  Faguet,  Despories  (R,  d,  c.  et  c,  1894,  mars, 
S,  41?)  fiennt  sie  •adaptations»  aiis  seinen  Jugendjahren  und  nach  seiner 
Rückkehr  aus  Italien;  ihr  literarischer  Wert  ist,  nach  Faguel,  sehr  mittel- 
mä^iig.  Doch  erhielt  er  nach  Goujet  {Bihl  fr,  Bd.  XIV,  68)  für  seineti 
„Roland"*  800  Taler. 

*)  Der  vollst.  Titel  lautet:  'La  mort  de^Rodomont  et  sa  descente 
aux  enfers.M     Vgl  Orl.  für.  C.  XLVI,  st.  101  ff. 

')  Such.  u.  Birch-fl. ,  Gesch.,  8.  365,  gehen  den  ungenauen  Titel 
•Angelique  et  Midor»  an. 

*)  Bibl  fr.  Bd.  VII,  352. 

•)  Vgl.  Darmest.  et  Hatzf.,  Le  16*  s.,  S.  137;  Morillot, 
in:  Hisi.,  p.p.  Jullerille  III,  250 f.  erwähnt  nichts  von  einer  Nachahmung 
Ariosfs:  Lanson,  Bist,  S.  290;  iiorf  {Gesch.,  S.  177)  «ndBirch- 
Hirsch  f.  {Such.  n.  B.-H.,  Gesch.,  S.  365)  bezeichnen  Ariost  nur  im 
allgem.  als  Vorbild.  —  Über  Aretin^s  Marfisa,  Le  Lagrime  di  Angelica 
etc.,  8.  Gaspary,  Gesch.  der  it.  LH.  Bd.  II,  522. 


—     93     — 

Qual  crudelid,  quäl  iradimento  rio 
Unqua  s*udi  per  tragiche  querele, 
Che  non  trom  minor,  se  pensar  mal 
AI  mio  merio,  e  al  Uw  debito  vorrai?*  ^) 

und  der  sicli  im  33.  Gesänge  ^)  nach  ihrer  seltsamen  Vision 
Yon  den  Ruhmestaten  ihrer  franzosischen  Landslente  in  Italien 
erneuert. 

Wichtiger  als  Desportes'  Versuche  sind  Saint-Gelais' 
und  Baif's  Behandlungen  der  GhinevrorEpisode.  St-Gelais*  An- 
teil beginnt  bei  Stanze  2  des  4.  Gesanges  und  geht  nicht 
über  die  neunte  Stanze  des  fünften  Gesanges  hinaus,  während 
Ba'if  den  Rest  der  Episode  nicht  ganz  bis  zur  Mitte  des  6.  Ge- 
sanges (Stanze  18)  paraphrasiert. 

Nach  Wagner  ist  Mellin  de  St-Gelais  dem  Originale 
großenteils  treu  gefolgt,  hat  aber  die  ottava  rima  durch  den 
paarweis  gereimten  Zehnsilbner  ersetzt.')  Die  Abweichungen, 
die  ab  und  zu  vorkommen,  sind  im  ganzen  unglücklich  zu 
nennen,  indem  er  öfter  das  Original  abschwächt  oder  unnötig 
ausmalt.  Wenn  aber  Wagner  daraus  dem  französischen 
Dichter  einen  Vorwurf  macht,  daß  er  die  vier  ersten  Stanzen 
des  fünften  Gesanges  übergangen  hat^),  so  ist  ihm  entgegen 
zu  halten,  daß  dieselben  überhaupt  nicht  in  den  Zusammen- 
hang der  epischen  Erzählung  gehören. 

Mit  Ba'if  s  Anteil  an  der  Oeneme  und  mit  seiner  Fleurde- 
pine  haben  sich  die  Forscher  bis  jetzt  nicht  beschäftigt.  Weder 
Darmesteter  u.  Hatzfeid,  noch  PeUissier,  Morf  oder  Birch- 
Hirschfeld  erwähnen  diese  Nachdichtungen,  nicht  einmal 
H.  Nagel,  der  doch  Ba'ifs  Leben  und  Werke  eingehend 
bearbeitet  hat,  liefert  uns  mehr  als  eine  Angabe  ihrer  Titel. '^) 
Was  endlich  den  letzten  Teil  der  erwähnten  Sammlung  be- 
trifft, 80  gehört  er  nicht  in  den  Rahmen  dieser  Arbeit,  da 


')  Orl.  für,  C.  XXXII,  37, 
•)  Ibd.,  C.  XXXIIl  62. 
»)  MtUin  de  St-GelaU,  8.  145 ff. 
*)  Mellin  de  St-Q.,  S.  148. 

*)  BaKf,  Werke,  in:  Herr.   Arch.   Bd.   LX,   241  ff.   u.   Bd.   LXI, 
55/r,  64  ff 


—    94    — 

Louis  d' Orleans'  Bmaud  auf  den  Rinaldo  Tasso's  zurückgeht.^) 
Eenaud  erschien  1572  auch  als  besondere  Schrift.^) 

Aus  demselben  Jahre  stammt  eine  Nachdichtung  der 
Joconde^Episode  (Orl,  für.  C.  XXVJH)  von  dem  als  Mitvetfasser 
der  SeUire  Menippee  bekannten  Nicolas  Bapin^),  über  die 
eine  Untersuchung  noch  nicht  angestellt  worden  ist. 

Ein  sehr  wenig  bekanntes  episches  Gedicht  ist  Fumee's 
Mirroir  de  LoyaiU6  (1576),  welcher  das  rührende  Geschick  ha- 
beUas  und  Zerbinosj  wie  es  uns  Ariosto  im  24.  Gesänge  darstellt, 
frei  nacherzählt  ^) ;  allerdings  werden  seine  Verse  als  schlecht 
und  seine  Ausdrucksweise  als  ungemein  roh  bezeichnet.^) 

Vielleicht  war  es  dieser  Mißerfolg  FumSe's,  welcher  de 
Laval®)  yeranlaßte,  dieselbe  Geschichte  im  nächsten  Jahre 
noch  einmal  zu  behandeln.  Er  wählte  die  Erzählungsform 
und  brachte  das  Ganze  in  den  Bahmen  eines  Dialogs  zwischen 
Isabella  und  Zerbino,  ohne  die  Sache  jedoch  besser  zu  machen. 

Es  scheint  um  diese  Zeit  Mode  gewesen  zu  sein,  einzelne 
Teile  aus  dem  „Basenden  Boland^  nachzudichten.  Denn  be- 
reits zwei  Jahre  später  haben  wir  zwei  weitere  Nachdichtungen 
dieser  Art  zu  verzeichnen,  die  allerdings  literarisch  sehr  ge- 
ringwertig und  längst  in  Vergessenheit  geraten  sind.  Das 
erste  Gedicht  sind  die  Plaintes  de  Roger  pour  Bradamante  von 
Hesteau,  sieur  de  Nuysemenf)    Es  ist  im  Versmaß 

»)  Goujet,  Bibl  fr.  VIT,  357;  La  Croix  1,^9,  nennt  den  «Äc- 
tiatid»  irrtümlich  eine  Nachahmung  Äriosfa, 

-)  Eenaud,  imiti  de  rArioste(!),  P.  {L.  Breyer)  1572,  S,  5^  8.  femer 
Goujet,  Bibl  fr.  VII,  358. 

*)  Le  28*  chant  du  Rol.  für.  par  X.  R,  [Nicolas  Rapin],  P.  1572, 
12^.  ^ci  Goujet,  t.  XIV,  131  und  t  VII,  358  erwähnt.  Das  Gedicht 
ist  im  Versmaß  des  Originals  geschrieben. 

*)  Miroir  de  Loyaute  imite  du  XXIV«  chant  de  VArioste  p.  Criües 
Fumee.  P.  1575,  8^,  -  La  Croix  du  Maine  (Bibl  I,  289)  ertcähnt  das 
Werk  nicht,  dagegen  Qoujet,  Bihl  fr.  VII,  360,  Von  neueren  Forschem 
wird  die  Dichtutig  nicht  erwähnt, 

'^)  Goujet,  l  c,  VII,  360. 

•)  IsabeUe,  Imitation  de  VArioste,  p.  Ant.  Martineu  de  Larnl  P,  1576. 
8<»;  Guidi  {Ann.  S.  193)  schreibt  de  La  Vaüe. 

^}  Nur  bei  Goujet  (l  c,  t  XIII,  205)  haben  wir  die  Dichtung 
erwähnt  gefimden.  —  Hesteau,  sieur  de  N.,  (Euvres  poitiques,  P,  1578.  4\ 
SieJie  daselbst  Buch  III. 


^    95     — 

des  Orl.  für.  abgefaßt  und  paraphrasiert  Roger's  Klagen  nach 
dem  Kampf  mit  Bradamante  (Orl.  für,,  C.  XLV,  st.  87flF.). 
Die  zweite  Nachahmung  ist  von  Guill.  Belliard^),  dem 
bereitserwähnten  Sekretär  der  Königin  von  Navarra,  welcher 
die  Klagen  Bradamante's  im  46.  Gesang  des  „Basenden  Ro- 
land" behandelt«) 

Von  der  O/^pto-Episode,  die  bei  Äriost  im  elften  Ge- 
sang (st  5l£F.)  sich  findet,  gab  Pierre  du  Brach,  sieur  de 
la  Motte  eine  Nachahmung  (1584).^)  Dieselbe  Geschichte 
wurde  1598  von  Guill.  Bemard  de  Vervese  behandelt  und 
zwar  im  zweiten  Teile  seiner  Gedichte  unter  dem  Titel:  Les 
Amours  ei  les  JRegreis  d'Olympe,^) 

1599  erschienen  die  Amoura  de  Chridan  et  de  Marphise 
des  Sieur  de  la  Boque,  von  dem  Goiget  boshaft  sagt:  tLe 
choix  qti^il  a  faü  des  endroüs  d^Arioste  et  de  eeux  d^Ovide  sont 
une  preuve  qu*ü  aüoii  partout  ehercker  du  feii  pour  augmenter 
Pembraaement  qui  le  tourmentoii.f^) 

Für  die  im  folgenden  Jahre  gedichtete  Angelique  delwree 
gibt  Guidi  als  Verfasser  einen  gewissen  de  Bazire  an^), 
während  Barbier  das  Gedicht  in  sein  Didionnaiire  des  Anonymes 
aufnimmt  und  den  Namen  Bazire  in  Klammem  setzt. '') 

^)  G.  Belliard,  Poemts.  Livre  1^  contetiant  les  delicieuses  amours 
de  MarcAntoine  et  de  Cleopatre:  Les  triomphes  d'Amour  de  la  mort  et 
autres  imitations  d'Ovide,  de  Petrarque^  et  de  VArioste.  P.  1578^  4^ 
Angeführt  bei  Parfaict,  Beauchamps  und  du  Verdier,  Bibl,  i,  22^  f. 

•)  O.  f,  C.  XLV,  st,  28 f, 

»)  Du  Verdier,  Bibl.  S.  1219.  P,  du  Brach  icird  hier  *C<mtroüeur 
pour  le  Roy  en  sa  chanceüerie  de  Bordeaux»  genannt. 

*)  Goujet,  Bibl  fr.  XIV,  228;  Guidi  (Ann.  180)  kennt  diese  Aus- 
gabe nicht,  dagegen  erwähnt  er  {S.  194)  eine  solche  von  1605  mit  dem  ver- 
änderten Titel:  •Les  Amours  d^Olimpie  et  de  Birene  ä  Vimitation  de 
VArioste  par  de  Vervese.    Lyon.  1606,  12^, 

*)  G  o  u  j  e  t ,  Bibl.  fr.  XIII,  430  ff.  /  da  bei  Ariost  Marfisa  u.  Cloridano 
in  keiner  Beziehung  zueinander  stehefi  {vgl.  C.  XVIII,  st.  154 ff.),  sc?ieint 
das  Gedicht  eine  ziemlich  freie  Nachahmung  zu  sein. 

«)  Blftnc,  l.  c,  II,  1274,  gibt  folgenden  Titel:  AngSlique  dilivrie, 
trad.  ou  imitation  par  de  Bazire,  P.  1600.  12^. 

')  Dict.  des  auteurs  anon.  Bd.  VI,  190:  Ang.  d^livrieä  Vimitaium 
de  VArioste  (Par  de  Bazire)  P,  1600,  W,  —  Auch  der  edle  La  Boetie  ver- 
suchte sich  an  einer  Paraphrasierung  der  Klagen  Bradamante's.  8.  CEuvres 
compl.  de  la  Boetie,  p.  p.  Feugere  P,  1846,  S.  473  ff.    Der  Titel  derselben 


—     96     — 

Das  17.  Jahrhundert  ist  dem  Epos  in  Frankreich  nicht 
günstig;  die  Literatur  dieser  Zeit  steht  im  Zeichen  des  Dramas. 
Wir  werden  daher  verhältnismäßig  wenige  Dichter  finden,  die 
sich  im  Orl.  für.  ihre  Stoffe  holen,  und  wir  müssen  nahezu 
die  erste  Hälfte  des  Jahrhunderts  übergehen,  bis  wir  auf  eine 
Ariost'sche  I^achahmung  stoßen. 

Nach  Goujet  veröffentlichte  Guill.  du  Peyrat  1646  die 
Begreis  de  Bradamante  et  de  Boger  tires  de  PAriosUj  wo,  wie 
jener  sagt,  der  Geist  ebensowenig  auf  seine  Rechnung  kommt^ 
wie  das  Herz.^)  Elf  Jahre  später  eröffnet  Chapelain's 
Pucelle  (1556)  die  Eeihe  jener  heroischen  Epen,  die  irgend  einen 
Helden  aus  femer  Zeit  und  seine  Taten  in  stolzen  und  prunk- 
vollen Alexandrinern  besingen,  und  besonders  reich  an  ße- 
Schreibungen  und  Vergleichen  sind. 

Scud6ry's  Alarir,  Desmaret's  Clovis  und  Le  Moine's 
St.  Louis  begeistern  sich  alle,  wie  Arnaud  behauptet,  an  Ariost 
und  Tasso^);  allerdings  bleibt  er  uns  den  Beweis  für  diese  Be- 
hauptung schuldig.^)  Schönherr,  der  auf  einige  ähnliche 
heroische  Epen  zu  sprechen  kommt,  erwähnt  unter  den 
italienischen  Quellen  derselben  das  Epos  des  Ariost  überhaupt 
nicht.*) 

In  Boileau's   heroisch-komischem  Epos  Le  Luirin  geht, 


lautet :  A  Marffuerite  de  Carle  sur  la  traduction  des  plaintes  de  Brodel 
nuinte  au  32  *:  chant  de  Loys  Arioste.  Weder  hei  Guidi^  noch  bei  Blanc^ 
noch  in  iryend  einer  der  in  dieser  Arbeit  genannten  Kompilationen  ist 
diese  Schrift  aufgeführt  worden. 

*)  Bibl  XVy  42.  —  Die  von  Goujet  erwähnte  Ausgabe  ist  jedoch 
nicht  die  erstCj  da  diese  bereits  1593  zu  Tours  erschien;  vgl.  Pasquier, 
Becherches  de  la  France  VII,  7. 

*)  Essays,  S.  442. 

*)  Zwar  versucht  et*  einige  Entlehnungen  anzuführen,  doch  besteht 
kein  zwingender  Grund,  die  betr.  Stellen  auf  den  Orl.  für.  zuriidczu führen, 
da  Vergil  u.  Tasso  ganz  ähnliche  Begebenheiten,  tüie  Beisen,  Schku:hten, 
Stürme,  Schiffbrüclie,  Heldentaten  von  Amazonen  erzählen.  So  behauptet 
Amould  ferner,  ohne  es  zu  beweisen,  der  Held  des  Le  Moyne'schen  Epos^ 
St.  Louis,  habe  nach  dem  Muster  der  Ariosti'schen  Helden  eine  Anz<ihl 
von  Abenteuern  zu  bestehen;  Chapelain  dagegen  habe  seine  •Pucelle»  nach 
Ariosfs  Bradamante  gezeichnet,  mit  dem  Bewufitsein,  die  Heldin  des  itai» 
Dichters  in  den  Schatten  gestellt  zu  haben. 

*)  St.'Amant,  in:  Zßp.  XI,  IIB  ff.     Vgl  147,  153,  158. 


—    97     — 

wie  Trfiverret  glaubt^),  die  Idee  und  Schilderung  der  Discordia^ 
auf  ebendieselbe  allegorische  Gestalt  im  „Basenden  Roland '^  ') 
zurück,  wo  sie  ebenfalls  in  einem  Kloster  ihre  unheilvolle 
Tätigkeit  ausübt.  Ein  eifriger  Verehrer  und  Leser  des  OrL 
für.  war  Lafontaine ;  von  seinen  Contes  et  NouveUes  suchen  die 
schönsten  ihr  Vorbild  in  diesem  Epos.  Gleich  die  erste  der- 
selben,  die  Erzählung  der  Jocotids,  ist  dem  28.  Gesänge  des 
Orl  entlehnt;  von  allen  Nachdichtungen  des  Orl.  für.  kann 
sie  als  die  gelungenste  betrachtet  werden.  Bekanntlich  gab 
Boileau  der  französischen  Bearbeitung  den  Vorzug  vor  der 
italienischen*),  während  Voltaire  Ariost's  Jown^e-Episode  höher 
stellte.*)  Der  wesentliche  Unterschied  liegt  nach  Regnier 
darin,  daß  Lafontaine  die  anstößigsten  Stellen  wegließ. 
Außerdem  aber  ergibt,  nach  unserer  Meinung,  eine  sorg- 
'fältige  Vergleichung  der  beiden  Bearbeitungen,  daß  Lafontaine 
viel  ärmer  an  Bildern,  daher  auch  weniger  anschaulich  ist, 
und  daß  seiner  Sprache  der  Eluß  und  der  Wohllaut  der 
Verse  Ariost's  fehlen. 

Hans  CarveTs  Ring*),  eine  Erzählung,  die  sich  be- 
reits in  Poggio's  „Facexie^  (Nr.  133)  und  in  den  Cent  NmiveUes 
Nonvelle^  (Nr.  11)  findet,  und  die  Ariost  am  Schlüsse  der 
fünften  Satire  in  Reim  gesetzt  hat,  wird  von  Lafontaine  in 
der  zwölften  Erzählung  des  ersten  Buches  behandelt,  wobei 
sein  direktes  Vorbild  allerdings  Rabelais  war.  Auch  hier 
behauptet  Voltaire  Ariost's  Überlegenheit '),  während  Regnier 

*)  L'Itdlie  au  XVI*  siecle,  II,  147,  S.  120. 

«)  Le  Lutrin,  Ch.  /,  v.  25. 

>)  C.  XIV,  8t.  78-96:  C.  XXVII,  $t.  37—39. 

*)  S.  hierüber  Cotronei,  Lafontaine  et  VArioste  {Boss,  della  lett. 
ital.  e  Siran.,  S.  29),  dessen  Arbeit  sich  mit  der  Vergleichung  der  beiden 
Dichtet  und  mit  der  Wertschätzung  von  Boileau' s  Urteil  beschäftigt.  Cotr. 
gibt  im  Gegensatz  zu  Boileau  dem  Dichter  des  Orl.  für.  den  Vorzug. 

*)  (Euvres  de  Lafontaitie,  p.  p.  Regnier  IV,  376,  wo  über  diesen  lii, 
iStreit  ausführlich  gehandelt  wird. 

«)  (Euvres  de  Lafont.,  p.  p.  Begnier  IV,  376 ff. 

'*)  Discours  aux  Welches  t  XLI,  561.  S.  auch  Carducoi, 
L^Ariosto  ed  il  Voltaire  {Fanfulla  deüa  Dom.,  5.  Juni  1881),  wo  sämtliche 
Urteile  Voltaire^ s  über  Anost  zusammengestellt  sind.  Ebenso  Donati, 
L'Ariosto  ed  il  Tasso  giudicati  dal  Voltaire,  pass. 

Mtochener  Beiträge  z.  romanischen  n.  engl.  Philologie.    XXXIV.      7 


—    98    — 

sie  wegen  der  höheren  Eofnik,  die  in  der  Erzählung  des  fran- 
zösischen Dichters  liege,  bestreitet.  Die  Erzählung  vom  Zauber- 
becher ist  von  Lafontaine  ^)  bedeutend  verkürzt  worden  (lU.Teil, 
4.  Erz.)  aus  dem  Orl.  für.  (C.  XLII,  st.  70  bis  C.  XLIII 
st.  67) ;  oft  drückt  er  in  einem  einzigen  Verse  das  aus,  wofür 
Ariost  eine  ganze  Stanze  nötig  hat;  daß  bei  einem  solchen 
Verfahren  die  epische  Kleinmalerei  zu  kurz  kommt,  ist  klar. 
Während  z.  B.  Ariost*^)  sagt: 

tE  le  piü  rieche  gemme  avea  con  lei, 

Che  mai  maudassin  gflndi  agli  EritreUf 

läßt  der  französische  Dichter  das  Bild  vollständig  fallen  und 
gibt  uur  den  trockenen  Sinn  wieder:  proj)osa  de  Vargcni,^) 

Die  13.  Erzählung  desselben  Teiles:  Le  petit  chien  qui 
secoiie  de  Vargent  et  des pierreries*),  gleichfalls  eine  Nachahmung, 
aus  dem  „Rasenden  Koland^,  leidet  an  der  nämlichen  Bilder- 
armut, und  steht  deshalb  dem  Originale  ohne  Zweifel  nach; 
damit  soll  jedoch  den  berühmten  Fabeldichter  kein  Vorwurf 
treffen,  dieser  fällt  vielmehr  auf  die  französische  Sprache  über- 
haupt, die  niemals  jene  Geschmeidigkeit  erreichte,  wie  sie 
die  italienische  Schwestersprache  schon  längst  besaß.') 

Nahezu    gleichzeitig^)    mit    der    Joconde-Erzähhmg    La- 
fontaine's   erschien   eine  Übersetzung  derselben  Episode  von 


^)  (Kuures  V,  SHff. 

^)  Orl  für.,  0,  XLIII,  st.  3ö. 

■*)   Vers  aiO;  vgl.  auf  kr  dem: 

Litfont.  V.  95  =  Orl,  C.  XLIIT,  st.  13. 

„        V.  114,  llo  =  Orl,  C.  XLIII,  ßt,  14. 
V.  ■2H4  =  Orl,  C.  XLIII,  st.  H4. 

*)  (Ihivres  y,  'M2ff. 

*)  Dieser  Mangel  der  Sprache  war  es  auch,  der  nach  Arnould 
(E99.,  S.  446)  verhinderte,  doli  in  Frankreich  ein  wirkliches  Kunstepos  gC" 
scJuiffen  wurde:  *0n  n^ouhliait  qu'une  chose,  c'est  que  ces  ouvrages  (die 
italienischen  Epen)  s'Haient  soutenus  par  le  style  admirable  de  facilite, 
de  mouvement,  de  gräcc,  deUgance,  dans  le  Roland,  moins  pur,  moin9 
flexible,  moins  pleine  de  coulcur,  diclat  et  souventde  force  dans  le  Jirusalem^ 
affecte,  recherchS  et  fanx,  mais  du  moins  ingenueux  et  brillant,  dans 
VAdone  .  .  .  et  que  le  style  n*est  pas  seulement  un  resultat  du  talent  in^ 
dividuel,  mais  la  fleur  mime  du  genie  et  de  la  langue  de  VltcUie.» 

*)  (Euvres  de  Bouillon^   contenant  Vhistoire  de  Joconde,  le  Mari 


-     99     — 

Bouillon.  Eine  YerglerchuDg  der  Arbeiten  lag  nahe,  und  so 
unternahm  es  Boileau,  die  Vorzüge  und  die  Mängel  der  beiden 
Joconde  zu  prüfen  und  ein  entscheidendes  Urteil  abzugeben, 
das  zugunsten  des  ersteren  ausfiel. 

Die  epische  Dichtung  des  18.  Jahrhunderts  wird  be- 
sonders vertreten  durch  Voltaire's  Henriade  und  La  Pucdle, 
welche  beide  Spuren  Ariostischen  Einflusses  tragen.  Bouvy, 
welcher  sich  in  neuester  Zeit  mit  der  Frage  der  Abhängigkeit 
des  großen  Philosophen  von  der  italienischen  Literatur  be- 
schäftigt  hat,  zitiert  eine  Reihe  von  Stellen  aus  seiner 
Korrespondenz,  aus  denen  hervorgeht,  daß  Voltaire  zur  Zeit 
der  Abfassung  seiner  epischen  Gedichte  sich  mit  der  Lektüre 
des  OrL  für,  befaßte.^)  Wir  wissen  auch,  daß  Voltaire  das 
Epos  Ariost's  mit  Unrecht  für  eine  Parodie  des  Bittertums 
ansah  und  daß  er  es  deshalb  in  seinem  Essai  sur  la  poesie 
epique  nicht  unter  die  epischen  Dichtungen  einreihte,  sondern 
in  eine  Anmerkung  verwies.*)  Trotzdem  war  der  OrL  für.  eines 
seiner  Lieblingsbücher,  von  dem  er  sagte:  tSi  an  lit  Homere 
par  une  sspece  de  devoir,  on  lii  ei  relit  Ärioste  pour  son  plaisir,»^) 
Er  nimmt  das  Buch  mit  auf  seine  Reisen,  sein  erstes  Wort, 
das  er  bei  seiner  Ankunft  in  Berlin  an  Collini  richtet,  ist  eine 
Frage  betreffend  Ariost,*)  Alt  und  fast  blind  geworden,  läßt 
er  sich  von  Wagniöre  täglich  ein  oder  zwei  Gesänge  daraus 
vorlesen^) ;  ja  ganze  Absätze  konnte  er  aus  dem  Gedächtnisse 
vortragen.  Wiederholt  äußerte  sich  Voltaire  in  den  Aus- 
drücken des  höchsten  Lobes  über  den  italienischen  Dichter  •) ; 


commode  .  . .  P.  1663.  1^.  Bouillon  icar  Sekretär  des  Herzogs  Gaston 
von  OrUans. 

»)  Voltaire  et  VItalie,  chap.  III,  S.  70—129.  Bouvy  sagt  von 
Voltaire's  VerMltnis  zu  Ariost  {S.  79) :  « Voltaire  a  eprouve  pour  Arioste 
plus  que  de  la  Sympathie.  II  Va  aime  jusqu-ä  l'appeler  son  *dieu»  et  U 
prendre  j)lusieur8  fois  pour  modele.»  An  einer  anderen  Stelle  heifU  es: 
*Des  17S0  le  Roland  furieux  est  dejä  Vun  de  ses  livres  de  chevet.» 

«}  Bouvy,  ibd.,  S.  101. 

»}  Ibd.,  S.  101. 

*)  Ibd.,  S.  103. 

^)  Casanova,  Memoires  Ulf  197. 

•*)  Siede  de  Louis  XI Vj  chap.  32;  Essai  sur  les  mcsurs,  chap.  28  u. 

7* 


—    100    — 

als  Mirabeau's  Übersetzung  seinen  Beifall  nicht  finden  konnte, 
Tersuchte  er  selber,  einige  Stanzen  aus  der  italienischen 
Dichtung  allerdings  mit  der  größten  Freiheit  zu  übersetzen. 
Als  er  die  Ihnriade  schrieb  (vor  1723),  war  er  noch  besser 
mit  Tasso  als  mit  Ariost  bekannt;  doch  glauben  wir  in  der 
Einführung  der  JJLscordia  in  die  Henriade  ^)  eine  Entlehnung 
aus  Ariost  zu  sehen');  einzelne  Kampfesschilderangen  er- 
innern lebhaft  an  die  Art  und  Weise,  wie  der  italienische 
Epiker  Zweikämpfe  und  Schlachten  zu  beschreiben  pflegte. 
Zahlreicher  sind  die  Nachahmungen  in  Voltaire's  komischem 
Epos  La  Pucelhy  von  dem  die  ersten  fünfzehn  Gesänge  be- 
reits 1753  erschienen,  während  das  Ganze  zwei  Jahre  später 
gedruckt  wurde.  Nach  seinem  eigenen  Geständnisse  schwebte 
ihm  bei  der  Dichtung  besonders  der  Orl.  für.  vor.*)  Die 
Versuchung  der  Pucelle  durch  den  Barfüßermönch  Grisbour- 
don  ^)  erinnert  an  Angelika,  wie  ihr  im  Schafe  vom  lüsternen 
Eremiten  Gefahr  droht  (C.  VIII,  st.  48  u.  49) ;  die  Beschreibung 
des  Esels,  beginnend  mit  den  Worten*): 

<  Ce  beau  grison  denx  ailes  possedait 
Sur  son  eckine  H  sonvcnt  s*en  setrait*  ,  .  ,y 
erinnert    lebhaft    an    den   Ippogriffo   des    OrL    fm\    (C.    IV, 
St.  5).     In   beiden   Epen   wird   eine  Reise  in   den  Mond  ge- 
schildert*) und  im  13.  Gesang  widmet  der  französische  Dichter 
Astolfs    Mondreise    einige    Verse. '^)      Die   Schilderung    von 

121:  Candide,  chap.  Vo;  s.  weitere  Urteile  hei  ßouvy,  Voltaire,  S.  106 j 
107  u.  im. 

»j  La  Hennade  I.  5:iff. 

«)  (hl  für.,  C.  XIV,  78 ff. 

')  ßouvy,  Volt.,  S.  117,  wo  eine  Bcihe  von  Briefstelkn  Volt,  zitiert 
werden,  a\is  daxen  dies  hervorgeht;  so  schreibt  Volt.  z.  B.  an  ddeviUe 
\^8.  Mai  1734):  ^(  'est  plutöt  dans  le  gout  de  VArioste  que  dans  celui  du 
Tasse  que  fai  travaille.* 

*)  La  PuceJle,  eh.   V,  v.  IS  ff. 

»)  Ibd.,  eh.  IL  V.  l'äoff. 

«)  Ort.  für.,  C.  XXXIV,  Iff.:  La  Pucelle,  Chant  HI^,  v.  46ff. 

■)  La  Pucelle,  ibd.,  II,  v.  13 ff.: 

*Un  autre  Jean  eut  In  bonne  fortune 
De  voyuger  au  pays  de  la  lune 
Avec  Astolphe,  et  7'endit  la  raison, 


—    101     — 

Dnnois'  Reise  nach  Mailand  und  seine  dortigen  Heldentaten 
(Cbant  VU)  haben  eine  auffällige  Ähnlichkeit  mit  der  Olhupiar 
Episode  (C.  XI,  st.  55  fr.),  teilweise  auch  niit  der  Ginevra- 
Episode  (C.  V);  der  im  11.  Gesänge  der  Pucelle  erwähnte 
Wunder felsen  von  Sainte-Beaume  ist  eine  Nachahmung  der 
Wunderquellen  im  Ariost'schen  Epos  (C.  I,  st.  78);  das 
Palais  de  V Imagination  (Chantlll,  V.  1  ff.)  mit  seinen  verzauberten 
Bewohnern  ist  das  getreue  Abbild  des  Zauberschlosses  des 
Atlante  (C.  IV,  st.  11  f.).  Während  des  Zweikampfes 
zwischen  Trimouüle  und  Arondel  ^)  fliehen  ihre  Geliebten,  um 
derentwillen  sie  sich  schlagen;  auch  diese  Episode  ist  dem 
italienischen  Dichter  abgelauscht  (C.  1,  st.  17  f.).^)  Endlich 
sind  die  Einleitungen  zu  den  einzelnen  Gesängen  in  beiden 
Epen  durchwegs  ähnlich,  so  z.  B.  spricht  die  Einleitung  zum 
21.  Gesang  der  Piicdle  von  den  Wunden,  die  der  lose  Amor 
schlägt,  im  Orl.  für.  wird  derselbe  Gegenstand  im  Eingang 
zum  2.  Gesang  behandelt.  Die  ersten  zwei  Verse  des  17.  Ge- 
sanges der  Pucelle  sind  nahezu  eine  wörtliche  t'bersetzung 
der  zwei  einleitenden  Verse  des  8.  Gesanges  im  Ariost'schen 
Epos.  Man  vergleiche  die  beiden  Stellen: 
La  Pucelle:    tOh   que  cf  mofule  est  rempli  d'enchantettrs! 

Je  ne  dirai  rien  des  enchanteresses,^ 
Orl.  für. :   «  Oh  quante  sono  incantatrici,  oh  quanti 

Incafttaior  ira  noi,  che  non  si  sanno^ ! 

Zia  Harpe  stellt  den  Orl.  für.  weit  über  die  Pucelle  Voltaire's, 
welche  ihn  weder  durch  das  Interesse  des  Stoffes  noch  durch 
die  Zeichnung  der  Charaktere  anziehen  kann.^) 

Von  den  Erzählungen  in  Prosa,  die  Voltaire  geschrieben 
hat,    kommt   für   unsere   Untersuchung   Zadig  oti  la   Destime 

Si  Von  en  croit  un  auteiir  veridique. 
Au  paladin  amoureux  d'Ang^lique.» 
')  La  Pucelle,  chant  VIII  u.  IX, 

*)  Auch  die  schmutzige  Geschichte  der  männlichen  Nonne  Besogne 
am  Schhisse  des  10.  Gesanges  dürfte  auf  die  Bicciardetio-Episode  im 
Orl.  für.  (C.  XXVf  Iff.)  zurückgehen.  Femer  erinnert  der  Umstand,  da/i 
der  Erzbischof  St.  Denis  eine  reine  Jungfrau  suchen  toiU,  an  JocondCj 
(Orl.  f.,  C.  XXVIII )j  der  auf  der  Suche  nach  einer  treueti  Ehefrau  ist. 
')  Cours  de  litt.  /,  872. 


—     102    — 

(1747)  in  Betracht.  Der  Hauptsache  nach  ist  diese  Geschichte 
dem  Engländer  Pamell  entlehnt,  welcher  sie  in  den  Homilien 
des  Albert  von  Padua  gefunden  hat.')  Seele  gibt  noch  einige 
weitere  Quellen  an,  darunter  den  Ol,  für,  für  das  19.  Kapitel, 
Les  cmnhats  betitelt,  die  jedoch  nur  ganz  allgemein  die 
Kampfesschilderungen  im  italienischen  Epos  nachahmen. 

Damit  endet  der  Einfluß  Ariost's  auf  das  französische 
Epos;  wir  dürfen  ihn  durchaus  als  einen  fruchtbringenden 
bezeichnen,  wenn  er  auch  nicht  bewirken  konnte,  den  Fran- 
zosen zu  einem  wirklichen  Kunstepos  zu  verhelfen.^) 


IV.  Ariost  im  französischen  Theater. 

Ein  Versuch,  die  Beziehuogen  Ariost's  zum  französischen 
Theater  zu  untersuchen,  wurde  bis  jetzt  noch  nicht  gemacht. 

Vianey's  Arbeit  über  Ariost's  Einfluß  auf  das  Drama 
der  Pleiade  umfaßt  kaum  drei  Seiten  und  behandelt  nur 
Montchrestien  und  Garnier  in  ganz  allgemeiner  Weise ;  andere 
Beeinflussungen  scheint  er  überhaupt  nicht  zu  kennen.^) 
Eicke  sagt  zwar  von  Ariost's  Orlando,  er  sei  von  den  franzö- 
sischen Dramatikern  geradezu  ausgeplündert  worden,  zumal 
für  Textbücher  zu  Opern,  doch  erwähnt  er  nur  Mairet's  und 
Quinault's  Roland  furieux,^)  Von  den  vielen  Theaterstücken, 
die  in  Betracht  kommen,  wurden  bislang  nur  zwei,  die  Brada- 
mante  von  Garnier  und  der  lioland  furieiix  von  Mairet,  ein- 
gehend behandelt.  Bezüglich  der  Verlässigkeit  der  Urteile 
der  Brüder  Parfaict,  von  Leris,  Beauchamps,  Mouhy,  La 
Valliöre  und  Rigal  verweisen  wir  auf  die  vortreffliche  Kritik 
Böhm's,    der   wir   in    allen    Punkten   beistimmen.^)     Einige 


^)  Bengesco.  Bibliogr.  Volt.  /,  4So :  ähnlich  Seele,  der  in  «einem 
*Zadig  ou  la  Destinee*  diese  Queüe  eingehend  behandelt  hat. 

•)  Tr//.  Dejob,  Müdes.,  S.  '2H8:  •Notre  vive  ei  seculaire  admiration 
poiir  VArioste  et  pour  U  Tasse  n'a  pas  pu  impirer  ä  «o«  po^tes  une 
seule  epopee  vraime^it  vivante.» 

»)  L'Tnfl.  de  VArioste  sur  la  Pleiade  {Bull  ital  1901.  I,  SIS  SIS); 
die  Brad.  Garniers  wird  nur  kurz  erwähnt. 

*)  Zur  neueren  Gesch.  d.  Bol.  Sage  in  Deutschi.  u.  Frankr..  S.  12. 

*)  Der  Einfl.  Seneca's,  S.  27  ff. 


—     103     — 

Urteile  dieser  Autoren^  welche  bei  Böhm  sich  nicht  finden, 
seien  hier  noch  angeführt.  Von  Parfaict's  Geschichte  des  fran- 
zösischen Theaters  sagt  der  Verfasser  der  Trois  siecUa  Uüeradres  ^), 
sie  sei  eine  Kompilation  ohne  Geschmack  und  Methode;  das 
Dictionnaire  des  tlieairea  de  Paris  wimmle  von  Ungenauigkeiten. 
MorSri  bezeichnet  ihre  „Geschichte"  als  ein  konfuses  Mach- 
werk, voll  Fehler  und  Widersprüche  *) ;  diese  kämen  daher,  daß 
die  Brüder  Parfaict  sich  eine  Reihe  von  Mitarbeitern  hielten. 
Mouhy's  Ahrigi  genießt  nach  Rigal  einen  schlechten  Ruf.') 
Über  LSris'  Dictionnaire  möchten  wir  bemerken,  daß  es  nicht 
nnr  eine  Kompilation  von  untergeordneter  Bedeutung  ist, 
wie  Böhm  sagt,  sondern  geradezu  ein  Plagiat  von  Beau- 
champs'  Becherchesj  sowohl  in  bezug  auf  Daten,  als  auch  hin- 
sichtlich der  kritischen  Bemerkungen,  die  oft  wörtlich  her- 
übergenommen sind. 

Nic6ron's  Memoires  werden  von  dem  Verfasser  der  Trois 
siecles  littSraires  ein  €chaos  etemeh  genannt,  das  nur  Fehler 
und  Irrtümer  aufweise.*)  La  Harpe  unterzieht  die  Anecdotes 
dramatiques  einer  scharfen  Kritik  und  weist  nach,  daß  eine 
große  Anzahl  derselben  erlogen  sind.*)  Betreffs  Goujet's  Bib- 
liotheqve  fran^aise,  über  deren  Wert  wir  bei  Böhm  eine  Kritik 
vermissen,  Nicfiron's  Memoires  und  Maupoint's  M)liotheque  du 
Theäire  frangois  ist  Steffens  zu  vergleichen.^  Vapereau 
schätzt  Goujet's  Werk  als  eines  der  nützlichsten,  die  wir 
haben.') 

Außer  den  hier  angeführten  Autoren  benützten  wir  be- 
sonders Maupoint,  der  allerdings  aus  dem  unzuverlässigen 
Niceron  schöpft,  und  das  I>ictionnaire  des  tJietUres  de  Paris  von 
La  Porte  et  Chamfort,  welches  von  dem  Verfasser  der  <  Troif* 


>)  Bd.  III  458. 

•)  Dict  hist.,  III,  373:  •Les  mensongeSy  les  erreurs,  les  contra- 
dictions  y  fourmillent.» 

»)  Alex.  Hardy,  S.  688. 

*)  Bd.  II Ij  405:  *U  se  contenta  de  copier  les  Joumalistes  et  les 
Biographes,  vrai  moyen  de  perp^tuer  les  fantes  et  les  erreurs.» 

»)  LitUrature  et  Cntique,  IV,  273. 

«)  EotroH'Studim,  S.  13. 

')  Dict.,  S.  914:  •Vun  des  plus  utiles  que  nous  ayons». 


—     104    — 

Stieles  liüeraires^  als  eine  gewissenhafte  Kompilation  bezeichnet 
wird.*) 

Was  die  Einteilung  der  in  Frage  kommenden  Stücke  be- 
trifft, so  scheint  es  nns  praktischer  und  besonders  übersicht- 
licher zu  sein,  dieselben  nach  dem  Stoffe  zu  ordnen,  als  sie 
in  chronologischer  Reihenfolge  zu  behandeln,  da  ja  das  Epos 
Ariost's  sich  leicht  in  eine  Reihe  von  Episoden  zerlegen  läßt, 
und  da  die  französischen  Dramatiker  immer  nur  einzelne 
solche  Episoden,  die  oft  gar  nicht  mit  der  Haupterzählung 
verknüpft  sind,  für  ihre  Zwecke  auswählten. 


1.  Die  Bradamante-Episode. 

Die  Bradamanteepisode  im  OrL  für.  umfaßt  den  44.  Ge* 
sang  von  Stanze  36  an,  den  ganzen  45.  und  den  46.  bis 
Stanze  65  ^),  und  erzählt  den  Zweikampf  Roger's  mit  der 
von  ihm  geliebten  Bradamante,  zu  dem  ihn  sein  um  ihre 
Hand  werbender  Freund  Leon  auffordert.  Kein  geringerer 
als  Hob.  Garnier  versuchte  es  diesen  Stoff  dramatisch  zu 
bearbeiten  und  bühnengerecht  zu  machen.  Seine  Bradamatüe 
nimmt  eine  wichtige  Stellung  im  französischen  Theater  des 
16.  Jahrhunderts  ein;  bereits  Ebert  beschäftigt  sich  daher 
eingehend  mit  ihr;  die  Inhaltsangabe,  die  er  von  dem 
Stücke  gibt,  kann  heute  noch  als  Muster  gelten.')  Trost's 
£tmle   analyiique    et    critique    sur    le   theätre   de   Bob,    Garnier*) 


>)  Bd.  III,  77. 

2)  Förster  ^i  in  seimm  Neudnick  (Bd.  IV,  S.  XXXV)  als 
Quelle  den  43.  Gesang  an^  ivahrscheinlich  der  Angabe  Garnierte  in  der 
Vorrede  zur  Brad.  folgend.  Der  Irrtum  des  Dichters  u.  des  Heraus' 
gebers  beruht  darin,  dafl  sie  die  ursprüngliche  Ausgabe  des  Ort.  für.  in 
44  Gesängen  im  Auge  hatten,  während  die  später  von  Ariost  vervoll' 
ständigte  Ausg.  40  Gesänge  aufweist;  diese  letzttre  ist  allein  noch  ge* 
bräuchlich.  Eine  Ausg.  mit  44  Ges.  wurde  noch  von  Giovachino  Avesani 
{Firenze.  18^6,  S  vol.  S^)  veranstaltet. 

3j  Entw.,  S.  169ff. 

*)  Programm  einer  Bielefelder  Schule,  20  Seiten  umfassend.  Haupt' 
sächlich  icird  der  Einflu/J  Seneca^s  u.  Horaz^  afigedeutet;  von  Ariost 
spricht  er  nicht. 


—     105     — 

ist  ein  Plagiat  von  Ebert's  Entwicklangageschichte,  in  franzö- 
sicher  Sprache  geschrieben  und  mit  einigen,  wertlosen  Zu- 
sätzen versehen.  Faguet  widmet  dem  Stücke  in  seiner 
tTragidie  franoaise  du  16*  sieden  einige  Seiten 0,  istjedoch,  was 
den  historischen  Teil  betri£Ft,  mit  Vorsicht  zu  benutzen,  da 
seine  Daten  sich  auf  das  <tJoui'nal  du  Thiuire  fran^is>  stützen.^) 
W.  Förster's  mustergültiger  Neudruck  von  ßamier's  Stücken, 
der  sich  hauptsächlich  auf  die  Ausgabe  von  1586  stützt'),  ist 
mit  einer  wertvollen  biographischen  und  bibliographischen  Ein- 
leitung versehen,  die  sämtliche  Ausgaben  der  Werke  Gamier's 
bis  in  die  Gegenwart  aufzählt.^)  Ferner  besitzen  wir  eine 
Pariser  Dissertation  von  Bernage,  die  das  Hauptgewicht  auf 
die  ästhetische  Betrachtung  legt,  im  übrigen  aber  sich  eng 
an  Faguet  anschließt.^)  Endlich  gab  uns  F.  Pasini  im  siebenten 
Jahrgange  (1900 — 1901)  des  Annuario  degK  Studenti  Trentini 
(S.  122  ff.)  eine  eingehende,  wenn  auch  nicht  fehlerfreie  Ver- 
gleichung  der  Garnier'schen  Bradamante  und  ihrer  italienischen 
Quelle,  auf  die  wir  noch  öfters  zurückkommen  werden.  Die 
erste  Ausgabe  der  Bradamante  ist  nach  Porst er's  Unter- 
suchungen wohl  zweifellos  im  Jahre  1582  erschienen^),  da 
ein  Exemplar  der  von  Faguet^  angeführten  Ausgabe  vom 
Jahre  1580  bis  jetzt  nicht  gefunden  werden  konnte.®) 

>)  S.  212ff. 

*)  Sieht  darüber  Böhm,  S.  SO  {daselbst  weitere  Lit.-Ang.). 

»)  Nach  Förster  (s.  Vorrede,  Bd.  7,  S.  XIV)  die  beste  Ausgabe. 

*)  Ibd  /,  S.  XII. 

*)  itiide  sur  Bob.  Garnier.    P.  ISSO.   8^. 

•)  Ibd,,  Vorrede,  Bd.  J,  S.  XII 

')  La  trag,  fr.,  S.  212. 

^)  Als  Datum  der  Erstausg.  geben  1580  an:  M o u h y  (Abr.  II,  164, 
während  er  im  I.  Bd.  S.  69  und  in  den  Tablettes,  S.  SS  das  Datum 
1582  angibt);  Didot  {Biogr.  univ.  Bd.  XIX,  509);  Vapereau  (Dict, 
8.  856);  Darm,  et  Hatzf.,  {Le  16*  s.,  S.  172):  Lintilhac  (Hist^ 
8.  214):  Brunei  (Manuel  II,  1490)  drückt  sich  vorsichtiger  aus:  „Eine 
Ausg.  von  1580  ist  vorhanden,  doch  enthält  sie  weder  die  Juives  noch  die 
Bradamante.  Es  ist  entweder  anzunehmen,  daß  diese  beiden  in  einem  se- 
paraten Exemplar  veröffentlicht  wurden,  oder  dafi  die  Ausgabe  von  1582 
dieselben  zum  erstenmal  enthielt. 

Das  Jahr  1582  nehmen  an:  Beauchamps  {Rech.,  Bd.  II,  40); 
Leris  [Dict,  S.  88);  Mouhy  {Tabl,  S.  38,  Abr.  I,  69);  Ebert  {Entw., 


—     106     — 

Eine  Anfführaog  des  Stückes  im  16.  Jahrhundert  ist  Ins 
jetzt  geschichtlich  nicht  nachgewiesen  worden.  Zwar  behauptet 
das  Journal  du  TJiedire  franoais,  daß  eine  erfolgreiche  Auf- 
führung der  Bradamante  im  Jahre  1680  im  Hotel  de  Bour- 
gogne  stattgefunden  hahe^);  doch  haben  Bigal^)  und  im 
letzten  Jahre  noch  Lanson^)  es  als  unzweifelhaft  hingestellt, 
daß  die  Benaissancetragödien,  und  speziell  Gamier's  Stücke 
im  16.  Jahrhundert  nicht  auf  einer  öffentlichen  Pariser  Bühne 
aufgeführt  wurden.^)    Da  es  jedoch  neben  dieser  ständigen 


S.  143);  Lucas  {Hist,  Bd.  Hl  270);  3Ioland'(3foKcr(5  ttc,  S,  12(S): 
Proelss  {Gesch.,  Bd.  II,  Halhh.  L  S.  2o);  Morf  (Gesch.  S.  211); 
Rigal  {Ri8t.,p.p.Jnllev.,Bd.IIl293);  Suchier  u.  Birch-Hirschf 
{Gesch.,  S.  .95/?)  «.  Pasini  (/.  c,  S.  122). 

>)  Ebenso  L6ri8  (Dict.,  S.  88);  Mouhy  {Abr.  II,  161),  der  Ver- 
f asser  der  Trois  siecles  litteraires  (Bd.  II,  375:  "Avec  un  succks  prodi- 
gieux»);  Michaud  (Biogr.  gen.  Bd.  XVj  587);  Faguet  (La  trag 
fr.,  S.  212),  welcher  sich  auf  das  J&um.  du  th.  fr.  beruß. 

•)  Le  Thfätre  fran^.  avant  la  pei-iode  classiqtie.,  S.  117 — 128. 

')  i^tudes  sur  les  origines  de  la  Trag,  clnss.  en  France  (Rev.  d^Hist. 
litt  1903,  Bd.  X,  S.  177 ff.  u.  S.  413  ff.). 

*)  Rigal,  Alex.  Hardy,  S.  93,  sagt  über  die  ^ Bradamante»  Fol- 
gendes: *ll  est  vrai  que  Garnier,  en  ecrivant  sa  Brad.,  a  pense  qu^elle 
pourrait  etre  representee,  et  que  cette  tragi-comedie  a  ^te  representee  en 
effet  tout  au  comniencetnent  du  17*  sih^le.  Quai  d'Honnant,  puisqtie  la 
Bradamante  est  la  plus  dramatique  —  je  devrais  dire  la  seule  dramatiqne  — 
despihcesde  Garnier?  Mais  les  expressions  memes  de  Vauteiir  montrent 
que,  s'il  prSvoit  une  representation  possible,  lui-meme  w'a  pas  faxt  et  ne 
songepas  a  faire  representer  son  teuvre.»  In  seiner  Hist  du  Th.  fr.  dvant 
la  pcriode  classique  (S.  116 ff.)  hält  derselbe  Forscher  diese  Behauptung 
aufrecht  und  sagt  weiterhin,  die  Tragödien  aus  dem  letzten  Drittel  des 
16.  Jahrh.  seieti  überhaupt  nur  für  die  Lektüre  geschrieben  worden,  eine 
Annahme,  die  bereits  Ebert  (Entiv.,  S.  149)  geäufkrt  hatte,  und  die 
Stiefel  in  seiner  Kritik  des  RigaV sehen  Werkes  (ZfSp.  Bd.  XX  Vif 
S.  28  der  Bez.  u.  Ref.)  für  Hchtig  erklärt,  wenn  er  auch  zugibt,  daß 
derartige  Stücke  von  Wandertrupjicn  sicherlich  aufgeführt  tmirde». 
Allerdings  läfit  uns  Stiefel  im  unklaren,  ob  er  von  Paris  oder  vof^ 
der  Provinz  spricht.  Dafl  solche  Stücke  in  der  Provinz  gespielt  wurden, 
hat  Lanson  (Rev.  d'Hist.  litt.  1903,  S.  192  ff.)  bewiesen;  eine  grofie  An- 
zahl von  Stücken  zählt  diesei'  Forscher  auf,  die  in  der  zweiten  HälfU 
des  16.  Jahrh.  in  der  Provinz  gespielt  wurdest,  dai-nnter  mehrere  Tra^ 
gödien.  Von  Garnier  sagt  er  {ibd.,  S.  416).  er  scheine  seine  Stüdu 
nur  zum  Lesen  geschrieben  zu  haben,  doch  Jiabe  er  a  die  Möglichkeit 
einer  Aufführung  seiner  Bradamante  gedacht 


—     107     — 

Sühne  aach  sogenanDte  „fliegende  Bühnen"  gab,  auf  denen  die 
Wandertruppen  ihre  Stücke  Tor  das  Publikum  brachten,  so 
ist  es  immerhin  nicht  ausgeschlossen,  daß  eine  dieser  Be- 
naissancetragödien  auch  in  Paris  gespielt  wurde,  besonders 
weil,  wie  Stiefel  sagt,  die  Tragödie  damals  im  Geschmacke  des 
Publikums  lag.^) 

Wenn  wir  auch  keine  schriftliche  Aufzeichnung  über  eine 
BradamanteaufführuDg  aus  dem  16.  Jahrhundert  haben,  so 
besitzen  wir  dagegen  zwei  ausfuhrliche  Schilderungen  einer 
solchen  aus  dem  Anfang  des  17.  Jahrhunderts.  In  H^roard's  * 
Journal  siir  Venfance  de  Lcniis  XIII  findet  sich  für  den  29.  Juli 
1611  folgender  Eintrag:  A  six  lieures  il  va  cJiex  la  Beine  oii  il  voit 
achever  la  Bradamanie  represeniee  par  Madame  (unter  t Madame*  ist 
die  Königin  zu  verstehen)  et  autres,^)  Einen  zweiten  Eintrag 
macht  Heroard  am  2.  August  desselben  Jahres:  *Ä  trois 
heures  mene  en  carosse  au  rieux  cMleaUy  en  la  salle  du  halj  aüj  en 
sa  prisence  (i,  e,  des  Dauphin)^  ccUe  de  la  Beine,  des  princes^ 
princesses  et  seigneurs,  de  M,  le  chancelier  et  prSsident  Jeannin.  a 
4te  represeniee  sur  le  thidtre  tont  accommode  la  tragi-comedie  de 
Bradamanie,  par  ces  personnages.**)  Es  folgt  nun  das  Rollen  Ver- 
zeichnis, welches  sich  jedoch  nicht  genau  mit  den  entsprechenden 
Personen  bei  Garnier  deckt,  ein  Zeichen,  daß  einige  Ab- 
änderungen am  Stücke  gemacht  worden  waren.  So  tritt  hier 
eine  L6onor*),  Tochter  Kari's  des  Großen  auf,  ferner  ein 
griechischer  Gesandter  •),  Personen  welche  sich  bei  Garnier 
nicht  finden.  Interessant  ist  auch,  daß  ein  großer  Teil  der 
Männerrollen  durch  Frauen  gespielt  wird,  so  z.  B.  wird  der 
alte  Aymon  durch  ein  Fräulein  de  Renel  dargestellt,  Benaud 
durch  Fräulein  d'flarambure  gespielt,   ein  Umstand,   der  uns 


')  ZfSp.  Bd.  XXVI,  29. 

')  Nach  Heroard  (Bd.  /,  392)  fand  eine  Bradamanteauffülmtng 
bereits  am  27.  April  1609  am  kgl  Hofe  statt,  hei  welcher  der  Dauphin 
{der  spätere  Louis  XIV)  sieben  Verse  sagen  sollte,  aber  plötzlich  erklärte: 
«Tai  ouhlie  man  rolet.» 

»)  Bd.  II,  71. 

*)  Bd.  II,  72. 

*)  Gespielt  von  3f'*«  Christienne. 

•j  Dargestellt  von  M"*  de  Vernueil. 


—     108     — 

jedoch  Dicht  besonders  auffallen  darf,  wenn  wir  bedenken, 
daß  in  unserer  Zeit  sogar  Rollen  wie  Hamlet  von  Frauen, 
allerdings  Berufsschauspielerinnen,  wiedergegeben  werden.  Yon 
eben  dieser  Vorstellung  haben  wir  einen  Bericht  aus  der 
maßgebenden  Feder  Malherbes  ^),  welcher  sie  in  zwei 
Briefen  (s.  u.  4.  August  1611)  erwähnt  und  welcher  die 
Durchfuhrung  der  Rolle  der  Marphise  durch  die  Königin, 
welche  als  Amazone  gekleidet  war,  rühmt.  ^)  Malherbe  nennt 
das  Stück  eine  „comSdie^  und  zitiert  einige  Verse  aus  der- 
selben, welche  der  Herzog  yon  Vendöme,  ein  Sohn  des  Königs, 
zu  sprechen  hatte;  dieselben  lauten : 

aCharfemagne,  IJo7i,  Boger  et  Bradamante 

Sont  de  gaxe  et  carton  ä  Ja  comcdiante, 

Des  lis  farhorerai  les  h'aves  eiendards  ; 

Du   Gange  jusqu^ au  Bhin  et  vers  les  bords  cPAfriqtie 

Potir  nion  tpetü  papa»  donray  des  caitps  de  pique,^ 

Die  Worte  finden  sich  indes  nicht  in  dem  uns  vorliegenden 
Texte  der  Tragikomödie;  es  bestätigt  sich  hier  die  oben  aus 
der  Hinzufügung  neuer  Rollen  geschlossene  Behauptung,  daß 
das  Stück  mit  einiger  Veränderung  über  die  Bühne  ging; 
wir  dürfen  jedoch  annehmen,  daß  diese  Einschiebungen  nicht 
wesentlicher  Natur  waren,  sondern  aus  eingestreuten  Be- 
merkungen aktueller  Art  sich  zusammensetzten,  die  dem  an- 
wesenden königlichen  Hofe  gelten  sollten. 

Auch  Scarron  läßt  in  seinem  Roman  comique  die 
Schauspielerin  La  CaTerne  von  einer  Bradamanteaufführung 
erzählen,  die  diese  in  ihrer  frühesten  Jugendzeit  gesehen  hat.^) 


^)  (Kuvres,  p.  p.  L(dann€,  t.  III,  p.  247—248. 

*)  Auch  La  Caverne  trägt  als  Bradamante  ein  Atnazonenkostnm 
{Scarron,  Born,  com.,  i,  273). 

^)  Boman  comique,  2.  Teil,  S,  Kap.  {Bd.  /,  273),  La  Caverne  nennt 
das  Stück  <f Boger  et  Bradamante»;  das  Theater  des  perigordischen  Edel- 
Sitzes  war,  wie  sie  sagt,  höchst  bequem  und  die  Dekoration  der  Handlung 
angepafä.  Auch  bei  dieser  Aufführung  wurden  Abstriche  gemacht,  we- 
nigstens für  die  Bolle  La  Boques.  Die  Barone  und  Edelleute  fanden 
solches  Vergnügen  an  dem  Stücke,  da/J  die  Truppe  noch  längere  Zeit  dort 
spielen  durfte. 


—     109     — 

Da  nun  der  Boman  comique  zwischen  1651  nnd  1657  erschien 
und  La  CaTeme  damals  bereits  ziemlich  bejahrt  war,  können 
wir  jene  Aufführung  mit  ziemlicher  Wahrscheinlichkeit  in 
das  erste  oder  zweite  Jahrzehnt  des  17.  Jahrhunderts  setzen. 
Die  Tatsache  nun,  daß  Garnier's  Brmlamante  in  den 
ersten  zwei  Dezennien  des  17.  Jahrhunderts  Aufführungen 
erlebte,  und  zwar  auf  einer  öffentlichen  und  auf  einer 
privaten  Bühne ,  berechtigt  uns  zu  dem  Schlüsse ,  daß 
ähnliche  Inszenierungen  dieses  Stückes  schon  früher  statt- 
fanden, höchst  wahrscheinlich  bereits  im  16.  Jahrhundert ;  ob 
nun  an  Frivattheatern,  oder  auf  Wanderbühnen»  oder  vielleicht 
auch  im  Hotel  de  Bourgogne,  das  kann  allerdings  heute  noch 
nicht  festgesteUt  werden.^)  Deon  es  ist  kaum  anzunehmen, 
daß  unsere  Bradamante  20  oder  30  Jahre  hindurch  das  be« 
scheidene  Dasein  eines  Buchdramas  fristete,  dann  aber,  durch 
irgend  einen  Zufall,  plötzlich  bühnenfahig  wurde.  Betrachten 
wir  endlich  auch  jene  sich  in  keinem  anderen  Stücke 
Garnier 's  findende  Stelle  in  der  Vorrede  des  Dichters 
zum  Drama:  tCeluy  qui  voudroit  faire  repreifenter  ce(te  Biada- 
matiie*  ^),  so  ergibt  sich  daraus  unzweifelhaft,  daß  er,  ersteus, 
das  Stück  für  die  Bühne  geschrieben  und  zweitens  an  die 
Möglichkeit,  wahrscheinlich  sogar  au  die  Gewißheit  einer 
Auffuhrung  gedacht  hat;  und  wenn  er  sich  etwas  vorsichtig 


')  K.  Saar,  der  Übersetzer  des  Roman  comique,  und  ein  guter 
Kenner  des  frz.  Theaters  jener  Zeit,  sagt  von  Garnier  (der  Komö- 
diantenroman, Teil  III,  198):  „Bei  Garnier  zeigt  das  Üenaissanredrama 
schon  ein  nationaleres  Gesicht.  In  patriotischer  Absicht  icählfe  er  Stoffe, 
in  denen  er  die  Zeitereignisse  spiegeln,  seineti  Schmerz  über  die  Zustände 
seines  vom  Bürgerkriege  zerfleischten  Vaterlandes  ausdrücken  konnte  . . . 
Die  anderen  Trag,  aus  der  Schule  Ronsard' s  blieben  ewig  Schulkomödien, 
sie  gingefi  niemals  auf  der  lebendigen  volkstümlichen  Bühne  in  Fleisch  und 
Blut  der  Natian  über.  G amier* s  Dramen  hingegen  bildeten  den  Übergang 
zu  den  Stücken  Hardy^s,  und  zur  Zeit  der  Festsetzung  der  Wanderschau- 
spieler im  Hotel  de  Bourgogne  den  Grundstock  des  ersten  Repertoires.» 

•)  Die  ganze  Stelle  lautet:  'Et  par-ce  qu'il  n'y  a  point  de  ChceurSf 
comme  aux  TragSdies  precedenfes,  pour  la  distinctian  des  Actes:  Celuy 
qui  voudroit  faire  representer  cette  Bradamante,  so'a  s'il  hnj  piaist, 
aduerty  d'vser  d'eniremets,  et  les  interposer  entre  les  Actes  pour  ne  les 
confondre,  et  7ie  mettre  en  co7itinuation  de  propos  ce  qui  requiert  quelque 
distance  de  temps.»    (Les  Tragedies  de  Garn.,  ed.  Förster,  IV,  5.) 


—     HO    — 

nnd  bescbeideD  ausdrückt,  so  bringt  das  eben  der  ganze  Ton 
einer  Vorrede  mit  sich.  Endlich  möchten  wir  noch  auf  einen 
weiteren,  von  den  Forschem  bis  jetzt  ebenfalls  unbeachteten, 
sehr  wesentlichen  Grund  hinweisen,  der  eine  Aufführung 
unseres  Stückes  noch  im  Laufe  des  16.  Jahrhunderts  wahr- 
scheinlich macht.  Garnier  hat  bis  zur  Abfassung  der  Brada« 
mante  antike  Stoffe  nach  dem  Muster  Seneca's  dramatisiert 
oder  er  schöpft,  wie  in  den  luifres,  aus  der  Bibel  ^),  —  plötzlich 
greift  er  zu  einem  diametral  entgegengesetzten  Stoffe,  dessen 
Handlung  in  dem  Ton  den  Männern  der  Renaissance  so  sehr 
geschmähten  Mittelalter  sich  abspielt.  Was  mochte  wohl  den 
Dichter  zu  dieser  Wahl  bewogen  haben  ?  Wir  wissen,  daß  be- 
reits um  1575  J.  de  Fum^e  ^)  eine  Episode  aus  dem  „Rasenden 
Roland^,  von  dem  uns  allerdings  weiter  nichts  bekannt  ist,  für 
die  Bühne  bearbeitete^),  daß  ferner  ein  ähnliches,  später  zu 
besprechendes  Stück  ^)  1564  zu  Blois  am  königlichen  Hofe,  end- 
lich 1581  auf  dem  Theater  von  Le  Havre  ein  tEolatid  furieux* 
aufgeführt  wurde  ^),  der  vielleicht  schon  seit  mehreren  Jahren 
auf  den  fraozösischen  Bühnen  gespielt  worden  war ;  wir  wissen 
endlich  aus  Lanson's  Verzeichnis  der  in  der  zweiten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts  außerhalb  Paris  aufgeführten  Stücke,  daß 
Stoffe  romantischen  Inhaltes  zu  jener  Zeit  überaus  gerne  auf 
der  Bühne  gesehen  wurden  und  großen  Erfolg  hatten.^)  Alle 
diese  Umstände  lassen  es  uns  als  geradezu  gewiß  erscheinen, 
daß  Garnier  diesen  Stoff  wählte,  zunächst  weil  er  ein  Bühnen- 
stück schreiben  wollte,  und  ferner  daß  das  Stück,  wie  die 
beiden  vorher  zitierten,  bei  seinem  großen  dramatischen  Ge- 
halte noch  im  Laufe  des  16.  Jahrhunderts  eine  oder  mehrere 
Aufführungen  erlebte. 


»)  S.  Goujet,  Bibl.  fr.,  Bd.  VII,  360:  •II  avoit  6te  tenti  de  mettre 
le  meme  sujet  [Orl.  für.,  C.  XXIV,  Cloridan  und  Medor)  en  Tragedic». 
Da  Finnee's  *Mirroir  de  Loyaute»  1575  erschien,  dürfte  dieses  Stück  um 
dieselbe  Zeit,  jedenfalls  vor  Garnier s  Bradamante,  anzusetzen  sein, 

*j  Der  Ginevra-Episode  (Orl.  für.,  C.  V,  VI)  entnomtnen, 

^}  Lanson  (Hev,  d'Hist.  litt,  1903,  Bd,  X,  207). 

^)  Ibd.,  S.  413 ff.  Lanson  findet  eine  grolle  Anzahl  von  Stücken, 
welche  zwischen  1552  und  1600  nach  beglaubigten  Zeugnissen  gespielt 
icurden.    *Tout  etait  jouable  entre  1550 — 1630,* 


—   111   — 

Da  eine  mehr  oder  weniger  ausführliche  Analyse  der 
BradamanU  bereits  öfters  gegeben  worden  ist^),  setzen  wir 
die  Bekanntschaft  des  Inhaltes  unseres  Stückes  Yoraus  und 
beschäftigen  uns  sofort  mit  der  Untersuchung  des  Verhält« 
nisses  Gamier's  zu  dem  Orl  fiar.^  welches  Ton  den  genannten 
Forschem  entweder  überhaupt  nicht,  oder  nur  sehr  ober- 
flächlich in  das  Auge  gefaßt  worden  ist^) 

Folgende  Personen  {Enirepatlevrs),  welche  sich  in  der  betr. 
Episode  des  italienischen  Epos  nicht  finden,  sind  yon  Garnier 
hinzugefügt  worden:  Nymes,  Duc  de  Bameres,  Basüe,  Diic d^Athenes, 
La  Montagne,  Hippalque  und  La  Boque,  Der  Dichter  hat  die 
beiden  ersteren  und  Hippalque  eingeführt,  um  die  allzu  langen 
Monologe  im  italienischen  Epos  durch  Dialoge  wiedergeben 
zu  können.  La  Montagne  vertritt  die  Rolle  des  „antiken^ 
Boten,  wohl  eine  Reminiszenz  an  Seneca.  La  Roque  endlich, 
der  unverschämte  Diener  des  alten  Aymon,  scheint  uns  eine 
Entlehnung  aus  der  (xnnmedia  deW  arte  zu  sein,  die  damals 
bereits  seit  einem  Jahrzehnt  in  Paris  blühte.  Denn  weder 
bei  Ariost,  noch  in  den  früheren  Stücken  Garnier's  läßt  sich 
eine  derartige  komische  Dienergestalt  nachweisen,  dagegen 
war  sie  eine  beständige  Figur  in  der  italienischen  Stegreif- 
komödie. ^) 


^)  2.  B,  von  £bert,  Entiv.j  S.  169 ff.;  Faguet,  La  trag,  frang., 
S.  212ff.;  Trost,  Etüde  anal,  S.Uff.;  Darmesteter  et  Hatzfeld, 
Le  16*  8.J  S,  172ff.;  Bernage,  Roh,  Garnier,  S.  145;  Kigal,  Le  th. 
de  la  Ben,  {Eist,  litt.,  p.p.  JulleviUe,  Bd.  III,  312);  Pasini,  La  Brad, 
di  B.  Garn.,  Annuario  VII,  125. 

*)  z.  B.  Ebert  (Entw.,  S.  172)  sagt  nur  von  Szene  2  des  S.  Aktes, 
dafS  dieselbe  „ganz  "nach  Ariost^  geschrieben  sei.  Weitaus  die  eingehendste 
Abhandlung  hierüber  ist  die  von  Pasini,  der  leider  die  früheren 
Forschungen  über  diesen  Gegenstand  unberücksichtigt  läflt,  weshalb  seine 
Arbeit  sehr  an  ivissetischaftlicliem  Wert  verliert;  nur  RigaVs  Kapitel 
über  die  Renaissancetragödie  in  Julleville's  Lit.-Gesch.  wird  von  ihn 
berücksichtigt.  Fasini  zitiert  aufkrdem  nicht  nach  Verszahl,  sondern  blofi 
imch  Akten  und  Szenen. 

^)  Pasini,  l.  c,  S.  129,  unterschätzt  dagegen  nach  unserer  Ansicht 
die  Wichtigkeit  dieser  komischen  Rolle,  wenji  er  sie  cds  eine  Statisten-- 
rolle  bezeichnet:  *ll  paggio  La  Roqt^  {A.  II  sc.  II)  .  .  .  serve  piü  da 


—    112    — 

Weder  Ort  noch  Zeit  der  Handlung  ist  im  Stücke  an- 
gegeben; als  ersteren  haben  wir  ans  den  Hof  Karl's  des 
Großen  zu  Paris  zu  denken.  Für  die  Zeit  lassen  sich 
natürlich  keine  bestimmten  Angaben  machen.  Interessant  ist 
die  Ton  den  Forschern  bisher  nicht  erwähnte  Erscheinung, 
daß  Garnier  innerhalb  des  Stückes  alle  bei  Ariost  vor- 
kommenden Zeitbestimmungen  wegließ,  um  die  Einheit  der 
Zeit  zu  bewahren.  Während  femer  im  italienischen  Epos 
eine  Reihe  von  Schauplätzen  für  die  Bradamante-Episode 
(Wald,  Zelt  vor  der  Stadt,  Palast,  Zimmer  der  Bradamante 
etc.)  besteht;  fehlen  bei  Garnier  alle  Bühnenanweisungen,  wahr- 
scheinlich um  die  Einheit  des  Ortes  zu  retten ;  auch  im  Stücke 
selbst  sind  Angaben  über  die  Örtlichkeit  der  einzelnen  Szenen 
vermieden ;  es  ist  daher  auch  anzunehmen,  daß  daselbe  ohne 
jeden  Kulissenwechsel  gespielt  wurde. 

Der  erste  Akt,  welcher  die  Exposition  der  Tragikomödie 
bildet,  besteht  nur  aus  zwei  Szenen  ^)  und  ist  vom  französischen 
Dichter  frei  erfunden.*)  Auffallig  sind  die  vielen  mytholo- 
gischen Anspielungen,  welche  beweisen,  daß  Garnier  sich  von 
der  Seneca'schen  Tradition  nicht  ganz  frei  machen  konnte; 
so  wird  Roland  als  unverwundbar  wie  Achilles  geschildert 
(I,  1,  V.  21): 

«.4  lioland  VirnibicihlBy  ä  qui  Dieti  fauorahh 
Xaissant  a  compose  le  corj)s  imidnerabk?* 

Renaud  wird  vom  Kaiser  ^tiostre  Hector*  genannt  (I,  1, 
V.  107);  daneben  aber  nehmen  Anrufungen  des  Christen- 
gottes ^),  Schilderungen  seiner  Macht  und  seines  Zornes 
einen  breiten  Platz  ein*);  mehrmals  wird  hervorgehoben,  daß 


comparsa  che  da  attore».  Indes  hält  er  sie  für  wichtiger  als  die  BoUe 
der  Hippalqm, 

')  Monolog  Karls  und  sein  Zwiegespräch  mit  dem  Het^zog  von  Bayern. 

')  Nur  die  Afikündigung,  dafl  der  Krieg  ein  Ende  habe  {V.  Hoff.) 
uyid  doli  die  Hochzeit  Roger^s  uyid  Bradamante^s  in  aller  Pracht  gefeiert 
werden  solle,  falls  Leon  itn  Zweikampf  unterliege  y  ist  aus  Ariost  ge- 
nommen {C,  43,  St.  150-^103;  C.  44,  st.  12-13  u.  st,  27 SS). 

')  Vgl.  I,  i,  V.  29 ff;  f,  i,  v.  49 ff 

*)  Vgl.  besonders  /,  i,  v.  95 ff. 


—    113    — 

Karl  der  Beschützer  der  Kirche  sei  und  daß  Gott  ihm  die 
Macht  verliehen  ^),  dieselbe  za  yerteidigen : 

« Qu^ils  fies  Mahometans)  veulent  par  le  fer  Mahumeiique 

rendre,*  (I,  1,  34.) 
Es  ist  ganz  gut  möglich,  daß  Garnier  dabei  an  die  reli- 
giösen Wirren  seiner  Zeit  dachte  and  als  treuer  Legitimist 
des  „allerchristlichsten"  Königs  Herrschergewalt  über  die 
Beligion  seines  Landes  betonen  wollte,  wenn  auch  Holl,  der 
allerdings  diese  Stelle  nicht  herbeizieht,  behauptet,  solcherlei 
Anspielungen  hätten  dem  Dichter  fem  gelegen.*)  Besonders 
die  ersten  Verse,  welche  Garnier  dem  großen  Kaiser  in  den 
Mund  legt,  scheinen  uns  geradezu  eine  Apologie  des  König- 
tums von  Gottes  Gnaden  gegenüber  den  Angriffen  der  Liguisten 
zu  sein  (I,  1,  v.  1 — 4): 

€Les  sceptres  des  gratids  Rois  viennent  du  Dieu  supreme, 
Ceat  luy  qui  ceini  nos  chefs  dhm  royal  diademe, 
Qui  tious  faü  qiiand  ü  veut  regner  sur  Ptmivers 
Et  quand  il  veut  fait  choir  nostre  emprre  ä  Ventters.j 
Erst  gegen  Schluß  des  ersten  Aktes  beginnt  die  Expo- 
sition des  Stückes,   indem   der  Kaiser  erklärt,  er  wolle  dem 
ritterlichen  Helden  Roger  die  Hand  Bradamante's  als  Lohn 
für  seine   treuen  Dienste   geben;    als   ihn   der  Herzog  von 
Bayern  darauf  aufmerksam  macht,  daß  der  alte,  starrköpfige 
Aymon  seine  Tochter  nur  an  Leon,  den  zukünftigen  Kaiser 
von  Byzanz,  verheiraten   werde,  drückt  Karl  die  Hoffnung 
aus,    Leon    würde    im   Zweikampfe    mit    dem   kriegerischen 
Mädchen    sicherlich    unterliegen.      Hier    liegt    offenbar    ein 
Widerspruch  vor;  denn  will  der  Kaiser  seinem  Paladine  die 
Tochter  Aymon's  wirklich  geben,  dann  braucht  er  den  Byzan- 
tiner überhaupt    nicht  zum  Zweikampfe  zuzulassen.')    Noch 

M  J,  i,  r.  9 ff.: 

•II  a  mis  sur  man  chef  la  Francoise  couronne^ 
Tl  a  fait  que  ma  voix  taute  la  teure  esfonne»  etc. 
«)  Tendenzdrama,  S.  209. 

*)  Die  beiden  sich  mdersprechenden  Stellen  lauten: 
a)  tBradamante  et  Roger  sous  vn  amour  6gal 
Conioindre  ensemhUment  d^vn  lien  coniugaL» 

{Akt  7,  ;?.    V.  167 ff,) 
Mttnchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.   XXXIV.      8 


—     114    — 

unklarer  aber  wird  diese  Sache^  wenn  wir  später  aus  Brada- 
manten's  Mande  vernehmen,  daß  sie  selbst  die  Zweikampfs- 
bedingang  festgesetzt  habe.  In  der  ersten  Szene  des  2.  Aktes 
(V.  218 ff.)  sagt  nämlich  der  Dichter  von  ihr: 

tEUe  a  faict  iotä  expres  par  le  monde  sQavair, 
Que  quiconque  voudra  pour  espouse  Vavoir, 
Doii  la  combatre  artnee,* 

Im  Cht  für.  (C.  XLV,  st.  22)  läßt  Karl  der  Große 
auf  Bitten  des  ritterUchen  Mädchens  die  Kampfesbedingung 
ergehen. 

Pasini  hält  den  ganzen  ersten  Akt  für  eine  recht   un- 
glückliche Erfindung  des  französischen  Dichters   und  deutet 
an,  daß  dieser  besser  getan  hätte,   den  Einzug  der  Paladine 
in  Paris  nach  dem  siegreichen  Kampfe  gegen  die  Sarazenen 
im  1.  Akt  darzustellen  (cfr.  Orl.  für.  C.  XLIV,  st.  27—34). 
Dem  ist  aber  entgegenzuhalten,  daß  dann  zwischen  dem  I.  und 
dem  2.  Akte  ein  langer  Zeitraum  liegen  müßte,  währenddessen 
Roger  seine  Heldentaten  in  Bulgarien  und  die  darauffolgenden 
Abenteuer  zu  bestehen  hätte.    Nun  aber  hat  Garnier,  wie  wir 
bereits  bemerkten,   alles  getan,  um   die  Einheit  der  Zeit  zu 
bewahren;  er  hätte  also  mit  der  Einführung  der  von  Pasini 
Yorgeschlagenen  Szene  ein  ihm  so  teures  Prinzip  preisgeben 
müssen.     Außerdem,  —  und   das   wäre   viel   schlimmer  — y 
stünde  diese  Szene  in   noch  geringerem  Zusammenhange  mit 
der  Handlung   des  Stückes,    als    die   von   Garnier  gewählte 
Exposition.     Wir  können  daher  den  1.  Akt  Gamier's  keines- 
wegs als  verfehlt,  sondern  vielmehr  als  ziemlich  glücklich  er- 
funden  bezeichnen,    wenn   wir   von   den   oben   aufgedeckten 
Widersprüchen    absehen.      Denn    in    dieser    Exposition    hat 
Garnier  einen  überaus  prächtigen  Charakter  geschaffen,  der 
bei  Ariost  so  verunstaltet  und  verschwommen  uns  entgegen- 
tritt, wir  meinen  die  ideal  gezeichnete,  königliche  Figur  des 
großen  Kaisers. 


b)  *Mai8  81  de  la  combatre  il  n'auoit  le  pouuoirf 
Selon  won  ordom^Jice  il  ne  s^auroii  Vauoir,*' 

{Akt  J,  2,  170.) 


—    115     -- 

Von  der  ersten  Szene  des  2.  Aktes  an  hält  Garnier  sich 
mehr  an  sein  Vorbild.  Das  Zwiegespräch  der  beiden  Gatten, 
Aymon  und  Beatrix  ^)  (Akt  I,  1)^  der  Streit  zwischen  Vater 
und  Sohn^)  (U,  2)  und  Beatrix'  Zwiegespräch  mit  ihrer  un« 
glücklichen  Tochter*)  (11,  3)  entwickehi  sich  aus  dem  OrL 
für,  (C.  XLIV,  8t.  35 — 47).  Doch  nur  das  Gerippe  zu  diesen 
prächtigsten  Szenen  des  ganzen  Stückes  gab  Ariost  dem 
französischen  Dichter.  Nur  eine  Stanze  widmet  der  italienische 
Dichter  dem  Unwillen  Aymon's  über  die  Widerspenstigkeit 
seiner  Kinder  (C.  XLIV,  st.  36)*): 

tOde  Amone  il  figlhiol  con  qtmlque  sdegfio. 

Che,  senza  conferirlo  seco,  gli  osa 

La  figlia  maritar,  cKcsso  ha  disegno, 

Che  del  figliuol  di  Cosiantin  sia  sposa, 

Xon  di  JRuggieTy  il  quäl  non  ch^ahM  regno, 

Ma  non  puö  al  Mondo  dir:  Questa  e  mia  cosa; 

Xe  sa  die  fwbiltä  poco  si  prexza, 

E  men  virtü^  se  non  v'e  ancor  ricehezxa,* 

Wie  unbestimmt  und  schwach  drückt  sich  Ariost  aus, 
wie  wenig  plastisch  ist  doch  hier  der  alte  polternde  Kriegs- 
mann gezeichnet!  *Con  qualque  sdegnoi^,  „etwas  zornig"  tritt 
hier  der  Vater  dem  Sohne  entgegen,  der  ihm  zu  widersprechen 
wagt!  Wie  ganz  anders  läßt  Garnier  den  alten  Aymon  reden! 
Eine  Flut  von  Schmähworten  schleudert  dieser  dem  undank- 
baren Sohne  ins  Gesicht  (Akt  II,  2,  v.  397): 
Aym^  tAirogantf  plein  d'audace, 


')  Ort.  für.  C.  44,  st  36-37. 

»)  Orl  für.  C.  44,  8t  36  u.  st  75.  Bei  Ariost  {C.  44,  st  37)  zankt 
auch  Beatrix,  und  zwar  iioch  scMrfer  als  ihr  GemafU,  den  unfolgsamen 
Sohn  ans: 

•Ma  pii^  d'Amon  la  moylie  Beatrice 
Biasina  il  figliuolo  e  chiamalo  aiTogante.» 
»)  Orl.  für.  C.  44,  st  3S-47. 

*)  Pasini,  l  c,  S.  139,  läfit  diese  Streitszene  sich  aus  Orl  für. 
C.  44,  st.  75  v.4—8  entwickeln.  Doch  ist  jene  Stelle  ganz  allgemei7i 
gehalten^  während  die  von  uns  zitierten  Verse  das  Wesentliche  der 
Garnier' sehen  Szene  enthalten:  Aymon's  Vorwurf  über  die  Armut  Roger*  s; 
die  Verse  191—195  spielen  sogar  auf  diese  Szene  an. 

8* 


—     116     — 

OstS'tn  proferei*  ces  mota  deuant  ma  face  ? 
Que  tu  Vas  accordee?  impudeniy  eshonUf* 
Je  entschiedener  fienaud  anf  seiner  Meinung  besteht, 
daß  Roger  und  Bradamante  nicht  mehr  getrennt  werden 
dürften,  desto  mehr  gerät  Aymon  in  Wut,  bis  ihm  Worte 
nicht  mehr  genug  erscheinen,  bis  er  seinem  Diener  die 
Küstung  zu  bringen  befiehlt,  um  seine  Widersacher  zu  be- 
kämpfen. So  schuf  Garnier  aus  einigen  schwachen  An- 
deutungen bei  Ariost  eine  höchst  dramatische  Szene,  vielleicht 
die  beste  des  ganzen  Stückes.^) 

Andererseits  verkürzt  und  streicht  der  französische  Dichter, 
wenn  er  irgend  eine  Stelle  im  italienischen  Epos  nicht  dra- 
matisch genug  findet.  So  sagt  Ariost  von  Aymon's  Qattin 
(0.  XLIV,  37): 

*Ma  piü  cCAmon  Ja  moglie  Beatrice 
Biasnia  il  figliuolo,  e  chiamalo  arrogante,* 
Mit  ganz   richtigem   Gefühle   ließ  Garnier   diese  Szene 
zwischen  Mutter  und  Sohn  weg  und   legte   die   Worte   der 
ersteren  dem  Vater  in  den  Mund,  für  den  sie  auch  geeigneter 
erscheinen. 

Für  die  dritte  Szene  des  2.  Aktes  war  die  Grundlage 
bei  Ariost  allerdings  gegeben;  dort  sucht  Beatrix  vergebens, 
ihr  geliebtes  Kind  von  der  Heirat  mit  dem  „armen  Bitter^ 
abzubringen,  Bradamante  jedoch  gibt  ihr  auf  alles  Zureden 
keine  Antwort;  nur  Tränen  hat  sie  statt  eines  Wortes  der 
Entgegnung.  Im  französischen  Stücke  malt  Beatrix  ihrer 
Tochter  eine  Zukunft  an  der  Seite  Leon's  mit  den  glänzendsten 
Farben  aus  (Akt  11,  3,  v.  631  £): 

<cLa  femme  vaus  serex  dlvn  puissant  Empereur, 
De  Charles  le  conipaing:  encores  Ckarletnagne 
Äuec  la  France  n'a  qu^un  quartier  d^Alemagne, 
Et  les  champs  MilanoiSy  <m  c*est  que  Constantin 
Tient  viille  regions  de  V Empire  Latin, 


^)  Mit  Unrecht  sagt  Pasini,  l,  c,  S.  135 ^  Aymon  sei  ein  getreue 
Abbild  des  AriosV sehen  Helden  {*A.  e  riprodotto  tale  e  quäle  daW 
Ario8teaco>).  Gerade  die  sttifenioeise  Steigerung  des  Zornes  im  Herzen 
des  alten  Aymon  ist  Garnier's  selbsteigenes  Werk. 


—     117     — 

//  a  la  Macedone  et  la  Thrace  suiette, 

II  commande  au  Dahnate,  au  Gregeois,  et  au  Oeie: 

Vitale,  La  Sidk  et  les  isles  qui  sont 

Depuis  nostre  Ocean  iusqu^ä  la  mer  du  Pont 

Reuerent  sa  puissanee  ...» 

Bradamante  bleibt  nicht  stumm,  wie  bei  Ariost;  sie  hält 
der  Mutter  die  weite  Entfernung  entgegen,  die  sie  vom  Eltem- 
hause  trennen  würde ;  sie  macht  die  Mutter  auf  die  Gefahren 
aufmerksam, .  die  ihr  bei  den  unsicheren  Rechtszuständen  im 
byzantinischen  Reiche  drohen  würden;  doch  Beatrix  erklärt 
sich  bereit,  mit  ihr  nach  Eonstantinopel  zu  gehen;  alles  ver- 
gebens; schließlich  versichert  das  arme  Mädchen,  lieber  ins 
Kloster  sich  flüchten  zu  wollen,  als  Leon  zum  Gemahl  zu 
nehmen,  und  nun  siegt  auch  im  Mutterherzen  die  Liebe  zum 
Kinde  über  den  Kitzel  des  Ehrgeizes  und  des  Größenwahnes ; 
Beatrix  verspricht,  für  ßradamante  Fürbitte  beim  Vater  ein- 
zulegen. 

Von  all  dem  findet  sich  nichts  im  „Rasenden  Roland" 
sondern  Gamier's  dramatisches  Genie  allein  hat  auch  diese 
Szene  geschaffen.^) 

Der  3.  Akt  unseres  Stückes  beginnt  mit  einer  Unter- 
redung Leon's  mit  seinem  Freunde  Roger;')  die  Andeutung 
zu  derselben  hatte  Garnier  im  OrL  fur.  (C.  XLV,  st.  65  f.) 
gefunden,  wo  Ariost  von  Leon  sagt: 

tE  pregal  poi  con  efficad  detti, 

Ch'egli  ^ia  quel,  cKa  questa  pugna  regna 

Col  nome  alind,  sotto  mentita  insegna,* 

Diese  €effUnci  deüü  und  Roger's  Einwendungen  und  Aus- 
flüchte, über  die  sich  der  italienische  Epiker  nicht  näher 
äußert,  bilden  die  erste  Szene  dieses  Aktes,  und  sind  durch- 
weg freie  Erfindung  des  französischen  Dichters.*) 


')  Pasini  sagt  von  dieser  prächtigen  Szene  weiter  nichts,  als  daß 
sie  dem  Ariost  entlehnt  sei. 

■j  Bei  Ariost  spielt  diese  Szene  noch  in  Konstantinopel^  hei  Oamier^s 
^  Stück  sind  loir  über  die  Örtlichkeit  der  Szene  vollständig  im  unklaren 
gelassen. 

•)  Pasini  tadelt,  daß  Garnier  die  beiden  Helden  erst  vorführe,  als 


-.     118    — 

Dagegen  ist  die  nächste  Szene,  der  Monolog  Bradamante's, 
mit  Ausnahme  der  ersten  acht  Verse  und  des  Schlusses,  ge- 
radezu eine  Nachdichtung  der  betreffenden  Stelle  bei  Ariost 
(C.  XLV,  St.  26 — 40) ;  so  drückt  Bradamante  ihre  Befürchtung, 
Roger  möchte  ihrer  Liebe  untreu  werden,  bei  Ariost  in  folgen- 
den Versen  aus  (C.  XLV,  st.  28  v.  3 ff.): 

€  Oh  come  sopra  ogni  timor  k  j/remef 
Clie  per  porla  in  ohhlio  ae  ne  sia  güof 
Che  vistosi  Amon  contra^  et  ogni  speme 
Perduta  mal  piü  cPesserle  fnarito, 
Si  sia  faiio  da  lei  lontano,  forse 
Ck)si  sperando  dal  suo  amcr  diaeiorse.i^ 

Dasselbe  sagt  Garnier's  Bradamante  (v.  819 — 826) 

<iQuelqus  noutielle  amour  (oe  que  Dieu  ne  permeile) 
Vous  eschauferait  point  d'une  flamme  secretle  ? 
Quelque  face  angelique  auroit  point  engraiic 
Ses  iraits  dans  vostre  cceur  de  ses  yenx  e^daui? 
He  Dieu !  que  sgay^ie  ?  helas !  si  d^Aymon  la  rudesse 
Vmis  a  desespere  de  m^auoir  pour  maisiresse, 
Que  pour  vous  arracher  cet  amour  ennuyeux 
Vous  soyex  pour  iamais  esloign6  de  mes  yeux.> 

Wir  sehen  hier,  daß  derselbe  Qedanke  bei  beiden  Dichtem 
mit  nahezu  den  nämlichen  Worten  ausgedrückt  wird,  nur  daß 
der  französische  Dichter  etwas  weitschweifiger  ist.  Die  Gleich- 
nisse in  Stanze  34,  36  und  38  des  46.  Gesanges  finden  sich 
auch  bei  Garnier  nahezu  wörtlich  übersetzt,  so  z.  B.  OrL  für. 
(C.  XLV,  34): 

tSon  simüe  aW  avar^  ch^ha  il  cor  si  intejito 
AI  suo  tesoro,  e  si  ve  fha  sepoÜOj 


Roger  das  Versprechen  ^  für  Leon  iii  die  Schranken  zu  treten^  bereits  ge- 
geben habe;  Garnier  Jiabe  augenscheinlich  vermieden,  den  inneren  Kampf 
Leon's  vor  der  Einwilligung  zu  schilde^-n,  den  Arioat  so  wunderbar  er- 
zählt habe.  Wir  müssen  gestehen,  daß  Ariost  Roger' s  Seelenqualen  gerade 
nach  der  Abgabe  des  Versprechens  in  mehreren  Stanzen  darstellt  (0.  f., 
C.  44,  st  57 — 60),  während  jenem  Teil  7iur  eine  Stanze  {ibd.  $t.  S6) 
gewidmet  ist. 


—     119     — 

Che  non  ne  pud  lontan  vivp-  cantenio, 
Ni  non  aempre  temer  che  gli  sia  tolto.* 

Garnier,  Brad.  v.  831—835: 

tJe  ressemble  d  celuy  qui  de  son  or  auare 
Ke  Veshigne  de  peur  qu'in  larron  sVn  empare: 
Tousiours  le  vondroil  voir,  Vavmr  ä  son  cosUl, 
Craignant  tncessammeni  qu^il  ne  luy  soit  oste»,  etc. 

Die  nächste  Szene  (Sp.  3),  ist  der  62.  und  63.  Stanze 
des  46.  Gesanges  entnommen,  wo  Leon,  der  eben  vor  Paris 
angekommen  ist,  sich  bei  Karl  dem  Großen  zum  Zweikampfe 
mit  Bradamante  anmeldet;  während  aber  bei  Ariost  der 
Griechenfurst  in  Tier  Zeilen  seine  Bitte  yorträgt  und  von 
Karl  nur  gesagt  wird,  daß  er  dieselbe  gewähren  wolle,  bildet 
Garnier  daraus  eine  Szene  von  25  Versen  (V.  859 — 885), 
ohne  einen  neuen  Gedanken  hinzuzufügen.^)  Ganz  frei  er* 
funden  ist  Szene  4  des  3.  Aktes,  in  welcher  Bradamante  mit 
Karl  und  ihrer  Dienerin  Hippalque  die  Vorbereitungen  zum 
Kampfe  bespricht  und  ihrem  Abscheu  gegen  den  „Gregeois^ 
Ausdruck  verleiht.  Mit  epischer  Breite  erzählt  uns  Ariost, 
wie  Roger  Stück  für  Stück  seiner  Kampfesrüstung  anlegt. 
Garnier  ahmte  diese  Schilderung  zum  Kachteil  seiner  Tragi- 
komödie in  der  5.  Szene  nach,  nur  daß  Roger  bereits  in 
voller  Rüstung  auf  die  Bühne  tritt.  Aber  erst  von  Vers  973 
an  hält  er  sich  an  sein  Vorbild,  wobei  er  auch  viel  weit- 
schweifiger ist  als  jenes  (cfr.  Orl,  fur.^  C.  XLV,  st,  69  und 
70).  Ein  weiterer  Monolog  folgt  bei  Garnier  in  der  nächsten 
Szene,  indem  Bradamante  ebenfalls  in  Kampfesrüstung  er- 
scheint und  nach  Art  der  Helden  vor  Troja  Drohungen 
gegen  ihren  byzantinischen  Partner  im  bevorstehenden  Kampfe 
ausstößt.*)  Ariost  dagegen  läßt  seine  Amazone  wortlos  sich 
in  den  Kampf  stürzen,  und  erzielt  dadurch  zweifelsohne  eine 
größere  Wirkung. 


*)  Dagegen  läßt  Garnier  hier  sorg  faltigst  die  hei  Ariost  befind- 
lichen Zeitbestimmungen  Hl  medesmo  di»  und  'Valtro  dU  ((X  f.  C.  45, 
st.  62  u.  63)  weg, 

•)  Auch  Pasini  bezeichnet  (l.  c,  8.  131)  diese  Schmährede  Brad' 
gegen  Leon  als  eine  unglückliche  Erfindung  des  franz.  Dichtens. 


—     120    — 

Zwischen  dem  3.  und  4.  Akt  ist  eine  gewisse  Zwischen- 
zeit zu  denken,  in  welcher  der  Kampf  sich  abspielt;  der- 
selbe dauert  bei  Ariost  den  ganzen  Tag  hindurch,  bei  Garnier 
fehlt  eine  Zeitangabe.  Die  1.  Szene  des  4.  Aktes  ist 
von  dem  französischen  Dichter  frei  erfunden:  die  Eltern 
Bradamante's  erfahren  von  La  Montagne  den  Verlauf  und 
Ausgang  des  Kampfes,  von  dem  das  Schicksal  ihrer  Tochter 
abhängt.  La  Montagne's  Schilderung  hält  sich  eng,  oft 
sogar  wörtlich,  besonders  bei  den  Gleichnissen,  an  das  Ori- 
ginal {Orl.  für.,  C.  XLV,  8t  71—82),  nur  der  Schluß  ist  bei 
Garnier  anders  gestaltet;  hier  bedrängt  Roger  €comme  en 
ayant  piti6>  (v.  1109),  nachdem  er  sich  zuvor  immer  in 
Defensive  gehalten,  seine  Gegnerin  derart,  daß  sie  kampfes- 
müde sich  ergibt,  im  Orl.  für.  macht  erst  der  Einbruch  der 
Nacht  und  der  Befehl  des  Kaisers  (cfr.  Orl.  für.,  C.  XLIV,  st.  82) 
dem  Kampfe  ein  Ende^);  Roger  hält  sich  bis  zum  Schlüsse 
in  Defensive  und  das  Motiv,  warum  er  überhaupt  Wieder- 
stand leistet,  liegt  in  dem  Versprechen,  das  er  seinem  Freund 
und  Lebensretter  gegeben  hat.  Für  die  folgenden  2  Szenen 
war  die  Situation  allerdings  im  „Rasenden  Roland^  gegeben, 
allein  Garnier  arbeitete  dieselbe  ganz  selbständig  aus.  Die 
Monologe  Roger's  und  Bradamante's  sind  im  französischen 
viel  lyrischer,  exklamativer  als  bei  Ariost,  wo  z.  B.  Roger 
in  ganz  logischer  "Weise  die  Folgen  seines  Sieges  überdenkt 
und,  als  er  keinen  anderen  Ausweg  als  den  Tod  sieht,  von 
seinem  Schlachtroß  und  Schwerte  Abschied  nimmt  (0.  XLV, 
st.  86—95). 

Wie  schon  früher  bemerkt,  liebt  es  der  französische 
Dichter,  mythologische  Anspielungen  da  und  dort  einzu- 
schalten. Hier  haben  wir  ein  weiteres  Beispiel  (Akt  IV, 
Sz.  2,  V.  1127  flF.): 

tGouffres  des  cretix  enfers,  Tenariens  riiiages, 
Oynhres,  Larues,  Fiirevrs,  Mojisires,  Demons,  et  EagcSy 
Anachex  moy  (Tici  pour  me  roucr  lä  bas»  etc., 


*)  Pasiui,  ihd.f  S.  127  findet  in  den  beiden  Erzählungen  des  Zwei- 
kampfes  keinen  Unterschied, 


—     121     — 

später  noch  in  demselben  Monolog  wird  Mars,  Hector  und 
der  trojanische  E[rieg  erwähnt. 

Bradamante's  Klagen  nach  ihrer  Niederlage  sind  bei 
Ariost  (C.  XLV,  st.  98 — 103)  einfach,  aber  rührend,  sie 
enden  in  dem  erneuten  Versprechen,  ihrem  vermeintlich 
fernen  Geliebten  treu  zu  bleiben,  wenn  auch  hinter  den 
stillen  Mauern  eines  EUosters.  Bei  Garnier  bricht  sie  zuerst 
in  heftige  Vorwürfe  gegen  sich  selbst  aus,  erst  von  v.  1292 
beklagt  sie  ähnlich  wie  im  „Basenden  Boland^  das  Femsein 
des  Geliebten.  Wir  wollen  den  Anfang  der  Klagen  Brada- 
mante's  in  den  beiden  Dichtungen  gegenüberstellen,  um  zu 
zeigen,  wie  verschieden  ein  und  dasselbe  Grandmotiv  behandelt 
worden  ist    Ariost  (C.  XLV,  st.  97): 

€Dehj  Ruggier  mio  (dieea)  dove  sei  giio? 
Puote  esser  che  tu  sm  tarUo  discosto, 
Que  tu  non  abbi  quesio  bando  uditOj 
A  nessun  dUro^  fuor  cKa  te,  nascosio?* 
Garnier,  Brad.  (Akt  IV,  3,  v.  1173 ff.): 

Brad,:  tHa  fiüe  miserable  et  regorgeant  de  mavxl 
0  du  sort  ouiragetix  trop  ovtrageiix  assauis! 
0  fnalheureuse  t^ie  en  mise/res  plongee! 
0  mon  ame,  6  mon  ame  d  iamais  affligee!^  ^) 
Wieviel  würdiger  weiß  doch  Ariost  den  Schmerz  auszu- 
drücken! Szene  4  des  4.  Aktes  ist  wiederum  freie  Erfindung 
Gainier's;  sie  ist  als  ein  sehr  glücklicher  Griff  des  Dichters 
zu  bezeichnen,  da  sie  sehr  dramatisch  wirkt  imd  uns  eine  der 
interessantesten  Gestalten   des  Ariost'schen  Epos,   Marphise, 
die  .edle  Schwester  Boger's  und   die  treue  Freundin  Brada- 
mante's  vorführt.*)     Szene   5   hingegen  geht  auf   C.  XLV, 
st.  103 — 116)*)   des  Orl.  für.   zurück;  jedoch  folgt  Garnier 


*)  Paaini  (l.  c,  S.  127)  geht  stillschweigend  über  diese  Unterschiede 
hinweg. 

*)  Irrtümli<;herweise  läßt  P&aini  {l.  c.  S.  127)  diese  Szene  aus  dem 
Orl.  f.,  C.  45^  st.  103  sich  entwickeln,  wahrend  doch  dort  nur  gesagt 
toird^  daß  Marphise  zu  Karl  d.  Grofkn  geht  und  für  Roger  und  Brada- 
mante  Fürbitte  einlegt.  Sz.  4  des  4.  Aktes  dagegen  spielt  zwischen  Mar.., 
Brad.  u.  Hippalque  und  ist  vom  franz.  Dichter  eingefügt. 

*)  Bei  Pasini,  ibd.,  ist  fälschlich  st.  104  u.  103  desselben  Gesanges 
angegeben. 


—    128    - 

keineswegs  sklavisch  diesem  Vorbilde.  Während  bei  Ariost, 
Marphise  die  Szene  eröfinet  und  trotzig  vom  Kaiser  verlangt, 
Leon  müsse  noch  mit  ihrem  Bruder  auf  Leben  und  Tod 
kämpfen,  wenn  er  Bradamante,  die  doch  mit  Roger  bereits 
verlobt  sei,  als  Gattin  haben  wolle,  worauf  Karl  dem  ,,GriecheQ* 
fursten^  diese  Aufforderung  mitteilen  läßt  — ,  ist  es  in  Ghimier's 
Stück  Leon,  welcher  zuerst  das  Wort  ergreift  und  den  Kaiser 
um  seinen  Siegespreis  bittet.  Auch  hier  ist  Aymon  ganz 
verschieden  von  dem  Amon  des  OrL  fwr.\  zwar  weigert  er 
sich  in  beiden  Fällen  Marphise  nachzugeben,  allein  bei  Garnier 
tritt  er  viel  entschiedener  und  lärmender  auf  als  bei  Ariost; 
er  führt  einen  höchst  komischen  Wortwechsel  mit  dem  furchtlosen 
Mädchen,  er  wird  sogar  von  seiner  Frau  unterstützt,  die  dort 
überhaupt  nicht  auftritt.^)  Doch  nimmt  er  ab  und  zu  einen 
Vers  wörtlich  aus  dem  Epos  herüber,  so  z.  B.  v.  1381: 
Ay. :  « Cesi  vne  pure  fraude  ourdie  encontre  moy.  > 

Ariost  sagt  (C  XLV,  st.  108,  6) : 

tQuesto  e  (diceva  Amcm)  questo  e  un  inganno 
Contra  7ne  ordito  ...» 

Karl  der  Große  endlich,  welcher  im  Epos  an  dieser 
Stelle  ganz  in  den  Hintergrund  tritt,  nimmt  in  der  Tragi- 
komödie lebhaften  Anteil  an  dem  Gespräche  und  sucht  die 
streitenden  Parteien  zu  versöhnen.  Die  letzte  Szene  (6)  des 
4.  Aktes  gehört  ganz  Garnier  an,  die  Person  des  Herzogs 
von  Athen  ist  von  Garnier  erfunden,  um  die  Szene  zu  er- 
möglichen; im  Orlando  heißt  es  bloß  von  Leon  (C.  XLV. 
St.  117): 

tPer  cütadi  mandö,  ville  e  casteUa^ 
Uappresso  e  da  lontan,  per  rürovarh.* 

Im  5.  Akt  mehren  sich  die  Abweichungen  von  der 
Quelle.  Das  Zwiegespräch  zwischen  Leon  und  Boger  findet 
bei  Ariost  im  Walde  statt,  wo  Roger  den  Tod  suchen  wollte; 
Garnier  unterläßt  wiederum  jede  Ortsangabe,  die  Szene  be- 
ginnt erst,  nachdem  Roger  seinen  wahren  Namen  geoffenbart.*) 


*)  Auch  diese  Unterschiede  sind  von  Pasini  nicht  bemerkt  w&rden 
{vgl  0.  c,  S,  127). 

3)  Pasini,  S.  133,  tadelt  es,  daß,  wie  hiefr,  Garnier  uns  oft  vor  ei$u 


—     123    ^ 

Charakteristisch   für   Garnier    sind    die    zwei    letzten  Verse 
dieser  Szene  (v.  1639 f.): 

tBeiournons  au  logis  pour  vn  peu  i^<m8  re faire, 
Puis  irom  au  chasteau  pour  vos  nopcts  par faire,* 

Im  OrL  für.  bleiben  die  beiden  im  ganzen  drei  Tage  im 
Walde,  bis  Boger,  der  Ton  der  Aufregung  der  letzten  Zeit 
ganz  entkräftet  war,  seine  frühere  Kraft  wiederfindet.^)  Auf 
diese  Weise  wird  im  Drama  die  Orts-  und  Zeiteinheit  ohne 
Schwierigkeit  beobachtet.^)  In  der  2.  Szene  erscheint  die  bul- 
garische Gesandtschaft  vor  dem  Kaiser  des  Abendlandes  und 
erzählt  von  Boger's  Heldentaten  in  der  Schlacht  bei  Horen- 
garde;  bei  Ariost  ist  die  Gesandtschaft  nur  in  der  ^Cittä 
Jieahf  nicht  aber  vor  dem  Kaiser  (C.  XLVI,  st.  48).  Der 
Schlachtbericht  ist  im  Vergleich  zur  nämlichen  Schilderung 
bei  dem  italienischen  Dichter  (C.  XLIV,  st.  79  ff.)  farblos 
und  nüchtern. 

So  wird  die  wunderbare  Stanze  87  durch  den  einfachen 
Vers  (1664)  wiedergegeben: 

<icEi  des  Grecs  ennemü  fit  vn  sanglant  camage.*  *) 

Die  nächste  Szene  hat  Garnier  wahrscheinlich  eingeschoben^ 
um  Aymon  und  Beatrix,  die  beiden  komischen  Bollen,  noch 
einmal  auftreten  zu  lassen,  aus  dem  „armen  Bitter"  Boger 
ist  ja  nun  ein  mächtiger  König  geworden  und  diese  Verände- 
rung konnte  nicht  ohne  Wirkung  auf  das  EUtempaar  bleiben. 
Karl  teilt  ihnen  mit,  daß  die  Bulgaren  den  tapferen  Boger 
zum  Könige  haben  wollen;  daraufhin  ändern  sie  sofort  ihre 
Gesinnung  gegen  den  vorher  so  arg  geschmähten  Bitter,  gerne 
möchten  sie  ihn  nun  zum  Schwiegersohne  haben: 


vollendete  Tatsache  stelle ^  ohne  dieselbe  wie  hei  Ariost  zu  eyitwickeln. 
Doch  können  wir  nicht  einse)ien,  was  diese  Szene  gewonnen  hätte  dxtreh 
fine  Schilderung  der  Art  und  Weise^  wie  Leon  seinem  Freunde  das  Ge- 
ständnis abrvigt. 

»)  Cfr,  Orl  für.  (C.  XLVI,  st.  48): 

Ove  posaro  il  resto  di  quel  gionWy 
E  Valtro  appresso^  e  Valtro  tntto  intei'o 
Tanfo  che  7  Cavalier  dal  liocomo 
Tornato  fu  nel  suo  vigor  primiero.* 
*)  Pasini  scheint  diese  Zeitvet^schiebungen  übersehen  zu  haben. 
*)  Pasini,  S.  IIU,  gibt  ein  ähnliches  Beispiel  aus  dieser  Szene  an. 


—     124    — 

€Puis  qu'il  est  maintenani  Roy  de  la  Bfdgarie,» 

(v.  1624.) 

Szene  4  bringt  die  Auflösung  des  dramatischen  Knotens : 
Von  Roger  begleitet,  tritt  Leon  vor  den  Kaiser  hin  und  er- 
zählt, wie  er  seines  Freundes  Bekanntschaft  gemacht,  dessen 
Tapferkeit  in  der  Schlacht  bei  Hovengarde  bewundert,  und 
wie  er  ihn  für  sich  in  den  Zweikampf  gesandt  habe.  All  dies 
ist  jedoch  viel  ausführlicher  geschildert  als  im  Orlando,  doch 
folgt  der  französische  Dichter  der  Hauptsache  nach  seiner 
Quelle.  Der  Anfang  von  Leon's  Erzählung  (Brad.  v.  Garnier, 
Akt  V,  4,  V.  1629;  vgl.  Ort.  für.  C.  XL  VI,  st.  54)  weicht 
insofern  ab,  als  auch  hier  Garnier  die  bei  Ariost  sich  findende 
Angabe  der  Dauer  des  Kampfes  fallen  läßt.  Die  Fragen,  die 
Karl  an  den  Byzantiner  stellt,  sind  von  Garnier  erfunden. 
Auch  Aymon's  Zwischenreden,  die  plötzliche  Umwandlung 
seiner  Gesinnung,  als  er  hört,  daß  Roger  der  Sieger  im  Zwei- 
kampfe gewesen  ist,  die  Worte  der  Beatrix,  die  bei  Ariost 
an  dieser  Stelle  überhaupt  nicht  erwähnt  wird,  sind  Ein- 
schiebungen  des  französischen  Dramatikers.^) 

Wir  sehen,  daß  Garnier  das  Elternpaar  Bradamanten's 
bei  jeder  Gelegenheit  in  den  Vordergrund  stellt,  während 
es  im  Epos  eine  sehr  unbedeutende  Rolle  spielt.  Szene  6  des 
5.  Aktes  geht  auf  Stanzen  65  und  66  (C.  XLVI)  zurück, 
doch  zeigt  uds  in  diesen  der  Dichter  die  glückliche  Braut 
allein,  in  der  Kammer  weinend  vor  Freude 

<Piangea  i  suol  casi  in  camera  segrüat ; 
bald  stürzen  mehrere  Boten  herein  und  verkünden  ihr  die 
Wendung.  Der  Dramatiker  vereinfachte  diese  Szene,  indem 
er  Hippalque  allein  ihrer  Freundin  die  Botschaft  übermitteln 
läßt.  Die  letzten  zwei  Szenen,  welche  aus  dem  unmotivierten 
Erscheinen  Melisse's  und  aus  der  Entschädigung  Leon's  durch 
die  Hand  Leonoren's  bestehen,  der  Tochter  Karl  des  Großen, 
wären  besser  fortgeblieben,  da  sie  in  keiner  Weise  zum 
Stücke   gehören.^)     Weder   von  Melisse   noch  von  Leonore 


*^  Pasini    {S.    128)    erwähnt   auch    hier   keine    Verschiedenheiten 
zwischeti  dem  ital.  Poem  und  dem  Theaterstücke, 

*)  Atich  Pasini   ist  hier  unserer  Ansicht,    Er  sagt  hierüber  {l.  c, 


—     125     — 

wurde  einmal  im  Stücke  gesprochen,  vielleicht  glaubte  Garnier^ 
ein  derartiger,  romantischer  Stoff  müßte  notwendigerweise  von 
Geistererscheinungen  u.  dgl.  begleitet  sein,  und  in  einer  Tragi- 
komödie dürfte  am  Schlüsse  des  letzten  Aktes  auch  nicht 
eine  Person  Grund  zur  Traurigkeit  haben. 

Wenn  wir  das  Resultat  unserer  Untersuchung  noch  kurz 
zusammenfassen,  so  ergibt  sich,  daß  yon  den  23  Szenen,  aus 
denen  das  Stück  besteht,  15,  also  mehr  als  die  Hälfte  durch 
den  französischen  Dichter  teilweise  oder  ganz  geschaffen 
werden  mußten,  während  die  übrigen  bei  Ariost  sich  bereits 
vorfinden.  Mit  der  freien  Behandlung  des  Stoffes  geht  eine 
ebenso  freie  Gestaltung  der  Charaktere  Hand  in  Hand. 
Am  wenigsten  verändert  ist  die  Person  Boger's,  welcher 
ebenso  entsagungsvoll  und  edelmütig  im  Gamier'schen  Stück 
ist,  wie  im  Epos  Ariost's.  In  beiden  Dichtungen  tritt  uns 
besonders  die  Gefühlsseite  dieses  Helden  entgegen,  seine 
Klagen  um  die  Geliebte,  um  sein  eigenes  Glück,  nehmen  einen 
breiten  Raum  ein;  was  aber  im  Epos  sich  gut  durchführen 
läßt,  ist  nicht  immer  für  die  Bühne  vom  Vorteil;  so  dürfen 
wir  sagen,  daß  Roger's  Gestalt  im  Stück  verfehlt  zu  nennen 
ist,  weil  sie  zuviel  spricht,  immer  spricht,  nie  aber  auf 
offener  Szene  handelt.^)  Von  Ariost'schen  Helden  möchten 
w^ir  Taten  sehen  und  Abenteuer,  nicht  aber  endlose  Klagen 
hören.  Erscheint  uns  Roger's  Charakter  zu  schwächlich  und 
weiblich,  so  finden  wir  Garnier's  Bradamante  etwas  allzu 
männlich,  ganz  verschieden  von  jener  echten  Jungfrauenge- 
stalt in  der  Panzerrüstung  bei  Ariost.  Wie  hätte  ihr  der 
italienische  Epiker  so  unweibliche  Worte  in  den  Mund  gelegt 
wie  Garnier  in  Akt  III,  6,  v.  989 ff.: 


S.  130) :  •L'unica  vera  novitä  inseriiaj  anzi  posta  in  coda  dal  francesCj 
voglio  dire  la  combinazione  improvista  del  matrimonio  di  Leonora  con 
Leone^  non  poteva  essere  piü  infelic'e.*  Ähnlich  äußert  er  sich  über 
Melissas  Auftreten.  Pasini  glaubt,  daß  Garnier  sie  eingeführt  habe, 
weil  sie  sich  auch  bei  Ariost  finde.  Er  wirft  daher  dem  franz.  Dichter 
Mangel  an  Selbständigkeit  vor.  Warum  hat  aber  der  Dichter  so  selb- 
ständigerweise die  Leonore  eingeführt?  Auch  sonst  geht  der  franz. 
Tragiker  sehr  selbständig  vor;  wir  glauben  daher  nicht,  daß  PJs  Moti- 
vierung richtig  ist. 

*)  Dasselbe  sagt  Pasini,  Ä  137. 


—     186    — 

€<S**  ie  U  puis  atkindre  anec  le  couUlas^ 

Je  renuoiroy  chercher  vne  femme  Id  bas: 

Ce  mignon,  oe  beau  filSf  qui  n*a  boiig^  de  Grece, 

Et  qui  ne  feit  iamais  preuue  de  sa  prouesse 

X^a  cou7ni  la  foriune  et  ne  s^est  hasardH  etc,^) 

Leon  ist  wie  bei  Ariost  der  zaghafte  und  feige  ^heau  /i/.s», 
der  verweichlichste  Orientale,  der  nur  auf  den  starken  Arm 
seines  Freundes  vertraut,  dessen  Liebe  zu  Bradamante  nur 
eine  Laune  ist,  da  er  so  leicht  auf  sie  verzichten  kann.  Als 
er  zum  Schlüsse  die  ihm  angebotene  Hand  Leonoren's  ohne 
Zögern  annimmt,  müssen  wir  überhaupt  zweifeln,  ob  sein 
Charakter  ernst  zu  nehmen  ist.  Viel  elirenvoller  verläßt  er 
im  Epos  den  Schauplatz,  da  er  dort  sich  stillschweigend  ent- 
fernt, nachdem  Eoger  und  Bradamante  sich  wiedergefunden 
haben.  ^) 

Auf  die  Umwandlung,  die  Garnier  mit  den  Eltern 
Bradamante's  vornimmt,  haben  wir  bereits  mehrmals  hinge- 
wiesen. Ihre  vorzügliche  Charakterzeichnung  beweist,  daß 
der  französische  Dichter  auch  über  eine  glückliche  komische 
Ader  verfügt.  Der  tostinato*  Aymon  im  Orl.  für,  wird  zum 
habsüchtigen  Kleinbürger,  dem  vor  allem  darum  zu  tun  ist, 
seine  einzige  Tochter  möglichst  vorteilhaft,  vor  allem  tsans  cfo/», 
an  den  Mann  zu  bringen  (v.  176  flF.): 

€  Ce  que  ie  prise  plus  en  si  belle  alliatice, 

Ccst  qti'il  ne  faiidra  point  desboiirser  de  finance» 

II  ne  demande  rien,^  [!J 

worauf  seine  würdige  Gattin  erwidert: 

<ll  est  trop  grand  seigneur. 
Qu'a  besoing  de  nos  biens  le  fUs  dhii  E?nperew'?i 

Aymon  ist  der  geizige  Alte  der  italienischen  Komödie,   der 
Damonio   der  Suppositi,   welcher  seine  Tochter  dem  reichen 


.    »)   Vgl  Akt  IV,  .%  V.  1077  f.  —  Pas  in  i  (S.  136)  berührt  dieien 
Charakterzuy  nicht,   dagegen  findet  er,   daji  die  Brad.    Gamier'a  eine 
gröfkre  *deUcatezza»  zeige,  wenn  sie  nicht  dem  Vater,  Bondem  der  Mutter, 
und  zwar  in  schonendster  Weise  mitteile,  daß  sie  Roger  allein  liebe, 
*)  Ähnlich  Paaini,  S.  137, 


^     127    — 

Doktor  der  Rechte,  Cleaudro,  anbietet.  Levrault  glaubt^ 
daß  kein  geringerer  als  Moli^re  eine  Reihe  dieser  komischen 
Szenen  (Akt  IT,  1,  2,  3),  in  denen  die  beiden  Gatten  auf* 
treten,  in  seinem  Avare  verwertet  hat.^)  Neben  dem  G^ize 
macht  sich  bei  dem  alten  Aymon  eine  gewisse  Prahlerei^ 
geltend,  von  der  wir  bei  Ariost  nicht  das  Mindeste  hören. 
Ebert  glaubt  daher,  in  Aymon  den  Matamoros  der  Komödie  zu 
sehen.  ^)  Besonders  glücklich  gelang  dem  französischen  Dichter 
die  Charakterzeichnung  der  Beatrix;  ganz  unter  dem  JSinfluB 
ihres  rauhen  Gemahles  stehend,  schätzt  sie  wie  dieser  das 
gleißende  Gold  und  den  kaiserlichen  Purpur  höher  als  alle 
anderen  irdischen  Güter ;  aber  noch  höher  steht  ihrem  Mutter- 
herzen das  Glück  ihrer  geliebten  Tochter,  der  sie  alles  opfert 
(vgl.  A.  II,  Sz.  3  V.  510): 

€vn  iour  m^est  ennuye^ix 
Quafid  vn  iour  ie  me  treuue  absente  de  vos  yeux!^ 

Als  sie  sieht,  daß  Bradamante  lieber  ins  Kloster  gehen 
will,  als  Leon  nach  Byzanz  zu  folgen,  gibt  sie  ihre  Heirats- 
pläne auf  und  verspricht  sogar  beim  Vater  Fürbitte  einlegen 
zu  wollen.*) 

An  die  italienische  Komödie  erinnert  auch  die  Gestalt 
des  Dieners  La  Roque,  eine  ganz  selbständige  Schöpfung  des 
französischen  Dramatikers.  Zwar  tritt  er  nur  in  einer  Szene 
(11,  1)  auf,  aber  die  wenigen  Worte,  die  er  spricht,  könnten 
ihn  nicht  besser  charakterisieren.  Als  der  alte  Aymon  voll 
Wut  über  ßenault's  Ungehorsam  nach  Waffen  ruft  und  die 
lächerlich  schreckliche  Drohung  ausstößt  (v.  457): 

^Je  i^eray  dans  le  sang  iusqites  d  la  ceinturel» 
unterbricht  ihn  der  Diener  mit  unverschämtem  Spotte: 
^Monsieur,  enirons  dedanSj  ie  crains  que  vous  iombiex, 
Yous  n'estes  pas  trop  bien  asseure  sur  vos  pieds.-i 
Da  die  übrigen  auftretenden  Personen  eine  sehr  unter- 


»)  Les  genre»  litt    La  ConUdie,  S.  27(9). 
*)  Vgl.  AM  II  2,  V.  U9,  461  u.  473. 

•)  Ähnlich  nentU  Rigal  den  Aymon  einen  Rodomont  oder  einen 
Taillehran  {Le  Th.  de  la  Ren.,  in  Julleville's  Lit-Oes.,  Bd.  III,  313). 
*)  Fasini  bespricht  diesen  Cliarakter  nicht. 


—    128    — 

geordnete  Bedeutung  im  Stück  haben,  wollen  wir  sie  nicht 
in  das  Bereich  unserer  Untersuchung  ziehen.  Im  ganzen 
können  wir  sagen,  daß  die  Änderungen,  die  Gramier  in  der 
Behandlung  des  Stoffes  vornahm,  nachteilig  für  den  Wert 
der  Bradamante,  die  Änderungen  und  Neugestaltung  der 
Charaktere  dagegen  vorteilhaft  zu  nennen  sind. ^) 

Wie  wir  bereits  bemerkt  haben,  nimmt  Garnier  ganz  be- 
sonders die  Gleichnisse  aus  Ariost  herüber,  indem  er  sie 
meist  wörtlich  übersetzt.  Selbst,  da  wo  die  Szene  ganz  frei 
erfunden  ist,  werden  Vergleiche  aus  dem  Epos  eingestreut. 
Im  folgenden  stellen  wir  eine  Liste  dieser  meist  wörtlichen 
Entlehnungen  auf. 

Vergleich : 

Akt      I,  1,  V.      87—90      =  Orl.  fiir. 

Akt  III,  2,  V.     815—818    =  „  „ 

V.    831-834    =  „  „ 

V.     837-842     =  „  „ 

V.     843-849     =  „  „ 

Akt  IV,  1,  V.  1046—1050  =  „  „ 

V.  1051-1054  =  ,  , 

„  V.  1059—1669  =  „  „ 

V.  1083—1089  =  „ 

Akt  IV,  2,  V.  1160—1154  =  „  „ 

Akt  V,  2,  V.  1567—1568  =  „  „ 

Neben  dem  Orl.  für.  bildeten  auch  die  Dichtungen  von 
Vergil  und  Seneca,  teilweise  auch  von  Horaz  eine  Quelle 
für  die  vielen  Vergleiche,  die  Garnier  in  seine  Tragikomödie 
eingeschoben  hat,  und  welche  die  an  und  für  sich  schon  zu 
langen  Monologe  noch  mehr  ausdehnen.') 

Aus  der  von  uns  angestellten  Untersuchung  ergibt  sich  für 


0.  XLIV, 

St. 

92 

C.  XLV, 

r> 

26 

C.  XTiV, 

»1 

34 

0.  XTiV, 

n 

36 

C.  XLV, 

» 

38 

0.  XLV, 

n 

71 

C.  XLV, 

n 

72 

C.  XLV, 

» 

73 

C.  XLV, 

n 

75 

C.  XLIV, 

n 

46 

C.  XLIV, 

t> 

87.») 

»)  Ähnlich  Rigal  (^  c,  S.  312)  wnd  Pasini,  I.  c,  S.  13S, 
•)  Über  diese  Entlehnungen  siehe  bes.  in  Pasini 's  Arbeit  {S.  139 
— 164)  das  Kapitel  »La  forma»  ^  welches  der  beste  Teil  der  ganzen  Ab- 
handlung ist  Der  Rahmen  unserer  Arbeit  erlaubt  uns  nicht,  näher 
auf  diese  entlehnten  Stellen  einzugehen.  Pasin i's  Zusammenstellung 
ist  außerdem  so  genau,  dafi  kautn  etwas  nachztitragen  wäre, 

*)  Vgl.  Tr 08 1,  iltude,  S.  20 ff.,  wo  diese  Quellen  untersucht  nnd. 


—     129     — 

das  VerhältaiiB  Garnier's  zu  Ariost  folgendes  Resultat;  die 
HandluDg  in  der  französischen  Tragikomödie  beruht  in  der 
Hauptsache  auf  den  letzten  zwei  Gesängen  des  Orl,  für. 
Ausgenommen  den  1.  Akt  und  die  beiden  letzten  Szenen 
des  5.  Aktes,  folgt  der  französische  Dichter  seinem  Vorbilde 
in  allen  wesentlichen  Punkten,  ist  aber  stets  bestrebt,  den 
epischen  Stoff  dramatisch  zu  gestalten  und  schiebt  ein  bei 
Ariost  nicht  vorkommendes  komisches  Element  ein.  Wörtliche 
Entlehnungen  finden  sich  meist  nur  in  den  Vergleichungen. 
Was  den  Bau  des  Stückes  betrifft,  so  ist  Garnier  darauf  be- 
dacht, die  Einheiten  der  Zeit  und  des  Ortes,  im  Gegensatze 
zu  seiner  Quelle,  zu  bewahren,  d.  h.  in  den  Fußstapfen  Seneca's 
zu  bleiben,  wodurch  jedoch  der  Stoff  viel  von  seinem  ur- 
sprünglichen Beize  verliert. 

Von  einer  großen  Anzahl  von  Forschern  besitzen  wir  Urteile 
über  den  historischen  und  ästhetischen  Wert  unseres  Stückes. 

Als  sehr  wichtig  scheint  uns  vor  allem  das  von  Vau- 
quelin  de  la  Fresnaie  in  seinem  Art  poäique  gefällte 
Urteil,  das  von  keinem  der  von  uns  angeführten  Autoren  an- 
gedeutet oder  zitiert  wird.  Im  1.  Bd.  seiner  poesi^  diverses 
(hrgs.  z.  Caen  1869,  3  Bde.)  findet  sich  auf  S.  86  u.  87 
eine  kurze  Inhaltsang,  der  Brad.  in  Versen,  und  zum  Schlüsse 
wird  das  Stück  als  das  Master  eines  Dramas  in  bezug  auf  die 
VViedererkennung  („reconnoissance^')  und  auf  die  Vermischung 
des  Tragischen  mit  dem  Komischen  genannt. 

Die  Brüder  Parfaict  zählen  es  zu  den  schwächsten 
unter  den  Dramen  Gamier's  ^),  bezeichnen  es  aber  irrtümlicher- 
weise als  die  erste  Tragikomödie.^)  La  Harpe,  der  große 
Kritiker  des  18.  Jahrhunderts,  erwähnt  die  Bradamante  nicht.  ^) 
Dagegen  lobt  Sainte-Beuve  den  Dichter,  daß  er  nicht  den 
Chor  und  die  allzu  große  Einfachheit  der  klassischen  Tragödie 
verwandt  habe.^)    Ebert  nennt  die  Bradamante  neben  den 


»)  Bist  du  Th.  fr.,  Bd.  lU,  454  f 

•)  Dasselbe  ^m^  Maupoint  (S.  58),  welcher  sagt^  doli  das  Stück 
y^Ariost"  ganz  nachgeahmt  sei.  —  Über  die  erste  Tragikomödie  s.  Böhm, 
Seneca^  S.  4,  Anm.  2. 

»)  C(mrs  de  litt,  Bd.  i,  460, 

*)  Lt  Iße  «.,  S.  274, 
Mttnchener  Beiträge  z.  romanischen  n.  engl.  Philologie.    XXXIV.     9 


—     130    — 

Jüdinnen  das  bedeutendste  Drama  unseres  Dichters,  hebt  be- 
sonders den  Keichtum  der  Handlang  hervor,  tadelt  aber  das 
Vorherrschen  des  Monologes  und  die  lockere  Szenen  Verbindung.*) 
Moland  konstatiert  die  Beliebtheit  unseres  Stückes,  das 
noch  zur  Zeit  Scarron's  populär  gewesen  sei.*)  Darmesteter 
und  Hatzfeld  bezeichnen  es  als  das  beste  von  allen 
Stücken  Garnier's,  nur  finden  sie  die  Mischung  zwischen 
Komischem  und  Tragischem  nicht  immer  gelungen.^)  Nach 
Wenzel  ist  die  Exposition  des  Stückes  kurz,  die  Hand- 
lung einheitlich,  während  die  Verwicklung  durch  die  entgegen- 
gesetzten Ansichten  der  Hauptpersonen  ungemein  interessiere.^) 
Ganz  besonders  eingehend  kritisiert  Faguet  Garnier's  Brada- 
mante.  Er  tadelt  vor  allem,  daß  Roger  und  Bradamante 
sich  während  des  ganzen  Stückes  nicht  sehen  und  daß  nicht 
letztere  anstatt  Marphisens  den  Leon  zum  Kampfe  heraus- 
fordert. Roger's  Klagen,  sagt  er,  würden  mehr  wirken,  wenn 
sie  in  einem  weniger  geschraubten  Tone  gehalten  wären; 
auch  Karl's  Sprache  findet  er  schwülstig  (boursouflS).  *) 
Bernage,  welcher  sich  speziell  mit  Garnier  befaßt,  urteilt 
sehr  günstig  über  die  Entwicklung  der  Handlung  und  der 
Charaktere  und  über  die  Sprache,  welche  manchmal  an 
„Corneille**  erinnere.*)  Rigal  ist  voll  des  Lobes  für  unsere 
Tragikomödie,  doch  sei  es  dem  französischen  Dichter  nicht 
gelungen,  die  feinen,  zarten  Nuancen  des  italienischen  Epos 
wiederzugeben,  da  er  bald  die  tragische,  bald  die  komische 
Seite  des  Stoffes  übertreibe.  Dagegen  ist  die  Handlung, 
nach  Rigal,  leicht  entwickelt  und  natüriich;  bestreiten  müssen 
wir  aber  seine  Behauptung,  daß  die  Szene  zwischen  Aymon, 
Renaud  und  Beatrix  bloße  Entlehnungen  aus  Ariost  seien. ^) 
Levrault®)  endlich  sagt  von  Garnier's  Stück:  tBien  eoni' 


*)  S,  169.  —  Weiterhin  tadelt  er,  daß  dU  Mischung  zwischen  Ko- 
mischem und  Tragischem  nicht  überall  durchgeführt  sei. 
«)  Moliere  et  la  Com.  it.,  S.  126. 
•)  Das  Urteil  stimmt  geyvau  mit  dem  Eherfs  uberein! 
*)  Montchrestien,  S.  IS. 
»)  La  Tr.  fr.,  216-236. 
•)  Etüde,  S.  235. 

')  Le  thiätre  de  la  Ren.  {Bist,  in:  Jullev.,  Bd.  HI,  293 ff.). 
')  Drame  et  Trag.,  S.  25.     Die  Behauptung  LevraulVs,  daß  die 


-     131     — 

posee  et  fort  ingenieuse,  eile  renfemie  ä  cöt4  d'ipisodes  chevaleres- 
qiies  et  touchmits  des  scenes  (Tun  haut  cotnique.  ...  Ce  fut  le 
premier  exemplaire  de  cette  tragicmnidie  qui  devait  vispirer  plus 
tard  ä  des  novateurs  Videe  du  drame  romantique,^ 

Erst  22  Jahre  nach  dem  Erscheinen  von  Gamier's  Brada- 
mante  macht  wieder  ein  Dichter  den  Versuch,  dieselbe  Epi- 
sode dramatisch  zu  bearbeiten.  1605  nämlich  veröffentlichte 
Charles  Baut  er  seine  beiden  Tragödien  tLaEodamontade»  und 
€La  mort  de  Bodotnontj^)  Irrtümlicherweise  findet  sich  bei 
einigen  Autoren  die  Jahreszahl  1603.*)  über  den  Verfasser 
wissen  wir  kaum  mehr,  als  daß  er  von  1580 — 1630  lebte 
und  ein  Pariser  war.*)  Aus  dem  Datum  seiner  Geburt  geht 
hervor,  daß  die  beiden  Tragödien  Jugendarbeiten  waren,  und 
wir  werden  sehen,  wie  ihnen  alle  die  Fehler  und  Schwächen 
solcher  Jugendsünden  anhängen. 


Brad.  die  Urquelle  des  romantischen  Dramas  sei,  ist  mit  Vorsicht  auf- 
zunehmen. Jedenfalls  wirken  noch  eine  Reihe  anderer  Faktoren  mit  zur 
Entstehung  des  »drame  romantique». 

^)  Das  benutzte  Exemplar  befindet  sich  in  der  Bibl.  Nat.  von  Paris 
{YS  6680)  und  trägt  den  Titel:  »La  Rodomontade.  Mart  de  Boger.  Tra- 
gedies  et  Amours  de  Catherine.  A  Monsieur  le  Lieutenant  CiviL  Paris. 
MDCV».  Darunter  ist  bemerkt:  *De  Meliglossej  Clarus  vates  orbis», 
worauf  noch  ein  Vierzeiler  folgt: 

•Je  chante  Bodomont,  ses  fureurs,  ses  boutades^ 
Et  comme  un  grand  Roger  Vesclava  sous  les  fers 
Des  Parques  vaillamment,  et  comme  les  enfers 
Tremblerent  de  fraieur  par  ses  Rodomontades.» 

Den  Tragödien  selbst  gehen  dreizehn  Sonette  voraus^  die  dem  Ver- 
fasser desselben  die  Unsterblichkeit  versprechen;  unter  den  Sonetten  be- 
findet sich  ein  lateinisches^  das  sein  Bruder  gedichtet  und  mit  der  Unter- 
schrift: J.  B.  Par.[isien]  versehen  hat.  Daraus  und  aus  dem  Anagramm 
Melighsse  sowie  aus  dem  Clarus  vates  orbis  [=  Carolus  Baster ius]  fand 
man  seinen  wahren  Namen  Charles  Bauter  oder  Bautier. 

«)  Leris,  Dict  port,  S.  387;  Mouhy,  Abr^i,  Bd.  II,  23; 
Maupoint    Eist,  S.  273. 

»)  Goujet,  Bibl.  fr.,  Bd.  XV,  104—108.  Weitere  Einzelheiten 
bieten  noch:  Parfaict,  Hist,  Bd.  IV,  38;  Beauchamps,  Rech.  2.  T., 
S.  73;  Mouhy,  TabL  204  u.  Ah\,  Bd.  J,  419;  Michaud,  Biogr.  univ., 
Bd.  III,  317  {am  ausführlichsten);  Didot,  Nouv.  B.  g.,  Bd.  IV,  836; 
Vapereau,  Dict.  univ.,  S.  213;  Qr.  Enc,  Bd.  V,  910. 

9* 


—     132    — 

Über  die  Qaellen  der  beiden  Stücke  findea  sich  bei  allen 
Ton  uns  zu  Rate  gezogenen  Forschem  irrtümliche  Angaben. 
Parfaict's  Hisioire  du  Th,  fr.  erwähnt  für  das  erste  der  beiden 
Stücke  keine  Quelle,  das  zweite  cLa  mort  de  Roger >  nennt 
er  «tme  grassiere  traductioti*  de  TArioste^);  er  scheint  also 
nicht  zu  wissen,  daß  der  jugendliche  Roger  am  Schlüsse  des 
OrL  für.  heil  und  gesund  aus  dem  Kampfe  mit  Rodomont 
hervorgeht.  Beauchamps  bezeichnet  das  zweite  Stück  als 
eine  „Nachahmung  aus  Ariost",  während  er  vom  ersten  be- 
hauptet, es  sei  aus  Ariost  genommen  (prise  de  rAriaste),-) 
Andere  Literarhistoriker  geben  als  Quellen  beider  Stücke  den 
€  Roland  furieux-^  an.^) 

Von  dem  zweiten  Stücke  erwähnten  wir  bereits,  daB  es 
nicht  aus  dem  Orl,  für.  entnommen  sein  kann,  da  das  Epos 
mit  der  Heirat,  keineswegs  aber  mit  dem  Tode  Rogers  endet. 

Das  erste  Stück  dagegen  geht  nur  teilweise  auf  das  Epos 
Ariost's  zurück,  nämlich  bis  zur  zweiten  Szene  des  dritten 
Aktes  (inklusive),  von  wo  an  uns  Bauter  Rodomont's  Helden- 
taten in  der  Unterwelt  vorführt. 

Der  Inhalt  des  dem  Orl.  für.  entlehnten  Teiles  ist 
folgender.  Akt  I:  Umgeben  von  seinen  getreuen  Roland. 
Regnaut,  Olivier,  Roger,  Aymon,  Marphise,  Bradamante  und 
LeoD,  rühmt  Karl  der  Große  die  Tapferkeit  seiner  Paladine, 
die  Paris  von  den  Sarazenen  befreit,  und  die  ganze  Welt  mit 
ihrem  Ruhm  erfüllt  haben.  Nur  das  Schicksal  Bradamante's 
macht  ihm  einige  Sorgen;  wohl  weiß  er,  daß  sie  den  Roger 
herzlich  liebt,  aber  er  hofft,  daß  sie  ihn  doch  allmählich 
vergessen  und  dem  Leon,  der  sie  im  Zweikampf  soeben  be- 
siegt hat,  die  Hand  zum  ewigen  Bunde  reichen  werde, 

tÄinsi  que  le  crayon  trace  p'emierement 
Sur  la  ioik  iefface  apres  fort  aisetnent 


')  Bd.  IV,  77;  ebenso  Goujet,  Bihl  XV,  104, 
*}  Rech.,  2.  Teil,  S.  73;  ebenso  Vapereau,  Dict,  8.  21B. 
•)  La  Vall.,   Bibl  I,  365;  Mouhy,  Tabl,  S.  204;  Maupoint, 
Bibl,  S.  272.  —  In  31  ich aud 's  Biogr.  univ.  Bd.  IV,  853  wird  am 
Ende  des  Artikels  aw/'Moreri,   Dict.  hist,  hingewiesen^  doch  fanden 
wir  dort  Bauter  nicht  verzeichnet. 


—     133    — 

Par  une  autre  Couleur^  ainsi  Vamour  p-emiere 
Dune  fiUe  souveni  sc  ekange  en  la  demiere»* 

Aymon  dagegen  ist  voller  Freude  über  den  Ausgang  des 
Kampfes  und  er  gerät  in  maßlose  Wut,  als  Roland,  MarpUse 
und  sein  eigener  Sohn  Regnaut  gegen  eine  Heirat  zwischen 
Leon  und  Bradamante  sich  erklären,  da  diese  bereits  mit 
Rog0r  verlobt  sei.  Von  seinem  Vater  bekommt  Regnaut 
die  härtesten  Schmähungen  zu  hören: 

c  Voicy  mon  impudent  qui  sans  cesse  gromelkj  .  .  , 
Qui  te  fait  si  hardy  de  paraistre  d  nies  yeux,  .  .  . 
Si  fempoigne  un  baston,  je  te  feray  plus  sage 
Respecter  cest  endroit,  et  changer  de  langage.^ 

Der  Kaiser  ist  auf  Seite  des  alten  Aymon,  während  die 
übrigen  Regnaut's  Partei  ergreifen  und  den  rücksichtslosen 
Ehrgeiz  des  Vaters  scharf  tadeln.  Schon  will  der  jähzornige 
Alte  zum  Schwerte  greifen,  als  Roger  und  Leon  erscheinen: 
so  wird  durch  die  Erzählung  des  Grieebenfürsten  vom  wirk- 
lichen Sieger  ein  glückliches  Ende  des  Streites  herbeigeführt. 
Aymon  fügt  sich  sofort,  ohne  jede  Motivierung,  in  die  neue 
Situation  und  nimmt  Roger  mit  Vergnügen  als  Schwieger- 
sohn an.  Karl,  der  kurz  vorher  erklärt  hat,  er  kenne  Roger 
kaum,  überhäuft  ihn  nun  mit  Lobreden,  so  daß  dieser  ge- 
rührt dankt  und  dem  Kaiser  seine  Dienste  anbietet.  Leon 
tröstet  sich  augenscheinlich  schnell  über  seinen  Verlust,  denn 
nun  will  er  Doralice,  von  der  wir  jedoch  weiter  nichts  hören, 
zur  Frau  nehmen.  Gerne  gewährt  ihm  der  Kaiser  die  Ein- 
willigung dazu. 

Akt  II :  Rodomont  zählt  die  Heldentaten  auf,  die  er  vor 
Paris  vollführt  hat,  erklärt,  daß  selbst  Pluto  in  der  Unterwelt 
sich  ängstige,  es  möchte  die  Erde  unter  seinen  wuchtigen 
Tritten  zusammenstürzen.  Trotz  alledem  aber  muß  er  edeh 
schämen,  da  ihn  vor  nicht  gar  langer  Zeit  Bradamante  aus 
dem  Sattel  geworfen  hat;  seine  Ehre  wieder  herzustellen,  ist  er 
nun  gekommen;  als  er  aber  von  seinem  begleitenden  Schild- 
knappen vernimmt,  daß  auch  der  von  seinem  heidnischen 
Glauben  abgefallene  Roger  anwesend  sei,  beschließt  er  vor* 
•fst,  diesem  die  Schärfe  seines  Schwertes  fühlen  zu  lassen. 


—     134    — 

In  der  nächsten  Szene  bittet  Aymon  seinen  neuen  Schwieger- 
sohn um  Verzeihung,  daß  er  ihm  früher  so  feindlich  gesinnt 
gewesen  sei,  was  Roger  ihm  gerne  vergessen  will.  Die  dritte 
Szene  zeigt  uns  die  Hochzeitsgäste,  die  unter  den  Klängen 
der  Musik  sich  an  die  festliche  Tafel  setzen,  ehe  das  große 
Turnier  seinen  Anfang  nimmt.  Wir  hören,  wie  Olivier  seinen 
Freund  Boland  wegen]  seiner  tollen  Liebe  zu  Angelica  ver- 
spottet : 

.  .  .  «fe  regard  (TAiigelique, 

Cousin,  cofnme  je  croiSj  le  courage  votts  picque 

Non  Vkonneur  de  Hoger-^^ 

worauf  Roland  erwidert: 

...   €  Oliver  fay  franchy 
Heureusement  ce  saut  ei  je  tis  affranchy 
De  ses  cruelles  lois,  cognoissant  sa  vialice 
Et  le  hautain  refus  de  inon  hiimhle  serriee,* 

Karl  verkündet  nunmehr  das  Festprogramm  für  die  nächsten 
acht  Tage,  und  eröffnet  das  Hochzeitsmahl,  während  Chöre 
lyrische  Weisen  zu  Ehren  der  Venus  und  anderer  Gottheiten 
anstimmen.  Da  tritt  plötzlich  Rodomont  herein  und  fordert 
unter  schrecklichen  Drohungen  nicht  nur  den  abtrünnigen 
Bräutigam  Bradamante's  zum  Kampfe  heraus,  sondern  alle 
die  Ritter  der  Tafelrunde.  Doch  flößt  er  diesen  nicht  den 
geringsten  Schrecken  ein,  vielmehr  verspottet  ihn  Roland 
wegen  seiner  Niederlage  durch  den  Arm  Bradamante's  und 
Roger  macht  sich  sofort  zum  Zweikampf  fertig,  ohne  sich 
von  den  Befürchtungen  seiner  Braut  abhalten  zu  lassen. 

Akt  III:  Als  Roger  nicht  sofort  auf  dem  Kampfplatze 
erscheint,  bezichtigt  ihn  der  prahlerische  Rodomont  der 
Schwäche  und  der  Furcht,  da  es  doch  ehrenvoll  für  ihn 
sein  müße,  von  Rodomont's  Hand  zu  fallen.  Endlich  findet 
sich  jener  am  Platze  ein  (2.  Sz.),  begleitet  von  den  Hoch- 
zeitsgästen und  der  weinenden  Braut,  die  er  vergebens 
zu  trösten  sucht.  Ehe  die  beiden  Gegner  aufeinander  los- 
stürzen, schleudern  sie  sich,  nach  Art  der  Helden  vor  Ilion, 
Drohungen  und  Schimpfworte  ins  Gesicht.  Der  Kampf 
dauert   nicht   lange;   Rodomont's  Rüstung   wird  durchbohrt. 


—     136    — 

sein  Degen  bricht  entzwei,  er  stürzt  sich  ohne  Wafife  auf 
den  Gegner,  der  ihm  jedoch  den  Todesstoß  versetzt;  so  stirbt 
er  mit  den  Worten: 

<Je  renie  Malion^  fenrage,  je  d€spite,i^ 

Mit  dieser  Szene  endet  bei  Ariost  der  46.  und  letzte 
Gesang  seines  Epos.  Für  den  folgenden  Teil  istChapuys' 
Roland  furieiix^  die  Quelle,  die  keiner  der  oben  genannten 
Forscher  zu  kennen  scheint,  und  die  sich  am  Ende  der 
Chapuys'schen  Übersetzung  des  BoL  für.  von  Ariost  be- 
findet, ohne  durch  eine  besondere  Angabe  von  dieser  getrennt 
zu  sein.^) 

über  das  Verhältnis  des  ersten  Teiles  zum  Orl.  für.  ist 
folgendes  zu  bemerken: 

Der  erste  Akt  des  Stückes  zeigt  einige  Ähnlichkeit  mit 
Garnier's  Bradamante,  besonders  die  Rede  KarUs  des  Großen 
bewegt  sich  großenteils  in  demselben  Ideengeleise.  Ch.  Bauter 
kannte  ohne  Zweifel  die  Tragikomödie ;  eine  Stelle  derselben 
entnimmt  er  sogar  nahezu  wörtlich  dem  Stücke  Garnier's  ^) ; 
außerdem  deutet  eines  der  erwähnten  Sonette^)  darauf  hin, 
daß  man  ihn  bei  Lebzeiten  schon  für  einen  Nachahmer  des 
Dichters  der  Bradamante  hielt.  Bauter  setzt  mit  seiner 
Handlung  da  ein,  wo  Garnier  die  Lösung  des  dramatischen 
Knotens   herbeiführt  (Akt  Y,  4),   nur   daß  bei   diesem    die 


*)  G.  Chapuys,  Roland  furieux,  contenant  la  mort  de  Roger . , 
mise  dHtalien  de  J,  B.  Pescatore,    Lyon.  1553,    8^, 

«)  Garnier,  Brad.,  Akt  IV,  2,  v.  1151: 

•Ainsi  pour  ro««,  taureaux^  vou8  n^escorchez  la  plaine, 
Ainsi  pour  votis^  moutona^  vo^is  ne  portez  la  laine^ 
Ainsij  mousches,  pour  vou8  aux  champs  vous  ne  ruchez, 
Ainsi  pour  vous,  oiseaux,  aux  bois  vohs  ne  nichez». 

Vgl.  damit  Bauter,  La  Rad.  (I.  Akt): 

iAinai  mouches  pour  vous  ne  sont  pas  vos  ruchees, 
Ainsi  oyaeaux  pour  votu  ne  807it  point  vos  nichees, 
Ainsi  moutons  pour  vous  la  laine  ne  portez 
Ainsi  taureaux  pour  votM  la  terre  n'escartez.» 

')  Die  letzten  Verse  desselben  lauten: 
•Sil  est  ainsi  tu  as,  comme  je  crois, 
Lame,  Vesprit,  d'Euripide  Gregeois 
Ou  de  Garnier  Vespt^it  dans  toy  reposi.* 


—     136    — 

Szene  mit  der  EothüllaDg  Leon's  beginnt^),  während  bei 
Baater  dies  erst  in  der  Mitte  des  ersten  Aktes  geschieht,  als 
Aymon  noch  im  heftigen  Streite  mit  Roland,  Marphise  und 
Regnaut  liegt.  Der  Verfasser  der  Rodomontade  hält  sich 
hier  jedoch  mehr  an  Ariost;  er  führt  Roland  und  Olivier 
redend  ein,  wie  es  dieser  tut  (C.  XLIV,  st.  60),  läßt,  wie  der 
italienische  Dichter,  (C.  XLV,  st.  104),  Bradamante  an  dem 
Streite  Aymon's  mit  seinen  Widersachern  teilnehmen,  wogegen 
sie  bei  Garnier  nicht  anwesend  ist  (Akt  IV,  5).  Wie  bei 
Ariost  (C.  XL  VI,  st.  64),  so  bittet  Aymon  in  der  Rodo- 
montade  seinen  Schwiegersohn  Roger  um  Verzeihung  wegen 
seines  früheren  Verhaltens  ^) ;  bei  Garnier  ist  die  Stelle  aus- 
gelassen.^) Dagegen  ahmt  er  den  letzteren  darin  nach,  daß 
er  Bradamante  am  Ende  des  Streites  auf  der  Bühne  erscheinen 
läßt,  während  sie  bei  Ariost  in  ihrer  Kemmenate  bleibt,  und 
daß  er  Leon  mit  Doralice  sich  yermählen  läßt  (bei  Garnier 
mit  Leonore). 

Vom  2.  Akte  an  hat  Bauter  kein  anderes  Vorbild  mehr 
als  den  Orl.  fur^)  Rodomont's  erstes  Auftreten^)  ist  eigene 
Zutat  des  dramatischen  Dichters,  wobei  er  sich  allerdings 
auf  die  beiden  Stanzen  102  u.  103  des  46.  Gesanges  stützt; 
eigene  Erfindung  des  französischen  Tragikers  ist  auch  die 
Schilderung  des  Hochzeitsmahles®),  die  Einführung  von 
Chören^),  augenscheinlich  eine  Nachahmung  der  klassischen 
Tragödie,  endlich  die  Worte  Karl's  und  das  Gespräch  zwischen 
Olivier  und  Roland  vor  dem  zweiten  Auftreten  Rodomont's.^) 


1)  Akt  F,  4,  V.  1630: 

•  Voicy  le  Chevalier  dHncroyable  vertu»  etc. 

«)  Akt  l  Sz.  3, 

»)  Vgl  Akt  7,  8z.  7. 

*)  Orl.  /•.,  C.  XLYl,  8t  101-ldO. 

^)  Im  Epos  erscheint  Rodomont  am  letzten j  d.  h.  neunten  Tage  der 
Hochzeitsfestlichkeiten  (C,  XLVI,  st  74  u.  101),  bei  Bauter  kommt 
Rodomont  zwei  Tage  vor  der  Hochzeit  an  {Akt  IT,  1), 

•)  Vgl.  Orl  für.,  C.  XL  VI,  st  73,  74  und  75,  wo  nur  ein  paar 
Verse  dasselbe  schildern.  —  Ariost  gibt  dagegen  eine  lange  Beschreibung 
elftes  von  Melisse  gewirkten  Teppichs  {ibd.,  st  76—101). 

")  Die  Verse  des  Chores  werden  hier  gesungen  {•ChanAr  des  Musiciens»). 

')  Karl  setzt  in  einer  langen  Rede  das  Programm  für  die  Festiich' 


—     137     — 

Auch  Rodomont's  Aufschneidereien  bei  diesem  letzten 
Auftreten  finden  sich  nicht  bei  Ariost,  der  dem  Helden 
nur  wenige  Worte  bei  dieser  Gelegenheit  in  den  Mund  legt.^) 
Dagegen  ist  der  rührende  Abschied  Koger's  von  seiner  ge- 
liebten Braut  ganz  nach  der  Quelle  geschildert  und  ist  als 
der  schönste  Teil  des  Stückes  anzusehen.  Wie  besorgt  fragt 
Aoger  nicht  seine  Braut,  warum  sie  denn  so  furchtsam  sei: 

tEt  qxi^cst  ceq/j  mon  cceur,  ma  ehei-e  Bradamante, 

Je  vous  vois  toute  pash  et  oaintifve  et  tremhlante ?y 

(Akt  III,  2). 
Und  wie  rührend  ist  deren  Antwort: 

tPiiis  je  avoir  du  plaisir  vous  voyant  ä  mes  yeux 

Marteller  et  Messer  par  cet  aitdacieuz  ? 

Xofif  nortj  autant  de  coups  qui  ioucheront  ros  nrmesy 

Me  seront  tont  autant  de  fleches  et  d'alannes^ 

Qui  viendront  m^assaillir  .  .  ,i     (ibd.) 

Der  Zweikampf  der  beiden  Helden  mußte  natürlich  im 
Drama  anders  dargestellt  sein,  als  im  Epos;  hier*)  wird 
Rodomont  am  Schenkel  verwundet,  so  daß  er  zu  Boden 
sinkt,  worauf  sich  BrOger  auf  ihn  stürzt  und  ihm  nach  kurzem 
Bingen  den  Todesstoß  versetzt.  In  der  Tragödie  bricht 
Bodomont's  Degen  entzwei,  und  Boger  tötet  mit  Leichtigkeit 
den  waffenlosen  Gegner.  Das  Gespräch,  das  während  des 
Kampfes  zwischen  Boger  und  Bodomont  geführt  wird,  ebenso 
die  Beglückwünschung  des  Siegers  durch  die  Zuschauer  und 
die  Anordnung  Earl's,  daß  die  Leiche  des  Bodomont  den 
Baben  zum  Fräße  vorgeworfen  werde,  sind  Zutaten  Bauter's. 
Bei  Ariost  flieht  bekanntlich  die  Seele  Bodomont' s  aus  dem 
Leibe  und  eilt  hinab  in  das  düstere  Beich  der  Unterwelt: 
tAüe  squallide  ripe  d^AcJwrontej 
Sciolta  dal  cmyo  piü  freddo  die  ghiarcioy 


keiten  fest  und  fordert  die  Bitter  zur  eifrigen  Teibiahme  an  den  Turnieren 
auf.    Olivier'8  und  Roland's  Gespräch  ist  bereits  erwähnt  worden. 

>)  Orl.  f.,  C.  XL  VI,  105  u.  106.    Nur  der  vorUtzU  Yers  von  st.  106 
enthält  eine  gewisse  Prahlerei: 

*Se  non  hasta  uno,  e  quattro  e  sei  n*accetto.y 

«)  Orl  für.,  a  XLVI,  st.  130 ff. 


—     138     — 

Bestemmiando  fuggl  VAlma  sdegnosay 
Che  fu  s^i  altiera  al  Mondo  e  si  orgogliosa,^)^ 
Von  den   Veränderungen,    die   in  der  Kodomontade  an 
einzelnen.  Charakteren   gemacht   wurden,   heben   wir   be- 
sonders   diejenigen    hervor,   welche   an   dem  Charakter   der 
Hauptperson,    an  Eodomont,   zu  bemerken  sind.     Ariost 
charakterisiert,  wie  soeben  bemerkt  wurde,  seinen  Helden: 
cCAe  (pAlma  sdegnosa)  fu  si  altera  al  Mondo  e  si  orgogliosa.y 
Stolz  und  hochmütig  ist  er  auch  bei  Bauter,  aber  dieser 
stolze  Hochmut  wird  zum   Spott   durch  die  ungeheuerlichen 
Aufschneidereien,  die  sich  nahezu  in  jedem  Gedanken  finden, 
den  er  ausspricht    Führen  wir  einige  seiner  „Rodomontaden" 
an.    Von  seinen  Heldentaten  bei  der  Belagerung  von  Paris 
erzählt  er  u.  a.  folgendes: 

€  Quand  je  frappois  du  piedj  le  carreau  offenste 
Sur  lequel  je  frappois  estoit  tout  embraxe 
Le  feu  de  ce  carreau  croissoit  en  teile  sorte 
De  carrmux  en  carreaux,  que  sotidain  une  porte 
Se  trouvoit  embrases,  et  ses  ranieaux  ardans 
Älloyent  de  coup  sur  caup  telkfnent  s^estendans 
Dedans  ceste  maison  qu^auasi  tost  sa  voisine 
Arse  m^ estoit  aj/res  sa  voisine  en  ruine,^      (Akt  II,  1.) 
Pluto  zittert  in   seinem  Reiche,  wenn  des  Helden  Tritt 
auf  der  Erde  erdröhnt,  Nereus  beschwichtigt  die  Wogen  auf 
Bodomont's  Befehl.     Bei  Ariost  will  dieser  mit  vier  oder 
sechs  Rittern  den  Kampf  aufnehmen  ^),  bei  Bauter  fordert  er 
alle  Anwesenden  in  die  Schranken  (II,  3): 
c  Un  de  teß  pallad ifus  n^esire  pas  suffixant 
Pour  s^attaquer  d  moy,  qtCHs  viennent  totts  ensemble.y 

Als  er  bereits  den  tödlichen  Streich  empfangen  hat,  ruft 
er  noch  prahlend  und  drohend  seinem  Sieger  zu: 
<.  .  .  Ah  je  s^iis  assex  fort 
Pour  ores  te  domjjter  et  te  donnei'  la  mortfy 

(Akt  III,  2) 


*)  Letzte  Stanze  des  Epos. 

»)  (h'l  für.,  C.  XL  VI,  8t  106. 


—     139     — 

Wie  kommt  Bauter  zu  dieser  fundamentalen  Verände- 
rung eines  bei  Ariost  ganz  ernst  zu  nehmenden  Charakters? 
Zwei  Möglichkeiten  einer  Erklärung  sind*  vorhanden.  Dem 
Dichter  konnte  die  Gestalt  Ajmon's  in  Garnier's  Brada- 
mante  yorgeschwebt  haben,  die  ja  ganz  lebhaft  an  Rodo- 
mont  erinnert,  oder  —  und  das  ist  das  Wahrscheinlichere  — 
Bauter  dachte  an  den  tmiles  ghriostis*  der  französischen 
und  der  italienischen  Komödie.^)  Dort  fand  er  nicht  nur  einen 
derartigen  Charakter  fertig  gescha£fen  vor,  sondern  er  fand 
sogar  schon  einen  Rodomont  in  der  französischen  Komödie, 
der  mit  denselben  Eigenschaften  ausgestattet  war,  wie  er  ihn 
dann  in  seiner  Bodomontade  schuf. ^)  Natürlich  wollte  Bauter 
mit  seinem  Rodomont  nicht  einen  Lustspielhelden,  sondern 
eine  echt  tragische  Bühnengestalt  schaffen. 

Neben  dieser  Hauptperson  des  Stückes  treten  die  übrigen 
Rollen  nur  wenig  hervor.  Auch  fehlt  ihnen  jede  psycholo- 
gische Grundlage;  so  will  Aymon  zuerst  nur  Leon,  den  Thron- 
folger des  byzantinischen  Reiches,  zum  Schwiegersohn,  nimmt 
aber  dann  mit  Roger  ebensogut  vorlieb,  ohne  daß  dieser,  wie 
bei  Garnier,  die  Königskrone  von  Bulgarien  erhalteu  hat ;  die 
Sinnesänderung  Aymon's  ist  also  nicht  motiviert.  Leon's 
plötzliche  Verlobung  mit  Doralice  ist  ebensowenig  begründet. 

Nur  Rolandes  Charakter  weist  eine  Eigentümlichkeit  auf, 
die  wir  bei  Ariost  an  dieser  Stelle  nicht  bemerken.  Olivier 
neckt  ihn  wegen  seiner  Liebe  zu  Angelica,  indem  er  seines 
Freundes  brennende  Begierde,  im  Turniere  aufzutreten,  dahin 
Auslegt,  daß  dieser  dort  von  Angelika  gesehen  zu  werden 
wünsche.  Roland  entgegnet  ihm  aber,  seine  törichte  Liebe 
zu  dieser  spröden  Schönen  sei  längst  schon  gestorben.  Später 
(Akt  II,  3)  heißt  es,  daß  Thetis  ihn  unverwundbar  gemacht 
habe.  Diese  beiden  neu  hinzugefügten  Bemerkungen  über 
Roland  wären  sicherlich  besser  weggeblieben,  da  sie  uns  diese 
bei  Ariost  so  menschlich  sympathische  Figur  etwas  entfremden, 
und  unnatürlich  erscheinen  lassen. 


*)  S.  Fest,  Dermil.glor.f  S.  58  ff.,  tco  diese  Gestalt  in  einer  Reihe 
von  Komödien  des  16.  Jahrh.  nachgewiesen  wird, 

*)  In  Remy  Belleau's  Reconnue  findet  sich  der  Cap.  Rodomont; 
M.  darüber  Fest,  l  c,  S.  34ff. 


—     140     — 

Bradamante  und  Boger,  das  glückliche  Brautpaar,  sind 
entschieden  am  besten  gezeichnet,  doch  treten  sie  nur  in  der 
rührenden  Abschiedsszene  hervor,  auch  ist  nicht  eine  Spar 
psychologischer  Entwicklung  in  ihrer  Liebe  vorhanden,  die 
uns  die  beiden  Gestalten  interessant  machen  könnte. 

Wörtliche  Entlehnungen,  wie  sie  bei  Gamier's  Tragi- 
komödie zu  finden  sind,  haben  wir  hier  nicht  entdeckt;  die 
bereits  zitierten  zwei  Gleichnisse  sind  die  einzigen  in  der 
Eodomontade. 

Fassen  wir  die  vorstehende  Untersuchung  kurz  zusammen^ 
so  müssen  wir  sagen,  daß  das  Stück,  soweit  es  seinen  Stoff 
Ariost's  Epos  entlehnte,  wohl  eine  lebendige  Handlung  auf- 
zuweisen hat,  daß  ihm  dagegen  jede  psychologische  Entwicklung 
sowohl  im  Aufbau  der  Handlung  wie  in  der  Zeichnung  der 
Charaktere  fehlt.  Da  der  Eindruck,  den  die  Rodomontade 
macht,  ein  durchaus  komischer  ist,  verdient  sie  überhaupt 
nicht  den  Namen  Tragödie.  Eher  wäre  man  versucht,  sie 
für  die  Parodie  einiger  der  Ariost'schen  Heldengestalten 
anzusehen. 

Nur  wenige  Forscher  haben  sich  mit  diesem  Stücke  be- 
schäftigt. Die  Brüder  Parfaict  tadeln  vor  allem  die 
Rodomontade.^)  Goujet  nennt  La  Eodomontade  und  La 
mort  de  Roger  Stücke,  welche  die  Aufmerksamkeit  des  Lesers 
nur  in  geringem  Maße  verdienten.*)  Nach  Mouhy  ist  die 
erstgenannte  «wwc  tragidie  on  ne  peiit  pas  plus  fotble».^)  Bei 
Michaud  endlich  heißt  es  von  Ch.  Bauter:  <Il  prend  knom 
de  M^liglosse  —  c'esi  ä  dire  langn^  de  niiel,  qui  ne  hii  convenaii 
guere ;  rar  sa  versification  est  ires  dure,y^)  Wir  können  den 
absprechenden  Urteilen,  welche  wir  soeben  angeführt  haben^ 
nur  beistimmen. 

Trotz  ihrer  Minderwertigkeit  erlebte  die  Rodomontade 
mehrere   Auflagen.      Bereits   1613'^)   erschien   die   zweite  zu 


')  Hist.  d.  Th.  fr.,  Bd.  IV,  75. 

»)  Bibl,  Bd.  XV,  104. 

')  Tablettes,  S.  JS04. 

*)  Biogr.  univ.,  Bd.  III,  317. 

^)  Leris,  Dlct,  S.  387:  »fort  rare  et  peu  connue».    Dasselbe  sagt 


—     141     — 

Ronen,  welche  nach  Brunet  einige  Veränderung  aufweist  und 
Ton  der  nur  mehr  wenige  Exemplare  existieren ;  zwei  weitere 
Auflagen  erschienen  1619  und  1620  zu  Troyes.^) 

Das  nächste  Stück,  welches  uns  beschäftigt,  ist  die  Bra- 
damante  La  Calprenede's,  welche  1637,  also  ein  Jahr 
nach  Corneille's  „Cid",  im  Drucke  erschien^),  nicht  1636, 
wie  Goujet  fälschlicherweise  angibt.^)  La  Calpren^de  ist 
eigentlich  nur  als  Romanschriftsteller  in  der  Literatur  be- 
kannt, doch  ist  seine  Tätigkeit  als  Dramatiker  nahezu  ebenso 
umfangreich. 

Geboren  in  der  Gascogne,  trat  er  frühzeitig  in  ein  Pariser 
Garderegiment  ein  mit  dem  Manuskript  des  Mithridate  in  der 
Tasche,  welcher  im  nämlichen  Jahre  wie  die  BradamaDte  ge- 
druckt und  aufgeführt  wurde.    Auf  diese  beiden  Stücke  folgen 


Moahy,  Ahr.y  Bd.  J,  419]  Anecd.  dram.,  Bd.  11^  141  \  Brunet,  Man.  du 
Libr.,  Bd.  III,  1690. 

»)  Parfaict,  Eist,  Bd.  IV,  S8;  La  Valliöre,  Bihl  d.  Th.  fr., 
Bd.  7,  365;  Beauchamps,  Beck.,  2.  Teil,  S.  73;  Brunet,  Man., 
Bd.  IIL  1590. 

•)  Wie  beliebt  die  Fortsetzungen  des  Orl.  für.,  in  denen  die  Schick- 
sale der  Ariosf sehen  Helden  meist  in  grotesker  Weise  weiter  erzählt 
werden,  in  Frankreich  waren,  beweist  der  Umstand,  doji  noch  zwei  Tra- 
gödien diesen  Stoff  behandeln.  Wir  haben  aus  dem  JaJire  1625  *La  mort 
de  Roger»  und  *La  mort  de  Bradamante,  trägstes  tiries  de  la  suite  de 
VArioste»  {s.  Parf.,  Eist,  Bd.  IV,  77;  Beauchamps,  Rech.,  2.  Teil^ 
S.  97;  La  Vallifere,  Mbl,  Bd.  I,  365:  L6ris,  Biet,  S.  88).  Beide 
Stücke  erschienen  in  der  Sammlung  «Le  Thiätre  frangois»,  Paris,  G.  Loyson, 
1623 f  bzw.  1625.  5®.  Von  der  »Mort  de  Bradamante»  erschien  übrigens, 
nach  Parfaict,  Eist,  (ibd.),  bereits  1622  eine  Sonderausgabe  {s.  auch 
Leris,  Dict.,  S.  88). 

»)  Bibl.  fr.  XVIII,  226,  ebenso  Löris  {Dict.  88);  Lucas,  Eist., 
Bd.  III,  280.  —  Das  Datum  1637  geben  an:  Beauchamps  {Rech., 
2.  Teil,  S.  171);  Parfaict  {Eist,  Bd.  V,  217);  Mouhy  {Tahl.  h  30-, 
Abr.,  Bd.  I,  70);  Niceron  {Mem.,  Bd.  XXXVIl,  235  u.  243);  La 
Porte  et  Chamfort  {Dict,  Bd.  III,  562);  Michaud  {Biogr.  univ., 
Bd.  IV,  428);  Didot  {Biogr.  gSn.,  Bd.  XXVIII,  447);  Vapereau 
{Dict.  univ.,  S.  1151);  La  Grande  Encycl,  Bd.  XXI,  705,  woselbst  Aus- 
führlicheres über  sein  Leben  nachzulesen  ist.  Auch  sei  hier  noch  auf 
Xörting  {Gesch.  d.  frz.  Romans,  I.  245)  hingewiesen,  der  aus  den  oft 
höchst  dramatisch  geschriebenen  Romanen  schliefit,  daß  La  Calpr.^s  Dramen 
„relativ  wertvoll**  seien. 


—     142    — 

noch  sieben  weitere,   meist  historischen  Inhalts,   welche  sich 
bei  Beauchamps  verzeichnet  finden.^) 

Folgendes  ist  kurz  der  Inhalt  der  Bradamante.  *) 
Akt  I:  Roger  wird  von  Leon  gebeten,  den  Zweikampf 
mit  Bradamante  für  ihn  und  in  seiner  Eüstung  auszufechten ; 
vergebens  sträubt  sich  der  unglückliche  Held  dagegen,  doch 
die  Bitten  des  Griechen  sind  so  eindringlich,  die  Dankesschuld 
dünkt  Roger  so  groß,  daß  er  schließlich  zusagt,  nicht  ohne 
seine  eigene  Tapferkeit  zu  verwünschen,  die  ihm  ein  so  ver- 
hängnisvolles Geschenk  geworden  sei.  Bradamante,  welche 
ihren  geliebten  Roger  weit  in  der  Ferne  glaubt,  wünscht 
seine  Ankunft  dringend  herbei,  um  sie  aus  der  drohenden 
Gefahr  zu  befreien,  im  Kampfe  gegen  den  Griechenjüngling 
zu  unterliegen.  Denn  die  Stunde  des  Kampfes  ist  bereits 
nahe,  und  Karl  läßt  sich  trotz  der  Bitten  Marphise's  und 
Leon's,  welch'  letzterer  aus  aufrichtiger  Liebe  zu  Bradamante 
vom  Kampfe  zurückschreckt,  nicht  bewegen,  im  letzten  Augen- 
blick den  Zweikampf  zu  verbieten.  Der  Akt  schließt  mit 
einem  Dialoge  zwischen  Aymon  und  Marphise,  in  dessen  Ver- 
laufe der  Vater  Bradamante's  das  kühne  Amazonenmädchen 
wegen  ihrer  Parteinahme  für  Roger  mit  scharfen  Worten  tadelt. 
Akt  II:  Zwei  Monologe  eröffnen  diesen  Akt;  in  dem 
einen  sucht  Leon  seinen  Betrug,  Roger  an  seiner  Statt  in 
%den  Kampf  zu  schicken,  zu  rechtfertigen,  indem  er  darauf 
hinweist,  daß  seine  Liebe  zur  Gegnerin  während  desselben 
ihn  verwirren  möchte;  in  dem  anderen  Monologe  überlegt 
Roger  vergeblich,  wie  er  seiner  ihn  nicht  kennenden  Geliebten 
im  Kampfe  gegenübertreten  solle;  die  Bradamante  besiegen, 
heißt  für  ihn,  sie  verlieren,  sich  von  ihr  besiegen  lassen,  ist 
gleichbedeutend  mit  Treubruch  an  dem  Freunde.  Nachdem 
Aymon  noch  einmal  den  Versuch  gemacht  hat,  seine  Tochter 
vom  Kampfe  abzuhalten  und  Leon's  Hand  ohne  Kampfes- 
bedingung anzunehmen,   beginnt   der  Zweikampf;  lange  hält 


1)  Recherches,  2.  Teil,  S,  125 f. 

*)  Benutztes  Exemplar:  La  Bradamante^  Tragicomediey  A  Part», 
1637,  4^,  Das  Friv.  ist  ausgestellt  am  7.  Febr.'1637,  während  das  des 
Mithridate  bereits  das  Datum  des  SO,  Sept  1636  trägt 


—     143     — 

sich  Roger  in  der  Verteidigung;  als  aber  Bradamante  einen 
Augenblick  zurückweicht,  drängt  er  ihr  nach,  entreißt  ihr  den 
Degen,  so  daß  sie  sich  für  besiegt  erklären  muß. 

Akt  III :  Während  Bradamante  trostlos  über  ihre  Nieder- 
läge  ist  und  sich  weder  von  ihrem  Bruder  Renaud  noch  von 
ihrer  Freundin  Marphise  freudig  stimmen  läßt,  wird  auch 
Roger  seines  Sieges  nicht  einen  Augenblick  froh,  sondern 
klagt  laut  das  Schicksal  an.  Schon  will  Karl  dem  Gnechen- 
fürsten,  der  ja  als  Sieger  gilt,  den  köstlichen  Preis,  die  Hand 
Bradamante's,  zuerkennen,  als  Renaud  und  Marphise,  zum 
größten  Arger  des  alten  Aymon,  den  königlichen  Richter 
bewegen,  Leon  nur  dann  den  Preis  zu  gewähren,  wenn  er 
noch  mit  Roger,  dem  heimlichen  Verlobten  Bradamante's, 
kämpfe. 

Akt  IV:  Leon,  der  feige  Orientale,  welcher  auch  dies- 
mal nicht  in  die  Schranken  des  Kampfplatzes  zu  treten  wagt, 
sucht  seinen  Helfer  auf;  er  findet  ihn  in  tiefster  Traurigkeit, 
deren  Grund  zu  erfahren  ihm  auch  gelingt.  Nun  will 
Leon  zeigen,  daß  auch  er  edel  sein  kann  und  verzichtet  auf 
weitere  Bewerbung  um  die  schöne  Tochter  Aymon's. 

Akt  V :  Beide  gehen  nun  an  den  Hof,  an  welchem  man 
schon  glaubt,  der  Grieche  habe  die  Flucht  ergriffen.  Sie 
enthüllen  nun,  wer  der  eigentliche  Sieger  im  Kampfe  gewesen 
ist;  da  gleichzeitig  bulgarische  Gesandte  dem  Roger,  der 
ihr  Volk  so  ritterlich  in  der  Schlacht  von  Noyengardes  unter- 
stützt hatte,  die  königliche  Krone  anbieten,  steht  einer  end- 
gültigen Verlobung  der  beiden  Liebenden  auch  von  Seite  des 
ehrgeizigen  Aymon  kein  Hindernis  mehr  im  Wege. 

Der  Gang  der  Handlung  ist  nahezu  ganz  derselbe  wie 
bei  Ariost.  Die  wenigen  Punkte,  in  denen  er  von  seiner 
Quelle  abweicht,  sind  folgende:  Der  französische  Dichter 
drängt  die  ganze  Handlung  in  den  Zeitraum  eines  Tages  zu- 
sammen, um  die  Einheit  der  Zeit  zu  retten,  während  bei  Ariost, 
wie  wir  früher  gesehen  haben,  eine  viel  längere  Zeit  ange- 
geben ist.  Auch  die  Beobachtung  der  Ortseinheit  zwingt  den 
dramatischen  Dichter,  vom  Epos  abzuweichen,  wo  verschiedene 
Schauplätze  (Leon's  Heimat,  Bradamante's  Wohnung,  die 
Kaiserpfalz,   die  Wildnis  etc.)  anzunehmen  sind.    Von  den 


—     144    — 

PersoneD,  die  im  OrL  für.  auftreten,  Termissen  wir  bei  La 
Calpren^de  Aymon's  Frau,  Beatrix,  wogegen  La  Calprendde 
eine  neue  Rolle  in  Zenon,  dem  „Freunde"  (Vertrauten!) 
Leon's,  schafft. 

Femer  ließ  der  französische  Dichter  mit  richtigem  Ge- 
fühle die  Zauberin  Melisse  aus  seiner  Tragödie  fort,  indem 
er  Leon  nicht  durch  die  Führung  Melisse's,  sondern  auf 
eigenen  Antrieb  den  Ort  besuchen  läßt,  wo  Roger  sich 
aufhält: 

«Je  me  sens  inspire  de  visiter  ce  boü* 

(Akt  IV,  Sz.  3,  S.  85). 

Endlich  erscheint  bei  La  Calpren^de  in  der  Schlußszene 
die  glückliche  Bradamante  auf  der  Bühne,  während  sie  bei 
Ariost  in  der  stillen  Kammer  Freudentränen  vergießt  {Orl 
für.,  C.  XLVI,  St.  65). 

Was  die  Charaktere  der  einzelnen  Personen  betrifft,  so 
leiden  sie  an  demselben  Fehler,  wie  die  Gamier's ;  sie  sprechen 
zu  viel,  und  handeln  zu  wenig;  entweder  sind  sie  ohne  jede 
Elntwicklung,  oder,  wenn  sie  ihren  Sinn  ändern,  gibt  der 
Dichter  kein  hinreichendes  Motiv  an  (z.  B.  im  Falle  Leon's); 
während  Gamier's  Helden  immer  noch  eine  gewisse  Rau- 
heit und  unbeholfene  Naivität  an  sich  haben,  fehlt  den  Ge- 
stalten im  Stücke  La  Calprendde's  auch  diese,  bei  Ariost 
so  scharf  hervortretende  Eigenschaft.  Roger  und  Leon  denken 
zu  viel,  sprechen  zu  viel  in  Antithesen,  als  hätten  sie  die 
Logik  des  Aristoteles  im  Kopfe.  Man  merkt,  daß  der 
Verfasser  des  Stückes  den  Cid  kannte,  wo  ähnliche  innere 
Konflikte  auf  der  Bühne  analysiert  werden.  La  Calpren^de 
scheint  überhaupt  nicht  die  Absicht  gehabt  zu  haben,  einiger- 
maßen historisch  getreue  Charaktere  zu  schaffen,  sondern 
er  wollte  ein  ganz  modernes  Stück  schreiben  mit  Franzosen 
des  17.  Jahrhunderts  auf  der  Bühne.  Darum  macht  er  Kaiser 
Karl  zum  „König".  Roger  ist  bei  ihm  das  Vorbild  eines  ga- 
lanten Hofmannes;  gleich  bei  seinem  ersten  Auftreten  am 
Hofe  sagt  er  dem  Könige  und  seinem  Gefolge  die  plattesten 
Schmeicheleien  (Akt  I,  Sz.  6,  S.  24).  Die  Bradamante  La 
Calprendde's  ergeht  sich  in  herben  Vorwürfen  gegen  ihren 
Geliebten    den   sie    wiederholt   des   Treubruchs  beschuldigt; 


—    146    — 

trotzdem  erklärt  sie,  ihn  noch  zu  lieben;  wir  sehen  in  ihr 
das  leidenschaftliche  Weib,  leidenschaftlich  im  Zorne  und  in 
der  Liebe.    Vgl.  z.  B.  Akt  I,  3,  S.  27 : 

€M(m  cceur  ne  retient  plus  la  douleur  qm  te  presse 

II  est  vray  ee  perfide  a  f misse  sa  protnesse, 

Uingrai  a  viole  sa  foy. 

11  7i*a  paint  de  regret  de  tavoir  dilaisseey 

Et  ne  se  souvient  plus  de  toy 

Qiwiqu*il  vive  dans  ta  pens6e. 

Quel  esprit  prevayant  eust  recoynu  la  faute 

Des  sermenis  qiüÜ  nie  fit  d'tine  amitU  si  sainele, 

Et  de  tant  de  fidelitS  ? 

Que  feiisse  creu  faillir  contre  mcm  grand  eourage, 

De  saupconner  de  UwhetSy 

Ses  discours  et  son  beau  visage.> 

In  diesem  Tone  schmäht  sie  den  abwesenden  Koger  den 
ganzen  ersten  Teil  des  Stückes  hindurch.  Wieviel  edler 
spricht  doch  die  Bradamante  des  Ariost  von  ihrem  fernen 
Geliebten !  Zwar  fürchtet  auch  sie  dann  und  wann,  er  könnte 
sie  vergessen  haben,  aber  gleich  fassen  wieder  Hoffnung  und 
Zuversicht  in  ihrem  Herzen  Platz: 

tNuovo  pensier  cKa  qwesto  poi  succede, 
he  dipinge  Ruggier  pie?io  di  fede,* 

(C.  XLV,  st  29.) 
Wie  bei  Grarnier,  so  hat  auch  in  diesem  Stücke  der  alte 
Aymon  einen  Stich  ins  Derbkomische.     So  sagt  er  z.  B.  in 
der  3.  Szene  des  2.  Aktes  (S.  29)  zu  seiner  «igenen  Tochter : 
«Fa,  iygresse,  va  monstre,  horreur  de  la  nature, 
VeuiUe  le  Oiel  sur  toy  venger  ta  propre  injure 
Et  pour  te  faire  voir  son  pouvoir  absolu, 
Te  perdre  en  ce  combat,  puüque  tu  Vas  votdu.y  ^) 

Doch  als  er  seine  Tochter  am  Kampfplatze  erscheinen 
sieht,  vergißt  er  seinen  Groll  und  ruft  in  gerechtem  Vater- 
stolze aus: 


*)  Vgl  Akt  J,  7,  8.  19,  die  Worte,  welche  er  an  Marphise  richtet, 
femer  Akt  II,  5,  S.  32,  wo  Aymon  seinen  Sohn  Benaud  zurechtweist 
Httncbener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.  XXXIV.    10 


—     146     — 

€  Cetie  ßrocüe  pleine  de  tant  d'andace, 

Qui  mesme  sous  Varmtt  se  remarque  en  sa  face, 

Ce  pori  majeatueux  et  doux  egakment 

Paroist  en  mesme  temps  redoutable  et  charmant,  f> 

(Akt  n,  4,  S.  31.) 
Im  Stile  und  im  sprachlichen  Ausdrucke  ist  das  Stück  La 
CalpreD^de's  yoUständig  unabhängig  von  seiner  stofflichen 
QueUe ;  die  vielen  bei  Ariost  und  bei  G-amier  vorkommenden 
Vergleiche  sind  hier  verschwunden  bis  auf  einen,  der  dem 
Orl.  für.  entlehnt  zu  sein  scheint: 

tEt  le  sang  qui  ruisseUe  en  miUe  et  miUe  lieux.* 

(Akt  V,  2,  S.  92.) 

Vergleiche  damit  OrL  für.  (C.  XLIV,  st,  87): 
tE  ü  sangue,  come  un  rio^  corre  aUa  volle. t^ 

Die  Frdres  Parfaict  meinen,  daß  der  Verfasser  seinen 
Vorgänger  Garnier  nachgeahmt  habe  ^) ;  es  kann  das  höchstens 
für  die  Charakterzeichnung  Aymon's  gelten ;  im  übrigen  schließt 
er  sich,  wie  wir  gesehen  haben,  ausschließlich  an  die  italienische 
Quelle  an. 

Wollen  wir  ein  kurzes  Urteil  über  die  Bradamante  La 
Calprenöde's  fällen,  so  müssen  wir  vor  allem  von  einer  Ver- 
gleichung  mit  der  Bradamante-Episode  im  ital.  Epos  absehen; 
wir  dürfen  die  Ariost'schen  Helden  nicht  mit  den  höfischen 
Gestalten  La  Calpren^de's  in  Zusammenhang  bringen.  Unter 
dieser  Bedingung  aber  ist  dem  Stücke  ein  gewisser  Wert  nicht 
abzusprechen :  psychologische  Vertiefung  einzelner  Charaktere, 
spannender  Gang  der  Handlung  und  leicht  dahinfließende 
Sprache  sind  die  Hauptvorzüge  des  Stückes. 

Die  wenigen  Kritiker,  welche  das  Werk  erwähnen,  scheinen 
unsere  Meinung  über  dessen  Wert  nicht  zu  teilen.  So  nennen 
es  die  Fröres  Parfaict  das  schwächste  Stück  des  Dichters 
in  bezug  auf  den  Aufbau,  die  Versifikation  und  die  Charaktere.-) 


^)  Hist.,  Bd.  y,  217. 

')  Hist.,  Bd.  Vj  217:  «De  toutes  les  pieces  de  M.  de  la  CatprenMe, 
voici  la  plus  faible  pour  la  conduite^  et  la  versification,  et  niUle  noblesse 
dans  la  peinture  des  caractlres  de  ses  personnagea,  On  y  trouve  meme  des 
8ccn4^8  qui  frisent  les  discours  des  petits  bourgeois.» 


—     147     — 

Mouhy  gibt  ihm  die  Epitheta  tmediocte  et  mal  dialogide>.^) 
Ahnlich  arteilt  Fifteau  darüber,  wenn  er  sagt:  tBradamanie 
est  une  des  plus  faibles  pieces  de  PAuteur  ä  tous  les  points  de 
nie,  n'ayant  rien  de  r6uss%:  ni  VintrigtAej  ni  les  vers,  ni  les  carac- 
teresj  ni  le  ton  qui  rCest  celui  d'une  comedie  bourgeaise,*^) 

Es  scheint,  als  ob  die  Bradamante  La  CalpreD^de's 
eine  Zeitlang  dem  bekannten  Festarrangeur  Ludwig  XIY., 
dem  Herzog  von  Saint-Aignan  zugeschrieben  worden  sei; 
wenigstens  finden  sich  diesbezügliche  Bemerkungen  bei  Be au- 
ch am  ps^)  und  Groujet;^)  der  Irrtum  kam  wohl  daher, 
daß  La  Calpren^de's  Tragödie  anonym  erschien  und  daß 
Saint-Aignan,  allerdings  27  Jahre  später  (1664),  eine 
Bradamanie  ridicule  schrieb,  die  jedoch  nicht  gedruckt  wurde. 

Zu  den  Stücken,  welche  ebenfalls  die  Bradamante-Episode 
behandeln,  gehören  auch  <Les  amaurs  d^Angelique  et  de  Medory 
von  Gabriel  Gilbert '^),  obwohl  der  Titel  eher  eine  Nach- 
ahmung der  später  zu  besprechenden  Roland-Episode  ver- 
muten ließe.    Das  Stück  erschien  im  Drucke  1664.®)    In  der 

*)  Tablettes,  Bd.  i,  30. 

-)  Hist,  S.  139.  Pifteau^s  Urteil  scheint  ein  Plagiat  dei'  Er, 
Farfaict  zu  sein, 

*)  Beck.,  2.  Teil,  S.  l')3:  •Ceite  piece,  suivant  M.  d.  C,  est  dauteuse 
entre  lui  et  le  duc  de  Saint-Aignan.* 

*)  Bihl  fr.,  Bd.  XVIII,  226:  *LAhU  de  Maroües,  dans  son  De- 
nombrefnent  d^ Auteurs,  attrihue  ä  Fr.  de  Beauvilliers,  duc  de  Saint-Aignan, 
une  pUce  de  Theätre  intitulee  Bradamante,  et  M.  VAhbe  d-Qlivet  dit  qu'il 
y  eut  en  effet  une  Tragi-Comedie  sous  ce  titre,  imprimie  sans  nom  d^Auteur 
en  1637.  Les  Ecrivains  de  VHist.  du  Tk.  fr.  (Parfaict)  ne  la  nomment 
point;  ils  ne  parlent  que  de  la  Tragi-Comedie  de  Bradamante,  du  Sieur 
de  la  Calprenede  qui  est  de  1636.»  Die  beiden  Stücke  von  1637  u.  1636 
sind  identisch,  da  ja,  ioie  wir  bereits  bemerkt,  La  Calprenede^s  »Brada^ 
mantei  1637  erschien. 

*j  Das  benützte  Exemplar  [s.  Bibliogr.)  befindet  sich  in  der  Bibl. 
nat.  zu  Paris  (Y.  Th.  806). 

•)  Alle  von  uns  zu  Rate  gezogenen  Forsclier  führen  dieses  Datum 
an:  Fr.  Parfaict  (Eist  IX,  247);  Beauch.  {Rech.,  2.  Teil,  S.  169); 
Leris  (Dict,  S.33);  ha  W fiUiere  {Bibl,  Bd,  IIL  17);  Anecd.  dram. 
{Bd.  I,  65);  La  Porte  et  Chamfort  (Dict.  I,  87),  die  auch  eine 
kurze  Inhaltsangabe  des  Stückes  bringen;  Didot  (Biogr.  gen.,  Bd.  XX, 
495);  Brunei  [Man.,  Bd.  II,  1591);  Vapereau  {Dict  un.,  S.  8S4); 
Lucas,   Bist   III,   295.      Nur  Mouhy    {Abr.  I,   36;  II,  170)  gibt 

10* 


—     148     — 

Vorrede  sagt  der  Verfasser,  daß  es  sein  16.  Drama  sei.  Von 
Gilbert  wissen  wir,  daß  er  der  reformierten  Kirche  angehörte 
und  im  Dienste  der  Königin  Christine  ron  Schweden  stand; 
nachGoujet  nahm  er  (vor  1657)  einen  längeren  Aufenthalt 
in  Italien^);  trotz  seiner  hohen  Stellung  als  «iSecretaire  des 
co}mnatidement8T>  bei  der  •Königin  Christine  und  trotz  seiner 
fruchtbaren  Schriftstellerei  ^)  waren  seine  Vermögensverhält- 
nisse stets  zerrüttet;  er  starb  um  1680  in  großer  Armut  in 
einem  fremden  Hause.*) 

Wir  wollen  nunmehr  versuchen,  die  etwas  verwickelte 
Handlung  der  tAmours  d'Angelique  et  de  Medor»  in  kurzen 
Zügen  zu  schildern. 

Akt  I:  Arimand  (mit  seinem  wahren  Namen  Medor), 
erzählt  seinem  Vertrauten,  daß  er  aus  Liebe  zu  Angelika 
ihres  Vaters  Reich  vor  Aufruhr  geschützt  habe  und  nun- 
mehr schon  seit  sechs  Monaten  am  französischen  Hofe  weile, 
um  stets  in  ihrer  Nähe  zu  sein.  Ein  bevorstehendes  Turnier, 
für  welches  jede  der  Damen  am  Hofe  einen  ihr  sympathischen 
Ritter  als  Kämpen  auszuwählen  hat,  soll  dem  verliebten 
Arimand  zeigen,  ob  seine  Geliebte  ihm  wirklich  zugetan 
ist.  Zu  diesem  Zwecke  streut  Alidor,  der  Vertraute  Ari- 
mand's,  das  Gerücht  aus,  Medor  sei  aus  Spanien  zurück- 
gekehrt, und  wolle  sich  als  Ritter  für  Angelika  anbieten  und 
so,   laut  Beschluß  des  Kaisers,  deren  Hand  gewinnen.     Da 


das  Datum  1644  an,  was  zxceifellos  auf  einen  Druckfehler  zurückzu- 
führen ist. 

»)  Bihl  fr.,  Bd.  XYIII,  87.  —  ö.  Hartroann  scheint  Gottjef» 
Angaben  nicht  zu  berücksichtigen  («.  Hartm.^  Mirope,  8.  15);  vgl. 
Kntik  d,  Arbeit  v.  Stiefel  {Zßp.  1893,  Bd.  XV,  S.  43 ff.).  -  Auf 
Goujet  stützen  sich  Haag,  La  Fr.  prot,  Bd.  7,  266^267;  La  Gr. 
Enc,  Bd.  XVIIl  930. 

«)  Nach  Goujet  {Bibl.  fr,  Bd.  XVIIT,  86)  ist  er  der  Verfasser 
von  5  Tragödien,  4  Tragikomödien,  2  Schäferdramen  n.  1  Komödie; 
aufierdem  schrieb  er  noch  einige  lyrische  Sachen,  Goujefs  Angaben 
können  nicht  richtig  sein,  da  ja  Gilbert  seine  Tragikomödie  AngSlique 
et  Medor  bereits  das  16.  Stück  nennt.  Beauchaxnps  behauptet,  die 
anderen  Stücke  seien  unbekannt  {Rech.  II,  168).  Auch  Brunei  {Man., 
Bd.  II,  1591)  führt  nur  die  von  Goujet  erwähnten  Stücke  an.  Detnnach 
scheinen  die  fehlenden  bis  jetzt  nicht  bekannt  zu  sein. 

')  Beauchamps,  Rech.  II,  170. 


^     149    — 

aber  Angelika  befürchtet,  Medor  möchte  zu  spät  erscheinen, 
bittet  sie  Arimand,  den  eie  wegen  seines  opferwilligen  DieDst* 
eifers  heimlich  liebt,  an  Stelle  jenes  Ritters  fUr  eie  in  die 
Schranken  zu  treten. 

Akt  II :  Nachdem  Angelika  erzählt  hat,  daß  sie  Medot 
Liebe  schulde,  weil  er  sie  von  den  verderbbringenden  Klaueu 
einer  Bärin  gerettet  habe,  erhält  sie  den  Besuch  dreier 
„Freundinnen^^  deren  Namen  uns  gut  bekannt  sind,  nämlich 
von  Marphise,  Isabelle  und  Bradamante;  dank  ihrem  weibn 
liehen  Scharfsinne  entdecken  sie  bald,  daß  Angelika  eine 
stille  Neigung  für  den  schönen  Arimand  hegt,  die  dieser 
nicht  unerwidert  läßt  und  da  nun  jede  von  ihnen  gleichfalls 
in  Liebe  zu  dem  Jüngling  entbrannt  ist  und  den  Wunsch  hegt, 
er  möchte  ihr  Kämpfer  im  Turniere  sein,  so  verleumden 
sie  ihre  „Freundin^  in  ganz  schändlicher  Weise  und  bieten 
sich  gegenseitig  deren  Verehrer  als  „Tnmierdamen^  an;  alf 
Arimand  zum  Kaiser  befohlen  wird,  fallen  die  drei  Frauen 
über  Angelika  her  und  schleudern  ihr  die  unsinnigsten  Ver- 
dächtigungen ins  Gesicht. 

Akt  ni:  Boland,  Eenaud  und  Roger  versuchen  von 
Arimand  zu  erfahren,  ob  er  Angelika's  Liebe  sicher  sei  und 
ob  er  für  sie  im  Turniere  kämpfen  werde.  Da  aber  ihr  Be- 
mühen fruchtlos  bleibt,  bietet  sich  jeder  von  ihnen  dem 
Mädchen  als  Ritter  im  Zweikampfe  an  und  erzählt  dabei  mit 
den  größten  Übertreibungen  seine  Heldentaten  ^  während 
jeder  den  Medor,  der  ja  als  Verlobter  Angelika's  gilt,  ver- 
leumdet. 

Akt  IV :  Nun  bringen  Marphise,  Bradamante  und  Isabellä 
der  Angelika  die  Nachricht  von  Medor's  Ankunft  am  Hofe, 
nicht  ohne  ihr  dabei  einige  grobe  Beleidigungen  zu  sagen; 
Angelika  ist  jedoch  keineswegs  über  diese  Nachricht  erfreut, 
da  sie  bereits  Arimand  mehr  zu  lieben  glaubt  als  Medor, 
und  als  ersterer,  um  sie  auf  die  Probe  zu  stellen,  ihr  die 
Mitteilung  macht,  daß  Medor  schon  seit  einem  halben  Jahre 
am  Hofe  weile,  da  erschrickt  sie  so  sehr,  daß  Arimand  nun- 
mehr der  Liebe  Angelikas  sicher  ist. 

Akt  V:  Nachdem  Angelika  in  einigen  Stanzen  ihr 
Liebesleid  geklagt  hat,  das  eigentlich  nur  in  der  Ungewißheit 


—     150     — 

besteht,  ob  sie  ihr  Herz  Arimand  oder  Medor  zuwenden  soll, 
will  sie  durch  Melinde,  ihre  Vertraute,  die  Gewißheit  er- 
langen, ob  Medor  zum  eben  begonnenen  Kampfe  erschienen 
sei ;  man  teilt  ihr  statt  dessen  mit,  daß  er  im  letzten  Jahre 
in  ihres  Vaters  Reiche  die  Dynastie  gerettet  und  sie  in 
ihrer  Abwesenheit  auf  den  Thron  erhoben  habe.  Schon  hat 
sie  den  Entschluß  gefaßt,  dorthin  zurückzukehren  und  mit 
Medor  den  Thron  zu  teilen,  als  Arimand,  der  eben  im 
Turniere  an  Stelle  Medor's  siegreich  kämpft,  vor  seine  Gre- 
liebte  tritt  und  sich  ihr  als  Medor  zu  erkennen  gibt.  Als 
Beweis,  daß  er  wirklich  Medor  ist,  zeigt  er  ihr  die  Schärpe, 
die  sie  einst  beim  Angri£F  des  Bären  hat  fallen  lassen.  Angelika 
bietet  ihm  als  Lohn  seiner  treuen  Liebe  Herz  und  Thron  an. 
Das  Stück  endet  mit  einer  Lobrede  Medor's  auf  Karl  den 
Großen,  welche  wohl  als  eine  Verherrlichung  Ludwigs  XIV. 
angesehen  werden  muß: 

*Maü  allons  rendre  gräce  au  Hiros  des  Fran^ois 
Le  plus  sage  morkl  et  le  plus  grand  des  Rois 
Qui  se  fait  renommer  en  paix,  aussi  quCen  guerre, 
Qui  vient  de  partaget'  fempire  de  la  terre, 
Dont  la  rare  vertu  brille  de  iotäes  partSj 
Et  mesle  nvec  les  L/ys  PAigle  en  ses  etendarts.r 

(Akt  V.  8,  S.  70).  1) 

Dieser  Gang  der  Handlung  zeigt,  wie  frei  der  Dichter 
seine  Quelle  benützt  hat.  Er  entlehnt  der  Bradamante-Epi- 
sode  die  Idee  des  Zweikampfes,  der  Verkleidung  des  einen 
der  beiden  Kämpfenden,  der  als  Sieger  aus  dem  Turnier 
hervorgeht  und  die  Hand  der  Geliebten  erhält.  Um  diese 
Grundidee  des  Stückes  gruppieren  sich  Szenen  von  sekundärer 
Bedeutung,  welche  teils  auf  den  OrL  für.  zurückgehen,  teils 
eigene  Erfindung  des  firanzösischen  Dichters  sind.  Wenn 
Angelika  sich  um  den  abwesenden  Medor  härmt,  so  hat  Gilbert 
offenbar  Bradamante's  Klagen  um  den  fernen  Boger  im  Auge; 
ebenso,  wenn  Karl  bei  Gilbert  bestimmt,  daß  Angelika  den- 
jenigen zum  Gatten  wählen  müsse,  der  von  ihr  als  Kämpe 
im  Turnier   aufgestellt  werde,    falls   er   als  Sieger  aus  dem 


*)  Da»  Stück  ist  ohne  Verszäklung. 


—    151    — 

Kampfe  herrorgehe.  Aber  diese  Szenen,  in  welchen  die  drei 
Helden  Roland,  Benaud  und  Boger,  und  die  drei  Frauen- 
gestalten Marphise,  Isabelle  und  Bradamante  auftreten,  sind 
nicht  aus  dem  italienischen  Epos  genommen. 

Zeugt  schon  die  Art  und  Weise,  wie  Gilbert  die  Hand- 
lung seines  Stückes  ummodelt,  von  einer  großen  Unabhängigkeit 
des  Dichters  von  der  ital.  Quelle,  so  tritt  diese  Freiheit  noch 
mehr  herror,  wenn  wir  uns  die  Charaktere  näher  ansehen. 
Angelika  (Bradamante  bei  Ariost)  ist  eine  vollendete  Intri- 
gantin vom  Anfang  bis  zum  Schluß  der  Tragikomödie.  Sie 
kann  Medor  nicht  vergessen,  hängt  aber  auch  an  Arimand, 
in  dem  sie  ja  nicht  im  entferntesten  den  Medor  vermutet; 
sie  versucht  nicht,  diese  aufkeimende  Liebe  zu  ihrem  Dienst- 
knappen zu  unterdrücken,  sondern  bedauert  fast,  daß  Medor 
immer  noch  in  ihrer  Seele  lebendig  ist: 

tEt  »i  Medor  rCestoit  le  Maistre  de  mon  caur, 
Arimant  pourrait  seid  en  esire  le  vainqueur.^ 

(Akt  II,  1,  S.  17). 

Als  sie  dann  erfährt,  daß  Medor  am  Hofe  weilt,  jubelt 
sie  nicht  laut  auf  vor  Glück,  sondern  seufzt  und  denkt,   wie 
herrlich  doch  Arimand  sei,  und  gesteht  es  ihm  offen: 
<  Ouy,  je  trouve  dans  vous  un  charme  qui  m^attirej 
Je  crains  d^en  dire  trop,  et  n'en  puls  assex  dire; 
Vous  pariagex  7non  coeur  avee  voire  rival: 
Cest  luy  setU  qui  vous  nuity  luy  seid  votis  est  faial, 
Apres  ce  quUl  a  fait,  le  sort  veut  que  je  tatpne; 
Mais  m^arracJiant  ä  vous  je  ni'arrache  ä  moy  niesme 
Pour  finir  nies  ennuis  et  mon  cruel  tourmeni; 
Que  fixestes  vous  Medor,* 

(Akt  IV,  4,  S.  53.) 

Daß  am  Schlüsse  des  Stückes  dieser  im  letzten  Verse 
geäußerte  Wunsch  ihr  erfüllt  wird,  steht  daher  im  krassesten 
Widerspruch  zur  Gerechtigkeit,  während  dagegen  die  Brada- 
mante Ariost's  ihr  Glück  vollauf  verdient.  Medor  (Bog er 
im  Orlando)  hat  mit  diesem  keine  andere  Ähnlichkeit,  als 
daß  er  für  seine  Geliebte  den  Zweikampf,  allerdings  nicht 
auf  Leben  und  Tod,  wagt;  ganz  unverständlich  an  Medor  ist 


—    158    — 

uns,  daß  er  sich  überhaupt  verkleidet,  nachdem  er  sich  be* 
reits  von  Angelika  geliebt  weiß.  Die  drei  Helden  Roland, 
Kenaud,  floger  sind  vom  französischen  Dichter  frei  erfund^i^); 
sie  sind  das  Abbild  der  Mehrzahl  jener  Bofleute  zur  Zeit 
Gilbert's,  die  ihr  Leben  in  galanten  Abenteuern  vertändeln. 
Zuerst  werben  sie  um  Angelika;  als  diese  sie  zurückweist, 
nehmen  sie  mit  Bradamänte,  Isabelle  und  Marphise  vorlieb, 
die  geradezu  Karikaturen  der  entsprechenden  Gestalten  bei 
Ariost  sind. 

Direkte  Anklänge   an   den   italienischen   Dichter  lassen 
sidi  nur  an  zwei  Stellen  nachweisen,  nämlich  Akt  I,  1 : 
Apres  le  grand  combat  dont  tu  viens  de  parier ^ 
Des  Sarrazins  vainqueurs  poursuivant  la  vicioire, 
Tentre  avec  les  fuyards  dans  une  forest  novre^ 
Je  rn'tgare  parini  les  pins  et  les  q/prez; 
Et  seid  dans  un  vallon  delidevx  et  frais, 
Je  vois  une  Amazone  au  bord  d'une  foniaine 
■  La  visiere  levee  ei  qui  prenoii  haieine.* 

Man  vergleiche  damit  die  wundervolle  Beschreibung  dieser 
Quelle  bei  Ariost  (C.  I,  st.  37  und  38). 
Die  zweite  Stelle  lautet: 

«De  ces  adroits  Guerriers  les  deux  lan^s  rompues 
Chi  en  voit  les  eclats  voler  jusques  aux  nues, 
Et  chaciin  fi'en  a  que  le  troncon, 
Vun  et  Vautre  pourtant  est  fenne  sur  Pardon,* 

(Akt  V,  7.) 

Das  Vorbild  hierzu  ist  im  Orl.  für.  zu  finden  (C.  XL  VI, 
St.  115): 

<Le  lance  alV  incontrar  parver  di  geh, 
I  tronchi,  augelli  a  salir  vei^so  il  cielo.9 


*)  Roland's  Charakter  erinnert  auffällig  an  den   typischen  Mtitf 
oriosns.     Vgl.  Akt  /V,  o,  S.  55: 

*Fh\ist  au  Ciel  qWil  etist  fait  un  si  hardi  deesein 

La  peur  en  me  voyant  lui  glaceroit  le  sein.» 
Ferner  Akt  K,  7,  S.  68: 

*Il  (=  Rot)  murmure,  il  eclate,  il  devient  furieux, 

Et  8ort  en  m€nai!ant  et  la  terre  et  les  Cieux.» 


—     153     — 

Im  ganzen  betrachtet  scheinen  uns  Les  amours  d^Ange». 
lique  ei  de  Medor  die  Übergangsstafe  zu  den  Parodien  Ariosti^ 
scher  Gestalten  und  Episoden  zu  sein;  einen  künstlerischen 
oder  ästhetischen  Wert  können  wir  dem  Stück  nicht  zusprechen. 

Die  Brüder  Parfaict  geben  von  Gilberts  Werken  eine 
kurze  Oharakteristik,  welche  neben  den  vielen  Fehlem  zwei 
Vorzüge  hervorhebt,  nämlich  glückliche  Situationen  und  einen 
leichten  Versbau.^)  Doch  können  wir  ihnen  nicht  beistimmen, 
wenn  sie  behaupten,  daß,  mit  Ausnahme  der  Mamen,  Gilbert 
der  Erfinder  des  Stoffes  und  der  Charaktere  sei.  ^)  L^ris 
nennt  die  Amours  d^Angelique  et  de  Medor  ein  sehr  schlechtes 
Stück ^);  dasselbe  Urteil  fallt  Mo uhy^):  Medor  ist  nach  ihm 
ein  Geck,  Angelika  eine  Preziöse,  Roland  endlich  ein  roher 
Mensch.  In  der  Grande  Encyclopedie  wird  ein  Urteil 
Chapelain's  über  unseren  Dichter  zitiert,  welches  wir  hier 
wieder  geben:  <C*est  un  esprit  däicat,  duquel  on  a  des  odesy 
de  petits  poemes  et  plwfi&itrs  picces  de  tkSäire  pleines  de  con* 
lersation*.^)  Chapelains  lobende  Oharakteristik  hält  uns  nicht 
ab,  unserem  Stücke  jeden  Wert  abzuerkennen. 

In  demselben  Jahre,  in  dem  Gilb  er t^s  Angelique  ei  Medor 
erschien,  wurde  im  Palais  Royal  eine  Bradamante  ridimik^) 
aufgeführt,  deren  Verfasserschaft,  wie  schon  oben  erwähnt, 
dem  Herzog  von  Saint- Aign an  zugeschrieben  wird.  Leider 
ist  das  Stück  nicht  im  Drucke  erschienen,  doch  läßt  sich  aus 
seinem  Titel  der  Schluß  ziehen,  daß  wir  es  mit  einer  Parodie  zu 
tun  haben.     Da  Gilbert's  Tragikomödie  nahezu  eine  Parodie 


')  Hist.^  Bd.  Vy  119:  *L€S  pi^cte  ipke  cet  auieur  donna  au  theätre 
ne  8ont  pas  bonnes]  mais  ä  travers  les  defauts  ellee  8<mt  remplies  de 
sittiotions  heureuses  et,  dans  toutes,  la  versification  est  aisee.» 

'  *)  Hist.,  Bd,  IX,  247 :  »A  Vexception  des  noms  des  Acteurs,  qui  aont 
dans  le  Foeme  de  VArioste,  if.  Gilbert  est  absolument  inveiiteur  de  la 
fable^  de  la  conduite  et  des  caracteres  de  ses  Fersontiages.* 

»)  Biet,  S.  26, 

*)  Tabl,  Bd,  /,  :^0  u.  Abr.,  Bd.  /,  36.  —  M.  kopiert  wörtlich  diese 
Stelle  atis  der  Gesch.  der  Brüder  Parfaict. 

>)  Bd.  XVIIl  93(ß. 

•)  Erwähnt  bei  Beauchamps,  Rech.,  2.  Teil,  S.  153;  Lerie, 
Dict,  S.  88;  Lucas,  Bist,  Bd.  III,  295,  welcher  das  Stück  einem 
unbekannten  Verfasser  zuschreibt. 


—    154    — 

genannt  werden  kann,  ist  es  naheliegend  anzunehmen,  daß  eines 
der  beiden  Werke  das  andere  veranlaßt  oder  beeinflußt  hat. 

Der  Versuch,  die  Bradamauteepisode  in  ein  ernstes  Drama 
umzuarbeiten,  wurde  auch  Ton  Thomas  Corneille  ge- 
macht.^) Seine  Bradamanie  wurde  1696  gedruckt^),  ruhte 
aber  bereits  seit  mehr  denn  15  Jahren  als  Manuskript  unter 
den  Papieren  des  Dichters.^)  Nach  Reynier  erlebte  das 
Stück  zwölf  Aufführungen.^)  Da  Beynier,  der  sonst  die 
meisten  Dramen  Corneille's  analysiert  und  bespricht,  für 
dieses  Stück  nur  ein  paar  Zeilen  vernichtender  Kritik  hat, 
wollen  wir  hier  zum  erstenmal  eine  kurze  Analyse  desselben 
geben.*) 

Akt  I :  Leon,  der  schon  lange  am  Hofe  Karl's  um  Brada- 
mante's  Hand  geworben  hat,  will  von  ihr  endlich  eine  definitive 
Antwort  haben.  Doralice,  die  Vertraute  Bradamante's,  welche 
die  Bewerbung  des  Griechenfürsten  begünstigt,  sucht  Boger 
bei  ihrer  Herrin  zu  verdächtigen,  weil  er  sich  jetzt,  wo  alle 
Welt  weiß,  daß  Leon  um  Bradamante  wirbt,  verborgen  halte. 
Obwohl  nun  diese  dem  unangenehmen  Freier  die  Bitte  abschlägt, 
ihm  ohne  vorausgegangenen  Kampf  die  Hand  zu  reichen,  glaubt 
Boger's  Schwester  Marphise  dennoch,   daß  Bradamante   im 


^)  Eine  äußerst  reichhaltige  Biographie  des  Dichters  findet  sich  in 
Reynier's  Th,  Corneille  (S.  Iff,),  Siehe  femer  Michaod,  Biogr.  geti., 
Bd.  IX,  233:  Didot,  Biogr.  univ.,  Bd.  XI,  876;  La  Gr.  Enc.,  Bd.  XII, 
997).  Unser  Baum  erlaubt  U7is  nicht^  eine  Schilderung  seines  Lebensganges 
zu  geben. 

■)  Siehe  unsere  Bibliographie ^  S.  X. 

*)  Der  Dichtet'  selbst  sagt  hierüber  in  der  Vorrede:  *Ily  aplus  de 
quinze  ans  que  cette  pi^ce  auroit  jfxiru  au  Theatre^  si  je  n'eusse  pas  ap- 
preliendi  que  la  reputation  de  VArioste,  tout  fameux  quHl  est,  n^eustpas 
este  d^un  assez  grand  poids,  pour  autoriser  Vincident  sur  lequel  tonte 
Vecanomie  en  est  fondie»,  eic. 

*)  Thomas  Com.,  S.  367.  —  Die  erste  Aufführung  fand  1695  statt.  — 
Doch  scheinen  die  Aufführungen  enttäuscht  zu  haben,  da  Beauch. 
(Rech.,  2.  Teil,  S.  199)  sagt,  das  Stück  fiabe  nicht  den  Erfolg  gehabt,  den 
es  verdiente. 

*)  L.  Geiger  (Xation,  X,  769)  sagt  von  Reynier's  Arbeit,  Bie  sei 
sehr  gelehrt  und  fleifiig,  aber  der  Dichter  werde  darin  sehr  nüchtern 
und  kühl  beurteilt;  wir  können  uns  dieser  Kritik  von  L.  Geiger  nur  an- 
schliefkn. 


—     155    — 

Grunde  ihren  Verlobten  längst  vergessen  habe  und  sich  des- 
halb im  Zweikampfe  freiwillig  von  Leon  besiegen  lassen  werde. 

Akt  II:  Inzwischen  ist  aber  Roger  aus  der  Fremde 
zurückgekehrt;  er  erzählt  seiner  Schwester  all  die  Abenteuer,  die 
er  bei  dem  Bulgarenyolke  bestanden  hat,  seine  Rettung,  dann 
das  edelmütige  Eintreten  Leons  und  seine  weiteren  Irrfahrten. 
Er  läßt  sich  von  Marphise  nichtirre  machen  in  seinem  Glauben, 
daß  Bradamante  den  unkriegerischen  Griechen  besiegen  werde. 
Bevor  jedoch  der  Zweikampf  stattfindet,  eilt  Leon  zu  seinem 
Freunde  Roger,  dessen  wahren  Namen  er  nicht  kennt,  und  bittet 
ihn,  an  seiner  Stelle  in  die  Schranken  des  Kampfplatzes  zu 
treten,  was  jener  auch  nach  einigem  Sträuben  zu  tun  sich 
bereit  erklärt. 

Akt  UI:  Der  Kampf  hat  eben  zugunsten  Leon's  ge- 
endet. Bradamante  beschönigt  Roger  gegenüber  ihre  Nieder- 
lage nicht,  erklärt  aber,  als  dieser  Mißtrauen  zu  hegen  scheint, 
voll  Zorn,  daß  sie  Leon's  stürmischer  Bewerbung  nachgeben 
werde,  wenn  Roger  an  ihrer  Liebe  zweifle.  Marphise  glaubt 
natürlich  fest,  daß  Bradamante  sich  freiwillig  besiegen  ließ 
und  überredet  ihren  Bruder,  dagegen  Einspruch  zu  erheben. 

Akt  IV:  Roger  macht  sich  inzwischen  auf,  Leon  zu 
suchen,  entdeckt  ihm  seinen  wahren  Namen  und  erzählt  ihm, 
wie  er  mit  Aymon's  Tochter  schon  lange  heimlich  verlobt 
sei;  während  die  kriegerische  Marphise  den  Zerstörer  des 
Glückes  ihres  Bruders  zum  Zweikampfe  herausfordert,  falls 
er  noch  Ansprüche  auf  Bradamante  mache. 

Akt  V:   Auch  Bradamante  tut  das  Äußerste,  um  Leon 
zu  bewegen,  nicht  von  seinem  durch  den  Sieg  erlangten  Rechte 
Gebrauch  zu  machen,   so  daß  dieser,  nachdem  er  noch  eine 
Zeitlang  hartnäckig  darauf  bestanden  hat,  plötzlich  auf  Brada- 
mante's  Hand  verzichtet,  welche  nun  der  glückliche  Roger 
erhält.    Letzterer  erklärt  noch  zum  Schlüsse  seiner  Geliebten, 
daß  auch  er  der  Braut  eine  Krone ^)  anbieten  könne: 
tSi  V0U8  dautez  encor  de  man  amour  eocireme, 
MadaniCj  venez  voir  avec  eombien  d'ardeur 
Je  joins  um  Couronne  ä  Voffre  de  mon  cosur.> 
(Akt  V,  5,  S.  74). 

')  Er  meint  natürlich  die  Krone  Bulgariens. 


—     166     — 

Die  Handlung  schlieBt  sich  der  Hauptsache  nach  an  die 
betreffende  Episode  im  Orl,,fur.  an;  Aoger  wird  tob  Leon, 
der  seinen  wahren  Namen  nicht  kennt,  aufgefordert,  gegen 
seine  eigene  Geliebte  zu  kämpfen,  die  er  durch  seinen  Sieg  ver- 
liert, wenn  nicht  Leon  im  letzten  Augenblick  auf  sie  Verzicht 
leistet,  um  diese  Grundidee  jedoch  gruppieren  sich  mehrere 
Nebenhandlungen  untergeordneter  Bedeutung,  die  eigene  Zu- 
taten des  französischen  Dichters  sind ;  andererseits  läßt  er  eine 
Reihe  von  Personen,  die  sich  in  seiner  Quelle  finden,  ganz  fort, 
so  z.  B.  das  Elternpaar  Bradamante's,  und  ihren  Bruder 
Benaud,  was  sehr  zu  bedauern  ist;  femer  die  Person  des 
Kaisers,  endlich  die  bulgarische  Gesandtschaft.  Durch  diese 
Vereinfachung  war  es  dem  Dramatiker  leichter,  das  Interesse 
aussclüießlich  auf  die  Hauptpersonen  Roger  und  Bradamante 
zu  legen.  Was  Faguet  bei  Garnier  tadelt,  daß  nämlich  die 
beiden  Liebenden  sich  nie  im  Stücke  treffen  ^),  hat  Corneille 
vermieden,  dadurch  aber  die  Wahrscheinlichkeit  der  ganzen 
Handlung  vermindert,  da  bei  der  mehrmaligen  Zusammen- 
kunft der  Liebenden  leicht  ein  Mittel  hätte  gefunden  werden 
können,  um  den  Zweikampf  überhaupt  zu  vermeiden.  Außer: 
dem  tritt  nicht  klar  hervor,  warum  denn  Bradamante  den 
Geliebten  nicht  offen  als  ihren  Bräutigam  und  zukünftigen 
Gemahl  bezeichnet.  Die  unglücklichste  Änderung  in  der  Tra- 
gödie jedoch  ist  die  Rolle  Marphise's,  welche  die  Intrigantin 
zu  spielen  hat  und  Bradamante  mit  den  niedrigsten  Ver« 
dächtigungen  überhäuft.  Auch  hier  fehlt  das  Motiv,  welches 
Marphise  zu  ihrem  Argwohn  veranlaßt,  da  diese  ja  von  Brada- 
mante in  keiner  Weise  beleidigt  wird. 

Da  der  Schauplatz  der  Handlung  nach  den  damals 
geltenden  Regeln  ein  einheitlicher  sein  muß,  werden  die  in 
Konstantinopel  etc.  spielenden  Handlungen  nach  Paris  an  den 
Hof  des  großen  Karl  verlegt ;  die  Zeit  für  dieselben  ist  eben- 
falls, wie  bei  Garnier,  auf  24  Stunden  zusammengedrängt. 

Die  Charaktere  sind  alle  von  der  idealen  Höhe,  auf  die 
sie  die  luftige  Phantasie  des  italienischen  Dichters  stellte, 
herabgesunken   zum   gewöhnlichen  Niveau  von   Bühnenintri- 


^)  La  trag,  frang.^  S.  218, 


—     1B7     — 

ganten.  Das  Liebespaar  ist  von  gegenseitigem  MiBtraaen 
erfüllt  (vgl.  Akt  III,  S.  2  u.  3),  Marphise  mißtraut  der 
Verlobten  ihres  Bruders^),  Doralice  verleumdet  Roger, 
den  Bräntigam  ihrer  Herrin^);  nur  Leon  wird  uns  vom 
Dichter  als  ein  Held  geschildert,  für  den  wir  Bewunderung 
hegen  können.  So  legt  er  ihm  gleich  am  Anfange  des 
Stückes  (2.  8z.  des  1.  Aktes,  S.  6)  folgende  stolze  Worte  in 
den  Mund: 

« Vünnent  tous  ces  Guerriers,  dont  la  haute  vaillance 
A  remply  V  Univers  du  renom  de  la  France, 
QiiHls  m^osent  dispiäer  le  nom  de  vostre  Eponx, 
Ferm€  et  saus  m^etonner^  je  les  aiiendray  tous  P> 

Später  (Akt  II,  1,  S.  22)  schildert  Th.  Corneille  diesen 
Helden  mit  folgenden  Worten : 

cLeon  est  un  Guerrier,  qui  fameux,  redoutablef 
Avant  que  de  ceder  sera  de  taut  capahle. 
Son  amour  sans  espoir^  s^il  ne  triompfie  pasy 
En  depit  de  luy-mesme  aniinera  son  bras,> 

Als  endlich  Leon  am  Schlüsse  des  Stückes  Bradamante 
die  Mitteilung  macht,  daß  nicht  er,  sondern  Roger  im  Kampfe, 
gesiegt  habe,  schließt  er  mit  dem  stolzen  Verse  : 
*(7est  ainsi  que  Leon  se  venge  d^un  Rwah, 

(Akt  V,  3,  S.  70). 

Stil  und  Sprechweise  sind  völlig  unabhängig  vom  italieni- 
schen Vorbild ;  Comeille's  Sprache  ist  die  in  den  Dramen  der 
Bachklassizistischen  Zeit  übliche:  ihr  Vorbild  sind  Pierre 
Corneille  und  Racine. 

Nach  dem  eben  Gesagten  kann  unser  urteil  über  das 
Stück  nur  ein  ungünstiges  sein:  Die  Veränderungen,  die 
Th.  Corneille  an  seinem  dem  Ariost  entlehnten  Stoffe  macht, 
sind  durchgehends  als  Verschlechterungen  anzusehen;  die 
Charaktere  aber,  ob  nun  im  Vergleiche  zu  denen  im  Orl,  für. 
oder  für  sich  betrachtet,  sind  uninteressant,   weil  ihnen  allen 


>)  Vgl.  Akt  7,  4;  A.  IL  2;  A.  III,  4. 
»)  Vgl.  Akt  I,  1. 


—     158    — 

der  heldenhafte  Zug  fehlt,  und  weil  wir  von  einer  inneren 
Entwicklung  derselben  nichts  sehen  könneD. 

Nicht  viel  besser  lauten  die  urteile  anderer  Forscher. 
Die  Brüder  Parfaict,  die  den  Dichter  im  allgemeinen  sehr 
günstig  beurteilen  ^),  bezeichnen  das  Stück  als  verfehlt,  haupt- 
sächlich deswegen,  weil  der  Stoff  nicht  interessant  genug 
sei.^)  Dieser  Grund  mag  gelten  für  die  Zeit  des  nüchternen 
18.  Jahrhunderts,  in  welchem  die  Brüder  Parfaict  schreiben, 
nicht  aber  für  die  zweite  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts, 
wo  derlei  romantische  Stoffe  immer  noch  als  anziehend 
erschienen.  Leris  meint,  daß  das  Stück  mehr  Erfolg  gehabt 
hätte,  wenn  Th.  Corneille  sich  nicht  so  eng  an  Ariost  an- 
gelehnt hätte,  da  Kämpfe  zwischen  Frauen  und  Männern 
nicht  mehr  nach  dem  Geschmacke  seien.')  La  Porte  et 
Cham  fort  werfen  ihm  vor,  daß  er  Garnier  benützt  habe;  das 
Stück  sei  verfehlt  wie  alle  anderen.*)  Der  erstere  Vorwurf, 
daß  Garnier  ein  Vorbild  Comeille's  gewesen  sei,  ist  entschieden 
zurückzuweisen.  Keine  Spur  vom  Einflüsse  dieses  Dichters  ist 
in  Corneille's  Bradamante  zu  finden.  Als  das  schwächste  von 
allen  Stücken  des  Dichters  bezeichnet  es  Mouhy  in  seinen 
Tablettes.  ^)  La  Harpe  erwähnt  zwar  die  Bradamante  nicht, 
charakterisiert  aber  Corneille's  Tragödien  ganz  allgemein: 
f  On  troure  dans  ses  trag6die^  des  heautis  de-  senthtientSy  des  situations 
qui  entratnent,  un  pathetique  attendrissant,  La  ver»ificaiion  en  est 
lache  et  sovient  incorrecte,y>^)  Michaud's  Urteil  schließt  sich 
nahezu  wörtlich  an  die  Kritik  Beauchamps'  und  der  Brüder 
Parfaict  an.  Die  Grande  EncyclopSdie  lobt  die 
Stücke  Th.  Corneille's  wegen  ihres  kunstvollen  Aufbaues, 
tadelt  aber  den  gekünstelten   Stil;   die   „Bradamante"   wird 


')  Hist,  Bd.  VIIl  344  ff. 

*)  Hist,  Bd.  XIII,  429 :  ^La  principale  actian  ,  . .  est  fondee  sur 
une  yenh'osite  romanesque^  qui  ne  peut  interesser  wi  le  cosur  ni  Vesprit 
des  gens  senses.* 

')  IXct.y  8.  65.  —  Leris  schreibt  hier  wörtlich  das  Urteil  BeauchSs 
aus  [8.  Rech,,  2.  Teil,  S.  199 \  •On  reprocha  ä  Vauteur  de  s^etre  trop 
assujetti  ä  suivre  VArioste»). 

*)  Dict,  Bd.  /,  183. 

*)  Tablettes,  S.  39. 

*:  K'ours  ie  litt.  I,  605. 


—     169     — 

direkt  schlecht  genannt.  ^)  Bernage,  welcher  in  seiner  Studie 
über  Garnier  auch  auf  das  Corneille'sche  Stück  zu  sprechen 
kommt,  stellt  es  weit  unter  Garnier's  Bradamante.^)  Beynier 
glaubt,  daß  Th.  Corneille  besser  getan  hätte,  wenn  er  dieses 
elende  Machwerk  überhaupt  nicht  veröffentlicht  hätte,  und  er 
fertigt  dasselbe  mit  ein  paar  Zeilen  ab.')  Geiger  end- 
lich übt  die  denkbar  schärfste  Kritik  an  den  Stücken  des 
jüngeren  Corneille,  indem  er  sagt:  „Voll  von  Unmöglich- 
keiten, angefüllt  mit  erlogenen  Gefühlen,  mit  hochtrabenden 
Bedensarten,  ohne  eine  Spur  von  Charakterentwicklung;  die 
Mache  ist  fast  in  allen  Stücken  dieselbe ;  der  Held  ein  kühner 
Kriegsmann,  Verwandlung  des  Helden,  Empörung  und  Stillung 
des  Aufstandes.  Außer  dem  Helden  die  edelmütige  Fürstin 
der  Inbegriff  der  Zärtlichkeit  nach  den  Begeln  des  Pre- 
ziosentums."  *) 

Vielleicht  angeregt  durch  die  Bradamante  Comeille's, 
schrieb  der  zu  seinerzeit  sehr  berühmte  Librettist  Charles 
Boy  1707  eine  lyrische  Tragödie  Bradamante'^),  welche  von 
dem  weniger  bekannten  Komponisten  Lacoste  in  Musik  ge- 
setzt wurde.*)  Wir  haben  bereits  weiter  oben  gesehen,  daß 
die  französische  Oper  italienischen  Ursi)rungs  ist,  daß  jedoch 
das  französische  Ballett  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  jener 
hatte,  indem  beide  mehr  oder  minder  dekorative  Zwecke  ver- 
folgten. Allmählich  verbanden  sich  diese  beiden  Gattungen, 
die  ganz  verschiedener  Herkunft  sind,  und  erfüllten  vor  allem 


»)  Bd.  XII.  U97. 

*)  Etüde  8.  R.  Garnier,  S.  184:  *Ce  n' est  plus  la  Bradamante  de 
VArioBte,  c'est  une  composition  de  faniaisie  oü  les  noms  seuh  et  quelques 
incidents  rappellent  Vauteur  original.  Ce  n'est  plus  Vaccent  heroique,  ou 
les  peintures  de  moeurs  si  comiques  qui  fönt  le  merite  de  Garnier.  CPest 
14»  pele-mele  de  situatiotis  forcles,  de  froides  conversations  qui  otent  ä 
cette  histoire  tout  son  inttret  et  toute  sa  veriti.  La  piece  de  Garnier 
est  de  beaueoup  preferable.>> 

»)  Th.  Corneille,  S.  297. 

*)  Th.  Corneille,  Nation,  X,  770. 

")  ßoy  lebte  von  16S3 — 1764.  Nähere  Angaben  über  sein  Leben 
finden  sich  bei  Mich  au  d  {Biogr.  univ.,  Bd.  XXXVI,  €66);  Didot, 
Nouv.  Biogr.  gen.,  Bd.  XLII,  805 f.;  La  Or.  Enc,  Bd.  XXYIII,  1100. 

*)  Clemeot  u.  Larousse  {Dict.  lyrique,  S.  168)  geben  der  Musik 
von  La  Coste  die  Schuld  an  dem  Mißerfolge  der  Bradamante, 


—     160     ~ 

die  Aufgabe,  Auge  und  Ohr  des  Zuschauers  zugleich  zu  er- 
götzeu.  Für  den  Librettisten  erstand  daher  romehmlich  die 
Pflicht,  einen  Stoff  zu  finden  und  zu  bearbeiten^  dem  deko- 
rative Seiten  abzugewinnen  waren,  oder  der  biihnendekoratiTe 
Einlagen  gestattete,  wie  großartige  Landschaftsbilder,  über- 
natüriiche  Wesen,  z.  B.  Geister,  Kobolde,  verzauberte  Per* 
sonen;  femer  Kämpfe  und  Tänze,  Hochzeits-  und  Leichen- 
züge. Götter  und  Helden,  Fürsten  und  Schäfer,  2iauberer 
und  Feen  waren  unumgänglich  notwendige  Requisiten  des 
musikalischen  Dramas.  Der  Schauplatz  des  letzteren  durfte 
nicht,  wie  in  der  klassizistischen  Tragödie,  das  prunklose  Ge- 
mach eines  königlichen  Palastes  oder,  wie  in  der  Komödie, 
ein  einfaches  Familienhaus  sein,  sondern  mitten  in  der  Er- 
habenheit und  Majestät  der  jungfräulichen  Natur;  eine  tiefe 
Waldschlucht  mit  emporragenden  Baumriesen  und  sprudelnden 
Quellen,  umschlossen  von  moosbehängten  Felsenwänden,  ein 
malerisch  lebendiger  Seehafen  mit  der  Musik  des  rauschenden 
Wassers  und  dem  Mastenwald  im  Hintergrund,  ein  Baum  im 
finstern,  freudelosen  Hades  mit  all  seinen  Schrecknissen,  mit 
Blitz  und  Donner  und  höllischen  Spukgestalten  — ,  das  waren 
die  Szenen,  in  welche  der  Operndichter  seine  Handlung  ver- 
legte, und  welche  der  Regisseur  mit  bewunderungswürdiger 
Kunst  vor  den  entzückten  Augen  des  Publikums  aufbaute.  ^) 
So  wurde  hier  der  Schwerpunkt,  der  in  der  Tragödie 
auf  Handlung  und  Charakteren  beruhte,  auf  die  Musik 
und   Dekoration  hin   verschoben^;  wir  dürfen   deshalb   bei 


*)  Vgl.  Chouquet  (Hist.  de  la  mtuique  dratnatique,  S.  113)  definiert 
die  Oper  jener  Zeit  als  eiiie  *tragidie  reposant  sur  une  donnie  de  la 
fahle  ou  fo^idee  9ur  le  merveilleux^  jeu  des  machineSj  eclat  pompettx  du 
spectacle  et  datiaeg  introduites  dans  cMqtie  acte».  Eine  ähnliche  De- 
finition der  damaligen  Oper  gibt  N  ui  1 1  er  (Les  origines  de  Vop.,  S.XIIIf.\ 

wetm  er  sagt:  « mele^'  ä  Vaction  les  divinith  de  la  fable  ou  les  fies 

de  VArioste;  revetir  les  diciix  et  les  heros^  les  princes  et  les  hergers 

de  panaches^  de  broderies &e8t  ce  qu^on  a  appeli  Vceuvrepar  exceUence: 

V  Opera!» 

*)  Ähnlich  M^fGodefroy  {FoHes  du  ISe  sUcle,  S,  312 ff.):  tVimr 
portante  questimi  dans  les  opiras  du  18 ^  siecle,  c^etaient  la  musique^  les 
danses,  les  chantSj  la  mise  en  scene^  les  decorationSj  les  costumes^  les  ma- 
chines  de  tous  genres  qu'ils  necessitent.» 


—     161     — 

der  Beurteilung  des  Libretto  nicht  den  Maßstab  der  Tra- 
gödie anlegen^  da  ja  der  Textdichter  in  erster  Linie  den  An- 
forderungen jener  beiden  Faktoren  entgegenkommen  mußte 
Eine  kurze  Inhaltsangabe  der  Bradamante  wird  uns  einen 
Begriff  von  dem  Gesagten  geben. 

Die  Oper  eröffnet  mit  einem  Prolog,  oder  vielmehr  einem 
Yorspiel^  das  vor  dem  in  einem  Walde  gelegenen  Z^auber- 
schlösse  Atblante's  seinen  Schauplatz  hat.  Der  alte  Zauberer 
ist  gerade  im  Begriffe,  für  seinen  Liebling  Roger  unzerstörbare 
Waffen  zu  schmieden,  als  Melisse  ihn  dabei  überrascht  imd 
sein  Vorhaben  für  unnötig  erklärt,  da  sie  selber  Roger  ihren 
Schutz  angedeihen  lassen  wolle.  Auf  einen  Wink  der  beiden 
Zaubergestalten  verschwindet  der  Palast  und  Roger's  Bild, 
das  auf  der  Bühne  sichtbar  ist,  wird  von  vier  Genien  fort- 
getragen. 

Akt  I:  Bradamante  wünscht  sehnlichst  ihren  Geliebten 
Boger  herbei,  da  ihr  „ehrgeiziger"  Vater  sie  zur  Ehe  mit 
Leon  zwingen  will;  vergebens  sucht  Hippalque,  ihre  Ver- 
traute, sie  zu  trösten.  Plötzlich  jedoch  kommt  Melisse  im 
Zauberwagen,  von  ihrem  Spukgefolge  begleitet,  und  ruft  dem 
unglücklichen  Mädchen  folgende  Worte  zu: 

Bradamante,  ce  jour  finira  tes  ahrmes, 

A  Vamant  que  tu  crains,  tu  devras  ton  honheiir. 

Pour  un  combat  famenx  prepare  ta  valeur ; 

Le  guetTi'er  qiii  pourra  te  vaincre  par  Ics  armes. 

Est  le  seid  digne  de  ton  ccnur  .  .  . 

(Akt  I,  4,  8.  18.) 
Dieses  Orakel   versetzt  die   so  Angeredete  in  große  Be- 
stürzung,  da  sie   weiß,   daß  heute  noch  ihr  Zweikampf  mit 
Leon  stattfinden  wird. 

Akt  II  und  III:  Leon  und  Roger  haben  ihre  Fahrt  von  Kon- 
stantinopel beendet  und  betreten  eben  den  Hafen  von  Marseille, 
der  erstere  voll  Zuversicht  auf  den  nahen  Sieg,  den  Roger 
an  seiner  Statt  über  Bradamante  erringen  und  der  ihm  dieses 
schöne  Mädchen  für  immer  sichern  soll,  der  letztere  in  trost- 
lose Betrachtungen  über  sein  eigenes  Schicksal  versunken. 
Leon  beeilt  sich,  seine  zukünftige  Gattin  zu  begrüßen  und 
ihre  Liebe  zu  gewinnen,   doch  diese  weist  ihn  stolz  ab,  und 

Itnnchener  Beiträge  z.  romanischen  n.  engl.  Philologie.  XXXIV.    H 


—     162     — 

erklärt,  nur  der  Qewalt  der  Waffen  weichen  zn  wollen. 
Herzlich  willkommen  dagegen  heißt  sie  ihren  Geliebteo,  dem 
sie  erzählt,  welch'  sonderbares  Orakel  ihr  Ton  MeUsaea  mit- 
geteilt worden  sei.  Aber  auch  Leon  erhalt  davon  Kimde 
und  ist  sehr  bestürzt  darüber,  da  er  nun  eigenhändig  gegen 
Bradamante  kämpfen  muß.  Da  eilt  sein  Freund  in  den  Wald, 
um  dort  seinem  Leben  ein  Ende  zu  machen,  da  Bradamante 
ihm  nun  völlig  verloren  zu  sein  scheint.  In  seiner  Ver- 
zweitlung  erscheint  Melisse,  überbringt  ihm  eine  Rüstung, 
welche  Leon's  Waffengewand  vollständig  ähnlich  sieht,  and 
fordert  ihn  auf,  Leon  im  Kampfe  mit  Bradamante  zuvor- 
zukommen; denn 

....  €tro7n])€7'  les  Rivavx  dont  on  est  alarniCj 

Cesi  un  dottx  mfjsin-e 

Que  VAmour  rclaire 

Avec  son  flambeau, 

Et  qu'il  Cache  ä  kiirs  yeux  avec  son  haudeau,^ 

(Akt  III,  4,    S.  39.) 

Akt  IV  :  Roger,  welcher  seinem  Freunde  zuvorgekommen 
ist,  hat  den  Sieg  über  die  Geliebte  errungen ;  als  nun  Leon  auf 
dem  Kampfplatz  erscheint,  hört  er  bereits  den  Siegesjubel 
der  Menge  und  fragt  vergebens,  wer  der  Sieger  sei.  Dieser 
jedoch,  der  kein  anderer  als  Roger  ist,  wird  sich  jetzt  bewußt, 
daß  er  den  Freund  getäuscht  hat  und  wartet  mit  Unruhe  auf 
dessen  Kommeo.  Leon  wird  nun  von  Melissen  benachrichtigt, 
daß  er  sich  nur  dann  Hoffnung  auf  Bradamantens  Hand 
machen  köune,  wenn  er  den  ihm  zuvorgekommenen  Gregner 
besiege. 

Akt  V :  Roger's  Schmerz  über  seinen  Verrat  steigert  sich 
immer  mehr.  Er  will  nicht  läuger  mehr  leben ;  schon  legt  er 
Hand  an  sich  selbst,  als  Bradamante  naht  und  bald  nach 
ihr  Leon,  der  nunmehr  in  seinem  Freunde  den  Rivalen  er- 
kennt, welcher  ihn  verraten  hat.  Im  ersten,  aufwallenden 
Zorne  will  er  ihn  töten,  aber  plötzlich  besinnt  er  sich  anders: 
^NoHj  je  veux  oublier  que  tu  m^as  pü  traJür, 
Roger ^  je  Vaimay  trop  pour  te  pouvair  hair.* 

(Akt  V,  4,  S.  6.) 


—     IM     — 

Naeh  diesen  edlen  Worten  yerwandelt  sich  plötzlich  anf 
das  Gebeiß  Melisse's  die  Binöde  in  einen  herrlichen  Garten ; 
die  Chöre  nnd  Genien  bringen  dem  glücklichen  Brautpaare 
Roger-Bradamante  ihre  Wünsche  dar. 

In  diese  Haupthandlang  sind  zahlreiche  lyrische  Einlagen 
verflochten,  die  Ton  den  verschiedenartigsten  Chören  vorge- 
tragen werden ;  außerdem  treten  zwischen  den  einzelnen  Akten 
noch  besondere  Chöre  auf.  ^) 

Fragen  wir  nun  nach  dem  Verhältnis  der  Oper  zur  italieni- 
schen Quelle,  so  sehen  wir  auf  den  ersten  Blick,  daß  tief 
einschneidende  YeränderuDgen  in  der  ersteren  vor  sich  ge* 
gangen  sind,  indem  nicht  bloß  die  Bradamante-,  sondern 
auch  die  Athlante-Episode  benützt  worden  ist.-)  Der  ersteren 
sind  entlehnt  Bradamante's  Klage  um  den  fernen  Geliebten 
(Aktl,  1  =  Orl  fxir.,  C.  XLV,  st.  96  ff.),  Leon's  Bitte  an 
seinen  Freund,  an  seiner  Statt  zu  kämpfen  (II,  1  =  Orl,  für,, 
C.  XLV,  st.   57),   Roger's  Kllagen  in  der  folgenden  Szene 


*)  Damit  nian  sidi  einen  Begriff  bilden  könne  von  dem  Personen- 
apparat^  den  eine  französisclie  Oper  erfordert^  wollen  wir  ein  Verzeichnis 
all  dieser  Nebenpersonen  in  Roy's  Bradafuante  geben.  Anjkr  den  in 
der  Analyse  genannten  Rollen  treten  noch  auf: 

Une  suivante  de  Melisse^ 

TJn  suivant  de  Melisse^ 

La  Statue  de  Merlin  {wird  im  Verzeichnis  bei  Boy  aufgeführt), 

Troupe  d'Amants  et  d^Amantes  Enchantes^ 

Troupe  de  Grecs  et  de  Suivants  du  Frince  de  Gh'^j 

Troupe  de  Fies  et  d'Esprits  sous  la  Figure  de  GhuerrierSj 

de  Guerrihres  et  de  Cyclopes  apportant  des  armes  ä  Roger, 

Un  guerrierj 

Üne  guerriere, 

Troupe  de  Peuples  de  Marseille,  de  Bergers  et  de  Bergeres, 

Deux  MarseüloiseSf 

ün  MarseiUoiSf 

TJn  autre  MarseilloiSj 

Troupe  de  Genies^  sous  des  formes  agredbles, 

Un  Genie, 

Deux  Heros, 

Bemerkenswert  unter  den  einzelnen  Gruppen  sind  die  Amants  et 
Amantes  enchantSs,  da  sie  eine  Naclvahmung  der  verzauberten  Verliebten 
auf  Alcinens  Insel  (C.  VI,  st,  33 ff.)  zu  sein  scheinen. 
•)  Orl.  für.  C.  IV,  st.  1^51. 

11* 


—     164     — 

(=  O.  f.,  C.  XLV,  8t.  öR— 61),  seine  erneuten  Klagen  nach 
dem  Zweikampfe  mit  Bradamante  (Akt  III,  3  u.  Akt  Y, 
1  =  0.  f.,  C.  XLV,  Bt.  86  flf,),  endlich  das  Wiedersehen  der 
beiden  Freunde  und  Leon's  Verzicht  auf  Bradamante  (Akt  V, 
4  u,  5  =   Orl  für.,  C.  XLV,  st.  117  u.  C.  XL  VI,  st  21  ff.). 

Der  Athlante-Episode  ist  der  Prolog  entnommen,  in  welchem 
der  alte  Zauberer  sich  als  Freund  Koger's  bekundet  (Prolog 
=  O.  f.,  C.  IV,  1  ff.,  wo  allerdings  Athlante's  Liebe  zu  Roger 
80  weit  geht,  daß  er  ihn  in  sein  Zauberschloß  sperrt,  um  ihn 
vor  den  Versuchungen  der  Welt  zu  bewahren.);  die  Orakel- 
szene (Akt  I,  4)  geht  zurück  auf  den  3.  Gesang  im  Orl.  für., 
wo  Bradamante,  gleichfalls  durch  den  Mund  der  Statue 
Merlin's  eine,  allerdings  verschiedene  Prophezeiung  erhält 
(O/.  für.,  C.  III,  St.  11  ff.)  Das  Orakel  selbst,  und  die  Art 
und  Weise,  wie  es  sich  erfüllt,  ist  eigene  Erfindung  der 
Librettisten. 

Die  Charaktere  der  Oper  haben  eine  auffällige  Ähnlich- 
keit mit  den  Helden,  wie  Ariost  sie  uns  vorführt.  Ihre  stete 
Verbindung  mit  übernatürlichen  Wesen,  das  fortwährende 
Sichbewegen  in  großen  Gedanken,  die  lyrische  Stimmung,  die 
in  ihnen  vorherrscht,  ohne  jedoch  dem  Tatendrang  Abbruch 
zu  tun,  endlich  der  Mangel  jeglicher  psychologischen  Ent- 
wicklung dieser  Charaktere  — ,  alle  diese  Eigenschaften  sind 
bereits  in  der  italienischen  Quelle  Roy's  enthalten.  Nur  Roger's 
Charakter  ist  in  der  französischen  Oper  ganz  unwürdig  ent- 
stellt;  der  Betrug  an  dem  Freunde,  wenn  auch  durch  ein 
höheres  Wesen  (Melisse,  s.  Akt  III,  4)  gebilligt  und  ver- 
anlaßt, ist  ein  zu  großes  Schandmal  an  Roger's  Ehrenschild, 
als  daß  wir  diesem  Helden  noch  dieselbe  Sympathie  schenken 
könnten  wie  dem  Ruggiero  des  Ariost.  Im  großen  und  ganzen 
aber  hat  Roy  jenen  wunderbaren  lyrischen  Ton  getroffen,  der 
über  den  OrL  für,  ausgegossen,  und  der  so  schwer  nachzuahmen 
ist;  seine  Bradamante  kann  neben  Garnier's  gleichnamiger 
Tragödie  als  die  gelungendste  Dramatisierung  der  Bradamaute- 
Episode  betrachtet  werden. 

Der  Wert  des  Stückes  ist  bisher  von  den  Forschern  ver- 
schieden beurteilt  worden;  dagegen  wird  Roy's  dichterisches 
Talent  nahezu  übereinstimmend  anerkannt.     Palissot  rühmt 


—     166     — 

seine  außerordeDtliche  Befähigung  für  die  Oper,  und  sagt,  daB 
man  einzelne  Stellen  aus  seinen  Operntexten  allgemein  aus- 
wendig lerne. ')  LaPorte  etChamfort  dagegen  bezeichnen 
die  Oper  Roy's,  wie  alle  seine  übrigen  lyrischen  Tragödien 
als  verfehlt.-)  Weniger  günstig  urteilt  über  Boy  La  Harpe, 
der  ihn  unbegabt  nennt  und  besonders  seine  Verskunst  tadelt.^) 
Der  Verfasser  der  Trois  si/'cles  Htieraires  lobt  Roy  besonders 
als  gefürchteten  Satiriker  seiner  Zeit,  der  sich  sogar  mit  seinem 
beißenden  Spotte  an  Voltaire  und  an  die  Mitglieder  der 
Academie  frangaise  wagte.*)  InMichaud's  Biograpkveuni' 
lerseUe^  welche  auch  eine  ausführliche  Lebensbeschreibung 
unseres  Dichters  enthält,  werden,  wie  bei  La  Harpe,  die 
Verse  als  schwerfällig  beanstandet,  dagegen  des  Dichters 
Gestaltungskraft  und  Vornehmheit,  die  manchmal  bis  ins  Er- 
habene sich  steigere,  willig  anerkannt. '^)  Chouquet^)  hält 
dagegen  wenig  von  unserem  Dichter;  seine  Bradamante  nennt 
er  tun  autre  ouvrage  malhetireiix*^  während  andererseits  in  der 
Grande  Encyclop6die  behauptet  wird,  daß  diese  Oper  zu  den 
besten  lyrisch-dramatischen  Erzeugnissen  der  frz.  Bühne  ge- 
höre.^ Clement  endlich  betrachtet  Roy's  Bradamante  als 
verfehlt,  scheint  aber,  wie  bereits  bemerkt,  die  Schuld  z.  Teil 
auf  die  Musik  zu  schieben.^) 

*)  M^nwireSj  Bd.  11,  272 — 275:  •11  avait  des  talents  Ms  disünguU 
pour  le  genre  de  VOpei-a.» 

«)  Dict,  Bd.  l  184. 

')  Cours  de  litt,  Bd.  II,  385:  *0n  s'aperi^oit  que  cet  ecrivain  dont 
les  productions  sont  tres  nombreuseSj  ent  besain  de  beaucoup  de  travail 
pour  vaincre  la  nature  qui  ne  Favait  pas  fort  heureusement  Organist.  Sa 
versification  est  d^ordinaire  penible  et  dure,  quelquefois  meme  etrangement.» 

♦)  Bd.  77,  158. 

*)  Bd.  XXXVI,  S.  6&):  «La  rersification  est  presque  toujours 
dipourvue  de  gräce  et  de  facilite,  mais  eile  ne  manque  ni  de  force^  ni  de 
noblesse  et  quelquefois  le  poefc  s'est  eleve  jusqu^au  sublime.^ 

•)  Histoire  de  la  nius.  dr.,  S.  33 1. 

•)  Bd.  XXVIIly  IKXj:  '11  avait  peu  de  facilite  et  sa  versificaiion 
est  penible;  mais  il  ne  manquait  «i  de  talent,  ni  d^esprit,  peu  vif  Wailleurs 
et  porte  ä  Vepigramme.^ 

*)  Biet,  lyr.,  S.  199:  '^L' illustre  niJtce  de  Charlemagne  ne  reussit 
pas  mieux  ä  V Opera  quau  Thcntre-Fran^ais.  Elle  n'eut  pas  d^ailleurs, 
pour  se  faire  accepter,  une  musique  digne  d^elle.» 


—     166     — 


2.  Die  Roland-Episode. 

Unter  Boland-Episode  verstehen  wir  hier  jenen  Teü  des 
Orl.  für.,  in  welchem  die  Ursachen  der  Raserei  Roland's, 
diese  selbst,  und  die  unmittelbaren  Folgen  derselben  erzählt 
werden;  diese  Episode  wird  behandelt  in  C.  XIX,  st.  17 — 43, 
C.  XXIII,  st.  67—136,  C.  XXIX,  st.  40—74,  C.  XXX, 
«t  1—16. 

Als  erstes  französisches  Stück,  welches  diese  Episode 
dramatisch  behandelt,  ist  ein  Roland  furieux  zu  nennen, 
welcher  1581  zu  Le  Ha  vre  aufgeführt  wurde;  die  Vorstellung 
dauerte  zwei  Tage,  die  Schauspieler  setzten  sich  aus  Schülern 
zusammen,  welche  nach  der  Vorstellung  die  Stadt  wieder 
verließen,  um  anderwärts  zu  spielen.  Das  Stück  scheint 
niemals  gedruckt  worden  zu  sein ;  jedenfalls  haben  wir  keine 
weitere  Nachricht  von  ihm.  Es  ist  nur  im  Tagebuch  des 
Michelle  Riebe  ^)  und  neuerdings  von  Lanson  erwähnt  worden.*) 

Ein  weiteres  Stück,  das  wahrscheinlich  auch  die  Roland- 
episode behandelt,  wird  von  Lepage  in  seinem  ThSatre  en 
Lorraine  erwähnt.*)  Der  Titel  desselben,  Zerbin  et  Midor, 
kann  nicht  ganz  richtig  sein,  da  diese  beiden  Personen  im 
Ariost'schen  Epos  nichts  miteinander  zu  tun  haben,  oder  man 
tiküBte  annehmen,  daß  der  Verfasser  des  Stückes  seine  Quelle 
bedeutend  umänderte.  Es  wurde  am  Karneval  1614  zu 
Remiremont  in  Lothringen  von  einem  gewissen  Vichard 
und  seiner  Truppe  aufgeführt,  wofür  sie  „8  Francs"  von  der 
Stadt  erhielten.  Weitere  Nachrichten  über  diese  Tragödie 
besitzen  wir  nicht. 

In  Brunet's  Manuel  *)  und  in  der  Grande  Encyclop^die  *) 
wird  in  dem  Artikel  über  Ch,  Bauter  gesagt,  daß  diesem 
Dichter  auch   eine  1614   erschienene  Tragödie  zugeschrieben 


»)  Journal  de  Micktl  le  Biche,  S,  344. 

*)  J^tude»  8ur  les  orig.  d.  l  trag,  claw.  {Bev.  d'HUt.  litt,  d,  I.  Fr., 

1903,  S.  207). 

»)  Le  Theätre  en  Larrame,  S.  246. 
*)  Manuel  du  libr.,  Bd.  III,  1590. 
«*)  La  Gr.  Enc,  Bd.  7,  910. 


—     167     — 

werde,  welche  betitelt  sei  ^Les  ammirs  d'Angdique  et  de 
Medcn-j.^)  Wir  koDsten  weder  die  Qaelle  der  Gr.  Encycl., 
noch  das  Stück  selbst  unter  Banter's  Werken  entdecken. 
Dieser  Behauptung  der  Gr.  Encycl.  scheint  auch  Beau- 
champe'  Angabe  über  das  Leben  Bauter's  zu  widersprechen; 
er  sagt  nämlich  von  diesem:  Bauter  j^romet  de  jyasser  de 
timiiation  des  Italiens  (nach  dem  von  ihm  verfaßten  Stücke 
La  mort  de  Roger)  ä  des  pieces  de  sa  projyre  invmtion;  on  crmt 
qu'il  s*en  est  tenu  d  la  pramesse,*  Nun  besitzen  wir  aus  dem 
Jahre  1620  eine  Tragödie,  die  denselben  umfangreichen  Titel 
hat  und  in  dem  nämlichen  Verlage  und  Verlagsorte  erschienen 
ist.  Diese  Amours  d*Angeliqu6  et  de  M6dor  sind  aber  von 
Coignee  de  Bourron,  einem  ziemlich  unbedeutenden 
Dichter,  von  dem  wir  noch  eine  Pastorale  Iris  besitzen.') 

Wir  werd^i  also  nicht  fehlgehen,  wenn  wir  das  von 
Brunet  und  in  der  Gr.  £nc.  erwähnte  Stück  mit  der  Tragödie 
des  Coignee  de  Bourron  für  identisch  und  für  eine  erste 
Ausgabe  dieses  Stückes  halten. 

Wir  lassen  zunächst  eine  Analyse  von  Coignee  de 
Bourron's  Tragödie  folgen. 

Akt  I :  Angelika  sitzt  am  Krankenlager  des  verwundeten 
Medof  und  zählt,  während  dieser  in  sanftem  Schlafe  ruht, 
alle  seit  ihrer  Ankunft  in  Frankreich  erduldeten  Leiden 
anf,  schildert  dann  ihre  Flucht  aus  dem  Christenlager,  ihr 


*)  Der  vollständige  Titel  lautet:  Tragedie  fran^oise  des  Amours 
SAngelique  et  de  Medor  avecques  Its  furies  de  Roland  et  la  mort  de 
Sacripantf  le  roy  de  Sei'cacye  et  plusieurs  heaux  effeis  contenus  en  ladite 
tragedie  tirSe  de  la  Bioste  (sicf),  Troges,  Nie.  Oudot^  1614,  8®  (8.  Brunet, 
Manuel,  ihd.). 

*)  TJher  den  Sieur  H.  Z>.  Coignee  de  Bourron  fehlen  genaue  bio- 
graphische Angaben.  Beauchamps  {Rech.  II,  91),  die  Br.  Parfaict 
{Hist.,  Bd.  IV,  S3t),  und  die  Änecd.  dram.  {Bd.  H  300,  Nachtrag) 
erwähnen  zirar  unser  Stück,  geben  aber  keine  Nachricht  Ober  den  Autor. 
Die  neueren  biographischen  und  bibliographischen  Werke  führen  Coignee 
de  Bourron  überhaupt  nicht  mehr  an.  Vgl.  ^ichaud,  Didot,  LaGr. 
Enc,  Querard,  Brunei  und  Vapereau,  wo  sein  Name  nicht  zu 
finden  ist.  Weinberg  (Das  franz.  Schäferspiel,  S.  89)  neymt  die  Iris 
des  Coignee  de  Bourron  ein  unbedeuteyides  Machwerk^  scheint  aber  über 
den  Verfasser  nichts  zu  wissen. 


—     168    — 

erstes  Zusammentreffen  mit  Medor^  bis  sie  durch  dessen 
Klagen  in  ihrer  Erzählung  unterbrochen  wird.  Durch  die 
rasenden  Schmerzen  seiner  Wunde  bis  zur  Verzweiflung  ge- 
trieben, bittet  Medor  seine  Pflegerin,  ihn  zu  töten,  doch  diese 
sucht  ihn  zu  beruhigen  und  führt  ihn  an  eine  Quelle.  In- 
zwischen trägt  ein  Schäfer  philosophische  Tiraden  über  das 
Elend  in  der  Welt  uud  über  die  Gottlosigkeit  der  Menschen 
und  besonders  der  Frauen  vor;  doch  scheint  er  nicht  so 
grimmig  zu  sein,  wie  man  aus  seinen  Reden  schließen  könnte, 
denn,  als  Angelika  und  Medor  wiederkommen,  bietet  er  ihnen 
gastfreundlich  seine  Hütte  als  Wohnung  an. 

Akt  II :  Medor  ist  wieder  völlig  genesen,  und  seine  treue 
Pflegerin  ist  seine  Geliebte  geworden ;  glückselig  durchwandeln 
sie  die  prächtige  Gartenlandschaft,  schneiden  ihre  Namen  in 
die  Rinden  der  Bäume  ein  und  entwerfen  tausend  Pläne  für 
ihre  Zukunft.  Weniger  glücklich  ist  Sakripant,  da  auch  er 
Angelika  glühend  verehrt,  aber  kein  Gehör  bei  seiner  Ge- 
liebten findet. 

Akt  III :  Roland  hat  das  nämliche  Unglück  zu  beklagen 
wie  Sakripant ;  er  muß  sich  selber  vorwerfen,  daß  er  das  Glück 
aus  den  Händen  entschlüpfen  ließ,  als  er  vor  der  großen 
Maurenschlacht  Angelika  dem  alten  Naymes  übergab ;  um  sein 
Unglück  voll  zu  machen,  will  es  das  Verhängnis,  daß  Roland's 
Blick  sich  auf  die  verräterischen  Schriftzeichen,  welche  die 
Liebenden  in  die  Bäume  eingeschnitten  haben,  richtet,  und 
nun  fällt  es  wie  Schuppen  von  seinen  Augen,  und  er  erkennt, 
daß  Angelika  ihn  betrogen  hat.  Wütend  stürzt  er  sich  in 
das  Haus  des  Schäfers. 

Akt  IV :  Dieser  kann  aber  nur  berichten,  daß  die  beiden 
Liebenden  das  Zimmer  und  das  Lager  in  größter  Unordnung 
für  immer  verlassen  haben: 

^Et  au  lieu  de  (luvet,  c*estolrnt  charbons  dedans>. 
Roland  wütet  und  rast  auf  der  Bühne,  während  der  Schäfer 
jammernd  zur  Seite  steht. 

Akt  V;  Sakripant  ist  immer  noch  auf  der  Suche  nach 
Angelika;  durch  einen  Boten  erfährt  er.  daß  Roland  in 
Raserei  verfallen,  und  daß  seine  Angebetete  mit  Medor  ver- 
schwunden  ist.      Der    Bote   hatte  nämlich  von  der  schaden- 


—     169     — 

frohen  ADgelika  den  Auftrag  erhalten,  ihr  und  Medor's  Bild 
überall  vorzuzeigen.  Sakripant  will  den  Anblick  desselben 
nicht  überleben,  sondern  tötet  sich  aus  Verzweiflung.  Der 
Bote  verläßt  den  Platz  mit  den  Worten: 

<Heureux  qui  ti'est  atteini  de  Vamoureux  sotici*. 
Damit  endet  das  Stück. 

Der  Verfasser  der  Tragödie  folgt  ziemlich  genau  der 
Handlung  im  Orl.  für.  Im  I.  Akt  (Orl.  für.,  C.  XIX,  st.  26 
u.  27)  finden  sich  folgende  Abweichungen:  die  Erzählung 
Angelika's  von  ihren  früheren  Erlebnissen  findet  sich  bei 
Ariost  nicht  an  dieser  Stelle;  Anhaltspunkte  dazu  gibt  Orl. 
für.  C.  I,  st.  öfi'. ;  doch  ist  es  dort  nicht  Angelika's  Bruder, 
der  sie  von  Cathay  nach  Frankreich  bringt,  sondern  Roland. 
Der  Schäfer  ist  bei  Ariost  {Chi.  für.,  C.  XIX,  st.  27)  ver- 
heiratet und  Familienvater,  während  er  in  unserem  Stücke 
unverheiratet  ist;  seine  philosophische  Rede  ist  Zutat  des 
französischen  Dichters. 

Im  II.  und  in  den  folgenden  Akten  schiebt  Coignee  de 
Bourron  unbegreiflicherweise  die  Rolle  des  Sakripant  ein,  der 
hier  bei  Ariost  nicht  auftritt.  Die  Liebesszene  im  II.  Akt 
baut  sich  auf  st  36  des  19.  Gesanges.  Im  III.  Akte  be- 
ruhen die  Klagen  Roland's  um  die  entflohene  Angelika  auf 
freier  Erfindung,  das  übrige  ist  geschildert  nach  Orl.  für. 
C.  XXIII,  St.  101—115.  Der  nächste  Akt  dagegen  folgt 
fast  ganz  dem  italienischen  Epos;  nur  fallt  in  der  Tragödie 
Roland  sofort  nach  dem  Verlassen  der  Hütte  in  Raserei, 
während  er  bei  Ariost  noch  eine  Nacht  umherirrt,  ehe  der 
Wahnsinn  seinen  Geist  umdunkelt  (Or/./wr.,C.  XXIII,  st.  16ff.); 
auch  sieht  im  Epos  nicht  der  Schäfer  allein,  sondern  es  sehen 
mehrere  Hirten  den  Wutausbrüchen  Roland's  zu  {Orl.  für., 
C.  XXIII,  St.  136).    Der  V.  Akt  ist  völlig  frei  erdichtet. 

Zeigt  schon  die  Analyse  des  Stückes,  daß  dem  Dichter 
jeder  Sinn  für  den  richtigen  Aufbau  einer  Handlung  fehlt,  so 
tritt  Coignee's  Schwäche  noch  mehr  in  der  Zeichnung  der 
Charaktere  hervor.  Nirgends  eine  Entwicklung  derselben,  nir- 
gends eine  Beziehung  zwischen  Charakter  und  Handlung, 
keine  Gegenüberstellung  einzelner  Personen.     So  trägt  z.  B. 


—     170     — 

Sakripant  in  anderen  Worten  genau  dasselbe  yor  wie  Roland ; 
beide  lieben  Angelika,  sind  also  Rivalen;  aber  der  Dichter 
denkt  nicht  daran,  sie  einmal  einander  gegenübertreten  zu 
lassen,  was  das  Interesse  ungranein  erhobt  hätte.  Geradezu 
komisch  wirkt  die  Rolle  des  Schäfers,  durch  dessen  Mund, 
wie  es  scheint,  Coignee  de  Bourron  seine  eigene  Weltan- 
schauung yerkünden  will.  So  nimmt  sich  folgende  Stelle 
über  die  ErschaflFung  der  Frau  im  Munde  des  Schäfers  höchst 
sonderbar  aus: 

c.  .  .   Quand  la  flamme  divine 

Put  desrohe  au  Ciel  par  la  main  inhumaine 

Du  latroti  I^omeihre,  Jupiter  confessant, 

Ke  rouliä  euvayer  s7ir  iceluy  ä  Pinstant 

ün  foudre  foudroiant^  ains  une  vive  flamme, 

LdcMe  dans  les  yeitx  d^une  maligne  femme^ 

Les  omrages  mignards  de  Minerve  elVapprit^ 

Puis  de  Vemis  la  helle  une  grace  eile  print. 

Et  pour  V komme  pu7Ür  notis  envoya  la  femme,^ 

Die  einzige,  poetische  Stelle,  die  sich  in  unserer  Tragödie 
findet  (Akt  II,  S.  13),  ist  eine  freie  Nachahmung  des  ita- 
lienischen Vorbildes.  Es  ist  dies  die  von  Medor  gedichtete 
Inschrift  an  der  Grotte,  wo  Angelika  und  Medor  ihr  erstes 
Liebesglück  genossen  haben: 

«  Vou8  preZf  vous  arhriceaux  qui  eMes  en  la  plaitte^ 
Ou  lä  vous  ombragex  la  coulante  fontaijie 
Chi  je  trotivay  m^nmour  que  jamais  les  troupeaux 
Des  ckhres  et  des  houcs  7ie  hrmitent  tvs  rameaux 
Que  jamais  le  vent  froid  de  vos  feuilles  si  rertes 
Ne  vous  rendent  en  hiver  chenu£8  et  decouvertes^ 
Que  jamais  le  hestial  de  vous,  ö  ondelettes 
Ou  lä  je  vy  premier  mes  douces  amourettes 
iVJ?  trouhlent  votre  cours,  vos  replis  totanoyans 
Mais  saus  flu  vous  alliex  vos  couleurs  ondoyaus,> 

Man  vergleiche  damit  die  berühmte  Schilderung  im  OrL 
für,,  C.  XXIU,  St.  108  und  109: 

^Lktf  piantCf  rerdi  herhe,  limpide  acque, 
Spelunca  opaca,  e  di  fredde  ombre  grala^ 


—     171     — 

Dave  la  bella  Änffdica,  elie  nacqne 
Di  Galafron,  da  molti  invaiw  atnafa, 
Spesso  neue  mie  bracoia  nuda  giacque; 
Della  eommodüä  che  qui  m'^e  dataj 
lo  povero  Medor  ricompensarm 
D'altro  non  posso,  die  d^ogtior  lodarvi: 
E  di  pregare  ogni  Signote  amante^ 
E  Cavalieri  e  Damigelle,  e  ognuna 
Persona  o  paesana  o  viandani€j 
Che  qui  »ua  voUmtd  meni  o  Fortuna; 
Ch'  aW  herbe,  altwnbra,  «/f  aniro,  al  lio,  alle  jmnte 
Dica:  Benigno  ahbiate  e  Sole,  e  Lima, 
E  delle  Ninfe  il  coro,  che  proveggia, 
Che  non  conduca  a  voi  pastor  mal  greggia.* 

Mit  richtigem  Gefühl  hat  der  französische  Dramatiker 
die  breite  epische  SchildeniDg  kürzer  zusammengefaßt;  freilich' 
müßte  dabei  auch  manch  schönes  Bild,  das  die  Phantasie 
Ariost's  in  sein  Epos  gezaubert  hat,  verschwinden. 

Coignee  de  Bourron's  Les  amonrs  d^AngvHque  ei  de  Medor 
sind,  um  zum  Schlüsse  zu  kommen,  ein  äußerst  schwaches 
Theaterstück,  das  wohl  nicht  wieder  der  Vergessenheit  ent- 
rissen werden  wird;  es  ist  entschieden  die  am  wenigsten  ge- 
lungene Dramatisierung  einer  Episode  aus  dem  Orh  fur. 

Die  einzigen  Kritiker,  die  sich  über  den  Wert  des  Stückes 
äußern,  sind  La  Valli^re^)  und  Mouhy-),  und  zwar  be- 
zeichnen beide  es  als  sehr  mittelmäßig. 

Bekannter  als  das  yorausgehende  Stück  ist  Mairet's 
^Roland  furienx<i ,  welcher  1640  im  Drucke  erschien ,  jedoch 
bereits  mehrere  Jahr  vorher  vollendet  und  aufgeführt  wurde. 
Da  das  Privileg  bereits  am  23.  Februar  1639  gegeben  wurde, 
müssen  wir  annehmen,  daß  unser  Stück  entweder  im  Jahre  1638 
oder  noch  früher  entstanden  ist.  Während  Beauchamps^) 
die  Frage  der  Entstehungszeit  nicht  aufrollt,  geben  die  Brüder 


»)  Bibliotheque  I,  527, 

«)  Abrege,  Bd.  J,  36  u.  II,  51. 

«)  Rech.,  2,  Teü,  S.  113. 


—     172     — 

Parfaict  als  Datum  der  Vollendung  und  Aufführung  des 
Mand  fvrieux  1636  an.  ^)  La  Valliöre*),  Goujet*), 
und  Niceron*),  Baillet*)  und  Menage*)  führen  nur  das 
Druckjahr  an,  während  La  Harpe  das  Stück  überhaupt 
übergeht)  Michaud  erwähnt  die  Jahreszahl  1636  als  Datum 
der  Vollendung  und  Aufführung ®) ;  Lucas*)  Vapereau*®) 
und  Lotheissen^^)  nehmen  1635  an.  Vorsichtiger  drückt 
sich  Dannheißer  aus,  der  als  bester  Kenner  von  Mairet^s 
Leben  gilt;  er  legt  die  Abfassung  in  die  Jahre  1636 — 1638.**) 
Auf  die  Brüder  Parfaict  geht  wieder  die  Grande  Ency- 
eJopnUe  zurück,  welche  1635  annimmt.*^)  Rigal  endlich  glaubt 
daß  1638  das  richtige  Datum  für  die  Vollendung  und  Auf- 
führung des  Roland  furieux  sei.**)  Dieses  Datum  scheint  auch 
uns  der  Wirklichkeit  am  nächsten  zu  kommen,  zumal  kein  Grund 
vorliegt,  weshalb  der  Dichter  eine  yerhältnismäßig  so  große 
Zwischenzeit  zwischen  Vollendung  und  Drucklegung  hätte 
vergehen  lassen  sollen. 

In  der  Vorrede  macht  Mairet  darauf  aufmerksam, 
daß  neben  der  Raserei  Eoland's  noch  eine  weitere  Episode 
sich  im  Stücke  finde,  der  Tod  Zerbin's  und  Isabellens, 
tde  faron  fju'il  est  rentable  de  dire  quHl  cofiiient  wie  Tragedie  ei 
une  Tnigkomcdie  tont  ememhle,^  Zugleich  erklärt  er,  daß  er 
wohl  die  Einheit  des  Ortes,  nicht  aber  die  der  Zeit  be- 
obachtet habe. 


')  Hist.  du  Th.  fr.,  Bd.  IV,  344. 

»)  Bibl  du  Th.  fr.,  Bd.  II,  R9. 

3)  Bihl.  fr.,  Bd.  XVIII,  179 f. 

*)  Memoires,  Bd.  XXV,  244. 

*;  Bd,  IV,  4.  Teil,  -S.  253. 

«)  Aftti-Baillet,  Bd.  I,  359. 

•)  Cours  de  litt,  Bd.  I,  461. 

«)  Bihl  univ.,  Bd.  XXVI,  163ff. 

•)  Hist.,  Bd.  III,  279. 
JO)  Dict.  unix).,  S.  1309. 
»>)  Gesch.,  Bd.  I,  334. 

")  Studien,  S.  HO.  —   Später  («.  Zur  Gesch.  d.  Einheiten,  Zßp., 
Bd.  XIV,  S.  66)  setzt  er  das  Datum  nciscJien  1637  und  1638, 
'»)  Bd.  XXII,  1010. 
")  Eist,  de  la  litt.  fr.  {p.  p.  Julleville),  Bd.  IV,  258. 


—     173     — 

Die  nachfolgende  Analyse  soll  uns  zeigen,  inwieweit  der 
französische  Dichter  seiner  Quelle  gefolgt  ist. 

Akt  I:  Roland  erzählt,  wie  er  Angelika  nach  der  Mauren- 
schlacht (Ort,  fur.  C.  I,  5  ff,)  verloren  habe  und  wie  er  nun 
fürchte,  sie  könnte  in  die  Hände  eines  ihrer  Verehrer  gefallen 
sein.  Plötzlich  richtet  sich  sein  Blick  auf  die  von  Medor  in 
die  Rinde  der  Bäume  eingeschnittenen  Namen  der  beiden 
Liebenden.  Zwar  ahnt  schon  jetzt  der  arme  Betrogene,  daß 
Angelika  ihre  Liebe  einem  anderen  geschenkt  hat,  aber  erst 
durch  die  Erzählung  des  Hirten,  in  dessen  Hütte  Angelika 
und  Medor  die  glücklichen  Tage  ihrer  ersten  Liebe  verlebten, 
erfährt  er  sein  Unglück. 

Akt  II:  Nachdem  Roland  im  tiefsten  Schmerze  die 
Wohnung  des  Hirten  verlassen  hat,  wagt  sich  das  Liebespaar 
aus  seinem  Versteck,  in  das  es  sich  bei  der  Ankunft  jenes 
Helden  geflüchtet  hatte.  In  seligem  Glücke  lustwandeln 
sie  in  dem  Hain;  als  Medor  einen  Augenblick  forteilt,  um 
ein  Messer  zu  holen,  mit  dem  er  sinnreiche  Verse  in  die 
Bäume  einschneiden  will,  begegnet  Angelika  Isabellen,  der 
Geliebten  Zerbin's,   und   beide  erzählen  sich  ihre  Erlebnisse. 

Akt  III:  Als  dann  Angelika  und  Medor  wieder  in  die 
Hütte  zurückgekehrt,  und  Isabella  mit  Zerbin  allein  im  Haine 
zurückbleibt,  sehen  die  beiden  an  einem  Baume  Rolandes 
Waffenrüstung  hängen,  die  gleich  darauf  der  zufällig  hier 
vorbeikommende  Rodomont  unter  Schmähredeu  gegen  ihren 
Besitzer  sich  aneignen  will.  Zerbin,  dem  Roland  einst  das 
Leben  gerettet  hat,  tritt  dem  prahlerischen  Rodomont  kühn 
entgegen ;  es  kommt  zum  Kampfe,  in  dem  der  edle  Zerbin  nach 
kurzer  Gegenwehr  fällt;  mit  einem  Schnierzensschrei  stürzt 
sich  Isabella  auf  den  geliebten  Leichnam,  und  kann  erst  durch 
das  Erscheinen  eines  Eremiten  von  demselben  entfernt  werden. 
Der  Einsiedler  bindet  den  toten  Zerbin  auf  sein  Reittier  und 
verläßt  mit  der  trauernden  Isabella  die  Unglücksstätte. 

Akt  IV:  Kaum  hat  Angelika  ihr  Schlafgemach  verlassen, 
so  findet  sie,  daß  Medor  sich  bereits  entfernt  hat.  Schon  fangt 
sie  an  unruhig  zu  werden,  als  Berenice,  die  Gattin  des  Schäfers, 
die  Nachricht  bringt,  ein  Mann  habe  entsetzliche  Verheerungen 


—     174    — 

im  Walde  angerichtet;  Angelika  ahnt,  wer  der  Unheilstifter 
ist;  sie  bangt  um  ihren  geliebten  Medor,  den  sie  bereits 
für  yerloreD  hält,  während  dagegen  der  Schäfer  und  seine 
Frau  sich  in  komisch -zärtlicher  Weise  liebkosen.  Von  einem 
Pfeile  an  der  Schulter  verwundet,  kommt  Medor  inzwischen 
zurück,  und  beschließt  mit  seiner  Geliebten  die  sofortige  Ab- 
reise. Weitere  Nachrichten  über  das  tolle  Beginnen  Boland's 
treffen  in  der  Hütte  des  Schäfers  ein,  so  u.  a.  daß  ein  fiitter 
auf  einem  Pferde  vom  Himmel  gestiegen  sei  mit  der  Er- 
klärung,  Roland  habe  seinen  Verstand  verloren,  und  wenn  ihm 
etwas  Leides  geschehe,  so  seien  die  Schäfer  (!)  dafür  ver- 
antwortlich. Rodomont,  der  bei  seinem  ersten  Auftreten 
über  die  Untreue  Doralice's  trostlos  war,  hat  sich  nun  sterblich 
in  Isabella  verliebt,  deren  Bräutigam  er  soeben  getötet  hat; 
vergebens  sucht  ihn  Aronthe,  sein  Diener,  durch  ein  paar 
Flaschen  Wein,  die  Rodomont,  dem  Koran  zutrotze,  bis  auf 
den  Grund  leert,  zum  Weiterritt  nach  Paris  zu  bewegen, 
wohin  ihn  ein  Brief  des  Maureukönigs  Agramant,  der  eben 
diese  Stadt  belagert,  einlädt. 

Akt  V:  Bald  gelingt  es  Rodomont,  seine  neue  Geliebte 
einzuholen ,  und  sie  mit  seinen  Liebes beteuerungen  zu  er- 
belästigen. Isabella  will  jedoch  lieber  sterben  als  sich  diesem 
schrecklichen  Menschen  ergeben ;  sie  erklärt  daher  dem  Ritter, 
sie  besäße  eine  Salbe,  die  jedermann  unverwundbar  mache, 
und  fordert  ihn  auf,  die  Wunderkraft  derselben  an  ihrem 
eigenen  Leibe  zu  erproben.  Rodomont,  der  bereits  vom  Weine 
sinnlos  betrunken  ist,  geht  in  die  Falle ;  zu  spät  sieht  er,  wie 
nach  seinem  Schwerthiebe  Isabellens  Haupt  vom  schönen 
Leibe  sich  löst  und  wie  er  so  zum  Mörder  seiner  eigenen 
Geliebten  wird;  zu  spät  verflucht  er  seine  Trunkenheit,  die 
ihm  den  Verstand  geraubt  hat.  Am  Ende  des  Stückes  sehen 
wir  noch  Roland,  wie  er  eben  in  seiner  Raserei  einen  Hirten 
ergreift  und  ihn  weithin  schleudert  (Bühnenweisung:  Le 
jdant  par-dessus  la  nwjüagnc  ^)).  Plötzlich  überfallt  ihn  eine 
große  Müdigkeit,  er  sinkt  zu  Boden  und  schläft  ein.  Da 
kommt  ihm  Heilung  von  seinem  Freunde  Astolf,  der  ihm  vom 


Akt  7,  4,  5.  lOL 


—     175     — 

Himmel  seinen  Yerlorenen  Verstand  wiederbringt  und  der  ihn 
sodann  auf  seinem  geflügelten  Rosse  gen  Paris  fahrt. 

Unsere  Inhaltsangabe  zeigt,  daß  wir  es  mit  zwei  Haupt- 
handlungen zu  tun  haben,  die  nur  lose  durch  das  einmalige 
Zusammentreffen  von  Angelika  und  Isabella  verknüpft  sind. 
Beide  Handlungen  finden  sich  allerdings  auch  bei  Ariost  vor, 
doch  folgt  dort  alles  nicht  so  rasch  aufeinander,  auch  erlaubt 
sich  Mairet  eine  Anzahl  von  Änderungen  und  Zusätzen,  die 
wir  im  folgenden  kurz  vorführen  werden. 

ßoland's  Monolog  am  Eingang  des  Stückes  ist  freie  Er- 
findung des  französischen  Dichters.  Nachdem  Roland  die 
verhängnisvollen  Namen  gelesen  hat,  bricht  er  bei  Mairet  in 
laute,  endlose  Klagen  aus  (Akt  I,  1,  S.  6);  bei  Ariost 
findet  der  Schmerz  keine  Worte  (Cfr.  Orl.  für.,  0.  XXIII, 
St.  112): 

*Ne  potc  aver  (cheH  duol  Voccupo  tanto) 
Alle  querele  voce  o  umore  al  pianto.> 

Als  Roland  das  Haus  des  Hirten  betritt,  sind  im  italieni- 
schen Epos  die  Liebenden  längst  schon  in  der  Ferne  (vgl.  O/. 
fur.^  C.  XIX,  st.  40,  41),  in  der  Tragödie  dagegen  haben  sie 
sich  nur  versteckt  und  kommen  nach  dem  Weggang  Roland's 
noch  mehrmals  auf  die  Bühne;  sie  sind  Zeugen  der  Ver- 
heerungen des  rasenden  Helden,  Medor  wird  sogar  durch 
einen  Pfeüschuß  von  ihm  verwundet,  endlich  treffen  *sie  noch 
mit  dem  zweiten  Liebespaare  des  Stückes  zusammen  — , 
lauter  Zutaten  des  französischen  Dichters.  Dasselbe  ist  der 
Fall  mit  der  komischen  Szene  des  Hirtenehepaares  (Akt  IV, 
3,  S.  72).  Die  Erzählung  von  dem  Ritter,  der  vom 
Himmel  auf  die  Erde  steigt,  sollte  wohl  eine  Anspielung  auf 
Ast^lf s  „Himmelsreise"  sein  ^),  findet  sich  aber  bei  Ariost  an 
dieser  Stelle  nicht  Eine  gewaltige  Änderung  vollzieht  Mairet 
in  der  Episode  Isabella-Zerbin-Rodomont ,  indem  er  Zerbin 
nicht  von  Mandricard,  wie  im  Epos  (cfr.  C.  XXIX,  st.  58), 
sondern  von  Rodomont  töten  läßt;  allerdings  hat  Mairet  da* 
durch  den  Vorteil  erreicht,  den  Tod  des  Liebespaare»  ohne 
Einführung  einer  neuen  Person  (Mandricard)   darstellen   aui. 


»)  Orl  für.,  C.  XXXIII,  st  Iff. 


—     176     — 

können.  Wie  die  vorhin  erwähnte  komische  Einlage,  so  ist  auch 
die  possenhafte  Szene  zwischen  Rodomont  und  seinem  Diener 
Erfindung  des  Dramatikers. 

Der  Tod  Isabellens  ist  bei  Ariost  zeitlich  und  räumlich 
weit  getrennt  sowohl  von  dem  Ausbruch  der  Raserei  Roland's 
als  auch  von  dem  Tode  Zerbin's^);  der  französische  Dichter 
läßt  uns  bezüglich  der  Zeit  im  unklaren,  der  Ort  der  Handlung 
bleibt  unverändert,  wie  Mairet  selber  in  der  Vorrede  sagt. 
In  der  Schilderung  dieser  zweiten  Episode  hält  er  sich  jedoch 
mit  Ausnahme  der  Einführung  Rodomont's  an  Stelle  des 
Mandricard  an  die  italienische  Quelle. 

Das  letzte  Auftreten  Roland's  und  seine  endgültige  Heilung 
sind  je  einer  Stelle  im  Orl.  für,  nachgeahmt.  Die  Art  und 
Weise,  wie  der  rasende  Held  einen  Hirten  tötet'),  ist  nach 
Qrl.  für.,  C.  XXIV,  St.  5  geschildert: 

c  Uno  ne  piglia,  e  del  capo  lo  scema 
Con  la  facilitd  che  torria  alcuno 
DaWarbor  po7ne,  o  vago  fior  dal  pruno,* 

Ariost  läßt  seinen  Helden  im  Zustande  der  Raserei  eine 
lange  Reihe  von  Taten  ausführen;  Frankreich,  Spanien,  ja 
das  Mittelmeer  durchquert  der  Wahnsinnige  (cfr.  OrL  für., 
C.  XXIX,  st.  40  ff.,  C.  XXX,  St.  4—14)  und  erst  auf  afri- 
kanischem Boden  bringt  ihm  sein  Freund  endgültige  Heilung 
(cfr.  Orl.* für.  C,  XXXIX,  st.  45 ff.).  Der  nachfolgende  Ritt 
der  beiden  Freunde  auf  dem  Griffen,  der  sie  nach  dem  schwer 
bedrängten  Paris  führen  soll,  ist  wiederum  von  Mairet  frei 
erfunden. 

Das  Schwächste  an  der  Tragödie  ist  die  Zeichnung  der 
Charaktere;  in  der  Regel  erzählen  die  einzelnen  Hauptper- 
sonen beim  ersten  Auftreten  ihre  Lebensgeschichte,  so  Roland 
(Akt  I,  1),  Angelika,  Medor  und  Isabella  (Akt  II,  2  u.  3, 
S.  24),  dann  folgen  entweder  Klagen  über  ein  persönliches 
Unglück,  oder  es  wird,  wie  von  Seiten  Roland's  und  Rodomont's. 
irgend  eine  rohe  Tat  vollbracht. 

Die  Liebesszenen   zwischen  Angelika  und  Medor  wirken 


')  Cfr.  a  XXIX,  8t  8—32. 
«)  Akt  F,  Sz.  3  [S.  101). 


—     177     — 

durch  ihre  Länge  und  Monotonie  ermüdend.  Medor's  erste 
Worte,  die  den  Prahlereien  Rodomont's  nicht  nachstehen, 
kommen  uns  um  so  befremdender  vor  als  wir  aus  Ariost  wissen, 
daß  Tapferkeit  nicht  seine  stärkste  Seite  und  daß  er  alles 
eher  als  ein  Aufschneider  ist: 

tNy  Roland,  ny  Begnard,  ny  de  plus  dangerettx, 
FussenUils  preservez  par  la  force  des  chaimes, 
N^auront  point  de  valeur  qui  ne  cede  d  mes  arjnes. » 

Akt  II,  1,  S.  25, 

Und  wenn  er  dann  mitten  im  süßesten  Liebesgeflüster 
forteilt,  um  sein  Messer  zu  suchen,  das  ihm  aus  der  Tasche 
gefallen  ist,  so  wirkt  das  einfach  komisch  auf  Leser  und 
Zuschauer.^)  Geradezu  zotenhaft  ist  eine  Stelle  in  der  bereits 
erwähnten  Szene  der  Schäferfamilie,  in  welcher  nämlich  die 
Frau  zu  ihrem  etwas  bejahrten  Manne  sagt: 

uiMon  plaiidr  nie  suffit,  si  je  le  scay  bomer 
Aux  forces  de  celuy  qui  me  le  peut  donnet-, 
En  pouvant  plns  avoir  fen  roudrois  davantage,  > 

Bemerkenswert  ist  der  Charakter  Rodomont's.®)  Wir  haben 
gesehen,  daß  bereits  Bauter  diesen  Helden,  höchst  wahr- 
scheinlich unter  dem  Einfluß  der  französischen  und  ita- 
lienischen Komödie,  zu  einem  mües  glorioms  der  Tragödie 
umformte.  Ganz  dasselbe  geschieht  in  Mairet's  Roland  furieux, 
Bodomont  ist  derselbe  Aufschneider  wie  in  Bauter's  Rodo- 
montade^);  er  weist  aber  noch  einen  anderen  Zug  auf,  den  er 
mit  dem  Rodomont  der  Komödie  gemeinsam  hat,   seine  Yer- 


»)  Akt  II,  i,  S.  25,  Medor: 

* je  n^ay  sur  moy  ny  poin^on  ny  cmiteau 

En  venant  mon  estuy  m^eat  tombi  de  la  po8che.[!] 
')  Es  acheint  uns  wahrscheinlich,  daß  Mairet  den  Bodomont  deshalb 
an  Stelle  des  Mandricard  einführte,  weil  jener  längst  schon  eine  bekannte 
Figur  auf  der  französischen  Bühne  und  bei  den  Franzosen  überhaupt 
war,  während  Mandricard  niemals  diese  Popularität  erlangte. 
»)  Vgl  Bol.  für.  Akt  III,  4,  S.  56: 

tApprens  que  Bodomont  dans  Paris  si  vante 
N'a  jamais  rieft  connu  qui  Vait  epouvantS.» 
Femer  die  Schilderung  seiner  „Heldentaten"^  vor  Paris  {Akt  IV, 
5,  S.  84). 

Mäachener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.  XXXIV.    12 


—     178     — 

liebtheit  und  sein  angebliches  Q\ü<k  bei  den  Franen.')  Ntfch- 
dem  er  Yon  Doralice  einen  Korb  erhalten,  verliebt  er  sich 
sogleich  in  Isabeila,  die  er  noch  kanm  gesehen  hat  (vgl.  Akt 
lY,  5,  S.  80).  Als  er  von  meinen  Heldentatenft  bei  der  Be- 
lagerung  von  Paris  erzählt,  sagt  er  n.  a.,  daß  hundert  Frauen 
ans  Schrecken  vor  seinem  Erscheinen  in  der  Seinestadt,  vor 
der  Zeit  entbanden: 

<  Cent  femmes  sur  la  place,  aoani  tenne  aecotichereni,» 

(Akt  IV,  6,  S.  84.) 

Eine  reine  Possenszene  ist  Rodomont's  Gesprach  mit 
seinem  Diener  Aronte.  Als  dieser  ihm  ein  paar  Flasohen 
Wein  anbietet,  weist  er  sie  keineswegs  zurück,  da  doch  sein 
Glaube  ihm  verwehrt,  dieses  Gretränk  zu  nehmen,  sondern  er 
sagt  ruhig: 

*ye  croyani  de  tna  loy  que  ce  qü'ü  en  faut  craire, 
Surtout  quand  il  s^agit  de  manger  et  de  baire»  etc. 

(Akt  IV,  6,  S.  82.) 

Werfen  wir  noch  einen  Blick  zurück  auf  das  Gesagte^  so 
müssen  wir  uns  folgendes  Urteil  über  Mairet's  Tragödie  bilden : 

Was  der  Dichter  in  der  Vorrede  als  Vorzug  ansieht,  die 
gleichzeitige  Dramatisierung  zweier  Episoden,  ist  als  verfehlt 
zu  erklären,  da  der  Zuschauer  beiden  Handlungen  nicht  mit 
dem  gleichen  Interesse  folgen  kann.  Es  fehlt  dem  Stücke 
ferner  eine  Motivierung  der  einzelnen  Szenen,  die  Personen 
treten  auf  und  verschwinden,  ohne  daß  ein  Grund  dafür  er- 
sichtlich ist;  auch  leidet  es  an  der  allzugroßen  Anzahl  von 
MohQologen.  Die  Mischung  des  Komischen  und  Tragischen  ist 
als  mißlungen  anzusehen.  Was  das  Verhältnis  der  Tragödie 
zur  Quelle  betrifft,  so  hat  der  Dichter  diese  mit  größter 
Freiheit  benützt,  wie  wir  gesehen  haben.  Die  Kritik,  welche 
einzelne  Forscher  an  dem  Roland  furieux  geübt  haben,  ist  im 
allgemeinen  nicht  günstig.  Beauchamps')  sagt  von  ihm: 
« Foland  est  romanesque  et  hrigidier  pour  la  fable ;  mais  il  a  qucl- 


*)  Siehe  Fest,  Der  miles,  S.  66 ff.^  wo  der  milee  in  Toumebu'e  ^Can- 
tents»  geschildert  mrd.  Mit  der  Verliebtheit  paart  sieh  eine  ebenso  große 
Tülpelhaftigheitj  indem  Rod.  in  die  van  IsabeUa  gestellte  FaUe  gekt 

«}  Recherches,  2.  Teil,  S.  113 f. 


—     179    — 

qti€8  agremens,  Les  vers  en  sont  foibles,  et  pourtami  ^  ont  une 
eertaine  tendresse  en  leurs passions  qui  les  faii  aimer.^  Die  Brüder 
Farfaict  nennen  das  Stück  geschmacklos  und  kaaBtlos  tmd 
zählen  es  zu  den  schwächsten  Leistungen  des  Diditers.  ^) 
NicSron  fuhrt,  ohne  Quellenangabe,  das  urteil  Be  auch  am ps' 
wörtlich  an.  ^)  Mouhy  tadelt  den  romantischen  Stoff  und  den 
Versbau,  findet  dagegen  einige  ziemlich  gute  Stellen.')  La 
Porte  und  Chamfort  verurteilen  besonders  die  etwas 
sinnliche  Liebesszene  zwischen  Angelika  und  Medor  und  die 
nuMangene  Mischung  von  Komischem  und  Tragischem.*) 

Aus  neuerer  Zeit  sei  das  Urteil  Michaud's  erwähnt, 
welches  mit  dem  der  Brüder  Farfaict  übereinstimmt.^)  Dann- 
heißer  bezeichnet  das  Stück  als  recht  unbedeutend,  nur  seine 
Entstehungsgeschichte  könne  als  Entschuldigubg  dafür  dienen, 
daß  Mairet  es  überhaupt  schrieb.  Der  romantische  Zug,  der 
vor  allem  in  dieser  Tragödie  liege,  sei  zum  Teil  auf  die  Ein- 
wirkung des  Gkafen  B61in,  seines  Göimers,  zurückzuführen.^ 
Während  Eicke  nur  den  Namen  unseres  Stückes  erwähnt*^, 
Weinberg  dagegen  es  gänzlich  übergeht®),  besitzen  wir 
französischerseits  noch  Urteile  von  Bizos*)  und  Rigal.**^) 
Der  erstere  yerurteilt  das  Stück  in  jeder  Hinsicht  und  kann 
nicht  begreifen,  wie  Mairet  ein  so  elendes  Machwerk  schreiben 
konnte.'^)    Der  letztere  tadelt  die  Ungeschicktheit,  mit  der 

*)  Hist.,  Bd,   r,  116:  •Sans  goüt  et  sans  art.» 

•)  M^iaires,  Bd.  XXV,  249. 

»)  Tablettes,  S.  204;  Abr.,  Bd.  II,  213. 

*)  DictUmnaire,  Bd.  III  70. 

*)  Bibl  tmiv.,  Bd.  XXVI,  166:  *Bohind  fwritux  ....  traite 
sans  goüt.» 

•)  Studien  zu  Mairefs  Lehen  und  Werken,  8.  27. 

')  Zur  Rolandsage,  S.  14. 

*)  Schäferspiel,  S.  90 ff.,  wo  eine  ebenso  kurze  wie  mangelhafte 
Lebensgeschichte  des  Dichters  zu  finden  ist. 

»)  J^tude,  S.  195.  —  Dannheißer  (l.  c,  S.  2,  Anm.  3)  wirft  dem. 
Werke  Bizos^  Mangel  an  Selbständigkeit  vor,  ein  Urteil,  das  wir  vollauf 
bestätigen. 

»»)  Le  Theätrefr.  au  XVII^  s.,  in:  Jullev.,  IV,  258. 

")  j^tude,  8.  194:  *Cette  pi^ce  re^t  le  plus  froid  accueil  du  public 
itonni  dune  si  triste  et  si  prompte  dicadence;  on  se  denuimdait  comment 
le  cil^re  icrivain  avait  pu  sacrifier  les  nobles  et  fiers  sentiments  dant 

12* 


—     180     — 

Mairet  diesen  Stoff  behandelt  und  nennt  die  Ausdrucksweise 
des  Dichters  prosaisch,  schleppend,  schwer  verständlich  und 
geschmacklos.^) 

Wenige  Jahre  nach  Mairet  trat  GuillaumedeRiche-) 
mit  einem  neuen  Stücke  hervor  unter  dem  Titel  Les  amours 
(TAngelique  et  de  Medor  etc.  1648.  Der  Verfasser  bezeichnet 
es  auf  dem  Titel  als  eine  Tragödie  in  8  Akten  [!]  mit 
Chören,  aber  ohne  Szeneneinteilung.  Mouhy  meint,  ea  habe 
auf  den  Theatern  der  Provinz  vielleicht  Beifall  gefunden.') 
Nähere  Angaben  über  den  Inhalt  zu  machen,  sind  wir  leider 
nicht  in  der  Lage,  da  das  Stück  verschollen  zu  sein  scheint.^) 

Um  so  bedeutender  dagegen  ist  das  folgende  die  Roland- 
Episode  behandelnde  Stück,  welches  im  Januar  ^)  1685  zum  ersten 
Male  aufgeführt  und  noch  in  demselben  Jahre  gedruckt  wurde.^ 


il  avait  su  animer  Sophonisbe  et  Maasinissa  paur  les  galanteries  et  fa- 
deurs  de  son  nouvel  ouvrage;  on  ne  pouvait  croire  que  le  style  bizaire 
et  dameret,  qui  n'avait  rien  de  dramatique,  sortit  de  la  plume  qui  avait 
icrit  les  beaux  vers  de  la  Sophonisbe^  du  Marc  Antoine  et  du  Soliman: 
ü  donna  un  midiocre  canevas  d'opSra  sous  le  nom  de  tragi-comidie.* 

')  Hist.  de  la  litt.  {p.  p.  JuUev.)  Bd.  IV,  258:  *Le  B.  f.  nnit,  avec 
une  rare  maladressej  la  tragidie  que  Montreux  avait  dSjä  traitee  sous  U 
titre  dUsabelle  ä  une   tragi-comedie  pleine,   aussi  bien  quUine  aticienne 

pastoraUj  de  bizarrer ies,  d^effets  scSniques  et  dHndScences Son  style  est 

presque  constamment  prosaiqtie,  tramant,  obscur,  plein  de  mauvaia  gout.» 

•)  Über  O.  de  Biches''  Leben  unssen  wir  nichts;  keines  der  in 
unserer  Arbeit  zitierten  Literaturwerke  führt  seinen  Namen  an.  Von 
Mouhy,  Abrege  /,  36,  wird  es  einem  Desroches  zugeschrieben^  unt^' 
welchem  Namen  wohl  de  Biche  gemeint  war.  Dieselbe  Behauptung  findet 
sich  auch  in  d.  Anecd.  dr.  IIl,  152. 

*)  Abr6gS  J,  36:  *Cette  piece  a  pu  riussir  en  province,» 

*)  Wenigstens  besitzt  keine  der  drei  großen  Pariser  Bibliotheken  ein 
Exemplar  des  genatinten  Stückes. 

*)  Chouquet,  Hist,  S.  321,  Clement,  Dict.  lyr.,  S.  587  «. 
Leris,  S.  291,  bezeichnen  den  8.  {18.)  Januar,  bzw.  8.  Febr,  als  den  Tag 
der  ersten  Aufführung. 

•)  Quinfiulfs  zwölf  Oper^i  finden  sich  in  den  drei  ersten  Bänden  des 
Becueil  des  operas,  Amsterdam  1684  und  1690,  12^,  Eine  ausführliche 
Lebensbeschreibung  des  Dichttrs  kann  nachgelesen  werden  bei  Goojet, 
Bibl.  fr.,  Bd.  XVIII,  242ff.:  La  Gr.  Encycl,  Bd.  XXVII,  1160.  - 
La  Porte  et  Chamfort  geben  irrtümlicherweise  1689  als  Datum  der 
Aufführung  und  des  Druckes  an.  Lucas  [Hist,  lII,  307)  erwähnt  das 
Stück  nicht. 


—     181     — 

Es  ist  dies  die  Oper  Roland  von  Ph.  Quinaolt  ^),  neben  seiner 
Armide  die  bekannteste  Schöpfung  dieses  Librettisten. 

Folgendes  ist  der  Inhalt  von  Qoinanlt's  Oper. 

Prolog :  Demo[go]rgon,  der  Feenkönig  und  das  Haupt  der 
Erdgeister  (le  premier  des  Genies  de  la  Terre).  sitzt,  umgeben 
▼on  Feen  und  Erdgeistern,  auf  seinem  Throne  und  preist  die 
Wohltaten  des  Friedens  und  die  Regierung  des  französischen 
Königs;  sodann  deutet  er  den  Gregenstand  an,  welcher  nun 
zu  Ehren  des  Königs  aufgeführt  werden  soll: 

tDu  celebve  Holand  renouvellons  VHisioire, 

La  France  Iny  donna  le  jour» 

Montrons  les  erreurs  ou  VAmour 

PeiU  engager  un  cceur  qui  niglige  la  gloiref^ 

Akt  I :  Angelika,  die  Königin  von  Cathay,  hat  zu  Medor, 
einem  jungen  Gefolgsmann  des  afrikanischen  Königs  Agra- 
mant,  eine  tiefe  Zuneigung  gefaßt,  doch  schwankt  sie  noch, 
ob  sie  dieser  Neigung  folgen,  oder  dem  ruhmbedeckten  Roland 
ihre  Hand  geben  soll.  Thömire,  ihre  Vertraute,  erteilt  An- 
gelika den  Rat,  den  ersteren  aus  ihren  Augen  zu  verbannen. 
Dieser  aber  gesteht  ihr  in  einer  der  folgenden  Szenen  seine 
unwandelbare  Liebe,  wird  aber  mit  seinem  Antrage  für  dieses 
Mal  abgewiesen.  Gleich  darauf  überbringen  Abgesandte  Roland's 
ein  kostbares  Armband,   welches  für  Angelika  bestimmt  ist. 

Akt  II :  Angelika  steht  an  jenen  zwei  berühmten  Zauber- 
quellen, aus  denen  man  Liebe  oder  Haß  trinken  kann;  sie 
zögert  noch,  aus  welcher  sie  das  Wasser  schöpfen  soll,  als 
Roland  auf  sie  zukommt.  Schnell  steckt  das  Mädchen  seinen 
unsichtbar  machenden  Ring  in  den  Mund  und  entfernt  ihn  erst 
wieder,  als  Roland  fort  ist,  und  Medor,  voll  Verzweiflung  über 
die  Härte  der  Geliebten,  des  Weges  kommt  und  sich  töten  will. 
Angelika,  in  deren  Herzen  der  Stolz  nunmehr  zurücktritt  vor 
der  Allgewalt  der  Liebe,  ruft  dem  unglücklichen  Jüngling  zu, 
er  solle  weiter  leben  und  sein  Glück  mit  ihr  teilen.  So  finden 
sich  ihre  Herzen,  und  unter  dem  lieblichen  Gesänge  von  Liebes- 
göttern und  verzauberten  Liebespaaren  feiern  sie  ihre  Verlobung. 

Akt  III:    Die  beiden  Liebenden  können  ihres   Glückes 


*)  Quinault  gab  ihm  den  Titel  •tragedie-oph-a» 


—     182    — 

nicht  80  recht  froh  werdeD,  da  sie  Roland's  EÜferaucht 
fürchten  müssen.  Um  diesen  zu  bemhigen,  verspricht  ihm 
Angelika  ein  Stelldichein  an  der  Grotte,  wo  sie  gewöhnlich 
mit  ihrem  Liebsten  spazieren  geht;  den  dadurch  eifersüchtig 
gewordenen  Medor  beruhigt  sie  mit  einschmeichelnden  Worten. 
Akt  IV:  Roland  eilt  indessen  yoU  Freude  zur  Grotte 
und  achtet  nicht  auf  die  Bitten  seines  Freundes  Astolf,  der 
ihn  zur  Hilfeleistung  für  das  yon  den  Mauren  schwer  be- 
drängte Reich  bewegen  will.  An  dem  yerabredeten  Orte  an- 
gekommen, findet  Roland  keine  Angelika,  dafür  aber  entdeckt 
er  jene  Inschriften,  welche  von  Medor's  Hand  herrühren  und 
vom  Glücke  der  beiden  Liebenden  in  unzweideutiger  Sprache 
reden.  Noch  kann  er  an  die  Wahrheit  seiner  Entdeckung 
nicht  recht  glauben,  als  ein  ländlicher  Hochzeitszug  heran- 
naht und  ihm  die  Kunde  bringt,  daß  die  Fürstin  von  Catbay 
mit  ihrem  jugendlichen  Liebhaber  eben  den  Hafen  verlassen 
habe.  Das  Armband  des  Hirten  Thersandre,  in  dem  Roland 
sein  eigenes  Geschenk  wieder  erkennt,  und  das  Angelika 
jenem  treuen  Hirten  vor  ihrer  Abreise  gegeben  hat,  spricht 
deutlich  genug,  wie  schwer  Roland  von  dem  Mädchen  ge- 
täuscht wurde.  Der  Schmerz  macht  ihn  tobsüchtig ;  in  seiner 
Raserei  zerstört  er  alles,  was  ihm  in  die  Hände  fallt 

Akt  V:  Dieser  Akt  versetzt  uns  in  den  Zauberpalast 
der  Fee  LogisstiUa.  Astolf,  Roland's  treuer  Freund,  erhält 
von  dieser  gütigen  Zauberin  einen  Zaubertrank,  der  den  in 
festen  Schlaf  versunkenen  Helden  zu  neuem,  gesunden  Leben 
wieder  erweckt.  Gloire,  Renommee  und  Terreur  begrüßen  den 
Erwachenden  und  wollen  ihn  zu  neuen  Taten  geleiten,  Logis- 
stiila aber  ruft  ihm  warnend  zu : 

<La  Gloire  iviis  appelle, 

Ne  soujnrez  plus  qtie  pour  tue ; 

j\on,  li'ouhliex  jamais 

Les  maux  qtte  VAmour  vous  a  faiis* 

(Akt  V,  4,  S,  45). 
Die  vorstehende  Analyse  zeigt  auf  den  ersten  Blick,  daß 
Quinault's  Oper  eine  ganze  Anzahl  von  Veränderungen  gegen- 
über ihrer  Quelle   aufzuweisen  hat.     Der  Prolog  ist  von  An- 
fang bis   zu   Ende  das  Werk  des  Franzosen   und  soll  eine 


—     183    — 

BhruDg  des  Roi-Soleil  seiD,  welcher  die  erste  Anregung  zu 
dem  Stücke  gegeben  h&ben  soll. 

In  der  Oper  selbst  finden  wir  sehr  viele  Personen, 
die  bei  Ariost  nicht  vorkommen.  ^yZüiante,  prince  des  Isles 
Orientales ;  Coridon,  Berger,  Amant  de  Belise ;  Belise,  Amante 
de  Coridon,  femer  Confidents  und  Confidentes,  Suivants,  Sui- 
vantes,  troupes  d'Amours,  de  Sirenes,  de  Dieuz,  de  Fleuves, 
de  Silvaius,  d'Amants  enchantös,  d'Amantes  enchant^es,  de 
peuples  de  Cathay,  de  Bergers  et  de  Berg^res,  de  Fees, 
d'Ombres  d'anciens  Heros^ ;  endlich  treten  am  Schlüsse  die 
allegorischen  Gestalten  Gloire,  Terreur,   La  Benomm§e  auf. 

Auf  freier  Erfindung  des  librettisten  beruht  der  ganze 
erste  Akt;  die  Tatsache  von  dem  Geschenk  Roland's  ist  zwar 
bei  Ariost  erwähnt  (C.  XXIII,  st.  120),  aber  die  Art  und 
Weise  des  Überbringens  ist  von  Qu^nault  erdichtet.  Vom 
zweiten  Akt  ist  dasselbe  wie  vom  ersten  zu  sagen.  Nur  die 
Erwähnung  der  beiden  Zauberquellen  geht  auf  Ariost  {Orl. 
für.  C.  I,  st.  78)  zurück.  Der  Schauplatz  des  dritten  Aktes 
ist  der  nämliche  wie  beim  italienischen  Dichter,  sonst  eriimert 
jedoch  nichts  an  das  Epos  Ariost's.  Vom  vierten  Akt  ist 
nur  Tbersandre's  ^)  Bericht  von  der  Abreise  der  beiden 
Liebeaden  und  das  Vorzeigen  seines  von  Angelika  erhaltenen 
Binges,  endlich  auch  der  Ausbruch  der  Raserei  Boland's,  der 
italienischen  Quelle  entnommen.  Die  Heilung  Boland's  durch 
Logisstilla  vollzieht  sich  bei  Ariost  in  den  Sandwüsten  Afrikas  ^), 
bei  Quinault  im  Palaste  der  Logisstilla  unter  deren  Beisein. 
Die  drei  erwähnten  allegorischen  Gestalten  fehlen  bei  ersterem, 
vrie  überhaupt  der  ganze,  echt  opemhafte  Abschluß  des  Stückes. 

Wenig  ist  von  den  Charakteren  zu  sagen,  da  bei  einem 
so  ausgesprochen  lyrischen  Stücke,  wie  der  Bol,  für.,  natur- 
gemäß wenig  Gewicht  auf  deren  richtige  Zeichnung  und  Ent- 
wicklung gelegt  wird.  Die  Person  des  Roland  der  Quinault- 
schen  Oper  kann  nicht  den  Anspruch  erheben,  daß  man  sie 
ernst  nehme,  wie  das  doch  beim  Orlando  des  Ariost  der  Fall 
ist;  denn  es  wirkt  gerade  komisch,  wenn  wir  sehen,  wie  er 
in  blinder  Liebe  sich  von  Angelika  zum  Stelldichein  verleiten 

^)  Cfr.  Orl  für.,  C.  XXIII,  st  118 ff. 
«)  IM.,  C.  XXXIX,  8t  45/f. 


—     184    — 

läßt,  während  welcher  Zeit  diese  mit  ihrem  Liebhaber  ver- 
schwindet. Komisch  wirkt  femer  die  Szene,  in  der  Boland 
in  Raserei  gerät  (Akt  IV,  4).  Nach  der  Bühnenweisung 
bricht  er  die  Inschriften,  die  auf  Holztafelo  angebracht  sind  (!), 
in  Stücke,  reißt  Zweige  und  Äste  von  den  Bäumen  und  zer- 
schlägt Felsenstücke,  schließlich  glaubt  er  eine  Furie  zu  sehen 
und  beginnt  zu  ihr  zu  sprechen.  So  stehen  wir  den  Titel- 
helden fortwährend  in  komischen  Situationen  und  als  diejenige 
Person,  die  getäuscht  wird.  Man  könnte  überhaupt  versucht 
sein,  die  ganze  Oper  als  Parodie  des  OrL  für,  zu  betrachten, 
wenn  die  Charaktere  Angelika's  und  Medor's  nicht  so  ernst 
und  tiefsinnig  vom  französischen  Dichter  gezeichnet  worden 
wären.  Lange  sträubt  sich  Angelika,  den  Regungen  ihres 
Herzens  Folge  zu  leisten,  sie  weist  Medor's  Antrag  zurück, 
aber  in  demselben  Augenblicke  bereut  sie  ihr  hartes  Wort; 
und  als  sie  dann  den  Geliebten  ihretwillen  leiden  sieht 
(Akt  II,  4),  stürzt  sie  in  seine  Arme  und  flüstert  ihm  leise 
zu,  wie  sehr  sie  ihn  liebe,  und  bietet  dem  einfachen  Knappen 
eines  Königs  Krone  und  Thron  von  Cathay  an.  Diese  beiden 
Szenen  zwischen  Angelika  und  Medor  sind  zweifellos  die 
schönsten  des  ganzen  Stückes.^)  Überhaupt  tritt  Roland  im 
Vergleiche  zu  diesem  Liebespaar  viel  zu  sehr  in  den  Hinter- 
grund, abgesehen  davon,  daß  er  auch  weit  weniger  sympathisch 
erscheint  als  Angelika  und  Medor. 


*)  Das  Duo  in  der  4.  Szetie  des  I.  Aktes  wurde  bald  sehr  populär 
und  war  jahrzehntelang  in  aller  Munde  {Cleme7itj  Dict  lyr.,   S,  972): 
Ang.:  *. .  .  Fartez  Medot!    Med.:  0  Cielt 

Ang.:  Partez  sans  di/firer. 
Med. :  Helas !  Ay  je  pü  vous  diplaire  ?  * 

Ang, :  Xon,  non  je  n'ay  point  de  colere 
Laissons  les  discours  super flu^, 
Partez 
Med. :  Je  )he  vous  verray  plus»  etc. 
Dieselbe  Berühmtheit  erlangte  Sz.  4,  Akt  III,  S.  25: 
Vivez  pour  moy,  qu^ü  vous  souvienne 
Que  votre  Destince  est  unie  ä  la  mienne, 
Ma  mort  suivroit  votre  tripas: 
ivitons  un  destin  tragique; 
Medor  ne  veut4l  pas 
Vivre  pour  Angelique?* 


—     185     — 

Um  Quinault's  Dichtung  gerecht  zu  beurteilen,  muß  man 
berücksichtigen,  daß  der  Verfasser  nicht  eine  Tragödie  in 
den  strengen  Formen  der  Klassizität  schreiben  wollte,  sondern 
daß  es  ihm  vor  allem  darum  zu  tun  war,  einen  Operntext  zu 
liefern,  d.  h.  einen  möglichst  romantischen  Stoff  zu  dramati- 
sieren und  ihn  mit  lyrischen,  für  Arien,  Duos  und  Chöre 
passenden  Einsätzen  zu  durchwirken. 

Dieser  Zweck  rechtfertigt  Quinault's  Abweichungen  von 
der  Quelle  zur  Genüge,  und  er  erklärt  auch,  daß  wir  eine 
logische  Entwicklung  der  Handlung  und  teilweise  auch  der 
Charaktere  des  Stückes  schlechterdings  in  Abrede  stellen 
müssen.  Als  Oper  des  ausgehenden  17.  Jahrhunderts  jedoch 
betrachtet,  ist  der  Roland  Quinault's  zu  den  besten  da- 
maligen Erzeugnissen  dieses  Genres  zu  zählen.  Auch  in 
musikalischer  Hinsicht  gehört  der  Roland  zu  den  erstklassigen 
Opern  jener  Zeit,  und  Lully,  der  Komponist  des  Stückes,  er- 
klärt es  für  die  beste  seiner  Tonschöpfungen.  ^) 

Bald  nach  der  Aufführung  des  Stückes  ließen  sich 
kritische  Stimmen  vernehmen,  welche  das  tolle  Gebärden  des 
rasenden  Roland's  auf  der  Bühne  und  das  etwas  süßliche 
Liebesgesäusel  Angelika's  und  Medor's  lächerlich  machten, 
und  irgend  ein  versgewandter  Kritiker,  dessen  Namen  wir 
nicht  kennen,  faßte  diese  vernichtenden  Äußerungen  des 
Theaterpublikums  in  folgendem  Gedichte  zusammen: 

tDans  un  bois,  Angelique  errante  ä  la  venture, 
Voit  Metlor  etendu,  blessc,  sans  nul  espoir\ 
Le  tronve  heaUj  le  pause  avec  VempiUre  noir, 
Lui  fait  des  houillons  frais  et  gu6rit  sa  blessure. 

Son  amoureux  RoUxtid  fait  piteuse  figui-e, 
Jone  ä  Cdin-maülard,  lui  parle  sans  la  voir, 
Feste  en  vain,  car  la  Beine  oubliant  son  devoir, 
De  son  convalescani  veut  etre  la  monture. 

Theniire  a  benu  chantcr,  beau  dire  et  beau  crier, 
Qti'il  est  peut-Hre  issu  de  quelque  cnisinier : 
Angpliqne  le  veut  et  /'a  gueri  pour  eile. 


*)  Clement,  Dict  lyr.,  S.  flW^. 


—     186     — 

Elle  etileve  Medor  et  platite  Id  Bolandj 

Qui  va  dans  les  Hameaux  faire  le  Capitan; 

Puis  un  doux  mennei  lui  remet  la  cervelie.*  ^) 

In  L6ris'  Dictionnaire  portatif  *)  wird  der  Oper  Quinaulfs 
ein  unbedingtes  Lob  zuteil.  Während  Nic6ron'),  Mau- 
point ^)  nur  den  Namen  des  Stückes  anführen,  wird  es  bei 
Goujef^),  der  doch  Quinault  ausfuhrlich  behandelt,  nicht 
einmal  dem  Namen  nach  erwähnt.  La  Porte  und  Cbam- 
fort  geben  zwar  zu,  daß  der  vierte  Akt  große  Schönheiten 
aufzuweisen  hat,  beanstanden  aber,  daß  Angelika  und  Medor 
zu  oft  auf  der  Bühne  erscheinen,  und  daß  Roland's  Käserei 
sich  im  Abreißen  von  Baumzweigen  u.  dgl.  äußert.*)  Auch 
Voltaire  bezeichnet  den  vierten  Akt  als  ein  Meisterwerk 
Quinaulfs.')  Voltaire's  Schüler  La  Harpe  findet,  daß  das 
Stück  nicht  so  sehr  eine  iragcdie  lyrique  als  eine  2)a^iorale 
Mrdüiue  ist,  wo  eine  Königin  einem  Schäfer  (sie!)  den 
Vorzug  gebe  vor  einem  berühmten  Helden.  Stoff  und 
Verwicklung  sind  nach  ihm  etwas  unbedeutend^};  doch 
reicht  Quinault  manchmal  bis  zum  Erhabenen.  Chou- 
quet  bespricht  zwar  den  Koland  Quinaulfs  nicht  näher*), 
fällt  aber  über  die  lyrischen  Dramen  dieses  Dichters  insge- 
samt ein  sehr  günstiges  Urteil.^®)    Als  besonderes  Verdienst 


1)  Zitiei't  bei  La  Porte  et  Chamfort,  Dict,  III,  70. 

«)  S.  391  f. 

»)  MemoircB  XXVIII,  210. 

*)  Bibl.  fr.,  S.  273. 

»)  Bibl.  fr.,  XVIIl  248. 

•)  Dict.  dram.,  III,  70:  «.  .  .  .  Angilique  et  Midor  paraissent 
trop  souvent  sur  la  scene.  Les  fureurs  de  Roland  surtout  devroitnt  U 
pm'ter  ä  quelque  chose  de  plus  q\i'ä  ibrancher  des  arbf*es  et  ä  combattre 
des  etres  inanimes.» 

')  Dict.  phil.  (Art.  Art  dramatiqtie)  VII,  189. 

*)  Cours  de  litt,  I,  605:  * . .  .  Le  fmid  est  \m  peti  faible^  Vintrigue 
est  peu  de  chose.» 

^)  Hist.  du  drame  mnsical,  S.  321. 

^^)  Ibd,,  S,  112:  »Le  Premier,  il  comprit  qiie,  ä  cause  de  sa  desti- 
nation  speciale,  Vopera  ejÄge  une  autre  coupe  gue  ceüe  des  pieces  oü  il 
n^enti'e  que  du  dialogue.  Versificateur  ha^inonieux,  ilegant  et  faciit, 
auteur  verse  dans  la  science  et  dans  la  pratique  du  theätre  .  . .,  PA.  Quinault 


—     187     — 

rechnet  er  ihm  an,  daß  er  die  MischuDg  des  komischen 
und  des  tragischen  Elementes,  die  dem  französischen  Ge- 
scbmacke  nicht  behage,  vermieden  habe.^)  Wir  haben  jedoch 
gesehen,  daß  gerade  der  Roland  furieux  sehr  oft  das  Komische 
streift. 

Eicke  beschränkt  sich  auf  die  Betonung  des  szenischen 
Apparates,  mit  dem  Quinault  seine  Oper  ausstattete.^)  Dou- 
mic  nennt  die  Szene,  in  der  Boland  durch  den  Hochzeits- 
zug die  untreue  Angelika's  erfährt  (Akt  IV,  4),  geradezu  ein 
Wunder  der  Kunst.*) 

Ahnlich  wie  Chouquet  hält  Proelss  unseren  Dichter 
ganz  besonders  geeignet  fiir  die  Oper,  da  er  ein  zartes, 
lyrisches  Talent  besitze  und  sich  der  Musik  unterzuordnen 
wisse.  Allerdings  vernachlässige  er  dadurch  die  eigentlichen 
dramatischen  Forderungen,  die  folgerichtige  Entwicklung  der 
Charaktere  und  der  Handlung.^)  Julleville  bezeichnet  den 
iRoland  als  eine  bemerkenswerte  Leistung,  hebt  aber  zugleich 
den  Mangel  jeglichen  dramatischen  Interesses  hervor,  der  dem 
Stücke  anhafte.*)  Birch-Hirschfeld*)  endlich  erkennt 
Quinault's   Unerreichbarkeit  in    der  Handhabung   des  Stiles 


risolut  d€  consacrer  ses  brillantes  facuUes  ä  un  gtnre  qui^  de  son  temps, 
nianqwiit  encore  ä  noire  litt^ature.» 

')  Ibd.,  S.  112:  •II  commeni'a  par  imiter  les  Italiens  et  par  com- 
biner  Velement  comique  avec  VeUment  tragique;  mais  il  s^aperi^t  vite 
que  le  goüt  frangais  repausse  ce  müange,  et  il  y  renonga  pour  toujours 
apreu  la  representation  d^Alceste,» 

")  Z.  Rolandsage,  S.  14.  ■—  Eicke  beschäftigt  sich  nur  mit  Prolog 
und  Persortenverzeichnis  des  Stückes. 

')  Kritik  von  Rolandes  Histoire  de  VOpira,  die  sich  mit  dem 
Einfiufi  der  Oper  auf  die  Tragödie  beschäftigt  (Revm  des  2  m(yndes, 
1896,  S.  451). 

*)  Gesch.  d.  Dramas,  Bd.  II,  Halbbd.  2,  247. 

*)  Le  Theätre  en  France,  S.  247. 

•)  Gesch.  d.  frz.  Litt.  (Suohier  und  Birch- Hirschfeld) 
8.  479:  tQuinaiilt  verstand  es,  in  geschickter  Weise  Ludwig* s  XIV.  Lob 
vn  sinnreichen  Prologen  zu  verkünden  und  in  seinen  Opemtexten  dem 
Komponisten  wirkutigsvolle  theatralische  Unterlagen  zu  schaffen.  Wahr- 
heit  und  Kraft  verlangte  man  in  derartigen  Dichtungen  nicht,  es  genügte, 
wenn  die  Sit^uition  oberflächlich,  aber  doch  mit  Pathos  gekennzeichnet 
war;  das  Übrige  war  Aufgabe  der  Musik.  In  der  flüssigen  Geschmeidig- 


—     188    — 

und  des  Verses  an,  spricht  ihm  aber  jede  tiefere  dramatische 
Begabung  ab. 

Unter  den  Theaterstücken,  die  dem  bekannten,  äußerst 
fruchtbaren  Komödiendichter  Dancourt  zugeschrieben 
werden,  befindet  sich  eine  Parodie  der  Quinault'schen  Oper, 
betitelt  Angelique  et  Medor.  Sonderbarerweise  wird  sie  von 
nur  wenigen  Forschern  erwähnt.^)  Gespielt  wurde  das  Stück 
zum  ersten  Male  am  1.  August  des  Jahres  1685  nach  der 
Aufführung  von  Racine's  Berenice  ^) ;  der  £rfolg,  den  es  er- 
zielte, scheint  nicht  bedeutend  gewesen  zu  sein,  da  es  nur  14 
Aufführungen  erlebte.^) 

Der  Inhalt  des  kurzen  Einakters  ist  in  wenigen  Worten 
folgender:  Ein  junger  Mann  vom  Lande  will  ein  Mädchen 
der  Hauptstadt  heiraten,  das  jedoch  nur  von  ihrer  Mutter  zu 
diesem  Bunde  gezwungen  wird.  Ein  vornehmer  Edelmann, 
der  eine  tiefe  Zuneigung  zu  der  Dame  gefaßt  hat  und  sich 
von  dieser  wieder  geliebt  weiß,  beschließt  den  unbequemen 
Freier  vom  Lande  zu  überlisten.  Da  nämlich  der  letztere 
ein  leidenschaftlicher  Freund    der  Musik  ist,    führt  er  sich 


keit  und  natürlichen  Anmut  des  StilSj  im  Wohlklang  des  Verses  hat 
Quinanlt  niemand  en-eicht.'^ 

*)  Beauchamps,  Recherches,  2.  Teil^  S.  269 f.;  Dictionnaire  d. 
Th.,  IT,  242;  Mouhy,  Tablettes  7,  20  und  Abrfgi  J,  36;  Qu6rard, 
La  France  litt,  Bd.  17,  381;  dagegen  fehlt  eine  Erwähnung  dieser 
Komödie  hei:  Palissot,  Mem.  d.  litt.j  II,  91  ff.;  Lemaznrier,  Grolerie 
des  auteurs,  7,  195 ff.;  31ichaud,  Bibl.  univ.,  Bd.  X,  89  (die  Haupts. 
Werke  werden  aufgezählt  und  zum  Schlüsse  heißt  es:  mll  a  compose 
heaucoup  d'autres  comMies  cpi'il  a  faxt  reprisenter  sur  les  ihiätres  de 
province  auxqucls  il  Hait  attachh);  Jal,  Dict.  crit,  S.  466;  Lucas, 
Hist.,  III,  3(J8;  La  Gr.  Encycl,  XIII,  827  {bringt  eine  kurze  Lebens- 
beschreibung des  Dichters):  Lemaitre,  La  comidie  aprhs  Moliere, 
S.  233  u.  234;  Lion,  La  com.  apres  Mol  {Hist  d.  l  litt.,  p.  p. 
Julleville,  T7,  567 ff.).  Die  vollständigste  Ausgabe  der  Werke  DaD- 
court's  ist  nach  Vapereau  {Dict.  univ.,  S.  572)  die  von  1760; 
doch  findet  sich  dort  unser  Lustspiel  nicht;  dasselbe  ist  gedruckt  in 
einem  «Recuvil  de  Pieces  de  Theätre»,  welcJier  unter  Dancourfs  Namen 
erschien. 

*)  Mouhy,  Tablettes,  Bd.  I,  20,  nennt  die  Komödie  „sehr  schwach^; 
ebenso  Leris,  Dict.  portatif.^  S.  43.  Er  bezeichnet  sie  als  eine  Art  Pa- 
rodie des  Eol.  V.  Qninault. 


—     189     — 

verkleidet  als  OpernsäDger  in  das  Haas  der  Geliebten  ein,  wo 
eben  der  zukünftige  Bräutigam  weilt.  Man  macht  den  Vor- 
schlag, den  Roland  von  Quinault  auf  der  Hausbühne  zu  spielen. 
Das  Mädchen  übernimmt  die  Bolle  Angelika's,  der  Edelmann 
die  des  Medor;  nach  einigen  Szenen,  in  welchen  Quinault's 
Oper  parodiert  werden  soll,  verschwinden  die  beiden  Spieler 
hinter  den  Kulissen,  ein  Diener  aber  tritt  auf  die  Bühne  und 
meldet,  daß  das  Liebespaar  verschwunden  sei: 

tAngSlique  est  partie,  et  Medor  avec  eile,*  ^) 

Mutter  und  Bräutigam  sind  in  Verzweiflung ;  denn  laach 
einem  solchen  Skandal  bleibt  den  beiden  kein  anderer  Aus- 
weg übrig  als  auf  ihren  Heiratsplan  zu  verzichten. 

Da  weiter  nichts  als  der  Titel  dieses  Einakters  dem  Orl. 
für.  entlehnt  ist,  gehen  wir  sogleich  zu  einigen  anderen  Stücken 
über,  die  gleichfalls  Parodien  der  Quinault'schen  Oper  sind. 
Strenggenommen  gehören  sie  nicht  zu  unserer  Abhandlung, 
aber  sie  dürfen  nicht  übergangen  werden,  da  sie  ein  glänzender 
Beweis  sind,  wie  tief  und  lebendig  noch  in  der  ersten  Hälfte 
des  18.  Jahrhunderts  die  Kenntnis  des  Ariost'schen  Epos 
war,  und  wie  beliebt  und  bekannt  die  unsterblichen  Helden 
und  Heldinnen  desselben  in  allen  Kreisen  des  Volkes  waren. 

Im  Jahre  1717  wurde  ein  Pierrot  furieux  ou  Pierrot 
lioland  *)  von  F  u  z  e  1  i  e  r  aufgeführt  ^) ;  leider  wurde  diese  Paro- 


1)  Sz.  8,  S.  232. 

*)  Das  Stück  ist  erwähnt  hei  folgenden  Autorefn:  Beauch.,  Beck, 
(nur  im  alphabetischen  Verzeichnis  der  Theaterstücke);  Leris,  Dict. 
dram.^  S.  263;  Mouhy,  Tablettes  I,  13  (M.  gibt  irrtümlich  als  Datum 
d.  Auff.  1731  an);  Maupoint,  Bibl,  S.340;  La  Porte  et  Gh.,  Dict. 
dram.  III,  455. 

^)  F  uze  Her  (1672—1752)  war  ein  sehr  fi-uchtbarer  Theaterdichter 
und  schrieb  hauptsächlich  für  die  Bühne  des  Theätre  de  la  Foire  de  St. 
Germain.  Ein  scharfes  Urteil  fällt  über  ihn  La  Harpe  (Cours  d.  litt, 
Ilf  439) :  *.  ,  .  k  plus  froid,  et  le  plus  plat  rimeur,  le  bei  esprit  le  plus 
gla^Qant  et  le  plus  glace,  qui  ait  fait  chanter  ä  V Opera  des  fariboles  dia- 
loguees.»  Lucas  (Hist.  II,  50}  bedauert,  daß  er  nur  für  das  TJieater 
gearbeitet  habe.  Weite^-e  Urteile  finden  sich  fteiMichaud  (Biogr.  univ., 
XV,  309,  wo  auch  La  Harpe's  Kritik  zitiert  ist);  Didot  (Biogr. 
giner,  XIX,  77ff,\  La  Gr.  Encycl,  XVIII,  316. 


—     liJO     — 

die  der  Quinault'schen  Oper  nicht  gedruckt.  La  Porte  und 
Chamfort  ^)  nennen  dieselbe  recht  „gewöhnlich",  während  Des 
Bonlmiers  behauptet,  das  Stück  habe  einen  großen  Brfolg 
errungen.^) 

Außer  diesem  Einakter  Fuzeiier'«  Teröffentlichten  Domi- 
nique und  Romagnesi*)  im  Jahre  1727*)  eine  Parodie 
der  Oper  Quinault's  unter  dem  Titel  Arleqtidn  Boland,  die 
nun  kurz  besprochen  werden  soll. 

Der  Inhalt  des  Stückes  ist  folgender:  Harlekin  kann 
Angelika's  Liebe  trotz  reichlicher  Geschenke  nicht  gewinnen, 
da  deren  Herz  für  Medor  schlägt.  Um  Harlekin's  zudring- 
lichen Bewerbungen  za  entgehen,  bewilligt  sie  ihm  ein  Stell- 
dichein auf  einem  Balle,  der  in  der  großen  Oper  abgehalten 
wird,  flieht  aber,  anstatt  dorthin  zu  gehen,  mit  ihrem  Ge- 
liebten nach  Poissy  und  von  da  zu  Schiff  nach  Ronen.  Als 
Harlekin  unterdessen  auf  dem  Balle  vergebens  das  trenkwe 
Mädchen  sacht  und  dabei  noch  von  zahlreichen  Masken  über 
sein  Unglück  verspottet  wird,  gerät  er  in  grenzenlose  Wut, 
er  wirft  die  Kleider  bis  aufs  Hemd  von  sidi,  prügelt  einen 
Theaterdiener  durch,  der  ihm  Limonade  anbietet,  zeiliricht 
seine  Gläser  und  demoliert  schließlich  die  sämtlichen  neuen 
Dekorationen  des  Ballsaales. 

Man  muß  zugeben,  daß  die  beiden  Verfasser  dieser 
niedrigen  komischen  Parodie  die  schwächste  Seite  von  Quinault's 
Oper,  die  Darstellung  von  Roland's  Raserei,  herausge&ades 
und  mit  Erfolg  lächerlich  gemacht  haben. 

Eine  ähnliche  Handlung  weist  jene  im  Jahre  1744  er- 


')  Biet,  dram.y  111,  455:  ^Parodie  grossürement  faite.» 

*)  Hist.  dt  Vopira  com.,  II,  457. 

*)  Beide  waren  Schampieler  am  italienischen  Theater  zu  Paris. 
Eine  ausführliche  Liste  ihrer  zum  Teil  nicht  gedruckten  Theaterstücke 
(meist  Einakter)  findet  sich  bei  Beanchamps,  Becherches,  3.  Teil, 
S.  130  ff. ;  über  Bomagnesi,  der  gewöhnlich  den  Schweizer,  den  Deutschen 
oder  den  Betrunkenen  [sic.^  spielte,  siehe  Vapereau,  Dict.  univ.,  8. 1755: 
eine  Liste  seiner  Werke  findet  sich  auch  6ciQn6rard,  La  ^.  litt.  Till, 
131,  wo  mehr  als  20  Stücke  dieses  Autors  erwähnt  werden. 

♦)  iVao/i  Beauchamps,  Eech.,  3.  Teil,  8. 133  wurde  es  am  31.  Bez. 
1727  aufgeführt;  ebenso  Maupoint,  Bibl.  d.  Th.  fr.,  S.  JS32;  La 
Porte  et  Chamfort,  Dict,  Bd.  I,  126  u.  III,  66. 


—     191     — 

schieDene  Parodie  auf,  welche  Panard^)  und  Sticotti') 
zu  VerfasseTii  hat  und  die  unter  dem  Titel  Roland  bekannt 
»t*)  Wie  bei  Dominique,  so  hat  auch  hier  die  listige  An- 
gelika den  aufdringlichen  Roland  zu  einem  Stelldichein  be- 
stellt, und  zwar  diesmal  zum  Jahrmarkt  von  Saint-Germain. 
Vergebens  sucht  Astolf,  sein  Freund,  ihn  über  die  Unta*eue 
seiner  Angebeteten  zu  trösten.  Als  Roland  auf  einem  Brette 
die  Namen  von  Angelika  und  Medor  liest  und  von  einem 
erben  vortiberziebenden  iHochzeitszuge  die  Flucht  der  beiden 
Liebenden  erfährt,  da  fällt  er  in  Raserei  und  zerschlägt  die 
Dekorationen  des  Theatersaales  von  Saint- Germain.  Wir 
zitieren,  um  eine  Probe  von  dem  Stücke  zu  geben,  die  Scblufi- 
verae  in  der  letzten  (8.)  Szene: 

Rol.  seul :  .  .  .  Air :  Les  Trembleurs  (bei  Quinault) : 

tJ^ay  donc  dicouverl  leur  irame: 

Uingrate  trahit  ma  flamme, 

Cc  trait  dechire  man  dme. 

Dans  quel  etat  je  me  vois ! 

Que  tout  senie  id  ma  rage: 

Faisofis  un  affrevx  ravage 

Durandal,  sers  mon  eourage, 

AUons  abaitre  du  bois.^ 

*)  P&nard,  mehr  bdcannt  als  Dichter  von  Trink-  und  GesedsehafU- 
liedern,  schrieb  etliche  80  ThcaicrntOdte  {%.  Qu^rard,  La  Fr.  litt., 
Bd,  TT,  581;  Vaperean,  Diet.,  S.  1529);  Didot  {Biogr.gln.  XXXIX, 
125)  schätzt  die  Zahl  derselben  sogar  auf  mehr  als  achtzig,  La  Harpe, 
Cours  de  litt  II,  446,  nennt  Panard^s  theatralische  Erzeugnisse  wertlos 
und  bettreitet  ihm  den  von  Marmontel  gegebenen  Titel  *Le  La  Fontaine 
du  Vaudevitle.*  Ebenso  ungünstig  lauten  die  Urteile  von  Desessart 
(Bibl.  d^un  komme  de  goüt  F,  166)  und  in  Michaud's  {Biogr.  univ., 
XXXII,  61);  nach  der  Kritik  des  letzUn  Werkes  sind  die  Stücke 
Panard^s  arm  an  Erfindung  und  dramatischer  Wirkung.  Dagegen  wird 
Panard  t?on  Lenient  {La  Com.,  II,  1711172)  gelobt  und  als  Schöpfer  des 
'vaudeüille  moral»  bezeichnet. 

*)  Nach  Des  BoulmierB  {Eist  de  Vop.  com.,  Bd.  11,432)  wissen 
wir  von  diesem  Autor  nur,  daß  er  Schauspieler  am  „neuen  italienischen 
Theater''  zu  Paris  war  und  mit  Fagan,  Panard  und  Dominique  eine 
Anzahl  von  Parodien  und  VaudeviUes  schrieb. 

»)  Nach  LeriB,  Dict.,  S.  292,  wurde  der  „Roland''  am  20.  Januar 
1744  aufgeführt.    Ebenso  La  Porte  et  Chamfort,  Dict.  III,  71. 


—     192    — 

Mit  diesen  Worten  beginnt  er  sein  Zerstörungswerk.  ^) 
Von  einem  dauernden,  künstlerischen  Erfolge  kann  bei 
diesen  Parodien  natürlich  nicht  gesprochen  werden.  Sie  wurden 
für  den  Augenblick  geschaffen!  einzig  zu  dem  Zwecke,  die 
Lachmuskeln  des  Theaterpublikums  für  eine  Stunde  lang  zu 
reizen,  und  sie  verschwanden  schon  nach  einigen  Aufführungen 
für  immer  von  der  Bühne.. 

Die  große  Beliebtheit  der  Quinault'schen  Oper  yeran- 
laßte  den  gewaltigen  Nebenbuhler  Glucks  Piccini,  sich  eben- 
falls an  die  Tonsetzung  dieses  Stoffes  zu  machen.  Mar- 
montel,  der  yielgewandte  Schöngeist  der  zweiten  Hälfte  des 
18.  Jahrhunderts,  sollte  zu  diesem  Zwecke  den  Text  Quinault's 
an  einzelnen  Stellen  umarbeiten.^)  So  verschwindet  denn  der 
Prolog  aus  dem  Stücke,  die  Szene,  in  der  Roland's  Raserei 
ausbricht  (IV,  4),  wird  wesentlich  verkürzt,  die  allegorischen 
Gestalten  in  der  letzten  Szene  der  Oper  bleiben  ebenfalls 
weg.  Im  großen  und  ganzen  ist  der  Text  und  die  Inszenie- 
rung einfacher  geworden  und  nähert  sich  mehr  der  klassi- 
zistischen Tragödie  Racine's.  Trotzdem  scheint  der  Stoff 
noch  zu  romantisch  für  die  vornehm  einfache  Musik  Piccini's ') 
gewesen  zu  sein.    Wenigstens  sagt  La  Harpe,  der  im  übrigen 


^)  Leria,  Dict.  porty  S.  388  bezeichnet  als  Parodie  der  Oper  von 
Quinault  aitch  den  Einakter  Polichinelle  Gros  Jean^  der  jedoch  nicht 
gedruckt  tmirde  tmd  dessen  Verfasser  nicht  bekannt  zu  sein  scheint.  Das 
Datum  der  Auffassung  ist  bei  lAris  nicht  angegeben.  Dasselbe  sagt  der 
Verfasser  der  Anecd.  dram.,  11^  84.  —  Barbier  {Dict.  des  Ana- 
nymeSj  VII^  377)  gibt  noch  den  Titel  einer  anderen  Parodie  ^  betitelt 
Roland,  parodie  nouvelle  (Par  Bailly)  s.  l  n.  d.  8^,  48  Seiten.  Leider 
gelang  es  uns  nicht,  in  den  drei  großen  Bibliotheken  von  Paris  das 
Stück  ausfindig  zu  machen.  HöcJist  wahrscheinlich  ist  das  derselbe  Roland, 
den  d'Estree  {Rev.  d'Hist  litt.  1901,  S.  26S)  im  Auge  hat,  wmn  er 
sagt:  Arlequin  Roland  fait  son  entrSe  «d  cJteval  stir  un  äne».  Cest  le 
frhre  de  Vlle  de  la  Folie,  il  demande  un  picot  en  pUUre  pour  sa  mon- 
tiire,  mais  il  semble  etre  venu  plutöt  pour  se  quereüer  avec  sa  sceur.» 

*)  Lenient,  La.  comedie  du  18*  s.,  II,  232,  sagt,  Martnontel  sei 
bereit  gewesen,  alles  zu  machen,  Tragödien,  Opern,  Episteln, 

')  Nach  Chouquet,  Hist.  du  dr.  m.,  S.  165,  ist  der  Roland  Piccinis 
erste  Oper  mit  französischem  Texte.  Derselbe  Forscher  lobt  besonders  ver- 
schiedene Szenen,  die  Rolandes  Verzweiflung  behandeln,  und  das  Duo 
zwischen  Angelika  und  Medor. 


._     193     — 

diesen  zweiten  Roland  für  ein  Meisterwerk  des  musikalischen 
Dramas  hält  ^)y  von  der  Raserei  Roland's  im  4.  Akte  (4.  Sz.), 
sie  hätte  nur  einen  lächerlichen  Eindruck  auf  die  Zuschauer 
ausgeübt.^) 

Auch  aus  dem  19.  Jahrhundert  besitzen  wir  eine  Operette, 
deren  Titel  auf  die  Rolandepisode  in  Ariost's  Epos  Bezug 
nimmt.  Es  ist  dies  Sauvage's  Angelique  et  MidoTj  zu  der 
kein  Geringerer  als  der  Komponist  Ambroise  Thomas  die 
Musik  schrieb.  Die  Operette  wurde  zum  erstenmal  am 
10.  Mai  1843  aufgeführt,  geriet  aber  bald  in  Vergessenheit.') 
Doch  wurde  sie  durch  Druck  der  weiteren  Öffentlichkeit  zu- 
gänglich gemacht. 

Der  Inhalt  der  Operette  ist  kurz  folgender :  Ein  Theater- 
direktor will  Piccini's  Oper  Roland  aufführen,  aber  es  fehlen 
ihm  noch  die  Rollen  von  Medor  und  Roland.  Zu  denselben 
werden  zwei  Verehrer  der  Sängerin  erwählt,  welche  die  An- 
gelika zu  spielen  hat.  Schließlich  einigen  sich  die  beiden 
männlichen  Rollen  dahin,  daß  der  begünstigte  Verehrer  der 
Angelika  den  Medor,  der  abgewiesene  dagegen  den  Roland 
zu  spielen  habe. 

Wenn  auch  die  Operette  weiter  keine  Beziehungen  zum 
Ariost'schen  Epos  hat  als  einige  Namen,  so  ist  das  Stück 
immerhin  interessant  als  Beweis,  daß  auch  im  19.  Jahrhundert 
die  Gestalten  des  Ori  für.  den  Franzosen  wohlbekannte  Er- 
scheinungen waren,  und  daß  besonders  die  Roland-Episode 
eine  unvertilgbare  Popularität  erlangt  hat. 


')  Cötirs  de  litt.j  II,  dlS^  Anm.  L  Doch  ist  er  mit  dem  absoluten 
Lohtj  das  Voltaire  dem  Stücke  spendet ^  nicht  einverstanden. 

*)  Ibd.  /,  6'65.  —  Aulier  Roland  schrieb  Marmontel  die  Opern 
Amadis^  Armide,  Atys,  Isis,  Per  sie  ^  Fhaeton  utul  Thisee  {sämtliche  von 
Quinault)  um.  Von  diesen  Umarbeitungen  sagt  die  Biogr.  univ. 
XXVlIf  84:  *Les  chayigements,  ayant  fait  disparaitre  les  taches  et  non 
les  beautes  des  anciennes  po^sieSj  ont  ajoute  ä  leur  interet  et  les  ont 
surtout  rendues  susceptibles  d'admettre  toutes  les  formes  dhme  musique 
qui  semblait  devoir  nous  etre  etrangere.r>  AhnL  Didot,  Biogr,  gen., 
XXXIll  899  ff. 

»)  Clement,  Dict.  lyr.,  S.  40. 


Münchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.  XXXIY.    13 


---    194    — 


S.  Die  Isabella-Epiflode. 

Diese  Episode,  welche  bekaDntlich  den  Tod  Zerbin's  durch 
die  Hand  Mandricard's  und  das  tragische  Ende  seiner  Ge- 
liebten Isabella  durch  einen  Schwerthieb  Bodomont's  be- 
handelt, um£Etßt  im  italienischen  Epos  einen  Teil  des  24.  6e* 
sanges  (Tod  des  Zerbin  st.  46—94),  des  88.  Gesanges  (st.  95—109) 
und  des  29.  Gesanges  (Tod  Isabellens,  st.  3—31). 

Wir  haben  bereits  gesehen,  daß  Mairet  diese  Episode  in 
seinen  Boland  verflocht  und  wir  verurteilten  diese  Dramati- 
sierung zweier  Episoden  in  einer  Tragödie  aufs  schärfste. 

Lange  Zeit^)  vor  Mairet  versuchte  bereits  ein  in  der 
frz.  Literaturgeschichte  des  16.  Jahrhunderts  ziemlich  be- 
kannter Dichter,  Nicolas  de  Montreux  (auch  bekannt 
unter  dem  Namen  Olenix  du  Mont  Sacra),  diese  Episode  zu 
dramatisieren.^  Nicolas  de  Montreux,  von  dem  uns  nichts 
bekannt  ist,  als  daß  er  wegen  Beteiligung  an  den  Unruhen 
von  1601,  die  gegen  HeiQrich  IV.  gerichtet  waren,  längere 
Zeit  im  Gefäugnis  saß^),  daß  er  ferner  ein  16.  Buch  zum 


*)  Nach  Parfaict,  Hint  III^  ^78 f. ^  erschien  die  1,  Ausgabe  am 
25,  Aug.  1594;  eine  andere  Ausgabe  stammt  aus  dem  J.  1595,  das  Privileg 
vom  18,  Dezember  1594;  ferner  La  Croix,  Bibl.  II,  171;  Beau- 
champs,  Rech.,  IL  Teil,  S.  52;  La  Valliere  1,  260;  Leris.  Dict, 
dram.,  S.  195,  496:  La  Porte  et  Chamfort,  Dict,  III,  478; 
Haureau,  Hist.  du  Maine,  II,  421— 4S9;  Körting,  Gesch.  d.  frz. 
Korn.,  I,  67;  Rigal  (Thiätre  fr.  av.  la  periode  class.,  S.  114). 
Mouhy,  AbrSgi,  II,  243;  Didot,  Biogr.  gen.,  XXXVI,  397  und 
Joh.  Bolte,  Moliereiibersetzungen,  Herr.  Arch.,  Bd.  82,  S.  108,  bezeich- 
nen dagegen  irrtümlicherweise  1594  als  das  Jahr  der  Veröffentlichung 
der  yTsahella'*. 

*)  Beauchamps,  Rech.,  U,  46,  bezeichnet  Math,  de  Laval*s  clsa- 
belle»  {1576)  als  Tragödie;  Mouhy,  Abr.,  I,  270  und  Tablette»,  II,  45, 
ICO  er  LavaVs  Isahelle  eine  Fa^torale  nennt,  und  Prölsa,  Gesch.  d. 
Dramas,  IIi,  31.  Eine  vorgenommene  Prüfung  hat  uns  jedoch  gezeigt, 
daß  LavaVs  Bearbeitung  dieser  Episode  kein  Drama,  sondern  «nc  Er- 
zählung in  Stanzen  ist,  welche  die  Klagen  Isabellens  um  den  toten  Zerbin 
und  ihr  eigenes  unglückseliges  Ende  besingt. 

»)  La  Croix,  Bibl,  II,  171;  ferner  La  Vallidre,  l  c,  I,  261; 
Haureau,  Hist.  du  Maine  II,  421—439:  «..««  en  1561;  on  fnanque 


—    196    — 

Amadifl  de  Gaule,  Tier  Bücher  der  „Schäfereien  der  schönen 
Julia",  drei  Pastoralen^  ebensoviele  Tragödien  und  eine  Komödie 
schrieb.  ^)  Er  war  ein  eifriger  Verehrer  und  Nachahmer  der 
italienischen  Literatur,  besonders  der  ital.  Schäferpoesie  %  die 
er  in  seinem  Schäferroman  geradezu  sklavisch  nachahmt '). 
Die  dramatische  Bearbeitung  einer  £pisode  aus  dem  OrL  für. 
ist  daher  als  ein  Ausfluß  tou  Montreux'  Begeisterung  für  den 
italiffiQischen  Epiker  su  betrachten.  ^)  Ob  das  Stück  eine  Auf- 
führung erlebte,  ist  uns  nicht  überliefert  Doch  scheint  es 
uns  aus  zwei  Gründen  wahrscheinlich :  erstens  wissen  wir,  daB 
ein  anderes  Stück  Montreux',  die  Komödie  La  Joyeuse  1661 
in  Poitiers  gespielt  wurde  %  und  zweitens  hatte  das  Stück  im 
Ausgange  des  16.  und  Anfange  des  17.  Jahrh.  eine  solche  Be- 
rühmtheit erlangt,  daß  es  1607  sogar  ins  Deutsche  übersetzt 
wurde.  ^)  Allerdings  wird  uns  eine  nähere  Untersuchung  des 
Stückes  zeigen,  daß  es  nichts  weniger  als  dramatisch  ist. 

Wir  geben  zunächst  eine  Inhaltsangabe  der  Isabeüa. 

Akt  I  ^) :  In  einem  mehrere  Seiten  umfassenden  Monologe 
gibt  sich  der  Geist  Zeobin's  (sie !)  den  Zuschauem  zu  erkennen, 
erzählt  Ton  seiner  Liebe  zu  Isabella,  von  seinem  tragischen 
Ende,  und  hofft,  mit  seiner  Geliebten  nach  deren  Tode  in  der 


de  remeigmments  8ur  m  vie^';  Nouv.  Biogr.  gen.  XXXVT,  397 f,;  Holl, 
Tendenzdrama,  S.  208. 

')  Nouv.  Biogr.,  36,  397. 

«)  flaureau,  l.  c,  433:  *ll  semble  priferer  VÄrioste  ä  Virgile, 
Sannazar  ä  Theocrite,  et  Garnier  ä  Sophocle.» 

*)  Körting,  Oeach.  des  frz.  Rom.,  I,  67. 

*)  La  Croix  du  Maine,  l.  c,  II,  171,  glaubt  sogar,  Montreux 
habe  eine  ^Sitite  de  VArioete»  {soll  wohl  heiften  du  Roland  furieux)  gt- 
nchrieben,  worin  die  Taten  der  Bourbonen  besungen  werden;  doch  sei 
das  ^yerk  nicht  gedruckt  worden. 

*)  Rigal ,  Irc  Theätre  frani\,  S.  114;  h&nson,  La  trag,  class.  {Rev. 
de  VHist.  litt.  1903,  S.  207);  Faguet,  Trag,  fr.,  6.  315,  behauptet,  dap 
auch  die  Tragödie  Cleopätre  1594  aufgeführt  wurde;  da  jedoch  Faguet 
sich  auf  d/is  unzuverlässige  Journal  du  Th.  fr.  stützt,  ist  die  Richtigkeit 
dieser  Behauptung  zu  bezweifeln. 

•)  Näheres  darüber:  J.  holte,  Moliereübersetzungen  in  Deutschland 
{Herr.  Arch.,  LXXXIL  lOS)  und  Trautmann,  Frz.  Schausp.  {JaJir- 
buch  f  Miinch.  Gesch.  IL  294). 

')  Das  Stück  ist  ohne  Szeneneinteilung  und  Verszählung. 

16* 


—     196     — 

Unterwelt  weiterzuleben;  weiß  er  doch,  daß  Isabelle  bald  ihre 
Treue  mit  dem  Tode  büßen  muß,  den  sie  von  Rodomont's 
Hand  erleiden  wird.  Nachdem  Zeobin's  Geist  wieder  Ter- 
schwunden  ist,  erscheint  Rodomont,  und  prahlt  mit  seinen 
Heldentaten  vor  Paris;  seinem  Vertrauten  Sicambras  teilt  er 
mit,  daß  er  in  Isabellen  verliebt  sei  und  daß  er  dieselbe,  falls 
sie  nicht  freiwillig  ihm  folge,  mit  Gewalt  sich  erobern  würde. 
Vergebens  stellt  ihm  Sicambras  vor,  daß  Liebe  sich  nicht  er- 
zwingen lasse,  vergebens  mahnt  er  den  Helden  an  seine  Hitter- 
pflicht.  Das  Gespräch  über  diesen  Gegenstand  wird  mehrere 
Seiten  lang  zwischen  den  beiden  weitergeführt.  Ein  Chor 
verherrlicht  zum  Schlüsse  die  Macht  der  Liebe,  der  Keusch- 
heit und  der  Treue. 

Akt  U :  Auch  dieser  Akt  wird  durch  einen  langen  Mono- 
log eröffnet,  in  dem  Isabelle  den  Tod  ihres  Zeobin's  erzählt 
und  den  Entschluß  äußert,  sich  das  Leben  nehmen  zu  wollen. 
Fleurdelys,  ihre  Vertraute,  sucht  sie  in  einem  langen  Zwie- 
gespräche davon  abzubringen,  worauf  der  Chor  mit  einer  aber- 
maligen Verherrlichung  der  Liebe  und  Treue  schließt. 

Akt  III :  Renault,  der  so  unglücklich  in  die  leichtsinnige 
Angelika  verliebt  war,  jetzt  aber  vollständig  von  seiner  Liebe 
geheilt  ist,  teilt  uns  die  ganze  Geschichte  dieser  Leidenschaft 
mit,  während  firandimart,  Renault's  Freund  und  Fleurdelys' 
Verehrer,  das  Schicksal  Roland's,  besonders  den  Ausbruch 
seiner  Raserei  erzählt,  worauf  zwischen  den  beiden  ein  langer 
Dialog  über  die  Frage  geführt  wird,  ob  die  Liebe  glücklich 
oder  unglücklich  mache.  Zum  Schlüsse  kommt  Isabelle  auf 
die  Bühne  und  schildert  zum  zweitenmal  in  einem  langen 
Einzelgespräch  den  Tod  Zeobin's.  Wie  die  folgenden,  so 
wird  auch  dieser  Akt  durch  einen  Chorgesang  beendet. 

Akt  IV:  Rodomont,  de  fils  des  Titanes>,  beschließt,  nach- 
dem er  sich  mit  Sicambras  noch  einmal  beraten  hat,  IsabeUa 
in  seine  Gewalt  zu  bringen,  weil  er  ein  Verbrechen  aus  Liebe 
für  statthaft  hält.  Gleich  darauf  trägt  er  seine  Bewerbungen 
Isabellen  vor,  die  zuerst  mit  Bitten  den  immer  zudringlicher 
werdenden  Freier  abzuwehren  versucht,  dann  aber  ihre  Zu- 
flucht zu  einer  List  nimmt.  Sie  erzählt  Rodomont  von  wunder- 
baren Kräutern,   die  den  Körper  unverwundbar  machen,  und 


—     197     — 

lädt  ihn  ein,   sie  mit  ihr  zu  pflücken.     Rodomont  leistet  der 
Einladung  Folge. 

Akt  V:  Fleurdelys  erfahrt  durch  den  langen  Bericht 
eines  Boten  die  Einzelheiten  des  Todes  ihrer  Herrin  nnd 
bricht  darauf  in  endlose  Klagen  aus,  mit  denen  die  Tragödie 
schließt. 

Von  einer  Handlung  in  der  Isabella  können  wir,  streng 
genommen,  nicht  sprechen.  Monologe  und  Dialoge  wechseln 
miteinander  ab;  nirgends  ist  das  Auftreten  einer  Person  moti- 
viert, nirgends  der  Umschlag  einer  Gesinnung  dargestellt. 
Alles  ist  Erzählung,  und,  was  noch  schlimmer  ist,  die  Er- 
zählungen wiederholen  sich ;  so  wird  Zeobin's  Tod  nicht  weniger 
als  dreimal  geschildert  (Akt  I  von  Zeobin's  Geist,  Akt  II  von 
Isabelle,  Akt  V  vom  Boten). 

Diese  Schilderung  und  der  Bericht  über  Isabellens  Tod 
sind  die  einzigen  größeren  Entlehnungen  aus  der  entsprechen- 
den Episode  des  OL  für.  Ferner  geht  Rodomont's  Meinung 
(Akt  IV,  S.  66),  ein  Verbrechen  aus  Liebe  sei  statthaft,  auf 
Ariost  zurück,  der  {OrL  fur.^  C.  XXIV,  38)  sagt: 
€E  faeümente  ogni  srusa  s^ammette, 
Quando  in  Amor  Ja  colpa  si  riflefte.^  , 

Weder  Rodomont's  Prahlereien,  noch  sein  Zwiegespräch 
mit  dem  im  Epos  überhaupt  nicht  erwähnten  Sicambras,  noch 
Renault's,  ßrandimart's  und  Fleurdelys'  Auftreten  sind  vom 
französischen  Dichter  aus  der  italienischen  Quelle  entlehnt. 
Benault  steht  bei  Ariost  ebensowenig  in  Verbindung  mit  der 
Isabella-Episode  wie  das  rührende  Liebespaar  Brandimart  und 
Fleurdelys  (cf.  Orl.  fiir.,  C.  XLI,  st.  101  u.  C.  XLIII,  st. 
154  ff.).  Eigentümlich  ist  das  Erscheinen  von  Zeobin's 
Geist  am  Anfange  des  Stückes ;  vielleicht  gehen  wir  nicht  irre, 
wenn  wir  die  Einführung  des  Geistes  durch  Montreux  als  eine 
Reminiszenz  seiner  Ariostlektüre  betrachten,  wo  gleich  im  1. 
Gesänge  (st.  25)  der  Geist  Argaglia's  aus  dem  Flusse  auf- 
taucht. Vielleicht  auch  fand  Montreux  das  Vorbild  der 
<Ontbrej>  in  Garnier 's  Ilippohjie,  einem  Stücke,  welches  mit  dem 
Auftreten  des  Geistes  von  Egee  beginnt.  Der  Botenbericht 
am   Schlüsse   der   Tragödie  ist  eine   Nachahmung  Gamier's, 


—    198    — 

bei  dem  solche  Berichte,  ebenso  wie  bei  Montreoz,  die  dra- 
matische Handlung  ersetzen.^) 

Von  den  auftretenden  Personen  interessiert  uns  nur  !Bodo- 
mont,  insofern  er  hier  zum  erstenmal  in  einer  aus  Ariost 
entlehnten  Tragödie  auftritt  ^)  Offenbar  schwebte  dem  Dichter 
der  Rodomont  der  Komödie  vor,  da  der  Rodomont  des  Ariost, 
wie  wir  bereits  bemerkt  haben,  keineswegs  der  Prahlhans  und 
Weiberfreund  ist,  wie  ihn  Montreux  darstellt. 

Die  Schilderung  seiner  Heldentaten  ist  voll  Ton  Über- 
treibungen; er  hält  sich  für  einen  Nachkommen  der  Titanen 
(Akt  IV,  S.  60);  keiner  der  Paladine  des  großen  Karl  ist 
ihm  gewachsen.  Um  Isabellens  Liebe  zu  gewinnen,  lügt  er 
ihr  vor,  daß  zahllose  Könige  imd  Fürsten  ihm  Untertan  seien : 
tCent  Roys  ä  me  seiinr  et  ndüe  riches  IMnees 
Me  venant  faire  ioug  et  offrir  leurs  provmces,^ 

(Akt  IV,  S.  67). 
Als  dann  Isabella  sich  trotzdem  ablehnend  gegen   ihn 
verhält,  sagt  er  ganz  erstaunt: 

tMaia  eelle  ne  doü  pas  penser  estre  en  malheur 
Qui  tieni  de  Rodomont  esclave  la  valeur 
Qui  cmnmande  sur  luy  comme  vous  Isabelle,* 

(Akt  IV,  S.  67). 
Alle  Frauen,  selbst  die  Göttinnen,  begehren,  wie  er  sich 
rühmt,  seine  Liebe: 

€Car  quand  bien  amoureux  de  la  fiere  Palhsy 
De  JunoTiy  de  Venus,  et  Dianey  la  helle, 
Chacune  paroistroit  ä  mes  desirs  eruelle  ? 
Rodomont  peut  assex  pour  en  despit  des  Dieux 
Ravir  d'elles  le  hien  dont  il  est  ennuyeux  {eniHeuj' ?),> 

(Akt  1,  S.  13.) 
Dagegen  vermissen  wir  eine  Hauptschwäche  Rodomont's, 
die  bei  Ariost  (0.  f.,  C.  XXIX,  20-23)  so  prächtig  geschildert 
ist,   nämlich  die  allzu  große  Liebe  dieses  Mohamedaners  für 
.den  Wein. 

^)  Vgl.  Morf,   Gesch.,   S.  213;  Suchier  u.   Birch-Hirschf.. 
Gesch.,  S.  359. 

■)  BtkMter' s  Bodomontade  fällt  erst  in  das  Jahr  1605;  s.  ob,  S.  13t 


—     199    — 

Einige  Stellen  in  Montreux'  Tragödie  sind  nahezu  Über- 
eetsongen  des  Originals,  nur  daß  der  franzosische  Dichter 
alles  mit  größerer  Ansfllhrlichkeit  und  Schwerf&Uigkeit  wieder- 
gibt So  sagt  Rodomont  zu  dem  Vorschlage  Isabeliens,  die 
Wunderkräuter  zu  suchen: 

cJe  le  veuXf  il  nie  piaist,  ensemhhmmt  allons 
Chercher  toiäes  ces  fleurs  au'^kssmis  des  Vdlbjis^ 
Allons  enseniblement  sur  les  costeanx  süperbes 
Ces  racmes  eueiüir  et  af nasser  ees  herbes,* 

(Akt  IV,  S.  80.) 

Man  vergleiche  damit  Orl.  für.,  C.  XXIX,  st.  19: 
^Ella  per  balxe  e  per  valloni  oscuri 
Dalle  cittä  lontana  e  dalle  vüle 
Ricoglie  di  molf  erbe;  e  il  Saracino 
Non  Pabbandona,  e  Fe  sempre  vieiru).^ 

Im  nämlichen  Akte  finden  sich  folgende  Worte  Isabellens : 
tJe  veux  bien  lous  aymer,  hien  qu'en  ayez  pmivoir 
Plus  belle  que  je  suis,  mitte  beantez  aioir 
Mais  je  vous  veiix  avani  une  recepte  apprtndre,^ 

(Akt  IV,  S.  82.) 

Die  entsprechende  Stelle  bei  Ariost  (O.  f.,  G.  XXIX, 
at  14)  lautet: 

^Polrete  iuttavia  ritrovar  cenlo 

E  miile  donne  di  viso  giooondo: 

Ma  cht  vi  possa  dar  questo  mic  dono, 

Nessuno  aH  mondo,  o  poeki  aUri  ci  sono,> 

Eine  weitere  Nachahmung  findet  sich  noch  im  5.  Akte, 
wo  es  heißt: 

4LDecouvre  son  beau  col,  monsire  son  chaste  sein, 

Dit  au  More  cruel:  Or  mainienant  espreuve, 

Si  rien  phis  dur  que  moy  ä  ton  avis  se  treuve.i^ 

(Akt  V,  S.  98.) 

Ahnlich  hieß  es  schon  im  Orl.  für.,   C.  XXIX,  st  26: 
^Baffnossi,  conie  disse,  e  lieta  porse 
AW  incauto  Pagano  il  collo  ignudo.9 


—     200    — 

Man  vergleiche  hier  die  wirkuDgavolle  Kürze  bei  Ariost 
gegenüber  der  Schwerfälligkeit  der  Montreuz'schen  Schilderang! 
Endlich  gehört  noch  eine  andere  Stelle  in  demselben  Akte 
(S.  99)  hierher:  • 

tRodomont  enyvre  tire  son  fer  alors, 

En  frappe  sur  le  col  qu^ü  separe  du  corps 

De  la  chaste  Isabeüe,  et  mourani  vincrable 

Pronon^  son  Zeobin  (sie!)  (tww  vaix  lamentable,^ 

Fast  geradeso  lautet  die  betreffende  Stelle  im  Original 
(Orl,  für,,  C.  XXIX,  St.  25,  26): 

<.  .  .  c  scorse 
Si  coüa  rnano  et  si  col  ferro  crtido. 
Che  del  bei  capo,  giä  d'Amore  albergo, 
Fe  tronco  rimamre  il  petto  e  ü  tergo. 

Quel  fe  tre  balzi;  e  funne  udiia  chiara 
VocCf  cWiLscendo  nominö  Zerbino.^ 

Sollen  wir  ein  Gesamturteil  über  habelle  fallen,  so  kann 
dies  nur  ein  in  jeder  Beziehung  ungünstiges  sein.  Mon- 
treux hat  in  diesem  Stücke  bewiesen,  daß  ihm  alles  Zeug  zu 
einem  Dramatiker  fehlt,  daß  er  keine  Ahnung  von  drama- 
tischer Handlung,  von  Entwicklung  oder  von  der  Zeich- 
nung von  Charakteren  hat.  Jeder  der  Akte  beginnt  mit  einem 
oder  zwei  langen  Monologen,  geht  dann  über  auf  ein  langes 
Zwiegespräch  und  endet  wiederum  mit  einem  Monologe.  Am 
glücklichsten  ist  er  immer  noch  da,  wo  er  sich  an  seine 
Quelle  hält. 

Es  kann  uns  daher  nicht  wundernehmen,  wenn  die  Kri- 
tiken über  Montreux  und  speziell  über  seine  Isabeüe  gerade 
nicht  voll  des  Lobes  sind. 

Die  Brüder  Parfaict^)  bezeichnen  die  dramatischen  Lei- 
stungen Montreux'  als  ungenießbar,  von  seiner  Isabelle  ^  sagen 


*)  Eist,  du  Th.  fr.  11 T,  479:  *A  notre  Igard,  trop  contens  de  la 
lecture  de  ses  Foemes  Draniatiques,  nous  nowi  promett&ns  bien  de  n'y 
jamais  retonrner.* 

*)  Ibd.^  8.  496:  •VAuteur  n^a  fait  que  mettre  ce  sujct  en  «wm- 
vois  vers  Franrois  et  lui  donner  nne  forme  Dramatique  ä  la  fnanUrt 
de  son  tems  . ,  .* 


—    201     — 

sie  nur,  daß  der  Dichter  den  bei  Ariost  vorgefandenen  Stoff 
in  schlechte  französische  Verse  gebracht  und  nach  Art  der 
Zeit  dramatisiert  habe.  Nach  Goujet  sind  der  Stil  und  die 
Ausdrucksweise  unseres  Stückes  sehr  hart,  die  Verse  dagegen 
unter  der  Mittehnäßigkeit.^)  Mouhy  nennt  das  Stück  schlecht 
und  tadelt  besonders  den  Versbau.^)  Haur6au  meint,  die 
Isabelle  sei  einfach  eine  Paraphrasierung  der  Ariost'scher. 
Episode,  die  aus  einer  Reihe  von  Reden  bestehe  und  deren 
größter  Fehler  sei,  daß  sie  äußerst  langweilig  wirke.  ^)  Gün- 
stiger ist  die  Eoitik  über  unseren  Dichter  in  der  Nour,  Biogr. 
gin,*)j  welche  die  warme  Sprache  und  die  stellenweise  sehr 
schönen  Verse  des  Stückes  besonders  hervorhebt.  Faguet, 
•nach  welchem  Montreux  ein  Schüler  Gamier's  ist,  bezeichnet 
dessen  Tragödie  als  zu  langweilig  und  als  veraltet  für  ihre 
Zeit;  die  Isabelle  nennt  er  nach  dem  Journal  du  Th.  fr. 
tromapiesque  et  bixarre,:»  ^) 

Die  Grande  Encyclopedie  charakterisiert  Montreux'  Stücke 
als  „ungleichwertig,  meist  mittelmäßig",  schweigt  aber  über  die 
Isabelle. ^)  Rigal  endlich  scheint  dieselbe  überhaupt  nicht  zu 
den  regelrechten  Tragödien*  rechnen  zu  wollen  "^j  denn  er  sagt 
von  ihr:  <iAvec  son  appariiion  d'ornbre  ati  dvhut  ei,  d  la  fin,  son 
suicide  heraique  raconU  par  un  messager,  eile  a  la  prdtention  d'etre 
une  tragedie  regulieren, ^) 


»)  Bihl  fr.,  Bd.  XV,  104. 

')  Tabletten,  S.  134:  *niauüaise  et  nial  versifiee*. 

'j  Hist  du  Maine,  S.  424:  *La  tragedie  de  Montr.  est  simplement 
une  Paraphrase  du  recit  de  VAHosie  et  toute  rette  paraphrase  consiste  en 
de  longs  diseours  ricites  successivenunt  par  Vonibre  de  Zeobin,  par  Ro- 
domont,  par  Sicanibras,  son  ecuyer,  par  Isabelle,  par  Fleurdelys,  par 
Brandimart  et  par  le  preux  Renaud  etc.» 

*)  Nouv.  Biogr.  gen.,  XXX  VI,  397, 

^)  La  Trag,  fr.,  S.  315:  ^Montreux  est  en  retard  sur  son  temps.* 
Fag.  erklärt,  ein  Exemplar  der  Isabelle  nicht  gefunden  zu  haben,  und  beruft 
»ich  desJialb  auf  das  Journal  du  Th.  fr. 

«)  Bd.  24,  278. 

')  Le  thlatre  de  la  Ren.,  in:  JulleviUe,  III,  315. 

*)  Alex.  Hardy,  von  dem  bekanntlich  12  Stücke  nur  dem  Titel  nach 
durch  das  Stück  MaheloVs  {s,  darüber  Rigal,  A.  Hardy,  8. 72 u.  176 u.  bes. 
Rigal,  Le  Th.  fr.  avant  Corneille,  S.  310  ff.,  wo  das  *  Memoire»  von  Mahelot 
genau  beschrieben  ist)  erhalten  sind,  schrieb  auch  eine  Tragödie  »La  folie 


—     202    — 

Aufier  Montreux'  IsäbeUe  besitzen  wir  noch  eine  zweite 
Tragödie,  in  welcher  die  Isabella-Episode  behandelt  wird, 
welche  jedoch,  wie  aus  dem  Titel  derselben  herrorgeht,  Zerbin's 
Abenteuer  mit  seinen  treulosen  Freunden  Choret  und  Odoric 
(Orl.  für.,  C.  XVIU)  umfaBt.  ^)  Da  ein  Verfasser  Ton  den 
Forschem^),  die  das  Stück  erwähnen,  nieht  angegeben  ist, 
sind  wir  auf  Vermutungeo  angewiesen,  oder  müssen  auf  eine 
Lösung  der  Yerfasserfrage  yerzicbten.  Unseres  Erachtens 
käme  in  erster  Linie  Cfa.  Bauter  in  Betracht,  der  ja,  wie  wir 
bereits  sagten,  außer  den  beiden  schon  erwähnten  Tragödien 
noch  andere  ähnliche,  uns  aber  nicht  bekannte  Stücke  schrieb ') ; 
als  zweiter  vermutlicher  Verfasser  wäre  Coignee  de  Bourron 
zu  nennen,  der  7  Jahre  früher  auch  die  Rolandepisode  dra-. 
matisch  behandelt  hatte.  Da  es  uns  bisher  nicht  möglich 
war,  das  Stück  in  einer  der  Pariser  Bibliotheken  auafind^  za 
machen,  können  wir  unsere  Hypothesen  nicht  näher  begründen. 
Wir  möchten  nur  darauf  hinweisen,  daß  Bourron's  Stücke 


dysabeüe»  (=  La  folie  d'IsabeUe),  von  der  La  Valli^re  {Bibl  l  551) 
sagt,  $%€  scheine  dem  Ariost  entlehnt  zu -sein.  Doch  läßt  die  dem  Stücke 
hinziigefiigte  Bühnenweisung  Mahelofs  einigen  Zweifel  über  die  Richtig- 
keit von  La  Vaüth-e^s  Vermutung  erstehen.  Denn  jener  sagt  in  der 
Bühnenweisung  u.  a.:  »11  faut  que  le  thiätre  sott  beau,  et  ä  nn  des 
cötes  une  belle  chambre  ou  il  y  ait  un  beau  lit,  des  si^es  pour  s^asseoir. 
La  dite  chambre  s'ouvi-e  et  se  ferme  plusieurs  fois.  Vous  la  pouvti 
mettre  au  milieu  du  theatre,  si  vous  voulez.»  Diese  Angabe  des  Schau- 
platzes würde  absolut  nicht  stimmen  zur  Isabeüaepisode  bei  Ariost.  Auch 
eine  Tragödie,  in  welcher  Renault  eine  bedeutende  RoÜe  spidt,  scheint 
Hardy  geschrid>en  xu  haben  {siehe  Ki^s^X^  AI,  Hardy,  S.72);  Steng^el 
{Neudruck  des  AI.  Hardy,  S.  IV)  meinte  dieselbe  sei  identisch  mit  dem 
wm  uns  bereits  erwähnten  Stücke  La  mort  de  Bradamante  (1622;  siehe 
Farfaict,  Hist.  IV,  365  u.  La  Vall.  /,  549);  doch  spidt  RenauU 
in  dieser  Tragödie  eine  so  untergeordnete  Roüe,  daß  tctr  Steng^s  Ver- 
mutung zurückweisen  müssen.  Weitere  Untersuchungen  sind  hierüber 
noch  nicht  angestellt 

^]  Les  Amours  de  Zerbin  et  d'Isabdky  princesse  fugitvoe,  ok  il  est 
remarqui  les  pSrils  et  grandes  fortunes  passies  par  ledit  Zerbin,  recher- 
chant  son  Isabelle  par  le  monde,  et  comme  il  est  ddivri  de  la  mort  par 
Roland.    Troyes.  1621.  8^, 

»)  Beauch.,  Rech.,  2.  TeU,  S.  92;  La  Vallidre,  BtW.  /,  5^; 
Mouhy,  Abr^i  /,  50L 

>)  Vgl.  auch  Beauch,,  l  c,  S.  72. 


—    203    — 

Angeüque  et  Medor  und  der  anonjmen  Tragödie  ein  auffällig 
langer  Titel  gemeineam  ist,  wie  ihn  andere  zeitgettosaieche 
Stücke  nicht  an&uweiaen  haben. 

Eine  Inhaltsangabe  der  Tragödie  findet  sich  bei  La 
Vallidre.^)  Das  Stück  ist  außerdem  bei  Beauchamps^  und 
Mouhy')  erwähnt,  welch'  letzterer  es  zu  seiner  Zeit  sdion  zu 
den  tPiices  Anonymes  et  Tris  dif fidles  ä  irouver>  zählt. 


4.    Die  Ginevra-Episade.  ^) 

Diese  Episode  gehört  zu  den  in  Frankreich  am  meisten 
gelesenen.  Schon  Mellin  de  Saint-Gelais  und  Desportes  ver- 
suchten sie  in  ihrer  Muttersprache  nachzuerzählen;  auch  in 
England  war  sie,  wie  wir  gesehen  haben,  schon  frühzeitig  be- 
kannt, und  beliebt,  wohl  deshalb,  weil  der  Schauplatz  derselben 
Schottland  ist.  Die  Episode  umfaßt  im  italienischen  Epos 
drei  Gesänge  (C.  IV,  st.  56—72,  C.  V  ganz,  C.  VI,  st.  2—16). 

Von  allen  Episoden  des  Orl.  für.  wird  die  Geschichte 
der  unglücklichen  schottischen  Königstochter  zuerst  dramatisch 
behandelt. 

Am  Faschingsdienstag  des  Jahres  1564  ^)  nämlich  wurde 
eine  Tragikomödie  Genievre  im  Schlosse  zuFontainebleau 
vor  dem  königlichen  Hofe  aufgeführt,  wobei  die  Rollen  von 
den  einzelnen  Mitgliedern  des  Hofes  gespielt  wurden.®) 


>)  Bibl  L  536 ff.  In  dem  Bull  ital  (77,  60-6t)  gibt  Toldo 
eine  Inhaltsangabe  des  Stückes  genau  nach  La  Valliere,  ohne  jedoch 
seine  Quelle  zu  nennen.  Über  die  Verfasserfrage  äußert  er  sich  nicht, 
wie  es  überhaupt  dem  ganzeri  Artikel  an  Crründliehkeit  mangelt. 

•)  Rech.,  2.  Teil,  S.  92. 

»)  Abr^e  /,  501. 

*)  Über  die  Quelle  ders.  (Bandello,  Novelle.  I»  parte,  nov,  22)  sieht 
Jtajna,  Le  fonti  deW  Orl.  /".,  8.  128ff. 

*)  M  adele  ine,  Foetes  fr.  ä  FontaineUeau,  S.  359  und  Lanson, 
Les  orig.  de  la  trag,  class.  {Rev.  d'Hist  litt.  1903.  Z,  418). 

*)  Nach  Brantome's  Erzählung,  die  wir  nachfolgen  lassen,  getcinnt 
es  den  Anschein,  als  ob  nur  weibliche  Personen  spielten.  Doch  glauben 
wir,  daß  Brantome's  Schilderung  in  diesem  Falle  nicht  ganz  genau  ist, 
sunud  ufir  wissen,  daß  z,  B.  der  Epilog  von  Castelnau,  also  von  einem 
Manne  vorgetragen  irurde. 


—    204    — 

Das  Stück  scheint  verschollen  zu  sein;  doch  haben  wir 
einen  ziemlich  eingehenden  Bericht  des  französischen  Chronisten 
Castelnau^),  welcher  selber  an  der  Anffahmng  der  Oenievre 
tätigen  Anteil  nahm.  Dem  Lokalhistoriker  Madeleine  aus 
Eontainebleau  gebührt  das  Verdienst,  auf  das  Stück  neuer- 
dings aufmerksam  gemacht  zu  haben. 

Wir  wollen  auf  diese  merkwürdige  Aufführung  näher  ein- 
gehen und  Madeleine's  Bericht  darüber  durch  Hinzuziehung 
neuer  Quellen  ergänzen. 

Außer  von  Castelnau  wird  nämlich  unsere  Tragödie  auch 
von  Brant6me-)in  den  Dames  iüiistres  erwähnt,  wobei  er  die 
Vorliebe  Katharina's  von  Medici,  der  damaligen  französischen 
Königin,  für  Turniere  und  andere  Arten  von  Waffenspielen 
hervorhebt  und  erzählt,  wie  „eine  Komödie  von  der  schönen 
Ginevra  aus  Ariost"  von  aimadame  (VÄngouleme  et  par  ses  plus 
fionnestes  et  heiles  princesses  et  dames  ei  fUles  de  sa  caur»  so  vor- 
trefflich, wie  noch  keine  andere  aufgeführt  wurde.*)  Dan 
Michel  erwähnt  die  Aufführung  einer  Komödie  am  Abend 
des  Faschingssonntags,  so  daß  wir  es  hier  entweder  mit 
einer  kleinen  Zeitverwechslung  zu  tun  haben,  oder  wir  müßten 
annehmen,  Dan  spreche  von  einem  anderen  Stücke.^) 

Aus  der  Korrespondenz  der  Königin  selbst  geht  hervor, 
daß  sie  Anfangs  Februar  1564  in  Fontainebleau  war,  wo  sie 
ihren  Gemahl  erwartete,  doch  erwähnt  sie  sonderbarerweise 
nichts  von  den  Festlichkeiten.'^) 

Auch  Castelnau  nennt  den  Titel  unseres  Stückes  nicht, 
sondern  berichtet®)  nur  über  den  Epilog,  den  er  „nach  der 
Komödie,  die  von  einem  jeden  bewundert  wurde",  vorzutragen 
hatte  und  dessen  Verfasser  kein  Geringerer  war  als  Kons ard. 


^)  Memoires  sur  les  regnes  de  Fran^ois  II y  Charles  IX,  Henri  ITl, 
et  de  Catherine  de  Medicis.  F.  1621,  4^  S.  2S4ff, 

'^)  (Euvres  de  Br.  {Ausg.  Lalayme,  II,  346). 

*)  Ihd.,  S.  S47:  « Vnt  comedie  sur  le  sujet  de  la  belle  Gefievre  de 
VArioste.» 

* )  Le  Tresor  des  M&rv^eiUes  de  Ui  Maison  royale  de  Fontainebleau,  S.  5S. 

^)  Lettres  de  Cath.  d.  Medicis,  Bd.  II,  145  {in  der  Sammlung  der 
Dovuments  inedits  de  VHist.  de  France). 

"^j  MemoireSy  S.  234:  »Et  apres  la  Comedie  qui  fut  admiree  d'un 
chascun  ...» 


—    205     — 

In  seinem  Boccage  Royal  spielt  Ronsard  sogar  auf  die 
Genieire  an,  als  er  sich  an  Katharina  von  Medici  wendet  und 
die  Erinnerung  an  die  Fontainebleauer  Festlichkeiten  auf- 
frischt; die  betreflfenden  Verse  lauten*): 

iiQuaml  voirrons-nous  sur  le  haut  d^une  scene 

()uelque  Janni  ayant  la  joue  pleim 

Ou  de  farine  ou  dienere  qui  dira 

Quelque  hon  mot  qui  raus  rejouira  r' 

Qiiand  voinons-rwus  un  autre  Folynesse 

Tr&mpei'  Dcdinde  ?,..,> 

Ein  Kommentator  des  Boccage  Ihyal,  Pierre  de  Mar- 
cassus,  nahezu  ein  Zeitgenosse  Ronsard's,  bemerkt  zu  den 
beiden  letzten  Versen,  daß  sie  auf  ein  Stück  anspielen,  welches 
1664  zu  Fontainebleau  gespielt  wurde.  ^) 

Endlich  wird  inVauquelin's  Art  poeiique^)  ein  Stück, 
welches  die  Ginevra-Episode  behandelt,  als  Muster  einer  Tragi- 
komödie zitiert: 

KPuis  qu'cst  il  rien  plus  beau  qu'vn  nigreur  adoiici, 

Par  le  contraire  euent  de  la  PeHpetie'^ 

Polincsse  crogoit  la  niort  dWriodanty 

Esperant  roir  ietter  dans  vn  hrasier  ardant 

Vinnocenie  Geneure,  alors  que  jniserabk 

All  contraire  il  se  void  mmirir  comme  coujjable.* 

Diese  Verse  beziehen  sich  sicherlich  auf  die  in  Fontaine- 
bleau aufgeführte  Geni^vre,  es  müßte  denn  sein,  daß  später 
noch  ein  anderes,  uns  unbekanntes,  ähnliches  Stück  ver- 
öflfentlicht  wurde. 

Über  den  Verfasser  der  Genievre  sind  wir  vollständig  im 
Dunkeln.  Es  ist  indes  anzuoehmen,  daß  derselbe  in  dem 
damals  in  Fontainebleau  weilenden  Dichterkreis  zu  suchen 
ist.  Sehr  wichtig  scheint  uns  die  Tatsache,  daß  bereits  1556 
eine  französische  Bearbeitung  unserer  Episode  Ton  Claude 


')  Boccage  royal  (j).  p.  Blanchemain)  III^  S.  .HH4. 
*)  Bei  Madeleine,  l.  c,  S.  359  angeführt 

')  Les  diverses  Poesies  de    VaHfpierin   /,  SS:  im  2.  Buch  des  Art 
poitiqxie. 


—    206     — 

Taillemont  geliefert  wurde,  welche  jener  Tragödie  als 
Quelle  dienen  konnte.^)  Oder  sollte  CL  Taillemont  später 
seine  Bearbeitang  zu  einem  Drama  umgeändert  haben?  Vor- 
erst können  wir  jedoch  über  diese  Frage  keine  genügende 
Antwort  geben. 

Sind  wir  über  die  Genieire  Ton  Fontainebleau  nur  auf 
Vermutungen  angewiesen,  so  besitzen  wir  dagegen  die  Genhre 
des  Claude  Billard,  welche  dieser  Dichter  im  Jahre  1610 
veröffentlichte  und  die  noch  im  nämlichen  Jahre  über  die 
Bühne  ging.  Billard,  in  seiner  Jagend  Page  der  Her- 
zogin von  Retz,  später  ein  tatenloses  Leben  auf  seinem  Schlosse 
Courgenay  verbringend,  hinterließ  sieben  Tragödien  und  die 
Tragikomödie  Genövre,  einige  kleinere  französische  und 
lateinische  Gedichte  und  ein  religiöses  Epos,  VJßglise  triom- 
phanie,  das  jedoch  nicht  veröffentlicht  wurde. 

Wir  lassen  zunächst  eine  Inhaltsangabe  seiner  Tragi- 
komödie folgen. 

Ariodan  erzählt  in  einem  neun  Seiten  langen  Monologe,  wie 
er  von  seiner  Geliebten  Ginevra  und  dem  Herzoge  Polj-nesso 
verraten  worden  ist,  und  sein  Schmerz  hierüber  ist  so  groß, 
daß  er  sich  zu  töten  beschließt.  Nachdem  der  Chor  ein 
Klagelied  über  die  verhängnisvollen  Folgen  der  Eifersucht 
angestimmt  hat,  deutet  er  an,  daß  Ariodan  vielleicht  falsch 
gesehen  habe  und  daß  der  Verleumder  von  Ginevra's  Ehre 
bestraft  werden  würde. 

Akt  II :  Ariodan's  Bruder,  Lurquain,  verflucht  die  treu- 
lose Ginevra,  weil  sie  seinen  Bruder  in  den  Tod  getrieben 
habe ;  er  will  ihren  Frevel  blutig  rächen,  indem  er  den  König, 
Ginevra's  Vater,  zur  Anordnung  eines  ,. Gottesurteils''  drängt, 
das  die  Schuld  oder  Unschuld  des  Mädchens  ans  Tageslicht 
bringen  soll.  Der  Chor  nimmt  am  Schlüsse  des  Aktes  für 
die  Königstochter  Partei,  da  er  von  deren  Unschuld  fest 
überzeugt  ist. 


')  Le  contt  de  Vinfante  Genevre  figle  du  Roy  d^Eecosse  pris  du 
Furieiix  et  fet  Fran^oes.  —  Die  Erzählung  befit^t  sich  in  der  Tricarite 
des  CL  Taillemont^  Lyonoes,  Lyon,  J.  Temporalj  lö56j  8®.  Nur  hei  Du 
Verdierj  S.  964^  envähnt. 


—    207    —  I 

Akt  ni:  Ginevra  beweint  in  einem  fiinf  Seiten  lasgen 
Monologe  ihren  tot  geglaubten  Ariodan,  um  so  mehr,  als  sie 
den  Qmnd  seines  Selbstmordes  nicht  ahnen  kann,  worauf 
schliefilich  der  Chor  ein  Loblied  auf  die  lindernde  Wirkung 
der  Tränen  anstimmt. 

Akt  IV :  Nachdem  Lorqain  mit  harten  Worten  Ginevra 
des  Verrates  an  Ariodan  beschuldigt  hat,  bricht  diese  wiederum 
in  laute  Klagen  aus  und  bedauert  ganz  besonders,  daB 
ihr  in  der  Feme  weilender  Bruder  Zerbin  für  ihre  Ehre 
nicht  eintreten  kann.  Die  königlichen  Eltern  suchen  ihr  Kind 
zu  trösten,  und  rufen  Gott  und  die  Heiligen  in  langen  Bitten 
zum  Beistande  an,  damit  der  bevorstehende  Zweikampf  ein 
gutes  Ende  für  Ginevra  nehme.  In  solcher  Bedrängnis  weiß 
auch  der  Chor  keinen  andern  Trost  als  das  unerschütterliche 
Vertrauen  zu  Gott,  der  die  Unschuld  rette. 

Akt  V:  Noch  ehe  der  Zweikampf  zwischen  Lurquain 
und  dem  unbekannten  Ritter,  der  sich  in  letzter  Stunde  für 
Ginevra  gemeldet  hat,  zum  Austrag  kommt,  erscheint  Renault 
am  Hofe.  Nachdem  er  mit  ausführlichen  Worten  seine  Her- 
kunft und  seine  Heldentaten  berichtet  hat,  erzählt  er,  daß  er 
Dalinde,  die  Vertraute  Ginevra's  und  verstoßene  Geliebte 
Polynesso's,  getroffen  habe ;  von  ihr  sei  ihm  mitgeteilt  worden, 
daß  sie  in  der  Kleidung  ihrer  Herrin  mit  Polynesso  das 
nächtliche  Stelldichein  am  Balkon  gehabt  habe.  Aus  Dalinden's 
weiterem  Berichte  ergibt  sich,  daß  Polynesso  seinem  Freunde 
Ariodan  den  Glauben  an  die  Treue  Ginevra's  rauben  und 
deren  Liebe  dann  selber  gewinnen  wollte. 

Auf  diese  Erzählung  Renault's  hin  wird  der  Zweikampf 
sofort  aufgehoben,  und  Polynesso  auf  königliche  Verfügung 
hin  dem  Feuertode  überliefert,  der  unbekannte  Ritter  aber, 
der  in  letzter  Stunde  für  die  Königstochter  eintreten  wollte, 
ist  kein  anderer  als  Ariodan,  welcher  sich  allerdings  ins  Meer 
geworfen  hatte,  aber  durch  das  kalte  Wasser  bald  wieder 
zur  besseren  Einsicht  gebracht  wurde.  Bereitwillig  belohnt 
der  König  den  tapferen  Ariodan  mit  der  Hand  seiner  Tochter. 

Was  das  Verhältnis  dieser  „Handlung"  zu  Ariost  betrifft, 
so  findet  sich  nur  eine  Abweichung  von  der  italienischen 
Quelle;  während  nämlich  Polinesso  in  der  Tragikomödie  den 


—     208    — 

Feuertod  stirbt,  scheint  dieser  Verräter  bei  Ariost  ohne  Be- 
strafung davoDgekommen  zu  sein  (cf.  Ort.  fur.^  0.  VI,  st.  15). 
Trotz  dieser  engen  Anlehnung  an  den  Epiker  lassen  sich 
keine  wörtlichen  Nachahmungen  oder  Übersetzungen  einzehier 
Szenen  nachweisen.  Billard  ist  viel  weitschweifiger  als  sein 
Vorbild;  wo  Ariost  mit  einem  oder  ein  paar  Versen  eine 
Situation  zeichnet  oder  eine  Gemütsstimmung  schildert,  da 
malt  der  französische  Dichter  breit  aus,  wobei  er  besonders 
die  Rumpelkammer  der  griechischen  und  römischen  Mytho- 
logie ausplündert,  wie  es  eben  damals  in  der  Schule  Garnier  s 
Sitte  war.  So  beruht  Ariodan's  langer  Monolog  (Akt  I,  1) 
auf  den  zwei  Versen  bei  Ariost  (Orl,  für.,  C.  V,  52); 

tCadde  in  tanto  dolor j  che  si  dispone 

ÄUora^  allora  di  voler  mwho 

Ebenso  ist  Lurquain's  Monolog  (Akt  II,  1)  eine  Aus- 
malung der  4  Verse  im   OrL  für,  (C.   V,  61): 

tDi  tidii  ü  suo  fratel  mosirö  pm  lutto, 
E  si  sonw ferse  riel  dolqi'  si  forte j 
CWad  esempio  di  lui  contra  se  stesso 
Voliö  quasi  la  man^  per  irgli  apjyresso,*  ^) 

Endlich  sind  Ginevra's  Klagen  um  den  totgeglaubten 
Geliebten  eine  breit  angelegte  Paraphrase  der  60.  Stanze  des 
5.  Gesanges. 

Von  einer  Charakterisierung  der  Personen  des  Stückes 
kann  streng  genommen  nicht  gesprochen  werden,  da  sie 
immer  nur  auftreten,  um  irgend  eine  Begebenheit  zu  er- 
zählen ;  natürlich  sind  die  männlichen  Charaktere  nicht  mehr 
die  tatendurstigen  Helden  Ariost's,  die  lieber  wuchtige  Streiche 
austeilen  als  lange  Reden  halten.  Eine  bemerkenswerte  Ände- 
rung hat  im  französischen  Drama  besonders  Renault  erfahren ; 
er  spricht  ungemein  viel,  und  zwar  in  den  hochmütigsten  Aus- 
drücken, von  sich  und  seinen  Heldentaten,  so  daß  er  auffallig 
an  den  Rodomont  der  früher  von  uns  behandelten  Stücke 
erinnert.    So  tritt  er  gleich  anfangs  mit  folgenden  Worten  auf: 

*)  Im  Unterschiede  von  Ariost  geht  hie^'  {Akt  /T"  2)  Lurquain  rw 
Oitievra  seihst,  während  er  im  Epos  7iur  vor  den  König  tritt  und  das 
Gottesurteil  verlangt. 


—     209     — 

ttPadore  ce  grand  DieUj  je  Urne  miUe  fais 
Le  grand  Dieu  qui  nia  faxt  ei  Chretün  et  Frati^ois 
Et  du  sang  de  Clairmont  ...»  j 

(Akt  V,  1,  S.  76).  I 

Von  seiDen  Taten  spricht  er  sodann  in  höchst  prahle-  ' 

rischer  Weise:  j 

tj^ay  brave  P  Orient  et  parte  siir  le  front  , 

Plus  de  palmss  de  prix,  trophees  de  victoires  I 

QiiUl  ne  court  dans  la  mer  d'ean  flottante  de  Loyre,  i 

Que  le  Tage  n^iclot  en  ses  flots  ecumeus 
De  sablons  ä  grains  düor^  ny  qu>e  le  Nil  fatneu^ 
Ne  voit  d'arbres  touffus  aux  grands  monts  de  la  Lune^ 

(Akt  V,  1,  77). 
In  diesem  Tone  geht  es  mehrere  Seiten  hindurch. 
Den    Chorgesängen    jedoch    kann    man    einen   gewissen  ! 

poetischen    Wert   nicht  absprechen.     Meist   in   bilderreicher 
Sprache  sich  bewegend,   beschäftigen  sie  sich  mit  einem  dem  j 

Inhalt    des    vorausgehenden    Aktes    entsprechenden    Thema. 
So  widmet  der  Chor  am  Schlüsse  des  II.  Aktes  der  „Wahr- 
heit" folgende  Zeilen:  i 
€  Verite,  fille  imjyolud  i 
A  pour  son  pere  k  iemps,  . 
Pour  mere  la  plaine  bleue 

Des  Cieux  au  tour  inconstans:  \ 

Le  temps  muable,  et  les  Dieux,  \ 

Descouirant  tout  ä  nos  yeux,>  i 

Besonders  poetisch   ist    der  Chorgesang    am  Ende    des  j 

3.  Aktes;  da  vernehmen  wir  das  Lob  der  Tränen  in  folgen-  i 

dem  Sechszeiler: 

<  Natur e  donne  aux  oyseaux  ! 

Le  bec  et  Vaih  pour  armes ;  I 

Le  courage  aux  lyonceaux^ 

Aux  dames  Pceil  et  les  lartnes:  \ 

Bei  ceil  le  Boy  de  nos  ccrursy  j 

Lärmes  vengeance  aux  langueurs,^ 
In  demselben  Chore  ist  darauf  hingewiesen,  daß  Ginevra's 
Schmerz   der  Freude  Platz   machen   wird,   wie  nach  langer 

Münchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.  XXXIV.    14  ! 


—     210    — 

Dürre  die  Blume  durch  erquickenden  Regen  neubelebt  und  er- 
frischt wird: 

tComme  un  orage  cCestS 

Commence  par  le  tonnere, 

Finit  par  VhumidiU, 

De  pluie  abreuvant  ses  pleurs 

Farcle  Vemail  de  nos  fleurs,^ 

Das  Gleichnis  stammt  übrigens  aus  dem  OrL  fur.j  wo 
ebenfalls  die  glückliche  Wendung  früherer  Betrübnis  mit  der 
Tom  Regen  erquickten  Blume  verglichen  wurde  (C.  32,  108). 

Abgesehen  von  diesen  einzelnen  lyrischen  Schönheiten 
ist  die  Genevre  Billard' s  ein  schlechtes  Machwerk,  das 
den  Namen  Tragikomödie  überhaupt  nicht  verdient,  da  es 
keine  Handlung,  sondern  nur  eine  lange  Reihe  von  Monologen 
und  ein  paar  Dialoge  enthält. 

Nicht  besser  lautet  das  Urteil  der  Forscher,  die  das  Stück 
gelesen  und  kritisiert  haben.  Beauchamps  macht  dem  Dichter 
der  Oenevre  den  Vorwurf  unberechtigter  Eitelkeit,  die  aus 
seiner  Widmung  des  Werkes  an  den  König  hervorgehe  ^) ;  aller- 
dings scheinen  Billard's  Zeitgenossen  eine  ebenso  hohe 
Meinung  wie  dieser  selbst  von  der  Oenevre  und  seinen  anderen 
Stücken  gehabt  zu  haben.  ^ 

Der   Verfasser   der  Änecdotes  dramutiques^)    spricht  ihm 


*)  Rech,,  2.  Teil,  S.  84, 

^  In  dem  von  uns  benutzten  Sammelbande  von  BUlard^s  Tragödien 
findet  sich  ein  Sonett  des  Lyrikers  Hahert,  welches  Billard  an  die  Spitze 
der  tragischen  Dichter  stellt;  man  vergleiche  Nr.  2  u.  3: 
ti Billard  sent  de  Hesse  emouvoir  ses  esprits 
De  se  voir  le  vainqueur  des  Poetes  Tragiques: 
Fhoebiis  ome  son  chef  de  fueillages  Delphiques, 
A  VArt  de  Melpomene  estant  le  mieux  appris. 
A  Sophocle,  Euripide  et  Seneque  il  fait  honte, 
Jodele,  la  Penise  et  Garnier  ü  surmonte, 
Deplorant  les  malheurs  des  Princes  et  des  Roys,» 
')  Bd,  III,  46:  •. .  ,  ,des  pensies  naives,  exprimies  d'un  style  am- 
poule  et  hyperboliqtie,  forment  un  melange  rejouissant,  mais  ce  phisir 
est  celui  que  donne  une  Farce.»  —  Parfaict  (Hist,  FV,  129),  die  nur 
den   Titel  des  Stückes  anführen,  behaupten  irrtümlicherweise,  der  Stoff 
der  Genevre  sei  der  nämliche,  den  Nicolas  Chritien  bereits  unter  gleichem 


—    211     — 

die  Kunst  ab  „Intrigen  zu  knüpfen"  und  Dialoge  zu  schaffen, 
und  stellt  seine  Stücke  auf  das  gleiche  Niveau  wie  die  Farcen. 
Nach  Goujet  ist  die  Qenevre  so  langweilig ,  daß  man  sie 
kaum  lesen  kann;  ähnlich  ist  das  Urteil  Mouby's,  der  den 
Dichter  der  Geneyre  als  eingebildet,  diese  selbst  als  „schlecht 
in  jeder  Beziehung"  bezeichnet^).  Sainte-Beuve  kon- 
statiert in  Billard's  Tragödien  einen  oft  grotesken  Gegen- 
satz zwischen  Form  und  Inhalt.^  Eingehend  mit  dem  Dichter 
der  Geneyre,  nicht  aber  mit  dieser  selbst,  beschäftigt  sich 
Faguet,  dessen  Urteil  mit  dem  unserigen  im  großen  und 
ganzen  übereinstimmt.^  Nach  ihm  hat  Billard's  Theater  nur 
historischen  Wert,  weil  alle  seine  Stücke  den  großen  Fehler 
haben,  nahezu  ganz  arm  an  Handlung  und  in  einer  schwer- 
falligen, kalten  Sprache  geschrieben  zu  sein;  Faguet  nennt 
sie  darum  nur  dialogisierte  Elegien,  die  alle  Fehler  der  Gar- 
nier'schen  Schule  im  höchsten  Grade,  dagegen  nur  wenige  yon 
deren  Vorzügen  besäßen.^)  G.Wenzel  findet,  daß  Billard's 
Monologe  einen  elegischen  Zug  aufweisen,  welcher  sich  bereits 
in  den  antiken  klassischen  Stücken  finde.  ^)  Kigal  endlich 
glaubt,  der  Verfasser  der  Geneyre  sei  von  Alex.  Hardy 
beeinflußt  worden;  mit  Ausnahme  der  fünften  Akte  seien 
seine  Stücke  geistlos  und  veraltet.*) 


Titel  behandelt  habe,  und  der  in  ihrem  Werke  gelegentlich  der  Erwähnung 
Chritiens  bereits  analysiert  worden  sei  Eine  vorgenommene  Untersuchung 
ergab,  daß  es  sich  nicht  um  die  Genevre,  sondern  um  eine  Tragödie  ^^Alboin» 
handelt,  deren  Stoff  von  beiden  Dichtem  dramatisch  bearbeitet  wurde. 

*)  Tablettes,  L  Teü,  S.  110,  Abrege  J,  219. 

«)  U  16'  sücle,  S.  314. 

»)  La  Trag,  fr.,  S.  325 ff. 

*)  Ibd.,  S.  330:  •Pen  d'invention,  une  composition  exacte  et  monO' 
tone,  avec  un  peu  de  mouvement  parfois  au  dinouement,  beaucoup  de 
diclamation  et  quelquefois  un  peu  d'üoquence;  tous  les  difauts  de  Vicole 
de  Garnier  poussis  ä  leur  perfection,  quelques-unes  des  qualites  de  cette 
ecole  ä  un  degre  estimable,  voilä  Videe  d'ensemble  que  Von  garde  de 
Claude  Billard.» 

*)  Die  Trag.  Montchrestien%  S.  11. 

•)  Le  Thiätre  au  17*  sücle  (Jullev.  IV,  190):  «.  .  .  il  lui  est  arrivi 
de  mettre  quelque  mouvement  dans  ses  cinquihmes  actes;  mais  comme 
taut  le  reste  est  vide  et  demodeh 

14* 


—     212     — 

Ein  weiteres  der  Ginevra-Episode  entnommenes,  funfaktiges 
Stück  wurde  1631  von  dem  ziemlich  unbekannten  Dichter 
Du  Rocher  unter  dem  Titel  Vlndienne  amoureuse  ou  Vheu- 
reux  Naufrage  veröflFentlicht.  *)  Zwei  Jahre  später  ließ  er  die 
Pastoralkomödie  Mdixe  erscheinen,  welche  Weinberg  ein 
mittelmäßiges  Stück  nennt.*)  Weitere  Stücke  sind  yon  dem 
Dichter  nicht  bekannt. 

Der  ziemlich  verwickelte  Inhalt  unserer  Tragikomödie  ist 
folgender : 

Akt  I:  Cleraste,  Prinz  von  Peru,  erzählt  wie  ein  grau- 
sames Geschick  ihn,  seinen  Bruder  Bodomare  und  seinen  Rat- 
geber und  Admiral  Melidor  durch  einen  Sturm  an  die  Küste 
von  Florida  geworfen  hat.  Diese  drei  Schiffbrüchigen  kommen 
gerade  zur  rechten  Zeit,  um  Axiane,  die  Tochter  des  Königs 
Syname  aus  den  Händen  Meander's  zu  befreien,  welcher  ihr 
Gewalt  antun  will.  Auf  Bitten  Cleraste's  erhält  der  scheinbar 
reuige  Meander  von  Axiane  Vergebung.  Rosemonde,  Prin- 
zessin von  Cusko,  erklärt  sogar,  trotz  dieses  Vorfalls,  Meander 
weiter  lieben  zu  wollen. 

Akt  II:  Cleraste  hat  gleich  zu  Axiane  beim  ersten  An- 
blick eine  tiefe  Neigung  gefaßt,  welche  diese  nicht  uner- 
widert läßt.  Beide  gestehen  sich  ihre  Liebe  und  widmen  sich 
gegenseitig  Liebesverse,  die  sie  auf  ein  Stück  Papier  nieder- 
schreiben. Dann  ruhen  sie  bei  Einbruch  der  Nacht  am  Fuße 
eines  Baumes  aus.  Inzwischen  entwendet  jedoch  Meander 
dem  schlafenden  Gieraste  die  Verse,  die  ihm  soeben  Axiane 
gewidmet  hat. 

Akt  UI:  Meander,  der  Axiane  leidenschaftlich  liebt,  be- 
schließt, seinen  Nebenbuhler  Cleraste  dadurch  zu  beseitigen, 
daß  er  dessen  Glauben  an  Axianens  Treue  erschüttert.  Er 
übergibt  ihm  zu  diesem  Zwecke  jene  Verse  mit  der  Behaup- 
tung, Axiane  habe  sie  an  ihn,  den  Meander,  gerichtet.    Außer- 


^)  Siehe  Bibliographie,  S.  XL  M  o  u  h  y ,  Abrege  II,  143,  gibt  ah  Ihitck- 
jähr  1611  an;  Maupoint,  Bibl,  S.  175,  1632,  ßrunet  encUich  1636; 
das  uns  vorliegende  Exemplar  ist  von  1631.  Eine  andere  Ausgabe  er- 
schien  1635. 

")  Das  franz.  Schäferspiel,  S.  134. 


—    213     — 

dem  versichert  er,  daß  er  ihm  abends  eine  deutlichere  Probe 
von  deren  untreue  auf  dem  Balkon  des  Palastes  geben  wolle. 
Cleraste  glaubt  in  der  Tat  an  Axiane's  Verrat,  nachdem  er 
Meander  mit  einem  weiblichen  Wesen  an  dem  besagten  Platze 
gesehen  hat.  Doch  war  jene  Gestalt  nicht  seine  Geliebte, 
sondern  Kosemonde,  welche  auf  Geheiß  Meander's  sich  mit 
Axiane's  Kleidern  angetan  hatte.  Der  getäuschte  Cleraste  will 
die  vermeintliche  Untreue  Axiane's  nicht  überleben,  sondern 
stürzt  sich  ins  Meer. 

Akt  ly :  Nachdem  Bosemonde  in  einem  langen  Monologe 
ihrer  Reue  über  die  Freveltat  Ausdruck  gegeben  hat,  kommt 
Cleraste  heil  und  gesund  von  der  Meeresküste  zurück  und 
erzählt,  daß  er  im  kalten  Wasser  plötzlich  wieder  neue  Lust 
am  Leben  bekommen  habe,  und  daher  wieder  ans  Land  ge- 
schwommen sei.  Unterdessen  treffen  sich  Rosemonde  und 
Cleraste  zufallig  noch  einmal  in  einer  Grotte,  wo  letzterer 
die  Yerräterei  Meander's  aus  Rosemonde's  Munde  erfahrt. 

Akt  V:  Axiane  war  von  ihrem  eigenen  Vater  ins  Ge- 
fängnis geworfen  worden,  da  Rodomare  uüd  Melidor,  die 
beiden  Augenzeugen  der  nächtlichen  Balkonszene,  als  ihre 
Ankläger  aufgetreten  waren.  Dort  muß  sie  so  lange 
bleiben,  bis  das  vom  König  angeordnete  Gottesurteil  ihre 
Schuld  oder  Unschuld  bewiesen  hat.  Als  jedoch  Meander's 
Verrat  offenbar  wird,  läßt  der  König  auch  ihn  in  Ketten 
legen,  aber  selbst  im  Kerker  hört  der  Elende  nicht  auf, 
Axiane  durch  die  Mauer  hindurch  mit  Liebesbeteuerungen 
zu  bestürmen.  Endlich  soll  das  Gottesurteil  in  Form  eines 
Kampfes  zwischen  den  Vertretern  der  Anklage  und  den  Ver- 
tretern der  Angeklagten  vollzogen  werden.  Melidor  und  Rodo- 
mare treten  als  erstere,  Cleraste  und  Rosemonde  als  letztere 
in  die  Schranken.  Nachdem  aber  Rosemonde  im  Kampfe 
den  Helm  verloren  hat  und  daher  erkannt  wird,  muß  sie  alles 
erzählen.  Die  Folge  davon  ist,  daß  Cleraste  mit  der  Hand 
Axiane's,  Rodomare  mit  der  Hand  Rosemonde's  belohnt 
wird,  während  Meander  seine  Strafe  in   den  Flammen  findet. 

Wie  aus  dieser  Analyse  zu  ersehen  ist,  hat  Du  Rocher 
eine  Reihe  von  Veränderungen  und  Zusätzen  gegenüber  der 
italienischen  Quelle  vorgenommen. 


—    214    — 

Der  Schauplatz  der  Handlang  wird  von  ihm  nach  Fem 
und  nach  Florida  verlegt.  Die  entsprechenden  Personen  sind 
im  Drama  anders  benannt  und  gehören  anderen  Ständen  an; 
außerdem  werden  auch  neue  Rollen  eingeführt;  nämlich 
Erastrote,  Gleraste's  Vater,  die  beiden  Gesandten  Clidamonr 
und  Rosemonde ;  endlich  wird  die  Rolle  des  Lurcanio  bei  Ariost, 
im  Drama  auf  Melidor  und  Rodomare  zugleich  verteilt.  Die 
Personen  entsprechen  sich  im  Stücke  und  in  der  Quelle  folgen- 
dermaßen : 

Cleraste  Ariodante 

Aziane  Ginevra 

Rosemonde  Dalinda 

Meander  Polinesso 

Melidor  u.  Rodomare  Lurcanio 

Sycame  König  v.  Schottland. 

Im  Gange  der  Handlung  finden  sich  folgende  Verände- 
rungen: Der  Schiffbruch  des  Cleraste,  die  Begegnung  mit 
Axiane  und  Meander,  die  Liebesszene  zwischen  dem  Prinzen 
von  Peru  und  der  Königstochter  von  Florida,  das  Entwenden 
der  Verse  durch  Meander,  also  der  ganze  erste  Teil  des 
Stückes  bis  Akt  III,  5  ist  eigene  Erfindung  des  französischen 
Dichters.  Femer  treffen  sich  Dalinda  und  Ariodante  bei  Ariost 
nicht,  während  bei  Du  Rocher  Gieraste  und  Rosemonde  in 
der  Grotte  und  später  noch  einmal  (V,  2)  im  Zwiegespräch 
sind ;  Zutaten  des  franz.  Dichters  sind  auch  die  Kerkerszenen 
(V,  1  u.  4),  die  Beteiligung  Dalinda-Rosemonde's  am  Eitmpfe, 
endlich  die  Art  und  Weise,  wie  die  Aufdeckung  von  Poli- 
nesso-Meander's  Verrat  vor  sich  geht.  Unverändert  von  der 
Quelle  herübergenommen  sind  nur  die  Balkonszene,  der  Selbst- 
mord y  ersuch  Ariodante-Cleraste's  und  die  Anordnung  des 
Gottesurteils  durch  den  König  auf  Veranlassung  von  Clerastens 
Bruder. 

Von  den  Charakteren  haben  besonders  die  beiden  Haupt- 
helden des  Stückes  eine  Umgestaltung  erfahren.  Gieraste,  der  dem 
edlen  Ariodante  bei  Ariost  entspricht,  wird  zwar  bei  Du  Rocher 
ebenfalls  als  edier,  hilfsbereiter  Mensch  geschildert;  aber  seine 
Sprache  ist  zu  geziert,  als  daß  wir  ihn  mit  einem  Helden  des 


—    215    — 

Orl.  für.  vergleichen  könnten.    So  schildert  er  z.  B.  die  Reize 
seiner  Geliebten  mit  folgenden  Worten: 

tSes  yeux  ne  sont-ils  pas  deux  soleils  dont  la  flammt 

Sert  d'un  phare  nouveau  pour  iclairer  mon  äme  ? 

Son  insage  Ort-il  pas  des  attraits  ravissans 

Qui  dirobent  au  corps  la  liberte  des  sens? 

La  Jone  est  un  parterre  oü  dans  les  fleurs  ecloseSj 

Ses  lys  en  se  mourant  fönt  renaistre  les  roses? 

La  bouehe  rCest-eUe  pas  le  plus  charmant  sijour 

Oü  se  puissent  donner  les  orades  d^Amour? 

(I,  3,  S.  36). 
An   einer  anderen  Stelle  (I,  2,  S.  13)  nennt  er  Axiane 
*r abrege  des  chefs  d'(xuvre>,  und   die   Verse,   die  er  ihr  wid- 
met,  könnten    ebensogut   im  Hotel  Rambouillet  geschrieben 
worden  sein  (Akt  11,  5,  S.  45). 

Meander  ist  durch  seinen  Versuch,  Axiane  mit  Gewalt 
sich  zu  erobern,  durch  die  Entwendung  der  Verse  und  durch 
sein  niedriges  Verb  alten  im  Kerker  gegenüber  der  Königs- 
tochter weit  schlimmer  und  abstoßender  geworden,  als  ihn 
Ariost  unter  dem  Namen  Polinesso  darstellt.  Rosemonde  ist 
zwar  im  ersten  Teile  des  Stückes  ganz  die  schwache  Dalinda 
des  italienischen  Dichters,  erinnert  aber  später  durch  ihre 
unerschrockene  Teilnahme  am  Kampfe  eher  an  Bradamante 
oder  an  Marphisa. 

Du  Rocher 's  Ulndienne  Ämoureuse  ist  nach  unserer 
Ansicht  viel  höher  zu  stellen  als  die  Oenevre  Billard's.  Das 
Stück  ist  reich  an  Handlung,  hat  einen  lebhaften  Gang,  und 
beinahe  jede  Szene  ist  motiviert.  Zu  tadeln  ist  jedoch  die 
gezierte  mit  Concetti  überhäufte  Sprache,  die  allerdings  in 
der  damaligen  Zeit  der  „Pastoralmanie^  Mode  war. 

Der  Verfasser  der  Anecdotes  dramatiques^)  scheint  daher 


*)  Bd.  III,  175:  •II  paroit  giic  du  tempa  de  cet  Auteur  le  gaüt 
misirable  des  Romans  regnoit  de  ja  sur  le  thiätre.  Les  deux  Fieces  (de 
Du  Rocher)  en  sont  infesties;  des  plaintes  lameyitxibles  sur  la  perte  des 
mattresses,  de  fades  expressions  sur  la  fideliti,  des  incidents  puSriles  qui 
rSvoltent  le  bon  aens,  un  enchainement  continuel  de  jeux  de  mots  et 
d'antithlsea  pitoyablea,  faisoient  alora  tout  le  aucchs  des  pihea  de  thiatre^ 
et  voilä  ce  qu'on  trouve  dans  du  Rocher,     La  poesie  pi^nible  et  fati- 


—     216    — 

nach  unserer  Ansicht  zu  streng  zu  urteilen,  wenn  er  sagt, 
Du  Rocher  sei  einer  der  Vertreter  jener  schlechten  Ge- 
schmacksrichtung, die  ihr  Vorbild  in  dem  preziösen  Roman 
der  Zeit  suchte. 

Wir  haben  bereits  früher  erwähnt,  daß  der  Orl.  für.  eine 
Lieblingslektüre  des  Philosophen  von  Ferney  war,  daß  in 
seinen  Epen  und  in  einer  seiner  Erzählungen  nachweisbar 
Spuren  Ariost'schen  Einflusses  sich  finden.  Von  seinen  zahl- 
reichen  dramatischen  Erzeugnissen  kommt  für  unsere  Arbeit 
nur  sein  Trauerspiel  Tancrede  in  Betracht. 

Die  Quellenfrage  des  Tancrede  ist  indessen  eine  sehr 
schwierige,  die  vielleicht  überhaupt  nicht  gelöst  werden  kann. 
La  Harpe  ist  der  Ansicht,  daß  die  Ginevra-Episode  im 
OrL  für.  den  Anlaß  zu  Voltaire's  Tragödie  gegeben  habe.*) 
Beuchot^)  dagegen  weist  darauf  hin,  daß  bereit«  1713  eine 
gewisse  M™®  Desfontaines  einen  Roman  « La  Comtesse 
de  Savoie*  veröffentlichte,  der  nichts  anderes  als  eine  Be- 
arbeitung der  Ginevra-Episode  ist  und  1726  in  Druck  gelegt 
wurde.  ^)  Voltaire  begrüßte  das  Erscheinen  dieses  Werkes  mit 
einigen  Verszeilen,  die  er  an  die  ihm  bekannte  Verfasserin 
richtete.  Desnoisterres^),  der  Biograph  Voltaire's,  der 
augenscheinlich  auf  La  Harpe  zurückgeht,  bezeichnet  den 
Stoff  des  Taftcrede  als  eine  direkte  Entlehnung  der  Ginevra- 
Episode   bei  Ariost.    Birch-Hirschfeld   drückt  sich  hin- 

gante  trebuche  ä  cJiaque  pas  et  ses  vers  mal  con^us  sont  quelquefois  trh 
äifficiles  ä  entendre.» 

*)  Cours  de  litt.  11^  639:  «ic  combat  d^Äriodant  pour  Genhjre^  qui 
dana  V Orlando  est  utie  mite  des  loia  de  la  chevalerie,  indiquaitä  Voltüire 
un  Chevalier  pour  son  Mros,  Cest  une  Obligation  de  pltia  ä  FArioste, 
de  Uli  avoir  donne  Voccasion  de  mettre  la  chevakrie  sur  la  8chie.» 

*J  (Eiivres  de  Volt,  JF,  489 :  « Voltaire  n'eut  meme  pas  besoin  de 
puiser  cette  idee  dans  VOrl.  für  .  .  .  H  la  tronva  dans  un  petit  roman 
de  M^*  De  Fontaine  dont  il  avait  saluS  Vapparition  par  unepiice  de  vers 
quand  il  n' avait  que  dix-neuf  ans.* 

3)  Über  Jf««  Desfontaines  s.  Biogr.  univ.,  X/F,  326.  —  M'^  Desf 
starb  1730  arm  und  verlassen.  Neugedr.  wurde  der  Roman  in  den  (Euvres 
de  Mesdames  de  la  Fayette  et  de  Tencin.  F.  1804.  5  Bde.  8^. 

*)  Vie  de  Volt,  IV,  Iff.:  •Cette  fable  d'ailleurs  n'est  pa»  de  hti, 
cest  un  emprunt  ä  VArioste  qui  lui-mime  Vavait  empruntS  ä  notrc  ancien 
thiätre.» 


—     217     — 

sichtlich  der  Quellenfrage  etwas. unbestimmt  aus;  er  sagt,  der 
romantischen  Fabel  des  Tancr^de  liege  die  Geschichte  von 
Ariodante  und  Ginevra  im  rasenden  Koland  zugrunde.^) 
Bouvy,  ein  gründlicher  Kenner  Voltaire's  und  seiner  Be- 
ziehungen zum  italienischen  Theater,  streift  nur  diese  Frage, 
hält  aber  den  Eoman  der  M°^^  Desfontaines  für  die 
direkte  Quelle  des  Voltaire'schen  Trauerspiels.^)  Toldo, 
der  sich  erst  in  der  allerjüngsten  Zeit  damit  beschäftigt  hat, 
behauptet,  der  französische  Dichter  habe  sehr  wenig  dem 
Ariost,  viel  dagegen  der  Comtesse  de  Savoie  entlehnt.  *) 

Wir  wollen  nun,  was  die  hier  zitierten  Autoren  unter- 
lassen haben,  den  Inhalt  des  Tancrede  in  kurzen  Worten 
wiedergeben  und  die  Vergleichungspunkte  mit  der  Ginevra- 
episode  feststellen. 

Almenaide,  die  Tochter  des  Argire,  ist  angeklagt,  ihre 
Vaterstadt  Syrakus  den  Mohammedanern  überliefern  zu  wollen. 
Das  Todesurteil  ist  bereits  über  sie  gesprochen,  als  ein  un- 
bekannter Ritter  sich  anbietet,  im  ritterlichen  Zweikampfe  für 
ihre  Unschuld  einzutreten.  Dieser  edle  Unbekannte  ist  kein 
anderer  als  Tancröde,  der  aus  Syrakus  verbannt  worden  ist.  Er 
kämpft  und  bleibt  Sieger  gegen  Orbassan,  dessen  Gattin  Al- 
menaide werden  soll.  Almenaide  ist  nun  gerettet;  sie  hatte  früher 
ihren  Retter  in  Byzanz  kennen  gelernt,  sie  liebt  ihn  seitdem  und 
findet  auch  Gegenliebe.  Tancr^de  dagegen  hält  sie  für  treulos, 
da  er  glaubt,  sie  wolle  in  kurzem  aus  Neigung  mit  Orbassan  sich 
vermählen;  er  entfernt  sich  nach  einer  kurzen  Unterredung, 
ohne  sich  mit  Almenaide  auszusöhnen,  und  sucht  den  Tod 
im  Kampfe  gegen  die  die  Stadt  belagernden  Mohammedaner. 
Almenaide   stirbt  vor  Schmerz  beim  Anblick  des  sterbenden 


*)  Suchier  und  Birch-H.,  Gesch.  d.  frz.  Lit,  S.  533. 

*)  Voltaire  et  VItalie,  S.  115. 

^)  Quelques  notes  pour  servir  ä  Vhist.  de  Vinfl.  du  Furioso  (Bull, 
ital.  1904,  IVj  50):  *Il  y  a  dans  la  tragM,ie  de  Voltaire  fort  peu  de 
VArioste  et  beaucoup  de  la  Comtesse  de  Savoie  ....  Toujours  est-il  qu^on 
a  quelque  peine  ä  d^meler  dans  cette  tragedie  Vhistoire  des  malheura 
de  Genevre  et  que  Vinspiration  parait,  en  maints  endroits,  flottante  et 
ineertaine.» 


—    218     — 

TancrSde^  der  tödlich  verwundet  nach  Syrakus  zurückgebracht 
wird. 

Dies  ist  in  großen  Zügen  die  Handlung  in  Voltaire's 
Trauerspiel. 

Eine  Ähnlichkeit  mit  der  Ginevra- Episode  im  Furioso 
springt  sofort  in  die  Augen:  Der  Zweikampf,  welcher  die 
Schuld  oder  Unschuld  eines  ungerecht  angeklagten  Mädchens 
an  den  Tag  bringen  soll;  ferner  ist  der  Ritter,  welcher  in 
diesem  Kampfe  für  die  Beschuldigte  eintritt,  in  beiden 
Fassungen  zugleich  der  Geliebte  derselben,  er  kämpft  für  sie, 
ohne  von  ihrer  Unschuld  überzeugt  zu  sein,  und  ist  Sieger 
in  dem  Kampfe.  Die  Lösung  ist  bei  Ariost  eine  glückliche, 
bei  Voltaire  eine  tragische.  Andere  Vergleichsmomente  sind 
jedoch  nicht  vorhanden.  Schauplatz,  Exposition,  Lösung, 
Nebenpersonen  stehen  in  keiner  Beziehung  zu  Ariost's  Er- 
zählung. Der  Zweikampf  jedoch,  die  Veranlassung  dazu  und 
der  Ausgang  desselben  können  unmöglich  als  zufallige  Ähnlich- 
keiten mit  der  Ginevra-Episode  angesehen  werden;  hier  war 
ofifenbar  der  Orl.  für.  die  Vorlage,  oder  es  liegt  eine  auf  dem 
Epos  beruhende  Quelle  vor. 

Wie  verhält  es  sich  nun  mit  der  Comtesse  de  Savoie,  dem 
Romane  der  M™®  Desfontaines  ?  Voltaire  liat  ihn  sicher  ge- 
lesen, ebensogut  wie  den  Furioso.  Welche  von  den  beiden 
Quellen  schwebte  ihm  bei  der  Abfassung  seines  Tancrede  vor? 

Die  Handlung  in  der  Comtesse  de  Savoie  spielt,  wie  bei 
Voltaire,  in  Sizilien;  gewiß  ist  das  keine  zufallige  Ähnlich- 
keit. Mendoce,  der  Hauptheld  des  Desfontaines'schen  Romans, 
gehört  einer  altadeligen,  französischen  Familie  an,  die  zur 
Normannenzeit  nach  Sizilien  auswanderte,  genau  so  wie  die 
Familie  des  Tancrede,  und  Mendoce  macht  seinen  Namen 
auf  dieser  Insel  ebenso  berühmt,  wie  Tancrede  j^anz  Sizilien 
mit  seinem  Ruhm  erfüllt.  Diese  auffalligen  Ähnlichkeiten 
im  Schauplatz  und  in  der  Hauptperson  —  der  Zweikampf 
und  die  ihn  begleitenden  Nebenumstände  sind  mit  Ausnahme 
der  Namen  und  des  Schauplatzes  beiM™®  Desfontaines  dieselben 
wie  bei  Ariost  —  lassen  es  uns  nahezu  als  gewiß  erscheinen, 
daß  dem  französischen  Tragiker  der  Roman  der  von  ihm 
hochverehrten    M°^®  Desfontaines    vorschwebte,    als   er   1760 


—     219     — 

seinen  Tancrede  niederschrieb.^)  Somit  wäre  Ariost's  Erzählung 
im  5.  Gesänge  nur  die  indirekte  Vorlage  zu  dieser  Tragödie 
gewesen.')  Außer  den  oben  bezeichneten  Entlehnungen 
haben  wir  jedoch  Voltaire's  Stück  als  ein  Originalwerk  im 
besten  Sinne  des  Wortes  anzusehen.^) 

Am  Ende  des  18.  Jahrhunderts,  1798,  bzw.  1799*), 
erschien  M^huTs  Ariodant,  die  Lieblingsoper  des  Meisters, 
zu  welcher  ¥.  B.  Hoffmann  den  Text  geschrieben  hatte. '^) 
Da  der  letztere  nichts  weiter  als  eine  freie  Übertragung  des 
1796  erschienenen  Tonstückes  Oinevra^)  von  Pindemonte 
ist,  wie  eine  Vergleichung  der  beiden  Libretti  ergeben  hat, 
so  beschäftigen  wir  uns  nicht  weiter  mit  diesem  Operntexte, 
welcher  die  letzte  dramatische  Bearbeitung  der  Ginevra-Episode 
ist,  die  wir  ausfindig  machen  konnten. 


*)  ßengesco,  Bibl  Volt  J,  58;  das  Stück  wurde  zum  erstenmale 
am  3.  Sept.  1760  aufgeführt  und  erlebte  12  aufeinander  folgende  Auf- 
führungen;  gedruckt  wurde  es  erst  im  nächsten  Jahre, 

■)  Mehrere  italienische  Operntexte  behandeln  übrigens  die  Ginevra- 
Episode  {s.  darüber  Clement,  Dict.  lyr.j  S.  49  u.  S.  318;  ebenso  Rie- 
mann,  Opemhandbuch,  S.  188).  Die  wichtigsten  italienischen  Openif  die 
diesen  Gegenstand  behandeln,  sind  die  nachher  zu  erwähnende  Ginevra 
Findomonte's  {1796)  und  Rossi  di  Yerona's  Ginevra  di  Scozia 
(1799).  Beide  Opern  wurden  in  Paris  aufgeführt  (s.  CUment^  ibd.);  von 
letzterer  erschien  sogar  eine  französische  Übersetzung  unter  dem  Titel 
Genihvre  d'icossey  oplra  en  quatre  actes,  reprisenti  pour  la  premiere 
fois  ä  Paris  sur  le  Thiätre  de  VlmpSratrice,  rue  de  Louvois^  le . . .  plu- 
viöse,  an  YIIL 

•)  Ähnlich  sagt  auch  Beuchot,  (Euvres  de  Voltaire  IV j  489:  »Du 
restCj  toute  la  trame  est  de  Vinvention  de  VoUaire,  et  il  n^a  emprunte  ä 
ses  devanciers  que  le  fond  du  sujet.» 

*)  Clement,  Dict.  lyr.,  S.49;  ebenso  Chouqu et ,  Hist.  d.  drame 
mus.,  S.  185;  Riemann,  Opemhandb.,  S.  26. 

*)  Hoff  mann  war  berühmt  als  Kritiker  und  Polemiker  y  dabei  ein 
vielseitiges  Genie,  das  auf  dem  Gebiete  der  Naturwissenschaften  ebenso 
zuhause  war,  une  auf  dem  Gebiete  der  schönen  Literatur;  über  sein 
Leben  s.  Michaud,  Biogr.  univ.^  XIX,  499;  La  Ghr.  Encycl,  XX, 
173.  —  Nach  Chouquet,  ibd.,  S.  185,  hatte  die  Oper  keinen  dauernden 
Erfolg  und  ist  nunmehr  ganz  der  Vergessenheit  anheimgefallen;  ebenso 
Clement,  l.  c,  S.  49. 

«)  Wiesa-Percopo,  Gesch.  d.  ital.  Lit,  S.  495. 


—     220     — 

5.  Die  ÄIcina-Episode. 

Diese  Episode,  welche  besonders  berühmt  ist  wegen  der 
herrlichen  Schilderung  Alcinens  und  ihrer  Gärten,  reicht  bei 
Ariost  von  0.  VI,  st.  23  bis  C.  VII,  st.  21  und  schildert 
Roger's  Aufenthalt  bei  der  Zauberin  Alcina.  Wie  wir  schon 
an  früherer  Stelle  bemerkten,  entnahmen  bereits  die  Schüler 
Konsard's,  und  ihr  Meister  selbst,  Ariost's  Schilderung  der  Reize 
Alcinen's  (C.  VII,  st.  11 — 15),  um  Worte  zu  finden  für  die 
Schönheit  ihrer  Geliebten. 

Dagegen  dauerte  es  in  Frankreich  lange,  ehe  ein  dra- 
matischer Dichter  sich  an  diesen  Stoff  wagte.  Der  erste 
Versuch,  der  in  dieser  Richtung  gemacht  wurde,  ging  von 
keinem  geringeren  aus  als  von  Ludwig  XIV.,  welcher  im  Jahre 
1664^)  seinem  schon  früher  erwähnten  Zeremonienmeister, 
dem  Herzog  von  Saint-Aignan,  den  Auftrag  erteilte,  im  Ver- 
sailler  Schloßpark  ein  Fest  aufzuführen,  dessen  Schauplatz  die 
Gärten  Alcinens  vorstellen  sollte.  Dieses  Fest,  welches  vom 
7. — 13.  Mai  1664  gefeiert  wurde,  ist  bekannt  unter  dem 
Namen  Les  plaisirs  de  Vlle  enclmniee.  ^)  Es  hat  auch  seinen 
Platz  in  der  französischen  Literaturgeschichte,  weil  während 
der  Feier  desselben  Moliöre's  Pi-incesse  d^Elide  und  die  drei 
ersten  Akte  seines  Tartuffe  aufgeführt  wurden.^)  Die  Grund- 
idee des  ganzen  Festes  ist  die,  daß  Roger  und  mehrere 
andere  Ritter,  die  im  Banne  der  unechten  Reize  Alcinens 
liegen,  durch  den  Zauberring,  welchen  Athalant  im  Auftrage 


*)  Bemerkenswert  scheint  es  uns  zu  sein,  dafi  im  nämlicfien  Jahre 
Gilbert  seine  Ämours  d^Angelique  et  de  Medor,  also  eine  weitere  JBe- 
arbeitnny  einer  AriosVschen  Episode  veröffentlichte. 
*)  IJher  dieses  Fest  haben  wir  folgende  Berichte: 
a)  den  offiziellen  Bericht  der  GazeUe,  21.  Mai  1664.    fi9  60; 
'  h)  einen  sehr  ausführlichen   Bericht  bei  Marigny,   Les  fetes  de 
Versailles.    P.  1664.  8^; 

c)  Siecle  de  Louis  XIV,  chap.  25  [Ausg.  i\  B  e u c h  o t,  Bd,  XX,  146-160), 
^]  Despois,  (Euvres  de  Mol.  IV,  89—268,  woselbst  noch  weitere 
Literaturnngaben  sich  finden.  Eine  kurze  Erwähnung  des  Festes  findet 
sich  auch  bei  Goujet,  Bibl.  XVIII,  226.,  wo  die  vom  Herzog  von 
St'Aignan  gesprochenen  Worte  zitiert  sind^  Maupoint,  Bibl.,  8.  252; 
endlich  auch  Lotheissen,  Gesch.  IV,  33. 


—    221     - 

Melissens  dem  Boger  an  den  Finger  steckt,  befreit  werden 
sollen ;  der  Alcina-Episode  im  07.  für,  liegt  dieselbe  Idee  zu- 
grunde« nur  daß  Boger  als  alleiniger  Sterblicher  im  Beiche 
der  Zauberin  weilt,  und  daß  Bradamante  ihm  den  rettenden 
Bing  überreicht  (vgl.  Orl  für.,  C.  VI,  VII  u.  VIII);  neu 
eingeführt  ist  außerdem  die  Person  des  Oger  le  Danois, 
dessen  Bolle  vom  Herzog  von  Noailles  gespielt  wurde.  Nach 
dem  Berichte  der  Oaxetie  (officieUe)  fand  der  Hauptteil  des 
Festes  am  3.  Tage  statt ;  an  diesem  Tage  nämlich  sollen  die 
Bitter  ihre  Befreiung  erhalten.  Als  Alcine,  welche  in  einem 
von  reißenden  Tieren  bewachten  Felsenschloß  haust,  merkt, 
daß  ihr  Zauber  bald  nicht  mehr  wirksam  sein  wird,  teilt  sie 
diese  Befürchtung  ihrer  Vertrauten  Celie  mit.  Es  folgt  sodann 
ein  Ballet,  welches  jedoch  durch  Melisse's  Erscheinen  unter- 
brochen wird;  diese  übergibt  dem  Boger  durch  die  Hand 
Athalant's  ihren  Zauberring;  in  demselben  Augenblicke  erfolgt 
ein  Donnerschlag  und  gleichzeitig  stürzt  das  ganze  Schloß  in 
Trümmer,  die  Gärten  verschwinden,  und  die  Helden  steigen 
aus  den  rauchenden  Trünomerhaufen  hervor.  Diese  Darstellung 
der  Alcina-Episode  ist  vielleicht  die  großartigste  Inszenierung, 
die  je  eine  Erzählung  des  Orl.  für.  erfahren  hat.  Der  Schau- 
platz ist  hier  nicht  mehr  der  enge  Baum  der  Bühne  mit  den 
leinwandbemalten  Kulissen  zur  Seite  und  im  Hintergrunde; 
als  Darsteller  sehen  wir  nicht  mehr  arme,  verachtete  Schau- 
spieler, sondern  Fürsten  und  Herzöge;  wirkliche  Bäume, 
Wälder  und  Quellen  beleben  die  Landschaft  und  an  Stelle 
des  spärlichen  Lampenlichtes  strahlt  die  goldene  Maiensonne 
auf  das  ganze  Bild  hernieder. 

Eine  großartigere  Huldigung  hätte  Frankreich  dem 
italienischen  Dichter  nicht  bringen  können! 

Erst  1705^)  wurde  die  Alcina-Episode  dramatisch  be- 
handelt, und  zwar  von  dem  Librettisten  Dan  che  t^),  in  der 
Oper  Alcinttj  zu  der  Campra  die  Musik  schrieb. 

*)  Parf.,  Dict  7,  42  u.  Chouquet,  Rist,  S.  330,  gehen  ah 
Datum  der  Aufführung  den  15.  Januar  1705  an.  Eine  zweite  Auf- 
führung fand  nach  Parf.,  Dict.  du  77i.,  Bd.  I,  43,  Glicht  statt. 

«)  ifba-  sein  Lehen  s.  Biogr.  univ.,  Bd.  X,  87;  La  Gr.  Enc,  Bd.  XIII, 
826;  in  beiden  Werken  wird  von  seiner  Tätigkeit  als  Librettist  nicht 
gesprochen. 


—     222     — 

Der  Verfasser  des  Textes  ist,  nach  La  Harpe,  ein 
keineswegs  glücklicher  Nachahmer  Qainault's,  der  weniger 
durch  Dichtungen  als  durch  den  Spottvers,  den  J.  B.  Rousseau 
auf  ihn  schrieb,  bekannt  geworden  sei ;  doch  sei  er  nicht  ohne 
Talent.  1) 

Eine  kurze  Analyse  der  Oper  wird  zeigen,  ob  das  Urteil 
des  französischen  Kritikers  gerechtfertigt  ist. 

Prolog:  Die  beiden  allegorischen  Gestalten  Gloire  und 
Temps  streiten  sich,  wessen  Herrschaft  am  Dauerhaftesten  sei; 
zugleich  wird  die  Handlung  des  Stückes  mit  folgenden  Worten 
angedeutet  : 

tDans  un  spectade  magnifique, 
Reiracex  les  Heros  que  par  son  art  magique^ 
Alcine  retenoit  sur  des  bords  irop  charmants: 
Faites  vair  par  quel  art  Melisse^ 
CJouronnant  la  vertu^  punissant  rinjustice, 
Les  fit  enfin  sortir  de  leurs  enchantements,:^ 
Akt  I:   An  einer  abgelegenen  Stelle  mitten  im  Gebirge 
erzählt  Alcine  ihrer  Vertrauten,  daß  sie  zu  dem  Tom  Sturme 
ans  Ufer  geworfenen,  und  von  ihr  geretteten  Astolf  eine  tiefe 
Zuneigung  gefaßt  habe,   und  daß  sie  ihn  zu  ihrem  Gemahl 
erküren  möchte.    In  einem  darauffolgenden  Zwiegespräch  er- 
klärt dieser  jedoch,  er  könne  nur  Melanie  lieben,  worauf  die 
wütende  Zauberin  durch  Eachedrohungen  Astolf  s  Liebe  sich 
erzwingen  will. 

Akt  IT:  Alcinens  Gemahl  Athlant  hat  bald  von  deren 
sträflicher  Neigung  erfahren,  und  obwohl  er  behauptet,  daß 
seine  Liebe  für  die  Gattin  längst  schon  erkaltet  sei,  will  er 
diese  doch  für  ihre  Untreue  bestrafen.  Während  er  noch 
beschäftigt  ist,  eine  angemessene  Strafe  ausfindig  zu  machen, 
erscheint  Melanie,  Astolfs  Geliebte,  die  von  Melissa  nach 
einem  Schiffbruch  ans  Ufer  gerettet  wurde  und  nun  auf  der 
Suche  nach  Astolf  ist;  Athlant  entbrennt  sofort  in  Liebe  zu 
dem  schönen  Mädchen,  und  als  dieselbe  nicht  erwidert  wird, 


*)  Cours   de   litt.,   11,    375:    «J2  s'cn   faut   de  tout  que  Vauteur 

d'Hisiode  (Danchet)  lui  (d  Quinault)  aoit  comparable II  n^ Statt pa$ 

dipourvii,  de  talent»    Seine  Alcine  wird  von  La  Harpe  nicht  erwähnt. 


—     223     — 

beschließt  er  mit  Alcine,  die  mittlerweile  mit  ihm  zusammen- 
getroffen ist,  die  beiden  Liebenden  voneinander  fernzuhalten. 
Gerne  willigt  die  Zauberin  ein,  da  sie  ja  den  ritterlichen 
Astolf  mit  ihren  Beizen  bestricken  will. 

Akt  III:  In  der  Verkleidung  einer  Nereide  nähert  sich 
Alcina  der  Geliebten  Astolf s  und  lügt  ihr  vor,  dieser  habe 
sie  vergessen  und  schmachte  in  Liebe  zur  schönen  Alcina. 
Als  das  Mädchen  in  Klagen  gegen  den  Treulosen  ausbricht, 
sucht  Athlant  sie  zu  trösten,  indem  er  ihr  seine  Liebe  an- 
bietet. Als  jedoch  seine  Beteuerungen  zurückgewiesen  werden, 
denkt  er  nur  noch  daran,  Astolf,  seinen  Nebenbuhler,  von 
der  Insel  zu  entfernen  und  so  seiner  Gemahlin  einen  bösen 
Streich  zu  spielen. 

Akt  IV:  Astolf  will  eben  auf  Athlant's  Geheiß  die 
Insel  verlassen,  als  er  seiner  Geliebten,  die  er  weit  von  hier 
glaubt,  begegnet.  Schnell  stellt  sich  nun  Melanie's  Irrtum 
von  Astolf  s  angeblicher  untreue  heraus,  und  beide  schwören 
sich  Liebe  und  Treue.  Da  kommen  unter  Blitz  und  Donner 
die  beiden  Gatten,  und  mit  ihnen  eine  ganze  Schar  höllischer 
Geister. 

Akt  V :  Während  Athlant  darauf  besteht,  daß  sein  Neben- 
buhler getötet  werde,  kann  Alcine  sich  nicht  entscheiden,  ihre 
Einwilligung  dazu  zu  geben ;  liebt  sie  doch  den  Astolf  auch 
jetzt  noch  und  so  will  sie  sein  Leben  erhalten.  Als  aber 
Athlant  vorschlägt,  daß  sich  die  beiden  Liebenden  heiraten 
sollen,  glaubt  die  Zauberin  auch  dazu  ihre  Genehmigung 
nicht  erteilen  zu  können.  In  diesem  Augenblicke  steigt  Melisse 
auf  einem  goldenen  Wagen  vom  Himmel  hernieder  und  ver- 
scheucht die  böse  Zauberin  mit  ihrem  Spuk.  Mit  gütigem 
Feenlächeln  schließt  sie  den  Bund  der  beiden  Liebenden. 

Die  Handlung  der  Oper  Danchet's  beschäftigt  sich  nicht 
mit  dem  Schicksale  Roger's,  wie  es  im  Orl.  für.  der  Fall  ist, 
sondern  mit  Astolf  s  Abenteuern  auf  der  verzauberten  Insel, 
die  sich  allerdings  auf  das  italienische  Epos  (C.  VI,  st.  33 — 53) 
stützen,  aber  größtenteils  vom  französischen  Dichter  erfunden 
sind.  Bei  Ariost  erzählt  der  in  eine  Myrte  verwandelte  Astolf 
seinem  Freunde  Boger  nur,  daß  Alcina  ihn  mit  ihren  Reizen 
bestrickt,   nach  einiger  Zeit  aber  von  sich   gewiesen   habe, 


worauf  er,  wie  alle  ehemaligen  Liebhaber  der  Zauberin,  in 
einen  Baum  yerwandelt  worden  sei.  Die  Liebesgeschichte 
zwischen  Astolf  und  Melanie,  welch'  letztere  überhaupt  im 
Ariost'schen  Epos  nicht  vorkommt,  ist  also  von  Danchet  frei 
erfunden,  oder,  was  wahrscheinlicher  ist,  sie  ist  eine  Reminis- 
zenz an  Roger's  Verhältnis  mit  Bradamante,  welche  ihren  Ge- 
liebten durch  Melissa  {Orl.  für.,  C.  VII,  st.  39flf.)  aus  Alcine's 
Umgarnung  entreißen  läßt.  Athlant,  bei  Ariost  der  Beschützer 
Eoger's,  ist  hier  der  würdige  Gatte  der  Zauberin.  Ihre  EÜfer- 
süchteleien  und  Betrügereien  sind  Danchet's  Zutaten.  Auch 
die  Lösung  des  dramatischen  Knotens  ist  yon  ihm  erfunden. 
Von  den  Charakteren  kommt  nur  Alcina  in  Betracht^  die 
uns  der  französische  Dichter  dadurch  menschlich  näher  bringt, 
als  Ariost,  daß  er  sie,  die  verheiratete  Frau,  von  einer 
tiefen  Neigung  zu  dem  bereits  verlobten  Astolf  entbrennen 
läßt,  während  dieselbe  Zauberin  bei  Ariost  überhaupt  nur 
kurze  Zeit  ein  und  denselben  Mann  lieben  kann;  man  vgl. 
Orl.  für.,  C.  VI,  St.  50: 

tConobbi  tardi  il  suo  mobil  inge^nOf 
Usato  amare  e  disamare  a  un  pu7ito, 
Non  era  stato  oltre  a  duo  mesi  in  regno, 
CJi'un  nuovo  amante  al  loco  mio  fu  assunto. 
Da  se  cacciommi  la  Fata  con  sdegno, 
E  dalla  grnxia  sua  rrC  ebbe  dügiunto  : 
E  sejypi  poi,  che  tratti  a  simil  porto 
Avea  miW  altri  ajnanti,  et  tutti  a  torto,> 

In  diesem  Charakterunterschiede  liegt  gerade  der  Haupt- 
reiz der  Oper  Danchet's :  ein  mit  übernatürlichen  Gaben  aus- 
gestattetes Weib  liebt  einen  gewöhnlichen  Sterblichen  und  muß 
trotz  ihrer  Kunst  auf  ihn  verzichten.  Die  Schwäche  de^ 
Stückes  liegt  hauptsächlich  in  dem  nahezu  komischen  Ver- 
hältnisse des  Ehepaares  Alcina  und  Athlant,  das  sich  fort- 
während gegenseitig  zu  betrügen  sucht;  dieser  allzu  sehr  an 
das  Alltagsleben  erinnernde  Teil  der  Oper  stimmt  nicht  zu 
dem  Grundtone,  in  dem  diese  sich  bewegt 

Anklänge  an  die  italienische  Quelle  in  bezug  auf  sprach- 
lichen Ausdruck  finden  sich  nicht;  der  französische  Dichter 


—     225    — 

begnügte  sich,  die  Orandidee  und  den  Schauplatz  aus  Ariost 
zu  entlehnen. 

Das  Stück  scheint  vollständig  der  Vergessenheit  anheim- 
gefallen zu  sein;  wenigstens  fanden  wir  bei  den  von  uns  zu 
Rate  gezogenen  Forschern  kein  Wort  der  Kritik  über  Dan- 
chet's  Alcine.^) 

Zwei  weitere  Opern,  die  uns  jedoch  nicht  erhalten  sind, 
beschäftigen  sich  noch  mit  demselben  Stoffe.  Die  eine  ist 
Ton  dem  G-rafen  Laville  de  LacSp^de  komponiert  und 
1786  fiir  die  Pariser  *  Opera*  zur  Aufführung  angenommen, 
aber  nicht  aufgeführt  worden.  Sie  ist  unseres  Wissens  nur 
bei  Clement  erwähnt.^)  Der  Verfasser  des  Libretto  ist  nicht 
genannt,  und  das  ungedruckte  Manuskript  schlummert  in  der 
Theaterbibliothek  der  Pariser  Oper.  Querard  erwähnt  eine 
dreiaktige  Oper  in  Prosa  Alcine,  deren  Verfasser  Sedaine 
de  Sarcey  ist,  ein  Neffe  des  bekannten  Lustspieldichters 
J.  Sedaine.*)  Die  Oper  wurde  nach  Querard  zum  ersten  Male 
i.  J.  1789,  später  dann  noch  einmal  i.  J.  1795  am  Feydeau- 
theater  aufgeführt;  die  Musik  ist  von  Bruni;  leider  ist  das 
Stück  ebenso   wie  das  vorausgehende  nicht  gedruckt  worden. 


6.  Die  Joconde-Episode.  ^) 

Wir  kommen  nun  zu  der  berüchtigtsten  aller  Episoden  im 
Orl.  fw\y  zur  Joconde-Episode  *) ,   einer  echten  Renaissance- 


1)  Beauchamps,  Bech.,  3.  Teil,  8.  105;  Parfaict,  Biet  I,  42; 
Leris,  Dict,  S.  11;  Maupoint,  Bihl.^  S.  9,  ei-wähnen  das  Stück  tno-j 
ohne  €8  zu  beurteilen.  Auch  neuere  Werke  übergehen  es  in  ähnlicher 
Weise:  La  Harpe,  Cours  de  litt.,  II,  375;  Michaud,  Biogr.,  X,  87; 
Chouquet,  Hist,  330;  La  gr.  Enc.  XIII,  826  und  Clement,  Biet 
lyr,,  S.  27. 

*)  Dict.  lyr.,  S.  18:  «i Alcine,  opera,  musique  du  comte  Laville  de 
Lacipede.    Be^u  ä  V Opera  en  1786,  mais  non  represente.» 

')  La  France  litt.  IX,  11;  Q^ierard  gibt  dem  Stücke  den  Titel 
VIsle  enchayitce,  während  Clement,  Dict.  lyr.  Suppl,  S.  1182,  den  Titel 
Alcine  gebraucht;  beide  bezeichnen  die  Oper  als  ujigedruckt. 

*)  Orl  für.  a  XXVIII,  st.  1-75. 

*)  Fonti  dell  Orl.  f.,  S.  383. 

Münchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.  XXXIV.     15 


—     226     — 

Srzählung,  welche  Rajna  auf  die  Erzählaogin  der  446.  Nacht 
in  1001  Nacht  zurückführt  und  die  das  alte  Thema  von  der 
Treulosigkeit  und  List  der  Frauen  in  originelier  Weise  be- 
handelt. Die  betrogenen  Ehegatten  Astolfo  und  Giooondo 
wollen  sich  aus  Raehe  über  die  ihnen  angetane  Schmach  an 
dem  ganzen  weiblichen  Geschlechte  rächön,  weräen  aber 
schließlich  ron  einem  einfachen  Landmädcheti  ein  zweitesmal 
betrogen  und  kehren  dann  zu  ihren  G-attinnen  zurück. 

Die  erste  dramatische  Bearbeitung  auf  franzosischem 
Boden  erfuhr  die  Joconde-Episode  i.  J.  1628  durch  zwei 
provengalische  Dichter  Claude  Brueys  und  Charles  Peau^); 
da  dieses  Stück  jedoch  in  provengalischer  Sprache  geschrieben 
ist^  gehört  es  nicht  in  den  Rahmen  dieser  Arbeit. 

Eine  weitere  dramatische  Behandlung  des  Stoffes  begegnet 
uns  erst  wieder  i.  J.  1740,  wo  Fagan  einen  Einakter  in 
Prosa  Joconde  veröffentlichte.^)  Ob  das  Stück  mehr  als  eine 
Aufführung  erlebte,  ist  uns  nicht  berichtet.  Der  Verfasser 
selbst  war  ein  sehr  fruchtbarer  Theaterdichter  und  erlangte 
besonders  im  Yaudeville  eine  gewisse  Berühmtheit,  so  daß 
man  ihn  sogar  den  Lafontaine  des  Yaudevilles  zu 
nennen  pflegte.  P  a  1  i  s  s  o  t  ^),  ein  Zeitgenosse  unseres  Dichters, 
hebt  seine  Natürlichkeit  und  Ungezwungenheit  hervor,  tadelt 
aber  die  übermäßige  Fruchtbarkeit  des  Schriftstellers,  die  un- 
fehlbar zur  Oberflächlichkeit  führen  mußte.     Vapereau*) 


^)  Das  Stück  erschien  im  «Jardin  des  Musos  Frovengalos^  {3  Bde, 
12^)  und  hat  keinen  besondren  Titel,  wenn  man  nicht  die  Überschrift 
^Comedie  de  onze  personnages» ,  die  sich  bei  La  Valli^rCj  Bibl.  II,  19 
findet,  als  Titel  bezeichnen  ivill.  ToMo  encähnt  das  Stück  in  der  Cotn. 
d.  l  Benaiss,  [Rev.  d'Hist,  litt.,  1900,  S.  279),  ist  sich  aber  über  die 
Quelle  des  Stückes  nicht  klar. 

*)  Les  trois  siecles  litt.  III,  255,  woselbst  der  Joconde  als  relativ 
bestes  Stück  Fagan^s  genannt  wird;  doch,  so  heifit  es  weiter,  kann  man  es 
nicht  ein  gutes  Stück  nennen.  Leris,  Dict.,  253  nennt  es  «fort  bien  icrite^. 

»)  Memoires  II,  108. 

*)  Dict.  univ.,  S.  762.  Weitere  Urteile  über  den  Dichter,  dem  all- 
gemeine Oberflächlichkeit  vorgeworfen  wird,  finden  sich  bei  La  Harpe, 
Cours  de  litt.  II,  4ti«? ;  M  i  c  h  a  u  d  XIII,  441 :  La  gr.  Enc.  X  VII,  73;  in  diesen 
di'ei  Werken  wird  Joconde  jedoch  nicht  erwähnt  —  Joconde  steht  im 
1.  Bande  der  Gesamtausg.  der  Werke  Fagan^s  vom  Jahre  1760, 


—    227     — 

dagegen  bezeichnet  Fagan 's  Stil  als  nachlässig  und  den  Auf- 
bau der  Stücke  als  unnatürlich. 

Betrachten  wir  zunächst  die  Handlung  in  .dem  Stücke 
Joconde.  Astolf  und  Jooonde  haben  die  yerscbiedensten 
Gegenden  Europas  besucht,  und  überall  gefoiiden,  daß  Frauen- 
treue ein  leerer  Wahn  sei.  Ein  ganzes  Buch  war  bereits 
-vollgeschrieben  mit  den  Namen  derjenigen  Frauen,  welche 
ihren  Männem  die  Treue  brachen  und  sich  den  beiden  Aben- 
teurern hingaben;  nur  für  drei  Namen  ist  noch  Raum.  Das 
Gasthaus,  in  dem  sie  eben  abgestiegen  sind,  beherbergt  drei 
Schwestern,  welche  im  Rufe  der  Unnahbarkeit  stehen.  Astolf 
glaubt  jedoch,  in  dreißig  Minuten  ihre  Tugend  zuschanden 
machen  zu  können,  und  in  der  Tat  gelingt  es  ihm  auch  auf 
folgende  Weise:  Der  ältesten  Schwester  Marcelle,  welche 
Witwe  ist,  bietet  er  seine  Reichtümer  an,  falls  sie  ihm  nur  den 
Titel  eines  Gemahls  ohne  dessen  Rechte  gewähren  wolle ;  mit 
Freuden  willigt  sie  selbst  ohne  diese  Klausel  ein.  Suson,  die 
Zweitälteste,  ein  zänkisches  Mädchen,  wird  von  ihm  durch 
Heiratsversprechungen  und  dadurch,  daß  er  ihr  in  Aussicht 
stellt,  sie  an  den  Hof  zu  führen,  gewonnen.  Die  dritte  der 
Schwestern  endlich,  Clorinde,  eine  Philosophin,  wird  verführt 
durch  das  Geschenk  eines  Diamantringes,  nachdem  zuvor 
ihr  treuer  Wächter  und  Lehrer  Matasio  von  Astolf  mit  einer 
wertvollen  Tabaksdose  bestochen  worden  ist.  So  glänzen  auch 
die  Namen  dieser  drei  Tugendengel  in  dem  verhängnisvollen 
Buche,  welches  ihnen  der  schlaue  Verführer  nunmehr  zeigt. 
Nur  unter  der  Bedingung,  daß  die  drei  Schwestern  ihre  früher 
abgewiesenen  Freier  heiraten,  will  er  von  einer  Veröflfentlichung 
ihres  Fehltrittes  absehen. 

Im  Gegensatz  zu  dem  Lustspiel  der  beiden  proven^alischen 
Dichter  ist  Fagan's  Stück  sehr  dezent,  sogar  viel  dezenter  als 
die  Erzählung  bei  Ariost.  Dieser  letzteren  sind  folgende 
Punkte  entlehnt:  der  Schauplatz  des  Stückes  (cf.  Orl.  für,, 
C.  XXVIII,  St.  52),  die  Erzählung  von  Astolf  über  die  Er- 
folge seiner  Reisen  (O.  f,,  C.  XXVIII,  st  48—52),  die  Ver- 
führung durch  Geld  und  Preziosen  (cf.  Chi.  für,,  C.  XXVIII, 
et.  48  u.  st.  53),  endlich  die  Schlußszene,  welche  mit  einer 
dreifachen  Verlobung  endet  (cf.  Orl  für.,  C.  XXVIII,  st.  74, 

15* 


—     228    — 

wo  Astolf  und  Giocondo  FiammeUa  mit  dem  tOreco»  yer- 
heiraten.  Alles  übrige  in  Fagan's  Einakter  ist  entweder  eigene 
Erfindung  des  Dichters,  oder  beruht  auf  anderen  Quellen. 

Die  Hauptänderung  an  dem  Stoffe,  nämlich  die  Einführung 
von  drei  Schwestern  an  Stelle  eines  einzigen  Mädchens,  ist 
keine  glückliche  zu  nennen.  Die  Art  und  Weise,  wie  die  drei 
verführt  werden,  ist  nahezu  dieselbe,  und  die  Wahrschein- 
lichkeit, daß  sie  in  so  kurzer  Zeit  und  mit  so  plumpen  Mitteln 
überhaupt  in  ihren  Grundsätzen  wankend  gemacht  werden 
können,  ist  nichts  weniger  als  groß. 

Stil  und  Dialog  des  Stückes  sind  frisch  und  lebendig; 
Bede  und  Gegenrede  folgen  rasch  aufeinander;  Witz  und 
Ironie  kommen  reichlich  zum  Ausdruck,  besonders  in  den  RoUen 
Joconde's  und  Astolf  s  (vgl.  Sz.  1,  4  und  6);  am  gelungensten 
scheint  uns  Szene  6  zu  sein,  in  welcher  die  beiden  Don 
Juans  Olorinde  und  den  Philosophen  Matasio  sich  ihren  Ab- 
sichten gefügig  machen.  Astolf  erklärt,  ohne  Clorinde  nicht 
leben  zu  können  und  fragt,  nachdem  er  die  leidenschaftlichsten 
Liebesschwüre  getan  hat: 

Ast.     Hif  bien?  Cela  ne  fait-il  aueun  effet  sur  votis'f 

Clor.    Aiwun. 

Matas.     Ni  sur  moi, 

Ast.  Je  7ie  me  rebuterai  point,  R  rCy  aura  poiiä  de  res- 
source  que  je  n^eniploye  pour  vous  attendrir.  Je  deviendrai  galant 
et  magnifique,  Void,  par  exemple,  un  Diamant  (Laissex^mai 
siiivre  ma  demonstration ;  et  pretez  voits  d  iout  ceci,  je  vous  eti 
conjure)  .  .  .  Voici  im  diammU  d^un  prix  considerable,  Imaginex' 
voii^  qtie  je  Vai  lause  sur  votre  Toilette,  sans  que  vous  vous  en 
soyex  appercue.  Vous  Vessayez;  et  quoique  vous  soyez  datis  k 
dessein  de  faire  d^exartes  recherches  pour  le  retidre^  vous  h  recevex 
en  attendant. 

Clor,     (en  recevant  In  Bague)  Je  le  re^ois? 

Ast.     Ouf\ 

Matas.     Badinage  I 

Ast.  Ce  n'est  jms  tont.  Je  scais  que  vous  avex  aupres  de 
vous  nn  komme  de  Leitres,  qui  est  wtre  conseil,  votre  ami,  ntai 
ais6  dans  les  affaires^  cotnme  la  plifpart  le  sont;  je  lui  dis:  Mon- 
sieur j   ma   flamme   est   honncte,    le  mariage   est  mon  objety   votre 


—     229     — 

honneur  ne  sera  pas  blesse  en  mt  servant;  dltennintx  Vaimable 
Clorindey  däerminex  celle  que  fadare;  je  vom  promeis  miüe 
dncats  si  Vaffaire  rSussit^  et  voici  (Tavance  une  Tabatiere  extreme" 
ment  riche  que  je  vous  prie  d'accepter, 

(ä  Maiasio). 

Acceptex,  je  vous  prie,  Monsieur. 

Mat.,  prenant  la  Tabatiere  et  la  regardant. 

Out,  oui;  speeulation  que  tont  cela. 

Diese  kurze  Antwort  des  Philosophen  zeigt  uns  dessen 
Charakter  besser  als  eine  lange  Schilderung;  das  zweifache 
Oui  sagt  uns,  wie  gierig  er  nach  der  Tabaksdose  greift,  wie 
zugänglich  er  der  Bestechung  ist;  doch  daß  er  wenigstens 
den  Schein  der  Unbestechlichkeit  bewahren  will,  geht  aus  den 
folgenden  Worten:  speeulation  que  tout  cela  hervor.  So  sehen 
wir  in  Matasio  den  falschen  Philosophen,  den  <faux  savant^^ 
der  hinter  der  Maske  der  Philosophie  die  Laster  des  Geizes 
und  der  Verstellung  geschickt  zu  verbergen  weiß. 

Fagan's  Joconde  scheint  den  ihm  geistig  verwandten, 
ebenfalls  äußerst  fruchtbaren  Theaterdichter  Charles  Colle^) 
veranlaßt  zu  haben,  16  Jahre  später  denselben  Gregenstand 
wieder  aufzugreifen  und  auf  die  Bühne  zu  bringen.  Sein 
Joconde  erschien  1768  in  der  tTfieätre  de  societe^  betitelten 
Sammlung  seiner  besten  Stücke  und  wird  als  topcra  corniqu^e 
en  deux  actes  et  en  vaiidevilles^  bezeichnet.^)    Aufgeführt  wurde 


*)  Über  C  o  11 6 '  8  vielbewegtes  Leben  «.  D  i  d  o  t ,  XI,  151;  M  i  c  h  a  u  d , 
YIII,  587,  wo  dem  Dichter  der  Vorwurf  gemacht  wird,  in  seinen  Stücken 
allzusehr  der  Obszönität  die  Zügel  schießen  zu  lassen;  deytselben  Vorwurf 
macht  ihm  auch  Vapereau  {Dict.,  S.  488):  *. .  .  Comedies  en  ghdral 
fort  licencieuses,  avec  ces  sous-entendus  et  ces  gravelures  gazies  qui 
plaisaient  au  grand  monde  du  XVIII ^  sieden ;  La  gr.  Encl.,  XZ,  936, 
wo  besonders  die  Vielseitigkeit  und  Fruchtbarkeit  des  Dichters  hervor^ 
gehoben  wird:  ^tColU  composa  pour  le  theätre  du  duc  d'OrUans  des  opSras 
comiqueSf  des  comedies,  des  proverbes  et  des  parades  d'une  gaiete  osee, 
mais  franche  et  bien  originale.y> 

*)  Das  Theätre  de  sociStS  erschien  1768  in  zwei,  und  1777  in  drei 
Bäfiden;  diese  zweite  Ausgabe  ist  nur  ein  Neudruck  der  von  1768.  Das 
Stück  wird  nur  &«  Querard,  La  Fr,  litt,  II,  244—245,  und  in  der 
gr,  Enc,  XI,  936  erwähnt 


—    230     — 

diese  komische  Oper  bereits  1756  ^),  wahrscheiDÜch  erlebte  das 
Stück  nur  eine  einzige  Auffuhrung. 

Wir  gehen  sofort  zu  einer  Analyse  des  Joconde  von 
CoUe  über.  Die  in  dem  Stücke  auftretenden  Personen  sind 
folgende : 

Astolphe,  Eoy  de  Lombardie,  Joconde,  Seigneor  de  sa 
Cour,  M™®  Dutour,  Concierge  d'une  maison  sitn^e  k  St.  Cloud, 
et  möre  de  Theröse.  Th6röse,  fille  de  M™«  Dutour,  et  amou- 
reux  de  Blaise.  Blaise,  jardinier  de  la  maison  dont  M°^' 
Dutour  est  la  Concierge. 

Akt  I:  Blaise,  der  eben  im  Garten  der  Frau  Dutour 
beschäftigt  ist,  drückt  dieser  seine  Beunruhigung  über  die 
Anwesenheit  zweier  junger  Reisenden  im  Hause  aus,  welche 
seiner  geliebten  Therese  etwas  zu  aufdringlich  den  Hof 
machen ;  vergebens  sucht  die  Dame  den  eifersüchtigen  Gärtner 
zu  beruhigen ;  ahnt  sie  doch  ebensowenig  wie  Blaise,  daß  die 
beiden  Reisenden  niemand  anders  sind  als  Astolf  und  Joconde, 
welche  den  letzten  Platz  in  ihrem  Buche  mit  Theresen's 
Namen  auszufüllen  gedenken.  Beide  bestellen  das  junge 
Mädchen  zu  einem  nächtlichen  Stelldichein  in  den  Garten,  wozu 
sich  Therese  auch  bereit  erklärt,  nachdem  die  Verführer  sie 
mit  einem  wertToUen  Ringe  beschenkt  und  ihr  außerdem  100 
Dukaten  versprochen  haben,  falls  sie  zur  rechten  Zeit  am 
verabredeten  Orte  erscheine. 

Akt  II :  Therese,  welche  ihre  Absicht  wohl  durchschaut, 
macht  dem  Geliebten  von  ihrem  Vorhaben  Mitteilung  und 
gibt  ihm  den  Auftrag,  das  nächtliche  Stelldichein  aus  der 
Nähe  zu  belauschen.  Als  die  Dunkelheit  hereinbricht,  finden 
sich  Blaise  und  Therese  zuerst  an  dem  Platze  ein  und  sezten 
sich  plaudernd  auf  eine  Steinbank.  Bald  darauf  erscheint 
Astolf  und  sieht  Therese  bei  einem  jungen  Manne  sitzen;  er 
glaubt  natürlich,  sein  Freund  sei  der  GlücUiche  auf  der 
Bank,  und  entfernt  sich  stillschweigend;  nicht  lange  hernach 
tritt  Joconde  hervor,  hält  den  ahnungslosen  Blaise  für  seinen 
Freund  Astolf,  und  entfernt  sich  ebenfalls.  Beide  treffen  sich 
und  beglückwünschen  sich  über  den  Erfolg,  bis  es  sich  heraa»* 


^)  La  gr,  Enc,  S.  936, 


—     231     — 

stellt,  daß  Tliwese  sie  zum  besten  gehabt  hat.  Sie  machen 
jedoch  gute  Miene  zum  bösen  ^iele,  und  schenken  dem 
listigen  Mädchen  anstatt  100  sogar  200  Dukaten.  Sodann 
besehließen  sie,  zu  ihren  Frauen  zurückzukehren,  ohne  den 
leeren  Platz  in  ihrem  Buche  auszufüllen: 

tReiaumons  dennain  avec  nos  femmes,  hien  cotwaincns  qu^elles 
soni  Us  ^nemes  dans  Ums  les  pays.*  (Akt  II,  Sz.  8), 

Die  Handlung  schließt  sich  eng  an  die  Joconde-Episode 
im  OrL  für.  au.  Nur  wird  das  Obszöne,  das  Ariost  so  un- 
verhüllt  erzählt,  gänzlich  fallen  gelassen  und  durch  ein  harm- 
loses Stelldichein  im  Garten  ersetzt.  An  Stelle  des  Gast- 
hauses zu  Cattiva  {Orl.  für.,  C.  XXVIXI,  st.  54)  führt  uns 
der  Dichter  in  den  Garten  eines  Mietshauses  der  Pariser 
Vorstadt  Poissy.  Die  Person  der  M"^®  Dutour  ist  Erfindung 
des  fritnzösischen  Dichters;  ihre  Tochter  Tberese  ist  die 
Fiammetta,  Blaise  der  Greco  des  OrL  für. 

CoUe  ist  es  gelungen,  die  Joconde-Episode  so  umzuge- 
stalten,  daß  der  Grundgedanke  derselben  erhalten  bleibt^  daß 
aber  aUes  Obszöne  vollständig  daraus  verschwunden  ist.  D^r 
Vorwurf  der  Indeoenz  kann  da^er  dem  Dichter  in  dies^em 
Stücke  keineswegs  gemacht  werden;  vielmehr  dürfen  wir  es 
ihm  als  ein  Verdienst  anrechnen,  den  goldenen  Kern,  den 
djßse  Episode  in  sich  schließt,  von  der  schmutzigen  Um- 
hüllung, in  die  ihn  Ariost  kleidet,  befreit  zu  haben. 

Der  Gang  der  Handlung  schreitet  rasch  dahin  und  die 
Spannung  dauert  bis  zur  letzten  Szene  an,  der  Dialog  ist 
lebhaft  und  wechselt  ab  mit  lyrischen  Strophen,  deren  Inhalt 
sich  meist  um  das  Glück  der  Liebe  dreht. 

Sogar  noch  im  19.  Jahrb.  findet  sich  ein  Dichter,  welcher 
die  Joconde-Episode  einem  Lustspiele  zugrunde  legt.  Es  ist 
dies  M.  iJtienne's^)  Lustspiel  Joconde  oii  les  Coureurs  d'Aven^ 


*)  ilüenne  war  besonders  erfolgreich  in  der  Anfertigung  von  Opern- 
texten;  auch  die  uns  vorliegende  Prosa  ausgäbe  der  Joconde  wurde  als 
Libretto  verwendet^  zu  dem  Nicolo  die  Musik  schrieb  («.  Clement,  Dict., 
S.  38).  über  ^tienyie  s.  mhei-es  bei  Michaud^  XIll,  146,  wo  der  Joconde 
das  16,  Stück  des  Dichters  genannt  wird  ;Didot,  XYI,633ff.;  Vapereau,  Dict 
univ.j  74öy  nach  dem  das  Stück  einen  große^i  Erfolg  errang;  la  gr.  Enc. 
X7h  660,  wo  der  Joconde  als  das  beste  Stück  ktienne^s  belohnet  wird. 


iure3f  welches  zum  ersten  Male  am  28.  Februar  1814  aufge- 
führt wurde,  und  von  dem  1821  bereits  die  9.  Ausgabe 
erschien. 

Die  überaus  yerwickelte  Handlung  der  Komödie  ist  in 
ihren  Hauptzügen  kurz  folgende: 

Akt  I:  Graf  Eobert  und  sein  Ereund  Joconde  wollen 
ihre  Bräute  Mathilde  und  Edile  bezüglich  ihrer  Treue  auf 
die  Probe  stellen,  indem  der  eine  von  ihnen  der  Verlobten 
des  anderen  den  Hof  macht.  Da  Mathilde  und  Edile  das 
gleiche  zu  tun  beschlossen  haben,  bestehen  die  beiden  Mädchen 
scheinbar  die  Probe  nicht,  und  Robert  faßt  daher  mit  seinem 
Freund  den  Entschluß,  aus  Eache  dafür  alle  Frauen,  die  sie 
träfen,  zu  verführen. 

Akt  U:  Auf  einem  ländlichen  Balle  in  der  Nähe  des 
gräflichen  Schlosses  wählen  sich  die  beiden  ihr  erstes  Opfer 
aus  in  der  Person  der  hübschen  Jeannette,  die  mit  Lucas, 
einem  jungen  Manne,  verlobt  ist.  Wie  in  dem  vorausgehenden 
Stücke  von  Celle  hält  jedoch  die  schlaue  Jeannette  die  beiden 
Verführer  bei  einem  nächtlichen  Stelldichein  zum  besten,  so 
daß  die  Betrogenen  sich  schließlich  wieder  nach  ihren  ver- 
lassenen Bräuten  zurücksehnen. 

Akt  III:  unterdessen  hat  sich  das  Gerücht  verbreitet, 
die  beiden  Abenteurer  wollten  Jeannette  verführen;  es  wird 
deshalb  ein  Haftbefehl  gegen  sie  erlassen,  und  schon  sollen 
sich  die  Türen  des  Gefängnisses  für  sie  öffnen,  als  Mathilde 
und  Edile,  die  ihren  ehemaligen  Verlobten  in  der  Verkleidung 
als  Zigeunerinnen  auf  den  Ball  gefolgt  waren,  die  wahren 
Namen  der  vermeintlichen  Abenteurer  verraten  und  diesen 
so  die  Schmach  des  Gefängnisses  ersparen.  Reumütig  bitten 
sie  um  Verzeihung  und  versprechen  treue  und  vertrauende 
Gatten  zu  werden. 

Etienne's  Lustspiel  steht  unleugbar  unter  dem  Einflüsse 
von  Colle's  gleichnamigen  Stücke,  nur  Anfang  und  E2nde 
gehen  teils  auf  Ariost  zurück,  teils  sind  auch  sie  vom  französi- 
schen Dichter  hinzugefügt.  Wie  C  o  1 1  e,  so  sucht  auch  E  t  i  e  n  n  e 
alles  Unanständige  fern  zu  halten  imd  aus  der  durch  und 
durch  derb  lasziven  Erzählung  des  Ariost  eine  harmlos  komische 
Handlung  mit  einer,  wenn  auch  nicht  aufdringlichen,  lehrhaften 


—     233     — 

Pointe  zu  bilden.  Wie  bei  Colle  endlich,  sind  adch  hier 
lyrische  Strophen  erotischen  Inhaltes  eingestreut,  welche 
dem  Ganzen  oft  einen  ernsthaften,  sentimentalen  Ton  ver- 
leihen.^) Was  fJtienne  dem  Ariost  entlehnt,  ist  besonders 
die  Exposition  des  Stückes;  aber  wie  zart  weiß  er  nicht 
seine  Quelle  umzugestalten!  Während  bei  Ariost  Astolfo 
und  Giocondo  ihre  Frauen  in  flagranti  ertappen,  denken  bei 
lUtienne  die  beiden  Bräute  überhaupt  nicht  ernstlich  daran, 
ihren  Verlobten  untreu  zu  werden;  und  die  simulierte  Un- 
treue besteht  nur  darin,  daß  sie  kleine  Geschenke  von  dem 
Verführer  annehmen.  Etienne  ist  sogar  noch  moralischer 
als  OoUe,  bei  dem  Astolf  und  Joconde  bereits  am  Ende  ihrer 
abenteuerlichen  verbrecherischen  Reise  stehen,  während  sie 
Etienne  uns  vorführt,  wie  sie  dieselbe  erst  anfangen,  und  wie 
sie  den  Namen  des  ersten  Opfers  in  ihrem  Buche  einzutragen 
im  Begriffe  sind. 

Freie  Erfindung  des  französischen  Dichters  ist  das  länd- 
liche Ballfest,  die  Verhaftung  der  beiden  tCbureurs  cPAvenitiresi 
und  ihre  Befreiung  durch  Mathilde  und  Edile.  Diese  Zu- 
taten sind  durchwegs  als  glücklich  zu  bezeichnen.  Das  Tanz- 
fest gibt  zu  einer  Reihe  von  gelungenen  dramatisch  wirkungs- 
vollen Szenen  (vgl.  Akt  II,  Sz.  1 — 5)  Anlaß ;  die  Verhaftungs- 
szene durch  den  Bailli  des  Ortes  und  die  Ankunft  der  beiden 


^)  Vgl.  Akt  III,  Sz.  i,  wo  Robert  bereut ,  seine  Braut  verlassen  zu 
haben: 

Str.  1.  «Dans  un  delire  extreme 

On  peut  fuir  ce  qu'on  aime: 

On  pr^tend  se  venger^ 

On  jure  de  changer^ 

On  dement  infidele, 

On  cowrt  de  belle  en  belle; 

Mais  on  revient  toujours  ä  ses  premiers  amours.» 
Str.  2.  Ah!  d'une  ardeur  siticere 

Le  temps  ne  peut  distraire^ 

Et  nos  plus  doux  plaisirs 

Sont  dans  nos  Souvenirs. 

On  pense,  on  pense  encore 

A  Celle  qu'on  adore, 

Et  Von  revient  toujours  ä  ses  premiers  amours.» 


^    224    - 

Dluoaen  bilden  einen  höchst  dramatischen  SchloS.  Fügen  wir 
noch  hinzu,  daß  der  Ort  der  Handlang  unter  dem.  sonnigen 
Himmel  der  Provence  liegt,  und  daß  sanges-  und  lebensfrohe 
ProTen^en  die  Träger  der  Handlung  sind,  so  haben  wir  die 
charakteristischen  Seiten  des  Stückes  heryorgeboben. 

Es  ist  schade,  daß  dieser  so  glücklich  entworfene  Sehwank 
der  völligen  Vergessenheit  anheimgefallen  ist,  und  daß  den 
Dichter  desselben  das  gleiche  Los  ereilt  zu  haben  scheintb^) 

Etienne's  Joconde  ou  les  Coureura  dCAveniurea  wurde 
später  von  Aumer  zu  einem  Ballett  verarbeitet  und  von 
dem  Komponisten  Herold  in  Musik  gesetzt.  Die  Auf* 
führung  des  unter  dem  Titel  Asiolphe  et  Joconde  bekannten 
Balletts  erfolgte  am  29.  Januar  1827  ^)  und  hatte,  dank  der 
Musik  Herold's,  einen  bedeutenden  Erfolg.') 


7.  Die  Erzählung  vom  Zauberbecher. 

Wir  kommen  nun  zu  der  Erzählung  vom  Zauberbecher, 
welcher  Ariost  den  ersten  Teil  des  43.  Gesanges  (st.  1 — 70) 
widmet.  Welche  Bewandtnis  es  mit  diesem  Becher  bat,  er- 
fahren  wir  aus  Strophe  28  des  genannten  Gesanges,  wo 
Ariost  sagt: 

tDisst  Melissa:  lo  ti  darb  un  fxxstüo 
Fatto  da  her,  di  rirtü  rara  e  strana, 
Qual  gidf  per  fare  accorio  ü  suo  frateUo 
Dell  fallo  di  Ginevraj  ß  Morgana. 
Chi  la  moglie  ha  pudica,  bee  con  quello: 
Ma  non  vi  ptiö  giä  her  cht  Vha  puttana; 


')  Michaud  XIII,  146^  nennt  das  StUck  •fcuneux».  Vapereau, 
Dict  univ.,  745,  lobt  besonders  die  CharakterzeMnfmg  dm  Joconde,  der 
unbeständig,  frivol  ivnd  aUetUeicht  verliebt,  aber  immer  Uebenswürdig  und 
niemals  hassetiswert  {odieux)  sei.  ^  der  gr,  Enc,  XVI,  660  wird  Jo- 
conde, wie  bereits  erwähnt,  das  beste  Stück  d.  Dichters  genannt*  Clement, 
Dict,  lyr.  014  endlich  hält  das  Stück  für  eine  der  voükommenstefi  komi- 
schen Opern. 

«)  Chouquet,  Hist.,  S.  392. 

*)  Ibd. ;  Chouquet  führt  auch  die  Schauspieler  an,  welche  die  Haupt- 
rollen des  Balletts  zu  spielen  hatten. 


—     235     — 

Che  7  vifi,  quando  lo  crede  in  bocca  porre, 
Tutto  $i  sjmrge,  e  fuor  nel  petto  scorre,* 

Der  erste  franzÖBische  Dichter,  welcher  diese  Episode 
dramatisch  behandelte,  war  kein  geringerer  als  Lafontaine, 
der  gemeinschaftlich  mit  seinem  Freunde,  dem  berühmten 
Schauspieler  Champmeslg  den  lastigen  Einakter  tLacoupe 
encftantie^  verfaßte.  Als  Abfassungsjahr  wird  von  Lema- 
zuri^r^)  und  Regnier^  1688  angegeben.  Welches  der 
Anteil  eines  jeden  der  beiden  Verfasser  an  dem  Stücke  ist, 
läßt  sich  jedoch  nicht  bestimmen. 

Maupoint^)  und  La  Porte  et  Ohamfort^)  geben 
die  beiden  Dichter  als  Verfasser  an,  ohne  den  Anteil  des 
einaelnen  präzisieren  zu  wollen.  Mouhy^)  meint,  das  Stück 
sei  von  Lafontaine  allein  verfaßt,  später  aber  in  Cham p - 
mesle's  Gesamtausgabe  eingereiht  worden,  obgleich  dieser 
nur  seinen  Namen  hergegeben  habe;  außerdem  behauptet 
er  irrtümlicherweise,  die  Coupe  enchantee  sei  dem  Boc- 
caccio entlehnt.^)  In  Michaud's  Biogr.  wird  jedoch 
in  Abrede  gestellt,  daß  ChampmeslS  an  dem  Stücke  über- 
haupt mitgearbeitet  habe ;  die  Vermutung  einer  Mitarbeit  des 
letzteren  sei  aus  der  intimen  Freundschaft  der  beiden  Männer 
hervorgegangen.'^  Bruneti^re  scheint  der  Ansicht  zuzuneigen, 
d»ß  Champmeslö  die  Hauptarbeit  an  der  Komödie  geleistet 
hflbe.^)  Reg  nie  r  endlich  verzichtet  darauf,  ein  urteil  über 
<iiese  Frage  abzugeben,  indem  er  sagt :  <0n  ne  saura  jamais 
la  pari  que  Lafontaine  a  prise  ä  la  composition  de  cette  petiie 
c€m6die.>^)  Dieser  letzteren  Ansicht  schließen  auch  wir  uns 
4(D,  denli  nirgends  in  dem  Stücke  läßt  sich  eine  Stelle  nach- 


1)  GaUrie,  J.  184. 

«)  (Exivren  de  Laf,  {Ätisg.  der  Ch\  ta\)  VIl,  4S9. 

»)  Bibl,  S.  85. 

*)  Dict.  ^am.  1,  S24, 

*)  Tabl,  S.  60,  61. 

•)  Ihd.,  8.  61. 

")  Biogr.  univ.,  YII,  465:  *0n  p^^Hend  que  Ch.  a  eu  U7ie  tre$  gfxmde 
pari... et  ä  la  coupe  enchantSe . . .  Cette  aesei'tion  n'a  d'autre  fondement 
qae  hs  relations  d'amitU  q^ü  existh-ent  entre  Lafontaine  et  Champmeeli.» 

»)  La  gr.  Enc.,  XXI,  756. 

•)  (Euvres  de  Laf  {A%iag.  der  Gr.  Ecr.\  VII,  442. 


weisen,  die  aus  dem  Rahmen  der  Einheitlichkeit,  in  dem  das- 
selbe geschrieben  ist,  herausträte. 

La  coupe  enchanUe  wurde  zum  erstenmale  im  Jahre  1710 
gedruckt  und  als  Verfasser  M.  Chammelay  (sie!)  bezeichnet 
Später,  1735,  wurde  die  Komödie  in  die  Gesamtausgabe  der 
Dichtungen  Champmesl6's  aufgenommen,  wo  sie  sich  im 
2.  Bande  derselben  befindet.^)  H.  Regnier  endlich  gab  dem 
Stücke  einen  Platz  im  7.  Bande  seiner  Ausgabe  Lafon- 
taine's.^) 

Über  die  Veranlassung  zur  Abfassung  unserer  Komödie 
erzählt  Maupoint  folgende  Anekdote:  ^UeduceUion  que 
M,  G,,  arcküede,  vaulut  donner  ä  sa  fiUe  en  la  tenani  etifermie  et 
privee  de  la  connaissance  des  hommesy  foumit  k  sujet  de  cette 
peiite  piec^».  Die  Behauptung  Maupoint's*),  daß  diese  Be- 
gebenheit den  Stoff  zu  Lafontaine's  Stücke  geliefert  habe,  ist 
in  dieser  Form  keinesfalls  richtig,  denn  wir  sehen  nicht  ein,  was 
das  sonderbare  Erziehungssystem  des  Architekten  G.  mit  der 
Geschichte  vom  Zauberbecher  zu  tun  haben  könnte.  Maupoint 
wurde  vielleicht  dadurch  zu  seiner  Behauptung  verleitet,  daß 
im  Stücke  unter  anderen  ein  ähnliches  Erziehungssystem 
geschildert  wird.  Aber  dieselbe  Schilderung  findet  sich  auch 
im  Orl.  fiir.]  da  Lafontaine  außerdem  schon  früher  diese 
Episode  aus  dem  italienischen  Epos  ins  Französische  über- 
setzt hat^),  ist  es  als  sicher  anzunehmen,  daß  der  große 
Fabeldichter  und  Ariostverehrer  den  Stoff  zu  dieser  Komödie 
direkt  dem  Orl.  für.  entlehnte. 

Wir  gehen  nun  auf  die  Analyse  unseres  Stückes  über. 

Lucinde,  Tochter  des  Normannen  Tobin,  flüchtet  mit 
Perette,  Frau  des  Thibaud,  welche  im  Dienste  des  Tobin 
steht,  zum  Bauer  Bertrand,   weil  sie  den  Neffen  ihrer  Stief- 


»)  (Euvres  de  M,  ChampmesU,  P.  1735,  2  vol.,  12,  Das  Stück  findet 
sich  in  II  673—620, 

*)  (Euvres  d,  Laf.  {Amg,  der  Grands  6cr,  de  la  France),  Bd  YU, 
439—495. 

»)  BibL  S.  85. 

*)  Unter  d.  Titel:  La  coupe  enchantee ;  auch  die  berühmte  Erzählung 
Lafontaine's  *Les  oies  de  frere  Philippe»,  eine  Satire  auf  die  aüzustrenge 
Erziehung,  ist  der  Episode  im  43.  Ges.  des  Orl,  für.  entnommen. 


—     237     — 

mutter  heiraten  soll,  während  sie  dagegen  den  jungen  Leiie, 
den  Sohn  des  reichen  Anselm,  liebt.  Thiband,  auf  der  Suche 
nach  seiner  flüchtig  gegangenen  Frau,  kommt  mit  Lelie  und 
dessen  Lehrer  Josselin  zusammen  und  yertraut  ihnen  sein 
eheliches  Unglück  an;  furchtet  er  doch,  daß  ihm  seine  Frau 
bereits  die  Treue  gebrochen  habe.  Josselin  empfiehlt  ihm, 
sich  mit  dem  Zauberbecher  Anselm's  in  diesem  Funkte  Ge- 
wißheit zu  verschaffen.  Anselm  habe  den  Becher  von  einem 
Araber  erstanden  und  stelle  ihn  jedermann  zur  Verfugung. 
Thibaud  aber  will  aus  den  nämlichen  G-rnnden  wie  sie  bei 
Ariost  (C.  XLIII,  st.  65  u.  66)  angegeben  sind,  das  gefähr- 
liche Experiment  nicht  wagen,  sucht  jedoch  einen  Verwandten 
des  Tobin,  der  sich  ebenfalls  gern  Gewißheit  über  die  Treue 
seiner  Gemahlin  verschaffen  möchte,  zu  dieser  Frohe  zubewegen. 

Anselm  fängt  indessen  an,  sich  über  seinen  von  ihm  in 
aller  Sorgfalt  und  Abgeschlosseuheit  erzogenen  Sohn  LeKe  zu 
beunruhigen,  da  er  ihm  verliebt  zu  sein  scheint.  In  der  Tat 
sehen  wir  bald  nachher  den  Jüngling   am  Arme  Lucindens. 

Nun  erscheinen  auch  Lucindens  Vater  Tobin  und  sein 
Vetter  Griffand,  welch  beide  ihre  Ehehälften  im  Verdachte 
der  Untreue  haben.  Als  sie  von  der  seltsamen  Eigenschaft 
des  Bechers  hören,  verlangen  sie  daraus  zu  trinken ;  der  Becher 
wird  ihnen  gereicht,  aber  Beide  verschütten  beim  Trinken 
Flüssigkeit  und  haben  daher  für  den  Spott  der  Umstehenden 
nicht  zu  sorgen.  Anselm  hat  inzwischen  von  der  Liebe  seines 
Sohnes  zu  Lucinden  erfahren;  nach  einigem  Widerstreben 
willigt  er  in  die  Heirat  des  jungen  Paares  ein;  den  Zauber- 
becher aber  verspricht  er  zu  brechen,  da  derselbe  so  manchen 
Mann  schon  unglücklich  gemacht  habe. 

Wie  uns  der  Inhalt  des  Stückes  gezeigt  hat,  ist  der 
Stoff,  wie  ihn  der  Ol,  für.  bietet,  im  wesentlichen  beibe- 
halten worden.  Nur  der  Schauplatz  und  der  Stand  der  Per- 
sonen wurde  verändert;  außerdem  aber  sind  eine  Beihe  von 
Personen  neu  eingeführt  worden,  da  ja  bekanntlich  in  der 
Ariost'schen  Erzählung  nur  vier  Personen  erwähnt  werden. 
Das  Anstößige  im  italienischen  Original  wurde  soweit  wie 
möglich  beseitigt.  Das  Tragische  und  Bittere,  das  bei  Ariost's 
Erzählung  sich  findet,  ist  ebenfalls  fortgeblieben;   selbst  als 


—    238    — 

Tobin  und  Griffand  von  der  Untreue  ihrer  Fnaiieo  wissen, 
versagt  ihnen  der  gute  Humor  nicht;  sie  wissen  sich  mit 
Anstand  ins  UnTermeidliche  zu  fugen.  -Vollständig  frei  .er- 
funden dagegen  ist  die  Flucht  Lucinden's,  das  Liebasfer- 
hältnis  zwischen  ihr  und  Lelie  und  der  anfängliche  .Wider- 
stand der  beiderseitigen  Eltern,  diese  Verbindung  gut .  w 
heißen.  Französische  Zutat  ist  es  endlich  auch,  daß  An^elm 
am  Schlüsse  des  Stückes  den  Becher  zu  zerbrechen  verspdcht. 

Der  literarische  Wert  der  Komödie  ist  nach  unsecier 
Ansicht  Jcein  hoher.  Es  fehlt  in  derselben  yor  allem  an 
Motivierung  und  Entwicklung;  so  werden  wir  im  unklaren 
gelassen  über  die  Gründe,  die  Perette  zur  Flucht  von  ihreim 
Gemahl  Thibaud  bestimmen,  wir  erfahren  nicht,  ob  und  mit 
wem  sie  Ehebruch  getrieben;  das  gleiche  vermissen  wir  .b«i 
den  ehebrecherischen  Frauen  des  Tobin  und  Griffand.  .Auch 
die  plötzliche  Einwilligung  der  Eltern  Lucindens  und  Lelie's 
in  deren  Heirat  ist  unmotiviert.  Endlich  suchen  wir  in  dem 
Stücke  vergebens  eine  Hauptperson  oder  auch  Hauptper- 
sonen, um  die  sich  die  ganze  Handlung  gruppiert;  ajles  ist 
zu  kurz  und  zu  skizzenhaft  behandelt,  so  daß  das  Stück  eher 
den  Namen  Posse  oder  Schwank  als  den  einer  „Komödie''  ver- 
dient. Vielleicht  sollte  es  auch  als  eine  Parodie  der  Ariost'schen 
Erzählung  gelten,  obwohl  dem  entgegenzuhalten  ist,  daß  als 
Parodie  betrachtet,  dasselbe  sich  enger  an  das  Original  ao- 
schließen  müßte. 

Fast  möchten  wir  aus  dem  Unwert  der  Coupe  enüumtee 
den  Schluß  ziehen,  daß  Lafontaine  zum  mindesten  die  Haupt- 
arbeit an  der  Abfassung  derselben  nicht  getan  habe,  da  wir 
diesem  großen  Geiste  ein  solches  Machwerk  unmöglich  auf 
die  Rechnung  setzen  können. 

Anderer  Ansicht  scheinen  allerdings  Petitot^)  und 
Regnier^)zu  sein,  welche  die  Coupe enchaniee  ziemlich  günstig 
beurteilen.  Doch  deutet  Begnier  an,  daß  sie  vor  ihm  in  der 
Regel  eine  abfällige  Kritik  erfahren  habe  ^). 


')  Repertoire  du  TJt,  fr,,  XVI,  250—251. 
«)  (Euvres  VII,  442. 

')  Ibd. :  «.  .  .  .  Cet  ouvrage  n'est  pas  aussi  mauvais  qu^on  Va  pri- 
tendu.» 


-^    239     — 

AlsNacbabmangen  der  Coupe  enckantee  bezeichnet 'Regnier 
die  beiden  Einakter  Saint-Poix'  L' Oracle  und  Les  Oräees, 
Ton  denen  der  erste  am  ä2.  Mutz  1740,  der  zweite  am  23.  Juli 
am  UiMtre  fran^is  aufgeführt  wurden.^)  Saint- Foix  be- 
hauptet jeldoch  in  der  Vorrede  zu  Les  Oräces,  da^ß  er  den 
IStoff  zu  seinen  beiden  St&cken  «eiber  erfunden  habe.^) 

Wir  werden  uns  daher  mit  denselben  nicht  weiter  beschäf- 
tigen, sondern  sofort  auf  eine  zweite  dramatische  Behandlung 
nnseres  Stoffes,  zu  der  einaktigen  komischen  Oper  La  c(mpe 
eneliantee  von  Bochon  de  Chabannes  übergehen.  Dieses 
kleine  Stück  ging  am  19.  Jnli  1753  über  die  Bühne*  und  errang 
einen  ehrenvollen  Erfolg.^)  Gredruckt  wurde  das  Stück  erst 
im  Jahre  1765,  und  zwar  im  zweiten  Bande  des  Nouveau 
TMätre  de  la  Foire.  Ein  Neudruck  desselben  wird  vermutlich 
innächsterZeiterscheinen, wenigstens  beabsichtigt  J.-J.  Olivier, 
der  Herausgeber  von  Heureusement  ^  nach  und  nach  sämÜiche 
Btüoke  von  Rochen  de  Chabannes  in  einer  Ausgabe  dem 
Publikum  zugänglich  zu  machen. 

Bochon  de  Chabannes  gehört  heute  zweifelsehne 
zu  den  <  Dublier:» ,  während  er  bei  Lebzeiten  zu  den  erfolg- 
reichsten Theaterdichtem  zählte.  Bereits  LaHarpe  jedoch 
rüttelte  an  seinem  Rühme,  indem  er  den  Erfolg  des  Dichters 
nicht  dessen  Werken,  sondern  der  Tüchtigkeit  der  Schauspieler 
und  Schauspielerinnen  zuschreibt.^)  J.-J.  011  vi  er  wirft 
ihm  Armut  in  der  Erfindung  und  Nachlässigkeit  im  Stil  vor, 


»)  J6d.,  S.  US, 

*)  Mercure  de  France  21janvier  1769;  dort  werden  die  Handlungen 
in  beiden  Stücken  als  ^situations  si  connues»  bezeichnet, 

*)  J.-J.  OH  vi  er,  Heureusement.  Comedie  p.  Roch.  d.  Chab,  P. 
1903 j  '8,  IVy  woselbst  auch  zum  erstenmal  eingehende  Studien  über 
Boch.  d.  Chab.  Leben  und  Wirken  gemacht  werden,  La  Coupe  enehantie 
wird  leider  nur  erwähnt. 

*)  Covrs  d,  litt.  II,  373:  mBochon  ne  laissa  pas  iüetre  fort  loue 
comme  versificateur,  quoiquHl  soit  reste  dans  la  demih-e  classe  de  ceux 
ä  ^ü  les  acteurs  ont  fait  au  thSätre  une  petite  fortune  sans  eonsiquence 
et  qui  ne  dorme  point  de  rang  dans  Vopinion  , .  .  .  E  n^y  a  peut^etre  pas 
une  page  de  son  thintre  oü  Von  ne  rencontre  des  fautes  grossihres, -des 
fautes  de  sens,  d^expression,  de  canvenance,  taut  ce  qui  prouve  ä  la  fois 
le  defaut  d'esprit  et  de  jugement» 


—     240     — 

hebt  dagegen  die  Natürlichkeit ,  den  Witz,  den  kunstvollen 
Aufbau  und  den  Dialog  als  rühmenswert  in  Kochon's 
Komödien  hervor^).  Als  Gresandtschaftssekretär  in  Dresden 
(1770—1772)  hatte  er  Gelegenheit  die  deutsche  Literatur 
kennen  zu  lernen ,  und  so  brachte  er  eine  französische  Bear- 
beitung der  Minna  Ton  Barnhelm  unter  dem  Titel  Les  Aniants 
gemreux  mit  nach  Frankreich  zurück.  Da  er  Minna^s  Liebe  zu 
Teilheim  für  zu  stürmisch  erachtete,  änderte  er  ihren  Charakter, 
indem  er  aus  dem  herrlichen  deutschen  Mädchen  eine  Witwe  (!; 
machte,  die  mit  ihrer  Leidenschaft  zum  Major  etwas  vor- 
sichtiger zurückhält^). 

Die  Handlung  der  Coupe  mchantee  ist  kurz  folgende: 
Ein  Liebender  will  durch  die  Eee  Melisse  erfahren,  ob 
sein  Mädchen  ihn  auch  wirklich  nur  allein  liebe.  Die  Fee 
gibt  ihm  aus  dem  Zauberbecher  zu  trinken,  und  als  der 
Jüngling  die  Flüssigkeit  beim  Trinken  yerschüttet,  erklart 
sie  ihm,  daß  er  die  Liebe  des  jungen  Mädchens  nicht  allein 
besäße.  Drei  Ehemänner  kommen  während  dieser  Probe 
dazu  und  wollen  ebenfalls  die  Treue  ihrer  Frauen  ergründen ; 
vergebens  warnt  sie  die  Fee,  den  verhängnisvollen  Trunk  zu 
tun;  nur  einer  der  drei  Ehemänner  hatte  Ursache,  mit  der 
Treue  seiner  Ehehälfte  zufrieden  zu  sein. 

Rochon  de  Chabannes  entlehnt  nur  die  Idee  des 
Zauberbechers  und  die  Person  der  Fee  Melisse  dem  italienischen 
Stücke  (cf.  Orh  für,,  C.  XLIII,  st.  28),  alles  andere  ist 
selbständige  Bearbeitung  des  französischen  Dichters.  Wie  bei 
Lafontaine  wird  auch  hier  die  Probe  mit  dem  Zauberbecher 
alles  Tragischen  entkleidet :    Die  beiden  gehörnten  Ehemänner 


*)  Op.  cit,  S.  XVII:  «...  81  Bochon  manquait  d'invetition,  sil 
negligeait  trop  son  style,  il  avait  du  7iaturely  de  Vesprit,  Bavait  bätir  une 
piece  et  entendait  fort  bien  Vart  du  dialogue.T» 

')  Olivier  sagt  hierüber  {Op.  cit,  8.  XII):  tNon  content  d'alUger 
la  piece  aüetnande  de  se$  langueurs,  il  avait  modifii  le  caractere  de 
VlUroxne,  dont  Vamour  expansif  eüt  sans  doute  itonni  un  public  habitni 
ä  la  riserve  dScente  des  Henriettes  et  des  Sylvias,  Rochon  fit  de  Minna 
une  jeune  veuve  et  rendit  plus  discrete  sa  passion  pour  le  beau  Teil- 
heim.»  Die  Aufführung  des  Stückes  {13.  Okt.  1774)  bedeutete  einen  großen 
Erfolg  für  den  Dichter, 


—    241    — 

lachen  nach  dem  bedeatnngsYollen  Tranke  über  ihr  eheliches 
Mißgeschick,  und  das  Stück  endet  wie  eine  mittelalterliche 
Farce. 

8.    Die  Terzanberten  Quellen. 

Die  Erzählung  vom  Zauberbecher  erinnert  unwillkürlich 
an  die  Geschichte  jener  zwei  Wunderquellen  im  Ardennen- 
walde,  welche  die  Kraft  haben,  unauslöschliche  Liebe  oder 
Abneigung  dem  einzuflößen,  der  von  ihrem  Wasser  trinkt.^) 
Ariost  sagt  von  ihnen  (C.  I,  st  78): 

<üE  qtiesto  hanno  causaio  due  fontane, 

Che  di  diverso  effeio  hanno  liqtwrej 

Ambe  in  Ardenna,  e  non  sono  lontane: 

D'amoroso  desto  Vuna  empie  ü  core; 

Chi  bee  deWaUray  senza  amor  rimane, 

E  volge  tuUo  in  gktacdo  il  primo  ardore. 

Rincddo  gtistö  d*una,  e  Amor  lo  strugge; 

Angelica  delV  aUra^  e  Vodia  e  fugger^. 
Diese  Quellen  bilden  auch  den  Mittelpunkt  einer  ein- 
aktigen komischen  Oper  von  Le  Sage,  Les  eaux  de  Merlin 
betitelt,  welche  am  25.  Juli  1715  aufgeführt  wurde  und 
deren  Handlung  im  Ardennenwalde  spielt.^)  Wir  geben  eine 
kurze  Inhaltsangabe  unseres  Stückes: 

Harlekin,  welcher  eben  von  der  spröden  Colombine  ab- 
gewiesen worden  ist,  will  sich  erhängen,  wird  aber  von  seinem 
Freund  Mezzetin  daran  verhiodert;  bald  darauf  kommen  beide 
an  die  zwei  Wunderquellen  im  Ardennenwalde.  Merlin,  der 
gütige  Zauberer,  stellt  ihnen  einen  Teil  des  wundervollen 
Wassers  zur  Verfugung,  welcher  die  beiden  in  Paris  auf  dem 
Jahrmarkt  zu  verkaufen  beabsichtigen.  Eine  Reihe  von  un- 
glücklich liebenden  Jünglingen,  Mädchen  und  Frauen  suchen 


^)  über  das  Alter  dieser  Sage  8.  P.  Kajna,  Le  fonti  delV  0,  /"., 
S.  fiO.    Rajna  verlegt  die  Heimat  derselben  ins  alte  Griechenland, 

*)  Des  Boulraiers,  Hist  J,  25.  Nach  Löris,  Dictport,  S.  155, 
wurde  das  Stück  am  11.  Sept.  17 35  von  neuem  aufgeführt,  —  Ebenso 
LaPorteetChamfort,  Dict.  J,  41L  Das  Stück  findet  sich  im  2.  Bande 
des  Thiatre  de  la  Foire. 

Münchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.  XXXIV.    1^ 


—     24S    — 

and  finden  Heilung  bei  den  Waseerrerkäofeni.  Anch  Marinette, 
die  spröde  Geliebte  Mezzetin'e,  nnd  Oolomfaine  stellen  adi 
ein  und  drücken  den  beiden,  die  sie  nicht  kennen,  ihre  Reue 
ans  über  die  ungerechte  Behandlung,  welche  sie  Harlekin  und 
Mezzetin  widerfahren  ließen.  Diese  geben  den  Mädchen  be- 
reitwillig Wasser  von  der  Quelle  der  Liebe  zu  trinken,  worauf 
sie  sich  ihnen  zu  erkennen  geben.  Colombine  und  Marinette 
▼erspüren  alsbald  die  Wirkung  des  Trunkes  und  Tersuehen 
ihre  Liebhaber  zu  Tersöhnen;  als  die  liebeentbrannten  Mädchen 
cfies  im  guten  nicht  fertig  bringen,  zwingen  sie  den  Harlekin 
und  den  Mezzetin  durch  Anwendung  Ton  Gewalt,  vom  Wasser 
der  Liebe  zu  trinken,  worauf  dann  eine  allgemeine  Versöhnung 
erfolgt. 

Diese  kurze  Analyse  zeigt,  daß  Le  Sage  dem  Ariost 
nur  die  Idee  der  Zauberquellen  und  den  Schauplatz  im  Ar- 
dennenwald  entnimmt,  die  übrigen  Teile  des  Stückes  dagegen 
selbständig  erfindet  und  dramatisch  behandelt. 

Wie  in  den  vorausgehenden  Stücken  wird  auch  hier  der 
Episode  das  Ernsthafte,  Tragische  genommen,  auch  wird  alles 
^rmieden,  was  an  das  italienische  Original  direkt  erinnern 
könnte,  so  daß  wir  streng  genommen  von  einer  Parodie  der 
betreffenden  Erzählung  im  Original  nicht  q)recben  können. 

9.   Die  Erzählung  vom  AmazoneiiBtaate. 

Als  eine  Parodie  der  drei  Heldinnen  Ariost's,  Brada- 
mante ,  Angelika  und  Marfisa,  darf  wohl  der  Ideine  Schwank 
Utk  des  Aniazones  gelten,  welcher  von  D'Orneval  und  Le 
Sage  1718  gemeinschaftlich  verfaßt  wurde  ^)  und  zwei  Jahre 
später  mit  ziemlich  großem  Erfolge  Aber  die  Bühne  ging.^ 
DH3meval,  welcher  den  Hauptanteil  an  der  Arbeit  hst,  ist 
nach    Des   Boulmiers    <un   autmr  f6€ond  et   ittgSnieux^ *\ 


')  Das  Stück  fifidei  sich  im  dritten  Bande  des  ThMre  de  la  Foire 
P.  17^7.  ^:  ioegen  der  Jahreszahl  vgl  L^rii,  Diet.  dr^  8.  256;  Aneedotes 
dram.  7,  464^  wo  überall  171R,  hzvc.  1720  angegeben  toird. 

»)  Des  Boulmiers,  l  c,  II,  S7L 

')  Ibd.  II,  432:  La  Harpe,  Cours  de  litt,  II,  439  und  Bernardin, 
La  com.,  S.  153  ertvähnen  D'Orneval  nur  als  Vielschreiber. 


-    W3    = 

d#r  dJya  meiste  seiner  Sföcdce  gei^eimehafiUeh  mit  Le  Sage 
mi^  Pir^n  achrieb. 

Die  Bf^ivdlwg  fieser  eiw^s  derl^en  Parodie  Aiioefscher 
Gestalten  ist  folgea4e : 

Pierrot,  Harlekin  und  Scaramouche  werden  auf  die 
Amazoneninsel  versclilagen  und  müssen  sich  den  drei  Amazonen 
Atalide,  Marphise  und  Bradamante,  welche  ihnen  mit  Pistolen 
auf  den  Leib  rücken,  ergeben  und  sich  außerdem  depi  Gesetze 
des  Lan4es  unterwerfen,  welches  yerlangt,  daß  jeder  mäpn- 
liehe  Ankömmling  drei  Monate  lang  der  Gemahl  einer  Ama- 
zone sein  muß.  Eben  werden  drei  MänQer,  die  diesen  Dienst 
getan,  verabschiedet ;  ein  Schweizer,  dem  der  AJbschied  schwer 
fallt,  weil  er  während  jener  Zeit  nach  Herzenslust  zu  essen 
und  trinken  bekam/  ein  Spfinier,  welcher  in  sohmachtender 
I4ebe  zu  Brada^ante  entbrannt  ist  und  gerne  noch  länger 
bleiben  möchte,  endlich  ein  Franzose,  welcher  frohgemut  voq 
Atalide  scheidet,  die  ihn  aber  nur  ungern  ziehen  läßt.  ^) 

Das  Stück  ist  eine  recht  einfältige  Posse  ohne  Witz  und 
Humor,  ohne  Verwicklung  oder  Spannung  und  ohne  Charakter- 
zeichnung. Daß  es  eine  Parodie  der  drei  genannten  weiblichen  Ge- 
stalten aus  dem  OrL  für.  sein  soll,  sagen  schon  die  beiden  Namen 
Marphise  und  Bradamante,  welche  sich  in  der  hie  des  Amor 
xf/ms  finden.  So  ist  hier  Marphisa  ein  zänkisches  Weib,  das 
seinem  Gemahl,  der  dem  Trünke  ergeben  ist,  die  heftigsten 
Szenen  macht.  ^)    Die  Sprache  wechselt  zwischen  Vers  und 


')  Für  das  sonderbare  Latidesgeseiz  Juit  ofenbar  eine  Stelle  im  Orl. 
für,  als  Quelle  gedient  (C.  XX,  SO),  wo  Ormtea  an  der  Spitze  der  Kre- 
tetiserinneti  eine  Amazonenherrschaft  gründet   Eine  SteHe  scheint  nahezu 
wörtlich  herübergenommen  zu  sein;  fiämlich  Sz.  4  sagt  Br(^d.:  »Plusieurs 
I$les  ....  de  venir  jjrendre  nos  enfants  mäleSj  et  de  nous  donner  deux 
filles  pour  un  gargon.     Vgl.  damit  Orl.  für,  C,  XX,  st.  33: 
^Accio  il  sesso  viril  non  le  soggioghi, 
Uno  ogni  madre  vuol  la  legge  orrenda  etc.n 
*)  Wir  geben  hier  eine  kleine  Probe  aus  Szene  6.    Marphisa  ist  im 
Begriffe  sich  von  dem  Schweizer  Baron,  der  drei  Monate  lang  ihr  Oemahl 
tvar,  zu  vei-abschieden : 

Marphise  chante:  En  honne  foi,  pouvez-vous  croire 
Que  pour  voiis  mes  pleurs  vont  couler, 

16* 


—     244    — 

Prosa  und  bewegt  sich  oft  in  den  niedrigsten  Ausdrücken. 
Das  Stück  sollte  1718  über  die  Bühne  gehen,  da  aber  gerade 
um  diese  Zeit  die  komische  Oper  geschlossen  wurde,  mußte 
die  Aufführung  auf  unbestimmte  Zeit  verschoben  werden.^) 


10.   Die  Ring-Episode. 

Die  Geschichte  des  unsichtbar  machenden  Zauberrings, 
welcher  ursprünglich  im  Besitze  Angelikas  war,  ihr  aber 
später  vom  listigen  Brunello  entwendet  wurde,  findet  sich  im 
3.  Gesang  des  Of'L  fw\  (st.  68  ff.).  Sie  hat  den  Anlaß  zu 
einer  kleinen  französischen  Komödie  gegeben,  welche  in  eine 
andere  größere  Komödie  verwoben  ist.  Der  Titel  dieser 
Doppelkomödie  von  Thomas-Simon  Gueullette  lautet:  Les 
eomediens  jyar  haxard  et  l'anneau  de  Brunei,  Das  Stück  wurde 
am  15.  März  1718  gegeben,  ist  aber  nicht  gedruckt.*) 


Vous  qui  passiez  le  jour  ä  boire, 
Et  taute  la  nuit  ä  ronfler? 
Le  baron:  Moi,  m-y  riveUler  quelquefois. 
Marph.:  Ot«,  pour  chanter  ä  pleine  voix: 
Bon,  bon,  Bon 
Que  le  vin  est  bon! 
Par  ma  foiy  fen  veüx  baire. 
Heu  le  vilmn  Yvrognc! 
Le  baron  c kante:  Oh!  point  de  fächetnentj  mon  Belle! 
Si  chel  trinquerai  touV  le  jour; 
Cest  dans  le  vin  quie  sti  VAmotir 
R'allume  son  cJiandeüe, 
Marph.    Je  crois  quHl  y  iteint  encore  2>lt*s  souvefit  Fussiez  vous 
dSjä  aux  Treize-Cantons. 

Le  bar.:  L'y  etre  ein  petif  critelle,  ein  petif  VIngrate.  Moipour- 
tantf  Vy  aimer  vous  toujours  beaucoup  grandement»^  etc. 

Mit  derlei  billigen  Witzen  suchten  die  Verfasser  die  Lachlust  des 
Theaterpublikums  rege  zu  halten. 

*)  Parfaict,  Bist.  XIII,  169. 

*)  Beauchamps,  Nouv.  theätre  italien  111^  291,  P a r f.,  Dict.  du 
Th.  fr.,  VII,  445.  Eine  ausführliche  Inhaltsangabe  dts  Stückes  findet 
sich  bei  Farf.,  Bist,  du  Th.  fr.  XIII,  169. 


—     245     — 

11.    Die  Atlante-Episode. 

AÜante's  Zauberschloß  ^  in  welchem  der  alte  Zauberer 
seinen  Schützling  Rüdiger  vor  den  Stürmen  des  Lebens  be- 
wahren will,  wird  von  Ariost  im  4.  Ghesange  (st.  12 ff.)  ge- 
schildert. Die  sich  darin  anknüpfende  Befreiung  des  Helden 
durch  Bradamante  liefert  dem  Lustspieldichter  La  Orange 
den  Stoff  zu  seinem  Einakter  Le  palais  enchante,  der  1761 
aufgeführt  wurde,  jedoch  nicht  im  Drucke  erschienen  ist.  ^) 

Wir  geben  nach  den  Brüdern  Parfaict  eine  kurze  Inhalts- 
angabe des  Stückes.  ^) 

Clorinde,  die  Greliebte  Boger's,  wird  von  der  Zauberin 
Urgande  in  dem  verzauberten  Schlosse  gefangen  gehalten. 
Roger  jedoch  befreit  mittels  eines  von  Merlin  erhaltenen 
Zauberstabes  die  Geliebte  aus  den  Händen  der  sich  vergebens 
wehrenden  ürgande.  Das  Zauberschloß  verschwindet,  Roger 
findet  seine  Clorinde  wieder  und  gibt  den  zahlreichen  Ge- 
fangenen der  bösen  Fee  die  Freiheit  wieder. 

Diese  kurze  Handlung  ist  von  Anfang  bis  zu  Ende  der 
Atlante-Episode  des  Chi.  fui\  nachgebildet.  Nur  ist  Atlante 
durch  die  aus  Tasso's  Befreitem  Jerusalem  bekannte  Zauberin 
Urgande  ersetzt,  bei  Ariost  wird  außerdem  umgekehrt  Roger 
durch  Bradamante  -  Clorinde  befreit.  Nach  den  Brüdern 
Parfaict  hatte  das  Stück  auf  der  Bühne  keinen  Erfolg.®) 

12.  Einzelne  Entlehnungen  ans  dem  Orlando  forioso. 

Es  erübrigt  noch  einige  Werke  anzuführen,  in  denen  sich 
stellenweise  der  Einfluß  des  Ariost'schen  Epos  geltend  macht. 
Auch  diese  legen  Zeugnis  davon  ab,  wie  verbreitet  die  Be- 
kanntschaft mit  dem  gefeierten  italienischen  Epos  war,  und  es 
ist  anzunehmen,  daß  auch  dort,  wo  sich  ein  unmittelbarer 
Einfluß  nicht  wahrnehmen  läßt,  es  dennoch  vielfach  auf  die 
Schaffungskraft  der  französischen  Theaterdichter  eingewirkt  hat. 


»)  P.  Parfaict,  Dict.  IV,  55f. 
^)  Ibd.,  Dict,  IV,  öof. 
^)  Ibd.,  Dict.  IV,  üöf. 


—   i*ß   — 

Wie  bereits  von  B..  Köhler^)  hervorgehoben  worden 
ist,  enthält  die  von  Jacques  de  la  Taille  verfaßte  Tra- 
gödie IMrB  (1569^—1662)  eine  dem  Ariost  nachgebildete  Stelle! 

Im  5.  Akte  dieser  Tragödie  wird  Alelcander  dem  QroBeb 
mitgeteilt,  daß  Darius  mit  folgenden  Worten  aus  dem  Leben 
verschieden  sei: 

<  O  Alexandre,  adieu,  qudqtie  pari  ou  tu  8oi4f, 

Ma  mere  et  ses  enfants  aye  en  recommanda  -^ 

//  ne  peuat  achever,  cor  la  mort  l'en  fforda*. 

Die  totsprochende  Stelle  im  Orl.  für.  (C.  XLU,  14) 
lautet : 

<rE  dirgli:   Orlando,  fa  che  ii  raccordi 
Di  me  ndt  orazion  tue  grate  a  Dio; 
Ne  men  ti  raccommando  la  mia  Fiordi  — 
Ma  dir  non  potd  tligi*,  e  qui  finiöt. 

Diese  poetische  Lizenz  findet  sich  unseres  Wissens  nur 
bei  Ariost.  Daß  Jaques  de  la  Taille  Ariost  im  Urtext  kannte, 
dürfen  wir  wohl  annehmen,  besonders  wenn  wir  bedenken,  daß 
sein  Bruder  Jean  ein  gründlicher  Ariostkenner  war,  der  sogar 
den  Negromant  des  italienischen  Dichters  ins  Französische 
übertrug.  Bei  Garnier  finden  sich,  abgesehen  von  seiner 
Bradamante,  in  einigen  Stücken  Reminiszenzen,  wenn  auch 
nur  sehr  unbestimmter  Art,  an  die  Lektüre  des  Ariost'schen 
Epos.  So  erinnert  die  Schilderung  des  Zweikampfes  zwischen 
]6t§ocle  und  Polynice  in  der  Antigene  (Akt  III,  s.  V.  113  ff.) 
an  den  Kampf  Roger's  und  Rodomoot's  am  Schlüsse  des  46. 
Gesanges  (st.  100  ff.).  Bei  beiden  Dichtem  prallen  die 
stampfenden  mit  solcher  Gewalt  aufeinander,  daß  die  Rosse 
rücklings  zu  Fall  kommen ;  in  beiden  wird  dalin  der  Kampf 
zu  Fuß  ausgefochten,  und  zwar  nicht  bloß  mit  Schwert  und 
Degen,  sondern  auch  mit  Faust  und  Ftd3 ;  weite)r  jödoch  geht 
die  Ähnlichkeit  nicht. 

Auch Montchrestien  scheint  die  Kampfesschilderungeti 
im  Orl  für,  zu  kennen  und  sie  sogar  an  einer  Stelle  in  Seinem 
Hector  nachzuahmen. 


')  Arch,  f,  Lit.'Gesch.   V,  JS43. 

«;  Cfr.  Böhm,  Einfl.  Senecas,  S.  55 f. 


—     247     — 

Im  5.  Akte  wird  der  sich  auf  die  Argolier  stürzeude 
Hektor  mit  einem  Falken  verglichen,  welcher  auf  eine  sorg- 
los nach  Atzung  suchende  Vogelschar  jählings  herabschießt 
Dieser  Vergleich  findet  sich  nahezu  wörtlich  im  26.  Gesänge 
(st.  12)  des  italienischen  Epos.^)  Der  Zweikampf  zwischen 
Hektor  und  Achilles  in  der  nämlichen  Tragödie  erinnert  lebhaft 
an  die  Zweikämpfe,  wie  sie  Ariost  in  seinem  Epos  so  gerne 
und  so  unübertrefflich  schildert.  ^)  Doch  ist  es  möglich,  daß 
Montchrestien's  Schilderung  von  Ariost  unabhängig  ist,  da 
direkte  Entlehnungen  an  dieser  Stelle  nicht  nachweisbar  sind. 


>)  S.  Vianey,  Ariaate  et  la  Pliiade,  BuU.  iL  III,  S,  S19.  —  Die 
Stelle  findet  sich  auf  S.  63  der  JuUeville'schen  Ausg,  v.  Montchrestien 
tDid  lautet: 

Comme  quand  un  faucon  soustenu  de  sea  aisles 

Deacouvre  le  voler  des  faihles  cohmbfUes, 

Qui  retoument  des  champs  et  coupent  seurement 

La  vague  remuant  du  venteux  SUmentt 

n  se  laisse  tomber  sur  la  bände  timide; 

La  plupart  fuit  legere  oÄ  la  crainte  la  guide, 

Et  de  bec  et  de  mains  sur  terre  il  les  abat; 

Hector  fondant  de  mesme  en  VArgoliqxte  armee, 

On  la  void  sur  k  chatnp  de  (a  de  lä  semSe, 

Mais  ceux  la  qu'il  rencontre  au  milieu  de  ses  pas 

De  irenchant  ou  d^estoc  regoivent  le  trespas. 
Die  entsprechende  Stelle  im  JFurioso  lautet: 

Come  8to7'7no  d''augei,  chHn  ripa  a  un  stagno 

Vola  sicuro,  e  a  9ua  pastura  attende, 

S'improvviao  dal  ciel  fakon  grifagno 

GH  da  nel  mezeo,  ed  un  ne  hatte  o  prende: 

Si  sparge  in  fuga^  ognun  lascia  ü  compagno, 

E  dello  scampo  auo  cura  si  prende: 

Cosl  veduto  avreste  far  coatoro, 

Tosto  cheH  buon  Ruggier  diede  fra  loro. 
•)  (Euvres  de  Montchr.  {A%iSg.  v.  P.  de  Julltvüle\  8.  53 f. 


Ergebnisse. 


Am  Schiasse  unserer  UntersuchuDgen  angelangt,  wollen 
wir  noch  kurz  die  Resultate  derselben  zusammenfassen.  Der 
Einfluß  der  italienischen  Literatur  auf  die  französische  ist 
größer,  als  man  nach  dem  allgemeinen  Urteil  über  die  Be- 
deutung dieses  Einflusses  anzunehmen  geneigt  ist.  Nur  ganz 
allmählich  macht  sich  die  Überzeugung  geltend,  daß  Italiens 
Anteil  an  der  Entwicklung  der  neufranzösischen  Literatur  ein 
ebenso  wichtiger,  manchmal  sogar,  wie  bei  den  Dichtem  der 
Pleiade,  ein  wichtigerer  Faktor  war  als  der  antike  Einfloß. 
Oft  auch  hatte  Italien  die  Vermittlerrolle  zu  spielen 
zwischen  antikem  und  französischem  Schrifttum,  d.  h.  griechischer 
und  römischer  Geist  drangen  über  Italien  in  Frankreich  ein, 
teils  durch  italienische  Gelehrte  und  Künstler,  die  ihren 
dauernden  oder  vorübergehenden  Wohnsitz  auf  französischem 
Boden  nahmen,  teils  durch  italienische  Übersetzungen  klassischer 
Schriftsteller  oder  durch  italienische  Originalwerke,  in  denen 
der  Hauch  hellenischen  und  römischen  Geistes  zu  ver- 
spüren war. 

Mit  der  Einführung  der  terxa  rima  durch  J.  Lemaire 
de  Beiges  beginnt  der  italienische  Einfluß  auf  die  franzö- 
sische Lyrik  in  Form  und  Inhalt.  Die  Sonettdichtung, 
die  in  Frankreich  geradezu  die  regelmäßige  Form  der  lyrischen 
Poesie  wurde,  hat  ihre  Heimat  in  Italien.  Die  Ode,  die 
bisher  stets  als  eine  direkte  Entlehnung  aus  dem  klassischen 
Altertum  gegolten  hat,  wird  dem  Fürsten  des  poetischen 
Siebengestirns   durch   den  Italiener  AI  am  an  ni   näher  g6- 


—     249    — 

bracht  Nicht  miDder  bedeutend  ist  Italiens  Einfluß  auf  den 
Inhalt  der  lyrischen  Poesie  Frankreichs  gewesen,  wenigstens 
in  der  ersten  Blütenperiode  der  Lyrik  von  Marot  bis  zum 
Tode  Malherbe's.  Die  Lyrik  dieser  ganzen  Periode  ist  nahezu 
ausnahmslos  erotisch,  bald  im  üppigsten  Sinnengenusse  schwel- 
gend, bald  auf  den  reinen  Höhen  platonischer  Liebe  wandelnd. 
In  beiden  Richtungen  war  Italien  das  stete  Vorbild  der 
französischen  Sänger:  von  Petrarca  lernten  sie  jene  zarten, 
keuschen  Liebeslieder,  wie  sie  der  Sänger  der  Laura  seiner 
Geliebten  in  nahezu  religiöser  liebe  geweiht  hatte;  von  Bembo 
und  Ariost  entnahmen  sie  die  Schilderungeo  glühend  schöner 
Frauenleiber,  balsamisch  duftender  Gärten,  wie  sie  die  Menschen 
des  Renaissancezeitalters  erdachten  und  schufen,  und  nach 
ihrem  Vorbilde  malten  sie  die  Genüsse  aus,  die  sinnliche 
Liebe  allein  zu  geben  vermag.  Mit  Malherbe  trat  diese 
heitere  Lebensanschauung,  wie  die  Renaissance  sie  hervorge- 
rufen hatte,  zurück;  für  Frankreich  kam  die  Blütezeit  des 
Theaters,  und  die  Lyrik  fristete  ein  klägliches  Dasein  fort, 
bis  sie  im  19.  Jahrhundert  eine  neue  Auferstehung  feierte, 
zu  der  das  schwer  damiederliegende  Italien  allerdings  so  viel 
wie  gar  nicht  beigetragen  hat. 

Das  moderne  französische  Epos  des  16.  und  17.  Jahr- 
hunderts geht  zwar  in  erster  Linie  auf  antike  Vorbilder  zu- 
rück, aber  wir  haben  gesehen,  daß  Ronsard 's  Frandadey 
welche  die  Reihe  der  französischen  epischen  Dichtungen  er- 
öffnet, eine  große  Anzahl  Entlehnungen  aus  dem  Furioso 
des  Ariost  aufzuweisen  hat;  die  romantischen  Epen  des 
Saint-Amant,  Desmarest,  Le  Meine  verdanken  ihr 
Dasein  den  italienischen  Vorbildern  des  Orlando  und  der 
Gerusalemme  liberata;  die  ganze  burleske  Poesie  endlich, 
die  vorzugsweise  beschreibend  ist,  geht,  wie  wir  eingehend 
dargelegt  haben,  auf  die  italienische  hurla  zurück.  Selbst  das 
Epos  des  18.  Jahrhunderts,  mit  Voltaire's  La  Henriade  und 
La  PueelU  d' Orleans  an  der  Spitze,  atmet  noch  den  Hauch 
italienischer  Ependichtung,  und  der  große  Epiker  des  19.  Jahrh/s, 
VictorHugo,  nennt  den  Dichter  der  Divina  Comrtiedia  seinen 
tDivin  maUre>,  Wir  erinnern  uns  femer  daran,  daß  die 
französische  Novelle  nicht  ihren  Ursprung  in  den  Fableaux 


—    SSO    — 

des  Mittdalten,  sonder]]  in  der  Hauptsache  in  der  italieni* 
sehen  tNoveüa^  hat,  daB  die  Yerserzähinngen  eines  La- 
fontaine nahezu  zur  Hälfte  auf  italienische  Quellen  zurück- 
gehen, daß  endlich  noch  im  18.  Jahrh.  Montesquieu  und 
Yoltairoi  der  erstere  in  Beiueai  Leiires  penanetj  der  letstere 
in  seinem  Zadtgj  sich  an  italienische  Vorbilder  anlehnen. 

Was  das  französische  Theater  betrifft,  so  ist  der  italienische 
Einfluß  dem  antiken  zum  mindesten  gleichzustellen.  Wir 
haben  von  neuem  darauf  hingewiesen,  daß  mit  dem  Einsug 
gewerbsmäßiger,  italienischer  Schauspieler  in  Frankreich 
und  mit  der  Eröffnung  des  Theaters  der  oonmedia  ddt 
arte  in  Paris  eine  neue  Epoche  f&r  das  französische  Theater 
heianbricht  Nach  dem  Muster  der  italienischen  Schauspieler 
bildet  sich  ein  fester  Schauspielerstand  in  der  französischen 
Hauptstadt,  zu  dem  auch  bald,  ¥riederum  nach  dem  Beispiele 
der  Italiener,  weibliche  V^ixeter  der  Mimik  gehörten.  Die 
Komödianten  des  Stegreifspieles  waren  Meister  in  der  Dar- 
stellung YOn  OharakterroUen;  dementsprechend  waren  auch 
ihre  Stücke  zugeschnitten,  d.  h.  sie  waren  größtenteils  Charakter- 
komödien.  Diese  letzteren  hatten  alsbald  einen  so  durch- 
schlagenden Einfluß  auf  die  französische  Bühne,  daß  die 
mittelalterliche  Farce  fast  ganz  verschwand,  und  sich  ein  neues 
Lustspiel,  die  französische  Charakterkomödie  bildete,  die 
ihre  Vollendung  in  Molidre  erhielt,  dessen  Abhängigkeit 
Tom  italienischen  Theater  eingehend  von  uns  behandelt  worden 
ist.  Einzelne  Lnstspieldichter  des  18.  Jahrb.,  ja  selbst  ein 
ganz  modemer  Dichter,  der  zartbesaitete  A.  de  Müsset, 
stehen  unter  italienischem  Einflüsse. 

Weniger  abhängig  von  diesem  Einflüsse  ist  das  franzö- 
sische Trauerspiel.  Die  ersten  Tragödien  stehen  insbesondeie 
in  Abhängigkeit  von  Seneca,  später  wird  Spanien  auf  lite- 
rarischem Grebiete  dominierend,  bis  dann  die  Franzosen  ein 
selbständiges  Trauerspiel  in  Corneille 's  (M  bekommen. 
Doch  hat  unsere  Untersuchung  gezeigt,  daß  zwischen  1550— 
1636  eine  Menge  italienischer  Tragödien  teils  nachgeahmt 
und  übersetzt  werden,  teils  ihren  Stoff  italienischen  ERäh- 
lungen  und  Epen  entlehnen.  Noch  im  18.  Jahrb.,  als  ItaUen 
nach    langer,    geistiger   Verödung    ein    zweites   RisorginmUo 


.^    851    -- 

feiert,  macht  idch  def  tlinfltifi  dieses  LAadee  aaf  die  frat»&- 
eisehe  Tt^gödie  geltend,  indem  mehrere  Tragiker  zweiten 
Banges  Stücke  von  Metastasio  und  Alfieri,  diesen 
beiden  genialen  Vertretern  der  italienischen  klasBiEistiaehtti 
Tragödie,  nachahmen.  Die  Pastorale  und  die  Oper  dagegen 
sind  spezifisch  italienische  Produkte,  die  nach  Frankreich 
Verpflanzt  werden;  die  italienische  Pastorale  in  Frankreich 
wird,  wie  wir  gesehen  haben,  zeitweilig  durch  die  spanische, 
welche  jedoch  ebenfalls  ein  Ableger  der  italienischen  ist,  ver- 
drängt; doch  kann  sie  sich  in  einigen  von  uns  erwähnten 
Yertretem  bis  zum  Ende  der  Blütezeit  dieses  Genres  be- 
haupten. 

Unumschränkte  Herrschaft  jedoch  führt  in  Frankreich 
die  italienische  Oper,  die  der  Kardinal  Mazarin,  ein 
Sizilianer  Ton  Geburt,  den  Franzosen  2um  ersten  Male  bekannt 
macht»  Wir  haben  von  den  heißen  Kämpfen  gesprochen,  die 
noch  zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts  ausgefochten  werden 
BWischen  den  Anhängern  der  rein  italienischen  Oper  und 
denen  der  firaneösischen,  welch'  letztere  sich  aus  der  italieni- 
schen Oper  und  aus  dem  seit  Ausgang  des  Mittelalters  am 
französischen  Hofe  aufgeführten  fiallette  entwickelt  hatte. 
Wir  nannten  eine  namhafte  Zahl  italienischer  Komponisten 
bis  auf  Verdi  herab,  die  in  Frankreich  beliebt  und  ton- 
angebend waren. 

Was  das  Schicksal  Ariost's  in  Frankreich  betrifft,  so  können 
wit  dasselbe  naöh  den  Ergebnissen  unserer  Untersuchung  ge- 
iradezu  ein  glänzendes  nennen. 

Nicht  weniger  als  97  Übersetzungen  und  Ausgäben^) 
dieses  Epos  ins  Französische  haben  wir  aufgezählt;  davon 
fallen  23  in  das  16.,  14  in  das  17.,  21  in  das  18.  und  34 
in  das  19.  Jahrhundert.  Fünf  Übersetzungen  sind  ohne  An- 
gabe der  Jahressahl  erschienen.  Obwohl  Ariost  in  erster 
Linie  epischer  Dichter  ist,  finden  sich  manche  lyrische  Stellen 
in  seinem  Orlando  furioso  und  in  seinen  Satiren;  diese  Stellen 
Wurden  wiederholt  von  französischen  -Lyrikern,  beeonders  von 


')  In  diese  Zahl  sind  auch  die  unvollständigen  Übersetzungen  so* 
Wie  die  Neuauflagen  mit  eingeschlossen. 


einigen  Hauptvertretern  der  PUiude,  ihren  unmittelbaren  Vor- 
gängern und  Nachfolgern  nachgeahmt.  Frühzeitig  begann  man 
auch  einzelne  Episoden  nachzuahmen  oder  zu  parapbrasieren; 
sogar  Lafontaine  verschmähte  es  nicht,  zwei  dieser  Episoden 
frei  zu  übersetzen  und  in  seine  Contes  aufzunehmen. 

Eingehend  haben  wir  ferner  untersucht,  wie  groß  der 
Einfluß  der  OH,  für.  auf  das  französische  Theater  gewesen 
ist.  Dieser  Einfluß  besteht  darin,  daß  die  französischen 
Dramatiker  einzelne  Episoden  aus  dem  ,,Kasenden  Boland'^ 
dramatisch  bearbeiten.  Seit  1564  finden  wir  solche  drama- 
tische Bearbeitungen,  wenn  wir  a*uch  zum  Teil  nur  ihre  Titel 
kennen. 

Die  Bradamante-Episode  findet  eine  Anzahl  talent- 
voller und  dichterisch  begabter  Bearbeiter.  Grarnier,  La 
Calprenöde  und  Thomas  Corneille  sind  die  hervor- 
ragendsten unter  ihnen ;  alle  drei  bearbeiten  den  Stoff  in  ganz 
ähnlicher  Weise  und  halten  sich  ziemlich  genau  an  die 
italienische  Quelle.  Am  besten  bearbeitet  ihn  Garnier;  seine 
Gestalten  haben  noch  das  Meiste  von  dem  Hauche  Ariost- 
scher  Poesie  behalten.  In  den  Tragödien  der  beiden  letzteren 
treten  uns  nicht  mehr  Ariost'sche  Wesen  entgegen,  sondern 
Franzosen  des  17.  Jahrh.'s,  Gestalten,  wie  wir  sie  auf  der 
klassizistischen  Bühne  des  Frankreich  des  17.  Jahrhunderts 
sehen.  Roy 's  Versuch,  die  Bradamante-Episode  zu  einem 
Opemtexte  zu  verwenden,  kann  als  gelungen  angesehen  werden. 

Die  Boland-Episode  scheint  in  Frankreich  beliebter 
und  bekannter  gewesen  zu  sein;  trotzdem  gelang  es  weder 
Mairet  noch  Quinault,  den  beiden  bedeutendsten  unter 
den  dramatischen  Dichtern,  die  sich  mit  dieser  Episode  be- 
schäftigten, ein  erfolgreiches  Stück  auf  die  Bühne  zu  bringen. 
Die  Ursache  des  Mißerfolges  lag  in  der  Episode  selbst,  in 
der  es  an  einem  Mittelpunkt  fehlt,  um  den  sich  alle  Neben- 
episoden, wie  die  Liebesgeschichte  Angelica's  und  Medor's, 
der  Tod  Zerbin's  und  das  Auftreten  B;odomont's,  gruppieren 
könnten.  Dieser  Mittelpunkt,  den  natürlich  Boland's  Raserei 
bilden  sollte,  konnte  für  die  Bühne  nur  schwer  geschaffen 
werden.  Nur  ein  genialer  Dichter  wie  Shakspere  ver- 
mochte den  Wahnsinn  durch  ein  ganzes  Stück  hindurch  auf 


—     253     — 

die  Bühne  zu  bringen,  und  die  Nerven  der  Zuschauer  in  höchster 
Spannung  zu  erhalten.  M  a i r e t  und  Quinault,  zwei  Geister, 
die  nicht  über  das  Mittelmaß  hinausragen,  wußten  nicht,  was 
sie  mit  dem  rasenden  Helden  auf  offener  Szene  anfangen 
sollten ;  sie  dachten  nicht  daran,  diesen  im  Grunde  so  tragischen 
Helden  psychologisch  ernst  zu  nehmen,  ihn  in  seinen  Seelen- 
kämpfen, in  seinem  Ringen  und  allmählichen  geistigen  Dahin- 
sterben darzustellen ;  statt  dessen  brachten  sie  die  äußerlichste 
Seite  des  Wahnsinns  zur  Darstellung,  ließen  den  Helden  Bäume 
ausreißen  u.  dgl.  Die  Wirkung  war  beim  Publikum  eine 
komische ;  so  folgten  denn  bald  Parodien  auf  Parodien,  welche 
alle  diesen  Hauptmangel  an  der  dramatischen  Darstellung 
der  Rolands-Episode  unbarmherzig  geißelten. 

Die  Isabella-  und  die  Ginerra-Episode  wurden 
schon  frühzeitig  dramatisiert.  Montreux  schuf  ein  Zerrbild 
aus  der  rührend  schönen  Isabella-Episode,  während  Billard 
die  Geschichte  von  Ariodant  und  Ginevra  in  endlos 
langen  Monologen  und  Dialogen  ohne  jedes  dramatische  In- 
teresse und  in  bombastischer  Sprache  auf  der  Bühne  vor- 
tragen ließ.  Nicht  besser  machten  es  die  Nachfolger  der 
beiden  Dichter,  wenn  wir  etwa  von  Voltaire  absehen,  dessen 
Tancrede  auf  die  Erzählung  von  der  schottischen  Königs- 
tochter zurückgeht.  Ihr  Fehler  lag  darin,  daß  sie  allzu 
peinlich  dem  mit  epischer  Breite  erzählten  Gange  der 
Handlung  bei  Ariost  folgten,  statt  sich  die  Erzählung 
dramatisch  zurecht  zumachen,  und  die  einzelnen  Personen 
derselben  zu  lebendigen,  wahrheitsgetreuen  Charakteren  zu 
gestalten. 

Diesen  Versuch,  eine  Ariost'sche  Episode  wirklich  dra- 
matisch zu  behandeln,  und  die  Charaktere  psychologisch  zu 
vertiefen,  macht«  D  auch  et.  In  seiner -4fcma  sehen  wir,  wie 
-der  Kampf  in  Alcine's  liebeglühendem  Herzen  sich  abspielt. 
Die  Handlung  in  den  einzelnen  Szenen  wird  zum  großen  Teil 
motiviert;  die  Charaktere  sind  in  kurzen,  markigen  Zügen 
dargestellt.  Leider  nimmt  das  Wunderbare,  ein  unerläßliches 
Requisit  der  damaligen  Oper,  in  dem  Stücke  einen  allzu- 
großen Raum  ein  und  vermindert  so  bedeutend  den  Wert 
desselben. 


Etoe  grüDdUcbo  V^räaderung  earfohr^n  ^ia  Joconde- 
und  die  Zauberbach er*Episode  auf  dem  franwaiacben 
Theater.  Bei  Ariost  liegt  denselben  etwas  Tragiechea,  Fessi* 
nistiiohea  iuue ;  ein  bitterer  Zwdfel  an  dea  ideajaten  Gütern 
d«9  Menschen,  an  FrauenUebe  und  Treue  spricht  sich  darin 
aas;  dabei  sind  die  obssönsten  Situationan  eiogaflochten, 
welche  selbst  fujr  die  sittlich  so  tief  rerdorbene  Zeit  des 
Dichters  das  Maß  des  Erlaubten  überschreiten,  weshalb  dieser 
seine  weibUchen  Leser  vor  der  ]>ktüre  des  98.  Gesanges 
warnen  zu  «süssen  glaubt.  Diese  charakt^ristischeo  Merk* 
male  der  beiden  Erzählungen  verschwinden  nuu  aus  den 
frafissösifli^en  dramatischen  Bearbeitungen  derselben.  Harm- 
lose,  meist  einaktige  Komödien,  -^  Possen  oder  Schwanke 
möditen  wir  sie  eher  nennen  -^,  werden  aus  dei^  ^ei  £]pisoden 
gebildet,  Stücke  von  durchwegs  heiterem  Tone,  ohne  jede 
obszöne  Anspielung* 

Auch  einige  kleinere  Episoden,  wie  die  Erzählung  vom 
Schlosse  des  slten  Zauberers  und  von  dem  Amazoneostaat 
auf  Kreta,  wurden  ihrer  Ernsthaftigkeit  oder  ihrer  Obszönität 
entkleidet  und  für  die  komische  Bühne  zurecht  gemacht; 
frdlich  verschwand  bei  einer  solchen  Umwandlung  die  zarte 
Poesie  dee  Originals,  und  die  unnachahmliche  Mischung 
zwischen  Tragischem  und  Komischem,  wie  sie  sich  duroh  den 
Orl.  für,  zieht,  geht  in  diesen  für  den  Tageserfolg  geschriebenen 
Einaktern  völlig  verloren;  nur  die  Namen  der  in  ihnen  auf^ 
tretenden  Personen  und  die  einzelnen  Situationen  eriuneru 
noch  an  die  Quelle,  welcher  die  Verfasser  dieser  KomödieB 
ihre  Stoffe  entlehnten. 

So  sehen  wir  also,  daß  im  16.  und  17.  Jahrhundert  die 
Episoden  aus  dem  Furioso  nahezu  ausnahmslos  in  ihrer  vollen 
Tragik  von  den  französischen  Dichtern  angefaßt  und  in 
diesem  Sinne  dramatisiert  werden;  der  Grund  davon  liegt 
wohl  darin,  daß  man  in  jener  Zeit  die  Poesie  des  Ritt^epos 
noch  versteht.  Das  18.  Jahrhundert,  das  Zeitalter  der  Auf- 
klärung, das  nur  die  Vernunft  gelten  läßti  glaubt  nicht  mehr 
an  diese  Poesie,  sondern  spottet  darüber,  und  so  entstebep 
die  zahlreichen  Parodien  Ariost'scher  Heldeng^statten ,  bs- 
sonders  des  Koland,  dann  auch  der  Marphise,  der  BradamaDte» 


—    265    — 

der  Augelica  und  anderer.  Daneben  aber  darf  der  Glanz 
der  Ritterepen  noch  erstrahlen  auf  der  prankhaften  Bühne 
der  Oper,  wohin  sich  die  Welt  des  schönen  Scheins  während 
dieses  Jahrh/s  vorzugsweise  geflüchtet  hat.  Im  19.  Jahr- 
hundert endlich  hören  die  dramatischen  Bearbeitungen  des 
OL  für.  in  Frankreich  gänzlich  auf,  obwohl  man  glauben 
sollte,  daß  die  romantische  Schule  den  romantischsten  aller 
Dichter  wieder  zu  Ehren  hätte  bringen  müssen.  Doch  scheinen 
die  Zeiten  endgültig  vorüber  zu  sein,  in  denen  man  mit  Vor- 
liebe Bitter  in  glänzender  Sitatong  vad  Bitterfräulein  in  Panzer 
und  Harnisch  auf  der  Bühne  ihre  Waffen  führen  sieht.  Das 
heutige  Theater  folgt  eben  dem  Zuge  der  modernen  Zeit,  die 
sich  immer  mehr  von  dem  Verstäedisse  jener  mittelalter- 
lichen Welt  entfernt. 


Anhang. 


Ariost-Überseteungen. 

1)  Roland  furieux  cmnpose  premierefinent  en  ryme  thuscane 
par  Messire  Loya  Ärioste,  noble  Ferrarois  et  maintenant  traduict 
en  prose  frangoyse:  pariie  siiyvant  la  phrase  de  Pauteurj  partim 
aussi  le  style  de  ceste  nostre  langue,     Lyon,  1543.  foU 

Von  dem  Übersetzer  wissen  wir  nichts  Bestimmtes.  Du 
Verdier  schreibt  die  Übersetzung  dem  J.  des  Gouttes  zu*); 
doch  verfaßte  dieser  nur  die  Vorrede  und  erklärte  darin  aus- 
drücklich, nicht  der  Verfasser  derselben  zu  sein.  Goujet 
gibt  jene  Stelle  in  der  Vorrede  wieder  und  behauptet  J.  des 
Gouttes  scheine  nicht  der  Verfasser  der  Übersetzung  zu  sein.*) 
Niceron's  Behauptung,  Jean  Martin  sei  der  Übersetzer  '),  wird 
von  Guidi  angeführt.^)  Nach  Nostradamus  ist  der  Stil  der 
Übersetzung  tsuranne,  devenu  barbare  pour  nous>,^^  Jeder  Ge- 
sang wird  allegorisch  gedeutet. 


')  La  Bibl,  S.  709. 

2)  Goujet,  Bibl  fr.,  Bd.  IT/,  345f.  -^  In  der  Widmung  des 
Werkes  an  Card.  Hippolyte  von  Este  sagt  J.  des  Gouttes:  tTeÜe  fut 
Vopinian  du  translateur  du  Futieux,  quand  premieretnent  ä  m a  requete, 
il  mit  la  main  ä  la  plume:  assavoir  qtt'il  ne  doubtoit  point  que  VAriostc 
tourni  en  prose  Frangoise  ne  perdit  beaucoup  de  sa  nayvete  etc.»  Da- 
nach kann  J.  des  Gouttes  der  Übersetzer  nicht  sein^  wenn  toir  nicht  an- 
nehmeil.  daß  er  seine  Autorschaft  vei'bergen  wollte. 

»j  Memoires,  Bd.  IV,  5H9. 

*)  Annali,  S.  177. 

*)  Vie  des  Poetes  prov.  Vorrede,  S,   VIL 


—     257     — 

2.  Dieselbe  — ,  Lyon.  1544.  in  fol.  ^) 

3.  Rol.  für  .  .  .  en  prose   (Seit.  Ausg.)  Paris.  1546.   8^ 

4.  Dieselbe  — ,  Lyon.  1545.  8^^) 

5.  Dieselbe  — ,  (seltene  AusgO  P.  1552.  Q^. 

6.  Dieselbe  — ,  P.  1552.  8^ 

7.  Le  Premier  volnme  du  Rol.  für.  .  .  .  par  Jean  Fornier 
de  Montauban.  P.  1555.  4^.  (Nur  die  ersten  15  Gesänge, 
ziemlich  selten.)  *). 

8.  Derselbe  — ,  AnTcrs.  1555.  8^   (Nachdruck). 

9.  Derselbe,   Anvers.  1555.  4®  (Nachdruck). 

10.  Rol.  für.,  comp,  premierement  etc.  (Neudruck  d. 
J.  d.  Gouttes  zugeschr.  Übers.)  P.  1555.  8^ 

11.  Derselbe  —  P.  1571.  8»  (Nachdr.  der  J.  des  Gouttes 
zugeschr.  Übers.*) 

12.  Derselbe.     Par.   1575.    8^ 

13.  Rol.  für.,  trad.  p.  G.  Landr6  P.  1571.  8«.*) 

14.  D^amour  furieux,  Kolaod  für.,  compose  en  rithme 
tuscane  p.  M.  Lovys  Arioste,  P.  1572.  8^.  *) 

15.  Rol.  für.,  trad.  en  prose  .  .  .  p.  Gabr.  Chappuys, 
Lyon.  io76.  S^.') 

16.  Derselbe  — ,  Neudruck,  Lyon.  1577,  8«.») 

17.  Arioste  Fran^ois  de  J.  D.  B.  Les  XII  premiers 
chants  de  TArioste  traduit  en  vers  avec  les  Arguments  ^t 
Allegories  sur  chacun  chant.  Lyon.  1580.  8^*) 

')  Brunet,  Man.,  Bd.  /,  167;  Guidi,  Ann.  177. 

')  Guidi,  ihä..;  ebenso  die  unter  5  u.  6  angeführten. 

3)  Du  Verdier,  l  c,  S.  691:  Goujet,  /.  c,  Bd.  VII,  347: 
Fo(u)rnier  übersetzte  den  Orl.  fur.  ^surtout  pour  des  heros  qui  vou- 
droierit  unir  ä  la  valeur  les  qualites,  qui  fönt  estimer  Vhonneur  dans  le 
heros^.  Die  Vl>ers.  ist  so  buchstäblich  tcie  möglich,  entbehrt  aber  der 
Kotrektheit  und  Vornehmheit.  Ebert,  Entwicklungsgesch.,  S.  169,  er- 
xcähnt  diese  Übersetzung. 

*)  Guidi,  Ann.,  S.  179. 

*j  Nur  6ci  G  u  i  d  i  erwähnt;  vgl.  Q  u  a  d  r  i  o ,  Stör,  e  rag.,  Bd.  1 V,  558, 

^)  Nur  bei  Guidi  erw. 

')  Goujet,  l.  c,  Bd.  VIL  362  sagt  von  dieser  Lbers.j  sie  sei  so 
schlecht,  dafi  es  unmöglich  sei^  sie  zu  lesen. 

*)  Guidi,  Ann.,  179:  Goujet,  ib.  VIT,  362  gibt  an:  Lyon  1676. 

•j  .7.  D.  B.  =  Jean  de  Boessihre  de  Montfer  en  Auvergne;  siehe 
Münchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.  XXXIV.    17 


—     258     — 

18.  Rol.  für.  (Neudruck  d.  Au8g.  von  1543).  P.  1580.  8^ 

19.  L'Ar.  fr.  p.  J.  D.  B[oe88iöre]  Lyon.  1580.  8^ 

20.  Le  Rol.  für.,  trad.  p.  O.  Chappnys,  nou?«  ed.  augm.  de 
figures  en  bois  et  de  dnq  Chants  ajoutös  au  susdit  Podme.  — 
La  Suite  de  Rol.  für.,  contenant  la  mort  du  raillant  Roger 
(du  G.  B.  Pescatore)  et  de  quelques  stances  du  ineme  Arioste^ 
trad.  de  Tit.  par  le  meme  Chap.  Lyon.  1582.  8^,^) 

21.  Rol.  für.  (Neudr.  der  Übers,  von  1543).  P.  1582.  8«. 

22.  Rol.  für.  .  .  .  p.  Gabr.  Chappuys.     Lyon.  1582.    8®. 

23.  Rol.  für.  (Neudruck  der  Übersetzung  v.  Chappuys 
V.  1582).  P.  1683.  8<>.«) 

24.  Derselbe  — ,  Lyon.  1604.  8^«) 

25.  Derselbe  — ,  Lyon.  1608.  8^ 

26.  Derselbe  — ,  Ronen.  1610  u.  1618.  8^ 

27.  Le  Divin  Arioste  ou  Rol.  le  Für.  trad.  nouvellement 
en  Fran^ois  par  Fr.  de  Rosset  d6di6  ä.  la  grande  Marie 
de  Medicis  reine  de  France  et  de  Navarre.  Paris.  1615. 
2  vol.,  4«.*) 


Barbier,  Dict  des  Anon.j  Bd.  7,  272;  Que.rard,  Superch.  litt, 
Bd.  II,  826 d.  Nach  Goujet  (B,  fr.  VII,  351)  übersetzte  J.  de 
Boessi^re  diese  12  Ges.  nicht  allein.  Wir  haben  es  vielmehr  mit 
einer  Kompilation  der  Teilühersetzungen  von  Meüin  de  St-GMais.  J,  Ä. 
Batf  und  Cl.  BeUiard  zu  tun,  die  unr  noch  ketinen  lernen  werden. 
Boessi^res*  Anteil  ist  nach  Goujet  nicht  besser  und  nicht  schlechter  als  der 
der  übrigai.  In  der  Vorrede  sagt  er,  Äriost  sei  ihm  im  Traum  erschienen 
und  habe  ihn  aufgefordert,  den  Orl.  für.  zu  übersetzen.  Boessi^res  hat 
später  noch  den  ganzen  OrL  für.  übersetzt,  doch  erschienen  nur  die  ersten 
zwölf  Bücher  im  Druck. 

*)  Goujet,  Ä  fr.,  Bd.  VII,  363:  «A  Vegard  de  la  miU  du  poeme 
de  Bot,  traduite  encore  par  le  meme,  c^est  Vouvrage  d^un  autre  Poftt 
Italien,  J.-B.  Pescatore.» 

•)  Nur  6ci  (iuidi,  Ann.,  S.  181. 

»)  Nur  &ei  Blanc,  Bibl.  II,  1271. 

*)  Nach  Blanc  enthält  «Le  divin  Arioste*  auch  eine  *8uite  con- 
tinuie  iusques  ä  la  mort  du  Faladin  Roland»;  nach  Guidi  findet  sich 
diese  Fortsetzung  erst  in  der  Ausgabe  von  1644,  Goujet  (B.  f., 
Bd.  VII  337)  hält  die  BosseVsche  Übers,  für  eine  Fortsetzung  einer 
andenen,  die  zum  Verf.  einen  Grafen  Scandiano  habe.  Da  Rosset  Pro- 
venzale  war,  beherrschte  er  die  franz.  Sprache  nicht  mit  der  nötigeti  Leich- 
tigkeit. 


—     269     ^ 

28.  Rol.  für.,  trad.  p.  G.  Chappuys  (Nachdruck),  ßouen 
1617.  8^1) 

29.  Derselbe,  Roueo.  1618.  8«. 

30.  Le  Diyin  Arioste  (Neudruck  der  Übers,  v.  Rosset). 
P.  1625.  4«. 

31.  Rol.  für.,  trad.,  ou  imit§  des  vers  Ital.  de  rArioste 
(erster  Gesang).  Reuen.  1638.  8^ 

32.  Le  DWin  Ariost  (Neudruck  von  Rosset).  P.  1644.  8  <*. 

33.  Arioste  travesty,  en  vers  burlesques  (sans  nom  de 
l'auteur).  P.  1650.  4».*) 

34.  L'Arioste  moderne  (ohne  Namen  des  Verf.'s),  P.  1685, 
2  vol.,  12  ^  Nach  Brunet  ist  die  Übersetzung  von  einer  Dame : 
Louise  Geneviöve  Goraez  de  Vasconcelle.*) 

35.  Derselbe  —  (mit  Angabe  der  Verfasserin).  P.  1685. 
2  vol.,  12». 

36.  Derselbe  —  Lyon.  1685.  2  vol.,  12  ^*) 

37.  Derselbe  —  Lyon.  1686.  2  vol.,  12  <>.'^) 

38.  Derselbe  —  P.  1720.  2  vol.,  12  ^ 

39.  Rol.  für.,  potoe  heroique  d'aprös  la  trad.  nouv.  p.  M. 
(J.  B.  de  Mirabeau).  La  Haye,  1741.  4  vol.,  12«.«) 


»)  iVMr  Ouidi,  Ann.,  S.  181.  Ebenso  die  unter  29,  30  u.  31  ver- 
zeichneten Übers. 

*)  Nach  Goujet  (ibd.  VII,  375)  nur  ein  Gesang;  der  anonyme 
Übersetzer  widmet  ihn  Scarron,  dessen  Nachahmer  er  ist. 

')  Die  Übersetzung  ist  abgekürzt;  die  anstößigen  Stellen  sind  ent- 
fernt. AnUlli  zu  einer  solchen  Übertragung  gab  ihr,  wie  sie  in  der  Vor- 
rede sagt,  (iuinault*8  Oper:  *Puisque  V Opera  va  faire  entrer  Arioste 
dans  le  commerce  du  grand  nombre,  il  ne  faut  pas  qu^il  y  paroisse  en 
oieux  libertin;  il  effarouclieroit  les  Dames  plutot  que  de  les  divertir» 
(».  Goujet  VII,  368;  Barbier,  Dict.  d.  an.  7,  272). 

*)  Diese  u.  d.  vorausgeh.  Übers,  erwähnt  nur  Guidi,  ibd.  S.  183. 

*)  Nur  bei  BUnc,  Bibl.  II,  1172,  ebenso  die  folgende. 

•)  Goujet  {VII,  369)  lobt  die  Übers,  von  Mirabeau:  «.  .  .  to  plus 
elegante  et  la  mieux  ecrite  que  Von  pouvoit  esperer  de  ce  poeme  si  fa- 
meux.9  Ähnlich  Moreri  {Dict.hist.,  Bd.  I,  314):  •La  seule  traduction 
que  Von  puisse  estimer,  est  ceUe  qui  a  ite  faite  par  Mirabaud.» 
Wesentlich  anders  dagegen  tiWci^i  Voltaire  {Dict.phil,  Bd.  VII,  516);  er 
tadelt  Mirab.,  weil  er  das  IroniscJie,  das  Scherzliafte  de»  ganzen  Gedichtes 

17* 


—     260     — 

40.  Derselbe  —  La  Haye.  P.  1741.  4  vol.,  12  ^ 

41.  Derselbe  —  Amsterdam.  1756,  4  vol.,  12  ^ 

42.  Derselbe  —  P.  1758,  4  vol.,  12«. 

43.  Rol.  für.,  poeme  de  M.  Loujs  Arioste  trad.  en  fran^ois, 
Amstd.  1766.  3  vol.,  12«  (ohne  Namen  des  Verfassers). i) 

44.  Derselbe  (Neudr.  der  vorigen  Übersetzung).  P.  1771. 

3  vol.,  12«. 

45.  Rol.  für.,  poeme  heroique,  trad.  p.  d'üssieux.  P.  1775 
—1783.  4  vol.,  8  0.2) 

46.  Rol.  für.  (Neudruck  von  Mirabeau's  Übers.).  P.  1775. 

4  vol.,  8^ 

47.  Derselbe  —  P.  1776.  4  vol.  4». 

48.  Rol.    für.,    trad.    p.    de    Cavailhon.    P.  1776—1777. 
3  vol.,  18«. 

49.  Rol.  für.  (Neudruck  v.  Mirabeau's  Übers.).  La  Haye. 
1778.  4  vol.,  12«. 

50.  Rol.  für.,  trad.  p.  E.  de  la  Vergne,  comte  de  Tressan.^) 
P.  1780.  5  vol.  12«. 

51.  Essai  de  traduction  en  vers  du  Rol.-le-Fur.  de  T Arioste 
par  Dupont  de  Nemours.  P.  1781.  8«.*) 

52.  Rol.  für.  (Neudr.  v.  Tressan's  Übers.).  P.  1781  (ohne 
Angabe  der  Zahl  der  Bände  und  des  Formats).^) 

53.  Derselbe  —  P.  1786.  5  vol.  18«.«) 

54.  Rol.  für.,   avec  Titalien  k  cöte,   nouv.  trad.  p.  Pan- 
ckoucke')  et  Framery.  P.  1787.  10  vol.  18  ^ 


nicht  nachzuahmen  verstehe;  dann  gibt  er  selbst  eine  Übersetzung  der  ersten 
drei  Strophen  des  35.  Ges. 

»)  Nur  Guidi,  Ann.,  S.  ISA. 

•)  Brunei  [Man.  J,  442)  bezeichnet  sie  ah  literarisch  unbedeutend. 

®)  Brunet  (Man.  J,  44):  «^La  traduction  de  Tressan  a  eu  jadis 
du  succesj  quoiqü'elle  manque  tout  ä  fait  de  fid^lite.*  Ähnlich  La  gr. 
Encycl,  Bd.  XXXT,  363. 

*)  Nach  Guidi,  S.  185,  in  4  vol. 

^)  Barbier,  Dict.  d^s  anon,  Nr.  5505. 

*)  jyiese  und  die  vorhergehenden  Übers,  eno.  nur  Guidi,  ibd. 

')  Panckoucke's  Übers,  tcird  von  Brunet  {Man.  7,  443)  ah 
ziemlich  genau  bezeichnet;  da'  ital.  Text  ist  der  Übers,  beigefügt.  Siehe 
auch  La  grande  Encycl,  Bd.  XXV,  933. 


—     261     — 

o5.  Rol.  für.,  trad.  p.  Tressan.  P.  1787.  4  vol.  12  ^.i) 
66.  Derselbe  —  trad.  p.  Tressan.   Par.  1788.   3  vol.  8^ 
57.  Derselbe  —  trad.  p.  Tressan.   Par.  1792.  8  vol.  16^ 

68.  Derselbe  —  trad.  p.  Tressan.    Par.  1793.   6  vol.   8®. 

69.  Derselbe  —  P.  1797.  6  vol.  8^2) 

60.  Derselbe  —  trad.  p.  Tressan.   Par.  1800.  4  vol.   8^. 

61.  Derselbe  —  trad.  p.  Laborde.  Perp.  1802.  8^ 

62.  Rol.  für.  (Neudr.  v.  Tressan's  Übersetzung).  P.  1804. 
4  vol.  8». 

63.  Derselbe  —  tr.  en  prose.   P.  1810.   6  vol.   12^ 

64.  Derselbe  —  Par.  1810.   6  vol.   16^ 

66.  Essai  de  trad.  en  vers  ...  [p.  Dupont  de  Nemours]. 
P.  1812.   8^. 

66.  Derselbe  (Neudr.  d.  Ausg.  v.  1812).  P.  1813.  8^ 

67.  Rol.  für.  (Neudr.  v.  Tressan).  P.  1818.  6  vol.  8  ^ 

68.  Rol.  für.   (Neudr.   v.  Tressan).  P.  1822.  7  vol.   12*'. 

69.  Rol.   für.,   poeme  hSroique  (Chants  I — XXIII,  nach 
Blanc,  p.  XIII),   P.  1822.   8«  (der  Übersetzer  ist  unbek.).«) 

70.  Rol.  für.  (Neudr.  v.  Tressan).   P.  1823.    4  vol.  32  ^ 

71.  Rol.  für.  (Neudr.  v.  Tressan),  suivi  du  Rol.  amoureux, 
de  Bojardo.  P.  1824.  7  vol.  8^ 

72.  Derselbe  —  P.  1824.  4  vol.  32 '^. 

73.  Derselbe  —  P.  1826.  6  vol.  18«.*) 

74.  Rol.  für.,   trad.   en   vers   frangais  p.  Ch.  Duvau   de 
Chavagne.*)     Angers  1829,  3  vol.,  8^ 

75.  Rol.    für.,    trad.   p.    le   baron  de   Frenilly.   P.  1834. 
4  vol.  8 «. 

76.  Rol.  für.   (Neudr.   v.   Tressan),   P.  1836.   3  vol.  18 «. 

77.  Rol.   für.  (Neudr.  v.  Chavagne's  Übers.;  Verbesserte 
Auflage).    P.  1838.  3  vol.  8^ 

78.  Rol.  für.,  nouvelle  traduction  en  Prose  avec  la  vie  de 
l'Arioste  .  .  .  p.  A.  Mazuy,  P.  1839—1840.  3  vol.  8^«) 

1)  Xur  Guidi,  ibd. 

')  Kur  Blanc,  l.  c:  ebenso  die  folgenden  drei. 
')  Guidi,  Ann.,  S.  1H7. 

*)  Xur  Blanc,  Bibl.  II,  1272,    In  dasselbe  Jahr  fallt  auch   die 
Übersetzung  der  Satiren  des  Äriost  von  Trelis.  Lyon.  IHJf).    f^. 
'')  S.  auch  Brunei,  Man.,  Bd.  i,  443. 
*)  In  diesem  Jahre  tcerden  auch  die  Satiren  vowDelecluze  übers. 


—  262  — 

79.  Rol.  für.  (Neudr.  v.  Panckoucke).  P.  1842.  2  yoL  18  ^. 

80.  Rol.  für.  Paris.  1842.  2  vol.  12  o. 

81.  Rol.   für.,   P.   1844.    S^    (ohne   Angabe   des   Über- 
setzers; die  Ausg.  ist  mit  350  Vignetten  versehen).^) 

82.  Rol.  fiir.   (Neudr.  v.  Tressan).   P.  1846.  4  toI.   16  \ 

83.  Rol.  für.   (Neudr.    der   Übers,   von    1844.    P.   1863. 
4  Yol.  8». 

84.  Rol.  für.  (20  chants)  trad.  en  yers  p.  F.  Detserteaux. 
P.  1864.  12^ 

85.  Rol.    für.,   imitfi   en   vers   p.    P.   Ragon.    P.    1869. 

2  vol.  12  ö. 

86.  Rol.  für.,  trad.  pour  la  Bibliothdque  Nationale.  P.  1876. 
6  vol.,  12  ^ 

87.  Rol.  für.,  trad.  p.  Hippeau.  P.  1876.  2  vol.  12  ^ 

88.  Le  Rol.   de  TAr.   racontfe  .  .  .  p.  Marc-Monnier.  P. 
1878.  12  ^«) 

89.  Rol.  für.,  trad.  p.  Du  Pays,  P.  1878.  in-fol.  . 

90.  Rol.    für.,   trad.   litt.   p.   Bonneau.   P.    1879—1883. 

3  vol.,  18  «  (Canü  I— XV). 

91.  Rol.  für.,  trad.  p.Reynard.  P.  1880—1883.  4  vol.  18<>. 

92.  Rol.  für.,  trad.  p.  Ch.  Simond.  P.  1890.  8«. 

Übersetzungen  ohne  Angabe  des  Datums  der 
Veröffentlichung.*) 

93.  Rol.  für.,  trad.  en  fr.,  P.,  4  vol.,  8  ^.  Die  Übersetzung 
wird  angeführt  im  2.  Bande  der  Bibliotheque  des  RomanSj  und 


u.  mit  Kommentar  versehen  [Satires,  tr.  p.  D.  F.  1839 ^  8^).  —  Mazuy^f 
Übers,  ist  mit  zahlreichen  Anfnerkungen  vers.,  die  meistens  der  engl, 
Ausg.  d.  Orl.  für.  von  Fanizzi  entlehnt  sind, 

^)  Nach  Blanc  {Bihl.  IL  1274)  ist  Victor  Fhilipon  de  la  Madelaine 
der  Übersetzer  {ebenso  Brunet,  ifan.,  Bd.  /,  443), 

«)  Ang.  Degubernatis  {Nuov.  Ant.  1878,  2<^  Serie,  S.  380)  sagt 
von  Marc-Monnier,  er  übersetze  zwar  nicht  mit  gewissenhafter  Treue^ 
aber  seine  Übersetzung  entspreche  franz.  Geschmacke.  M.'M.  läßt  alle 
Episoden  beiseitCj  wekJie  sich  nicht  direkt  auf  den  Gang  der  Handlung 
im  Orl.  für.  beziehen. 

^)  Die  nun  folgenden  Übersetzimgen  sind  bei  Blanc,  II,  1273  er- 
wähnt. 


—    263     — 

68  wird   dort  zugleich  bemerkt,  daß  es   sich  um  eine  abge- 
kürzte Übersetzung  handle. 

94.  Rol.  für,,  poöme  heroique,  P.,  4  vol.,  4^. 

95.  Rol,  für.,  trad.  en  Fr.  p.  J.  Mart.  P.,  S^. 

96.  Rol.  für.,  trad.  p.  Panckoucke  et  Tramery  arec  une 
notice  sur  TArioste  par  A.  Latour,   P.,  2  vol.,  12  ^ 

97.  Rol.  für.,  trad.  p.  Maruy,  P.,  1  vol.  4^  (Illustrierte 
Ausgabe). 


Lippert  &  Co.  (O.  Pätz'sche  Bucbdr.),  Naumbarg  a.  S. 


MÜNCHENER  BEITRÄGE 


zus 


eOMiNISClNDiiGLISCmLOLOeiE. 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


E  BßEYMANN  und  J.  SCHICK. 


XXXV. 


DIE  FIGUR  DES  GEISTES  IM  DRAMA  DER  ENGLISCHEN 

RENAISSANCE. 


—^ 


LEIPZIG. 

A.  DEICHERT'SCHE  VERLAGSBÜCHHANDLUNG  NACHF. 

(GEORG  BÖHME). 

1906. 


DIE 


FIGUR  DES  GEISTES  IM  DRAMA 


DER 


ENGLISCHEN  RENAISSANCE. 


VON 


Dr.  HANS  ANKENBRAND, 


-C^_ 


LEIPZIG. 

A.  DEICH ERT'SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG  NACHT. 

(GEORG  BÖHME). 

1906. 


Alle  Rechte  yorbehalten. 


Meinem  lieben  Onkel 


Herrn  Pfarrer  Ankenbrand  in  Geldersheim 


ans  Dankbarkeit 


gewidmet. 


Benutzte  Literatur. 


Alexander,  William,  Earl   of  Stirling:   Poetical   Works, 

Glasgow.  1872.     3  vols. 
Anonymus,  Shakespeare^ s Ghosts,  Fairies and  Witehes.  Quarterly 

Review,  vol.  171.     1890. 
Beaumont,    Francis,    and   Fletcher,    John:    Works. 

Ed.  Darley.    London  and  New  York.  1872.    2  vols. 
Brand,  John:  Observations  on  Populär  Antiquities.    London. 

1813.     2  vols. 
Brandl,  Alois:  Mittelenglische  Literatur  (in  PauFs  Grundriß 

der  germanischen  Philologie  11,  1). 
Brooke,  Pulke  Greville,  Lord:   Works.  Ed.  Grosart.   Black- 

burn.  1870.     4  vols. 
Chapman,  George:  Coinedies  and  Tragedies,   London  (John 

Pearson).  1873.     3  vols. 
Churchill,  George  B. :  Richard  the  Thirdup  to  Shakespeare, 

Palaestra  X.    Berlin.  1900. 
Churchill,   George  B.,  und  Keller,   Wolfgang:  Die 

lateinischen  Universitätsdramen  in  der  Zeit  der  Königin  Elisa- 
beth,   Shakespeare-Jahrbuch  Bd.  34.     Weimar.  1898. 
Collier,  J.  P. :  Histanj  of  English  Dranmiic  Poetry,     London. 

1879.     3  vols. 
Courthope,  W.  J. :   History  of  English  Poetry.   London.  1897. 
Cunliffe,    J.    W. :    The   Influence    of  Seneca    on   Elizabethan 

Tragedy.     London.  1893. 
Dyer,  T.  F.  Thiselton:  Folk  Lore  of  SJiakspere.  London.  1883. 
Fischer,  Rudolf:    Zur  Kunstentwicklung  der  englischen  Tra- 

gödie.     Straß  bürg.  1893. 


—  vm  — 

Ford,  John:  Dramaiic  Works.   Ed.  Weber.    Edinburgh  and 

London.  1811.     2  yols. 
Freytagy  Gustav:  Die  Technik  des  Dramas.    Leipzig.  1863. 
Glapthorne,  Henry:    Plays  and  Poems,     London   (John 

Pearson).  1874.     2  vols. 
Hazlitt,  W.  Carew:  Ä  Select  Coüeetion  of  Old  EngUsk  Plays. 

Originaüy   published    by    Robert    Dodsley    1744.      London. 

1874—76.     15  vols. 
:    Shakespeare^ s   Library.      A    Collection    of    the    Plays, 

Bomances,   Novels,   Poems  and  Histories  employed   by 

Shakespeare  in  the  composition  of  bis  works.    London. 

1875.    6  vols. 
Heywood,    Thomas:    Dramaiie    Works.      London    (John 

Pearson).  1874.    6  vols. 
Hughes,  Thomas:  The  Misfortunes  of  Arthur.     Ed.  Gnim- 

bine.    L.  F.  XIV.     Berlin.  1900. 
Jonson,Ben:  Works.  Ed.  Gifford  and  Cunningham.  London. 

1875.     9  vols. 
Klein,  Julius  Leopold:  Geschichte  des  Dramas.    Leipzig. 

1865—86.     13  Bde. 
Kyd,  Thomas:  Works.    Ed.  Boas.    Oxford.  1901. 
:    The    Spanish    Tragedy.      Ed.    Schick.      L.    F.    XIX. 

Berlin.  1901. 
Laehr,  Hans:   Die  Darstellung  kraiikhafter  Oeistesxtistände  in 

Shakspere^s  Dramen,     Stuttgart.  1898. 
M ars ton,  John:  TforA:«.   Ed.  Bullen.   London.  1887.  3  vols. 
Massinger,  Philip:  Plays.  Ed.  Cunningham.  London.  1872. 
Middleton,  Thomas:  Works.  Ed.  Bullen.  London.  1885/86. 

8  vols. 
Parfaict,  Frangois,  etParfaict,  Claude:  Eistoire  du 

theätre  fran^ais.     Paris.  1735 — 49.     15  vols. 
Peele,  George:  Works.  Ed.  Bullen.   London.  1888,   2  vols. 
Prölss,    Karl    Robert:    Geschichte    des    neuereti    Dramas. 

Leipzig.  1881—83.     3  Bde. 
Richard  II.    Erster  Teil.    Ein  Drama  aus  Shakespeare's  Zeit. 

Ed.  Keller.     Shakespeare-Jahrbuch  35.     Berlin.  1899. 
Schaeffer,  Adolf:   Geschichte  des  spanischen  Nationaldramas. 

Leipzig.  1890.     2  Bde. 


-    IX    - 

Schelling,   Felix  E.:    The  English   Clironick  Play.     New 

York.  1902. 
Scot,   Keginald:   Discovet-y  of   Witcheraft.     London.    1651 

(written  and  published  in  1584). 
Seneca,  L.  A. :  Tragoediae,     Ed.  Peiper  et  Richter.     Leip- 
zig. 1902. 
Shakspere,  William:  Douhtful  Plays.  Leipzig  (Tauchnitz). 

1869. 

:   Works.     Ed.  Dyce.     London.  1880/81.     10  yoIb. 

Simrock,  Karl:    Der  gute  Gerhard  und  die  dankbaren  Toten. 

Bonn.  1856. 
Symonds,  John  Addington:  Shakspere^s  Predecessors  in  the 

English  Dravia.     London.  1884. 
Tourneur,  Cyril:  Plays  and  Poems.    Ed.  Collins.   London. 

1878.     2  vols. 
Ward,  Adolphus  William:  A  History  of  English  Dramatie 

Liierature.    London  1899.     3  vols. 
Webster,  John:  Dramatie    Works.     Ed.  Hazlitt.     London. 

1857.    4  vols. 
Wurth,    DramaiurgiscJie  BenierJcungen  xu  den  Geistersxenen  in 

Shakspere*s  Tragödien,  in:  Festschrift  für  Schipper.     Wien 

und  Leipzig.  1902. 
Würz b ach,   Wolfang  von:   John  Marston.     Shakeapeare- 

Jahrbuch.    Bd.  33.    Weimar.  1897. 


Inhalt. 


Seite 

Benützte  Literatur VII 

Allgemeines 1 

Der  Geisterglaube  in  England .*     •     •  ^ 

Das  Wunderbare  im  Drama 3 

Die  verschiedenen  Gattungen  von  Geistern 4 

Welche  Rolle  spielt  der  Geist  im  Drama 4 

Seneca,  Vorbild  der  Engländer 6 

Der  Geist  im  französischen,  italienischen  und  spanischen  Drama      .  7 

I.  Der  Geist  in  den  lateinischen  Universitätsdramen 9 

1.  Goldingham,  Herodes 9 

2.  Solymannidae 10 

3.  Alabaster,  Boxana 10 

4.  Gwinne,  Nero 10 

5.  Antoninu8  Bassianus  Caracalla 11 

6.  Fatum  Vortigemi 12 

7.  Perfidus  Hetruscus - 13 

8.  Gager,  Meleager 14 

9.  „       Dido 14 

II.  Der  Geist  in  den  englischen  Dramen 14 

1.  Hughes,  Misfortunes  of  Arthur 15 

2.  Kyd,  Spanish  Tragedy 17 

3.  True  Tragedy  of  Richard  III 21 

4.  Lord  Brooke,  Alaham 22 

ö.  Sir  W.  Alexander,  Alexandrcean  Tragedy 24 

6.  Ben  Jonson,  Catiline 26 

7.  Dr.  J.  Fisher,  Fuimus  Troes 28 

8.  Grim  the  Collier  of  Croydon 90 

9.  Shakspere,  Hamlet 31 

10.  Ghapman,  Revenge  of  Bussy  d^Amhoia 46 

11.  Shakspere,  Macbeth 49 

12.  Second  MaideWs  Tragedy 52 


-    XI    — 

Seite 

13.  MarstoDy  Antonio  and  Mellida ,    .  53 

14.  Webster,  The  White  Devü 58 

15.  Locrine 62 

16.  Richard  IJ.  1.  Teil 66 

17.  Shakspere,  Richard  III 67 

18.  Th.  Heywood,  Second  Part  of  King  Edtoard  JF    ....  69 

19.  Shakspere,  Jtdius  Caesar 71 

20.  MarstoD,  Sophonisba 72 

21.  Tourneur,  The  Atheisfs  Tragedy 74 

22.  Massinger,  ünnatural  Combat 78 

23.  MiddletoD,  The  Changeling 80 

24.  Glapthorne,  Tragedy  of  Albertus  Wallenstein 81 

25.  Ford,  Witch  of  Edmonton 82 

26.  Peele,  The  Old  Wives'  Tale 83 

27.  Th.  Heywood,  Second  Part  of  the  Iron  Age 84 

2S.  Lady  Alimony 85 

Kurze  Übersicht  über  die  Aufgaben,   die  der  Geist  zu  erfüllen  hat  85 

Einige  Charakteristika  der  Geister 86 

Chronologisches  Verzeichnis  der  behandelten  Dramen 87 

Übersicht  über  die  einzelnen  Dichter 88 


Einleitung. 


Allgemeines.  Der  Geisterglaube  in  England.  Das  Wunderbare  im  Drama. 

Die  verschiedenen  Gattungen  von  Geistern.     Welche  Rolle  spielt   der 

Geist  im   Drama?     Seneca,    Vorbild   der   Engländer.     Der  Geist   im 

französischen,  italienischen,  spanischen  Drama. 

Zu  allen  Zeiten  spielte  in  ctor  Poesie  das  Wunderbare, 
das  Geheimnisvolle,  mit  einem  Wort,  das  Übernatürliche  eine 
bedeutsame  Bolle,  gleichviel  ob  wir  es  mit  Heroenliedem, 
Götterepen  oder  dramatischen  Darstellungen  zu  tun  haben. 
Natürlich  fällt  in  dieses  Gebiet  auch  die  poetische  Behandlung 
von  Geistererscheinungen. 

Es  ist  das  durchaus  nichts  Auffallendes,  sondern  voll- 
kommen in  der  menschlichen  Natur  begründet.  Wie  der 
physische  Organismus  sich  eine  Beihe  der  verschiedenartigsten 
Beize  zuzuführen  sucht,  die  mit  der  Steigerung  der  Zivilisation 
sich  verfeinern  und  erhöhen,  so  strebt  auch  die  psychische 
Veranlagung  des  Menschen  nach  Sensationen,  welche  je  nach 
ihrer  Intensität  einen  mehr  oder  weniger  hohen  Grad  von 
Befriedigung  zu  gewähren  versprechen. 

Geistererscheinungen,  seien  es  nun  tatsächliche  oder  bloß 
auf  Einbildung  oder  Naivität  beruhende  (über  ihre  reale 
Eidstenz  wollen  wir  uns  hier  in  keinen  Streit  :einlassen),  ver- 
mögen infolge  ihrer  Unerklärlichkeit  und  des  sie  begleitenden 
Grauens  psychische  Erschütterungen  hervorzurufen,  die  zu- 
weilen die  schlimmsten  Folgen  nach  sich  ziehen  können.  In 
der  poetischen  Vorführung  derartiger  Dinge  aber,  wo  die 
leibliche  Sicherheit  des  Hörers  nicht  im  mindesten  gefährdet 

Münohener  Beiträge  z.  romanischen  n.  engl.  Philologie    XXXV.      1 


—    2     — 

wird,  bleibt  das  Grauen  in  bedeutend  abgeschwächter  Weise 
wirksam  und  übt  seinen  Reiz  aus,  indem  es  bei  dem  Hörer 
bzw.  Zuschauer  ein  angenehm-schauriges  Gefühl  zurückläßt. 

In  dramatischen  Vorführungen  mußte  daher  das  Auf- 
treten von  Geistern  zu  gewissen  Zeiten  eine  ganz  besondere 
Anziehungskraft  ausüben,  und  selbst  heute  noch,  trotz  der 
sogenannten  Aufgeklärtheit  unserer  Tage,  hat  dieser  Umstand 
noch  nicht  völlig  seine  Berechtigung  verloren. 

Die  Einführung  des  Geistes  in  die  Tragödie  bildet  ferner 
für  den  Dichter  einen  Kunstgrifif,  den  sich  die  Dramatiker  der 
elisabethanischen  Zeit  um  so  weniger  entgehen  ließen,  als  sie 
die  große  Empfänglichkeit  ihrer  Zeitgenossen  hierfür  kannten. 

Wenn  wir  bedenken,  daß  der  Glaube  an  das  Umgehen 
von  Geistern  heute  noch  in  England  verbreitet  ist,  können 
wir  einen  Rückschluß  auf  das  16.  und  17.  Jahrhundert  ziehen, 
eine  Zeit,  in  der  die  kulturellen  Verhältnisse  Englands  diesen 
Glauben  noch  begreiflicher  erscheinen  lassen.  Wenige  von 
der  großen  Masse  des  englischen  Volkes  waren  imstande  zu 
lesen,  noch  weniger  konnten  schreiben.  Es  ist  eben  eine  alte 
Erfahrungstatsache,  daß  der  menschliche  Geist,  wird  er  nicht 
durch  Bildung  und  Unterricht  veredelt,  für  alle  Schrecken 
des  Aberglaubens  empfanglich  ist.^) 

Man  würde  jedoch  irre  gehen,  anzunehmen,  daß  der 
Glaube  an  das  Umgehen  von  Geistern  nur  in  den  unteren 
Volksschichten  verbreitet  gewesen  wäre;  auch  die  Gebildeten 
hatten  sich  noch  nicht  ganz  von  der  volkstümlichen  Tradition 
emanzipiert. 

Wenn  die  Familie  abends  am  Herdfeuer  versammelt  saß, 
dann  lieferten  Geistergeschichten  sehr  häufig  den  Gesprächs- 
stoff. Ja,  die  Phantasie  des  Volkes  bildete  sich  bezüglich 
der  Geister  geradezu  ein  „mythologisches  System",  welches 
uns  Reginald  Scot  und  John  Brand  in  ihren  Werken  ver- 
anschaulichen: 

Da  hatte  man  sich  ein  vollständiges  Verzeichnis  der 
Namen  der  Geister,  bzw.  Teufel  gebildet'),  welche  sich  in 


^)  Brand,  Observations  on  Pojndar  Antiquititi  II,  S.  419. 
")  Scot,  Discovery  of  Witchcraft,  S.  266 ff. 


—     3     — 

einer  Art  militärischer  RaDgordDUDg  voueiDander  unter- 
schieden ;  man  wußte,  in  welcher  Gestalt  die  Teufel  erschienen, 
wenn  sie  beschworen  wurden ;  man  wußte,  welche  Macht  ihnen 
innewohnte ;  man  kannte  die  Zahl  der  Legionen,  über  welche 
die  einzelnen  Führer  verfugten.  £s  gab  gewisse  Stunden,  in 
welchen  man  einen  Teufel  beschwören  konnte,  ohne  daß  dieser 
imstcmde  war,  einem  etwas  zuleide  zu  tun.  Es  war  genau 
vorgeschrieben,  wie  man  einen  Teufel,  wie  man  den  Geist 
eines  Verstorbenen  zu  beschwören  hatte.  Man  wußte,  wie 
man  einen  Geist  zwingen  konnte,  in  einem  Krystall  einge- 
schlossen zu  erscheinen  etc.  etc. 

Allgemein  bekannt  war  die  Stunde,  um  welche  die  Geister 
der  Verstorbenen  zu  erscheinen  pflegten  ^),  ebenso  die  Um- 
stände, welche  das  Nahen  eines  Geistes  verkündeten;  es  war 
genau  vorgeschrieben,  wie  man  sich  während  einer  Geister- 
erscheinung zu  verhalten  hatte,  was  man  tun  mußte,  um  einen 
Geist  zum  Sprechen  zu  bringen,  wie  man  einen  Geist  an- 
reden mußte;  es  war  strenge  verboten,  den  Geist  während 
des  Sprechens  durch  Fragen  irgendwelcher  Art  zu  unter- 
brechen etc.  etc. 

So  oft  die  Dichter  aus  diesem  reichen  Schatz  der  Volks- 
sage geschöpft  haben,  werde  ich  die  Gelegenheit  ergreifen, 
darauf  noch  besonders  hinzuweisen. 

Im  Gegensatz  zu  ihren  Schwestern,  Lyrik  und  Epos,  ist 
die  dramatische  Poesie  einer  gewissen  Beschränkung  unter« 
worfen:  sie  kann  nur  Menschen  darstellen.  Es  entsteht  des- 
halb die  Frage,  ob  der  Dramatiker  überhaupt  berechtigt  ist, 
das  Wunderbare  im  Drama  zu  verwerten.  Nach  Gustav 
Frey  tag  vermag  die  dramatische  Poesie  nur  insofern  das 
Überirdische  zu  verkörpern,  als  ^^dasselbe  bereits  durch  die 
Pliantasie  des  Volkes  poetisch  zugerichtet^  mit  einer  dem  Menschen 
entsprechenden  Persönlichkeit  verseilen^  durch  cliar akter  istische  Züge 
bis  ins  Detail  hinein  verbildlicht  ist^.^)  Wenn  je,  so  ist  diese 
Forderung  Freytag's  hier  erfüllt. 

Was  nun  die  Geister  im  allgemeinen  betriflFt,   so  gibt  es 


>)  Brand,  Observations  II,  S.  422 ff. 

»)  Freytag,  Technik  des  Dramas,  S.  49. 


—     4    — 

verschiedene  Gattungen,  wie  die  Geister  von  Verstorbenen, 
Dämonen,  Teufel  etc.  Doch  wir  wollen  uns  hier  auf  die  Er- 
scheinungen der  Geister  von  Verstorbenen  beschränken. 

Es  handelt  sich  nun  darum,  sich  klar  zu  werden,  welche 
Zwecke  die  Dichter  verfolgten,  indem  sie  dem  Geist  eine  Rolle 
im  Drama  zuwiesen,  und  welcher  Gestalt  diese  Rollen  sind. 
Eine  Hauptrolle  sehen  wir  nirgends  den  Geist  vertreten,  und 
das  mit  gutem  Grund.  Denn  die  dramatische  Poesie  hat  sich, 
wie  schon  erwähnt,  nur  mit  Menschen  zu  befassen,  sie  soll 
nach  Gustav  Frey  tag  „die  inneren  Prozesse  darsteBen,  welche 
der  Mensch  vom  Außeuchten  einer  Empfindung  bis  %u  IddenschafU 
lichem  Begehren  und  Handeln  dm-chmacht,  sowie  die  Einunrhingen^ 
welche  eigenes  und  fremdes  Handeln  in  der  Seele  hervorbringt^,^) 
Nun  aber  sind  Geister  keiner  inneren  Kämpfe  fähig,  sie  haben 
nicht  y^die  Freiheit,  zu  prüfen  und  zu  wählen j  s^ie  stehen  außer^ 
halb  Sitte j  Gesetz,  Becht^.^)  Also  können  sie  auch  nicht  als 
Hauptcharaktere  in  einem  Drama  auftreten.  Wohl  aber  mag 
sie  der  Dichter,  wie  Frey  tag  an  einer  anderen  Stelle  sagt, 
zu  gelegentlicher  Verstärkung  seiner  Wirkungen  benutzen. 

Für  wichtige  Nebenrollen  konnte  also  der  Geist  sehr  gut 
Verwendung  finden.  So  ist  der  Geist  entweder  sogenannte 
„Stimmungsfigur".  Wie  der  Komponist  die  eigentüm- 
liche Stimmung  einer  Oper  dem  Zuhörer  in  kurzer  Ouvertüre 
andeutet,  so  pflegt  auch  der  Dichter  eines  Schauspiels  in  der 
Einleitung  seines  Dramas  dem  Leser,  bzw.  Zuhörer  ein  Vor- 
gefühl der  Ereignisse  zu  geben,  die  er  im  Verlauf  des  Dramas 
darstellen  will.  Diesen  Stimmungsakkord  zu  veranschaulichen, 
ist  der  Geist  sehr  oft  ausersehen.  In  dieser  Eigenschaft  als 
Stimmungsfigur  spricht  er  gewöhnlich  den  Prolog  des  Stückes, 
worin   er  uns  zugleich  die  Exposition  der  Handlung  mitteilt. 

Oder  der  Geist  repräsentiert  das  „erregendeMoment" 
der  Handlung,  d.  h.  durch  die  Enthüllung  eines  Geheimnisses 
oder  durch  eine  Bitte  oder  Aufforderung  ruft  der  Geist  in 
dem  Helden  einen  Entschluß  hervor,  von  dem  die  ganze 
Handlung  abhängt. 


^)  Frcytanr,  1.  c,  S.  16. 
2j  Freytag:.  1.  c.,  S.  50. 


—  h  —  . 

Oder  die  Geisteserscheinung  dient  dazu,  den  Höhe- 
punkt des  Dramas,  d.  h.  die  Stelle  des  Stückes,  an  der  „das 
Hßsidtat  des  aufsteigenden  Kampfes  stark  und  entschieden  heraiiS" 
trüt'^  ^),  besonders  hervorzuheben. 

Oder  der  Geist  veranlaßt  den  Beginn  der  fallenden 
Handlung. 

Endlich  bereitet  uns  der  Geist  in  einer  Anzahl  von 
Stücken  auf  die  Katastrophe  vor.  Die  Katastrophe,  das 
Endresultat  in  der  Entwicklung  der  dramatischen  Handlung, 
darf  nicht  unerwartet  eintreten,  „Je  mächtiger  der  HöJiepunkt 
herausgekobeHy  je  Iieftiger  der  Ahsturx,  des  Helden  war^  desto  lei>- 
kafter  mvß  das  E^ide  vorausempfunden  werden,'*  ^  Uns  auf 
dieses  Endresultat  vorzubereiten,  verwendet  der  Dichter,  wie 
gesagt,  nicht  selten  den  Geist. 

Aber  der  Geist  dient  nicht  nur  zur  Her?orbringung 
dramatischer  Effekte,  auch  in  psychologischer 
Hinsicht  ist  sein  Erscheinen  oft  von  größter  Bedeutung,  in- 
dem er  die  Gewissensqualen  des  schuldbewußten  Mörders 
symbolisiert.  Ich  sage  symbolisieren  vom  Standpunkt  des 
modernen  Menschen.  Denn  wir  denken  uns  die  Gewissens- 
kämpfe eines  Menschen  als  einen  rein  seelischen  Vorgang. 
Die  damaligen  Engländer  aber  betrachteten  den  Geist  nicht 
als  bloßes  Symbol  der  inneren  Kämpfe  eines  mit  schwerer 
Schuld  belasteten  Menschen;  der  Geist  veranschaulicht  uns, 
wie  man  9ich  damals  einen  derartigen  psychologischen  Vor* 
gang  überhaupt  dachte.  Die  Phantasie  stellte  sich  nämlich 
das  qualvolle  Bingen  der  schuldbeladenen  Seele  als  äußeres 
Bild  vor:  der  Mörder  sieht  sich  überall  vom  Geist  des  Er- 
schlagenen verfolgt,  er  sieht  den  Dolch,  womit  er  ihn  durch-' 
bohrt,  er  hört  die  gellenden  Hilferufe  seines  Opfers.  Den 
damaligen  Engländern  war  also  der  Geist  in  dieser  Gestalt,  wie 
Frey  tag  treffend  sagt,  „nicht  eine  kluge  Erfindung  des  Dichter», 
der  mit  dem  gespenstigen  Trödel  seine  Wirkungen  unterstützte, 
sondern  noch  die  notwendige  landesübliche  Weise,  in  welclier  sie 
selbst  und  ihre   Vorfahren  die  Geuissenskämpfe  durchkämpften^.^) 

>)  Freytag,  ).  c,  S.  111. 
•)  Freytag,  1.  c,  S.  116. 
»)  Freytag,  1.  c,  S.  52ff. 


—     6     — 

Es  gilt  nun,  noch  eine  Frage  zu  «riedigen,  bevor  wir  an 
die  englischen  Dramen  selbst  herantreten.  Es  ist  diese: 
Haben  die  Engländer  Vorbilder  für  ihre  Geisterdramen  ge- 
habt, und  welches  war  deren  Einfluß  auf  dieselben? 

Die  überaus  eifrige  Beschäftigung  der  elisabethanischen 
Dichter  und  Gelehrten,  die  beides  so  häufig  in  einer  Person 
waren,  mit  den  klassischen  Dichtungen  mochte  dazu  bei- 
getragen haben,  den  antiken  Dramen  die  Erscheinungen  von 
Geistern  zu  entlehnen.  Es  hat  ja  bereits  Aeschylus  sich 
dieses  Hilfsmittels  bedient,  indem  er  in  den  „Persae^  den 
Geist  des  Darius  als  Propheten  und  Ratgeber  auftreten  läßt. 
Ebenso  bringt  Euripidesdie  Erscheinung  eines  Verstorbenen 
zur  Darstellung  und  zwar  in  seiner  Tragödie  „Hecuba'%  die 
durch  den  Geist  des  Polydorus  eröiFnet  wird.  Trotzdem  haben 
wir  nicht  den  geringsten  Anhaltspunkt,  zu  glauben,  daß  die 
englischen  Dichter  die  Griechen  in  dieser  Hinsicht  zum  Vor- 
bild gehabt  hätten.  Wohl  aber  haben  wir  den  klarsten  Beweis 
dafür,  daß  Seneca  der  Lehrmeister  der  Engländer  gewesen 
ist,  und  es  ist  von  größter  Wichtigkeit,  darauf  hinzuweisen, 
daß  die  englischen  Dichter  nicht  nur  dieses  technische  Mittel 
von  Seneca  entlehnt  haben:  der  römische  Tragödiendichter 
hat  auch  sonst  auf  die  Entwicklung  des  englischen  Dramas 
einen  nicht  zu  unterschätzenden  Einfluß  ausgeübt.  Leitet  ja 
von  ihm  das  klassizistische  Drama  seinen  Ursprung  ab,  eine 
Richtung,  die  eine  Zeitlang  unabhängig  neben  dem  nationalen 
Drama  einherging,  bis  die  beiden  Richtungen,  nachdem  sie 
in  einer  Übergangsperiode  vermischt  aufgetreten  sind,  wie 
z.  B.  in  der  ^^Spanish  Tragedy^  und  in  „lAxrim^,  in  voll* 
kommener  Verschmelzung  beiMarlowe,  in  hervorragendem 
Maße  aber  bei  Shakspere  vereinigt  erscheinen. 

Seneca  genoß  zur  Zeit  der  Renaissance  nicht  nur  in 
England,  sondern  in  allen  Ländern  des  Kontinents  die  größte 
Achtung.  Es  möge  gestattet  sein,  die  Urteile  zweier  be- 
rühmter Humanisten  anzuführen,  welche  Cunliffe  in  seinem 
Werk  "  The  luflurnce  of  Seneca  on  Elixabethan  Tragedtf^  ^),  zitiert. 
Muretus  sagt  von  Seneca:  „Est piofecto poeta  ille praeclanor 


>)  Cunliffe,  1.  c,  S.  7. 


—     7     — 

et  vetuati  sermonis  diligentior  quam  quidxim  inepie  fastidiosi  sti- 
spicaniur.^  Und  Scaliger:  ^Senecam  nuUo  Graecorum  maü" 
State  inferiorem  existimOj  cultu  vero  ae  nitore,  etiam  Euripide 
mniorem.^  Und  um  wieder  auf  England  zurückzukommen,  so 
zählt  Skelton  in  der  ^Qarlande  of  LaureV^  (1523)  Seneca 
unter  die  berühmtesten  klassischen  Schriftsteller.  Seneca 
war  ein  beliebter  Autor  auf  den  englischen  Lateinschulen. 
So  z.  B.  erzählt  uns  Cunliffe:  ""The  aftemoon  kssons  of 
the  hoys  at  Eotherham  School  in,  SJiakspere^s  time  were  two  daya 
m  Horace,  and  two  days  in  Seneca's  Tragedies;  hoth  which 
they  iranslated  into  English,^)  Aber  nicht  nur  dies:  Fünf  eng- 
lische Dichter  übersetzten  zwischen  1559  und  1666  seine 
Tragödien  ins  Englische.  Und  im  Jahre  1581  veröflfentlichte 
Thomas  N  ewton  die  bis  dahin  übersetzten  Stücke  in  einem 
Gesamtwerke,  das  er  selbst  durch  die  Übersetzung  der  ^Thebais*^ 
vervollständigte. 

Daß  die  Dramatiker  diese  Übersetzang  eingehend  studier- 
ten, beweisen  am  besten  ihre  Werke  selbst,  worauf  ich  bei 
Besprechung  der  Dramen  zurückkommen  werde. 

Seneca  verwendet  den  Geist  in  den  meisten  seiner 
Dramen:  ^Thyestes^^  wird  eröflfnet  durch  den  Geist  des  Tan- 
talus  in  Begleitung  der  Raohegöttin ;  ^ Agamemivon^^  durch  den 
Geist  des  Thjestes;  in  ^Octavia^^  erscheint  der  Geist  Agrip- 
pinas;  die  Geister  von  Achilles  und  Hektor  erscheinen  in 
^Troas'^;  der  Geist  des  Laius  erscheint  in  ^Thebais^^  und 
^  Oedipus'\ 

Bei  den  innigen  literarischen  Beziehungen,  welche  damals 
zwischen  England  einerseits  und  Frankreich,  Italien 
und  Spanien  andererseits  herrschten,  dürfte  es  von  In- 
teresse sein,  hier  darauf  hinzuweisen,  daß  auch  die  französi- 
schen, italienischen  und  spanischen  Dichter  den  Geist  in  ihren 
Dramen  verwertet  haben. 

Der  Geist  im  französischen  Drama: 

Jodelle's  ^Cleopdtre  capiive^^  (1552),  das  erste  nationale 
Drama  der  Franzosen,  wird  eröffnet  durch  den  Geist  des  An- 


*)  Cunliffe,  1.  c,  S.  12. 


—     8     — 

t(miii9;  Garnier' 8  ^Hippoljfte"  (1673)  durch  den  6e»t  des 
Aegeug;  ^Didanf'  (1576)  von  Guillaume  deLaGrange  wird 
eröffnet  dnrch  den  Geist  des  Sichaeus;  ^Isabeüe^'  (1594)  von 
Nicolas  de  Montrenz  dnrch  den  Geist  des  Zerbin;  ^La 
Fran&iade^^  (1594)  von  Jean  Godard  durch  den  Geist  de» 
Ganlas;  *^Les  Lacenes  ou  Uz  Constanee"  (1599)  von  Antoine  de 
Monchritien  eröffnet  der  Geist  von  Th6ricion;  ^La  Mort 
d'Achtü^'  (1607)  von  Alexandre  Hardy  eröffnet  der  Geist 
des  PatroUtts ;  ^^Rhodes  subfugiUe'^  (1626)  von  Bor ee  eröffnet 
der  Geist  von  Gerard;  in  ^^PryanC'  (1600)  von  Fran^ois 
Bertrand  erscheint  der  Geist  des  Hektor;  in  "Les  Amours 
de  DalcnUon  et  de  Fhre^^  (1600)  von  i^tienne  Bei  Ion  e  erscheint 
der  Geist  des  Vaters  von  Atamente  und  der  Geist  der  Ge- 
mahlin des  Atamente;  in  ^^Len  dhastes  ei  loyales  amours  de 
Thiagene  et  CharieUe  (1601)  von  Alexandre  Hardy  erscheint 
der  Geist  von  Calasire. 

Der  Geist  im  italienischen  Drama: 

Cintio's  ^^Orbeeehe^*  (1541)  wird  eröffnet  dnrch  den 
Geist  der  Seiina;  Groto's  '<La  jDa/M^a'' (Entstehnogszeit  fallt 
zwischen  1550  und  1655)  durch  den  Geist  des  Moleonte,  der 
in  Begleitung  von  Morte  erscheint;  Manfredi's  ^^Semiramide^ 
(1593  im  Druck  erschienen)  wird  eröffnet  durch  die  Geister 
des  Nino  titid  Mennone;  in  Martelli's  **Ttdlia"  erscheint 
der  Geist  des  Servio;  in  Rucellai's  '^Bosmonda^^  erscheint 
Bosmonda  im  Traum  der  Geist  ihres  Vaters;  in  Dolce's 
^^Marianna^^  erscheint  Marianna  im  Traum  der  Geist  ihres 
Bruders  Aristobulus ;  in  der  *^Didone^^  des  gleichen  Verfassers 
erscheint  der  Geist  des  Sicfaeo. 

Der  Geist  im  spanischen  Drama: 

In'^DonJuan  de  Castro''  von  Lope  de  Vega (1662— 1635) 
erscheint  der  Geist  des  Tibaldo;  in  ^^Dineros  son  Calidad^  des 
gleichen  Verfassers  steigt  ein  steinerner  König  von  Neapel 
von  seinem  Sockel  herab;  in  ^^El  Marquis  de  las  Navas^  er- 
scheint der  Geist  des  Leonardo ;  in  "Ixr  Porßa  Hasta  el  Ternor" 
erscheint  dem  Infanten  Don  Fernando  der  Geist  eines  von 
ihm  ermordeten  Caballeros;  in  *^El  Duque  de  Viseo*^  erscheint 


—    9     — 

dem  Herzog  ?oii  Viseo  der  Greist  des  Herzogs  yon  Guimaräes ; 
in  "^  Burlador  dt  SevüW'^  von  Tirso  de  Molina  (Pseudonym 
für  Gabriel  Tellez  1570—1648)  tritt  die  BUdsäule  des 
Comthurs  auf;  in  Calderon's  "^i  principe  eonstaiUe^^  er- 
scheint der  Geist  Don  Femando's. 

Gehen  wir  jetzt  zu  den  englischen  Dramen  selbst  über, 
um  im  Rahmen  der  oben  gegebenen  Disposition  die  Bedeutung 
der  betreffenden  Geistervorführungen  für  den  Gang  der  Hand- 
lung festzustellen. 


I.  Die  lateinischen  Uniyersitfttsdramen. 

Unter  den  Dramen  der  englischen  Renaissance  nimmt 
eine  Gruppe  eine  besondere  Stellung  ein,  das  sind  die  lateini- 
schen Universitätsdramen.  Diese  sollen  zuerst  behandelt 
werden.  Denn  „m  dieser  Periode  der  Hochrenaissance  hot^\  wie 
B  ran  dl  sagt,  „rfo.?  gelehrte  Drama  dem  volkstümlichen  die 
wesentUclie  Änregtmg  und  Hebung,  Waren  doch  die  Dramenschreiber 
und  die  adligen  Oönner  der  VolkstJieater  meistens  akademisch  ge- 
bildete Männer,  deren  Bühneninteresse  während  ihrer  Studentenzeit 
in  Oxford  oder  Cambridge  durch  die  festlichen  Aufführungen  solcher 
Laieinstücke,  wie  sie  regelmäßig  stattfanden,  geweckt  und  gelenkt 
worden  war,^^^) 

Die  uns  aus  Seneca's  ^^Thgestes*^  und  ^' Agamemnon^*  be- 
kannte Stimmungsfigur  begegnet  uns  in  den  Dramen  ^^Herodes*^, 
*^ Solgniannidae^* ,  ^^Roxafia"^  **Kero^\ 

1.  ^'Herodes'*  ^)  von  William  G  oldingh am  wird  eröffnet 
durch  den  rachefordemden  Geist  der  Mariemma.  Der  Geist 
verflucht  Herodes :  diesem  soll  das  Leben  zur  Qual  werden, 
aber  trotzdem  soll  er  den  ersehnten  Tod  nicht  finden  können. 


^)  Shakespeare-Jahrbuch  34,  S.  221. 
•)  Ibd.,  S.  241. 


—     10     — 

2.  ^^ Sohpnannidae^^  ^)  wird  eröffnet  durch  den  Geist  des 
Selymus  (I.,  des  Vaters  Solymans  11.).  Derselbe  prophezeit 
den  Untergaog  seines  Hauses  durch  das  Verbrechen  der 
Königin  gegen  ihre  Stiefkinder. 

3.  "i?oxana"  2)  von  William  Alabaster.  Moleontis  urabra 
spricht  den  Prolog.  Darauf  tritt  der  Geist  mit  Mors  auf, 
der  er  seine  Geschichte  erzählt.  Der  Geist  fordert  Rache 
an  seinem  Neffen  Gromasdes,  der  ihn  des  Landes  und  Lebens 
beraubt,  er  fordert  Rache  an  seiner  Tochter  Roxana,  weil  sie 
sich  seinem  Mörder  ergeben  habe.  Mors  verspricht  dem  Geist 
ihre  Hilfe.  In  einer  weiteren  Szene  fordert  der  Geist  auch 
Suspicio  auf,  ihm  beizustehen. 

Dieses  Stück  ist  eine  getreue  Nachahmung  der  oben  er- 
wähnten "Dnlida^^  von  Luigi  Groto.  Um  seine  sklavische  Ab- 
hängigkeit vom  Original  zu  verbergen,  hat  Alabaster  zum 
Teil  die  Namen  geändert,  wie  Wolfgang  Keller  durch  Gegen- 
überstellung des  Personenverzeichnisses  beweist.  Daß  aber 
in  letzter  Linie  Seneca  das  Vorbild  gewesen  ist,  darauf 
weist  nichts  eindringlicher  hin  als  die  Wahl  eines  an  Greuel- 
szenen und  unnatürlichen  Verbrechen  so  reichen  Stoffes :  Oro- 
masdes  setzt  seiner  Gattin  den  Kopf  des  Bessus  vor,  während 
diese  ihm  Roxana  und  deren  Kinder  als  Speise  anbietet.  — 
Wenn  der  Geist  in  Begleitung  allegorischer  Figuren,  Mors 
und  Suspicio,  auftritt,  ist  hierin  wieder  Seneca 's  Einfluß 
zu  erkennen.  Denn  '^Tkyestes*^  wird  eröffnet  durch  den  Geist 
des  Tantalus  in  Begleitung  der  Rachegöttin. 

Bemerkt  sei  noch,  daß  der  Geist  dem  Vollzug  der  Rache 
beiwohnt,  ein  Verhalten,  das  wir  bei  sogenannten  Rachegeistem 
noch  öfter  beobachten  werden. 

4.  "AVo''^)  von  Dr.  Math.  Gwinne.  Dieses  Stück 
beginnt  mit  einem  stummen  Vorspiel:  Nemesis  und  die  drei 
Furien  führen  mit  den  Geistern  der  Messalina  und  des  Silius 
einen  nächtlichen  Reigen  auf.     Claudius  und   seine   Freige- 

')  Shakespeare-Jahrbuch  34,  S.  245. 
«)  Ibd.,  S.  252  ff. 
»)  Ibd.,  S.  267  ff. 


—   11   — 

lassenen  sehen  schaudernd  zu.  Dann  spricht  Nemesis  einen 
Prolog. 

^^Nero^^  nimmt  unter  den  Geisterdramen  eine  eigenartige 
Stellung  ein.  Es  wird  nämlich  jeder  Akt  von  einem  Geist 
eröffnet,  und  zwar  erscheint  jedesmal  der  Geist  desjenigen, 
der  während  des  vorhergehenden  Aktes  ermordet  worden  ist. 
Der  Zuschauer  wird  so  gleichsam  immer  wieder  Ton  neuem 
in  Stimmung  versetzt. 

I,  1.  Dmbra  Messalinae  et  Silii.  Messalina  verspricht 
ihrem  Buhlen  Rache. 

n,  1.  ümbra  Claudii  warnt  die  Könige,  denen  auch  ihrer 
Diener  Frevel  angerechnet  werden,  und  fordert  Britanniens 
auf,  zu  fliehen. 

III,  1.  Kurzer  Dialog  zwischen  umbra  Britannici  und 
Charon. 

IV,  1.  Umbra  Agrippinae  prophezeit  dem  Muttermörder, 
er  werde,  von  allen  gehaßt,  zugrunde  gehen.  Nero  kann  nun 
keine  Buhe  mehr  finden.  Der  Geist  der  Agrippina  verfolgt 
ihn  wie  eine  Furie  und  treibt  ihn  schließlich  zum  Selbstmord. 
Nero  nimmt  das  Gift,  das  ihm  der  Schatten  reicht.  Da 
der  Geist  der  Agrippina  die  Vollziehung  der  Rache  be- 
schleunigen will,  bedeutet  sein  wiederholtes  Auftreten  für  den 
Gang  der  Handlung  ein  accelerierendes  Moment. 

V,  1.  ümbra  Octaviae  beklagt  ihre  schändliche  Er- 
mordung. 

5.  Den  Beginn  der  fallenden  Handlung  bezeichnet 
der  Geist  in  ^^ Antonmus  Ik^sianus  Caracalla' ^) 

Der  Kaiser  Antoninus,  Mitschuldiger  an  dem  Tode  seines 
Vaters,  ermordet  seinen  Bruder  und  Mitkaiser  Geta,  um 
Alleinherrscher  zu  sein.  Seine  Verbrechen  krönt  er  durch 
die  Heirat  mit  seiner  Mutter.  In  der  ersten  Nacht  seiner  Ehe 
erscheint  ihm  der  Geist  Geta's :  dieses  letzte  Verbrechen  werde 
ihm  nie  verziehen.     Ein  Platz  im  Orcus  erwarte  ihn. 

Die  Geistererscheinung  bezeichnet  unzweifelhaft  einen 
Wendepunkt  im  Gang  der  Handlung,  nämlich  den  Beginn  der 


>)  Shakespeare-Jahrbuch  34,  S.  264  flf. 


—     12    — 

fallenden  Handlung.  Denn  Antoninus'  selbstbewußtes  und 
skrupelloses  Auftreten  ist  jetzt  einer  sklavischen  Furcht  wegen 
seines  künftigen  Schicksals  gewichen.  Von  jetzt  an  lebt  er 
der  festen  Überzeugung,  daß  sein  Leben  in  beständiger  Gefiihr 
schwebe,  und  er  ist  ängstlich  bemüht,  d^  herauszufinden,  der 
ihm  nach  dem  Leben  trachte.  Rufus  beschwört  die  Geister 
des  Commodus  und  Severus.  Diese  warnen  yor  dem  nahen 
Tod,  nennen  aber  den  Mörder  nicht.  Antoninus  läßt  durch 
Matemianus  das  Ammonsorakel  befragen.  Die  Briefe  des 
Materuianus  kommen  an,  aber  der  Kaiser  befindet  sich  in 
einer  so  zerrütteten  GemütsTerfassung,  daß  er  unfähig  ist, 
die  Briefe  selbst  zu  lesen.  Als  Macrinus,  der  den  wahren 
Inhalt  der  Briefe  verheimlicht,  dem  Kaiser  verkündet,  Amnun 
habe  sich  gegen  menschliche  Gebete  taub  gezeigt,  ist  Antoninus 
der  Verzweiflung  nahe.  Antoninus  wird  schließlich  auf  Ver- 
anlassung von  Macrinus  durch  Martialis  erdolcht. 

6,  In  ^Fainm  Vorügemi^^)  bereitet  der  Geist  auf  dxQ 
Katastrophe  vor. 

Dem  Vortigernus  erscheinen  kurz  vor  seinem  Tod,  von 
Mors  begleitet,  die  Geister  derjenigen,  die  er  ermordet  hat. 

V,  18.  Jeder  Geist  hält  ihm  vor,  daß  er  durch  ihn^ 
Vortigernus,  ums  Leben  gekommen  sei  und  schließt  mit  dem 
Fluch  "despera  et  peri". 

V,  19.  Vortigernus  fährt  erschreckt  aus  dem  Schlaf, 
Das  ^'despera  et  peri"  klingt  ihm  noch  in  den  Ohren. 

V,  20.  Die  Geister  erscheinen  wieder,  von  Mors  begleitet. 
Jeder  Schatten  verkündet  Vortigernus   schreckliche  Strafen. 

Indem  so  die  Geister  dem  Vortigernus  kundtun,  daß  sein 
Ende  nahe  ist,  bereiten  sie  auf  die  Katastrophe  vor. 

Die  auffallende  Ähnlichkeit  dieser  drei  Szenen  mit  V,  S 
in  Shakspere's  ^Richard  Iir  legt  die  Frage  nahe,  welcher 
von  den  beiden  Dichtem  dem  anderen  zum  Vorbild  gedient 
hat.  Nach  Wolfgang  Keller^)  hat  der  Dichter  des  '^Fatum 
Vortigerni**  Shakspere's  ^^Ridiard  IIV^  benutzt. 


^)  Shakeaptare-Jdhrhuch  34,  S.  258. 
>)  Ibd.,  S.  259. 


—     13     — 

Außerdem  b^egnen  uns  noch  Geister  in  Akt  I  tind  IV. 
In  I,  12  wird  der  durch  Vortigemus  bedrohte  Oonstans  im 
Schlaf  durch  den  Geist  seines  Vaters  gewarnt. 

IV,  1  u.  2. 

Der  Geist  des  durch  Ronixra  vorgifteten  Vortumerus  ver- 
folgt seine  Mörderin  durch  beständige  Erscheinungen,  bis 
diese  sich  entschließt,  den  Geist  durch  ihren  Tod  zu  ver- 
söhnen. Die  Bemühungen  des  Geistes  schließen  also,  da  sie 
auf  eine  Beschlextnigimg  der  Rache  hinzielen,  für  den  Gang 
der  Handlung,  bzw.  Nebenhandlung  ein  accelerierendes 
Moment  in  sich. 

7.  Ein  den  Gang  der  Handlung  retardierendes 
Moment  kann  man  das  Auftreten  des  Geistos  in  '^Perftdus 
Helru8cus'^  ^)  nennen« 

Nach  dem  Tode  seines  Bruders  Sorastanus,  Herzogs  von 
Etnirien,  führt  Pandolphus  für  seine  beiden  unmündigen 
Neffen  Lampranus  und  Columbus  die  Regierung.  Pandolphus 
will  aber  nicht  nur  den  Schein  der  Macht  haben ;  deshalb  be- 
schließt er  die  Ermordung  seiner  Neffen. 

Diese  Absicht  des  Pandolphus  sucht  der  Geist  des  So- 
rastanus zu  vereiteln.  Sein  wiederholtes  Erscheinen  bedeutet 
also  für  den  Verlauf  der  Handlung  ein  retardierendes 
Moment. 

Der  Geist  des  Sorastanus  erschlägt  das  Werkzeug  seines 
Bruders  Pandolphus,  den  Jesuiten  Grimalfi,  als  dieser  im 
Begriff  ist,  Lampranus  und  Columbus  zu  ermorden.  Dann 
ermahnt  der  Geist  seine  Söhne,  so  zu  leben,  daß  sie  sich  vor 
dem  Tod  nicht  fürchten.  Zugleich  prophezeit  er,  daß  sie  der 
Treulosigkeit  zum  Opfer  fallen  würden.  Pandolphus  will 
jetzt  zunächst  den  Columbus  beseitigen,  um  sich  dann  gegen 
Lampranus  zu  richten.  Columbus  wird  auf  Anstiften  seines 
Onkels  von  seinem  Bruder  Lampranus  verbannt.  Dem  Colum- 
bus erscheint  der  Geist  des  Sorastanus  in  der  Verbannung 
und  fordert  ihn  auf,  heimzukehren  und  Pandolphus  zu  töten. 
Wenn  der   Geist  dem  Lampranus  erscheint  und  ihn   fragt: 

')  Shakespeare-Jahrbuch  34,  S.  230 


—     14    — 

,,Wo  ist  dein  Bruder?'^,  so  bezweckt  er  mit  dieser  Frage,  ia 
Lampranus  wegen  des  Verhaltens  gegen  seinen  Bruder  Reue 
zu  erwecken  und  ihn  für  den  Zurückkehrenden  günstig  zu 
stimmen,  kurz  die  beiden  Brüder  gegen  Pandolphus  zu 
einigen.  Dem  zurückgekehrten  Colambus  trägt  der  Geist 
nochmals  auf,  Pandolphus  zu  töten.  Columbus  fordert  den 
Pandolphus  zum  Zweikampf  heraus,  der  aber  resultatlos  ver- 
läuft. Pandolphus  gelingt  es  'neuerdings,  Columbus  bei 
Lampranus  zu  verdächtigen.  Columbus  soll  eben  auf  Befehl 
seines  Bruders  sterben,  als  sich  plötzlich  ein  heftiger  Sturm 
erhebt,  und  der  Geist  des  Sorastanus  ruft,  Columbus  solle 
nicht  sterben. 

Die  beiden  Brüder  fallen  endlich  den  Nachstellungen  des 
Pandolphus  zum  Opfer.  Dieser  stirbt  durch  eigenen  Verrat, 
im  Todeskampf  von  den  Geistern  derjenigen  geschmäht,  die 
er  gemordet  hat. 

Zweier  Geister  von  untergeordneter  Bedeutung  sei  noch 
Erwähnung  getan. 

8.  In  "J/e/m^er^'  II,  2  erzählt  Althaea,  es  sei  ihr  nachts 
der  Geist  ihrer  verstorbenen  Mutter  erschienen  und  habe  ihr, 
ihren  Brüdern,  sowie  Oeneus  und  Meleager  ein  schreckliches 
Ende  prophezeit. 

9.  In  dem  Fragment  "Z>w/o"  III,  I  warnt  der  Geist  des 
Sichaeus  die  Königin  Dido  vor  Aeneas.^) 


II.   Die  englischen  Dramen. 

Der  Geist  tritt  als  „Stimmungsfigur*'  auf  in  den 
Dramen  ^^Misfortuncs  of  Arthur'^  ^^Spanish  Tragedt/*\  ^^Tnte 
Tragcdy  of  Richard  Iir\  ^^Alaham'\  ^^ Älexandraan  Tragedy'\ 
'HMiUnc'^  ^'Fuhnns  D'oes*',  ''Grim  the  Collier  of  Croydon"  und 
''Harnler. 


»)  ""  Meleager''  und  ''IHd&'  haben  Dr.  Wilhelm  Gag  er  zum  Ver- 
fasser.   Cf.  Shakeapeare-Jahrbuch  34,  S.  233  und  237—38. 


—     16     — 

1.  ^^The  Müfortunes  of  Arthur'*  von  Thomas  Hughes. 
Diese  Tragödie  eröflfnet  der  Geist  des  Herzogs  Gorlois  von 
CorDwall;  klagend  und  Bache  fordernd  für  den  Schimpf,  den 
ihm  Uther  Pendragon  zagefügt,  indem  er  ihn  der  Gemahlin , 
des  Herzogtums  und  des  Lebens  beraubte.  Zwar  lastet  Pen- 
dragon's  Ehebruch  wie  ein  Fluch  auf  dem  ganzen  Geschlecht. 
Aber  das  ist  des  Unheils  noch  nicht  genug:  der  schnöde 
Mord,  der  Raub  des  Herzogtums  rufen  noch  lauter  zum 
Himmel  um  Rache.  Der  Söhne  Frevel  sollen  wachsen  bis 
zu  gigantischer  Höhe.  Jedoch  der  Geist  verflucht  nicht  nur 
Uther  Pendragon's  ganzes  Geschlecht,  er  verflucht  selbst 
Britannien,  das  durch  Bürgerkriege  und  innere  Zwietracht' 
zerrüttet  eine  Beute  fremder  Eroberer  werden  soll.  Sodann 
prophezeit  der  Geist  das  kommende  Mißgeschick,  Mordred's 
Untergang,  Arthur's  tödliche  Verwundung. 

Die  Klage  und  Racheforderung  des  Geistes  enthält  zu- 
gleich die  Exposition  der  Handlung.  Der  Umstand,  daß  der 
Geist  des  Ermordeten  und  Betrogenen  selbst  erscheint,  Rache 
heischend  und  Unheil  verkündend,  soll  uns  in  die  Stimmung 
versetzen,  die  dem  Inhalt  des  Stückes  angepaßt  ist. 

Uther  Pendragon's  Verbrechen  gegen  Gorlois  stürzen  sein 
ganzes  Geschlecht  ins  Verderben.  Der  rachedürstende  Geist 
wohnt  daher  dem  Strafgericht  bei,  das  an  Pendragon's  Nach- 
kommen vollzogen  wird,  und  am  Schluß  des  Stückes  erscheint 
er  wieder,  frohlockend,  denn  alles  ist  gesühnt.  Arthur  und 
Mordred  haben  auf  dem  nämlichen  Boden  ihr  Blut  vergossen, 
auf  dem  er,  Gorlois,  hingemordet  wurde.  Eine  solche  innere 
Genugtuung  empfindet  der  Geist,  daß  er  den  Rachefluch,  den 
er  auf  Britannien  geschleudert  hat,  zurücknimmt  und  auf  das  so 
schwer  heimgesuchte  Land  allen  Segen  des  Himmels  herabruft : 
das  goldene  Zeitalter  soll  nach  Britannien  zurückkehren  und  mit 
ihm  Wohlstand,  Glück  und  Zufriedenheit.  Dann  steigt  der 
Geist  ^^blood'surfcitedj  appeased^^  wieder  in  die  Unterwelt  hinab. 

Über  den  Geist  des  Herzogs  Gorlois  äußert  sich  Klein 
derselbe  sei  y^hei  Licht  besehen  stets  nur  das  Eevenant- Gespenst 
von  S  e  n  e  c  a '  8  Atriden-Bachehausgeist/*  ^)    Und  C  u  n  1  i  f  f  e  sagt 


»)  Geschichte  des  Dramas  XUJ,  S.  276. 


—     16     — 

▼on  ihm:  ^^Goflois  is  a  ghost  after  Seneca's  owti  heaiiJ^^)  Um 
die  Nachahmang  dentlicber  zu  veranschaulichen,  zitiert  der 
Geist  eine  Anzahl  Verse  aus  der  Eröffnungsszene  von  Sene- 
ca's  ^'Thyestes'': 

Der  Greist   von  Gorlois   (die  Nachkommen   Uther  Pen- 
dragon's  verfluchend): 

Lei  mischte fes  know  no  meane,  nor  jAagues  an  end: 
Lei  th'ofsjmngs  sinne  exceede  tJie  former  stocke: 
Lei  none  haue  Urne  to  hate  his  former  fault, 
But  siiÜ  wiih  fresh  sttppUe  let  punisht  crt/me 
Inarase,  tili  tyme  it  make  a  com2)let  sinne. 

(Grumbine  I,  1  Z.  22—27). 
Furie  (das  Geschlecht  des  Tantalus  verfluchend): 
.  .  .  .  7IC  sit  irarum  modus 
pudorre,  vinües  caecus  instigei  furor, 
rahics  parentum  duret  et  longum  yiefas 
eai  in  nepotes ;  nee  racet  cuiquam  retns 
odisse  crimen:  semper  oriatur  uovum^ 
ncc  nnnm  in  unoj  dunique  punilur  scelus, 
nescaL      (Peiper  et  Richter,  S.  282,  V.  26—32). 
Aber   Hughes   hat   für   sein  Drama  nicht   nur   diese 
Stimmuugsfigur  aus  Seneca  entlehnt,   er  ist  seinem  Vorbild 
noch  weit  mehr  verpflichtet.     Die  ^'Misfortunes  of  Arthur^^  be- 
zeichnet man  nebst  ^HJarbodnc^^  (1560)  und  ^^tancied  and  Ois- 
munda'^   (1568)  als   Kopien   Seneca's,    d.  h.    als  Dramen, 
welche,   um   mit  Fischer  zu  reden,   in  allen  wesentlichen 
Punkten  der  Diktion,  «Konstruktion   wie   Komposition  nach 
dem  Vorbild  Seneca 's  geschaffen  sind.*)    In  der  Tat,  in  der 
Sprache  unseres  Dramas  lebt  die  Bhetorik  Seneca' s  wieder 
auf,   in  der  äußeren  Form  zeigt  es  Seneca's  Einteilung  in 
5    Akte,    die    durch   Chorlieder    voneinander    getrennt   sind. 
Unser  Dichter  vereinigt  in  diesem  Drama,  wie  Seneca  mit 
Vorliebe   zu   tun   pflegt,   ein   politisches   und    ein  familiäres 
Thema,    er    verwendet    wie    Seneca    das    Motiv    von   der 
verbrecherischen    Liebe,    vom    Ehebruch.      Am    besten  hat 

*)  The  Influence  of  Senecay  S.  52. 

']  Zur  Kunstentwicklung  dw  englischen  Tragödie,  S  42. 


—     17     — 

Symonds  in  wenigen  Worten  den  hier  behandelten  Stoff 
charakterisiert:  '^The  Artimrian  legend,  hete  presented  to  us,  is 
a  iruly  Thyestean  hisiory  of  a  royal  house  devoted  for  iis  crimes  of 
insohnce  io  ruinj^  *) 

Besonders  augenfällig  ist  die  Nachahmung  Seneca's  in 
den  ersten  zwei  Akten.  Cunliffe  zeigt  in  einer  ausführ- 
lichen Textstudie,  daß  die  ersten  zwei  Akte  fast  nichts  anderes 
sind  als  wörtliche  Übersetzungen  des  römischen  Dichters.  Von 
sämtlichen  Dramen  Seneca's  hat  Hughes  nahezu  an  300 
Verse  entlehnt.  Und  für  den  ersten  Akt  weist  Fischer^) 
nach,  daß  Hughes  nicht  nur  die  Figuren,  sondern  auch  die 
Situation  von  Seneca's  ^^Agamemnon^^  entlehnt  hat. 

2.  Die  ^Spanish  Tragedy"  des  Thomas  Kyd  wird  eröffnet 
von  Don  Andrea's  Geist,  der  mit  der  Göttin  der  BÄche  auf- 
tritt. Der  Geist  erzählt  uns  seine  Vorgeschichte.  Demnach 
war  Don  Andrea  spanischer  Edelmann  und  verlor  im  Krieg 
mit  Portugal  durch  den  portugiesischen  Königssohn  Balthazar 
sein  Leben.  Des  weiteren  berichtet  der  Geist  ausführlich 
über  seinen  Eintritt  in  die  Unterwelt  und  über  die  Schwierig- 
keiten, die  er  zu  überwinden  hatte,  bis  er  endlich  den  drei 
HöUenrichtem  Minos,  Aeacus  und  Rhadamanthus  gegenüber- 
stand. Diese  konnten  sich  nicht  einigen,  ob  sie  ihm  die  Ge- 
filde der  Liebenden  oder  die  Wohnung  der  Kriegshelden  als 
Aufenthaltsort  anweisen  sollten.  Um  den  Streit  zu  beendigen, 
machte  Minos  den  Vorschlag,  den  Geist  zum  König  der 
Unterwelt  zu  schicken,  damit  er  aus  dessen  Mund  sein  Urteil 
vernehme.  Zu  dem  Zweck  stellten  ihm  die  Richter  einen 
Reisepaß  aus.  Drei  Wege,  fährt  der  Geist  in  seiner  Erzählung 
fort,  waren  vor  ihm:  der  zur  rechten  Hand  führte  in  die 
Gefilde  der  Krieger  und  der  Liebenden,  der  zur  linken  Hand 
endigte  in  der  Hölle,  wo  die  Wucherer,  die  Wollüstigen,  die 
Mörder,  die  Meineidigen  etc.  entsetzliche  Qualen  erdulden. 
Der  Weg  in  der  Mitte  endlich  brachte  den  Geist  vor  den 
Thron  Pluto's  und  Proserpina's.     Gräßliche  Schatten,  die  zu 


^)  Shakspere^s  Frcdecessors  in  the  English  Ih^ama,  S.  237. 
«)  Fischer,  1.  c,  S.  66. 
Mänchener  Beiträge  z.  romaniachen  u.  engl.  Philologie.    XXXV.       2 


—     18    — 

schildern  keine  menschliche  Zunge  imstande  wäre,  hatten  be- 
ständig seinen  Weg  gekreuzt. 

Die  Fällung  des  Urteilsspruches  erbat  sich  Proserpina 
als  besondere  Grünst  von  ihrem  königlichen  Gemahl,  der  die 
Erlaubnis  mit  einem  Kuß  besiegelte.  Alsbald  raunte  nun  die 
Königin  der  ßachegöttin  den  Befehl  ins  Ohr,  den  Geist  durch 
das  für  gewisse  Träume  bestimmte  Horntor  auf  die  Oberwelt 
zurückzuführen.  Jetzt  teilt  die  Rachegöttin  Andrea's  Geist 
den  Zweck  seines  Hierseins  mit:  er  solle  sehen,  wie  der  Ur- 
heber seines  Todes,  Don  Balthazar,  von  Bellimperia,  Andrea's 
ehemaliger  Braut,  vom  Leben  zum  Tode  befördert  werde. 

Das  Erscheinen  von  Geist  und  Bachegöttin  zielt  natürlich 
in  erster  Linie  darauf  ab,  die  Zuschauer  in  Stimmung  zu 
versetzen.  Zugleich  geben  beide  die  Exposition  der  Handlung. 
Die  Rolle,  welche  den  beiden  Figuren  im  Verlauf  der  Hand- 
lung zufällt,  teilt  uns  die  Rachegöttin  in  den  Worten  mit: 
Hea^e  sit  we  downe  to  see  ihe  misierie, 
And  serue  for  Choi-us  in  this  tragcdie, 

(Schick  I,  1,  Z.  90—91.) 

Geist  und  Rachegöttin  lassen  also,  wie  Fischer^)  sagt, 
als  unsichtbare  Beobachter  das  Stück  an  sich  vorüberspielen, 
um  bei  jedem  Aktschluß  eine  kurze  Kritik  über  das  Geschaute 
zu  geben. 

So  ist  der  Geist  am  Schluß  des  ersten  Aktes  höchst 
ungehalten  darüber,  daß  der  König  von  Spanien  zu  Ehren 
des  portugiesischen  Kriegsgefangenen  Don  Balthazar  ein 
Bankett  gibt,  und  er  wendet  sich  an  seine  Begleiterin  mit 
der  Frage,  ob  sie  deswegen  aus  der  Unterwelt  gekommen 
seien,  um  einen  Mörder  bankettieren  zu  sehen.  Revenge  be- 
ruhigt den  ungeduldigen  Geist  mit  der  Versicherung,  daß  sie 
vor  ihrem  Weggang  den  Frieden  der  da  festlich  Versammelten 
in  Krieg,  ihre  Liebe  in  tödlichen  Haß  verwandeln  werde. 

Es  ist  bekannt,  daß  Shakspere  fast  bei  seinen  sämt- 
lichen Stücken  Muster  vor  Augen  gehabt  hat.  Aber  ebenso 
bekannt  ist,  daß  er  seine  Vorbilder  mit  so  unglaublicher  und 
vollendeter   Meisterschaft   verwertete,    daß   die   Nachahmung 


»)  Fischer,  1.  c,  S.  94. 


—     19     — 

kaum  noch  Spuren  von  dem  Original  an  sich  trägt.  Diese 
Tatsache  läßt  Klein  ^)  in  seiner  „Geschichte  des  Dramas'-^  die 
Frage  aufwerfen,  ob  diese  Gegenwart  des  Geistes  und  der 
Rachegöttin  bei  einem  Bankett  dem  großen  Dramatiker  nicht 
Veranlassung  gab,  die  Figur  von  Banquo's  Geist  in  ^MacheM* 
zu  schaffen.  Klein  hält  diese  Möglichkeit  nicht  für  aus- 
geschlossen, j^kraft  der  Wtinderwirkung  der  wie  die  Natur  all- 
^nächtigen  Schöpferkraft  des  Genius^^,  Allerdings  gibt  Klein 
auch  zu,  daß  diese  Annahme  etwas  gewagt  ist  und  fügt  bei, 
„daß  ihm  diese  Hypothese  nur  du  hriHsch-menschliche  Rücksictit 
an  die  Hand  gab,  einem  de)' berufensten  Torshakspere'schen 
Stücke  irgendwelche  literarhistoriscJie  Würdigkeit  beizulegen,^'' 

Die  Erwartung  des  Geistes,  seinen  Mörder  bestraft  zu 
sehen,  erfüllt  sich  auch  im  zweiten  Akt  nicht.  Im  Gegenteil, 
vor  seinen  Augen  hängt  man  seinen  treuesten  Freund  Ho- 
ratio  auf: 

Broughtst  ihou  me  hether  to  increase  my  paine  ? 

(II,  6,  Z.  1.) 

fragt  er  deshalb  die  Eachegöttin.  Doch  diese  erwidert  ihm, 
daß  die  Zeit  noch  nicht  gekommen  sei,  seinen  Wunsch  zu 
erfüllen.  Man  könne  das  Korn  nicht  schneiden,  bevor  es 
reif  sei. 

Des  Geistes  Geduld  wird  auch  weiter  auf  eine  harte 
Probe  gestellt.  Die  ganze  Zeit  wartet  er  mit  fieberhafter 
Spannung,  bis  die  ruchlosen  Verbrecher  endlich  von  der  wohl- 
verdienten Strafe  ereilt  würden,  und  nun  sieht  er  am  Schluß 
des  dritten  Aktes  Freund  und  Feind  im  schönsten  Frieden  ver- 
einigt. Bellimperia  hat  scheinbar  ihren  Widerstand  gegen 
die  Bewerbungen  Balthazar's  aufgegeben  und  in  ihre  baldige 
Vermählung  mit  ihm  eingewilligt.  Lorenzo  hat  sich  scheinbar 
mit  Hieronimo  versöhnt.  ^Awake,  Reuenge  !^^  ruft  der  Geist  in 
Verzweiflung  seiner  Begleiterin  zu : 

Hieronimo  with  Lorenxo  is  ioynde  in  kague, 

And  iniercepts  our  passage  to  reuenge. 

(III,  16,  Z.  13  u.  14.) 


1)  Klein,  1.  c,  XIII,  S.  341. 

2* 


—     22     — 

Geist  mit  diesen  Worten  deutlich  seine  Verwandtschaft  mit 
den  Seneca'schen  Eachegeistern. 

Ferner  tritt  uns  der  Geist  am  Schluß  des  Stückes  als 
Symbol  der  Gewissensqualen  entgegen. 

Die  Mahnungen  des  Gewissens  werden  so  ungestüm,  daß 
Kichard  bei  Tag  und  bei  Nacht,  mag  er  schlafen  oder  wachen, 
die  rachefordernden  Geister  seiner  Opfer  zu  sehen  glaubt: 
The  hell  of  life  that  hange  i^on  the  Oro^mie, 
TJie  daily  cares,  the  nighUy  dreamesj 
Tlie  toreiched  crewes,  the  ireason  of  the  focy 
And  horror  of  my  hloodie  practise  past, 
Strikes  such  a  terror  to  my  wounded  consdence, 
That  sleep  /,  wake  I,  or  whatsoetier  I  do^ 
Meethinkes  their  ghoasts  comes  gaping  for  reuenge, 
Whom  I  haue  slaine  in  reaching  for  a  Crowne. 

(1.  c,  S.  117.) 
Im  Vergleich  zu  der  Art  und  Weise,  mit  der  die  Dichter 
bisher  den  Geist  im  Drama  zu  verwenden  pflegten,  liegt  hier 
zweifelsohne  ein  großer  Fortschritt,  über  den  sich  Churchill 
wie  folgt  verbreitet :  "  The  ghosts  of  the  murderedy  crying  revenge, 
do  not  aetiuxUy  appear,  Thcy  are  irp-esefited  as  the  erentures  of 
Richard^ s  imaginathn,  diseased  in  consequence  of  his  guilty  con- 
science,  The  ghosts  have  ceased  to  he  mere  extei^ial  machinery  used 
to  awaken  the  spectaim^s  sense  of  hoiror ;  they  have  hecome  a  means 
of  revealing  the  tormenis  of  a  guilty  so?//."  ^) 

4.  Lord  Brooke's  Tragödie  ^Alaham^*  wird  eröffnet 
durch  den  Geist  eines  ehemaligen  Königs  von  Ormus,  der 
eine  erschöpfende  Exposition  zu  dem  Drama  spricht  und  uns 
so  vom  ersten  Augenblick  an  auf  die  Blut-  und  Greuelszenen 
sowie  auf  die  unnatürlichen  Verbrechen  vorbereitet,  welche 
wir  im  Lauf  der  Tragödie  schauen  werden.  Vornehmlich  aber 
entwirft  der  Geist  eine  gedrängte  Schilderung  der  Haupt- 
charaktere und  des  Geschickes,  das  ihrer  harrt. 

Der  Geist  weist  zuerst  hin  auf  jenen  tiefen  Abgrund  der 
Hölle,    den   er  soeben  verlassen  hat.     Sein  Strafort  ist  nicht 


»)  Richard  the  Third  up  to  Shakespeare,  S.  403. 


—     23     — 

Acherou  gewesen,  sondern  ein  tiefgelegenes,  dunkles  Land 
von  unendlicher  Ausdehnung,  ein  Ort  der  Entbehrung,  des 
Grauens  und  der  Gewissensbisse.  In  dieses  schreckliche  Ge- 
biet sind  die  Seelen  derjenigen  verbannt,  welche  Todsünden 
begangen  haben,  wie  Gottlosigkeit,  Hochmut,  Heuchelei. 
Könige,  welche  auf  Erden  tyrannisch  herrschten,  werden  hier 
in  Furien  verwandelt,  um  die  schwächeren  Geister  zu  quälen. 
Schwache  Könige,  welche  sorglos  zuschauten,  wie  ihre 
Reiche  von  unwürdigen  Günstlingen  schlecht  regiert  wurden, 
werden  verurteilt,  eine  bestimmte  Strafzeit  in  diesem  Teil  der 
Unterwelt  zuzubringen.  Ein  solcher  König  ist  der  Geist  ge- 
wesen: sein  Eeich  war  Ormus,  dessen  wirkliche  Beherrscher 
die  Basshas  waren,  welche  ihren  königlichen  Wohltäter  er- 
mordeten. 

Der  erste  Auftrag,  den  der  Geist  zu  erfüllen  hat,  ist  der, 
seine  eigene  Nachkommenschaft  zugrunde  zu  richten,  der 
zweite,  das  verweichlichte  Zeitalter  durch  Ränke  zu  züchtigen. 

Hierauf  prophezeit  der  Geist  das  Geschick  der  Haupt- 
personen des  Dramas :  der  gegenwärtige  schwachsinnige  König 
wird  durch  die  Hand  seines  verruchten  Sohnes  Alaham  sterben, 
dessen  Pläne  zu  vereiteln  er  nicht  genug  Willenskraft  hat; 
der  ehrgeizige  Alaham  wird  zu  spät  inne  werden,  daß  das 
Schicksal  alle  geheimen  Fehler  aufdecken  kann;  er  wird 
seinen  Untergang  finden  durch  seine  eigene  uimatürliche  Ver- 
schlagenheit. Die  lüsterne  Hala,  Alaham's  Gattin,  soll  die 
Frucht  ihrer  schamlosen  Ränke  ernten  und  an  den  Qualen 
verletzten  Stolzes  sterben.  Der  schwachsinnige  Zophi,  der 
älteste  Sohn  des  Königs,  ist  bestimmt,  eine  Beute  von  Partei- 
intrigen zu  werden.  Der  unbeständige  Caine,  dessen  Tugenden 
und  Laster  noch  unentwickelt  sind,  wird  das  Opfer  seiner 
eigenen  Freunde.  Mahomet  möchte  gern  das  Rechte  tun  und 
Mißbräuche  abstellen,  aber  in  seiner  Hand  soll  sich  Ehre  als 
Knechtschaft,  Gerechtigkeit  als  Ärgernis  erweisen.  Caelica, 
des  Königs  Tochter,  muß,  geleitet  von  ihrer  zu  großen  Liebe 
zu  ihrem  Vater,  dessen  Schicksal  teilen. 

Der  Prolog  schließt  mit  der  dringenden  Aufforderung 
an  die  Furien  —  Graft,  Malice,  Fear,  Wrong,  Wit  —  die  Welt 
zu  verwirren  und  alles  der  Hölle  als  Beute  auszuliefern. 


—     24     — 

Das  düstere  Bild,  welches  der  Geist  hier  von  einem  Teil 
der  Unterwelt  entwirft,  ebenso  wie  seine  Schilderung  des 
Charakters  der  Hauptpersonen  werden  der  Absicht  des  Dichters 
entsprechend  nicht  verfehlen,  den  Leser  in  Stimmung  und 
Spannung  zugleich  zu  versetzen. 

Wenn  der  Geist  des  ehemaligen  Königs  von  Ormus  sagt, 
er  habe  in  erster  Linie  den  Auftrag,  sein  eigenes  Geschlecht 
zugrunde  zu  richten,  so  spielt  er  die  nämliche  Rolle  wie  der 
Geist  des  Tantalus,  welcher  von  der  Rachegöttin  auf  die 
Erde  zurückgeführt  wird,  um  seine  Enkel  zu  unnatürlichen 
Verbrechen  aufzustacheln.  Überhaupt  können  wir  aus  der 
reichhaltigen  Exposition,  noch  mehr  aber  aus  den  Blut-  und 
Greuelszenen  unseres  Stückes  dessen  klassizistischen 
Charakter  unschwer  erkennen.  Ebenso  erinnert  die  Bei- 
behaltung des  Chores  an  Sencca:  Ein  Chor  von  guten  und 
bösen  Geistern,  Furien  und  personifizierten  Lastern  begleitet 
erklärend  die  Handlung.  Indes  zeigt  schon  diese  Zusammen- 
stellung des  Chores,  wie  wenig  er  mit  dem  Wesen  des 
Seneca'schen  noch  gemein  hat. 

Geradeso  wie  der  Dichter  der  ^^Spanish  TmgedfJ^  ver- 
wendet Lord  Brooke  allegorische  Figuren  im  Chor.  Eine 
andere  Reminiszenz  an  die  ^^Spanish  Tfagedt/^  wird  in  uns  er- 
weckt, wenn  der  Geist  von  dem  schauerlichen  Ort  erzählt, 
der  den  Gottlosen,  Hochmütigen  und  Heuchlern  zum  Aufent- 
halt angewiesen  sei.  Denn  unwillkürlich  denken  wir  dabei 
an  die  Schilderung,  die  uns  Ändrea's  Geist  von  der  Wohnung 
der  Meineidigen,  Wucherer,  Wollüstigen  etc.  gibt. 

5.  Alexandraan  Tragedy. 

Die  furchtbaren  Ereignisse,  die  auf  den  Tod  Alexander's 
des  Großen  folgten,  wurden  von  Sir  William  Alexander, 
Earl  of  Stirling,  zum  Gegenstand  einer  Tragödie  erwählt, 
welche  nach  seiner  Ansicht  nicht  besser  eröffnet  werden 
konnte  als  durch  den  Geist  Alexander's  selbst,  des  Mannes, 
dessen  erstaunliche  Siege  und  Waffentaten  die  indirekte  Ur- 
sache all  der  "übel  waren,  die  auf  seinen  Tod  folgten.  Die 
Erscheinung  des  mächtigen  Alexander  und  die  ebenso  ge- 
waltigen wie  ergreifenden  Worte,  mit  denen  er  das  Schicksal 


—     25     — 

seines  Reiches  und  seiner  Nachkommen  beklagt,  zielen  in  der 
Tat  darauf  ab,  unser  Interesse  an  der  Alexnndrrran  Tragedy  in 
ungewöhnlichem  Grade  zu  erhöhen,  mit  anderen  Worten,  uns 
in  Stimmung  zu  versetzen.  Der  Grundton  dieses  Dramas 
wird  angeschlagen  in  dem  Verse: 

"TF/io  hare  forgot  all  love^  sarc  hve  io  raigrie" ; 
denn   der  maßlose  Ehrgeiz  von  Alexander's  Generalen,  d.  h. 
ihre  Herrschbegierde   war  es,   welche  den  Untergang  seines 
Hauses  herbeiführte. 

Der  Geist  Alexander's  beginnt  damit,  die  Verzögerung 
seiner  Leichenfeierlichkeiten  zu  beklagen,  welche  ihn  zwinge, 
ziellos  an  den  Ufern  des  Styx  umherzuschweifen.  Der  Geist 
betrachtet  dieses  Unglück  zum  Teil  als  eine  gerechte  Ver- 
geltung für  das  Blutvergießen,  das  er  zu  seinen  Lebzeiten 
verursacht  habe.  Er  würde  gerne  in  die  Fußstapfen  von 
Alcmena's  Sohn  treten  und  Pluto  Qualen  auferlegen  wegen 
seiner  Weigerung,  ihn  in  den  Hades  aufzunehmen.  Dann 
weist  der  Geist  in  bitteren  Worten  auf  die  Undankbarbeit 
der  mazedonischen  Generale  hin,  welche  in  ihrem  gierigen 
Verlangen,  von  den  Eroberungen  ihres  Herrn  Besitz  zu  er- 
greifen, vergaßen,  seinem  Leichnam  die  letzten  Ehren  zu  er- 
weisen. 

Dann  spricht  der  Geist  von  dem  blinden  Ehrgeiz,  der 
Alexander's  Verderben  gewesen  sei,  er  erkennt  die  rächende 
Hand  Jupiter's  in  den  schmachvollen  Kriegen,  welche  des 
Königs  Ruhm  geschmälert  und  ihn  selbst  gelehrt  hätten,  daß 
er  schließlich  doch  nur  ein  Sterblicher  und  kein  Gott  war. 
Der  Geist  erinnert  an  die  Tatsache,  daß  Alexander^s  Hochmut 
ihn  sogar  das  Andenken  an  seines  Vaters  Heldentaten  hassen 
ließ  und  seine  besten  Freunde  zu  seinen  schlimmsten  Feinden 
machte.  Eitel  und  wertlos  sei  sein  ganzes  Leben  gewesen, 
obwohl  er  sein  Reich  von  Athen  bis  Indien  ausgedehnt  hätte, 
obgleich  das  Glück  sein  Sklave  und  Könige  seine  Untertanen 
gewesen  wären.  Er  habe  jedermann  besiegt,  nur  nicht  sich 
selbst,  und  gerade  die  Größe  seines  Reiches  hätte  anderen 
den  Wunsch  eingegeben,  sich  dessen  zu  bemächtigen.  Und 
so  habe  es  sich  ereignet,  daß  der  Monarch,  der  niemals  von 
einem  Feind  besiegt,  von  seinen  Freunden  hingemordet  wurde. 


—    26     — 

Der  Geist  sagt  ferner  die  Schrecken  vorher,  welche  die 
Uneinigkeit  unter  den  Generalen  über  die  Welt  im  allgemeinen 
und  über  seine  Familie  im  besonderen  bringen  würde.  Weit 
besser  wäre  es  gewesen,  wenn  Alexander  seine  Laufbahn  als 
Eroberer  niemals  begonnen,  sondern  sich  mit  dem  bescheidenen 
väterlichen  Eeich  begnügt  hätte.  —  Aber  da  die  lange 
hinausgeschobenen  Leichenfeierlichkeiten  nun  endlich  statt- 
finden sollten,  müsse  er,  der  Geist,  an  den  Hof  des  Höllen- 
königs zurückkehren,  um  Aug'  in  Auge  den  feindlichen 
Bichtern  gegenüberzutreten,  von  welchen  die  Geister  der  von 
Alexander  Erschlagenen  Bache  heischten. 

Auch  die  ^^Alexaridremn  Tragedy'^  hat  durch  ihre  er- 
schöpfende Exposition  wie  durch  die  Beibehaltung  des  Chores 
unzweifelhaft  ein  klassizistisches  Gepräge,  wie  ja  sowohl  dieses 
Drama  als  auch  das  eben  behandelte  "-4/aÄam"  in  ihrer  Eigen- 
schaft als  Buch-  oder  Deklamationsdramen  ihre  Verwandt- 
schaft mit  Seneca  ohne  weiteres  dokumentieren. 

6.  Ben  Jonson's  "Ca///mc"  wird  eröflEhet  durch 
SuUa's  Geist,  der  aus  der  Unterwelt  emporsteigt  und  Ca- 
tilina  zu  den  schrecklichsten  Taten  auffordert.  Finstere  Pläne 
in  der  Brust,  sitzt  der  letztere  nachdenklich  in  seinem  Studier- 
zimmer. Wie  um  seine  Beratungen  zu  fördern,  erscheint 
Sulla's  Geist: 

Philo  he  at  thy  counselSy  and  into 

Thy  darker  bosom  entcr  SyUa^s  spiriil 

All  Ihat  was  7mne  and  badj  thy  breast  inJierü, 

(Cunningham,  Bd.  4,  I,  1,  S.  190.) 

Sodann  zählt  Sulla's  Geist  alle  Abscheulicbkeiten  auf, 
welche  Catilina  bereits  begangen  hat  und  fordert  ihn  schließ- 
lich auf,  seinen  Verbrechen  durch  den  Ruin  seiner  Vaterstadt 
die  Krone  aufzusetzen. 

Ben  Jonsou  konnte  in  der  Tat  seinen  ^Catiiifie"  nicht 
slimmungSYoUer  eröffnen  als  durch  Sulla's  Geist.  Denn 
der  ehemalige  Diktator  hat  durch  seine  furchtbaren  Pro- 
skriptionen unaussprechliches  Unheil  über  Born  gebracht  und 
kann  daher  in  gewissem  Sinn  als  Vorgänger  Gatilina's  gelten. 

Sowohl  die  Figur  des  Geistes  als  auch  die  Situation  der 


—     27     — 

Eingangsszene  sind  Seneca's  ^Thyestes^^  entlehnt.  Diese  Tra- 
gödie wird  eröffnet  durch  den  Geist  des  Tantalus  in  Begleitung 
der  Rachegöttin.  Wie  die  Furie  einmal  bemerkt,  hat  sie  den 
Geist  des  Tantalus  auf  die  Oberwelt  zurückgeftlhrt,  damit  er 
durch  seine  bloße  Anwesenheit  im  Palast  des  Atreus  seine 
Nachkommen  zu  unnatürlichen  Verbrechen  aufstachele.  Auch 
der  Geist  SuUa's  soll  durch  seine  bloße  Anwesenheit  Catilina 
zu  dem  unnatürlichen  Verbrechen  aufreizen,  den  Untergang 
seiner  Vaterstadt  Bom  herbeizuführen.  Denn  Catilina  sieht 
den  Geist  nicht,  noch  hört  er  ihn.  Einige  Stellen  hat  Jen- 
son fast  wörtlich  aus  ^Thyestes"  herübergenommen.  SuUa's 
Geist  (bevor  er  sich  an  Catilina  wendet): 

^^  Behold j  I  come,  sent  from  the  Stygian  sound, 
As  a  dire  vapour  ihat  had  cleft  ilie  ground, 


Or  lihe  a  pestilence  iliat  should  display 

Infeciiov  through  the  world " 

(1.  c.  I,  1  S.  190.) 

Der  Geist  des  Tantalus: 

Mittor  ut  dirus  lapor 
TeUure  i'upta  vel  gravem  jtopidis  luem 
Sparsura  pesiis.  (1.  c.  S.  284,  Z.  87—89.) 

Sulla's  Geist  (zu  Catilina  sprechend): 
Nor  let  thy  thought  find  any  vacant  time 
To  hate  an  cid,  hut  still  a  fresher  crime 
Drown  the  remernbrance ;  let  not  mischief  cease, 
But  whih  it  is  in  punishing,  increase: 
Consdence  and  care  die  in  thee;  ajid  he  free 
Not  heaven  itself  frwn  thy  impiety: 
Let  night  grow  blacker  with  thy  plots,  and  day, 
At  sliewing  but  thy  head  forth,  start  away 
From  ihis  half-sphere;  and  leave  Ronies  blinded  walls 
To  embroce  liists,  hatreds,  shmghtei's,  fnnerals, 

(1.  c.  I,  1,  S.  191  und  92.) 

Furie  (das  Geschlecht  des  Tantalus  verfluchend): 
Nee  vacet  cuiquam  vetus 
Odisse  mmen:  sefuper  oriatur  novum, 


—     28     — 

Xec  unnm  in  nnOf  dnynque  punütir  scelus, 
Crescat 

et  fas  et  fides 
Jusque  omne  pereat.     Non  sit  a  vestris  maus 
Immune  caelmn.     Cnr  micant  stellae  polo 
Flammaeque  sei-vant  debitum  mundo  decus? 
Nox  alia  fiat,  exeidat  caelo  die^, 
Misce  penates,  odia  caedes  funera 
Accerse  et  imple  Tanialo  totam  domnm, 

(I.  c.  S.  282  und  283,  Z.  29—32  und  47—64.) 

Auch  im  III.  Akt  finden  sich  Entlehnungen  aus  "7%- 
fstes^y  ferner   aus    ^ IIippohjtufi'\    ^^Oeiavia^\  ^^Hermles  furens".^) 

Endlich  zeigt  sich  Jonson  seinem  Vorbild  Seneca  in 
der  Anwendung  des  Chores  verpflichtet.  Dieser  schließt 
jeden  der  fünf  Akte  und  verläßt,  wie  bei  Seneca,  während 
der  Aufführung  des  Stückes  die  Bühne,  so  daß  er  nichts  über 
den  Verlauf  der  Handlung  erfährt.  Denn  am  Ende  des 
IV.  Aktes  erklärt  der  Chor,  über  Catilina's  Pläne  im  un- 
klaren zu  sein,  was  nicht  der  fall  sein  könnte,  wenn  er 
während  der  Vorstellung  auf  der  Bühne  bliebe.-)    ' 

7.  Fnimus  Trors:  The  Trne  Trojans  (von  Dr.  Jasper  Pisher). 

Das  Stück  behandelt  die  beiden  Einfälle  Cäsars  in  Bri- 
tannien in  den  Jahren  56  und  54  vor  Christus.  Das  Stück 
wird  eröffnet  durch  die  Geister  des  Camillus  und  Brennus, 
welche  in  vollständiger  Rüstung  und  mit  gezücktem  Schwert 
in  der  Begleitung  des  Mercur  erscheinen.  Mercur  bringt  die 
Geister  nach  dem  Willen  Jupiters  auf  die  Oberwelt  zurück 
"as  sticklers  in  their  nadon^s  €nmiUj\  Wenn  die  Nacht  sich 
auf  die  müden  Augenlider  gesenkt  hat,  dann  sollen  sie  ihre 
Landsleute  ^um  Kampf  anspornen,  dann  sollen  sie  zu  Rache- 
geistern in  ihrer  Brust  werden : 

Lmla  ijour  conntrymcnj  when  night  and  skep 


»)  Cunliffe,  1.  c,  S.  94. 
«)  Ibd.,  S.  90. 


—     29    — 

Conquer  tJie  eyes:  tvhen  weary  bodies  restf 
Änd  senses  cease,  he  furies  in  iheir  breast, 

(Dodsley-Hazlitt  XII,  S.  451.) 
Daß  gerade  die  Geister  des  Oamillus  und  Brennas  er- 
scheinen; ist  natürlich  von  Seiten  des  Dichters  wohlberechnet. 
Durch  diesen  Rückblick  auf  die  Kämpfe  zwischen  Römern 
und  Galliern  im  Jahre  390  vor  Christus,  sowie  durch  die 
wilde  Kampfeslust  atmenden  Wechselreden  der  Geister  be- 
reitet der  Dichter  stimmungsvoll  auf  die  kömmenden  Ereig- 
nisse vor.     Mit  den  Worten: 

Fhj  io  your  parties,  and  enrage  their  minds: 
Till,  at  the  period  of  tliese  broila,  I  call 
And  back  reduce  you  io  grim  Pluto's  hau. 

(1.  c.  S.  452) 
entläßt  Merkur  die  Geister. 

Ihrem  Auftrag  gemäß  erscheinen  die  Geister  den  An- 
führern der  zwei  feindlichen  Heere,  Nennius  und  Cäsar,  und 
zwar  in  II,  7. 

Der  Geist  des  Brennus  fordert  Nennius  auf,  des  über 
die  ganze  Welt  verbreiteten  Ruhmes  seiner  Vorfahren  ein- 
gedenk zu  bleiben.  Er  möge  ein  zweiter  Brennus  sein.  Seine 
Lanze  müsse,  wie  eine  Herkuleskeule,  zwei  Ungeheuer  zähmen, 
Roms  Habsucht  und  Stolz.  Die  Ehre  möge  sein  Leitstern 
sein  im  Leben  wie  im  Tod.  Nach  dieser  Ermahnung  ver- 
schwindet der  Geist. 

Nennius  versichert,  daß  der  Geist  über  seine  Taten  nicht 
erröten  solle.  Ruhm,  sei  er  noch  so  gering,  ist  selbst  um 
den  Preis  des  Todes  billig  erkauft.  Obwohl  diese  Überzeugung 
in  ihm  lebendig  ist,  versichert  Nennius,  daß  die  Worte  des 
Geistes  ihm  neue  Kraft  verliehen  hätten.  Was  nur  immer 
die  Zukunft  bringen  möge,  Tod  oder  Sieg,  Nennius  weiht 
sein  Leben  dem  Andenken  von  Brennus'  Geist. 

In  der  gleichen  Szene  erscheint  der  Geist  des  Camillus 
dem  Cäsar  und  fordert  ihn  auf,  Rache  an  der  Nation  zu 
nehmen,  deren  Verwandte  einst  Rom  geplündert  hätten. 
Camillus  wünscht,  sein  Geist,  der  Geist  eines  Scipio,  eines 
Marius,  eines  Sulla  möge  in  Cäsar  wieder  aufleben,  damit 
diese  stolze  Nation  unter  das  römische  Joch  gebeugt  würde. 


—     30     — 

Cäsar  erwidert,  er  werde  in  des  Camillus  FußstÄpfen 
treten.  Er  sei  entschlossen,  nicht  länger  zu  leben,  sollte  er 
hinter  diesem  erhabenen  Beispiel  zurückbleiben. 

In  der  nun  folgenden  Schlacht  (III,  2)  zeigen  sich  die 
beiden  Führer  dessen  würdig,  was  sie  den  Geistern  Tersprochen 
haben. 

Das  Erscheinen  der  Geister  in  II,  7  bezweckt,  wie  wir 
gesehen  haben,  Nennius  und  Cäsar  zum  Kampf  anzufeuern^ 
bedeutet  also  für  den  Verlauf  der  Handlung  ein  accele- 
rierendes  Moment.  —  Die  gleiche  Bedeutung  ist  dem  Er- 
scheinen der  Geister  in  IV  und  V  beizumessen. 

In  IV,  4  beklagt  sich  Cäsar,  daß  der  Geist  des  Camillus 
ihn  nachts  im  Traume  ängstige  und  nach  Rache  rufe.  Beim 
zweiten  Einfall  Cäsar's  in  Britannien  kämpfen  die  Römer  an- 
fangs unglückhch  gegen  die  Briten.  Der  Geist  des  Camillus 
will  demnach  Cäsar  Teranlassen,  seine  Tapferkeit  gegen  die 
Briten  zu  verdoppeln. 

In  V,  2  erzählt  Cassibellanus,  der  König  der  Briten,  in 
einer  Ansprache  an  seine  Soldaten,  der  Geist  des  Brennus 
sei  ihm  erschienen  und  habe  ihn  aufgefordert,  das  Unrecht 
zurückzuweisen  und  dem  Ruhm  seiner  Ahnen  Ehre  zu  machen. 

Das  Stück  schließt  Mercur,  der  die  beiden  Geister  in 
die  Unterwelt  zurückführt,  während  sie  die  Frage  erörtern, 
ob  der  endgültige  Sieg  auf  selten  der  Römer  oder  der  Briten 
sein  werde. 

8.   Gnm  ihe  Collier  of  Oroydon^) 

Die  1.  Szene  des  1.  Aktes  zeigt  uns  folgendes  Stimmungs- 
bild :  Malbecco's  Geist  in  der  Unterwelt  vor  Pluto  und  den 
Höllenrichtern  Minos,  Aeacus  und  Rhadamanthus.  Aufge- 
fordert, sich  wegen  seiner  Selbstentleibung  zu  rechtfertigen, 
erzählt  der  Geist  seinen  Richtern,  wie  er  durch  die  Bosheit 
seines  Weibes  zum  Selbstmord  getrieben  wurde. 

Auf  dieser  Erzählung  des  Geistes  basiert,  wie  sich  zeigen 


^)  Sehr  wahrscheinlich  identisch  mit  Haughton's  TktDtvü  and 
his  Dame,  ein  Stück,  welches  unter  März  1600  in  Henslowe's  Diary 
eingetragen  ist.    Cf.  Ward,  Bd.  2,  S.  606. 


—     31     — 

wird,  die  folgende  Handlang  in  ihren  Grundziigen ;  der  Geist 
repräsentiert  also   das   erregende   Moment   der  Handlung. 

Nach  kurzer  Beratung  mit  den  Höllenrichtern  beschließt 
der  Beherrscher  der  Unterwelt,  einen  seiner  Lieblingsteufel, 
Belphegor,  auf  die  Erde  zu  senden  mit  dem  Auftrag,  mensch» 
liehe  Gestalt  anzunehmen,  zu  heiraten  und  nach  einem  Jahr 
und  einem  Tag  in  die  Unterwelt  zurückzukehren,  um  über 
den  Charakter  des  weiblichen  Geschlechts  Bericht  zu  erstatten. 

Belphegor  begibt  sich,  Ton  seinem  Diener  Akercock  be- 
gleitet, auf  die  Oberwelt;  er  selbst  geht  unter  dem  Namen 
Castiliano,  Akercock  unter  dem  Namen  Robin  Goodfellow. 
Castiliano  verheiratet  sich.  Seine  Ehe  ist  aber  eine  höchst 
unglückliche.  Nicht  nur  daß  er  zusehen  muß,  wie  Marian 
anderen  Männern  ihre  Liebe  erweist,  wird  er  schließlich  noch 
von  ihr  vergiftet.  Und  falls  das  Gift  seine  Wirkung  verfehlen 
sollte,  unternimmt  es  ein  Liebhaber  Marianus,  Castiliano  zu 
ermorden.  Castiliano  ist  im  Begriff,  den  tödlichen  Stoß  zu 
empfangen,  als  er  von  der  Erde  verschlungen  wird. 

Robin  Goodfellow  verhilft  Grim,  dem  Köhler  von  Croy- 
don,  zum  Sieg  über  seine  Nebenbuhler  im  Kampf  um  seine 
Geliebte  Johanna. 

Belphegor  erzählt  nach  seiner  Rückkehr  in  die  Unterwelt 
Pluto  und  den  Höllenrichtem  die  schlimmen  Erfahrungen, 
die  er  mit  seiner  treulosen  Frau  gemacht  hat.  Pluto  fallt 
daraufhin  über  Malbecco's  Geist  folgendes  Urteil:  er  solle 
von  nun  an  als  Geist  der  Eifersucht  in  der  Welt  umher* 
schweifen,  um  Argwohn  zwischen  Mann  und  Frau  zu  er- 
wecken.   Mit  den  Worten: 

Oo,  Jealoiisy,  hegone^  thou  hast  thy  charge ; 
ÖOy  ränge  abont  the  world  that  is  so  large, 

(Dodsley-Hazlitt,  Bd.  8,  V,  1  8.  470) 
wird  der  Geist  von  Pluto  entlassen. 

9.  Hamlet. 

In  dramatisch  wirkungsvollster  Weise  hat  Shakspere 
den  Geist  als  Stimmungsfigur  in  ^IlamleV^  verwendet,  denn 
hier  tritt  der  Geist  nicht  plötzlich  auf  die  Bühne,   sondern 


—     32     — 

der  Dichter  versteht  es   meisterhaft,  auf  sein  Kommen  vor- 
zubereiten. 

Versetzen  wir  uns  vor  die  Schloßterrasse  in  Elsiuore.  Es 
ist  eine  bitterkalte  Septembernacht.  Eben  hat  es  12  Uhrge- 
schlageu,  und  es  erfolgt  die  Ablösung  der  Schloßwache: 
Francisco  verläßt  seinen  Posten,  Bernardo  und  Marcellus 
treten  an  seine  Stelle.  Mit  letzteren  tritt  sogleich  Horatio 
auf  aus  einem  Grund,  den  wir  gleich  nachher  erfahren  werden. 
Zweimal  ist  nämlich  schon  den  beiden  Wachoffizieren  Ber- 
nardo und  Marcellus  gerade  um  Mitternacht  ein  Geist  er- 
schienen. Von  diesem  Ereignis  haben  sie  ihrem  Freund 
Horatio  Mitteilung  gemacht.  Doch  dieser  erklärt  die  Wahr- 
nehmung? der  beiden  Freunde  für  Einbildung.  Deswegen  sagt 
Marcellus : 

/  have  entreated  him  alonfj 

WiÜi  US  io  watch  ilie  minutes  of  thvs  night; 

Thai,  if  agaiu  this  apparition  come, 

Hc  matj  approre  our  etjes,  and  speak  to  it. 

(Dyce,  Bd.  7,  I,  1  S.  300.) 
Horatio  indes  versichert,  daß  die  Erscheinung  sich  nicht 
wiederholen  werde.  Bernardo  hat  eben  begonnen,  den  Her- 
gang jenes  geheimnisvollen  Ereignisses  nochmals  zu  erzählen, 
da  wird  er  plötzlich  von  Marcellus  mit  den  Worten  unter- 
brochen : 

Peace,  break  thec  off;  look  where  ii  comes  again! 

(1.  c,  S.  300.) 

Entsetzen  bemächtigt  sich  der  Freunde.  Selbst  der 
furchtlose  Horatio  ist  für  den  Augenblick  starr  vor  Furcht 
und  Staunen.  Endlich  aber  faßt  er  sich  ein  Herz  und  spricht 
den  Geist  an: 

What  art  thou,  ihat  uarnp'st  ihis  time  of  night, 
Together  with  ihat  fair  and  tvarlike  fainn 
hl  which  the  majcsiy  of  huried  Denmark 
Did  sometimes  march  ?  by  heaven  I  charge  ihee,  speak. 

(1.  c.  S.  301.) 

Doch  der  Geist  des  verstorbenen  Königs  von  Dänemark 
—  denn   dieser  ist  es,   wie   die   eben  erwähnten  Worte  Ho- 


—     33     — 

ratio's  zeigen  —  bleibt  stumm.  Nochmals  beschwört  Horatio 
den  schon  wieder  Wegschreitenden,  zu  sprechen,  aber  ver- 
geben  s.  Der  Geist  verschwindet.  Nicht  minder  mächtig  als 
seine  Freunde  ist  Horatio  von  der  Geisteserscheinung  ergriffen. 
Er  würde  nach  seinen  eigenen  Worten  immer  noch  nicht  an 
die  Erscheinung  glauben,  hätte  er  nicht  die  sichere,  fühlbare 
Gewähr  der  eigenen  Augen. 

Was  will  nun  der  Geist. des  yerstorbenen  Königs?  Das 
fragen  sich  die  Freunde.  Horatio  hält  die  Erscheinung  für 
den  Vorboten  schicksaJsBchwerer  Ereignisse,  die  Dänemaric 
bevorstünden.  Geradeso  seien  auch  dem  Tod  des  großen 
Julius  Cäsar  in  Kom  bedeutungsvolle  Zeichen  vorangegangen. 
Daß  der  Geist  des  Königs  in  Waffen  erschienen  sei,  kündige 
dem  Lande  Krieg  an.  Denn  der  junge  Fortinbras  habe  ein 
Heer  landloser  Abenteurer  um  sich  gesammelt  und  sei  ent- 
schlossen, die  von  seinem  Vater  an  den  verstorbenen  König 
verlorenen  Länder  wiederzugewinnen.  Die  Gefahr  eines  Über- 
falles, den  Fortinbras  von  der  Seeseite  aus  unternehmen  | 
könnte,  sei  auch  der  Grund  ihrer  beständigen  Wachen.  Da  auf  j 
einmal  unterbricht  sich  Horatio  selbst  mitten  in  seiner  Rede  r 
Butf  softj  behold!  lo,  nhere  it  comes  again! 

Mutig  will  Horatio  diesmal  zu  Werke  gehen:  j 

rU  cross  itj  though  ü  blast  vie. 
Siaij,  illimon,  spricht  er  den  Geist  an, 
If  Üiou  Jiast  any  sound,  or  use  of  voice, 
Speak  to  nie: 

If  tliere  be  any  good  (hing  to  be  done^ 
Tliat  mag  to  thee  do  ease,  and  grace  to  me^ 
Speak  to  me. 


Or  if  ihou  Jiast  uphoarded  in  thy  life 

Extorted  ireasure  in  tlie  uomb  of  rarth, 

Für  ivhich,  they  ,say,  you  spiriU  oft  walk  in  deatk, 

Speak  of  it:  —  stay,  and  s])enk! 

(1.  c.  I,  1  S.  304.) 

In   diesem  Augenblick  kräht  der  Hahn,  und  der  Geist 
ist  im  Begriff,  sich  wieder  zu  entfernen.    ^Stop  it,  Marcellus/*^ 
Manchener  Beiträge  z.  romanischen  n.  engl.  Philologie.    XXXV.      3 


—     34     — 

ruft  Horatio  diesem  zu.  Marcellus  will  in  seiner  Aufregung 
nach  ihm  mit  der  Hellebarde  schlagen.  Vergebens.  Der  Geist 
verschwindet.  Also  auch  diesmal  ist  der  Greist  stumm  ge- 
blieben. 

^n  was  about  to  speak  when  the  cock  crew  — ," 
meint  Bemardo. 

^ÄTid  tJien  ü  started  like  a  guilty  thing 

Upon  a  fearful  siimmon^  — ,"  bekräftigt  Horatio. 

Horatio  findet  das  durch  seine  Erfahrung. bestätigt.  Denn 
er  habe  gehört,  daß,  sobald  der  Hahn  den  Morgen  verkünde, 
jeder  umherschweifende  Geist  an  seinen  Aufenthaltsort  zu- 
rückkehren müsse.  —  Mittlerweile  ist  die  Zeit  vorgerückt, 
der  Morgen  bricht  an.  Die  Freunde  brechen  die  Wache  ab 
und  beschließen  auf  Horatio's  Rat  das,  was  sie  diese  Xacht 
gesehen,  dem  jungen  Hamlet  anzuvertrauen ;  denn  so  stumm 
der  Geist  auch  ihnen  gegenüber  gewesen  sei,  mit  Hamlet 
werde  er  sprechen. 

Mit  Künstlerhand  hat  Shakspere  das  erste  Kräuseln 
der  Wellen  angedeutet,  das  den  nahenden  Sturm  verkündet. 
Der  Natur  der  Sache  gemäß  ist  die  KoUe  des  Geistes  nicht 
erschöpft;  er  hat  eine  noch  viel  wichtigere  Aufgabe  zu  er- 
füllen. Nachdem  wir  durch  sein  Erscheinen  in  einen  Zustand 
zweifelvoller  Erregtheit  und  höchster  Spannung  versetzt  sind, 
führt  uns  der  Dichter  in  der  folgenden  Szene  die  Exposition 
der  Tragödie  vor  Augen. 

König  Claudius  von  Dänemark  hat  nach  dem  kürzlich 
erfolgten,  plötzlichen  Tod  seines  Bruders  mit  Einwilligung  der 
Stände  des  Landes  den  Thron  bestiegen  und  seine  verwitwete 
Schwägerin  geheiratet,  dadurch  aber  die  Anwartschaft  seines 
Neffen  Hamlet  auf  den  dänischen  Königsthron  in  Frage  gestellt. 
Aber  das  ist  der  geringste  Grund  des  schweren  Kummers, 
der  auf  Hamlet's  Seele  lastet.  Kaum  hatte  er  die  Universität 
Wittenberg  bezogen,  mußte  er  schon  wieder  heimeilen,  um  dem 
geliebten  Vater  die  letzte  Ehre  zn  erweisen.  Ein  rätselhaftes 
Geschick  hatte  den  noch  in  der  Vollkraft  der  Jahre  stehen- 
den Mann  hinweggerafft.  Aber  nicht  nur  die  merkwürdigen 
Umstände  bei  seines  Vaters  Tod  geben  Hamlet  zu  denken. 
Die  geradezu  überstürzte  Heirat  seiner  Mutter  hat  seine  ideale 


—     35     — 

Weltanschauung  auf  das  schwerste  erschüttert.  Daß  seine 
Mutter,  nachdem  sie  kaum  die  Tränen  um  den  ersten  Gatten 
getrocknet,  so  bald  einem  zweiten  die  Hand  zum  ehelichen 
Bunde  reichen  konnte,  vermag  Hamlet  nicht  zu  fassen,  umso- 
weniger,  als  seine  Eltern  in  zärtlicher  Liebe  einander  zugetan 
waren.  Die  Tatsache,  daß  das  Unbegreifliche  eingetreten  ist, 
drückt  ihn  unsagbar  nieder,  macht  ihn  namenlos  traurig  und 
unglücklich. 

Der  Geist  soll  Licht  in  dieses  Dunkel  bringen.  Horatio, 
Bernardo  und  Marcellus  berichten  dem  Prinzen,  wie  ihnen 
bereits  in  drei  Nächten  der  Geist  seines  Vaters  auf  der 
Wache  erschienen  sei.  Hamlet's  Entschluß  ist  bald  gefaßt. 
Er  will  diese  Nacht  wachen,  und  kommt  das  Gespenst  wieder, 
es  ansprechen.  Indem  er  die  Gefährten  bittet,  über  das  Ge- 
sehene zu  schweigen,  verabschiedet  er  sich  von  ihnen  mit 
dem  Versprechen,  daß  er  sie  auf  der  Terrasse  zwischen  11  und 
12  Uhr  nachts  besuchen  werde. 

Seltsame  Gedanken  drängen  sich  Hamlet  jetzt  auf,  wenn 
er  an  den  plötzlichen  Tod  seines  Vaters  denkt.  In  fieber- 
hafter Erregung  sieht  er  der  verhängnisvollen  Stunde  ent- 
gegen : 

'^Wouhl  the  night  were  comcl 

Till  then  mt  still  my  souV        (1.  c.  I,  2  S.  314.) 

Zugleich  mit  Horatio  und  Marcellus  findet  sich  Hamlet 
auf  der  Wache  ein.     Es  hat  schon  12  Uhr  geschlagen: 
"^Then   it  draws  nenr  the  seaaon 
W herein  the  spirit  held  his  ivont  to  ivalkJ' 

(1.  c.  I,  4  S.  320.) 

Eine  eisig  kalte  Luft  weht.  Während  Hamlet  bangen 
Herzens  der  Enthüllung  eines  schrecklichen  Geheimnisses  ge- 
wärtig ist,  hält  der  König  im  Schlosse,  umgeben  von  seinem 
Gefolge,  ein  fröhliches  Zechgelage  ab.  Kanonendonner  und 
Trompetenstoß  verkünden  jeden  Trunk,  den  der  König  aus- 
bringt. Hamlet  tadelt  dieses  lärmende  Gelage ;  seiner 
Neigung  gemäß,  über  alles  tiefsinnige  Betrachtungen  anzu- 
stellen, philosophiert  er,  geradeso  wie  die  Dänen  durch  diese 
nächtlichen  Gelage  bei  den  anderen  Völkern  in  Verruf  kämen. 


—    86     — 

ebenso  würden  oft  einzelne  Menschen,  obwohl  ausgestattet  mit 
den  trefflichsten  Tugenden,  infolge  eines  kleinen  Charakter- 
fehlers in  der  öffentlichen  Meinung  geringgeschätzt. 

^  An  geh  and  minister  s  of  grace  defcnd  ««/"  ruft  der  Prinz 
sich  unterbrechend,  überwältigt  von  dem  ersten  Schrecken, 
als  er  plötzlich  den  Geist  vor  sich  sieht.  Doch  bald  hat  er 
sich  gefaßt: 

Ik  Ihou  a  spirit  of  healih  or  gohlin  damn^d, 

Bring  tviih  ihee  airs  from  heaven  or  bhsts  from  hell, 

Ik  thy  infcnts  ivicked  or  chari table, 

Thou  conCst  in  such  a  quesiionahle  sliapc, 

Thai  I  will  sprnk  io  thrr :  Fll  call  ihee  Hamlet, 

King,  father,  rogaJ  Dane:   0  ansircr  me! 


.  .  .    What  mag  this  mean, 
Thai  thou,  dcad  ansc,  again,  in  completc  steelj 
Bevisifst  thus  the  glijnpsrs  of  the  moon, 
Making  night  hidcons ;  .  ,  . 

*Sa/y,  u'hg  is  this'f  ivhcrcfore?  what  shonld  we  do? 

(1.  c.  I,  4  S.  322.) 

Doch  der  Geist  antwortet  nicht,  sondern  winkt  Hamlet 
an  einen  weiter  entfernten  Ort,  wie  um  anzudeuten,  daß  die 
Mitteilung  nur  für  ihn  allein  bestinamt  sei.  Hamlet  ist  auch 
willens,  dem  Geist  zu  folgen,  trotz  des  gegenteiligen  Rates 
von  Horatio  und  Marcellus. 

Whg,   what  shonld  he  the  fear?  erwidert  ihnen   der  Prinz. 
/  do  not  sei  nnj  life  ai  a  pin^s  fec ; 
And  for  mg  sonl,  what  can  ü  do  to  ihat, 
Bcing  a  thing  immortal  as  itself? 

(1.  c.  I,  4  S.  323.) 

Wieder  winkt  der  Geist.  Nochmals  warnt  Horatio  den 
Prinzen  dringend,  denn  das  Gespenst  könne  ihn  bis  zum 
Gipfel  jenes  Felsens  locken,  der  sich  von  der  See  zu  grausiger 
Höhe  erhebe,  dort  eine  andere  Gestalt  annehmen  und  ihn 
zum  Wahnsinn  treiben.  Der  Geist  winkt  wieder,  und  mit  den 
Worten   "J/^  fate  rries  ont"  reißt  sich   Hamlet  von  den  be- 


—     37     — 

sorgten  Freunden  los  und  folgt  dem  Geist.     Bestürzt  bleiben 
Horatio  und  Marcellus  zurück. 

Jetzt,  da  der  Geist  mit  Hamlet  allein  ist,  spricht  er  und 
gibt  sich  zu  erkennen.  Hamlet  hört  die  niederschmetternde 
Kunde,  die  sein  prophetisches  Gemüt  indes  dunkel  geahnt, 
daß  sein  Oheim  hinterlistigerweise  den  Bruder  gemordet,  in- 
dem er,  während  dieser  mittags  im  Garten  schlief,  sich 
heranschlich  und  ihm  tödliches  Gift  in  die  Ohren  träufelte, 
80  daß  der  Unglückliche  in  kurzem  eine  Leiche  war.  Aber 
nicht  nur  dies.  Durch  süße  Schmeichelw^orte  habe  der  Mörder 
die  scheinbar  tugendhafte  Königin  verleitet,  mit  ihm  in  die 
Ehe  zu  treten.  Den  feigen  Brudermord  soll  Hamlet  dem 
Gebot  des  Geistes  zufolge  rächen,  seine  Mutter  aber,  die 
zwar  leichtsinnig,  aber  schuldlos  ist  an  der  blutigen  Tat,  möge 
er  schonen: 

^Biity  howsoeier  ihou  pursHst  this  ad, 

Taini  fiot  ihfi  mindj  nor  let  thtf  soid  roHtrire 

A<jftinst  ihij  mother  auijhl:  leare  her  to  heaven, 

And  to  those  thoms  that  in  her  hosom  iodge 

To  prick  and  siing  hfr^  (1.  c.  I,  5  S.  327.) 

Doch  der  Morgen  naht  und  mit  dem  Scheidegruß  ^Adini! 
revmnher  we^^  verschwindet  der  Geist. 

Der  junge  Held  sinkt  unter  der  Last  der  wuchtigen 
Eröffnung  beinahe  zusammen : 

'^YoN,  ituß  stncirs,  f/row  not  instant  old, 
Ihtt  hmr  wr  sfi/J'h/  vp^  (I,  5  S.  328.) 

Ja,  gedenken  will  Hamlet  des  erhaltenen  Auftrages, 
tilgen  will  er  aus  seinem  Gedächtnis  jegliche  Erinnerung  an 
seine  Jugendzeit,  und  das  Gebot  des  Geistes  soll  allein  seine 
Seele  erfüllen. 

Hamlet  hat,  wie  wir  gesehen,  den  Entschluß  gefaßt,  den 
Mord  seines  Vaters  zu  rächen.  x\uf  diesem  Entschluß  aber 
beruht  die  ganzt»  folgende  Handlung.  Dieser  Entschluß  wird 
nun  durch  die  Oftenliarung  des  Geistes  in  die  Seele  Hamlet's 
gesenkt.  Die  Offenbarung  des  Geistes  repräsentiert  also  da.s 
erregende  Moment  der  Handlung. 

Wie  nun  die  folgende  Handlung  in  allen  Hauptzügen  in 


—     38     — 

letzter  Linie  auf  die  Geisteserscheinung  zurückgeht,  warum 
der  Geist  auch  fernerhin  in  den  Gang  der  Handlung  einzu- 
greifen für  gut  befindet,  soll  im  folgenden  dargestellt  werden. 
Hamlet  steht  noch  unter  den  gewaltigen  Eindrücken,  die 
er  eben  empfangen  hat,  als  wiederholt  und  laut  sein  Name 
an  sein  Ohr  tönt.  Horatio  und  Marcellus  sind  es,  welche  die 
Rufe  ausstoßen,  denn  sie  empfinden  allmählich  Besorgnis  über 
das  Schicksal  des  Prinzen.  Hamlet  ermuntert  sie,  näher  zu 
kommen,  und  nun  bestürmen  sie  den  Prinzen  mit  Fragen  nach 
dem,  was  zwischen  ihm  und  dem  Geist  vorgefallen  ist.  Doch 
Hamlet  hält  es  einstweilen  für  das  Beste,  zu  schweigen.  Ob- 
wohl seine  Aufregung  begreiflicherweise  eine  ungeheure  ist, 
weiß  er  doch  in  richtiger  Erkenntnis  seiner  Lage,  daß  ein 
verfrühtes  Bekanntwerden  dieser  nächtlichen  Vorgänge  seinem 
Racheplan  nur  schaden  kann.  Denn  der  König,  ohnehin 
argwöhnisch,  —  ein  schuldiges  Gewissen  sieht  ja  überall 
Verrat  —  wird  sicherlich  auch  das  geringste  Anzeichen  von 
Gefahr  bemerken  und  sich  zu  schützen  wissen.  Deshalb  bittet 
er  die  Freunde,  niemals  etwas  von  dem,  was  sie  diese  Nacht 
gesehen,  zu  veröffentlichen.  Horatio  und  Marcellus  ver- 
sprechen es.  Aber  Hamlet  will  das  Versprechen  noch  durch 
einen  Eid  bekräftigt  wissen  und  ersucht  die  Freunde,  auf  sein 
Schwert  zu  schwören.  Wie  um  sein  Verlangen  zu  unter- 
stützen, ertönt  aus  der  Tiefe  eine  schauerliche  Grabesstimme: 
^Sirear^    Hamlet  überkommt  eine  wilde  Lustigkeit: 

"J/^,  hn^  hoy!  sa?/st  thoxi  so?  art  iJiou  tliere,  true-peunj/? 
Cüinc  on/^  —  fährt  er  fort, 

'''you  hmr  ihis  felloic  in  tlie  ccUaragc,  — 
Consent  io  swearr  (I,  5  S.  330.) 

Hamlet  ist,  wie  wir  sehen,  durch  seine  Unterredung  mit 
dem  Geist  an  das  Überirdische  gewöhnt,  während  seine  Ge- 
fährten fast  sprachlos  vor  Schrecken  sind.  Horatio  bringt 
nur  die  Worte  hervor:  ^^ Propose  the  oath,  my  lorcW  Aber  als 
der  Prinz  die  Eidesformel  gesprochen  hat,  macht  die  Stimme 
des  Geistes  abermals  die  Freunde  erbeben,  denn  unter  ihren 
Füßen  vernehmen  sie  zum  zweiten  Mal  die  Aufforderung: 
^Swfar'\  —  ^^Hic  ei  nhiqne?^^  ruft  Hamlet  erstaunt  aus.     Um 


—     39     — 

das  Entsetzen  der  Freunde  zu  mildern,  läßt  er  den  Platz 
wechseln,  was  er,  nach  den  eben  erwähnten  Worten  zu  ur- 
teilen, schon  das  erste  Mal  getan  hat,  als  die  Stimme  aus  der 
Tiefe  kam.  Wieder  spricht  Hamlet  die  Eidesformel  vor,  und 
zum  dritten  Mal  ertönt  aus  der  Tiefe  die  Stimme:  ^Swear" 
Hamlet  läßt  die  Freunde  nochmals  den  Platz  wechseln  und 
bittet  sie  neuerdings,  feierlich  zu  schwören,  niemals  durch 
Gebärde  oder. Wort  etwas  von  ihm  zu  verraten,  so  fremd  und 
seltsam  er  sich  auch  benehmen  möge,  da  es  ihm  vielleicht 
in  Zukunft  dienlich  scheine,  ein  wunderliches  Wesen  zur 
Schau  zu  tragen.  Zum  vierten  Mal  läßt  sich  der  Geist  ver- 
nehmen: ^Sivear"  —  Nachdem  die  Freunde  den  Schwur  ge- 
leistet, entläßt  sie  Hamlet. 

Betrachten  wir  nun,  wie  die  Geisteserscheinung  auf  den 
Helden,  sowie  auf  die  Gegenspieler  wirkt. 

Hamlet  ist  zwar  infolge  der  Offenbarung  des  Geistes  vom 
tödlichsten  Haß  gegen  seinen  Oheim  beseelt,  aber  trotzdem 
äußert  sich  dieses  Gefühl  nicht  in  einer  entscheidenden  Tat, 
wenigstens  nicht  für  den  Augenblick.  Die  Enthüllung  des 
schrecklichen  Geheimnisses  hat  bei  Hamlet  zunächst  eine  voll- 
ständige Erschlaffung  der  physischen  und  geistigen  Kräfte 
zur  Folge.  Die  Tatsache,  daß  es  überhaupt  solche  Schurken 
gibt,  erfüllt  ihn  mit  namenloser  Traurigkeit.  Als  Hamlet 
sich  von  den  Aufregungen  der  Entsetzensnacht  einigermaßen 
erholt  hat,  quält  er  sich  vergebens  ab,  einen  brauchbaren 
Kacheplan  zu  finden.  Denn  immer  steigen  in  ihm  Zweifel 
auf,  welche  die  Durchführung  eines  Entschlusses  vereiteln. 

Die  Hamlet  beständig  quälenden  Zweifel  hatten  schließ- 
lich sogar  die  Person  des  Geistes  in  Frage  gestellt.  Das 
Schauspiel  beseitigt  auch  dieses  stärkste  Bedenken.  Hamlet 
sieht  mit  absoluter  Gewißheit  in  seinem  Oheim  den  schuld- 
bewußten Mörder  seines  Vaters.  Zugleich  aber  ist  für  Hamlet 
die  Schwierigkeit,  die  ihm  vom  Geist  übertragene  Aufgabe 
zu  lösen,  bedeutend  gewachsen.  Denn  der  König  sieht  sich 
von  seinem  Neffen  ausspioniert,  er  wird  also  voraussichtlich 
Mittel  anwenden^  um  sich  des  lästigen  Spions  zu  entledigen. 
Da  gibt  der  Zufall  Hamlet  die  schönste  Gelegenheit  an  die 
Hand,  dem  König  zuvorzukommen:  er  trifft  seinen  Oheim  in 


—    40     — 

Gebet  yersunkeD.  Hamlet  ist  wieder  untätig,  der  Moment 
scheint  ihm  nicht  richtig  gewählt  zu  sein. 

Durch  die  Herausforderung  des  Königs  infolge  des  Schau- 
spiels einerseits,  durch  seine  Untätigkeit  andererseits  ist  der 
Held  in  eine  verhängnisvolle  Situation  geraten.  Die  Möglich- 
keit, das  Gebot  des  Geistes  zu  vollführen,  ist  durch  Ver- 
säumen der  günstigen  Gelegenheit  eine  ziemlich  unwahrschein- 
liche geworden.  Ist  so  schon  das  zweite  Erscheinen  des  Geistes 
hinreichend  begründet,  so  werden  wir  durch  die  folgende  Szene 
von  der  Notwendigkeit  eines  nochmaligen  Eingreifens  des 
Geistes  in  die  Handlung  geradezu  durchdrungen. 

Ungeduldig  harrt  die  Königin  ihres  Sohnes.  Sie  soll  ihm 
nach  dem  Willen  ihres  Gatten  ernstlich  Vorhalt  machen  über 
sein  Benehmen  und  womöglich  die  Ursache  dessen,  was  seine 
Seele  bedrückt,  zu  erfahren  suchen.  Die  Königin  erreicht 
aber  ihre  Absicht  nicht.  Im  Gegenteil,  Hamlet  ist  entschlossen, 
seiner  Mutter  wegen  ihrer  zweiten  Heirat  ernstlich  ins  Ge- 
wissen zu  reden.  Seine  Gereiztheit  gegen  seine  Mutter  äußert 
sich  zunächst  in  spitzigen  Antworten  auf  ihre  Fragen.  Die 
Königin  will  daraufhin  ihre  Bekehrungsversuche  ohne  weiteres 
als  unnütz  aufgeben:  "A^/y^  thai,  TU  sei  ihose  to  you  ihat  ran 
speak''  Aber  jetzt  gibt  Hamlet  der  Mutter  Klarheit  über 
seine  Absichten. 

*^Conip,  coNie/^  sagt  er  zu  ihr, 

*^fnid  sä  yoH  down;  you  shall  not  budye: 
You  go  nof  Uli  I  set  you  np  a  gla.<is 
Wherc  you  uiay  sce  the  himo.st  part  of  you,^^ 

(HI,  4  S.  380.) 

Die  Königin,  aufs  höchste  erschrocken,  glaubt  nicht  anders, 
als  ihr  Sohn  wolle  sie  in  einem  Wahnsinnsanfall  umbringen 
und  ruft  um  Hilfe.  Polonius,  der  verabredetermaßen  hinter 
einem  als  Vorhang  dienenden  Teppich  versteckt  ist,  stimmt, 
da  er  die  Königin  in  Gefahr  wähnt,  in  den  Hilferuf  ein. 
Hamlet,  einem  Impuls  des  Zornes  gegen  den  Lauscher  folgend, 
zieht  den  Dolch,  stößt  durch  den  Teppich  und  ersticht  den 
Polonius.  Hamlet  meint,  er  habe  den  König  getötet;  die 
Erkenntnis  seines  Irrtums  beunruhigt  ihn  nicht  im  geringsten, 


—    41     — 

ein  Benehmen,   das   durch  seine  hochgradige  Erregung  leicht 
erklärlich  ist.    Denn  er  hat  jetzt  Wichtigeres  zu  tun.    Und  nun 
macht  Hamlet  wahr,  was  er  seiner  Mutter  angekündigt  hatte,  als 
er  ihr  sagte,  er  wolle  ihr  einen  Spiegel  vorhalten,  worin  sie  ihr 
Innerstes   erblicken  werde.     In  der  Tat,   schwer  ist  die  An- 
klage,   maßlos    sind  die  Vorwürfe,    die   Hamlet  gegen   seine 
Mutter  erhebt.     Wie   Dolchstiche   dringen   der  Königin   die 
harten  Worte  ihres  Sohnes  ins  Herz.     Als  sich  aber  Hamlet 
von   seiner  Aufregung  und  seinem  Haß  gegen  den  Oheim  so 
weit  hinreißen  läßt,  den  König  einen  Mörder  zu  nennen, 
^A  cutpurse  of  tJie  empire  and  the  rnlc, 
Thai  from  a  shelf  the  jytecious  diadem  atolcj 
And  put  it  in  his  pocket,'^ 
da  erscheint  der  Geist  seines  Vaters  von  neuem.    Hamlet  ahnt 
teilweise  den  Grund  seines  Kommens,  wenn  er  ihn  fragt: 
^Do  you  not  cofne  tjotir  tardy  son  to  chide, 
Thaty  laps^d  in  iime  and  pa.ssion,  kts  go  by 
TK  imporiant  acting  of  yoiir  dread  command?^^ 
"^This  risitati(jn^\  antwortet  der  Geist, 
"/s  hut  to  uhet  thy  ahnost  blunied  purpose,^^  — 
""Bat  höh''  fährt  er  fort, 

^amaiement  on  thy  mother  sits: 
0,  Step  betweni  her  and  her  fighting  soulj  — 
Concett  in  weakest  bodies  strängest  worksj  — 
Speak  to  her,  Ilamlctr  (III,  4  S.  382  und  83.) 

Die  Königin,  die  den  Geist  weder  sieht  noch  hört,  ist 
allerdings  entsetzt  über  ihren  Sohn,  da  er  die  Augen  auf 
das  Leere  heftet  und  mit  der  körperlosen  Luft  redet.  Ihr 
Grauen  mildert  sich  aber,  als  Hamlet  sich  wieder  zu  ihr 
wendet. 

Hamlet  selbst  ist  nach  der  Erscheinung  des  Geistes 
ruhiger  geworden,  der  Sturm  seiner  Gefühle  hat  sich  gelegt. 
Er  ist  nachdrücklich  wieder  an  seine  heilige  Aufgabe  erinnert 
worden,  er  überhäuft  die  Mutter  nicht  mehr  mit  heftigen  Vor- 
würfen, er  berührt  auch  nicht  mehr  die  unrechtmäßige  Be- 
sitzergreifung der  Krone  seitens  des  Königs.  Um  zu  erreichen, 
daß  seine  mahnenden  Worte  auf  fruchtbaren  Boden  fallen, 
sucht  er  die  Mutter  von  seiner  gesunden  Vernunft  zu  über- 


—    42     — 

zeugen.  Er  warnt  sie,  sich  selbst  zu  betrügen  mit  dem 
Glauben,  seine  Worte  seien  nur  die  Ausgeburt  des  Wahn- 
sinns; sie  solle  bereuen,  nicht  das  Unkraut  düngen  und  da- 
durch dessen  Wachstum  vermehren.  Hamlet  will  sich  schon 
von  seiner  Mutter  verabschieden,  als  ihm  ein  Gedanke  durch 
den  Kopf  schießt:  Soll  nicht  eine  ernstliche  Gefahr  für  ihn 
und  seine  Rachepflicht  heraufbeschworen  werden,  so  darf  der 
König  den  Inhalt  des  Gesprächs  mit  der  Mutter  nicht  er- 
fahren. Deshalb  gibt  Hamlet  seiner  Mutter  den  sarkastischen 
Rat,  ihrem  teuren  Gatten  diesen  ganzen  Handel  aufzudecken, 
daß  er  in  keiner  wahren  Tollheit  sei,  nur  toll  aus  List.  Aber 
die  Königin  erwidert  ihm: 

^Be  (hon  assur\i,  if  words  he  made  of  hrathj 
And  hrenth  of  Hfe,  I  have  no  Ufe  to  breafhc 
What  thou  hast  said  to  mf,''  (III,  4  S.  386.) 

Auf  die  zweite  Geisteserscheinung  noch  einen  kurzen 
Rückblick  zu  werfen,  halte  ich  für  notwendig.  Wie  Hamlet 
durch  seine  Untätigkeit  immer  weiter  von  dem  erstrebten 
Ziel  abkommt  und  so  die  Möglichkeit  der  Rache  gefährdet, 
ist  vor  der  zweiten  Geisteserscheinung  ausführlich  erörtert 
worden.  Die  Gefahr  aber  wächst  noch  durch  die  Ermordung 
des  Polonius.  Denn  ein  scharfsinniger  Kopf  wie  der  König 
mußte,  sobald  er  Kenntnis  von  der  Tat  bekam,  in  dem  toten 
Polonius  nur  das  Opfer  eines  unglückseligen  Irrtums  erblicken. 
Die  Rache  Hamlet's  ist  also  stumpf  geworden,  nicht  träge; 
denn  Hamlet  sagt  ja  selbst,  daß  er  neben  der  Kraft  auch 
den  Willen  habe,  zu  rächen.  Da  erscheint  der  Geist,  um  den 
abgestumpften  Vorsatz  zu  schärfen.  Ferner  war  Hamlet  über 
den  Auftrag  des  Geeistes  hinausgegangen,  als  er  die  Mutter 
mit  so  maßlosen  Vorwürfen  überhäufte.  Er  sollte  die  Mutter 
dem  Himmel  und  den  Dornen  überlassen,  „die  im  Busen  ihr 
stechend  wohnen".  Und  schließlich  nennt'  Hamlet,  seiner 
Leidenschaft  nicht  mehr  Herr,  den  König  einen  Mörder,  einen 
ßeutelschneider  von  Gewalt  und  Reich,  ist  also  im  Begriff, 
der  Mutter  das  Geheimnis  zu  verraten,  das  ihm  der  Geist 
anvertraute,  und  zu  dessen  Schutz  ja  einst  die  Stimme  aus  der 
Tiefe  ertönte.  Ob  aber  die  Königin  ein  solches  Wissen  vor 
ihrem  Mann  hätte  verbergen  können,  mag  bezweifelt  werden. 


—    43     — 

Was  wäre  die  Folge  gewesen?  Der  König  wäre,  sobald  er 
sich  entdeckt  gesehen,  gegen  Hamlet  mit  offener  Gewalt  vor- 
gegangen, und  die  Rache  wäre  für  immer  vereitelt  worden. 
Das  Erscheinen  des  Geistes  aber  beseitigt  diese  Gefahr  und 
ruft  Hamlet  nachdrücklich  seine  Pflichten  ins  Gedächtnis  zurück. 

Das  wiederholte  Eingreifen  des  Geistes  in  die  Handlung 
bedeutet,  in  kurzen  Worten  charakterisiert,  ein  den  Verlauf 
der  Rachehandlung  accelerierendes  Moment.  Denn 
erstens  unterstützt  der  Geist  den  Helden  aus  der  Tiefe,  als 
dieser  sich  der  Verschwiegenheit  seiner  Freunde  versichern 
will,  um  im  Interesse  der  zu  erfüllenden  Aufgabe  das  Be- 
kanntwerden der  Geisteserscheinung  zu  verhindern.  Zweitens 
will  der  Geist  den  abgestumpften  Vorsatz  des  Helden  schärfen 
und  die  die  Vollstreckung  der  Rache  hemmenden  Umstände 
beseitigen. 

Wenden  wir  uns  jetzt  den  Gegenspielern  zu.  Der  König 
hielt  schon  nach  dem  von  ihm  belauschten  Gespräch  Hamlet's 
mit  Ophelia  seines  Neffen  Anwesenheit  am  Hofe  für  gefährlich 
und  beschloß  infolgedessen,  Hamlet  zur  Einforderung  des 
schuldigen  Tributes  nach  England  zu  schicken.  Das  Schau- 
spiel, der  Tod  des  Polonius  zeigen  ihm  aber,  wessen  er  sich 
von  Hamlet  zu  versehen  hat,  und  er  ist  gewillt,  dem  drohenden 
Schlag  vorzubeugen.  Der  König  übergibt  den  Begleitern 
seines  Neffen  ein  Schreiben  an  den  König  von  England,  das 
ihn,  wie  er  hofft,  für  immer  einer  schweren  Sorge  überheben 
soll.     Zugleich  verlangt  er  Hamlet's  sofortige  Abreise. 

Wie  Hamlet  auf  der  Fahrt  nach  England  entkommt, 
wie  er  zurückkehrt,  ist  hier  überflüssig,  des  genaueren  zu  er- 
örtern. Der  König,  der  seinen  Anschlag  mißlungen  sieht, 
ersinnt  einen  neuen,  der  wohl  Hamlet's  Tod,  aber  auch  sein 
eigenes  Verderben  herbeiführt.  Denn  in  dem  fingierten  Wett- 
kampf mit  Laertes  ersticht  Hamlet  den  König  mit  dem  ver- 
gifteten Rapier.  So  erfüllt  der  Held  endlich  das  Gebot  des 
Geistes. 

Die  Bedeutung  des  Geistes  in  ^IlamM^  liegt  darin, 
daß  er  im  Gegensatz  zu  den  bisherigen  Geistern  hervor- 
ragenden Anteil  an  der  Handlung  nimmt:  der  Geist  veran- 
laßt durch  seine  Offenbarung  den  Entschluß  des  Helden,  von 


—    44    — 

dem  der  ganze  Verlauf  der  HaDdlung  abbäugt  und  greift,  als 
der  Held  durch  seine  Untätigkeit  und  Unbedachtsamkeit  die 
Möglichkeit  der  Rache  gefährdet,  von  neuem  fördernd  in  den 
Gang  der  Handlung  ein.  Aus  der  ^^theatralischen  Puppe'''  ist 
eine  organische  Kerugestalt  geworden.  In  markanten  Worten 
kennzeichnet  Symonds^)  den  Unterschied  zwischen  Shak* 
s  p  e  r  e '  s  Geistern  und  denen  seiner  Vorgänger :  "/»  his  hands 
the  Ohost  was  no  longer  a  phanto^n  roaminy  in  tJie  cold,  evoked 
froni  Erebus  to  hovcr  round  the  aciors  in  a  tragedy,  but  a  spirit 
of  like  iniellectual  subsiance  with  those  aciors^  a  jmrcel  of  the  uni- 
verse,  in  ivhich  all  live  and  move  aml  have  their  being.^^ 

Der  Geist  in  ''^ HamleC^  ist  endlich  eine  echt  volkstümliche 
Figur,  denn  er  illustriert  viele  von  den  Vorstellungen,  welche 
sich  der  Volksglaube  von  diesen  überirdischen  Wesen  gebildet 
hatte:  so  hielt  man  allgemein  die  Mittemachtsstunde  für  die 
Zeit,  in  der  Geister  umzugehen  pflegen.  Wiederholt  wird  in 
unserem  Drama  betont,  daß  der  Geist  des  alten  Hamlet  in 
der  Mitternachtsstunde  erscheint.  Ferner  glaubte  man,  daß 
Geister  in  der  nämlichen  Kleidung  erscheinen,  die  sie  zu 
Lebzeiten  gewöhnlich  trugen.  Als  Horatio  dem  Hamlet  er- 
zählt, wie  der  Geist  dem  Marcellus  und  Bernardo  auf  der 
Wache  erschienen  sei,  sagt  er: 

".4  lifjure  likr  your  father^ 
Ar  med  nt  pointy  cxarily^  cap-a-pe, 
Ajtprars  hrfore  thcnif  and  witk  solcmn  march 
Goes  slow  and  statrly  by  thenir  (I,  2  S.  312.) 

Und  als  der  Geist  wieder  erscheint,  spricht  ihn  Hamlet 
folgendermaßen  an: 

'^JVhat  niay  ihis  ntran, 
That  thoUy  drad  cnrse,  aytiin,  in  cumphte  s(ecl, 
7iV  r/,v/r.s7  tJiffs  the  fjlinfp.sps  of  ihe  nioon, 
Mnkiwj  niyUi  hhhousr  (I,  4  S.  322.) 

Bei  Shakspere  finden  sich  wiederholt  Anspielungen 
auf  den  alten  Aberglauben,  der  besagt,  daß  gewisse  Personen 
die    Macht    hätten,    Geister    zu    beschwören.      Gelehrsamkeit 


J;  Symonds,  I.  c,  S.  240. 


—    46     — 

wurde  als  die  coud'äio  sine  qua  non  für  den  Beschwörer  be- 
trachtet. So  sagt  Marcellus  zu  Horatio  mit  Beziehung  auf 
den  Geist: 

^^Thou  ari  a  scholar ;  speak  io  it,  Iloi'atio,^^ 

(1,  1  S.  300.) 
Geister  sind  selten  mehr  als  einer  Person  sichtbar,  auch 
wenn   mehrere   anwesend   sind.     Wir  erinnern  uns,   daß  im 
IIL  Akt,  als  der  Geist  dem  jungen  Hamlet  in  Gegenwart  der 
Königin  erscheint,  diese  den  Geist  weder  sieht  noch  hört. 

Geister,  hieß  es,  beobachten  ein  hartnäckiges  Schweigen, 
bis  sie  von  der  Person  angesprochen  werden,  der  ihr  Er- 
scheinen gilt.  Daher  fragt  Hamlet  den  Horatio  mit  Beziehung 
auf  den  Geist:  ^^Did  you  not  speak  to  it?^\  worauf  Horatio 
erwidert : 

"J///  lord,  I  did; 
But  answer  made  it  nouc ;  yrd  oncc,  methought, 
It  Uff  cd  up  its  head  and  did  address 
Itself  to  viotion,  like  as  it  wonld  speak.^^ 

(I,  2  S.  312.) 
Allgemein  war  man  überzeugt,  daß  die  Geister  besondere 
Beweggründe  haben,  wenn  sie  das  Reich  der  Toten  verlassen, 
so  z.  B.  um  einen  Mörder  der  verdienten  Strafe  zu  überliefern 
usw.    Daher  beschwört  Horatio  den  Geist: 
''If  there  he  any  good  ihing  to  he  done, 
That  may  to  Üiee  do  ease,  and  grace  to  wie, 
S2)eak  io  mr." 
Aus  einer  Stelle  in  unserem  Drama  kann  man  entnehmen, 
daß  das  Umgehen  von  Geistern  oft  auf  dem  Weg  der  Strafe 
Terhängt  wurde.    Denn  der  Geist  sagt  zu  Hamlet: 
"/  am  thy  father^s  spint ; 
Doom'd  for  a  cerfain  ferm  to  walk  ihe  night, 
And  for  (he  day  confin^d  io  fast  in  fires, 
Till  ihe  foul  crimes  done  in  ¥ny  days  of  nature 
Are  hurnt  and  purg^d  atvay.^'      (I,  5  S.  324  u.  325.) 
Geister,  sagte  man,  können  das  Tageslicht  nicht  vertragen 
und   verschwinden,   sobald  der  Hahn  den  nahenden   Morgen 
rerktindet.     Der  Geist  Ton  Hamlet's  Vater  sagt: 


—    46 

^^But  soft!  meihinks  I  sce.nt  ifie  morning  air ; 

Brief  let  mc  /ic."  (I.  5  S.  326.) 

Viel  Geltung  hatte  endlich  die  Ansicht,  daß  jemand,  der 
über  den  Platz  ging,  auf  dem  ein  Geist  gesehen  wurde,  dem 
bösartigen  Einfluß  dieses  Geistes  unterworfen  war.  Deshalb 
sagt  Horatio  mit  Beziehung  auf  den  Geist: 

"7^///,  sofif  hehold!  lo,  whei'c  ü  comes  again! 

ril  ci'oss  ü,  though  it  hlast'tm:'  (I,  1  S.  304.) 

Wie  in  '^Grim  the  Collier  of  Croydon^^  und  ^^Ilamler,  so 
bedeutet  in  Chapman's  ^^Bnrnge  of  Bussy  d^Amhois'^  die 
Geisteserscheinung  das  erregendeMoment  der  Handlung. 

10.  Urvenge  of  Bussy  d\Amhois, 

Die  Vorgeschichte  unseres  Dramas  hatChapman  unter 
dem  Titel  ^^ Bussy  d'Amhois'^  ebenfalls  dramatisiert.  Dieselbe 
soll  zur  Erleichterung  des  Verständnisses  in  Kürze  wieder- 
gegeben werden. 

Bussy  d'Ambois  wird  von  Monsieur  an  den  Hof  des 
französischen  Königs  Henri  gezogen.  Monsieur,  der  Bruder 
des  Königs,  trachtet  nach  der  Krone  und  glaubt  in  Bussy 
einen  Mann  gefunden  zu  haben,  der  ihn  in  seinem  Vorhaben 
unterstützen  würde.  -^  Er  sieht  sich  aber  bald  in  seinen 
Voraussetzungen  getäuscht.  Dieser  Umstand  und  der  weitere, 
daß  Bussy  die  Gräfin  Montsurry,  um  deren  Gunst  Monsieur 
vergeblich  sich  beworben  hat,  zu  seiner  Geliebten  macht,  ver- 
wandelt die  beiden  Freunde  in  tödliche  Feinde. 

Das  rücksichtslose  Benehmen  Bussy's  am  Hofe  den 
Damen  wie  den  hohen  Aristokraten  gegenüber  ruft  überall 
Feindschaft  hervor,  insbesondere  auch  bei  dem  Herzog  von 
Guise.  In  Verbindung  mit  dem  Herzog  von  Guise  und 
Monsieur  beschließt  nun  der  betrogene  Graf  Montsurry  Bussy's 
Tod.  Von  ^loutsurry  in  Sicherheit  eingewiegt,  geht  Bussy 
in  sein  Verderben   und   unterliegt   den  Dolchen   der  Mörder. 

In  ''Rcvenge  of  Bussy  dWmhois*^  erscheint  nun  der  Geist 
des  ermordeten  Bussy  seinem  Bruder  Clermont  d'Ambois  und 
fordert  ihn  auf,  seine  Rache  zu  betreiben.  Zugleich  wünscht 
der    Geist    die   Rache    durch  Clermont   allein   vollstreckt  zu 


—    47     — 

sehen.  Bemerkenswert  ist  hier,  daß  der  Dichter  die  Geistes- 
erscheinung dem  Zuschauer  nicht  vor  Augen  führt,  sondern 
in  einem  Dialog  zu  Beginn  des  Stückes  von  ihr  berichten 
läßt.  Da  der  Geist  durch  seine  Racheforderung  einerseits 
in  dem  Helden  den  Entschluß  zur  Rache  hervorruft,  andrer- 
seits den  Beginn  der  steigenden  Handlung  verursacht,  kann 
man  sagen,  daß  er  das  erregende  Moment  der  Handlung 
repräsentiert. 

Clermont  indes  beschließt,  die  Rache  nicht  in  feiger, 
hinterlistiger  Weise  zu  üben,  sondern  schickt  Montsurry  eine 
schriftliche  Herausforderung,  welche  diesem  mit  List,  unter 
Beihilfe  des  Grafen  Renel,  eines  Getreuen  des  d'Ämbois, 
eingehändigt  wird.  Aber  allmählich  gerät  das  Rachewerk 
ins  Stocken,  die  dramatische  Handlung  wird  bis  zur  Vn- 
verständlichkeit  kompliziert,  die  Charaktere  entwickeln  sich 
nicht  in  konsequenter  Weise.  Denn  Clermont  und  sein 
Schwager  Baligny  geraten  in  Feindschaft,  Clermont  tritt  mit 
Guise,  trotzdem  dieser  ein  Mitverschworener  gegen  Bussy 
war,  in  das  freundschaftlichste  Verhältnis.  Guise  entzweit 
sich  mit  dem  Bruder  des  Königs,  der  König  selbst  sinnt  auf 
Guise^s  Verderben. 

Endlich  erträgt  es  Bussy's  Geist  nicht  länger  und  er- 
scheint dem  Clermont  in  Gegenwart  des  Herzogs  von  Guise, 
für  den  er  unsichtbar  bleibt,  und  fordert  dringend  Rache. 
Er  erklärt  zugleich,  daß  er  an  Monsieur  gerächt  sei,  indem 
dieser  während  seines  Aufenthaltes  in  seiner  niederländischen 
Provinz  zugrunde  ging. 

Bussy's  Geist  erscheint  in  einer  weiteren  Szene  dem 
Grafen  Renel  sowie  den  Damen  Charlotte,  Baligny's  Gattin, 
und  Tamyra,  der  Gräfin  von  Montsurry.  Tamyra,  seine  ehe- 
mahge  Geliebte,  will  ihn  küssen,  was  aber  der  Geist  mit  fol- 
genden Worten  abwehrt: 

^^Fbrhfnrc,      The.  (njrr,  in  ichirli 
My  figures  llhicsse  i.s  imprcst,  will  hhtst, 
Lef  my  renentje  for  all  loucs  saiisße. 
In  which  (damc)  fiarc  not,   Clermont  shnll  not  dye\ 
No  icord  diqmtc  inorCj  r/?,  and  see  iKcncnty 

(Pearson,  V,  1  S.  172.) 


-     48     — 

Daon  wendet  sich  der  Geist  an  Renel  und  fordert  ihn 
auf,  die  Türen  zu  schließen,  wenn  Montsurry  eingetreten  sei, 
damit  er  nicht  entwischen  könne. 

Das  Wiederholen  der  Racheforderung  von  Seiten  des 
Geistes,  welches  hezweckt,  das  ins  Stocken  geratene  Rache- 
werk wieder  in  Fluß  zu  hringen,  sowie  die  Anweisung,  welche 
der  Geist  hier  gibt,  um  den  Mörder  möglichst  bald  und  sicher 
zur  Rechenschaft  zu  ziehen,  enthalten  für  das  Fortschreiten 
der  Handlung  ein  accelerierendes  Moment. 

In  einem  kurzen  Monolog  endlich,  den  der  Geist  nach 
dem  Weggang  der  Damen  und  des  Grafen  Renel  spricht,  be- 
reitet er  uns  auf  die  Katastrophe  vor: 

^^The  blacke  soß-fooied  houre  is  now  on  iving, 
Wh  ich  for  my  just  wreake,   Ghosts  shall  celcbi'atef 
With  dnnces  dire^  and  of  inferuall  siedet 

(V,  1  S.  172.) 

Bevor  aber  die  Rache  an  Montsurry  vollzogen  wird,  fallt 
Guise  durch  die  Mörder  des  Königs,  der  ihn  wegen  seiner 
Macht  schon  längst  dem  Tode  geweiht  hatte.  Erst  nach 
dessen  Untergang  kommt  die  Reihe  an  Montsurry,  der  von 
Clermont  zum  Zweikampf  gezwungen  wird  und  darin  fallt 
Die  Rache  ist  damit  vollstreckt,  und  jetzt  treten  die  Geister 
aller  im  Stück  Erschlagenen  nebst  Bussy  d'Ambois*  Geist 
auf  und  tanzen  unter  Musik  um  den  Leichnam  des  Montsuny 
herum. 

Auch  der  Geist  Bussy's  illustriert  einige  von  den  Tor- 
stellungen,  welche   der  Volksglaube  von  den  Geistern  hatte. 

So  dachte  man  sich  die  Geister  in  der  Regel  als  schatten- 
hafte, wesenlose  Gestalten.  Als  die  Gräfin  Montsurry  den  Geist 
Bussy's   küssen  will,   verwehrt  es  dieser  mit  den  Worten: 

*'Forbearc.     Tfie  aip-e^  in  which 
My  figures  Uknesse  is  imjyrest,  will  blast" 

(V,  1  S.  172.) 

Wie  schon  erwähnt,  war  man  der  Meinung,  daß  ein 
Geist  selten  mehr  als  einer  Pereon  sichtbar  sei,  auch  wenn 
mehrere  Personen    anwesend  seien.     Als  der  Geist  Bussy's 


—    49     — 

seinem  Bruder  Clermont  in  Gegenwart  des  Herzogs  von  Guise 
erscheint^  bleibt  er  für  letzteren  unsichtbar. 

Seneca's  Einfluß  bekundet  sich  vor  allem  in  der 
Charakteranlage  des  Haupthelden  Clermont^  von  dem  Ward 
folgende  prägnante  Schilderung  entwirft:  ^^He  is  a  ^Seneoal 
man'y  a  philosopher  who  contemns  the  minions  by  whom  he  is 
sunoufuled.  Yet  he  is  not  the  less  bravey  because  he  can  ^contain^ 
his  *fire,  as  hid  in  emb€rs\  He  adheres  with  loyal  fidüity  to  his 
patron  Giiise,  after  wliose  death  he  cofnmits  suicide  in  the  spirU 
of  a  true  Stoic.''^^)  —  Ganz  besonders  aber  läßt  die  Sprache 
Chapman's  auf  ein  eingehendes  Studium  des  römischen 
Tragödiendichters  schließen.  Seneca's  rhetorische  Weit- 
schweifigkeit, seine  Neigung  zu  philosophischen  Eeflezion^d, 
Bildern  und  Gleichnissen,  das  alles  findet  sich  in  unserem 
Drama  in  reicher  Fülle. 

11.  Macbeth. 

Das  einzige  Drama,  in  dem  der  Geist  dazu  di^t,  den 
höchsten  Punkt  der  steigenden  Handlung  mächtig  herauszu- 
heben, ist  Shakspere's  ^Mad>eth'\  Zugleich  symbolisiert 
der  Geist  die  Gewissensqualen  des  Mörders. 

Die  Tor  dem  Höhepunkt  liegenden  Ereignisse  werden  als 
bekannt  vorausgesetzt. 

Macbeth  hat  dasi  Ziel  seiner  Wünsche  erreicht:  in  Scone 
wird  er  zum  König  gekrönt.  Aber  jetzt  beängstigt  ihn  jene 
Weissagung,  welche  die  drei  Schicksalsschwestern  Banquo 
gegeben  haben,  und  alsbald  ist  sein  Entschluß  gefaßt.  Für 
Banquo's  Stamm  will  er  sein  Herz  nicht  befleckt  haben. 
Mit  heuchlerischer  Freundlichkeit  bittet  er  Banquo,  am  Abend 
bei  dem  festlichen  Krönungsmahle  sein  Gast  zu  sein.  Der 
Arglose  ahnt  nicht,  daß  seine  letzte  Stunde  nahe  ist. 

Der  gesamte  Adel  des  Landes  hat  sich  im  Prunksaale  des 
Schlosses  versammelt,  um  die  Krönung  des  Königs  festlich 
zu  begehen.  Bevor  Macbeth  seine  Gäste  willkommen  heißt, 
bringt  ihm  einer  der  gedungenen  Mörder  die  Nachricht,  daß 
Banquo  sein  Leben  ausgehaucht  habe.    Dagegen  sei  dessen 

»)  Ward  II,  S.  420. 
Münchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.   XXXV.      4 


—     50    — 

Sohn  Fleance  entkommen.  Der  letztere  Umstand  ist  zwar  ein 
Wermutstropfen  in  seinen  Freudenbecher,  aber  Macbeth  ist 
einstweilen  mit  dem  Erreichten  zufrieden.  Als  liebenswürdiger 
Wirt  begrüßt  er  seine  Gäste,  bedauert,  daß  Banquo  noch 
nicht  eingetroffen  ist,  indem  er  zugleich  die  heuchlerische 
Versicherung  gibt,  daß  er  lieber  Unhöf lichkeit  von  dem  Freund 
voraussetzen  als  wegen  eines  Unfalles  ihn  bedauern  möchte. 
Eben  will  sich  Macbeth  selbst  an  der  Tafel  niederlassen,  da 
erblickt  er  etwas,  was  ihm  das  Blut  in  den  Adern  erstarren 
macht:  sein  Stuhl  ist  von  Banquo's  Geist  besetzt.  Das  Be- 
nehmen des  Königs,  der  bleichen  und  verstörten  Antlitzes 
auf  seinen  Platz  stiert,  erregt  bei  seinen  Gästen  das  größte 
Befremden.  Ross,  ein  Höfling,  fordert  diese  auf,  sich  zu 
erheben,  da  dem  König  nicht  wohl  sei.  Doch  dem  wider- 
spricht Lady  Macbeth.  Sie  sollten  den  König  nicht  beachten, 
das  sei  nur  ein  augenblicklicher  Anfall,  der  schnell  wieder 
vorübergehe.  Lady  Macbeth  glaubt  ihrerseits  den  König  von 
plötzlichen  Gewissensbissen  gepeinigt  und  ergießt  ob  dieser 
unmännlichen  Furcht  die  ganze  Schale  ihres  Spottes  über  den 
Gemahl.  Endlich  wird  Macbeth  von  seinem  Peiniger  erlöst; 
der  Geist  verschwindet.  Daß  Verstorbene  von  den  Gräbern 
erstehen  **with  iwcniij  mortal  murders  on  Hieir  erowns",  düukt 
dem  König  seltsam  und  unerhört.  In  seinem  Selbstgespräch 
wird  er  von  Lady  Macbeth  unterbrochen,  welche  ihn  an  seine 
Pflicht  als  Gastgeber  erinnert: 

^My  worthy  lord, 
Your  noble  friends  do  lack  you.^^         (IH?  4?  83  f.) 

Indem  der  König  den  Gästen  gegenüber  sein  Benehmen 
mit  einem  alten  Leiden  entschuldigt,  ergreift  er  den  vollen 
Becher,  um  auf  das  Wohl  aller  Anwesenden,  sowie  seines 
Freundes  Banquo  zu  trinken.  Aber  gleichsam  als  hätte 
Macbeth  den  Geist  des  Erschlagenen  beschworen,  erscheint 
derselbe  zum  zweiten  Mal  inmitten  der  Versammlung. 

^^Avauni!  and  quit  my  sight!  let  the  earth  hide  theel^^ 
ruft  Macbeth  voll  Entsetzen  dem  Gespenst  zu.     Wie  nieder- 
schmetternd der  Eindruck  ist,   den  der  Anblick  dieses  gräß- 
lichen  Schattens   bei   dem   sonst  so   unerschrockenen   König 


—     51     — 

hervorbrmgt,  zeigen  am  besten  die  Worte,  die  er  an  den  Geist 

richtet : 

"  What  man  dare,  I  dare : 

Approach  ihou  like  the  rugged  Russian  bear, 
The  arm'd  rhbioceros,  or  the  Hyrcan  tiger; 
Take  nny  shape  bul  thaf,  and  my  firm  nerres 
Shall  mvef'  trembkr  (III,  4,  99flF.) 

Mit  der  Krönung  Macbeth's  zum  König  sind  wir  auf 
dem  Höhepunkt  der  dramatischen  Entwicklung  angelangt, 
der  in  dem  festlichen  Krönungsmahle  lebendig  veranschaulicht 
wird.  Dem  Dichter  aber  genügt  diese  Hervorhebung  des 
Höhepunktes  noch  nicht.  Jetzt,  nachdem  Macbeth  das  heiß- 
erstrebte Ziel  erreicht  hat,  ringt  sich  das  mit  Verbrechen  be- 
lastete Gewissen  zu  einem  qualvollen  Aufschrei  durch,  was  in 
der  durch  den  Anblick  des  Geistes  verursachten  Gemütd- 
erschütterung  seinen  ergreifenden  Ausdruck  findet.  Die  dra- 
matische Wirkung  dieser  Szene  charakterisiert  Frey  tag 
treffend:  „Do«  Ringen  mit  dem  Geist  und  die  fürchterlichen  Ge- 
wissenskämpfe des  Mörders  sind  in  der  unruhigen  Szene,  xu  welcher 
die  festliclie  Geseilscfiaft  und  der  Königsglanz  den  wirksamsten 
Kontrast  bilden^  mit  eitier  Wahrheit  und  wilden  Poesie  geschildert, 
bei  der  das  Herz  des  Hörers  erbebt.*' 

Aber  die  Geisteserscheinung  dient  nicht  nur  dazu,  die 
dramatische  Wirkung  der  Höhepunktszene  zu  verstärken,  sie 
bedeutet  auch  ein  den  weiteren  Verlauf  der  Handlung  ac- 
celerierendes  Moment.  Denn  abgesehen  davim,  daß 
der  leidende  Gemütszustand  des  Königs  die  sofortige  Auf- 
hebung des  Krönungsmables  erheischt,  eilt  Macbeth,  durch 
die  Geisteserscheinuug  in  hohem  Grad  über  seine  Zukunft 
beunruhigt,  am  nächsten  Morgen  wiederum  zu  den  Schicksals- 
schwestern, wo  er  die  zweite  verhängnisvolle  Weissagung  er- 
hält, die  ihn  auch  fernerhin  den  blutigen  Pfad  des  Verbrechens 
verfolgen  heißt,  bis  ihn  eben  dieser  Weissagung  zufolge  in 
Macduff  die  rächende  Nemesis  erreicht. 

Die  Kaltblütigkeit,  die  verzweifelte  Tapferkeit,  mit  der 
Macbeth  dem  Tod  ins  Auge  schaut,  erinnert  natürlich  an  die 


»)  ITreytag,  1.  c,  S.  112. 


—     52    — 

Todesverachtung,  welche  die  Senec ansehen  Charaktere  aus- 
zeichnet. 

Der  „Geist"  verursacht  den  Beginn  der  fallenden 
Handlung  in  ^^Second  Maiden* s  T)agedj/\  ^^ Antonio  and  Mel- 
lida'%  ''The   White  DeviV\ 

12.  ''The  Sccond  Maiden' s  Tragedy:' 

Ein  Tyrann  hat  den  rechtmäßigen  König  Grovianus  des 
Thrones  beraubt.  Überdies  sucht  der  Tyrann  noch  die  Braut 
von  Govianus  zu  seinem  Weibe  zu  machen.  Allein  die  "Lad^'" 
erklärt  auf  das  Bestimmteste,  daß  sie  nie  einen  anderen  lieben 
werde  als  Govianus.  Da  der  Tyrann  die  "L<m^"  nicht  zur 
Heirat  mit  ihm  bestimmen  kann,  will  er  sie  wenigstens  zu 
seiner  Geliebten  machen.  Er  schickt  schließlich  einen  Edel- 
mann, Sophonirus,  zu  ihr  mit  dem  Auftrag,  sie  mit  Gewalt 
ztl  ihm  zu  bringen,  wenn  sie  nicht  gutwillig  auf  diesen  Plan 
des  Tyrannen  eingehen  sollte.  Sophonirus  wird  von  Govianus 
erschlagen.  Aber  angesichts  des  gewalttätigen  Vorgehens  des 
Tyrannen  glaubt  die  "iMd^f  ihre  Ehre  nur  durch  den  Tod  retten 
zu  können  und  begeht  Selbstmord. 

Als  der  Tyrann  hiervon  Kenntnis  erhält,  ist  er  außer 
sich  vor  Kummer  und  Wut.  Er  läßt  das  Grab  der  "Ladif 
öffnen  und  den  Leichnam  in  seinen  Palast  bringen.  Hier 
schmückt  er  die  Tote  mit  den  kostbarsten  Kleidern  und 
Juwelen  und  gibt  ihr  die  Beweise  der  zärtlichsten  Liebe. 

Mittlerweile  besucht  Govianus  das  Grab  der  "Lady'\  Da 
erscheint  ihr  Geist  und  erzählt  Govianus,  daß  der  Tyrann 
die  Ruhe  der  Toten  gestört  habe  und  daß  er  dem  Leichnam 
die  überschwänglichsten  Zärtlichkeiten  erweise.  Ja,  um  auf 
dem  bleichen  Antlitz  wieder  den  Anschein  des  Lebens  hervor- 
zurufen, wolle  er  es  von  kunstvoller  Hand  bemalen  lassen. 
Mit  der  Bitte,  der  Toten  die  Ruhe  wiederzugeben,  verschwindet 
der  Geist.  Govianus  ist  entschlossen,  dieser  Bitte  zu  will- 
fahren und  den  unerhörten  Frevel  an  dem  Tyrannen  zu  rächen. 

Die  Grabesschäudung  der  "Lady'*  von  selten  des  Ty- 
rannen ist  der  Höhepunkt  des  Dramas,  zugleich  der  Höhe- 
punkt in  der  verbrecherischen  Laufbahn  des  Tyrannen.  Jetzt 
beginnt   der  Umschwung  oder  die  fallende  Handlung, 


—    53     — 

welche  durch  die  Geisteserscheinung  in  Bewegung  gesetzt 
wird.  Denn  die  Worte  des  Geistes  bewirken  in  Govianus 
den  Entschluß  zur  Rache,  von  welchem  die  folgende  Handlung 
abhängt. 

Govianus  gelingt  es,  in  einer  Verkleidung  vor  den  Ty- 
rannen zu  gelangen,  angeblich  um  das  Gesicht  der  "Larf?/"  zu 
bemalen.  Er  bemalt  es  wirklich,  aber  mit  tödlichem  Gift. 
Seiner  Gewohnheit  gemäß  küßt  der  Tyrann  das  Gesicht  der 
verstorbenen  *^La(hf\  Da  wirft  Govianus  seine  Verkleidung 
ab  und  eröffnet  dem  Tyrannen,  daß  er  vergiftet  sei  und  daß 
der  Geist  der  ^^Lady*^  ihm  die  Rache  anbefohlen  habe.  Jetzt 
erscheint  dieser  zum  zweiten  Male  und  lobt  Govianus  für 
seine  Tat. 

Govianus  wird  wieder  zum  König  ausgerufen.  In  feier- 
licher Prozession,  welcher  auch  der  Geist  folgt,  läßt  Govianus 
den  Leichnam  der  "Lar///"  an  seine  Ruhestätte  zurückbringen. 

Wie  ein  alter  Volksglaube  besagte,  wurde  das  Kommen 
eines  Geistes  durch  gewaltiges  Getöse  angekündigt:  ^The 
Coming  of  a  Spirit  is  annoKticed  sofiie  time  hefore  its  appearance 
hy  a  vmneiy  of  loud  and  dreadfid  noises.^^  ^)  Hören  wir,  wie  die 
Ankunft  des  Geistes  in  unserem  Drama  gemeldet  wird:  ^On 
a  sudden,  in  a  kind  of  noisr  like  a  wind,  thc  doors  claitering,  fke 
iomhstone  flies  open^  and  a  great  light  appears  in  thc  midst  of  ihe 
tomb ;  his  lady  as  ivent  out,  stand ing  befare  him  all  in  white, 
stuck  with  jciidsj  and  a  great  nucißj'  on  her  bieasf,^^ 

(Dodsley-Hazlitt,  Bd.  X,  IV,  4.) 

13.  Antonio  and  2[eUida  von  Mars  ton. 

Die  Herzöge  von  Venedig  und  Genua,  Piero  Sforza  und 
Andrugio,  hegen  tiefen,  unaussprechlichen  Haß  gegeneinander. 
Im  Gegensatz  zu  ihren  Vätern  sind  Antonio  und  Mellida  in 
herzlicher  Liebe  einander  zugetan.  Xach  vielen  Wechsel- 
fällen gelingt  es  Andrugio  und  seinem  Sohn  Antonio,  mit 
Hilfe  einer  List  von  Sforza  die  Einwilligung  in  die  Heirat 
seiner  Tochter  ilellida  mit  Antonio  zu  erzwingen.     Die  Ver- 


»)  Brand,  J.  c.  II,  S.  423. 


—     54    — 

mählung  der  beiden  Liebenden  wird  gefeiert.  —  Das  ist  in 
kurzen  Worten  der  Inhalt  des  1.  Teiles  von  ^Antonio  and 
MelUda'\  dessen  Kenntnis  notwendig  ist  zum  Verständnis  des 
2.  Teiles,  auch  betitelt:  ^Antonid's  Bevnige^'. 

Schon  der  nächste  Morgen  soll  Zeuge  schauerlicher  Ver- 
brechen sein.  Am  Abend  des  Hochzeitstages  hat  nämlich 
Piero  Sforza  dem  Becher  Andrugio's  Gift  beigemischt,  das 
in  der  Nacht  Andrugio's  Tod  herbeiführt.  In  der  gleichen 
Nacht  hat  Sforza's  Helfershelfer,  Strotzo,  den  Venetianer 
Feliche,  Antonio's  Freund,  erdolcht.  Mit  schmählicher  Lüge 
sucht  der  Herzog  diese  dunkle  Tat  zu  rechtfertigen.  Er  selbst, 
Sforza,  habe  diesem  ehebrecherischen  Buben  das  Leben  ge- 
nommen, da  er  mit  seiner  Tochter  Mellida  auf  offener  Tat 
ertappt  worden  sei.  Während  der  Herzog  noch  spricht, 
kommt  Strotzo  und  bringt  die  Nachricht,  daß  die  Freude  über 
den   unerwarteten  Glücksumschwung  Andrugio   getötet   habe. 

Auf  die  Meldung  von  der  Versöhnung  der  beiden  Her- 
zöge ist  Andrugio's  Gemahlin,  Maria  von  Ferrara,  an  Sforza's 
Hof  gekommen,  um  ihren  Gatten  nach  langer  Trennung 
wiederzusehen.  In  Anbetracht  der  politischen  Vorteile,  auch 
infolge  der  alten,  wiedererwachten  Liebe  trägt  sich  Sforza 
mit  dem  Gedanken,  die  schöne  Witwe  zu  heiraten,  um  deren 
Gunst  er  sich  einst  vergeblich  beworben  hatte,  was  ja  als 
die  Wurzel  der  Feindschaft  zwischen  Sforza  und  Andrugio 
anzusehen  ist.  Um  aber  diesen  Plan  verwirklichen  zu  können, 
muß  Antonio  vernichtet  werden.  Mellida  wird  wegen  des  an- 
geblichen Ehebruchs  von  ihrem  Vater  vor  ein  Gericht  gestellt. 
Als  Hauptbelastungszeuge  soll  Strotzo  auftreten  und  aussagen, 
er  habe,  von  Antonio  bestochen,  Mellida  bei  ihrem  Vater 
verleumdet,  geradeso  wie  er  den  alten  Andrugio  auf  Betreiben 
Antonio's  umgebracht  habe. 

Doch  über  Piero's  Haupt  zieht  sich  ein  drohendes  Ge- 
witter zusammen.  Als  Antonio  zu  nächtlicher  Stunde  am 
Grabe  seines  Vaters  betet,  erscheint  ihm  der  Geist  Andrugio's, 
enthüllt  ihm,  daß  er  durch  Sforza  vergiftet  worden  sei,  und 
fordert  ihn  zur  Rache  auf: 

"/  was  empoisond  hy  Püro^s  hand, 

hWenrje  my  hloodr         (Bullen,  Bd.  1,  lU,  1.  S.  144.) 


—    65    — 

Auch  bestärkt  der  Geist  Antonio  in  seiner  Überzeugung 
von  der  Unschuld  Mellida's.  Endlich  macht  der  Geist  die 
betrübende  Mitteilung,  daß  Antonio's  Mutter  Maria  gesonnen 
sei;  mit'  dem  Herzog  Sforza  in  die  Ehe  zu  treten,  einem 
Manne,  der  sie  des  Gatten  beraubt  habe  und  danach  trachte, 
sie  auch  ihres  Sohnes  zu  berauben.  Der  Geist  kündigt  des- 
halb seinen  Besuch  bei  seiner  ehemaligen  Gattin  an.  Indenoi 
er  seinem  Sohne  nochmals  die  Bachepflicht  auf  die  Seele 
bindet  {Inrent  sonie  siraiagem  of  vengeance)  und  ihn  mit  einem 
Sene  ca 'sehen  Verse  ^)  zur  Energie  aufmuntert,  verschwindet  er. 

Die  Geisteserscheinung  bezeichnet  einen  Wendepunkt  im 
Gang  der  Handlung.  Das  Spiel  oder  die  Aktion,  deren  Seele 
Sforza  ist,  treibt  die  Handlung  l.is  zu  einer  gewissen  Höhe 
(Ermordung  Andrugio's  und  Peliche's,  Sforza's  Plan  zur  Ver- 
nichtung Antonio's).  Antonio,  der  Repräsentant  des  Gegen- 
spieles oder  der  Reaktion,  scheint  jdurch  Sforza's  Pläne  dem 
Untergang  geweiht.  Da  erscheint  der  Geist  und  ruft  durch 
seine  Mitteilung  in  Antonio  den  Entschluß  zur  Rache  hervor, 
von  dem  die  ganze  folgende  Handlung  abhängt.  Die  Offen- 
barung des  Geistes  verursacht  also  den  Beginn  der  fallenden 
Handlung. 

Der  Geist  greift  aber  auch  fernerhin  in  den  Gang  der 
Handlung  ein,  geht  umher  „wie  ein  TJieaterregisseur,  der  nach' 
sieht,  ob  alles  in  Ordnung  ist^*  -)  und  bereitet  uns  endlich  auf 
die  Katastrophe  vor. 

Dem  Gebot  des  Geistes  gemäß  beginnt  Antonio  die  Rache, 
indem  er  Piero's  Söhnlein  Julio  am  Grabe  seines  Vaters  hin- 
schlachtet. Rührend  ist  die  Bitte  des  unschuldigen  Kindes, 
es  um  seiner  Schwester  willen  zu  schonen.  Und  fast  scheint 
es,  als  ob  Antonio  der  Regung  eines  edleren  Gefühles  nach- 
geben wolle.  Wenigstens  seine  Worte:  **0,  for  thy  sisier's 
sake,  I  flog  revenge^^  (lU,  1  S.  150)  lassen  dies  vermuten. 
Aber  da  ertönt  aus  der  Tiefe  die  Stimme  des  Geistes:  ^^Jie- 
%'€nge^\  gleich  als  ob  Andrugio  seinen  Sohn  hätte  warnen  wollen, 
einer  plötzlichen  Anwandlung  von  Mitleid  zu  unterliegen.     In 


*)  ^Scele^-a  non  ulcisceris,  nisi  innm"  (Thyeitea  196 — 96). 
«)  Cf.  Shakespeare-Jahrbuch  33,  S.  99. 


—     56     — 

der  Tat,  Antonio  bleibt  bei  seinem  ursprünglichen  Entschlüsse, 
und  der  bedauernswerte  Julio  muß  sterben,  weil  Piero's  Blut 
in  seinen  Adern  fließt. 

Wie  Andrugio's  Geist  vorhergesagt  hat,  erscheint  er  auch 
seiner  einstigen  G-emahlin  Maria.  Diese,  im  Begriff  sich  zur 
Ruhe  zu  begeben,  findet  den  Geist  ihres  Mannes  auf  ihrem 
Bette  sitzend.  Mit  strengen  Worten  macht  der  erzürnte  Geist 
der  Erstaunten  Vorhalt  wegen  ihres  lieblosen  Entschlusses, 
Sforza  zu  heiraten.     Doch  ruft  er  ihr  zu: 

"i  pardon  iheey  poor  soul !  0  sfied  no  iears ; 

Thy  sex  is  weakJ'  (III,  2  S.  164  und  165.) 

Des  weiteren  unterrichtet  er  sie  von  dem  gewaltsamen 
Ende,  das  er  durch  Sforza  gefunden  hat,  und  bittet  sie,  sich  mit 
ihrem  Sohn  gegen  den  Herzog  zu  verbinden.  Des  letzteren 
Liebeswerben  solle  sie  scheinbar  begünstigen,  bis  der  richtige 
Zeitpunkt  für  die  Rache  gekommen  sei.  Kaum  hat  der  Geist 
ausgesprochen,  als  Antonio  hereintritt,  den  von  Julio's  Blut 
befleckten  Dolch  in  der  Hand.  An  Antonio  richtet  nun 
der  Geist  die  Mahnung,  eine  Verkleidung  anzulegen,  um  so 
besser  an  Sforza's  Hofe  eine  Gelegenheit  zur  Rache  wahrzu- 
nehmen. 

Wie  wir  sehen,  begnügt  sich  der  Geist  nicht,  in  dem 
Helden  den  Entschluß  zur  Rache  wachzurufen,  er  hält  noch 
ein  weiteres  Eingreifen  in  die  Handlung  für  notwendig.  Denn 
erstens  läßt  er  aus  der  Tiefe  den  Ruf  "7?-ßrcn^e"  ertönen, 
um  Antonio  zur  Grausamkeit  gegen  die  Familie  seines 
Mörders  aufzustacheln  und  ihn  so  in  dem  Entschlüsse  zur 
Rache  zu  bestärken.  Zweitens  fordert  er  seine  Gemahlin 
Maria  auf,  sich  mit  ihrem  Sohne  gegen  Sforza  zu  verbinden. 
Endlich  gibt  er  seinem  Sohne  Anweisungen,  welche  die  Voll- 
führung  der  Rache  erleichtern  sollen.  Alle  diese  Bemühungen 
des  Geistes  zielen  natürlich  auf  eine  Förderung,  bzw.  Be- 
schleunigung der  Rache  ab,  mit  anderen  Worten,  in  dem  wieder- 
holten Erscheinen  des  Geistes  haben  wir  ein  accele- 
rierendes  Moment  zu  erblicken. 

Eingedenk  der  Worte  des  Geistes  verkleidet  sich  Antonio 
als  Narr,  um  besser  dem  Rachewerk  dienen  zu  können. 

An   dem   nun  folgenden  Gerichtstage  wird  Strotzo  nach 


—     67     — 

seiner  lügenhaften  Aussage  von  Piero  Sforza  selbst  erwürgt. 
Gleich  darauf  eilt  Alberto  mit  der  Nachricht  herbei,  Antonio 
habe  sich  in  einem  Anfalle  geistiger  Störung  von  einem  Turme 
in  die  hochgehende  See  gestürzt.  In  Wirklichkeit  wohnt 
Antonio,  mit  dessen  Einverständnis  Alberto  obiges  Gerücht 
verbreitet  hat,  als  Narr  verkleidet  der  Gerichtssitzung  bei. 
Der  unglücklichen  Meilida  bricht  diese  fingierte  Schreckens- 
kunde das  Herz ;  sie  wird  ohnmächtig  hinausgetragen  und  stirbt. 
Den  letzten  Akt  eröffnet  Andrugio's  Geist  mit  einem 
Monologe,  den  er  mit  zwei  Versen  aus  Seneca's  ^Octavia" 
(629—30)  einleitet: 

^Venit  dies  Umpusque  quo  reddai  suis 
Animam  nocentem  scderibits,^^ 

Mit  unwiderstehlicher  Gewalt  drängt  es  den  Geist,   sein 
überströmendes  Gefühl  der  Freude  dem  Publikum  mitzuteilen : 
Endlich  werde  sein  Todfeind  Piero  von  der  gerechten  Strafe 
ereilt  werden.   Eine  Verschwörung  habe  sich  gegen  den  Herzog 
gebildet.     Die   Stände   Venedigs,    von   dem   verbrecherischen 
Treiben   des  Tyrannen  Sforza  in  Kenntnis  gesetzt,   wären  in 
Haß  gegen  ihn  entbrannt  und   könnten   kaum  noch  zurück- 
gehalten werden,  in  offenen  Aufstand  auszubrechen: 
•'O,  Piow  triumphs  my  glwst, 
Exclahning,  Ikaven^s  jiist^  for  I  shall  see 
The  scourge  of  murdei'  and  impieiyy 

(V,  1,  S.  178.) 

Indem  Andrugio's  Geist  uns  von  der  gegen  Sforza  ge- 
bildeten Verschwörung,  sowie  von  dem  drohenden  Aufruhr 
der  Stände  Venedigs  unterrichtet,  weckt  er  in  uns  die  Ahnung 
von  Piero's  nahem  Ende,  bereitet  uns  also  auf  die  Kata- 
strophe vor. 

rngeachtet  des  Todes  seiner  Tochter,  will  Sforza  seine 
Hochzeit  mit  Maria  von  Perrara  nicht  länger  hinausschieben, 
sondern  noch  an  demselben  Tage  feiern.  Das  ist  aber  die 
Gelegenheit,  welche  die  Verschworenen  Antonio,  Pandulfo 
und  Alberto  zur  Durchführung  ihres  Racheplanes  ausersehen 
haben.  Sie  besuchen  maskiert  das  Fest.  Auf  ihre  Bitten 
befiehlt  Herzog  Sforza  allen  Anwesenden,   den  Saal  zu  ver- 


—    58    — 

lassen.  Nun  da  sie  mit  Piero  allein  sind,  überfallen  die  Ver- 
schworenen den  Herzog,  fesseln  ihn  und  reißen  ihm  die  Zange 
aus.  Unter  beißenden  Spottreden  zeigen  sie  ihm  sodann  die 
Leiche  seines  ermordeten  Sohnes  und  stoßen  ihn  schließlich 
mit  ihren  Schwertern  nieder. 

Selbstredend  hat  sich  Andrugio*s  Geist  diesen  herz- 
erquickenden Anblick  nicht  entgehen  lassen,  sondern  wohnt 
diesem  Schauspiel  von  Anfang  bis  zu  Ende  bei  und  weidet 
sich  an  den  Qualen  seines  Opfers. 

Die  Ähnlichkeit,  welche  der  Geist  Andrugio's  mit  dem 
Geist  im  ^Hamlet"  aufweist,  ist  geradezu  auffallend.  In  beiden 
Dramen  erscheint  der  Geist  des  durch  Gift  ermordeten  Vaters 
dem  Sohne,  bewirkt  in  ihm  den  Entschluß  zur  Rache,  von  dem 
die  ganze  folgende  Handlung  abhängt,  und  greift  auch  weiter- 
hin fördernd  in  den  Gang  der  Handlung  ein.  Interessant  ist, 
daß  in  beiden  Dramen  der  Geist  einmal  aus  der  Tiefe  herauf- 
spricht. Ferner  erscheint  der  Geist  einmal  Mutter  und  Sohn, 
allerdings  in  beiden  Dramen  unter  ganz  verschiedenen  Um- 
ständen. 

Die  zahlreichen  lateinischen  Zitate,  denen  man  beim 
Lesen  der  Tragödie  begegnet,  stammen  natürlich  von  Seneca. 
Als  gelehriger  Schüler  des  römischen  Meisters  und  seiner 
Nachahmer  —  außer  ^Havikf*  denke  man  namentlich  an  die 
^Spa?n'sh  Tragedtf^  und  den  ^Titns  Andronicus*^  —  zeigt  sich  der 
Dichter  besonders  in  V,  5;  indem  er  uns  hier  ein  Bild  voll 
entsetzlicher  Greuel  vor  Augen  führt.  Die  Rächer  reißen  dem 
Herzog  Sforza  die  Zunge  aus  und  zeigen  ihm  die  zerstückelte 
Leiche  seines*  Sohnes  in  einer  Schüssel.  Endlich  gemahnt 
die  Sprache  Marston 's  in  dem  rednerischen  Bombast  und 
in  den  philosophischen  Reflexionen  an  Seneca. 

14.  "  The  White  Deril,  or  Vittorm  Cormnbona'^  von  Webster. 

Paulo  Giordano  Ursini,  Herzog  von  Brachiano,  ist  mit 
Isabella,  der  Schwester  des  Herzogs  Franzisco  de  Medicis, 
verheiratet.  Doch  die  Neigung  zu  seiner  Gemahlin  erkaltet 
immer  mehr,  nachdem  Brachiano  die  schöne  Venetianerin 
Vittoria  Corombona,  die  Gattin  des  Camillo,  kennen  gelernt 
hat.    Der  Wunsch,   den  Gegenstand   seiner  glühenden  Liebe 


—     69     — 

ungestört  besitzen  zu  können,  bringt  in  Brachiano  den  ruch- 
losen Plan  zur  Reife,  seine  Gemahlin  sowohl  wie  Vittoria's 
Mann  aus  dem  Wege  zu  räumen.  Mit  der  Ermordung  Isabella's 
beauftragt  Brachiano  einen  gewissenlosen  Arzt.  Camillo  zu 
beseitigen,  erbietet  sich  der  Bruder  Vittoria's,  Flamineo,  eine 
in  jeder  Hinsicht  dem  Herzog  Brachiano  ergebene  Kreatur. 
Kurz  nachdem  diese  Verbrechen  geschehen  sind,  wird 
Vittoria  vor  einen  geistlichen  Gerichtshof  gestellt,  um  sich 
wegen  Ehebruchs  zu  verantworten.  Das  Urteil  des  Gerichts 
geht  dahin,  Vittoria  in  eine  Besserungsanstalt  zu  überführen. 
Auf  die  Nachricht  von  dem  Tod  seiner  Schwester  Isa- 
bella richtet  sich  Pranzisco's  Verdacht  ganz  natürlich  gegen 
Brachiano  und  er  sinnt  auf  Rache  an  seinem  Schwager  und 
dessen  Spießgesellen.  Wie  um  einen  inneren  Antrieb  zu 
energischer  Rachetat  zu  erhalten,  will  Franzisco  das  Ange- 
sicht seiner  toten  Schwester  gleichsam  vor  sein  geistiges  Auge 
zaubern : 

"Tb  fashion  my  revenge  inore  sei'ioysh/, 

Let  me  remember  my  dead  ^ister^s  face: 
ril  dose  mine  eyes, 

And  in  a  melancholie  tkouyht  Pll  frame 

Her  figiire  'fore  me" 

(Hazlitt,  Bd.  2,  III,  3  S.  78  u.  79.) 

Doch  was  ist  das  ?  Hat  ihm  seine  Einbildungskraft  dieses 
Trugbild  geschaffen,  oder  steht  wirklich  Isabella's  Geist  vor 
ihm  ?  An  die  Existenz  von  Geistern  glaubt  der  Herzog  nicht, 
er  hält  die  Erscheinung  für  eine  Ausgeburt  seiner  überreizten 
Phantasie:  der  Gedanke  bewirke,  gleich  einem  geschickten 
Gaukelkünstler,  daß  wir  Dinge  für  übernatürlich  hielten,  die, 
wie  eine  Krankheit,  ihre  gewöhnliche  Ursache  hätten: 

^^How  strong 

Imagination  worksf  how  she  can  frame 

Things  irhich  are  not!  .  .  . 


Thought  as  a  subile  juggler,  makes  ?/ä  deem 

Things  »upernaUiral,  whirh  hare  cause 

Common  as  sickness.''  (HI,  3,  S.  79.) 


♦  —     62     — 

Endresultat  der  dramatischen  Entwicklung  irgend  einen  der 
Spieler  oder  Gegenspieler  erwartet. 

fiald  darauf  erscheinen  Lodovico  und  Gasparo,  um  an 
Vittoria  und  Flamineo  die  Rache  zu  vollziehen.  Mutig  und 
unerschrocken,  wie  Seneca's  vom  Geist  der  stoischen  Philo- 
sophie erfüllte  Männer,  gehen  beide  in  den  Tod.  Vittoria 
bewillkommnet  den  Tod  "cw  princes  do  some  great  ambofisadors-' 
(V,  2  S.  139).  Ihrem  Mörder  bietet  sie  freiwillig  die  Brust 
zum  tödlichen  Stoß:  "77/  meet  ihy  weapon  half  way"  Und 
Flamineo  stirbt  mit  der  Betrachtung: 

"ire  cease  to  grieve^  cease  to  he  fortune^s  slaveSf 
Nay,  cease  to  die  hy  dying"  (V,  2,  S.  140.) 

Durch  die  Natur  der  Sache  war  ich  genötigt,  schon  früher 
einige  Geister  zu  behandeln,  die  auf  die  Katastrophe  vor- 
zubereiten hatten.  Es  waren  dies  der  Geist  des  Bnssy 
d'Ambois,  der  Geist  Andrugio's  und  der  Geist  des  Brachiano. 
In  dieser  Eigenschaft  wird  uns  der  Geist  noch  in  einer 
ganzen  Reihe  von  Dramen  begegnen,  nämlich  in  ^Locnne^\ 
''Riehard  //",  ''Richard  Iir\  ''Second  Pari  of  King  Edward  IV", 
"Julius  Caesar^\  '' Sophonisba'',  ''The  Ätlmsts  Tragedtf\  "The  ün- 
natural  Combat",  "The  Changeling''  und  "The  Tragedy  of  Albertus 
Wallenstein". 

15.  Loa-ine  (Verfasser  unbekannt). 

Streng  genommen  zerfallt  "Locrine"  in  zwei  Teile.  Die 
eigentliche  Haupthandlung  beginnt  erst  mit  dem  IV.  Akt, 
während  die  drei  ersten  Akte  als  Vorgeschichte  betrachtet 
werden  können.  In  dieser  Vorgeschichte  sehen  wir  ebenfalls 
einen  Geist  auftreten,  dessen  Erscheinen  nicht  auf  eine  ein- 
zelne dramatische  Wirkung  hinzielt,  sondern  der  fordernd, 
bzw.  beschleunigend  in  den  Gang  der  Handlung  eingreift 

Der  sterbende  Brutus,  König  von  Britannien,  verteilt 
sein  Reich  unter  seine  drei  Söhne  Locrine,  Camber  und 
Albanact.  Des  letzteren  Provinzen  überzieht  der  Scythenkönig 
Humber  mit  Krieg.  Albanact  zieht  gegen  den  Eroberer  zu 
Felde,  wird  aber  in  der  Schlacht  von  Humber  besiegt.  Schwer 
verwundet  hat  Albanact  nur  einen  Ausweg,   zu  fliehen  oder 


—     63     — 

zu  sterben.     £r  zieht    einen   ehrenvollen   Tod   schimpflicher 
Flucht  vor  und  ermordet  sich  selbst. 

Um  den  Tod  seines  Bruders  zu  rächen,  rüstet  Locrine 
zum  Kriege  gegen  Humber.  Vor  der  Schlacht  erscheint  nun 
dem  Humber  der  Geist  des  Albanact  und  kündigt  ihm  ein 
gewaltiges  Blutbad  an.  Des  Geistes  Prophezeiung  trifft  ein. 
Humber  erleidet  durch  Locrine  eine  große  Niederlage.  Auf 
der  Flucht  vor  seinen  Feinden  hält  Humber  inne  und  macht 
in  einem  langen  Monologe  seinem  gepreßten  Herzen  Luft.  Er 
verflucht  Himmel  und  Erde,  die  Götter  und  die  Sterne,  er 
verflucht  die  Wogen  des  Meeres,  weil  sie  seine  Schiffe  nicht 
an  den  Felsen  und  Klippen  zerschellten,  ehe  er  Britanniens 
Gestade  erreichen  konnte.  Mitten  in  diesem  Schmerzenserguß 
steht  plötzlich  des  Albanactus  Geist  vor  dem  Scythenkönig. 
^But  why  comes  Albanactus^  hloody  f/host, 
To  bring  a  cor'sive  to  our  miaerks?^^ 

(Tauchnitz,  III,  6,  S.  168.) 
fragt  Humber.  ^^Ikvenge^  rerenge  for  blood"  schallt  es  ihm  aus 
des  Geistes  Munde  entgegen.  Welchen  Eindruck  die  Er- 
scheinung des  Geistes  auf  Humber  macht,  zeigt  zur  Genüge 
die  schreckliche,  aber  auch  ergötzliche  Drohung,  die  der 
Barbarenfürst  dem  Geist  entgegenschleudert : 

"  When  as  I  die,  Fll  drag  thy  ntrM  ghost 
Through  all  the  rivers  of  foul  Erebus, 
Through  btirning  suiphur  of  the  limbo-lake, 
To  allay  the  burnhig  fury  of  that  heat, 
That  rageih  in  mine  everlasting  soul" 

(III,  6,  S.  168.) 
Seinen  Feinden  in  der  Schlacht  ist  Humber  entronnen, 
aber  jetzt  stellt  sich  ihm  ein  noch  furchtbarerer  Feind  ent- 
gegen: der  Hunger.  Überall  umherschweifend  kann  der 
Scythenkönig  keine  Nahrung  finden  und  ist  deshalb  am  Rande 
der  Verzweiflung.  In  der  höchsten  Not  trifl't  er  Strumbo, 
einen  Soldaten  aus  Locrine's  Heere.  Diesen  fordert  er  auf, 
ihm  sofort  einige  Nahrung  zu  verabreichen,  widrigenfalls  er 
ihn  am  nächsten  Felsen  zerschmettern  werde.  Strumbo  tut, 
als  wolle  er  Humber's  Wunsch  willfahren,  aber  als  er  seine 
Hand  ausstreckt,  erscheint  der  Geist  des  Albanact  und  schlägt 


—     64     — 

ihn  auf  dieselbe.  Über  alle  Maßen  entsetzt  gibt  Strumbo 
Fersengeld,  Humber  hinter  ihm  drein.  Der  blutgierige  Geist 
des  Albanact  will  also  dem  Humber  angesichts  des  nahen 
Hungertodes  das  letzte  Rettungsmittel  Tor  den  Augen  entreißen. 

Der  Geist  des  Albanact  verfolgt  seinen  Feind  wie  ein« 
Furie  und  sucht  ihn  zur  Verzweiflung  zu  treiben.  Sein 
wiederholtes  Erscheinen  bezweckt  demnach  nichts  anderes  ak 
eine  Beschleunigung  der  Rache  herbeizuführen,  kann  also  ein 
den  Verlauf  der  Handlung  accelerierendes  Moment 
genannt  werden. 

Humber  ist  seines  jammerrollen  Daseins  müde  geworden. 
Hunger  und  Furcht  vor  Entdeckung  seitens  seiner  Feinde 
haben  ihm  das  Leben  verleidet ;  er  sucht  und  findet  den  Tod 
in  den  Wellen.  Seines  Feindes  Untergang  ist  aber  Lab- 
sal und  Wonne  für  des  Albanactus  Geist,  der  jetzt  erscheint 
und  über  das  Geschehene  eine  wilde  Freude  bekimdet.  Für 
den  Aufenthalt  in  der  Unterwelt  hat  der  Geist  dem  Scythen- 
könig  ein  interessantes  Vergnügen  zugedacht,  indem  er  den 
Rhadamanthus  bittet,  den  Ixion  zu  begnadigen  und  dessen 
Martern  dem  stolzen  Humber  aufzuerlegen. 

Wir  haben  hier  also  einen  ähnlichen  Vorgang  wie  in  der 
^^Spanish  TragediJ\  wo  Andreas'  Geist  ebenfalls  nicht  mit  dem 
Tode  seiner  Feinde  zufrieden  ist,  sondern  sie  noch  durch  aus- 
gesuchte Qualen   in    der  Unterwelt  gezüchtigt  wissen  will. 

Jetzt  erst  beginnt  die  eigentliche  Haupthandlung.  Locrine 
lebt  nach  der  Niederwerfung  Humber's  mit  dessen  Gemahlin 
Estrilda  heimlich  zusammen.  Die  Furcht  vor  seinem  Onkel 
Corineus  hält  ihn  einstweilen  noch  ab,  seine  Gemahlin  Guen- 
dolena,  des  Corineus  Tochter,  zu  verstoßen  und  Estrilda  zur 
Königin  von  Albion  zu  erheben.  Sieben  Jahre  hat  nun  schon 
der  greise  Corineus  zum  größten  Verdruß  Locrine's  gelebt. 
Des  ewigen  Wartens  müde  läßt  Locrine  den  unbequemen 
Oheim  beiseite  schaffen,  um  seinen  Herzenswunsch  erfüllen 
zu  können.  Aber  das  Verhängnis  naht  mit  Riesenschritten. 
Guendoleua  ist  zu  dem  Herzog  von  Cornubien  geflohen,  und 
mit  dessen  sowie  ihres  Bruders  Thrasimachus  Hilfe  sammelt 
sie  ein  Heer,  um  für  ihres  Vaters  Tod  und  den  ihr  zuge^ 
fügten  Schimpf  von  Locrine  blutige  Sühne  zu  fordern. 


—    66    — 

Vor  der  Schlacht  tritt  der  Geist  des  hingemordeten  und 
80  schwer  gekränkten  Corinens  auf,  nm  Zeuge  der  Züchtigung 
seines  Feindes  zu  sein  und  sich  an  seinem  Fall  zu  weiden« 
Die  ganze  Natur  weist  nach  den  Worten  des  Geistes  auf 
die  schreckliche  Katastrophe  hin,  welche  über  Locrine  herein- 
brechen soll: 

^^Beholdj  the  circuit  of  the  axure  sky 

Throws  forth  sad  throbs,  and  grievously  »fispires, 

Prejudicaiing  Locrin^s  overthrow, 

The  fire  easieth  forth  sharp  darts  of  flames ; 

The  great  foundcUion  of  the  triple  world 

Trernhleth  and  quaketh  with  a  mighty  noise, 

Presaging  bloody  massacres  at  hand, 

The  Wanderin g  Mrds  that  flutter  in  tJie  dark 

(Wfien  hellish  Night  in  chudy  chariot  seated, 

CaMeth  her  mists  on  shady  Telhis^  face^ 

With  sohle  manües  covering  all  the  earth), 

Now  fly  abroad  amid  the  cheerfnl  day, 

ForetelUng  some  unwonted  misery,  (V,  4  S.  186.) 

Die  Schilderung,  die  der  Geist  Yon  der  Natur  entwirft, 
bezweckt  natürlich  nichts  anderes,  als  uns  auf  die  Kata- 
strophe vorzubereiten. 

Locrine  wird  in  der  Schlacht  besiegt  und  gibt  sich,  um 
<Jer  Gefangenschaft  zu  entgehen,  selbst  den  Tod. 

"Lomwe"  gehört  bekanntlich  ebenso  wie  die  ^Spanish 
Tragedy^^  zu  den  Dramen,  welche  eine  Mischung  der  Eigen- 
tümlichkeiten des  klassizistischen  und  des  nationalen  Dramas 
aufweisen.  Zwei  Charakteristika  des  klassizistischen  Dramas 
sind  nun  in  ^Lorrine^^  ohne  weiteres  zu  erkennen  :  die  Mischung 
des  Themas  aus  politischen  und  familiären  Elementen,  das 
Motiv  von  der  verbrecherischen  Liebe,  vom  Ehebruch.  Auch 
ein  Überrest  des  Chores  hat  sich  noch  erhalten :  vor  Beginn  eines 
jeden  Aktes  tritt  Ate  auf  und  erklärt  das  jedem  Akt  voran- 
gehende dumb'shüWy  bzw.  dessen  dunkle  Anspielungen  auf  die 
kommenden  Ereignisse.  Am  Ende  des  Stückes  erscheint  Ate 
noch  einmal,  moralisierend  im  Anschluß  an  die  eben  erlebten 
Vorgänge. 

Münchener  Beiträge  z.  romauischeu  n.  engl.  Philologie.    XXXV.       5 


—     66     — 

16.  Richard  II,  1.  Teil  (Verfasser  unbekannt).^) 
Die  GüDstÜDge  Richard's  II.  erreichen  es,  daß  dieser 
endlich  die  Ermordung  seines  Oheims,  des  Lord  Protektors 
und  Herzogs  von  Gloucester,  Thomas  Woodstock,  beschließt. 
Diesem  erscheinen  in  der  Nacht  vor  seinem  Tod  (V,  1)  nach- 
einander die  Geister  seines  Bruders  und  seines  Vaters^  be- 
nachrichtigen ihn,  daß  er  von  Mördern  umgeben  sei  und 
fordern  ihn  auf,  sich  durch  Flucht  zu  retten: 

^Thomas  of  Woodstocke^  wakCj  thy  broiher  calls  theeT 
ruft  ihm  der  Geist  des  schwarzen  Prinzen  zu  und  fahrt  fort: 
^Thou  royall  issue  of  hing  Edward's  loynes, 
Thou  art  be-sett  toith  murder:  rise  arid  flyf 
If  heere  thou  stay,  death  eomes,  and  Üiou  must  dye^ 

Und  der  Geist  seines  Vaters  fragt  ihn: 

'^Sleepst  thou  so  sowidly,  a7id  pale  death  so  nye?" 
und  fahrt  fort: 

^Thmnas  of  Woodstocke,  wake,  my  sone,  and  flyf 


Thou  fift  of  Edward' s  sonns,  gut  vp  and  fly! 

The  murder ers  are  at  hand:  awake,  my  sonne j 
This  hoime  foretells  thy  sad  distructione.^ 

Woodstock  erwacht  wie  aus  einem  schweren  Traum. 
Noch  schlaftrunken  bittet  er  den  Geist  seines  Vaters,  zurück- 
zukehren, ihn  zu  trösten  und  die  Furcht  aus  seinem  zitternden 
Herzen  zu  verscheuchen.  Plötzlich  wird  er  gewahr,  daß  alle 
Türen  verschlossen  sind.  Nun  ist  er  überzeugt,  daß  die 
Geistererscheinung  nur  das  Erzeugnis  seiner  erregten  Phan- 
tasie ist.  Denn  die  Geister  haben  ihn  doch  aufgefordert,  zu 
fliehen.  Aber  wie  soll  er  fliehen  bei  verschlossenen  Türen? 
Die  Geister  setzen  Woodstock  von  seiner  gefähriichen  Lage 
in  Kenntnis  und  raten  ihm  zur  Flucht.  Woodstock  kann 
aber  die  Flucht  nicht  ausführen.  Wir  ahnen  infolgedessen, 
daß  er  rettungslos  verloren  sein  dürfte,  und  werden  so  auf 
auf  die  Katastrophe  vorbereitet. 


*)  Herausgegeben  von  W.  Keller  im  SJiakespeare- Jahrbuch  36,  S.  42  ff. 


—     67     — 

Gleich   darauf  treten  die  Mörder  ein,   um  ihren  Auftrag 
zu  erfüllen. 

17.  Birhard  III.  von  Shakspere. 

Richard,  Herzog  von  Glostef,  bahnt  sich  durch  eine  un- 
unterbrochene Kette  von  Verbrechen  den  Weg  zum  eng- 
lischen Thron.  Aber  nicht  lange  soll  er  sich  des  ungestörten 
Besitzes  der  Krone  erfreuen.  Die  Vergeltung  naht  in  der 
Person  des  Grafen  ßichmond,  der  mit  einem  Heere  gegen 
London  marschiert.  In  der  Ebene  von  ßosworth  treifen  sich 
Richard's  und  Kichmond^s  Truppen.  Am  nächsten  Morgen 
soll  der  Entscheidungskampf  stattfinden.  In  der  Nacht  vor 
der  Schlacht  haben  nun  die  beiden  Feldherrn  sonderbare 
Träume.  Dem  König  Richard  erscheinen  die  Geister  von 
allen  denen,  die  er  hingemordet  hat:  zuerst  erscheint  der 
Geist  des  Prinzen  Eduard,  des  Sohnes  Heinrich's  VI.,  dann 
der  Geist  Heinrich's  VI.,  hierauf  der  Geist  des  Olarence, 
dann  die  Geister  von  Rivers,  Grey  und  Vaughan,  dann  der 
Geist  von  Hastings,  hernach  die  Geister  der  beiden  jungen 
Prinzen,  endlich  der  Geist  der  Prinzessin  Anna  und  schließlich 
der  Geist  des  Buckingham.  Jeder  Geist  verflucht  den  ver- 
brecherischen König  und  kündigt  ihm  blutige  Vergeltung  an. 
Jeder  Geist  schließt  seine  Verwünschung  mit  den  Worten: 
^DespaiVj  and  dieP'^ 

Aber  auch  dem  Grafen  von  Richmond  erscheinen  die 
nämlichen  Geister,  ermutigen  ihn  und  verheißen  ihm  Sieg. 

Die  Wirkung  des  Traumes  ist  selbstredend  bei  beiden 
Männern  eine  verschiedene.  König  Richard  Tährt  entsetzt  aus 
dem  Schlafe  empor,  am  ganzen  Körper  mit  kaltem  Schweiß 
bedeckt.  Ihm  ist,  als  ob  er  in  der  Schlacht  und  verwundet 
wäre:  '*Öive  me  anothtt'  horse,  —  bind  np  my  wounda"  Zum 
Bewußtsein  der  Wirklichkeit  gekommen  ruft  er  aus :  "  O  coward 
rojiscknce,  hoiv  dost  ihou  afflui  me  /"  Ein  unerklärliches  Angst- 
gefühl bemächtigt  sich  seiner,  er  fürchtet  sich  sozusagen  vor 
sich  selbst.  König  Richard  wird  jetzt  inne,  daß  es  eine  innere 
Stimme  gibt,  die  sich  wohl  für  eine  Zeitlang  zum  Schweigen 
bringen,  aber  nicht  ertöten  läßt,  sondern  welche  sich  schließ- 
lich mit  einer  Gewalt  vernehmbar  macht,  die  dem  Rasen  eines 

5* 


—     68     — 

Orkans  vergleichbar  ist.  Jetzt  fühlt  er  sie  in  seiner  Seele 
toben,  jetzt  klagt  sie  ihn  an,  und  zwar  „mit  tätigend  Zungen^^*, 
wie  Richard  selbst  sagt: 

^^My  conscience  hath  a  thousand  several  tongiies, 
And  every  tongtie  brings  in  a  several  tale, 
And  every  tale  condemns  me  for  a  villain, 
Perjury j  pe7-jury,  in  ihe  higWst  degree; 
Murder,  stem  inurder,  in  ihe  dir^st  degree; 
All  several  sins,  all  us'd  in  eaeh  degree, 
Throng  to  ihe  bar^  erging  all  ^guiÜy!  gttiltyP 
I  shall  despairr  (V,  3,  193  ff.) 

Freudig  bewegt  dagegen  und  siegesgewiß  ist  der  Graf 
von  Richmond.  Denn  er  erwidert  den  Lords  auf  die  Frage, 
wie  er  geschlafen  habe: 

"T/ze  sweetest  skep,  and  fairest-boding  dreams 
That  erer  enternd  in  a  drowsy  head, 
Have  I  suice  your  departure  had,  my  lards, 
Methought  tluir  souls,  whose  bodies  Bicliard  murder'^d, 
Game  to  my  ient,  and  aied  on  vicfory,'^^     (V,  3,  227 ff.) 
Indem   die  Geister  König  Richard  Rache  androhen  und 
ihm  seine  Niederlage  prophezeien,  andererseits  aber  den  Grafen 
von  Richmond  mit  Siegesahnungen  erfüllen,   bereiten    sie  uns 
auf  die  Katastrophe  vor;   zugleich  sind  sie  Symbol  der 
Gewissensqualen. 

Ein  alter  Volksglaube  besagte:  wenn  während  der  An- 
wesenheit eines  Geistes  eine  brennende  Kerze  im  Zimmer 
ist,  so  wurd  deren  Lichtglanz  ein  ungewöhnlich  bläulicher 
gein.  —  Als  der  König  nach  der  Geisteserscheinung  erwacht, 
ruft  er  aus: 

"r/w.  lights  burn  blue,  —  21  is  now  dead  midnight, 
Cold  fearfid  drops  stand  on  my  trembling  fle^h, 

Methought  the  souls  of  all  tfiai  I  had  murder'd 
Came  to  my  tentr  (V,  3,  180  ff.) 

Das  klassizistische  Gepräge  unseres  Dramas  hat  C  u  nlif  f  e 
unübertrefflich  geschildert,  wenn  er  sagt:  **/»  ^Richard  IIP  Ute 
persormges   of  the  drama   move   in   the  sanie  aimosphere  of  blood^ 


^    69    -^ 

and  Richard  above  aü  sustains  to  the  füll  his  diaracter  of  fitndish 
cruelty.  He  hos  Ihe  vindictiveneas,  the  irUellecttial  force^  the  ur^ 
daunted  spirity  the  rutkless  cruelty^  the  absolute  lack  of  nioral  feelitig 
of  Sefieca^s  Medea,  eoupled  with  the  haughtiness  of  Eteocles  and  the 
bloody  hypocrisy  of  Atreusf  as  with  Seneca^s  heroic  crimitialSy  his 
passions  know  no  bonnds  —  he  is  not  human,  but pretematural" ^) 
Daß  Köuig  Richard  im  Angesicht  des  Todes  kaltblütige 
Entschlossenheit  und  verzweifelte  Tapferkeit  zeigt,  bedarf 
nach  obigen  Ausführungen  Cunliffe's  eigentlich  keiner  Er* 
wähnung  mehr. 

18.  Second  Part  of  King  Edward  IV, 

Stofflich  nahe  verwandt  mit  ^Richard  III"  ist  eine  Neben- 
handlung in  Thomas  Hey  wood 's  ^Second  Part  of  King 
Edward  /F/' 

König  Eduard  IV.  von  England  hatte  eine  Weissagung 
erhalten,  nach  welcher  G.  seine,  Eduard's  Kinder,  beseitigen 
und  sich  selbst  auf  den  Thron  Englands  setzen  werde.  Der 
alte  Klosterbruder  Anselm,  ein  gelehrter  Mann,  hatte  die  er- 
wähnte Prophezeiung  dem  Beichtvater  des  Königs,  Dr.  Shaw, 
geoffenbart,  damit  dieser  seinen  königlichen  Herrn  auf  die 
seitens  des  Herzogs  Gloster  drohende  Gefahr  aufmerksam 
mache.  Statt  dessen  bringt  aber  Dr.  Shaw,  ein  gefügiges 
Werkzeug  des  Herzogs  Gloster,  dem  König  die  Überzeugung  bei| 
besagte  Prophezeiung  warne  ihn  vor  seinem  Bruder  George 
Clarence.  Die  Folge  davon  ist,  daß  Eduard  IV.  seinen  un- 
schuldigen Bruder  Clarence  verhaften  und  im  Tow^er  einkerkern 
läßt.  Jetzt  da  der  Herzog  von  Gloster  sein  Opfer  in  der  Gewalt 
hat,  sorgt  er  für  die  Unmöglichkeit  eines  Entrinnens :  er  läßt 
seinen  Bruder  Clarence  umbringen.  Der  Öffentlichkeit  gegen- 
über läßt  er  das  Gerücht  verbreiten,  Clarence  sei  plötzlich 
schwer  erkrankt  und  von  einem  jähen  Tod  dahingerafft  worden. 

Nachdem  auch  König  Eduard,  seit  einiger  Zeit  kränklich, 
unerwartet  schnell  gestorben  ist,  wird  der  Herzog  von  Gloster 
in  Anbetracht  der  Minderjährigkeit  des  Thronfolgers  zum 
Protektor  des  Königreichs  ernannt. 


»^  Cunliffe,  1.  c,  S.  73. 


—     70    — 

Durch  die  verworfensten  Ränke  gelingt  es  schließlich 
Gloster,  sich  die  Krone  aufs  Haupt  zu  setzen.  Nachdem  er 
seine  beiden  Neffen  für  illegitim  hat  erklären  lassen,  setzen 
es  seine  Anhänger  im  Parlament  durch,  daß  man  ihm  die 
Eönigskrone  anbietet.  Mittlerweile  mußten  die  beiden  jungen 
Prinzen  im  Tower  ihr  Leben  durch  Mörderhand  beschließen. 
Dr.  Shaw,  der  stets  bereit  gewesen  ist,  der  Lüge  und  Heuchelei 
Gloster's  seine  hilfsbereite  Hand  zu  reichen,  hat  auch  den 
letzten  Akt  der  niederträchtigsten  Verleumdung  unterstützt, 
indem  er  sich  erkühnte,  die  angeblich  illegitime  Abstammung 
der  zwei  ermordeten  Prinzen  öffentlich  von  der  Kanzel  herab 
beweisen  zu  wollen. 

Allmählich  scheint  sich  aber  eine  Wandlung  in  seinem 
Innern  zu  vollziehen,   er  sieht  ein,   daß  er  gefehlt  hat.     In 
seinem  Studierzimmer  sitzend  macht  er  sich  bittere  Vorwürfe. 
Da   erscheint  ihm  der  Geist  des  Klosterbruders  Anselm  und 
fragt  ihn,  warum  er  wider  besseres  Wissen  seine  Prophezeiung 
entstellt  habe.      "/  was  inforced   hy  the  Duke  of  Gloster^\  ant- 
wortet Dr.  Shaw.     Aber  der  Geist  erwidert: 
"JVb;  thou  wast  not  enforci; 
Bui  gaine  and  hope  of  high  profnotion 
Hired  thee  theretoj'  (Pearson,  Bd.  I,  S.  163.) 

Der  Geist  erinnert  nun  Dr.  Shaw  an  das  Unheil,  das 
aus  der  Verdrehung  oben  erwähnter  Weissagung  entstanden 
sei  und  noch  entstehen  werde;  endlich  prophezeit  der  Geist. 
Shaw  und  alle,  die  bei  diesen  Schandtaten  ihre  Hand  mit  im 
Spiele  hatten,  seien  bestimmt,  eines  jämmerlichen  Todes  zu 
sterben.  Er  selbst,  Dr.  Shaw,  solle  in  seinem  Studierzimmer 
verhungern  und  von  dieser  Stunde  an  keinen  Bissen  Nahrung 
mehr  zu  sich  nehmen: 

^^Here  in  thy  study  shalt  thou  sterue  thyself, 
And  from  this  houre  fiot  taste  one  hit  of  food" 

(1.  c,  S.  164.) 
Jetzt  tritt  ein  Bote  ein  und  meldet,  König  Kichard 
wünsche  zu  beichten.  Als  Dr.  Shaw  zögert,  zu  gehen,  fordert 
ihn  der  Geist  auf,  sich  zum  Könige  zu  begeben  und  ihm  zu 
sagen,  er  habe  noch  drei  Jahre  zu  leben.  Hernach  solle  er 
eines  schmachvollen  Todes  sterben. 


—     71     — 

^^Shaw,  go  vjüh  him;  and  teil  that  tyrant  Richard 

He  hath  but  three  yexxrs  limited  for  life; 

And  then  a  shamefull  death  takes  hold  on  hi^n^^ 

'  (1.  c,  S.  164.) 

Wenn  Dr.  Shaw  diesen  Auftrag  erfüllt  habe,  solle  er 
zurtickkehreü  und  in  seinem  Studierzimmer  sein  verhaßtes 
Leben  enden. 

Indem  der  Geist  des  Klosterbruders  ankündigt,  daß  die 
Schuldigen  von  der  verdienten  Strafe  ereilt  würden,  bereitet 
er  uns  auf  die  Katastrophe  vor. 

19.  Jidius  Caesar  von  Shakspere. 

Versetzen   wir   uns  in  das  Lager  des  Brutus  bei  Sardes. 
Es  ist  bereits  tief  in  der  Nacht.     Brutus  hat  sich  eben  von 
Cassius  "und  einigen  Freunden  verabschiedet  und  will  sich  zur 
Ruhe  begeben.     Da  aber  der  Schlaf  noch  seine  Augen  flieht, 
bittet  er  seinen  Diener  Lucius,  ihm  einige  Weisen   auf  der 
Laute  vorzuspielen.     Doch  Lucius   hat  kaum  begonnen,   als 
er  von  Müdigkeit  übermannt  einschläft.     Sein  Gebieter  will 
ihn  im  Schlummer  nicht  stören  und  nimmt  ein  Buch,  um  sich 
die  Zeit  durch  Lesen  zu  verkürzen.     Auf  einmal  sieht  er  eine 
Gestalt  vor  sich.     Brutus  glaubt  anfangs,   sich  zu  täuschen 
und  meint,  es  sei  die  Schwäche  seiner  Augen.     Doch  als  der 
Geist  Cäsar's  näher  auf  ihn  zukommt,  spricht  er  ihn  an: 
^^Art  thou  some  god,  some  angel,  or  some  devil, 
That  mak^st  my  hlood  coldj  and  my  hair  to  siare? 
Speak  io  nie  what  thou  art:'  (IV,  3,  279  flf.) 

"T%  evil  spirit,  Brutics"  antwortet  ihm  äer  Geist.  ^^Why 
combat  thou?^^  fragt  Brutus  weiter.  —  "To  teil  thee  thou  shalt  see 
me  at  Philippi^ 

Der  im  Grunde  doch  edle  und  vornehme  Brutus  fühlt 
tief  das  Niederdrückende  seiner  treulosen  Undankbarkeit,  die 
Stimme  des  Gewissens  macht  sich  geltend,  Reue  beschleicht 
ihn,  und  die  heftige  Erregung  seines  Innero,  welche  die 
Geisteserscheinung  verursacht,  gibt  sich  kund  in  einer  nervösen 
Unruhe.  Mit  lauter  Stimme  rufend  weckt  Brutus  seine  Diener 
und   fragt  sie,  warum  sie  im  Schlaf  so  geschrien,  ob  sie  im 


—     72    — 

Traum  etwas   gesehen   hätten.     Doch  die  Diener  Temeinen 
beides. 

An  Schlaf  kann  Bratas  nicht  mehr  denken.  Um  seinem 
erregten  Gemüte  in  Tätigkeit  Luft  zu  machen,  will  er  sofort 
zum  Entscheidungskampf  aufbrechen.  Er  schickt  zwei  seiner 
Diener  an  Cassius  mit  dem  Auftrage,  derselbe  möge  mit  seinem 
Heere  voranziehen,  er,  Brutus,  werde  unmittelbar  folgen. 

Cäsar's  Geist  prophezeit  also  dem  verräterischen  Freunde 
Rache  für  seine  lieblose  Tat,  indem  er  als  sein  böser  Dämon 
in  der  Schlacht  bei  Philipp!  anwesend  sein  werde.  Da  der 
Geist  uns  so  den  Ausgang  der  Schlacht  vorausahnen  läßt 
bereitet  er  auf  die  Katastrophe  vor. 

In  der  Geringschätzung  dieses  Lebens  und  der  Ver- 
achtung des  Todes  erweist  sich  Brutus,  wie  ja  alle  Helden 
im  elizabethanischen  Drama  als  echter  Stoiker. 

Auch  hier  spielt  Shakspere  auf  den  schon  bei 
^^Rickard  IIV^  erwähnten  Volksglauben  an,  daß  nämlich  die 
Anwesenheit  eines  Geistes  im  Lichtglanz  einer  brennenden 
Kerze  eine  Veränderung  hervorbringe.  Ais  Brutus  den  Geist 
Cäsar's  erblickt,  ruft  er  aus: 

^IIow  ill  this  iaper  bums!  —  Hai  who  conies  here?^^ 

(IV,  4,  275.) 

20.  Sophonisba  von  Mars  ton. 

Massinissa  hat  Sophonisba,  die  Tochter  des  Karthagers 
Asdrubal,  geheiratet.  Auf  Befehl  des  karthagischen  Senates 
muß  er  aber  an  seinem  Hochzeitstage  an  der  Spitze  eines 
Heeres  gegen  die  Kömer  und  den  mit  ihnen  verbündeten 
Syphax  zu  Felde  ziehen.  Während  Massinissa  für  die  Sache 
der  Karthager  kämpft,  fassen  diese  den  treulosen  Entschluät 
Massinissa  zu  vergiften  und  Syphax  auf  ihre  Seite  zu  ziehen, 
indem  sie  ihm  Sophonisba  zur  Frau  versprechen.  Dem  Ge- 
danken soll  die  Tat  folgen.  Doch  das  Komplott  gegen 
Massinissa  wird  vereitelt. 

Sophonisba  muß  sich  auf  Anordnung  des  Senats  in  des 
Syphax'  Palast  nach  Cirta  begeben.  Syphax,  kaum  von  dieser 
Sinnesänderung  der  Karthager  benachrichtigt,  eilt  mit  Zurück* 
lassung  seiner  Truppen  nach  seiner  Residenz.     Aber  weder 


—    73     — 

mit  Bitten  noch  mit  Gewalt  kann  der  lüsteroe  König  Sopfao- 
nisba  bewegen,  ihm  zu  Willen  zu  sein.  Jetzt  will  er  es  mit 
übernatürlichen  Mitteln  Tersuchen.  Die  Zauberin  Erichto 
stellt  ihm  die  Erfüllung  seines  Wunsches  in  Aussicht.  Mit 
Entsetzen  merkt  aber  Syphax,  jedoch  zu  spät,  daß  er  statt 
an  Sophonisba's  an  Erichto's  Brust  geruht  hat.  In  seiner 
Empörung  will  Syphax  die  Betrügerin  mit  dem  Schwert  durch* 
bohren,  aber  diese  verschwindet  in  der  Erde. 

Syphax  ist  tief  unglücklich ;  denn  io  die  Erbitteruug  über 
den  schändlichen  Betrug,  dem  er  zum  Opfer  gefallen,  mischt 
sich  wohl  auch  die  betrübende  Erkenntnis,  daß  sein  heißes 
Liebessehnen  nach  Sophonisba  nie  befriedigt  werden  wird. 
In  seiner  Verzweiflung  ruft  der  liebeskranke  König  die  Grötter 
an,  sie  möchten  jegliches  Unheil  über  ihn  kommen  lassen, 
denn  empfindlicher  könne  ihn  das  Schicksal  nicht  treffen, 
tiefer  könne  er  nicht  fallen: 

"0  ihou  whose  hlasiting  flames 

Huri  Imrrtn  droughts  upon  ihe  pafient  earthj 

And  thoUj  gay  god  of  riddles  a?id  stränge  taleSj 

Hot'bramed  Phoehus,  all  add  if  you  can 

Someihing  tmio  niy  mkery ! 


Heap  curse  on  ciirse,  ive  can  no  lower  fall" 

(Bullen,  Bd.  2,  V,  1,  S.  298—99.) 

Da  ertönt  plötzlich  eine  Stimme:  Lower  —  lower!  Der 
Geist  AsdrubaFs  ist  es,  der  diese  Worte  gesprochen  hat, 
und  der  damit  zweifelsohne  dem  Syphsx  bedeuten  will,  daß  er 
noch  tiefer  fallen,  noch  größeres  Leid  erleben  werde  als  diese 
Enttäuschung,  die  er  eben  erfahren  habe.  Während  der  Geist 
Syphax  auseinandersetzt,  wie  unglücklich  er,  Asdrubal,  durch 
seinen  Treubruch  an  Massinissa  geworden  sei,  und  wie  er  da- 
durch sein  Leben  verloren  habe,  läßt  er  die  Mitteilung  ein* 
Hießen,  daß  des  Syphax  Truppen  sowie  die  karthagischen 
Streitkräfte  von  den  Kömern  und  dem  mit  ihnen  verbündeten 
Massinissa  geschlagen  worden  seien.  Indem  nun  der  Geist 
dem  Syphax  einerseits  andeutet,  daß  er  noch  schwerer  vom 
Unglück  heimgesucht  werden  würde,  und  ihn  andererseits  von 


—     74    — 

der   erlittenen   Niederlage   unterrichtet,    bereitet   er  auf  die 
Katastrophe  vor. 

Der  Geist   ist   kaum  verschwunden,   als   ein   Bote   dem         | 
Könige  die  Nachricht  bringt,  daß  Scipio  und  Massinissa  gegen         i 
seine  Hauptstadt  Cirta  heranrücken.     In  dem  darauf  statt-         i 
findenden  Zweikampfe  zwischen  Massinissa  und  Syphax  unter- 
liegt der   letztere.      Massinissa   schenkt  ihm   großmütig   das 
Leben,   überantwortet  ihn  aber  seinem   Verbündeten  Scipio 
als  Gefangenen. 

Seneca's  Einfluß  tritt  in  ^ Sopftonüba^^  nicht  in  dem 
Grade  hervor  wie  in  ^Antonio  and  Mellidd'\  Immerhin  aber 
weisen  die  Beschreibungen  entsetzenerregender  Greuel,  philo- 
sophische Reflexionen  und  der  rhetorische  Bombast  der  Sprache 
noch  deutlich  genug  auf  den  römischen  Tragödiendichter  hin. 

21.  The  ÄtheisCs  Tragedy  von  Tourneu r. 

Lord  d'Amville,  in  der  Überzeugung,  daß  der  Besitz 
irdischer  Güter  der  Inbegrifif  des  Glückes  sei,  trachtet  nach 
dem  ansehnlichen  Vermögen  seines  Bruders  Montferrers. 
Außerdem  möchte  er  Castabella,  eine  reiche  Erbin,  die 
bereits  mit  seinem  Neffen  Charlemont  im  geheimen  verlobt 
ist,  mit  seinem  ältesten  Sohn  Ronsard  verheiraten.  Der 
gewissenlose  Mann  beschließt  deshalb,  seinen  Bruder  Mont- 
ferrers und  dessen  Sohn  Charlemont  zu  beseitigen.  Der  Zu- 
fall scheint  d'Amville  in  seinen  Plänen  begünstigen  zu  wollen : 
der  junge  Chariemont  fühlt  einen  unwiderstehlichen  Drang 
in  sich,  durch  Heldentaten  auf  dem  Schlachtfelde  sich  aus- 
zuzeichnen. Er  wünscht  deshalb,  sich  an  den  kriegerischen 
Ereignissen  im  Orient  zu  beteiligen.  Allein  der  treubesorgte 
Vater  will  seinen  einzigen  Sohn  nicht  den  Gefahren  einer 
ungewissen  Zukunft  aussetzen  und  verweigert  ihm  die  Ein- 
willigung zu  seinem  Vorhaben.  D'Amville  kommt  aber  die 
Absicht  seines  Neffen  sehr  zu  statten.  In  der  Hoffnung,  daß 
Charlemont  im  Kriege  etwas  Menschliches  zustoßen  werde, 
unterstützt  er  scheinbar  selbstlos  Charlemont's  Plan  bei  dem 
alten  Montferrers,  der  endlich  widerstrebend  seine  Zustimmung 
erteilt. 

Nachdem  Chariemont  in  den  Krieg  gezogen  ist,  beginnt 


—     75     — 

d'Amville  seine  yerworfenen  Intrigen  spielen  zu  lassen.  Zu 
nächst  gelingt  es  ihm,  Castabella's  Vater,  Belferest,  zu  be- 
stimmen, daß  dieser  seine  Tochter  zur  Heirat  mit  d'Amyille's 
Sohn  Ronsard  zwingt.  Während  des  Hochzeitsmahles  tritt 
Borachio  ein,  d'Amville's  Kreatur,  und  überbringt  die  Nach- 
richt, Charlemont  habe  während  der  Belagerung  yon  Ostende 
bei  der  Zurückweisung  eines  feindlichen  Sturmangriffes  den 
Tod  gefunden.  Diese  fingierte  Schreckenskunde  bricht  dem 
greisen  Montferrers  fast  das  Herz.  Voll  trüber  Ahnungen  tritt 
er,  Ton  d'Amville,  Belferest  und  einigen  Dienern  des  letzteren 
begleitet,  spät  in  der  Nacht  den  Heimweg  an.  Diese  Gelegen- 
heit benützt  nun  d'Amville,  seinen  Bruder  zu  ermorden. 

Durch  letztwillige  Verfügung  seines  Bruders  Montferrers 
wurde  d'Amyille  zum  Erben  yon  Montferrers'  Vermögen  ein- 
gesetzt. 

Jetzt  aber  erscheint  dem  jungen  Charlemont  im  Felde 
der  Geist  seines  Vaters  und  fordert  ihn  auf,  nach  Frankreich 
zurückzukehren,  da  sein  alter  Vater  gestorben,  und  er,  Charle- 
mont, durch  Mord  enterbt  sei: 

^Retume  to  France,  for  thy  old  Fathet^s  dead, 
Jnd  thou  hy  murther  disinheritedr 

(Collins,  Bd.  1,  II,  6,  S.  72.) 

Doch  solle  Charlemont  mit  Geduld  den  Verlauf  der 
Dinge  abwarten  und  die  Bache  dem  König  der  Könige  über- 
lassen : 

^Attend  wiih  patiencc  ihe  successe  of  things, 
But  leane  reuenge  unio  the  hing  of  hingst 

Der  Aufforderung  des  Geistes  gemäß  kehrt  Charlemont 
in  sein  Vaterland  zurück.  Sein  erster  Gang  gilt  natürlich 
dem  Grabe  seines  Vaters.  Als  er  die  Stätte  des  Friedens 
betritt,  wer  beschreibt  sein  Erstaunen,  als  er  auf  einem  Grab- 
male die  Worte  liest:  "in  memory  of  CharleynonC  und  über 
dem  Grabe  des  yermeintlichen  Toten  seine  Braut  Castabella 
betend  erblickt?  Castabella  fällt  bei  Charlemont's  Anblick, 
in  der  Meinung,  einen  Geist  yor  sich  zu  haben,  in  Ohnmacht. 
Nachdem  sie  wieder  zu  sich  gekommen  ist,  erhält  Charlemont 
durch  sie  die  Bestätigung  dessen,  was  ihm  der  Geist  mitgeteilt 


—     76     — 

bat,  daß  er  nämlich  durch  seinen  Onkel  enterbt  worden 
ist.  Als  er  gar  noch  erfährt,  daß  Oastabella  auf  Betreiben 
d'Amyilles  zur  Ehe  mit  Rousard  gezwungen  wurde,  vermutet  er 
mit  Bestimmtheit  in  seinem  Oheim  den  Mörder  seines  Vaters 
und  den  Urheber  all  des  Leides,  das  ihn,  Charlemont,  be- 
troffen hat. 

Als  Charlemont  bei  seinem  Oheim  d'Amville  eintritt* 
stellt  sich  dieser,  als  ob  er  ihn  für  einen  Geist  halte.  D'Am- 
ville's  jüngerer  Sohn  Sebastian  will  versuchen,  ob  man  es 
wirklich  mit  einem  Geist  zu  tun  hat  und  schlägt  nach  Gharle"' 
mont.  In  dem  sich  nun  entspinnenden  Zweikampfe  unterliegt 
Sebastian.  Um  zu  verhindern,  daß  Charlemont  sich  jetzt 
möglicherweise  vom  Zorn  hinreißen  lassen  und  das  erlittene 
Unrecht  an  d'Amville  rächen  könnte,  erscheint  der  Geist  des 
Montferrers  abermals  und  gebietet  seinem  Sohn^  Einhalt  mit 
den  Worten: 

^Ilold,  Charlemont, 
.    Lei  htm  reuenge  my  murder  and  thy  tvrongs 
To  whom  the  Jtistice  of  Reuenge  belongs" 

(III,  2,  S.  86.) 

Charlemont  befolgt,  wenn  auch  widerstrebend,  die  Weisung 
des  Geistes. 

Da  der  Geist  erstens  Charlemont  auffordert,  geduldig  den 
Verlauf  der  Dinge  abzuwarten  und  die  Rache  dem  Könige  der 
Könige  zu  überlassen,  zweitens  als  Gefahr  besteht,  daß 
Charlemont  trotzdem,  hingerissen  von  einer  plötzlichen  Auf- 
wallung des  Zornes,  Rache  nehmen  könnte,  wiederum  erscheint 
und  dem  unüberlegten  Vorhaben  Charlemont's  Einhalt  ge- 
bietet, bedeutet  sein  Auftreten  für  den  Gang  der  Handlung 
ein  retardierendes  Moment. 

D'Amville  kann  sich  durch  Charlemont's  Rückkehr  nicht 
des  ungestörten  Besitzes  des  ererbten  Vermögens  erfreuen  und 
beschließt  deshalb  den  Tod  seines  Neffen.  Borachio  erhält 
den  Auftrag,  Charlemont  aus  dem  Hinterhalt  niederzuschießen, 
wenn  derselbe  am  Grabe  seines  Vaters  bete.  Der  Anschlag 
gegen  Charlemont  mißlingt  aber,  und  Borachio  findet  dabei 
selbst  den  Tod.  D'Amville  selbst  wird  in  kurzem  von  der 
rächenden  Nemesis  erreicht« 


—     77     — 

Schon  tief  in  der  Nacht  sitzt  d'Amville  in  seinem  Zimmer 
und  betrachtet  mit  Entzücken  das  vor  ihm  liegende  stattliche 
Einkommen,  das  er  seit  dem  Tod  seines  Bruders  bezieht.  In 
überschwänglichen   Worten  preist  er  die  Macht  des  Goldes: 

^Tliese  are  the  Starres  whose  Operations  make 

The  fortunes  and  the  deaiinies  of  men^ 
und-  das  Glück,  das  man  durch  seinen  Besitz  genieße : 
^A  musicke  whose  melodious  touch 

Like  ÄngeW  voices  rauishes  the  senceT 

(V,  1,  S.  132  und  133.) 
Von  Ermüdung  übermannt  schläft  d'Amville  endlich  ein. 
Da  erscheint  ihm  der  Geist  seines  Bruders  Montferrers  und 
nennt  ihn  einen  Narren,  einen  höchst  unglücklichen  und  be- 
dauernswerten Narren,  was  er  zum  Schaden  seiner  Pläne  so- 
gleich inne  werden  solle: 

^UAmvüle!   Wüh  all  ihy  wüedome  tKart  a  foole. 

Not  like  tliose  fooles  that  we  terme  innocents 

Biii  a  most' wretcJied  miserable  foole 

Which  instantlyy  to  Ute  coiifusion  of 

Thy  projects,  with  despaire  ihou  shalt  heholdy 

(V,  1,  S.  133  und  134.) 
D'Amville  fährt  entsetzt  aus  dem  Schlafe  empor.  Er 
glaubt  nicht  anders,  als  daß  ein  Traum  ihn  genarrt  habe. 
Denn  seine  Pläne  sind  bis  jetzt  vom  schönsten  Erfolg  getragen 
worden,  und  der  einzige  Mann,  der  ihm  noch  schaden  könnte, 
Gharlemont,  ist  auf  seine  Veranlassung  des  Mordes  an  Bo* 
rachio  angeklagt  und  wird  sein  Leben  auf  dem  Schafott  be- 
schließen. 

Trotz  seiner  Gelehrsamkeit  wähnt  d'Amville,  der  Besitz 
des  Geldes  bedeute  für  den  Menschen  das  höchste  Glück. 
Deswegen  verfolgen  seine  Pläne,  wie  wir  wissen,  den  Zweck, 
seinen  beiden  Söhnen  durch  Hinterlassung  eines  großen  Ver- 
mögens dieses  Glück  zu  erringen.  Wenn  nun  der  Geist 
d'Amville  trotz  seiner  Weisheit  einen  Narren  nennt  und  ihm 
ankündigt,  daß  seine  Pläne  in  nichts  zerrinnen  würden,  ahnen 
wir  das  Unheil,  das  über  d'Amville  heraufzieht  und  werden 
80  auf  die  Katastrophe  vorbereitet. 


—     78     — 

In  der  Tat,  das  Unglück  läßt  nicht  lange  auf  sich  warten. 
D'Amville's  jüngerer  Sohn  Sebastian  hatte  mit  Lady  Belforest 
ein  ehebrecherisches  Verhältnis  unterhalten  und  wurde  von 
deren  Gatten  im  Zweikampf  erschlageo.  D'Amville  will  das 
Fürchterliche  kaum  glauben,  als  man  ihm  jetzt  den  Leichnam 
seines  Sohnes  hereinträgt.  Aber  ein  Unglück  kommt  selten 
allein.  Auch  sein  älterer  Sohn  Ronsard,  seit  langem  kränklich, 
ist  seiner  Auflösung  nahe.  Der  rasch  herbeigerufene  Arzt 
muß  konstatieren,  daß  menschliche  Kunst  hier  nichts  mehr 
vermag:  Ronsard  stirbt  zum  namenlosen  Schmerz  seines  yer- 
zweifelten  Vaters. 

So  hat  sich  die  Prophezeiung  des  Geistes  in  schrecklicher 
Weise  bewahrheitet.  D'Amville  selbst  gibt  sich  an  dem  Tage, 
an  dem  Charlemont  hingerichtet  werden  sollte,  in  Verzweiflung 
den  Tod. 

22.  The  Unnatural  Combat  von  Massinger. 

Malefort,  Admiral  von  Marseilles,  wird  von  einer  sünd- 
haften Liebe  zu  seiner  eigenen  Tochter  verzehrt.  Diese  un- 
natürliche Leidenschaft  hat  ihn  dermaßen  verblendet,  daß  er. 
als  der  Priester  im  Begriffe  ist,  Theocrine  mit  dem  jungen 
Beaufort  für  das  Leben  zu  verbinden,  jede  Selbstbeherrschung 
verliert,  auf  seine  Tochter  stürzt  und  sie  zwingt,  mit  ihm  nach 
Hause  zu  gehen.  Als  Malefort  zur  Besinnung  kommt,  ergeht 
er  sich  in  heftigen  Selbstanklagen.  Um  das  Übel  mit  der 
Wurzel  auszurotten,  faßt  er  den  verhängnisvollen  Entschluß, 
Theocrine  seinem  Freunde  Montreville  anzuvertrauen,  den  er 
durch  einen  Eid  bindet,  ihm  unter  keiner  Bedingung  je  mehr 
den  Anblick  seiner  Tochter  zu  gestatten.  Aber  bald  bereut 
Malefort  diesen  Schritt,  die  alte  Leidenschaft  übermannt  ihn. 
Ohne  Verzug  eilt  er  zu  Montreville  und  bittet  ihn,  seine 
Tochter  auszuliefern.  Nach  vielen  Bitten  erhält  Malefort 
seine  Tochter  zurück,  aber  als  ein  unglückliches,  innerlich 
gebrochenes  Wesen.  Das  unschuldige  Mädchen  ist  das  Opfer 
der  schauerlichen  Rache  geworden,  welche  Montreville  dem 
Malefort  für  den  Schimpf  geschworen  hatte,  den  ihm  letzterer 
einstens  zugefügt,  indem  er  ihm  die  Braut,  Theocrine's  Mutter, 
abwendig  machte  und  unmittelbar  nach  dem  Tod  seiner  ersten 


—     79     — 

Erau  heiratete.  Nach  dem  erschütternden  Bekenntnis  ihrer 
Entehrung  durch  Montreville  stirbt  Theocrine,  ihren  Vater 
in  qualvoller  Verzweiflung  zurücklassend. 

Selbst  der  Himmel  hat  sein  Antlitz  verhüllt,  gleich  als 
wolle  er  trauern  über  das  tragische  Geschick  einer  edlen 
Jungfrau.  Ein  mächtiger  Sturm  bricht  los,  grelle  Blitze 
durchzucken  die  pechschwarzen  Wolken,  unaufhörlich  grollt 
der  Donner.  Aber  auch  in  der  Seele  Malefort's  rast  ein 
Sturm,  an  elementarer  Gewalt  noch  furchtbarer;  denn  der 
von  den  Furien  der  Gewissensangst  Gepeinigte  sagt  selbst: 
^Each  guilty  thought  to  me  is  a  dreadful  hurricano,^^  Mit  er- 
schreckender Deutlichkeit  steigen  Bilder  aus  seinem  ver- 
gangenen Leben  auf,  Bilder  des  Entsetzens  und  der  Furcht. 
Doch  was  bedeutet  das?  Hat  die  Hölle  Rachegeister  ent- 
sandt, um  ihn  zu  züchtigen?  Ha!  Jetzt  erkennt  er  sie,  die 
Geister  seines  Sohnes  und  seiner  ersten  Gattin,  die  er  hin- 
gemordet hat,  um  die  Braut  seines  Freundes  Montreville 
heiraten  zu  können.  Ja,  da  stehen  sie  vor  ihm,  sein  Sohn, 
halbnackt,  den  ganzen  Leib  voll  Wunden,  so  wie  er  ihn  im 
Zweikampf  getötet,  in  dem  der  Arme  den  Tod  seiner  Mutter 
rächen  wollte,  und  neben  ihm  die  Gattin,  von  einem  ver- 
heerenden Aussatz  ergriffen,  die  Wirkung  des  tödlichen  Giftes, 
das  er  ihr  eingegeben  hatte.  O  Grausen!  Ja,  sie  sind  ge- 
kommen, um  sein  verhärtetes  Gewissen  zu  rühren,  um  ihm  zu 
sagen,  daß  die  Donnerkeile,  die  ihn  von  der  Höhe  seines 
Glückes  und  Ruhmes  geschleudert,  auf  dem  Ambos  der 
Grausamkeit  und  des  Unrechts  geschmiedet  wurden,  das  er 
ihnen  angetan: 

"  You  come  io  laiice  rny  sear^d-up  consciencf :  yes, 
And  to  imtmct  me,  that  iho.se  thmiderbolts, 
That  hurPd  me  headlong  from  the  height  of  glonj, 
WeaÜh,  honours,  worldlg  kappiness,  were  forged 
Upon  the  anvil  of  mu  impious  ivrongs, 

And  cruelttj  to  yoii! 

(Cunningham,  V,  2,  S.  63.) 

Angsterfüllt  fragt  Malefort  die  Geister: 


—     80    — 

Can  any  penanee  expiaie  my  guiü, 
Or  can  repentance  save  weP" 
Aber  keine  Antwort  erfolgt.     Die  Geister  yerschwinden. 

Die  Geisteserscheinung  ist  zunächst  der  lebendige  und 
packende  Ausdruck  der  entsetzlichen  Gewissensqualen  Male- 
fort's.  Außerdem  aber  bezweckt  das  Auftreten  der  Geister 
offenbar,  Malefort  anzudeuten,  daß  die  Stunde  der  Vergeltung 
nicht  mehr  fem  ist.  Denn  auf  die  Frage,  ob  irgend  eine 
Strafe  seine  Schuld  sühnen  oder  Reue  ihn  retten  könne,  geben 
die  Geister  keine  Antwort.  Wir  werden  also  gleichzeitig  auf 
die  Katastrophe  vorbereitet. 

Die  quälende  Ungewißheit  Malefort's  verwandelt  sich  in 
Verzweiflung,  er  klagt  sein  Schicksal  an,  er  klagt  die  Sterne 
an,  dßren  unglückliche  Konstellation  bei  seiner  Geburt  sein 
Leben  so  verhängnisvoll  gestaltet  habe,  er  verflucht  die  Ur- 
sache seines  Daseins.  Doch  als  wollte  der  Himmel  den  Frevler 
ohne  weiteres  zur  Verantwortung  ziehen,  föhrt  ein  Blitzstrahl 
hernieder  und  tötet  Malefort. 

Der  Einfluß  Seneca's  ist  auf  den  ersten  Blick  zu  er- 
kennen. In  der  Tat,  in  der  Darstellung  unnatürlicher  Ver- 
brechen und  blutiger  Greuel  zeigt  sich  Massinger  als 
würdiger  Schüler  seines  Meisters. 

23.  The  Changeling  von  Thomas  Middleton. 

Beatrice-Joanna,  die  Tochter  Vermandero's,  ist  mit  Alonzo 
de  Piraquo  verlobt.  Als  sie  aber  Alsemero  kennen  lernt, 
entbrennt  sie  in  heißer  Liebe  zu  ihm.  Um  ihn  besitzen  zu 
können,  läßt  sie  Alonzo  durch  de  Flores,  einen  Diener  ihres 
Vaters,  ermorden. 

In  V,  1  erscheint  nun  de  Flores  und  Beatrice  der  Geist 
Alonzo's,  als  sie  eben  im  Begriffe  stehen,  ein  neues  Ver- 
brechen auszuführen,  um  Beatrice'a  gefährdete  Ehre  zu  retten. 
Der  Geist  bleibt  zwar  stumm;  doch  erscheint  es  mir  klar, 
daß  er  durch  sein  Erscheinen  seinen  Mördern  das  schändliche 
Verbrechen  ins  Gedächtnis  zurückrufen  und  ihnen  bedeuten 
will,  daß  jene  ruchlose  Tat  noch  nicht  gesühnt  sei.  Unwill- 
kürlich steigt  in  uns  die  Ahnung  auf,  daß  die  Vergeltung 
nahe  ist.    Der  Geist  bereitet  also  auf  die  Katastrophe  vor. 


—    81     — 

Beatrice  und  de  Flores  geben  sich,  als  Ehebrecher  uod 
Mörder  entlarvt,  selbst  den  Tod. 

Bei  dem  Anblick  des  Geistes  ruft  de  Flores  aus: 
^Ha!  wfiat  art  ihou  (hat  tak'st  away  the  light 
Betwixt  that  star  and  me?     I  dread  thee  not  : 
'Tivas  hui  a  mist  of  eonsdence ;  alPs  clear  again" 

(Bullen,  Bd.  6,  V,  1,  S.  95.) 

Die  letzten  Worte  des  de  Flores  ^*Twas  hut  a  mist  of 
conscicnce^^  lassen  aber  noch  eioe  andere  Auslegung  zu.  Diesen 
Worten  gemäß  bedeutet  die  öeisteserscheinung  eine  plötzliche 
Regung  des  Gewissens,  die  de  Flores  sofort  wieder  niederkämpft, 
was  aus  dem  folgenden  "aWs  clear  agaM''  zu  schließen  ist. 

Auch  bei  Beatrice  bewirkt  die  Geisteserscheinung  ein 
Erwachen  der  inneren  Stimme.  Kach  dem  Verschwinden  des 
Geistes  erklärt  sie: 

^  Sonic  Hl  thing  haunts  the  house;  H  has  left  hehind  it 
A  shivering  sweat  upon  nie;  Vni  afraid  nowT 

Der  Angstschweiß  —  eine  Folge  der  inneren  Beklemmung ! 

24.  The  Tragedg  of  Albertus  Wallenstein  von  Henry 
Glapthorne. 

Was  für  uns  von  dem  Inhalt  des  Stückes  in  Betracht 
kommt,  ist  als  Episode  in  die  Haupthandlung  verflochten. 

Albertus,  ein  Sohn  Wallenstein's,  liebt  Isabella,  das 
Kammermädchen  seiner  Mutter.  Der  beabsichtigten  Heirat 
widersetzt  sich  jedoch  der  Herzog  energisch.  Während  des 
heftigen  Zwiegesprächs  zwischen  Vater  und  Sohn  kommt  die 
Herzogin  und  beschuldigt  Isabella  des  Diebstahls.  Daraufhin 
ordnet  Wallenstein  ohne  weitere  Untersuchung  die  Hinrichtung 
Isabella's  an.  Bei  dem  Versuch,  den  Tod  seiner  geliebten 
Isabella  zu  verhindern,  wird  Albertus  von  der  Wache  auf 
Befehl  seines  Vaters  getötet. 

Empfindet  Wallenstein  über  sein  voreiliges  Handeln  ohne- 
hin schon  Reue,  so  ist  das  noch  umsomehr  der  Fall,  als 
sich  die  Unschuld  Isabella's  erweist.  Wallenstein  ist,  wie  er 
selbst  sagt,  ^dürased  in  mirnl",  er  sieht  immer  die  Geister  der 
Ermordeten,    er   glaubt   sich    beständig   von   ihnen    verfolgt. 

MÜDchener  Beitrage  z.  romauiächen  u.  engl.  Philologie.    XXXV.      B 


—    82    — 

Beweis  hierfür  ist  die  Ermordung  seines  Pagen.  In  IV,  3 
beschlieBt  Wallenstein  etwas  za  rohen  und  verbietet  seinem 
Pagen  strenge,  ihn  aus  irgend  einem  Grund  im  Schlafe  zu 
stören.  Bald  darauf  erscheint  die  Herzogin  nnd  besteht  da- 
rauf, daß  ihr  Gemahl  geweckt  werde.  Der  Page  vollführt 
diesen  Befehl,  aber  Wallenstein,  in  der  Meinung,  ein  Geist 
störe  seine  Ruhe,  ersticht  den  Pagen. 

Besonders  aber  zeigt  uns  der  Monolog,  den  Wallenstein 
kurz  vor  seinem  Tode  hält,  wie  schwer  er  unter  den  Ge- 
wissensqualen leidet.  Wallenstein  hat  seinen  Sohn  und  dessen 
Braut  gesehen.  So  bleich  und  mager  waren  sie,  als  hätten 
sie  ein  Jahr  Leichenluft  geatmet: 

"Pak  and  as  meager^  as  they  had  convers^l 
Ä  yeere  with  the  inhabitanis  of  Die  eartk. 
And  drunk  the  dew  of  charnell  hcmses" 

(Pearson,  Bd.  2,  V,  2.) 

Sie  haben  ihm  mit  ihren  geisterhaften  Händen  zugewinkt, 
als  wollten  sie  ihn  in  dieser  stummen  Sprache  einladen,  zu 
ihnen  zu  kommen. 

Diese  Worte  lassen  in  uns  die  Ahnung  von  Wallenstein's 
bevorstehendem  Ende  aufsteigen;  die  Geisteserscheinung  bereitet 
uns  also  auf  die  Katastrophe  vor;  außerdem  aber  ist  der 
Geist,   wie  wir  gesehen  haben,  Symbol  der  Gewissenskämpfe. 

Wallenstein  selbst  betrachtet  die  Geisteserscheinung  als 
Vorboten  seines  nahen  Todes.  Dieser  an  sich  erschreckt  ihn 
nicht,  da  er  ja  eine  Forderung  der  Natur  sei.  Aber  daß  er 
sterben  müsse,  die  Seele  mit  Todsünden  befleckt,  das  bereitet 
ihm  unendliche  Qual.  —  Gleich  darauf  wird  Wallenstein  von 
Gordon,  Lesle  und  Butler  ermordet, 

25.  The  Witch  of  Edmonton  von  John  Ford. 

Wie  in  dem  eben  behandelten  Drama  veranschaulicht 
auch  hier  der  Geist  die  Seelen  schmerzen  eines  von  Beue  ge- 
peinigten Mörders. 

Um  seinem  Vater  zu  gefallen,  hat  sich  Frank  Thomey 
mit  Carter's  Tochter,  Susan,  verheiratet,  obgleich  er  bereits 
—  ohne  Wissen  seines  Vaters  —  der  Gatte  von  Winnefrede 


—    83    — 

ist  Von  der  Liebe  zu  Winnefrede  gequält  fühlt  sich  Frank 
höchst  unglücklich.  Schließlich  ermordet  er  Susan.  Um  den 
Verdacht  des  Mordes  von  sich  abzulenken,  verwundet  er  sich 
selbst  und  ruft  um  Hilfe.  Als  sein  Vater  und  der  alte  Carter 
herbeieilen,  beschuldigt  er  diesen  gegenüber  zwei  ehemalige 
Freier  Susan's,  Somerton  und  Warbeck,  des  Mordes.  Frank 
wird  zur  Heilung  seiner  Wunden  in  Carter's  Haus  gebracht. 

Die  Stimme  des  Gewissens,  die  so  lange  geschwiegen  hat, 
pocht  lauter  und  lauter.  Frank  wird  von  schrecklichen  Phan- 
tasien geängstigt.  Um  uns  seine  Seelenqualen  recht  deutlich 
vor  Augen  zu  führen,  läßt  der  Dichter  den  Geist  Susanns  an 
seinem  Krankenlager  erscheinen.  Um  diesem  grausigen  An- 
blick zu  entgehen,  legt  sich  Frank  auf  die  andere  Seite  des 
Settes.  Aber  auch  jetzt  starrt  der  Geist  dem  Unglücklichen 
in  das  entsetzte  Antlitz.    Gleich  darauf  verschwindet  der  Geist. 

Lange  kämpft  der  Selbsterhaltungstrieb  mit  der  inneren 
Stimme.  Frank  versucht  seine  falsche  Behauptung  von 
Susan's  Ermordung  durch  Somerton  und  Warbeck  aufrecht 
zu  halten.  Doch  endlich  bricht  er  zusammen  und  gesteht 
Winnefrede  die  Wahrheit. 

26.  The  Old  Wives'  Tale  von  George  Peele. 

In  diesem  Drama  bedeutet  das  Auftreten  des  Geistes 
für  den  Verlauf  der  Handlung  ein  accelerierendes 
Moment.  Eumenides  hat,  um  Jack's  Leiche  ein  ehrliches 
Begräbnis  zu  verschaffen,  fast  seine  ganze  Barschaft  ge- 
opfert. Aus  Dankbarkeit  erscheint  ihm  später  der  Geist 
des  Jack  und  hilft  ihm,  Venelia,  Delia  und  die  beiden 
Brüder  der  letzteren  aus  der  Gewalt  des  Zauberers  Sacrapant 
zu  befreien. 

Die  „dankbaren  Toten^  sind  ein  bekanntes  Motiv  der 
Weltliteratur.  So  kauft  in  Sir  Amadas  ^),  einer  mittelenglischen 
Bomanze,  Sir  Amadas  die  Leiche  eines  bankerotten  Kauf- 
manns los  und  läßt  sie  begraben.  Dafür  hilft  ihm  der  dank- 
bare Tote  bei  einem  Turnier  zu  Sieg  und  Königstochter. 
Ahnliche  Beispiele  finden  wir  nicht  weniger  als  15  in  Sim- 


>)  Siehe  Paars  Grundriß,  Bd.  2,  S.  666. 

6» 


-     84    — 

rock's   Buch:    „Der   gute    Gerliard    und  die  dankbaren    Toten^ 
(S.  46—106). 

27.  The  Sewnd  Part  of  tke  Iron  Age  von  Thomas  Hey- 
wood. 

Das  Stück  ist  die  Fortsetzung  von  The  Iron  Age  und  be- 
schreibt in  Akt  I — III  die  letzten  Kämpfe  der  Griechen  vor 
Troja,  seine  Einnahme  und  Zerstörung,  in  Akt  IV — V  die 
Eückkehr  des  Agamemnon  nach  Griechenland^  seinen  Tod, 
den  Tod  des  Aegisthus,  der  Clytaemnestra  etc. 

In  diesem  Drama  treten  zwei  Geister  auf;  deren  Er- 
scheinen ein  retardierendes,  bzw.  accelerierendes 
Moment  genannt  werden  kann. 

Am  Ende  des  II.  Aktes  erscheint  der  Geist  des  Hektor 
dem  Aeneas,  der  entschlossen  ist,  sein  Leben  zu  opfern,  aber 
zuvor  möglichst  viele  Griechen  erschlagen  will.  Der  Geist 
weist  ihn  auf  das  Nutzlose  dieses  Vorhabens  hin  und  fordert 
ihn  auf,  mit  den  Göttern  Trojans  zu  fliehen  und  ein  König- 
reich zu  gründen,  welches  dazu  dienen  soll,  das  Andenken 
seiner  Ahnen  zu  verherrlichen.  Aeneas  befolgt  den  fiat  des 
Geistes  und  verläBt  Troja,  seinen  alten  Vater  auf  dem  Bücken 
und  die  Schutzgötter  Troja's  in  seiner  Begleitung. 

Die  Geisteserscheinung  hält  Aeneas  zurück,  sich  an  dem 
Verzweiflungskampf  der  Trojaner  zu  beteiligen,  bedeutet  also 
vielleicht  für  den  Verlauf  der  Handlung  ein  retardierendes 
Moment. 

In  V,  1  erschlägt  Orestes  den  Geliebten  seiner  Mutter, 
Aegisthus,  zögert  aber,  ein  Gleiches  mit  seiner  Mutter  za 
tun,  da  er  im  Zweifel  über  ihre  Schuld  ist.  Da  erscheint 
der  Geist  des  Agamemnon  und  zeigt  auf  seine  Wunden,  dann 
auf  den  toten  Aegisthus  sowie  auf  die  lebende  Clytaemnestra, 
wie  um  anzudeuten,  daß  sie  beide  seine  Mörder  seien.  Da* 
rauf  verschwindet  der  Geist.  Jetzt  tötet  Orestes  auch  seine 
Mutter. 

Das  Erscheinen  des  Geistes  veranlaßt  den  zögernden 
Orestes  zu  entschlossener  Tat,  bedeutet  also  für  den  Verlauf 
der  Handlung  ein  accelerierendes  Moment.  Bemerkens- 
wert ist,  daß  der  Geist  Clytaemnestra  unsichtbar  bleibt,  was 


—    85     — 

uns  wieder  an  den  alten  Volksglauben  erinnert,  demzufolge 
ein  Geist  selten  mehr  als  einer  Person  sichtbar  ist,  auch 
wenn  mehrere  anwesend  sind. 

28.  In  Lady  Ähmony  (III,  6)  tritt  der  Geist  des  Gallerius 
auf,  der  aber  zur  Handlung  des  Stückes  in  wenig  oder  keiner 
Beziehung  steht,  yon  einem  EinBuß  auf  den  Gang  der  Er- 
eignisse gar  nicht  zu  reden.   Siehe  Dodsley-Hazlitt  XIV. 


Schlufserörterung. 


Am  Schluß  der  Abhandlung  mögen  in  aller  Kürze  die 
Hollen  noch  einmal  Revue  passieren,  welche  die  Dichter  dem 
"Geist"  im  Drama  zugeteilt  haben: 

Der  "Geist"  ist  entweder  Stimmungsfigur,  wie  der  Geist 

I.  der  Mariemma,  2.  des  Selymus,  3.  des  Moleonte,  4.  der 
Messalina  und  des  Silius,  5.  des  Herzogs  Gorlois,  6.  des 
Andrea,  7.  des  Clarence,  8.  deP^alten  Köoigs  von  Ormus, 
9.  des  Alexander,  10.  des  Sulla,  11.  des  Camillus  und  Brennus, 

12.  des  Malbecco,  13.  des  alten  Hamlet. 

Oder  der  "Geist"  veranlaßt  den  Beginn  der  steigen- 
den Handlung,  wie  der  Geist  1.  des  Malbecco,  2.  des  alten 
Hamlet,  3.  des  Bussy  d'Ambois;  oder  den  Beginn  der 
fallenden  Handlung,  wie  der  Geist  1.  des  Geta,  2.  der 
Lady,  3.  des  Andrugio,  4.  der  Isabella. 

Oder  der  "Geist"  dient  zur  Hervorhebung  des  Höhe- 
punktes, wie  der  Geist  des  Banquo. 

Endlich  bereitet  der  "Geist"  auf  die  Katastrophe  vor, 
wie  der  Geist  1.  des  Bussy  d'Ambois,  2.  des  Andrugio,  3.  des 
Brachiano,  4.  des  Corineus,  5.  des  Klosterbruders  Anselm, 
6.  "des  Caesar,  7.  des  Asdrubal,  8.  des  Montferrers,  9.  des 
Alonzo,   10.   die  Geister  in   ''RicJmrd  ir  und   ''Richard  Iir\ 

II.  in  "r/z«  Unnaiural  ComhaC^    12.  in   ''Albertus    Walleustein'\ 

13.  in  "Faium   Voriiyernr. 


—    86     — 

Kurz  gesagt,  die  Dichter  lassen  den  Geist  willkürlich 
auftreten,  d.  h.  in  jeder  Entwicklungsstufe  des  Dramas,  um 
Sensation  zu  machen. 

Außerdem  zielt  sein  Erscheinen  manchmal  nicht  auf  eine 
bestimmte  dramatische  Wirkung  ab,  sondern  bezweckt,  den 
Verlauf  der  Handlung  zu  beschleunigen  oder  zu  hemmen, 
repräsentiert  also  ein  accelerierendes  Moment,  wie  der 
Geist  1.  der  Agrippina,  2.  des  Yortumerus,  3.  des  Camillus 
und  des  Brennus,  4.  des  alten  Hamlet,  5.  des  Bussy,  6.  des 
Andrugio,  7.  des  Albanact,  8.  des  Jack,  9.  des  Agamemnoa, 
oder  ein  retardierendes  Moment,  wie  der  Geist  des 
Sorastanus  u^d  der  Geist  des  Montferrers. 

Endlich  ist  der  '^Geisf'  Symbol  der  Gewissensqualen: 
1.  in  ''The  Ti-ue  Tragedy  of  RicJiard  Iir\  2.  in  ''MacbM\ 
3.  in  ''Richard  IIV\  4.  in  "Julius  Caesar'\  5.  in  "The  Unnatural 
Comhaf\  6.  in  "The  Changeling*\  7.  in  "The  Tragedy  of  Albertus 
Wallenstein'',  8.  in  "The  Witch  of  Edmonton''. 

Die  gewöhnliche  Triebfeder,  die  das  Auftreten  des  Greistes 
veranlaßt,  ist  der  Rachedurst.  Daher  wohnt  der  *'G^ist"  sehr 
oft  der  Bestrafung  der  Schuldigen  bei  und  erscheint  am 
Schluß  des  Stückes  wieder^  frohlockend  über  den  Vollzug  der 
Bache,  wie  der  Geist  1.  des  Herzogs  Gorlois,  2.  des  Andrea, 
3.  des  Bussy,  4.  des  Andrugio,  5.  des  Albanact,  6.  des  Co- 
rinens,  7.  des  Moleonte. 

Schließlich  will  ich  es  nicht  unterlassen,  auf  ein  paar 
interessante  Charakteristika  der  Geister  hinzuweisen.  Es 
kommt  gelegentlich  vor,  daß  der  ^^Geist"  von  seinem  Auf- 
enthaltsort spricht.  So  berichten  uns  der  Geist  Andrea's  wie 
der  Geist  des  alten  Königs  von  Ormus  ausfuhrlich  über  die 
Vorgänge  in  der  klassischen  Hölle.  Der  Geist  des  Bussy 
d'Ambois  spricht  von  dem  Chaos  ewiger  Kacht,  aus  dem  er 
emporgestiegen  sei.  Wahrhaft  erschütternd  ist  aber  die 
Schilderung  der  christlichen  Hölle,  die  wir  aus  des  Geeistes 
Mund  in  "Hamlet"  vernehmen,  und  die  umso  ergreifender  ist, 
als  sie  keine  detaillierte  Beschreibung  enthält^  sondern  die 
Wirkung  kennzeichnet,  die  eine  solche  Kunde  auf  den  Sterb- 
lichen hervorbringen  würde: 


—    87     — 

^^But  thai  I  am  forbid 

To  teil  the  secrets  of  my  prison-house, 

1  could  a  iah  unfoldf  tvhose  lightest  woi'd 

Would  harrow  up  thy  soul;  freexe^  thy  young  blood; 

Make  thy  two  eyes,  like  stars,  start  frofn  their  spJteres; 

Thy  knotted  and  combined  loeks  to  pari. 

And  each  particular  hair  to  stand  on  e^id, 

Like  quiUs  upon  the  fretful  porpentine: 

But  this  eiemal  hlaxon  must  not  he 

To  ears  of  flesh  and  bloodr  (I,  5,  13  ff.) 

Nicht  selten  spricht  der  Geist  moralische  Sentenzen  aus: 
der  Geist  des  Bussy  d'Ambois  läßt  in  einem  Monolog  eine 
Aufforderung  an  die  Menschheit  ergehen,  ihr  Leben  zu  bessern. 
Er  warnt  davor,  den  Weg  des  Glückes,  die  Religion,  zu  ver- 
lassen. Die  Strafe  folge  jedem  Vergehen  auf  dem  Fuße  nach, 
geradeso  wie  der  Donner  dem  Blitz.  —  Der  Geist  des  As- 
drubal  warnt  vor  der  Verletzung  der  Treue: 

^^Mortals,  fear  to  slight  your  gods  and  vowes; 
Jove*s  arm  is  of  dread  mighty 
Wenn  Alexander's  Geist  wehmütig  von  sich  sagt,  er 
habe  jedermann,  nur  nicht  sich  selbst  besiegt,  so  erkennt  er 
damit  an,  daß  der  größte  Sieg  des  Menschen  der  ist,  den  er 
über  sich  selbst  erficht.  —  Der  Geist  des  Montferrers  ermahnt 
seinen  Sohn,  die  Rache  dem  König  der  Könige  zu  überlassen, 
ist  also  ein  Repräsentant  christlicher  Moral. 


Chronologisches  Verzeichnis   der  behandelten  Dramen. 

1.  Meleager  (1680  entstanden). 

2.  Dido  (1583  aufgeführt). 

3.  Herodes  (zwischen  1567  und  1588  verfaßt). 

4.  Misforiimes  of  Arthur  (am   28.  Februar   1587/88   auf- 
geführt). 

5.  Spanish  Tragedy  (ca.  1587/88?  entstanden). 

6.  Tr^te  Tragedy  of  Riehard  III  (zwischen  1589  und  1591 
▼erfaßt). 


13.  Solymannidae 

14.  Perfidus  Hetruscus 

15.  Antaninus  Bassianus 

Caracalla 


-     88     - 

7.  Boxana  (zwischen  1583  und  1592  aufgeführt), 

8.  Richard  II  (verfaßt  ca.  1695/96). 

9.  Locrine  (1595  anooym  veröflFentlicht). 

10.  The  Old  Wives'  Tale  (1595  gedruckt). 

11.  Bicliard  III  (1597  veröflFentlicht). 

12.  Fatum  Voriigemi  (Ende  des  16.  Jahrh.  verfaßt). 

Eine  genaue  Zeitangabe  zu 
machen,  ist  unmöglich;  doch 
sind  diese  Dramen  jedenfalls 
spätestens  Ende  des  16.  bzw. 
Aufaug  des  17.  Jahrh.  entstanden. 

16.  Second  Part  of  King  Edward  IV  (1600  gedruckt). 

17.  Grim    the    Collier    of   Oroydon    (unter    März    1600    in 
Henslowe's  Diary  eingetragen). 

18.  Antonio  and  Mellida  (1601  zum  ersten  Mal  aufgeführt). 

19.  Julitts  Caesar  (ca.  1599/1600?  entstanden). 

20.  Hamlet  (1602  in  Stationers'  Register  eingetragen). 

21.  h'cro  (1603  gedruckt). 

22.  Alexandrcpan  Tragedy  (1605  gedruckt). 

23.  Macbeth  (verfaßt  zwischen  1605  und  1607). 

24.  Soj)h<mi^ba  (1606  gedruckt). 

25.  Cutiline  (1611  zum  ersten  Mal  aufgeführt). 

26.  The  Atheisfs  Tragedy  (1611  gedruckt). 

27.  Tlie  Second  Maiden's  Tragedy  (erhielt  1611  die  Erlaub- 
nis zur  Aufführung). 

28.  The  White  Deril  (1612  gedruckt). 

29.  Bevenge  of  Bussy  d^Amhois  (1613  gedruckt). 

30.  The  Witrh  of  Edmonton   (1658   gedruckt,   aber  wahr- 
scheinlich schon  1621  verfaßt). 

31.  The  Changcling  (aufgeführt  am  4,  Januar  1623). 

32.  Alaham  (1633  gedruckt,   aber  sicher  zu  viel  früherer 
Zeit  verfaßt). 

33.  Second  Part  of  the  Iron  Age  (1632  gedruckt). 

34.  Fuimns  Troes  (1633  gedruckt). 

35.  The   Unnntural  Combat  (1639  gedruckt), 

36.  The    Tragedy  of  Albertus    Wallenstein  (1639  gedruckt). 

37.  Lady  Alimony  (ca.  1639   entstanden). 


—    89    — 

Übersicht  über  die  einzelnen  Dicliter. 

Goldingham,  Alabaster,  der  Dichter  von  ^^Soly- 
viannidae^\  Hughes,  Kyd,  Lord  Brooke,  Sir  Williana 
Alexander  und  Ben  Jonson  verwenden  den  Geist  als 
Stimmungsfigur;  bei  Dr.  Gwinne  und  Dr.  Fish  er  finden 
wir  ihn  als  Stimmungsfigur  und  accelerierendes  Moment;  dem 
Verfasser  der  "7ri/e  Tragedi/^  dient  der  Geist  als  Stimmungs- 
figur und  Symbol  der  Gewissensqualen;  der  Dichter  von 
^^Qrim  tke  Collier  of  OroydorC'  verwendet  den  Geist  als  Stim- 
mungsfigur ;  ferner  wird  durch  ihn  der  Beginn  der  steigenden 
Handlung  verursacht. 

Bei  Shakspere  tritt  der  Geist  nahezu  in  jeder  Ent- 
wicklungsstufe des  Dramas  auf.  Der  Dichter  läßt  durch  den 
Geist  in  Stimmung  versetzen,  den  Beginn  der  bewegten 
Handlung  veranlassen,  den  Höhepunkt  hervorheben,  auf  die 
Katastrophe  vorbereiten,  den  Gang  der  Handlung  beschleunigen ; 
•endlich  ist  der  Geist  bei  Shakspere  Symbol  der  Gewissens- 
qualen. 

Hier  mögen  einige  Urteile  über  Shakspere 's  Geister 
Platz  finden. 

Ausgehend  von  dem  Gesichtspunkt,  daß  es  eine  der 
schwierigsten  und  gefährlichsten  Aufgaben  des  Dramatikers 
sei,  Erscheinungen  der  übersinnlichen  Welt  in  einem  Drama 
so  darzustellen,  daß  sie  auch  in  aufgeklärten  Zeiten  nicht 
grotesk  wirken,  untersucht  Wurth  die  Fragen:  1.  Was 
mag  Shakspere  bewogen  haben,  den  Geist  überhaupt  in 
das  Drama  einzuführen?  2.  Wie  ist  es  ihm  gelungen,  ihn 
so  zu  verwenden,  daß  auch  moderne  Menschen  in  das  Zauber- 
reich der  Geister  hineingetäuscht  werden?^) 

Bei  Beantwortung  der  Frage  1  kommt  Wurth  zu  dem 
Schluß:   Shakspere   verwendet  den   Geist,   um  Seelenvor- 


')  Draniaturgisclie  Bemerkungen  zu  den  Geisterszenen  in  Shakspere'B 
Tragödien,  in  der  Festschrift  für  Schipper,  S.  286  fiF.  Vergleiche  zu 
diesem  Artikel  Sarrazin 's  Rezension  in  „Studien  zur  vergleichenden 
Literaturgeschichte^^  herausgegeben  von  Koch,  ö.  Bd.  8.  Heft.  Berlin 
1905.  S.  381. 


—     90     — 

gänge,  die  das  treibende  Moment  der  Handlang  bilden,  dem 
Zuschauer  dramatisch  wirksam,  also  sichtbar  Yorzufahren. 
Denn,  sagt  der  Verfasser,  dramatisch  wirksam  ist  nur  das, 
was  der  Zuschauer  wirklich  miterlebt  und  hört  und  sieht. 

Wurth's  Erörterungen  der  2.  Frage  basieren  auf  der 
schon  von  Tieck  ausgesprochenen  Ansicht,  daß  der  Dichter 
für  das  Wunderbare  fast  immer  eine  natürliche  Erklärung 
übrig  läßt,  und  decken  sich  ungeföhr  mit  den  Ausführungen 
in  der  Quarterhj  Rernew  vol.  171  (1890)  S.  91fr.i) 

Der  Verfasser  dieses  Artikels  wirft  die  Frage  auf:  Ist 
Shakspere  naturgetreu,  wenn  er  Hamlet  oder  Macbeth  oder 
Brutus  Geister  sehen  und  mit  ihnen  sprechen  läßt? 

Shakspere 's  Zeitgenossen  glaubten  an  Geister,  weil 
sie  welche  gesehen  hatten.  Auch  wir  sehen  im  wirklichen 
Leben  manchmal  Geister  und  glauben  trotzdem  nicht  an  sie. 
Denn  wir  wissen  jetzt,  daß  Geister,  geradeso  wie  viele  andere 
geheimnisvolle  Erscheinungen  den  Naturgesetzen  unterworfen 
sind.  Nur  fallen  sie  nicht  unter  die  Gesetze  der  Optik, 
sondern  unter  diejenigen  der  Phantasie.  Wenn  wir  also  im 
wirklichen  Leben  Geister  sehen,  so  wissen  wir,  daß  sie  ihre 
Ursache  in  dem  abnormen,  ungesunden  oder  überreizten  Zu- 
stand unserer  Phantasie  haben.  Der  Verfasser  kommt  des- 
halb zu  dem  Schluß:  ^ Shake^^ipeare  is  tme  to  nature  in  his 
(jhosfs,  if  those  of  Jm  characiers  who  see  ghosts  might  have  scen 
them  in  adual  lifr ;  and  if  ihe  gliosts  so  seeti  ad  and  speak  as 
such  ghosts  would  have  done,  with  onhj  Üie  same  differefice  betteten 
them  and  the  ghosts  of  adual  life  as  coiresponds  with  iJie  differenct 
hetween  art  and  nature  which  we  find  throughout  Shakespec^e^s 
Plays  (1.  c.  S.  100). 

Bei  Chapman  dient  der  Geist  dazu,  den  Beginn  der 
steigenden  Handlung  zu  verursachen,  auf  die  Katastrophe 
vorzubereiten,  endlich  den  Gang  der  Handlung  zu  beschleu- 
nigen. —  Die  Verfasser  von  ^^AntonimLS  ßassianus  CaracaUa^^ 
und  ^*Srrond  Maiden^s  Tragcdif  lassen  durch  den  Geist  den 
Beginn  der  fallenden  Handlung  hervorrufen;  desgleichen 
Mars  ton.     Letzterer  überträgt  dem  Geist  außerdem  noch 


Shakespeare^s  Ghosts,  Fairies  arid  Witches. 


—    91     — 

die  Aufgabe,  auf  die  Katastrophe  Yorzubereiten  und  den  Gang 
der  Handlung  zu  beschleunigen.  Auch  Webster  läßt  durch 
den  Geist  den  Beginn  der  fallenden.  Handlung  verursachen 
und  auf  die  Katastrophe  vorbereiten . 

Die  Verfasser  von  ^^Fatum  Vortigeitii"  und  ^'Richard  //" 
führen  den  Geist  in  das  Drama  ein,  um  auf  die  Katastrophe 
vorzubereiten.  Das  Gleiche  tun  Hey  wo  od  und  der  Dichter 
des  ^^Locrine'*;  bei  diesen  letzteren  muß  der  Geist  ferner  den 
Gang  der  Handlung  beschleunigen.  Das  entgegengesetzte 
Ziel  verfolgt  der  Geist  bei  Tourneur:  er  hemmt  durch 
wiederholtes  Eingreifen  den  Gang  der  Handlung;  außerdem 
bereitet  er  auf  die  Katastrophe  vor. 

Den  nämlichen  Auftrag,  d.  h.  auf  die  Katastrophe  vor- 
zubereiten, hat  der  Geist  bei  Massinger,  Middleton  und 
Glapthorne;  zugleich  veranschaulicht  er  uns  die  Gewissens- 
qualen des  reuigen  Mörders.  Diesen  Zweck,  d.  h.  die  Seelen- 
schmerzen zu  versinnbildlichen  hat  auch  das  Auftreten  des 
Geistes  bei  Ford.  —  Der  Verfasser  von  '^Perfidm  Ileiriisms'^ 
läßt  durch  den  Geist  den  Gang  der  Handlung  verzögern, 
Peele  beschleunigen. 

Eine  Art  Stimmungsfigur  ist  der  Geist  auch  in  Peele 's 
^^Baitle  of  Alcaxar^\  einem  Drama,  in  welchem  zu  Beginn  des 
2.  Aktes  während  der  Bede  des  Presenter  drei  Geister,  die 
im  Verlauf  des   1.  Aktes  ermordet  wurden,  ^^VindiM*  rufen. 

Andere  Dramatiker,  wie  Greene,  Marlowe,  Beau- 
mont  und  Fletcher  wenden  den  "Geist*'  nie  an.  We- 
nigstens kann  man  der  beiden  letzteren  Komödie  ^^The  Knight 
of  the  Burning  Pestlc*^  kaum  zu  den  eigentlichen  Geisterdramen 
rechnen:  Venterwels  will  die  beabsichtigte  Heirat  zwischen 
seiner  Tochter  Luce  und  Jasper  nicht  zugeben;  einer  seiner 
Freunde,  Humphrey,  soll  Luce  heiraten.  Um  sich  zu  rächen, 
erscheint  Jasper  als  Geist  verkleidet  seinem  Meister  Venter- 
wels und  erklärt  ihm,  selbst  durch  den  Tod  könnten  treue 
Herzen  nicht  getrennt  werden;  seine  Tochter  Luce  sei  von 
Engeln  entführt  worden,  um  mit  ihm  (Jasper)  in  einer 
anderen  Welt  vereinigt  zu  werden;  sein  (Jasper's)  Geist  werde 
nicht  aufhören,  ihn  (Venterwels)  zu  verfolgen.  Der  auf  den 
Tod  erschrockene  Venterwels  fragt  den  vermeintlichen  Geist, 


—     92    — 

was  er  tun  müsse,  um  Verzeihung  zu  eriangen.  Der  Geist 
erwidert  zunächst,  die  Reue  käme  zu  spät,  dann  aber  er- 
mahnt er  Yenterwels  zur  Reue  und  fordert  ihn  auf,  das 
seinem  (Jasper*s)  Vater  zugefügte  Unrecht  wieder  gut  zu 
machen,  sowie  Humphrey  aus  dem  Hause  zu  jagen.  Yenter- 
wels führt  schleunigst  die  ihm  erteilten  Aufträge  aus.  Dem- 
gemäß würde  also  der  yermeintliche  Geist  ein  den  Gang  der 
Handlung  accelerierendes  Moment  darstellen.  —  Er- 
wähnt sei  noch  Sir  William  Barclay's  ^Lost  Ladtf^  ^),  eine 
Tragikomödie,  in  der  ebenfalls  ein  falscher  oder  yermeint- 
licher  Geist  auftritt. 


1)  In  Dodsley-Hazlitt,  vol.  Xn. 


Lippert  &  Co.  (0.  Pätz'sche  Bnchdr.)  Naumbiurfc  a.  8. 


MÜNCHENER  BEITRÄGE 


ZUR 


ROIANIS(lNDNDEN6LISmPIIILOL06E 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

E  BREYMANN  und  J.  SCHICK. 


XXXVI. 
DAS  TIER  IN  DER  DICHTUNG  MAROTS. 


-^- 


LEIPZIÖ. 

A.  DEICH ERT'SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG  NACHF. 

(GEORG  BÖHME). 

1906. 


DAS  TIER 


IN  DER 


DICHTUNG  MAR0T8. 


VON 


»»•  JOS.  MENSCH. 


"-C^>— 


LEIPZIG. 

A.  DEICHE RT'SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG  NACHF. 

(GEORG  BÖHME). 

1906. 


Alle  Rechte  vorbelialteD. 


Inhalt. 


Seite 
Einleitung:  Gegenstand  der  Arbeit;   Begründung  der  Einteilung; 

das  Erscheinen  des  Tieres  in  der  Dichtung 1 

I.  Teil:  Äußere  Anlässe. 

1.  Wirkliche  Begebenheiten 6 

2.  Anekdotenhafte  Begebenheiten 16 

U.  Teil:  Innere  Anlässe. 

1.  Spott  und  Neckerei 18 

2.  Ausschmückung  und  Belebung 19 

3.  Erotica 22 

4.  Ausfälle  gegen  Feinde 26 

5.  Krieg  und  Frieden 29 

III.  Teil:  Tier-Gleichnisse 31 

IV.  Teil:  Tier- Vergleiche. 

I.  Längere  Vergleiche 37 

II.  Kürzere   Vergleiche.      (Einfache   Sätze    mit    Ver- 
gleichungspartikeln    46 

III.  Einwortige  Vergleiche.     (Metaphern.) 61 

IV.  Metaphorische  Wendungen 62 

Übergang  zur  Allegorie 68 

V.  Teil:  Tier- Allegorie. 

I.  Anfänge  der  Allegorie 69 

II.  Allegorische  Darstellung  der  Kechtshändel    ...  72 

III.  Allegorisches  Liebesgedicht 73 

IV.  Allegorisches  Hirtengedicht 75 

V.  Allegorische  Darstellung  christlicher  Lehren ...  83 

VI.  Allegorische  Darstellung  eines  Zeitereignisses    .    .  85 

Anbang 85 

VI.  Teil:  Vermenschlichung  des  Tieres 87 

VU.  Teil:  Animalisierung  des  Menschen 90 

Alphabetisches  Verzeichnis 92 


Einleitung. 


In  der  vorliegenden  Arbeit^)  habe  ich  mir  die  Au%abe 
gestellt,  einen  Überblick  zu  bieten  über  Umfang,  Grund,  Be- 
dingungen und  Art  des  Erscheinens  und  der  Verwendung 
des  Tieres  in  der  Dichtung  Marot's.  Als  Frucht  der  hier- 
durch notwendig  werdenden  möglichst  durchsichtigen  Anord- 
nung und  G-ruppierung  der  einschlägigen  Äußerungen  des 
Dichters  möchte  ich  einen  genauen  Einblick  bieten  in  sein 
inneres  Verhältnis  zu  den  Tieren  und  in  die  technischen  Be- 
sonderheiten seines  Verfahrens  bei  Heranziehung  und  Ver- 
wertung von  Stoffen  und  Motiven  aus  der  Tierwelt. 

Ich  beabsichtige  in  einem  ersten  Teile  von  dem  Auf- 
treten des  Tieres  aus  äußerem  Anlasse  zu  handeln  und  dabei 
diejenigen  Gedichte  und  Einzelstellen  aufzuführen,  die  ihre 
Entstehung  wirklichen  oder  anekdotenhaften  Begeh'  iten 
und  Vorkommnissen  verdanken,  bei  welchen  das  eine  otl  p 
andere  Tier  eine  mehr  oder  weniger  hervorragende  Rolle  ge- 
spielt  hat.  Es  kommen  also  hier  für  die  Einführung  des 
Tieres  in  die  Dichtung  meist  solche  äußere  Einflüsse  in  Be- 
tracht, denen  sich  der  Dichter  in  keiner  Weise  entziehen  kann 
und  die  ihn  z.  B.  zwingen,  gerade  so  wie  jeder  andere  Be- 
richterstatter auch  ein  Wort  zu  sagen  über  das  Pferdematerial, 


*)  Meinen  herelichsten  Dank  sage  ich  hier  Herrn  Profewor  ßrey- 
mann  för  die  Stellung  des  Themas  und  für  mannigfache  ünterttüUung 
bei  der  Ausarbeitung  und  der  schließliehen  Drucklegfung.  Auch  Herrn 
Professor  Schick  bin  ich  für  die  so  bereitwillig  gewährte  Hilfe  bei  der 
Korrektur  der  Arbeit  zu  aufrioblagem  Danke  Tsrpfltchtet. 
Münohener  Beiträge  z.  romanischen  n.  engl.  Philologie    XXXYI.     1 


—     2     — 

das  den  Truppen  zur  Verfügung  steht,  wenn  er  etwa  mit 
ähnlichen  Aufträgen  ins  Feldlager  geschickt  wird,  um  die 
Zurückgebliebenen  von  den  dortigen  Vorgängen  in  Kenntnis 
zu  setzen.  Allerdings  kann  man  sich  hierbei  von  vornherein 
darauf  gefaßt  machen,  ihn  nicht  so  sehr  nach  Art  eines  ge- 
wöhnlichen prosaischen  Menschen  das  eigentlich  Zweckent- 
sprechende im  Baue  und  in  den  Bewegungen  der  Streitrosse 
betonen  zu  sehen,  als  vielmehr  die  Schönheit  ihrer  Körper- 
formen und  den  mächtigen  Rhythmus  ihrer  dröhnenden  Huf- 
schläge. Es  handelt  sich  hier  für  ihn  eben  darum,  sich  au 
das  rein  Tatsächliche  zu  halten,  nichts  hinwegzunehmen  und 
nichts  hinzuzutun,  seine  eigene  Persönlichkeit  so  viel  wie 
möglich  auszuschalten. 

Schickt  sich  hingegen  der  Dichter  an,  das  Lob  eines 
Waldes  oder  eines  Frühlingstages  zu  singen,  so  braucht  er, 
streng  genommen,  obwohl  er  auch  in  diesem  Falle  seine  Ein- 
drücke von  außen  her  empfängt,  nicht  alle  Elemente  und 
Faktoren,  die,  wie  z.  B.  der  Vogelgesang,  für  uns  den  Begriff 
des  Waldes  und  des  Frühlingstages  ausmachen  können,  auf 
sich  wirken  zu  lassen.  Der  Auffassung  seiner  Zeit,  seiner 
besonderen  Eigenart  oder  der  augenblicklichen  Stimmung 
nachgebend  mag  er  den  einen  oder  den  anderen  Faktor  über- 
sehen, ihn  für  unwesentlich  oder  aber  für  ausschlaggebend 
erachten  und  wird  ihn  demnach  in  seine  Dichtung  aufnehmen 
oder  beiseite  lassen.  Räumt  also  der  Dichter  unter  solchen 
Umständen  dem  Tiere  wirklich  einen  Platz  in  poetischen  Er- 
güssen beschreibender  Natur  und  frei  gewählten  Schilderungen 
ein,  so  liegt  der  Grund  zur  Aufnahme  —  und  darauf  kommt 
es  ja  schließlich  an  —  trotz  des  von  außen  gekommenen 
Eindrucks  doch  nur  in  dieser  oder  jener  Beschaffenheit  seines 
Seelenlebens  oder  in  einer  subjektiven  Wertschätzung  des 
äußerlich  Wahrgenommenen  und  demzufolge  im  Innern  des 
Dichters.')      Dasselbe    gilt   auch   von    denjenigen   Fällen,    in 

^)  Einige  allbekannte  Beispiele  mögen  zur  weiteren  Erhärtung  des 
(resagten  dienen.  Man  vergleiche  z.  B.  Uhland's  Gedicht:  Die  linden 
Lüfte  sind  erwacht .  .  ,,  in  welchem  mit  keinem  Worte  irgend  eine» 
Tieres  Erwähnung  geschieht,  mit  der  Schilderung  des  Frühlings  in 
Hey 's  Gedicht  Die  Jahreszeiten^  die,    nebenbei  bemerkt,  mannigfache 


—     3     — 

welchen  der  Dichter  das  Tier  im  Zusammenhaage  mit  Liebes- 
beteuerungen, Ausfällen  gegen  seine  Feinde  u.  dgL  auftreten 
läßt,  wobei  er  sogar  oft  erst  durch  die  natürliche  Aufeinander- 
folge der  Gedanken  dazu  gebracht  wird,  dieser  oder  jener 
Tatsache  Erwähnung  zu  tun,  zu  welcher  das  eine  oder  andere 
Tier  in  engster  Beziehung  stand.  Ich  glaube  also  im  Rechte 
zu  sein,  wenn  ich  den  zweiten  Teil  dieser  Arbeit  dem  Er- 
scheinen des  Tieres  aus  innerem  Anlasse  widme. 

Ich  gehe  dann  zu  den  Redefiguren  über  und  führe  in 
einem  dritten  und  vierten  Teile  die  Gleichnisse  und  Ver- 
gleiche Marot's  auf,  in  welchen  dieses  oder  jenes  Tier  oder 
Gruppen  von  Tieren  oder  Vorkommnisse  aus  dem  Tier- 
leben zu  Trägern  der  Vergleichung  mit  Menschen  oder  Vor- 
kommnissen im  Menschenleben  werden.  Dabei  werde  ich 
unter  dem  Titel  „Gleichnisse^  diejenigen  Stellen  zusammen- 
fassen, in  denen  zwischen  etwas  Bekanntem  oder  allgemein 
Gültigem  und  etwas  Unbekanntem  oder  nicht  schon  Ton  selbst 
Einleuchtendem  mit  Hilfe  des  Vergleichs  eine  Beziehung  her- 
gestellt wird,  um  durch  den  Hinweis  auf  ganz  ähnliche  Ver- 
liältnisse  in  der  Tierwelt  die  eine  oder  andere  Handlungsweise, 
die  befürwortet  wird,  oder  diese  oder  jene  Behauptung,  die 
vorgebracht  wird,  zu  rechtfertigen.  Dieser  besondere  Zweck  fällt 
bei  den  bloßen  Vergleichen  des  vierten  Teiles,  die  lediglich 
zur  sinnlichen  Belebung  oder  Ausschmückung  der  Rede  dienen, 
natürlich   fort.      Von   letzteren   bringe   ich   zuerst  die  breiter 


Ankläoge  an  Marot's  Chant  de  May  (vgl.  S.  19)  aufweist.  Von  den 
acht  Versen,  welche  dem  Frühling  gewidmet  sind,  beschäftigen  sich 
drei  mit  der  l^erwelt.  Es  heißt  dort  von  Gott:  Weckt  die  Blümlein 
ati9  der  Erde^  Gras  und  Kräuter  für  die  Herde ^  Läßt  die  jungen  Lämmer 
springen^  Läßt  die  liehen  Vögel  singen  (Hey:  Noch  fünfzig  Fabeln  für 
Kinder.  Gotha.  Schulausgabe  IT,  Anhang  S.  18).  Ahnlich  findet  sich 
in  Eichendorf f's  Gedicht:  Wer  Jiat  dich^  du  schöner  Wald,  Auf- 
gebaut .  .  .  der  V^ers :  Oben  einsam  Rehe  grasen,  während  im  Gedichte 
Geibel's  „Aus  dem  Walde'*  der  Singvogel  gedacht  wird:  Vöglein  sangen 
Gottes  Ehre  (G  ei  bei:  Junius-Lieder,  31.  Aufl.  Stuttgart.  1893.  S.70ff.). 
Wenn  es  also  auch  ganz  dem  Ermessen  des  Dichters  überlassen  bleibt, 
welchen  besonderen  Tieren  er  Aufnahme  in  ein  doch  beschreibendes 
Gedicht  gewähren  will,  so  liegt  der  Grund  der  Aufnahme  wohl  nur  in 
ihm  selbst. 


—     4    — 

ausgeführten  und  dann  die  kürzeren,  indem  ich  sie  nach  den 
Eigenschaften  und  Tätigkeiten  zusanunenstelley  bei  denen  be- 
stimmte Tiere  den  Maßstab  der  Vergleichung  bilden.  Daran 
reihen  sich  einwertige  Vergleiche  (Metaphern),  d.  h.  Sub- 
stantiva  oder  Verba,  welche  Tiere  oder  tierische  Handlangen 
bezeichnen,  aber  ohne  weiteres,  ohne  daß  die  natürlich  vor- 
liegende  Vergleichung  auch  nur  angedeutet  mtd,  für  Menschen, 
denen  die  herYorstechendste  Eigenschaft  des  Tieres,  Uut  dem 
sie  identifiziert  erscheinen,  anhaften  soll,  oder  für  menschliche 
Handlungen  gesetzt  werden.  Als  Fortsetzung  dazu  lasse  ich 
metaphorische  Wendungen  folgen,  die  den  Übergang  zur 
Allegorie,  dem  fünften  Teile  dieser  Arbeit,  vermitteln,  da 
die  Allegorie  im  Grunde  eben  nur  durch  das  Überhandnehmen 
und  die  breitere  Ausführung  der  Metapher  entsteht.  Von 
den  Anfängen  der  Allegorie  ausgehend,  in  denen  unter  dem 
buchstäblichen  Sinne,  den  die  Erwähnung  des  Tieres  zunächst 
herYorruft,  ein  anderer  Sinn,  der  sich  auf  den  Menschen  be- 
zieht, verborgen  liegt,  gelange  ich  zu  den  großen  allegori- 
schen Gedichten  Marot's,  in  welchen  ganze  Beschreibungen 
aus  der  Tierwelt  nur  zu  dem  Zwecke  abgefaßt  erscheinen, 
um  unter  dem  Schleier  der  Allegorie  menschliche  Verhältnisse 
in  einer  nach  Ansicht  des  Dichters  reizvolleren  Weise  schildern 
zu  können. 

In  einem  sechsten  Teile  handle  ich  sodann  von  der  Ver- 
menschlichung des  Tieres,  die  mit  der  Übertragung  mensch- 
licher Gefühle  auf  das  Tier  beginnt,  bis  zur  Beilegung  der 
Sprache  fortschreitet  und  in  der  Fabel  ihren  Abschluß  findet. 
In  einem  letzten  Teile  endlich  werde  ich  von  der  Anitaalisierung 
des  Menschen  sprechen,  die  bei  der  Beteuerung  zur  Strafe 
ein  Tier  werden  zu  wollen,  wenn  eine  Aussage,  die  gemacht 
wird,  nicht  wahr  sein  sollte,  und  bei  dem  Wunsche  mit  doo 
Tiere  tauschen  zu  können,  da  es  diesem  unter  Umständen 
besser  ergeht,  ihren  Anfang  nimmt  und  mit  einem  vollst&bdigen 
Aufgehen  des  Menschen  im  Tiere  endigt. 

Auf  die  hier  dargelegte  Weise  glaube  ich  die  über- 
nommene Aufgabe  wenigstens  so  weit  ihrer  Lösung  entgegen- 
führen zu  können,  als  es  ohne  vergleichende  üntersuchnng 
einer  Reihe  von  Schriftstellern   überhaupt  wohl  möglich  ist; 


—     5     — 

denn  erst  mit  Hilfe  der  Resultate,  die  auf  dieser  breiteren 
Grundlage  gewonnen  würden,  könnte  auf  dem  G-ebiete  der 
literarischen  Verwendung  des  Tieres  an  eine  reinliche  Scheidung 
zwischen  allgemeinen  Erscheinungen  und  besonderen  Eigen- 
heiten einer  Zeit  oder  eines  Dichters  (in  unserem  Falle 
Marot's)  herangetreten  werden.^) 


')  Die  vorliegende  Untersuchung  erBtreckt  sich  nor  auf  die  Ori- 
ginaldichtung Marot's.  Seine  jSjpigrammes  ä  Vimitation  de  Martial  und 
seine  an  den  Boman  de  la  beü»  MagueUmne  sich  anlehnende  Epiatle  de 
Maguelonne  ä  son  amy  Pierre  de  Provence  sind  unberücksichtigt  ge- 
blieben. Ab  Eigentum  MairoVa  kommen  aus  letaterer  nur  die  Anrufung 
des  Vogels  der  Venus:  Mesaa^er  de  VenuSy  prena  ta  haulte  volle  ,  .  . 
(Cr.  III,  ö.  Vgl.  über  die  Zitierungsweise  S.  6)  und  die  Verse :  Bepoaons 
nous  8ur  VJierbe  qui  fieuronne^  M  escoutons  du  rouignol  le  chant 
(G.  ni,  9,  "**'•  mit  der  Variante:  Reposons  nou8  oyant  la  voix  mignonne 
Du  messaigier  du  grant  dieu  damourettes)  hier  in  Betracht.  Bemerkt  sei 
noch,  daß  die  vorliegende  Arbeit  eine  Aufführung  der  etwaigen  (Quellen 
Marot's  zu  geban  nicht  beabsichtigt.  Dies  möge  nicht  vergessen  werden, 
wann  sogar  bei  dem  auf  S.  16  besprochenen  Gedichte  über  den  Tod 
des  Sperlings  der  jungen  Maupas  sich  kein  Hinweis  auf  OatuU  (ed. 
Kiese,  3)  findet,  obwohl  Marot  seibat,  indem  er  den  Vers  des  Martial 
(rec.  Gilbert  I,  109):  Isea  est  passere  nequior  Catulli  mit:  Mignonne  est 
trop  plus  afettee,  Plus  fretiüant^  moins  arrestSe  Que  le  passeron  de 
Maupas  (R.  II,  486.  Vgl.  über  die  Zitierungsweise  S.  7)  übersetzt,  seine 
Abhängigkeit  von  dem  römischen  Dichter  andeutet.  (Vgl.  noch  Toldo, 
in:  Z.  f .  rom.  Phil.  1901.  XXV,  383 ff.)  Für  die  Zwecke  dieser  Arbeit 
(vgl.  den  Anfang  der  Einleitung)  erscheint  es  gleicbgültig,  ob  Marot, 
soweit  er  noch  original  bleibt,  einen  Vorgänger  benützt  hat.  Wenn 
nicht  die  junge  Maapas  einen  Sperling  durch  den  Tod  verloren  hätte, 
wäre  es  trotz  CatuU  Marot  wohl  nie  in  den  Sinn  gekommen,  ein  der- 
artiges Gedicht  zu  schreiben.  Es  handelt  sich  hier  eben  nicht  um  die 
teilweise  dem  CatuU  entlehnte  Form,  sondern  um  den  Anlaü  der  Dichtung. 


Erster  TeiL 

Äußere  Anlässe  für  das  Erscheinen  des  Tieres 
in  der  Dichtung. 

1.  Wirkliche  Begebenheiten. 

Für  das  Auftreten  des  Tieres  in  der  Dichtung  Marot's 
ist  der  bei  weitem  wichtigste  äußere  Anlaß  der  Mangel  eines 
guten  Reittiers.  Dieser  war  natürlich  zu  einer  Zeit,  die  für 
längere  Wege  kein  besseres  Transportmittel  als  den  Sattel 
kannte,  besonders  empfindlich.  Da  er  zuweilen  auch  an 
Marot  selbst  oder  einen  Freund  herantrat,  wenn  gerade  eine 
Veränderung  des  Aufenthaltsortes  notwendig  wurde,  hat  er 
den  Poeten  zur  Schöpfung  zweier*)  wirklich  formvollendeter 
Erzeugnisse  seiner  Muse  angeregt,  die  (mit  gelegentlicher 
Hereinziehung  des  Maultieres)  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung 
vom  Pferde  handeln.  Alle,  welche  damals  mit  einem  fürst- 
lichen Hofe  in  Verbindung  standen,  hatten  für  den  Fall,  daß 
die  Not  an  den  Mann  kam,  das  vortrefifliche  Auskunftsmittel 
ersonnen,  einfach  die  großen  Herren  zur  Übung  der  Frei- 
gebigkeit aufzufordern.*)  So  sucht  denn  auch  Marot,  der  am 
Vorabend     einer     weiten    Reise    seine    alte    haquenee^)    mit 

^)  ^^g^-  jedoch  weiter  unten  S.  11. 

')  Vgl.  Bd.  III,  S.  179.  Anmerkung  der  M  a  r  o  t  -  Ausgabe  von 
G.  Guiffrey  (Paris  1875  u.  1881.  ßd.  II  u.  III).  Weiterhin  wird  der 
Anfangsbuchstabe  G.  auf  diese  Ausgabe  hinweisen,  also  kuns:  G.  HI. 
179,  Anm. 

?)  Haqucnee  =  Paßgänga;  Zelter,  nannte  man  ein  Pferd,  da?« 
wegen     seiner    angenehmen    Gangart    (Paßgang)    gewöhnlich    von    den 


prüfenden  Blicken  auf  ihre  Trag-  und  Marschfähigkeit  unter- 
sucht und  leider  nur  mehr  eine  sehr  kurz  gemessene  Strecke 
mit  ihr  zurückzulegen  hoffen  kann,  seinen  „zweiten  König" 
Heinrich  von  Navarra  (in  erster  Linie  war  er  Untertan  Franz  I. 
von  Frankreich)  durch  ein  launiges  Dimin,  dessen  scherzhafter 
Ton  erheiternd  und  gewinnend  wirken  soll,  zur  Überlassung 
eines  kräftigeren  und  jüngeren  Tieres  zu  bewegen,  welches  er 
gewiß  —  dies  will  er  ja  gerne  versprechen  —  ebenso  freudig 
annehmen  wird,  wie  er  das  seinige  dem  ersten  besten  „Schlau- 
berger", der  es  verlangt,  abzutreten  gedenkt: 
Mon  second  roy,  fay  une  haquenee 

Uassez  hon  poil,  mais  vieille  comme  moy. 

A  tout  le  moins :  long  tenips  a  qti^elle  est  nee: 

Dont  eile  est  foihlvy  et  son  maistre  en  esmoy: 

La  povre  beste,  aux  signes  qve  je  voij, 

DU,  qxCä  grand'  peine  ira  jnsqne  ä  Nar})onne : 

St  vou.s  voidez  en  do7iner  tine  honne, 

S^avex  comment  Marot  l^fxccepfera  ? 

Haussi  hon  cueur  comme  la  sienne  il  donne 

An  fln  premier  qui  la  demandera,^) 

Ein  bei  weitem  längeres  Gedicht  ähnlichen  Inhalts  ver- 
danken wir  Marot*s  freundschaftlichem  Eingehen  auf  die  Bitte 
eines  guten  Kameraden  von  ihm,  namens  Pierre  Vuyart.-) 
Diesem  war  einmal  von  der  Herzogin  von  Lothringen  ein 
ausgezeichnetes  Pferd  zum  Geschenke  gemacht  worden.  Leider 
aber  hat  der  Tod  auch  dieses  herrliche  Tier  nicht  verschont; 
dessen  unglücklicher  Herr  muß  seitdem  einen  elenden  Klepper 

Frauen  geritten  wurde.  Vgl.  G.  III,  181,  Anm.  Marot  legt  seinem 
jedenfalls  nicht  allzu  edlen  Tiere,  auf  dessen  Rücken  es  ihm  vielleicht  schon 
so  manches  Mal  ziemlich  unbehaglich  geworden  war,  wohl  nur  mit 
Bcbalkhafter  Ironie  diese  Bezeichnung  bei.  Ahnlich  steht  ja  auch  das 
ausdrucksvollere  haquenee  statt  des  farbloseren  cJieval  in  der  Redensart : 
Aller  8ur  la  haquenee  des  cordelierSy  wofür  im  Deutschen  ohne  jede 
spöttische  Nebenbedeutung,  aber  durchaus  nicht  weniger  treffend,  auf 
Schusters  Rappen  reiteti  gesagt  wird. 

')  Marot-Ausgabe  von  Rapilly  (Paris  1824.  3  Bde.).  Bd.  II, 
S.  356 f.:  Au  Roy  de  Navarre.  Weiterhin  wird  der  Anfangsbuchstabe 
R.  auf  diese  Ausgabe  hinweisen,  also  kurz:  R.  II,  356 f. 

»)  Vgl.  G.  III,  179,  Anm. 


—     8     — 

reiten,  so  daß  ihn  die  Erinnerang  an  sein  früheres  prächtiges 
RoB  und  an  die  freandlicbe  Geberia  nimmer  YsrläBt  Da 
faßt  er  sioh  ein  Herz;  seiner  edlen  Wohltäterin  will  er  die 
mißliche  Lage  schildern,  in  der  er  sich  befindet  In  richtiger 
Erkenntnis  der  eigenen  Unfähigkeit,  weiß  er  das  Ein- 
schmeichelnde und  Aussichtsvollere  eines  in  Versen  abgefaßten 
Bittgesuches  nur  um  so  besser  zu  würdigen  und  versichert 
sich  also  der  Hilfe  des  besten  Dichters  der  Zeit^)  Dieser 
entledigt  sich  seines  Auftrages  wirklich  auf  eine  so  geschickte 
Art,  daß  die  gute  Herzogin  sicherlich  keinen  Augenblick  an 
eine  abschlägige  Antwort  auch  nur  denken  konnte. 

Ein  Schmerzensschrei  über  seinen  herben  Verlust  entringt 
sich  gleich  anfangs  der  Brust  des  Bittstellers,  als  er  die  frei- 
gebige Fürstin  von  dem  Tode  des  Pferdes  in  Kenntnis  setzen 
will.  Diese  muß  es  natürlich  seinem  argen  Herzeleid  zugute 
halten,  wenn  ihm  schon  jetzt  der  für  sie  nur  allzu  verständ- 
liche fragende  Ausruf  entfährt,  ob  sich  denn  gar  kein  Tier 
dieser  Rasse  mehr  auftreiben  lasse: 

Jt  ne  Vay  phis,  Uberalle  Princesse, 
Je  ne  Vay  plus :  par  mürt  ü  a  prina  eesse 
Le  bon  cheml  que  feuz  de  voatre  grace, 
N'en  s^uroit  on  recouvrer  de  la  raee?^) 

Doch  rasch  besinnt  er  sich.  Mit  dem  vollen  Bewußtsein, 
die  Gunst  der  hohen  Frau  nicht  leichter  gewinnen  zu  können, 
als  wenn  er  ihr  Geschenk  in  nachdrucksvoller  Weise  rühmt,, 
beginnt  er  in  anmutiger  Übertreibung  die  wahrhaft  wunder- 
baren Eigenschaften  des  Bosses,  das  nun  nicht  mehr  ist,  za 
schildern.  Wenn  er  auf  dessen  Rücken  einherritt,  so  teilten 
sich  die  Zweige  des  Waldes;  Berge  und  Täler  erschienen 
wie  Ebenen,  reißende  Flüsse  wie  Bächlein,  und  nie  waren  auf 
dem  Wege  lästige  Steine  zu  sehen.  Wie  hätte  das  Glück  da 
nicht  auch  mit  ihm  reiten  sollen? 

Certainement  iandis  que  je  Vavoye, 
Je  ne  trouvoys  rien  nuysani  en  la  voye: 


')  G.  III,  179,  Anm. 

*)  G.  III,  178 ff.:  Four  Picfre  Vuyart  ä  Madame  de  Xorratne. 


—     9     — 

En  le  menant  par  boys  et  par  iaiUis, 
Mes  yeulx  tCtstoyent  de  branchta  assaiUis: 
En  luy  faisant  gra/i;ir  rocy  ou  montaigiu^ 
AtUtant  m'estoü  que  trotier  en  campaigne: 
Äultant  m^esUnt  torrents  et  grandes  eaux 
Passer  sur  luy^  cotnme  petits  ruysseaulXy 
Cor  ü  sembloü  que  les  pierres  s'ostassent 
De  tmits  les  lieux,  oü  ses  piedx  se  houtassent, 

Que  diray  pius  ?     Oncq  tfoyage  ne  feit 
Avecques  moy  doni  ü  ne  vifit  prouffit. 

Jetzt  aber  —  der  Gegensatz  rückt  die  angeführten  Vor- 
züge erst  in  das  rechte  Licht  —  habe  er  ein  Pferd,  welches 
auf  ebenem  Boden  strauchle  und  das  kleinste  Wässerlein  für 
einen  gewaltigen  Strom  ansehe.  Dazu  scheine  jeder  Wald 
dichter,  jeder  Weg  steiniger  zu  werden  und  das  Mißgeschick 
ihn  auf  seinen  Reisen  zu  verfolgen: 

Mais  maintenant  toutes  choses  me'  grevent: 
Brandies  au  boys  les  yeulx  quasi  me  crevent: 
Car  le  ckeval  que  je  pourmeine  et  meine 
Est  malheureuXf  et  bronche  en  pUine  piaine: 
Petits  ruysseaulx  grandz  Hvieres  luy  semblent: 
Pierres,  cailloux  en  son  ehemin  s^assemblent  : 
Et  ne  me  donne  en  voyages  bon  heur. 

Woher  aber  kam  wohl  jenes  heimliche  Glück,  das  von 
seinem  früheren  Pferde  unzertrennlich  war?  Natürlich  nur 
von  ihrj  die  es  ihm  gab: 

0  Dame  illustre,  o  parangon  d^honneur, 
Dont  proceda  le  grand  bon  heur  secret 
Du  cheval  mort,  oü  fay  tant  de  regret  ? 
11  ne  vint  poinct  de  cJieval  ny  de  seile  : 
J^ay  ceste  foy  qu'il  proceda  de  celle 
Par  qui  je  Veux, 

Nach  dieser  Schmeichelei  naht  endlich  auf  reizfollem 
Umwege  die  Bitte.  Das  Pferd  sei  ja  tot,  meint  der  gewandte 
Bittsteller,  doch  die  angeborene  Güte  seiner  Qönnerin  habe 
ein  so  kraftvolles  Leben,  daß  sie  es  zwar  nicht  vom  Tode  er- 
wecken, aber  ihm  dafür  ein  ebensogutes  wiederverschaffen  könne ; 


—     10     — 

Or  en  suy  desmonti: 
La  mort  Va  jwins,  la  mort  Va  surmonie: 
Mais  c'est  tont  un,  vostre  honte  ndifve 
Morie  n^esi  pas :  ain^oys  est  si  tresvifve, 
Qu'elle  pourroit  non  le  resusciter^ 
Mais  dhm  pareil  bien  me  faire  heriter. 

Die  Bescheidenheit  würde  jetzt  freilich  yerlangen,  es  dem 
Ermessen   der  Herzogin   zu  überlassen,  in  welcher  Weise  sie 
dem   Gesuche  willfahren  wolle.     Ein  recht  feuriger   Renner 
wäre  am  zweckmäßigsten  für  den  Supplikanten,  aber  wie  soll 
sie  es  denn  wissen,  wenn  er  es  ihr  nicht  zu  sagen  wagt?    In 
angenehmem    Plaudertone,    welcher    der    gebotenen    Zurück- 
haltung auch  wirklich  keinen  Eintrag  tut,  muß  er  daher  diesen 
Punkt  ganz   besonders   zu   betonen  suchen.     Mit  Nachdruck 
weist   er   also   auf  seine   robuste  Natur  hin,   die  eines  allzu- 
sanften   Sitzes    nicht   bedürfe.      Fromme    Pferde,    Maultiere, 
weiße  Zelter  seien  darum  nichts  für  ihn,   einen  Mann  in  den 
kräftigsten  Jahren.     (Wir  erfahren  hier  zugleich,  von  welchen 
Personen  das  Maultier  und  der  Zelter  für  gewöhnlich  geritten 
wurden.)     Aber  ein  wilder,  unhäudigev  coitrtand  ^)  — ,  das  wäre 
so   recht  seine  Sache.     Da  könnte   er  sich  als  guten  Reiter 
erweisen  und  er  und  sein  Roß  würden  glorreich  daherkommen : 
S^il  advient  doncq  qnc  par  la  honte  vostre 
Monscigneur  face  un  de  ses  chevaulx  vostre, 
Trcslmmhkment  le  siipphj  qii^il  hry  plaise 
Ne  me  monier  doukejuent  et  ä  Vaise, 
Je  ne  veulr  poinci  de  ces  doulcets  chevaulx, 
Tant  quo  pourray  cndurcr  ks  iravaulx: 
Je  ne  renlx  poinct  de  muk,  7ie  mutet, 
Tant  quc  je  soys  vieillard  blanc  comme  laict:^) 
Je  ne  icidx  poinct  de  blanche  hacquenee, 
Tant  que  je  soys  damoysclle  aitournee. 


*)  In  engerem  Sinne:  Pferd  mit  gestutzten  Ohren  und  gestutztem 
Schwanz;  in  weiterem  Sinne :  Vorzüglicher  Renner.  Vgl.  G.  III,  181,  Anm. 

^)  Wegen  seines  regelmäüigen  Ganges  und  seines  gemessenen 
Schrittes  wurde  das  Maultier  gerne  von  älteren  Leuten  geritten.  Vgl. 
G.  III,  181,  Anm. 


—   11   — 

Que  veulx  je  doncq  ?     Un  courtault  fiirietix, 
Un  courtault  brave,  un  courtault  glorieuXj 
Qui  ait  en  Vaer  ruade  furieuse, 
Glorieux  trot^  la  hride  glorietise. 
Si  je  Vay  tel,  fort  furieusement 
Le  picqueray  et  glorieusement, 

Conclusion:  si  vous  me  voulex  croire, 
Uhmnme  ei  cheval  ce  ne  sera  que  gloire. 

Marot  hat  allerdings  noch  ein  drittes  poetisches  Gesuch 
der  gleichen  Art  geschrieben,  eine  Epistel  an  den  königlichen 
Oberstallmeister  Herrn  de  la  Roque.^)  Angeblich  leiht  er 
freilich  nur  einem  capitaine  Bourgeon  seine  Feder,  in  Wirk- 
lichkeit will  er  sich  jedoch  selbst  beritten  machen.*)  In 
diesem  Gedichte  —  und  dadurch  unterscheidet  es  sich  von 
den  vorhergehenden  *)  —  bietet  dem  Dichter  nicht  schon  der 
Gegenstand  seiner  Bitte  zugleich  den  Stoff  zu  den  aus- 
schmückenden Gedanken  und  Wendungen,  durch  .die  er  sich 
ein  geneigtes  Ohr  zu  verschaffen  hofft.  Deshalb  ist  der  größte 
Teil  der  Epistel  ein  für  die  Zwecke  der  vorliegenden  Arbeit 
ganz  belangloses  Beiwerk,  so  daß  nur  die  wenigen  Verse  an- 
zuführen bleiben,  welche  den  Wunsch  des  Bittstellers  in  aller 
Kürze  zum  Ausdruck  bringen.  Er  müsse  von  Paris  fort,  klagt 
der  Dichter,  und  er  habe  auch  den  festen  Willen  dazu;  aber 
mit  diesem  allein  komme  er  nicht  weiter;  denn  ihm  gebreche 
es  am  Allernütigsten,  an  irgend  einem  Tiere  zum  Reiten. 
Vielleicht  wisse  dies  der  Herr  de  la  Roque  nicht.  Er 
wolle  es  ihm  also  melden,  damit  er  ihm  aus  der  Verlegenheit 
helfe: 

Mais  je  ne  scay  si  vous  scavex  commeni 

Je  rCay  cheval,  ne  mule,  ne  jiivient. 

Parqiiüt/,  mon^ienr,  je  le  vous  fay  s^avoir, 

Ä  Celle  ßn  que  wüen  faciex  avoir.^) 


>)  Vgl.  G.  111,  36  f.,  Anm. 

*)  Capitaine  Bourgeon  ist  nur  ein  Spitzname  des  Dichters.  Vgl. 
G.  UI,  38,  Anm. 

»)  Vgl.  oben,  S.  6. 

*)  G.  III,  37,  ^'^^•:  Epistre  pour  le  capitahit  Bourgeon  ämonsieur 
de  la  Rocque. 


—     13    — 

Eine  Abweisung  hat  Marot  von  dein  soeben  genannten 
Herrn  de  la  Eocque  nicht  erfahren.  Es  wurde  ihm  ein  Pferd 
zugestellt,  ?on  dem  wir  in  einem  ^u  Beims  verfaßten  Ron- 
deau  an  den  König  noch  eiumal  hören  werdend)  Der  Dichter 
bittet  darin  um  eine  Geldunterstützung,  damit  er  seinen  Wirt, 
bei  dem  er  mit  leerem  Beutel  abgestiegen  sei,  befriedigen 
könne;  denn  dieser  habe  gedroht,  Pferd  und  Zaumzeug  an 
Zahlungsstatt  zurückzubehalten: 

Car  mon  cheval  tient  mieulx  que  par  Its  crains, 

Puis  V hoste  est  rüde  et  plein  de  gros  refrains : 

J^y  laüseray  niorsy  hossettes,  et  frains, 

Ce  m'a  il  dit,^) 

Sehr  schlimm  wird   dem  Dichter  ein  anderes  Mai  mit- 
gespielt.   Da  ist  er  das  Opfer  eines  Pferdediebstahla,  den  ein 
ungetreuer  Diener,  während  er  im  tiefsten  Schlafe  liegt,  an 
ihm  verübt.    Dieser  raubt  ihm  zuerst  all  sein  Geld,  geht  dann 
in  den  Stall,  nimmt  das  beste  Roß  und  reitet  davon: 
Finahlementj  de  ma  ehambre  ü  ä*en  va 
Droici  d  l'establej  oü  deux  chevaulx  irouva: 
Lause  le  pire  et  sur  U  meilleur  moniej 
Pieque  et  s^en  ta.*) 

Da  war  er  denn,  fahrt  Marot  in  seiner  Epistel  an  den 
König  fort,  so  gut  beritten  wie  der  hl.  Georg  auf  den  Bildern: 
monte  comme  im  sainct  George^),  ich  selbst  aber  bin  über  den 
Verlust  meines  Reittieres  nicht  wenig  ärgerlich  gewesen:  fort 
faschd  de  perdre  ma  monture,^)  Diese  Erzählung  dürfte  übrigens 
etwas  stark  übertrieben  sein,  da  es  denn  doch  nicht  recht 
begreiflich  ist,  wie  ein  Mann,  der  weder  ein  Pferd  noch  Geld 
sein  eigen  nennt,  wenn  es  gerade  am  notwendigsten  wäre,  auf 
einmal  dazu  kommt,  sich  des  glücklichen  Besitzes  gleich  zweier 
Pferde  zu  erfreuen.  Später,  auf  seiner  Flucht  aus  Frankreich, 
werden  ihm  jene  leichten  Rößlein,  denen  er  sein  Entkommen 


»)  Vgl.  G.  lU,  37,  Arnn. 

«)  R.  II,  112. 

»)  ö.  III,  186,  »^-". 

*)  ö.  III,  186,  ". 

»)  G.  III,  187,  **. 


—    IS    — 

▼erdanktei  als  ihm  zu  Fuß  und  zu  Pferde  die  Häscher  nach- 
«etkte&y  wohl  auch  nur  Torübergehend  tiberlassen  worden  sein: 

tTavays  chascun  jour  d  ma  suyte 

Oens  de  pied  et  gern  de  ckevaL 

Mais  je  feis  tant  par  mon  trafmlj 

Et  9wr  peUix  ckevaulx  Ugiers, 

Que  me  mis  hors  de  Unäa  dangiets.^) 

Da  Marot  zu  dieser  Zeit  in  Bordeaux  war  und  so  schnell 
als  möglich  von  dannen  mußte,  so  sind  hier  die  kleinen,  aus- 
dauernden Pferde  der  dortigen  Gegend  gemeint.") 

Ganz  kurz  kommt  das  Pferd  bei  dem  Dichter  weg,  wenn 
er  Ton  militärischen  Vorgängen  reden  soll  und  dabei  auf  die 
berittenen  Truppen  doch  irgendwie  Bezug  nehmen  muß.  Da 
sieht  et  in  dem  Tiere  nur  das  willenlose  Werkzeug  des 
Reiters  und  erwähnt  es  daher  kaum.  Im  Lager  habe  er, 
erzählt  Marot  in  seiner  Eigenschaft  als  Berichterstatter  der 
damaligen  Herzogin  Ton  Alen^on,  gewaltige  Eecken  ange- 
troffen, die  so  aussahen,  als  ob  sie  auf  ihren  Streitrossen  und 
spanischen  Pferden  die  Welt  erobern  wollten.*)  Nur  ange- 
spielt wird  auf  die  treuen  Kampfgenossen  der  Krieger  in 
einem  für  die  Ankunft  des  Oberbefehlshabers  verfaßten  Ge- 
dichte, das  die  Bitter  unter  anderem  auffordert,  die  Feiode 
wacker  aus  dem  Sattel  zu  stoßen: 

Vox  ennemys  poiäsez  hors  de  Parson  *), 
sowie  auch  in  der  anläßlich  eioes  Toumiers  vom  Dichter  ge- 
lieferten Aufschrift  für  das  Standquartier  des  Dauphin,   wo 
es,  wie  er  sich  ausdrückt,  manchen  Sporenhieb  absetze: 
Ou  niaint  coup  d'esperon  .  ,  .  se  donrie.^) 

unter  ganz  gleichen  Umständen  hat  Marot  übrigens 
auch  für  das  Maultier^)  nicht  viel  mehr  Worte,  obwohl  ein 
Titel  wie: 


*)  ö.  HI.  444,  »*-iw. 

*)  Qr,  III,  444,  Anm. 

•)  G.  III,  43,  *•:  Sur  coursierSj  ou  genetz. 

*)  R.  II,  15. 

»)  H.  II,  346. 

*)  Vgl.  hinsichtlich  der  Benennang  dieses  Ereuzttngsprodnktes  Bull, 


—     14    — 

„De  ceulx  qui  alhient  siir  muUe  au  camp  cfAUigny^ 
an  der  Spitze  eines  auf  Amateur-Kombattanten  gemünzten 
Kondeau's,  die  auf  Maultieren  ins  Lager  gezogen  kamen,  eine 
größere  Ausführlichkeit  zu  versprechen  scheint.  Allein  der 
Dichter  begnügt  sich  nach  einer  allgemeinen  Auslassung  über 
die  Strapazen  des  Feldes  mit  der  bloßen  Feststellung  der 
Tatsache  und  dem  Hinweis  auf  die  unangenehmen  Folgen: 
En  cestuy  camp,  oii  la  guerre  est  si  dotdce, 

Allez  sur  mulle  avecques  tme  houssey 

Aus&i  touxez  qu^un  rtioyne  ou  capellen: 

Mais  vous  vouldriex  estre  en  Hierusalem, 

Quand  ce  viendra  ä  donner  la  secotisse 
Aux  champs}) 

Des  Maultieres  durfte  Marot  auch  sicher  in  dem  Ab- 
schiedsgedichte nicht  vergessen,  das  er  bei  Gelegenheit  des 
Abganges  vieler  junger  Leute  zum  Kriegsschauplatze  (im 
Jahre  1537)  geschrieben  hat.  Da  er  darin  allen  guten  und 
schönen  Dingen,  welche  die  Scheidenden  leider  hinter  sich 
lassen  müssen,  Lebewohl  sagt,  so  war  natürlich  der  Vers: 

Adieu  la  torche  et  le  mulet^) 
nicht  zu  umgehen.  Fällt  auch  für  einen  Zurückbleibenden 
ein  letzter  Gruß  ab,  von  dem  jedermann  weiß,  wie  schlecht 
es  mit  seinen  Erfolgen  bei  den  Mädchen  bestellt  ist,  denen 
er  nur  von  anderen  gerne  übersehene  Aufmerksamkeiten  er- 
weisen  darf,   wie  z.  B.   das  Warten  bei   den  Maultieren,   bis 


Die  französischen  Xamen  der  Haustiere  in  alter  und  neuer  Zeit  unter 
Berücksichtigung  der  Mundarten.  Diss.  Berlin  1903.  8^.  —  Das  Epi- 
taphium, welches  Marot  auf  den  Tod  des  wunderbaren  Rossea  seines 
Freundes  Vuyart  geschrieben  hat,  findet  sich,  weil  darin  das  Pferd 
selbst  seine  Taten  feiert,  im  sechsten  Teile  dieser  Arbeit,  welcher  von 
der  Vermenschlichung  des  Tieres  handelt.  Vgl.  S.  88.  Schließlich  sei 
hier  noch  der  alten  ehernen  Pferde  der  Venediger  gedacht,  De  leurs 
chevaulx  de  hronzc  trejiantiques  (G.  III,  423,  ^^%  von  denen  Marot  in 
seiner  Epistel  aus  der  Lagunenstadt  nicht  weiter  sprechen  zu  wollen 
erklärt,  da  seine  Adressatin  sie  schon  besser  gesehen  habe,  als  er  sie 
beschreiben  könne. 

')  R.  II,  113. 

«)  G.  III,  603,  ". 


—     15     — 

deren   schöne  Reiterinnen   sich  wieder  einfinden,  so  kann  der 
Dichter  auch  das  nicht  gut  unerwähnt  lassen: 

Adieu  qui  n^est  ayme  de  nulle, 

Et  ne  sert  que  tenir  la  mtUe.^) 

Ahnlich  verhält  es  sich  mit  der  notwendigerweise  auf  das 
kindliche  Gemüt  der  kleinen  Prinzessin  von  Navarra 
eingehenden  Bezugnahme  auf  deren  drei  Lieblingstiere  in 
einer  Epistel,  welche  diese  unter  Anleitung  Marot's  an  ihre 
Base  Marguerite  de  France  über  eine  Wasserfahrt 
schreibt,  auf  der  sie  ihre  Mutter  samt  ihrem  grünen  Papagei, 
ihrem  lohfarbigen  Eichhörnchen  und  ihrem  albern  drein- 
schauenden Hündchen  (?)  -)  Bure  begleitet  habe : 
Or,  sehn  que  favoys  envie, 

Par  eau  jusque  iey  Vay  suyvie, 

Arecques  mon  hon  peiroquet 

Vestu  de  verty  comme  un  houquet 

De  marjolaine.     Et  nudict  li^u 

yVa  suyrie  mon  escurieUy 

Lequel  iout  le  long  de  Vannee 

Ne  porte  que  robbe  tanee, 
J^ay  au8&i  poiir  faire  le  Heys 

Afnene  Bure  en  ces  quarfiers, 

Qui  monsire  bien  d  son  risage 

Que  des  troys  n^esi  jms  la  plus  sage,^) 

Sucht  sich  hier  der  Dichter  der  noch  sehr  engen  Ge- 
dankenwelt der  jugendlichen  Schreiberin  anzupassen,  so  weiß 
er  ein  anderes  Mal  einen  Tröstungsversuch,  durch  den  er 
einem  schon  älteren  Mädchen  über  den  Tod  seines  geliebten 

')  U.  III,  604,  *^^'  —  Wenn  sich  dagegen  in  den  berüchtigten 
Ädieux  aux  dames  de  Paris,  die  Guiffrey  für  das  Werk  Marot's  halten 
möchte,  nur  in  einer  Variante  der  Vers  findet:  Adieu  vous  dicts  desstis 
ma  mulk  (G.  III,  122,  **  Var.),  so  ist  schon  daraus  allein  die  Erwähnung 
des  den  Dichter  allerdings  unmittelbar  berührenden  ümstandes,  daß  er 
seine  Abreise  auf  einem  Maultiere  ausführte,  als  ganz  ihm  selbst  über- 
lassen zu  erkennen.  £s  liegt  demnach  hier  bereits  ein  innerer  Anlaß 
vor.    (Vgl.  weiter  unten  Teil  II.) 

•)  G.  III,  611,  Anm. 

»)  G.  III,  610  f. 


—    16     — 

Sperlings  hinweghelfen  will,  auf  dessen  zufällig  für  Schmei- 
cheleien und  Liebeleien  recht  unzugänglichen  Oharakter  zu 
gründen.  Er  behauptet|  Amor  habe  das  Tiw  aus  Sache  ge- 
tötet, weil  ihm  die  kleine  Spröde  jeden  Eingang  in  ihr  Herz 
▼erwehrei  und  gibt  sich  der  Ho£fnung  hin,  daß  der  Zorn  über 
den  Liebesgott,  den  sie  ohnehin  nicht  leiden  mag,  sie  von 
ihrem  Schmerze  ablenken  werde: 

Zf(M  il  eai  mort  (pleurez  k  damoywUes) 

Le  passereau  de  la  jeune  Maupas: 

Un  autre  oyeeau  qui  fi'a  plutnes  qu^aux  aeslßs^ 

Va  devore;  le  congnoissex  voua  pas? 

Ceai  ce  fascheux  Amour^  qui^  sane  compaSf 

Avecqttes  luy  se  jedaü  au  §iran 

De  la  pucelle,  et  voüoü  environ, 

Pour  VenflamheTy  et  ienir  en  destreese: 

Mais  2>ar  despii  tua  le  paseeron^ 

Quand  il  ne  s^ut  rie^i  faire  d  la  niaistresse.^) 

2.  Anekdotenhafte  Begebenheiten. 

Die  vier  Anekdoten,  auf  welche  ich  wegen  ihres  Inhalts 
teilweise  Bezug  nehmen  muß,  enthalten  zur  Hälfte  Liebes- 
Szenen  von  krassem  Naturalismus;  die  beiden  anderen  sind 
weiter  nichts  als  Ausfalle  gegen  die  bei  Marot  in  sehr  ge- 
ringem Ansehen  stehenden  Mönche.     In  der  ersten,  die  ein 


*)  R.  II,  465.  —  Von  einer  sehr  mäßigen  Freude  am  Landleben 
zeugt  eine  Äaßerung,  die  sich  in  einer  an  die  Frauen  von  Ohateandon 
gerichteten  und  vom  Dichter  für  einen  Hofkaralier  verfafiten  Bptetel 
findet.  Letzterer,  der  mit  dem  König  reisen  muß  und  in  yielen  Dörfern 
Aufenthalt  nimmt,  beklagt  sich  darin  über  die  Bäuerinnen,  die  immer- 
fort von  ihren  Kühen  und  Schweinen  reden: 

Ces  grosses  vilUigeoises 
La  nous  trontons:  les  unes  sont  vacheres 
En  gros  estat^  et  les  aultres  porchtrcB, 
Qui  nous  diront^  sHl  nous  ennuye  ou  fast^, 
Quelqut  propos  de  leur  pays  de  vaeht.    (G.  III,  274  f.) 
Diese  Worte  dürften  wohl  zugleich  aus  Atv  Seel^  Harot's  g«fl(prooheli 
sein,  dessen  Schäferpoesie  nichts  als  Allegorie  ist.    Vgl  weiter  unten, 
S.  76  ff. 


—     17     — 

abenteuerliches  Geschehuis  zwischen  einem  Hirten  und  einer 
Hirtin  erzählt,  wird  ganz  kurz  auch  der  Schafe  gedacht,  die 
der  Obhut  letzterer  anvertraut  sind:  Marion  lors  gardant  ses 
brebis.^)  Die  zweite  berichtet  von  einem  Bauer  und  einer 
Bäuerin,  denen  ein  Schwein,  das  sie  auf  den  Markt  führen, 
viel  zu  schaffen  macht: 

Martin  menoü  son  pourceau  au  marche 
Ävec  AliXj  qui  en  la  peine  grande 
Pria  Martin  luy  faire  le  peehe 
De  Vun  sus  Vautre,  et  Martin  luy  demande: 
Mais  qui  tiendroit  nostre  pourceau^  friande  ? 
Qui  ?  dit  Älix :  hon  remede  il  y  a: 
Lors  le  pourceau  ä  sa  jambe  lia: 
Puis  Martin  jusche,  et  lourdement  engaine : 
Le  porc  eusi  paour,  et  Alix  s^escria: 
Serre  Marti7i,  nostre  pourceau  m^entraine.^) 

Die  dritte  gewährt  einen  Einblick  in  die  häuslichen  Ver- 
hältnisse eines  Priors  zur  Morgenzeit.  Wenn  er  aufsteht,  so 
dreht  sich  schon  ein  Rebhuhn  am  Spieße,  das  er  hierauf  mit 
vollendeter  Meisterschaft  verzehrt: 

Un  gros  prieur  son  peiit  filz  baisoitj 

Et  mignardoit  au  matin  en  sa  cou^he, 

Tandis  rostir  sa  perdrix  on  faisoit: 

Se  levCf  crache^  esmeutit  et  se  niouche: 

La  perdrix  vire:  au  sei  de  broc  en  houclie 

La  devora,  bien  s^avoit  la  science,^) 

Die  vierte  enthüllt  das  schlaue  Gebaren  eines  frere 
Thibaut,  der  sich  in  der  Fastenzeit  alle  Tage  eine  Lamprete 
braten  läßt*),  von  der  Kanzel  herab  aber  Abtötung  predigt 
und  mit  einer  Art  reservatio  mentalis  laut  verkündet,  er  ge- 
nieße am  Abend  nur  eine  rötie,  (Thibaut  denkt  dabei  an 
eine  lamproie  rötie,  das  Volk  versteht  unter  rötie  nur  eine  ge- 
röstete Brotschnitte.) 

1)  R.  II,  540. 
•)  ß.  II,  541. 
»)  ß.  II,  454. 

*)  R.  n,  455:  *Faict  tous  les  jours  sa  lamproye  rostir.* 
Münchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.  XXXVI. 


18 


Zweiter  Teil. 


Innere  Anlässe  für  das  Erscheinen  des  Tieres 
in  der  Dichtung. 


1.  Spott  und  Neckerei. 

Einen  ineeren  Anlaß  für  das  Erscheinen  des  Tieres  in 
der  Dichtung  nehme  ich  überall  da  an,  wo  etn  unmittelbarer 
äußerer  Anlaß  fiir  dieses  Erscheinen  entweder  überhaupt  nicht 
vorgelegen  hat  oder  wenigstens  für  sich  allein  ohne  eine  noch 
hinzutretende  innere  Absicht  des  Dichters  wirkungslos  ge- 
blieben wäre.  Letzteres  ist  der  Fall,  wenn  Marot,  wie  schon 
aus  der  Überschrift  <  Sur  quelques  tnauUxiises  manierts  de  parier* 
des  folgenden  Gedichtchens  heryorgeht,  von  einem  auf  dem 
Jahrmarkt  verübten  Fferdediebstahl  lediglich  aus  dem  Grunde 
erzählt  ^)y  um  die  gezierte  Sprache  des  Hofes  zu  ▼erhöhoeny 
wo  diese  drollige  Geschichte  jedenfalls  oft  zum  besten  ge- 
geben wurde: 

Collin  s^en  allit  au  lendit 

Oll  n'achetU,  ni  ne  vendit^ 

Mais  seulemcnt,  ä  ee  qv!on  diet, 

Derobit  une  jument  noire. 

La  raison  qu*o?i  ne  le  penda 

Fui  que  soudain  il  responda, 

Que  jaynais  autre  il  n^entenda, 

Sinon  que  de  la  mener  boire.^ 

Wenn  der  Dichter  nun  gar  einem  Fräulein  als  Neujahrs- 
geschenk  ein  niedliches  Hündchen  in  Aussicht  stellt,  das  wegen 
seiner  Kleinheit  so  überaus  reizend  sei,  welches  er  aber,  wie 
er  am  Schlüsse  plötzlich  gesteht,  leider  nicht  besitze,  so  hat 
ihn  dazu  wohl  der  Wunsch  bewogen,  der  Armen  einen  Streich 


*)  Durch  die  Ausrede,   sich  nur  eines  durstigen  Tieres  erbarmt  zo 
haben,  weiß  übrigens  der  Dieb  seinen  Kopf  aus  der  Sohlinge  ea  ziehen. 
«)  R.  II,  461. 


-^     19    — 

Ett  Spieles,  ifideiii  er  sie  zuerst  in  recht  aDgenehme  ErwartaDgen 
▼ersetzt,  um  sie  nachher  um  so  grausamer  zu  enttäuscheu: 
Damoyselle  que  fayme  hien^ 

Je  te  donne^  pour  la  pareiüe, 

Tes  estrenes  (Tun  petit  chien, 

Qui  füest  pas  pltts  grand  que  Voreüh : 

II  jappe,  il  mordf  il  faict  merveUlej 

Et  va  desja  UnU  seul  irois  pas: 

Cesi  pour  toy  que  je  VappareiUe, 

Excepte  que  je  ne  tay  pas,^) 

2.  AuBBchmückung  tind  Belebung. 

Von   einer  Verwendung  des  Tieres  zur  Ausschmückung 
und  Belebung  darf  wohl  dann  die   Bede  sein,   wenn  es  ge- 
legentlich  in   Naturbeschreibungen    auftritt   oder   als  Anteil 
nehmend  an  freudigen  oder  traurigen  Ereignissen  des  mensch- 
lichen Lebens  hingestellt  wird.     Über  die  Art  des  Anlasses, 
der  den  Dichter  zur  Einführung  des  Tieres  in  Schilderungen 
des  Frühlings,  des  Waldes  u.  dgl.  bewegt,  habe  ich  schon  in 
der  Einleitung  das   Nötige  gesagt,  so  daß  ich   die  wenigen 
hierher  gehörigen  Stellen  Marot's   sofort  folgen  lassen  kann. 
Im  Mai  fordert  er   alles,    was   sprießt  und  grünt,   auf,   den 
Schoß   der  Erde   zu  verlassen,  um  den  Herden  des  größten 
Hirten,  der  den  Frühling  gemacht  hat,  zur  Nahrung  zu  dienen : 
ArhreSj  fletwsj  et  agricuHure,  .  .  . 
Sortez  pour  servir  de  pasture 
Aux  trouppeaulx  du  plus  grand  pasteur.^) 


»)  R.  U,  239  f. 

*)  R.  n,  21.  —  Gott  und  die  wilden  Tiere  des  Feldes  als  Hirt  und 
Herde  zu  betrachten  ist  eigentlich  schon  Allegorie,  in  der  Marot's 
Schäferdichtung  fast  ganz  aufgeht.  Marot  läßt  Hirten  in  Weihnachts- 
liedem  auftreten  (R.  II,  33f.  u.  R.  II,  213 f.);  fordert  selbst  den  flirten- 
gott  Pan  auf,  während  der  Fastenzeit  der  Freude  zu  entsagen  (R.  li,  36); 
erklärt  die  lange  Abwesenheit  eines  Flötenspielers  durch  dessen  Teil- 
nahme an  einem  von  Pan  angekündigten  Wettblasen  (R.  II,  32);  be- 
merkt in  seiner  Einleitung  zu  den  Psalmen,  Gott  habe  den  Schäfer  David 
zum  König  erhoben  und  seinen  Hirtenstab  in  ein  Zepter  verwandelt: 


Weiterhin  lädt  er  die  treuen  und  wahren  Liebenden 
ein,  auf  den  Fluren  dem  vollendeten  Gesänge  der  Vögel  zu 
lauschen : 

Allex  aux  champs  sur  la  verdure 

Ouyr  Voyseau  parfaid  chanieur,^) 

Einen  unglücklich  Liebenden  yermögen  freilich  auch  die 
Nachtigallenlieder  des  Mai  nicht  zu  trösten. *) 

Von  Waldtieren  erwähnt  Marot  nur  die  Vögel  und  auch 
diese  nur  in  einem  Verse.  5)  Ausführlicher  ist  der  Dichter 
bei  der  Beschreibung  eines  Gartens,  der  als  fester  Platz  dar- 
gestellt und  zum  großen  Vergnügen  der  holden  Herrin  dieses 
schönen  Ortes  von  den  Vögeln  belagert  wird.  Girlitz,  Häher, 
Braunellen-Flühvogel  und  Kalander-Lerche  tun  sich  in  dem 
Kampfe  besonders  hervor: 

Maintx  ennemys  le  viennent  assieger, 
Dont  le  plus  mde  est  le  serin  leger, 
Vautre  le  geay,  la  passe,  et  la  eallatide: 
Ainsi  la  dame  (a  qui  me  recommande) 
S^esbat  ä  veoir  la  guerre  en  son  verger 
Plus  beau  que  fort,*) 

Andere  Naturschilderungen  finden  sich  bei  Marot  nicht. 
Entsprechend  der  eigentümlichen  Anlage  des  Menschen,  dem 


De  herger  en  grand  roy  Veiigea,  Et  »a  houlette  en  sceptre  luy  ehangea 
(R.  III,  190);  schätzt  denjenigen  glücklich,  der  Hirt  and  Hirtin  anf  den 
Fluren,  den  Landmann  hinter  dem  Pflage  und  den  Fahrmann  auf  der 
Straße  die  Psalmen  singen  hören  wird  (R.  III,  195 f.);  endlich  schwört 
er  in  einem  Panegyrikus  an  einen  Kriegshelden,  unter  anderem  auch 
keine  Hirtenlieder  mehr  schreiben  zu  wollen  (G.  III,  646,  '*).  Auch  sei 
noch  hervorgehoben,  daß  Marot  seine  allegorischen  Hirtengedichte  zur 
Zeit  seiner  Verfolgung  verfaßt  hat,  als  ihm  der  Sinn  für  ein  ruhiges 
Leben  auf  dem  Lande  freilich  nicht  mehr  abging.  Fem  vom  Hofe, 
schreibt  er  da  an  einen  Freund,  würde  ich  mich  jetzt  wohl  fühlen,  Hund 
und  Vogel  würden  mir  Zeitvertreib  genug  bieten:  lA  me plairoit mieidx 
qu'avec  2>riw(?eÄ  vivre:  Le  chien^  Voyseau  . . .  seroit  tont  nostre  saing  (G. 
III,  632,  «»^•). 

M  R.  II,  21. 

•)  R.  II,  425:  «ne  rossignolz  ouyr.* 

*)  R.  II,  375:  *En  ce  bosquet,  qu^oyseaulx  fönt  resonner.* 

*)  R.  II,  153. 


—    .21    — 

alles  voll  Freude  erscheint,  wenn  er  selbst  freudig  gestimmt 
ist,  und  der  sich  in  düsterer  Umgebung  am  wohlsten  fühlt, 
wenn  er  gerade  traurig  ist,  läßt  Marot  bei  der  lange  er- 
warteten Ankunft  der  Königin  nicht  bloß  das  Volk  ihr  zu- 
jubeln,  sondern  auch  die  Vögel  sie  begrüßen: 

Chantres  oyseaulxj  de  leurs  voix  resonnantes, 

Touts  d  Venvy  maintenant  te  saltient,^) 
In  der  Fastenzeit  jedoch  sollen  sie  den  Hort  ihrer  hellen 
Lieder  verschließen  und  den  dumpfen  schrecklichen  Stimmen 
der  wilden  Tiere   es  überlassen,    die  Erde   mit  Furcht  und 
Entsetzen  zu  erfüllen: 

Ne  ckaniez  plus,  refrenez  vos  gorgettes 

Taus  oyselletz: 

.  ,  ,  et  (Tajigoüse  profonde 

Bestes  des  champs  par  cris  espoventables 

Faictes  trembler  taute  la  teure  ronde,^) 
Handelt  es  sich  nicht  nur  wie  hier  um  eine  rein  imaginäre 
und  fingierte  Anteilnahme  der  Tiere  an  menschlicher  Lust 
und  menschlichem  Schmerze,  sondern  um  jenes  wirkliche  zer- 
störende Eingreifen  gewisser  Tiere,  dem  jedes  organische 
Wesen  nach  seinem  Tode  preisgegeben  ist,  so  läßt  der  Dichter 
natürlich  noch  viel  weniger  die  Gelegenheit  vorübergehen, 
durch  einen  Hinweis  auf  diesen  Umstand,  wenn  es  sich  ge- 
rade schickt,  seine  ßede  ergreifender  und  eindrucksvoller  zu 
machen.  So  vergißt  er  nicht,  einem  zum  Galgen  verurteilten 
Finanzmanne  die  Worte  in  den  Mund  zu  legen : 

Mes  yeulx  jadis  vigüans  ds  nature, 

Des  vieulx  corbeaux  sont  devenux  pasttire,^) 
Desgleichen    wird    in    einigen    von    Marot    verfaßten    Grab- 
inschriften  der    Würmer   gedacht.      Da   wird   entweder   der 
arme  Leib  von  dem  Gewürme  zerfressen  %  eine  Frau  erfährt, 
daß  man  den  Leib  ihres  Gemahls  den  Würmern  zur  Speise 


')  G.  III,  163. 
»)  E.  II,  36. 
»)  R.  I,  294. 

*)  R.  II,  250:    ttpovre  corps  tout  mortj   Lequel  par  tout  vermine 
mint  et  mord.» 


gegeben  habe^),   oder  der  Tote  selbst,  der  früher  ein  Alen- 
fonnoj9  war,   ist  jetzt  Sx>eise  und  Labung  des  Gtewünns  in 
der  Erde^)  und  die  Würmer  tun  sich  gütlich  an  dem  ange- 
nehmen Greise,  den  jeder  geliebt  hat.*)    Selbst  der  Liebhaber, 
der    aus    Verdruß    sterben    will,    gebraucht    die  pathetische 
Wendung,  er  werde  seinen  gramerfiillten  Leib  den  Würmern 
hingeben.^)     Ein   bei    weitem  größeres  Pathos   wird   jedoch 
von  dem  Hirten  Robin  entfaltet,  der  Pan  die  dankbare  Ver- 
sicherung gibt,  es  werde  alles  andere  eher  geschehen,   eher 
auch  die  Schwäne  schwarz  und  die  Krähen  weiß  werden,  als 
daß   er  ihn  je   vergesse   und   seinen  Namen   zu  preisen  auf- 
höre.*)   Nicht  weniger  eindringlich  ist  des  Dichters  Hinweis 
auf  die   seltsame  Folgerung,   die  sich   ergeben   würde,    wenn 
seine  Geliebte   inmitten  der  Unbilden,   denen  sie  seinetwegen 
ausgesetzt  ist,  unter  der  force,  welche  er  ihr  als  die  geeignetste 
Tugend  empfiehlt,   die  körperliche  Stärke  verstehen  wollte.     Da 
müßten  ja  in  ihren  Augen  die  weit  stärkeren  Stiere,   Löwen 
und  Elefanten  viel  tugendhafter  als  die  Menschen  erscheinen: 
La  vertu  propre  en  cestiiy  caSf  c'est  force  .  .  . 
Je  ne  dy  point  force  de  corps,  et  bras: 
S^ainst  estoit,  les  toreaux  gros  ei  gras, 
Lyons  ptiissansj  elephans  7nonstruetix 
Seroient  bcüucoup  plus  que  noiis,  vertueux: 
Ce  que  fentens,  c^est  force  de  courage  .  .  .•) 

3.  Erotica. 

Bereits   in  der  Einleitung  ist  dargelegt  worden,   daß  das 
Auftreten   des   Tieres  in   der  Dichtung  mitunter  durch  den 


*)  K.  II,  272;  *qu'aux  vers  U  corps  [qu']on  faisait  paistre  De  8on 
espoux.» 

•)  H.  n,  258:  «Jadis  Älen^onnoys,  orea  pasture  et  gowt  De  terrestre 
vermine.» 

*)  R.  II,  271:  ^Cest  le  tumbeau,  Ul  ou  les  vers  s'appastent  Du  hon 
vieillard  agreable ...» 

*J  R.  II,  156:  *Je  donne  aux  vers  mon  corps  plein  de  tristesse.» 

*)  ü.  II,  298,  **"'•:  €Plus  tost  seront , , .  Les  cygnes  noirSj  et  les 
eorneilles  blanches^  Que  je  t^oiiblie  ...» 

•)  R.  I,  278  f. 


—     23     ^ 

GedaDkenzusaDunenhang   bedingt  sein  kann.     Das  ist  z.  B. 
der  Fall,  wenn  der  Dichter^  während  sich  seine  Gedanken 
mit  der  Liebe  im  weitesten  Sinne  beschäftigen,  auf  das  eine 
oder  andere  Tier  zu  sprechen  kommt.     Der  fern  im  Lager 
weilende  Marot  beteuert  z.  B.,  seine  Geliebte  niobt  vergessen 
au  haben,  obwohl,  wie  er  ihr  mitteilt,  seit  seiner  Abreise  ihn 
Tiel   Unglück  getroffen  habe  und  in  seiner  Umgebung  von 
Liebe  und  Frauen  nie  die  Bede  sei,  sondern  nur  von  Streif- 
Bügen,  Pferden  ^)  und  anderen  Dingen,  die  der  Krieg  mit  sich 
bringe.    Ahnlich  läßt  der  Dichter  einen  Hof  kavalier  sich  den 
Frauen    von   Chateaudun    gegenüber   äußern.     Meine   Sehn- 
sucht nach  euch,  sagt  er  in  einem  Briefe  an  sie,  ist  so  groß, 
daß  ich  nicht  bloß  auf  meinem  Zuge  durch  lauter  langweilige 
Dörfer  im  Gefolge   des  Königs  immer  an  euch  denken  muß, 
sondern  daß  es  mich  selbst  in  Paris,   wo  ich  mich  doch  mit 
Pferderennen   und  jeder  Art  von  Jagd  und  Sport  vergnügen 
könnte,  immer  zu  euch  hinziehen  würde : 
Encor  pose  qtie  fussions  airestez 
Dedans  Paris,  et  totutjours  bien  traictex, 
Si  qu^d  sotibhait  eussions  plumeurs  delkes, 
Comme  en  ckevaulx  courir  en  pleines  Ikes, 
Chasser  aux  boys,  voler  aux  grandx  prairks^ 
Ouyr  des  chiens  les  abboys  et  brairies^  .  .  . 
Si  nie  vient  il  iausjours  en  cueur,  ou  teste, 
Un  grand  re^et  de  vous  per-dre  de  reue  ,  .^) 
Ein  anderes  Mal  schreibt  der  Dichter  an  eine  Dame  von 
hoher   Geburt,    der   er   seine   Liebe   zu    gestehen  wagt   und 


*)  R.  I,  237:  «Jfais  seulement  de  cotiraes  et  chevaulx.* 
*)  ö.  III,  275,  '•'''  —  Gleichfalls  von  großer  Sehnsucht  getrieben, 
ermahnen  einige  junge  Leute   durch   den   Mund  Marot's  ein  Mädchen, 
das  sie  in  Paris  zurücklassen  mußten,  recht  bald  zu  ihnen  ins  Lager  zu 
kommen  und  "wünschen  ihm  zur  schnelleren  und  leichteren  Durcheilung 
der  Entfernung  den  Pegasus  oder  das  Zauberpferd  des  Zwerges  PacoUet : 
.  . .  notis  voiddnona  .  .  . 
qu^eusses  or  le  cheval  Pegasus^ 
Q\ii  tt  poriast  volant  par  les  provinces : 
Ou  qu*ä  present  ä  ton  vouloir  tu  tinses 
Par  le  licolf  par  queue  ou  par  coüet^ 
Le  bon  cheval  du  gentil  PacoUet    (G.  III,  52,  ""•) 


—     24     — 

welcher  er  zur  Verteidigung  seines  kühnen  Unterfangens  Bei- 
spiele anführt,  wie  hochstehende  Personen  aus  Liebe  oft  zu 
niedrig  geborenen  herabgestiegen  seien,   er  könne  zwar  auch 
wegen  seiner  Armut  weder  Kriegsleute  noch  Pferde   unter- 
halten ^)y  sein  Ruhm  aber  sei  so  groß  wie  der  eines  Königs. 
Freilich  gibt  sich  Marot  gelegentlich  auch,  wohl  um  das  süße 
Geheimnis,   das  er  nicht  für  sich   behalten  kann,  doch  Tor 
profanen  Blicken  zu  schützen,  das  Ansehen  eines  großen  Herrn, 
der  am   Hofe   die  Liebe  einer  Perle  unter  den  Frauen  ge- 
funden hat,  sich  aber  bitter  beklagt,  wegen  des  dort  zahllosen 
Späherheeres  kein  trauliches  Beisammensein  mit  ihr  ermög- 
lichen zu  können.    Wie  zufrieden  wäre  er  da,  wenn  die  Ge- 
liebte eine  Schäferin  würde;   alles  wollte  er  aufgeben,   zu  ihr 
eilen  und  Schaf  lein  statt  Armeen  ins  Feld  führen: 
Que  pleust  d  Dieu,  que  la  fortune  advint, 
Quand  je  vouldrois,  que  hergere  devint, 
S^aitwi  estoit,  pour  Valier  veoir  seulette, 
Sotiveni  ferois  de  ma  lance  hauiette, 
Et  cotiduirois,  en  lieu  de  gratis  armeeSj 
Brebii  aux  cliamps.  costoyez  de  ramees .... 
Si  me  vouldroü  Vestat  de  hergerie 
Plus,  que  ma  grande^  et  noble  seigneurie,^ 

Und  später,  als  ein  geschwätziger  Alter  die  beiden  bei  einer 
zärtlichen  Zusammenkunft  belauscht  und  das  Gehörte  und 
Gesehene  unter  die  Leute  gebracht  hat,  läßt  der  Dichter  die 
Geliebte  in  einem  ihr  in  den  Mund  gelegten  Gedichte  sich 
gleichfalls  der  Hirten  erinnern,  die  besser  als  ihre  Stiere  treue 
Verschwiegenheit  zu  bewahren  wüßten,  während  in  Schlössern 
und  Palästen  messerscharfe  Zungen  beständig  in  Bewegung 
seien : 

Certes  on  voit  aux  champs  les  pasionreaux 
Lew  foy  gardn-  mifulx,  que  leurs  gras  ioreaux 
Sans  nul  mal  dire» 


^)  G.  III,  600,  *•'•:  *Souldoier  ne  puys  Qens  et  cheDatdx,» 

^)  R.  I,  272  f.  —  Ein   anderer  Schwerenöter  kommt  bei  Marot  auf 

einen  viel  besseren  Einfall.    Um  die  Frau  allein  zu  haben,  lockt  er  den 

Ehemann  hinaus  zu  fröhlichem  Jagen  (R.  U.  211). 


—     26     — 

Mais  en  palais,  grans  vüles^  et  chasteaux 
Foy  rüy  est  rien,  langues  y  sont  causteaux 
Par  trop  mesdire^) 

Bei  der  Wahl  seiner  Liebhaberinnen  sieht  Marot  natürlich 
auch  auf  das  Alter;  allgemein  höre  man  ja  nur,  so  meint  er, 
junges  Fleisch  und  alte  Fische  loben.  ^  Eine  viel  innigere 
Beziehung  zur  Liebe  muß  jedoch  den  Weinbergsschnecken 
und  den  spanischen  Fliegen  innewohnen.  Von  ersteren  sagt 
Marot,  um  den  gegen  ihn  eifernden  und  ihm  den  Scheiter- 
haufen androhenden  Mönchen  und  Geistlichen')  einen  Hieb 
zu  versetzen,  zwischen  ihnen  und  den  Scheinheiligen,  Ignoranten, 
Beisigbündeln  und  Dirnen  gäbe  es  manch  warmes  Zusammen- 
treffen : 

Hz  sont  de  chaude  rencontree 

Cagotz,  bigotz,  gotz  et  viagotz, 

FagotZy  escargotz  et  Margotz.^) 

»)  ß.  I,  275  f. 

')  R.  II,  543:    tVon   n^oyt  hieti  estimer  Que  jeune  chatTf   et  vieil 
poisson.»  —  Fische  scheint  Marot  übrigens  für  kein  gesundes  Essen  zu 
halten.     Wenigstens   schreibt   er   einem   Arzte,    den  er  während   einer 
Krankheit  um  Hilfe  bittet,  er  getraue  sich  weder  Fische  noch  Speck  zu 
kosten:  Je  ne  mange  poisson  ne  lardy  Non  que  craigne  le papelart:  Mais 
mon  mal  me  faict  trop  d'assaulx  (R.  II,  116  f.).     Den  bei  armen  Leuten 
vorkommenden  Genuß   von  Krähen  hält  er  geradezu  für  gesundheits- 
schädlich; unter  anderem  führe  er  fahle  Blässe  im  Gesichte  herbei: 
C^est  un  hon  manger  que  comeiUes 
A  gens  qui  n^ont  aultre  viande: 
Ma  foyt  eile  en  est  bien  friande: 
Elle  enala  pasle  couleur,    (G.  il,  461,  »«-^O 

')  Es  ist  hier  natürlich  nur  die  Anschauung  des  Dichters  wieder- 
gegeben. 

*)  G.  III,  500.  —  Den  Verfechtern  der  damals  allein  geduldeten 
Staatsreligion  wird  damit  ein  ungeordneter  Lebenswandel  und  der  (ge- 
brauch geschlechtlicher  Reizmittel  vorgeworfen.  An  einer  anderen 
Stelle,  wo  es  sich  um  eine  Anklage  wegen  bestialischen  Mißbrauches 
von  Mauleselinnen  handelt,  will  Marot  wohl  feststellen,  welchen  schänd- 
lichen Verleumdungen  die  Anhänger  des  neuen  Glaubens  ihrerseits  aus- 
gesetzt waren.  Nach  der  in  nächster  Zeit  erfolgenden  Verlesung  des 
öffentlichen  Aufrufes,  meint  er  da,  werden  viele  Kälber  (die  Protestanten, 
die  dumm  genug  sind,  sich  erwischen  zu  lassen)  unfehlbar  verbrannt 
werden,  denn  sie  haben  (so  lautet  die  gegen  sie  erhobene  Anschuldigung) 


—    26     — 

Letztere  werden  direkt  als  eines  yon  den  Mitteln  angepriesen, 
die  der  Schwäche  des  Mannes  wieder  aufhelfen  sollen.^)  In 
beiden  Fällen  handelt  es  sich  demnach  um  jene  seltsamen  stimiäi 
amorisj  zu  denen  sich  Tiere  hergeben  mußten.^)  Noch  wunder- 
licher ist  aber  Marot's.Neid  auf  die  freie  Liebe  der  Tiere. 
Mitten  in  einem  Gebete  vor  dem  Kreuzesbilde  wagt  er  in 
Auflehnung  gegen  das  Ehesakrament  wider  Gott  den  Vorwurf 
zu  erheben,  dieser  zeige  gegen  die  Tiere  eine  größere  Huld 
und  Nachsicht  als  gegen  die  Menschen,  da  er  ihren  Liebes- 
verkehr keinen  einschränkenden  Gesetzen  unterworfen  habe: 
Certes  plus  doulx  tu  €$  aux  bestes  ioiäes, 
Quand  saiilz  ielz  loix  ne  les  contraincts  et  bautes.^) 


4.  Ausfälle  gegen  Feinde. 

Der  vorige  Abschnitt  hat  bereits  Gelegenheit  geboten, 
die  Feindschaft  Marot's  gegen  Mönchtum  und  Geistlichkeit 
zu  streifen.    Hat  er  bisher  die  Sittlichkeit  ihrer  Vertreter  in 


Mauleaelinnen  geritten  und  reiten  sie  noch  alle  Tage:  Cor  üz  ont  che- 
vauchi  la  mulle,  Et  la  chevauchent  touts  les  jours  (Cr.  III,  284  f.;  vgl 
ibd.  III,  226,  Anm.).  Hier  darf  ich  wohl  gleich  beifügen,  daß  die  Maul- 
tiertreiber zu  dieser  Zeit  sich  in  geschlechtlicher  Beziehung  keines  be- 
sonders giiten  Rufes  erfreut  zu  haben  scheinen.  Wenigstens  sagt  Marol 
an  einer  Stelle,  die  von  dem  3Ia0e  des  Ldebesgenusses  handelt,  das  bei 
den  Liebhabern  der  verschiedenen  Stände  eingehalten  wird,  beim  Maul- 
tiertreiber beginne  die  Ausschweifung  in  diesem  Punkte  (R.  II,  537). 

*)  G.  III,  498 f.:  «A  qui  n'aura  les  ccuiUons  ckaulx- Des  cantha- 
rides  ...» 

')  Als  Anregungsmittel  au  wackerem  Trinken  nennt  Marot  Schinken 
und  gesalzenes  Ochscnfleisch.  Mit  Schilden  aus  diesem  Material  {panoyM 
de  jamhons,  Et  beuf  sali,  G.  III,  63,  *•'•)  will  er  den  Kampf  gegen  die 
Flaschen  des  Bacchus  aufnehmen.  Gegen  die  Pest  empfiehlt  er  als 
Hauptwaffe  eine  höchst  angenehme  Diät: 

Beuf,  9ie  wouton  ne  manger  ex  ^ 

Car  ce  sont  trop  dures  maiieres. 

ConnÜz,  perdrix  sous  les  paupieres 

Fasserez,  aussi  perderea%ix, 

Fuycz  vitux  oiseaulx  de  rimeres, 

Et  mangez  force  faisandeaux.    (R,  II,  446  f.) 
»)  G.  II,  58,  »»'. 


—     27     — 

Zweifel  gezogen^),  so  richtet  er  im  folgenden  seine  Angriffe 
gegen  ihre  Üppigkeit  in  der  Lebensführung,  trotz  der  Ton 
ihnen  gepredigten  Abtötung  des  Fleisches  durch  Fasten  und 
Abstinenz.  So  heißt  es  z.  B.,  daß  man  einem  frere  Lubin, 
von  dem  der  Dichter  nicht  das  geringste  Gute  anzuführen 
weiß,  ja  kein  Wasser  zu  trinken  geben  dürfe,  denn  das  sei 
in  dessen  Meinung  doch  nur  gut  genug  für  die  Hunde: 

Mais  pour  boire  de  belle  eau  daire, 

Faictes  la  boire  d  votre  chien, 

Frere  Lubin  ne  le  peuU  faire.^) 
Übrigens  scheint  Marot  ganz  genau  zu  wissen,  daß  es  mit 
der  Enthaltsamkeit  selbst  in  Rom  nicht  besser  stand.  Die 
Abstinenz,  die  während  der  Fastenzeit  für  die  gemeine 
Christenheit.  Yorgeschrieben  sei,  werde  in  der  Umgebung  des 
Papstes  durch  Dispensation  aufgehoben  und  man  lasse  sich 
dort  Zicklein  mit  wilden  Artischocken  ^)  vortrefflich  munden : 

Mais  Rmntne  tandis  bouffera 

Des  ehevreaulx  ä  la  chardannetie.*) 

Die  Männer  von  der  Rechtspflege  mit  ihren  tciiappcrons 
fourrex  d^ermines>  kommen  bei  dem  Dichter  nicht  viel  glimpf- 
licher weg.*)  Diese  werden  natürlich  der  Bestechlichkeit  ge- 
ziehen und  einer  von  ihnen  w^ird  von  Marot  noch  obendrein 
der  Treulosigkeit  gegenüber  denen  beschuldigt,  deren  Ge- 
schenke   er    angenommen    hat.      Schon    zwei    Wochen    sitze 

')  Vgl.  S.  26,  Anm.  3. 

«)  K.  II,  31. 

')  Es  handelt  sich  wohl  um  ein  Lieblingsgericht  der  römischen 
Kurie.     Vgl.  G.  IIL  351,  Anm. 

*)  G.  III,  351.  —  Auch  das  schmutzige  Auüere  der  Mönche,  welches 
Zeugnis  von  ihrer  strengen  Armut  und  Demut  ablegen  sollte,  scheint 
Marot  mit  seinem  Spotte  treffen  zu- wollen;  denn  die  folgenden  Verse 
über  die  besondere  Güte  des  ron  Milben  bedeckten  Käses :  Le  fromaige 
couvert  de  myttes  Et  d^ordure  est  toiisjours  meiUeur  (G.  III,  472)  dürften 
wohl  nicht  nur  buchstäblich  zu  fassen  sein,  da  sie  m  einem  seiner  sa- 
tirischen CQq-ä-Väne  erscheinen.    Vgl.  G.  III,  473,  Anm. 

*)  G.  III,  220,  **.  —  Das  Tier  selbst,  das  schwarze  Hermelin,  er- 
scheint in  einer  Totenklage :  Sur  ce  fina  par  mwt  qui  tout  termine,  Le 
lya  fffut  blanCj  la  tonte  noire  hermine:  Noire  d^enntty,  et  blancJie  dHnnocence 
(R.  II,  249). 


—     28     — 

ich  im  Gefängnis,  so  schreibt  Marot  an  den  König,  wohin 
mich  drei  große  Kerle  trotz  aller  Widerreden  geführt  haben. 
Doch  will  ich  diesen  in  blindem  Eifer  handelnden  Gesellen 
noch  lieber  verzeihen,  als  meinem  Sachwalter,  der  mich  aus 
dem  Gefängnis  zu  befreien  versprochen  und  eine  Schnepfe, 
ein  Bebhuhn  und  ein  Häslein  nicht  verschmäht  hat,  während 
ich  selber  noch  immer  der  Freiheit  beraubt  bin: 

II  a  bien  prins  de  nwy  une  becasse, 

Uhe  perdrix  et  un  levrault  auasi: 

Et  toutesfoys  je  suyz  encor  icy.^) 

Weit  wirkungsvoller  ist  jedoch  in  folgenden  Fällen  die 
Bezugnahme  auf  das  Tier  im  Gedankenzusammenhange.  So 
meint  Marot  einmal  mit  höhnischer  Bosheit,  daß  die  Mäuse 
dem  Sargschreine  seines  wegen  allzugroßer  Yerfolgungssucbt 
gegen  die  religiösen  Neuerer  auf  eine  Felseninsel  verbannten, 
dort  gestorbenen  und  daselbst  zur  Ruhe  gebetteten  Feindes 
Natalis  Beda  ^)  wohl  nicht  würden  beikommen  können.  *)  Einer 
armen  Näherin,  die  mit  ihrer  Zunge  nicht  vorsichtig  genug 
gewesen  war,  wünscht  er,  daß  die  Läuse  sie  fressen  möchten.*) 
Seinem  Gegner  Sagou,  den  er  brieflich  und  im  Geiste  weidlich 
durchgebleut  hat,  droht  er  mit  dem  Hofhunde,  wenn  er  etwa 
kommen  wollte,  um  sich  für  die  Prügel,  die  er  als  empfangen  an- 
nehmen soll,  zu  bedanken. '^)  Den  Namen  desselben  Mannes  bringt 
Marot  mit  dem  Worte  sagouin  zusammen  und  um  ja  keinem 
Zweifel  Raum  iu  geben,  wo  er  hinaus  wolle,  fügt  er  noch 
bei,  sagofidjn  sei  eine  Bezeichnung  für  einen  kleinen  AflFen.^) 


1)  G.  III,  83,  "ff. 

«)  Vgl.  ö.  If,  446,  Anm. 

2)  G.  II,  446,  *^^':  *Au88i  8<m  corps  fut  enchasae:  Les  aouris  nont 
garde  d^y  mordre.* 

*)  tt.  n,  632 :  «Lc«  pouldz  .  . ,  Te  puissent  ranger  soubz  la  coiU,*  — 
Den  Fehlern  des  Nächsten  gegenüber  soll  man  es  ebenso  machen  wie 
der  Gänsebrater  mit  den  Gänsen  •Comme  im  rotiaseur  qui  lave  oye» 
(R.  II,  329);  dieser  sagt  natürlich  Ton  keiner  Gans,  sie  sei  gut  oder 
schlecht,  es  fehle  ihr  dieses  oder  jenes,  bevor  er  sie  selbst  gesehen  hat. 

*)  G.  in,  589,  "'»'f-:  ^Hou  le  mastin,  Pleust  ä  Dieu  gue  quelqw 
matin  Tu  vinsses  ä  te  revenger.* 

«)  G.  III,  Ö74,  »»'•:  •Combieti  que  Sagon  sogt  un  mot.  Et  k  »w» 
dun  petit  marmot.* 


—     29     — 

Eine  ähnliche  „naturw^issenschaftliche"  Erläuterung  legt  der 
Dichter  Leuten  in  den  Mund,  die  einem  Fräulein  die  Gunst 
des  Königs,  der  sie  seine  €grenouiUe»  genannt  hat,  mißgönnen 
und  daher  diesen  Kosenamen  als  schlecht  gewählt  hinstellen 
wollen.  Der  Frosch,  sagen  sie,  sei  ein  Fisch,  der  das  Wasser 
besudelt  und  eine  wenig  klangschöne  Stimme  hat.^) 


5.  Krieg  und  Frieden. 

Marot  kommt  auf  das  Unglück  zn  sprechen,  das  die 
Franzosen  im  italienischen  Feldzuge  unter  den  Mauern  der 
Stadt  Pavia  getroffen  hatte.  Doch  sei  es  besser,  fahrt  er 
fort,  nicht  daran  zu  denken.  Jetzt  gelte  es,  sich  die  Freude 
an  der  Jagd  und  am  heiteren  Naturgenuß  nicht  yerderben  zu 
lassen,  solange  der  wiedererkaufte  Friede  noch  dauere.  Den 
Falken  fliegen  lassen,  in  den  Forsten  jagen,  Hunde  loskoppeln, 
Netze  spannen,  den  Stimmen  der  buntfarbigen  Vögel,  der 
Wildenten,  der  Amseln,  der  Rotdrosseln,  der  Meisen,  der 
Finken,  der  Grünspechte,  der  Braunellen-Flühvögel  und  der 
Sperlinge  zu  lauschen  — ,  das  sei  unter  anderem  geeignet  über 
das  drückende  Gefühl  der  erlittenen  Niederlage  hinwegzu- 
helfen : 

Voller  en  plaine,  et  chasser  en  forestz  *), 
Descoupler  chiens,  tendre  toiües,  et  reiz:  .  .  . 
Ou  escouter  la  musiqtie,  et  le  brnici 


*)  R,  II,  355:  «C'e»^  «n  poisson  qui  Veau  souille,  Et  qui  chantant 
a  la  voix  mal  seraine.* 

')  Auf  die  Jagd  haben  noch  folgende  Stellen  Bezug.  In  einem 
coq-ä'Väne  findet  sich  eine  Anspielung  auf  ein  Jagdverbot,  das  den  Keb- 
hühnerfang  mit  Hilfe  von  Tonnennetzen  untersagte:  *Si  tu  chasses  ä  la 
tonneüe,  Tu  feras  contre  V ordonnance»  (G.  II,  455,  ^*'')-  Ebenfalls  in 
einem  coq-ä'Väne^  also  ganz  unvermittelt,  steht  die  Frage:  «Voulez  vous 
preferer  la  chasse  Äu  vol  du  milan  smpendu?»  (G.  III,  386,  **•'•).  Auf 
dem  nämlichen  Wege  gewollter  Zusammenhanglosigkeit  erfahren  wir 
noch,  daß  der  König  oft  auf  die  Jagd  ging:  *Le  Boy  va  souvent  ä  la 
chasse*  (G.  III,  241,  "'),  und  daß  eine  Schleuder  ein  guter  Stock  sei, 
um  einen  Kranich  in  der  Luft  zu  töten:  »Oest  un  bon  baston  qu^une 
fände  Four  tuer  une  grue  en  Vair»  (G.  n,  472,  «^^'^  Var.).  Zur  Jagd 
bedarf  man  natürlich  der  Gesundheit;  nur  diese  macht  die  jungen  Leute 


—     30     — 

Des  oifseüeiz  painctz  de  cottktirs  edranges^ 
Comme  mcdlars,  merles,  maulviSf  mesanges^), 
Pmsons,  jnvers,  passes,  et  passerons.  ^) 

Wenn  dann  der  Krieg  wieder  beginnt,  so  müsse  man 
freilich  von  Jagd,  Hunden  und  Vögeln  lassen*),  mit  neuem 
Mute  aber  und  mit  frischen  Kräften  werde  man  dann  den 
Kampf  wieder  aufoehmen  können. 

Noch  ein  anderes  Mal  w^ist  der  Dichter  darauf  hin,  daß 
den  Leuten  auf  dem  Schlachtfelde  draußen  der  Sinn  für  alles, 
was  nicht  mit  dem  Kriege  zusammenhängt,  abhanden  komme. 
In  dem  Zimmer  des  Feldherm,  wo  so  yiel«  dem  Führer  ihre 
Aufwartung  machen,  so  erzahlt  Marot  in  einem  Briefe  ao 
die  Herzogin  Ton  Älen^ou,  werden  allerlei  Reden  imd  Ge- 
spräche gehalten,  aber  nicht  etwa  über  Vögel,  Hunde  und 
Hundegekläff^),  sondern  über  Waffen  und  Feldzei(dien  und 
es  sehe  aus,  als  ob  alle  diese  Menschen  nie  ans  Tanzen  ge- 
dacht hätten.«^) 


<A  chasBt^  ä  vol,  ä  tournoys  ententives»  (R.  II,  82).  Schließlich  vergißt 
der  Dichter  nicht,  als  er  gerade  vom  Bogen  der  Diana  spricht,  hinzu- 
zufügen :  tDont  eile  alloit  aux  champs  faire  les  questes»  (R.  II,  409). 

')  Man  beachte  die  Alliteration  der  Yogelnamen  in  diesem  vmi 
dem  folgenden  Verse.  Diese  Spielerei  hat  yielieicht  doch  auok  den 
Zweck,  recht  deutlich  zu  veranschaulichen,  welch  eine  Unmenge  von 
Vögeln  der  Dichter  aufzählen  könnte,  die  alle  nur  dazu  da  seien,  den 
Menschen  zu  erheitern. 
*)  R.  I,  240. 

*)  R.  I,  241:  «Laisser  fauldra  ckasse^  chiens,  et  oyseaux.^ 
*)  G,  III,  48,  ^'"i  *Non  pas  d^ayseaulx,  de  chienSj  ne  lewrs  ahoys.* 
•)  Außer  in  den  bisher  besprochenen  Ideenkreiien,  bei  welchen  die 
Einführung  des  Tieres  häufiger  statthat,  tritt  das  Tier  noch  vereinzelt 
in  den  verschiedensten  gedanklichen  Zasammenhängen  auf.  So  erklärt 
i^[arot,  der  einen  *cri  du  jeu*  für  die  Schauspielertruppe  der  EmpvrieMS 
von  Orleans  verfaßt  hat,  man  dürfe  nur  auf  die  Worte  und  dma  Spiel 
dieser  Leute  sehen;  mit  reichen  Kleidern,  Pferden  u.  dgL  wollen  sie 
nicht  prunken  (R.  II,  29).  Ein  anderes  Mal  meint  er,  daß  ein  gewisser 
Montejean,  der  mit  seinem  Gefährten  Boisy  in  engem  Gewahrsam  ge- 
halten wurde,  wohl  schimmelig  werden  müsse,  wenn  nicht  das  Roß  des 
Pacollet  sie  durch  die  Luft  entführe:  ^Montejan  tieni  il  tOMSJours  serre^ 
Xay  grand  paour  qu'il  ne  «oit  maysi  Avec  son  compaignan  Boysi^  SofMS 
le  cheval  de  Pacollet*  (G,  III,  473  f.).  Dann  betont  er  wieder,  daß  aeäse 
Stimme  oder  vielmehr  diejenige  seiner  Begrüß nngsepistel  an  die  Königin 


—     31     — 
Dritter  Teil. 

Tier-Gleichnissö. 

Zwölf  wirkliche  Gleichnisse  finden  sich  bei  Marot,  in 
denen  auf  Tiere  od<5r  auf  das  Leben  und  Treiben  von  Tieren^ 
mitunter  auch  auf  das  Verhältnis  zwischen  M^sch  und  Haus* 
tier  Bezug  genommen  wird.  Wegen  ihres  allzusehr  ausein- 
andergehenden Inhaltes  wird  es  nötig  sein,  jedes  einzeln  für 
sich  aufzuführen. 

Der  nach  dem  Tode  seines  Vaters  zum  wirklichen  Kammer- 
diener des  Königs  ernannte  Dichter  war  durch  ein  eigen» 
tiimliches  Versehen  nicht  in  die  Listen  der  Angestellten  des 
Hofstaates  aufgenommra  worden,  hatte  also  keine  Besoldung 
zu  erwarten.  Damit  er  unter  diesen  Umständen  für  seine 
dringendsten  Bedürfnisse  aufkommen  könne,  schickt  ihn  nun 
der  König  mit  einer  Zahlungsanweisung,  die  nur  mehr  des 
Siegels  bedarf,  an  seinen  Kanzler  du  Prat.  Der  Dichter 
findet  es  für  angezeigt,  sich  erst  bei  diesem  hohen  Herrn  mit 


zwar  nicht  so  laut  sei  wie  die  der  Kanonen,  aber  auch  nicht  sterblich 
wie  die  der  Trompeten,  Vögel  und  Menschen  (G.  III,  164,  ^^^').  Freilich 
wünscht  er  dafür  ein  anderes  Mal  in  einer  Anwandlung  von  Frömmigkeit^ 
daß  Gott  ihm,  wenn  er  etwa  demütige  Gebete  von  ihm  verlangen  sollte, 
zu  ihrer  nachhaltigeren  Verrichtung  eine  wiederhallendere  Stimme  geben 
möchte  als  die  der  versteinerten  Nymphe,  die,  gleichsam  lebendig, 
Menschen  und  Tieren  antwortet:  *qni  semble  vive  E/^spondre  aux  gens  et 
anx  bestes  farouches»  (G.  II,  56,  '°'").  In  einer  ähnlichen  Stimmung 
stellt  er  an  sich  die  Frage,  ob  es,  um  sich  von  Sünden  zu  reinigen, 
nicht  eine  kostbare  Salbe,  irgend  einen  künstlichen  Balsam  oder  etwas 
anderes  gäbe,  das  vielleicht  die  Honigbienen  bereiten:  <0u  autre  cos 
faict  de  mouches  ä  niieh  (R.  I,  173);  nein,  muU  er  anworten,  nur  das 
Blut  Christi  kann  uns  abwaschen.  —  Seine  Schreibfeder  nennt  der 
Dichter  einmal  «pltime  d^oye,  ou  de  jars^  (G.  III,  241,  ^*');  nur  mit 
einer  Gänsefeder,  meint  er  ferner,  könne  man  ein  Protokoll  aufnehmen: 
•Encor  n'est  il  que  plume  d^oy^[e]  Pour  escripre  nn  proces  verbah  (G.  II, 
457,  108^.);  in  der  Grabschrift  eines  Spaßmachers  kommt  er  endlich  auf 
dessen  Mütze  zu  sprechen,  die  mit  •plumes  de  chappons»  geschmückt 
gewesen  sei  (R.  11,  513). 


—     32     — 

einer  poetischen  Gabe  einzuführen,  in  welcher  er  zugleich  das 
ziemlich  auffällige  Verfahren  des  Königs  zugunsten  eines 
brotlosen  Dichters  zu  erklären  und  zu  rechtfertigen  sucht. 
Wenn  ein  Hirt,  so  meint  er,  bei  Nacht  weit  vom  geschlossenen 
Pferche  ein  verirrtes  Schaf  findet,  so  muß  er  es  bis  zum 
Anbruch  des  Tages  irgendwo  unterzubringen  suchen  und  ihm 
dort  Futter  vorlegen.  Nicht  anders  habe  der  König  gegen 
ihn  gehandelt,  wenn  er  ihn  in  Erwartung  einer  Neuauf- 
stellung der  Listen  des  Hofstaates  an  seinen  Kanzler  sende 
und  ihn  einstweilen  also  (und  der  Name  du  Prat  = 
du  pre,  d.  i.  von  der  Wiese,  gibt  dem  Dichter  Gelegen- 
heit, sich  ganz  in  die  Kolle  des  wiedergefundenen  Schafes 
hineinzudenken)  auf  der  besten  Wiese  seines  Reiches  weiden 
lasse,  bis  seine  Aufnahme  in  den  Hofstaat  bewirkt  werden 
könne : 

(Je  croij  que  non,  et  dy,  pour  ma  deffense:) 

Si  im  pasteur  qui  a  fertne  son  parc 

Trouve  de  nuyct,  hing  cinq  ou  six  traiciz  cTarc, 

Urie  brebis  des  siennes  esgaröe, 

Tant  qu^il  soit  jour  et  la  nuyct  separee, 

En  qudcque  Heu  la  doibt  Joger  et  paistre, 

Aiusi  a  faict  nostre  hon  Roy  et  inaistre, 

Me  voyant  hing  de  Vestat  ja  fermSy 

Jusques  au  jour  quHl  sera  defferme, 

Ce  temps  pendant  ä  pasturer  7n'ordo7ine, 

Et  x>our  trouver  plus  d'lia'be  franche  et  bonne, 

M^a  adresse  au  pro  mkulx  fleurissant 

De  son  royaume  ample,  hrge  et  puissant,  *) 

Mit  dem  Hinweise  auf  die  Notwendigkeit,  ein  räudiges 
Schaf  zur  Vermeidung  der  Ansteckungsgefahr  von  der  Herde 
getrennt  zu  halten,  fordert  Marot,  der  jedoch  seine  Worte 
der  verratenen  Geliebten  in  den  Mund  legt,  den  Liebesgott 
auf,  einen  klatschsüchtigen  Menschen,  der  sie  beide  belauscht 
hat,  aus  den  Reiben  seiner  Getreuen  zu  entfernen,  damit 
nicht  auch  in  diese  die  gleiche  schlechte  Gewohnheit  Eingang 
finde: 


>)  G.  III,  94  ff. 


—     33     — 

(La  mauUnme  herbe  ü  fault  qu*eUB  perisse,) 
'  Et  la  brebis  mal  saine  fault  qu^elle  ysse 

Hora  des  irouppeauix. 
Jectes  donc  hora  de  Vamoureux  service 
Ce  mesdisantf  qu!ü  n'apprenne  son  vice 

A  voz  featäx,^) 

Aus  dem  Bechte,  über  die  Eigenscbaften  eines  ge- 
kauften Pferdes,  das  man  bar  bezahlt  und  versucht  hat,  alles 
Wissenswerte  sagen  zu  dürfen,  sucht  der  Dichter  für  sich 
ein  gleiches  Recht  gegenüber  einer  Frau  abzuleiten,  die 
sich  ihm  nach  Entrichtung  der  verlangten  Geldsumme  über- 
lassen hat: 

Si  fay  eofnptant  un  beau  cheval  payi, 
II  m'est  permis  de  dire  quHl  est  mien: 
QiiHl  a  beau  trot,  que  je  fay  essayS: 
En  ce  faisant  cela  me  faid  grand  bien. 
Doncques  si  fay  pay6  comptant  et  bien 
Celle,  qui  iant  soubz  moy  le  cid  leva, 
11  m'est  permis  de  vous  dire  combien 
Elle  me  eouste,  et  quel  emble  eile  va,^ 

Eine  Frau,  die  in  den  ehelichen  Banden  eines  aller 
feineren  Gefühle  baren  Mannes  schmachtet,  kommt  sich  wie 
ein  Vogel  im  Käfig  vor.  Wenn  nun,  so  läßt  sie  sich  ver- 
nehmen, nach  dem  Zeugnisse  des  Eosenromans  der  Vogel  in 
seiner  Sprache  den  verflucht,  der  ihn  gefangen  hält,  warum 
soll  sie  sich  nicht  über  ihren  Gemahl  beklagen  dürfen,  der 
die  Qualen,  welche  er  sie  erdulden  läßt,  von  Tag  zu  Tag  zu 
überbieten  sucht: 

Or  si  toyseau  rjianldict  en  son  langage 
(Comine  dit  MeungJ  eil  qui  le  tieni  en  eage : 
Pourquoy  üyy  doncques  7ie  me  phindray  je 
De  ce  cruelf  qui  chascun  jour  r^engrege 
Mes  longs  ennuys  ?  ^) 


»)  R.  I,  275. 
•)  R.  II,  538  f. 
«)  R.  I,  284  f. 
Mttnchener  Beiträge  z.  romanischen  n.  engl.  Philoloi^ie.  XXXVI. 


—     34     — 

Als  Entschaldignng  für  seine  EühDheit,  aaf  dem  Wege 
durch  Ferrara  dessen  Herzogin  zu  grüßen^  führt  Marot  unter 
anderem  das  Beispiel  der  lieben  kleinen  Vögel  an,  die  in 
ihrer  Sprache  jedes  Gebüsch  und  jedes  Gehölz  grüßen,  aQ 
dem  sie  auf  ihrem  Fluge  vorbeikommen: 

Mais  quel  besoing  est  il  de  nCexeuser? 

Les  oysdleix  des  cltamps  en  leurs  langages 

Vont  saluatä  les  buyssons  et  boscages 

Par  oü  Uz  vont:  ... 

Ma  Muse  doncq,  passant  ceste  court  cy, 

Fait  eile  mul  saluant  toy,  Princesse?^) 

Nach  des  Dichters  Worten  können  Lob-  oder  Schmäh* 
reden  den  einmal  feststehenden  guten  oder  schlimmen  Ruf 
einer  Frau  in  keiner  Weise  mehr  beeinflussen.  Als  Beweis 
dieser  Behauptung  läßt  er  die  allerdings  von  niemand  be- 
strittene Unmöglichkeit  gelteo,  die  weiße  Taube  durch  das 
bloße  Ableugnen  ihrer  Unschnldsfarbe  schwarz  und  dafür  den 
Raben  weiß  zu  machen: 

Aussi  n^est  il  blasoriy  tant  soit  infame, 

Qui  sceust  changer  le  bruyi  d^lionnesie  femme: 

Et  n*est  blason,  tant  soit  plein  de  huange, 

Qid  le  renom  de  folle  femme  change, 

On  a  beaii  dire  utie  colombe  est  noire, 

Un  corbeau  blanc:  poiir  Vavoir  dit^  fault  croire 

Que  la  colombe  en  rien  ne  noircira, 

Et  le  corbeau  de  rien  ne  blancJiira,*) 

Ein  Hirte,  der  sich  in  Spiel  und  Gesang  seinem  Gefährten 
nicht  gewachsen  fühlt,  erinnert  an  den  Grünspecht,  welcher 
der  Nachtigall  nachstehe  und  welcher  daher  zu  schweigen 
habe,  wenn  sie  singe.  Damit  begründet  er  zugleich  seine 
Weigerung,  an  einem  Orte  seine  Kunst  zu  zeigen,  an  dem 
die  Anwesenheit  seines  geschickteren  Mitbruders  in  Pan  ihm 
selbst  den  schönsten  Ohrenschmaus  bescheren  könne: 
Le  rossignol  de  chanter  est  le  maistre, 
Taire  conment  devant  luy  les  pivers: 


»)  G.  lU,  283,  ^^"' 
*)  G.  m,  160,  *^^''' 


—    35    — 

Äussi  estant  Id  ou  tu  pourras  estre, 
Taire  feray  mes  chcUumeaux  divers,^) 

Ein  Wassergott,  der  seinen  Gefährten  die  Gefahr  klar- 
zumachen Yersucht,  welche  für  ihre  Frauen  die  anmutigeu 
Lieder  eines  Sängers  in  sich  bergen,  der  auf  einem  Nachen 
im  Strome  seine  liebliche  Stimme  erschallen  läßt,  erinnert  an 
den  Arion,  durch  dessen  Gesang  sich  die  Delphine  aus  den 
Fluten  locken  ließen,  und  spricht  die  Befürchtung  aus,  ihre 
Frauen  könnten  ebenfalls  zum  Verlassen  ihrer  feuchten  Heimat 
verleitet  werden: 

Le  8on  mdodieux 
De  ce  Chauvin,  frereSj  nous  pourroit  nuyre 
Par  traict  de  temps,  et  noz  fetnmes  seduyre, 
Jusqu^d  les  faire  yssir  de  la  daire  unde, 
Paur  habiter  la  terre  large  et  ronde. 
Ne  feit  au  chant  de  son  psalterion 
Sortir  des  eaux  les  daulphins  Arion  ?  ,  .  .*) 

Inmitten  der  Verfolgungen,  denen  er  ausgesetzt  ist, 
kommt  der  Dichter  auf  den  Gedanken,  Gott  habe  ihn,  den 
Unwürdigen,  zu  seiner  größeren  Ehre  und  Verherrlichung 
Yorausbestimmt,  da  er  ja  auch  die  Schlangen  und  Ungeheuer 
zu  seiner  Ehre  geschaffen  habe: 

0  seigneur  Dieu,  pertnetiez  moy  de  croire 
Que  reserve  nCavex  ä  vosire  gloire: 
Serpents  tortuz  et  monstres  contrefaictz 
Certes  sotit  bien  d  vostre  gloire  faicix.^) 

Nur  zu  erklärlich  sei  es,  meint  der  Dichter  ein  anderes 
Mal,  wenn  er  als  Antwort  auf  die  Verfolgungen,  die  er  in 
Paris  erleiden  mußte,  ein  satirisches  Gedicht  auf  das  Wappen 
dieser  Stadt  verfaßt  habe,  denn  selbst  ein  Wurm  beiße,  wenn 
man  ihn  zu  stark  drücke: 

Paris,  tu  rn!as  faict  mainetz  alarmea, 

Jusque  d  me  poursuyvre  d  la  mort: 


»)  R.  II,  277. 

«)  R.  I,  298. 

•)  ö.  in,  297,  !»»''• 

3* 


—    36    — 

Je  vCay  que  biasanrU  tes  armes: 

ün  ver,  quand  on  le  presse  ü  mord^) 

Seiner  Geliebten,  die  sich  von  ihm  abgewandt  hat,  teilt 
er  mit;  er  könne  jetzt  in  seinem  Schmerze  nichts  anderes  tan 
als  ganz  allein  auf  seinem  Zimmer  still  weinend  ihr  zu 
schreiben.  Denn  an  Kegentagen,  an  denen  am  Himmel  keine 
Sonne  leuchtet,  fühle  sich  jeder  Mensch  unbehaglich  und 
jedes  Tier  ziehe  sich  einsam  in  seine  Höhle  zurück.  Auch 
seine  Sonne,  ihr  schönes  Augenpaar  nämlich,  halte  sich  ver- 
borgen, ein  Tränenregen  entstürze  seinen  Augen  und  so 
müsse  auch  er  sich  freudlos  in  seine  häusliche  fJinsamkeit 
zurückziehen : 

Sefid  en  sa  chambre  il  va  ses  pleurs  escrire, 
Et  n'est  possible  ä  luy  de  faire  mieubc, 
Car  qiiand  il  pleut  et  le  soleü  des  cieulx 
Ne  reluyt  point,  tout  honime  est  soueieux: 
El  toute  beste  en  son  creux  se  reiire 

Tout  ä  pari  soy. 
Or  maintenani  pleut  larmes  de  ses  yeulx, 
Et  toy  qui  es  son  soleü  gracwux, 
Vas  delaiss6  en  Vumbre  de  martyre: 
Pour  ces  raisons,  hing  des  autres  se  tire . . .') 

Es  sei  nicht  zu  verwundern,  meint  der  in  der  Verbannung 
von  unüberwindlichem  Heimweh  nach  Frankreich  geplagte 
Dichter,  wenn  die  menschliche  Natur  uns  mit  Gewalt  an  den 
Ort  hinziehe,  wo  sie  zum  Leben  geboren  wurde;  selbst  die 
Tiere  mögen  sich  ja  nicht  allzulange  außerhalb  ihrer  Höhlen 
aufhalten,  sondern  kehren  nach  einiger  Zeit  immer  wieder  in 
sie  zurück: 

Nainre  a  prins  sur  nous  cette  puissanoe 

De  nous  tirer  au  Heti  de  sa  naissance: 

Mesmcs  long  tentps  les  bestes  ne  sejoument 

Ilors  de  leurs  creux,  wjaw  tousjours  y  retotmient.^) 


')  R.  II,  449  f. 

»)  R.  U,  160. 

»)  G.  III,  545,  "''• 


—     37     — 

Noch  ein  Gleichnis  ist  zu  erwähoen,  das  im  Gegensatze 
za  den  vorhergehenden  vielleicht  ein  nneigentliches  genannt 
werden  darf,  weil  der  Dichter  es  unterlassen  hat;  die  aus 
dem  Hinweise  auf  die  Tierwelt  sich  ergebende  Folgerung  für 
den  ihm  vorliegenden  Fall  im  Menschenleben  zu  ziehen.  Eine 
von  ihrem  Manne  hart  behandelte  Frau  klagt,  sie  habe  ge- 
hofft, diesen  durch  ihr  sanftes  Nachgeben  und  durch  Unter- 
würfigkeit zu  besänftigen  und  zu  gewinnen;  denn  auch  der 
stolze  Löwe  erbarme  sich  des  Hundes,  wenn  dieser  seine 
Ohnmacht  eingestehe;  alles  benge  sich  überhaupt  vor  de- 
mütiger Unterwerfung  (und  das  habe  sie  auch  von  ihrem 
ehelichen  Tyrannen  darum  wohl  erwarten  dürfen) ;  doch  diesen 
bewege  nicht  einmal  die  anmutige  Freundlichkeit  des  Weibes, 
die  alle  Süßigkeit  der  Welt  übertreffe;  er  tue  es  also  an 
Grausamkeit  den  Löwen  und  allem,  was  als  grausam  bekannt 
sei,  zuvor: 

Le  fier  lyon  dessus  le  chien  ne  met 
Patte  ne  dent,  quand  ä  luy  se  si/bmet  .  .  . 
Tout  s'amoüit  par  doulceur  tresbenigne  : 
Et  toutesfoys  la  doulceur  femenine, 
Qui  les  doulceurs  de  ce  monde  surpasse, 
Devant  les  yeulx  de  nion  dur  mary  passe .  .  . 
Par  ainsi  passe  en  cruautez  inique^ 
Lyons  .  .  .*) 


Vierter  Teil. 

Tier-Vergleiche. 


I.  Längere  Vergleiche. 

Wie  der  Wolf,  um  seinen  Raub  ungehört  von  den  Hirten 
ausführen  zu  können,  dem  Lamme  die  Kehle  durchbeiße, 
klagt  Marot  am  Anfange  seines  Gebetes  vor  dem  Kreuze,  so 


*)  R.  I,  283  f.  —  Vgl.  weiter  unten,  S.  öl,  Anm.  ö. 


—    38     — 

wolle  auch  ihn  der  Teufel  am  Sprechen  verhindern,  wenn  er 
vor  Gott  hintrete  um  Verzeihung  seiner  Sünden  zu  erlangen : 
Quand  le  hup  veult  (sotis  h  sceu  du  bergerj 
JRavir  Vaigneau,  et  fuyr  sans  danger^ 
De  peur  du  cry  le  gosier  il  luy  couppe: 
Äinsi,  quand  suis  au  remors  de  ma  coulpe, 
Le  faulx  Satan  fait  mon  parier  refraindre, 
Affin  qu'ä  ioy  je  ne  nie  puisse  plaindre  .  .  .  ^) 

Eine  Frau,  die  durch  gleisnerische  Reden  und  trügerische 
Versprechungen  zur  Ehe  mit  einem  Manne  bewogen  wurde, 
von  dem  sie  nachher  jede  schlechte  Behandlung  zu  erdulden 
hat,  muß  sich,  wenn  sie  im  Geiste  die  vorher  in  Aussicht 
gestellte  glänzende  Zukunft  mit  der  traurigen  Gegenwart 
vergleicht,  an  das  falsche  Gebahren  des  Vogelfangers  erinnern, 
der  die  arglosen  Vögelein  durch  das  Nachahmen  ihrer  lieb- 
lichen Stimmen  in  seine  Netze  lockt  und,  wenn  er  sie  nicht 
gar  des  Lebens  beraubt,  sie  der  Marter  einer  immerwährenden 
Gefangenschaft  im  engen  Räume  eines  Käfigs  überantwortet. 
Da  sieht  sie  nun,  daß  ihr  ein  gleiches  Los  beschieden  ist, 
daß  man  sie  mit  ähnlichen  Mitteln  zur  Ehe  eingefangen  hat 
und   sie  jetzt  in  ebenso  grausamen  Banden  schmachten  läßt: 

Certes  quand  bien  je  pense  ä  mon  malheur, 

II  rne  sourient  du  champestre  oyseleur^ 

Lequel  apres  que  Voy seilet  des  charnps 

II  a  sceu  prendre  avec  fainctx,  et  doulx  chants, 

Le  tue,  et  plume^  ou  sl  vif  le  retient, 

Le  met  en  enge,  et  en  Inngueur  le  fient: 

Ainsi  (pour  vraif),  fuz  pi'hise  et  arrestee, 

Et  tont  ainsi  (helas)  je  suis  traictee.  ^) 

An  den  Vogelfang  mit  Hilfe  der  Lockpfeife  erinnern  den 
Dichter  auch  die  einschmeichelnden  Worte,  welche  der  Unter- 
suchungsrichter an  den  Angeklagten  richtet '^),  um  aus  ihm 
durch  das  Versprechen  seiner  Freilassung  die  Namen  seiner 
Mitschuldigen   herauszubringen.     Folgt  der  Vogel  dem  Tone 


*)  G.  li,  54,  "'f- 

«)  R.  I,  284. 

^)  Eigentlich  der  Höllenrichter  an  die  vor  ihn  geführte  Seele. 


—     39     — 

•der  Lockpfeife,  so  gerät  er  zu  seinem  Verderben  in  die  grau- 
-samen  Hände  seines  Bänbers,  und  macht  der  Angeklagte  auf 
das  freundliche  Zureden  des  Richters  hin  irgend  ein  Ge- 
ständnis, so  wird  er  gehängt  oder  gepeitscht;  läßt  er  sich 
jedoch  nicht  zum  Sprechen  bewegen,  so  entgeht  er  oft  der 
Strafe  und  dem  Tode: 

Touts  ces  mots  alleschants 
Font  Souvenir  de  Voyseleur  des  champs, 
Qui  doulcement  faii  chanter  son  suhlet 
Pour  prendre  au  hric  l'oyseau  nice  et  foiblet, 
Lequel  languit  ou  meuri  ä  la  pippie: 
Ainsi  en  est  la  paoire  Arne  grippee, 
Si  tcl  doiiheur  luy  fait  rien  confcsser, 
Rhadamantus  la  fait  j)€ndre  ou  fesser: 
Mais  si  la  langiie  eile  refraind  et  mord, 
Souveiitesfoys  escJiappe  ])eine  et  niort,  ^) 

Marot  mag  sich  in  keine  Plauderei  mit  jungen  Mädchen 
«inlassen,  ohne  ihre  Liebe  als  Frucht  der  Unterhaltung  zu 
gewinnen.  Ein  Geplauder,  das  nicht  mit  diesem  Erfolge  ab- 
schließt, ist  ihm  wie  der  Wind  und  das  Wasser,  die  keinen 
Aufenthalt  auf  ihrem  Wege  kennen.  Aber  die  Liebe  bleibt 
bei  ihm  ganz  wie  ein  zahmer  Vogel,  der  lustig  um  ihn  herum- 
fliegt, sich  ihm  auf  die  Hand  setzt  und  ihn  mit  seinem  Ge- 
sänge erfreut.  Also  möge  der  Liebesgott,  der  ja  selbst  durch 
seine  Flügel  einem  Vogel  gleiche,  ihm  als  Frucht  seines 
Plaudems  Liebe  bescheren  oder  sich  allein  mit  der  Unter- 
haltung der  Mädchen  befassen: 

Je  7ic  sgaurais  d^entrctien  appeller 
Le  deviser  qui  aucun  fruict  n^apportCj 
C^est  le  iray  vent  qui  tost  se  perd  en  Vair, 
Ou  Veau  qui  roide  en  aval  se  transporte, 
Voysfau  qentilj  sur  le  poing  je  le  porte. 
Apres  luy  crie,  u  luy  souvent  fentens^ 
Car  de  son  vol  rend  mes  espritz  contens. 
AdoHc  Arnour  hei  oyseau  par  les  aesles, 

')  G.  II,  176,  ••»'^- 


—     40     — 

Appotie  proye,  et  danne  passeiemps, 

Oii,  enirtiien  (taut  seulj  tes  damoy9eüe.s,  ^) 

Ein  Dichterling,  der  seine  nächtlichen  Schöpfungen  an 
den  wegen  seiner  poetischen  Versuche  pflichtschuldigst  ge- 
priesenen König  zu  richten  wagte,  um  Marot  in  dessen  Augen 
herabzusetzen,  kommt  einem  angeblichen  Diener  Marot's,  d.  h. 
natürlich  ihm  selbst,  wie  eine  Eule  vor,  die  vor  der  Nachtigall 
singt,  oder  wie  ein  Gänschen,  das  sich  mit  seinem  Gesänge 
vor  dem  Schwane  Gehör  verschaffen  möchte: 

Et  quafid  tes  escriptx  adressas 

Au  Roy,  tant  excellent  poeie, 

II  7ne  souhvint  dhme  choueite 

Devant  le  rossignol  chaniant^ 

Ou  d'mi  oyson  se  presentant 

Devant  le  cygne  pour  chanter,  •) 

Wie  der  Hahnenschrei  nicht  die  Nacht,  sondern  die 
Wiederkehr  des  Tages  verkündigt,  so  hast  auch  du  mir, 
schreibt  er  an  einen  Arzt,  der  ihm  Genesung  von  seiner 
Krankheit  versprochen  hatte  und  dessen  Name,  1  e  C  o  q ,  diesen 
Vergleich  besonders  naheliegend  erscheinen  lassen  mußte, 
keine  finsteren  Aussichten  eröffnet,  sondern  heitere  Tage  der 
Gesundheit  erhoffen  lassen  und  dich  dadurch  als  wahren 
Hahn  gezeigt: 

Le  chant  du  coq  la  nuict  poiiü  ne  pronofice, 
Ams  le  retour  de  la  lumiere  absconse: 
Dont  sa  nature  il  fault  que  noble  on  tienne. 
Or  fes  monstrc  iray  coq  en  ta  responce: 
Car  ton  hault  chant  rien  obscur  ne  m^annonce 
Mais  sante  r/rf,  en  quoy  Dicu  te  maintienne.^ 

Den  Tod  läßt  Marot  an  alle  Menschen  die  Worte 
richten,  man  brauche  nur  auf  das  Kreuz  des  sterbenden 
Erlösers  zu  blicken  um  zu  neuem  Leben  zu  gelangen,  wenn 
er  das  irdische  Leben  hin  weggenommen  habe;  auch  die  Juden 


^)  K.  II,  468  f. 

2)  G.  III,  582,  "«'^• 

^)  R.  U,  336. 


—     41     — 

in  der  Wüste  hatten  nur  auf  die  eherne  Schlange  des  Moses 
zu  schauen,  um  von  dem  Bisse  einer  wirklichen  Schlange  zu 
genesen : 

Jadis  celhiy,  que  Moyse  Von  nomme,  » 

Vn  grand  serpent  iout  (Verain  eslevoit, 

Qtii  (pour  le  veoir)  pouvoii  guerir  un  komme, 

Qiiand  un  serpetit  naiurtl  mors  l'avoii. 

Ahisi  celluy,  qui  par  vive  foy  veoii, 

La  mort  de  Christ,  guerit  de  ma  blessure, 

Et  veit  ailleurs  plus  qu^iey  ne  vivoit,^) 

Eine  Frau,  die  von  ihrem  Manne  viel  Schlimmes  zu  er- 
dulden hat,  hält  sich  für  das  einzige  Weib,  dem  eine  so 
schlechte  Behandlung  widerfährt,  und  fühlt  sich  daher  dem 
Vogel  Phönix  ebenbürtig,  der  auch  unter  der  Sonne  nicht 
seinesgleichen  findet.  Sie  sei  also  der  Phönix  ^  der  unglück- 
lichen Frauen  und  ihr  Peiniger  deshalb  der  Phönix  der 
wahnwitzigen  Männer: 

Dessoubz  la  grand*  lumiere  du  soleil 
Ne  troure  point  le  phenix  son  pareil: 
Et  aiissi  j)eu  je  troiive  ma  pareiUe 
En  jusie  dueil,  qui  la  mort  m*appareille, 
Le  phenix  suis  des  dames  langoureuses 
A  trop  grand  fort,  voyre  des  malheureuses  : 
Et  eil  qui  m*a  tous  ces  maulx  avancex, 
Est  le  phenix  des  hovimes  insensex.^) 

Eine  für  Verliebte  höchst  verletzende  Parallele*)  zieht 
Marot  zwischen   diesen   und  brünstigen  Hirschen.     Hier   der 


*)  R.  II,  320. 

')  Vgl.  weiter  unten  8.  68,  Anm.  5. 

»)  H.  I,  282. 

*)  Eine  ähnliche  üegenüberstellung  findet  sich  noch  in  folgenden 
Fällen.  Marot,  der  den  völligen  Untergang  der  römischen  Kirche,  die 
er  Symcnme  benennt  und  die,  wie  er  meint,  durch  die  liebliche  Stimme, 
mit  der  Chrintine^  d.  h.  die  KcformÄtion  oder  die  wiedererstandene  Ur- 
kirche,  zu  den  Menschen  spricht,  schon  die  Hälfte  ihrer  Anhänger  ver- 
loren habe,  natürlich  mit  ganzer  Seele  herbeisehnt,  ist  der  Ansicht,  sie 
werde  an  dieser  lieblichen  Stimme  zugrunde  gehen,  während  der  Basilisk 
die  Leute  mit  dem  Blicke  töte:    «Le  basilic  occist  les  gens  des  yeulx^ 


—    42     — 

Kampf  um  die  HindiDoeD,  dort  der  Kampf  um  die  Mädchen ; 
doch  die  UrBache  des  Zwistes  ist  ganz  gleicher  Natur.     Hier 
ein  Röhren   und  Schreien,    dort  ein    Seufzen,    Weinen   und 
Bitten.     Zusammen  gäbe  das  wahrhaftig  ein  schönes  IConzert. 
Auch  die  Liebhaber  sind  also  Hirsche,  allerdings  zweibeinige ; 
hätten   sie  jedoch  Geweih  und  Sprossen   auf  dem  Kopfe,  so 
würden  auch   sie   schon   äußerlich   die   ganze  Dummheit,   die 
sie  mit  den  Hirschen  verbindet,  zur  Schau  tragen: 
Les  cei'fx  en  rui  pour  les  biches  se  haitenty 
Les  amoureux  pour  les  danies  combattent, 
Un  mesme  effect  engendre  les  discordx: 
Les  cerfx  en  rut  d'amonrs  hrament  ei  crienty 
Les  amoureux  gemisscnt,  pleurent,  prient, 
Eulx  et  les  cerfx  feroient  de  beaux  accordx, 
Amans  sont  cerfx  ä  deux  piedx  soubx  un,  corps, 
Ceuh  cy  d  quatre:  et  pour  venir  aux  iesies, 
II  ne  s^en  fault  que  rarnure.^  et  cors, 
Que  vous  amans  ne  soyex  aussi  bestes ^) 

Einer  französischen  Prinzessin,  die  dem  Herzog  von 
Perrara  in  sein  Land  gefolgt  ist,  will  ihr  mit  Karl  V.  ver- 
bündeter Gemahl  sogar  die  auf  fremdem  Boden  um  so  teurer 
gewordene  französische  Dienerschaft  nehmen,  um  sie  ganz  mit 
schleichenden,  von  ihm  allein  abhängigen  Italienern  zu  um- 
geben. Der  bei  ihr  als  Verbannter  weilende  Marot  meint  bei 
dieser  Gelegenheit,  sie  sei  die  Henne,  der  man  ihre  Küchlein 
rauben  und  Skorpione  unter  die  Flügel  stecken  wolle,  oder, 
da  die  Italiener  nur  die  Aufgabe  hätten,  sie  von  jeder  Ver- 
bindung mit  ihrem  Heimatlande  abzuschneiden  und  sie  ganz 
dem  Willen  ihres  Gemahls  gefügig  zu  machen,  sie  sei  das 
Rebhuhn,  welches  man  in  das  Tonnennetz  fallen  lassen  wolle: 

De  France  ?i*a  nul  grand  qui  la  sequeure, 

Et  des  petis  qui  sont  en  sa  dcmeure, 


Mais  ceste  cy  d^un  parier  gracieux  La  deffera*  (R.  I,  129).    Schärfer  ist 
der  Gegensatz  in  nachstehenden  an  einen  schlechten  Dichter  gerichteten 
Versen:  -«De  toutes  tailles  Ixnis  Uvriers,  Et  dt  touts  arts  tnaulvaisouvriers: 
Son  epistre  asnez  Ic  t^smoigyie*  (U.  III,  193,  *'^-)- 
»)  R.  II,  Ö39.  —  Vgl.  weiter  unten,  S.  53. 


—    43     — 

Son  mary  veult  sans  qu'un  seul  y  demeure, 

La  rebouter, 
Car  rien  qu^elle  ayme,  il  ne  s^uroit  gousier: 
Cfest  la  geline j  ä  qui  Pon  veult  oster 
Toiis  ses  poussins;  et  scorpions  houster 

Dessoubz  son  aisle, 
C*est  la  perdrix  qv*on  veult  en  la  tonnelle 
Faire  iomher,  ^) 

In  derben  Worten  brandmarkt  der  Dichter  die  uner- 
sättliche Habgier  einer  üdaitresse  des  Königs,  der  ihr  die 
Gunstbezeigungen,  die  sie  ihm  gewährt,  mit  horrenden  Summen 
entgelten  muß.  Dies  bringt  Marot  auf  den  Gedanken,  das 
Organ  des  Weibes  eine  Katze  zu  nennen,  die  ihre  Bewegungen 
nur  allzugut  einzurichten  weiß,  um  eine  Maus  sicher  zu  er- 
haschen. In  einer  anderen  Lesart  nennt  er  es  ein  Pferd,  das 
einen  hübschen  Trab  geht  (natürlich  um  von  seinem  Reiter, 
den  Geschenken  des  Königs  an  seine  Maitresse  entsprechend, 
das  besonders  erwünschte  Futter  zu  erhalten): 

Un  con  n^est  pas  tout  ce  qn^on  pense: 

Tel  n'en  a  pohit  qui  en  a  trop.  *) 

C^est  vn  chat  qiii  ra  hien  le  troi 

Pour  hien  gripper  u}ie  soury  .... 
Oder:   Un  con  ri'est  pas  tont  ce  qu^on  pense: 

Tel  n^en  a  point  qui  en  a  trop, 

Un  ch^t^al  qui  ra  hien  le  trot. 

As  tu  point  ru  la  peronnelle  P  ,  .  . ') 

Wenn  sein  Vater,   den  er  uns   als  Schäfer  darstellt,  ihn 


>)  R.  II,  64. 

')  Gemeint  ist  der  König,  der  zwar  kein  Weib  sei,  dem  aber  doch 
viele  Weiber  gefällig  seien.  Darum  heißt  es  auch  vorhßr,  ein  Weib  sei 
nicht  gar  so  viel  wert. 

')  G.  II,  454,  ^^-  —  Ähnlich  ist  die  Form  des  Vergleichs  in:  *Car 
d'un  komme  hien  empesche  Seroit  un  regnard  escorche»  (G.  III,  441  **^'-)t 
womit  wohl  gesagt  sein  soll,  der  erwähnte,  vielleicht  etwas  dickleibige 
Mann  würde  durch  die  ihm  eingegebene  Pulverladung  viel  von  seinem 
Umfang  verlieren,  und  in:  *Quel  quHl  soifj  il  n'est  poinct  poete^  Mais 
fih  aisne  d^une  chouctte»  (G.  III,  194,  '*^).  Wegen  chouette  vgl.  oben, 
S.  40. 


—    44    — 

abends  immer  in  die  Kunst  des  Hirtenliedes  und  d^r  Hirten- 
pfeife eingeführt  habe,  so  sei  diesem,  erzählt  Marot,  zumute 
gewesen,  als  ob  er  seinem  liebsten  Lamme  die  Milch  des 
Mutterschafes  gereicht  hätte: 

,  ,  ,  en  ce  faisant^  sembloit  au  hon  berger  .  .  . 

que  teier  faisaii 

Vaigneau  qui  plus  en  son  parc  luy  plaisoiL^) 

Ein  Dichter  namens  Grenouille  ist  für  Marot  einem 
Frosche  sehr  ähnlich,  weil  er  im  ßeiche  der  Dichtkunst  ebenso 
herumquatsche  wie  der  Frosch  im  Wasser: 

Bien  ressembles  ä  la  p'enouille, 

Non  pas  que  tu  sois  aquaUque: 

Maü  comme  en  Veau  eile  harbouülej 

Si  fais  tu  en  fort  poetique.^) 

Zwei  schlechte  Eeimschmiede,  die  Marot  nicht  zu  seinen 
Freunden  zählt  und  die  sich  gegenseitig  mit  Lobsprücben  auf 
ihre  vermeintlichen  Fähigkeiten  überhäufen,  machen  auf  ihn 
den  Eindruck  zweier  alter  Esel,  die  einander  an  ihrer  krätzigen 
Haut  herumscharren: 

Ce  Iluet  et  Sagon  se  joueni^ 

Par  escn'pt  Vun  Vaulire  se  louenty 

Et  semble,  tant  üx  s'entreflattent, 

Deuz  vieulx  asncs  qui  s'entregrattent.^) 

Von  sich  selber  meint  der  Dichter,  wenn  er  an  seine 
Jugend  zurückdenkt: 

Sur  le  pnntemps  de  ma  jeunesse  folle, 
Je  resseynhloys  Varondellef  qui  vole 
Puis  c^,  puls  /«.*) 

*)  G.  II,  289,  ^''' 

«)  K.  II,  458. 

»)  G.  III,  573  f. 

*)  G.  II,  286,  **'^-  —  Auch  folgende  Stelle  möchte  ich  nicht  un- 
erwähnt lassen:  *Luy  semhle  quHl  escoute,  En  plein  marchS  six  ordes 
harengeres  Jeder  le  feu  de  leurs  langues  legeres»  (G.  ILI,  155,  *""^)-  ^ 
einem  Vergleiche  mit  einem  Wanderer,  der  sich  während  ein«s  Gewitters 
unterstellt,  ist  der  Wanderer  ähnlich  als  Reiter  geschildert  (G.  III> 
544,  "^'"•),  wie  die  Schandmäuler  als  Heringsweiber. 


—    45     — 

Den  Übergang  zu  den  Vergleichen  des  zweiten  Abschnittes 
mag  folgende  boshafte  Bemerkung  über  die  Ähnlichkeit  der 
Pärbung  gewisser  Vögel  mit  den  Farben  der  Mönchskleider 
bilden : 

Uun  en  corbeau  se  vest  pour  triste  signe: 
L'aultre  s^habiUe  d  la  foQon  cCun  eigne  i 

VauUre^  grand  aermoneuTj 

Porte  8U/r  soy  les  couleurs  cCune  pie.^) 

II.  Kürzere  Vergleiche.    (Einfache  Sätze  mit 
Vergleichungspartikeln.) 

Im  folgenden  finden  sich  diejenigen  Tiervergleiche  Marot's 
zusammengestellt ,  welche  bloß  mit  Vergleichungspartikeln 
gebildet  sind  und  für  gewöhnlich  den  Raum  eines  einzigen 
Satzes  nicht  überschreiten.  Ihnen  schließen  sich  als  weitere 
Verkürzung  des  Vergleiches  die  einwertigen  Vergleiche  (Meta- 
phern) an. 

Beweglichkeit  und  Schwerfälligkeit. 

Mais  eile  s'enfuyoit  plus  visie 

Que  lievres,  qua7id  Hz  sont  cJiassez.^) 

.  .  .  ceitlx  de  nostre  village 
Sailloient  phis  dru,  plus  legier  et  plus  visie, 
Que  ne  faict  pas  h  He  vre  de  son  giste, 
Quand  par  veneurs  et  coura?ites  leirieres, 
Est  poia'suyvy  en  ces  larges  hruyeres,^) 

.. .  .  que  ton  pied  fust  aussi  leger  doncquee 

Que  hielte  ou  cerf  que  le  roy  clmssa  oncques.^) 

Außerdem  findet  sich:  tplus  tost  que  l^aronde>^),  oder: 
^plustost  que  vol  d^ arondeit  ^);   auch:    tMon  cueur  wie  comme 

')  G.  II,  137,  ^''f- 
«)  G.  II,  117,  >"'• 
»)  R.  I,  201  f. 
*)  G.  in,  52,  w'. 
»)  R.  II,  288. 
•)  R.  U,  12. 


—    46     — 

l* aronde,*^)  Von  einem  Freunde  wird  gesagt:  «Owt  satdie 
en  Chat  et  gravit  en  belette.»*)  Sich  selbst  nennt  der  Dichter : 
tPlus  leger  .  .  .  que  volucres  ccdi,^^) 

Dagegen  werden  die  Soldaten  mit  dem  Prädikate :  trotfdes 
conime  elephants>  belegt.*)  Als  besonders  schwerfallig  wird 
ein  Bruder  Andreas  hingestellt.  Dieser  soll  nach  der  Grab- 
inschrift, die  Marot  für  ihn  verfaßt  hat,  den  Frauen  oft  in 
Liebe  genaht  sein  und  sich  dabei  wie  ein  großer  abgesattelter 
Lastesel  benommen  haben:  <cles  ehevaulchoü,  Comme  un  grand 
asne  desbatä,»^) 

Gesangskundig,  bzw.  gesangsunkundig. 

Den  Verfasser  einer  für  ihn  beleidigenden  Epistel,  der 
sich  jedenfalls  auf  seine  dichterische  Begabung  etwas  ein- 
bildete und  wie  eine  Nachtigall  in  den  Zweigen  gesungen  zu 
haben  glaubte,  stellt  Marot,  was  Sangeskunst  betrifft,  hinter 
den  schwarzgefiederten  Raben  und  den  Buhm  Arkadiens,  den 
Esel: 

Toutesfoys  tu  auydes  avoir 

Chanie  en  rossignol  ramage: 

Mais  un  corbeau  de  noir  plumagej 

Chi  un  gratid  asne  d'Ärcadie^ 

Feroit  plus  doulce  tntlodie.'^ 

Der  Dichter  sagt  sogar  von  Vögeln,  deren  Gesang  Be- 
wunderung verdient,  sie  sängen  wie  die  Nachtigallen:  tUais 
ce  pendant  qu*en  ramage  musique  Oiantent  aux  boys  comme 
rossignolletx.%^)  Einem  Hirten  macht  ein  anderer  das 
Kompliment,  daß  er  mit  seinem  Gesänge  mehr  Lust  bereite 
als  der  Hänfling: 


»)  R.  II,  159. 

«)  G.  III,  636,  ". 

»)  ö.  IIJ,  98,  ". 

*)  G.  III,  44,  ••. 

*)  R.  II,  Ö18f. 

•)  Vgl.  G.  III,  271,  Anm. 

')  G.  III,  270  f. 

•)  R.  II,  37. 


—     47     — 

Berger  Thenot,  je  suis  esmerveiU6 

De  tes  chansons :  et  plus  fort  je  m*y  baigne 

Qu^ä     escouter  le  linot  esveille^) 

Wenn  Marot  dagegen  in  seinen  berüchtigten  Adteiix  von 
sich  selbst  sagt:  tAdieu  vous  dis  coinme  ufig  corbeau»^^  so 
war  er  sich  wenigstens  der  Häßlichkeit  dieses  Machwerkes 
bewußt. 

Unwert 
Ein   Kopfhänger,   meint  Marot,    der  an  keiner  Freude 
teilnehmen  mag  und   dessen   Augen  im  Vergleich  mit   dem 
leuchtenden  Blicke   fröhlicher  Menschen  ganz   schläfrig  aus- 
sehen,  ist  auch   zu   frischer   Tätigkeit   nicht  zu    gebrauchen. 
Er  leistet  genau  soviel  Arbeit  wie   ein  Ochse,   der  sich  im 
Schatten  eines  Gebüsches  zum  Schlafe  hingestreckt  hat: 
Mais  dequoy  sert  wie  teste  endonnie? 
Autant  qu^un  boßuf  dormant  pres  d^un  buysson. *) 

Ohne  Siegel,  sagt  der  Dichter  ein  anderes  Mal,  als  er 
den  Kanzler  bittet,  eine  ihm  vom  König  ausgehändigte 
Zahlungsanweisung  mit  dem  Staatssiegel  zu  yersehen,  nütze 
eine  jede  Bescheinigung  noch  viel  weniger  als  (unter  anderem) 
ein  Pferd  ohne  Sattel:  <Car  vous  s^avex  que  tout  acquict  sans 
seel  Sert  beaucoup  moins  .  .  .  qu^uti  ckeval  sans  seile,**") 

Sanftmut. 
Das  Schaf  gilt   dem  Dichter   für  das  sanftmütigste  und 
nachgiebigste  aller  Tiere.    Darum   sagt  er   auch    von    einem 
Mädchen,   es  sei  so  liebenswürdig  imd  gut  wie  ein  Schaf: 
«0»  m'a  did  qu'elle  est  amyable  Comme  un  mouton,*^) 

Furcht. 
Mehr  als    das    schwache   Schaf  seinen  Kachen,  fürchtet 
der  grausame  Wolf  den   bloßen   Anblick  des  Todes,   den  er 
auf  einem  Wagen  über  die  Fluren  fahren  sieht: 


*)  R.  II,  276. 
«)  Ö.  III,  119,  !•. 
«)  R.  II,  3  f. 
*)  a.  III,  98,  »'«f- 
»)  G.  II,  113,  "•'• 


—    48    — 

Lt  hup  cruel  crainet  plus  sa  face  seukj 
Que  la  brebis  du  loup  ne  crainet  la  gueuie.^) 

Flucht  aus  Furcht. 

Die  drückende  Sorge  um  die  Mittel  zur  Lebensfuhrang 
macht  den  Dichter  unfähig  zur  Arbeit;  denn  vor  der  Sorge 
ergreifen  die  beiden  Musen  der  Hirten-  und  Heldendichtung 
eiligst  die  Flucht  wie  schwache  Schafe  vor  dem  scheußlichen 
Wolfe : 

Et  devant  luy  vont  fuyant  ioutes  deux, 
Comme  brebis  devani  un  loup  hydeuxJ) 

Reizbarkeit. 

tPlns  nwrdant  qiCune  louvei^  heißt  es  von  einer  Schlange.'} 
Und  an  einer  anderen  Stelle  sagt  Marot,  daß  man  vor  Gericht 
die  streitenden  Parteien,   da  sie   sich  gegenseitig  immer  die 
Zähne  zeigten,  genau  so  durch  Schranken  auseinanderhalten 
müsse,  wie  man  im  Stalle  mit  bissigen  Pferden  verfahre: 
Encor  (pour  vray)  mettre  on  rCy  peuU  id  ordre^ 
Que  iousjours  Vun  Vaultre  ne  vusiüe  mordre: 
Doni  raison  veult  qü'ainsi  on  les  embarre^ 
Et  qu^entre  deux  soit  mys  distance  et  barre, 
Comme  aux  chevaulx  en  VesidbU  hargneux,^) 

Müdigkeit. 

Gegen  das  Ende  einer  langen  Epistel  hält  es  der  Dichter 
für  geboten  rasch  dem  Schlüsse  zuzueilen,  denn  seiner  Feder 
tue  jetzt  das  Kreuz  schon  weher  als  dem  großen  alten  Paß- 
gänger*) seines  Freundes: 

Et  ma  plume  d'oye,  ou  de  jars  •), 


^)  R.  n,  323. 

•)  G.  II,  296,  *'^f- 

»)  G.  II,  170,  *•». 

*)  G.  II,  160,  "'^• 

»)  Vgl.  oben,  S.  6,  Anm.  3.  —  Ob  hier  wirklich  das  Tier  gemeint 
ist,  sclieint  nicht  sicher.  Vgl.  die  Variante  zu  dieser  Stelle  (G.  HI» 
241,  »«'•)  und  G.  III,  225,  Anm. 

•)  Vgl.  oben,  S.  31,  Anm. 


-:      49      — 

Se  seni  desja  plus  errenie 

Que  ta  grand  vieilte  hacquenee.^) 

Gefährlichkeit. 

Der  reißende  Wolf,  der  sich  abends  dem  Weideplatze 
nähert,  so  läßt  sich  eine  ältere  Hirtin  vernehmen,  könne  unter 
den  schwachen  Schafen  kein  so  großes  Unheil  anrichten  wie 
der  Müßiggang  unter  jungen  Schäferinnen : 

Oysiveti  n^aUex  point  naurrissani: 

Cor  eile  est  pire  entre  jeunes  bergeres, 

Qu'entre  hrebis  ee  grand  loup  raviasant, 

Qui  vieni  au  soir  iousjours  en  ces  fougeres,^) 

Trennungsschmerz. 

Die  Hirten  sind  wegen  der  durch  den  Tod  bewirkten 
Abwesenheit  ihrer  Herrin  mehr  von  Schmerz  betroflfen^  als 
die  Lämmer,  wenn  sie  das  Mutterschaf,  das  sie  säugt,  nicht 
in  ihrer  Nähe  finden: 

O  ßommes  nous  maintenani  malheureux, 

Plus  estonnex  de  sa  morteUe  absence^ 

Que  les  aigneaulx  d  Vheure  qu'entour  eulx 

Ne  trouvent  pas  la  mere  qui  les  pense,^) 

Eine  Sprache  entstellen  (6corcher). 

Ein  für  gelehrt  geltender  Gegnet  Marot's  brauehe  sich, 

nach  Fripelippes-Marot  wenigstens,  nicht  gar  so  yiel  auf  seine 

Kenntnisse  im  Lateinischen  einzubilden ;  er  tue  dieser  Sprache 

ja  doch  nur  Gewalt  an ;  wie  ein  großer  Hofhund  zetschinde  er 

ihr  bloß  das  Fell,   welches  er  sich  nur  allzugern  umhängen 

möchte : 

Uun  est  un  vieulx  resveur  normandy 

Si  gotUuj  friant  et  gourmand 

De  la  peau  du  paavre  latin, 

Qu'il  Fescorche  camme  un  viastin,^) 

»)  G.  III,  241,  "»''• 
«)  K.  II,  279. 
«)  R.  n,  278. 
*)  ü.  m,  671  f. 
Münehener  Beitifige  z.  romaniBchen  o.  engl.  Philologie.  ZXXYI.      4 


—  so- 
ff AnstrenguDgeD. 
Folgendes  gilt  von  den  Strapazen  des  Schlachtfeldes: 
On  8^y  bat  et  courrousse 
Plus  qu^d  chasser  d  quelque  beste  rousse, 
Oü  d  voller  la  pye  ou  le  millan,'^) 

Stärke  und  Schwäche. 

Der  Löwe  wird  tplas  fort  quiun  vieü  verrat*  genannt.') 
Dagegen  gelten  dem  Dichter  die  Tier  Gründe  eines  Gegners 
nur  für  €Ati88i  fortea  que  quaire  oyaons,^^) 

Schreien  und  Schimpfen. 

€Je  cnray  plus  hault  qu'tine  pie»  sagt  Marot  von  sich 
selbst.^)  Auch  die  Marktweiber  lassen  ihre  Zunge  schießen 
cComme  une  pie  en  cage  injurieuse».^) 

Lustigkeit  —  Dummheit  —  Herbheit 

tUoeil  gay  en  esmer%llom>  heißt  es  von  einem  Mädchen.^) 
Von  einem  schlechten  Kritiker  dagegen :  ^De  sens  a  bien  moins 
qu'une  6«««.»')  Femer  findet  sich:  tTemperance  aspre  eomme 
vipere,*^) 

Unterricht. 
Sein  Vater  habe  ihm  am  Abend  das  Dichten  und  Singen 


')  R.  II,  113.  —  Vom  Kriege  heißt  es  noch;  mEUe  picque  aimi 
qu^un  herisson»  (R.  II,  5).  Von  den  Zangen dreschem  wird  dasselbe 
gesagt:  ^Languards  picqiians  plus  fort  qu'un  herieeon»  (R.  II,  4). 
Diese  sollen  auch  ^plus  recluz  qu'un  vieü  corbeau  en  eage*  sein  (ibd.)- 
Auch  der  Kranke  auf  seinem  Zimmer  ist  ^Mieulx  enfemU  qu^en  ea  cagt 
lynotte»  (R.  11,  336). 

«)  ö.  III,  76,  »•.  —  Ähnlich  sagt  Marot  von  den  Predigern :  -ite 
escument  comme  un  verrat,  En  pleine  chaire»  (G.  III,  333,  *^^'). 

»)  G.  III,  Ö87,  "». 

*)  R.  II,  10. 

^)  G.  m,  155,  "•. 

•)  G.  IL  111. 

7)  R.  n,  459. 

»)  R.  II,  129. 


—     51     — 

beigebracht  und  ilttt  lange  wach  gehalten  ^Ains^i  que  fönt  Uurs 
sansonnetx  ou  pies  Jupres  du  feu  bergeres  accroupies,'»^) 

Weiße  Farbe  —  Erfolglosigkeit  —  Über- 
legenheit 

«Sow  chef  blanCj  comme  un  cigno^)  —  ^Mes  souhaüz  voni 
cofnme  Vescrevice,  Tout  au  rebours,*^)  —  tPar  sus  luy  voU 
nosire  poeie,  Comme  feroit  Vaigle  aur  Valou^ite.^^) 

Grausamkeit  —  Stehlsucht  —  Vergänglichkeit. 

«^Avex  vous  doncq  les  cueurs  moins  damoyseaux  Qu*a$picz, 
ne  loups  et  telx  gentilx  oys6aux?>^\  fragt  Marot  sechs 
verleumderische  Weiber.  Ein  schlechter  Dichter  ist  ihm  ^filx 
aisne  d*une  choueite,  Ou  aussi  larrorij  pour  le  moins,^^)  Der 
Schall  seiner  Stimme,  meint  er  ein  anderes  Mal,  sei  nicht 
umoriel  en  terre,  comme  Voix  .  .  .  d^oy seiet,*'') 

III.  Einwertige  Vergleiche  (Metaphern). 
Tiere  =  dumme  Menschen,  Dummköpfe. 

Veau. 
In    <Tant  de  veau  Ix  qui  vont  par  viUe  Seront  bmslex  sana 
fauüe  nulle*^)  verspottet  Marot  die  verfolgten  Anhänger  der 

')  U.  n,  289,  •»'• 

«)  R.  II,  89. 

•)  R.  n,  167. 

*)  R.  ni,  192. 

*)  O.  m,  147,  **'•  —  Vgl.  dazu  oben,  S.  37:  *Par  ainsi  passe  en 
cruautez  iniques  Lyons  ., .» 

•)  G.  III,  194,  ".  ~  Wegen  ^fih  d'une  chouette»  vgl.  oben,  S.  43,  Anm.  3. 

')  G.  III,  164,  **'•  —  Der  bekannte  Vergleich  vom  Hirsch,  der 
sich  nach  den  Wasserquellen  sehnt,  wird  bei  Marot  auf  eine  unglück- 
liche Frau  bezogen,  die  sich  bei  ihrer  Mutter  Erleichterung  holen 
will :  *Devers  vous  s^envoüent  mes  pensies  . . .  Pour  y  chercher  allegeance 
certaine.  Comme  le  cerf,  qui  court  ä  la  fontaine,  Querant  remede  ä  la 
swf,  qui  U  presse*  (R.  I,  286.  —  Psalm  41  (42),  2).  —  Bei  seiner  absichtlich 
widrig  häÜlichen  Darstellung  einer  Frauenbrust  kommt  dem  Dichter  der 
Gedanke,  sie  könne  doch  weiter  nichts  sein  als  ein  Enter,  das  man  einer 
toten  Ziege  entnommen  habe:  •Tetin,  ce  cuyde  je,  emprunti,  Ou  deS' 
robS  en  quelque  sorte.  De  quelque  vieiüe  chevre  morte»  (R.  II,  Ö28). 

•)  G.  III,  223. 

4* 


Reform,  die  sich  erwischen  lassen.^)  Gegen  schlechte  Dichter 
sind  folgende  Verse  gerichtet:  tClemeni  Marot  aux  gtuMx 
veaux  Qui  ont  faict  les  adieux  nouveatdx,*^)  Ebenso:  <Z7n  tas 
de  jeunes  veaulx.*^)  Einen  Feind,  der  <vedel  et  ignonmt*^) 
ist,  von  dessen  Oenossen  es  heißt:  <En  rythme  ce  n'esi  qu*un 
veam^),  redet  Marot  also  an:  ^Vadvisant,  veau,  Que  tu  ne 
te  veis  recepvoir  Oncques  iant  d'honneur  ..,»•) 

Äne. 

Maret  beklagt  sich  darüber,  daß  ihm  alle  mögUchen 
Schandschriften,  wenn  sie  auch  noch  so  erbärmlich  sind,  zu- 
geschrieben werden:    Ainsi  soidstiens  des  asnes  tout  le  faix.f'^ 

Anes,  veaux. 

Von  schlechten  Dichtern: 

La  couri  en  sera  advertie 
D^un  taa  de  gros  aanes,  ou  yvreSf 
Qui  fönt  imprimer  leurs  sots  livres, 
Poxir  acf^uerir  hruyt  d*esire  veaulx,^) 

Gegen  diejenigen,  welche  die  Lehre  der  reformierten 
Kirche  als  Neuerung  hinstellen: 

Si  elk  parkf  un  tas  d^asnes  ou  veau  Ix 
Iront  disans,   Voycy  propos  nouveanlxj) 


')  V'gl.  oben,  S.  25,  Anm.  4.  —  Ebenso  von  einem  ertappten 
Finanzmann:  Ce  president  gentil  et  veau  {Ct.  II,  472,  •**). 

•)  a.  III,  128. 

»)  ö.  III,  568. 

*)  O.  III,  578,  •».  —  Dazu:  Da  grlaubteat,  der  König  habe  kein 
Erbarmen,  Et  le  paingnoya,  en  tan  cerveau^  Atissi  tigre  que  tu  es  vtau 
(G.  m,  681,  "•'•). 

»)  R.  II,  124. 

•)  G.  III,  591,  «*'''• 

^  G.  ni,  155,  »".  —  Verfehlt  ist  e«,  Sagon  Vasne  de  Balaan 
<G.  Ill,  589,  **")  zn  nennen.  Das  ist  ja  eher  ein  Lob,  kein  SeUsipf. 
Vgl.  G.  ibd.,  Anm. 

»)  G.  III,  386,  192^*  —  Statt  Esel  gebraucht  Marot  aaeh  BmI- 
treiber;  für  die  Sorbonnisten :  «ce«  gros  aeniers*  (G.  III,  467,  '*),  för 
seinen  Feind  Beda:  ce  fnalhewreux  asnier  (G.  III,  4S6,  *). 

•)  E.  I,  121. 


—    63    — 

Marot  fordert  seine  Schüler,  daruater  LyoQ,  auf,   ihm 
gegen  Sagen  unÜ  dessen  Genossen  beizustehen: 
Lavßz  iauts  deux  aux  veaulx  las  test$9: 
Lyonj  qid  rCes  pas  roy  d$s  beatss  ^), 
Cor  Sagon  Pest,  sus^  hcuiU  la  pate:^ 
Que  du  Premier  coup  on  tabbate. 
Sus  Oaüopiny  qv?an  le  gaUope, ') 
Bedressons  cest  asne  qui  choppe: 
Qu'ü  sente  de  touts  la  poincture: 
Et  notts  aurons  Bonadveniurej 
A  mon  advisj  assex  s^fovant 
Paur  le  faire  tirer  avant*^) 

Bestes. 

Fripelippes-Marot   beginnt  folgendermaßen  seine  Streit- 
schrift gegen  Sagon  und  dessen  Anhänger: 

Fat  mon  ame  ii  est  grand  fof^an.  .  . 
De  bestes  qu'on  deust  mener  pai$tre^)f 
Qui  regimbent  eontre  mon  maisire,^) 

Weiterhin  heißt  es  von  ihnen  (oder  von  Sagon  allein)! 
De  lä  vient  que  les  paovres  bestes, 
Apres  s^estre  rompu  les  testest 
Pour  le  bon  bruyt  d^aultruy  briser, 
Euho  mesmes  se  foni  despi'iser,^) 
Or  des  bestes  que  fay  susdictes, 
Sagon,  tu  n'es  des  plus  peiiks  : 
Combim  que  Sagon  soyi  un  mot^ 
Et  le  nom  d'un  peHt  mamnot,^) 
Que  je  donne  au  diable  la  beste: 
H  me  fait  rompre  icy  la  teste 


')  Siehe  unten/ 

«)  Vgl.  weiter  unten,  S.  58,  Anm.  2  und  S.  59  ff. 
»)  G.  111,  583  f. 
*)  G.  ni,  565f. 
»)  G.  m,  671,  w'^- 

•)  G.  III,  574,  *'''•  —  Marot  ändert  den  Namen  8agOl^  in  sf^louin: 
Zon  dessus  Voeilf  zon  sur  le  groin,  Zon  9ur  le  dos  du  Sagouyn  (G.  III,  588). 


—     54     — 

A  ses  merües  coUauder, 

Et  les  hras  ä  le  pdander,^) 
Sonst  findet  sich  noch:  Qub  tu  es  beste! ^    Du  mal  par- 
lani  qui  trop  se  monstra  beste;^)    En  effect^  (festoyent  de  gran^ 
bestes     Que  les  regents  du  temps  jadis,*) 

Jument. 

Ih  cuydent  qu^en  jugement  Le  monde  comme  eulx  est  ju- 
ment.^)   Jument  hat  hier  den  Sinn  des  lateinischen  jumenium.^ 

Grue. 

Je  ne  suis  plus  si  grue,'')  Oomment  vieiUe  grue  tu  decHnes 
Oultre  les  metes  de  raison!  ^)  Ce  lAon  (qui  jatnais  ne  fut 
grue).  •) 

Goquard. 

Ein  Dritter  ist  bei  der  Liebe  notwendig;  wer  aber  einen 
Vierten  nehmen  wollte,  wäre  arg  dumm :  Et  seroii  Vhomme  bien 
coquart  Qui  vovldroit  appeUer  un  qucart,^^)  Von  Bfida,  seinem 
Feinde :  Mais  le  coquart  nese contente.^^)  Von  einem  schlechten 
Dichter:  Qu^on  meine  aux  champs  ce  coquardeau  Lequel  gaste 
quand  il  compose.  .  .  **) 


»)  ö.  DI,  690  f. 

•)  G.  n,  105,  «. 

»)  R.  I,  269. 

*)  G.  lil,  5:63,  "•'•  —  Einen  ähnlichen  Sinn  scheint  bete  eu  haben 
in:  Je  voy  qu'Amour  chas$e  souvent  aux  besteif  Et  qWelk  {==  Diane) 
attainet  les  hommes  de  vertu  (K.  II,  409),  wodurch  er  den  von  ihm  be- 
haupteten Bogentaosch  zwischen  Amor  und  Diana  (=5  seine  Geliebte, 
Diane  de  Poitiers)  begründen  will. 

*)  G.  III,  670,  "'•  —  L'un  est  d^esprit^  lautre  est  gros  animal 
(R.  I,  276). 

•)  Vgl.  G.  m,  670,  Anm. 

7)  R.  n,  7. 

*)  G.  n,  446,  ••'• 

•)  G.  III,  77,  «^ 
w)  G.  n,  106,  •*'• 
")  G.  m,  432,  "  Var 
")  R.  U,  124, 


—    56    — 

Mfttin,  mfttine  (=  widerliche  Personen). 

Die  Anhänger  der  Sorbonne  gegen  die  Neuerer:  Sire^ .  .  . 
8i  VOU8  ne  hrmlez  ees  masiinsy  Vaus  serez  . . .  Sans  ttibui . . .  ^) 
Gegen  die  Sorbonne  oder  eine  ihm  am  Hofe  abgeneigte  Frau: 
A  tou8  les  diables  la  maatine!    Elle  rr!a  chasse  de  la  court^) 

Loops  ==  gierige  Menschen  (in  bez.  auf  die  Bichter). 

Ämy^  voylä  quekque  peu  des  menees 
Qui  aux  faulxbaurgs  d^Enfer  sont  dementes 
Par  noz  grandz  loups  ravissants  et  famys^ 
Qui  ayment  plus  cent  sotUz  que  leurs  amys,^ 

.  .  .  Du  seigneur  Dieu  la  main 
Ma  preservS  de  ces  grandz  loups  rabis 
Qui  m'espioyent  dessoubz  peaulx  de  brebis.*') 

Moache  =  schlaue  Person;  chattemite  =  sftfttuende 
Heuchlerin. 

Eine  Frau  nennt  der  Dichter:  Isabeau,  ceste  fine 
mouehe^)     Die   Sorbonne   ist  ihm  la  sainde   chatemite.^) 

»)  ö.  in,  346. 

«)  G.  U,  444,  "'•  —  Dazu:  mort,  la  faulse  lisse  (G.  UI,  639,  •"). 
»)  G.  II,  168,  ""'•  —  Gleichfalls  gegen  die  Richter:   Oardez  vom 
des  tirans  aspicqz,   Qui  pour  Vhyver  sont  ja  fcmrez  (G.  DI,  487). 
{Chaperons  fowrrisl) 

*)  G.  m,  297,  ^^'  —  Vgl.  wegen  peaux  de  hrehis  S.  62.  —  Über 
die  falschen  Prediger  sagt  Marot: 

Ce  sont  renardz,  qui  soubz  simples  habitz 
Vont  devorant  les  plus  tendres  brebis. 
Ce  sont  des  loups  ^  qui  les  trouppeaulx  seduisent 
Du  droiet  c^emtn,  et  ä  mal  les  induisent  (H.  I,  197  f.). 
•)  EL  II,  412.  —  Vom  Liebesgott  heißt  es:  Au  payer  (fest  une 
aautte  beste  (G.  ID,  621,  »*). 

*)  G.  in,  452,  \  —  Von  der  Kirche  handeln  folgende,  an  ein  bald 
erwartetes  Kind  gerichtete  Verse: 

Yiens  veoir  viens  veoir  la  beste  sans  raison 
Orand  ennemye  de  ta  noble  maison 
Viens  tost  la  veoir  atout  sa  triple  creste 
Non  cheute  encor  mais  de  tumber  bien  preste 

(G.  U,  278,  »»^-  Var.). 


—    B€    — 

Mais  fofibliois  h  ckaiie  mHi^^   Qui  n^ßn  veuU  p(^t  «'•/«  f^ 
sont  braves.^) 

HaFmotte  =  häfiliehe  Fersen;  yeniiliilire  =  nnsclieiiibare» 

Wesen. 

Eine  zungenfertige  Wäschenäherin  wird  also  angeredet: 
LynoUe,  Ißigatte,  Marmotte,  Qui  couldzt  .  .*)  —  0  paovre  ver- 
miniere^  sagt  der  Löwe  zur  Batte. 

Bestianx  «==  rohsinnliehe  Mensehen    (gegen  sinnliche 
Liebhaber). 

JRetirex  vouSy  bestiaulx  eshantez, 
Qui  pour  la  faim  de  Pappetii  des  bestes 
Et  non  d^amour,  entreprenex  voz  questes, 
Eetirez  vous  par  VaveugU  domptex.*) 

Femelle,  mnle,  montare  (yerilehtlich  fUr  Weib). 

Quand  marys  gardent  leurs  femelles.^)  Jncantinent^  des- 
loyalle  fem  eile  ^  Quefauratf  faict,  et  escHpt  ton  liMle.^)  Espouser 
une  teile  fem  eile.'') 

Gegen  die  dekolletierten  Weiber: 
Ont  iU  tou^jgurs  le  baa  eollet, 
Monaircms  les  tetasses  ricUesp 
Nox  vieües  muH  es  desbridSes, 
Qui  sont  par  ckevaulcher  ^  souvani^ 
Fendu(es)  du  cul  jusqu(es}  au  devant  ?  •) 


»)  G.  II,  m,  **♦'• 

^  R.  JI,  582,  —  Aach  die  Mönche  icheinea  Affe»  (»agotz  G. 
Uli  MP)  gemmnt  9«  werden.  Vgl.  oben»  SL  26u  Sein  J^eind  a«?on  ist: 
8%  couard  et  si  babouyn  De  n'oser parier  queicMn§{ß.  HI,  872»  *'''). 

•)  ü.  III,  78^  *•. 

*)  R.  I,  134. 

»)  R.  II,  4Ö6. 

•)  R.  I,  251. 

')  R.  II,  456. 

«)  Vgl.  s.  5a 
•)  ö.  ui,  474  «f. 


—    87    — 

An  eine  Fran   beim  Abaohied:   Adieu  vcms  dis,   mulle 
des  muH 68.^)    Von  einem  anderen  Weibe  sagt  der  Dichter: 
Mais  quand  je  feix  de  ma  bourse  auveriure, 
Je  ne  vei%  ono  plim  paisüle  igioniure, 
Ne  plus  aisee  d  se  renger  au  poincU^ 

Etalons,  pigeons,  conlens  (yerächtUcli  fttr  Männer). 

An  die  Frauen:  Adieu  rous  et  voz  estallons;^)  Adieu  vox 
pigeons*)  et  coulons,^) 

Colombelle  (=  schönes  Weib). 

Von  der  Geliebten: 

La  blanche  columhelle  helle 

Souvent  je  tx^yia  priaai  eriasU: 

Mais  iesscfKbx  la  cordeUe  d'eiie 

Me  jecte  un  cdl  friant,  riant  .  ,  .  •) 
La   cliaste   columbelW)    wird    auch    t Fenne    Amour» 
genannt. 

Coq  und  gelinotte  (für  Mann  und  Weib). 

Seinen  Arzt  le   Coq  lädt  er  in  launiger  Weise  2un> 
Besuche  ein: 

Si  k  fraihc  eoq  liberal  de  nature 
Nest  empesche  avec  sa  gelinoie^ 


0  G.  III,  laa.  Für  Qondeln  findet  sich  m^le9  de.  hoifa  (ü. 
«J,  424). 

*)  R.  JLI,  631,  —  Für  da«  weibliche  Orgtn  ut  4er  Autdruck  faueon 
(ssf^ux  Gon,  weaigsteos  ursprÜQgliQh)  gebraucht:  Maie  fy  receu  H 
^a/nd  eoup  de  faule  an  (U.  III,  61,  "),  im  Kriege  mt  den  Weibern. 
An  die  Frauen,  welche  ihn  verspottet  hatteo,  weil  er  ohqe  Geld  Liebe 
erla»g«A  wollte :  Ha  {dy  je  lors)  ü  fault  que  chascun  oroye  Qu.^^  io^ 
(iyM0U  ü  wwüHnt  de  aaproye.  VoagrandzfaulconSf  quifurmtfanl' 
Qonneauxj  Voknt  touejoura  pour  ckatmiea  et  anneau9  (ü.  lU,  Iböl), 

•)  ö.  III,  in,  »*  V«. 

«)  Goifirey  erklart  pigeon  »  Gimpel  (G.  III,  122^,  Anm.).  Gouloa 
«  Tauber  (G.  in,  ihd.). 
»)  G.  m,  122. 
•)  R.  n,  204  f. 
')  G.  U,  72,  ". 


—    58    — 

hay  plaüe  eniendre  au  ehant  gue  je  luy  noUj 
Et  visiter  la  triste  creature  .  .  •  ^) 

Calandre  (fttr  die  Geliebte). 

An  seine  zurückgekehrte  Geliebte: 

Dieu  te  gardy  doulce,  amyäble  calandre, 
Dont  le  chant  faict  joyeux  les  ennuyez : 
Ton  dur  depart  me  feit  larmes  espandre, 
Ton  dotäx  revoir  nia  les  yeulx  essuyex,  .  .  ^) 

Cheyaacher,  Mre  montä,  coavrir,  jacher  (fOr  den 
Geschlechtsverkehr). 

Ein  Pferd  rühmt  von  seinem  Reiter:  Plus  eher  Mayma 
chevaulcher^  Que  fiüe,  ne  femme,*)  Die  Frauen  beklagen 
den  Tod  des   fröre  Andr6;   qui  les  chevaulckoit  Comme  un 


>)  R.  n,  336. 

*)  R.  II,  439.  —  Auch  statt  menschlicher  Körperteile  werden  die 
entsprechenden  tierischen  gesetzt:  Laissez  ä  part  voz  vineuaes  tovemes, 
Museaulx  ardans^  de  rouge  erduminez  (R.  II,  28);  Ores  ni'eatpas  temps 
de  dorre  le  hec,  Chantons . . .  (R.  II.  33);  Si  tue  tust  {pour  la  paindre 
mieulx)  Au  hec  une  prune  sauvage  (R.  11»  464);  Prince  royal,  je  ne 
toumay  le  hec  Pour  vous  prier  (ür.  UI,  392,  *'•);  v^'**'  eonseiUe  Que 
desormais  vostre  hec  teniez  coy  (G.  III,  158,  *••'•);  quand  plus  n'eust 
dent  en  gueule  (R.  11,  521);  Ce  grand  criard,  qui  täntla  gueule  fort 
(O.  n,  167,  >o*);  Et  faites  may  mines  de  groings  et  d'yeulx  Tant 
que  vouldrez  (G.  lU,  154,  *"'•)•  —  Femer:  Mais  vois  tu  ees  patte 
pdlus,  Ils  tiennent  Dieu  dedans  leur  manche  (G.  11,  467,  *•*'•)  von 
heuchlerischen  Priestern ;  un  Griff on  (»  G^richtssohreiber)  fadoisay,  Qui 
de  sa  croche  et  ravissante  patte  Escripvoit  lä  Van  ...  (G.  II,  187,  *»*«^); 
et  m^a  on  ddct  Qu'on  joue  tousjours  des  gigoteaux  (G.  Ul,  612)  =  man 
rergifit  der  Liebe  nicht,  nach  Guiffrey.  Selbst  einen  Schwanz  bekommt 
der  Mensch  in  Anlehnung  an  einen  Spielausdrnck :  Vous  m^avez  finement 
Coupp^  la  queuCf  etraise  (queue  =  Summe,  welche  der  Meistgewinnende, 
abgesehen  vom  Einsätze,  erhält).  Mais  seriez  wus  hien  aise,  Qui  vou$ 
la  coupperoit?  So  klagt  die  verlierende  Dame.  Ihr  galanter  Partner 
aber  antwortet:  Si  la  queue  ay  couppee  Au  jeu  ai  neitementf  so  habe 
ich  Sie  nicht  betrogen,  ich  habe  ehrlich  gespielt,  doch  Pour  jouer  fine- 
ment  Je  vous  preste  la  mienne  (R.  II,  525  f.). 

«)  R.  n,  518. 


—     59    — 

grand  ame  desbcUS.^)  SchlieBlich  schreibt  Marot  an  eine  ver- 
heiratete Frau:  Vostre  mary  a  foriune  Opportune:  Si  de  jour 
ne  veuU  marcher^  II  awra  fteaw")  ehevauicher  Sur  la  brtme.^) 
Über  seine  Geliebte  sagt  der  Dichter:  Si  d'eüefavois  jauyssance, 
One  komme  ne  fut  mietUx  monte^  Cesi  bien  la  plus  belle  de 
Franee.^)  An  die  Frauen,  welche  in  ihm  den  Urheber  der 
berüchtigten  Adieux  vermateten:  seulement  je  vouldroys  Qu'il 
(d.  h.  der  Verfasser  dieser  Schmähschrift)  eust  couvert  de 
vous  six  la  plus  saine  ^),  dann  würde  man  ihn  leicht  erkennen. 
Endlich  wird  in  diesem  Sinne  noch  jucher  gebraucht:  Puis 
Martin  jus  che  y  et  lourdement  engaine.^ 

Jacher  =  (sitien  im  allgemeinen  oder  setien). 

Doch  wird  jucher  auch  von  dem  Befinden  an  einem 
erhöhten  Orte  angewandt:  porterons  nous  envie  A  ceulx  qxion 
voit  si  haultement  jucher ^  JPour  mieulx  apres  lourdetnent  tre- 
bucher?  "^  Der  Gedanke,  daß  die  sinnliche  Liebe  vom  Herzen 
eines  Mannes  Besitz  ergreift,  ist  einmal  folgendermaßen  aus- 
gedrückt: Et  lors  Amour  le  jucha  sur  sa  perche,^) 

Voler  (für  schnelle  Bewegung,  Bewegung  in  die  Höhe, 

weithin). 

Von  Leuten,  die  auf  dem  goldenen  Mittelwege  wandeln 
wollen : 


>)  R.  U,  619.    Vgl.  S.  46. 

')  Hier  hat  avoir  beau  den  gleichen  Sinn  wie  in:  Abeautnentir 
qui  vient  de  Unn. 

»)  R.  II,  238. 

*)  R.  U,  25. 

»)  ö.  III,  167,  iwf. 

•)  R.  II,  641.  Vgl.  oben,  S.  17.  —  Dazu:  Der  Dichter  meint  ein- 
mal, wenn  er  mit  einer  Frau  verkehrt  und  sie  bezahlt  habe,  könne  er 
wohl  sagen  •quel  emble  eile  va»  (R.  II,  639.  Vgl.  S.  33).  Liebes- 
genaß  heißt  einmal:  amoureuse  paature  (Q.  U,  73,  ^^),  und  eine  Fran 
verlangt  gar  vom  Geliebten:  Son  beau  petit  picotin  Non  pas  d^orge 
ne  d*aveine  (R.  II,  212). 

7)  G.  UI,  687,  w'^- 

•)  G.  II,  97,  *•'.  Vgl.  auch:  tant  au  soir  qu^au  deejuc  (^^ÜLorgeu 
mit  Beziehung  auf  das  Abfliegen  der  Hühner  von  den  Sitzstangen  (R.  II,  34). 


—    60    — 

Nostre  voller^  qui  hauU  ne  ias  ne  imif 
De  Peniredeux  mtoü  toa^ours  eonteni: 
Cor  eestuy  lä  qui  kault  ne  bas  ne  volle 
Va  eeuremetä^) 

Von  dem  Verbanntes,  wenn  ihm  die  Rückkehr  in  die 
Heimat  gestattet  würde :  Jambes  ne  (4^  il  »'«  8%  empeHree  *)« 
Qu'il  n'y  volaaL*)  Der  Liebhaber  fühlt  skah  leicht  m%  ein 
Vogel,  nachdem  die  Qeliebte  ihm  ihr  Hers  geschenkt  bat  3 
l\m  m^a  donni  son  noble  eutuTj  Doni  il  m^eei  cukns  que  je  vole.^} 
Der  Liebesgott  versetzt  den  Liebenden  in  seine  HöUe,  wenn 
er  ihm  zum  guten  Willen,  seine  Gesetze  befolgen  zu  woUeii, 
nicht  auch  die  Kraft  und  das  Vermögen  gibt:  Son  enfer,  e^est 
ä  Vheiire  qi/Cü  donn/e  Le  voler  bas,  ei  le  vouloir  hauOain.^) 

Von  der  Feder  des  Dichters:  Jadis  ma  plume  on  veii  son 
vof  estendre  Au  grS d^amour.^)  Vom  Ruhme:  Ton  renom  volani 
du  domicHe  Palladial  vers  la  terrestre  gent.^  Mais  de  son  bruü, . . 
par  taut  le  monde  il  vole,^)  D*ouyr  le  brütet j  qui  de  Tauire 
volloit,^)  Ähnlich:  Aussi  par  taut  en  vole  la  nouvelle.^^} 
Les  louanges  Du  pere  tien  par  nations  estranges  Iront  volant,^^} 
Devers  vous  s'envollent  mes  pensees,^^ 

Grlngotter,  gaaonlller,  eaqvet  (für  das  Sprechen). 

Envie  en  gasouille.^^)  Ta  note  Tont  sote  Oringote  De 
ntyus}*)    Von  den  Zuschauem  bMm  Spiel :  qui  hra  enireprindrent 

')  G.  III,  637,  •» ^' — Dazu :  Par  sualuyvole  nostrepoeU  (R.  III,  192). 

*)  Empetrer:  eigentlich  von  Pferden  s»  die  Füfie  festeln  (aof 
der  Weide). 

»)  G.  in,  393,  "'• 

*)  R.  II,  184. 

*)  R.  II,  366. 

•)  R.  U,  303. 

')  R.  II,  134. 

»)  R.  n,  299. 

»)  R.  I,  123. 

>o)  R.  II,  177. 

")  ö.  II,  4©,  *»'f- 

»«)  R.  I,  286. 

")  R.  ir,  355. 

^*)  R.  II,  632.  —  Daxa:  Le  fetn  ä  qui  en  grongne  (Orohimg)! 
R.  U,  306. 


—    61    — 

De  hauUement  leurs  eaquets  redoubler  Durant   le  jeu,  affin  de 
me  trouhler^) 

Paitre  von  der  Nahrangseinnabme  im  allgemeinen. 

Von  einem  Verbannten :  Va  t'en  <m  hing  eereher  paature^ 
Va   paistre   en   qudqite    hkd    fourmenU*)     Vom   Liebesgott: 
Paiatre  nos  cueurs  iun  espoir  ineertadn.^    Fy  durepas,  qui  en 
pa'kcj  et  repas  Ne  Sfmt  Vesprü  avec  le  corps  repaistre.^) 

Hncher  =  melden ;  ^entir  =  seine  Notdnrft  yerricliten. 

Von  einem  Prior:  Se  leve,  crache,  esmeuiit  et  se  moucJie,^) 
Vom  unangemeldeten  Tode:  Voicy  advenir  La  mort  satis 
hucher.^) 

Enrager  (rage)  =  reif  zur  Liebe  werden. 

Ein  Liebhaber  wird  gefragt,  wie  alt  seine  Erkorene  sei. 
Er  antwortet:  De  quatarze  ans,  —  ßa,  voylä  rage:  Elle  commejice 
de  banne  heure  ''),  bemerkt  der  andere.  Ebenso :  une  pucelle  De 
quatorxe  ans,  sur  le  pomct  d^ enrager,^) 


^)  G.  lU,  262.    CaqueUr  findet  sich  sosst  noch  öfter. 

«)  G.  II,  439  f. 

•)  R.  II,  366. 

*)  R.  II,  366.  —  Vom  König,  der  Künste  und  Wissenschaften 
pflegt:  0  Roy  heureux,  90i*bt  lequel  aont  entrez  Bin  tes  pa$tiz  lea  lectres 
tt  Uetrez  (G.  II,  183,  •'*'•  Vw). 

*)  R.  U,  464.  —  Derselbe  Prior  „verschlingt"  sein  Rebhuhn:  La 
devora  (ibd.). 

•)  R.  II,  518. 

')  G.  II,  122,  ••«''• 

8)  R.  II,  176.  —  Vom  Tode:  le  aceut  hien  kapp  er  (R.  II,  608). 
Die  Mönche  sind  ausgegangen:  Touts  en  propoa  de  Cupido  happer 
{G.  II,  142,  ").  Die  streitenden  Parteien  vor  Gericht  heifien:  ces 
mordanta  (G.  II,  165,  ••);  ein  Sachwalter:  ce  mordant  (G.  II, 
166,  ^^);  die  Gegner  wollen  sich  anfallen  wie  did  Tiere:  tauf(four$  Vun 
ratUtre  ne  vuäUe  mordre  (G.  U,  166,  *^  Vgl.  S.  48).  —  Pel6  von 
Menschen:  quelque  caffart  peli  (G.  UI,  394,  ");  Un  uiurier  ä  la  teste 
pelee  (R.  II,  461).  Letzterer  wollte  einen  Strick,  den  er  gekauft  hatte, 
nicht  niitelos  werden  lassen:  $^est  pendu  Pour  mettre  mieulx  $on  licol 
d,  proufict  (ibd.). 


IV.  Metaphorische  Wendungen. 

Den    Ehemann    oder    den.  Geliebten   hintergehen:    Non 
marU,   de  pamir  (comme  je  croy)  D^esire  cocu  (=  coucou  ^J)  *) ; 
faire  mon  amy  coquu^)\    Si  veistes  onc  tant  fcwre  de  cocux.^) 
Eine  Frau  droht  ihrem  Liebhaber:  Viüainj  tu  en  seras  mouton^ 
Je  fen  feray  p  ort  er  la  corne,^)    Die  Tragleine  eines  Messers, 
das  ihm  ein  Freund  geliehen  hat  und  welches  er  ihm  dankend 
zurückgibt,    bringt  Marot  zuerst  auf  den  neckischen  Einfall, 
diesem  eine  baldige  Bindung  und  Verheiratung  in  Aussicht 
zu  stellen.    Zufallig  hat  dieses  Messer  ein  hörnernes  Heft  und 
was  ist  nun  naheliegender  als  dem  Armen  auch  noch  das 
Wachsen  von  Hörnern,   d.  h.   eine   schöne  Hahnreischaft  zu 
prophezeihen,  da  ihn  seine  Frau  so  leicht  werde  hintergehen 
können,  als  ob  er  Hörner  trüge  wie  ein  Schaf: 
Quant  ä  la  corde  d  quoy  ü  est  liSf 
Cest  qu^attachS  seras,  et  mari6. 
All  manche  atisst  de  corne,  congnoist  an 
Que  tu  seras  cornu  comme  un  moiUon,^) 

Die  Geliebte  zu  sich  rufen  (Anspielung  auf  die  Falknerei) : 
Jusqiie  ä  la  mort,  dame  (eusse  clamee, 
Mais  un  nouveau  fa  si  bien  reclamee, 
Que  tu  ne  veulx  qu^d  son  leurre  venir,'') 

Der  Dichter  nennt  sich  le  reclamant  amant  ^)  und  glaubt 
im  Tempel  des  Cupido  vergebens  nach  Ferme  Amour  zu 
rufen:  Et  croy  qu^en  vain  je  la  vay  reclamant,^) 


')  Vgl.  weiter  unten,  S.  69.  Das  Weibchen  des  Kackacks  geht  in 
die  Nester  anderer  Vögel! 

«)  R.  n,  610. 

»)  G.  III,  67,  »•. 

*)  R.  II,  636. 

^)  G.  III,  68,  •*'• 

•)  R.  II,  Ö31. 

')  R.  IL  163  f. 

*)  R.  II,  205. 

»)  G.  II,  96,  **'.  —  Vgl.  dazu :  Tauchant  8on  cueur,  je  Vay  en  ma 
cordelle  (R.  H,  176). 


—    63    — 

Das  Liebeswerbeo  als  Jagd  dargestellt: 
Or  si  poursuyvray  je  pouriant 
La  chasse  que  fay  entreprise : 
Cor  tont  plus  on  tarde  d  la  prinae^ 
lant  plus  daulx  en  est  Is  repos,^) 

Tel  bim 

Vault  hien 

Qulon  face 

La  chasse 
Du  plaisant  gibier  amoureux: 
Qui  prend  leih  pi'oye  est  heureux.'^) 

Festgehalten  oder  ergriffen  werden  (Jagdansdrücke) :  Von 
den  Liebhabern  heißt  es:  attrapez  es  laqs^);  ebenso  von  den 
Gefangenen  vor  dem  Dntersnchnngsrichter:  saisy  deteslacqs*)\ 
vom  Tode :  c^est  mort  qui  fa  mise  enseslaqs^)\  von  der  Fröhlich- 
keit: toute  geniilesse  Et  gay  vouloir^  qui  nous  tient  en  ses  laqs,^) 

Freien  Lauf  lassen:  votäu  n*ay  la  hride  lascher  Ä  mes 
propos'')]  A  unpoete,  d  qui  on  doibt  lascher  La  hride  longue^); 
je  laschay  d  mes  souspirs  la  resrhe,^)  Das  Gegenteil:  HeUis^ 
mon  Dieu,  reffrain  Par   ta  honte  de   ma  bouche  le  frain,^^) 

Die  Meinung  ändern:  Wenn  der  Dichter  die  Schriften 
der  Königin  von  Navarra  liest,   ist  er  erstaunt  darüber,  daß 


»)  G.  II,  125,  »»•''• 

*)  R.  II,  199.  —  Chasser  und  poorchasser  finden  sich  öfters 
in  diesem  Sinne. 

•)  G.  II,  88,  »^». 

*)  G.  II,  180,  »*•. 

*)  Ä.  II,  282. 

*)  JEl.  II,  3.  —  Von  den  Richtern:  üz  ont  tant  de  glus  Dedans 
leurs  mainSy  cea  faiseurs  depipie^  Que  toute  chose  oii  touchent  estgrippie 
(G.  III,  84,  *®*^')-  ^io  anderer  Jagfdausdrnck  findet  sich  in:  des  Enfera 
sartiras  les  bri8^.e8  (G.  JII,  176,  "•)  und  in:  en  noz  champs  Elisees .  . . 
par  les  droictes  hrisees  Est  devere  nous  un  esprit  arrive  (R.  ILy  290). 
Merke  noch:  AT  ont  appeU  monsieur  ä  cry  et  cor  (R.  U,  387). 

')  G.  III,  407,  **'• 

•)  G.  III,  300.  »"'•  —  Der  den  Konig  um  die  Erlaubnis  bittende 
Dichter,  auf  ein  halbes  Jahr  aus  der  Verbannung  zurückkehren  zu 
dürfen,  sagt  ebenso:  que  la  hride  me  lasche  (G.  III,  394,  "). 

»)  R.  II,  285. 

'•)  G.  II,  59,  "»'• 


—    64    — 

die  Leute  ihr  nickt  mehr  Bewunderung  sollen;  wenn  6r  die 
Königin  aber  sprechen  hört  und  sohreiben  sieht,  dann  wird 
er  anderer  Meinung.  J«  iourne  bride^),  sagt  er;  dann  findet 
er,  daß  die  bewunderten  Schriften  ganz  leicht  zustande  kommen 
und  das  Erstaunen  völlig  unangebracht  ist. 

Am  Gängelbande  fuhren:  Doubie  me  meine  en  laisse.^ 
Den  Ehrgeiz  in  Schranken  halten: 

Qui  vouldra  mettre  Vordre  ei  resne 
Au  grand  cheval  d^ambiiion, 
Poinct  n'y  aura  sedition,^ 

Mit  reichen  und  vornehmen  Leuten  verkehren  und  trotz- 
dem arm  und  gering  bleiben:  Dond  vient  eela  que  je  me  froite 
Aux  coursiers  et  suy  tottsjours  rat?*) 

Im  Kriege  mit  den  Weibern  (Geschlechtsverkehr)  erging 
es  manchem  schlecht:  Maint  bon  couriault  y  fui  mis  hors 
d^aleine,  Et  maint  mouton  y  laissa  de  sa  laine,^) 

Eine  zwecklose  Arbeit  verrichten:  Puis  d^avoir  tmU  de 
peine  prise,  J^ay  pamtr  quHl  me  soii  rep'ocM  Qu^un  asne  mori 
j^ay  escorchS,*) 

Kurze  Zeit:  Inmitten  der  politischen  und  religiösen 
Unruhen  um  ihn  herum,  die  alle  Augenblicke  einen  gewaltigen 


^)  K.  II,  382.  —  Dazu:  Die  HoffnuDg  wird  dich,  YenweifluDg,  in 
die  Flucht  schlagen:  te  donnera  carriere  (ö.  III,  38,*');  lassen  wir 
das:  A  cheval^  qu'on  n^en  parle  plus  (G.  II,  469,  ^**);  macht,  daU 
ihr  fortkommt:  ä  la  chaaae  (G.  III,  67,  *');  zn  allem  ja  sagen  und  also 
knechtisch  unterwürfig  sein :  Yous  dites  vray  de  cda,  Syre  £=  Sie  haben 
recht,  sagt  der  Kriecher,  denn  er  richtet  sich  nach  dem  Sprichwort:  Une 
estrille,  une  faulx,  un  veau,  Cestädire:  estrille  Fautjeau  (=  Name. 
eines  Pferdes,  i^triller  Fauyeau  »  sich  su  niedrigen  Handlungen 
eines  Vorteils  wegen  hergeben.  Vgl.  ih  III,  365,  Anm.)  En  ban  rdm$ 
de  Ficardie  (G.  III,  366,  "•«•).    Vgl.  engl:  to  curry  fawur. 

")  G.  III,  29,  •".  —  Merke:  porter  le  faix  et  somme  I^une  veriu 
(R.  II,  237). 

')  G.  III,  456  f.  --  Bin  Weib,  das  ihrem  Geliebten  nicht  untreu 
werden  will,  sagt:  Dieu  me  gard  de  mal  Et  de  morturt  de  cheval 
(G.  III,  67,  ^^'•).  Der  Dichter  schreibt  an  d«n  Konig:  avecqi$eB  aucuns 
graina  BeeBUseitez  ceste  pereonne  marte  (R.  II,  112). 

*)  G.  III,  382  f. 

»)  G.  in,  60,  "'• 

ö)  G.  in,  592,  ^^"- 


—     66     — 

Brand  im  Lande  zu  entfachen   drohten,  meint  Marot,  man 

brauche  nur  mehr  das  Alter  eines  Kalbes  zu  leben  und  man 

sehe  doch  viele  Ereignisse  an  sich  vorüberziehen:   Mon  Dieu! 

que  nous  roirrons   de  choses   Si  nous    rivons   Vaage  d^un 

veau!  ^) 

Schutzbefohlener:  Der  Dichter  schreibt  an   den  König, 

als  er  nicht  in  die  Listen  des  Hofstaates  eingetragen  worden 

war: 

Uestat  est  faicty  les  personnes  rengies, 
Le  jiarc  est  dos  et  les  brebis  log^esj 
Toutes^  fors  moy,  le  moindre  du  trouppeau, 
Qui  n^ a  toyson  ne  laine  sur  la  peau,^ 

Die  neue  Kirche,    dargestellt  durch    Christine,   lädt 
Marot  mit  folgenden  Worten  zum  Beitritt  ein: 
Mon  cueur  s*est  resjouy 
De  ma  brebis  esgaree  en  la  plaine 
De  la  trouver:  or  oste  ceste  laine ^ 
Et  la  toyson  que  dessiis  toy  je  freuve, 
11  tc  conrient  vestir  de  robbe  nenfve,^) 

Der  Dichter  hebt  Herz  und  Augen  zum  Himmel,  um  den 
gütigen  Hirten  zu  preisen,   der  das  arme  Schaf,   das  man  in 
die  Bitterkeit  des  Elends  hinausgestoßen  hatte,  gleichwohl  in 
seinem  großen  Pferche  treulich   bewahrt  habe.     Gott  hat  ihn 
also  auch  dann   nicht  verlassen,   als  er  vom  Hofe   und   vom 
König,  dem  Landeshirten,  Abschied  nehmen  mußte. 
Or  stis  avant,  mon  cueur,  et  rouSy  mes  yeuLcj 
Touts  d'un  accord  dressez  vous  vers  les  cimlx, 
Pour  glolre  rendre  au  pasteur  dehonnaire 
D'avoir  tenu  en  so7i  jjarc  ordinaire 
Ceste  brebis  esloingnee  en  souffrayice.^) 


>)  G.  III,  329  f. 

«)  G.  in,  89f.    Vgl.  oben,  S.  31  f. 

»)  R.  I,  132. 

*)  G.  ni,  660,  "''•  Dazu:  Eine  Versammlung  zerstreut  sich  A  grandz 

trouppeaux  (G.  II,  136,  ").    Anspornen:   Faulte  d'amour  Vesguil- 

lonne  ä  ce /iaire  (R.  II,  65) ;  Sentans  d'amour  les  aiguillons  extresmes 

(R.  I,  130);  Or,  quand  de  vous  se  soubviendra^  L'aiguillon  d'honneur 

Münchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.  XXXVI.      5 


—     66    — 

Alle  Kräfte  zusammennehmen:  C^est  paurquoy  les  cornes 
dressas,^)  Sein  Gegner,  meint  Marot,  habe  ihm  mit  dem 
größten  Kraftaufwand  einen  letzten  Sturm  liefern  wollen ;  er 
habe  an  jene  Tiere  denken  müssen,  die,  bevor  sie  auf  ihren 
Feind  losstürzen,  die  Hörner  aufrichten  und  einen  gewaltigen 
Anlauf  nehmen. 

Die  klatschsüchtigen  Menschen  in  liebesangelegenheiten 
zum  Schweigen  bringen:  Telx  dorn  .  .  .  foni  .  .  .  taire  ks 
chiens  qui  aboyent,^) 

Unzusammenbängende  Beden  führen :  Je  ie  mpply  tn'exeu^er 
si  Du  Coq  ä  V asne  vay  sauliant,^) 

Ohne  Mühe  erreicht  man  nichts :  On  ne  prend  poinct  en 
court  telx  chats  sans  moufle  (vielleicht  auch  =-k  ohne  Pro- 
tektion gelangt  man  am  Hofe  zu  nichts).*) 

Nicht  viel  Bedürfnisse  haben,  nicht  viel  brauchen  können : 
Je  ne  suis  paint  des  excessifx  Importuns,  cor  j^ay  la  pepie,^) 
(Eigentlich  ist  avoir  la  pepie  =  nicht  trinken  können,  also 
sehr  durstig  sein). 

Ids  Gefängnis  werfen:  On  te  pourroit  bien  mettre  en  cage 
Pour  te  faire  parier  plus  bas,^) 

£inen  Dichter  mit  Übertreibung  loben:  Endroit  moi  tu 
fais  eignes  les  oues,'') 

Zur  Eile  nötigen:  Lora  que  la  paour  aux  talona  mei 
des  aesles^) 

Sich  gut  verstellen  können:  Der  Dichter  meint,  da» 
Äußere  der  Frauen,  zu  denen  er  spricht,  lasse  ihn  nur  Engel 


Vespoindra  Aux  armes  et  vertueux  faxet  (G.  III,  605,  •*"^);  Oultrt  son 
vueil  contrainet  y  seroit  ores  Par  Vaiguillon  d'une  mort quile poinct 
(R.  II,  304).    Aiguillon  =  Treibstachel! 

»)  G.  III,  582,  1". 

«)  G.  II,  121,  »""•. 

•)  G.  III,  242 f.  —  Die  Dümmsten  =  Ceulx  qui  avoient  les  plu» 
grandes  oreilles  (R.  11,  322). 

*)  G.  III,  104,  »». 

»)  R.  II,  10. 

•)  G.  II,  465,  "®'-  —  Zu  merken:  Venfant  au  povrt  nie  {nid)  vom 
Jesaskiode  (R.  II,  34). 

')  R.  II,  137. 

8)  R.  II,  351. 


—    67    — 

in  ihnen  fermuten  uAd  fährt  dann  fort:  Si  trompS  suy,  je 
cfy  que  la  eouleuvre  En  voz  jardins  soubx-  doulees  fieurs 
se  cceuvre.^y 

Alles  wird  darunter  und  darüber  gehen  (oder:  eher  ge- 
schieht alles  andere  als  .  .  .): 

Si  ee  malheureux  Dmpereur 

Prend  alliance  avec  PÄnglais, 

Les  anguilles  deviendront  oya 

Et  hroehets  deviendront  mautons,*) 

Der  Dauphin  wird  den  Krieg  beendigen'):  Avec  une 
petite  Offne  La  hallaine  sera  tost  prise,*) 

Großer  Mut;  Amiti4  prend  courage  de  lion.^) 

Geschenk  von  weißer  Farbe:  Present  de  couleur  de  co- 
lombe,^) 

Gräßliche  Wut:  //  fuyoU  la  fureur  Serpentine  Des 
ennemys  de  la  belle  Christine  (d.  h.  der  Sorbonne).'^ 

Falsche  Zungen :  Von  der  den  Liebenden  günstigen  Nacht 
sagt  Marot:  Plus  tost  endort  les  langues  serpentines.^ 

Verschlagene  List:  Les  fravdes  vulpines  de  Venus,^) 

Dünnes  Bein :  Von  der  Krankheit :  .  .  .  m'a  faiet  la  cuysse 
heronniere^^)]  la  cuisse  heroniere  einer  Frau*^);  einer 
anderen  Frau  mit  der  gleichen  Eigenschaft  ruft  der  Dichter 
zu:  Adieu  la  belle  Heronniere^^ 

Blöde  Augen :  II  avoit  bien  tes  yeuh  derane  (=«  grenouille),^^) 


»)  G.  III,  148,  "'• 

»)  G.  II,  476. 

»)  G.  III,  490,  Anm. 

*)  G.  III,  490,  "»'• 

»)  R.  II,  110. 

•)  BL  II,  240. 

'^  G.  in,  427,  »»'• 

^  E.  I,  866.  —  Zu  merken:  Ton  ordure  etpuante  have  Contre may 
a$  e$t6  orachmt  (G.  Hl,  270,  «'•).  Basilies  i:^  Kftnonen  (R.  I,  126). 
Loups  ^  Geschwäre  (R.  II,  682). 

•)  R.  I,  296. 
w)  G.  III,  188,  «>. 
")  R.  n,  544. 
»»)  G.  III,  120. 
")  G.  III,  578,  •K 

5* 


—     68     — 

Häßlicher  Mund:  Mit  den  Worten  Quant  ä  Vesprüj  pain^ 
gnex  moy  une  saticke,  Et  (Tun  taureau  le  mufle,  pour  la 
bouche^)  fordert  Marot  seine  Freunde  auf,  dem  schon  vor- 
handenen lobenden  hlasoti  auf  den  Mund  des  Weibes  ein 
herabsetzendes  Gegenstück  folgen  zu  lassen. 

Kleinlaut  werden^  sich  ducken:  //  me  faüui  soubdain 
faire  la  poulle,   Et  m^enfuyr  {de  paour)  hora  de  la  fouile.*) 

Sich  dumm  stellen,  fade  sein:  Puis  que  vous  portex  le 
7iom  ö^AnnCy  11  ne  fault  point  faire  la  beste:  Des  aujaurtThity 
je  vous  condamne  Ä  solennizer  vostre  feste,^) 

Schwenkungen  ausführen :  Von  Soldaten :  Marchent  en  ordre 
ei  fönt  le  lima<;on,^) 

Der  für  die  Menschen  geopferte  Jesuchrist j  V aigneau 
iout  pur  et  imoide.^) 

Schwungvollster  Dichter  der  Neuzeit:  dont  as  le  tiltre  gcni 
D^algle  moderne j  ä  suyvre  difftcile,^) 

Übergang  zur  Allegorie. 

Marot  stellt  dem  König  Franz,  dessen  Wappenbild  ein 
Salamander  in  den  Flammen  war,  und  dem  Kaiser  Karl,  der 
den  Adler  im  Wappen  führte,  unter  dem  Bilde  dieser  Tiere 
den  Himmel  in  Aussicht,   wenn  sie  friedliebend  sein  wollen: 

Paix,  qui  fcra  la  live  salamandre. 

Apres  son  faict  mortel  estainct  en  ceridre, 

Kourrir  au  fett  d^une  vie  immortelle : 

A  Vaigle  aussi,  quand  le  rol  de  son  aesle 


')  G.  III,  408,  '^f- 

«)  G.  III,  61,  «ff- 

')  K.  II,  436.  Ahnlich  fordert  am  Schlüsse  der  Fabel  Du  Hon  et 
du  rat  Marot  seinen  Freund  Lyon  §uf,  ihn  aus  der  Gefangenschaft  zu 
befreien,  wofür  er  sich  später  vielleicht  erkenntlich  zeigen  könne:  Or 
vien  me  veoir  pour  faire  le  lyon^  Et  je  mettray  peine,  8«w,  et  estude 
D'estre  le  rat,  exempt  dHnyratitude  (R.  I,  341.  —  G.  III,  80,  '*''•)• 

*)  G.  UI,  46,  ". 

*)  H.  II,  35.  —  Vgl.  auch:  Le  p  he  nix  suis  des  dames  langou^ 
reu8€8  .  . .  S.  41. 

«)  R.  II,  134.  Vgl.  S.  41  ff.  Es  findet  sich  auch:  Jean  de  VAigle 
(R.  I,  124). 


—     69    — 

Plus  ne  paurra  sur  lu  terre  s^estendre 
Pour  voler  plus  oultre,  si  fera  fendre 
Tous  les  neuf  cieulx  jusqtie  au  lieu  angdique, 
Promis  d  ceulx  qui  ayment  paix  publique,^) 

Vom  Kaiser,  der  sich  vor  den  kleioen  italienischen  Fürsten 
nicht  fürchtet,  heißt  es  an  einer  anderen  Stelle  noch:  L^ aigle 
ne  craint  la  Myrandolle  (Versammlungsplatz  der  gegen  Karl 
verbündeten  Fürsten).*) 

Die  nachstehenden  Verse: 

Mais  commeni  se  porte  V asnesse 
Que  tu  s^'ais  de  Jerusalem? 
Stelle  veult  mordre^  garde  Pen: 
Elle  parle  comme  de.  cyre  *) 
beziehen  sich  auf  die  Kirche  von  Rom,  die  ja,  wie  die  Eselin 
in   der  Bibel  den  Erlöser,   nun  die  wahre  Religion  zu  tragen 
sich  rühmt. 

Wenn  Marot  in  seinem  Enfer  dem  Untersuchungsrichter 
die  Antwort  gibt:  Cogneu  je  suis  .  .  .  Du  gentil  Pari,  qui  les 
flustes  manie  Jusqu'ä  Tityre  et  ses  brebis  catnu^es*'),  so  will  er 
damit  wohl  nur  sagen,   daß  er  als  Hirtendichter  bekannt  sei. 


Fünfter  Teil. 

Tier-Allegorie. 


I.  Anfänge  der  Allegorie. 

Les  veaux  ne  sont  taus  au  marchey  Ni  les  coquuz  au  verd 
boccage.^)  Verspottung  der  Doktoren  der  Sorbonne  und  der 
betrogenen  Ehemänner.    Erstere  erhalten  noch  einen  Hieb  in : 


')  R.  II,  94  f. 

*)  G.  III,  459.    Zu  merken:  Der  Kaiser  kommt  friedlich,  Nonpoint 
au  vent  Vaigle  noir  couronne  (R.  II,  91). 
»)  G.  III,  364  f. 
*)  G.  11,  179,  "•''• 
*)  G.  n,  465,  "« '• 


—     70     — 

Les  lienx  publies  devise  tous  nouveaiuixy 

Entre  Usqueix  au  ntilieu  de  Sorbonne 

Doibt,  ee  dkt  on,  fsUre  la  place  aitm  veauix,^) 

In  den  Worten :  Noch  andere  Tiere  als  die  Ziegen  tragen 
einen  grauen  Bart  am  Kinn,  Ei  d^atdtres  bestes  qtie  hs  ehevres 
Porient  barbe  grise  au  mefiton^)j  die  sidi  in  einem  Ckfq  ä  fäne 
ohne  allen  Zusammenhang  mit  dem  Nebenstehenden  finden, 
wie  es  das  Wesen  dieser  versteckt  satirischen  Dichtaagsait 
eben  erheischte,  erblicke  ich  nicht  nur  eine  boshafte  An- 
spielung auf  eine  damals  erfolgte  Verordnung  des  Pariser 
Parlaments  über  das  Tragen  von  Barten,  wie  Guiffrey  ganz 
allgemein  annehmen  möchte  ^,  sondern,  da  es  sich  ja  um  graue 
Barte  handelt,  einen  direkten  Hieb  auf  die  jedenfalls  schon 
bejahrten  Männer  der  weltlichen  und  der  geistlichen  Bechts* 
pflege,  mit  denen  Marot  wegen  seiner  früheren  Einkerkerung 
und  wegen  seiner  Verbannung  (er  schrieb  diese  Zeilen  in 
Ferrara  1535)  nicht  auf  dem  besten  Fuße  stand. 

Ne  donnex  jamais  Vesperon  Ä  cheval  qui  voluntiers  trotte.^) 
Wie  man  ein  Pferd,  das  von  selber  geht,  nicht  anzutreiben 
braucht,  so  soll  man  auch  gutwillige  Menschen  nicht  unnütz 
zur  Arbeit  auffordern. 

Lob  der  Stadt  Lyon: 

On  dira  ce  qtie  Von  vouldra 

Du  Lyon  et  sa  oruatä^: 

Tousjours,  ou  le  sens  me  fauUlra, 

J^estimeray  sa  privaute: 

J^ay  trouve  plus  d'honnesteie, 

Et  de  noblesse  en  ce  Lyon, 

Que  tiay  pour  avoir  frequente 

Lfausires  bestes  un  miUion,^) 
Abschied  ron  der  Stadt  Lyon : 

Adieu^  Lyon  qui  ne  mords  pomd, 

Lyon  plus  doulx  que  cent  puceües, 

')  R.  U,  457. 

«)  G.  III,  367  f. 

»)  ö.  III,  367,  Anm.  2. 

*)  G.  III,  332,  "'• 

»)  B.  II,  450. 


—     71     — 

Sinon  quamd  Vennemy  U  poind: 
Ahi'8  ta  fureur  ptAnet  ne  celes.^) 
Va  Lyon,  que  Dieu  te  gouveme: 
Ässez  lang  temps  s'est  esbcUu 
Le  petit  chien.^)  en  ta  oaveme, 
Que  devarU  tay  on  a  batu,^) 

Schließlich  noch  ein  Lebewohl  dem    Gouverneur  de  ce  grand 
Lyon.^) 

Ein  Fräulein,  das  einen  langweiligen  Verehrer  anbringen 
wiU,  fragt  ihn:  La  phus  grosse  beste  qui  sott  Monsieur,  comme 
est  ce  qiCon  Vappdle?  Der  harmlose  Mensch  antwortet:  Un 
elephant,  madamoyselle,  Me  semble  qu^on  la  nomine  ainsi :  Pour 
dieu,  elephant  {ce  dit  eile),  Va  fen  donc,  laisse  moy  icy,^) 

May  fs*]  ü  est  cheu  tont  de  nuees,  Que  devindrent  les  allou- 
ettes?^  ist  vielleicht  eine  Anspielung  auf  den  politischen 
Himmel,  dessen  Wolken  gesunken  waren  und  Kriege  herbei- 
geführt hatten,  in  denen  so  viele  arme  Teufel  ums  Leben 
kamen.  Der  darauf  folgende  Satz:  //  ne  fut  ancques  tant  de 
chouettes:  Nuit  et  jour  on  les  voyt  voller,  II  est  deffendu  de 
voller  Qui  n^aura  au  coste  des  aeles  ^  ist  gegen  die  Finanzmänner 
gerichtet. 

Gedicht  Marot's  an  den  König  für  ein  Fräulein,  dem 
letzterer  den  Beinamen  grenouiUe  gegeben  hatte: 
Uanwur  entiere,  et  tout  ä  horme  fin, 
Sbrey  ü  ie  piaist  trois  poissons  bien  aymer: 
Premierement,  le  bien  hcureux  Daulphin^) 
Et  le  Chabot^)  qui  noue  en  ta  grandü  mer: 
Puis  ta  grenouiUe  .  .  .^^) 


»)  ö.  ni,  661,  »'^• 

')  Der  Hund  ist  ULarot,  der  bei  seiner  Abschwörang  des  protestan- 
tischen Glaubens  zu  Lyon  die  gewohnten  Butenstreiche  erhielt. 
»)  G.  III,  654,  «'^• 
*)  G.  ni,  665,  *•. 
»)  R.  II,  462. 
•)  G.  III,  482. 
')  G.  UI,  482f. 

•)  Der  Dauphin  Franz,  gestorben  1636  (R.  II,  355). 
«)  Chabot  (=  Kaulkopf,  ein  Fisoh)  war  Admiral  (R.  II,  365). 
w)  R.  n,  354f. 


—     72     —       • 

Der  Dichter  bittet  den  König  um  Hilfe  für  einen  kranken 
Freund,  den  Poeten  Fapillon: 

Me  pourmenant  dedans  le  pare  des  Muses 

(Prince  sans  qui  elks  seroieni  confuses) 

Je  rencontray  sus  un  pre  abbatu 

Ton  Papillon,  sans  force  fie  vertu: 

Je  Vay  trouve  encor  avec  ses  aeslesy 

Mais  safis  voller ^  comme  s^il  fast  sans  eües: 

Luy  qui  tendant  d  son  roy  consoler^ 

Pour  ton  plaisir  souloü  si  bien  voüer, 

QuHl  surpassait  le  vol  des  aiouettes. 

Eoy  des  Francs,  c^est  Fun  de  ies  poetes  •  .  .^) 

IL  Allegorische  Darstellimg  der  Rechtshändel. 

Über  den  Pfortner  des  GeßLngnisses : 
Si  rencontray  Cerberus  ä  la  porte: 
Lequel  dressa  ses  troys  testes  en  hault, 
A  tout  le  moinSj  tine  qui  troys  en  vauli, 
Lors  de  travers  me  voyt  ce  chien  poussif, 
Puis  vi^a  ouvert  un  huys  gros  et  massif.^ 

Über  die  Prozesse: 

Or  sgaches,  Arny,  doncques 
Qii'en  cestuy  parc,  ou  ton  regard  espandsy 
Une  maniere  il  y  a  de  Serpents 
Qui  de  petits  liennent  grandz  et  felons: 
Non  poinct  Volants^  mais  trainants  et  bien  longs: 
Et  ne  so7it  pas  pourtant  Couleuvres  froides, 
Ne  lerdz  Lezardz,  ne  Dragons  forls  et  roides: 
FA  ne  sont  pas  Cocodrilles  infaictx^ 
ye  Scorpibns  tortuz  et  contrefaictz : 
Ce  ne  sont  pas  Vipereaux  furieuXy 
Ne  Bas i lies  itiants  Ies  gens  des  yeux: 
Ce  ne  sont  jxis  mortiferes  AspicSj 
Mais  ce  sont  bien  Serpents  qui  valent  pis, 

»)  R.  II,  434  f.  (G.  III,  615  f.). 
«)  G.  II,  162,  ••'^. 


—     73     — 

Ce  8oni  Serpents  enflezy  envenimex, 
Mordanis,  mauldictZj  ardents  et  anime», 
Jectants  un  feu  qu^ä  peine  on  peuU  estaindre, 
Et  en  piquant  dangeretix  d  Vaüaindre. 
Car  qui  en  est  piqui  ou  offanse 
En  fin  demeure  cheiif  ou  insense: 
C^est  la  naiure  au  Serpent  plein  d^exces 
Qui  par  son  nom  est  appele  Proces.^) 

Es  folgt  dann  eine  Beschreibung  der  verschiedenen  Brechts- 
händel unter  dem  Bilde  großer  und  kleiner,  junger  und  alter 
Schlangen,  deren  mannigfache  Tätigkeiten  allegorisch  gedeutet 
werden.  Das  lange  Leben  dieser  Schlangen  findet  schließlich 
in  den  nachstehenden  Versen  seine  Erklärung: 

Donrques,  Ämy,  ne  teshahys  eomment 

Serpents  Proces  vivcnt  si  lonjuement: 

Car  hien  nourrys  sont  du  laict  de  la  lysse 

Qui  nommcc  est  du  Monde  la  malice: 

Tousjours  les  a  la  louve  entretenux^ 

Et  pres  du  cueur  de  son  venire  tenux»^) 

ni.  Allegorisches  Liebesgedicht. 

Auf  der  Suche  nach  Ferme  Amour  gelangt  der  Dichter 
schließlich  zum  Tempel  des  Cupido.  Er  beschreibt  dessen 
Umgebung  und  sagt  unter  anderem: 

Et  y  chantoit  le  gaillard  Tityrus: 

Le  grand  Dieu  Fan,  avec  ses  pastoureaulx 

Qardant  brebiSy  beufz,  vaches  et  iaureaulx, 

Faisoit  sonner  chalumeauhcy  comemuses 

Ei  fUxgeoletx  .  .  .«) 

Les  oyseletx,  par  grand  joye  ei  deduyt, 

De  leurs  gosiers  respondent  ä  tel  bruyi,*') 


0  G.  U,  168flr. 
*)  G.  II,  172,  «0»''. 
»)  G.  n,  74,  »»''• 
*)  G.  n,  74,  "»'• 


—    74    — 

Damit  will  Marot  wohl  andeuten,  daß  die  Hirten  es  am 
leichtesten  haben,  wenn  sie  sich  der  Liebe  hingeben  wollen; 
sie  brauchen  nur  in  den  Tempel  einsutreteot  sie  stehen  jeder- 
zeit schon  am  Tore.  Die  Erwähnung  der  Vögel  geschieht 
vielleicht  nur  der  Ausschmückung  wegen«  Was  Marot  mit 
dem  Tempel  des  Cupido  meint,  läfit  sich  nicht  eindeutig  be- 
antworten; ein  obszöner  Sinn  kann  nicht  immer  abgelehnt 
werden.  Daher  sind  auch  die  Dinge,  welche  unter  dem  Bilde 
von  Tieren  und  deren  Tätigkeiten  dargestellt  werden  sollen, 
nicht  immer  mit  Sicherheit  zu  ermitteln.  Wenn  der  Dichter 
z.  B.  auf  den  beiden  Zypressen,  welche  vor  dem  Altäre^) 
stehen,  Vögel  singen  läßt,  so  mag  er  damit  wohl  auf  den 
Sirenengesang  der  Leidenschaft  hinweisen: 

LoTB  müle  oyseaulXj  d^une  longue  ramie, 

Vindrent  voUr  sur  ces  vertes  courtines, 

Prestz  de  ctiunter  chansonnettes  divines, 

Si  demanday  pourquoy  Id  sont  venus: 

Mais  on  me  du:  Amy,  ce  sont  nuUines, 

QuHlx  viennent  dire  en  Vhonneur  de  Venus J^ 

Auch  Heilige  sind  natürlich  in  dem  Tempel,  wie  Beau 
parier,  Bon  rapport.  Bim  servir  etc.,  d.  h.  also  die  Liebes- 
künste, zu  denen  man  seine  2krflucht  nehmen  muß: 

Cor  sans  ceulx  Id  Von  ne  prent  poinct  les  bestes 
Qu*on  va  chassani  en  la  forest  d'amows.^) 

Beim  Gottesdienste  rbenützen  die  Pilger  BoeinarinstriMiBe 
als  Kerzen;  Sänger  sind  die  Vögel: 

Les  Chantres:  lynotz  et  eerine^ 
Et  rossignolx  au  gay  courage, 
Qui  sur  buyssons  de  verd  boscage 
Ou  brancJies,  en  Heu  de  pulpüres, 


^)  Auch  das  Diadem  des  Capido,  der  von  Venus  «rbaltene  Eosen- 
kränz  um  den  Kopf,  wird  erwähnt.  Dann  heißt  es  weiter:  Pvtis  donna 
{pour  ces  roses  helles)  Ä  sa  mere  un  char  triumphant,  Conduict  par 
douze  columhelles  (G.  IL  81,  "®^).  £ine  Anspielnng  amf  die  Mytho- 
logie ist  auch  in  Egeon  monte  sur  la  balaine  (R.  II,  72)  enthaiteiL 

»)  G.  n,  82,  •"''• 

»)  G.  n,  83,  ">'• 


—     76    — 

Chanteni  le  joly  chant  ramage, 
Pcur  versetz,  respondx  et  qnstres.^) 

Mit  den  Vögeln  sind  hier  wohl  Liebesworte  gemeint,  die 
der  Liebhaber  der  Geliebten  beim  Überbringen  eines  Biumen- 
stranßes  sagt.  Nach  dem  Gottesdienste  wohnt  der  Dichter 
anch  einer  Jagd  bei,  die  natürlich  nur  das  Liebeswerben  rer- 
sinnbildlicht : 

Voyant  chasser  de  Oujndo  les  serfx, 

Vun  ä  connilx,  VauUre  ä  lievres  et  cerfXy 

Lascher  faulcons,  levriers  courir  au  boys, 

Corner,  souffler  en  irompes  et  haaUboys: 

On  criey  on  prent:  Fun  ekasse  et  Vaultre  hc^ppe, 

Vun  a  ja  pris,  la  beste  hty  eschappe, 

II  court  apres:  VauUre  rien  Wy  pourchasse: 

On  ne  veit  anoq  un  tel  deduyt  de  ekasse 

Comme  cestuy.^) 

Der  Himmel  des  Altares,  auf  dem  geopfert  wird,  ist 
eine  Zeder,  auf  der  ein  Vogel  singt,  der  jedenfalls  auf  die 
Leidenschaft  und  ihre  Lockungen  hinweist: 

Le  ciel  ou  poisle  est  un  cedre  embasniant 
Les  cueurs  humains  sur  qui  ung  oysellet 
Jargonne  tant  que  son  chant  nouvellet 
Endort  les  gens  et  souvent  si  bien  chante 
Que  de  son  bruyt  plus  kauU  que  ung  flajeoUet 
Les  puissans  dieux  il  endort  et  enchante.^) 

lY.  Allegorisches  Hirtengedicht. 

Vom  Papste,  der  zur  Zeit  Marot's  seine  Herde  gegen 
iKe  Irrtehrer  zu  beschützen  hatte,  sagt  der  Dichter:  II  a  wi 
iroupeau  de  brebys   Qui  est  en  grand  danger  du  loup,*)     Als 


1)  G.  n,  84,  «"''• 

«)  G.  n,  95f. 

■)  G.  II,  80,  **"^-  Var.  Ebenfalls  in  einer  Variante  sind  die  Galerien 
des  Tempels  blumige  Pfade  Ou  pasteura  et  bergieres  §enteB  S'esbattent 
en  gardant  moutons  {i}.  U,  87,  »»»'•  Var.). 

*)  G.  n,  449,  M'- 


—     76     — 

Hirtin  ist  auch  die  neu  erstandene  Urkirche,  Christine  ge* 
nannty  dargestellt :  Et  par  ainsi  fut  frappee  (Penconibre  La  ber^ 
gerette  et  ses  trouppeaulx  espars.^)  In  Marot's  Sermoth  du  bon 
Pasteur  et  du  maulvais  ^)  ist  der  gute  Hirt  ein  Anhänger  der 
Reformation,  die  Wölfe  sind  Teufel  und  Ketzer,  die  schlechten 
Hirten  sind  natürlich  die  katholischen  Geistlichen.  Von  ihnen 
heißt  es: 

Ils  tiourrissoiefU  lettre  grans  trouppeaulx  de  songes 

D'ergo,  d^utrum^  de  quare,  de  fnensongee. 

Et  de  cela  ilv  faisoiettt  du  pain  bis, 

Que  bien  amoient  leurs  seduicies  brebis: 

Mais  de  maigreur  estoünt  e^ilangorees  : 

Plus  en  beuvoierttj  plus  estoient  aUerees: 

Plus  en  mangeoient,  plus  en  voulaient  manger . .  .*) 

Ahnliche  Gedanken   finden   sich  in  seinem  Gedichte:  La 
Complaincte    d'un    Pastoureau    chrestien.^)      Ein   Hirt    schildert 
darin  dem  Pan  (=  Gott)   seine  traurige  Lage.     Er  hat  vor 
feindlichen  Hirten  weichen,    in   die  Verbannung  gehen  und 
ihnen    seine   Herde    überlassen    müssen.     Damit  meint   der 
Dichter  nur  sich  selbst,   dessen  Weib  und  Kinder  sich  ver- 
gebens nach  ihm  sehnten,   nachdem  ihn   der  Ausbruch  der 
Verfolgung  aus  dem  Lande  getrieben  hatte: 
Car  fay  laissS  Marion  esploree 
Dedans  son  parc,  ou  Vhumble  pastourelle 
Faict  (fen  suis  aeur)  lamentable  querelle, 
J^ay  deslaisse  jmr  les  herbeux  pastis 
Beufx  et  brebis  et  leurs  aigneaux  petis: 
J^ag  deslaisse  par  les  ckamps,  davantage 
Mes  douze  beufx  serva?is  au  labourage,^) 

Wahrscheinlich  will  Marot  damit  auch  andeuten,  daß  er 
ohne  irgendwelche  Subsistenzmittel  in  die  Fremde  fliehen 
mußte.    Fan  möge  das  Elehen  seiner  Angehörigen  erhören, 

^)  H.  L  127.    Vgl.  S.-65. 
«)  K.  I,  165  ff. 
«)  R.  I,  186  f. 
*)  R.  J,  191  ff. 
»)  H.  I,  196. 


—     77     — 

«agt  der  Dichter  weiterhiD,  und  alles  wird  sich  darüber  freuen 
und  ihn  preisen: 

0  puissant  Pan,  de  ton  Jmvlt  lieu  regarde 

Ces  ccis  piiaiXy  et  ä  venir  ne  tarde 

Donner  seconrs  ä  tes  mnples  brebis 

Et  tes  trouppeaulx  errafis  jmr  ks  lierbis 

De  CCS  bas  lieux,  qui  safis  cesse  fifivocquent, 

Et  d  pitie  et  mercy  te  provocqvent. 

Si  tu  entens  par  grace  singulüre 

Mon  oraison  et  treshumble  priere, .  .  . 

gras  beufx  en  brameront, 

Et  par  plai»ir  brebis  en  besleront, 

Oyseaulz  du  ciel  de  differens  plumages 

Te  rendront  los  en  leurs  beauJx  chantz  raniages.^) 

Marot's  Klagegedicht  auf  den  Tod  der  Königin-Mutter 
hat  gleichfalls  die  Form  des  Hirtengedichtes.  Sie  selbst  ist 
als  Schäferin  dargestellt,  auf  deren  Worte  jedermann  hört; 
der  König  erscheint  als  der  oberste  Hirte.  Nicht  alles,  was 
in  dem  Gedichte  von  Tieren  gesagt  wird,  läßt  allegorische 
Deutung  zu;  vieles  dient  nur  zur  Ausschmückung  und  Be- 
lebung. So  sagt  gleich  anfangs  der  eine  von  den  redend  ein- 
geführten Hirten  zum  anderen,  bloß  weil  es  gut  zur  Situation 
paßt : 

Or  je  te  pry,  tandis  que  mon  mastin 
Fem  bon  guet,  et  que  je  feray  paistre 
Xox  deux  trouppeaulXj  chante  un  peu  de  Cntin, 
En  deschiffrant  son  bei  habit  cliampctitre,^) 

Der  Angeredete  geht  darauf  aber  nicht  ein,  sondern  ver- 
spricht seinem  Mithirten  eine  Schalmei,  von  welcher  er  an- 
gibt: Lequel  d  peine  ay  eu  pour  un  chevreau^),  wenn  dieser 
die  verstorbene  Schäferin  in  einem  Liede  beweinte.  Der  hebt 
alsdann  zu  singen  an,  schildert  unter  anderem,  wie  sehr  die 
Oberhirtin  die  Mädchen  zur  Arbeit  anhielt,  so  daß  keines 
müßig   war :  Uune  plantoü  herbes  en  un  vergcr,  Vautre  paissoit 


»)  R,  I,  202  f. 
»)  R.  11,  277. 
»)  R.  II,  277. 


—     78    — 

eoulombx,  et  tourierellea.^)    Er  beschreibt  dann  den  fün- 
druck,  den  der  Todesfall  auf  Volk  und  König  gemacht  hatte : 

Le  grand  pasleur  sa  musette  fendit, 
Ne  voulant  plus  que  de  plettrs  se  ruesler^ 
Dont  son  trouppeau,  qui  plaindre  Ventendü^ 
Laissa  le  paistre  et  se  print  d  besler,*) 

Die  Natur  und  die  Tiere  in  Wald  und  Flur  nehmen  An- 
teil an  der  Trauer: 

La  mer  en  fut  trottblee  et  mal  tranquüle, 
Et  les  daulphins^)  bien  jeunes  y  plorerent, 
Biehes  et  cerfx  estannez  s'arresterent: 
Bestes  de  proye,  et  bestes  de  pasture^ 
Tous  anitnaulx  Loyse  regretterentf 
Exceptex  loupa  de  maulvaise  nature  .  •  . 

les  trouppeaulx^)  en  portent  naire  laine. 
Sur  Varbre  sec  s'en  complainct  Philomenef 
L^aronde  en  faici  crix  piteux  ei  tranchansj 
La  tourterelle  en  gemit  et  en  meine 
Semblable  dueil .  ,  .*) 
La  povre  Touvre  arrousant  AngoiUesme, 
A  son  pave  de  truites  tont  desti-uict. 
Et  sur  son  eau  chantent  de  jour  et  nuict 
Les  eignes  blancs,  dont  toute  eUe  est  cotiverte, 
Pronostiqu/ans  en  leur  chant  qui  leur  nuyct, 
Que  mort  par  mort  leur  iient  sa  parte  ouverte,^) 

Auch  die  Zeichen,  welche  ihren  Tod  ankündigten,  werden 
aufgeführt: 

Zfo,  quand  fouy  Vautrehier  (ü  me  souvient) 
8i  fort  crier  la  Corneille  en  un  chesne: 
Cest  un  grand  cos  (dy  je  lors)  s'ü  n^advient 


>)  R.  n.  279. 

»)  R.  II,  280. 

')  Die  Kinder  des  Königs. 

*)  Das  Volk  in  Trauerkleidern. 

»)  R.  II,  281. 

•)  R.  n,  283. 


—    79    — 

Qiielque  meaehef  hien  tost  en  eestuy  regne, 
Atäant  m^en  du  le  eorbeau  snr  tm  fresne:^) 

Die  Sorgfalt,  welche  sie  dem  Volke  widmete: 

Tant  bien  s^avoü  en  seurte  conformer 
Tont  k  hestail  de  iouie  la  contree: 
Tant  bien  s^avoü  son  parc  dorre  et  femier^ 
Qu^on  via  point  veu  les  loups  y  faire  eniree^), 

die  Rolle  der  Friedenstifterin,  die  sie  übernommen  hatte,  um 
den  blutigen  Kriegen  ein  Ende  zu  machen'),  haben  ihr 
aicherlich  den  Eintritt  in  die  Gefilde  des  Elysiums  verdieut, 
wo  sie  ewige  Freude  genießen  wird,  wo  auch  alle  schönen 
und  anmutigen  Tiere  versammelt  sind: 

Tcms  animaulx  plaisans  y  sont  comprü, 
Et  miüe  oyseaulx  y  fönt  joye  immortelley 
Entre  lesquelz  voU  paar  le  paurprü^ 
Son  papeguay*),  qui  partit  avant  elle.^) 

Am  Schlüsse  des  Gedichtes  ruft  der  andere  Hirt  die 
Herde  heim,  da  die  Nacht  schon  anbricht:  Sus  grans  toreauxj 
et  V0U8  brebis  petites,  Allez  au  iect,  assez  <xvez  broustS.^) 

Die  Form  der  Ekloge  wählt  der  aus  der  Verbannung 
zurückgekehrte  alternde  Marot  auch,  als  er  in  großer  Be- 
drängnis und  Armut  den  König  um  Hilfe  für  sich  und  die 
Seinigen  bittet. '')  Pan  ist  darin  der  König,  von  den  auf- 
tretenden Hirten  ist  Janot  der  Vater  des  Dichters,  ßobin  er 
selbst,  Jacquet  ein  Freund  seines  Vaters,  namens  Jacques 
Colin.  Inhalt:  Der  Hirte  Robin  zog  sich,  so  erzählt  Marot, 
kürzlich  in  den  Wald  zurück  und  richtete  dort  seinen  Ge- 
sang an  Pan: 


»)  Ä.  II,  284. 
«)  K.  II,  282. 
»)  R.  n,  287  f. 
*)  Vgl.  S.  16. 
»)  R.  II,  286. 
•)  R.  n,  289. 

')  Eglogue  au  Roy  soubz  les  noma  de  Pan  et  Bobin  (ö.  II,  286  ff., 
R.  I,  107  ff.). 


—     80     — 

O  Pan,  dien  aouverain^ 
Qui  de  garder  ne  fuz  onc  paresseux 
Parcz,  et  brebis,  et  les  maistres  d^iceulr, 
Et  remetz  su^  tous  gentilz  pastoureaux 
Quand  ilx  rCovii  prex,  ne  loges,  ne  toreaux, 
Je  ie  supply  (si  onc  en  ces  bas  estres 
Daignas  ouyr  chansonnettes  chanvpestres) 
Escoute  un  peu,  de  fon  vert  cabinet^ 
Le  chani  rural  du  petit  Robinet,^) 

Damit  wird  gesagt,  Marot  habe  sich  hingesetzt  und  fol- 
gende Klage  an  den  König  begonnen :  O  König,  der  du  deine 
treuen  Diener  beschützest  und  dich  um  alles  kümmerst,  was 
sie  brauchen,  und  ihnen  gibst,  was  ihnen  nötig  ist,  höre  meine 
Klage.  Robin-Marot  beginnt  mit  der  Erzählung  seines  Lebens. 
Es  ist  nicht  sicher,  ob  der  Dichter  hier  seine  eigene  Jugend 
erzählt,  oder  nur  eine  Jugend,  wie  sie  ein  Hirtenknabe  wohl 
zubringen  mag;  jedenfalls  aber  ist  Marot's  jugendliche  ün- 
gebundenheit  in  der  Schilderung,  die  ergibt,  versinnbildlicht: 

Sur  le  printemps  de  ma  jeiimsse  folle, 

Je  resseviblais  V arondelle  qui  vole, 

Puis  fo,  puls  lu:  Paage  me  conduisoii 

Sans  paouVf  ne  soing,  ou  le  cueur  me  disoit: 

En  la  forest  (sans  la  craincie  des  loups) 

Je  ni^en  allois  souvent  cueülir  le  houx, 

Pour  faire  glux  ä  prendre  oyseaulx  ramages, 

Tous  diffei'ens.  de  chantz,  et  de  plutnages : 

Ou  me  soulois  [pour  les  prendre)  eniremettre 

A  faire  bricx,  ou  cages  pour  ks  mettre,'^) 

Ou  transnoiiois  les  rivieres  profondes, 

Ou  renfoTfois  sur  le  getioil  les  fondes, 

Puis  d^en  tirer  droict  et  hing  faprenois 

Potir  chasser  loups,  et  abbatre  des  noix, 

0  quantesfoys  aux  arbres  grimpe  fay, 

Pour  desnicher  ou  la  pye,  ou  le  geay ,  .  .  . 


»)  Vers  6-14. 

«)  Vgl.  oben,  S.  33  u.  38  f. 


—    81     -- 

Atieunesfcys  avx  moniaignes  aüaye, 

Aueunesfoys  waat  fosses  demlhye, 

Pour  trotcver  Id  Us  gktes  des  fouynes, 

Des  herissons,  ou  des  hhmches  hermines, 

Ou  pas  d  pas  le  long  des  buyssonneix 

Allois  eherchant  les  nidx  des  chardonnetx 

Ou  des  serins,  des  pinsons,  ou  lynottes,^) 

Schon  früh  habe  er  die  Schalmei  blascD,  d.  h.  dichten, 
gelernt  und  sein  Vater  Voulut  gager  ä  Jaquet  son  txmpere  Cantre 
un  veau  gras  deux  aigneletz  bessons  (Vers  60f. ;  vielleicht 
handelte  es  sich  zwischen  den  beiden  Dichtern  um  eine  Wette 
mit  der  Verpflichtung,  daß  jeder  ein  besonderes  Oedicht  liefern 
müsse),  daß  er  eines  Tages  das  Lob  Paus,  d.  h.  des  Königs, 
singed  werde.  Sein  Vater  gab  ihm  Unterricht  in  der  Kunst 
des  G-esanges  und  zwar  mit  einer  Liebe  sondergleichen.') 
I^atürlich  lehrte  er  seinen  Sohn  das  ^gen  nur,  damit  er  Fan, 
der  ihm  immer  geholfen  hatte,  preisen,  d.  h.  dem  König  für 
seine  Wohltaten  danken  könne :  Pan  qui  augmentas  son  dos, . . . 
M  qui  gardas  son  trouppeau  de  froidure.^)  Pan  (d.  h.  der 
König),  hat  der  Vater  dem  Sohne  gesagt,  wird  dir  einen 
schönen  Wohnsitz  geben: 

La,  d^un  eostS,  auras  la  grand  dosture 

De  saulx  espez :  ou  pour  prendre  pasture 

Mouches  ä  miel  la  flettr  succer  ironlj 

Et  d'un  dofilx  bruict  souvemi  fendürmiront: .  .  . 

Puis  tost  apres  sur  le  prochain  hosqttet 

TesveiUcra  la  pye  en  son  caquet: 

Tesv^illera  aussi  la  eolombelle  .  ,  .^) 

Doch  Robin-Marot  habe  sich  damals  um  nichts  gekümmert : 
Car  soucy  lors  n'avois  en  man  courage  Uaucun  hestail,  ne 
d^au^cun  pasturage.^)  Später  habe  er  allerdings  auch  nützliche 
Arbeiten  gelernt,  wie  A  proprement  entrelasser  les  clayeSf  Pour 


»)  Vers  15-39. 
«)  Siehe  S.  43  f. 
»)  Vers  76  ff. 
*)  Vers  93ff: 
»)  Vers  105  f. 
Hünchener  Beiträge  z.  romanischen  u.  engl.  Philologie.   XXXVI. 


—    82    -^ 

les  parquetx  des  ouaüka  fermer  ^),   d.  h.  er  habe  Geld  und  Gut 
besser  zu  schätzen  verstanden.     Er  habe  viele  Erfahrungen 
gesammelt,  fährt  er  fort,  und  drückt  dies  folgendermaßen  aus : 
Taprins  les  noms  des  ventz,  gut  de  Id  sortentj 
Leurs  qualiteZj  ei  quel  temps  ilz  apporteni: 
Dont  les  oyseaulx  sages  devins  des  champs 
^radvertissoient  par  leurs  volx  et  leurs  chaniz. 
J'aprins  aussi  allant  aux  pasturages 
A  eviier  les  dangerevx  herbages, 
Et  ä  congnoistre,  et  gtierir  plimeurs  maidz 
Qui  quelqtiesfoys  gastoient  les  animaulx 
De  nos  pastiz,^ 

Seine  brotlose  Kunst,  das  Spielen  und  Singen  und  Dichten, 
sei  ihm  aber  das  Liebste  gewesen;  in  einem  Liede  habe  er 
auch  den  Tod  der  Schäferin  Loysette  (der  Königin-Mutter) 
beklagt,  die  jetzt  vom  Himmel  auf  ihre  Herde  herabblickt, 
Qui  inaintefnant  au  eiel  prend  ses  esbatz  A  veoir  encor  ses  troup^ 
peaulx  icy  bas^).  Daß  Pan,  d.  h.  der  König,  an  seinen 
Gedichten  Wohlgefallen  gefunden  habe,  sei  ihm  lieber  ge* 
wesen  als  Geld  und  Gut,  eigentlich  lieber  Qu^atmr  auUant  de 
moutons  que  Tityre%  Qiis  veoir  chez  nous  troys  cenis  beufz 
heberger.^)  Denn  auch  als  Mann  habe  er  sich  um  nichts  ge- 
kümmert: Car  soulcy  lors-n^avoys^  en  mon  couragej  Uaidciin 
bestall,  ne  d^aulcun  pasiurage,^)  Jetzt  aber  sei  der  Herbst 
seines  Lebens  mit  vielen  Sorgen  über  ihn  gekommen,  die  ihn 
am  Singen  und  Dichten  hindern.  Ja,  der  Winter,  das  Älter, 
sei  schon  nahe;  er  erkenne  es  an  vielen  Zeichen;  er  drückt 
dies  aus  wie  folgt: 

J^ay  d^autre  pari  le  pyvert  jargonner, 
Siffler  V escouffle,  et  le  buior  tonner, 
Voy  V estourneau,  k  heron,  et  Varonde 
Estrangement  voller  tout  ä  la  ronde^ 


1)  Vers  118  f. 
«)  Vers  125  ff. 
')  Vera  147  f. 
^)  Vers  193. 
»)  Vers  196. 
«)  Vers  197  f. 


—     83     — 

Wadvertissant  de  la  fraide  vertue 

Du  triste  yver,  qui  la  terre  desnue, 

UaiUre  cosU  foy  la  hise  arriver, 

Qui  en  soufflant  nie  prononce  Vyver: 

Dont  mes  trouppeaulx  cekt  craignansj  et  pis, 

Tous  en  un  tos  se  tiennent  accroupis: 

Et  disoit  on;  d  les  ouyr  heller, 

Qu^aveequea  moy.  te  veulent  appeller 

A  leur  secours,  et  qu^ilx  ont  congnoissancef 

Que  tu  les  OS  nourrix^  des  leur  naissance.^) 

In  den  letzten  Versen  weist  Robin-Marot  auf  seine  Kinder 
hin,  die  jetzt  in  Not  geraten  sind,  da  der  Vater  alt  geworden 
ist.    Für  sie  bittet  er  um  die  notwendigste  Hilfe ;  viel  braucht 
er  ja  nicht.     Er  drückt  sich  folgendermaßen  aus : 
Je  ne  quiers  pas  (o  bonte  souveraine) 
Deux  miUe  arpentz  de  pastix  en  Touraine, 
Ne  mille  heufz  errans  par  les  herbis 
Des  montx  d^Auvergne,  ou  autant  de  brebis, 
II  me  SU f fit,  que  mon  trouppeau  preserves 
Des  loups,  des  ours,  des  lyons,  des  loucerves...^ 

Wenn  Pan  (der  König)  ihm  seine  Bitte  gewähre,  dann 
werde  die  Sorge  von  ihm  weichen;  im  Winter  seines  Lebens 
werde  er  sein  Lob  dann  besser  singen  können  als  im  Sommer. 
Er  fühlt  es  aber  schon,  daß  er  Erhörung  finden  werde  und 
er  fordert  seine  Kinder  auf  sich  mit  ihm  zu  freuen :  Sus  mes 
brebis y  trouppeau  petii  et  maigre,  Autour  de  moy  saultez  de  cueur 
allaigre,  Car  desja  Pan,  de  sa  verte  maison,  Afa  faid  ce  bien 
d'ouyr  mon  oraüon.^) 

V.  Allegorische  Darstellung  christlicher  Lehren. 

In  dem  Chant  royal  de  la  Conceptton  ^),  in  welchem  Anna 
das  Zelt,  Maria  das  Lager  des  Herrn  ist,  weisen  folgende 
Verse  auf  die  Unschuld  und  Reinheit  Marias  hin: 


»)  Vers  217  ff. 
«)  Ver3  231  ff. 
»)  Vers  257  ff 
*)  K.  IL  41  ff. 

6* 


—    84    — 

au  coussin  phtme  iresbkmche  et  pure 
D^un  blanc  eaulomb  le  grand  ouvriar  a  nUs,^) 
ün  grand  pasteur  Ptxvoit  atrui  permis, 
Lequel  jadis  par  grae$  ooncordee, 
De  ses  aigneaulx  la  tcyson  bien  gardee 
Tranatnit  au  do»  de  Naittre  subiile 
Qui  une  en  feit  la  plus  blanche^  ei  uHle  (<c.  coui}erture) 
Qu^oncques  sa  main  tysaut,  ou  compoea.^) 

In  das  vom  Dichter  beschriebene  Lager  (Leib  Mariens) 
durfte  der  Teufel  nicht  eindringen:  veu  que  Vaspic  hostile, 
Pour  y  dormir,  c^)proeher  n^en  oea '),  d.  h.  Maria  blieb  TOa  der 
Erbsünde  rerschont. 

In  einem  Weihnachtsgedichte  hat  ein  Hirte  einen  Traum 
von  einem  Kinde  (Erlöser),  das  mit  einer  Schlange  (Teafei) 
kämpft : 

Un  jeune  enfant  se  combatoü  avec 
ün  grand  serpent,  et  dangereux  aspic: 
Mais  Venfanteau  en  moina  de  dire  pie^ 
D\ine  gra/nd^  croix  luy  donna  si  grand  choe 
Qu^il  Vabbatüj  et  luy  cassa  le  sue.^) 

In  dem  Gedichte:  De  la  Passion  de  Nostre  Seigneur  Jesu- 
dirist  ^)  schafft  der  Pelikan  des  Himmels  kleine  Vögel,  acheiikt 
ihnen  das  Paradies  und  Terläßt  sie ;  ein  Vogelfänger  erscheint, 
der  sie  in  seine  Netze  zieht;  der  Pelikan  kommt  wieder,  wird 
aber  von  Baben  zerfleischt;  sein  Tod  gibt  den  kleinen  Vögeln 
Leben  und  Freiheit  zurück.  Marot  selbst  erklärt,  was  alle 
diese  Bilder  zu  bedeuten  haben: 

Les  corbeaulx  sont  ces  Juifs  exilex 

Qui  ont  ä  tort  les  membres  mutilez 

Du  pelliean,  c^est  du  seul  dieu,  et  maistre, 

Les  oyselletx  sont  humains,  qu^ü  feit  naistre, 

Et  Voyseleur,  la  serpente  ioriue, 


»}  R.  n,  42. 
•)  R.  II,  43. 
»)  R.  n,  43. 
*)  R.  n,  34. 
*)  R.  II,  37  f. 


—    85    — 

Qui  lea  deoeut,  kw  faisant  metoangtmeire 
Le  pellieaHf  qvi  pofur  les  mens  se  tue, 

VI.  Allegorische  Darstellung  eines  Zeitereignisses. 

Harot  will  äie  Gebmi;  des  Dauphin,  die  mit  emem 
FriedenflschlaB  zasammenfiel,  feiem.^)  Er  verlegt  die  Szene 
liiftaus  auf  das  Meer.  Dort  laßt  Neptun  eine  Windstille 
(Frieden)  eintreten  und  den  Dauphin,  der  sie  ankündigt,  tot 
den  Schiffen  der  Seefahrer  einherachwimmen :  £X  pour  oster 
mathehtz  de-  souffranccj  Faire  nager  en  ceste  eau  claire  ei  aame 
Le  beau  daulphin  tarU  desirS  en  Dranee,  Alle  Eische  (das 
Volk)  freuen  sich  über  seine  Ankunft: 

Les  grans  poissons  ftmomit  saultx  ei  huüees, 

Et  les  peUs,  d^une  vokc  fort  seradne, 

DouceOemeni  aveoques  la  seraine, 

Ckantoient  au  jour  de  sa  noble  naüsance, 

Bien  soü  venu  en  la  mer  soiuveraine 

Le  beau  daulphin  tani  desiri  en  Franee, 

Der  Meeresgott  möge  nun  jedem  Streite  ein  Ende  machen, 
dann  werde  man  den  ersehnten  Dauphin  recht  lieben: 
Prince  marin  fuyant  ceuvre  vHaine^ 
Je  te  supply  garde  que  la  balaine 
Au  celerin  plus  ne  face  nuysance, 
Afin  qu!on  ayme  en  ceste  tner  mondaine 
Le  beau  daulphin  iant  desiri  en  France. 

Anhang. 

In  der  Deploration  de  messire  Florimond  Robertet  steht  der 
Tod  mit  einem  Spieße,  de  plumes  empenne  D^un  vidi  cor b eau ^ 
de  qui  le  chant  damni  Predü  tout  mal^\  auf  dem  Leichen- 
wagen, den  ein  Pferd  zieht :  debout  sur  le  char  se  tenoit,  Qu^un 
eheval  pasle   en   hennissant   irainoit.*)     Eine  Fee    geht    dem 

>)  K.  II,  8  f. 
«)  R.  n,  305. 
»)  R.  n,  306. 


—    86    — 

Wagen  voran,  auf  deren  Kleid  alles  mögliche  eingestickt 
ist,  auch  chiens  et  oiseaux^),  d.  h.  die  Kirche,  die  alles, 
selbst  die  Vergnügungen  für  sich  in  Anspnich  genommen 
habe,  schickt  ihre  Diener  Yorans.  Die  Landleute  begleiten 
den  Wagen:  Le  hon  hommeau  LabeuVf  qui  en  la  plaine  Avoii 
laissi  beufz,  charrue,  et  cuUure,^)  Das  Wappen  des  Toten 
enthält  einen  Flügel;  der  Dichter  trauert  über  den  Unter- 
gang der  vortrefflichen  Feder,  welche  dieser  Flügel  dem 
Lande  beschert  hatte.')  Beim  Vorüberfahren  des  Wagens 
mit  dem  Tode  darauf  geht  alles  zugrunde,  was  nicht  fliehen 
kann: 

Taulpea,  et  vers,  qui  dedans  terre  fiantent, 
Tremblent  de  paxmr,  et  hien  passer  le  senient  • .  • 

de  sa  froide  et  pestifere  cUaifie 
Vair  d^entour  eile  a  mis  en  iel  mescJtef, 
Que  les  oyseaulx  volans  par  sus  s<m  chef, 
Tomhent  d^enhault,  et  mortz  en  terre  gisent: 
Excepti  ceulx  qui  les  malheurs  predisent, 
Beufz  et  jumens  eourent  par  le  pays, 
De  veoir  la  Mort  g^-andement  esbahiz. 
Le  loup  cniel  crainct  plus  sa  face  seule, 
Que  la  brebis  du  loup  ne  crainct  la  gueule. 
Tous  animaulx  de  quelconques  manieres, 
A  sa  venue  entrent  en  leurs  tesnieres, 
Quand  eile  approclie  au  fleuves  ou  estangs, 
Poulles,  canardz,  et  eignes  la  estans, 
Au  fond  de  Veau  se  plongent  et  se  cachent^ 
Tant  que  la  Mort  Unng  de  leurs  rives  s^achent  .  .  . 
Tant  faict  la  Mort,  qu^aupres  de  Bloys  arrive 
Et  costoyoü  ja  de  Loyre  la  rive, 
Quand  des  poissons  grans,  moyens,  et  peiis 
Le  kault  de  Veau  laisserent  tous  craintifz, 
Et  vont  trouver  au  plus  profond  et  bas 
Loyre  leur  Dieu,  qui  prenoit  ses  esbatz  .  .  . 

»)  R.  U,  306. 
■)  R.  II,  308. 
»)  E.  U  309. 


^     87     — 

Jifais  bien  ä  eaup  sea  eshcUx  se  perdirent, 
Gar  ks  poissons  en  leur  langtie  luy  dirent, 
Comment  la  Mort,  qu^ilz  avoierU  rencontreey 
Ävoii  oocis  quelqu^un  de  sa  eontree,^) 


Sechster  Teil. 

Vermenschlichung  des  Tieres. 

Die  Allegorie,  welche  hinter  den  Tieren,  von  denen  die 
Rede  ist,  Menschen  erblicken  läßt,  kommt  bei  Marot  oft  in 
die  Lage,  die  Tiere  zu  vennenschlichen.')  Außerdem  finden 
sich  noch  folgende  Stellen,  in  denen  die  Tiere  als  Anteil 
nehmend  an  dem  Treiben  der  Menschen  und  mit  Qefiihl  be- 
gabt erscheinen.  So  heißt  es  von  dem  Aufenthalt,  den  die 
Herrin  eines  Wäldchens  daselbst  nimmt: 

De  ce  sejour  le  Pau  taut  fier  se  treuve, 
Les  rosaignolx  s^en  tiennent  angeliques: 
Et  trouverez  pour  en  faire  la  preuve, 
Qu^au  departir  seront  melancoliques,^) 

Ahnlich  werden  auch  die  Tiere  des  Feldes  aufgefordert, 
an  der  Trauer  der  Fastenzeit  teilzunehmen :  Ne  chantex  plus, 
refrenex  vos  gorgettes  Tous  oyselletx  •  .  •^)  Von  den  Tieren 
wird  auch  in  einer  Weise  gesprochen,  als  ob  sie  die  Bede 
des  Menschen  verstehen  könnten: 

Si  n*est  ü  loupj  louve^  ne  louveton, 
Tigre,  n^aspic,  ne  serpentj  ne  luihony 
Qui  Jamals  eust  stir  moy  kt  dent  bouteef 
Si  mon  excuse  ü  eust  bien  escoutee.^) 


1)  R.  II,  323  f. 

s)  Vgl.  z.  ß.  oben,  S.  77. 

3)  K.  II,  374. 

*)  Vgl.  oben,  S.  21. 

»J  G,  III,  147,  *•«. 


~    88    -- 

Den  Tieren  wird  aber  selbst  eine  Sprache  beigelegt,  sogar 
den  Fischen.^)  Doch  letzteres  hängt  mit  der  Allegorie  zu- 
sammen. AI3  aprechendes  Tier  tiitt  nur  das  Pferd  auf.  Sagt 
Marot  bloß  Ton  seiner  eigenen  haquen6e:  Lapovre  beste,  aux 
signes  que  je  voy,  DU  ...*),  so  läßt  er  das  Pferd  des  Vuyart  in 
einer  Orabinschrift  selbst  seine  Verdienste  und  Vorzüge  feiern : 

Qrison  fux  Hedard 

Qui  garrot  et  dart 

Passay  de  tn^tesse: 

En  servant  Vuyart 

Aux  champs  fux  criart, 

Vostant  de  trüte^se .  •  . 

J^allay  curieux 

En  chocs  furieux, 

Sans  craindre  estrapade: 

Mal  rabotex  lieux 

Passay  ä  clox  yeulx 

Sans  faire  chopade. 

La  visie  virade 

Pompante  pennade, 

Le  sault  sotihxlevant, 

La  rolde  ruadtj 

Prompte  petarrade 

Je  mis  en  avant .  .  .') 

Nur  ein  Beispiel  yollkommener  VermenscUichung  des 
Tieres,  nur  eine  Fabel,  findet  sich  bei  Marot,  la  fable  du  Hon 
et  du  rat.  Sie  steht  in  einer  Epistel,  durch  welche  er  seinen 
Freund  Lyon  auf  seine  Einkerkerung  aufmerksam  macht  und 
ihn  ersucht,  sich  für  seine  Befreiung  zu  verwenden;  sein 
Freund,  meint  er,  möge  an  ihm  handeln  wie  der  Löwe  an 
der  Maus ;  yielleicht  könne  er  es  ihm  einst  vergelten,  wie  die 
Maus  es  dem  Löwen  vergalt: 

je  te  veulx  dire  uns  helle  fahle: 
C*est  ä  s^avoir  du  lyon,  et  du  rat. 

»)  Vgl.  oben,  S.  86  u.  87. 
•   R.  II,  357. 
')  R.  II,  616  fil 


—   w   — 

Cestuy  lyon  phis  fort^  qy!un  vidi  verrat, 
Veit  une  foys,  que  h  rat  m  ^^avoit 
Sorür  äun  Heu,  pour  auUant  qu^il  avoit 
Meng6  le  (ard^),  et  la  chair  taute  crue: 
Mais  ce  lyon  (qui  jamais  ne  fut  grue) 
Trouva  moyen,  et  maniere,  ei  nwtiere 
D^onglea  et  dentx,  de  rompre  la  rotiere: 
Dont  maistre  rat  eschappe  vistemeni:    ' 
Puis  meü  d  terre  un  genouil  gentement^ 
Et  en  ostant  aon  bonnet  de  la  teste^ 
Ä  merde  mille  foys  la  grand^beste: 
Jurant  le  dieu  des  souris,  et  des  rat9^, 
Qu\l  luy  rendroit. 

Als  dana  später  der  Löwe  sieh  in  eisieai  Netee  ^gt^ 
Mit  die  Maus  schnell  herbei  und  spricht  zu  ihm: 

Tais  toy  lyon  lii, 
Par  moy  seras  maintenant  deslii:  .  .  . 
Lors  le  lyon  ses  deux  grans  yeulx  vestit, 
Et  vers  le  rat  les  iouma  un  peiit 
En  luy  disani,   0  povre  verminiere  ,  .  . 
Tu  n'as  sur  toy  instrument  ne  maniere  .  .  . 
Pour  me  jeder  de  ceste  etroide  voye : 
Va  te  codier j  que  le  chai  ne  te  voye, 
Syre  lyon  (dit  le  filz  de  souris)  .  .  . 
J'ay  des  cousteaux  assex,  ne  te  soucie, 
De  hei  os  blanc  plus  irenchans,  qu^une  sde  .  . , 
Lors  sire  rat  va  commencer  d  mordre 
Ce  gros  lien  .  .  . 

d  la  parfin  tout  rompt, 
Et  le  lyon  de  s*en  aller  fut  prompt, 
Disant  en  sog :  Nul  plaisir  (en  effed) 
Ne  se  perd  point  quelquc  pari  ou  soit  faid.*) 


^)  Marot  hatte  in  der  Fastenzeit  Speck  gegessen  und  war  deahalb  in 
Untersachnngshaft. 

«)  R.  I,  339  ff.  (G.  III,  76  ff.). 


—    90    — 


Siebenter  Teil. 

Animalisierung  des  Menschen. 

Beteuerung  oder  Wunsch  ein  Tier  werden  zu  wollen  oder 
zu  sein:  Je  puisse  devenir  singe,  st .  ,  .^)\  Taymerois  cadUmt 
estre  veau  Qui' va  droict  d  la  boucherie  Qu{e  d)^aüer  d  teile 
iuerie^);  Et  mieulx  vauldroit  tirer  d  la  charrue  Qu*avoir  tet 
peine^)\  Les  paovres  vouldroient  estre  ehiens  J^erUends  d  Vluvxt 
qvüon  repaist.^) 

Der  Liebesgott  wird  als  Vogel  behandelt.  Vom  Sperling 
der  jungen  Maupas  heißt  es:  Un  autre  oyseau  qui  n'a  phtmes 
qyiaux  aesleSj  Va  devore:  le  congnoissex  vous  pas?  (Test  et 
fascheux  Amour,^)  Amor  wird  kurzweg  mit:  „Schöner  Vogel 
deinen  Flügeln  nach!"  angesprochen :  Adone  Amour  hei  oyseau 
par  les  aesles  Apporte  proye  .  .  /)  Er  bebrütet  die  Herzen  der 
Mädchen:  Doncques  Amour ,  qui  couves  soubz  tes  aesles  Jour- 
nellement  les  cueurs  des  dafnoyseües.'^ 

G-ar  nicht  wundernehmen  kann  es,  wenn  Personen,  die 
einen  17amen  tragen,  der  in  erster  Linie  einem  Tiere  zukommt 
oder  auf  tierische  Tätigkeiten  hinweist,  sich  mit  tierischen 
Attributen  versehen  lassen  oder  sonstige  Anspielungen  hin- 
nehmen müssen.  Ich  yerweise  auf  das  Gedicht:  Si  le  frone 
'  coq  liberal  de  nature  N^est  empesche  avec  sa  gelinote  .  .  .*)  und 


»)  ß.  n,  233. 

«)  G.  UI,  449,  ^w''- 

»)  K  II,  6. 

^)  G.  III,  467  f.  —  £in  vom  König  mit  dem  Beinamen  grenouiUe 
ausgezeichnetes  Mädchen  sieht  darin  keine  Beleidigung;  sie  sagt:  J^aynkc 
mieulx  du  roy  estre  grenouiUe  Qu' estre  (en  effect)  (firn  autre  la  Se* 
raine  (R.  II,  35ö).  Der  Wunach,  fliegen  zu  können  wie  ein  Vogel, 
findet  sich  in:  Je  la  desire,  et  souhaite  voler  Pour  Valier  veoir  (R.  tt 
157);  Brief,  nous  vouldrions  qu'aussi  haut  voler  peusses  Que  le  ha^ 
tnont  d'Olympe  ou  Pamassus  (G.  III,  52,  »"•). 

»)  R.  II,  465. 

•)  R.  II,  469. 

')  R.  I,  247. 

*)  Vgl.  oben,  S.  57. 


—     91     — 

auf  die  Stelle:  Lyon,  qui  ries  pas  ray  des  bestes^  Car  Sagon 
Vest,  sitSj  hault  la  pate:  Que  du  premier  coup  on  VabhaU.  Sus 
GdUopirij  qu^on  le  gallope  .  .  .^) 

Nur  einmal  tritt  die  Seele  eines  verstorbenen  Menschen 
bei  Marot  unter  Tiergestalt  auf.  Der  Hofnarr  Viscontin  er- 
scheint nach  seinem  Tode  wieder  in  der  Kalanderlerche,  welche 
der  König  irgendwie  erworben  hatte  und  die  dem  Dichter 
den  Gedanken  eingab,  in  ihr  die  Wiederverkörperung  des 
großen  ,,Nachahmung8kün8tlers"  Viscontin  zu  sehen^  da  die 
Lerche  die  Stimmen  der  anderen  Vögel  nachzuahmen  verstehe : 

Incontinent  que  Viscontin  mourut, 

Son  ante  entra  au  oorps  d^une  calandre: 

Puis  de  plein  vol  vers  le  roy  s^eneourut: 

Encor  un  coup  son  service  reprendre: 

Et  pour  mieulx  faire  d  son  maistre  comprendre, 

Que  c'est  luy  mesme,  ei  quHl  est  revenu, 

Comme  on  Vouyt  parier  gros,  et  fnenu, 

Conirefaisant  d^hormnes  geste  ei  faconde^ 

Ores  qu^il  est  calandre  devenUj 

II  contrefaict  tous  les  oyseaulx  du  monder) 


1)  Vgl.  S.  53. 
■)  ß.  II,  362 


Alphabetisehes  Verzeichnis 

der  bei  Marot  vorkommendeii  Beseimiugeii  aus  der 

Tierwelt. 


Die  Zahlen  beziehen  ^ich   auf  die  Seiten.     Steht  vor  einer  Zahl  keine 
nähere  Bestimmang,  so  ist  die  Benennung  aus  der  Tierwelt  an  der  be- 
zeichneten Stelle  im  gewöhnlichen  Sinne  gebraucht. 


Äboi  23;  30  A.  4. 

agneau  (im  Vergleich :  mit  Beziehang 
auf  Marot)  38,  44 ;  (mit  Bezng  auf 
das  Mutterschaf  —  Trennnngs- 
schmerz)  49;  (Metapher  für  Jesus 
Christus)  68;  (in  der  Allegorie) 
76,  84. 

agnelet  (in  der  Allegorie)  81. 

aigle  (im  Vergleich:  Überlegenheit 
eines  Dichters)  51;  (Metapher  für 
einen  Dichter)  68 ;  (Jean  de  1' Aigle) 
68  A.  6 ;  (in  der  Allegorie  für  den 
Kaiser)  68  f. ;  (Feldzeichen)  69  A.  2. 

aiguülon  (=  Treibstachel,  mit  Be- 
zng auf  die  Liebe,  die  Ehre,  den 
Tod)  65  A.  4. 

aiguUlonner  (von  der  Abneigung)  65 
A.  4. 

alle  16;  39;  43;  (Metapher  für  Ge- 
schwindigkeit) 66;  68;  (in  Ver- 
bindung mit  voler  =  stehlen  u. 
fliegen)  71;  72;  90. 

alouette  (im  Gegensatz  zum  Adler 
bei  einem  Vergleich  zwischen  zwei 


Diditem)  51;   (ähnlich)   72;    (= 
kleine  Leute)  71. 

amble  (Geschlechtsverkehr)  33,  59 
A.  6. 

äne  (im  Vergleich:  mit  Besiehung 
auf  schlechte  Dichter)  44;  (im 
Vergleich:  Schwerfälligkeit)  46; 
(gesangsunkundig)  46 ;  (Dummkopf) 
52 f.;  (äne  de  Balaam)  52  A.  7; 
(6corcher  un  äne  mort  =  zweck- 
lose Arbeit)  64;  (sauter  du  coq 
ä  Päne  =  unzusammenhängende 
Reden  führen)  66. 

anesse  (in  der  Allegorie  für  die  rö- 
mische Kirche)  69. 

anguiUe  (im  Gegensatz  zur  Gans  — 
Unmöglichkeit  oder  Umwälzung) 
67. 

änier  (=  Dummkopf)  52  A.  8. 

animäl  (Dummkopf)  54  A.  5;  78; 
79;  82;  86. 

ar^on  13. 

aronde  (im  Vergleich  —  Beweglich- 
keit) 45f.;  78;  82. 


at-anddU  (un  Yergkietiz  mit  Besag 

auf  Mftrot)  44,  80. 
4upiö  (OrmuBBmkeit)  51 ;  (»  Bichter) 

56  A.  3;  72;  (=  Teufel)  84;  (^er- 

meBtchlioht)  87. 

Baboum  (Fdgheit)  öB  A.  2. 

hakme  (la  baieine  sera  tot  prise  s= 
der  Kriege  ^^  ^^^  beendigt  sein) 
67;  (Mythologie)  74  A.  1;  (in 
Verbindung  mit  c^lerin  in  der  Alle- 
gorie =  Friede  soll  herrachen)  85. 

basilie  (im  Vergleich:  mit  Besag  anf 
Christine)  41  A.  4;  (Kanone)  67 
A.  8;  72. 

bave  (Lästerreden)  67  A.  8. 

bec  (fdr  Mund)  58  A.  2. 

beeoBBe  28. 

beler  77;  78;  83. 

bektte  (Beweglichkeit)  46. 

berger  20  A.;  38;  44. 

berghx  24;  49;  61;  76  A.  3. 

bergerette  (=»  Christine)  76. 

bergerie  24. 

begÜaux  (rohsinnliche  Mensohen)  66. 

bitail  (in  der  Allegorie  för  Volk) 
79;  81  f. 

bete  (fnr  haquende)  7;  (betes  des 
champ8)21;26;31A.;(im  Gleichnis: 
mit  Bezug  auf  einen  Liebhaber, 
Heimweh)  36;  (Dummkopf)  42,  63 
(zweideutig),  63  f. ;  (für  den  Liebes- 
gott) 65  A.  6;  (für  die  römische 
Kirche)  66  A.  6;  56;  (faire  la 
bete)  68;  (zweideutig)  70,  71;  70; 
(Jagdtier)  74,  76;  (betes  de  proie, 
betes  de  pature)  78;  (vermensoh- 
licht)  88;  (für  den  Löwen)  89; 
(zweideutig)  91. 

biche  (im  Vergleich:  mit  Bezug  auf 
die  Weiber)  42;  (Beweglichkeit) 
46;  78. 

bcmf  (Fleisch)  26  A.  2;  (boeuf  dor- 
mant  —  Unwert)  47;  73;  76f.; 
82;  (in  der  Allegorie  für  Besitz- 
tum) 88;  86. 


bvMe^  12. 

brairie  23. 

bramer  42;  77. 

brebis  17;  24;  (im  Gleichnis:  mit 
Bezug  auf  Marot)  32;  (im  Gleich- 
nis vom  kranken  Schafe  mit  Be- 
zug auf  einen  klatsohstiehttgen 
Uenscheu)  33;  (Furcht)  48;  (Flueht 
aus  Furcht)  48 ;  (im  Vergleich :  mit 
Bezug  auf  die  Schälerinnen)  49; 
(peaux  de  brebis  :£=  Schafskleider) 
66;  (Metapher  für  Untergebene) 
66;  69;  73;  (die  Gläubigen)  76, 
76;  76 f.;  79;  (in  der  Allegorie 
für  Besitztum)  80,  83;  (in  der 
Allegorie  für  Kinder)  83;  86. 

bric  39;  80. 

bride  11 ;  (lächer  la  bride)  63;  (tour- 
ner bride)  64. 

brisecB  (Weg)  63  A.  6. 

brocket  (in  Verbindung  mit  mouton 

—  Unmöglichkeit  oder  Umwäl- 
zung) 67. 

broncher  9. 
brouter  79. 
buse  (Dummheit)  60. 
butor  82. 

Cage  33;  38;  60;  (Gefängnis)  66;  80. 
calandre  20;  (Bezeichnung  für  die 

Geliebte)  68;  (Wiederverkörperung 

eines  Hofnarren)  91. 
oanard  86. 
cantharide  (gegen  lüinnesschwäohe) 

26  A.  1. 
caquety  caqueter  (für  das  Sprechen) 

60f.;  81. 
carrüre  (donner  carri^re)  64  A.  1. 
cÜerin  (in  Verbindung  mit  baieine 

—  Aufhören  des  Streites)  86. 
cerf  (im  Vergleich:  mit  Bezug  auf 

die  Liebhaber)  42;  (Beweglichkeit) 
45;  (Sehnsucht)  61  A.  7;  (in  der 
Allegorie:  bei  der  Liebeqagd)  75; 
78. 


—    94    — 


chahot  (in  der  Allegorie:  für  den 
Admiral  Chabot)  71. 

chapon  31  A. 

chardonneret  81. 

charrue  (il  Taut  mieux  tirer  i  la 
Charme  que  .  .  .  =  es  ist  besser 
ein  Stück  Kind  zu  sein,  als  .  .  .) 
90. 

chasae,  chasser  23;  29;  29  A.  2; 
30  A.  3;  45;  (chasser  i  quelque 
bete  rousse  verglichen  mit  den 
Anstrengungen  des  Krieges)  50; 
54  A.  4 ;  (vertreiben)  55 ;  (Liebes- 
werben)  63,  74 f.;  (i  la  chasse  = 
macht,  daß  ihr  fortkommt)  64  A.  1. 

cJuit  (im  Vergleich:  mit  Bezug  auf 
das  weibliche  Organ)  43;  (Beweg- 
lichkeit) 46;  (on  ne  prend  point 
tels  Chats  sans  moufle  =  ohne 
Mühe  oder  ohne  Protektion  er- 
reicht man  nichts)  66;  89. 

chattemite  (von  der  Sorbonne)  55  f. 

chevalSS,;  11;  12;  13;  (chevaux  de 
bronze)  14  A.;  23;  (Pegasus)  23 
A.  2;  (le  cheval  de  Pacollet)  23 
A.  2,  30  A.  5;  24  A.  1;  (im  Gleich- 
nis:  mit  Bezug  auf  das  Weib) 
33 ;  (im  Vergleich :  mit  Bezug  auf 
das  weibliche  Organ)  43;  (cheval 
sans  seile  —  Unwert)  47;  (cheval 
hargneux  —  Reizbarkeit)  48;  (le 
cheval  d^ambition)  64;  (&  cheval 
e=  lassen  wir  das)  64  A.  1 ;  (cheval 
=  ein  anderer  Mann  als  der  Ge- 
liebte) 64  A.  3;  (dem  willigen 
Pferde  gibt  man  die  Sporen  nicht) 
70 ;  (Pferd  am  Leichenwagen)  85 ; 
(redendes  Pferd)  88. 

chevauclier  (doppelsinnig)  26  A. ;  (für 
den  Geschlechtsverkehr)  66,  58  f. 

cJievre  (Ziegeneuter,  Vergleich)  51 
^'  ^J  (gegen  die  graubärtigen 
Richter:  andere  Tiere  als  die 
Ziegen  tragen  graue  Barte)  70. 

chevreau  (als  Speise)  27;  77. 

chien  (das  Hündchen  (?)  Bure)   15; 


(als  Nenjahrsgeschenk)  19;  (als 
Mittel  zum  Zeitvertreib)  20  A., 
23,  29,  30;  27;  (im  Gleichnis  — 
Unterwerfung)  37;  (chiens  qoi 
aboient  =  Tugendwächter)  66; 
(in  der  Allegorie:  für  Marot)  71; 
(in  der  Allegorie:  für  den  Ge- 
fängnispförtuer,  w^^en  GerberoB) 
72 ;  86 ;  ( Wunsch  der  Armen,  Hunde 
zu  sein,  da  es  diesen  besser  er- 
geht) 90. 

chopper,  choppade  53;  88. 

ckouette  (gesangsunkundig)  40,  43 
A.  3;  (Stehlsucht)  51;  (doppel- 
sinnig: gegen  die  Finanzmänner) 
71. 

claie  (beim  Schafpferch)  81. 

cocu  (=  coucou.  Vgl.  S.  62,  A.  1.  — 
Hintergangener  Ehemann  oder 
Geliebter)  62;   (doppelsinnig)  69. 

colombe  (im  Gleichnis:  mit  Bezug 
auf  eine  unbescholtene  Frau)  34; 
(couleur  de  colombe  =5  weiße 
Farbe)  67. 

colombeüe  (=  schönes  Weib)  57; 
(Mythologie ,  Venuswagen)  74 
A.  1;  81. 

connil  (als  Speise)  26  A.  2;  (in  der 
Allegorie :  bei  der  Liebesjagd)  75. 

coq  (im  Vergleich:  der  Hahn  als 
Verkündiger  des  Tages  wird  mit 
einem  Genesung  versprechenden 
Arzt,  namens  le  Coq,  in  Beziehung 
gesetzt)  40;  (derselbe  Arzt  wird 
als  coq  hingestellt  im  Gegensatze 
zu  seiner  Frau,  die  gelinotte  ge- 
nannt wird)  57,  90;  (sauter  du 
coq  ä  räne)  66. 

coquardj  coquardeau  (Dummkopf)  54. 

cor  (&  cri  et  cor)  63  A.  6. 

corbeau  (Galgenvogel)  21;  (im  Gleich- 
nis: mit  Bezug  auf  eine  Frau 
von  schlechtem  Rufe)  34;  (im  Ver- 
gleich —  Mönchskleidung)  45; 
(gesangsunkundig)  46 f.;  (zurück- 
gezogen) 50  A.  1 ;  (UnglücksYOgel) 


—    95     — 


79,  85;  (in  der  Allegorie  —  die 
Jaden)  84. 

c&rdelle  (ein  Herz  an  der  Leine 
fähren)  62  A.  9. 

come  (porter  la  corne)  62;  (dresser 
les  cornes  =  alle  Kraft  zusammen- 
nehmen) 66. 

comeüle  (Betenening:  Eher  werden 
die  Krähen  weiß)  22  A.  5;  (an- 
gesunde  Speise)  2ö  A.  2;  (Un- 
glücksbote)  78. 

comu  (=  betrogen  in  der  Liebe)  62. 

cors  42. 

couleuvre  (die  Natter  verbirgt  sich 
bei  heachlerischen  Frauen  anter 
lieblichen  ßlamen)  67;  72. 

coulon  (=  Tauber,  verächtlich  für 
den  Mann)  57;  78;  (in  der  Alle- 
gorie —  hl.  Geist)  84. 

coursier  13 ;  (se  frotler  auz  coursiers 
=  mit  vornehmen  Leuten  ver- 
kehren) 64. 

courtaud  10  f. ;  (Metapher  für  „Mann" 
in  der  Beschreibung  des  Krieges 
mit  den  Weibern,  d.  h.  Geschlechts- 
verkehr) 64. 

couver  (der  Liebesgott  bebrütet  die 
Mädchenherzen)  90. 

cauvrir  (für  den  Geschlechtsverkehr) 


dijuc  (=  Morgen)  69  A.  8. 

dSvorer  (vom  Menschen  gesagt)  61 
A.   5;    (ähnlich   vom    Liebesgott, 
'     der  jedoch  als  Vogel  dargestellt 
;     wird)  90. 
.  dragon  72. 

!  £crevi88e  (Grfolglosigkeit)  51. 
'  icureuil  15. 

elephant  22;   (Schwerfälligkeit)  46; 
I     (Dummkopf,  auf  dem  Wege  über 
1     la  plus  grosse  bete)  71. 
I  emeriUon  (Lästigkeit)  50. 

imeutir  (=  seine  Notdurft  ver- 
richten) 17,  61. 

enipetrer  (vom  Menschen  gesagt)  60. 

enrager  (=  reif  zur  Liebe  werden)  61. 

envoler  {von  den  Gedanken)  51  A.7, 60. 

eperan' 13;  70. 

escargot  (geschlechtliches  B^zmittel) 
25. 

escoufle  82. 

etahU  12;  48. 
I  etalon  (verächtlich  für  Mann)  57. 

etounieau  82. 

etrüle,  etriller  (e  tri  Her  Fauveau  = 
sich  zu  niedrigen  Handlungen 
hergeben)  64  A.  1. 


Faisandeau  (als  Speise)  26  A.  2. 

faucoHj  fauconneau  (weibliches  Or- 
gan) 57  A.  2;  (in  der  Allegorie: 
bei  der  Liebesjagd)  75. 

femeUe  (verächtlich  für  Weib)  56. 


crete  (triple  crete  =  Tiara)  55  A.  6. 

crin  12. 

crocodile  72. 

cygne    (Beteuerung:    Eher    werden 

die  Schwäne  schwarz)   22  A.  5 ;  j ' 

(gesangskundig)  40;  (im  Vergleich   fouine  81. 

—    Mönchskleidang)    45;    (weiße   /'''«i'*   ^2;   (refrener   le   frein  de  la 

Farbe)  51;  (faire  cygnes  les  oies) ,      bouche  =  der  Rede  Einhalt  tun) 

66;  78;  86. 


Dauphin  (im  Gleichnis:  mit  Bezug 
auf  die  Frauen  der  Wsssergötter) 
36;  (in  der  Allegorie:  für  die 
Kinder  des  Königs)  71,  78,  85. 

dibäter  (äne  debäte)  46. 

difnonte  (ohne  Pferd)  10. 


63. 


Galoper  (=  galoppieren  lassen,  vom 
Menschen  gesagt  in  Anlehnung  an 
den  Eigennamen  Galopin)  53,  91. 

gazouiUer  (=  sprechen)  60. 

geai  20;  80. 
^  geline  (im  Vergleich  zusammen  mit 


—     96    — 


poussin :  von  einer  Frau  und  ihren 
Untergebenen)  4B. 

gehnatte  (för  Weib^  weil  der  Kann 
Leeoq  heißt)  57,  90. 

genet  13  A.  3. 

gibier  (in  der  Liebesjagd)  63. 

gigoteau  (joaer  des  gigoteaux,  doppel- 
sinnig, Tom  Menschen  gosagt)  66 
A.  2. 

Sfite  45;  81. 

glu  (avoir  de  la  gla  dans  les  mains) 

63  A.  6j  80. 

grains  (=  Eömerfutter,  für  Geld) 

64  A.  3. 

grenouüle  29  A.  1;  (im  Vergleich: 
mit  Bezug  auf  einen  schlechten 
Dichter,  namens  Grenouille)  44; 
(in  der  Allegorie :  für  ein  Mädchen, 
welches  diesen  Beinamen  erhalten 
hat)  71;  (Wunsch,  lieber  des 
Königs  Frosch  als  eines  anderen 
Sirene  zu  sein)  90. 

gringotter  (=  sprechen)  60. 
grogner  (=  murren)  60  A.  14. 
groin  63  A  6;  (=  Mund)  58  A.  2. 
grue  29  A.  2;  (dumm)  54,  89. 
gueule  48;  (Mund)  58  A.  2. 

Happer  (yom  Tode  und  den  Mönchen 
gesagt)  61  A.  8;  (vom  Jager  ge- 
sagt) 75. 

haqumSe  6 f.;  10;  (vieille  haquenSe, 
Müdigkeit)  49. 

harenghre  (im  Vergleich :  fiir  Schand- 
maul) 44  A.  4. 

hennir  85. 

hMsson  (im  Vergleich:  Krieg  und 
Zungendrescher  stechen  wie  ein 
Igel)  50  A.  1;  81. 

hermine  27  A.  5;  81. 

h6r(m  82. 

hirownier  (=»  mager)  67. 

houlette  20  A.;  24. 

housae  14. 

hucher  (=  melden)  61. 


japper  19. 

jars  31  A.;  48. 

jueher  (für  den  G^eeckleobtarerkebr 

17,  59;  (sitzen  oder  selzen)  89. 
jtmmi  11;  18;  (dmnm)  54;  86. 

Lacs  (in  Verbindung  mit  verschie- 
denen Verben  =  festgehalten  oder 
ergriffen  werden)  63. 

laine  (laisseT  de  sa  lune)  64;  (Kleid 
der  unter  dem  Bilde  Ton  Schafen 
dargestellten  Glttabigen)  66,  78. 

laisse  (mener  en  laisse)  64. 

lamproie  (Speise)  17. 

leurre  (Schmeiohelreden  de«  Lieb- 
habers) 62. 

kvraut  28. 

ISwierj  Uvri^e  (Windhunde  aller 
Größen  —  sehleohte  Arbeiter  in 
jedem  Handwerk)  42  A.;  46;  (in 
der  Allegorie :  bei  der  Liebeejagdj 
75. 

Utard  72. 

Kce  (widerlich)  55  A.  2;  (in  der 
Allegorie  »  maMce  da  monde)  73. 

Ikol  23  A.  2;  (Strick  zam  Auf- 
hängen) 61  A.  8. 

likvre  (Bewegliehkeit)  45;  (in  der 
Allegorie:  bei  der  Liebeejagd)  75. 

ligne  (Angelschnur,  avec  une  peilte 
ligne  =3  in  kurzer  Zeit)  67. 

limagon  (faire  le  limagon)  68. 

linotf  linotte  (gesangskundig)  47; 
(eingesperrt)  50  A.  1;  74;  81. 

Hon  22;  (großmütig)  37;  (gransam) 
51  A.  5;  54;  (courage  de  lion)  67; 
(faire  le  lion,  es  maehen  wie  der 
Löwe  der  Fabel)  68  A.  3;  (in  der 
Allegorie:  für  die  Stadt  Ljon) 
70 f.;  (in  der  Allegorie:  feindUche 
Menschen)  88;  (Fabel  du  lion  et 
du  rat)  88 f. ;  (Animaüiierung  «nes 
Mensehen  in  Anlehnung  an  seinen 
Namen  Lyon)  91. 

loupf  louve,  louveteam  (im  Vergleieh: 
mit  Bezug  auf  den  Teufel)  38;  48; 


97     — 


(Heizbarkeit)  48;  (Gefährlichkeit) 
49;  (anra«uDkeit)51;  (gieriflr)66; 
(Geeohwiir)  67  A.  8;  (in  der  Alle- 
gorie =s  Schlechtigkeit  der  Welt) 
73;  (Irrlehrer)  75;  78;  (Landee- 
feind)  79;  .80;  (in  der  Allegorie 
SS  feindlich  gesinnte  Menschen) 
88;  86;  (Vermemchlichong  dorch 
die  diesen  Tier«n  beigelegte  Fähig- 
keit, den  Menschen  «a  Tersteheo) 
87, 
loupiiervier  (in  der  Allegorie = feind- 
lich gesinnte  Menschen)  83. 

Magot  (Mönche)  66  A.  a 

nuilart  30. 

marmot,  marmotte  28;  53;  (häßliche 

Person)  56. 
mäHn,'mätine  28  A.  5;  (eine  Sprache 

entstellen  —  Pßcorcher  comme  un 

mätin)  49;  (widerliche  Personen) 

55;  77. 
ffiafitns  30. 
merk  30. 
mSsange  30. 
fnesBoger  de  Vinus  (Taabe),  messager 

dn  grand  dieu  d'amourettes  5  A.  1. 
miloti  29  A.  2;  50. 
mite  27  A.  4. 
monter  (beritten   machen)   10,   12; 

(far  den  Geschlechtsverkehr)  59. 
wumiure  12;  (yerachtlich  für  Weib) 

57. 
mordre  (von  Tieren)  19,  21  A.  4, 

36,  41,  48,   69;   (von  Mensehen) 

«1  A.  8. 
mors  12. 
mormire   de    cheval    (Verkehr   mit 

einem    anderen   Manne   als   dem 

GeUebten)  64  A.  3. 
mouche  (&  miel)  31  A.,  81;  (schlaue 

Person)  55. 
mauhn    (als     Speise)     26    A.    2; 

(Sanftmut)  47;    (betrogener   Ge- 

Uebter)  62;  (Metapher  für  „Mann'' 

in  der  Beschreibung  des  Krieges 
Münchener  Beiträge  z.  romanischen  u. 


mit  den  Weibern,  d.  i.  Geschlechts- 
verkehr) 64;  (in  Verbindung  mit 
brechet  —  Unmöglichkeit  oder 
Umwälzung)  67;  75  A.  3;  (in  der 
Allegorie:  für  Besitztum  im  all- 
gemeinen) 82. 

mufle  (Mund)  68. 

mu2e  10;  11;  14;  15;  15A.  1;26A.; 
(verächtlich  für  Weib)  56  f. ;  (mules 
de  bois  =  Gondeln)  57  A.  1. 

muUi  10;  14. 

muieau  (Mund)  58  A.  2. 

Oie  28  A.  4;  31  A.;  48;  {hvce  cygnes 
les  oies)  66;  (in  Verbindung  mit 
anguiUe  —  Unmöglichkeit  oder 
Umwälzung)  67. 

oiseau  {=  Liebesgott)  16;  20;  20  A. ; 
21 ;  (oiseaux  des  rividres  als  Speise) 
56  A.  2;  30  A.  3  n.  4;  (im 
Gleichnis :  Vogel  im  Käfig  —  ver- 
heiratete Frau)  33;  (im  Vergleich : 
der  vom  Vogelfänger  gefangene 
Vogel  —  der  vom  Richter  ver- 
urteilte Angeklagte)  39;  (im  Ver- 
gleich: zahmer  Vogel  —  Unter- 
haltung mit  Mädchen)  39;  (= 
Liebesgott)  39;  (Grausamkeit,  tels 
gentils  oiseaux)  51 ;  (im  Vergleich: 
mit  Bezug  auf  die  Frauen)  57 
A.  2;  (in  der  Allegorie  a  Leiden- 
schaften) 74 ;  77 ;  79 ;  80 ;  82 ;  86 ;  91 . 

oiselet  21;  SO;  (Gleichnis  zwischen 
Vogel  und  Dichter)  34 ;  (Vergleich 
zwischen  dem  Vogel  im  Käfig  und 
einer  verheirateten  Frau)  38 ;  (voiz 
d'oiselet,  Vergänglichkeit)  51;  73; 
(in  der  Allegorie  =  Leidenschaft) 
75;  (in  der  Allegorie  =  Menschen) 
84;  (mit  menschlichen  Gefühlen 
begabt)  87. 

oiseleur  (Vergleich  zwischen  einem 
Vogelfänger  und  einem  tyranni- 
schen Gemahl)  38;  (Vergleich 
zwischen   dem    Vogelfilnger   und 

engl.  Philologie.    XXXVI.     7 


dem  Untersuchungsrichter)  39;  (in 
der  Allegorie  =  Tenfel)  84. 

oison  (gesangsankundig)  40; 
(Schwäche)  50. 

creiüe  (Eselsohr,  ceoz  qai  ont  les 
plus  grandes  oreiUes  =  die  Dümm- 
sten) 66  A.  3. 

ouaiUe  82. 

0W8  (in  der  Allegorie  =  feindlich 
gesinnte  M.enschen)  83. 

Fattre  (von  den  Würmern)  22  A.  1 ; 

32 ;  53;  (vom  Menschen)  61 ;  77 ;  78. 
Fan  (als  Hirtengott)  73;  (=  Gott) 

77;  (=  König)  80flF. 
papegai  (=  perroquet)  79. 
paptüon  (in  der.  Allegorie  :=  der 

Dichter  Papillon)  72. 
parc  (Schafpfercb)32;  44;  (Hofstaat) 

65;  (in  der  Allegorie  =  Familie) 

76;   (in  der  Allegorie  =  Eeich) 

79;  80. 
parquet  (Schafpferoh)  82. 
passe  20;  30. 
passereau  16;  30. 
pasteur  (=  Gott)  19;  32;  (==  Gott) 

66;  76  A.  3;  (=  Seelenhirt)  76; 

(=  König)  78;  (==  Gott)  84. 
pastoureau2A;  78;  (in  der  Allegorie 

=*  Familienvater)  76;  80. 
pastourelle  (in  der  Allegorie  ==  Frau 

des  Hauses)  76. 
paus  (=  Reich)  61  A.  4 ;  (=  Heimat, 

in  der  Allegorie)  76;  82;  (=  Be- 
sitztum, in  der  Allegorie)  83. 
patie  37;  (doppelsinnig)  53,  91;  (= 

Hand)  58  A.  2. 
päturage  81  f. 
päiure  19;  21;  (von  den  Würmern) 

22  A.  2;  (LiebesgenuD)  59  A.  6; 

(vom    Menschen)   61;    (betes    de 

päture  im  Gegensatz  zu  betes  de 

proie)  78;  81. 
paturer  (vom  Dichter  selbst)  32. 
pele  (von  Menschen)  61  A.  8. 


päicah  (»  Gott)  84  f. 

pmmde  (Hufschlag)  88. 

pipie  (avoir  la  p6pie  im  Sinne  von: 
nicht  viel  brauchen)  66. 

perdreau  (als  Speise)  26  A.  2. 

perdrix  (als  Speise>17,  26  A.  2,  28; 
ßm  Vergleieh  zusammen  mit  ton- 
neile: mit  Bezog  «nf  eine  Frau, 
die  man  isolieren  will)  43. 

perroquet  15. 

pitarade  88. 

phSnix  (im  Vergleich:  mit  Bezug 
auf  eine  Frau,  die  sich  von  ihrem 
Manne  ganz  einzig  gequält  glaubt) 
41,  68  A.  5. 

Fhilomek  (Plulomdne)  78. 

picotin  (ein  Quantum  Pferdefutter, 
vom  Liebesgenuß  gesagt)  59  A.  6. 

pie  (Mönchskleider,  im  Vergleiche) 
45;  50;  (Schreien  und  Schimpfen) 
50;  (Unterricht)  51;  80;  81. 

pigeon  (=  Gimpel)  57. 

pinson  30;  81. 

pipie  39;  (=  Betrug)  63  A.  6. 

piquer  (=  die  Sporen  geben)  11, 12; 
(von  Schlangen)  73. 

pivert30\  (gesangsunkundig)  34;  82. 

plumage  46;  80. 

plume  16;  48;  84;  85;  90. 

plumer  38. 

poisson  (als  Speiae)  25  A.  2;  89 
A.  1;  (in  der  Allegorie:  für  Per- 
sonen mit  Eigennamen,  die  den 
Namen  von  Fischen  gleich  sind) 
71;  (in"  der  Allegorie  =  Volk) 
85;  86f. 

porc  17. 

porchere  16  A.  1. 

pou  28  A.  4.  . 

pouU  (faire  la  poole)  68;  86. 

pourceau  17. 

pourchasser  (von  der  Liebesja^d)  75. 

poussin  (im  Vergleich  zuaammen 
mit  geline:  von  den  Untei^6benen 
einer  Frau)  43. 


—    99     — 


Quite  (von  der  Jagd)  30  A. ;  (Liebes- 
jagd) 06. 
qtteue  23  A.  2;  (Tom  Mensohen  in 
-    Anlehnung  an  einen  Spielaiudrnck ) 
68  A.  2. 

.Bö^e  (Ldebesreife)  6L 

ra$imite  42. 

rane  (yeox  de  rane)  67. 

rat  (s  niedrig  stehender  Mensch) 
64;  (etre  le  rat  de  la  fable)  68 
A.  3;  (fable  du  Hon  et  du  rat)  88 f. 

ratüre.9». 

rielamer  (in  Anlehnung  an  den 
Falknereiansdruck  von  der  Ge- 
liebten gesagt)  62. 

renard  43  A.  3;  (falsche  Prediger) 
55  A.  4. 

regimber  (doppelsinnig)  53. 

rene  (lächer  la  rene)  63;  (mettre  la 
rene)  64. 

repattre  (von  der  Nahrungseinnahme 
überhaupt)  61;  90. 

reis  29. 

ronger  28  A.  4. 

rossignol  5  A.  1;  20  A.  2;  (gesangs- 
kundig) 34,  40,  46;  74;  (mit 
menschlichen  Gefühlen  begabt)  87. 

rossignoki  (gesangskundig)  46. 

ruade  11;  80. 

rut  42. 

Sagouin  28;  53  A.  6. 

salainandre  (=  Franz  I.  wegen  des 

Wappenbildes)  68. 
sanwnnet  (Unterricht)  51. 
Bcorpion  (im  Vergleich:  mit  Bezug 

auf  feindlich  gesinnte  Untergebene) 

43;  72. 
seUe  9;  47. 
serin  20;  74;  81. 
serpent  (im   Gleichnis:   mit    Bezug 

auf  den  sich  vor  Gott  unwürdig 

fühlenden   Dichter)    35;    (eherne 

Schlange    und    Kreuzesbild)    41; 

(in  der  Allegorie  ===  Fjoae8se).72  f. ; 


(=  Teufel)  84;  (mit  menschlichen 

Eigenschaften  begabt)  87. 
serpente  (=^  Teufel)  84  . 
Serpentin    (fureur    Serpentine)    67; 

(langues  serpentines)  67. 
singe  (Beteuei^ng,  ein  Affe  werden 

zu  wollen)  90. 
somme  (Last)  jß4  A.  2. 
sotim  28  A.  3;  89. 
sublet  (Lockpfeife)  39. 

Tanihre  86. 

taupe  86. 

tawreau  22;  24;  (mufle  d'un  taoreau 
für  Mund)  68;  73;  79;  (in  der 
Allegorie:  für  Besitztum  im  all- 
gemeinen) 80. 

teter  (im  Vergleich:  faire  teter  un 
agneau  und  „ein  Kind  unter- 
richten*') 44. 

Hgre  (grausam)  52  A.  4 ;  (mit  mensch- 
lichen Eigenschaften  begabt)  87. 

toiUs  29. 

tois<m  (=  Kleid,  wenn  der  Gläubige 
brebis  genannt  wird)  65;  84. 

tonneile  (Tonnennetz)  29  A.  2;  43 

tourterdle  78. 

trot,  trotter  9;  11;  33;  43;  70. 

troupeau  19;  33;  (Gläubige)  55  A.  4; 
(Hofstaat)  65;  (eine  Versammlung 
Verstreut  sich  ä  grands  tronpeaux) 
65  A.  4;  (Gläubige)  75,  76;  77; 
(=  Volk)  78;  81;  (=  Volk)  82; 
(=  Kinder  des  Dichters)  83. 

truite  78. 

Vache  (pays  de  vache)  16  A.  1;  73. 

vachere  16  A.  1. 

veau  {=  Dummkopf)  51  ff. ;  64  A.  1 ; 
(Page  d'un  veau  =  kurze  Zeit)  65 ; 
(doppelsinnig)  69 f.;  81;  (Wunsch, 
lieber  ein  Kalb  vor  der  Schlacht- 
bank zu  sein,  als  in  den  Krieg 
zu  ziehen)  90. 

veneur  45. 

ver  22  A.  1,  3  u.  4;  (im  Gleichnis: 
1* 


—     100    — 


der  Wurm  wehrt  sich,  also  darf 

sich  aaeh  Harot  wehren)  86;  86. 
vermine  21  A.  4;  22  ▲.  2. 
verminiire    (noscheiDbarea   Wesea) 

56,  89. 
vemU  (St&rke)  60,  89;  (wütea)  60 

A.  2. 
vipbre  (Herbheit)  60. 
fnpereau  72. 
vol  (=  Fliegenlasaen  des  JagdTOgfelt) 

29  A  2,  30  A.;  39;  45;  (Flog  der 

Feder  des  Dichters)  69;  68;  78; 

82;  91. 
«otfe6. 


iwfer  16;  (fliegen  lassen)  23;  85  A.  8; 
(fliegen  lassen)  29;  44;  (Tom 
Henen)  45;  (Toler  k  {de  o«  k 
milan  Tei^gtiehen  mit  den  An- 
strengungen des  Kriege«)  60;  (vom 
Dichter)  51;  (for  schnelle  Be- 
wegung, Bewegung 'in  die  Hohe, 

'  weithin)  69 f.;  69;  (doppelniiug) 
71;  72;.%;  79;  80;  92;  86; 
(Wnnseh,  fliegen  n  können)  90 
A.  L 

votuotei  (Bewegüohkeit)  46. 

vulpin  (fraudes  Tulpines)  07. 


tippen  *  Co.  (G.  MtE'solie  Bachdr.),  Nammbai«  a.  8. 


MÜNCHENER  BEITBÄGE 


ZUB 


ROMANISmuHDENGUSUNMOLOKIE. 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


H.  BREYMANN  und  J.  SCHICK. 


xxxvn. 

DIE  FABEL  VON  ATREÜS  UND  THYESTES 

IN  DEN  WICHTIGSTEN  TRAGÖDIEN  DER  ENGLISCHEN, 

FRANZÖSISCHEN  UND  ITALIENISCHEN  LITERATUR. 


-<«>- 


LEIPZIG. 

A.  DEICHERT'SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG  NACHF. 

(GEORG  BÖHME). 

1907. 


DIE 


FABEL  VON  ATREUS  UND  THYESTES 


IN  DEN 


WICHTIGSTEN  TRAGÖDIEN  DER  ENGUSCHEN,  FRANZÖSISCHEN 
UND  ITALIENISCHEN  LITERATUR 


VON 


De.  FRANZ  JAKOB. 


-<«3- 


LEIPZIG. 

A.  DEICHERT'SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG  NACHF. 

(GEORG  BÖHME). 

1907. 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


Dem  K.  Universitätsprofessor 

Herrn  Dr.  Hermann  Breymann 

in  Dankbarkeit  und  Verehrung 

gewidmet 

vom  Verfasser. 


Vorwort. 


Die  Anregung  zu  vorliegender  Abhandlung  verdanke  ich 
meinem  hochverehrten  Lehrer,  Herrn  Professor  Dr.  Her- 
mannBreymann,  der  mich  auch  während  der  Ausarbeitung 
meines  Themas  des  öfteren  mit  Bat  und  Tat  unter- 
stützte. Für  alle  seine  freundlichen  Bemühungen  spreche  ich 
ihm  an  dieser  Stelle  meinen  aufrichtigen  Dank  aus.  Auch 
Herrn  Professor  Dr.  Schick  bin  ich  für  seine  so  liebens- 
würdig gewährte  Unterstützung  bei  der  Korrektur  dieser 
Arbeit  zu  herzlichem  Danke  verpflichtet. 

Desgleichen  ist  es  mir  eine  angenehme  Pflicht,  den  Herren 
Beamten  der  Münchener  Staats-  und  Universitätsbibliothek, 
der  Berliner  kgl.  Bibliothek,  der  Leidener  Universitätsbibliothek, 
sowie  den  Herren  Bibliothekaren  des  britischen  Museums  und 
der  Pariser  und  Madrider  Nationalbibliothek  für  ihr  wohl- 
wollendes Entgegenkommen  verbindlichst  zu  danken. 

Der  Verfasser. 


Inhalt. 


Seite 

Benützte  Literatur XI 

EiDleitung. 

I.  Moderne  Atreus-  und  Thyestesdramen 1 

IT.  Die  Übersetzungen  des  Thyestes  Seneca's. 

A.  In  den  romanischen  Literaturen 12 

B.  In  den  germanischen  Literaturen 17 

in.  Inhaltsangabe  des  Thyestes  Seneca^s 20 

IV.  Inhaltsangabe  der  88.  Fabel  Hygin's 24 


Nachahmungen  und  Bearbeitungen. 

A.  Gesamtäbersicht  der  Atreus-  und  Thyestestragödien  in  den 
romanischen  und  germanischen  Literaturen 25 

B.  Englische  Literatur:  Growne:  Thyestes  (1681) 27 

C.  Komanische  Literaturen. 

1.  Monleon:  Le  Thyeste  (1633) 61 

2.  Crebillon;  Atree  et  Thyeste  (1707) 62 

3.  Seguineau  und  Pralard:  .£gyste  (1721) 95 

4.  Pellegrin:  P61op§e  (1733) 100 

5.  Anonymus:  Atree,  tragedie  lyrique  (zw.  1733  n.  1758)    .  119 

6.  Voltaire:  Les.Pelopides  (1772) 122 

7.  Foscolo:  Tieste  (1797) 136 

Ergebnisse  in  Form  einer  Tabelle 146 

Anhaog. 

1.  Die  88.  Fabel  Hygin's 147 

2.  Der  .Egyste  Ton  Seguineau  und  Pralard 148 

3.  Pellegrin's  Pelopee  (Preface) 151 


Benützte  Literatur. 


Adams,   W.   DaTenport:    A  Dictionary   of  the  Drama. 

London.  1904.    8^ 
D'Alembert,   J.:    (Euvres    philosophiques,    historiques    et 

littfiraires.    Paris.  An  13  (1805).    18  Bde.    8^ 
AlIacci,Lione:  Drammaturgia accresciata  e  oontinuata  fino 

aU'anno  1755.     Venezia.  1755.     4^ 
Amador  de  los  Bios,  Jose:   Historia  critica  de  la  Ute« 

ratura  espaüola.    Madrid  1861—65.     7  Bde.    8^. 
Aneedotes  dramatiques.    Paris.  1775.    3  Bde.    8^ 
Annales  dramatiques  ou  Dictionnaire  gen^ral  des  Th^&tres. 

Paris.  1808—12.    9  Bde.    80. 
Annales  po^tiques  ou  Almanach  des  Muses.    Paris.  1778—81. 

18  Bde.    120. 
Atr^Oy  trag6die  lyrique.    Handschrift  der  Pariser  Biblioth^que 

nationale  mit  der  Signatur:  fr.  24,  352. 
Baker,  B^ed   and  Jones:    Biograpbia  Dramatica.     London. 

1812.     3  Bde.    8^ 
Barrera  y  Leirado:  Catfilogo  bibliogr&fico  y  biogräfico 

del  Teatro  antiguo  espaüolo.     Madrid.  1860.    4^. 
Beauchamps,    P.-Fr. :    Recherches    sur   les   Th^ätres    de 

France.     Paris.  1735.    4^ 
Bengesco,    6.:    Bibliographie    des   CEuvres  de    Voltaire. 

Paris.  1882—90.    4  Bde.     8^ 
BernhardyyG.:  Grundriß  der  griechischen  Litteratur.  Halle. 

1861—72.     2  Teile  in  3  Bänden.    8^ 


—    XII    — 

BetZy   Louis  P. :    La  Litterature   compar6e.     Strasbourg. 

2.  Aufl.  1904.     8^ 
Biographisch  Woordenboek  der  Nederlanden.   Haarlem.  1874, 

21  Bde.    8«. 
Birch-Hirschfeld,  A. :   Geschichte   der  franz,  Litteratur 

seit  Anfang  d.  16.  Jahrh.     Stuttgart.  1889.    8^ 
Böhm,   K. :  Beiträge  zur  Kenntnis  des  Einflusses  Seneca's. 

[Münchener  Beitr.    Nr.   XXIV.]     Erlangen  u.  Leipzig. 

1902.  8^ 

Brisset,  Roland:   Le  premier  livre  du  theätre  tragique 

de ,  gentilhomme  tourangeau.    Tours.  1590.     4®. 

Cafiete,   M.:    Teatro   Espafiol   del   Siglo   XVL     Estudios 

Histörico-Literarios.     Madrid.  1886.     8®. 
Catalogus  van  de  Bibliothek   der  Maatschappij   van  Neder- 

landsche  Letterkunde  te  Leiden.     Leiden.  1847.     2  Teile 

u.  Indexband.     8^ 
Chambers,  R.:   Cyclopaedia  of  English  Literature,     (New 

Edition  by  D.  Patrick.)    London  u.  Edinburgh.  1901— 

1903.  3  Bde.     8^ 

Christ,  W. :   Geschichte  der  griechischen  Literatur  bis  auf 

die  Zeit  Justinians.    4.  rev.  Aufl.    München.  1905.    8^ 
Cloetta,  W. :  Beiträge  zur  Litteraturgeschichte  des  Mittel- 
alters u.  der  Renaissance.    Halle.  1890—92.    2  Bde.  8^ 
Cr6billon:    Chefs-d'CEuvre ,    in:    Petite   Bibliothöque    des 

Theätres.     Paris.  1789.     8^ 
Greiz enach,  W. :  Geschichte  des  neueren  Dramas.    Halle. 

1893  ff.     3  Bde.  u.  Indexb.     S"". 
Crowne,  John:  Thyestes,    London.  1681.    4®. 
:  The  Dramatic  Works  of  J.  Crowne,  in :  The  Dramatists 

of  the  English  Restoration  by  J.  Maidment  and  W.  H.  Logan. 

London.  1872  ff.    8®.     (Vol.  II  enthält  den  Thyestes  und 

erschien  1874.) 
Cunliffe,  J.  W.:  The  Influence  of  Seneca  on  Elizabethan 

Tragedy.     London.  1893.     4^ 
Delandine,   A.  F.:   Bibliographie   dramatique.     Paris  et 

Lyon.  1818.     S«. 
Dutrait,   M. :   Etüde  sur  la  yie  et  le  th^ätre  de  Cr6biIloD. 

Bordeaux.  1895.     8®. 


-  xin  — 

Ebert,  A. :  EDtwickluDgs-Geschichte  der  französischen  Tra- 
gödie Yornehmlich  im  XVI.  Jahrb.     Gotha.  1856.    8^. 

Ebner,  J.:  Beitrag  zu  einer  Geschichte  der  dramatischen 
Einheiten  in  Italien.  [Münchener  ßeitr.  Nr.  XV.]  Er- 
langen u.  Leipzig.  1898.    8^ 

Fernbach,  L.:  Der  Theaterfreund.     Berlin.  1860.    8^ 

Finzi,  G.  e  Valmaggi,  L.:  Tavole  Storico-Bibliografiche 
della  letteratura  italiana.    Torino.  1889.    4^. 

Fischer,  R. :  Zur  Kunstentwicklung  der  englischen  Tragödie. 
Straßburg.  1893.     8». 

Foscolo,  ügo:  Tieste,  in:  Teatro  Modemo  Applaudito. 
Tom.  X.     Venezia.  1797.    8«. 

Freron,  E.-0. :  L'Annee  litteraire.  Amsterdam  u.  Paris. 
1754—1790.    303  Bde.     8^ 

Genest,  J. :  Some  Account  of  the  English  Stage  from  the 
Kestoration  in  1660  to  1830.     ßath.  1832.     10  Bde.    8«. 

Girardin,  Saint-Marc:  Cours  de  littfirature  dramatique. 
Paris.  1852.    4  Bde.    8«. 

Goujet,  Cl.-P. :  Bibliothöque  frangaise  ou  Histoire  de  la 
Litterature  frangsise.  La  Haye  et  Paris.  1740 — 1756. 
18  Bde.    8«. 

Halliwell,  J.  0.:  A  Dictionary  of  Old  English  Plays. 
London.  1860.    8^ 

Hazlitt,  W.  C. :  A  Manuel  for  the  CoUector  and  Amateur, 
of  Old  English  Plays.    London.  1892.    4^ 

Hennebert,  Fr.:  Histoire  des  traductions  fran^aises d'auteurs 
grecs  et  latins,  pendant  les  XVI®  et  XVII®  siöcles.  In : 
Annales  des  universit^s  de  Belgique.  Ann6es  1858  et 
1859.     2«  Serie.    Tome  1«^    Bruxelles.  1861.    4^ 

Histoire  universelle  des  ThSätres  de  toutes  les  Nations.  Paris. 
1779—81.     13  Bde.     8^ 

Hygini  Fabulae,  siehe  Schmidt. 

Jacob,  P.  L.:  Bibliothöque  dramatique  de  M.  de  Soleinne 
Paris.  1843—45.    9  Teile  in  5  Bänden.    8<>. 

Klein,  J.  L. :  Geschichte  des  Dramas.  Leipzig.  1865 — 76. 
13  Bde.    8^ 

Klotz,  Ch.  A. :  Deutsche  Bibliothek  der  schönen  Wissen- 
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—    XIV    — 

LaCroix  du  Maine:  Bibliotb^ne  frangaise  de 

et  de  Du  Verdier,  p.  p.  Bigoley  de  Juvigny.   Paris.  1772. 

6  Bde.    4^ 
Lactantias,    PL:    Narrationes    Fabularum,   in:    Auctores 

Mythographi  Latini  etc.     Leiden  u.  Amst.  1742.     AP. 
LaHarpe,  J.-Fr.:  Cours  de  litt6rature.   Paris.  1779 — 1805. 

19  Bde.    8«. 
Landau,    M. :    Geschichte   der   italienischen    Literatur    im 

18.  Jahrh.     Berlin.  1899.     8^ 
Langbaine,   6.:   An   Account   of  the  English  Dramatick 

Poets.     Oxford.  1691.     8^ 
La   Valliere,    L.-C:    Bibliothöque    du   Theätre    fran^ais. 

Dresde.  1768.     3  Bde.     8^ 
Leo,  F.:  L.  A.  Senecae  Tragoediae.   Berlin.  1878.   2 Bde.  8* 
LSris,  A. :  Dictionnaire  portatifdesTh^ätres.  Paris.  1754.  8^ 
Lessing;  G.  E.:   Sämmtliche  Schriften  herausg.  ron  Lach- 
mann.   Berlin.  1838 — iO.     13  Bde.    8^ 
Lion,  H. :    Les   tragedies    et   les   th^ories   dramatiques  de 

Voltaire.    Paris.  1896.    8«. 
Lucas,  H. :   Histoire  philosophique  et  littdraire  du  Tb^ätre 

frangais.    2«  6d.    Paris.  1862—63.    3  Bde.    8«. 
Lust,  H.:   Monl^on  in   seinem  Thyeste  als  Nachahmer  Se- 

neca's.    [Studienanstalt  Münnerstadt  1887.]    Scbweiofuit 

1887.     8«. 
Marolles,   Abbe  de   Villeloin:  Les  Trag6dies  d«  Se- 

neque.     En  Latin  et  en  frangois,   de  la  Traduction  de 

M.  de  Mar.,  Abb6  d.  V.    Paris.  1664.     3  vds.    8«. 
Monleon:  Le  Thyeste.     Paris.  1633.    4<^. 
Moreri,  L.:   Supplement  au  grand  Dictionnaire  historique. 

Paris.   1736.    2  Bde.    fol. 
:  Le  grand   Dictionnaire  historique.     Bade  et  Paris. 

1740—1759.     10  Bde.     fol. 
Mouhy.  Gh.:  Tablettes  dramatiques.    Paris.  1752.    8^ 
:    Abregt   de   l'Histoire   du  Theätre   fran^ais.     Paris. 

1780.     2  Bde.     8*. 
Müller,  J.  W.:  ^rope.    Ein  Trauerspiel  in  drey  Aufeügen. 

Heidelberg.  1824.    8«. 
Niceron,  J.-P.:  M6moires.    Paris.  1729—45.    43  Bde.    8«. 


-^    XV    - 

Niflardy  D.:  Histoire  de  la  Litt^rature  fraD^ise.  18«  M. 
Pari«.  1896.    4  Bde.    8o. 

ParfaictylesFr^res:  Histoire  du  Th6ätre  fran^aiB.  Paris. 
1734/35—1749.     16  Bde.    8«. 

:  Dictionnaire  des  Thfiatreg  de  Paris.    Paris.  1766 — 

1767.     7  Bde.     8«. 

Pellegrin,  S.-J.:  P61op6e.  Paris.  1733  u.  Utrecht.  1734.  8^^) 

Quadrio,  Fr.  Sav.:  Della  storia  e  della  ragione  d'ogoi 
poesia.  Milano.  1739 — 1752.  4  vol.  mit  Indice  universale 
=  7  Bde.    4^ 

Racine  y  P.:  QSuvres.  Nouv.  Ed.  par  P.  Mesnard.  Tome  L 
Paris.  1885.     8«. 

Ranke,  L.  von:  Die  Tragödien  Seneca's  (1882  verf.).  In 
des  Verfassers  Abhandlangen  u.  Versuche.  Neue  Samm- 
lung, ed.  A.  Dove  u.  Th.  Wiedemann.  Leipzig.  1888.  8®. 

Ribbeck,  O. :  Gedchichte  der  römischen  Dichtung.  Stutt- 
gart. 1887—92.     3  Bde.     8^ 

RiccobonijL.:  Histoire  du  Th6&tre  Italien.  Paris.  1730.  8®. 

Rubio  y  Lluch:  £1  renacimiento  cläsico  en  la  literatura 
catalana.    Barcelona.  1889.    8^ 

Salvioli^Giov.  e  Carlo:  Bibliografia  universale  del  Teatro 
drammatico  italiano.     Venezia.  1894 — 1901.   (A-C).     4^. 

Seh  äff  er,  Ad.:  Greschichte  des  spanischen  Nationaldramas» 
Leipzig.  1890.     2  Bde.     8^ 

Schanz,  M.:  Geschichte  der  römischen  Litteratur.  8  Teile. 
2  Hälften.     2.  Aufl.    München.  1899—1901.    8^ 

Schmidt,  M.:  Hygini  Fabulae.    Jena.  1872.    8^. 

Schröter,  F.  u.  Thiele,  R.:  Lessings  Hamburgische 
Dramaturgie.    Halle.  1877.     8^. 

Schweiger,  F.  L.  A.:  Handbuch  der  klassischen  Biblio- 
graphie. Leipzig.  1830—34.  2  Teile  (der  2.  Teil  hat 
2  AbteU.).     8^ 

Seneca  bis  Tenne  Tragedies  Translated  into  English.  London. 
1681.  4^  Neu  herausgegeben  von  der  Spencer  Soc. 
1887.     8^ 

Senecae  Tragoediae,  siehe  Leo! 


^)  Ich  zitiere  Dach  der  Utrechter  Ausgabe  des  Jahres  1734. 


-    XVI    — 

SerTÜ  Grammatici  qui  feruntur  in  Vergüii  Carmina  Com- 

mentarii  recensuit  Georgius  Thilo  et  Hermannus  Hagen. 

Lipsiae.  1881—87.    3  Bde.    8«, 
SuidaeLexicon  post  Ludolphum  Kusterum  ad  Codices  Ha- 

nuscriptos  recensuit  Thomas  Gaisford  S.  T.  P.   Oxonii. 

1834.     3  Bde.     fol. 
Yigen^re,  Blaise  de:  Les  Images  oa  Tableaux  de  Platte- 

Peinture  de  Philostrate  Lemnien  Sophiste  Grec.     Mis  en 

FranQois  par  .  .  .   Atcc   des  Arguments  et  Annotations 

sur  chacun  diceux.    Paris.  1578.    4^. 
Yillemain,  A.-Fr.:   Cours  de  littfirature  fran^aise.     Nout. 

Äd.     Paris.  1846.     2  Bde.    8^ 
Voltaire,  Ar.  de:   QEuvres  complMes.    Nout.  Ed.    Paris. 

1877.    8^     Tome  VI  des  Thöatre  enthält  die  Pelopides. 
Ward,  A.  W.:  A  History  of  English  Dramatic  Literature. 

2.  Aufl.    London.  1899.     3  Bde.    8^. 
Weiße,  F.  Chr.:  Trauerspiele.     Carlsruhe.  1778.    8^    (Der 

2.  Band  enthält  den  Atreus  u.  Thyest.) 
Welcker,  F.  G. :  Die  griechischen  Tragödien  mit  Bücksicht 

auf  den  epischen  Cyklus.     Bonn.  1839—41.   3  Bde.  8^ 
Wiese,  B.  undP^rcopo,  E.:  Geschichte  der  italienischen 

Litteratur.    Leipzig  u.  Wien.  1899.    8^ 
Worp,  J.  A. ;  De  Invloed  van  Seneca's  Treurspelen  op  ous 

Tooneel.    Amst.  1892.     8«. 
Wright,  J.:  Thyestes.   A  Tragedy  Translated  out  ofSeneca 

to  which  is  added  Mock-Thyestes,  in  Burlesque.   London. 

1774.    8». 

Unerreichbar  blieben  mir  folgende  Werke: 
Fierlinger,  E.:  Voltaire  als  Tragiker.     Olmütz.  1882.   8^ 
Zambra,  V.:  I  caratteri  nell'Electra  di  Sofode.  Confronto 

con   Eschilo,   Euripide,    Crebillon,   Voltaire,    ed   Alfieri. 

Trient.  1876.     Q\ 


Einleitung. 


I.  Moderne  Atreus-  und  Thyestesdramen. 

Die  Fabel  von  Atreus  und  Thyestes  war  im  Alter- 
tum häufig  auf  die  Bühne  gebracht  worden.  In  Griechen- 
land hatten  Agathon,  Kleophon  aus  Athen,  Chaeremon, 
Apollodoros  von  Tarsos,  Diogenes  Oinomaos,  Lykophron, 
Theodektes,  ja  sogar  Sophokles  und  Euripides  diese  Sage, 
allerdings  unter  verschiedenen  Titeln,  dramatisch  bearbeitet. 
Auch  in  der  römischen  Literatur  fehlte  es  nicht  an  zahl- 
reichen Pelopidendramen :  Ennius,  Junius  Gracchus,  Lucius 
Varius,  Attius,  Pomponius  Secundus,  Mamercus  iEmilius 
Scaurus,  Bubrenus  Lappa,  Curiatius  Maternus  und  endlich 
Lucius  Annaeus  Seneca  schrieben  Atreus-  und  Thyestes- 
tragödien.*) 

Von  all  diesen  griechischen  und  römischen  Dramen  ist 
jedoch  nur  ein  einziges,  nämlich  das  von  Seneca,  vollständig 
auf  uns  gekommen ;  von  den  anderen  sind  uns  nur  noch  mehr 
oder  weniger  unbedeutende  Bruchstücke  erhalten  geblieben.') 


*)  Vgl.  über  die  oben  genannten  Autoren  und  ihre  Stücke: 
Suidas  I,  491  u.  1004/05;  II,  2114;  Welcker,  Die  ffnech.  Trag.  Itl, 
1069ff.;  Bernhardy,  Grundrift  der  griech.  Litt,  II.  Tl.  II.  Abt.,  6Ö/8B 
u.  717;  Ribbeck,  Gesch.  der  röm.  Dicht  II,  89/90  u.  III,  5  u.  62 ff.; 
Schanz,  Gesch.  der  röm.  Litt.,  II.  Abt.  I.  H.,  248;  ferner  II.  Abt. 
II.  H.,  49,  62/63  o.  119;  Christ,  Gesch.  der  griech.  Lit,  S.  286.  A.  5. 
«)  Klein,  Gesch.  des  Dram.  II,  414/15.  Sehr  zu  beklagen  ist 
natürlich  der  Verlust  der  Pelopideniragädien  des  Sophokles;  denn  „wie 
Münchener  Beiträge  z.  rom.  u.  engl.  Philologie.    XXXVII.  1 


Ja,  fio  wenig  ist  uns  von  älteren  Atreusdramen  überliefert^ 
daß  sieb  nur  der  Thyestes  dos  L.  Varias  mit  Bestimmtheit 
als  Quelle  des  Seneca'scben  Stückes  nachweisen  läßt,  während 
wir  über  die  Frage,  ob  Seneca  auch  ältere  griechische  Tra- 
gödien benutzt  hat,  uns  keinen  befriedigenden  Aufschluß  zu 
geben  vermögen.^  «Wir  müssen  daher  schon  die  Vorzüge, 
bemerkt  Klein  ganz  richtig,  ja  die  großen  Schönheiten,  die 
in  diesem  von  allen  allein  erhaltenen  Thyestes  uns  über- 
raschen, dem  angeblichen  Verfasser,  unserem  Seneca,  gut- 
schreiben. Zu  den  Vorzügen  rechnen  wir  eine  gewisse  Maß- 
haltung, die,  in  Anbetracht  des  kannibalischen  Stoffes  und 
mit  Bezug  auf  diesen  Dichter,  trotz  allen  Ausschweifungen^ 


der  größte  Schönheitskünstlerj  kü  Sophokles  in  seinem  Atreiis,  seinem 
Thyestes  in  Sikyon,  seinem  zweiten  Thyestes,  diesen  Stoff  mag  behandelt^ 
mit  welcher  kunstvollen  Weisheit  die  Honigbiene  der  griechischen  Tragik 
selbst  aus  solchem  Ekelgrausen  schmerzenstrunkene  Süßigkeit  mag  ge-^ 
sogen  und  ein  goldenes  Kunstgewirk' daraus  gebildet  haben:  das  läßt 
sich  aus  dem  bloßen  Fabelinhalt  und  den  Argumenten  bei  Hygin  nicht 
erraten,"* 

^)  Böhm,  Beiträge,  p.  11,  glaubt,  es  ließe  sich  mit  Sicherheit  an- 
nehmeD,  daß  Seoeca  für  seinen  Thyestes  den  Atrens  oder  einen  der 
beiden  Thyestes  des  Sophokles,  femer  den  Thyestes  des  Euripides  oder 
die  Trachinerinnen  des  Sophokles  als  Vorlagen  gehabt  habe.  Böhm  be- 
ruft sich  auf  Kanke,  Ribbeck  und  ScbaDz. 

Ranke,  Die  Trag.  Seneca' s,  S.  36,  sagt  aber:  „Ob  nun  Seneca  bei 
seinem  Thyestes  eine  römische  Bearbeitung  Tor  Augen  hatte,  oder  TieK 
leicht  ein  griechisches  Original,  läßt  sich  nicht  ermitteln.**  In  der  Fuß- 
note 5  fügt  Ranke  zu  seiner  Behauptung  folgendes  hinzu:  „Man  bat 
wohl  angenommen,  daß  das  Stück  Seneca's  eine  Nachahmung  des 
gleichnamigen,  nur  in  Fragmenten  erhaltenen  euripideischen  Dramas  ist, 
aber  durch  ein  wirkliches  Argument  kann  diese  Ansicht  nicht  gestützt 
werden."  Ribbeck,  Oesch.  d.  röm.  Dicht.  III,  62,  dagegen  äußert 
sich  in  bezug  auf  unsere  Frage  also :  „Er  [Seneca]  hat  die  sophokleische 
wie  die  euripideische  Tragödie  gekannt,  denn  noch  jetzt  läßt  sich  bei 
einzelnen  Bruchstücken  der  letzteren  Übereinstimmung  mit  gewissen 
Stellen  nachweisen.^  Die  neueste  Ansicht  jedoch,  die  Schanz  in  seiner 
Gesch,  der  röm.  Litt.  II.  Abt.  II.  H.  49,  vertritt,  geht  dahin,  daß  ^über 
die  Quelle  der  lateinischen  Tragödie  nicht  ins  reine  zu  kommen  sei,  da 
uns  kein  zweites  Stück,  welches  diesen  Stojf  behandelt,  aus  dem  Alter- 
tum überliefert  ist".  Aber  daß  der  Thyestes  des  L.  Varias  „von  Seneca 
positiv  oder  negativ  berücksichtigt  werden  mußte'',  stellt  Seh  ans  als 
unzweifelhaft  hin. 


—     3     — 

denen  er  sich  auch  hier  überläßt,  höchlich  anzuerkennen  und 
zu  preisen  iflt."  ^) 

In  der  Tat  erfreute  sich  diese  Tragödie  Seneca's  einer 
großen  Beliebtheit  bei  späteren  Dramatikern,  wurde  sie  doch 
tficht  nur  in  mehrere  Sprachen  übersetzt,  sondern  von  einer 
Reihe  moderner  Dichter  mehr  oder  weniger  sklavisch  nach- 
geahmt. Denn  wie  in  der  antiken,  so  wurde  auch  in  der 
romanischen  und  germanischen  Literatur  die  Sage  von  Atreus 
und  Thyestes  öfters  dramatisch  bearbeitet;  wenigstens  zu 
den  ersten  modernen  Pelopidentragödien  gab  der  Thyestes 
Seneca's  den  direkten  Anlaß. ^) 

^)  Gesch.  des  Dram.  II,  415. 

*)  Interessaüt  ist  es  auch,  zu  beobachteu,  wie  viele  Dramen  außer 
den  Atreustragödien  gerade  von  dem  Thyestes  Seneca^s  beeinflußt  sind. 

In  der  romanischen  Literatur  kommt  da  hauptsächlich  Italien  in 
Betracht.  Dort  wurden  die  folgenden  lateinischen  Trauerspiele  unter 
der  Einwirkung  des  Seneca'schen  Thyestes  gedichtet  iMussato's  Ecerinis 
(1314),  Loschi's  Achilleis  (um  1390)  und  Corraro's  Proyne  (ca.  1428). 
(Cf.  Cloetta,  Beiträge  II,  26ff.,  122ff.  u.  164flF.;  Creizenach,  Gesch. 
d.  n.  Dram.  I,  501  u.  520 ff.;  Ebner,  Beitrag,  S.  88 ff.).  Ferner  sind 
in  Italien  üriraldi's  Orbecche,  Dolce's  Marianna,  Groto's  Dalida, 
dann  auch  der  Anfang  von  Speroni's  Canace,  und  in  Frankreich  ins- 
besondere Jod  eile 's  Cleopätre  unter  dem  Einflüsse  des  lateinischen 
Thyestes  entstanden.  (Cf.  Wiese  u.  Percopo,  Ital.  Litt.,  S.  298 ff., 
Creizenach,  Gesch.  d.  n.  Dram.  U,  493  u.  Ebner,  Beitrag,  S.  121). 

Sehr  stark  ist  die  Einwirkung  dieser  lateinischen  Tragödie  in  der 
germanischen  Literatur  auf  die  englische  und  niederländische  Bühne, 
("unliffe,  The  Infliience  of  Sen.  on  Eliz.  Trag.,  entdeckte  Spuren  des 
lateinischen  Thyestes  in  einer  nicht  unbeträchtlichen  Anzahl  von  Stücken; 
es  sind  die  folgenden:  Tancred  and  Gistnunda  (Cunl.  p.  51/52);  The 
Misfortunes  of  Arthur  (Cunl.  p.  53  u.  130—155);  Cambyses  (Cunl. 
p.  56);  Greene's  King  Selimus  (Cunl.  p.  64);  Shakspere's  Titas 
Andronicus  (Cunl.  p.  69 ff.);  Shakspere's  Henry  VI.  (Cunl.  p.  74, 
76/77);  Shakspere's  Richard  III.  (Cunl.  p.  77/78);  Shakspere's 
Macbeth  (Cunl.  p.  83) ;  J o n s o n ' s  Sejanus  (Cunl.  p.  92 ff.) ;  J o n s o n ' s 
Catiline  (Cunl.  p.  94/95);  Mars  ton 's  Atitonio  and  Mellida  (Cunl. 
p.  101  ff.  u.  128/29);  Marlowe's  JEdicard  2/.  (Cunl.  p.  128);  Marston's 
The  Malcontent  (Cunl.  p.  129);  The  Fawn  (Cunl.  p.  129);  Kyd's  Sp. 
Tragedy,  Induction. 

Auch  das  niederländische  Theater  verspürte  denselben  Einfluß  in 
nicht  geringem  Grade.  Nach  Worp,  De  Invloed  van  Seneca's  Treur- 
speien  op  ons  Tooneel,  p.  118/19  u.  p.  240,  sind  Samuel  Coster'a  Itys 
(1615)  und  Aran  en  Titas  (1641)  von  Jan  Vos  direkt  auf  den  lateini- 

1* 


—    4    — 

Was  nau  diese  moderneD  Bearbeitungen  betrifft,  so  wurde 
schon  öfters  der  Versuch  gemacht^  sie  in  Verzeichnissen  zu- 
sammenzufassen ;  allerdings  beschränken  sich  einige  toq  diesen 
Listen  nur  auf  die  französische  Bühne.  Es  wird  ako  zunächst 
unsere  Aufgabe  sein,  einen  Überblick  über  jene  Zusammen- 
stellungen zu  geben. 

Die  ersten  Zusammenstellungen  von  mehreren  modemsD 
Pelopidentragödien  werden  uns  wohl  im  Jahre  1754  gegeben; 
es  sind  ihrer  zwei.  Die  eine  stammt  von  Lfiris,  die  andere 
Ton  Lessing ^),  der  sich  dabei  auf  die  Angaben  yod  L6ris 
stützt. 

Der  Erstgenannte  äußert  sich  folgendermaßen:  tThieste: 
lunis  ai'ons  trois  Tra,  soiis  ce  titre,  hnitees  de  Sineque,  indepen- 
damment  de  edle  sotis  celui  d^Atree  *),  ou  k  meme  sujei  est  traue. 
La  jrremiere,  avec  de^  Choßurs,  est  de  Hol,  Brisset,  et  fui  iniprimh 
en  loSff:  la  seconde,  de  Mcmtleon,  parut  en  1683;  et  la  iroisieme, 
attrihuee  a  Montatihan ,  mais  peu  ronnite.y  ■) 

Vergleichen   wir   damit   Lessing's   Zusammenstellung. 

„  Auf  dem  italiäniscJien  Theater  stößt  uns  hier  .  .  .  Lud.  Dolee 
auf,  welcher  den  lateinischen  Thyest  nach  seiner  Art  in  Verseti 
übersetzt  hat.  Delrio  sagt  von  ihm:  Italice  tragcediam  Thyestem 
non  ineleganter  Ludovicns  Dulds  composnit  utid  scheint  also  dk 
Arbeit  des  lialiäners  mehr  für  etwas  ihm  eignes,  als  für  eine  Über- 
setxung  zu  halten.     Als  eine  solche  mag  sie  auch  wohl  seJir  untreu 


sehen  Thyestes  zurückzufubren.  Worp  fand  außerdem,  daß  yon  dem 
Stücke  Seneca's  noch  ziemlich  viele  andere  niederländische  Tragödien 
beeinflußt  worden  sind,  nämlich:  D.  Heinsius'  Avriacus  swe  Liberias 
saucia  (Worp  p.  55/56);  D.  Heinsius'  Herodes  infanticida  (Ibd.); 
Princeps  Avriactis  sive  Liberias  defensa  von  Casparus  Casparius; 
der  Verfasser  dieses  lateinischen  Stückes  wird  wohl  auch  D.  Heintius 
sein  (Worp  p.  56);  Hooft's  Ariadne  (1602)  (Worp  p.99fiF.);  Hooft's 
Geeraerdt  van  Velsen  (1612/13)  (Worp.  p.  105 ff.);  Hooft^sÄi^to  (1626) 
(Worp  p.  109);  C ost er ' s  Polt/xcwa  (1619)  (Worp  p.  125 ff.);  Vondel'» 
Falamcdes  (1625)  (Worp  p.  202);  Vondel's  Peter  eti  Fautcels  (1641) 
(Worp  p.  218);  L.  ^leyer's  Verloofde  Koningbruidt  (1668)  (Worp 
p.  265  ff.). 

»)  Theatr.  Bibl.  IL  St.  {Sämmtl  Sehr.  IV,  291  ff.). 

')  Leris  meint  damit  Crebillon'i  AtrSe  et  Ihgeate^  den  er  aw' 
p.  46  zitiert. 

*}  Dict.  porL  p.  322. 


gerathcn  seipi,  indem  ihm,  wie  Brumoy  anmerkt,  so  gar  das  oben 
gerühmte  agnosco  fratrem^)  fntunscht  ist;  dessen  Kachdruck 
er  entweder  nicht  eingesefien,  ode?'  in  seine  Sjyrache  nicht  über- 
zutragen  gewußt   hat, Von   der  französischen  Bühne  Jiaben 

vnr  schon  bey  Gelegenheit  des  Herkules^)  auch  den  Thyest  des 
Roland  Brisset  angeführt  \  er  ist  mit  Chören,  und  unrd  also  schwerlich 
etwas  anderes  seyn,  als  eine  schlechte  Übersetzung,  wie  sie  es  zu 
seiner  Zeit  alle  waren.  Außer  diesem  Juit  auch  ein  gewisser 
Montleon  1633  einen  Thyest  dnicken  lassen,  Deßgleichen  will  man 
von  einem  Thyest  des  Pousset  de  Montauban  wissen,  der  sich  aber 
nicht  in  der  Sammlung  seiner  Schausjnele  {t:on  1654  in  12  nio) 
beßyulet  ....  Doch  alle  diese  drey  französischen  Schriftsteller 
halfen  des  Ruhmes  rerfehlt,  den  ein  neuer  Dichter  aus  ihrem  Volke 
in  diesen  Schranken  erwerben  sollte.  Ich  würde  mir  daher'  einen 
großen  Fehler  der  J^nteHassung  vorzuwerfen  hohen,  wenn  ich  nicht 
Von  dem  Atreus  und  Thyest  des  älteren  Hrn. 
Ton  Crebillon  etwas  umständlicher  handelte,^ 

Hierauf  gibt  Lessing  eine  genaue  Analyse  von  Crebillon's 
Atrif  et  Thyeste,  um  dieses  Stück  mit  dem  lateinischen  Ori- 
ginale zu  vergleichen,  dessen  Inhalt  er  an  einer  anderen  Stelle 
sehr  eingehend  besprochen  hat.^)  Wir  werden  hierauf  noch 
genauer  zurückkommen. 

Zweifellos  benutzte  Lessing  zu  seiner  Zusammenstellung 
das  Dictionnaire  portaiif  von  Leris;  denn  er  macht  dieselben 
französischen  Stücke  namhaft  wie  jener  Franzose  und  über- 
sieht dabei  ganz  wie  Leris  jene  Tragödien,  die,  ohne  gerade 
den  Titel  Airee  ei  Thyeste  oder  ThyeRie  zu  führen,  gleichwohl 
Atreus-  und  Thyestestragödien  sind,  sich  aber  als  solche  nur 
dem  oflFenbaren,  der  sie  gelesen  oder  mindestens  näher  an- 
geschaut hat.  Leris  führt  sie  nämlich  in  seinem  Dictionnaire 
auf,  wird  sie  aber  wohl  nicht  studiert  haben. 


^)  Bei  Seneca  (v.  1(X)6)  spricht  Thyestes  dieses  Wort  aus,  als  ihm 
Atreus    nach    der    entsetzlichen    Mahlzeit    die    blutigen    Köpfe    seiner 

Söhne   mit  der  höhnischen  Frage  zeigt:   {v.  1CK)5) natos  ecquid 

agnoscls  tuos? 

*)  Auf  p.  288 if.  handelt  L3S9ing  daTon,  daß  der  rasende  Herkules 
und  der  Thyest  einen  und  denselben  Verfasser  haben.  * 

2)  p.  260fr. 


—     6    — 

Das  dritte  wichtige  Verzeichnis  von  Atreus-  und  Thjestes- 
dramen,  sozusagen  eine  Ergänzungsliste  zu  der  von  Lessing, 
wurde  von  Christian  Felix  Weiße  aufgestellt*): 

yfMan  weißf  xu  wie  viel  Tranersp^ieleti  die  schreckliche  Feifid- 
Hchaft  wid  grausame  Hache,  des  Atreus  und  Thyest  GeUgenhett  ge- 
geben. Wer  davon  ein  Verzeichnis  xu  lesen  umnschet,  darf  nut 
die  vortrefflidie  Abhandlung  des  Herrn  Lessing  in  dessen  tfieoiraii- 
scher  Bibliothek  nachschlagen.  Man  kann  noch  im  Ettglischeu 
einen  Thyestes  des  Jasper  Heywood ^  vom  Jalire  1560,  einen  andern 
von  John  Wrighi,  von  JO'74,  und  noch  einen  von  John  LVourn  von 
1681  hinxuthuju  Aber  alle  diese  sirui  bloße  Übersetzungen  oder 
Nachahmungen  der  Nachahmung  des  Seneca  aus  defi  älteren 
griechiscJien  SvltrifisteUern.  Desto  mehr  ist  es  xu  verwuiuier^K  daß 
niemand  die  Fabel  des  Hygin  vom  Tode  des  Atreus,  die  an  schreck - 
lidtcn  Situationen  nicht  weniger  voll  ist  als  die  erstere,  von  der 
Ermordung  der  Kinder  des  Thyest,  bearbeitet  hat.  Der  einzige  Abt 
Pelerin  hat  im  Jahre  17 31  eine  Pelopia  geliefert  ^):  aber  sie  ist  mit 
solchen  Erdichtungen  angefüllt,  daß  man  schwerlich  die  Erxälüuny 
des  Hygin  darunter  wieder fbuien  tcird,^ 

Wenn  nun  auch  diese  Angaben  Weißens  auf  weitere  neue 
und  interessante  Stücke  hinweisen,  so  sind  doch  seine  Mit- 
teilungen weder  genau  noch  vollständig;  er  sagt  nicht  ein- 
mal;  ob  die  genannten  Tragödien  Übersetzungen  oder  Nach- 
ahmungen sind. 

Eine  nicht  zu  unterschätzende  Liste,  also  die  vierte,  wird 
in  der  Petite  Bibliotheque  des  Thedtrcs  gegeben  und  zwar  in  dem 
1789  erschienenen,  mit  Chefs-d'CEuvre  de  Crehillon  überschrie- 
benen  Bändchen.     Dort  heißt  es'^):    <ll  avait  ete  faii  plusieurs 


*)  Im  Vorworte  zu  seinem  Atreus  und  Thyest,  einem  Trauerspiel 
in  5  Aufzögen,  das  er  im  Jahre  1766  veröffentlichte;  die  Liste  wurde 
dann  1769  im  4.  Teile  der  Beiträge  zum  deutschen  Theater 
wieder  herausgegeben. 

«)  Er  meint  damit  den  Abbe  Pellegrin,  dessen  PHopie  (1733) 
bereits  von  Leris  auf  p.  256  des  Dictiofinaire  zitiert  wird.  Leris 
hatte  eben  an  dem  bloßen  Titel  nicht  erkannt,  daß  es  sich  hier  um  eine 
Atreus-  und  Thyestestragödie  handelt. 

*)  Siehe  die  JugemetUs  et  Anecdotes  sur  Atree  et  Thyeste,  welche 
die  Herausgeber  dem  Drama  C  r  e  b  i  1 1  o  n '  s  vorausgeschickt  haben,  p.  X ff. 


—     7     — 

Tragedies  sur  es  svjet  avajii  OrebiUon,  En  1584,  Roland  Brissei 
€w  dontia  une,  sous  le  iure  de  Thyesie.  avec  des  ckoeurs,  imüee  de 
Seneq^Wj  et  imprime^  en  1589,  Monleon  en  a  donne  une  autre^ 
sous  le  meme  türe,  qui  fut  representSe  et  imprimde  en  1633,  On 
en  attribue  aussi  une  de  ce  iure  d  Montanhan^  et  qui  seroü,  ä  peu 
jw*e.s",  du  meme  tems,  mais  qu^an  ne  sait  point  avoir  ete  represenUe 
ni  impriffiee,  Linage  et  VAhhe  de  Maroües  o«/,  tous  les  d&ua>, 
traduit  Je  Thyeste  de  Seneqtce,  avec  les  aiäres  Tragedies  de  cet 
Autevr  latin,  Lew  iradtiction,  ä  cJiacun,  est  eti  prose,  et  eile  n^est 
point  faite  pour  h  representation,  mais  ils  Votd  imprimee,  le  premier 
en  1651  y  et  le  serond  en  1659.  Depui^  UAtree  de  Orebillofi^  S^ 
guineau  et  Prahnd  firent  ensemhle  une  Tragedie  sur  ce  sujet,  et 
■qu'ils  intitulerent  JKgysthe  *)  ou  La  Mort  d^Airee,  Elle  fut  re^ 
pieseniee  en  1721,  avec  peu  de  Sucres,  et  n'a  point  ete  imprimee, 
Voltaire  a  aussi  traite  ce  meme  sujet  dans  une  Tragedie  qu^il  a 
intitulee  Les  Pehpides,  II  Va  fait  imprimer  en  1772,  et  eile  sc 
irauve  dans  toutes  les  editions  qui  ont  ete  faites  de  son  Theätre, 
depuis  cetie  epoque;  mais  eile  7i'a  point  ete  represeniee,  Dans  une 
Lettre  adressee  d  J.-J.  Rousseau,  d'Alemhert  dit  avoir  vu,  en  manu- 
scrit,  une  Tragedie- Lyrique,  sous  le  tilre  d^Airee,  et  dont  il  fie  fait 
point  connaUre  VAuteur,  On  ne  sait  si  eile  a  ete  müe  en  mu^ue. 
mais  eile  n^a  ete  ni  repre.senfee,  ni  imprimee,^ 

Diese  Zusammenstellung  enthält  bereits  eine  ziemlich 
genaue  Angabe  der  franxösischen  Atreus-  und  Thyestesdramen, 
aber  die  Herausgeber  kennen  die  deutschen  und  die  englischen 
Tragödien  offenbar  nicht,  obwohl  der  Atreus  und  Thyest  von 
Weiße  schon  1780  in  französischer  Übersetzung  im  Tkcdtrc 
Oermani^jue  '  ehchienen  war!^)  Die  oben  erwähnte  Hand- 
schrift einer  Tragedie-Lyrique,  sous  le  titre  d'Atreej  existiert  tat- 
sächlich und  befindet  sich  in  der  Pariser  Nationalbibliothek. 

^)  Leris  zitiert  ebenfalls  diese  Tragödie  ia  seinem  Dictionnaire 
(p.  182)  and  zwar  schreibt  er  Egiete. 

■)  In  den  Ammles  dramatiqries  (L  399)  ist  sie  folgendermaßen  erwähnt : 
Atree  et  Thyeste,  trag,  en  cinq  acte»,  de  Weiss,  Theätre-Germaniquef 
1780.  Nach  der  Aussage  von  Jacob,  Bibl.  dram.  de  M.  de  Soleinne 
IV,  213,  erschien  diese  Tragödie  von  "Weiße  nochmals  in  franz.  Über- 
setzung als  5.  Tragödie  in  dem  Nouveau  Tkeätre  aUemand  [traduit  en 
prose  par  M.  Friedet  ....  jyour  les  6  premiers  volumes  et  avec  M.  de 
Bonnemile  pour  les  six  derniers),  Paris,  1782—85,  12  vol.  in-8*. 


—    8    — 

Eioen  sehr  geringen  Aufschluß  bieten  die  Noiixit  stortco- 
erUiehe  stU  Tieste,  die  in  dem  1797  zu  Venedig  erschienenen 
10.  Bande  des  TecUro  Modemo  Applaudito  als  Kommentar  zum 
Tieste  von  Ludovico  Foscolo  —  übrigens  wieder  einer 
neuen  Thyestestragödie  —  herausgegeben  wurden.  Dort  lesen 
wir^  wie  folgt:  •Perduta  essendosi  con  aUre  iragedie  di  quesio 
sMime  atUore  [sc,  Euripide]  anche  ü  Tieste,  non  che  varie  altrt 
seriiU  sul  medesimo  argomenio  da  diversi  scriilori  [sc.  Diogene 
JBnomao,  Cleofone  e  ApoUodoro  di  Tarso  ira  i  Greci :  Äxio^  Grocco 
t  Vario  tra  i  Laiini],  non  parkremo  qui  die  di  tre  sole  die  godon 
fmna,  nuUa  poiendo  valere  ü  iraiienersi  aopra  nanü  affailo  oseuri 
e,  cid  ch'e  peggio,  sopra  iristi  composixioni  [sc.  Brisset,  Monleoti, 
Montauhan\.  Seneca,  Orehillon  e  Voltaire  perciö  sono  i  sali  Iragiti 
di  cui  faremo  qui  una  qualche  menxione.^  ^) 

Man  erkennt  sofort,  daß  diese  Angaben  auf  denen  der 
Petite  Bibliothöque  des  Thfeätres  beruhen.')  Besonderen  Wert 
haben  diese  Notizen  nicht;  denn  sie  bringen  uns  um  keinen 
Schritt  unserem  Ziele  näher.  Interessanter  dagegen  sind  die 
gleich  darauf  folgenden  kurzen  Inhaltsangaben  der  Atreus- 
tragödien  von  Seneca,  Cr^billon  und  Voltaire.  Wir  werden 
hierauf  später  zurückkommen. 

Ein  sechstes,  aber  ebenfalls  ziemlich  minderwertiges  Ver- 
zeichnis von  modernen  Atreus-  und  Thyestestragödien  wird 
im  IX.  Bande  der  Annales  dramatiques  im  Jahre  1812  auf- 
gestellt. Dort  wird  zuerst  der  Thyestes  Seneca's  sehr  genau 
analysiert*);  hierauf  wird  bemerkt,  daß  auch  noch  Varius 
und  Gracchus  Atreustragödien  gedichtet  hätten,  die  aber  ver- 
loren gegangen  seien;  sodann  heißt  es  weiter*):  tParmi  les 
modernes,   CWbillmi,  auieur  vhitablcnieni  nS  pour  le  trngique,  a  os^ 

se   rharger  de  ce  sNJet  torible Voltaire,    qid  avait  la  manir 

de  re faire  les  pikes  de  Cribillon,  a  donnc  les  Pelopides,  pwir  faire 


')  p.  Ö8. 

')  Tatsächlich  berufen  sich  die  Autoren  dieses  Artikels  gleich 
nachher  (p.  ö9,  Anm.)  auf  die  Picciola  Biblioteca  dei  Teatri  di  Parigi 
und  *war  auf  die  Giudizj  ed  Aneddoti  sulVAtreo  t  Tieste. 

*)  p.  114  ff. 

*)  p.  121. 


--     9     ^ 

(mblirr  VAtree  ei   Thyeste  de  son   rival;   mais   mtügre  son  grand 

ginie,  il  a  succombe  dans  ceiie  lutte. 

Bien  avant  ces  deux  auteurs,  un  mauvais  poeie^  Rolmid  Brisaeiy 

avaii   iraduU  le  thyeste   de   Stmque.      (Me  iradueiion  est  fiddUy 

mais  dttestable,     En  voici  les  quatre  premiers  vers;  c'est  Tantale 

qui  parle: 

Qui  nCarraehe  d'en  bas  de  ce  siege,  oü  en  vain 
Je  poursiiy  la  tnaride  eschapant  de  ma  viain  ? 
Quel  des  Dieux  de  lä  haut  ou  de  Vombre  infeniale 
Les  Vivantes  maisons  fait  revoir  TankUe  ? 

Je  rrois  qu^fm  nous  pardonnera  de  tCen  rien  euer  de  plus.> 

Die  Annales  dramatiqiies  führen  also  nicht  einmal  alle 
französischen  Atreusdramen  auf! 

Im  Jahre  1877  kommen  Schroeter  und  Thiele  auf 
unser  Thema  mit  folgenden  Worten  zu  sprechen^): 

„7/i  der  Neuzeit  ist  derselbe  Stoff  [nämlich  die  Fabel  von 
Atretis  und  Thyestes]  .  .  .  vielfach  behandelt  worden^  so  unter  den 
Italienern  von  Ludovico  Dolce  •  unter  den  Ftanxosen  von  Roland 
Brissei,  Montleon  {Id. 10),  Poussei  de  Montalban,  von  dem  älteren 
Crehillon  .  .  .  und  sogar  von  Voltaire  in  seinen  freilich  nie  auf- 
geführten „Belopides^^ ;  unter  den  Engländern  endlich  von  Jasper 
Heywood  (1560),  John  Wright  (1674)  und  John  Crown  (1681), 
Sie  alle  folgen  mehr  oder  weniger  Seneca,  Der  einzige  Abt  Pellegrin, 
der  1731  in  seiner  Pelopia  gleichfalls  jene  Sage  behandelte,  macht 
eine  Ausnahme,  indem  er  sich  mehr  an  Hygin  anschloß,  von 
welchem  in  der  S8.  Fabel  die  Handlung  als  eine  viel  verwickeitere 
dargestellt  wird.  —  Erst  Christian  Felix  Weiße  stellt  sicli  ganz 
auf  den  Boden  der  IJygin' sehen  Erzählung  und  diciäete  aus  dem 
zweiten  Theile  derselben  ein  Trauerspiel  „Thyestes^'  in  fünf  Akten 
und  fünffüßigen  Jamben,  welches  er  1766  im  „Beitrag  zum 
deutschen  Theater^^  Bd.  IV,  S.  1—110  veröffentlichte,'^ 

Ein  achtes  und  letztes  Verzeichnis  von  modernen  Atreus- 
und  Thyestesdramen,   das   aher  viel   lückenhafter  ist  als  das 

^)  Auf  p.  237  (Anm.  14)  ihrer  Ausgabe  Ton  Lessing's  „Äaw- 
burgischer  Dramaturg"'.  Ad  jener  Stelle  kommentieren  Schroeter 
und  Thiele  die  Behauptung  Les  sing 's:  „Herr  Weiße  hat  den  Stoff 
£U  seinem  Thyest  aus  dieser  Grube  [d.  h.  Hygin's  Fabeln]  geholt/ 


—     10    — 

Yorige,  wird  von  Dutrait  im  Jahre  1895  aufgestellt.*)  Er 
erwähnt  nur  den  Tiesie  von  Dolce,  femer  den  Thyeste  von 
Roland  Brisset,  MontlSon  und  Montauban,  dann 
einen  tAtre^j  iragedie  lyrique  anonyme^  sans  daie  {aucun  rapport  au 
mjet)>,  endlich  noch  den  Atrie  et  Thyeste  von  Weiße  und 
die  Pelapides  von  Voltaire.  Dutrait's  Bemerkung,  daß  die 
Tragedie  lyrique  nichts  mit  unserem  Thema  zu  tun  habe,  ist 
unrichtig,  wie  weiter  unten  bewiesen  werden  soll. 

Die  von  Schroeter  und  Thiele  aufgestellte  Liste  ist 
die  wertvollste  von  allen.  Trotzdem  läßt  sie  noch  manches 
zu  wünschen  übrig,  da  sie  weder  die  Übersetzungen  und  die 
Nachahmungen  auseinanderhält,  noch  auch  auf  Vollständigkeit 
Anspruch  machen  kann.  Also  noch  nicht  einmal  eine  genaue 
Zusammenstellung  der  romanischen  und  germanischen  Atreus- 
tragödien  ist  bis  jetzt  vorhanden;  noch  viel  schlimmer  steht 
es  mit  den  Quellenuntersuchungen  der  einzelnen  Stücke.  So 
interessant  und  wichtig  auch  die  Frage  ist,  in  welchem  Ver- 
hältnis diese  modernen  Tragödien  zum  lateinischen  Original 
oder  zueinander  stehen,  so  herrscht  hierüber  doch  noch  eine 
große  Unklarheit.  Denn  von  allen  Atreus-  und  Thyestes- 
dramen  ist  nur  ein  einziges  genau  auf  seine  Quelle  untersucht 
worden,  nämlich  der  Thyeste  von  Monleon.*) 

Wenn  auch  die  vorliegende  Arbeit  noch  keine  Antwort 
auf  alle  Fragen,  die  dieses  weite  Thema  stellt,  geben  wird 
noch  kann,  so  hoffen  wir  doch,  eine  vollständigere  Liste  der 
Atreus-  und  Thyestesdramen  der  romanischen  und  germani- 
schen Literatur  aufstellen  zu  können  und  daran  eine  ge- 
naue Quellenuntersuchung  der  wichtigsten  Atreustragödien 
in  der  englischen,  französischen  und  italienischen  Literatur 
zu  schließen. 

Zunächst  wird  es  zweckmäßig,  ja  notwendig  sein,  die 
romanischen  und  germanischen  Übersetzungen  des  lateini- 
schen Thyestes  zusammenzustellen.  Von  einigen  derselben  war 
schon  im  Zusammenhange  mit  den  Atreustragödien  die  Rede, 


»)  Etude  sur  la  Vie  et  le  Theätre  de  CrebiUon,  p.  544. 
*}  Lü8t,  H.,  Monleon  in  seinem  Thyeste  als  Nachahmer  Seneea^s, 
Schweinf.  1887.    8^ 


—   11   — 

wobei  wir  sahen,  daß  die  Übertragungen  von  den  Nach- 
ahmungen nicht  unterschieden  wurden.  Es  ist  daher  unsere 
Aufgabe,  diese  verwirrenden  Angaben  zu  berichtigen.  Auch 
hängen  die  Übersetzungen  des  lateinischen  Originals  insofern 
sehr  enge  mit  unserem  Thema  zusammen,  als  sie  von  Seneca's 
Nachahmern  benutzt  werden  konnten  und  auch  teilweise  be- 
nutzt worden  sind.^)  Was  Brisset 's  Thyeste  anlangt,  so  ist 
es  fraglich,  ob  dies  eine  Übersetzung  oder  eine  mehr  oder 
weniger  freie  Nachahmung  ist.  Wir  haben  oben  bereits  ge- 
sehen, daß  Lesaing  in  Brisset's  Stück  eher  eine  Übersetzung 
als  eine  Nachahmung  vermutet  ^j,  während  dieselbe  Tragödie 
in  der  Petiir  Biblioiheqae  des  Thedires  als  imiicc  de  Senique  be- 
zeichnet wird.^)  Gouj  et  meint,  die  vier  Tragödien  Brisset's  *), 
darunter  auch  der  Thyeste,  seien  fchnities  et  souvent  traduites  de 
Seneque>^),  und  Jacob  nennt  diese  Tragödien  einmal  Über- 
setzungen %  an  einer  anderen  Stelle  aber  glaubt  er,  sie  seien 
eher  Nachahmungen  als  IJbersetzungen.^)  Lust  endlich  hält 
den  Thyeste  Brisset' s  für  eine  getreue  Kopie  S e n e c a ' s *), 
und  Dutrait  für  eine  <kimdnction  libre  de  i6meque>.^)  Auf 
uns  macht  das  betreffende  Stück  ganz  und  gar  den  Eindruck 
einer  freien  Übersetzung;  auf  keinen  Eall  kann  es  als  eine 
Nachahmung  bezeichnet  werden.  Ebert  sagt  einmal,  daß 
wir  zur  Zeit  Garnier's  und  Jodelle's  „mehr  oder  weniger  freie 
Übersetzungen  aus  den  Alten,   hauptsächlich  aus  dem  Seneca 


^)  So  läßt  sich  z.  B.  von  Crebillon  nachweisen,  daß  er  neben 
dem  latein.  Orij^ioal  auch  die  Übersetzung  des  Mar  olles  benützt  hat 
(S.  p.  76  ff.). 

*)  Derselben  Ansicht  sind  Parf  aict,  Hist,  IJI,  473;  La  Valliere, 
Biblioth^que  III,  235;  Anecd.  dratn.  III,  72/73  j  Ann,  dramat.  IX,  121: 
•  Traduction  fidelle,  mais  detestahlt.» 

*j  Dieselbe  Meinung  wird  vertreten  von  den  folgenden  Autoren: 
La  Croix  du  Maine  u.  Du  Verdier,  Bibl  II,  395;  Mouhy,  Tobt, 
dram,  p.  224  u.  Abrege  de  Vhist.  du  th,  fr.  I,  464;  Ann.  poet,  X,  234. 

*)  Die  drei  übrigen  sind:  Hercule  furieux,  Agamemnon  u.  Octavie. 

»)  Bibl.  fr.  XIII,  373. 

•j  Bibl.  dram.  I,  24. 

')  Bibl.  dram.  I,  171. 

*)  ManUon  in  seinem  Thyeste,  p.  28. 

»)  6tude,  p.  544. 


—     18    — 


fänden,  die  aber  meist  mit  der  PrätenBioD,  Origioale  zu  seia 
auftreten".^)  Diese  Bemerkung  könnte  auf  kein  Drama  beuer 
passen  als  auf  den  Thyesie  Brisset's,  und  so  dürfen  wir 
ihn  also  ganz  getrost  in  die  Übersetzangsliste  eintragen,  die 
jetzt  folgen  soll.*) 


n.  Die  Übersetzungen  des  Thyestes  Seneca's. 

A.  In  den  romanischen  Literaturen. 

In  das  Katalanische  wurden  die  Stücke  Seneca's  von 
Antonio  Vilaragut  übertragen,  der  im  Jahre  1388  urkundlich 
nachgewiesen  ist.  Er  übersetzte  die  Medea,  den  Thyestes  und 
die  'Pfojtrmrinncn  vollständig,  die  anderen  Tragödien  Seneca's 
dagegen  nur  bruchstückweise  ins  Katalanische.*)  Creizenach 
bemerkt  dazu :  „Ich  weiß  nicht,  ob  die  Catalanen  schon  dar- 
auf aufmerksam  geworden  sind,  daß  sie  in  dieser  Arbeit 
Vilaragut's  die  älteste  Übersetzung  eines  antiken  Dramas  in 
eine  neuere  Sprache  besitzen."  *) 

Zu  verhältnismäßig  früher  Zeit,  nämlich  im  Laufe  des 
15.  Jahrhunderts  wurde  Seneca  bereits  ins  Spanische  über- 
tragen.    Zehn   seiner  Stücke   in   spanischer  Übersetzung  sind 

')  Entwicklnngsgesfh.  der  fr.  Trag.,  p.  127. 

^)  Zur  ZusammenstellaDg  der  Übersetzungen  sind  insbesondere  be- 
nutzt worden:  Schweiger,  Handbuch  der  klasBWchen  Bibliographie 
(2.  Teiles  zweit«  Abteilung,  p.  945 ff.);  Brunet,  Manuel  du  Libraire 
V,  287/88:  Engelmann,  Bibliotheca  Scriptorum  classieorum  If,  &84ff. 
und  Böhm,  Beiträge  zur  Kenntnis  des  Einflusses  Seneca^s^  p.  16  ff. 
Hennebert's  Hist  des  traduct.  frani:  (Vauteurs  grecs  et  latins pendant 
le XVI*  et le  XVII*  si^'cles  war  ziemlich  belanglos.  Es  sei  noch  bemerkt, 
daß  sich  die  Thye^tesübersetzungen  fast  immer  zusammen  mit  noch 
anderen  übertragenen  Seneca'schen  Stücken,  sehr  oft  auch  in  Gesamt- 
übersetzungen  des  Seneca  tragicus  finden. 

^)  Cf.  Kubiü  y  Lluch,  El  renacimienlOy  p.  22  u.  Creizenscb, 
Oesch.  des  n.  Dr.  I,  517. 

*)  Gesch.  des  n.  Dr.  I,  517. 


—     13     — 

enthalten  in  einer  Handschrift  der  Escorialbibliothek.  ^)  Außer- 
dem  befinden  sich  Auszüge  Ton  Seneca'schen  Dramen  und 
sogar  auch  Übersetzungen  verschiedener  Tragödien  in  drei 
Haudschriften  der  Biblioteca  Nacional  zu  Madrid.*)  Die 
älteste  von  den  dreien  mit  der  Signatur  X  88,  die  aus  dem 
Ende  des  XIY.  Jahrhunderts  datiert,  und  eine  andere  mit  der 
Signatur  T  131,  die  der  Sprache  nach  aus  der  Zeit  Juan's  II. 
und  nach  Schrift  und  Papier  aus  dem  letzten  Drittel  des 
XV.  Jahrhunderts  stammt,  sind  in  kastiiianischer  Sprache  ab- 
gefaßt und  enthalten  nur  Inhaltsangaben  des  Thyestes.  In 
dem  dritten  Codex  mit  der  Signatur  M  25  jedoch,  der  der 
Schrift  nach  dem  15.  Jahrhundert  angehört,  steht  auf  30 
Folioseiten  eine  Übersetzung  des  Thyestes,  aber  keine  spanische, 
sondern  eine  limousinische  oder,  was  dasselbe  ist,  eine 
altproven^alische.')  Ferner  soll  es  noch  eine  andere 
Handschrift  geben,  die  eine  kastilianische  Übersetzung 
von  acht  Seneca'schen  Tragödien  enthält.*)  Da  der  Thyestes 
das  achte  Drama  ist,  so  dürfte  er  sich  ebenfalls  unter  jenen 
Stücken  befinden.  Außerdem  existiert  noch  eine  moderne 
spanische  Übersetzung  aller  Seneca'schen  Dramen,  die  Lasso 
de  la  Vega  im  Jahre  1883  veröflfentlichte.*) 

Weit  zahlreicher  als  in  den  genannten  Literaturen  sind 
die  französischen  Thyestesübertragungen,  deren  es  nicht  weniger 
als  zehn  gibt.     Es  sind  die  folgenden: 

1.  Les  tragedies  de  Seneque  ....  par  Maistre 
Pierre  Grosnet,  Paris  1534.®) 


^)  Amador  de  lo»  Kio»,  Hisi.  alt.  VII,  479, 1;  Klein,  Geseh, 
d,  Dr.  IX,  126;  Rubio  y  Lluch,  El  renacimxento,  p.  22. 

«)  CaÄete,  Teatro  Esp.,  p.  43  44.  ö.  auch  Klein.  Gesch.  d.  Dr., 
IX,  126,  1,  der  sich  auf  Canete  beruft. 

')  Obige  AufecblÜBse  verdanken  wir  der  Zuvorkommenheit  der 
Beamten  der  Biblioteca  Nacional.  Die  Hfl.  X  88  enthält  nur  eine  sehr 
knappe  Inhaltsangabe  des  Thyestes  auf  einem  Folioblatt,  und  T  131  eine 
längere  auf  6  Folioseiten  mit  einem  kurzen  Dialoge  der  Tragödie. 

*)  Caiiete,  Teatro  Esp.,  p.  44.  Leider  ist  mir  das  Registrum 
W)roTUfn  von  D.  Fernando  Colon,  auf  das  sich  Canete  beruft,  un- 
erreichbar geblieben. 

•)  Biblioteca  Universale,  tom.  87. 

*)  Siehe  den  Titel  bei  Böhm,  Beiträge,  p.l6ff.  —  Birch-Hirsch- 


—     14     — 

Es  ist  jedoch  zweifelhaft,  ob  diese  Ausgabe  eine  Übersetzang  sämt- 
licher Tragödien  bietet.  Denn  über  diese  Frage  gehen  die  Ueinungen 
sehr  auseinander.')  Der  Übersetzer  Pierre  Grosnet  oder  Grognet  starb 
ungefähr  um  1540.     Er  war  Priester  und  Dichter.') 

2.  Thyeste,  Tragödie  de  Brisset  (Roland), 
Sieur  du  Sauvage,  1584. 

Diese  Tragödie  wurde  zusammen  mit  den  schon  erwähnten  drei 
anderen  Übersetzungen')  und  noch  einem  Stücke  in  einem  ßande  heraus- 
gegeben und  zwar  im  Premier  Livre  des  (Euvres  poetiques  de  K.  B.  G. 
T.  Tours  1589  et  1590,  in-4^ 

Nach  den  Fr.  Parfaic^,  Mouhy  und  Lucas  wurde  die  Thyestef- 
übersetzung  ßrisset's  1Ö84  aufgeführt.*) 

3.  Les  dix  Tragedies,  traduites  en  vers  fran- 
(^ois  par  Benoit  Baudouyn  d'Amiens,  Principal 
du   College   de  Troyes,   Bachelier  en  Theologie, 

feld,  Gesch.  der  franz.  Litt.  I,  Anro.  p.  10,  verzeichnet  noch  folgende 
Übersetzung:  Seneca,  (Euvres,  Paris  [1500— 1503];  dies  ist  jedoch  eine 
Übertragung  der  philosophischen  Werke  Seneca's. 

^)  Vgl.  hierüber  Böhm,  Beiträge^  p.  17/18,  der  die  verschiedenen 
Ansichten  angibt. 

«)  Nouv.  Biogr.  XXII,  139;40. 

')  Siehe  p.  11,  Anm.  4. 

*)  Parfaict,  Dict.  V,  4aS;  Mouhy,  Tabl  dram.,  p.  224  u. 
Lucas,  Hist.  phil.  III,  270.  Über  Brisset  gehen  die  Meinungen  sehr 
weil  auseinander.  Die  Fr,  Parfaict,  Hist.  Illy  474,  und  Mouhy, 
Tabl.  dram.j  p.  36  nennen  ihn  avocat;  Beauchamps,  Rech.  II,  62, 
schreibt:  "La  Croix  du  Maine  qui  connaissait  Brisset  ne  dit  point  qt*il 
füt  de  Tours,  ou  gentilhomme ;  il  lui  donjie  Bimplement  la  qualiie  d'atocat 
au  parlement  de  Paris.  >  Goujet,  Bihl.  fr.  VI,  188,  nennt  ihn  gar 
Tresorier  des  Ouerres,  und  La  Va liiere,  Bibl  du  Th.  III,  235,  gibt 
ihm  den  Titel  Öentilhotnme  Tourangeau.  Sicher  ist,  daß  Brisset  in 
Tours  geboren  wurde  und  in  der  2.  Hälfte  dos  16.  Jahrhundert«  lebte. 
Seine  sämtlichen  Werke  sind:  das  oben  erwähnte  Premier  Lirre  des 
(Euvres  poetiques,  welches  Hercule  furieux,  Thyeste,  Agamemnon,  Octavie 
und  Baptiste  enthält;  La  Dierom^ne  ou  le  Repentir  d^Amour;  Alcee. 
eine  Komödie.  Les  etranges  et  mcrTeilleuses  traveraes  d^Amour.  (^f- 
Nouv.  Biogr.  VII,  434;'35.  Jacob,  Bibl  dram.  IV,  26  u.  69,  schreibt 
Brisset  noch  folgende  zwei  Übersetzungen  zu:  1.  Les  Aveagle?. 
Tragicomedie  d'EpicureMapolitain  (Caracciolo)  d'Italienne  faite  fran^^* 
Par  B.  d.  J.  (Rol.  du  Jardin),  Tours.  1592,  in-12.  2.  Le  Berger  fidelle, 
pastorale  de  Titalien  du  seigneur  Baptiste  Guarini,  Chevalier.  Trad.  ^n 
prose  et  en  vers  p.  R.  Brisset,  sieor  du  Jardin,  Tour,  Tours.  1593,  in-l^. 


—     15    — 

d6diees  k  Louis  Largentier,  Baron  de  Chape« 
laines  et  imprimees  ä  Troyes,  chezNoelMoreau, 
dit  le  Coq,  en  1629.^) 

Über  das  Leben  des  Übersetzers  gibt  uns  nur  Moreri  genaueren 
Aufschluß:  «Baudoin  ou  Baodouin  (Benoit),  ne  a  Amiens,  etait  bachelier 
en  th§ologie  et  habile  dans  les  belies  leitres.  Son  traite  de  la  chaussure 
des  aneiens  ...  lui  acquit  beauooup  de  r^putation.  La  ville  de  Troyes 
le  demanda  pour  etre  principal  de  son  College,  et  pendant  tout  le  temps 
qu*il  y   demeura,   il  y  fut  considere.    De  retour  ä  Amiens,  il  acheta  la 

Charge  de  maitre   de  l'hotel-Dieu  de  cette  ville  oü  il  est  mort 

[La  Morli^re]  nous  apprend  que  Benoit  Baudouin  avait  iraduit  et.fait 
jmprimer  les  tragedies  de  Seneque.»*) 

4.  Le  Thyeste,  T.  de  Seneque,  traduite  en  prose, 
dSdiee  k  M.  le  marquis  de  Lenoncourt;  arec  un 
argument  par  P.  Linage,  Paris.  1651,  in-12. 

Vgl.  Beauchamps,  Rech.  Th.  II,  184,  der  uns  den  Titel  so  zitiert. 
Goujet,  Bibl.  fr.  III,  190,  behauptet:  «Linage  fit  sa  tradnction  ä  la 
•soUicitation  de  M.  de  TEtoile  ....  Sa  version  des  dix  tragedies  parut 
dans  les  annees  1650  et  1651  en  dix  parties.  Cependant  le  privil^ge  du 
Koi  pour  Timpression  avait  ete  accorde  d^s  le  25  de  Juin  1647  et  il 
parait  que  Touvrage  fut  acheve  la  meme  annee.»  Tatsächlich  geben 
auch  La  Vallifere,  Bibl.  du  Th.  fr.  III,  234,  und  Mouhy,  Abrege  II,  206, 
das  Jahr  1647  für  diese  Übersctzurg  an.  Jacob,  Bibl.  dram.  I,  23,  ver- 
zeichnet hiervon  eine  2.  Ausgabe  aus  dem  Jahre  1668.  Auch  Schweiger, 
Handbuch,  p.  945,  nennt  diese  Übersetzung  der  10  Tragödien.  —  Über 
den  Übersetzer  selbst  wird  uns  von  den  oben  zitierten  Quellen  nur  mit- 
geteilt, daß  er  ein  Jesnitenpater  war. 

5.  Les  tragedies  de  Sendque  en  latin  et  en 
fran<;ai8,  de  la  traduction  de  M.  de  Marolles,  abbe 
de  Villeloin.    Paris.  1659.     2  tomes  en  Ivol.  in-8^ 

Vgl.  La  Vallifere,  Bibl.  d.  Th.  fr.  III,  235;  Beauchamps, 
Rech,  du  Th.  II,  216;  Goujet,  Bihl.  fr.  VI,  191;  Schweiger,  Hand- 
6mcä,  p.  945  u.  Jacob,  Bibl.  dram.  I,  23.  Schweiger  verzeichnet  noch 
zwei  Ausgaben  vom  Jahre  1660  und  1664.  Letztere  wird  auch  von 
Niceron,  Mem.  XXXII,  224,  zitiert.  —  Marolles  lebte  von  1600—1681. 
Wir  besitzen  von  ihm  eine  Menge  Übersetzungen.') 

»)  Cf.  Goujet,  Bibl.  fr.  VI,  189;  Hist.  univ.  des  th.  VI  (P.  I), 
244;  Schweiger,  Handbuch,  945  u.  Moreri,  Dict,  Suppl  I,  244. 

*)  Biet,  Suppl.  I,  100. 

•)  Cf.  Qu^rard,  La  fr.  litt,  V,  553;  Michaud,  Biogr.  univ. 
XXVII,  40ff.;  Moreri,  Dict.  V,  172  u.  Xouv.  Biogr.  XXXIII,  914. 


—     16     — 

6.  Eine  vollständige  französische  Prosaüber* 
Setzung  des  lateinischen  Thyesies  findet  sich 
auch  im  VI.  Bande  der  Histore  universelle  des 
Th^ätresdetouteslesNationSyder  1779  erschien.^) 

7.  Th6ätre  de  S6nöque.  Traduction  nourelle 
(prose),  enrichie  de  notes  ^istoriques,  litteraires 
et  critiques,  et  suivie  du  texte  latin,  corrige 
d'aprds  les  meilleurs  manuscrits,  par  M.  L.  Coupe. 
Paris,  Honnert,  1795,  2  vol.  in-8^ 

So  wird  uns  diese  Übersetzung  von  Jacob,  Bibl.  dram.  I,  23, 
zitiert.  —  Vgl.  auch  Schweiger,  Handbuch^  p.  945  und  Brunet  V, 
287.  —  Jean-Marie-Louis  Coup^  lebte  von  1732—1818.  Er  war  Priester 
und  'Conservateur  des  Htres  de  gSnSalagie  ä  la  BibHothique  royctle»^} 

8.  Thßätre  de  L.  A.  S6n6que,  traduit  (pr.) 
par  J.-B.  Levee  (texte  en  regard),  augment6  d'uu 
examen  de  piöces  et  de  notes,  par  Amaury  Duval 
et  Alexandre  Duval.  Paris,  A.  Chasserian,  1822, 
3  Tol.  in-8«. 


Cf.  Schweiger,  Handbuch,  p.  945;  Jacob,  Bibl.  dram,  I, 
u.  fingelmann,  Bibl  11,585.    Brunet,  V,  287,  zitiert  das  Jahr  182S. 

9.  Tragedies  de  L.  A.  S6n^que  (Texte  en  re- 
gard), traduction  nouv.  (pr.),  par  M.  E.  Greslou. 
Paris,  Panchouke,  1834.     3  vol.  in-8«. 

Vgl.  Jacob,  BibL  dram.  I,  24;  Brunet  V,  287  und  Engel- 
mann. Bibl.  II,  584,  welch  letzterer  noch  eine  2.  Ausgabe  vom  Jahre 
1863  verzeichnet,  besorgt  von  Cabaret-Dapaty,  Paris,  12®. 

10.  Traduction  de  Senöque  par  Th.  Savalöte 
et  Desforges  (Collect.  Nisard)  1844. 

Cf.  Engelmann,  Bibl.  II,  584. 

In  der  italienischen  Literatur  finden  sich  folgende 
Übersetzungen : 

1.  Tieste.  Tragedia  di  Seneca  tradotta  (in 
versi  sciolti)   —  in  Venezia,  per  il   Giolito   1643 


1)  Part.  I,  297  fr.     Die  Bände  VI— VIU  enthalten  eine  Gesamt. 
Übersetzung  des  Seneca  tragicus. 
«)  Nouv.  Biogr.  XII,  173/74. 


—    17    — 

in-B  e  1560  in-lS;  con  altre   cinque^)   dello  stesso 
Autore. 

2.  ivi,  per  Giambatista  e  Marchiö  Sessa.  1560 
in-12. 

3.  ivi,  per  Domenico  Farri.  1666  iö-8,  con 
altre  cinque  di  Lodovico  Dolce,  Veneziano. 

So  werden  uns  die  drei  Ausgaben  jener  Übersetzung  in  der 
Drammaturgia  di  Lione  Allacci,  p.  763,  zitiert.  Schweiger,  Handbuch, 
p.  946,  gibt  drei  Ausgaben  von  1543,  1547  und  1560  an.  Finzi  e 
Valmaggi,  Tav.  star.-bibl.,  p.  72,  Brunet  V,  287  und  ßöhm,  Bei- 
irägcy  p.  20,  erwähnen  nur  die  Ausgabe  von  1560;  fliccoboni,  Hist. 
4,  2%.  it.  I,  102,  nennt  eine  von  1545,  Jacob,  Bibl,  dram,  IV,  41,  die 
von  1547,  und  endlich  Klein,  Gesch,  d.  Dr,  V,  408,  die  von  1566. 
iiuadrio,  Della  Staria  etc.,  t.  IV  =  Vol.  III  (1.  T.),  106,  gibt  fälsch- 
licherweise an,  daß  die  Ausgabe  von  lö60  eine  Übersetzung  aller  Tra- 
gödien Seneca's  enthalte. 

4.  Le  tragedie  di  Seneca  trasportate  in  verso 
sciolto  da]  sig.  Hettore  Nini  academico  filomato. 
Venetia,  1622  in-8. 

Vgl.  Jacob,  Bibl.  dram,  I,  25,  der  diese  Ausgabe  so  zitiert;  ef. 
ferner  Riccoboni,  HUt.  d.  Th.  it  I,  108;  Allacci,  Lh'amm.,  p.  763; 
Schweiger,  Handh.,  p.  946;  Brunet  V,  287  und  Engelmann, 
^td^  II,  585.  Letzterer  gibt  noch  eine  2.  Auflage  vom  Jahre  1822  an.  — 
Über  das  Leben  des  Übersetzers  berichtet  Quadrio  kurz:  ^Fu  questo 
Tradutiore  Sanese  di  Fatrij  Academico  Filomato,  e  grand^Amico  di 
Alessa^idro  VII.^ ') 

B.  In  den  germanischen  Literaturen: 

In  das  Englische  wurde  der  Thyestes  Seneca's  bis 
jetzt  viermal  übertragen: 

1.  Thyestes,  Translated  by  Jasper  Heywood. 
•1661.   12^  1581.    4^ 

Cf.  Biogr.  Dram.  III,  337. 

Dieses  »Stück  wurde  1581  in  der  ersten  englischen  Gesamtübersetzung 
Seneca's  herausgegeben,  die  den  Titel  führt :  Seneca  bis  Tenne  Tra- 
gedies  Translated  into  £nglish.  London.  1581.  4^  Diese 
, Übertragung  Seneca' s  scheint  teilweise  für  Auffährungen  bestimmt  ge- 


')  Die  5  anderen  sind:  Giocatia,  Mtdea,  Didone^  Ifigenia,  Hecuba. 
•)  Della  Storia  etc.  t.  IV  =  vol.  lU  (1.  T.);  106. 
Xünchener  Beiträge  z.  rom.  a.  engl.  Philologie.   XXXVII.  2 


—     18    — 

-wesen  zu  sein.^)  Für  die  Übertragung  de»  Thyestes  wird  von  Schweiger, 
Cunliffe,  dem  Diction.  of  Nation.  Biogr.  und  von  Fischer  das  Jahr  1560 
angegeben.*)  Die  Gesamtübersetzung  von  1581  wurde  1887  von  der 
Spenser  Society  neu  veröffentlicht.  —  Jasper  fleywood,  Dichter  und 
Jesuit,  lebte  von  1535-1598.») 

2.  Thyestes.  A  Tragedy  Translated  out  of 
Seneca  to  which  is  added  Mock-Thyestes,  in 
Burleaque.  By  John  W.  Gent  (Wright).  London. 
1674.    8^ 

Cf.  The  Dram.  Works  of  J.  Crowne  11,  Pref.,  p.  8/9,  ferner  die 
Biogr.  i>ram.  lU,  337  und  Schweiger,  Handb.,  p.  944.  Die  Heraus- 
geber Crowne'a  sagen  in  dem  oben  zitierten  Vorwort:  "0/"  Wright  we 
have  no  further  account  than  that  he  wm  a  barrister" 

3.  The  Ten  Tragedies  of  Seneca  by  Watson 
Bradshaw,  M,  D.,  R.  N.    London.  1902.    8^ 

4.  The  Tragedies  of  Seneca,  rendered  into 
English  Verse  by  Ella  Isabel  Harris,  Ph.  D.  (Yale). 
London.  1904.*) 

Öfter  als  in  die  englische  Sprache  wurde  der  Thyeste» 
ins  Deutsche  übertragen: 

1.  Tragische  Bühne  der  Kömer.  Aus  dem 
Latein.  (Übersetzt  Ton  J.  W.  Rose.)  Ansbach 
1771 — 81,  3  Bde.  8^  enthaltend  die  Übersetzungen 
der  Tragödien  des  Seneca.  Der  IL  Band  bringt 
den  Thtfcstes. 

Cf.  Schweiger,  Hatidb.,  p.  943  und  Engelmann,  BibLJI,b&i. 

2.  Thyestes,  ein  Trauerspiel;  übers,  (in  Prosa), 
mit  einer  Einleitung  über  das  Wesen  der  römi- 
schen Tragödie,  u.  krit.  Anmerkgn.  begleitet  Ton 
Frz.  Hörn.    Nebst  dem  lat.  Texte.  Penig.  1802.    8^ 

Cf.  Schweiger,  Handb.,  p.  943  und  Engelmann,  ^tM.  II,  584« 


»)  Vgl.  über  ihre  Entstehung  und  Treue  Cunliffe,  17^  Infi,  of 
Seneca,  p.  3/4;  Fischer,  Zur  KunstentioickL,  p.  24  und  C reiz enach, 
Gesch.  d.  n.  Dr.  n,  464/65. 

«)  Schweiger,  JöTandt.,  p.  944;  Cunliffe,  The  Infi,  of  Sen.,  p.  S; 
Dict.  of  N.  Biogr.  XXYl,  329  und  Fischer,  Zur  Kunstentwidd.,  p.  24. 

»)  Cf.  Dict.  of  N.  Biogr.  XXVI.  329  ff. 

^)  In  der  Einl.  spricht  Miss  Harris  auch  noch  von  einer  Über* 
Setzung  aus  dem  Jahre  1702. 


—     19     — 

3.  Eine  Jugendarbeit  Uhland's,  wahrschein- 
lich aus  dem  Jahre  1802,  ist  eine  Übersetzung  des 
ThyesieSf  welche  A.  v.  Keller  (XJhland  als  Drama- 
tiker) publizierte,  und  zu  welcher  Düntzer  im 
Jahre  1893  Nachträge  gab. 

Cf.  Schanz,  Gesch.  d,  röm.  Litt  II  T.  II.  Hälfte,  S.  49. 

4.  Tragödien  der  Römer,  metr.  übersetzt  (von 
K.  Ad.  Menzel).  Teil  1  (Seneca's  Hercules  furens, 
Thyestes,  Agamemnon).  Berlin.  1809.     8^ 

Cf.  Schweiger,  Handb.,  p.  943  und  Engelmann,  BiR  II,  584. 

5.  L.  A.  Seneca's  Tragödien  nebst  den  Frag- 
menten der  übrigen  röm.  Tragiker  übersetzt  und 
mit  Einleitungen  Yersehen  von  W.  A.  Swoboda. 
Wien  u.  Prag.  1825.     3  Bde.     8«. 

Cf.  Schweiger,  Handb.,  p.  944.  ßrunet  V,  288,  u.  Engel- 
mann,  Bihl.  11,  584,  geben  fdr  diese  Ausgabe  1821—25  an;  letzterer 
verzeichnet  noch  eine  Btneuerung  des  Titels:  1828—30. 

6.  Seneca,  metrisch  übersetzt  und  mit  erklär. 
Anmerkgn.  von  Ed.  Sommer.  7  Lieferungen. 
Dresden.  1834.  12^  Die  2.  Lieferung  enthält  die 
Übersetzung  des  Thyestes, 

Cf.  Engelmann,  Bibl  II,  584. 

In  der  niederländischen  Literatur  gibt  es  nach  den 
Angaben  von  Worp  keine  vollständige  Thyestesübersetzung, 
sondern  nur  ein  Bruckstück.*)  Spieghel  (Heinrich  Laurenszon), 
der  von  1549 — 1612  lebte  *),  versuchte  nämlich,  dieses  lateini- 
sche Stück  in  seine  Muttersprache  zu  übersetzen,  vollendete 
aber  seine  Übertragung  nicht  oder  scheinbar  nicht;  denn  in 
seinen  Werken  befindet  sich  nur  eine  Übersetzung  des  Chors 
des  II.  Aktes  der  lateinischen  Tragödie  unter  dem  Titel 
„May-lied"  mit  der  Jahreszahl  1588.^) 

Der  Thyestes  Seneca's  ist  also  in  die  romanischen  und 
germanischen  Sprachen  27  mal  übertragen  worden,  voraus- 
gesetzt,  daß   die   von   uns  auf  S.   13    zitierte   kastilianische 


*)  De  Invloed  etc,  p.  56. 

«)  Vgl.  über  Spieghel  das  Biograph.  Woordenboek  XVII  (2),  903 flf. 
')  H.  L.  Spieghel'«  Hertspieghel  en  andere  Zedeschriften,  Amst. 
1694,  p.  221. 

2* 


—     20    — 

Handschrift  und  die  UbersetzuBg  GrosDefs  den  Thyestes 
enthalten.^)  Bevor  wir  uns  nun  den  modernen  Thyestesdramen 
zuwenden,  müssen  wir  uns  zunächst  mit  deren  Hauptqaelleo, 
nämlich  mit  der  Tragödie  Seneca's  und  der  88.  Fabel 
Hygin's  bekannt  machen. 


III,  Inhaltsangabe  des  Thyestes  von 
L.  A.  Seneca. 

I.  Akt. 

(Ort  der  Handlung  ist  während  des  ganzen  Stückes  der  Palast 
des  Atreus  in  Argos.) 

Noch  vor  Tagesanbruch  wird  der  Geist  dee  Tantalus  von 
einer  Furie  aus  der  Unterwelt  in  den  Palast  des  Atreus  ge- 
trieben, um  diesen  seinen  Enkel  zur  Rache  gegen  Th^'estes 
aufzureizen.  Als  Tantalus  erfährt,  daß  Atreus  die  Kinder 
des  Thyestes  schlachten  und  ihrem  Vater  als  Speise  vorsetzen 
soll,  da  kommen  ihm  die  Qualen  der  Hölle  gegen  solche 
Greuel  gering  vor,  und  lieber  möchte  er  sofort  wieder  in  die 
Unterwelt  hinabsteigen  als  solche  Frevel  veranlassen.  Doch 
die  Furie  zwingt  ihn   mit  einer  Peitsche,  zu  bleiben.    Der 


')  In  der  romanischen  und  germanischen  Literatur  wurde  auch  die 
Fabel  von  Atreus  und  Thyest  viermal  parodiert.  In  der  französischen 
Literatur  haben  wir  folgende  zwei  Parodien: 

1.  Ätrie  et  Thyeste^  eine  von  einem  anonymen  Verfasser  herrfihreode 
Parodie  des  Crebillon 'sehen  Stückes.  Im  J.  1709  wurde  sie  von  der 
Troupe  de  Seiles  aufgeführt,  aber  nie  gedruckt. 

Cf  Parfaict,  I>ict  du  Th.  I,  322. 

2.  £ine  Parodie  des  jEgyste  von  Seguineau  und  Pralard 
wurde  im  Marionettentheater  zum  Besten  gegeben;  ihre  Verfasser 
nannten  sich  Sagouineau  und  Braillard. 

Cf.  Anecd.  dram.  I,  292, 

Den  Mock'Thyestea  von  J.  Wright  haben  wir  scibon  auf  S.  IH 
zitiert.    Vgl.  über  diese  Parodie  Genest,  Some  Account  etc.  X,  143. 

Im  Jahre  1768  ließ  Bodmer  in  seinen  neuen  tAie«tr.  Werken 
eine  Parodie  des  WeÜlc'solien  Stückes  unter  dem  Titel  Atrm»  u.  Thyest 
erscheinen,  die  von  Klotz  in  der  Deutioh.  Bibl  d.  »Mn.  Wimmgeh,  U 
(ö.  St.),  104  ff.,  gerechterweise  gebrandmarkt  wird. 


—     21     - 

Palast  erbebt  bei  der  Berührung  mit  dem  höllischen  Geiste, 
und  die  gesamte  Natur  entsetzt  sich  über  die  Gegenwart  des 
yerbrecherischen  Schattens.  Erst  als  dieser  das  Haus  mit 
seiner  ansteckenden  Wut  erfüllt  hat,  kehrt  die  Furie  wieder 
mit  ihm  in  die  Unterwelt  zurück. 

Der  Chor  bittet  die  Gottheiten  des  Pelopouneses,  doch 
dem  Zorne  und  den  Verbrechen  der  Pelopiden  Einhalt  zu 
gebieten  und  malt  die  Greueltaten  des  Tantalus. 

IL  Akt 

Aufs  tiefste  empört  über  den  ehebrecherischen  Verkehr 
seines  Weibes  mit  Thyestes,  faßt  Atreus  den  furchtbaren 
Plan,  sich  an  seinem  Bruder  zu  rächen  und  ihm  die  eigenen 
im  Ehebruch  erzeugten  Söhne  als  Speise  vorzusetzen.  Zu 
diesem  Zwecke  will  der  Pelopide  den  Thyestes  durch  seine 
Söhne  Agamemnon  und  Menelaus,  die  ihm  seine  Gemahlin 
^rope  TOr  ihrer  Untreue  geboren,  von  der  Verbannung  zu- 
rückrufen lassen  und  mit  der  trügerischen  Nachricht  anlocken, 
er  wolle  mit  ihm  gemeinsam  und  friedlich  das  Reich  regieren 
und  ihm  für  immer  seine  Schandtaten  verzeihen.  Der  Ver- 
traute sucht  den  Atreus  milder  zu  stimmen  und  hält  ihm  die 
Unmoral  seiner  Absichten  vor  Augen.  Der  Sohn  des  Pelops 
aber  bleibt  bei  seinem  Vorhaben  und  fordert  schließlich  den 
Vertrauten  zu  strengster  Verschwiegenheit  auf. 

Der  Chor,  der  den  Ehrgeiz  der  Herrscher  tadelt,  meint, 
daß  das  wahre  Glück  nicht  in  den  Königspalästen  wohne, 
sondern  in  der  Zufriedenheit  und  Zurückgezogenheit  liege. 

IIL  Akt. 

Dem  Rufe  seines  Bruders  Folge  leistend,  trifft  Thyestes 
mit  seinen  drei  Söhnen :  Plisthenes,  Tantalus  und  einem  noch 
unmündigen  am  Palaste  des  Atreus  ein.  Beim  Anblick  seiner 
Vaterstadt  mit  ihren  altehrwürdigen  Cyklopentürmen  wird  er 
freudig  bewegt;  bald  wird  ganz  Argos  ihm  entgegenkommen, 
aber  —  wehe!  auch  Atreus  wird  dabei  sein.  Bei  der  Er- 
innerung an  seinen  Bruder  möchte  er  wieder  in  die  Wälder 
zurückkehren,  wo  er  sich,  obwohl  verbannt,  dennoch  glücklicher, 
weil  freier  von  Schuld,  gefühlt  hat,  als  auf  dem  mit  falschem 


—     22     — 

Glänze  umgebenen  Königsthrone.  Doch  durch  die  Bitten 
des  Plisthenes  ^)  läßt  er  sich  dazu  bewegen,  sich  dem  Palaste 
zu  nähern. 

Von  Atreus  aufs  freundlichste  empfangen,  bietet  ihm 
Thyestes  kniefällig  seine  Söhne  als  Geiseln  an  (2.  Sz.).  Der 
gleisnerische  Atreus  fordert  seinen  Bruder  und  dessen  Söhne 
auf,  ihn  zu  umarmen,  und  bittet  den  Thyestes,  sein  ab- 
getragenes Bettlergewand  mit  dem  königlichen  Purpur  zu 
vertauschen  und  die  Regierung  mit  ihm  zu  teilen  —  alles 
soll  vergessen  sein!  Thyestes  weigert  sich  anfangs,  das  An- 
erbieten anzunehmen,  läßt  sich  aber  schließlich  doch  dazu 
überreden. 

Der  Chor  preist  die  Wohltaten  des  so  heiß  und  lang  er- 
sehnten Friedens,  der  für  Argos  außerordentlich  schnell  ge- 
kommen sei,  gerade  wie  bisweilen  das  heiterste  Wetter  sehr 
rasch  auf  einen  entsetzlich  tobenden  Sturm  folge :  Nichts  unter 
der  Sonne  bleibt  ewig  in  demselben  Zustande.  Auf  Glück 
folgt  Unglück  und  umgekehrt:  7tdv%a  gel, 

IV.  Akt. 

Ein  Bote  erzählt  dem  Chore,  daß  Atreus  in  dem  hinter 
dem  Palaste  gelegenen,  in  ewige  Nacht  getauchten  und  von 
Gespenstern  häufig  heimgesuchten,  heiligen  Haine  grausamer- 
weise die  Söhne  seines  Bruders  unter  Beobachtung  der  Opfer- 
zeremonien geschlachtet,  gebraten  und  ihr  Fleisch  seinem 
Bruder,  also  ihrem  eigenen  Vater,  zur  Speise  und  ihr  Blut 
zum  Tranke  vorgesetzt  habe.  Die  Sonne  habe  sich,  obgleich 
zu  spät,  aus  Abscheu  abgewendet. 

Durch  den  allzu  frühen  Untergang  der  Sonne  geängstigt, 
fürchtet  der  Chor,  daß  das  ganze  Gebäude  des  Weltalls  ein- 
stürzen könnte.  Dabei  wird  der  Untergang  der  Himmels- 
körper des  Tierkreises  beschrieben. 

V.  Akt. 
Atreus   tritt  allein  auf  und  gibt  seiner  Freude  über  das 
teilweise   Gelingen  seines   Kacheplanes   Ausdruck.     Thyestes 


*)  Diese  Worte  werden   bei   Leo   dem   Tantalus   zugewiesen;   die 
späteren  Nachahmungen  stimmen  mit  den  älteren  Ausgaben  überein. 


—    23     — 

hat  zwar  schon  vom  Fleische  seiner  Söhne  gegessen,  aber  noch 
nicht  von  ihrem  Blute  getrunken.  Auch  das  soll  ihm  nicht 
«rspart  bleiben.  Schon  freut  sich  Atreus  auf  den  Augenblick, 
wo  seinem  Bruder  die  Entsetzlichkeit  der  Bache  zum  Bewußt- 
sein kommen  werde;  er  läßt  die  Tore  des  Palastes  öffnen: 
In  halbtrunkenem  Zustande  kommt  Thyestes  singend  herbei, 
doch  kann  er  sich  eigentümlicher,  unheilvoller  Gedanken  nicht 
erwehren;  seine  Haare  stehen  ihm  zu  Berge.  Atreus  lädt 
ihn  ein,  zur  Bekräftigung  der  Versöhnung  aus  dem  Tan- 
talidenpokale  zu  trinken.  Thyestes  setzt  den  mit  dem  Blute 
seiner  Söhne  gefüllten  Becher  zum  Trünke  an  die  Lippen  — , 
als  plötzlich  die  Lichter  erlöschen,  die  Sonne  sich  verfinstert, 
der  Donner  rollt,  und  die  Tafel  in  Trümmern  auf  den 
zitternden  Boden  stürzt.  Thyestes  wird  von  furchtbarem 
Entsetzen  ergriffen:  der  Wein  weicht  von  seinen  Lippen 
zurück,  seine  Hand  vermag  den  schwerer  und  schwerer  werden- 
den Pokal  kaum  noch  zu  halten.  Etwas  Grauenhaftes  muß 
sich  ereignet  haben.  Thyestes  gedenkt  seiner  Söhne  und  ver- 
langt nach  ihnen.  Da  zeigt  ihm  Atreus  deren  blutige  Über- 
reste. Auf  die  höhnische  Frage  des  Atreus,  ob  er  in  ihnen 
nicht  seine  Söhne  erkenne,  antwoilet  Thyestes:  „Ich  erkenne 
in  dir  meinen  Bruder."  In  zynischer  Weise  gibt  ihm  Atreus 
zu  verstehen,  daß  er  alles  Übrige  Ton  seinen  Söhnen  in  seinem 
Leibe  habe,  daß  er  also  mit  seinen  Kindern,  nach  denen  es 
ihn  so  heiß  verlange,  unzertrennlich  vereint  sei.  In  furcht- 
barem Schmerze  bittet  Thyestes  den  Wüterich,  doch  auch 
ihn  zu  töten,  nimmt  aber  sofort  wieder  seine  Bitte  zurück, 
um  seine  Kinder  in  seinem  Leibe  zu  schonen.  Dann  ruft 
der  Unglückliche  die  Blitze  der  Götter  auf  sie  beide  oder 
doch  wenigstens  auf  sich  selber  herab ;  aber  auch  diese  Bitte 
bleibt  unerhört.  Atreus  spricht  den  Verdacht  %us,  daß 
Thyestes  ihn  ganz  sicher  auch  mit  Menelaus  und  Agamemnon 
auf  dieselbe  Weise  regaliert  haben  würde,  wenn  er  nicht  hätte 
fürchten  müssen,  sie  seien  am  Ende  seine  eigenen  Söhne. 
In  seiner  Hilflosigkeit  ruft  Thyestes  die  Strafe  der  Götter 
auf  das  Haupt  seines  Bruders  herab. 


—    24    — 


IV.  Inhaltsangabe  der  88.  Fabel  Hygin's.') 

Thyestes,  der  nach  dem  entsetzlichen  Bacheakte  des  Atreas 
zum  Könige  Thesprotus  geflohen  ist,  kommt  nach  Sikyon 
und  vergewaltigt  dort  zur  Nachtzeit  seine  eigene  Tochter 
Pelopia,  eine  Priesterin  der  Minerva,  ohne  sie  zu  erkennen. 
Diese  entreißt  ihm  bei  der  Freveltat  das  Schwert  und  verbirgt 
es  behutsam.  Am  nächsten  Tage  nimmt  Thyestes  Abschied 
von  Thesprotus. 

Inzwischen  ist  in  ArgosPest  und  Hungersnot  ausgebrochen; 
auf  einen  Orakelspruch  hin,  der  die  Zurückberufung  des 
Thyestes  verlangt,  kommt  Atreus  zum  König  Thesprotus,  bei 
djem  er  seinen  Bruder  vermutet,  mit  dem  Vorhaben,  diesen 
in  sein  Reich  zurückzufuhren.  Bei  Thesprotus  verliebt  sich 
Atreus  in  Pelopia,  die  er  fiir  des  Königs  Tochter  ansieht, 
und  nimmt  sie  als  sein  Weib  mit  nach  Argos.  Dort  gebiert 
Pelopia  den  jEgisthus,  den  sie  von  ihrem  Vergewaltiger 
empfangen  hatte,  den  aber  Atreus  für  seinen  eigenen  Sohn  hält. 

Als  ^gisthus  zum  Jüngling  herangewachsen  ist,  treffen 
Agamemnon  und  Menelaus  in  Delphi  zufallig  den  Thyestes, 
nehmen  ihn  gefangen  und  bringen  ihn  zu  ihrem  Vater  Atreas. 
Dieser  befiehlt  dem  iEgisthus,  den  Thyestes  zu  ermorden. 
Als  nun  der  Jüngling  das  Geheiß  seines  vermeintlichen  Vaters 
ausfuhren  will,  erblickt  Thyestes  sein  altes  Schwert  wieder, 
wodurch  die  Erkennung  zustande  kommt,  und  die  gräßliche 
Blutschande  offenbar  wird.  Pelopia  tötet  sich  selbst.  jEgisthus 
ermordet  den  Atreus  am  Flußufer  und  wird  mit  seinem  Vater 
Erbe  des  Thrones. 


*)  Siehe  den  lateinischen  Text  dieser  Fabel  im  Anhange. 


Nachahmungen  und  Bearbeitungen. 


A.  Gesamtflbersicht  der  wichtigsten  Atreus-  und 
Thyestestragodien  in  den  romanischen  und  germanischem 

Literaturen. 


Titel 

Verfasser 

1.  Ausgabe 
bzw.  Abfassungszeit 

Le  Thyeste 

Monleon 

Paris.  1633.    4». 

Thyestes 

Crowne  (John) 

London.  1681.    4^ 

Atree  et  Thyeste 

Crebillon 

Paris.  1707.     12». 

JEgyBte 

Seguineau  u.Pralard 

1721  (nicht  gedr.). 

Pelopee 

Pellegrin 

Paris.  1733.    8^ 

Atree,  tragedie 

p 

zw.  1733  u.  1758  (nicht 

lyrique 

gedr.). 

Atreus  und  Thyest 

Weiße  (Chr.  F.) 

Leipzig.  1766.    8« 

Les  Pelopides' 

Voltaire 

Lausanne.  1772.    8^ 

Tieste 

Foscolö 

Venezia.  1797.    8«. 

.E  r  0  p  e 

Müller  (Joh.  W.) 

Heidelberg.  1824.    S«. 

Atreo 

Viriani 

Lucca.  18a3.    8». 

In  den  romanischen  und  germanischen  Literaturen  gibt 
es  also  11  namhafte  Atreus-  und  Thyestestragödien  und  zwar 
6  französische,   2  italienische,   1  englische  und  2  deutsche.^). 


*)  Wir  sahen  ans  gezwungen,  den  von  versefaiedenen  Autoren  ge- 
nannten Thyeste  von  Pousset  de  Montauban  von  unserer  Liste 
MMZuschalten,  da  es  äufierst  zweifelhaft  ist,  ob  dieses  Stück  je  existiert 
hat  (Tgl.  hierüber  S.  4,  ö,  7—10  dieser  Arbeit,  ferner  La  ValH^re,  BiM. 
an  Th.  fr.  III,  40;  Anecä.  dram.  II,  222  u.  III,  366  u.  Annale«  dram. 
VI,  364).    Der  von  La  Barrera  y  Leirado,  Catdlogo  Bibl,  p.  529, 


—     26    — 

Hinsichtlich  der  TragMie  lyrique  d'Atree  ist  zu  bemerken, 
daß  deren  Verfasser  die  Pelopee  Peilegrin's  gekannt  haben 
muß.*)  Da  nun  D'Alembert  seinen  Brief,  in  dem  er  die  lyrische 
Tragödie  erwähnt^),  wahrscheinlich  im  Jahre  1758  schrieb'), 
so  liegt  die  Entstehungszeit  dieses  Stückes  zwischen  1733 
und  1758. 

Was  die  Pelopides  von  Voltaire  betrifft,  so  wurde  dieses 
Stück  in  den  letzten  Monaten  des  Jahres  1771  gedruckt*], 
wenn  es  auch   erst  zu  Anfang  1772  zur  Ausgabe  gelangte.^] 


zitierte  Atreo  desdichado  hat  mit  unserem  Thema  nichts  gemein,  da  der 
Held  jenes  Schauspiels  nicht  etwa  Atreus  der  Felopide.  sondern  ein 
armenischer  Prinz  dieses  Namens  ist  (cf.  Schaeffer,  Oeftch,  des  Span. 
Natmidr,  I,  460).  Das  im  Dict.  of  Old  Engl.  Plays,  p.  192,  verzeichnete 
Stück  Pelopidarum  8ecu7ida  kann  kein  Atreus-  und  Thyestesdrama  ge- 
nannt werden,  da  die  ganze  Nachkommenschaft  und  Verwandtschaft  des 
Pelops,  nämlich  Atreus,  Thyestes,  Clytemnestra,  ^gisthus,  Agamemnon, 
Electra,  Orestes,  Pylades,  Hipparchos,  Eurybates,  Cassandra  etc.  daria 
als  handelnde  Personen  vorkommen.  Es  gibt  außerdem  noch  im  Eng- 
lischen einen  Atreus  and  Thyestes.  An  unacted  tragedy  (1S21)  adapted 
by  Sinnett  from  the  French  of  Crehillon  (cf.  Genest,  Some  Account  etc. 
X,  235/36  und  Adams,  Dict.  of  the  Ih'ama  I,  90j.  Aber  dies  ist 
natürlich  nur  eine  freie  Übersetzung  der  Crebillon'schen  Tragödie. 
Genau  dasselbe  gilt  auch  von  den  auf  p.  176;77  des  ersten  Teiles  des 
Catalogus  van  de  Bibliothek  der  Maatschappij  van  Nederlandsche  Letter- 
künde  namhaft  gemachten  Atreusdramen  von  F.  Hyk,  der  „vervaardigde 
en  vertaalde  een  aantal  tooneelspielen  uit  het  fransch  zoo  als  .  . .  Atreus 
en  Thyestes"  (cf.  Biogi:  Woordenboek  XVI,  606). 

*)  Cf.  S.  100  ff. 

«)  Cf.  (Euvres  philos.,  histor.  et  littSr,  V,  329. 

■J  Der  Brief  D'Alembert's  trägt  zwar  kein  Datum.  Da  er  jedocli 
ein  vom  20.  März  1758  datiertes  Schreiben  Kousseau's  beantwortet,  so 
dürfen  wir  wohl  annehmen,  daß  er  noch  in  demselben  Jahre  geschrie- 
ben wurde.  Cf.  D'Alembert,  (Euvres  philos,  etc.  V,  301  ff.,  309 ftl 
und  329. 

*)  Ed.  1877  {Avcrt  des  Ed.  de  Ved.  de  K.)  p.  102  A.  1:  •Voltairt 
corrigea  les  Pelopides  et  Us  fit  imprimer  ä  la  fin  de  1771.  La  Corre- 
spondance  de  Grimm  en  parle  dis  janvier  1772.  Les  Pilopides  avaient  ete 
imprimes  dans  le  tome  XII  des  Nouveaux  MelangeSf  qui  portent  le  mU- 
lesime  1772.» 

»)  Freron,  Annee  litt.  (1772)  II,  3;  Anecd.  dram.  II,  447;  FetiU 
Bibl.  d.  Th.:  Cliefs-dCEum-e  de  Creh.:  Jug.  et  Anecd.,  p.  XI;  A^n.  dram. 
VIII,  274;  Delandine,  Bibl.  dramat.,  p.  434;  Querard,  La  France- 
litt.  X,  320  und  Bengesco,  Bibliographie  IV,  83. 


—     27     — 

B.  Englische  Literatur. 

Der  Thyestes  von  John  Crowne^)  (1681). 

Die  Quelle  von  Crowne's  Tragödie  ist  der  Thyestes 
Seneca's.  Darauf  haben  schon  Langbaine,  die  Biographia 
Dramatica  und  Genest  hingewiesen.-)  Letzterer  beschäftigt 
sich  ziemlich  eingehend  mit  Crowne's  Tragödie,  gibt  eine 
Inhaltsangabe  des  lateinischen  Originals  und  der  englischen 
Nachbildung  und  meint  zum  Schluß,  Crowne  habe  einige 
Stellen  aus  Seneca  sehr  gut  übersetzt.  Die  Herausgeber 
Crowne's  vom  Jahre  1874  sagen  sogar,  die  englische  Tragödie 
sei  bis  zu  einem  gewissen  Grade  eine  Übertragung  des  lateini- 
schen Stückes.^)    Chambers  endlich  bemerkt  nur  ganz  kurz, 

*)  Vgl.  über  das  Leben  des  Dichters  das  Biet  of  Xat.  Biogr. 
Xin,  243—45. 

•)  Langbaine,  Account ^  S.  97:  "TÄc  plot  of  this  Play  is  founded 
on  Seneca' 8  TJiyestes,  and  seems  to  he  an  Imitation  of  that  Flay.  I  know 
not  ichether  our  Author  ever  saio  the  Italian  play  on  this  aubject,  written 
by  Ludovicus  Ducis,  wJiich  ia  commended  by  Delrio,  or  the  French  Tra- 
gexlies  of  Boland  Brisset,  and  Benoist  Bauduyn:  but  I  doubt  not  biit 
this  Play  may  vie  icith  either  of  thtm:  at  hast  the  French  Plays ,  which 
in  the  opinion  of  some,  are  very  mean."  Wir  wissen,  dal{  die  von 
Langbaine  zitierten  Stücke  nur  Übersetzungen  des  lateinischen  Originals 
sind.  Die  Biogi:  Dram.  III,  337  sagt  von  dem  englischen  Thyestes-, 
**Tlie  foundation  of  it  is  laid  in  Seneca^s  tragedy,  and  Crowne  hos  in 
some  tneasnre  imitated  that  autJtor  in  the  superstructure.  Tliere  are, 
howeverj  tico  plays  07i  the  sarhe  subject,  the  one  in  French,  the  other  in 
Spanish;  but  how  far  our  author  hos  been  obliged  to  either  of  them  we 
know  not,  neither  of  them  having  fallen  in  our  toayJ^  Das  französische  und 
das  spanische  Stück  sind  natürlich  nur  Übertragungen  der  Tragödie 
Seneca's;  der  Thyeste  Monleon's  wird  hierbei  wohl  nicht  in  Betracht 
kommen,  da  er  nur  wenig  bekannt  war.  Genest  teilt  uns  in  seinem 
Account  of  the  English  Stage  I,  292^/93  folgendes  mit:  ".  . .  The  Thyestes 
of  Seneca^  on  which  Crown  has  founded  this  T.  — ,  a  stranger  subject 
was  surely  never  chosen  for  a  modern  play;  Crown  has  however  managed 
the  story  much  better  than  couM  Juive  been  expected,  and  vastly  better 
than  Seneca. . .  Crown  lias  translated  some  passages  from  Seneca  very  weil.'' 

*)  jHie  Dram.  Works  of  J.  Crowne  II,  7:  "7^  is  partly  founded  on 
the  Thyestes  of  Seneca;  indeed  to  a  certain  extent  is  a  translation,  uith 
alterations  and  modifications  made  with  a  rieir  to  render  it  more  adopted 
for  representation  o?i  the  English  Stage.'' 


—     28    — 

daß  Crowne's   Thyesks  auf  die  Tragödie  Seneca's   zurück- 
gehe.^) 

Da  also  das  VerhältoiB  des  englischen  Dichters  zu  seinem 
Vorbilde  noch  nicht  völlig  geklärt  ist,  so  wollen  wir  uns  der 
Aufgabe  unterziehen,  eine  genaue  Untersuchung  über  die  von 
Crowne  benutzten  Quellen  anzustellen.  Wir  schicken  die  Be- 
merkung voraus,  daß  die  erste  Quartausgabe  von  1681,  deren 
Text  und  Orthographie  wir  folgen  werden,  eine  sehr  ver- 
worrene Szeneneinteilung  aufweist,  welche  in  der  Ausgabe 
von  1874 '  in  mancher  Hinsicht  gebessert  worden  ist.  Wir 
werden  deshalb  die  Szeneneinteilung  der  neueren  Ausgabe  zu- 
grunde legen,  dabei  aber  zur  größeren  Übersicht  in  den 
einzelnen  Szenen  noch  verschiedene  Teile  unterscheiden. 

Eine  kurze  Inhaltsangabe  mache  uns  zunächst  mit  der 
Tragödie  näher  bekannt. 

Atreus,  dessen  Zorn  gegen  Thyestes  von  dem  durch 
JMegara  aus  der  Hölle  in  den  Palast  getriebenen  Geist  des 
Tantalus  entfacht  worden  ist,  will  sich  endlich  an  seinem 
Bruder  rächen,  der  seine  Gemahlin  ^rope  verfahrt  hat,  wie 
Atreus  glaubt.  In  Wirklichkeit  hat  Thyestes  die  JErope  ver- 
gewaltigt, und  als  Frucht  dieser  Tat  war  Philistbenes  ent- 
sprossen. Dieser  Jüngling,  der  mit  seinem  Vater  Thyeste»  ver- 
trieben worden  war,  hält  sich  in  einer  nahen  Höhle  auf,  wo  ihn 
Antigone,  die  Tochter  des  Atreus  und  der  JErope,  also  seine 
Halbschwester,  öfters  besucht,  da  sie  ihn  leidenschaftlich  liebt. 
Beide  haben  eine  Flucht  von  einem  versteckten  Hafen  aus 
geplant  und  wollen  dieselbe  gerade  ins  Werk  setzen^  als 
Philistbenes  von  den  Wachen  des  Atreus  ergriffen  und  zu 
dem  wütenden  Pelopiden  geschleppt  wird.  Dieser  jedoch  ver- 
stellt sich,  heuchelt,  ihm  gegenüber  Versöhnung,  verspricht 
ihm  die  Hand  der  Antigone  und  läßt  den  Thyestes  zurück- 
rufen. Der  gleisnerische  Atreus  empfängt  seinen  Srudef  in 
liebenswürdiger  Weise,  bietet  ihm  die  Hälfte  seines  Eeiches 
an  und  nimmt  die  ^Erope,  die  lange  Zeit  im  Kerker  ge- 
schmachtet bat,  als  sein  Weib  wieder  auf;  heute  noch  soll 
die   Vermählung   zwischen   Philistbenes   und  Antigone   statt- 


')  Cyrl  of  Engl  Lit  II,  89. 


—    29    — 

finden!  Nach  den  Hochzeiiszeremonien  ermordet  jedoch 
Atreus  *den  Jüngling  und  regaliert  mit  dessen  Fleisch  und  Blut 
den  Thyestes.  Beim  Trii^ken  merkt  letzterer  die  abscheuliche 
Bache,  ^rope  tötet  den  verhaßten  Thyestes,  dann  sich  selbst. 
Auch  Antigoue  macht  ihrem  Leben  ein  jähes  Ende. 

I.  Akt. 
1.  Szene. 

Ort  der  Handlung:  Der  Palast  des  Atreus  in  Argos. 
1.  Teil.    3Iegara  hat  den  Geist  des  Tantalus  von  der  Unterwelt 
mit  einer  Peitsche  in  den  Palast  des  Atreas  getrieben,  damit  er  das 
fiaus  seiner  Nachkommen  mit  Mord  erfülle.    £s  sind  zwar  schon  große 
Verbrechen  geschehen;  denn 

""Brother  whar'd  Brother'g  Wife, .  . . 

Brother  depos'd  hi»  Broiher  from  his  Thrane^ 
aber  noch  ist  kein  Blut  geflossen.  Tantalns  soll  nun  eine  solche  Mordtat 
in  seinem  Palaste  verursachen,  daH  die  Schlanf^en  der  Furie  Beifall 
zischen.  Es  soll:  **The  FatJier  tat  the  Ncphcw  he  hegot:'  Der  Geist  des 
Tantalus  will  lieber  in  die  Hölle  zurückkehren  als  solche  Scheußlich- 
keiten veranlassen.  Doch  die  Furie  zwingt  ihn  mit  ihrer  Peitsche  zum 
Gehorsam.  Sie  zeigt  ihm  den  in  unruhigem  Schlafe  daliegenden  Atreus. 
Der  zitternde  Schatten  des  Tantalus  entfernt  sich,  um  den  Palast  mit 
seinem  Atem  zu  erfüllen.  Während  seiner  Abwesenheit  schildert  die 
Furie  die  schreckliche  Wirkung  des  Tantalus  auf  die  Natur.  Nach  dessen 
Rückkehr  beginnt  Atreus,  sich  vom  Schlafe  zu  erheben,  und  die  beiden 
Geister  steigen  in  die  Hölle  hinab. 

Crown e  hat  hier  den  ersten  Akt  des  lateinischen  Originals 
genau  nachgeahmt ;  denn  hier  wie  dort  wird  der  sich  sträubende 
Geist  des  Tantalus  von  einer  Furie,  die  mit  Schlangenhaaren 
und  einer  Peitsche  bewaffnet  ist,  gezwungen,  den  Palast  seines 
Enkels  mit  Verbrechen  zu  füllen.  Dabei  hat  sich  Crowne 
auch  sehr  genau  an  den  lateinischen  Text  gehalten,  ja  ihn 
teilweise  direkt  übersetzt.  Wir  wollen  die  betreffenden  Stellen 
vergleichshalber  hierhersetzen. 
Tant. :  To  what  new  Colonies  of  mocking  Fruits, 

And  vaoishing  false  Stroms,  dost  thou  transplant 
The  Hungry,  Thirsty  Shade  of  Tantalus? 
Sen.  V.  1  ff.  Tant. : 

Quis  inferorum  sede  ab  infanata  extrahit 
avido  fugaces  ore  captantem  cibos, 


—     30    — 

qnia  male  deorum  Tantalo  visas  domos 
ostendit  iterum?  peius  inFentum  est  siti 
arente  in  nndis  aliquid  et  peius  fame 
hiante  sempet'? 

Mag. :  The  Bastard  Nephew  go  out  of  the  World 
A  way  more  horrid  than  he  came  into  it. 

Sen.  V.  41/42  für.:         .  .  .  liberi  pereant  male, 
peius  tarnen  nascantur. 

Meg. :  Let  the  vast  Villany  of  thy  damn'd  Race 

Reach,  aud  confound  the  Heavens,  make  the  Night 
Engender  with  the  Day;  the  groaning  Day 
Bring  forth  Gygantick  darkness  at  füll  Nood, 
Such  as  for  hours  may  pluck  the  Sun  from  HeaTen. 
At  this  black  Peast,  I'le  let  thee  be  a  Guest, 
Devour  thy  fiU  in  quiet,  when  thy  Cup 
Flowes  with  the  Blood  of  thy  incestuous  Race, 
Nothing  shall  dare  to  snatch  it  from  thy  Lips. 

Sen.  V.  48 £F.  Für.:  non  sit  a  yestris  malis 

immune  caelum  .  .  . 
Nox  alia  fiat,  excidat  caelo  dies. 

Sen.  V.  62  S,  Für. :      ...  non  novi  sceleris  tibi 
conviva  venies.  liberum  dedimus  diem 
tuamque  ad  istas  solvimus  mensas  famem: 
ieiunia  exple,  mixtus  in  Bacchum  cruor 
spectante  te  potetur.  .  .  . 

Tant.:  Return  me  to  my  dark  dire  Prison  in  Hell, 
And  all  you  tortur'd  Spirits  hug  your  pains. 

Sen.  V.  70fr.  Tant: 

abire  in  atrum  carceris  liceat  mei 
cubile  .  .  . 


quicumque  poenas  lege  fatorum  datas 
pati  iuberis,  .  .  . 

credite  experto  mihi, 
amate  poenas. 


—     31     — 

Tant.:  Oh!    Hold  thy  gnawing  Whip, 

I  will  obey. 
Sen.  V.  96  Tant, : 

quid  ora  terres  verbere  .  .  .? 
V.  100  Tant. : 

seqaor. 

Megara  sagt  yon  Atreus: 

He  rowls  bis  time,  as  Sisiphus  bis  stone. 
Sen.  Y.  6/7  Taut. :     ...  Sisypbi  numquid  lapis 
gestandus  .  .  . 

Meg. :  Tbe  trembling  Sbade  obeys,  and  pours  bimself 
Into  tbe  palace,  wbicb  sbakes  more  tban  be. 
Nature's  diseas'd  and  scar'd  at  bis  approacb; 
Trees  sbed  tbeir  Leaves,  as  poyson'd  men  tbeir  Hair ; 
Streams  crowd  into  their  Motber-Fountain's  Womb; 
Tbe  Seas  tbat  bung  on  tbe  Corintbian  Neck, 
Like  Rival  Queens  in  endless  interview, 
Sweird  witb  Convulsion  Fits,  run  foaming  back, 
And  in  tbeir  frigbt  miscarry  of  new  Isles. 
Winds  scowre  tbe  Air  like  Midnigbt  Keyellers, 
Mad  witb  strong  Spirits  tbey  ne're  drunk  before. 

Sen.  y.  101  ff.  Für. : 

Hunc,  bunc  furorem  diyide  in  totam  domum!  .  .  . 

sentit  introitus  tuos 
domus  et  nefando  tota  contactu  borruit  .  .  . 

iam  tuum  maestae  pedem 
terrae  grayantur:  cemis  ut  fontes  liquor 
introrsus  actus  linquat,  ut  ripae  vacent 
yentusque  raras  igneus  nubes  {erat? 
pallescit  omnis  arbor  ac  nudus  stetit 
fugiente  pomo  ramus,  et  qua  ßuetibus 
illinc  propinquis  Istbmos  atque  illinc  fremit 
yicina  gracili  dividens  terra  vada, 
longe  remotos  litus  exaudit  sonos. 

Meg.:  Nigbt  .  .  . 

.  .  .  calls  tbe  Moming  up,  Morn  dares  not  risc^ 
But  like  a  timerous  Virgin  lower  creeps. 


—    32    — 

Sen.  V.  120/21  Für. : 

en  ipse  Titan  dabitat  an  iabeat  Bequi 
cogatque  habenis  ire  periturum  diem. 

Meg. :  Descend  to  Hell. 

Sen.  V.  105  Für. :  gradere  ad  infemos  specus. 

Namentlich  die  zaletzt  angeführten  Verse  der  Megan 
zeigen,  wie  geschickt  der  Dichter  den  lateinischen  Text 
wiederzugeben  versieht. 

2.  Teil.  Atreas  steht  von  seinem  Lager  auf  und  flucht  den  ForieiL 
die  ihm  den  Schlummer  geraubt  haben;  dann  nepnt  er  sich  «elbst  einen 
Terachtungswürdigen,  entnervten,  mutlosen  Schurken,  da  er  an  seinem 
Bruder  noch  keine  Rache  genommen  habe. 

Dieser  Teil  ist  eine  Nachahmung  der  Einleitung  des 
II.  Aktes  des  lateinischen  Originals,  wo  auch  Atreus  (aller- 
dings seinem  Vertrauten  gegenüber)  in  langem  Monologe  seine 
Wut  über  die  noch  nicht  vollzogene  Rache  an  Thyestes  aus- 
drückt.    Bei  Crowne  sagt  Atreus: 

"Want  of  revenge  is  pain  enough  for  me. 
Till  revenge  crowns  me,  I  am  still  depos'd, 
A  Contemn'd,  Artless,  Nerveless,  Spiritless  Slave, 
A  loaded  emptyness,  on  which  my  Brother 
Like  a  God,  hangs  an  üniverse  of  wrongs." 
Sen.  V.  176  ff.  Atr.: 

Ignave,  iners,  enervis,   et  (quod  maximum 
probrum  tyranno  rebus  in  summis  reor) 
inulte,  post  tot  scelera,  post  fratris  dolos 
fasque  omne  ruptum  questibus  vanis  agis 
iratus  Atreus? 

Nach  diesen  Worten  befiehlt  Atreus  einem  Diener,  den  Thyesta 
in  Stücke  zerrissen  herbeizubringen;  sonst  werde  er  ihn  und  alle  seine 
Diener  aufhängen. 

Dabei  erinnern  die  frevleriscben  Worte  des  Pelopiden: 
'<By  Tantalus,  my  wicked  Grrandfather 
Who  fear'd  no  Gods,  by  my  more  wicked  seif, 
Who  have  no  fear  of  Gods,  or  Men,  or  Devils, 
Bring  me  Thyestes  .  .  /' 
an  den  Atreus  Seneca's,  der  auch  im  V.  Akte  sagt:  (v.  888) 
dimitto  superos  .  .  . 


—     33     — 

Ein  zweiter  Diener,  Tereus,  der  über  Thyestes  keine  Nachrieht 
geben  kann,  wird  hierauf  mit  noch  einem  anderen  Sklaven  Ton  dem 
wütenden  Pelopiden  kurzerhand  erstochen. 

Die  hierbei  von  Atreus  gesprochenen  Worte: 
"Brib'd  by  Thyestes,  you  are  all  his  Slaves, 
He  governs  here  in  Argos  and  not  I; 
I  am  his  Slave,  poor  Slave,  I  have  not  Wealth 
Enongh,  to  purchase  from  his  Head  one  Hair; 
Yet  he  oan  buy  my  Peace,  my  Throne,  my  Wife" 
gleichen  den  folgenden,  die  der  Pelopide  bei  Seneca  (II.  Akt) 
vor  seinem  Vertrauten  ausruft  (v.  237 ff.): 
per  regna  trepidus  exul  erravi  mea, 
pars  nuUa  generis  tuta  ab  insidiis  vacat, 
corrupta  conianx,  imperi  quassa  est  Gdes. 
3.  Teil.   Antigone  kommt  mit  ihren  beiden  kieioeB  Brüdern  Aga- 
memnon und  Henelaoa  au  ihrem  Vater,  der  sie  allerdings  in  einer  jeg- 
lichem Sittengesetze  Hohn  sprechenden  Weise  empfängt.    Der  Wüterich 
■eheut  sich  nicht,  seiner  Tochter  ins  Gesicht  lu  sagen,  er  zweifle  an 
ihrer  und  ihrer  Brüder  Legitimität. 

Seine  Worte: 

^By  Heavens,  thy  Mother  was  so  rank  a  Whore, 
Tbat  it  is  more  thaa  all  the  Gods  can  teil 
Wbat  share  of  thee  is  mine" 
Bind    eine    Umschreibung    von    dubius    sanguis    est    (Atr.   bei 
Sen.  n.  240). 

Die  beiden  unmündigen  Einder  nennt  er  ^eruptiops  of  a  bunung 
Whore,  more  hot  than  ^tna".  Antigone  sucht  ihn  mit  dem  Hinweis 
zu  beschwichtigen,  daß  doch  ihre  Mutter  erst  nach  ihrer  (der  Antigone) 
und  ihrer  Brüder  Geburt  das  Antlitz  des  Thyestes  gesehen  habe.  Er 
aber  nimmt  an,  sein  Weib  habe  sich  auch  anderen  Männern  hingegeben. 
Da  kommt  mit  einem  Maie  seine  Liebe  zu  ^Crope  zum  Ausbruch;  er 
glaubt,  mit  einer  Furie  hätte  er  nicht  die  Hölle  gefunden,  die  ihm  sein 
Weib  bereitet  habe.  Und  als  dann  Antigone  ihn  bittet,  lieber  seine 
Gemahlin  zu  strafen  als  den  Thyestes,  wenn  sie  wirklich  so  schuld- 
befleckt sei,  wird  Atreus  zu  Tränen  gerührt.  Doch  diese  milde  Stimmung 
schlägt  bald  wieder  um,  und  der  Pelopide  bricht  hierauf  nur  in  eine 
um  so  größere  Wut  aus,  fordert  seine  Tochter  auf,  sich  mit  ihren  Bastard- 
brüdem  schleunigst  au  entfernen,  sonst  werde  er  ihnen  das  Gehirn  zer- 
schmettern.    Peneus^)  gibt  der  Antigone  den  Rat,  sich  in  den  Willen 

*)  Der  Erzieher  des  Atreus. 
Mttnchener  Beiträge  z.  rom.  u.  engl.  Philologie.   XXXVII.  3 


—    34    — 

ihres  Vaters  zu  fügen.  Zugleich  bedeutet  er  ihr,  daß  die  Sterne  ihr 
wohl  Unheil,  den  Kindern  jedoch  Heil  verkündet  hätten;  denn  sie 
würden  einst,  so  sagten  die  Orakel,  ein  berühmtes  Reich  zerstören  — 
aber  erst  nach  vorausgegangenem  Unglück.  Daraufhin  entfernt  sich 
Antigone  mit  ihren  kleinen  Brüdern. 

In  dieser  Szene  spricht  also  Atreus  den  Verdacht,  welchen 
er  bezüglich  der  Geburt  seiner  Kinder  hegt,  auch  diesen  gegen- 
über aus,  während  er  bei  Seneca  nur  vor  seinem  Vertrauten 
und  seinem  Bruder  darüber  redet.*)  Der  lateinische  Dichter 
ist  also  in  dieser  Beziehung  dezenter  als  Crowne. 

Zum  Unterschied  von  Seneca  läßt  dieser  den  Atreus  za 
Tränen  gerührt  werden,  was  sich  eigentlich  mit  einem  solchen 
Charakter  nicht  leicht  vertragen  dürfte. 

4.  Teil.  Nachdem  der  Felopide  seinen  ehemaligen  Lehrer  mit 
dem  wenig  herzlichen  Gruße  ,,alter  Narr!"  empfangen  hat,  beginnt 
Peneus,  den  hohen  Wert  der  Tugend  zu  preisen.  Dann  fleht  er  seinen 
König  um  Mitleid  mit  seinen  Untertanen  an,  die  doch  das  Verbrechen 
des  Thyestes  keineswegs  verschuldet  hatten.  Doch  Atreos  will  weder 
von  Tugend  noch  von  31ilde  etwas  wissen.  Sein  Volk  halt  den  Thyestes 
verborgen,  darum  wird  es  bestraft.  Von  neuem  regt  sich  in  dem  Felo- 
piden  die  Wut  gegen  seinen  Bruder.  Er  will  sich  an  Thyestes  auf  eine 
das  Tantalidengeschlecht  ehrende  Weise  rächen,  ohne  sich  auch  nur  im 
geringsten  an  das  Urteil  der  Menge  zu  kehren.  Mit  seinen  Heeren 
will  er  ganz  Griechenland  überschwemmen  und  seine  Städte  den  Furien 
überlassen.     Wutschnaubend  und  nach  Waffen  schreiend  eilt  er  davon. 

Dieser  4.  Teil  ist  eine  Nachahmung  des  IL  Aktes  der 
lateinischen  Tragödie,  wo  auch  Atreus  vor  seinem  Vertrauten, 
der  wie  hier  Peneus  des  Pelopiden  Wut  kühlen  möchte,  die* 


^)  Zum  satelles  sagt  er: 

V.  240  . . .  dubius  sanguis  est;  femer 

V.  327  ff.  prolis  incertae  fides 

ex  hoc  petatur  scelere:  si  bella  abnuunt 
et  gerere  nolunt  odia,  si  patraum  vocant, 
pater  est. 
Zu  Thyestes  spricht  er  im  V.  Akte: 
V.  1106  ff.  ...  f aerat  hie  animus  tibi 

instruere  similes  inscio  fratri  cibos 
et  adiuvante  liberos  matre  aggredi 
similique  leto  sternere  —  hoc  unum  obstitit: 
tuos  putasti. 


—    35    — 

selben  Rachegedanken  ausspricht,  nur  daß  er  dort  schon  jenen 

gräßlichen  Plan   faßt,  den  er  zum  Schlüsse   ausführen  wird. 

Ferner  dürfen  wir  in  Peneus  nicht  den  Vertrauten  des  Atreus 

erblicken.   Der  Verdacht  des  Königs,  seine  Untertanen  würden 

Thyestes  verbergen,  und  sein  Befehl: 

"Ho!  there!  bid  Mycenae  get  in  Arms, 
I  will  pour  all  my  Kingdom  upon  Greece" 

sind  von  Crowne  den  folgenden  Worten  des  Atreus  bei  Seneca 

entnommen : 

V.  185  ff.  non  silvae  tegant 

hostem  nee  altis  montium  structae  iugis 
arces;  relictis  bellicum  totus  canat 
populus  Mycenis,  quisquis  invisum  caput 
tegit  ac  tuetur,  clade  funesta  occidat. 

Außerdem   finden  sich  in  diesem  Auftritte   noch  einige 
aus  Seneca  direkt  übersetzte  Stellen: 
Atr.:  let  our  fara'd 

Great  House  Pelops  tumble  on  my  head. 
Sen.  II,  190/91  Atr.: 

haec  ipsa  pollens  incliti  Pelopis  domus 
ruat  vel  in  me. 

Atr.:  I  wou'd  do  all  that  Villany  to  him 

That  he  can  only  wish  were  done  to  me. 

Sen.  II,  193 ff.  Atr.:        aliquod  audendum  est  nefas 
atrox,  cruentum,  tale  quod  frater  mens 
suum  esse  mallet. 

Pen.:  What  will  your  People  say? 
Atr. :  I'le  make  them  say 

What  I  command. 
Pen.:  Falshoods  perhaps  you  raay. 
Atr. :  That  is  the  great  Prerogative  of  Power 

To  tax  the  World  for  Praise  as  well  as  Coin, 

I'le  make  'em  praise  my  actions  good  or  bad. 
Sen.  II,  204  ff.  Sat.:        Fama  te  populi  nihil 

adversa  terret? 

3* 


—    36    — 

Atr.:  Maximum  hoc  regni  boaum  est, 

quod  facta  domini  cogitur  popohis  soi 
tarn  ferre  quam  laudare. 

Pen.:  What  will  you  do? 
Atr.:  I  know  not  what, 

Se mething  that  all  the  Gods  shall  tremble  at. 
Sen.  II,  265/66  Atr. :        ...  fiat  hoc,  fiat  nefas 

quod,  di,  timetis. 

5.  Teil.  Feaeos  bleibt  eine  Weile  zurück  und  preist  das  itilk 
Glück,  das  er  in  seiner  Bescbeidenlieit  genießt,  und  bedauert  die 
Mächtigen,  deren  Leben  voll  von  Sorgen  sei. 

Dieser  Monolog  ist  eine  freie  Übersetzung  der  letzten 
Verse  des  Chorgesanges,  welcher  bei  Seneca  den  II.  Akt  ab- 
schließt. Überhaupt  hat  Crowne  seinen  Peneus  zum  Träger 
jener  Gedanken  gemacht,  welche  er  einesteils  dem  VerirauteiL 
andemteils  dem  Chore  des  lateinischen  Originals  entnahm. 
Schon  dem  Atreus  gegenüber  ließ  Peneus  einige  hierher  ge- 
hörige Worte  fallen,  deren  Zitierung  wir  uns  jedoch  ersparen 
dürfen,  da  sie  stark  an  den  Sinn  dieses  Monologs  anklingen, 
den  wir  mit  den  betreffenden  lateinischen  Versen  yergleichen 
wollen : 

How  miserable  a  thxng  is  a  great  man? 
Take  noysie  vexing  greatnese  they  that  please, 
G^ve  me  obscure,  and  safe,  and  siient  ease: 
Acquaintance  and  Commerce  let  me  have  none, 
With  any  powerful  thing,  but  time  alone: 
My  rest  let  time  be  fearful  to  offend, 
And  creep  by  me,  as  by  a  slumb^ring  Fiend; 
Till  with  ease  glutted,  to  my  Giave  I  steal, 
As  men  to  sleep  after  a  pleatious  Meal. 
Oh!  wretched  he!  who  call'd  abroad  by  power, 
To  know  one  seif  can  nerer  find  an  hour. 
Strange  to  himaelf,  but  to  all  others  known, 
Lends  every  one  bis  Life,  and  uses  none. 
So  e're  he  tasted  Life,  to  Death  he  goes, 
And  himself  loses,  e're  himself  he  knowa. 


-^     37     — 

Sen.v.  391  ff.  Chor:  Stet  quicumque  rolet  potens 
aulae  culmine  lubrico: 
me  dttlcis  saturet  qaks; 
obscuro  positoB  loco 
leni  perfmar  otio,  i 

Dullis  Dota  Quiritibus  ' 

aetas  per  tacitum  fluat. 
sie  cum  traneierint  mei 
nuUo  cum  stxepita  dies, 
plebeins  moriar  seoez. 
illi  mors  gravis  incubat 
qui,  Dotus  nimis  omoibus, 
igDOtas  moritur  sibi. 

IL  Akt. 

1.  Szene. 

Ort  der  Handlang:  Der  Eingang  einer  in  einem  Haine  gelegenen 
Höhle,  welche  dem  Philisthenes  als  Versteck  dient. 

1.  Teil.  Antigone  besucht  ihren  geliebten  Philisthenes  in  seiner 
Einsamkeit  tmd  macht  ihm,  da  Atrens  immer  noch  Raebegedanken  gegen 
Thyestes  hegt,  den  Vorschlag,  mit  ihr  von  einer  versteckt  liegenden 
Bucht  aus  ZQ  entfliehen,  wo  ein  zuverlässiger  Fischer  mit  einem  Boote 
schon  warte.  Der  Jüngling  ist  mit  ihrem  Plane  einverstanden,  doch 
leider  können  sie  ihr  Vorhaben  nicht  sofort  ausführen,  da  Antigone  ihre 
Juwelen  mitEobringen  vergessen  hat,  ihren  einzigen  Reichtum  neben 
ihrer  Liebe,  und  nun  nochmals  in  den  verhaßten  Palast  zurückkehren 
muß,  um  diesen  Schatz  zu  holen.  Mit  rührenden  Worten  fleht  sie  ihren 
Bräutigam  an,  während  ihrer  Abwesenheit  sich  zu  verstedcen,  und  ver- 
traut der  H(ikhle  ihren  Geliebten  an: 

"Oh!    Cave,  be  faithful  to  thy  precious  tmst, 
And  all  the  youthful  Lovers  in  the  World, 
With  flowry  Wreaths  shall  crown  thy  rocky  brow, 
Shall  make  a  Temple  of  thee,  and  adore 
Night's  litÜe  Pictnre  that  adoms  thy  Walls, 
Night  Lover^s  Goddess,  and  Etemal  Friend. 
Fare  well  my  Love!^* 

2.  Teil.  Philisthenes  kann  sich  nicht  versagen,  der  scheidenden 
Antigone  nachzusehen;  —  aber  nach  diesem  so  kurzen  Glücke  bricht 
das  Unglück  über  ihn  herein.  Ein  von  Atreus  nach  ihm  ansgesandter 
Hauptmann,  der  das  ganze  Gespräch  der  Liebenden  belauscht  hat,  läfit 
ihn   festnehmen,   um   ihn   dem  Könige  zu  überliefern.    Da  jedoch  der 


—     38    — 

Diener  des  so  grausamen  Herrschers  selbst  Mitleid  mit  diesem  un- 
glücklichen  Paare  hat,  will  er  ihre  Liebe  dem  Atreas  wenigstens  ver- 
schweigen. Kaum  ist  Philisthenes  abgeführt,  so  erscheint  Antigene  uod 
fällt  ohnmächtig  zu  Boden,  als  sie  sich  der  furchtbaren  Sachlage  be- 
wußt wird.  In  diesem  Zustande  wird  sie  von  Peneas  aufgefunden.  Er 
würde  sie  für  eine  zum  Hofe  gehörige  Dame  halten,  wenn  sie  nicht  in 
so  süßem  Schlummer  läge.  Da  erwacht  Antigene;  sie  erkennt  ihren 
guten  alten  Peneus  und  teilt  ihm  die  schreckliche  Vermutung  mit,  da£ 
Philisthenes  jedenfalls  gefangen  zu  Atreus  gebracht  worden  sei.  Aus 
Gram  hierüber  zerzaust  sie  sich  das  Haar  und  fällt  ein  zweites  Mal  iu 
Ohnmacht.  Nach  ihrem  Erwachen  verspricht  ihr  Peneus  seine  Hilfe, 
worauf  er  ihr  seinen  Arm  liebevoll  anbietet,  der  trotz  seines  Alters  noch 
stärker  sei  als  der  ihre. 

Dieser  2.  Teil  der  1.  Szene  ist  nicht  ganz  frei  vom  Ein- 
flüsse Seneca's ;  denn  die  folgenden  Worte,  welche  hier  Peneus 
ausspricht  : 

"All  Birds  of  Night  build  in  this  Court,  but  Sleep, 
And  sleep  is  here  mad  with  loud  Complaints, 
And  flies  away  from  all" 

klingen  an  die  Äußerungen  an,  welche  der  heimkehrende 
Thyestes  im  III.  Akte  des  lateinischen  Originals  macht: 

V.  458  somnosque  non  defendit  excubitor  meos. 
v.  466/67  nee  somno  dies 

Bacchoque  nox  iungenda  pervigili  datur. 

Außerdem  sind  auch  die  Gedanken,  welche  Peneus  zum 
Schlüsse  ausspricht, 

"Then  come,  dear  Daughter,  lean  upon  my  arm, 
Which  old  and  weak  is  strenger  yet  than  thine, 
Thy  Youth  has  known  more  sorrow  than  my  age. 
I  never  hear  of  grief,  but  when  Pm  here. 
But  one  days  diet  here  of  Sight  and  Tears, 
Retums  me  eider  home  by  many  years" 

aus  derselben  Szene  des  lateinischen  Stückes  genommen,  in 
welcher  Thyestes  in  langen  Ausführungen  (r.  446  flf.)  eigent- 
lich nichts  anderes  sagt,  als  daß  die  Sorge  am  Hofe,  das 
Glück  aber  in  den  Hütten  und  in  den  Herzen  der  Niedrigen 
wohne. 


—     39     — 

2.  Szene. 
Ort  der  Handlung:  Der  Hof  des  Atreus. 
Atreus  ist  auOer  sich  vor  Wonne,   daß  Philisthenes,   des  Thyestes 
Sohn,  sich  in  seiner  Gewalt  befindet. 

Dies  erinnert  an  den  2.  Teil  des  III.  Aktes  bei  Seneca, 
wo  Atreus  in  einem  Monologe  (v.  491 — 507)  seine  Freude 
darüber  ausdrückt,  daß  Thyestes  und  seine  Söhne  endlich  in 
seiner  Gewalt  seien.     Crowne  läßt  hier  nur  den  Sohn  kommen. 

Der  König  fragt  den  Philisthenes,  welch  wichtiger  Grnnd  ihn  ver- 
anlaßt habe,  sich  in  eine  so  gefährliche  Gegend  zu  wagen.  Der  Jüngling 
antwortet,  die  Liebe  zu  seinem  heimatlichen  Palaste  habe  ihn  dazu  be- 
wogen. Auch  sei  ihm  zu  Ohren  gekommen,  daß  Atreus  seinem  Bruder 
verziehen  habe.  Da  schilt  ihn  der  Wüterich  einen  Lügner.  Kein  Tier, 
kein  Gott,  meint  der  König,  kann  einem  solchen  Frevler  vergeben,  der 
selbst  der  äußersten  Frechheit  fähig  sei.  ^Nein,  schreit  der  Pelopide, 
du  kamst,  um  mich  zu  ermorden.**  £in  solcher  Gedanke  ist  aber  dem 
Philisthenes,  wie  er  versichert,  nie  in  den  Sinn  gekommen.  Atreus  fühlt, 
wie  die  Furien  die  Wut  in  seinem  Busen  schüren.  Er  faßt  den  Kache- 
plan, dem  Thyestes  seinen  eigenen  Sohn  als  Mahl  vorzusetzen,  und  be- 
schreibt, zu  sich  selbst  sprechend,  das  gräßliche  Bankett.  £r  will  des 
Jünglings  Liebe  zu  Antigone  dazu  benutzen,  ihn  für  sich  zu  gewinnen 
und  ihn  dann  zu  bewegen,  den  Thyestes  zur  Annahme  der  Königskrone 
zu  verleiten.    Und  Thyestes  wird  sicher  in  die  Falle  gehen! 

Dieser  Teil  ist  eine  Nachbildung  des  IL  Aktes  des 
lateinischen  Originals,  wo  Atreus,  allerdings  seinem  Vertrauten 
gegenüber,  von  seinem  Bacheplane  spricht,  den  er  gerade  jetzt, 
von  den  Furien  aufgestachelt,  faßt.  Die  Worte,  mit  denen 
hier  Atreus  das  entsetzliche  Mahl  beschreibt,  sind  teilweise 
aus  dem  I.,  teilweise  aber  auch  aus  dem  II.  Akte  der  lateini- 
schen Tragödie  genommen.  Man  vergleiche: 
Atr.:  My  SouVs  a  Theatre  with  Puries  fill'd. 

The  Ghastly  throng  fling  all  their  eager  looks 
Upon  a  Table  spread  with  mangled  Limbs, 
And   Smoking  bowls   ore-gorged   with  reeking  blood; 
Sen.  I,  59  ff.  Für. :  ...  ignibus  iam  subditis 

spument  aena,  membra  per  partes  eant 
discerpta,  patrios  polluat  sanguis  focos. 

Atr. :  And  the  deluded  Guest,  who  eats  his  Sod, 

Stamps  all  their  Cheeks  with  a  malicious  smile. 


—    40    — 

The  Vision  takes!  the  Story  is  great  and  braye, 
rie  give  it  my  Revenge  to  copy  out. 
ScD,  n,  277  fF.  Atr. :  ,  .  .  liberos  avidus  pater 

gaudensque  laceret  et  suo«  arttts  edat. 
bene  est,  abimde  est.    hie  placet  poeoae  modus 
tantisper. 

Wie  fenv^  im  II.  Akte  bei  Seneca  Atrevs  den  Thyesles 
durch  Meuelaus  und  Agamemnon  herbeiholen  lasten  will, 
80  hat  er  auch  hier  die  Absicht,  den  Philisthenes,  den 
Sohn  des  Thyestes,  nach  seinem  verbannten  Brader  ab- 
zuschicken. Bei  Seneca  wie  bei  Crowne  glaubt  Atrens, 
Thyestes  werde  seinem  Rufe  folgen.  Die  Form,  in  welche 
der  englische  Dichter  die  sichere  Hoffnung  des  Königs  auf  die 
Rü<^kehr  des  Thyestes  kleidet,  ist  dem  lateinischen  Original 
entlehnt : 

Atr.:  To  meet  a  Crown,  he'd  rush  on  thundring  Jove, 
Pl«nge  in  the  Sea  when  Winds  and  BiUows  fight, 
Or  on  deep  quicksands,  that  wou'd  swallow  hills; 
Nay,  worse  thän  all  these  joyn'd,  —  he  wouM  meet  me. 

Sen.  It,  289  ff.  Atr. :         ...  regna  nunc  sperat  mea: 
hac  spe  minanti  fulmen  occurret  lovi, 
bac  spe  subibit  gurgitis  tumidi  minas 
dubiumque  Libycae  Syrtis  intrabit  fretum, 
hac  spe,  quod  esse  maximum  retur  malum, 
fratrem  videbit. 

Nachdem  sich  der  Feloplde  seinen  Bacheplan  überlegt  hat.  beginnt 
er,  sich  zu  verstellen.  Er  verspricht  dem  Jüngling  Liebe  und  Vergebong; 
dieser  jedoch  kann  sich  die  so  plötzliche  Sinnesänderung  des  Königs 
nicht  erklären;  er  wirft  sich  vor  seinem  Herrn  nieder  und  bricht  in 
wehmutsvolle  Tränen  aus.  Atreus  aber  bittet  ihn,  sich  su  eirheben,  und 
drückt  ihn  an  sein  Herz. 

Wir  haben  hier  eine  Nachahmung  deijenigen  Szene  des 
lateinischen  Stückes  (III.  Akt  2.  Sz.),  wo  Thyestes  mit  seinen 
Söhnen  vor  Atreus  erscheint.  Dort  verstellt  sich  dieser  auf 
die  gleiche  Weise;  allerdings  ist  hier  nur  Philistbenes  zu- 
gegen. Auch  dort  fordert  Atreus  die  Söhne  des  Thyestes 
aufy  ihn  zn  umarmen: 


—    41     — 

T.  523/24  r<T8  quoque,  seuHfitt  praesidia,  tot  itiT^iieB,  meo 

peodete  collo, 
ganz  ähnlich  wie  er  hier  sagt: 

"Come  to  me,  neär  tny  fieart,  trithin  my  Heart." 

Hierauf  äußert  Atreus  den  Wunsch,  den  Aufenthaltsort  des  Thyestes 
kennen  zu  lernen,  actf  daß  er  auch  seinen  Bruder  in  seine  Arme  schließen 
und  ihm  seine  Freandsohaft,  ja  seine  Krone  a«ttragen  könne.  Da  wird 
es  dem  Philisthenes  eigentüfftilich  zumute,  und  «nwillkürhch  fragt  er: 
"And  do  you  mean  it,  Sir?" 

Hier  läßt  iilso  Crowne  deB  Philisthenes  an  der  Wahrheit 
der  Worte  dM  Atretw  zweifeln;  er  hat  demnach  die  Mut- 
maßung, die  im  II.  Akte  bei  Seneca  der  Vertraute  mit  den 
Worten  ausspricht: 
T.  316/17  .  .  .  ha&c  fraudem  scient 

nati  parari? 
zur  Tatsache  werden  lassen,  nur  daß  bei  Seneca  mit  „nati^'  die 
Söhne  des  Atreus  gemeint  sind. 

Der  Jüngling  gibt  auf  die  Frage  des  Atreus,  ob  er  denn  an  seiner 
Aufrichtigkeit  zweifle,  zur  Antwort,  er  wisse  gar  nicht,  was  er  in  seinem 
Freudenräusche  sage,  und  läßt  sich  tatsächlich  überlisten.  Er  verrät 
sogaf  dem  Könige,  daß  Peneus  das  Versteck  des  Thyestes  kenne.  Da 
schwört  der  Pelopide  dem  Alt^  heimlich  furchtbare  Rache.  Dieser 
kommt  nun  gerade  in  dem  für  ihn  so  verhängnisvollen  Augenblick  zu 
seinem  Herrn.  Der  heuchlerische  Konig  dankt  ihm  sofoit  fiir  alle  seinem 
Bruder  erwiesenen  Wohltaten  aufs  herzlichste.  Als  hierauf  Atfeus  er- 
klärt, sein  Rachedunrt  sei  durch  den  einnehmenden  Anblick  des  PhilisTthenes 
in  Liebe  zu  diesem,  zu  Thyestes  und  Jfcrope  umgewandelt  worden,  als 
er  dann  dem  Jüngling  die  Hand  der  Antigone  verspricht  und  schließlicli 
den  IPeneus  bittet,  den  Thyestes  herbeizuholen,  da  merkt  der  Alte  das 
ganze  Spiel  und  bedauert  den  armen  Philisthenes,  der,  ganz  außer  sich 
vor  Fremde,  den  Worten  des  Königs  so  leicht  traut-.  Um  nun  aber  den 
Greis  dooh  von  der  Ehirlichkeit  seiner  Absicht  zu  überzeugen,  faßt  Atreus 
den  Plan,  den  Peneus  mit  dem  goldwolligen  Widder  als  dem  Pfände  der 
Treue  zu  Thyestes  zu  schicken. 

Die  Worte,  mit  denen  der  Pelopide  von  dem  Widder 
spricht,  sind  dem  II.  Akte  des  lateinischen  Originals  ent- 
nommen : 

Behind  the  Palace,  in  a  sacred  Field, 

Secar'd  by  twenty  Walls,  and  watch'd  by  Gnards, 

Rests  all  ihe  Fortune  of  our  Royal  Home. 


—    42     — 

A  shiniDg  Ram  whose  yellow  Fleece  is  Gold; 
The  Sands  of  Tagus  are  not  half  so  rieh; 
Whoever  has  posaession  of  this  Beast, 
Has  all  the  Fortune  of  our  House  in  pawn. 
Sen.  11,225  ff.  Atr.: 

est  Pelopis  altis  nobile  in  stabulis  pecus, 
arcanus  aries,  ductor  opulent!  gregis. 
huius  per  omne  corpus  effuso  coma 
dependet  auro,  cuius  e  tergo  novi 
aurata  reges  sceptra  Tantalici  gerunt; 
possessor  huius  regnat,  hunc  tantae  domus 
fortuna  sequitur.  tuta  seposita  sacer 
in  parte  carpit  prata,  quae  claudit  lapis 
fatale  saxeo  pascuum  muro  tegens. 

Ferner  Sen.  II,  353 ff.  Chor.: 
non  quidquid  .  .  . 

.  .  .  unda  Tagus  aurea 
claro  devehit  alveo.  .  .  . 

Hierauf  gibt  Atreus  sofort  den  Befehl,  man  solle  den  Widder 
herbeibringen.  welcher  auf  dem  an  den  Palast  angrenzenden  Felde  an 
der  Spitze  einer  von  einem  Hirten  bewachten  Schafherde  sichtbar  wird. 
Atreus  befiehlt  dem  Peneus,  diesen  Schatz  seinem  Bruder  zu  über- 
bringen, auf  daß  dieser  komme  und  die  Regierung  mit  ihm  teile.  Dies 
ist  zu  viel  für  Peneus.  £r  zwingt  sich,  seine  Zweifel  zu  zerstreuen,  und 
gibt  dem  Drängen  des  Königs  und  Jünglings  nach.  So  begeben  sich 
denn  Peneus  und  Pbilisthenes  auf  den  Weg  zu  Thyestes.  Atreus  freut 
sich  über  seine  gute  Verstellungskunst  und  meint,  der  Beherrscher  einer 
so  schlechten  Welt  müsse  selbst  den  Teufel  und  die  Hölle  betrugen 
können. 

In  dieser  Szene  hat  Crowne  sogar  den  goldenen  Widder 
auf  die  Bühne  gebracht.  Zum  Unterschied  von  Seneca  werden 
hier  der  Sohn  des  Thyestes  und  Peneus  zu  dem  unglücklichen 
Bruder  des  Atreus  gesandt. 

III.  Akt. 
1.  Szene. 

1.  Teil.   Ort  der  Handlung:  Der  Eingang  eines  Gefängnisses. 
Auf  Befehl  des  Atreus  kommt  die  immer  noch  um  ihren  Philistbenes 
trauernde  Antigone,   von  zwei  Frauen  begleitet,  zum  Gefängnisse  ihrer 


—    43     — 

Mutter,   mit   der   sie   glaubt,   sterben   zu  müssen,*    nach  Vorzeigen  des 
königlichen  Siegels  wird  ihr  yom  (jefangniswärter  der  £inlai{  gewährt. 

2.  Teil.  Ort  der  Handlung:  Das  Innere  des  Gefängnisses. 

Antigone  sieht  ihre  in  Fesseln  geschlagene  Mutter  auf  dem  kahlen 
Boden  des  nur  von  einem  armseligen  Lichte  durchschimmerten  Kerkers 
liegen.  .£rope  drückt  ihr  Kind,  das  sie  mehr  liebt  als  ihr  Leben,  unter 
Tränen  ans  Herz.  Dabei  erinnert  sich  die  Gemahlin  des  Atreus  ihres 
früheren  Glückes,  das  in  gegenseitiger  ehelicher  Liebe  bestand,  welches 
aber  ron  dem  gräßlichen  Thyestes  in  so  schamloser  Weise  zerstört  wurde. 
Abscheu  erfüllt  ihre  Seele  gegen  diesen  Menschen,  der  sie,  wie  sie  ihrer 
Tochter  gesteht,  vergewaltigte  und  dann  das  goldene  Vließ  zu  stehlen 
versuchte,  um  sich  die  Herrschaft  zu  sichern.  Bei  ihrem  edlen  Charakter 
hält  .Erope  den  Verlust  ihrer  Ehre  und  der  Liebe  ihres  Gemahls  für 
viel  schmachvoller  und  unerträglicher  als  die  körperlichen  Leiden,  die 
sie  zu  erdulden  hat.  Sie,  das  treue  Weib,  wird,  wie  sie  der  Antigone 
sagt,  von  ihrem  Gemahl  für  eine  Hure  gehalten  —  ein  entsetzlicher 
Gedanke,  bei  dem  ihr  die  Sinne  schwinden.  Nachdem  sie  im  Delirium 
Worte  von  der  abscheulichsten  Art ')  ausgestoßen  hat,  sinkt  sie  in  tiefe 
Ohnmacht.  Bei  ihrem  Erwachen  bringen  ihr  einige  Frauen  herrliche 
Kleider  auf  Befehl  des  Königs  und  melden  ihr  zu  ihrem  größten  Er- 
staunen dessen  sofortigen  Besuch. 

3.  Teil.  Atreus  kommt  zu  seinem  Weibe  ins  Gefängnis.  Erduldet 
nicht,  daß  sie  sich  vor  ihm  niederwerfe,  verzeiht  ihr  alles  Unrecht  und 
nimmt  sie  wiederum  als  seine  geliebte  Gemahlin  auf  —  alles  zum 
Scheine.  iErope  ist  glücklich  über  diese  Lösung;  doch  wie  sehr  wird 
ihre  kurze  Freude  getrübt,  als  sie  erfahrt,  daß  Thyestes  wiederum  an 
den  Hof  kommen  werde!  Zu  gleicher  Zeit  teilt  Atreus  der  nicht  wenig 
erstaunten  Antigone  mit,  daß  noch  an  diesem  Tage  nach  der  Rückkehr 
des  Thyestes  ihr  Hochzeitsfest  mit  Philistheues  gefeiert  werden  solle. 

lü  dieser  Szene  hat  Crowne  deo  III.  Akt  (2.  Sz.)  Seneca's 
¥riederum  nachgeahmt.  Wie  dort  Atreus  seinem  Bruder 
schöne  Gewänder  und  seine  Freundschaft  anbietet  und  ihn 
großmütig  auffordert,  nicht  niederzuknieen,  so  läßt  auch  hier 


')      "Ayl  help  me  from  a  Whore   ' 

That  comes  to  get  my  Husband  from  my  Arms: 
Oh!  this  is  right  the  Picture  of  the  Age, 
A  Shilling  Strumpet,  and  a  tatter*d  Wife. 
Indeed!  and  I  am  thus  abus'd  for  thee? 
Some  Water  therel    I'm  burnt  out  o'  my  ßed, 
Ky  Husbands  Arms,  by  a  hot  flaming  whore.'* 


—     44     — 

der   König  seiner  Gemahlin  prächtige  Kleider  bringen  und 
bittet  sie,  sich  zu  erheben. 


2.  Szene. 
Ort  der  Handlnüg:  ISnie  Höhle  in  einer  Wüste. 

Thyestes  ist  ftus  seinem  Verstecke  herausgetreten  und  macht  sidi 
über  sein  lasterhaftes  Leben  bittere  Vorwürfe.  Er  hört  Schritte  nahen 
und  zieht  sich  sofort  in  das  Innere  seiner  armseligen  Behausung  zurück. 
Die  Herankommenden  sind  Feneus  und  Philisthenes.  Auf  den  Ruf 
seines  alten  Freundes  hin  erscheint  Thyestes  wiederum  am  Eingange  seiner 
Höhle.  Als  er  die  Nachricht  von  der  so  plötzlichen  Sinnesändemng 
seines  Bruders  erfährt,  wird  es  auch  ihm  anfangs  schwer,  ihr  Glauben 
zu  schenken.  Atreus  will  ihm  verzeihen  und  noch  dazu  Anteil  an  der 
Kegierung  gewähren?  Zugleich  kommt  ihm  das  Glück  der  Einsamkeit 
im  Gegensatz  zu  dem  sorgenschweren  Leben  am  Hofe  zum  BewuHtseia. 
£r  will  deshalb  auf  die  Königskrone  lieber  tausendmal  Yerzichten  alt 
auf  den  Frieden  in  seinem  Herzen.  Aber  auf  das  Zureden  des  Peneos 
und  das  Drangen  seines  Sohnes  hin  läßt  er  sich  doch  bestimmen,  mit- 
zugehen. Er  ist  ja  jetzt  moralisch  geläutert  und  wird  deshalb  die  Ge- 
fahren des  Lebens  leichter  überwinden  können. 

Crowne  läßt  also  hier  iin  Gegensatz  zu  Seneca  den 
Thyestes  in  einer  Wüste  sich  versteckt  halten,  nicht  m 
Wäldern.  Ferner  «teilt  er  zum  Unterschied  Tom  lateiniacheB 
Original  das  Abholen  des  Thyefirtes  auf  der  Bühne  dar,  ahmt 
jedoch  zu  gleicher  Zeit  in  diesem  Auftritte  den  1.  Teil  des 
in.  Aktes  der  lateinischen  Tragödie  nach,  wo  Thyestes, 
schon  ganz  nahe  am  Palaste  seines  Bruders  angelangt,  gerne 
dem  Hofe  den  Rücken  kehren  möchte,  da  er  sich  in  »einer 
Einsamkeit  glücklicher  fühlte  als  in  dem  pmnkyollen  Leben, 
und  auch  nur  durch  flehentliches  Bitten  zu  bewegen  ist,  weh 
seinem  Bruder  zu  nähern.  Ja,  Crowne's  Thyestes  spricht 
dabei  Worte  aus,  die  im  Grunde  nur  eine  Übersetzung  aus 
Seneca  (III.  Akt)  sind.  Wir  wollen  die  betreifenden  Verse 
der  englischen  und  antiken  Tragödie  folgen  lassen: 

Things  are  miscall'd,  I  ne're  was  blest  tili  now: 
When  I  was  great,  I  had  not  one  delight: 
Who  needs  a  Guard  for  safety,  ne're  are  safe: 
And  who  needs  watching,  has  but  little  rest. 


—    45    — 

Sen.  III,  446  ff.  Thy.: 

Mihi  crede,  fialais  magna  nominibna  placent, 
fmstra  timentur  dura,  dum  exoelsus  steti, 
numquam  pavere  destiti  atqne  ipsum  mei 
ferrum  timere  lateris. 

Ben.  III,  458  Thy. : 

somnosqae  non  defendit  excubitor  meos; 

What  dwelling  so  uneasy  as  is  bis, 
Wbo  in  a  thousand  Booms  can  take  no  rest, 
Till  bis  proud  Palace  has  beat  back  a  Sea, 
And  lifted  np  a  Fomst  cm  its  hrow? 

Sen.  III,  459/60  Thy. :  ...  et  retro  mare 

iacta  fagamus  mole. 

Sen.  in,  464/65  Thy.:     .  .  .  nulla  culminibus  meis 
imposita  nntat  sil?a. 

Say  Poyaon  come  not  in  a  Frinces  Cup, 

Care  will,  and  that's  as  bad ;  say  Gare  shou'd  not, 

Intemperance  may,  which  is  as  bad  as  both, 

A  lingering  Poyson  that  consumes  our  time, 

Our  Nighta  in  dronkenness,  our  Days  in  sleep. 

Sen.  UI,  453  Thy.: 

venenum  in  auro  bibitui  •  .  . 

Sen.  in,  466/67  Thy. :  ...  nee  somno  dies 

Bacchoque  nox  iungenda  pervigili  datur. 

Thy.  zu  Phil.: 

For  thy  dear  sake  alone  I  fear  to  go.  * 
Sen.  III,  485/86  Thy.  zu  seinen  Söhnen: 

Pro  me  nihil  iam  metuo:  vos  facitis  mihi 

Atrea  timendum. 

IT.  Akt. 

1.  Szene. 

Ort  der  HandluDsr:  J^ykeate. 

Mit  Philisthenes  und  Peneus  kommt  ThyeBtes  in  seiner  Vat^ntadt 
I.    Überaus,  grofi^  Freude  beseßlt  sein  Her;?  beim  Wiedersehen  seines 


—    46     — 

Geburtsortes  mit  seinen  altehrwürdigen  Riesentürmen.  Alle  Einwohner 
bringen  ihm  ihre  Huldigung  entgegen,  doch  wehe  I  —  mit  ihnen  komnil 
auch  Atreus.  Bei  der  Erinnerung  an  seinen  Bruder  Terzögert  er  seine 
Schritte;  er  möchte  wieder  zurück  in  die  Wüste,  die  ihm  mehr  Sicher- 
heit gewährte  als  der  Königsthron.  Doch  um  seines  Sohnes  willen  zieht 
er  weiter  im  Vertrauen  auf  die  Götter.  Beim  Anblicke  seines  Bruders 
ergreift  den  Atreus  die  alte  Wut,  und  er  vergleicht  seine  ungeduldige 
Blutgier  mit  der  eines  Ebers.  Doch  jetzt  gilt  es,  durch  Verstellung  den 
Thyestes  in  die  Falle  zu  locken!  Atreus  begrüßt  seinen  Bruder  in  der 
herzlichsten  Weise,  und  als  dieser  vor  ihm  auf  die  Xniee  niedersinkt, 
bittet  er  ihn  inständig,  sich  doch  zu  erheben  und  ihn  zu  umarmen. 
Philisthenes  wird  ebenso  liebevoll  empfangen.  Hierauf  bietet  der 
gleisnerische  Pelopide  seinem  in  Bettlerkleider  gehüllten  Bruder  feine 
Gewänder  und  seine  Eönigskrone  an,  die  er  sich  vom  Haupte  nimmt 
Doch  Thyestes  weigert  sich,  das  königliche  Abzeichen  anzunehmen,  da 
er  ein  bescheidenes  Leben  dem  eines  Herrschers  vorzieht. 

.Erope  kommt  mit  ihrem  Hofgefolge  dazu.  Kaum  hat  sie  ihren 
Entehrer  erblickt,  so  kann  sie  nicht  umhin,  ihrem  Abscheu  vor  ihm 
Ausdruck  zu  verleihen  und  von  ihm  zu  verlangen,  er  solle  ihre  Unschuld 
vor  dem  Könige  bezeugen.  Reumütig  gesteht  Thyestes  ein,  er  habe 
die  -Erope  vergewaltigt.  Atreus  jedoch  will  allen  verzeihen.  Seinem 
Bruder  bietet  er  die  Krone,  der  Königin  sein  Hei-z  und  dem  Philisthenes 
seine  Tochter  an.  Frieden  mit  all  seinen  segensreichen  Folgen  soll  über 
das  Land  herrschen!  Alle  entfernen  sich  hierauf  mit  Ausnahme  des 
Philisthenes,  dem  sich  Antigone  in  die  Arme  wirft.  Beide  drücken  ihre 
unaussprechliche  Freude  über  ihr  so  großes,  unerhofftes  Glück  aus. 

Diese  1.  Szene  des  IV.  Aktes  ist  eine  genaue  Nach- 
ahmung des  III.  Aktes  der  lateinischen  Tragödie ;  nur  kommt 
bei  Crowne  noch  JErope  hinzu,  wie  auch  am  Schlüsse  die 
Liebesgeschichte  zwischen  Philisthenes  und  Antigone  noch 
hereinspielt.  Doch  sind  die  Heimkehr  des  Thyestes  mit 
seinem  Sohne  (und  allerdings  auch  mit  Peneus),  ferner 
die  Begegnung  mit  dem  heuchlerischen  Atreus  (wenn  auch 
bei  Seneca  der  Ort  ganz  unmittelbar  am  Palaste  gedacht 
werden  muß),  dann  auch  die  Worte,  welche  dabei  gewechselt 
werden,  und  die  Art  und  Weise  der  gegenseitigen  Begrüßung 
genau  dem  lU.  Akte  des  lateinischen  Originals  nachgeahmt, 
wobei  sich  der  englische  Dichter  teils  Erweiterungen  gestattet, 
teils  aber  auch  den  Text  seines  Vorbildes  ziemlich  wörtlich 
übersetzt.  Man  sehe  sich  folgende  Stellen  an: 
Thy.:  I  feel  my  lov'd,  long  look'd  for  Native  Soyl 


—    47 
And  oh!  my  weary  Eyes 


Now  rest  themselves  upon  the  Royal  Towers. 
Oh!  sacred  Towers,  sacred  in  your  height, 
Sacred,  because  you  are  the  work  of  Gods; 
Your  lofty  looks  boast  your  Divine  descent. 
Sen.  in,406flf.  Thy.: 

tractum  soll  natalis  .  .  . 

.  .  .  cernOy  Cyclopum  sacras 
turres,  labore  maius  humano  decus. 

Thy.:  And  see  all  Argos  meets  me  with  loud  shouts. 

Phil.:  Oh!  joyful  sound. 

Thy.:  But  with  them  Atreus  too. 

Sen.  III,  411/12  Thy.: 

occurret  Argos,  populus  occurret  frequens  — 

sed  nempe  et  Atreus« 

Phil.:  What  ails  my  Father,  that  he  stops  and  shakes. 

And  now  retires? 
Sen.  III,  429/30  Plisth. : 

Quae  causa  cogit^  genitor,  a  patria  gradum 

referre  yisa? 

Thy.:  Return  with  me,  my  Son, 

And  old  Friend  Peneus,  to  the  honest  beasts, 

And  faithful  desart,  and  well  seated  Caves. 
Sen.  III,  412 flf.  Thy.:        .  .  .  repete  silvestres  fugas 

saltusque  densos  potius  et  mixtam  feris 

similemque  vitam. 

Atr. :  The  beast  is  snar'd !  —  and  Pm.  as  fierce  for  prey, 
As  the  big  Spartan  Dog,  when  the  feil  Bore 
Laggs  within  reach  of  bis  long  stretching  neck. 
He  breaks  the  Couples,  from  the  Huntsman  gets, 
And  knows  no  master  but  bis  love  to  bloud..  I 

My  love  to  bloud  will  from  my  Fraud  get  loose: 

But  what  a  thing  he  is?    £xi]e  and  Grief  j 

I 


—    48    ^ 

ServQ  hixD  so  glovenly  Hp  to  »y  Board, 
It  palls  my  Stomacb;  but  I'Ie  garuieji  tum 
With  Prineely  Robea.  —  Oh!  Brother!  to  mj  Arms- 
My  Arm»,  dear  Brothcir;  reuder  me  your  long 
Deur'd  Embrace. 
Sen.  IQ,  494 ff.  Air.:  .  .  .  je^xt  in  aoatras  manus 

tandem  Thyestes  ... 
rix  tempero  animo,  vix  do)or  freno«  eapit. 
sie,  cum  feras  veetigat  et  loisgo  $a|^ 
loro  tenetur  ümber  .  .  . 
cervice  tota  pugnat  et  gemitu  vocat 
doootinum  moürantem  seque  retinenti  eripit: 
cnm  sperat  ira  sanguinem,  oescit  tegi; 
tarnen  tegatur.  a^pioe,  ut  multo  grayis 
squalore  vultus  obruat  maestos  coma, 
quam  foeda  iaceat  barba  .  .  . 

.  .  ..  complextts  nahi 
redde  expetitos. 

Atr. :  Away  to  everlasting  baniahment 

The  odious  memory  of  all  momenta  past, 
And  all  their  Progeny. 

Thy. :  I  had  prepar'd 

Excuses  for  iny  Crimes,  and  what  were  truth; 
But  this  amazing  Piety  and  Love 
Bender  me  past  excuse,  the  worst  of  men. 

Sen.  III,  509  ff,  Atr. :         ...  quidquid  irarum  fuit 
transierit;  ex  hoc  sanguis  ac  pietas  die 
colantur,  animis  odia  damnata  e^cidant. 

Thy.:  Diluere  possem  cuncta,  nisi  talis  fores. 
sed  fateor,  Atreu,  fateor,  admisi  onmia 
quae  credidi^ti.  pessimam  causam  meam 
hodierna  pietas  fecit. 

Atr.:  And  rise!  oh,  rise  to  my  embr^oel  wbat  means 
This  low  unfittiog  poature? 

Thy. :  It  meaus  mor« 

ThaD  wordt  apeak ;  I  never  kneel'd  before, 
Theu  gueM  the  bonour  I  woii'd  pay  to  yom« 


—    49    — 

SeD.  III,  521/22  Atr.:        .  .  .  a  genibus  manum 
aufer  meosque  potius  amplexus  pete. 

Sen.  III,  617/18  Thy. :        .  .  .  supplicem  primus  vides; 
hae  te  precantur  pedibus  intactae  manus. 

Atr.:  Now  dear  Philisthenes !    Thy  arms,  sweet  Youth. 


No,  hang  upon  my  Neck,  thou  art  my  Son. 
Sen.  III,  623:24  Atr. : 

vos  quoque,  senum  praesidia,  tot  iuyenes,  meo 
pendete  coUo. 

Atr.:  Still  there  are  Clouds  that  darken  my  Dolight, 

My  Brothers  Garments,  —  Brother  spare  my  Eyes, 
And  with  these  Royal  Ornaments  conceal 
These  Reliques  of  deceas'd  unhappiness. 


With  these  Ornaments  receive  my  Crown. 
Thy.:  If  my  more  fitting  Garb  offend  your  Eyes, 

Let  me  lye  hid  among  th'attending  Crowd. 
Sen.  m,  524 ff.  Atr.:        .  .  .  squalidam  vestem  exue 

oculisque  nostris  parce  et  ornatus  cape 

pares  meis  laetusque  fratemi  imperi 

capesse  partem. 
III,  631  ff.  Thy. :        ...  regiam  capitis  notam 

squalor  recusat  noster  .  .  . 
.  .  .  liceat  in  media  mihi 

latere  turba. 

Thy.:  In  lessening  your  own  seif,  you  lessen  me. 
Sen.  III,  538  Atr. : 

Fratem  potiri  gloria  ingenti  vetas? 

Atr.:  It  is  more  great  to  giye,  than  wear  a  Crown. 
Thy.:  And  to  refuse  more  glorious  than  to  gire; 

That  is  the  share  of  greatness  I  will  chuse; 

And  you  invited  me  to  take  my  share. 

iCflnchener  Beiträge  z.  rom.  u.  engl.  Philologie.    XXXYII. 


—    50    — 

Sen.  111,529  Thy.: 

habere  regnum  casus  est,  virtus  dare. 

Sen.  in,  639/40  Thy.: 

Tua  iam  peracta  gloria  est,  restat  xnea: 
respuere  certum  est  fegna  consilium  mihi. 

Atr. :  Now  let  the  Trumpets  reparation  make, 

For  frightniog  Argos  with  the  sounds  of  War, 
And  set  hearts  dancing  to  the  soands  of  Peace. 

Sen.v.  574flF.  Chor: 

iam  silet  murmur  grave  classicorum, 
iam  tacet  Stridor  litui  strepentis: 
alta  pax  urbi  revocata  laetae  est. 

Atr.:  Let  the  pale  Mothers  trembling  for  their  Babes, 

Now  dandle  'em  in  their  Arms  with  smilhig  Cheeks. 
Retum  the  Husbands  back  to  their  young  Wires, 
And  let  not  Armoor  hinder  their  embrace. 
Let  Swords  wear  Rust,  the  Livery  of  Peace, 

Sen.  T.  563 flF.  Chor: 

pallidae  natos  tenuere  matres; 
uxor  armato  timuit  marito, 
cum  manum  invitus  sequeretur  ensis, 
sordidus  pacis  vitio  quietae. 

2.  Szene. 
Ort  der  Handlung:  Ein  Tempel. 

Atreus,  ^rope,  Tbyestes,  PhilistheneSi  Antigone  und  Peneus  be« 
treten  in  zahlreicher  Begleitung  den  Tempel,  um  die  Hochztitszereinoiuea 
der  beiden  Stiefgeschwister  zu  feiern.  Als  nach  der  Vermählang  die 
Anwesenden  das  Heiligtum  Terlassen  wollen,  vertraut  Atreus  die  Antigone 
der  Königin  an  und  bittet  Philisthenes,  im  Tempel  auf  ihn  zu  warten; 
er  werde  gleich  wiederkommen.  Alle  entfernen  sich  hierauf;  Philisthenes 
folgt  dem  König;  er  will  ihm  nämlich  das  Oeleite  geben.  Kurs  darauf 
wird  jedoch  der  Jüngling  gebunden  von  Priestern  in  den  Tempel  ge- 
schleppt. Der  nichts  Gutes  ahnende  Philisthenes  schleudert  seinen 
Peinigern  grobe  Schmähworte  ins  Gesicht,  nennt  sie  Schelme  und  Lügner 
und  macht  ihnen  und  all  ihren  Genossen  arge  Vorwürfe  über  ihre  ge- 


—    61*   — 

meinen  Absichten.  Kaum  hat  der  Jüsgling  die  Schreckensnachridit 
vernommen,  da£  er  geopfert  werden  solle,  da  erscheint  Atreus  und  gibt 
auf  die  Frage  des  Philisthenes,  warum  er  ihn  denn  habe  binden*  lassen, 
zur  Antwort,  er  wolle  ihn  als  den  Sohn  des  Thyestes  ermorden  und 
dann  seinem  Vater  als  Speise  vorsetzen  —  eine  entsetzliche  Offenbarung 
für  den  Jüngling.  Zitternd  beschwört  er  Atreos,  Mitleid  mit  ihm  zu 
haben,  um  so  mehr  als  doch  das  Beben  des  Palastes  ein  deutliches  Zeichen 
für  den  Zorn  der  Götter  über  eine  solche  Tat  sei,  aber  umsonst.  Da 
nimmt  der  beherzte  Sohn  des  Thyestes  in  Gedanken  Abschied  von 
Antigone.  Der  grause  Pelopide  befiehlt  hierauf  den  Priestern,  die  nötigen 
Vorbereitungen  zum  Opfer  zu  treffen,  und  erdolcht  dann  den  Jüngling, 
der  ihm  mit  männlichem  Mute  die  Brust  zum  tödlichen  Streiche  dar- 
bietet. 

Zum  Unterschied  von  Seneca  wird  in  dieser  Szene  Phi- 
listhenes auf  der  Bühne  ermordet.  Die  Art  und  Weise  jedoch, 
wie  der  Jüngling  getötet  wird,  stimmt  mit  dem  Berichte  des 
Nuntius  im  IV.  Akte  des  lateinischen  Originals  überein;  denn 
hier  wie  dort  wird  das  Opfer  im  Heiligtume  (bei  Seneca  ist 
es  ein  Hain)  von  Atreus  seihst  vollzogen,  wobei  seine  Priester 
ihm  behilflich  sind.  Ferner  werden  hier  dem  Unglücklichen 
ebenfalls  die  Augen  verbunden,  und  das  Opfer  geht  auch  in 
allen  Förmlichkeiten  ganz  analog  dem  Botenberichte  vor  sich, 
und  dabei  erbebt  bei  Crowne  wie  beim  römischen  Dichter 
der  Tempel.     Man  sehe  sich  folgende  analogen  Stellen  an: 

Phil.:  Your  Palace  nods  .  .  . 

The  Temple  Columns  bend  .  .  . 

Sen.  IV,  696/97  Nunt. :         ...  tota  succusso  solo 
nutavit  aula,  .  .  . 

Atr. :  Bind  with  a  purple  band  the  Victims  head; 

Prepare  the  Incense,  Fire,  Knife,  Wine  and  Meal. 
Sen.  IV,  686fr.  Nunt.: 

et  maesta  vitta  capita  purpurea  ligat: 
^non  tura  desunt,  non  sacer  Bacchi  liquor 

tangensqne  salsa  victimam  culter  mola. 

Im  englischen  Drama  erfahrt  Philisthenes  von  dem 
Wüterich,  daß  er  seinem  Vater  als  Mahl  aufgetischt  werden 
soll,  während  bei  Seneca  Atreus  im  V.  Akte  bedauert,  daB 
lue  Kinder  des  Thyestes  ihr  Los  nicht  wußten: 

4* 


—    -62    — 

T.  1066  ff. :  ...  omnia  haec  melius  pater 

fecisse  potuit,  cecidit  in  cassum  dolor: 
scidit  ore  natos  impio,  sed  nesciens, 
sed  nescientes. 

Der  römische  Dichter  ist  also  in  diesem  Punkte  dezenter 
als  Crowne. 

V.  Akt. 
Ort  der  Handlung:  Der  Hof  des  Atreos. 

Der  V.  Akt  enthält  das  entsetzliche  Bankett.  Atreos  und  Thyestei 
sitzen  bei  dem  scheußlichen  Mahle.  Thyestes  bemerkt  mit  Grauen,  daß 
alles,  was  er  genossen  hat,  in  ihm  zu  seufzen  beginnt.  Die  Haare  stehen 
ihm  vor  Schreck  zu  Berge.  Doch  Atreus  sucht  ihn  zu  beruhigen  und 
lädt  ihn  zum  Trinken  ein.  Thyestes  hat  schon  einige  Male  Ton  dem 
unheilvollen  Getränke  genossen.  Als  er  dann  noch  einmal  einen  Schluck 
aus  dem  Pokale  tun  will,  erlöschen  alle  Lichter,  die  Tafel  zerfiült  in 
Stücke,  und  das  Bollen  des  Donners  yerkündet  den  Groll  der  Götter: 
Jetzt  ^ird  alles  offenbar.  Mit  höhnischen  Worten  teilt  Atreus  dem 
Schlimmes  ahnenden  Thyestes  mit,  daß  er  von  seinem  eigenen  Sohne 
gegessen  und  von  seinem  Blute  getrunken  habe.  Thyestes  ist  entsetzt 
über  eine  solch  abscheuliche  Bache.  Doch  sein  Bruder  geht  noch 
weiter:  Er  läßt  die  Tore  des  Tempels  öffnen,  wo  nun  der  unglückselige 
Vater  die  blutigen  Überreste  seines  Sohnes  erblickt. 

Zu  dieser  gräßlichen  Szene  kommt  Antigone  hinzu,  und  als  sie  die 
Wahrheit  der  unglaublichen  Bluttat,  von  der  man  ihr  schon  berichtet 
hat,  vor  ihren  Augen  klar  bewiesen  sieht,  fällt  sie  neben  der  Leiche 
ihres  Geliebten  zu  Boden  und  bricht  in  einen  herzzerreißenden  Jammer 
aus.  Sie  nimmt  einen  ganz  verstörten  Blick  an  und  erdolcht  sich,  ohne 
sich  von  Atreus  zurückhalten  zu  lassen,  dem,  wie  er  gesteht,  nichts  in 
der  Welt  ihren  Verlust  ersetzen  könne. 

Auch  xErope  erscheint  mit  Agamemnon  und  Menelans,  um  Zeugin 
des  Vorgefallenen  zu  werden.  Ihr  Schmerz  wird  noch  dadurch  erhöht, 
daß  Atreus  immer  noch  nicht  an  ihre  Unschuld  glaubt.  So  viel  Schmach 
und  Unglück  vermag  sie  nicht  zu  ertragen:  Zuerst  tötet  sie  den  Thyestes, 
ihren  Schänder,  dann  sich  selbst. 

Zum  Schlüsse  macht  Atreus  den  Peneus  für  alles  Blutvergießen 
verantwortlich  und  jagt  ihn  davon.  £r  glaubt,  zu  dieser  Handlungsweise 
berechtigt  zu  sein ;  denn  die  Götter  treiben  ja  auch,  meint  er,  ganz  nach 
ihrem  Belieben  ihr  grausames  Spiel  mit  den  Menschen. 

Der  1.  Teil  dieses  V.  Aktes  ist  der  Schlußszene  des 
lateinischen  Thyestes  genau  nachgeahmt.  Auch  bei  Crowne 
singt  Thyestes  ein  —  allerdings  nicht  wiederzugebendes  — 


—     53     — 

Lied^)  bei  dem  Bankett.     Der  englische  Dichter  hat  dabei 
wiederum  sehr  yiele  Stellen  aus  Seneca  übersetzt,  die  wir  mit 
den  entsprechenden  lateinischen  Versen  vergleichshalber  hier- 
hersetzen wollen: 
Thy.:  This  to  the  Gods  for  this  most  joyful  day. 
(Thy.  pours  sorae  wine  on  the  ground.) 
Sen.  V,  984  Thy. : 

.  .  .  paternis  vina  libentur  deis. 

Thy. :  See !  from  my  Head  my  Crown  of  Roses  falls. 

My  Hair,  though  almost  drown'd  beneath  sweet  Oyls, 

With  Strange  and  sudden  horrours  starts  upright. 

Something,  I  know  not  what,  bids  me  not  eat; 

And  what  I  have .  devour'd,  within  me  groans, 

I  fain  wou'd  tear  my  breast  to  set  it  free. 
Sen.  V,  947 ff.  Thy.: 

vernae  capiti  fluxere  rosae, 

pingui  madidus  crinis  amomo 

inter  subitos  stetit  horrores. 
Sen.  V,  1000/01  Thy.: 

quid  tremuit  intus?  sentio  impatiens  onus 

meumque  gemitu  non  meo  pectus  gemit. 
Sen.  V,  1044  Thy. :         ...  ferro  liberis  detur  via. 

Thy. :  And  I  have  catch'd  the  eager  thirst  of  tears, 
Which  all  weak  Spirits  have  in  misery. 

Sen.  V,  953  Thy.: 

flendi  miseris  dira  cupido  est. 

Sen.  V,  966/67  Thy. :         ...  subitos  fundunt 
oculi  fletus. 

Thy.:  What  ails  me?    I  cannot  heave  it  to  my  Lips. 


The  Wine  will  not  come  near  my  Lips. 
Sen.  V,  985 ff.  Thy.:     .  .  .  sed  quid  hoc?  nolunt  manus 


^)  Der  "^Sotig  at  Atreus  his  BanqueV^  ist  an  den  Anfang  der  Tra- 
gödie gedruckt  worden. 


—    64    — 

parere  .  .  . 

admotas  ipsis  Bacchus  a  labris  fugit. 

Bühnenanweisungen :  A  clap  of  Thunder,  the  Table  over- 
sets,  and  falls  into  pieces ;  all  the  lights  go  out. 

Sen.  V,  989ff.  Thy.: 

et  ipsa  trepido  mensa  subsiluit  solo, 
vix  lucet  ignis;  ... 

quid  hoc?  magis  magisque  concussi  labant 
convexa  caeli. 

Thy.:  Nature  is  choak'd  with  some  vast  Villany, 

And  all  her  Eace  is  black. 
Sen.  V,  995  Thy.: 

fugit  omne  sidus. 

Thy. :  The  Sky  is  stun'd,  and  reels  'tween  Night  and  Day. 
Sen.  V,  990/91  Thy. :         ...  ipse  quin  aether  gravis 
inter  diem  noctemque  desertus  stupet. 

Thy.:  Old  Chaos  is  return'd. 
Sen.  V,  831/32  Chor:         .  .  .  iterumque  deos 
hominesque  premat  deforme  chaos. 

Atr.:  ...  he  and  all  the  Gods  may  flye  for  shame; 

Sen.  Y,  1035  Thy.: 

Hoc  est  deos  quod  puduit  .  .  . 

Atr.:  Nature  cou'd  see  that  sight,  and  not  be  sick. 
Sen.  V,  1006/07  Thy. :         ...  sustines  tantum  nefas 
gestare,  Tellus? 

Thy.:  For  Hell  has  bounds,  thy  wickedness  has  none. 
Atr. :  My  just  rewards  of  wickedness  have  none. 
Sen.  V,  1052/53  Atr.: 

Sceleri  modus  debetur  ubi  faciaa  scelus, 

non  ubi  reponas. 

Thy. :  Eevenge  the  Heavens  plunder'd  of  their  light : 
Compose  of  lightning  a  false  dreadful  day, 


—    65    — 

And  take  no  aim,  but  dart  it  at  us  both ; 
Hit  one  of  us,  and  i'is  no  matter  whicb, 
You  strike  tbe  wickedst  man  that  liyes  on  Earth. 
You  will  be  merciful  in  burning  me, 
Make  me  become  my  dear  Son's  Faneral  pile. 
Sen.  V,  1085  ff.  Thy.:        .  .  .  vindica  amissum  diem, 
iaculare  flammas,  lumen  ereptum  poIo 
fulminibus  exple.  causa,  ne  dubites  diu, 
utriusque  mala  sit;  si  minus,  mala  sit  mea: 
me  pete,  trisuico  flammeam  telo  facem 
per  pectus  hoc  transmitte  —  si  natos  pater 
humare  et  igni  tradere  extremo  volo, 
ego  sum  cremandus. 

Thy. :  All  Gods  have  left  us  .  .  . 
Sen.  V,  1021  Thy.: 

fugere  superi  ... 

Thy.:  And  with  a  Sword  I  fear  to  end  my  grief. 
Lest  I  in  my  own  bosom  stab  my  Son. 

Sen.  V,  1046/47  Thy. :        ...  sustine,  infelix,  manum, 
parcamus  umbris.   . 

Atr.:  But  now  these  Tears  confess  I  have  thy  Soul, 
And  now  I'm  well  rewarded  for  my  pains. 

Sen.  V,  1097/98  Atr. :        ...  perdideram  scelus, 
nisi  sie  doleres. 

Thy.:  What  was  my  poor  Sons  fault? 
Atr.:  That  he  was  thine. 
Sen.  V,  1100  Thy.: 

Quid  liberi  meruere?    Atr.:  Quod  fuerant  tui. 

Thy.:  Bear  witness  Gods!  ... 


Atr.:  What  Gods?  the  Guardians  of  Nuptial  Beds? 
Sen.  V,  1102  03  Thy.:        Piorum  praesides  testor  deos. 
Atr.:  Quin  coniugales? 

Thy.:  Must  sin  with  sin  be  punish'd? 


—    66    — 

Sen.  V,  1103  Thy.: 

Scelere  quis  pensat  scelus? 

Atr.:  All  these  are  tears  of  rage, 

'Cause  I'm  aforehand  with  thee  in  this  sin. 

Thou  with  my  Children  wou'dst  have  treated  me^ 

But  that  thou  wert  afraid  they  were  thy  own 

Incestuous  Bastards  all. 
Sen.  V,  1104 flF.  Atr.: 

Scio  quid  queraris:  scelere  praerepto  doles, 
.  .  .  fuerat  hie  animus  tibi 

instruere  similes  inscio  fratri  cibos 

et  adiuyante  liberos  matre  aggredi 

similique  leto  sternere  —  hoc  unum  obstitit: 

tuos  putasti. 

Thy.:  I've  done  with  thee, 

And  leave  thee  to  the  Gods  for  punishment. 
Sen.  V,  1110/11  Thy.:        Vindices  aderunt  dei; 

bis  puniendum  vota  te  tradunt  mea. 

Atr.:  Open  the  Temple  Gates  .  .  . 
Sen.  V,  901/02  Atr. :        ...  turba  famularis,  fores 
templi  relaxa  .  .  . 

Das  Ergebnis  der  angestellten  Vergleichung  ist  folgendes : 


Crowne 

Seneca 

Derl.T.                 des     1.  Aktes  i 

entspricht  dem  I.  Akte 

n     2.„                          „         I. 

7» 

n 

dem  Beginn  des  11.  Aktes 

»    4.„                    „I. 

n 

n 

dem  2.  T.  des  U.  Aktes 

»    5,„                   ,1. 

n 

n 

den  letzten  Versen  d.  Chors  (II.) 

die  2.  Sz.                „      II. 

n 

n 

teils  dem  H.,  teils  dem  ITT.  Akte 

derS.T.derl.Sz.  „    UI. 

n 

n 

dem  in.  Akte  (2.  Sz.) 

die  2.  Sz.                „    UI. 

» 

n 

dem  m.  Akte  (1.  Sz.) 

die  1.  Sz.                „    IV. 

» 

» 

dem  III.  Akte 

der  1.  T.                „      V. 

n 

n 

dem  V.  Akte. 

Crowne  hat  sich  also  insbesondere  yom  II.  und  III.  Akte 
des  lateinischen  Originals  beeinflussen  lassen. 

Was  die  Hauptfabel  anlangt,  so  hat  der  englische 
Dramatiker  mit  seinem  römischen  Vorbilde  folgendes  ge- 
meinsam : 


—     57     — 

Der  von  der  Unterwelt  durch  eine  Furie  in  den  Palast 
des  Atreus  getriebene  Geist  des  Tantalus  entfacht  die  Wut 
des  Atreus.  Dieser  ruft  seinen  wegen  des  begangenen  Ehe- 
bruches vertriebenen  Bruder  zurück,  heuchelt  ihm  gegenüber 
Versöhnung,  bietet  ihm  die  Hälfte  seines  Reiches  an  und 
regaliert  ihn  mit  dem  Fleisch  und  Blut  seines  mit  >£rope 
erzeugten  Sohnes  (d.  h.  bei  Seneca  sind  es  drei  Söhne). 
Dabei  spielt  auch  der  goldene  Widder  eine  Rolle.  In  allen 
anderen  Einzelheiten  der  Haupthandlung  aber  weicht  Crowne 
von  Seneca  ab. 

Die  Vergewaltigung  der  .^Erope  durch  Thyestes  erinnert 
nicht  wenig  an  die  88.  Fabel  Hygin's ;  denn  wie  dort  Thyestes 
die  Pelopia  vergewaltigt,  und  diese  sich  aus  Schande  später 
den  Tod  gibt,  so  hegt  auch  hier  ^^rope  gegen  Thyestes,  ihren 
Entehrer,  eine  überaus  große  Abneigung.  Ob  der  englische 
Dichter  tatsächlich  an  jene  Erzählung  Hygin's  gedacht  hat, 
läßt  sich  nicht  nachweisen. 

Die  Liebesepisode  zwischen  Philisthenes  und  Antigone 
wird  wohl  die  eigene  Erfindung  Crowne's  sein. 

Auf  die  Vermutung  der  Herausgeber  Crowne's  vom  Jahre 
1874,  daß  der  englische  Thyestes  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
vielleicht  eine  Übersetzung  sei,  können  wir  jetzt  die  Antwort 
geben,  daß  der  englische  Dichter  rund  200  Verse  aus  dem 
lateinischen  Originale  herübergenommen  hat.^)  Dabei  verdient 
aber  die  Tatsache  hervorgehoben  zu  werden,  daß  Crowne  mit 
der  Verteilung  der  einzelnen  Szenen  und  Aussprüche  sehr 
frei  verfahren  ist,  und  daß  er  es  verstanden  hat,  den  Ge- 
danken Seneca's  oft  in  sehr  schönem,  ausdrucksvollem  Englisch 
wiederzugeben. 

Vergleichen  wir  den  Text  der  englischen  Thyestestragödie 
mit  den  beiden  englischen  Übersetzungen  des  Originals,  so 
müssen  wir  zu  dem  für  Crowne  rühmlichen  Schlüsse  kommen, 
daß  er  die  lateinische  Quelle  selbst  benutzt  hat. 


^)  Ganz  genau  läßt  sich  die  Anzahl  der  übersetzten  Verse  nicht 
angeben,  da  Crowne  sehr  viele  kleine  Versstücke  verwendet  hat;  auf 
keinen  Fall  aber  beträgt  die  Gesamtzahl  mehr  als  200. 


—     58     — 

Die  Charaktere  schildert  uns  Crowne  in  derselben  Weise 
wie  Seneca.  Nur  ist  zu  bemerken,  daß  Aireus  in  einer 
Szene  ^)  zu  Tränen  gerührt  wird  und  im  letzten  Akte  eine 
flo  ideale  Vaterliebe  seiner  Tochter  gegenüber  bekundet, 
daß  man  darüber  staunen  muß.  Crowne  hat  sich  hier 
einer  starken  Verzeichnung  des  Charakters  jenes  Pelopideo 
schuldig  gemacht;  denn  diese  beiden  Züge  können  nie  und 
nimmer  zu  dem  Bilde  eines  Mannes  stimmen,  der  wut- 
schnaubend und  rachesinnend,  heuchlerisch  und  spitzfindig, 
frevlerisch  und  kein  Mittel  scheuend,  auf  die  Bestrafung 
seines  Bruders  ausgeht  und  die  denkbar  scheußlichste  Art  der 
£ache  anwendet. 

Thyestes  dagegen  erscheint  in  der  englischen  Tragödie 
als  derselbe  reumütige  Sünder  wie  der  allen  verführerischen 
Glanz  meidende  Philosoph  bei  Seneca;  nur  ist  sein  Ver- 
brechen im  englischen  Drama  größer  als  im  lateinischen 
Original,  da  er  ja  hier  die  -^rope  vergewaltigt  hat. 

Dadurch  wird  aber  das  Bild  der  jErope  bei  Crowne 
reiner;  sie  ist  ihrem  Gemahle  treu  ergeben,  leidet  furchtbare 
Qualen  unter  dem  Verdachte  des  Atreus,  hängt  mit  inniger 
Liebe  an  ihrer  Antigene,  verabscheut  aber  ihren  Schänder 
und  tötet  ihn  aus  Rache  und  zuletzt  sich  selbst  aus  Gram 
über  ihr  unverschuldetes  Leid. 

In  Antigene  und  Philisthenes  sehen  wir  zwei  treue  Lieb- 
haber, denen  ihre  Leidenschaft  über  alles  geht.  Der  Jüngling 
ist  gerade  so  leichtgläubig  und  unvorsichtig  wie  der  Philisthenes 
Seneca's. 

Der  Charakter  des  Peneus  ist  aus  dem  des  Thyestes,  des 
satelles  und  des  Chors  bei  Seneca  zusammengesetzt;  denn  er 
ist  der  Vertreter  ihrer  Ansichten.  Er  ist  dem  Thyestes  treu 
ergeben  und  hält  es  nicht  für  unrecht,  den  Bruder  des  Königs 
in  seinem  Unglücke  gegen  den  Befehl  des  Atreus  zu  unter- 
stützen. 

Es  bleibt  noch  die  Frage  zu  beantworten,  ob  Crowne  die 
Schrecklichkeit  des  Stoffes  gemildert  hat.  Genest  meint,  das 
Bankett  sei  im  Englischen  Drama  bei  weitem  nicht  so  furchtbar 

')  I,  1.  Sz..  3.  T. 


_    59    -w 

wie  in  der  lateinischen  Tragödie.^)  Wie  Ward-),  so  können 
auch  wir  dieser  Ansicht  nicht  beipflichten.  Wir  haben  ge- 
sehen,  daß  bei  Crowne  sowohl  als  bei  Seneca  Atreus  und 
Thyestes  bei  der  entsetzlicheu  Mahlzeit  sitzen,  und  daß  Atreus 
seinen  unglücklichen  Bruder  in  derselben  Weise  verhöhnt 
wie  in  der  römischen  Tragödie.  Warum  sollte  also  das 
Bankett  im  englischen  Stücke  weniger  grauenhaft  sein?  Es 
lassen  sich  höchsteos  zwei  Tatsachen  linden,  die  man  bei 
Crowne  als  eine  Milderung  der  Greuel  betrachten  könnte. 
Erstens  tötet  in  der  englischen  Tragödie  Atreus  nur  einen 
Sohn,  zweitens  fällt  auch  der  zu  sehr  ins  einzelne  gehende 
nnd  uns  ganz  mit  Grausen  erfüllende  Bericht  über  die  Hin- 
schlachtung der  Opfer  weg.  Aber  wenn  wir  bedenken,  daß  bei 
Crowne  Atreus  den  Philisthenes  auf  der  Bühne  erdolcht  und 
ihm  sogar  vorher  noch  sein  schreckliches  Los  mitteilt;  wenn 
wir  uns  daran  erinnern,  daß  Antigone  und  ^-Erope  Selbstmord 
begehen,  daß  die  Königin  ihren  Vergewaltiger  tötet,  und  daß 
die  Liebe  zwischen  Antigone  und  Philisthenes  doch  eigentlich 
blutschänderisch  ist  und  uns  infolgedessen  anekelt;  wenn  wir 
uns  schließlich  noch  jene  Szenen  ins  Gedächtnis  zurückrufen, 
wo  Atreus  seine  Gemahlin  eine  Hure  nennt  und  ihre  Kinder 
die  ^eruptions  of  a  buniing  whore  more  hol  than  ^itia'\  und 
wo  jErope  ihrer  Tochter  gesteht,  sie  sei  von  Thyestes  ver- 
gewaltigt worden  — ,  dann  kann  für  uns  doch  sicher  kein 
Zweifel  mehr  darüber  bestehen,  daß  das  lateinische  Original 
viel  dezenter  genannt  werden  muß  als  seine  englische  Nach- 
bildung, welche  die  Atmosphäre  der  berüchtigten  englischen 
Restaurationszeit  nicht  verleugnen  kann. 

Wollen  wir  gerecht  sein,  so  werden  wir  anerkennen 
müssen,  daß  sich  dem  Crowne'schen  Stücke  auch  manche 
Schönheiten  nachrühmen  lassen.  Wie  die  Aussprüche  Seneca's 
oft  in   markiger   Sprache  wiedergegeben   sind^),   so   hat  der 


*)  Account  of  the  Engl  St  I,  292,'93:  "77ie  busincss  of  the  banquet 
is  connderably  aoftened." 

*)  Engl.  Dram.  Lit.  111,402:  ""The  spectator  is  spared  none  of  the 
horrors  of  the  gt'uesome  myth^ 

')  Einen  Beweis  dafür  hat  bereits  Chambers  geliefert,  der  den 


—     60     — 

englische  Dichter  auch  öfters  seinen  eigenen  Gedanken  einen 
echt  poetischen  Ausdruck  verliehen.    Mau  erinnere  sich  der 
prächtigen  Liebesszene  zwischen  Philisthenes  und  Antigone 
und  insbesondere  der  Abschiedsworte  des  Mädchens  (II,  1)! 
Am  Schlüsse  des  III.  Aktes  legt  Crowne  dem  Thyestes 
die  eines  Shakspere  würdigen  Worte  in  den  Mund: 
"Por  who  will  Virtue  foUow,  and  obey, 
If  when  she  is  their  Guide,  men  lose  their  way?" 

Und  in  der  1.  Szene  des  IV.  Aktes  spricht  Thyestes  die 
wirklich  schönen  Worte: 

"Trees  shelter  man,  by  whom  they  often  dye. 
And  never  seek  revenge." 

Dort  findet  sich  auch  jene  Stelle,   die  ein  glücklich  er- 
fundenes Bild  entwickelt: 
Phil.:  Oh!  look  upon  the  Splendour  of  a  crown, 

See  from  the  rising  King  it  dawns  this  way ; 
Oh!  look  upon  it  Father! 
Thy.:  Yes,  I  do, 

As  I  have  often  looked  upon  the  Sud, 
When  I  have  seen  him  heave  a  thousand  Waves 
In  brimming  Spouts,  up  to  his  Lips  to  drink, 
To  spit  'em  all  in  the  Seas  Face  again, 
Or  on  some  Desart,  where  they  only  serv'd 
To  cool  a  while  the  thirst  of  burning  Sands. 
So  are  we  all  by  Royal  splendour  suck'd 
Up  to  the  Clouds,  to  be  let  fall  again 
Upon  some  dreadfui  unexpected  Fate. 
Pen. :  True  Race  of  Tantalus !  who  Parent  like 

Are  doom'd  in  midst  of  plenty  to  be  starv'd. 
His  Hell  and  yours  diflfer  alone  in  this; 
When  he  wou'd  catch  at  joys,  they  flye  from  him, 
Whea  Glories  catch  at  you,  you  fly  from  them. 
Die  langen  Reden,   die  wir  in   der  englischen  Tragödie 
finden,  erinnern  sehr  an  das  lateinische  Original,  bei  dem  es 

SchlußmoDolog  des  1.  Aktes  und  die  Eingangsworte  des  IV.  Aktes  der 
Aufnahme  in  seine  Cyclop.  of  Engl.  Lit,  (II,  89)  für  würdig  erachtet  hat. 


—    61     — 

bisweilen  schwer  ist,  zwischen  Monologen  und  langen  Dialogen 
zu  unterscheiden.  Bei  genauer  Prüfung  kann  man  im  Seneca- 
schen  Drama,  von  den  Chören  abgesehen,  7  tatsächliche  Mo- 
nologe herausfinden,  von  denen  2  auf  den  I.,  1  auf  den  II., 
dann  noch  je  2  auf  den  III.  und  IV.  Akt  treffen.  Bei  Crowne 
haben  wir  an  wirklichen  Monologen  im  I.  Akte  4,  im  II.  3, 
im  III.  und  IT.  Akte  je  6  und  im  V.  Akte  nur  1,  also  im 
ganzen  20.  Interessant  dürfte  noch  die  Tatsache  sein,  daß, 
wenn  wir  von  Kyd  absehen,  von  allen  anderen  Nachahmern  des 
lateinischen  Thyestes  nur  Crowne  die  Stimmungsfiguren,  nämlich 
den  Geist  des  Tantalus  und  die  Megara,  beibehalten  hat. 

C.  Bomanlsche  Literaturen. 

1.  Der  Thyeste  von  Monleon  (1633). 

Der  Inhalt  dieser  Tragödie  ist  kurz  folgender: 

Atree  läßt  den  fern  von  ihm  weilenden  Thyeste,  der  im  Ehebruche 
mit  seines  Bruders  Gemahlin  Merope  zwei  £inder,  namens  Theandre 
und  Lysis,  gezeugt  hatte,  ins  Reich  zurückrufen,  angeblich,  um  sich 
mit  ihm  wieder  auszusöhnen.  Thyeste  geht  in  die  Falle  und  schickt 
sogar  seine  beiden  Kinder  als  Geiseln  zu  Atree,  noch  bevor  er  sich 
selbst  zu  ihm  begibt.  Nachdem  dieser  zuerst  den  Theandre  und  Lysis 
durch  Meünthe,  die  von  ihm  bestochene  Vertraute  der  Merope,  hat  ver- 
giften lassen,  stellt  er  seine  unglückliche  Gemahlin  vor  die  Wahl,  sich 
zu  erdolchen  oder  zu  vergiften.  Sie  greift  nach  dem  Becher.  Kaum 
hat  sie  ihr  Leben  ausgehaucht,  so  langt  der  von  traurigen  Ahnungen 
erfüllte  Thyeste  an,  wird  von  Atree  mit  seinen  eigenen  Kindern  Theandre 
and  Lysis  bewirtet  und  soll  nun  nach  Beendigung  des  schrecklichen 
Mahles  mit  seinem  Bruder  noch  den  Versöhnungstrunk  tun.  Thyeste 
«etzt  den  mit  dem  Blute  seiner  Kinder  gefüllten  Pokal  an  die  Lippen« 
wird  jedoch  in  demselben  Augenblicke  von  schrecklicher  Angst  befallen, 
ruft  nach  seinen  Kindern,  —  wird  aber  von  Atree  mit  der  entsetzlichen 
Nachricht  überrascht,  daß  er  sie  gegessen  habe.  Zum  Beweise  hierfür 
werden  ihm  die  blutigen  Überreste  seiner  Söhne  gezeigt. 

Diese  Tragödie  wurde  bereits  sehr  eingehend  auf  ihre 
Quelle  hin  untersucht.^)  Lust  weist  im  einzelnen  nach,  daß 
„Yor  allem  der  zweite,  dritte  und  vierte  Akt,  und  außerdem 
einige    unbedeutende   Nebenumstände    aus    dem   Stücke   des 


*)  Lust,  Monleon  in  seinem  Thyeste  als  Nachahmer  Seneca'Sj  1887. 


—     62     — 

Seneca  Id  das  des  Monleon  übergegangen  sind,  und  daß  die 
Entlehnungen  aus  dem  alten  Dichter  zunächst  eine  Stelle  im 
ersten,  vierten  und  fünften  Akte  des  modernen  Dichters  ge- 
funden haben".  Im  übrigen  verweise  ich  auf  die  Arbeit 
Lüst'Sy  der  das  Thema,  das  er  sich  gestellt,  erschöpfend 
behandelt  hat. 

2.  Der  Atree  et  Thyeste  Crebillon's  (1707). 

Schon  öfters  ist  der  Versuch  gemacht  worden,  einen 
Vergleich  zwischen  dieser  Tragödie  und  dem  Thyesies  Seneca's 
anzustellen. 

Crebillon  selber  hat  es  unterlassen,  genauere  Angaben 
über  das  Verhältnis  seines  Stückes  zu  dem  lateinischen  Original 
zu  machen.  Er  bemerkt  nur  im  allgemeinen  ^) :  tPournc  jmut 
offrir  Airve  saus  une  figure  desagrtable,  je  fais  etile ver  uEropr  aux 
Autels  mimes  .  .  ,  J^ai  altert  jmr-tout  la  Fable  paur  rendrt  m 
rengeance  moins  nffrettse;  ei  il  s^en  fatit  hkn  que  moti  Atrie  soü 
aussi  cruel  que  cehii  de  Snieqne,  II  nCa  cntssi  sttffi  de  fairf 
cravidre  ponr  Thyesie  toules  les  hofreurs  de  la  Coupe  que  i^on 
fröre  lui  pn'pare;  et  il  iCy  porle  pas  sculcmeni  les  Itvres.» 

Im  Jahre  1722  wurde  Cr6billon's  Stück  einer  Kritik 
unterzogen,  die  unter  dem  Namen  einer  M«^i®  Barbier  er- 
schien^), in  Wirklichkeit  aber  Pelle grin  zum  Verfesserhat, 
wie  von  den  Brüdern  Parfaict  behauptet  wird.  In  seiner 
Besprechung  der  Tragödie  hebt  Pellegrin  hervor,  daß  Crebillon . 
dem  lateinischen  Original  viele  Züge  entlehnt  habe,  und  er  fahrt 
dann  fort:  «7/  en  a  meme  imie  Vaction  principale,  mais  ü  $'e»i 
rendu  original  hd-mime  dans  les  episodes :  fatvue  qite  la  fable,  moins 
simple  que  rellr  de  &'ucque,  a  quelque  chose  de  plus  graml  et  de 
plus  terrible,  >  ^)  Was  den  Ausgang  anlange,  so  meint  Pellegrin, 
Atreus  erreiche  bei  dem  lateinischen  Dichter  seine  Absicht 
während  sein  Racheplan  bei  Crebillon  zweimal  zerstört  werde. 


^)  S.  das  Vorwort  zur  2.  Aufl.  seines  Stückes. 

•)  Dissertation  critique  8ur  la  Tragedie  d'Atrie  et  Thyeste,  im  lU- 
cueil  des  Saisons  liitCr.  (Rouen),  p.  1—142.  Einen  Auszug  aus  dieser 
Kritik  geben  die  Brüder  Parfaict,  Hist  XIV,  427 fF. 

»)  Parfaict,  Hist  XIV,  428. 


—    63     — 

Lessing  hat  sich  damit  begnügt,  im  wesentlichen  nur 
eine  Inhaltsangabe  der  beiden  Stücke  zu  geben  und  darauf 
hinzuweisen,  daß  die  3.  Szene  des  I.  Aktes  ,,zum  Teil  eine 
Nachahmung  des  lateinischen  Dichters^  sei.^)  Am  Schlüsse 
seiner  Analyse  fügt  er  dann  noch  die  folgende  Bemerkung 
hinzu :  ,,Nach  meinem  Urtheile  kann  man  dem  Hrn.  Crebillon 
wohl  weiter  nichts  vorwerfen,  als  daß  er  seinen  Atreus  und 
Thyest  ein  wenig  zu  neumodisch  gemacht;  daß  er  die  Haupt- 
handlung mit  einer  unnötigen  Episode  geschwächt,  und  das 
Ganze  durch  die  Einführung  so  vieler  Vertrauten  .  .  .  matt 
gemacht  habe.  Wie  weit  er  aber  überhaupt  unter  dem 
Schrecklichen  des  lateinischen  Dichters  geblieben  sey,  wird 
man  schon  von  sich  selbst  abgenommen  haben.  Er  hat  die 
stärksten  Züge  in  seinem  Muster  unberührt  gelassen,  und 
außer  dem  so  gelinderten  Hauptinhalte,  kaum  hier  und  da 
einige  glänzende  Gedanken  von  demselben  geborgt.  Doch 
aoch  diese  hat  er  oft  ziemlich  gewässert,  und  die  Stärke  gar 
nicht  gezeigt,  mit  welcher  der  ältere  Corneille  die  schönsten 
und  prächtigsten  Gedanken  der  römischen  Trauerspiele  in 
seine  überzutragen  wußte.  Einigemal  ist  es  ihm  so  ziemlich 
gelungen,  besonders  bey  dem  agnosco  fratrem,  welches  er 
durch  folgende  Zeile  ausgedrückt  hat: 

A.  Meconnais'iu  ce  sang?    Th.  Je  reconnais  mon  frere. 

Auch  noch  eine  Stelle  hat  er  sehr  wohl  anzuwenden 
gewußt,  und  zwar  eine  solche,  welche  manchem  Ausleger  des 
alten  Dichters  selbst  nicht  recht  verständlich  gewesen  ist 
Ich  meine  die  1052 te  Zeile: 

Sceleri  modus  debctitr,  tibi  fackis  sccbcs^ 
Non  übt  reponas  —  — 

welche  er  sehr  kurz  und  schön  so  übersetzt  hat: 

II  faut  un  terme  au  crime,  et  non  ä  In  vengeance"  ^) 

Wie  Lessing,  so  ist  auch  die  Histoire  universelle  des 
Thidires  de  toutes  ks  Nations  (1779 — 81)  weit  davon  entfernt, 
über  das  Abhängigkeitsverhältnis  der  beiden  Dramen  be- 
friedigende  Aufschlüsse    zu    bieten.      Wir    werden   mit   der 


')  Theatr.  Bihl,  II,  St.  1754  [LJs  sämmtL  Sehr.  IV,  292 flf.). 
«)  L:»  sämmtl  Sehr,  IV,  3(J^. 


—     64     — 

kurzen,  ebenso  oberfläcblichen  wie  nichtssagenden  Bemerkung 
abgefunden,  daß  Crebillon  *.  .  .a  ,  .  ,  imite  PAuieur  latin  dan< 
plusieurs  e.ndroits,  ei  en  parii/ndier  davs  la  Scene  II  du  premitr 
AcUf  dan^  la  premüre  et  septievie  du  iroisihnej  dans  la  quatrilmf, 
cinquieme  et  sixieme  du  derniei*.*^) 

Im  Jahre  1789  äußert  sich  die  PetUe  Biblioiheqne  dfs 
Thedtres  folgendermaßen:  <cCrebillofi  n'a  pu  imiier  que  cetu 
derniere  [la  piece  de  Sineque],  et  il  Ca  fait,  en  plusieurs  endrmti 
de  son  Atree^  en  tnchant  d''en  rendre  la  catasirophe  un  peu  mohis 
horrible  que  celle  du  Thyesie  de  Seneque,  Dans  eette  Piece,  Thyfsk 
holt  reellement  le  sang  de  trois  de  ses  fds.  Dans  celle  de  Crebillon, 
il  voit  la  Coupe  que  lui  fait  2)r€sefiter  son  frere,  Atree^  remplie  de 
sang.     B  la  rejeite  avec  hmreur  .  .  ,»  ^) 

La  Harpe^)  bringt  allerdings  (1779—1805)  eine  ein- 
gehende Besprechung  des  Crebillon'schen  Stückes,  hebt  auch*), 
wie  Lessing,  die  dem  Seneca  entlehnten  Verse :  A.  Meconnai^- 
tu  re  sang?  Thy.  Je  reconnais  ?non  frere  hervor,  geht  aber 
ebenfalls  der  eigentlichen  Quellenfrage  aus  dem  Wege. 

Aus  den  Annales  dramatiques  (1808  flf.)  erfahren  wir  fol- 
gendes über  Crebillon:  «Quoiqu'ü  n*entendH  ni  le  gree  ni  le 
latin,  quoiqtCil  n^eut  que  la  mauvaise  traduction- de  fabbe  de  J/a- 
volles  2^our  se  petu'trer  des  beautes  de  Sineque^  il  s'est  quelquefoii 
i'leve  jusqu\i  sa  hauteury  comme  on  peut  s^en  eonvaincre  par  la 
lecture  de  quelques  seines  de  difßrens  acies,7>  ^)  Die  Behauptung, 
daß  der  Dichter  kein  Latein  und  kein  Griechisch  verstanden 
habe,  wird  durch  die  Tatsache  widerlegt,  daß  er  ein  Jesuiten- 
kollegium absolvierte,  die  Kechte  studierte  und  schließlich 
tavocat  au  parlernent  de  Paris»  wurde.*)  Wenn  also  Crebülon 
auch  imstande  war,  den  Seneca  im  Original  zu  lesen,  so  hat 
er  sich  trotzdem  die  Übersetzung  von  MaroUes  angesehen; 
denn  obgleich  der  französische  Tragiker  den  lateinischen  Text 
sehr  oft  nach   seiner  eigenen  Weise   verwendet  und  wieder- 


»)  Bd,  VI,  Teil  I,  360. 

•)  Chef8-d'(Euvre  de  Crib.:  Jug,  et  Anecd.,  p.  VIII/IX. 

»)  Cours  de  Litt  XI  (P.  I),  12  ff. 

*)  Cours  de  Litt.  XI  (P.  I),  p.  27/28. 

»)  Ann,  dramat.  IX,  121. 

•)  Cf.  Dutrait,  Etüde,  p.  6ff. 


—     65     — 

^bt,  kliogen  doch  einige  Verse  des  Atrce  ei  Thyesie  an  den 
Text  von  MaroUes  an.^) 

Was  Yillemain  betrifft,  so  handelt  er  (1846)  allerdings  im 
allgemeinen  über  das  Verhältnis  des  Cr^billon'schen  Stückes 
zum  lateinischen  Original.  Aber  auch  er  dringt  durchaus 
nicht  tiefer  in  diese  Frage  ein,  sondern  bespricht  vor  allem 
den  Thyestes  Seneca's.^) 

Auch  Saint-Marc  Girardin  handelt  (1852)  über  die  beiden 
Autoren,  bespricht  das  lateinische  Original  ziemlich  eingehend, 
sucht  zu  beweisen,  daß  der  Charakter  des  Atree  besser  von 
Crebillon  als  von  Seneca  geschildert  worden  sei,  gibt  eine 
Inhaltsangabe  des  französischen  Stückes  und  sagt  zum  Schlüsse 
in  bezog  auf  die  bekannte  Stelle:  tMecomiais-tu  ee  $ang?>  tJe 
reconnais  mon  frere» :  <  (Vebillon  a  eu  le  hon  esprit  de  ne  traduire 
de  Seneque  que  ce  mot  sublime^  et  de  laisser  de  coli  les  antitkeses 
raffinees  du  Thyesie  de  Setfeqtie,*^) 

Außerdem  ist  noch  Lucas  zu  erwähnen,  der  (1862)  den 
Verfasser  des  französischen  Stückes  für  einen  poeie  ä  Veau  rose 
erklärt^)  und  in  bezug  auf  die  im  lateinischen  Original  sich 
findenden  Schreckensszenen  sich  folgendermaßen  äußert: 


^  Weiter  unten  (S.  76  tf.)  werden  wir  die  von  Crebillon  benutzten 
Stellen  der  Übersetzung  namhaft  machen. 

*)  Cours  de  Litt,  fr.  I,  53  ff.  Über  Crebillon  heben  wir  folgende 
Bemerkungen  heraus:  ^Dans  une  pariie  du  theätre  de  CrebiUorif  vom 
retrouvez,  ä  la  correction  preSj  cette  enflure,  cette  pompe  monotone  des 
tragedies  de  Seneque  ....  c^est  le  meme  vidcj  le  mime  defaut  de  verite, 
On  peut  comparer  VAtr^e  et  Thyesie  de  Vun  et  Vauti-ej  et  dans  la  diversite 
des  plans,  on  retrouvera  cette  ressemblance»  ....  (ibd.,  p.  57):  *Crebiüon 
n'en  est  pas  moins  tragique  dans  quelques  intentions  [que  Seneque]  et  dans 
quelques  vers  de  sa  piece  toute  moderne.  LHnterrogatoire  de  Thyesie 
est  d^un  grand  effet:  la  coupe  sanglante^  imitee  de  Seneque,  rend  possible 
sur  la  scene  un  dmoument  affreux  que  le  poete  latin  avait  surcharge  de 
degoutants  detalls  mtles  ä  ce  trait  cnergique: 

Natos  et  quidem  noscis  tttos?  —  Agnosco  fratrem, 

si  bien  rendu  par  Crebillon: 

ReconnaiS'tu  ce  sang?  —  Je  reconnais  mon  frere.» 

»)  Cours  de  litt,  dramat.  II,  194  ff. 

*)  Hist.  philos.  et  litt.  I,  304/05;  *Quand  on  compare  son  Atree  et 
Thyesie  avec  la  piece  que  Seneque  a  composee  sur  le  meme  Sujet,  Cre- 
billon n^est  plus  qu^tn  poete  ä  Veau  rose.» 

Münchener  Beiträge  z.  rom.  u.  engl.  Philologie.    XXXVII.  o 


—     6H     — 


tCribiUon  timt  hien  gafdt^  dUmployer  tt'jt  unagta  ^ti-uAii 
ä  tn  a  aikhmi  teffet  m^me  dan$  m  vtrs 

Mironnaif*-iu  ce  sanf^'f  —  Je  freonna^s  umtt  fr* 

Li  vcrs  int  in  cM  pliw  rxprcsanf  cncotr: 

Afr^   Venere :  nfitns  €ctfitid  (ufnom^s  Hms  Y 

Thy,  Atjnoitm  ftairem. 

CvtbiUon  a  iaw>it}  aussi  de  coti  bcüucoup  de  mujrimtn  lemisi 
tjtft'  Iti  corrupiion  de  In  vour  des  eNt^terfur^  impirnU  nans  äuute 
h  mitsc  hardtr  de  i^nn/uf»  Tflle  rst  ctik-ci :  Qnmnd  jKrmnm 
napptrndi^aU  a  hteji  en/hnts  ions  kff  drOmrs  dr  ta  n*än  fi  du  rrtm€^ 
ir  Inme  k  kur  enseigncra,  i'rains^iu  f/ioln  /w?  d^rkanfni  j*ri»[ 
niifcfiantsf  Ih  sont  tiv^s  poitr  feire,»  Lucas  beBodet  sich  hier' 
iß  einem  bedauerlicheD  Irrtümer  denn  wir  werden  sehen,  daß 
Crebillon  gertidp  «I lesen  tSeiicca'schen  (tedanki-u  sehr  schün 
wiedergegeben  hat. 

Den    eipgeheiidsten     Vergleich    /wischen    dem    Jtnc    tl 
Thif€iti4^   und    dem  lateinischen  Origiiirtl  hut  Dutrait  angesiellt 
(18^5).^)     Er  macht  ?or  allem  darauf  aufmerksam,  dali  Cp^ 
hillon     durch    die   Liebe    dos    Plisthene    zu    Th^odaniie    uod 
durch  die  zweimalige  Versöhnuug  den  StotV  kümph/-iener  ge- 
staltet  habe   als  Seneca.   daß   aber  dafür  durch  WegkssuD^ 
der  Seneca'schen   deklamatorischen  Tiraden   und   durch   eine 
ebenso   kur7.e   wie   feine  Wiedergabe  dos  Sinnes  jener  laugen 
Reden  seiu  Drama  im  Vergleich  zu  seinem  Vorbild  bedeutend 
Tereinfacht  worden  sei.     Sodauu  gibt  Dutrait  den  Inhalt  ilt^f 
antiken  Tragödie,  wobei  er  darauf  hinweist,  daß  die  uDglü<^k- 
iichen  Vorahnungen,   die  bei  Seneca  (IIL  Äktl  iu  der  Seelr 
des  Thyestea   aufsteigen^   auch  im   französischen  Drama  ton 
Plistheue  (1269—1296,  13U7-'10,  1321  —  24)  und  tou  Thyesto 
(1423—32,  1460—68)  ausgesprocheu  werden,  und  daß  Or^biilon 
die  bei  Seneca  <III)  sich  findende  Versöhnuog  der  feindlichea 
Brüder  in  der  4.  Szene  des  IV.  Aktes  seiner  Tragödie  cbec- 
falls  darstellt.     Außerdem  erfahren  wir  von  Dutrait,  daß  d^^ 
französische  Tragiker  sein    Vorbild  im  V.  Akte  nur  bis  ^ 
der  Stelle  nachgeahmt  habe,  wo  Thyeste  den  verhänguifi^'^'l'*^ 
Pokal   ergreift   und   seine  Söhne   zurückverlangt*   und  daß  ^t 


1)  ttxidt  nur  la  Vk  et  k  ThMtre  iU  CrB,,  p.  ZiOSt. 


—     67     — 

die  bei  Seneca  am  Schlüsse  sich  anhäufeüden  zynischeu  Reden 
des  Atreus  abgeschwächt  und  die  <(raifs  de  mauvfns  goul-^  der 
antiken  Tragödie  weggelassen  habe. 

An  einer  anderen  Stelle  kommt  Dutrait  auf  den  Inhalt 
des  V.  Aktes  des  Atrtc  et  Thfjcstc  zu  sprechen  und  macht 
bei  den  von  Crebillon  dem  Seneca  entlehnten  Stellen  die  ent- 
sprechenden lateinischen  Verse  namhaft.^) 

Wenn  auch  diese  von  Dutrait  angestellte  Quellenunter- 
suchung der  Sache  mehr  als  alle  anderen  auf  den  Grund 
geht,  so  kann  sie  doch  nicht  den  Anspruch  auf  Vollständigkeit 
machen,  da  sie  die  vier  ersten  Akte  des  Atn'n  d  Thf/este  durch- 
aus nicht  hinreichend  mit  dem  lateinischen  Originale  vergleicht. 
Es  wird  demnach  unsere  Aufgabe  sein,  die  Grebillon'scho 
Tragödie  genau  auf  ihr  Verhältnis  zur  lateinischen  Quelle 
und   zur  Übersetzung   des   Abbe    de  Marolles   hin  zu  prüfen. 

Der  Inhalt  des  Afne  et  Thf/estc^  dessen  Handlung  in 
Chalcys  auf  Euböa  und  zwar  im  Paläste  des  Atree  spielt,  ist 
kurz  folgender: 

Atree  gibt  einem  riottenoflizier  den  Befehl.  Doch  am  selben  Tage 
mit  seinen  Schiffen  jjegen  Athen  abzusej^^eln,  wohin  Thyeste  vor  zwanzig 
Jaliren  die  Gemahlin  des  Atree,  .Erope,  am  Tage  ihrer  Vermählung 
entführt  hatte.     Ihn   soll  jetzt  endlich  die  Rache  seines  Bruders  treffen. 

Bereits  ein  Jahr  nach  dieser  Entiührung  hatte  Atree  sich  seiner 
Gemahlin  wieder  bemächtigt,  die  bald  darauf  einem  von  Thyeste  ge- 
zeugten Sohne,  Piisthtne,  das  Leben  gegeben  hatte.  Da  sie  dem  Thyeste 
noch  immer  mit  leidenschaftllclier  Liebe  zugetan  war,  machte  Atree 
ihrem  Leben  durch  Gift  ein  jähes  Ende.  Zugleich  legte  er  heimlich 
ihren  Sohn  statt  ein»s  ihm  von  einer  zweiten  Gemahlin  inzwischen  ge- 
borenen Kindes  in  die  AViege,  um  ihn  eines  Tages  zur  Ermordung  des 
Thyeste,  seines  eigenen  Vaters,  zu  verleiten.  Nur  der  Vertraute  des 
Atree  kennt  dies  (teheimnis.  Plisthene  selber  hält  sich  für  Atree's 
Sohn.  Thyeste  hatte  mittlerweile  Anhang  in  Athen  gefunden,  wo  er 
mit  seiner  ihm  von  einer  anderen  (temahlin  geschenkten  Tochter  Theo- 
damie  lebt. 

Die  Flotte  soll  also  gegen  Athen  auslaufen.  Atree  läßt  den  Plisthene 
kommen  und  schwriren,  im  Kriege  gegen  Athen  seinen  Todfeind  zu  er- 
morden. Als  der  Jüngling  aber  erfährt,  daO  Thyeste  das  Opfer  werden 
soll,  da  weigert  er  sich  auf  Grund  eines  in  ihm  wach  werdenden  un- 
erklärlichen Gefühls,  sein  Versprechen  einzulösen. 


')  Ktude,  p.  3Gyff. 

5* 


—     68     — 

Inzwischen  hat  Thyeste  von  dem  geplanten  Zuge  gegen  die  Athener 
Kunde  erhalten.  Damit  seine  Bundesgenossen  vom  Kriege  verschont 
bleiben,  segelt  er  mit  seiner  Flotte  nach  Mykenä,  wird  an  die  Küste 
von  Euböa  verschlagen  und  gerät  mit  seiner  Tochter  Theodamie  in  die 
Gewalt  des  Atree,  der  nun  die  Ausführung  seines  Racheplanes  betreibt 
und  den  Plisth&ne  mit  der  Ermordung  des  Thyeste  betraut.  Diesem 
Ansinnen  setzt  der  Jüngling  jedoch  eine  entschiedene  AVeigerung  ent- 
gegen. Ja,  er  dringt  sogar  in  Atree,  sich  mit  seinem  Bruder  auf- 
zusöhnen.  Der  hinterlistige  König  scheint  in  seinem  Entschlüsse 
schw^ankend  zu  werden,  um  gleich  darauf  die  Ermordung  des  Thyeste 
von  neuem  zu  verlangen,  indem  er  zugleich  die  Drohung  hinzufügt,  d&L 
seine  Geliebte,  Theodamie,  dem  Tode  verfallen  sei,  falls  er  nicht  ge- 
horche.  Da  Plisthene  auf  seiner  Weigerung  beharrt,  heuchelt  Atree 
Versöhnung  mit  seinem  Bruder  und  enthüllt  ihm  das  Geheimnis,  daii 
Plisthene  sein  (des  Thyeste)  Sohn  sei.  Der  Jüngling  ist  entsetzt  bei 
dem  Gedanken,  daß  ihm  Blutschande  und  Yatemiord  bevorstanden. 
Nachdem  Atree  seinem  Bruder  angeboten  hat,  sich  mit  ihm  in  die  He- 
gierung  des  Landes  zu  teilen,  lädt  er  ihn  zum  VersÖhnungstmnke  ein. 
Da  jedoch  Plisth&ne  dem  Atree  nicht  traut,  sucht  er  die  Seinigen  zur 
Flucht  zu  bewegen.  Dieses  Vorhaben  w^ird  aber  von  Atree  entdeckt, 
der  den  Jüngling  abführen  und  töten  läßt.  Bei  dem  Versöhnungsfeste 
tnerkt  Thyeste,  noch  bevor  er  den  mit  dem  Blute  seines  Sohnes  gefüllten 
Becher  an  den  Mund  setzt,  den  gräßlichen  Betrug  und  tötet  sieb. 

I.  Akt. 

Der  Schauplatz  ist  während   des  ganzen  Stückes  der  Palast  des  Atree 
in  Chalcys  auf  Euböa. 

Bei  Crebillon  beginnt  die  Tragödie  mit  Tagesanbruch,  während  bei 
Seneca  erst  nach  dem  Verschwinden  des  Tantalus  und  der  Furie  die 
Sonne  aufgeht.^)  In  der  ersten  Szene  gibt  Atr6e  seiner  Freude  darüb*^r 
Ausdruck,  daß  endlich  ein  für  seine  Rache  günstiger  Wind  sich  erhoben 
habe,  der  seiner  Flotte  die  Abfahrt  von  Euböa  gestatte.  Er  gibt  den. 
Offizier  Alcymedop  Befehl,  den  Hafen  der  Insel  zu  verlassen.  Hierauf 
schickt  er  (2.  Sz.)  seine  AVache  nach  Plisth&he  aus  und  behält  seinen 
Vertrauten  Euristh^ne  zurück. 

3.  Szene.  Atree  ist  glücklich  darüber,  daß  jetzt  endlich  der  so  heilt 
ersehnte  Tag  gekommen  sei,  an  dem  der  Rachezug  gegen  Athen,  das 
Asyl  seines  verhaßten  Bruders,  ins  Werk  gesetzt  werden  könne.  £r 
teilt  seinem  Vertrauten  mit,  sein  Sohn  sei  bereit,  jene  Stadt  mit  Feuer 
und  Schwert  zu  verwüsten.  Euristhone  bittet  den  Pelopiden,  doch  nicht 
den  letzten  Zufluchtsort  des  Thyeste  zu  zerstören,  und  meint,  Atree  solle 


')  V.  120/21 :  cn  ipse  Titan  dubitat  an  lübeat  sequi 
cogatque  habenis  ire  periturum  diem. 


—     69     — 

überhaupt  seioen  Brader  leben  lasseD,  damit  dieser  auch  sein  Unglück 
und  die  über  ihn  verhängte  Rache  fühle. 

Der  gleiche  Gedanke  findet  sich  bei  Seneca  im  II.  Akte ; 
nur  spricht  ihn  dort  nicht  der  satelles,  sondern  Atreus  selber 
aus ;  denn  als  ihn  sein  Vertrauter  fragt,  ob  er  seinen  Bruder 
mit  dem  Schwerte  umbringen  wolle,  gibt  ihm  Atreus  zur 
Antwort : 
V.  246     De  fine  poenae  loqueris;  ego  poenam  volo. 

Der  wütende  Pelöpide  entgegnet,  daß  er  seinen  Brnder,  den  Ehe- 
brecher, töten,  ihm  nur  die  HrJlle  als  Asyl  lassen,  ja,  wenn  möglich,  ihn 
dort  noch  verfolgen  wolle. 

Die  Worte  des  Atree: 

«Mon  coDur  qui  sans  pitie  lui  declare  la  guerre, 
Ne  cherche  ä  le  punir  qu'au  defaut  du  tonnerre» 
erinnern    stark  an   Seneca,    der   oft  Ton   Donner  und  Blitz 
spricht.     Insbesondere  kommen  uns  dabei  die  folgenden  Worte 
ins  Gedächtnis,  die  Thyestes  im  V.  Akte  ausruft: 
V.  1089/90  me  pete,  trisulco  fiammeam  telo  facem 
per  pectus  hoc  transmitte. 

Euristh^ne  erwidert,  er  habe  geglaubt,  daß  die  lange  Keibe  von 
zwanzig  Jahren  des  Königs  Zorn  gemildert  hätte,  so  daß  er  des  Thyeste 
jetzt  nicht  mehr  gedenke.  Atree  jedoch  teilt  ihm  mit,  er  habe  im 
Gegenteile  während  dieser  Zeit  auf  eine  schreckliche  Rache  gesonnen, 
und  weiht  ihn  hierauf  in  das  uns  bereits  bekannte  Geheimnis  ein,  daß 
Plisthfene  der  Sohn  des  Thyeste  sei.  Die  Vaterschaft  seines  Bruders 
stehe  vollständig  fest.  Denn  nach  der  Vergiftucg  der  ^Erope  habe  er 
(Atree)  von  ihren  Vertrauten  einen  Brief  aufgefangen,  in  dem  .Erope 
vor  ihrem  Tode  dem  Thyeste  von  der  Geburt  des  Plisth^ne  habe  Mit- 
teilung machen  und  ihren  Sohn  der  Obhut  seines  Vaters  habe  anver- 
trauen wollen.  Der  Pelöpide  klärt  femer  den  Kuristh^ne  darüber  auf, 
daß  sein  ihm  von  seiner  zweiten  Gemahlin  geschenktes  Kind  bald  nach 
jener  Vertauschung  gestorben  sei.  Den  Sohn  des  Thyeste  und  der 
.Erope  aber  habe  er  erzogen,  um  ihn  als  Werkzeug  gegen  seinen  eigenen 
V^ater  zu  gebrauchen  und  ihn  dann  selbst  zu  ermorden.  Ja!  Thyeste 
soll  von  der  Hand  seines  Sohnes  fallen,  und  vor  seinem  Tode  soll  ihm 
diese  Rache  noch  rechtzeitig  zum  Bewußtsein  gebracht  werden  j  denn, 
sagt  Atree: 

«Contre  Thyeste  enfin  tout  parait  legitime. > 

Ahnlich  drückt  sich  auch  Atreus  bei  Seneca  im  II.  Akte 
dem  satelles  gegenüber  aus  mit  den  Worten; 
V.  220  Fas  est  in  illo  quidquid  in  fratre  est  nefas. 


—     70     — 

Da  bittet  Euristhene  den  grausamen  König: 

fEh  bien!  sur  votre  fröre  6puisez  votre  haine; 
Mais  du  moins  eparguez  les  vertus  de  Plisthene.> 

Atree  aber  antwortet: 

«Plisthöne  ne  d'un  sang  au  crime  accoutume, 
Ne  dementira  point  le  sang  qui  Ta  forme ; 
Et  comme  il  a  dejili  tous  les  traits  de  sa  mere, 
II  aura  quelque  jour  les  vices  de  son  pere.> 

Ähnlich  heißt  es  bei  Seueca: 
V.  313/14  Atr.:  .  .  .  ne  mali  fiant  times? 

nascuntur.*) 

Atree  meint  hierauf,  er  wolle  das  Leben  des  Plistheue 
nicht  verschonen,  da  er  ja  sonst  auf  Kosten  seiner  eigenen 
Söhne  Agamemnon  und  Menelaus  dem  Nachkommen  des 
Thyeste  seine  Krone  vererben  müsse,  und  fügt  hinzu: 

«Que  Ton  approuve,  ou  non,  un  dessein  si  fatal. 
II  m'est  doux  de  verser  tout  le  sang  d'un  rival.» 

Diese  Worte  erinnern  an  den  Ausspruch  des  Atreus  bei 
Seneca  (II.  Akt).    Auf  die  Frage  seines  satelles: 
V.  204  ff. :  Fama  te  populi  nihil 

adversa  terret? 
erwidert  er: 

Maximum  hoc  regni  bonum  est, 
quod  facta  domini  cogitur  populus  sui 
tam  ferre  quam  laudare. 
Hier  wie  bei  Crebillon  setzt  sich  Atreus  über  den  Willen 
und   das  Urteil  seines  Volkes  stolz  hinweg  und  tut,   was  ihm 
beliebt. 

Die  ganze  3.  Szene  ist  überhaupt  eine  ziemlich  genaue 
Nachahmung  des  II.  Aktes  der  lateinischen  Tragödie.  Denn 
bei  Seneca  wie  bei  Crebillon  teilt  Atreus  seinem  Vertrauten 
den  Racheplan  mit  und  läßt  sich  durch  keinerlei  Einwände 
von  seinem  schrecklichen  Vorhaben  abbringen.  Der  Unter- 
schied  zwischen   diesen  beiden   Szenen  liegt  darin,   daß  bei 

*)  Lucas  ist  dies  entgangen,  s.  p.  66. 


—     71     — 

Cr^billon  Atree  noch  Dicht  den  endgültigen  Beschluß  gefaßt 
bat;  seinem  Bruder  das  Blut  seines  Sohnes  zu  trinken  zu 
geben,  während  doch  bei  Seneca  Atreus  sich  schon  über  seinen 
teuflischen  Racheplan  einig  ist,  den  er  zum  Schlüsse  zur 
Ausführung  bringen  wird. 

Als  zu  Beginn  der  4.  Szene  Atree  den  eintretenden 
Plisthene  bemerkt,  sagt  er  zu  seinem  Vertrauten: 

«Songe  que  ma  vengeance 
Renferme  des  secrets  consacres  au  silence.» 

Auch  bei  Seneca  fordert  Atreus  am  Ende  des  II.  Aktes 
seinen  satelles  zum  Stillschweigen  auf  mit  den  Worten: 
V.  333 :  nostra  tu  coepta  occules. 

Hierauf  läßt  Atree  den  Sohn  des  Thyeste  eidlich  versprechen,  seinen 
Todfeind  zu  ermorden ;  doch  als  ihm  der  König  schließlich  den  Thyeste 
als  diesen  verhaßten  Gegfner  bezeichnet,  der  fallen  soll,  erschrickt 
Plisthene.  Im  offenen  Felde  will  er  den  Thyeste  bekämpfen,  aber  ihn 
nicht  meuchlings  ermorden.  Atree  fordert  jedoch  den  Jüngling  auf,  sein 
Mitleid  zu  unterdrücken,  mit  der  Flotte  abzusegeln  und  die  Pflicht  zu 
tun,  die  ihm  sein  Eid  vorschreibe.  In  der  5.  Szene  sträubt  sich  Plistht»ne 
energisch  gegen  die  Ausführung  der  ihm  zugemuteten  Bluttat.  Um 
dieser  Schmach  zu  entgehen  und  sich  zugleich  von  seiner  unglücklichen 
Liebe  zu  jener  Unbekannten,  die  er  mit  ihrem  Vater  aus  den  Wogen 
errettet  hat,  für  immer  zu  heilen,  will  er  auf  dem  Schlachtfelde  eines 
rühmlichen  Todes  sterben.  In  der  6.  Szene  bittet  Theodamie,  ohne 
ihren  Namen  zu  verraten,  den  Plisthene  um  ein  Schiff,  und  nachdem 
dieser  sich  entfenit  hat,  um  bei  seinem  Vater  ein  Boot  für  die  Fremden 
zu  erflehen,  weiht  sie  ihre  Vertraute  Leonide  in  das  Geheimnis  ihrer 
tiefen  Liebe  zu  Plisthene  ein  (7.  Sz.). 

IL  Akt. 

Thyeste  verlangt,  den  Plisthene  zu  sprechen.  Hierauf  (2.  Sz.)  bittet 
er  Theodamie,  den  Atree  um  ein  Boot  anzugehen;  denn  er  wolle  un- 
bedingt so  schnell  wie  möglich  nach  Athen  zurückkehren,  um  diese  Stadt 
nicht  ihrem  Unglück  zu  überlassen.  Theodamie  aber  sieht  große  Gefahr 
darin,  sich  direkt  an  Atree  zu  wenden;  sie  rät  daher  ihrem  Vater,  sich 
vor  der  Abfahrt  des  Tyrannen  versteckt  zu  halten.  Doch  Thyeste  ent- 
gegnet ihr: 

«Voycz  donc  le  Tyran;  quel  que  soit  son  courroux, 
Cest  assez  que  mon  coeur  n'en  craigne  rien  pour  vous, 
Ma  fille.'' 


—     72     —     . 

Diese  Worte   haben  große  Ähnlichkeit  mit  denen,  die 
Thyestes  bei  Seneca  (III.  Akt,  1.  Sz.)  zu  seinen  Söhnen  spricht, 
als  sie  ihm  seine  Furcht  vor  Atreus  benehmen  wollen: 
V.  485/86    Pro  me  nihil  iam  metuo :  vos  facitis  mihi 
Atrea  timendum. 

Nur  hat  Crebillon  die  Rollen  hier  vertauscht;  denn 
während  im  lateinischen  Original  Thyestes  für  seine  Söhne 
fürchtet,  die  ihm  jedoch  Mut  einsprechen,  sieht  hier  um- 
gekehrt die  Tochter  eine  Gefahr  in  der  Annäherung  an  Atree 
und  rät  deshalb  ihrem  Vater,  sich  vor  ihm  zu  verbergen. 
Jedoch  treten  hier  wie  im  lateioischen  Stücke  die  väterliche 
Liebe  und  Fürsorge  des  Thyestes  gleich  stark  hervor. 

Thyeste  läßt  sich  also  von  seinem  Vorhaben  nicht  abbringen,  zumal 
er  in  der  vorausgehenden  Nacht  ein  Traumbild  geschaut  hat,  das  ihn 
aus  der  Nahe  des  Atree  treibt.    £r  erzählt: 

«Pr^s  de  ces  noirs  detours,  que  la  rive  infernale 
Forme  a  replis  divers  dans  cette  Isle  fatale, 
J*ai  cru  longtemps  errer  parmi  des  cris  affreux 
Que  des  Planes  plaintifs  poussaient  jusques  aux  Oieux.^» 
iErope   kam  ihm  entgegen  und  schleppte  ihn  mit  sich  zu  ihrem  Grabe. 
Dort   sah  er,  wie  Atree,  von  Furien  umgeben,  mit  einem  rauchenden 
Schwerte   einen  Unglücklichen  hinmordete.     Dann   habe   der  Grausame 
ihm  (dem  Thyeste)  mit  der  einen  Hand  seine  Seite  durchstoßen  und  mit 
der  anderen  ihn  mit  seinem  Blute  getränkt.     Dieser  schreckliche  Traum 
habe  mit  einem  Donnerschlag  geendet. 

In  geschickter  Weise  hat  Crebillon  die  Erzählung  des 
Boten  im  IV.  Akte  des  lateinischen  Originals  in  diesem  Traume 
zu  verwerten  gewußt.  Bei  Seneca  sehen  wir  den  Atreus  in 
einem  dunkeln,  hinter  dem  Palaste  liegenden,  heiligen  Haine 
seine  Blutopfer  hinschlachten,  und  von  dem  in  jenem  Haine 
befindlichen  Sumpfe  heißt  es; 
V.  666  fiF. :  talis  est  dirae  Stygis 

deformis  unda  .  .  . 

hinc  nocte  caeca  gemere  ferales  deos 

fama  est,  .  .  . 

ululantque  manes. 
Wie   man   sieht,   haben   die   oben   zitierten  französischen 
Verse  Ähnlichkeit  mit  den  lateinischen.     Übrigens  ist  es  ein 
sehr  glücklicher  Kunstgriff  Crebillon's,  daß  er  jenen  den  Ufern 


—     73     — 

des  Styx  so  sehr  ähnelnden  Hain  ganz  zur  Unterwelt  gemacht 
hat.     Statt  nun  gleich  eine  zahlreiche  Schar  von  Gespenstern 
erscheinen  zu  lassen  wie  Seneca: 
V.  671/72  errat  antiquis  vetus 

emissa  bustis  turba, 
begnügt    sich    der   französische    Dramatiker   damit,    nur   die 
-^rope   aus  ihrem  Grabe  auferstehen  zu  lassen.     Auch   der 
Schluß: 

«Et  le  songe  a  fini  par  un  coup  de  tonnerre» 
klingt  sehr  stark  an  Seneca  an,  in  dessen  Stück  Donner  und 
Blitz  keine  geringe  Rolle  spielen. 

Nachdem  Thyeste  seinen  Traum  erzählt  hat,  meint  er,  er  fürchte 
viel  mehr  von  Atree  als  von  diesem  nächtlichen  Phantaaiebilde ;  denn, 
sagt  er  in  bezug  auf  seinen  Bruder: 

«Je  ne  connais  que  trop  la  farenr  qui  Tentraiuo 

Ahnlich  kleidet  auch  Thye'stes  bei  Seneca  seine  Furcht 
vor  Atreus  in  die  Worte: 
V.  484        Tantum  potest  quantum  odit. 

Als  hierauf  Theodamie  ihn  an  die  Hilfe  erinnert,  die  sie  doch  von 
Plisth^ue  erhalten  könnten,  erwidert  ihr  Thyeste,  er  fühle  wohl  große 
Zuneigung,  ja  sogar  Liebe  zu  diesem  Jünglinge,  jedoch  dürfe  und  wolle 
er  nicht  die  Hilfe  des  Sohnes  seines  Feindes  in  Ansprach  nehmen.  Als 
er  Atree  herankommen  sieht,  entfernt  er  sich,  nachdem  er  seiner  Tochter 
nochmals  nahegelegt  hat,  Atree  um  ein  ßoot  zu  bitten.  Nachdem  Atree 
den  Alcymedon  (3.  Sz.)  nach  Plisth^ne  ausgesandt  hat,  trägt  Theodamie 
ihr  Anliegen  vor  (4.  Sz).  Der  Pelopide  zeigt  sich  sehr  willfährig, 
wundert  sich  aber,  daß  sich  ihr  Vater  von  ihm  fernhalte,  und  gibt  seinen 
Wachen  Befehl,  den  unbekannten  herbeizuführen. 

5.  Szene.     Atree    fragt    den    eingetretenen   Thyeste    nach   seinem 
Namen,  seiner  Heimat  usw.     Thyeste  erwidert,   er  heiße  Philoctöte,  sei 
Thrakier  und  wolle  nach  Asien  fahren,   um  dort  sein  unglückliches  Da- 
sein zu  beenden.     Plötzlich  fällt   es  dem  Atree  wie  Schuppen  von  den 
Augen:   er  erkennt  seinen   verhaßten  Bruder.     Dieser  ist  viel  zu  stolz, 
als   daß   er   leugnen  sollte.     Mit  mutigem  Trotz,  ja   mit  Hohn   tritt  er 
dem  Atree  gegenüber  und  scheut  sich  nicht,  ihm  zu  gestehen: 
«Quand  merae  tes  soupQons,  et  ta  haine  funeste, 
N'eussent  point  decouvert  Pinfortune  Thyeste, 
Peut-etre  quo  la  mienne,  esclave  malgre  moi, 
Aux  depens  de  tes  jours  m'eüt  decouvert  a  toi! 


-^     74     — 

Si  j'ai  pu  quelque  temps  te  deguiser  mon  nom, 
Le  soin  de  me  venger  en  fat  seul  la  raison.» 

Im  lateinischen  Original  sagt  Atreus  von  seinem  Bruder: 
II,  201  flf.  proinde  antequam  se  firmat  aut  vires  parat, 
petatur  nitro,  ne  quiescentem  petat. 
aut  perdet  aut  peribit. 
Crebillon  hat  also  den  Verdacht,  den  bei  Seneca  Atreus  aus- 
spricht,  zur  Wirklichkeit  werden   lassen;   denn  sein  Thyeste 
wollte  ja  tatsächlich  gegen  Atree  vorgehen. 

Der  grausame  Pelopide  gibt  seinen  AVachen  den  Auftrag,  Thyestf 
zu  töten;  als  ihm  jedoch  einfällt,  daß  ein  anderer  dessen  Blut  vergielieL 
soll,  zieht  er  seinen  Befehl  zurück  und  läßt  Plisth^ne  kommen,  üauni 
hat  dieser  edelmütifjc  Jüngling  erfahren  (6.  Sz.),  daß  der  UnbekanntP 
Thyeste  sei  und  getötet  werden  solle,  da  sucht  er  sofort  den  Groll  de« 
Atree  zu  dämpfen.  Plisth^ne  will  lieber  hundertmal  sterben  ab  dem 
Kachewerk  seines  Vaters  die  Hand  leihen.  Scheinbar  läßt  sich  Atre»* 
von  den  Bitten  des  Plisthene  erweichen  und  schwört  bei  den  Göttern, 
von  diesem  Tage  an  alle  seine  Feindseligkeiten  zu  vergessen.  Er  spricht 
dabei  die  trügerischen  Worte: 

«Je  veux  bien  oublier  une  sanglante  injure: 
Thyeste,  sur  ma  foi  que  ton  copur  se  rassure: 
De  mon  inimitie  ne  crains  point  les  retours, 
Ce  jour  meme  en  verra  finir  le  triste  cours.* 

Diese  Szene  ist  dem  2.  Teile  des  III.  Aktes  der  lateini- 
schen Tragödie  nachgebildet,  wo  auch  Atreus  dem  Thyestes 
gegenüber  Versöhnung  heuchelt,  und  zwar  erkennen  wir  in 
den  oben  zitierten  Worten  die  folgenden  Verse  wieder,  die 
Atreus  bei  Seneca  spricht: 
III,  507  ff.  Praestetur  fides  — 


.  .  .  quidquid  irarum  fuit 
transierit;  ex  hoc  sanguis  ac  pietas  die 
colantur,  animis  odia  damnata  excidant. 

Mit  den  Worten: 

fj'en  jure  par  les  Dieux,  j'en  jure  par  Plisthene. 
C'est  le  sceau  d'une  paix  qui  doit  finir  ma  haine. 

Je  n'en  demande  point  de  garant  plus  sincero 
stellt  Atree  den  Plisthene,  also  eigentlich  den  Sohn  des  Tbjeste, 


—     75     — 

als  Bürgen  des  Friedens  auf,  genau  wie  bei  Seneca  Thyestes 
seine  Söhne  dem  Atreus  als  Geiseln  anbietet: 
III,  520/21  obsides  fidei  accipe 

hos  innocentes,  frater. 

Nachdem  nun  Atree  auf  diese  Weise  seine  Fallstricke  um  Thyeste, 
geworfen  hat,  befiehlt  er  (7.  Sz.)  dem  Euristhfene,  die  seinem  Sohne  am 
meisten  ergebenen  Soldaten  zu  zerstreuen  und  bald  zurückzukehren.     " 

III.  Akt. 

Atree  drückt  in  der  1.  Szene  vor  seinem  Vertrauten  seine  Freude 
darüber  aus,  dal]  er  endlich  seinen  Bruder  in  seiner  Gewalt  habe.  So- 
bald wie  möglich  soll  den  Thyeste  die  Rache  ereilen! 

In  dieser  Szene  erinnern  uns  die  Worte  des  Atree  an 
den  ersten  Teil  des  IIL  Aktes  bei  Seneca,  wo  Atreus  glücklich 
darüber  ist,  daß  sein  Bruder  in  die  Falle  gegangen  ist.  Man 
sehe  sich  folgende  analogen  Stellen  an: 

Atr.  bei  Creb.: 

Enfiu,  griices  aux  Dieux,  je  tiens  en  ma  puissance 
Le  perfide  ennemi  que  poursuit  ma  vengeance 

Vengeous-nous !  il  est  temps  que  ma  colere  eclate. 
Atr.  bei  Sen.  III,  494 ff.: 

venit  in  nostras  mauus 
tandem  Thyestes,  ,  .  . 
vix  tempero  animo,  vix  dolor  frenos  capit. 

In  der  3.  Szene  mahnt  Atree  den  Plisth&ne  aufs  neue,  seinen 
Eid  zn  halten,  widrigenfalls  er  seine  geliebte  Theodamie  töten  werde. 
Flisth^ne  aber  will  nimmer  seine  Hand  mit  einer  solchen  Mordtat  be- 
flecken, sondern  vielmehr  das  Leben  des  Thyeste  schützen  (4.  Sz.).  Bei  einer 
nun  folgenden  Begegnung  (5,  Sz.)  teilen  sich  Thyeste  und  Plisthene 
gegenseitig  mit,  daß  sie  eine  ganz  unerklärliche  Liebe  von  Anfang  an 
zueinander  gefühlt  hätten.  Der  Jüngling  gibt  hierauf  dem  unglücklichen 
Bruder  des  Atree  zu  verstehen,  dali  seine  Tochter  Theodamie  in  großer 
Gefahr  schwebe,  und  rat  ihm  zur  Flucht.  Die  Unterredung  der  beiden 
wird  von  Atree  gestört,  der  wutentbrannt  dem  Pli^th^ne  befiehlt,  sich 
schleunigst  zu  entfernen  (0.  Sz.).  Thyesle  ist  nicht  wenig  erstaunt  über 
das  Verhalten  des  Atree  seinem  Sohne  gegenüber  (7.  Sz.).  doch  der 
rachesüchtige  König  zeiht  den  Plisthene  der  Undankbarkeit,  fertigt  die 


—     76    — 

Fragen  seines  Bruders  Fehr  kurz  ab  und  jagt  ihn  geradezu  davon.  Als 
dann  Atree  allein  ist  (8.  Sz.),  faßt  er  den  Plan,  seinen  Bruder  nicht 
töten  zu  lassen,  sondern  sich  an  ihm  durch  eine  Tat  zu  rächen,  die  den 
Tod  als  eine  firanz  gelinde  Strafe  erscheinen  ließe. 

Diese  Szene  erinnert  an  den  Beginn  des  IL  Aktes  des 
lateinischen  Originals,  wo  Atreus  in  einem  längeren  Monologe 
dieselben  Gedanken  ausspricht.  Crebillon  hat  mehrere  Vene 
aus  jener  Szene  Seneca's  an  dieser  Stelle  wiedergegeben  und 
hat  sich  dabei  offenbar  auch  an  die  Übersetzung  von  Marolles 
angelehnt.     Mau  vergleiche: 

Atr.  bei  Creb, : 

Je  ne  punirais  point  vos  forfaits  diiferents 

Si  je  ne  m'en  vengeais  par  des   forfaits  plus  granda. 


...  Et  par  un  coup  funeste 
Surpassons,  s'il  se  peut,  les  crimes  de  Thyeste. 

Atr.  bei  Sen.  II,  195  flf.: 

scelera  non  ulcisceris, 
nisi  vincis.     et  quid  esse  tarn  saevum  potest, 
quod  superet  illum? 

Marolles  übersetzt : 

Tu  ne  vangeras  point  ses  crimes,  si  tu  n'en  fais  toy 
mesme  de  plus  grands  pour  les  vaincre:  mais  quel 
crime  pourroit-estre  assez  execrable  pour  surpasser 
le  sien  ?  ^) 

Atr.  bei  Creb.: 

Qu'il  vive,  ce  n'est  plus  la  mort  que  je  medite; 
La  mort  n'est  que  la  fin  des  tourments  qu'il  merite: 
Que  le  perfide,  en  proie  aux  horreurs  de  son  sort, 
Implore,  comme  un  bien,  la  plus  aflFreuse  mort; 

Atr.  bei  Sen.  II,  246 flf.: 

De  fine  poenae  loqueris;  ego  poenam  volo. 
perimat  tyrannus  lenis:  in  regno  meo 
mors  impetratur. 


^)  Les  Trag,  de  Sen.  II,  78. 


—     77     — 

Marolles  achreibt : 

Tu  parles  de  la  fiu  du  tourmeut  qu*il  merite:  mais 
non  pas  de  la  peine  que  je  veux  qu'il  souffre.  Qu'un 
Prince  doux  fasse  mourir  ses  ennemia  tout  d'un  coup. 
Pour  mov,  je  veux  que  sous  mon  Regne  la  mort 
s^impetre  pour  ceux-li\.   comme  une  grace.^) 

Atr.  bei  Creb. : 

Que  ma  triste  veugeance,  k  tous  les  deux  cruelle^ 
Etonne  jusqu^aux  Dieux  qui  n'ont  rien  fait  pour  eile. 

Atr.  bei  Sen.  II,  265/66: 

fiat  hoc,  fiat  nefas, 
quod,  di,  timetis. 

In  diesen  Versen  ist  Crebillon  unabhängig  von  Marolles. 

Atr.  bei  Creb. : 

Yengeons  tous  nos  affronts;  mais  par  un  tel  forfait 
Que  Thyeste  lui-meme  eüt  voulu  Tavoir  fait. 

Atr.  bei  Sen.  IL  193  flF.: 

aliquod  audendum  est  nefas 
atrox,  cruentum,  tale  quod  frater  mens 
suum  esse  mallet. 

Marolles  gibt  diese  lateinischen  Verse  folgendermaßeu 
wieder : 

Enfin,  il  faut  attenter  quelque  action  barbare  et 
sanglante,  et  teile  que  mon  fr^re  seroit  rauy  de  Tauoir 
faite  contre  moy  .  .  .  ^) 

IV.  Akt. 

In  der  1.  Szene  teilt  Plisth^ne  seinem  Vertrauten  mit,  er  wolle 
Theodamie  und  ihrem  Vater  in  einem  Boote  zur  geheimen  Flucht  ver- 
helfen, um  lie  ihrem  harten  Schicksal  zu  entreißen.  £r  wird  ungeduldig 
über  das  Ausbleiben  seiner  Geliebten  und  will  gerade  zurück,  um  nach 
ihnen  zu  sehen,  als  Theodamie  zu  ihm  kommt  und  ihn  inständig  bittet, 
ihren  Vater  von  dem  Vorhaben,  den  Atree  zu  töten,  abzubringen  (2.  Sz.). 


')  Les  Trag,  de  Sen.  II,  81. 
■)  Les  Trag,  de  Sin.  U,  78. 


—     78     — 

Plisthfene  teilt  ihr  seine  Vorbereitung  zu  ihrer  Flucht  mit.  Da  erscheiDt 
auch  Thyeste  und  wundert  sich,  daß  Plisthene,  den  er  schon  au  AtKe 
habe  rächen  wollen,  noch  am  Leben  sei  (3.  Sz.).  Als  ihm  hierauf  oer 
Jüngling  den  Vorsehlag  zur  Fhichfc  macht,  weigert  sich  Thyeste,  sich 
eines  solchen  Büttels  zu  bedienen.  Er  will  als  König  sterben,  wenn  er 
nicht  mehr  als  solcher  leben  kann.  Er  bietet  dem  Plisthene  seir.tn 
Schutz  an,  da  eine  un])ekannte  Macht  sein  Herz  mit  Bangigkeit  um  dn 
Jünglings  Leben  erfüllt: 

•<De  noirs  pressentiments  viennent  m'epouvanter : 


.le  combats  vainemcnt  de  si  vives  douleurs: 
Vn  pouvoir  inconnu  me  fait  verser  des  pleurs.s 

Diese  Stelle  erinnert  au  die  Anfangsszene  des  IlL  Aktes 
der  lateinischen  Tragödie,  wo  Thyestes  ebenfalls  für  seine 
Söhne  fürclitet.  Allerdings  kennt  im  französischen  Stücke 
der  Vater  seinen  Sohn  nicht,  sondern  ein  unwiderstehlich'T 
Drang,  eben  die  Stimme  der  Natur,  zieht  ihn.  zu  dem  Jüng- 
linge hin.  Crebillon  verstand  es,  in  geschickter  Weise  die 
oben  zitierten  Worte  nicht  aus  der  analogen  Szene  des  lateini- 
schen Originals  zu  entlehnen,  sondern  aus  dem  V.  Akte,  wo 
Atreus  nach  dem  Mahle  seine  starken  Befürchtungen  in  die 
Worte  kleidet: 

V.  957/58  mittit  luctus  signa  futuri 

mens,  ante  sui  praesaga  mali. 

V.  965  ff.  nolo  infelix,  sed  vagus  intra 

terror  oberrat,  subitos  fundunt 
oculi  tletus,  nee  causa  subest. 

Der  nun  lierl)eikommende  Atree  (4.  Sz.)  teilt  ihnen  mit,  er  halt? 
auf  Grund  göttlicher  Eingebungen  sich  seiner  Rachegedanken  entschlagf.c. 
befiehlt  den  Wachen,  sich  zu  entfernen,  und  (5.  Sz.)  sucht  alle  von  dtr 
Wahrheit  seiner  ehrlichen  Absichten  zu  überzeugen,  indem  er  erklärt, 
er  habe  tatsächlich  Plisthene  zur  Erniordung  des  Thyeste  zwingen  wolle»., 
aber  das  allzu  große  Unglück  seines  Bruders  habe  ihn  doch  endlich  zur 
Ver'iöhnung  geneigt.  Plisthene  hätte  einen  Vaternoord  begangen,  wena 
er  den  Befehl  aufgeführt  hätte.  Zur  Bestätigung  seiner  Aussage  fordert 
Atree  den  Thyeste  auf,  den  Brief  der  .Erope  zu  lesen.  Nun  kann  Mcb 
der  Vater  endlich  den  Grund  der  innigen  Gefühle  erklären,  die  ihn  an 
Plisthene  von  Anfang  an  fesselten.  Der  Jüngling  denkt  mit  Schrecken 
daran,  wie  leicht  er  zum  Mörder  seines  Vaters  und  zum  Blutschänder 
hätte  werden  können;  doch  will  er  es  mit  Atree  nicht  verderben,  er 
ist  ja  immerliin  sein  Neffe,   wenn  er  auch  nicht  mehr  sein  Sohn  heißen 


—     79     — 

kann.  Atree  übergribt  den  Plisthfene  als  Bürgen  des  ewigen  Friedens 
seinem  Bruder,  macht  diesem  dag  Anerbieten,  sich  mit  ihm  in  die  Re- 
gierung des  Landes  zu  teilen,  und  ladt  ihn  ein,  mit  ihm  aus  dem  Tan- 
talidenpokale  zu  trinken.  Thyeste  nimmt  mit  Freuden  alles  an,  fühlt 
sich  glücklich  im  Besitze  seines  Sohnes  und  in  der  Freundschaft  mit 
seinem  Bruder,  dessen  Wahrhaftigkeit  er  keinen  Augenblick  bezweifelt. 
Atree  will  dem  Versöhnungs feste  ein  Opfer  vorausgehen  lassen. 

Crebillon  folgt  in  dieser  Szene  dem  III.  Akte  seines 
Vorbildes,  weicht  von  ihm  aber  in  einzelnen  Punkten  ab.  Bei 
Seneca  wie  bei  Crebillon  ist  Plisthene  Bürge  des  Friedens, 
nur  daß  im  lateinischen  Stücke  nicht  Atreus.  sondern  Thyestes 
seine  Söhne  ('er  hat  deren  mehrere)  als  Geiseln  anbietet.  Bei 
beiden  Dichtern  soll  Thyestes  die  Hälfte  der  Regierung  über- 
nehmen. Jedoch  zeigt  sich  ein  Uuterschied  in  dem  Charakter 
des  Thyestes  insofern,  als  dieser  im  französischen  Stücke  sofort 
die  angebotene  Krone  freudig  annimmt,  während  er  im  la- 
teinischen Drama  sicli  nur  mit  Mühe  dazu  überreden  läßt. 
Im  Original  wie  in  der  Nachahmung  wird  Thyestes  von  Atreus 
zum  Versöhnungstrunke  aus  dem  Tantalidenpokale  eingeladen, 
und  ein  Opfer  soll  diesem  Feste  vorausgehen.  Auch  erinnern 
einige  Worte  des  Atree  an  die  betreifenden  Stelleu  bei  Seneca: 

Atr.  bei  Creb. : 

De  nion  sceptre  aujourd'hui  je  detache  le  tien 
Atr.  bei  Sen.  III,  526.27: 

fraterni  imperi 
capesse  partem. 
Atr.    bei  Creb.,   den  Pli^thene    als  Bürgen   des  Friedens 
anbietend : 

Rerois-le  de  ma  main  pour  garant  d'une  paix 
Que  mes  soupcons  jaloux  ne  troubleront  jamais. 

Thy.  bei  Sen.  III,  519 ff.: 

ponatur  omnis  ira  et  ex  auimo  tumor 
erasus  abeat.  obsides  fidei  accipe 
hos  innocentes,  frater. 

Endlich  ähneln  auch  die  Worte  des  Atree: 
Je  pretends  que  ce  jour  .  .  . 
Aclieve  de  baunir  les  souprons  de  ton  cceur 


—     80     — 

den  Versen,   die   Seneca   im   V.  Akte   den   Atreus   sprechen 
läßt: 

V.  971/72 :  hie  [sc.  dies]  est  .  .  .  qui  .  .  • 

solidam  .  .  .  pacis  alliget  certae  fidem. 

Zum  Schlüsse  des  IV.  Aktes  befiehlt  Plisthene  (6.  Sz.)  seinem  Ver- 
trauten,  das  SchifiT  am  Hafen  bereit  zu  halten  und  seine  Freunde,  f.: 
die  er  immer  noch  sehr  fürchtet,  auf  ihn  warten  zu  lassen. 

V.  Akt. 

Ungeduldig  über  das  lange  Ausbleiben  des  Thessandre  il.  Si. 
spricht  Plisthdne  sein  Mißtrauen  gegen  Atree  aus,  das  noch  durch  da 
lange  Verweilen  seines  Vertrauten  gesteigert  wird.  Endlich  (2.  Sz 
kommt  dieser  zurück.  Er  möchte  Plisthene  von  der  beabsichtigten 
Flucht  dadurch  abbringen,  daß  er  auf  die  in  einer  etwaigen  Entdeckunj: 
der  Flüchtigen  liegende  Gefahr  hinweist;  auch  teilt  er  ihm  mit,  dtü 
Atree  den  Thyeste  nicht  verlasse,  sondern  ihn  immer  wieder  von  neueu 
umarme,  und  daß  das  Fest  bereits  in  Vorbereitung  sei. 

Auch    bei   Seneca    fordert    Atreus    seinen    Bruder  im 
lU.  Akte  ein  paarmal  auf,  ihn  zu  umarmen: 
7.  608/9  .  .  .  coraplexus  mihi 

redde  expetitos  .  .  .     und  wiederum 
V.  522  .  .  .  meosque  potius  ampicxus  pete. 

Plisthene  hat  jedoch  alles  Vertrauen  zu  Atree  verloren ;  er  schickt 
seinen  Vertrauten  von  neuem  nach  seiner  Schwester  ab,  während  er 
selbst  den  Thyeste  herbeiholen  will.  £aum  hat  sich  Thessandre  ent- 
fernt (3.  Sz.),  da  tritt  dem  Plisthene  Atree  mit  seinen  Wachen  entgeger. 
(4.  Sz.),  wirft  ihm  seine  Treulosigkeit  vor  —  er  hat  nämlich  von  der 
geplanten  Flucht  Kunde  erhalten  —  und  droht  ihm  mit  dem  Tode. 
Zuerst  will  Plisthene  gegen  de'n  Pelopiden  losziehen.  —  Doch  er  erinnert 
sich  daran,  daß  er  so  lange  Zeit  hindurch  in  ilim  seinen  Vater  sah,  haJt 
ein  in  seinem  Zorne  und  drückt  sein  Bedauern  darüber  aaa,  daß  sich 
Thyeste  in  einem  so  großen  und  verhängnisvollen  Irrtume  befinde.  D<?r 
beherzte  Jüngling  will  gerne  den  Tod  erleiden  in  der  Hoffnung,  daß 
sein  Vater  dann  verschont  bleibe.  Um  das  Leben  der  Theodamie  glaubt 
er  den  Atreus  gar  nicht  bitten  zu  müssen,  da  dieser  ja  doch  keinen  Nutzen 
von  einer  so  scheußlichen  Tat  haben  würde.  Ohne  ihn  über  das  Lo: 
seines  Vaters  und  seiner  Schw^ester  aufzuklären,  läßt  der  "Wüterich  itn 
sterben.  Er  gibt  seinen  Wachen  Befehl,  den  Plisthene  an  einem  ihnti 
bereits  vorgeschriebenen  Orte  zu  ermorden.  Hierauf  drückt  Atree  in 
einem  langen  Monologe  seine  rohe  Freude  über  das  Gelingen  seines 
Racheplanes  aus  (5.  Sz.). 


—    81     — 

Dieser  Monolog  ist  zum  größten  Teile  aus  verscliiedenen 
Versen  Seneca's  zusammengesetzt;  bei  einigen  Stellen  läßt 
sich  auch  hier  wiederum  der  Einfluß  der  Übersetzung  von 
Marolles  konstatieren. 

Atr6e  bei  Creb.: 

Que  je  suis  satisfait! 
Atr,  bei  Sen.  v.'889: 

.  .  .  iam  sat  est  etiam  mihi. 
Atr.  bei  Marolles: 

je  suis  pleinement  satisfait.^) 

Atr.  bei  Cr6b.: 

Je  ne  te  Tai  rendu  que  pour  te  le  reprendre, 
Et  ne  te  le  ravis  que  pour  mieux  te  le  rendre. 

Atr.  bei  Sen.  v.  998: 

Keddam,  et  tibi  illos  nullus  eripiet  dies.-) 

Atr.  bei  Creb.: 

Oui,  je  voudrais  pouvoir,  au  gre  de  nia  fureur, 

Le   porter   tout  sanglant  jusqu'au  fond  de  ton  coeur. 

De  son  fils  tout  sanglant,  de  sou  malheureux  fils^ 
Je  veux  que  dans  son  sein,  il  entende  les  cris. 
C'est  en  toi-meme,  ingrat,  qu'il  faut  que  ma  victime, 
Ce  fruit  de  ton  amour,  aille  expier  ton  crime. 
Atr.  bei  Sen.  v.  890»>/91V 

pergam  et  implebo  patrem  Funere  suorum.*) 

Sicherlich  haben  in  den  obigen  französischen  Versen  auch 
noch  die  folgenden,  von  Dutrait  übersehenen  Worte  des  Thyestes 
l)ei  Seneca  nachgewirkt: 
V.  999  flf.  Quis  hie  tumultus  viscera  exagitat  mea? 

Quid  tremuit  intus?  sentio  impatiens  onus 
meumque  gemitu  non  meo  pectus  gemit. 


»)  Le  Trag,  de  Sen.  II,  111. 

*)  Schon  von  Dutrait,  Etude^  p.  369  gefunden. 

*)  Bereits  von  Dutrait,  Etiide,  p.  370  konstatiert. 

Münchener  Beiträge  z.  rom.  u.  engl.  Philologie.   XXXVII. 


--     82     — 

Atr.  bei  06b. : 

Qaelqa^en  soit  le  forfait,  un  dessein  8i  funeste 

S'il  n'est  digoe  d'AtrSe,  est  digne  de  ThyeBte. 
Atr.  bei  Sen.  II,  271 : 

dignuDi  est  Thyeste  facinns  et  dignum  Atreo.^) 
Atr.  bei  MaroUes: 

Certainement,  il  est  digne  de  Thyeste,  et  il  est  digne 

aussi  d'Atr6e.*) 

Atr.  bei  Cr6b.: 

II  faut  UD  terme  au  crime,  et  non  k  la  yengeance. 

Atr.  bei  Sen.  v.  1052/53: 

Sceleri  modus  debetur  ubi  facias  scelus, 

non  ubi  reponas.^) 
Atr.  bei  MaroUes: 

II  doit  y  auoir  des  boroes  au  crime,  quand  on  le  fait» 

il  n'y  en  doit  point  auoir  pour  se  vanger.') 

Atr.  bei  Creb.: 

Tout  est  pret,  et  dejä  dans  mon  c(Bur  furieux 

Je  goüte  le  plaisir  le  plus  parfait  des  Dieux. 
Atr.  bei  Sen.  v.  911/12: 

.  .  .  o  me  caelitum  excelsissimum, 

regum  atque  regem! 

Atr.  bei  Creb.: 

II  faut,  pour  bien  jouir  de  son  sort  deplorable, 
Le  voir  dans  le  moment  qu'il  devient  miserable. 

Atr.  bei  Sen.  v.  907: 

miserum  videre  noio,  sed  dum  fit  miser. 

Atr.  bei  MaroUes: 

Je  ne  me  soucie  pas  de  le  yoir  miserable :  mais,  de  I& 
considerer  au  moment  qu'il  le  deuiendra.^) 


^)  Schon  von  Datrait,  itude,  p.  370  nachgewiesen. 
«)  Les  Trag,  de  SSn.  II,  82. 
•'»)  Les  Trag,  de  Sen.  U,  11819. 
*)  Les  Trag,  de  Sen.  II,  112. 


—     83     — 

Während  dieses  Monologes  hat  Atrße  bei  CrfebilloD  einen 
kurzen  Augenblick  des  Schauderns  vor  seiner  Grausamkeit 
genau  so  wie  der  Seneoa'sche  Atreus  im  III.  Akte  beim  Aus- 
sinnen seiner  furchtbaren  Bache.  Atree  spricht  dabei  die 
Worte  aus: 

Je  frissonne,  et  je  sens  mon  äme  se  troubler. 
Bei  Sen.  ruft  Atreus  aus: 
V.  260/61      Fateor.  tumultus  pectora  attonitus  quatit 
penitusque  volvit. 

Crebillon  hat  sich  offenbar  zur  Wiedergabe  dieses  la- 
teinischen Textes  an  die  Übersetzung  von  Marolles  angelehnt^ 
der  den  Atree  also  sprechen  läßt: 

Je  Tauoue,  et  je  sens  uo  trouble  en  mon  coeur .  • .  ^) 

6.  Szene.  Als  Atree  seinen  Bruder  kommen  sieht,  verstellt  er  sich, 
sucht  die  Zweifel  des  Thyeste  zu  zerstreuen  und  weist  ihn  auf  den 
baldigen  VersöhnungstruDk  hin.  Thyeste  fleht  seinen  Bruder  an,  seine 
Kinder  an  dem  Feste  teilnehmen  zu  lassen.  Mit  schrecklicher  Ironie 
▼erspricht  ihm  darauf  Atree,  daß  er  ihn  mit  seinem  Sohne  für  immer 
unzertrennlich  vereinigen  werde. 

Cröbillon  hat  hier  den  ersten  Teil  des  V.  Aktes  der 
lateinischen  Tragödie  ziemlich  getreu  nachgeahmt.  Kur  wird 
Thyeste  schon  argwöhnisch,  bevor  er  den  Pokal  gesehen  liat, 
während  Thyestes  bei  Seneca  bereits  vom  Fleische  seiner 
Söhne  gegessen  hat  und  am  Wein  trinken  ist.  Es  fehlt  nicht 
an  beinahe  wörtlichen  Übereinstimmungen  mit  dem  Texte 
öeneca's : 

Thy.  bei  Creb. : 

Ne  vous  offensez  point  d'une  vaine  terreur, 

Qui  semble,  malgre  moi,  s'emparer  de  mon  coeur; 

Je  le  sens  agite  d'une  douleur  mortelle: 

Ma  constance  succombe,  en  vain  je  la  rappelle. 

Thy.  bei  Sen.  v.  965  flF.: 

nolo  infelix,  sed  yagus  intra 
terror  oberrat  .  .  . 

.  .  .  nee  causa  subest. 


*)  Les  Trag,  de  Sen.  II,  81. 

6» 


—    84    — 

Thy.  bei  Creb.: 

Pour  rassurer  encor  mes  timides  esprits, 
Rendez-moi  mes  enfants,  faites  venir  mon  fils; 
Qu'il  puisse  etre  temoin  d'uDe  nnion  si  ch^re^ 
Et  partager,  SeigDeur,  les  bont^s  de  mon  frere. 

Thy.  bei  Sen.  v.  974/75: 

augere  cumulus  hie  Toluptatem  potest^ 
si  cum  meis  gaudere  felici  datur. 

Atr.  bei  Cr6b.: 

Vous  serez  satisfait,  Thyeste,  et  votre  fils 
Pour  jamais,  en  ces  lieux,  va  vous  etre  remis; 
Oui,  mon  fröre,  il  n'est  plus  que  la  Parque  inhumaine 
Qui  puisse  separer  Thyeste  de  Plisthene. 

Atr.  bei  Sen.  v.  998: 

Reddam,  et  tibi  illos  duUus  eripiet  dies. 

7.  Szene.  Euristh^ne  bringt  den  Pokal  herbei.  Airee  ergreift  den 
Becher  zuerst.  Aber  um  sein  volles  Vertrauen  zu  Atree  zu  bekunden, 
besteht  Thyeste  darauf,  den  ersten  Schluck  zu  tun.  Kaum  hat  er  die 
coupe  sacree  in  der  Hand,  als  er  wiederum  nach  seinem  Sohne  fra^r^ 
Atree  vertröstet  ihn  in  derselben  tragisch- ironischen  Weise  wie  in  der 
Torigen  Szene.  Plötzlich  bemerkt  Thyeste,  daß  der  Pokal  statt  mit 
Wein  mit  Blut  gefüllt  ist;  die  Sonne  verfinstert  sich,  der  Becher 
droht  seiner  Hand  zu  entsinken.  Grausen  erfaßt  seine  bange  Seele  und 
entsetzt  fragt  er,  was  aus  seinem  Sohne  geworden  sei. 

In  dieser  Szene  weicht  Cr^billon  insofern  von  dem  Ori- 
ginale ab,  als  er  dem  Thyeste  nicht  das  Fleisch  des  Plistheoe 
vorsetzt,  ja  nicht  einmal  das  Blut  seines  Sohnes  an  seine 
Lippen  kommen  läßt.  Man  sehe  sich  folgende  Überein- 
stimmungen an: 
Atr.  bei  Creb. : 

Vous  reverrez  bientot  une  tete  si  obere. 
Atr.  bei  Sen.  v.  978: 

.  .  .  ora:  quae  exoptas  dabo. 
Atr.  bei  Marolles: 

...  et  vous  verrez  bien-tost  leurs  visages.*) 


*)  Les  Trag,  de  Sen.  II,  115. 


—     85     — 

Thy.  bei  Creb. : 

Le  soleil  s'obscurcit  .  .  . 
Thy.  bei  Sen.  v.  995: 

fugit  omne  sidus  .  .  .  ^ 
Thy.  bei  Cr6b.: 

.  .  .  et  la  Coupe  sanglante 

Semble  fuir,  d'ellememe,  ä  cette  main  tremblante. 
Thy.  bei  Sen.  v.  985/86: 

.  .  .  noiunt  manus 

parere,  crescit  pondus,  et  dextram  gravat.-) 

Thy.  bei  Creb. : 

Je  me  meurs!  Ah  mon  fils!  Qu'etes-vous  devenu? 
Thy.  bei  Sen.  v.  1002: 

adeste,  nati,  genitor  infelix  vocat. 

8.  Szene.  Außer  sich  vor  Schrecken  meldet  Theodamie  den  Tod 
des  Plisthäne.  Nun  kann  Thyeste  nicht  länger  über  das  Entsetzliche 
der  Rache  im  Zweifel  sein.  Er  ruft  Blitz  und  Donner  an,  ihn  zu  rächen, 
und  bittet  Atree,  auch  ihn  zu  töten.  Dieser  jedoch  will  ihn  in  seinem 
Unglück  leben  lassen.  Da  tötet  sich  Thyeste  selbst.  Bevor  er  stirbt, 
bittet  er  seine  Tochter,  zu  fliehen,  und  flucht  seinem  Feinde,  der  über 
das  Gelingen  seines  Racheplanes  hochbeglückt  ist. 

Wir  sehen,  wie   genau  sich  hier  Crebillon   dem   Seneca 
anschließt.     Aber  der  französische  Dichter  weicht  von  seinem 
Vorbilde  darin  ab,  daß  Thyeste  sich  selber  tötet.     Man  ver- 
gleiche folgende  analogen  Stellen: 
Thy.  bei  Creb.: 

O  terre!  en  ce  moment  peux-tu  nous  soutenir? 
Thy.  bei  Sen.  v.  1006/07: 

.  .  .  sustines  tautum  nefas 
gestare,  Tellus? 

Atr.  bei  Creb.: 

Meconnais-tu  ce  saug? 

Thy.;  Je  reconnais  mon  fröre. 

*)  Vgl.  auch  Dutrait,  Etitcle,  p.  372. 

*)  Darauf  macht  schon  Dutrait,  tltudc^  p.  372,  aufmerksam. 


—    86     — 

Atr.  bei  Sen.  v.  1005/06: 

.  .  .  natos  ecquid  agnoscis  tnos? 
Thy.  Agnosco  fratrem.^) 
Atr.  bei  MaroUes: 

.  .  .  Ne  reconnaissez-vous  pas  vos  Enfants? 
Thy.  Je  reconnoia  mon  frere.^) 

Thy.  bei  Creb.: 

Grands  Dieux,  pour  quels  forfaits  lancez-vous  le  ton- 

nerre? 
Thy.  bei  Sen.  v.  1077/80: 

tu,  summe  coeli  rector,  .  .  . 


.  .  .  omni  parte  violentum  intona. 
Thy.  bei  Marolles: 

Souuerain  Eoy  du  Ciel .  .  .  lan^ant  vos  foudreSj  .  . .  -^j 

Thy.  bei  Creb.: 

Barbare,  peux-tu  bien  m'gpargner  en  des  lieux 

Dont  tu  viens  de  chasaer  et  le  jour  et  les  Dieux? 
Thy.  bei  Sen.  v.  1021: 

fugere  superi  .  .  .     und  v.  1035/36: 
.  .  .  hoc  egit  diem 

aversum  in  ortus. 

Atr.  bei  Creb. : 

Et  mon  c(ißur  qui  perdait  Tespoir  de  la  vengeance, 
Eetrouve  dans  tes  pleurs  son  unique  espßrance. 

Atr.  bei  Sen.  v.  1097/98: 

perdideram  scelus, 
nisi  sie  doleres. 

Thy.  bei  Creb.  zu  Theodamie: 

.  .  .  reraettez  votre  vengeance  aux  Dieux. 


>)  Vgl.  auch  Dutrait,  Etüde,  p.  373. 
«)  Les  Trag,  de  Sen.  II,  116/17. 
«)  Les  Trag,  de  Sen.  II,  120. 


-^     87     — 

Contente  par  vos  pleurs  d'implorer  leur  justice, 
AUez  loin  de  ce  traitre  attendre  son  supplice. 
Thy.  bei  Seo.  y.  1110/11: 

Vindices  aderunt  dei; 
bis  puDiendom  vota  te  tradunt  mea. 

Thy.  bei  Cr*b.: 

Les  Dieux  que  ce  parjure  a  fait  palir  d'effroi 


Thy.  bei  Sen.  v.  1035: 

Hoc  est  deos  quod  puduit. 

Atr.  bei  Creb.: 

Je  jouia  enfin  du  fruit  de  mon  forfait. 
Atr.  bei  Sen.  v.  1096: 

.  .  .  Nunc  meas  laudo  manus. 

Aus  unserer  Untersuchung  ergibt  sich  folgendes  Gesamt- 
resultat : 

Crebillon  Seneca 

Die  3.  Sz.  des      I.  Aktes  entspricht  dem    II.  Akte 


6. 

n 

f> 

11. 

1. 

n 

n 

III. 

8. 

n 

p 

III. 

3. 

n 

n 

IV. 

5. 

11 

»♦ 

IV. 

5. 

V 

»» 

V. 

7. 

n 

>i 

V. 

III. 

n 

(2.  Sz.) 

m. 

n 

(1.  S^.) 

II. 

n 

III. 

n 

(1.  Sz.) 

III. 

>» 

{2.  Sz.) 

V. 

11 

(1.  T.) 

V. 

1» 

i2.  T.) 

Crebillon  ließ  sich  also  insbesondere  yona  II.,  III.  uqd 
V.  Akte  beeinflussen;  es  war  femet  interessant  für  uns,  zu 
«eben,  daß  der  französische  Dichter  auch  den  IV.  Akt  der 
lateinischen  Tragödie  in  der  2.  Szene  des  II.  Aktes  seines 
Stückes  zu  verwerten  wußte  und  sich  öfters  an  die  Über- 
setzung von  Marolles  anlehnte. 

Was  die  Haupthandlung  betrifft,  so  hat  Crebillon  dem 
lateinischen  Original  nur  die  Fabel  entnommen,  daß  Atreus 
dem  Thyestes,  dem  Verführer  seines  Weibes,  gegenüber  Ver* 
•öhnung  heuchelt  und  ihm  das  Blut  seines  eigenen  Sohnes 
(bei  Seneca  sind  es  drei  Söhne)  zum  Trünke  anbietet.     Auch 


—     88     — 

stimmt  der  französische  Tragiker  mit  dem  römischen  dario 
überein,  daß  Atreus  von  ^rope  zwei  legitime  Söhne,  nämlich 
Menelaus  and  Agamemnoo,  hat.  In  allen  anderen  EiDzel- 
heiten  entfernt  sich  Crfibillon  von  seiner  Quelle. 

Hat  nun,  so  werden  wir  fragen,  Crebillon  die  abweichen- 
den Einzelheiten  selber  erfunden? 

Zunächst  ist  auf  eine  merkwürdige  Übereinstimmung 
zwischen  Cr§bilIon  und  Crowne  hinzuweisen,  bei  welch  letz- 
terem sich  bereits  das  Motiv  der  blutschänderischen  Liebe 
zwischen  den  beiden  Geschwistern  findet.  Auch  fn  der  eng- 
lischen Tragödie  sind  Philisthenes,  der  illegitime  Sohn  des 
Thyestes  und  der  ^rope,  und  Antigone,  die  Tochter  des 
Atreus  und  der  ^Erope,  in  heißer  Liebe  zueinander  entbrannt 
und  wollen  zusammen  entfliehen.  Der  Jüngling  wird  jedoch 
von  den  Wachen  des  Atreus  gefangen  genommen,  und  die 
Flucht  so  vereitelt,  die  von  einem  Hafen  aus  in  Szene  hätte 
gesetzt  werden  sollen.  Um  den  Philisthenes  seinen  Zwecken 
dienstbar  zu  machen,  verspricht  ihm  der  gleisnerische  Atreus 
die  Hand  der  Antigone.  Aber  kaum  hat  die  Hochzeits- 
feierlichkeit stattgefunden,  so  wird  Philisthenes  von  Atreus 
ermordet. 

Gemeinsam  ist  also  dem  englischen  und  französischen 
Dramatiker  das  Motiv  der  verbrecherischen  Liebe  zwischen 
Bruder  und  Schwester.  Doch  unterscheidet  sich  die  englische 
Tragödie  dadurch  von  der  französischen,  daß  die  Liebenden 
ein  und  dieselbe  Mutter  und  einen  andern  Vater  haben,  wäh- 
rend sie  bei  dem  Franzosen  einen  gemeinsamen  Vater,  dagegen 
eine  andere  Mutter  haben!  Ein  weiterer  Unterschied  liegt 
darin,  daß  bei  Crebillon  Theodamie  und  Plisth^ne  ihr  nahes 
verwandtschaftliches  Verhältnis  zuerst  nicht  kennen,  dann  aber 
darüber  aufgeklärt  werden  und  ihrer  Leidenschaft  entsagen. 
Bei  Crowne  dagegen  sind  sich  Antigone  und  Philisthenes  ihrer 
nahen  Blutsverwandtschaft  wohl  bewußt  und  lassen  sich  trotz- 
dem ohne  alles  Bedenken  trauen.  Plisth^ne  mußte  nach 
französischer  Anschauung  seine  Liebe  aufgeben,  sobald  er  in 
seiner  Angebeteten  seine  Schwester  erkannte,  während  das 
englische  Theaterpublikum  der  Restaurationszeit  über  einen 
incest   noch   nicht   in   Nervenzuckungen   geriet.     Als   weitere 


—     89     — 

ÜbereinstimmuDg  der  englischen  und  der  französischen  Dar-» 
Stellung  ist  ferner  hervorzuheben,  daß  Atreus  die  Liebe  des 
Plisth^ue  dazu  benutzen  will,  den  Jüngling  in  seine  Netze 
zu  ziehen,  und  daß  dieser  mit  seiner  Geliebten  (bei  Cr^billon 
auch  mit  seinem  Vater)  eine  Flucht  von  einem  Hafen  aus 
bewerkstelligen  will,  die  jedoch  vereitelt  wird. 

Daß  die  Liebe  zwischen  ßruder  und  Schwester  ein  im 
Ältertume  oft  und  gern  verwendetes  Motiv  war,  ist  bekannt. 
Dem  Seneca  konnte  Crebillon  diesen  Zug  nicht  entlehnen,  da 
in  dessen  Stücke  weder  Thyestes  noch  Atreus  eine  Tochter 
hat.  Dagegen  hat  bei  Hygin  (88.  F.)  Thyestes  eine  Tochter 
Pelopia.  Aber  von  dieser  ist  nie  in  Verbindung  mit  einem 
Bruder  die  Rede ;  sie  wird  nur  als  Tochter  und  Gattin,  aber 
nicht  als  Schwester  betrachtet.  Also  auch  dem  Hygin  konnte 
Crebillon  jenes  Motiv  nicht  entnehmen.  Wir  würden  demnach 
zu  der  Vermutung  gedrängt  werden,  daß  Crebillon  das  ältere 
englische  Stück  Crowne's  gekannt  und  benutzt  hätte,  wenn 
wir  nicht  wüßten,  daß  die  französische  Literatur  am  Anfange 
des  18.  Jahrhunderts  noch  nicht  unter  dem  Einflüsse  der 
englischen  Dramatik  stand. 

Dem  Thyeste  Monlßon's  scheint  Crebillon  einen  Zug  ent- 
lehnt zu  haben,  nämlich  die  Vergiftuog  der  ^-Erope  durch 
den  eifersüchtigen  Atree,  ein  Motiv,  das  bei  Seneca  nicht 
vorkommt. 

Außerdem  hat  Cr6billon  noch  eine  Quelle  verwertet  — 
die  88.  Fabel  Hygin's  — ,  in  der  uns,  gerade  wie  in  der  fran- 
zösischen Tragödie,  erzählt  wird,  daß  Atreus  den  Sohn  des 
Thyeste  zur  Ermordung  seines  Vaters  zu  zwingen  sucht; 
allerdings  hält  bei  Hygin  Atreus  den  Sohn  seines  Bruders 
für  seinen  eigenen,  während  bei  Crebillon  Atree  einen  wirk- 
lichen Vatermord  im  Auge  hat.  Crebillon  braucht  den  Hygin 
nicht  direkt  benutzt  zu  haben,  sondern  kann  jene  Erzählung 
auch  in  einer  freien  französischen  Übersetzung  gelesen  haben, 
die  Blaise  de  Vigen^re  im  Jahre  1578  von  der  88.  Fabel 
Hygin's  veranstaltet  hatte.  ^)     Es   fehlen  leider  alle  Anhalts- 


*)  In:  Les  hnaijes  ou   Tahleaux  de  Flaue- Peinturt  de  Philostrate 
Lemnien,    Mis  en  franrais  par  Blaise  de  Vigenere,  p.  368 a/b. 


—     90     — 

punkte  zu  einem  Nachweise,  ob  Crebilloo  den  lateinischeii 
Originaltext  oder  die  französische  Übersetzimg  in  Bandeo 
gehabt  hat. 

Was  die  Schilderung  der  Charaktere  anlangt,  so  sprechen 
sich  Pellegrin  ^)  und  La  Harpe  -)  lobend  über  die  Zeichnung 
des  Ätree  aus.  Saint-Marc  Girardin  ist  sogar  der  Meinang. 
daß  Crebillon  den  Charakter  des  Atreua  mit  mehr  Kunst  g^ 
zeichnet  habe  als  Seneca*):  *Son  Atree  est  erziel ^  terriitU. 
implacahle;  mau  au  moins^  ü  Vesi  comme  un  komme,  et  non 
camvie  un  anthropophage  ou  coinme  un  ogre  ,  .  .  La  harbarie  d 
r Atree  fran^ais  .  .  .  est  une  passion  profonde  et  reftediiej  plu'-'t 
qii^wi  imtinct  de  fvrocite  brutale,*  Dutrait  kommt  auf  den 
Charakter  des  Atree  mit  folgenden  Worten  zu  reden:  <!' 
caractere  du  roi  chez  Atree  est  completemeut  absorbe  par  sa  haim :  H 
semble  7ie  tenir,  dans  le  pouvoir  royaU  qu''au  phmr  d^une  vetigeari"^ 
aisee :  e'est  en  roi  qu'il  ecrase  son  frere  et  Plisihene.  >  *) 

Der  Ansicht  Girardin's  können  wir  nicht  beipflichten. 
Denn  die  Hauptzüge  im  Charakter  des  Atr§e,  nämlich  seio 
unersättlicher  Bachedurst;  seine  Yerstellungskunst  und  sein 
verletzender  Hohn  im  Augenblick  der  Bache  treten  im  fran- 
zösischen Drama  fast  ebenso  stark  hervor  wie  bei  Seneca. 
Warum  sollte  beim  Atree  Crebillon's  die  Grausamkeit  gegen 
Thyeste  eine  tiefere  und  überlegtere  Leidenschaft  sein  ab 
beim  Atreus  der  lateinischen  Tragödie  ?  Man  vergegenwärtige 
sich  den  II.  Akt  des  Seneca'schen  Stückes,  wo  Atreus  über 
die  Art  und  Weise  des  Bacheaktes  ebenfalls  ziemlich  lange 
nachdenkt,   ehe   er  zu   einem  endgültigen  Entschluß  kommt! 

In  bezug  auf  den  Charakter  des  Thyeste  meint  Dutrait 
daß  in  ihm  mehr  der  Vater  als  der  König  zum  Ausdruck 
komme  ^)j  wie  er  auch  den  Hauptnachdruck  auf  die  Liebe  des 
Thyeste  zu  Plisthöne  legt.  Für  uns  dürfte  der  gewaltige 
Unterschied,  der  zwischen  dem  Seneca'schen  und  dem  Cre- 
billon-schen  Thyestes  besteht,  von  größerem  Interesse  sein  als 

')  Parfaict,  Hist,  XIV,  429/30. 
2)  Cours  de  Litt,  XI  (P.  I),  12. 
*)  Cours  de  Litt.  II,  205. 
*)  Etnde,  p.  331. 
*)  J^tude,  i>.  331,32. 


—     91     — 

die  von  Datrait  angegebenen  Züge.  Während  uds  im  Thjestes 
Seoeca's  ein  für  sein  Verbrechen  büßender,  durch  das  Unglück 
geläuterter  Mensch  entgegentritt,  der  ein  zurückgezogenes 
Leben  der  Königskrone  vorzieht,  sehen  wir  in  dem  Thyeste 
Cr^billon's  einen  ehrgeizigen,  stolzen,  furchtlosen  Helden,  der 
seinem  Bruder  trotzig  die  Stime  bietet.  Welche  Kühnheit 
spricht  nicht  aus  den  Worten,  die  er  dem  Atree  entgegen- 
tchleudert,  als  dieser  ihn  erkannt  hat  (II,  5) : 

Eh  bien  reconnais-moi,  je  suis  ce  que  tu  veux, 
Ce  Thyeste  ennemi,  ce  fr^re  malheureux. 
Quand  meme  tes  80up<;ons,  et  ta  haine  funeste, 
N'eussent  point  decouvert  TinfortunS  Thyeste, 
Peut-etre  que  la  mienne,  esclave  ma1gr6  moi, 
Aux  depens  de  tes  jours  m'efit  decouvert  k  toi. 
Dabei   beseelt  ihn  —  und   dies   ist  der  schönste  Zug  in 
seinem  Charakter  —  ein  wahres,  aufrichtiges  Ehrgefühl ;  dieses 
veranlaßt  ihn,   alles  zu  wagen,   um  den  bedrängten  Athenern 
zu  Hilfe  zu  kommen,  jeden  Gedanken  an  Flucht  abzuweisen 
und  lieber  als  König  zu   sterben,   wenn  das  Leben  ihm  ver- 
sagt sei. 

Der  Charakter  des  Plisthene  ist  von  Crebillon  viel 
schärfer  gezeichnet  als  von  Seneca,  bei  dem  er  nur  ein  ein- 
ziges Mal  auftritt  und  seinem  heimkehrenden  Vater  Mut  einflößt 
(III.  Akt).  An  diesem  Jüngling  interessiert  uns  am  meisten 
der  Kampf  zwischen  seinem  Pflichtbewußtsein  seinem  ver- 
meintlichen Vater  Atree  gegenüber  und  seiner  Zuneigung  zu 
Thyeste,  den  er  dem  König  opfern  soll.^)  Ein  schöner  Zug 
an  Plisthöne  ist  ferner  darin  zu  erblicken,  daß  er  den  Thyeste, 
noch  bevor  er  in  ihm  seinen  Vater  vermutet,  nicht  ermorden, 
sondern  höchstens  im  Felde  wie  einen  anderen  Feind  be- 
kämpfen will.  Er  zeigt  sich  als  feuriger,  idealer  Liebhaber  -), 
und  als  er  die  Theodamie  als  seine  Schwester  und  den  Thyeste 

*)  Dutrait,  ^tudCj  p.  348ff..  bebandelt  den  Seelenkampf  des 
Plisthene  ziemlich  eingebend.  Für  uns  p^enügt  es,  nur  daraaf  hinzuweisen, 
da  uns  während  der  genauen  Analyse  des  Stückes  der  ganze  Verlauf 
jenes  inneren  Ringens  im  Herzen  des  Plisthfene  hinreichend  bekannt  ge- 
worden ist. 

*)  Cf.  auch  hierüber  Dutrait,  Etüde,  p.  401. 


—     92     — 

als  seinen  Vater  erkennt,  ist  er  der  liebende  Brnder  und 
Sohn,   der  seine  Freunde   aus   der  Gefahr  erretten  möchte.^) 

Daß  Crebillon  in  seinem  Atree  et  Thyeste  die  Greuel  der 
Seneca'schea  Fabel  bedeutend  gemildert  hat,  darüber  stimmen 
alle  größeren  Literarhistoriker  überein.  Allerdinga  sagt 
Leris :  t  Ce  cruel  sujet  traite  par  Scneque  n^a  pas  iie  adooei  pnr 
M,  de  Crebillon  y>  ^)f  und  die  Verfasser  der  Histoire  univerbdk 
des  TheiUres  de  totäcs  les  Xations  geben  der  Meinung  Ausdruck, 
daß  Crebillon's  Stück  dasjenige  Seneca's  an  schrecklicher 
Wirkung  übertreffe  *) ;  aber  schon  Lessing  %  und  nach  ihm 
Lucas  ^)  und  Nisard®)  haben  hervor^^oben,  daß  in  dem 
französischen  Stücke  die  Grausamkeit  der  Fabel  bedeutend 
abgeschwächt  sei.  Es  ist  dies  übrigens  selbstycrständhch. 
ÜJan  vergegenwärtige  sich  nur  die  eingehende  Schilderung 
d(^r  Hinschlachtung  der  drei  Söhne  im  IV.  Akte  Seneca's 
und  die  gräßliche  Mahlzeit  im  V.  Akte  des  lateinischen 
Originals.  Derartige  unmenschliche  Greueltaten  waren  in 
einem  modernen  Stücke  unmöglich.  Daher  setzt  denn  auch 
der  Thyeste  Cr6billon*s  den  unheilvollen  Pokal  nicht  einmal 
an  die  Lippen. 

Was  die  Form  des  Atree  ei  Thyeste  anlangt,  so  kann  gar 
kein  Zweifel  darüber  aufkommen,  daß  die  Einheiten  des  Ortes 
und  der  Zeit  von  Crebillon  streng  und  geradezu  mit  Meister- 
schaft gewahrt  siod.  Aber  gegen  die  Einheit  der  Handlung 
will  Pellegrin  einen  Verstoß  in  dem  neuen  Entschluß  des 
Atree  erblicken,  seinen  Bruder  mit  seinem  Sohne  zu  regalieren.') 
Wie  Dutrait  %  so  müssen  auch  wir  diesen  Vorwurf  als  falsch 
und  ungerechtfertigt  auffassen;  denn  die  Absicht,  eine  Tat 
auszuführen,  ist  noch  nicht  die  Tat  selbst.  Atree  könnte 
noch  öfters  seinen  Racheplan  ändern  und  immer  eine  furcht- 

^)  Wie  Dutrait,  ^ttide,  p.  351,  so  halten  auch  wir  den  Charakter 
der  Thöodamie  für  zu  unbedeutend,  als  daß  er  einer  Erörterung  bedürfte. 
*)  Dict.  port,,  p.  46. 
3)  VI,  360. 

*)  SämmtL  Sehr.  IV,  293. 
»)  Hist,  phil.  et  litt.  I,  304  05. 
•)  Eist.  d.  l  Litt.  fr.  IV.  165. 
'j  Parfaict,  Hist.  XIV,  434. 
»)  i:tude,  p.  233/34. 


—     93     — 

barere  Strafe  gegen  seinen  Bruder  ersinnen,  wenn  ihm  sein 
früheres  Vorhaben  mißlangen  ist,  ohne  daß  dadurch  die  Regel 
von  der  Einheit  der  Handlung  verletzt  würde.  Denn  tTunitfe 
du  drame  est  dans  sa  vengeance.)»^) 

Fellegrin  übt  ferner  scharfe  Kritik  am  Aufbau  des 
Stückes.  So  tadelt  er  insbesondere  den  Umstand,  daß  Atr6e 
seine  Rache  zu  lange  (20  Jahre)  hinausschiebe  ^)  und  sie  dann 
auf  eine  so  schwache  Basis  wie  den  dem  Plisth^ne  entrissenen 
Eid  begründen  wolle.  ^)  Außerdem  rügt  Fellegrin  die  zwei- 
malige Aussöhnung.*)  Der  erste  Vorwurf  erscheint  auch  uns 
wohl  am  Platze;  doch  dünkt  uns  die  tdoübk  reconcüiation» 
durchaus  nicht  fehlerhaft;  hebt  sie  doch  die  Verstellungskunst 
des  Atree  nur  um  so  stärker  hervor! 

Voltaire  hat  am  Airee  et  Thyestc  auszusetzen^  daß  Atr^e 
<qniy  au  p'emier  adCf  mediie  nne  action  dHestahle^  .  .  .  sann  aueune 
intrigiie^  sans  ohstadCy  et  saus  danger  Vexicute  au  cinquieme.*  *) 
Diese  Kritik  Voltaire's  ist  natürlich  auf  den  ersten  Blick 
hin  unrichtig,  wie  auch  schon  Preron  nachgewiesen  hat.*) 
Denn  Atree  faßt  ja  im  I.  Akte  noch  gar  nicht  den  endgültigen 
Plan,  den  er  im  V.  Akte  zur  Ausführung  zu  bringen  sucht. 
Ferner  scheitert  die  erste  Absicht  des  Atree,  seinen  Bruder 
durch  Plisth^ne  ermorden  zu  lassen,  an  einem  tatsächlichen 
Hindernis,  nämlich  an  der  hartnäckigen  Weigerung  des 
Plisthöne;  und  abgesehen  davoo,  daß  dieser  Jüngling  eine 
Plucht  vorhat,  die  Atr6e  verhindern  muß,  gelingt  dem  Pelo- 
piden  im  letzten  Akte  sein  Racheplan  gar  nicht,  den  Thyeste 
mit  dem  Blute  seines  Sohnes  zu  tränken.  Dagegen  müssen 
wir  Voltaire  Recht  geben,  wenn  er  behauptet,  daß  die  Liebe 
zwischen  Theodamie  und  Plisthöne  unnütz  sei  und  nur  dazu 
diene,  in  dem  Stück  eine  gewisse  Leere  auszufüllen.^) 


*)  Dutrait,  £tude,  p.  234. 

')  Dieser   Vorwurf  wird    auch    von   Voltaire  geltend  gemacht; 
vgl.  Theatre  VI,  103  (AV/.  de  1877). 
»)  Parfaict,  Eist.  XIV,  431. 
*)  Parfaict,  Eist.  XIV,  436. 
»)  rhedtre  VI,  103  {i:d.  de  1877). 
•)  Annee  litt.  1772,  II,  22/23. 
')  Theatre  VI,  104  [Ed.  de  1877). 


—    94     -^ 

An  dem  Aufbau  de«  Stückes  ist  außerdem  noch  die 
plötzliche  SinnesäcderuDg  des  Atree  vor  Tbyeste  und  Theo- 
damie  (11^  6)  zu  rügen,  die  dramatisch  ziemlich  unwah^ 
scheinlich  ist.  Crebillon  hätte  diesen  Fehler  leicht  Yermeide« 
können,  wenn  er  den  Atree  bei  der  Erkennung  sofort  hätte 
Versöhnung  heucheln  lassen. 

Nur  kurz  sei  darauf  hingewiesen,  daß  wir  bei  CrebllloB 
auch  den  Vertrauten  des  Atreus  bei  Seneca  wiederfinden  und 
durch  sechs  Monologe  nicht  wenig  an  den  lateinischen  Tht/esie^ 
erinnert  werden. 

Der  Stil  des  Alrec  et  Thyeste  wurde  zuerst  von  Voltaire  ^\ 
dann  auch  von  La  Harpe  scharf  getadelt,  welch  letzterer 
eine  ziemliche  Anzahl  Yon  Fehlern  und  Ungenauigkeiten  io 
der  Diktion  der  Tragödie  nachweist.^)  Dagegen  machen  schoo 
Pellegrin  ^),  La  Harpe  ^)  und  Dutrait  ^)  auf  die  echt  poetische, 
kraftvolle  Sprache  der  Traumschilderung  aufmerksam. 

Als  dichterisches  Erzeugnis  wird  der  Äirre  ei  Thyeste  in 
den  Annales  dramatiques  sehr  hochgepriesen:  <Le  ton  tndk  ei 
soutenu  qui  y  regne,  sa  marehe  ferme  et  rapide,  la  nouveaiäi  da 
pensees,  la  force  de  Vexpiession,  tont  concourt  d  placer  celk  iror 
gedie  au  rang  des  chefs-d^icmre  dramaiiqu^s.  Elle  prauve  qu^un 
ouvrage  de  genie  peut  quehpiefois  ne  reussir  que  mediocrement  au 
ihmtre.^^)  Auch  unserer  Meinung  nach  ist  diese  Tragödie 
Crebillon's  trotz  aller  ihr  anhaftenden  Mangel  durchaus  nicht 
zu  unterschätzen,  wenn  wir  an  die  Schwierigkeiten  denken, 
mit  denen  der  Bearbeiter  eines  solch  abscheulichen  Stoffes 
zu  kämpfen  hat.  Crebillon  ist  dem  modernen  ästhetischen 
Geschmacke  viel  mehr  gerecht  geworden  als  die  beiden  anderen 
bisher  besprochenen  Autoren  und  hat  zuerst  die  richtigen 
Grenzen  angegeben,  die  der  moderne  Tragiker  bei  jenem 
grausigen  Stoffe  einhalten  muß,  ohne  dabei  der  antiken  Fabel 
einen   wesentlichen  Eintrag  zu  tun.     Hierin  liegt  unseres  Er- 


')  TheiUre  VI,  104  {Ed.  de  1877). 
«)  Cours  de  Litt  XI  (P.  I),  41  ff. 
3)  Parfaict,  Hist  XIV,  432. 
*)  Cours  de  Litt.  XI  (P.  1),  39/40. 
»)  Etüde,  p.  259/60. 
«)  1,  399. 


—     95     — 

achtens  das  größte  literarische  Verdienst,   das  sich  Cr6billon 
durch  seinen  Atree  et  Thye.ste  erworben  hat. 

3.  Der  ^Egyste  von  Seguineau  und  PralarJ  (1721); 

Diese  Tragödie  ist  niemals  gedruckt  worden.^)  Wenn 
wir  gleichwohl  imstande  sind,  uns  einen  Begriff  von  diesem 
am  18.  November  1721  aufgeführten  Stücke  zu  machen,  so 
verdanken  wir  dies  der  im  Mercure  (1721,  Nov.)  veröffent- 
lichten, ziemlich  genauen  Inhaltsangabe.^)  Ehe  wir  hierauf 
näher  eingehen,  sei  daran  erinnert,  daß  Seguineau  1677  ge- 
boren wurde '),  eine  gute  Erziehung  erhielt,  infolge  großer 
Geldverluste  eine  Stellung  in  einer  Bank  annehmen  mußte 
und  bereits  im  September  1722  starb.*)  Mit  seinem  Freunde 
Pralard  verfaßte  er  gemeinschaftlich  den  ^JJgf/ste,  ein  Stück, 
das  fünf  Aufführungen  erlebte.^)  Auch  soll  Seguineau  außer- 
dem noch  eine  Oper  Pin'thoüs  geschrieben  haben.*) 

Pralard  war  der  Sohn  eines  reichen  Buchhändlers.  Er 
verfügte  über  ein  so  großes  Vermögen,  daß  er  seinen  Ad- 
vokatenberuf nicht  auszuüben  brauchte  und  sich  ganz  seinen 
Lieblingsbeschäftigungen  hingeben  konnte.  Er  soll  insbesondere 
ein  leidenschaftlicher  Spieler  gewesen  sein.  Im  Jahre  1781 
ereilte  ihn  ein  frühzeitiger  Tod.') 

Der  Inhalt  des  uEyyde  ist  kurz  folgender: 


')  Leider  war  es  mir  bis  jetzt  sogar  unmöglich,  zu  ermitteln,  ob 
das  Manuskript  noch  existiert. 

*)  Abgedruckt  bei  Parf.,  Hist,  XV,  454 ff.  und  von  uns  im  Anhang 
reproduziert. 

")  Ann,  dramat  VIII,  288. 

*)  Parf.,  Hist,  XV,  463 ff.  Mit  diesen  Angaben  stimmen  überein 
Mouhy,  Tahl  dramat,:  Tahl  d.  Auf.,  S.  28,  die  Antcd.  dramat  III,  465 
und  die  Ann.  dramat.  VIII,  288. 

»)  Parfaict,Ä'w^XV,  454;  Leris,  Dicf-i^orf.,  p.  122  u.  Mouhy, 
Ahrige  de  Vhist.  II,  327. 

«)  Anecd.  dramat  III,  465;  Ann.  dramat  VIII,  288. 

'')  Parf.,  Hist.  XV,  465;  ziemlich  dasselbe  berichten  auch  Mouhy, 
Tabl.  dramat :  Tahl.  des  Aut  peu  conn.,  p.  50,  ferner  die  Anecd.  dramat 
in,  410  und  die  Ann.  dramat.  VII,  459.  Die  Anecd.  dramat.  sagen,  Pra- 
lard sei  ungefähr  50  Jahre  alt  geworden. 


—     96     — 


I.  Akt. 

Tyndare,  der  König  Ton  Sparta,  bei  dem  Thieste  Schutz  gefuDd^Q 
hat,  hegt  den  Wunsch,  die  beiden  feindlichen  Pelopiden  zu  Teriöbceo. 
Zu  diesem  Zwecke  lädt  er  den  Atree  an  seinen  Hof  ein,  wo  sich  die 
Brüder  trefifen  und  Frieden  schließen  sollen.  Atree  folgt  auch  dem  Ruf- 
des  Königs,  der  im  Falle  der  Versöhnung  seine  Tochter  Clitemnestre 
dem  Atriden  Agamemnon  zur  Frau  geben  will,  kann  aber  seinen  alte: 
Groll  gegen  Thieste  im  Augenblicke  des  AViedersehens  nicht  zurück- 
halten. Auf  die  Ermahnungen  des  Tyndare  hin  verspricht  Atree  heucb- 
lerischerweise  den  Frieden,  faßt  jedoch  im  Innern  den  Plan,  seinet 
Bruder  durch  dessen  eigenen  Sohn  ermorden  zn  lassen. 

II.  Akt. 

Agamemnon  kommt  als  Sieger  über  die  Argier  mit  einer  Geisel  /a 
Atree  und  Tyndare.  Die  Geisel  wird  ftir  die  Tochter  des  Gouverneur« 
von  Argos  gehalten,  gibt  sich  aber  ihrer  Vertrauten  heimlich  als  Pelopee 
zu  erkennen  und  erzählt  ihr  ihre  Lebensgeschichte:  Thieste,  der  sie  in- 
folge einer  fatalen  Weissagung  zur  Priesterin  der  Minerva  bestimn.t 
hatte,  vergewaltigt  sie  eines  Tages  im  Tempel,  ohne  in  ihr  seine  Tochter 
zu  erkennen.  Sie  aber  sieht  am  Schwerte,  das  sie  jenem  Unbekannten 
entrissen  hat,  daß  der  Schänder  ihrer  Unschuld  ihr  Vater  ist.  Als  Frucht 
jenes  Gewaltaktes  gebiert  sie  den  *Egyste,  den  sie  aussetzt,  der  aber  vn 
Hirten  erzogen  und  ihr  wieder  zurückgebracht  wird.  Sie  bewaiJnet 
ihren  Sohn  mit  dem  Schwerte  ihres  Vaters  und  begibt  sich  an  den  Hof 
des  Tyndare,  wo  sie  einem  Orakelspruche  gemäß  das  Ende  ihres  Loses 
zu  finden  glaubt. 

III.  Akt. 

Agamemnon  liebt  Pelopee,  jedoch  ohne  bei  ihr  Erhörung  /" 
finden.  —  Atree  verspricht  dem  .Egyste  für  den  Fall,  daß  er  seinec 
Todfeind  ermorde,  die  Hand  der  Clitemnestre,  den  Thron  von  Argoj 
und  die  Enthüllung  seiner  geheimnisvollen  Abkunft,  von  der  Atree 
allein  unterrichtet  ist.  .Egyste  erklärt  sich  zur  Tat  bereit ;  als  er  jedoci 
erfährt,  daß  Thieste  das  Opfer  werden  solle,  gerät  sein  Entschluß  iß* 
Schwanken;  schließlich  verspricht  er  aber  Gehorsam. 

IV.  Akt. 

.Kgyste  holt  zum  tödlichen  Streiche  gegen  Thieste  aus.  läßt  jedoch, 
einer  inneren  Stimme  folgend,  den  Arm  wieder  sinken.  Durch  das 
Schwert  wird  die  Erkennung  herbeigeführt. 

V.  Akt. 

Atree  wird  von  .Egyste  inmitten  seiner  Wache  ermordet 


~    97    — 

Die  obige  Inbaltsangabe  genügt,  um  die  Quellen  des 
jEgyste  festzustellen,  denen  bisher  noch  nicht  nachgespürt 
worden  ist. 

Der  Stoff  dieser  Tragödie  stimmt  der  Hauptsache  nach 
überein  mit  der  88.  Fabel  Hygin's.  Aber  Seguineau  und 
Pralard  schöpften  nicht  direkt  aus  der  lateinischen  Quelle, 
sondern  bedienten  sich  der  freien  französischen  Übersetzung, 
die  Vigenöre  von  jener  Fabel  gegeben  hatte.^)  £s  geht 
dies  mit  Sicherheit  daraus  hervor,  daß  bei  Vigen6re  sowohl 
als  auch  in  dieser  Tragödie  P61op6e  sofort  nach  der  Ver- 
gewaltigung an  dem  Schwerte  erkennt,  daß  der  Verbrecher  ihr 
Vater  war,  während  sie  nach  Hygin  jene  gräßliche  Tatsache 
erst  ganz  zum  Schlüsse  erfährt. 

Die  beiden  Autoren  des  ^gyste  entlehnten  dem  Vigenöre 
außer  dem  bereits  erwähnten  Punkte  noch  folgende  Einzel- 
heiten in  leicht  veränderter  Form: 

Pelop^  ist  eine  Priesterin  der  Minerva.  Nach  Hygin 
wird  sie  in  Sikyon  ausgesetzt ;  Vigendre  schreibt  nur :  <  Thiestes 
.  .  .  sen  fvit .  .  .  a  Sicf/on,  Id  oii  aioit  sa  fille  Pelopie,»  ^)  In  der 
französischen  Tragödie  wird  sie  von  Thieste  zu  diesem  keuschen 
Leben  bestimmt. 

Ohne  Pelopee  zu  kennen,  trifft  sie  ihr  Vater  am  Fluß- 
ufer und  tut  ihr  Gewalt  an.  Nach  Vigenöre  wird  dieses  Ver- 
brechen am  Flusse,  in  unserem  Drama  im  Tempel  begangen, 
wohin  sich  die  Jungfrau  geflüchtet  hat. 

Pelopee  setzt  den  JEgyste,  den  sie  von  ihrem  Vergewaltiger 
empfangen  hat,  aus;  das  Kind  wird  jedoch  von  Hirten  ge- 
rettet und  kommt  an  den  Hof  des  Atr^e,  ohne  seine  Eltern 
zu  kennen.  Zum  Jüngling  herangewachsen,  wird  ^gyste  von 
Atr6e  beauftragt,  den  Thyeste  zu  töten.  Bei  Vigendre  hat 
Atr6e  noch  vor  der  Geburt  des  -^gyste  die  P61op6e  ge- 
heiratet, ohne  über  ihre  Herkunft  unterrichtet  zu  sein,  und 
hält  den  Jüngling  für  seinen  eigenen  Sohn;  in  der  französi- 
schen Tragödie  weiß  der  Pelopide,  daß  JBgyste  der  Sohn 
des  Thyeste  und  seiner  Tochter  P61opee  ist. 


*)  Les  Images  ...  de  FhUostrate  Lemnien,  S.  368  a/b. 
*)  Vigenfere  hat  jedenfalls  das  ,ydep08ita*^  Hygin's  übersehen. 
Münchener  Beiträge  z.  rom.  u.  engl.  Philologie.   XXXVII.  7 


—    98    — 

^gyste  nimmt  sich  ror,  den  Thieste  zu  emorden,  es 
kommt  jedoch  nicht  zur  Tat.  Tkieste  erkennt  das  Schwert 
in  den  Händen  des  Jünglings  als  das  seine  und  erinnert 
sich^  daß  es  ihm  einet  von  der  Priesterin,  die  er  Tei^e- 
w^tigte,  entrissen  worden  ist.  Dabei  lernen  sich  jEgyste 
und  Thieste  als  Sohn  und  Vater  kennen.  In  den  ersten  Vor- 
stellangen  ermordete  rieh  auch  in  der  französischen  Tragödie 
P61op*e.i) 

Jggyste  tötet  den  Atrfie.  Bei  Vigen^re  ToUzieht  der 
Jüngling  diesen  Racheakt  nur  aus  eigenem  Antriebe;  bei 
S6guineau  und  Pralard  gebietet  ihm  noch  dazu  P61opee  diese 
Tat.^)  Femer  ist  als  Unterschied  herrorzuheben,  daB  nach 
Vigen^re  Mgyste  den  Bruder  des  Thieste  am  Ufer  während 
des  Opfems  ermordet,  während  in  unserem  franzörischen 
Drama  den  Atr^e  inmitten  seiner  Wachen  die  rächende  Hand 
des  JEgyste  erreicht.') 

Vigenöre  berichtet  auch  die  Fabel  von  ^CiylemneMre  fUlf 
de  Tyndani^  ei  fenvm^  (f  Agamemnon»  ^)j  aber  davon,  daß  Tyn- 
dareus  den  Frieden  zwischen  Atreus  und  Thyestes  habe  her- 
stellen wollen,  erzählt  weder  er  noch  die  griecfaieche  Sage. 
Es  wird  diese  Geschichte  wohl  die  eigene  Erfindmig  von 
S^guineau  und  Pralard  sein. 

Im  JEgysH  lassen  sich  außerdem  noch  die  Sparen  von 
Grebillon's  Ätrve  et  Thyeste  wiederfinden.  Denn  wie  in 
jenem  Drama  Atree  allein  (d.  h.  außer  seinem  Vertrauten) 
die  Abkunft  des  Plisth^ne  kennt,  so  ist  auch  hier  nur  er 
darüber  unterrichtet,  daß  jfEgyste  der  Sohn  des  Thieste  ist 
In  beiden  Tragödien  bestimmt  Atree  den  Sohn  seines  Bruders 
zur  Ermordung  seines  Vaters  und  will  die  Liebe  des  Jünglings 
zu  einem  Mädchen  dazu  benutzen,  ihn  zur  schrecklichen  Tat 
zu   bewegen.     Bei  Cr§billon   läßt   erst  Atr6e  den   Plisthöue 


»)  Cf.  Anhang,  S.  150. 

«)  Cf.  Anhang,  S.  löO. 

■)  Die  Meinung  von  Weiße,  Vww,  zh  »einem  Atreut  w.  Thye^, 
und  Schröter  u.  Thiele,  Hamh.  Dranmt,  S.  237,  daß  Pellegrin 
zuerst  die  88.  Fabel  Hygin's  dramatisch  bearbeitet  habe,  ist  durch  obige 
Ausführungen  als  hinfällig  erwiesen, 

*)  Les  Images,  S.  366  b. 


-     99     — 

eidlich  Tersprecben,  deinea  Feind  zu  töten;  als  aber  der 
JüngliDg  erfährt,  daß  er  den  Thyeste  ermorden  soll,  hält  ihn 
sein  inneres  Gefühl  —  die  Stimme  der  Natur  —  van  der 
Ausfühning  dieser  Tat  zurück  (I,  4).  Später  will  sogar  Atrfe 
die  Th6odamie  töten,  wenn  PHsihdne  sich  seinem  Willen 
nicht  füge  (III,  3). 

In  ähnlicher  Weise  terspricbt  der  Atr6e  des  JEgyste 
dem  Jüngling  die  Hand  der  Clitemnestfe,  im  Falle  er  ihn 
an  seinem  Feinde  räche.  ^Egyste  ist  bereit,  den  Wunsch  des 
Königs  zu  erfüllen;  aber  kaum  hat  er  erfahren,  daß  Thieste 
fallen  soll,  als  er  von  entsetzlichem  Grausen  ergriffen  wird, 
das  wie  bei  Plisth^ne  in  einem  unüberwindlichen  Gefühle  — 
in  der  Stimme  der  Natur  —  seinen  Grund  hat.  Allerdings 
läßt  sich  JSgyste  zum  Unterschied  von  Plisthöne  zur  Tat  über- 
reden, die  aber  schließlich  ebensowenig  ^r  Ausführung  gelangt 
wie  bei  Crfibillon. 

Femer  ist  noch  darauf  aufmerksam  zu  machen,  daß,  wie 
Plisthöne  dem  Atrfie  die  Versöhnung  mit  Thyeste  ans  Herz 
legt  (II,  6),  so  auch  Agamemnon  (V)  den  Thieste  anfleht, 
doch  mit  seinem  Bruder  Frieden  zu  schließen.*)  Auch  er- 
innert der  Umstand,  daß  sich  die  Bewohner  ton  Argos  zu; 
gunsten  des  Thieste  erheben*),  stark  an  Crßbillon's  Atree  et 
Thyeste,  wo  Thyeste  ebenfalls  einen  großen  Anhang  gefunden 
hat.  Daß  auch  ^Egyste,  wie  Thyeste  bei  Cr§billon,  einen 
unheilvollen  Traum  hat,  sei  nebenbei  bemerkt,  da  uns  leider 
der  Inhalt  des  Traumes  nicht  berichtet  wird. 

Das  den  Thyeste  bewegende  Mißtrauen  —  tTIiieste  timoigne 
becmcoup  de  defiance  d  l'approche  cfAtreef  heißt  es  in  der  Inhalts- 
angabe^) —  erinnert  unwillkürlich  an  den  III.  Akt  des  la- 
teinischen Originals,  wo  es  dem  seinem  Bruder  sich  nähernden 
Thyestes  ebenfalls  bange  ums  Herz  wird.  Wenn  femer  Atree 
(I)  zu  der  ihm  eigenen  Verstellungskunst  Zuflucht  nimmt  und 
in  Thieste  die  Hoffnung  zu  erwecken  sucht,  daß  er  den  Frieden 
nicht  wieder  brechen  werde,   um  dann  unmittelbar  darauf  in 


»)  Of.  Anhang,  S.  150. 
«)  Cf.  Anhaogp,  S.  148. 
«)  Cf.  Anhang,  S.  148. 


—     100    — 

einem  Monologe  sich  zu  gestehen,  daß  diese  Versöhnung  nur 
eine  scheinbare,  bloß  eine  Falle  für  seinen  Bruder  sein  soUe  ^)j 
80  ist  hierin  entweder  eine  Nachahmung  des  III.  Aktes  des 
Seneca'schen  Stückes  zu  erblicken,  wo  Atreus  den  Thyestes 
durch  dieselbe  Heuchelei  betört,  oder  auch  eine  Nachahmung 
der  5.  Szene  des  IV.  Aktes  des  Airee  ei  Thyeste,  die  allerdings 
selber  wieder  auf  den  römischen  Tragiker  zurückgeht.  Wenn 
Seguineau'und  Pralard  die  beiden  erwähnten  Züge  dem  Seneca 
entnahmen,  so  gibt  uns  die  Tatsache,  daß  sie  nicht  den  Hjgio 
direkt,  sondern  Vigenöre  benutzten,  allen  Anlaß  zu  der  Ver- 
mutung, daß  sie  sicherlich  nicht  den  lateinischen  Text  Seueca's 
vor  Augen  hatten,  sondern  eine  der  französischen  Über- 
setzungen. 

Die  hier  aufgeführten  Übereinstimmungen  lassen  erkennen, 
daß  S^guineau  und  Pralard  zu  ihrem  JEgyste  den  Vigen^re 
und  den  Airee  et  Ihyesie  Cr6billon's,  bzw.  eine  Übersetzung 
des  lateinischen  Thyestes  benutzt  haben. 

So  viel  wir  dem  Berichte  des  Mercure  für  die  Charaktere 
des  Stückes  entnehmen  können,  scheint  der  Atree  des  ^gy^tte 
ganz  der  Cr6billon's  zu  sein,  während  der  Thieste  des  ^gyste 
mehr  an  den  Seneca'schen  Thyestes  erinnert,  der  seinem 
Bruder  auch  stets  mißtraut.  In  ^gyste  endlich  finden  wir 
den  Plisthene  wieder;  denn  beide  unglücklichen  Jünglinge 
lassen  sich  auf  gleiche  Weise  von  der  ihnen  innewohnenden, 
für  sie  unerklärlichen  Stimme  der  Natur  leiten. 

4.  Die  Pelopee  des  Abb6  Pellegrin  (1733). 

Mit  dem  Leben  des  Abb6  Simon-Joseph  Pellegrin 
brauchen  wir  uns  hier  nicht  zu  beschäftigen.^ 

Wir  können  unsere  Aufmerksamkeit  sofort  dem  Inhalte 
der  von  ihm  verfaßten  Pelopee  zuwenden. 

Der  Ort  der  Handlung  ist  während  des  ganzen  Stückes 
das  Lager  des  Atr§e  in  der  Nähe  von  Argos. 


»)  Cf.  Anhang,  S.  148/49. 

*)  Nähere  Aufschlüsse  finden  sich  in:  Moreri,  Dict  VIII,  168/69; 
Michaud,  Biogr,  univers.  XXXII,  393/94;  Nouv,  Biogr.  XXXIX,  489 ff. 
und  Orande  Encycl  XXVI,  272. 


—     101     — 

Thyeste  bat  seine  Tochter  Pelopee  sofort  nach  ihrer  G-eburt  seinem 
Vertrauten  Arbate  zur  Ermordung  übergeben,  um  die  Erfüllung  des 
ihm  gewordenen  Orakelspruchet  zu  yerhüten: 

«Argos  rentrera  sous  ta  loi, 
Par  un  Fils  qui  naitra  de  ta  Fille  et  de  toi.» 

Statt  das  Mädchen  zu  töten,  übergibt  es  Arbate  dem  Atree,  der 
«s  an  Stelle  eines  ihm  gestorbenen  Kindes  heimlich  annimmt  und  er- 
zieht, um  es  dereinst  mit  seinem  Vater  zu  vermählen.  In  der  Tat  ver- 
liebt sich  Thyeste  in  die  herangewachsene  Jungfrau,  entführt  sie  mit 
ihrer  Zustimmung  und  erzeugt  mit  ihr  einen  Sohn,  namens  iEgiste. 
Atree,  der  von  dieser  heimlichen  Ehe  nichts  erfahren  hat,  möchte  seinem 
Bruder  die  Hand  der  Pelopee  um  so  eher  geben,  als  Thyeste  sich  hier- 
durch mit  seinem  Bundesgenossen  Tyndare,  dem  König  von  Sparta, 
entzweien  würde,  der  auf  die  Verbindung  seiner  Tochter  Clitemnestre 
mit  Thyeste  gehofft  hatte;  Atr6e  beabsichtigt  nämlich,  diese  Prinzessin 
mit  seinem  Sohne  zu  verheiraten,  und  bietet  daher  seinem  Bruder  den 
Frieden  an,  wenn  er  sich  mit  Pelopee  vermähle;  —  aber  Thyeste  geht 
auf  den  Vorschlag  des  Atree  nicht  ein,  weil  er  eine  schlimme  Absicht 
hinter  solch  ungewohnter  Freigebigkeit  vermutet,  hält  seine  Ehe  mit 
Pelopee  geheim,  da  er  seinem  Bruder  nicht  traut,  und  gibt  sich  den 
Anschein,  als  ob  er  die  Pelopee  nur  als  Kriegsgefangene  betrachte. 

Inzwischen  ist  ^Egiste,  den  seine  Mutter  infolge  eines  unheilvollen 
Orakelspruches  durch  ihren  Vertrauten  Sostrate  für  immer  von  sich  hat 
entfernen  lassen,  an  den  Hof  des  Atree  gekommen,  ohne  von  diesem  er- 
kannt zu  werden,  ^giste,  der  von  seiner  eigenen  Abkunft  nichts  weiß, 
entreißt  die  Pelopee  dem  Thyeste,  bringt  sie  zu  Atr§e  zurück  und  ver- 
liebt sich  in  sie. 

Durch  einen  Zufall  erfährt  Atr6e,  daß  iEgiste  der  Sohn  des  Thyeste 
sei.  Sofort  beschließt  der  auf  Rache  sinnende  König,  den  Sohn  zur 
Ermordung  seines  Vaters  zu  bewegen;  er  verspricht  dem  Jüngling  die 
Hand  der  Pelopee,  wenn  er  den  Thyeste  töte.  Daß  sie  die  Mutter  des 
iEgyste  ist,  ahnt  AtrSe  nicht.  Der  Jüngling  sträubt  sich  anfangs  da- 
gegen, den  Mord  zu  begehen.  Als  er  aber  erfahrt,  daß  Pelopee  den 
Thyeste  liebt,  in  welchem  er  nun  seinen  Bivalen  erblickt,  willigt  er  ein. 
die  blutige  Tat  auszuführen. 

Inzwischen  hat  Atr6e  der  Pelopee  das  Geheimnis  ihrer  Ehe  mit 
Thyeste  entlockt.  Nun  weiß  er  auch,  daß  ^Egiste  ihr  Kind  ist.  Er  faßt 
den  teuflischen  Plan,  jetzt  erst  recht  den  ^giste  mit  Pelop6e,  also  seiner 
eigenen  Mutter,  zu  verheiraten.  Doch  zuvor  muß  erst  der  Jüngling 
seinen  Vater  töten !  Thyeste  und  iEgiste  wollen  gerade  auf  dem  Kampf- 
platze einander  gegenübertreten,  als  Sostrate  herbeieilt  und  ihnen  ihre 
nahen  verwandtschaftlichen  Beziehungen  entdeckt,  um  den  Vatermord 
noch  rechtzeitig  zu  verhüten.  Zugleich  erföhrt  der  Jüngling,  daß  Pelopee 
seine  Mutter  ist.  Jetzt  wird  Vater  und  Sohn  der  furchtbare  Bacheplan 
des  Atr^e  offenbar,  und  sie  beschließen  den  Tod  dieses  Scheusals.    Es 


—    102    — 

((•lingt  ihiieo,  den  Atree  dnreh  eia  fulsches  Geroolit  vocd  Tode  de» 
Thyeste  zu  täuschen,  und  in  dem  gleich  darauf  stattfindenden  EampCe 
zwischen  iEg^iste  und  Atr^e  bringt  jener  dem  yerhaßten  Feinde  eine 
tödliche  Wunde  bei.  Doch  bevor  der  Pelopide  stirbt,  enthüllt  er  noch 
das  schreckliche  Geheimnis,  daß  Pelop^e  die  Tochter  und  zugleich  die 
Gattin  des  Thyeste  ist. 

Pellegrin  selber  hat  flls  seine  Quellen  Tier  Autoreo^ 
nämlich  Servius,  Laetantius,  Vigen^re  and  besoiMlerB 
Hygin  angegeben.^)  Serrius  erzählt  in  seinem  Kommentar 
zu  Vergirs  Aeneide*)  den  Inhalt  des  1.  Teiles  der  87.  Fabel 
Hygin's,  die  folgendermaßen  lautet:  ThyesH  Pdopis  ei  H^ipo- 
damiae  ßio  responsum  futt^  quem  ex  filia  saa  Pelopia  proeretMaei 
eum  fratris  fore  ultorem,  qtwd  cum  atidissei  jmer  eet  natus  quem 
Pelopia  expostiit,  quem  inventum  pastores  caprae  suhdiderufU  ad 
nutriendmn,  Äegisthus  est  appellatus  ideo  quod  graece  capra  atga 
appellaiw\^) 

Bei  Lactantiu9  konnte  ich  keine  Stelle  wies  diesbezög* 
liehen  Inhalts  entdecken.^)  Daß  Vigendre  die  86.  Fabel 
Hygin's  frei  übersetzt  hat,  ist  uns  bereits  hinlänglich  bekannt 


^)  Prif.  zur  Pelopie,  S.  9 ff.:  « . . . pliwteiir«  d«  SpectaUur»  . . . 
m'ayant  deniande  dans  quelle  aouree  fa^^oie  puise  un  8ujet  quHls  n'avmiMt 
point  trouvi  dans  quelques  Dictionnaire» ;  fax  cru  ^tejedeoais  saüsfain 
un  si  juste  desir.  —  ServiuSy  Lactance,  Vigen^re,  et  sunriout  Hygmus 
racontent  que  Thyeste,  frere  d'Airie^  ayant  CMsuUe  T  Grade  sur  ta  ven- 
geance  quHl  votUoit  tirer  de  la  cruaut4  d'Atrie,  ü  lui  fut  Hpondu  qu^U 
seroit  venge  par  un  Fils  qui  naUrait  de  lui  et  de  sa  FiUe  PÜopU,  et 
que.fai  exprime  par  ces  vers . . .: 

Argos  rentrera  sous  ta  loi, 
Par  un  Fils  qui  nattra  de  ta  Fiüe  et  de  toi,» 

*)  IX,  609 :  . . .  eum  Thyestes  post  eagnitum  faeinius  requireret  «2« 
tumem^  ei  Apollo  respondit,  posse  alio  scelere  iUius  faci$%oris  vindieem 
naseij  scilicet  cum  Pelopia^  ßia  sua,  coneumberet,  quo  facto  natus  eü 
Äegisthus,  fatalis  in  Atrei  geminam  suboUm.  Dafi  Senrins  den  fly^ 
wohl  gekannt  hat,  geht  daraus  hervor,  dafi  er  ihn  in  seinem  CommeiUar 
öfters  zitiert,  so  z.  6.  L,  216  o.  487,  femer  II,  282. 

<)  Gf.  Schmidt,  Syg.  Fab.,  S.  8i. 

*•)  In  den  ,,Lactantii  PI  Narrationes  Fabularum^^  ist  onaerea  Wimsos 
nur  zweimal  die  Hede  vom  Hause  des  Tantalns,  einmal  in  der  6.  Fabal 
des  VI.  Buches  (p.  880/31),  wo  der  Aator  von  dem  beröohiigten  Mahls 
spricht,  das  Tantalns  den  Göttern  vorgesetzt  hat,  nnd  dann  in  der  1.  ond 
2.  Fabel  des  XII.  Buches  (p.  869),  wo  Lactantias  von  .^Agamemnon,  Atni 


—     103    — 

Pellegrin  geht  also  im  Grunde  nur  auf  Hygin  zurück; 
da  die  obengenannten  Autoren  ja  auch  sicherlich  aus  Hygin 
schöpften.^)  In  derselben  Prifaoe  spricht  Pellegrin  von  einem 
wichtigen  Unterschiede,  der  zwischen  der  87.  und  88.  Fabel 
flygin's  besteht^),  was  für  uns  ein  Beweis  mehr  dafür  ist,  daß 
er  Hygin  selbst  benutzt  hat.  Ferner  sind  die  Verse: 
«Arges  rentrera  sous  ta  loi,  ' 
Par  un  Fils  qui  naitra  de  ta  Fille  et  de  toi> 
eine  beinahe  wörtliche  Übersetzung  des  Beginns  der  87.  Fabel 
Hygin's.  Pellegrin  hat  sich  auch  genau  an  die  ganze  87.  Fabel 
gehalten,  nur  daß  er  den  Thyeste  nicht  freiwillig  zum  Blut- 
schänder werden  und  den  ^giste  eigentlich  nicht  direkt  aus- 
setzen ließ.  Aber  daß  der  Sohn  der  Pelop^e  in  dieser 
Tragödie  auch  wie  in  der  87.  Fabel  Hygin's  von  einer  Zi^e 
gesäugt  wurde,  darauf  macht  Pellegrin  selbst  in  seiner  Vor- 
rede aufmerksam.^) 

Der  88.  Fabel  Hygin's  entnahm  der  Dichter  folgende 
Einzelheiten : 

Atree  will  den  Sohn  des  Thyeste  und  der  Pelop^  zur 
Ermordung  seines  Vaters  zwingen.  Jedoch  hält  bei  Hygin 
Atreus  den  Aegisthus  für  seinen  eigenen  Sohn,  während  bei 
Pellegrin  Atr6e  nur  anfangs  nicht  weiß,  daß  jEgiste  der 
Sohn  des  Thyeste  und  der  P^lop^e  ist,  sondern  es  erst  nach* 
träglich  erfährt. 


et  Aeropes  /J/iiw"  berichtet  (cf.  Auetores  Mythographi  Latinif  p.  830/31 
n.  p.  869). 

^)  Auch  Weiße,  sowie  Schröter  und  Thiele  geben  als  Quelle 
die  88.  Fabel  Hygin's  an.    Cf.  p.  98  Anm.  8. 

^)  »La  plüpart  des  Scholiastes  ont  cru  que  IHncestc  fut  commis 
volontairement  par  Thyeste,  et  que  Vardeur  de  se  venger,  le  fit  passer  par 
dessus  tonte  autre  cotisidiration ;  Hyginus  mcme  est  de  ce  sentiment  dans 
le  chap,  87,  mais  il  se  retracte  dam  le  88  et  dit  que  Thyeste  devint  in" 
cestueux  sans  le  s^avoir.r^ 

')  'Tous  les  Auteurs  qui  ont  rappwte  ce  fait  conviennent  qu^JBjg%»t€ 
q^i  naquit  dt  cet  inceste,  fut  expose  par  sa  mlre  aussi  tot  aprls  sa 
naissancef  et  que  des  PasieurSy  Vayant  trouve  le  firent  nourrir  par  une 
ckevre  sauvage;  cest  lä  ce  qui  «t'a  donne  lieu  de  faire  dire  ä  JEgiste  dans 
mon  Premier  Acte: 

Au  fond  dhme  foret,  par  un  ynonstre  allaite, 
De  lui  je  tiens  mon  notn  et  ma  firocite.» 


—     104    — 

jEgyste  will  auch  wirklich  den  Thyeste  töten ;  doch  wird 
dieser  Vatermord  dadurch  verhindert,  daß  sich  Vater  und 
Sohn  noch  rechtzeitig  kennen  lernen.  Hygin's  Darstellung 
unterscheidet  sich  von  derjenigen  Pellegrin's  dadurch,  daß 
der  Jüngling  in  der  lateinischen  Fahel  einen  Meuchelmord 
beabsichtigt,  während  er  in  unserem  Drama  den  Thyeste  in 
ehrlichem  Kampfe  töten  will, 

JEgiste  ermordet  den  Atr§e,  der,  durch  eine  falsche 
Nachricht  getäuscht,  seinen  Bruder  für  tot  wähnt.  Thyeste  er- 
föhrt  die  entsetzliche  Tatsache,  daß  er  iBgiste  mit  seiner 
Tochter  gezeugt  hat. 

Außer  diesen  beiden  Fabeln  hat  aber  Pellegrin  (was  er 
verschweigt!)  ohne  Zweifel  auch  noch  den  ^jgyste  von  S^ 
guineau  und  Pralard  benutzt  und  ihm  folgende  Einzelheiten 
entnommen : 

Die  Erzählung  von  Tyndare  und  dessen  Tochter  Clitem- 
nestre.  Hierzu  muß  jedoch  bemerkt  werden,  daß  Pellegrio 
diese  beiden  Personen  nicht  auftreten  läßt^)  und  den  König 
Von  Sparta  zum  Bundesgenossen  des  Thyeste  macht,  während 
Tyndare  im  ^gyste  nur  eine  vermittelnde,  wenn  auch  za 
Thyeste  hinneigende  Stellung  einnimmt.  Ja,  selbst  im  Mgysk 
Sagt  schon  im  I.  Akte  Tyndare  zu  Atree,  daß  er  gegen  ihn 
Partei  ergreifen  werde,  wenn  er  (Atrfie)  in  seiner  Ungerechtig- 
keit beharre*),  und  im  IV.  Akte  schwört  er,  sich  an  Atree 
bitter  rächen  zu  wollen,  wenn  dieser  eine  unehrliche  Handlung 
im  Sinne  habe.^  Und  zum  Schlüsse  steht  Tyndare  tatsächlich 
auf  Seite  des  Thieste.*) 

Atr6e  will  die  Clytemnestre  mit  seiner  Familie  verbinden, 
wie  auch  bei  S6guineau  und  Pralard  Tyndare  seine  Tochter 
dem  Agamemnon  verspricht. 

^giste  und  Pölopfee  treffen  sich  bei  Atrfe,  ohne  ihr 
gegenseitiges  Verhältnis  zu  kennen.  Der  erstere  hat  keine 
Ahnung  von  seiner  Abkunft,  wohl  aber  ist  diese  dem  Atr^e 
bekannt,   der  den  Jüngling  zur  Ermordung  seines  Vaters  zu 


^)  £s  kommt  nämlich  nur  einige  Male  im  Drama  die  Rede  auf  sie. 
«)  Cf.  Anhang,  S.  148. 
»)  Cf.  Anhang,  S.  150. 
*)  Cf.  Anhang,  S.  150. 


~    105    ^ 

bewegen  sucht  und  ihm  als  Preis  für  den  Kopf  des  Thyeste 
die  Hand  seiner  Geliebten  in  Aussicht  stellt;  bei  Pellegrin 
ist  dies  FSlopSe^  die  eigene  Mutter,  bei  Seguineau  und  Pralard 
dagegen  Clitemnestre. 

Der  Jüngling  weigert  sich  anfangs,  die  Tat  auszuführen, 
läßt  sich  aber  doch  dazu  bestimmen ;  das  Motiv  ist  allerdings 
bei  Pellegrin  ein  anderes  als  bei  Seguineau  und  Pralard.  Es 
ist  femer  zu  beachten,  daß  bei  Pellegrin's  wtEgiste  das  Gefühl 
der  Liebe  zu  PSlopSe  viel  stärker,  hervortritt,  als  dies  im 
Drama  SSguineau's  und  Pralard's  der  Fall  zu  sein  scheint. 

Wie  bei  Pellegrin  iEgiste  in  einem  erfolgreichen  Kampfe 
dem  Thyeste  die  Pelopee  entreißt  und  sich  in  sie  verliebt, 
so  besiegt  im  anderen  Drama  Agamemnon  die  Bewohner  von 
Argos  und  bringt  die  P61opöe,  zu  welcher  er  in  Liebe  ent- 
brannt ist,  zu  Atree.  Was  diese  Liebe  des  iEgiste  zu  P£lop6e 
anlangt,  so  erinnert  sie  uns  nur  insofern  an  die  Liebe  des 
Agamemnon  zu  ihr,  als  ^Egiste  wie  Agamemnon  von  ihr 
nicht  erhört  wird.  Aber  die  Leidenschaft  des  JEgiste  bei 
Pellegrin  ist  doch  ganz  anderer  Art  als  die  des  Agamemnon 
bei  Seguineau  und  Pralard ;  sie  hat  viel  mehr  Verwandtschaft 
mit  der  Liebe  des  Plisthöne  zu  Theodamie  bei  Cröbillon ;  denn 
wir  haben  hier  wie  dort  eine  blutschänderische  Leidenschaft, 
die  auch  bei  beiden  Dichtern  ungefähr  dasselbe  Ende  nimmt. 

Überhaupt  hat  Pellegrin  sein  Stück,  wenn  er  auch  jene 
Fabelbruchstücke  aus  dem  ^gisfe  genommen,  vielmehr  auf 
dem  Afrde  et  Thyeste  Crebillon's  aufgebaut,  dem  er  sehr  viele 
Züge  entlehnt  hat.  Daß  Pellegrin  jene  Tragödie  genau 
kannte,  beweisen  seine  oben  bereits  angeführten  Bemerkungen 
darüber.^)  Daß  er  den  Jb^gyste,  sei  es  im  Manuskripte  oder 
im  Druck,  eingesehen  habe,  ist  kaum  anzunehmen.  Er  wird 
sich  aus  der  vom  Mercure  mitgeteilten  Inhaltsangabe  alle  die 
Einzelheiten  herausgesucht  haben,  die  ihm  für  seyie  Pelopce 
paßten.  Und  wie  genau  er  sich  der  Cr6billon'schen  Dar- 
stellung angeschlossen  hat,  das  wird  die  nachfolgende  Ver- 
gleichung  klarlegen. 


»)  S.  62,  90  u.  9394. 


—     106     — 

I.  Akt. 

Ort  der  Handlang  ist  durchweg  das  Ldiger  des  Atree  in  der  Nähe  tod 

Argos. 

1.  Szene.  Sostrate,  der  ehemalige  Erzieher  des  JEgiste,  und  Areas, 
der  frühere  Diener  des  Tbyeste,  sind  in  einem  interessanten  Zwie- 
gespräche begriffen:  Thyeste  ist  dem  Sostrate  schon  seit  20  Jahren 
feindlich  gesinnt,  da  er  glaubt,  Sostrate  habe  ihm  seinen  Soho  gleich 
nach  seiner  Gebart  entrissen  und  getötet.  Sostrate  gibt  sich  jedoch  ab 
treuen  Diener  des  Thyeste  ans.  Als  ihm  Areas  erzählt,  daß  ein  junger 
unbekannter  Held,  namens  JBgiste,  durch  seine  Tapferkeit  far  Afcree, 
der  gegen  Thyeste  und  dessen  Bundesgenossen  Tyndare  Krieg  führe, 
den  Sieg  entschieden  habe,  schrickt  Sostrate  heftig  zusammen.  £tn 
Geheimnis  verbietet  ihm,  zu  reden.  Nachdem  er  sich  von  der  Treue 
des  Areas  zu  Thyeste  überzeugt  hat,  bittet  er  ihn,  seinem  früheren 
Herrn  einen  Brief  sehr  wichtigen  Inhalts  zu  überbringen  und  sich  da- 
bei zu  beeilen,  da  der  Tag  schon  anbreche. 

Fellegrin  gibt  seinem  ^giste  ein  Aller  von  20  Jahren, 
wie  auch  Crebillon's  Plistb^ne  20  Jahre  alt  ist.  Das  Stück 
beginnt  mit  Anbrach  des  Tages  wie  Crfibillon's  Atree  et  Thyeste. 

2.  Szene.  Atree  drückt  seine  Wut  gegen  Thyeste  vor  seinem  Ver- 
trauten Eurymedon  aus,  der  seinen  König  mit  dem  Gedanken  des 
baldigen  Todes  seines  Feindes  zu  trösten  sucht.  Aber  Atree  denkt  ganz 
anders:  Thyeste  soll  nicht  sterben  und  so  seinen  Leiden  entgeheu, 
sondern  die  rächende  Hand  seines  Bruders  fühlen!  Hierauf  rerrat 
Atr6e  seinem  Vertrauten,  dafi  P^op^e  die  Tochter  des  Thyeste  sei. 
Dieser  habe  sein  Kind  seinem  Vertrauten  Arbate  zur  firmordong  über» 
geben.  Der  habe  jedoch  das  Töchterchen  zu  Eurymedon  gebracht,  von 
dem  es  wiederum  der  Obhut  des  Atr6e  anvertraut  worden  sei.  Zur 
selben  Zeit  sei  ihm  (dem  Atree)  sein  eigenes  Kind  geraubt  worden,  und 
da  habe  er  nun  heimlich  das  Töchterehen  des  Thyeste  dafür  in  die 
Wiege  gelegt  nnd  ihm  denselben  Namen  wie  seinem  eigenen  Kinde  ge- 
geben. Während  seiner  (des  Thyeste)  Abwesenheit  von  Argo«  habe 
Thyeste  die  Felopee  entführt  und  dann  bei  ihm  (Atr^)  um  ihre 
Hand  angehalten.  Gerne  wäre  er  dem  Wunsche  seines  Bruders  ent- 
gegengekommen ;  denn  eine  blutschänderische  Ehe  zwischen  Thyeste  nnd 
P^lop^e  sei  ja  sein  eigentlicher  Racheplan.  Dann  erzählt  Atree  die 
Geschichte  von  Tyndare  nnd  der  Clytemnestre,  mit  denen  er  l^iyette 
hätte  entzweien  wollen ;  doch  dieser  habe  aus  MÜltranen  gegen  seinen 
Bruder  die  Heirat  mit  Pelopee  plötzlich  verweigert  und  letztere  —  so 
glaubt  Atree  —  als  seine  Gefangene  zurückbehalten,  bis  sie  ihm  endlich 
durch  die  Tapferkeit  des  ^Egiste  entrissen  worden  sei.  Auch  befürchtet 
der  König,  daß  jener  Jüngling  ihm  einst  gefahrlich  werden  könne. 


—     107     — 

Diese  2.  Szene  ist  eine  getreue  Nachahmung  der  3.  Szene 
des  1.  Aktes  tod  Crtöillon's  Atrie  et  Thyeste,  Hier  wie  dort 
teilt  Atrfe  seinem  Yertraoten  die  Bache  mit,  die  er  für 
Thyeste  ersannen,  und  ein  Geheimnis,  das  damit  innig  m« 
sammenhängt.  Bei  Cr^billon  hat  Atr6e  seinen  Sohn  mit  dem 
des  Thyeste  Tertauscht  und  dann  den  PUsthtoe  zur  Bache 
erzogen;  bei  Pellegrin  hat  At^ße  die  Tochter  des  Thyeste 
heimlich  adoptiert,  um  durch  sie  ebenfalls  sieh  an  seinem 
Bruder  zu  rächen.  Auch  ist  die  Art  und  Weise^  wie  die 
Yertauschung  des  richtigen  mit  dem  fremden  Kinde  geschildert 
wird,  Cr£billon  genau  nachgeahmt  Atr6e  erzählt  in  folgenden 
Worten : 

cD'abord  sans  nul  dessein  je  pris  soin  de  sa  vie. 
Mais  ma  fiUe  au  berceau  m'ayant  et6  ravie, 
La  sienne  en  meme  tems  prit  sa  place  et  son  nouL» 

(Pellegrin.) 
Bei  Cröbillon  (I,  3)  sagt  Atree: 

<Un  fils  venait  de  naitre  h  la  nouvelle  Beine. 
Pour  rempiir  mes  projets,  je  le  nommai  Plisth^ne, 
Et  mis  le  fils  d^Aerope  au  berceau  de  ce  fils, 
Dont  depuis  m'ont  privg  les  Destins  ennemis.» 

Der  Unterschied  besteht  darin,  daß  bei  CrSbillon  Atr£e 
sein  eigenes  Kind  erst  nach  der  Yertauachung  yerliert,  während 
dies  bei  Pellegrin  schon  vorher  der  Fall  ist 

Femer  klingen  die  Einleitongsworte,  die  bei  Pellegrin 
Eurym^don  zu  Atr^e  spricht,  deutlich  an  jene  an,  die  bei 
Cr6billon  der  Pelopide  seinem  Vertrauten  zuruft 

Bei  Pellegrin  sagt  Eurymedon : 
«Quoi!  Seigneur^  dans  un  jour  si  propice  k  yos  voeux, 
Vous  n'etes  pas  encor  parfaitement  heureux!» 

Bei  Crftbillon  (I,  3)  sagt  Atr6e: 

«Enfin  ce  jour  heureux,  ce  jour  tant  souhaitfi 
Banime  dans  mon  coeur  Tespoir  et  la  fiert^.» 

Also  die  Anspielung  auf  den  glücklichen  Tag  ist  bei 
beiden  Dichtem  die  gleiche,  nur  daß  bei  Cr^billon  Atrie 
sich  wirklich  darüber  freut,  während  er  bei  Pellegrin  noch 


—    108     — 

nicht   recht  an   das   Glück  des  Tages  glaubt.     Im  Atrie  ff 
ThyesU  ist  der  Tag  schon  glücklich,  in  der  Pelopee  noch  nicht 
Während  ferner  bei  Cr6billon  Atr6e  den  Tod  des  Thyeste 
wünscht,  und  sein  Vertrauter  ihm  rät,  zur  Strafe  seinen  Bruder 
lieber  leben  zu  lassen,   als  ihn  zu  töten,  stellt  Pellegrin  die 
Sache  umgekehrt  dar;  denn  auf  die  Worte  des  Eurym6doa: 
« Tkyeste  va  p6rir^  läßt  er  seineu  Atr6e  antworten : 
«Thyeste  va  pfirir!    Et  crois-tu  que  sa  mort 
Soit  le  bien  oü  j'aspire  avec  plus  de  transport? 
Je  cherche  k  prolonger,  non  ä  finir  sa  peine, 
II  m'enl^ve,  en  mourant,  le  plaisir  de  ma  haine.> 

Diese  Verse  schrieb  Pellegrin  entweder  unter  dem  Ein- 
flüsse des  schon  zitierten  Ausspruches  Seneca's  (v.  246): 

De  fine  poenae  loqueris,  ego  poenam  volo, 
oder,  was  viel  näher  liegt,  in  Anlehnung  an  die  Worte,  welche 
bei  Crebillon  Atr6e  in  der  8.  Szene  des  III.  Aktes  spricht: 
«Qu'il  vive!  Ce  n'est  plus  la  mort  que  je  mßdite, 
La  mort  n'est  que  la  iin  des  tourments  qu'il  merite,> 
und  welche  allerdings  ihrerseits  auf  den  obigen  Gedanken 
Seneca's  zurückgehen. 

In  ähnlicher  Weise  äußert  ferner  Atr6e  sowohl  bei 
Pellegrin  als  auch  bei  Crebillon  sein  RachegefUhl  gegen 
Thyeste  und  seinen  gotteslästerlichen  Hochmut. 

Atree  bei  Pellegrin: 

«De  mon  cceur  irrite  les  transports  furieux, 

Plus  que  mon  tröne  encor  me  rapprochent  des  Dieux. 


C'est  peu   d'etre  au-dessus  des  Rois  les  plus  puissans, 
Montrons  k  l'univers  de  quel  Dieu  je  dessen«; 
Son  Empire  comprend  et  le  Ciel  et  la  Terre; 
Au  gr6  de  sa  vengeance,  il  lance  le  tonnerre; 
Et  moi,  j'aime  ä  porter  de  si  terribles  coups, 
Que  Jupiter  lui-meme  en  puisse  etre  jaloux.?» 

Atr6e  bei  Crßbillon  (I,  3): 

«Rien  ne  peut  arreter  mes  transports  furieux. 
Je  voudrois  me  Tenger,  füt-ce  meme  des  Dieux. 


—     109     — 

Du  plus  puissant  de  tous,  j'ai  regu  la  naissance, 
Je  le  sens  au  plaisir  que  me  fait  la  vengeance: 
Eofin  moD  cceur  se  platt  dans  cette  iDimiti^y 

Mon  coeur  qui  sans  pitiS  lui  declare  la  guerre 
Ne  cherche  ä  le  punir  qu'au  d^faut  du  tounerre.» 

Derartige  ÜbereiDstimmuDgeD  sowohl  in  Gedauken  als 
auch  in  der  sprachlichen  Form  nötigen  zu  dem  Schlüsse,  daß 
Pellegrin  unter  dem  direkten  Einflüsse  Cröbillon's  sein  Stück 
verfaßt  hat. 

In  der  3.  Szeue  bringt  £urilas,  ein  Wächter,  dem  Atree  einen 
Brief,  den  man  dem  Areas  entrissen  hat,  als  dieser  sich  zu  Thyeste  hat 
begeben  wollen.  Der  König  liest  den  Brief  and  schickt  sofort  Eorilas 
nach  ^giste  aus.  Hierauf  (4.  Sz.)  liest  Atree  den  Brief  vor,  der  Thyeste 
die  Nachricht  hätte  bringen  sollen»  daß  .Egiste  sein  Sohn  sei.  Sofort 
gibt  Atree  den  Befehl,  Sostrate  zn  suchen.  Dieser  hatte  nämlich  seinen 
Namen  unter  jene  Zeilen  gesetzt.  Zu  gleicher  Zeit  faßt  der  grausame 
Pelopide  den  Kacheplan,  .Egiste^s  Liebe  zu  Pelopee  dazu  zu  benutzen, 
ihn  zum  Morde  an  Thyeste,  also  an  seinem  eigenen  Vater,  zu  verleiten. 

Auch  diese  EpisodiB  ist  Crebillon  nachgeahmt;  denn  wie 
im  Atree  et  Thi/este,  so  wird  auch  bei  Pellegrin  der  Brief, 
welcher  Thyeste  über  die  Existenz  seines  Sohnes  aufklären 
soll,  abgefangen  und  dem  Atree  eingehändigt. 

5.  Szene.  Dem  eintretenden  ^Egiste  teilt  Atree  mit,  daß  er  ihm 
nur  unter  der  Bedingung  seine  Tochter  geben  werde,  wenn  er  Thyeste 
in  der  Schlacht  töte.  Der  edle  Jüngling  kann  sich  dazu  nicht  verstehen 
—  so  gerne  er  auch  die  Hand  der  Pölopee  gewinnen  möchte  — ,  das 
Blut  eines  Königs  und  noch  dazu  das  von  Atree*s  Bruder  zu  vergießen. 

Diese  Szene  gleicht  der  4.  Szene  des  I.  Aktes,  der 
6.  Szene  des  II.  und  der  3.  Szene  des  III.  Aktes  des  Atree 
et  Thyeste,  also  denjenigen  Szenen,  in  denen  Plisthöne  sich 
weigert;  Thyeste  zu  töten,  da  er  der  Bruder  seines  Vaters 
sei.    Die  Ähnlichkeit  tritt  in  folgenden  Versen  klar  zutage: 

Bei  Pellegrin  sagt  ^giste  zu  Atr6e: 

Je  ne  puis  me  cacher  que  ce  sang  est  le  votre; 
N'en  est-ce  pas  assez  pour  retenir  mes  coups? 
En  per^ant  votre  fröre,  ils  iraient  jusqu'Ä  vous. 


—    110    — 

Bei  Crfibillon  (I,  4)  sagt  Plisth^iie  zu  AtrSe: 
Songez-Tous  bien  qnel  fioead  voas  unit  Tun  et  Tautre? 
Ed  rfipaadaiit  son  sang^  je  r^pandrais  le  Totre. 

Femer  meint  ^giste  bei  Pellegrin; 
La  nature  a  ses  droits ;  mais  le  tröne  a  les  siens,  ^) 
Et  du  sang  entre  nous,  il  rompt  tous  les  liens. 

Bei  Crebillon  (II,  6)  sagt  Atree  zu  Thyeste: 
Quand  je  t'ai  vu  souilier  par  tes  coupablea  feux 
Les  autels  oü  Thymen  allait  combler  mes  ¥<Bai^ 
Que  peux-tu  m'opposer  qui  parle  en  ta  defense? 
Les  droits  de  la  nature,  ou  bien  de  Tinnocence? 

Außerdem  eriDiiert  diese  Szene  ganz  besonders  an  die 
3.  Szene  des  III.  Aktes  des  Airie  et  Tktfeste.  Denn  wie  dort 
Atr6e  die  Liebe  des  Plisth^ne  zu  Thßodamie  benutzen  will, 
um  den  Jüngling  zur  Ermordung  des  Thyeste  zu  treiben, 
jedoch  seinen  Zweck  nicht  erreicht,  so  möchte  hier  der 
grausame  Pelopide  den  jEgiste  auf  Grund  seiner  Liebe  za 
PSlop^e  zwingen,  seinen  Vater  zu  ermorden,  aber  auch  seine 
Mühe  ist  vergebens. 

Man  könnte  hier  vielleicht  einwenden,  daß  auch  im  ^gifsU 
der  Jüngling  darüber  erzittert,  daß  er  Thyeste  töten  soll 
{III.  Akt);  und  sich  nicht  gleich  dazu  entschließen  kann,  ob- 
wohl er  dadurch  die  Hand  seiner  Geliebten  verliM^n  könnte. 
Pellegrin  würde  also  in  diesem  Falle  nicht  auf  Orfebilloo,  wo 
Atr§e  die  Theodamie  im  Falle  der  Weigerung  des  Plisth^ne 
ermorden  will,  sondern  auf  die  betrefifende  Szene  bei  Seguinesu 
und  Pralard  zurückgehen.  Hierzu  ist  zu  bemerken,  daß 
Pellegrin  hier  beide  Dramen  nachahmt,  daß  er  sich  aber  doch 
mehr  an  den  Atrve  et  Thyeste  als  an  den  JEgyste  anlehnt.  Denn 
die  Liebe  des  .Sgyste  ist,  nach  der  Inhaltsangabe  zu  schließen, 
bei  S^guineau  und  Pralard  nicht  so  leidenschaftlich  wie  die 
des  ^giste  zn  P6Iop§e  oder  die  des  Plisth^ne  zu  Theodamie. 
Und  es  ist  doch  zweifellos  gerade  die  blutschänderische  Liebe 


*)  Dieser  Vers  hat,   was  die  Form  anlangt,  große  Ähnlichkeit  mit 
dem  folgenden,  den  bei  C  r e  b  i  1 1  o  n  Plisthene  im  III.  Akte  (3.  S«.)  spricht: 
*Mon  devoir  a  »es  droits^  mais  ma  glokr  a  la  $ien9.» 


—  111  — 

des  Sohnes  zu  seiner  —  allerdings  von  ihm  noch  nicht  ge- 
kannten —  Mutter  eine  Nachahmung  der  blutschänderischen 
Liebe  des  Bruders  zu  seiner  —  ebenfalls  von  ihm  nicht  ge- 
kannten —  Schwester,  wie  wir  sie  bei  CrSbillon  finden.  Daß 
dieses  Verhältnis  Crebillon  entnommen  ist,  geht  auch  daraus 
hervor,  daß  bei  beiden  Dichtern  der  Jüngling  sofort  seine 
Leidenschaft  verabscheut,  als  er  seine  so  nahe  verwandtschaft- 
liche Beziehung  zu  seiner  Geliebten  kennen  lernt.  Femer 
ist  noch  hervorzuheben,  daß  in  dieser  Szene  bei  Pellegrin 
und  in  der  3.  Szene  des  III.  Aktes  bei  Crebillon  der  J&ngling 
sich  entschieden  weigert,  den  Mord  auszuführen,  während  er 
doch  bei  S^guineau  und  Pndard  am  £nde  der  betreffenden 
Szene,  wo  Atr6e  dieses  Ansuchen  an  ihn  stellt^  verspricht, 
den  Tbjeste  zu  töten. 

Endlich  wäre  zu  dieser  Szene  noch  zu  bemerken,  daß 
die  Worte  des  ^giste: 

An  fond  d'une  foret  par  un  monstre  allaitS, 
De  lui  je  tiens  mon  nom  et  ma  f£rocit6. 
Je  vous  Tai  d^jä  dit,  je  suis  n6  pour  le  crime, 
Par  lä,  de  mes  parens  je  devins  la  victime 
etwas  an  den  Seneca'schen  Gedanken  anklingen: 
V.  313/14  ne  mali  fiant  times? 

nascuntur. 
Wir  erinnern  uns,   daß  auch  bei  Crßbillon  (I,  3)  Atree 
einmal  die  Meinung  äußert,  daß  Plisth^ne  die  Schlechtigkeit 
seiner  Eltern  ererbt  habe. 

6.  Szene.  Als  der  Wütericli  sich  entfernt  hat,  teilt  ^Egiste  dem 
herankommenden  Antenor  seine  leidenschaftliche  Liebe  za  Felopee  mit. 
die  er  schon  beim  ersten  Anblick  im  Lager  des  Thyeste  in  sein  Herz 
geschlossen  habe.  Sein  Vertrauter  gibt  ihm  den  Rat,  von  diesem  Orte 
zu  fliehen,  auf  daß  er  nicht  den  Lehren  des  Sostrate  zuwiderhandle,  der 
ihm  doch  besonders  die  Achtung  vor  Königen  eingepflanzt  habe.  In 
jEgiste  kämpfen  eine  Zeitlang  seine  ihm  anerzogenen  Grundsätze  und 
seine  leidenschaftliche  Liebe.  Zum  Schlüsse  gibt  er  alles  Nachdenken 
auf  und  stürzt  davon  mit  den  Worten: 

N'en  d^liberons  plus;  aHons;  cherchons  le  Bei; 
£t  qa'au  gre  de  sa  haine,  il  dispose  de  moi! 

Wie  Plisthöne  bei  Crebilloo,  so  verliebt  »ch  auch  ^giste 
bei  Pellegrin  in  P^lopee  schon  beim  erstmaligen  Sehen. 


—     112     — 

n.  Akt. 

1.  Szene.  Pelopee  teilt  ihrer  Vertranten  mit,  daß  sie  mit  Thyeste 
heimlich  verheiratet  sei  und  von  ihm  einen  Sohn  habe,  den  sie  jedocL 
nm  sein  Los  niemals  zn  erfahren,  durch  Sostrate  habe  entfernen  lassen. 
Sie  sei  durch  einen  Orakelsprach,  der  ihrem  Kinde  Vatermord  and  Blot- 
schande  geweissagt,  zu  jener  Tat  bewogen  worden.  Zor  Befragong  des 
Orakels  sei  sie  durch  einen  schrecklichen  Tranm  veranlaßt  worden.  Ihre 
geheime  Ehe  mit  Thyeste  dürfe  nicht  offenbar  werden,  da  sonst  ihr  qd- 
glücklicher  Gemahl  seinen  Bundesgenossen  verlieren  könne. 

Wie  bei  CrSbillon  Thyeste  einen  Unheil  verkündeadeD 
Traum  hat,  so  auch  hier  bei  Pellegrin  PSlop^e.  Und  zwar 
entnimmt  Pellegrin  wie  CrSbillon  den  Inhalt  des  Traumes 
teilweise  aus  Seneca,  aber  nicht  aus  dem  IV.,  sondern  aus 
dem  I.  Akte.  Wie  schön  und  kurz  uns  der  Dichter  jene 
Eingangsszene  des  lateinischen  Dramas  zu  schildern  weiß, 
ersehen  wir  am  besten  aus  der  Beschreibung  des  Traumes 
selbst.  Doch  zuvor  sei  noch  bemerkt,  daß  die  Einleitungs- 
und Schlußverse  dieser  Schilderung  dem  Traume  des  Thyeste 
bei  Crebillon  nachgeahmt  sind.  Pelopee  erzählt  mit  folgenden 
Worten : 

Jour  affreux!  jour  suivi  d'une  nuit  plus  terrible! 

Bei  Cr6billon  (II,  2)  sagt  Thyeste: 
Tout  ä  de  tristes  nuits  Joint  de  plus  tristes  jours. 

Pel. :  De  spectres  entasses  un  assemblage  horrible, 
Dans  un  songe  funeste  effrayant  mes  regards, 
Pret  ä  fondre  sur  moi,  vole  de  toutes  parts; 
Thy.  bei  Creb  (II,  2): 

Et  j'ai  cru  le  barbare  entoure  de  Furies. 

Pel. :  Je  vois  une  Furie,  et  mon  Ayeul  Tantale, 
Qu'elle  force  k  sortir  de  la  nuit  infernale, 
La  Barbare  sur  lui  versant  son  noir  poison, 
Lui  fait  un  autre  enfer  de  sa  propre  maison; 
Cette  ombre  infortunSe  apres  soi  traine  encore 
Et  la  faim  et  la  soif  dont  Tardeur  la  d^vore! 

Diese  Verse  geben  kurz  den  Inhalt  des  I.  Aktes  der  Thyestes- 

tragödie  Seneca's. 


—    113     — 

P§I. :  Elle  approche.    Le  frnit  de  mon  malheureax  flaue 
La  Donrrit  de  camage  et  Tabreuve  de  sang. 

Ganz  ähnlich  schließt  bei  Crebillon  (11^  2)  Thyeste  seine 
Traupischilderong : 

Le  cruel  d'une  main,  semblait  m'ouvrir  le  flanc 

Et  de  Tautre,  ä  longs  traits,  m'abreuver  de  moo  sang. 

2.  Szene,  .^giate  teilt  der  Pölopee  mit,  daß  er  ihre  fland  durch 
den  Sieg  über  Thyeste  zu  erringen  hoffe,  tchwört  ihr  aber  ichließlioh 
auf  ihre  Bitten  hin,  das  Blut  dei  Thyeste  nicht  zu  vergießen.  In  der 
3.  Szene  fleht  der  Jüngling  den  ihn  wegen  seiner  Saumseligkeit  tadeln- 
den Atr6e  an,  doch  mit  seinem  Bruder  Frieden  zu  schließen.  Der 
Pelopide  will  aber  von  Milde  nichts  wissen,  so  sehr  ihm  auch  Pelopee 
vor  Augen  stellt,  daß  doch  die  Bande  des  Blutes  ihn  an  Thyeste  fesseln. 
Ja,  der  Grausame  will  selber  den  Racheakt  vollziehen;  da  kommt  ihm 
uEgiste  zuvor  mit  der  Erklärung,  er  werde  an  diesem  Tage  sowohl  seinem 
Ruhme  als  auch  seiner  Liebe  Rechnung  tragen. 

Auch  diese  3.  Szene  zeigt  den  Einfluß  Crßbillon^s.  Denn 
die  Bitte  des  ^giste  an  Atree,  sich  mit  seinem  Bruder  aus- 
zusöhnen, erinnert  an  die  6.  Szene  des  II.  Aktes  des  Atrie 
et  Thyeste,  wo  Plisth^ne  ebenfalls  den  Atree  zu  einem  Bündnisse 
mit  Thyeste  bewegen  möchte.  Ferner  klingen  die  Worte  der 
Pelop6e: 

Songez  qu'un  meme  sein  vous  a  port6s  tous  deux 
an  jene  an,  die  Euristh^ne  zu  Atr§e  bei  Crebillon  (I,  3)  spricht: 
Ah!  Seigneur,  si  le  sang  qui  tous  unit  tous  deux 
N'est  plus  qu'un  titre  vain  pour  ce  roi  malbeureux. 

4.  und  ö.  Szene.  Pelopee  gerät  über  das  dem  Thyeste  drohende 
Unglück  in  Verzweiflung,  was  dem  Atree  zur  Vermutung  AnlaO  gibt, 
daß  Pelopee  heimlich  mit  Thyeste  verheiratet  sei. 

III.  Akt. 

Thyeste  ist  als  Gefangener  im  Lager  des  Atree.  Er  wütet  gegen 
die  Ungerechtigkeit  der  Götter,  die  sich  seinem  Bruder  geneigt  zeigen, 
ihm  selber  jedoch  den  Orakelspruch  haben  zuteil  werden  lassen,  daß  er 
durch  den  mit  seiner  Tochter  erzeugten  Sohn  Argos  gewinnen  werde. 
Um  solche  Blutschande  zu  verhüten,  habe  er  seine  Tochter  von  Arbate 
erdrosseln  lassen.  Pelopee  mscht  ihrem  Gemable  (3.  Sz.)  den  Vorschlag, 
seine  Ehe  mit  ihr  dem  Atree  kundzutun,  doch  die  Vorsicht  bestimmt 
ihn,  ihr  die  Bitte  abzuschlagen.  In  der  5.  Szene  verspricht  Mgist^  dem 
Thyesta  seine  Hilfe  gegen  Atr6e.  Denn  er  muß  dem  Gefangenen  ge- 
Münchener  Beiträge  z.  rom.  u.  engl.  Philologie.    XXXVII.  8 


—     114    — 

stehen,  er  habe  bei  der  ersten  Begegnung  innige  Zoneigung  zo  ihm 
gefaßt.  Aach  Thyeste  kann  sich  eines  ähnlichen  Gefühls  dem  ^£giste 
gegenüber  nicht  erwehren.  Da  hört  der  Jüngling  Atree  kommen  und 
rät  dem  Thjeste,  sich  schleunigst  zu  entfernen. 

Diese  5.  Szene  ist  zum  Teil  eine  Nachahmung  der  5.  Szene 
des  in.  Aktes  des  Atree  et  Thyeste.  Denn  hier  wie  dort  teilen 
sich  Vater  und  Sohn,  die  ihre  nahen  verwandtschaftlichen 
Beziehungen  noch  nicht  kennen,  die  Liebe  mit,  die  sie  eigen- 
tümlicherweise zueinander  fühlen.  Dabei  hält  sich  Pellegrin 
ziemlich  genau  an  die  Worte,  die  Thyeste  und  Plisthöne  mit- 
einander wechseln: 

JEg,  bei  Pellegr.: 
Je  ne  s^ais  d'oü  me  vient  le  transport  qui  me  presse, 
Mais  pour  vous,  dans  mon  coeur,  qnelqueDieu  s'interesse? 

Plisth.  bei  Orfeb.  (lU,  5): 
Ce  n'est  point  la  piti6  qui  m'attendrit,  Seigneur; 
Je  sens  des  mouTements  inconnus  ä  mon  cceur. 

Thy.  bei  Pellegr.: 

Quel  transport  ä  ces  mots  dans  le  mien  vieat  de  naitre! 
Dans  ce  tendre  moment  je  n'en  suis  plus  le  maftre; 
Et  je  sens  que  les  Dieux,  par  ce  trait  de  bontS 
Me  rendent,  en  vous  seul,  tout  ce  qu'ils  m'ont  6t6. 

Thy.  bei  Crfeb.  (III,  6): 
Prince  qu'un  tendre  soin  dans  mon  cceur  int6resse, 
Qu'il  m'est  doux  de  ponvoir  embrasser  aujourd'hui 
De  mes  jours  malheureux  l'unique  et  s&r  appui. 

6.  Szene.  Atree  ist  erzürnt  darüber,  daß  man  ihm  sein  Opfer  vor- 
enthält. Da  bittet  ihn  ^Egiste  zum  zweiten  Male,  sich  mit  seinem  Brader 
zu  versöhnen.  Atr^e  ist  dazu  bereit  unter  der  Bedingung,  dafi  Thyeste 
sich  mit  Pelopee  verheirate.  Dieser  werde  hoffentlich  darauf  eingehen, 
da  er  ebensosehr  Pelopee  liebe,  wie  er  von  ihr  geliebt  werde.  Weil 
PSlop^e  schweigt,  glaubt  sich  ^Egiste  von  ihr  und  Thyeste  verraten  und 
erklärt  ihr  (7.  Sz.),  er  wolle  seinen  Rivalen  töten.  Pelopee  kann  aller- 
dings ihre  Liebe  zu  Thyeste  nicht  verleugnen. 

IV.  Akt. 

.£giste  bleibt  bei  seinem  Vorhaben,  den  Thyeste  zu  ermorden  oder 
selbst  zu  sterben;  er  will  seinen  Rivalen  unter  der  Begleitung  von  za- 


—    115    — 

verläsaigen  Soldaten  anf  freien  FdÜ  setzen  lassen,  um  so  einen  ehrlichen 
Zweikampf  mit  ihm  za  ermöglichen.  Thyeste,  den  der  Jüngling  durch 
Arbate  hat  herbeiholen  lassen,  will  den  .Egiste  (6.  Sz.)  znm  Abfall  von 
4>tree  bewegen,  da  er  ihn  noch  als  seinen  Freund  betrachtet.  Doch 
iEgiste  erklärt  ihm,  er  sei  sein  Feind;  denn  er  kenne  seine  geheime 
Liebe  zu  Pelopee.  Thyeste  leugnet  vergebens.  Da  teilt  ihm  der  Jüngling 
mit,  er  werde  ihn  nach  Sonnenuntergang  ins  Lager  des  Tyndare 
bringen  lassen  und  ihn  dann  zum  Kampfe  herausfordern.  Daraufhin 
bietet  ihm  Thyeste  seine  offene  Brust  zum  Streiche  dar: 

«Frappez!    Voila  mon  cceur!» 
JSgiste  aber  will  ehrlich  siegen. 

£s  zeigt  sich  hier  deutlich,  wie  genau  der  Charakter  des 
jEgiste  dem  des  Plisth^ne  nachgebildet  worden  ist;  denn  wie 
Plisth^ne  auf  die  erste  Aufforderung  des  AtrSe  hin  (I,  4\ 
den  Thyeste  zu  töten,  erklärt: 

Je  serai  son  vainqueur,  et  non  pas  son  bourreau, 
so  will  auch  hier  ^giste  seine  Hand  nicht  durch  einen  Mord 
beflecken,  sondern  einen  rühmlichen  Kampf  wagen. 

7.  Szene.  Sostrate  erscheint  gerade  noch  rechtzeitig.  Kaum  hat 
Thyeste  ihn  erblickt,  so  will  er  ihn  töten,  da  er  in  ihm  den  Mörder 
seines  Sohnes  sieht.  Doch  Sostrate  eröffnet  ihm,  daß  .Egiste  sein  Sohn 
sei,  daß  Atree  hiervon  durch  einen  aufgefangenen  Brief  Kunde  erhalten 
habe  und  JSgiste  ermorden  wolle.  Da  will  .Egiste,  der  auch  erfährt,  daß 
Pelopee  seine  Mutter  ist,  die  falsche  Nachricht  vom  Tode  des  Thyeste 
Ter  breiten  und  auf  diese  Weise  Atree,  ja  selbst  Pelopee  täuschen.  Dann 
wollen  sie  sich  mit  Hilfe  des  Tyndare  gemeinsam  an  Atree  rächen,  der 
^Egiste  zum  Yatermord  zu  yerleiten  beabsichtigte. 

Diese  7.  Szene  ähnelt  der  5.  Szene  des  lY.  Aktes  des 
Atree  et  Thyeste j  wo  auch  Vater  und  Sohn  über  ihr  Verhältnis 
aufgeklärt  werden.  Wie  bei  Cr6billon  Plisthöne,  so  erschrickt 
hier  JSgiste  heftig  über  das  Unheil,  das  ihm  in  seiner  Un- 
wissenheit unmittelbar  bevorstand,  und  so  verabscheut  auch 
hier  ^giste  seine  blutschänderische  Liebe.  Daher  klingen 
denn  auch  die  folgenden  Worte  des  Sostrate  sehr  an  jene 
an,  mit  denen  Plisth^ne  bei  Crebillon  sein(9n  Schrecken  aus- 
drückt : 

Sostr. :  Les  Dieux  le  raenagaient  du  sort  le  plus  f uneste^ 
Seigneur,  le  parricide  ausai  bien  que  Tinceste, 
De  ce  fils  malheureux  devait  fletrir  les  jours. 

8* 


—    116    — 

PUsth,  bei  Cr6b.  (IV,  5): 
Tout  semblait  rSserver,  dans  un  jour  si  funeste, 
Ma  main  au  parricidey  et  mon  coeur  ä  Tinceste. 
Grands  Dieux!  qui  m'^pargnez  tant  d'horrears  en  ce 

jonr. 

.  .  V.  Akt. 

Atree  teilt  der  Pelopee  die  Ermordung  des  Thyeste  mit,  worauf 
die  Unglückliche  in  ihrer  Verzweiflung  das  Geheimnis  ihrer  Ehe  verrat 
Nun  weiß  Atrde,  daß  ^giste  ihr  Kind  ist,  und  droht  ihr,  er  wolle  sie 
mit  diesem  Jünglinge,  der  ihren  Gemahl  getötet  habe,  verheirmten.  In 
der  Abwesenheit  des  Atree  entdeckt  sich  ihr  .Cgiste  als  ihr  Sohn  und 
bringt  ihr  die  Trostesnachricht,  das  Thyeste  noch  am  Leben  sei.  Hierauf 
begibt  er  sich  sofort  auf  den  Kampfplatz,  und  kurz  darauf  bringt  man 
den  Ton  ^Egiste  verwundeten  Atrde  herbei.  Doch  bevor  der  grause 
Felopide  stirbt,  hat  er  noch  die  teuflische  Genugtuung,  dem  Thyeste 
und  der  Pelopee  mitzuteilen,  daß  sie  Vater  und  Tochter  sind. 

Aus  obiger  Vergleichung  geht  hervor,  daß  Pellegrin  sich 
von  Crfibillon's  Ätrie  et  Thyeste  so  stark  hat  beeinflussen 
lassen,  daß  ihm,  wenn  wir  noch  dazu  an  die  dem  Hygin  ent- 
nommenen und  diQm.  ^gyste  86guineau's  und  Pralard's 
entlehnten  Einzelheiten  denken,  von  eigenen  Erdichtungen  nur 
sehr  wenig  übrig  bleibt.  Zur  genauen  Übersicht  wollen  wir 
die  analogen  Szenen  der  Thyestestragödien  von  Crebillon  uod 
Pellegrin  hier  kurz  zusammenstellen: 

Pellegrin  Crebillon 

I,  2  der  Felopie  entspricht  I,  3         des  Atree  et  Thyeste 

I,  ö    „         „  „  1,4/11.6/111,3  „ 

■l-l-i  1-    »»  »»  ?»  AI,  2  ,,  ,. 

II,  3    „  „  ,,  II.  6  „  ,, 

III,  6  „      „  „         m,  5 

I V^»     ■        M  "  J)  I  *  t    ö  „  „ 

Nur  der  V.  Akt  der  Pelopee  ist  frei  vom  Einflüsse  des 
Atree  et  Thyeste, 

Über  die  Charakterschilderung  bei  Pellegrin  ist  folgendes 
zu  sagen. 

jEgiste  erinnert  sehr  stark  an  den  Plisthöne  Crftbillon^s, 
Beide  sind  tapfere  Jünglinge  und  dabei  fearige  Liebhaber. 
Wie  Plisth^ne  beim  ersten  Anblick  die  ThSodamie  in  sein 
Herz  schließt,  so   verliebt  sich  auch  jEgiste  in  P61opee,  als 


—     117     — 

er  sie  zum  ersten  Male  erblickt.  Und  beide  entsetzen  sich 
über  ihre  Leidenschaft,  als  sie  in  ihren  Angebeteten  ihre  so 
nahen  Blutsverwandten  erkennen.  Der  Charakter  des  jEgiste 
hatte  anfangs  eine  nachteilige  Beurteilung  von  seiten  des 
Publikums  erfahren,  da  er  sich  verändert.  Zu  seiner  Becht- 
fertigung  ergriff  Pellegrin  das  Wort  und  setzte  auseinander, 
wie  jener  Jüngling  aufzufassen  und  zu  beurteilen  sei.^) 

Atree  erscheint  bei  Pellegrin  ganz  richtig  in  der  ihm  von 
der  Sage  verliehenen  Grausamkeit.  Bache  ist  sein  ganzes 
Sinnen  und  Trachten;  ja  selbst  angesichts  des  Todes  ist  es 
ihm  noch  eine  Wonne,  seinem  Bruder  durch  die  Enthüllung 
jenes  gräßlichen  Geheimnisses  den  bittersten  Seelenschmerz 
bereiten  zu  können. 

Thyeste  erinnert  durch  den  hartnäckigen  Krieg,  den  er 
mit  Atr§e  führt,  nicht  wenig  an  den  Thyeste  Crfebillon's. 
Aber  durch  den  Verrat,  den  er  an  seinem  Bundesgenossen 
Tyndare  übt,  und  durch  jene  kleinmütigen  Worte,  mit  denen 
er  den  JEgiste  auffordert,  ihn  zu  töten,  weicht  er  von  dem 
Charakter  seines  Vorbildes  bei  Cr6billon  ab,  das  seinen  Stolz, 
sein  Selbstbewußtsein  und  sein  stark  ausgeprägtes  Ehrgefühl 
selbst  im  Unglücke  bewahrt. 

P61opee  wird  uns  als  das  treue,  liebende  Weib  des 
Thyeste  geschildert  Im  Lager  des  Atr6e  windet  sie  sich 
sehr  gut  durch  die  ihr  in  den  Weg  tretenden  Schwierigkeiten 
hindurch,  und  erst,  als  sie  bei  der  Nachricht  vom  Tode  des 
Thyeste  vom  Schmerz  überwältigt  wird,  entfahrt  das  Geheimnis 
ihrer  Brust  Ihre  Liebe  zu  Thyeste  geht  am  besten  aus  der 
2.  Szene  des  V.  Aktes  hervor,  wo  sie  schwört,  daß  sie  lieber 
sterben  und  sich  im  Tode  mit  ihrem  Gemahle  vereinigen 
wolle,  als  daß  sie  den  Mörder  ihres  Thyeste  heirate.  Ihn, 
dem  sie  vorher  nicht  gleichgültig  gegenüberstand,  haßt  sie 
jetzt  aus  vollem  Herzen,  da  er  ihr  den  teuersten  aller  Menschen 
geraubt  hat  (V,  4).  Ein  besonders  schöner"  Zug  ist  darin  zu 
erblicken,  daß  sie  ihrem  vermeintlichen  Vater  Atr6e  trotz 
seiner   Grausamkeit    noch   ergeben   ist.     Von   den   schreck- 


*)  Prif.  zur  Pelopee,  p.  12—16.     Die  betr.  Stelle  ist  im  Anhang, 
S.  151  wiedergegeben. 


—    118    — 

liebsten  Qualen  wird  ihr  Herz  gepeinigt,  als  sie  daran  denkt^ 
daß  ihr  Gemahl  und  ihr  Sohn  gegen  ihren  Vater  kämpfen. 
In  ihrem  Schmerze  ruft  sie  aus: 

Que  n'a-t-on  yu  perir  le  jour  oü  je  suis  n6e, 
Mon  fils  ote  la  vie  k  qui  me  Ta  donnfie.    (V,  8.) 

An  dem  Stücke  ist  noch  besonders  hervorzuheben,  daß 
die  Handlung  nie  stockt  und  nicht  durch  viele  oder  lange 
Monologe  verzögert  i^ird;  iu  geschickter  Weise  ist  sie  an 
einen  Ort  und  auf  einen  Tag  zusammengedrängt.  Auch  die 
Einheit  der  Handlung  ist  durchweg  gewahrt. 

Über  den  inneren  Wert  der  Tragödie  als  dichterisches 
Erzeugnis  sind  die  Meinungen  geteilt.  Über  den  Verfasser 
und  sein  Werk  hat  man  sich  weidlich  lustig  gemacht.^)  Es 
hat  aber  auch  nicht  an  Stimmen  gefehlt,  die  in  der  Pelopee 
das  beste  Stück  des  Abb6  Pellegrin  erblicken  ^)  und  die  be- 
haupten, daß  dem  Dichter  dieses  Drama  erst  einen  Platz  auf 
dem  französischen  Parnaß  gesichert  habe.^) 

Unseres  Erachtens  hat  Pellegrin  mit  dieser  Thyestes- 
tragödie  ein  nicht  zu  unterschätzendes  Stück  geschaffen ;  denn 
er  hat  jenen,  allem  menschlichen  Gefühl  zuwiderlaufenden 
Stoff  in  sehr  dezenter  Form  auf  die  Bühne  gebracht.  Ja  — 
zum  Lobe  des  Dichters  sei  es  gesagt!  —  in  der  Pelojyee  sind 
die  Greuel  der  Fabel  mehr  gemildert  als  in  irgend  einem  der 


*)  Vgl.  z.  B,  die  Anecd.  dramat  II,  45:  tL'Abbe  Peüegrin,  se  pro- 
tnenant  au  Luxembourg  avec  im  dt  ses  amiSf  vit  devant  lui  une  feuüU 
de  papier  qui  contenait  un  modele  d'icriture,  mt  Uquel  il  n'y  amit  qtte 
des  PF.  L^ami  ramassa  cette  feuUUj  et  dit  ä  Vdbbi:  Devinez  ce  que  veuknt 
dire  toutes  ce8  lettre»?  *Ce8tj  ripondit  VAbM^  la  legen  qu\in  M(ntt*e  ä 
^crire  a  donnie  ä  son  Eleve,  et  que  le  vent  a  fait  voler  ä  nas  pieds,' 
tiVoua  vous  trompez,  dit  son  ami:  Voici  le  sens  de^  cette  hngue  abrhnation. 
Tous  ces  P  sig7iifient:  Pilopie,  Piece  Pitoyable,  Par  Pellegrin^  Poett, 
Pauvre  Pretre  Praveni'aly>  Auch  die  Ann,  dram.  VII,  273/74  und 
Jacob,  Bibl.  dramat  11,  öS,  erwähnen  diesen  Scherz.  Letzterer  dehnt 
das  Wortspiel  noch  breiter  ans,  indem  er  sagt:  ^Pilopie  ou  Polydore^ 
püce  plate  par  Paticrace  Pellegrin ,  pauwe  pretre,  pitoyable  poete,  puant 
provengaL* 

•)  Leri8,  Dkt,  port.,  p.  256;  Mouhy,  TabL  p.  179  u.  Abr.  L364 
n.  Michaud,  Biogi\  miiv.  XXXII,  393/94. 

»)  Anecd.  dramat.  III,  386  u.  Ann.  dramat.  VII.  27a 


—     119     — 

bisher  besprochenen  Atreusdramen.  Es  ist  ferner  an  der 
Tragödie  hervorzuheben,  daß  die  Verwicklang  der  Handlung 
sehr  interessant  ist,  und  daß  der  ziemlich  verwirrte  Knoten 
der  Intrigue  von  Pellegrin  mit  großer  Kunst  gelöst  wird. 
Wir  sind  deshalb  geneigt,  der  Versicherung  des  Dichters 
daß  seine  Tragödie  sich  einer  günstigen  Aufnahme  erfreute  *), 
vollen  Glauben  zu  schenken. 

5.   Die  lyrische  Tragödie  Aträe. 

Diese  fün  faktige  Tragödie  lyrique,  deren  Datum  und  Autor 
nicht  zu  ermitteln  sind,  wird  uns  nicht  lange  beschäftigen,  da 
sie  eigentlich  nichts  anderes  ist,  als  eine  Umarbeitung  des 
Crgbillon'schen  Stückes.  Sehen  wir  uns  nur  den  Inhalt  dieses 
lyrischen  Dramas  kurz  an!  Es  spielt,  abgesehen  von  einem 
Prologe,  dessen  Schauplatz  Athen  ist,  auf  der  Insel  Euböa, 
jedoch  an  verschiedenen  Orten,  so  zum  großen  Teil  auch  in 
der  Hauptstadt  Chalcys. 

Thieste  hat  seinem  Bruder  die  Erope  am  Hochzeitstage  geraubt 
Atree  aber  hat  seine  Gemahlin  wieder  in  seine  Gewalt  gebracht,  aus 
Eifersucht  getötet  und  ihren  —  von  Thieste  erzeugten  —  Sohn  heimlich 
erzogen,  um  ihn  eines  Tages  zur  Ermordung  seines  Vaters  zu  verleiten. 
Der  Sohn  des  Thieste,  Iphis  mit  Namen,  hält  sich  für  einen  Prince  de 
Gr^te.  Eine  Prinzessin  von  Greta  hatte  nämlich  seinerzeit  am  Hofe 
des  Atree  gegen  einen  Tyrannen  Schutz  gefunden  und  ein  Kind  ge- 
boren, das  bald  starb,  und  an  dessen  Stelle  Atrde  den  Sohn  des  Thieste 
unterschob.  Iphis  ist  in  heißer  Liebe  zu  Erixdne,  der  Tochter  des  Atree, 
entbrannt 

Thieste  wi\\  gerade  mit  seiner  Kriegsflotte  auf  Euböa  landen,  als 
ein  wütender  Sturm  losbricht  und  seine  Schiffe  mit  der  Besatzung  in 
die  Tiefe  des  Meeres  vergräbt.  Thieste  allein  rettet  sich  auf  das  Land. 
Vor  Ermattung  versinkt  er  in  einen  tiefen  Schlaf.  Es  träumt  ihm,  sein  um 
Hilfe  schreiender  Sohn  Iphis  werde  von  Atree  hingemordet,  obwohl  sich 
der  Schatten  der  Erope  zwischen  den  unglücklichen  Jüngling  und  seinen 
Peiniger  wirft  Bei  seinem  Erwachen  sieht  Thieste  den  Atrde  vor  sich, 
der  ihn  erkennt  und  gefangen  abführen  läßt  Atree  verlangt  von  Iphis 
die  Ermordung  des  Thieste  und  stellt  ihm  als  Preis  dieser  Tat  die  Hand 
der  Erix^ne  in  Aussicht.  Des  Königs  Gardenoffizier  Alcimedon  bewaffnet 
den  Jüngling  mit  einem  für  jene  Bluttat  bestimmten  Dolche.  Doch  ein 
unüberwindliches  inneres  Gefühl  —  die  Stimme  der  Natur  —  hält  den 


*)  Beginn  der  Freface  zur  FHopee. 


— ^    120    — 

Iphis  davoD  zurück,  an  das  Leben  de«  Thieate  Hand  ansnkgOD,  so  f^trm 
er  sich  auch  die  ihm  versprocliene  Jungfrau  gewinnen  möchte.  £rboil 
über  die  Weigerung  des  Iphis  heuchelt  Atree  Yersöhnung  seinem  Bruder 
gegenüber,  enthüllt  ihm  das  Geheimnis,  daß  Iphis  sein  Sohn  sei,  und 
lädt  ihn  zum  Versohnangstrunke  aus  dem  Tantalidenkelohe  und  zum 
Hochzeitsfeste  des  Iphis  und  der  £nxtoe  ein.  ThiMte  läßt  sich  über- 
listen. Als  ihm  die  coupe  saoree  von  Alcimedon  angeboten  wird,  merkt 
er  unter  dem  Bollen  des  Donners,  daß  sie  das  Blut  seines  Sohnes  ent- 
hält, und  bereitet  seinem  unglücklichen  Leben  ein  jähes  Ende.  Der 
freyelhafte  Atree  wird  vom  Blitze  erschlagen. 

Obige  InhaltsaDgabe  wird  wohl  genügen,  am  zu  beweisen, 
wie  genau  der  Verfasser  dieser  Tragidie  lyrique  dem  Drama 
Cr6billon's  gefolgt  ist.  Nur  in  unwesentlichen  Einzelheiten  weicht 
die  Fabel  ?on  dem  Atree  et  Thyeste  des  letzteren  ab.  Während 
bei  Cr^billon  ThSodamie  den  Thyeste  zum  Vater  hat,  ist 
Snx^ne  hier  die  Tochter  des  Atr6e.  Femer  geben  in  der 
Dragidie  lyrique  die  beiden  Halbgeschwister  ihre  Liebe  zu- 
eiaander  nicht  auf,  sondern  wollen  sich  ehelich  Ferbinden. 
Daß  diese  beiden  Züge  mit  dem  Thyestes  Growne's  überein« 
stimmen,  wird  wohl  sicherlich  Zofall  sein.  Zu  erwähnen  ist 
ferner  noch,  daß  in  der  lyrischen  Tragödie  Atr6e  zum  Unter- 
schiede von  Cr6billon  vom  Blitze  getroffen  wird. 

Ganz  bestimmt  hat  der  Verfasser  des  Ätrie  der  Pik/j^t 
Pellegrin's  den  Zug  entlehnt,  daß  Atr6e  dem  Iphis  die  Hand 
seiner  Greliebten  als  Preis  für  die  Ermordung  des  Thieste 
verspricht.  Man  vergleiche  nur  die  Ähnlichkeit  folgender 
Verse : 

Iphis  in  der  Trag.  lyr.  III,  2: 

faut*il  que  la  main  d'Erix^ne 
Paye  le  priz  du  crime  et  non  de  la  vertu! 

P61op6e  bei  Pellegrin  (II,  2)  zu  ^giste: 

Seigneur,  un  c<Bur  si  magnanime, 
Voudroit-il  que  ma  main  devint  le  prix  d'un  (»ime; 
Faites  votre  devoir  .  .  . 

Ah!  Seigneur,  croyez que P61op6e... 
l^'est  pas  de  vos  vertus  un  assez  digne  piix. 

Abgesehen  von  diesen  unwesentlichen  Verschiedenheiten, 
ist  die  Fabel  dieser  Tragedie  lyriqiie  ganz  die  Cribillon's,  so 


—     121     — 

daß  TOD  einer  Belfoständigen  Leistung  hier  keine  Bede  sein 
kann.  Wir  brauchen  daher  auf  dieses  Stück  weder  näher 
einzugehen  noch  die  vielen  wörtlichen  Anklänge  an  den  Atrde 
et  Thyesie  zu  zitieren.  Ein  Beispiel  wird  genügen!  Es  ist 
ein  Teil  der  Erkennungsszene  zwischen  Atr6e  und  Thieste: 

Trag.  lyr.  II,  6: 
Atr.  Ce  son  de  voix  rappelle  un  souvenir  funeste  .  .  . 

Ces  traits  .  .  .  qui  malgrS  moy  fönt  frissonner  mon 

coeur  .  .  . 
Ah!  si  je  n'en  doute  plus  ouy,  c'est  lui,  c'est  Thieste, 
Et  je  le  reconnois  ä  ma  juste  fureur. 
Thi.  Moy,  Thieste,  seigneor!  .  .  . 
-Atr.  ouy,  toy-meme,  perfide. 

Atrfie  et  Thyeste  von  Crfib.  11,  5: 
Atr.  Quel  son  de  voix  a  frapp6  mon  oreille!  .  .  . 

Je  ne  me  trompe  point,  j'ai  reconnu  sa  voix; 

Voilä  aes  traits  encor.    Ah!  c'est  lui  que  je  vois  .  .  . 

Je  le  reconnoitrois  seuiemeot  ä  ma  haine  .  .  • 

C'est  Thyeste  lui-m6me  et  je  n'en  donte  plus. 
Thy.  Moiy  Thyeste,  Seigneur! 
Atr.  Oui,  toi-mSme,  perfide! 

Der  Verfasser  hätte  seinem  Stücke  keinen  besseren  Titel 
geben  können  als  VAiree  et  Thyeste  de  Crebillon,  sous  forme 
(Uune  tragedie  lyrique.  Die  Umarbeitung  in  eine  lyrische  Tra- 
gödie ist  nicht  gerade  schlecht  gelungen,  obwohl  sich  dieser 
grauenhafte  Stoff  an  und  für  sich  für  ein  Musikstück  schwer- 
lich eignen  dürfte  und  jedenfalls  auch  deshalb  nicht  in  Musik 
gesetzt  worden  ist.  Echt  lyrischen  Charakter  tragen  darin 
die  Liebesszenen  zwischen  Erixdne  und  Iphis  (I,  2  u.  Y,  1), 
der  Meeresstnrm  und  die  Landung  des  Thieste,  dessen  Traum 
(II,  1 — 6)  und  der  Tanz  der  Furien  vor  Atree  in  einem  ge- 
weihten Walde  (IV.  Akt).  D'Alembert  ist  voll  von  Be- 
geisterung für  die  Schlußszene,  wo  Atr£e  stirbt  mit  den 
Worten:  <Tonnez,  Dieux  impuissans^  frappex,  je  suis  vengL* 
D'Alembert  bemerkt  hierzu:  tCktte  sütiation  vraiment  ihediraley 
secondee  par  nne   musique  effrayante,   ent  produit,   ce  me  semblf, 


—     122     — 

un  des  plus  heureux  denouements  qn^on  puisse  imaginer  au  tlteJüre 
lyrHque,*  ^) 

6.  Die  Pßlopides  von  Voltaire  (1772). 

Bei  der  folgenden  Untersuchung  werden  wir  den  Text 
zugrunde  legen,  den  die  Ausgabe  der  Pilopides  von  1877  auf- 
weist.^) Dieselbe  gibt  auch  die  Varianten  an,  auf  die  wir 
aber  nur  dann  Bezug  nehmen,  wenn  sie  von  Interesse  fiir 
die  Quellenfrage  der  Tragödie  sind.') 

I.  Akt. 

Ort  der  Handlaog  ist  während  des  ganzen  Stückes  der  Vorhof  des 
Tempels  zu  Ars^os. 

1.  Szene.  Hippodamie  beklagt  sich  bei  Pollmon,  dem  ehemaÜgen 
Erzieher  von  Atr4e  und  Thyeste,  über  das  ihrem  Leben  zusetzende  Leid, 
das  ihre  Söhne  durch  gegenseitigen  Haß  über  sie  gebracht  haben. 

Wie  sich  hier  die  Mutter  über  die  Feindseligkeit  ihrer 
Söhne  bei  Pol6mon  wehmutsvoll  ausspricht,  so  drückt  auch 
in  der  1.  Szene  des  I.  Aktes  der  Thebdide  von  Racine  Jo* 
caste  vor  ihrem  Vertrauten  ihren  Schmerz  über  ihre  sich  be- 
kriegenden Söhne  aus.  Ob  Voltaire  hierin  das  Racine'sche 
Stück  hat  nachahmen  wollen,  läßt  sich  wohl  schwerlich  fest- 
stellen. 

Polemon  sucht  der  Hippodamie  Trost  einzusprechen  mit  dem  Hin- 
weise darauf,  daß  die  feindlichen  Brüder  sich  schließUch  wieder  rer- 


>)  (Ehivres  philos.  V,  329. 

*)  Voltaire  hat  sein  Stück  einige  Male  umgearbeitet.  Dies  ist  auch 
der  Grund,  weshalb  wir  nicht  wie  bisher  zuerst  eine  kurze  Inhalts- 
angabe der  Tragödie  geben. 

•)  In  der  Frage,  ob  denn  Voltaire  bei  der  Bearbeitung  dieses 
Stoffes  selbständig  zu  Werke  gegangen  ist  oder  sich  an  frühere  Dramen 
angelehnt  hat,  scheint  man  bisher  gar  nicht  tiefer  eingedrungen  zu  sein. 
Ich  habe  nur  drei  Aussagen  gefunden,  die  sich  hierauf  beziehen.  Die 
AnnaUs  dramatiqueSj  VIII,  274,  meinen:  ^Cest  rinimitU  d'Atrie  et  de 
Thytste,  qui  en  a  foumi  le  fond,*  Frdron,  Annie  litt,  1772  II,  8,  sagt: 
«Le  Premier  Acte  ressemble  aux  Freres  Ennemis,»  Sehr  irrig  werden 
wir  im  Avertissemetit  zur  Ausgabe  des  Jahres  1877  belehrt,  wo  es 
heißt:  •Le  sujei  de  cette  tragidie  est  dans  la  quatre-rnngt-huitUme  fable 
d'Hygin.» 


—     123    ^ 

sölmen  würden,  und  daß  die  des  Krieges  überdrÜMigen  Archonten  im 
Sinne  hätten,  die  beiden  Peiopiden  zum  Frieden  zu  zwingen.  Aber  die 
Koniginmntter  bezweifelt,  daß  Atree  und  Thyeste  sich  ao  leicht  wieder 
miteinander  aussöhnen,  da  Thyeste  die  Erope  sofort  nach  ihrer  Ver> 
xnählung  mit  Atree  vom  Traualtare  weg  entführt  habe. 

Es  ist  dies  eine  Nachahmung  CrShillon's,  in  dessen  Atree 
et  Thyeste  ^rope  ebenfalls  von  Thyeste  sofort  nach  ihrer 
Trauung  mit  Atree  vom  Altare  weg  geraubt  wird. 

Daher  habe  sie,  die  Mutter  dieser  entzweiten  Brüder,  sich  in  den 
Tempel  zurückgezogen,  um  den  Best  ihrer  kummerrollen  Tage  im  Gebete 
für  ihre  von  Schuld  beladenen  Söhne  zu  verbringen.  Folemon  sucht  sie 
mit  dem  Gedanken  zu  beruhigen,  daß  ihr  der  Tempel  sicheren  Schutz 
gewähre;  denn  ihre  beiden  Söhne  hätten  geschworen,  dieses  Heiligtum 
nicht  zu  entweihen.') 

Ihr  zum  Tröste  fügt  Folemon  hinzu,  daß  der  Senat  eine  Teilung 
des  Reiches  beabsichtige  und  zwar  so,  daß  die  beiden  Brüder  getrennt 
regieren  könnten;  Atree  solle  in  Argos,  Thyeste  aber  in  Mykena 
herrschen;  Erope  werde  noch  heute  ihrem  rechtmäßigen  Gemahle  zurück- 
gegeben werden ;  auf  diese  Weise  hoffe  man,  dem  schon  seit  einem  Jahre 
wütenden  Kriege  ein  schnelles  Ende  bereiten  zu  können.^ 

Hippodamie  will  sich  der  HofEhung  auf  eine  bessere  Zukunft  nicht 
verschließen;  sie  hat  genug  Trauriges  erlebt  und  fürchtet,  daß  ihr  ganzes 
Haus  von  vornherein  zur  Schlechtigkeit  geboren  sei: 
C'est  le  sort  de  mon  sang  .  •  . 


II  est  donc  en  naissant  des  races  condamnees, 
Par  un  triste  ascendant  vers  le  crime  entrainees, 
Que  formdrent  des  dieux  les  decrets  eternels 
Pour  etre  en  epouvante  aux  malheureux  mortels! 
La  maison  de  Tantale  eut  ce  noir  caractöre: 
II  s'etendit  sur  moi. 

Diese    Verse   sind   sicherlich   unter   dem   Einflüsse   des 
Seneca'schen  Gedankens : 
y.  313/14  Ne  mali  fiant  times  ? 

Nascuntur 
niedergeschriebeD. 


*)  Eigentümlicherweise  gilt  auch  in  Weiße's  Stück  (IV,  2)  der 
Tempel  als  ein  unverletzliches  Heiligtum,  in  das  sich  Thyestes  flüchten 
kann,  um  vor  Atreus  sicher  zu  sein. 

•)  In  Weiße's  Tragödie  (III,  3)  ist  von  einer  ganz  ähnlichen  Teilung 
des  Reiches  die  Rede. 


—     124    — 

FolemOD,  der  den  Thyeste  zwar  för  schuldiger,  aber  auch  för  i 
giebiger  als  den  Atr^e  hält,  will  jetzt  gleich  zum  Senate  eilen,  um  die 
Lösung  des  Zwistes  zu  beschleunigen.  Als  sieh  nun  Pol^mon  entfernt 
hat,  und  Hippodamie  (2.  Sz.)  im  Geiste  zu  ihren  Söhnen  fleht,  aie  modiCea 
doch  wenigstens  die  letzten  Tage  ihres  Lebens  versfißen,  da  tritt  (3. 8e.) 
Erope,  in  Tränen  aufgelöst,  mit  ihrer  Amme  M6gare  in  den  Vorhof  des 
Tempels  ein  und  befiehlt  ihrer  Begleiterin  heimlich,  ihr  kleines  Kind 
in  den  unterirdischen  Gewölben  des  Tempels  zu  verbergen.  Hippo- 
damie ist  nicht  wenig  erstaunt  über  das  so  plötzliche  £ncheiiien  der 
Erope.  Letztere  bittet  sie,  ihr  doch  dieses  einzige  Asyl  zn  gönnen. 
Die  Königinmntter  kann  ihr  das  Mitleid  nicht  yersagen,  wenn  sie  anck 
als  die  Ursache  des  Bruderzwistes  das  Unglück  heranfbeschworen  hat. 
Die  Gemahlin  des  Pelops  fragt  Erope,  ob  sie  sich  ihren  Befehlen  Ingen 
WjoUe.  Die  Unglückliche  erklärt  ihr^  daß  sie  ihr  dieselbe  Yerehmng 
zollen  und  denselben  Gehorsam  leisten  werde  wie  einer  üntter,  und 
bedauert,  daß  sie  an  jenem  Tage  nicht  gestorben  sei,  an  dem  Thyeste 
sie  geraubt  habe.  Hippodamie  klagt  darüber,  daß  trotz  des  Trostes, 
den  Pol6mon  ihr  einzusprechen  bemüht  sei,  ihr  Herz  immer  noch  Ton 
jenen  blutigen  Schreckensbildern,  die  sogar  während  des  Tagee  in  ihrer 
Phantasie  aufstiegen,  und  von  ihren  gräßlichen  nächtlichen  Traumen  ge- 
ängstigt werde. 

Die  SchildeniDg  des  Traumes  ist  ohne  Zweifel  der  Er- 
zählung des  Traumes  in  Cr6billon's  AMe  ei  Thye$te  (II,  t) 
nachgebildet.    Hippodamie  erzählt: 

Je  crains  ^gajqment  la  nuit  .et  .la  lumiere. 


Tont  präsente  ä  mes  yeux  les  sanglantes  Images 

De  mes  malheurs  passes  et  des  plus  noirs  prteages . . . 

D'Onomaüs  mon  p^re  on  d6chire  le  flaue. 

Le  glaive  est  sur  ma  tete;  ou  m'abreuve  de  sang; 

Je  vois  les  noirs  d6tours  de  la  rive  infernale, 

L'ex6crable  festin  que  prSpara  Tantale. 

Man  vergleiche  hiermit  die  Traumschilderung  des  Thyesle 
bei  Cr6billon  (II,  2): 

Les  songes  de  la  nuit 
Ne  se  dissipent  poiut  par  le  jour  qui  les  suit 
Malgr§  ma  fermete,  d'iDfortun6s  prSsages 
Asservissent  mon  äme  ä  ces  vaines  images; 

Prds  de  ces  noirs  d^tours,  que  la  rive  infernale 


—    125    — 
Forme  h  replis  dirers  dans  cette  Isle  fatale^ 

Le  cruel,  d'une  main,  semblait  m^ouvrir  le  flanc. 

Et  de  Tautre,  k  longa  traits,  m'abreuyer  de  mou  sang. 

Darauf  meint  Erope,  ein  noch  yiel  schlimmeres  Los  yerbittere  ihr 
das  Leben;  denn  sie  (£rope)  habe  ihr  Leid  selber  verursacht,  während 
sie  (Hippodamie)  doch  schuldlos  sei.  Da  stürzt  plötzlich  (4.  Sz.)  Megäre 
herbei  mit  der  Meldung,  dal{  die  feindlichen  Brüder  aufs  neue  mit- 
einander im  Kampfe  stünden.  Kaum  hat  £rope  diese  Nachricht  ver- 
nommen, so  fordert  sie  Hippodamie  auf,  sich  mit  ihr  den  Streitenden 
zu  zeigen.  Erope  glaubt  nämlich,  sie  werde  dabei  als  Opfer  fallen  und 
80  dem  Zwiste  ein  £nde  bereiten. 

Diese  4.  Szene  bat  Ähnlichkeit  mit  der  2.  Szene  des 
L  Aktes  der  Thehaide  von  Racine,  wo  sich  auch  Mutter  und 
Tochter  (bei  Voltaire  sind  es  allerdings  Schwiegermutter  und 
Schwiegertochter)  den  sich  bekriegenden  Brüdern  zeigen 
wollen^  um  ihre  Wut  zu  zügeln. 

II.  Akt. 

Hippodamie  und  £rope  werden  in  der  1.  Szene  am  Verlassen  des 
Tempels  durch  Polemon  gehindert,  der  ihnen  die  Nachricht  bringt,  dafi 
soeben  ein  Zweikampf  zwischen  Atree  und  Thyeste  stattgefunden  hsbe, 
daß  jedoch  der  Frieden  schon  wiederhergestellt  sei. 

Am  Anfang  des  Auftrittes  sagt  Polemon: 
Les  forfaits  ont  leur  terme  .  .  .; 
hier  schimmert  natürlich^  wenn  auch  schwach^  der  Seneca'scbe 
Gedanke  durch: 

T.  1052  Sceleri  modus  debetur  ubi  facias  scelus. 
Femer  meint  Polemon  ron  Atr§e  et  Thyeste: 
Le  sang  et  la  nature  .  .  . 
A  leurs  ca^urs  amoUis  parleront  de  plus  pres. 

Ahnlich  drückt  sich  auch  bei  Seneca  der  Chor  am  Ende 
des  III.  Aktes  aus: 
V.  549 flf.  nuUa  vis  maior  pietate  vera  est: 
iurgia  externis  inimica  durant, 
quos  araor  verus  tenuit,  tenebit. 
Seneca  nüeint  an  jener  Stelle   mit  pietas   vera   und  amor 
vei-us  auch  nichts  anderes  als  le  sang  et  la  7iature. 


—    126    — 

Nachdem  sich  Erope  zariickgezogen  hat,  bittet  Pol^mon  (2.  Sz.) 
den  inzwischen  eingetretenen  Thyeste,  die  Erope  seinem  Bruder  nicht 
länger  zu  verweigern  und  so  die  endgültige  VersÖhnuDg  herbeizufohreo. 
Da  enthüllt  Thyeste  das  Geheimnis,  daß  er  Erope  schon  vor  ihrer  Ter- 
mähluDg  mit  Atr6e  geliebt,  daß  also  sein  Bruder  sie  ihm  geraubt  habe: 

Je  vous  dirai  pourtant  qn^avant  Thymen  fatal 

Que  dans  ces  lieux  sacrSs  c§ldbra  mon  rival 

J'aimais,  j'idolätrais  la  ülle  d^Eurysthle. 


Qu'enün  ce  fat  ä  moi  qu^on  osa  la  ravir; 
Que  si  le  d^sespoir  fut  jamais  ezcusable  . .  .^) 
Hippodamie,  die  diese  Entschuldigung  nicht  gelten  läßt,  will  noch 
am  selben  Tage  die  Erope  ihrem  rechtmäßigen  Gemahle  zuführeD.  lo 
der  3.  Szene  ist  Thyeste  allein;  er  dnickt  seinen  tiefgefühlten  Schmerz 
über  den  Verlust  der  Erope  und  über  deren  hartes  Los  aus  und  denkt 
an  eine  Erneuerung  des  Krieges  gegen  Atree,  um  diesem  auf  keinen 
Fall  die  Erope  zu  überlassen.  In  dieser  Stimmung  wird  er  von  Megäre 
überrascht  (4.  Sz.),  die  ihm  mitteilt,  daß  sein  kleiner  Sohn  in  einer  Gmlt 
des  Tempels  wohl  geborgen  sei.  In  der  5.  Szene  macht  Erope  dem 
Thyeste  Vorwürfe  darüber,  daß  er  sie  verfuhrt  und  so  für  immer  an 
sich  gekettet  habe;  denn  sie  erkenne  nur  ihn  als  ihren  Gemahl  an. 
Thyeste  will  lieber  sterben,  als  die  Erope  sich  rauben  lassen.  Und  ab 
gleich  darauf  (6.  Sz.)  Polemon  meldet,  daß  Atr^e  im  Tempel  mit  seinem 
Bruder  sich  aussöhnen  wolle,  wenn  dieser  ihm  die  Erope  herausgäbe, 
da  weigert  sich  Thyeste  entschieden,  auf  seine  Geliebte  zu  verzichten, 
und  sollte  es  ihn  das  Leben  kosten.  In  der  7.  Szene  vertraut  Erope 
dem  Thyeste  ihren  Entschluß  an,  den  Rest  ihrer  Tage  im  Heiligtum  zn 
verbringen,  um  der  unheilvollen  Liebe  und  dem  wütenden  Atr6e  zu 
entgehen.  Doch  der  Pelopide  zeigt  sich  keineswegs  mit  ihrem  Plane 
einverstanden. 

IIL  'Akt. 

Hippodamie  drückt  dem  Atree  gegenüber  ihre  Freude  darüber 
aus,  daß  jetzt  endlich  zwischen  ihren  Söhnen  Frieden  herrsche.  Obwohl 
nun  Thyeste  Versöhnung  gelobt  und  seinen  Bruder  umarmt  hat,  traot 
ihm  dieser  doch  nicht.  Auch  kommt  es  Atr6e  sehr  verdächtig  vor,  daü 
seine  Mutter  ihm  die  Erope  noch  nicht  zugeführt  habe.  Hippodamie 
sucht  ihn  damit  zu  trösten,  daß  seine  Gemahlin  noch  unter  den  Priest«- 
rinnen  weile.  Als  Atrde  ihr  vorwirft,  Thyeste  sei  ihr  teurer  als  er,  da 
fühlt  sie  sich  im  Innersten  verletzt  als  Mutter,  zeiht  ihn  der  undankbar- 


»)  Ähnlich  drückt  sich   bei   Weiße  {Atr.  u.  Thy,  II,  4)  Thyeste 
seinem  Bruder  gegenüber  aus: 

„Sie  [^rope]  war  schon  mein,  eh  du  durch  Zwang 
Sie  in  die  Bande  schlugst,  die  ich  zerriß  .  .  ,^ 


—     127    — 

keit  und  entfernt  sich.  Atree  befiehlt  hierauf  (2.  Sz.)  dem  Volke,  sich 
zurückzuziehen,  und  klagt  bei  Pol^mon  über  seine  Unzufriedenheit.  Als 
auch  dieser  sein  Benehmen  der  fiippodamie  gegenüber  tadelt,  erinnert 
Atr^e  seinen  ehemaligen  Lehrer  daran,  daß  er  nicht  wie  früher  vor 
seinem  Schüler,  sondern  vor  seinem  König  stehe«  Da  £rope  immer  noch 
nicht  erscheint,  wird  Atree  ungeduldig  (4.  Sz.)  und  gibt  schließlich  den 
ernsten  Befehl,  sie  solle  ohne  alle  Verstellung  vor  ihn  hintreten. 

IV.  Akt. 

Thyeste  teilt  der  Erope  mit,  daß  er  sie  auf  keinen  Fall  den  Händen 
des  Atree  überlassen,  sondern  den  Krieg  erneuern  und  entweder  sterben 
oder  sie  für  immer  gewinnen  wolle.  Erope  weigert  sich,  dem  Atr^e  als 
Weib  übergeben  zu  werden,  und  erklärt  dem  Thyeste,  daß  sie  sich  vom 
Himmel  dazu  verdammt  glaube,  ihn  zu  lieben.  In  der  2.  Szene  sind 
Erope  und  Uegare  allein.  Letztere  wundert  sich  darüber,  daß  vor  dem 
Tempel  und  Palaste  Soldaten  aufgestellt  seien.  Erope  klagt  der  Amme 
ihr  großes  Leid :  Sie  fürchtet  sehr,  daß  Atree  ihr  Kind  entdecken  werde. 
In  der  3.  Szene  meldet  Polemon  die  Ankunft  des  Atrde  und  die  Bitte 
der  Hippodamie,  sie  solle  den  Thyeste  sofort  nach  Uykenä  schicken, 
auf  daß  der  Frieden  nicht  gestört  werde.  Megäre  mahnt  ihre  Herrin 
(4.  Sz.),  während  der  Anwesenheit  des  Königs  Vorsicht  walten  zu  lassen; 
Erope  aber  nimmt  sich  trotz  aller  Gefahr,  die  daraus  erwachsen  könnte, 
vor,  ihm  die  volle  Wahrheit  zu  gestehen.  Als  sie  den  Pelopiden  kommen 
sieht,  schrickt  sie  heftig  zusammen. 

5.  Szene.  Den  eintretenden  Atree  befremdet  es  sehr,  daß  Erope 
ihr  Angesicht  von  ihm  abwendet.  Doch  sie  faßt  sich  schnell  ein  Herz 
und  bereitet  ihn  auf  die  Wahrheit  dadurch  vor,  daß  sie  vor  ihm  auf  die 
Kniee  sinkt,  sich  als  Verräterin  ausgibt  und  ihn  auffordert,  sie  zu  töten. 
Atr^e  aber  bittet  sie,  sich  zu  erheben;  er. will  ihr  verzeihen,  wenn  sie 
den  Thyeste  hassen  und  ihm  (dem  Atree)  ein  liebendes  Weib  sein  wolle.') 
Erope  gesteht  nun,  daß  sie  die  Gemahlin  des  Thyeste  ist  und  ein  Kind 
als  Unterpfand  seiner  Liebe  besitzt.  Erstaunt  ist  sie  jedoch  über  die 
Wirkung,  welche  die  Enthüllung  dieses  Geheimnisses  auf  Atr6e  hervor- 
bringt.   Dieser  bewahrt  nämlich  eine  ganz  unerklärliche  äußere  Ruhe, 


')  Dabei  sagt  einmal  Atree: 

Si  ma  juste  vengeance 
De  Thyeste  et  de  vous  eüt  egal^  Poffense, 
Lea  pervers  auraient  vu  comme  je  sais  punir; 
J'aurais  epouvante  les  sifecles  ä  venir. 
Diese  Verse  erinnern  etwas  an  die  folgenden,    die  Atreui  im  la- 
teinischen Original  (II.  Akt)  ausspricht: 
V.  192/93  age,  anime,  fac  quod  nuUa  posteritas  probet, 
sed  nulla  taceat. 


—     128    — 

tagt  ihr,  er  sehe  nun  die  Unerfüllbftrkeit  seines  Waotches,  üe  als  s«n 
Weib  zu  besitzen,  ein ;  er  wolle  sich  in  sein  Schicksal  fügen,  dem  Tbyeste, 
seinem  Bruder,  verzeihen,  fragt  in  liebenswürdigster  Weise  nach  dem 
Aufenthaltsorte  des  Kindes  and  will  es  seinen  Wachen  anvertrauen;  — 
Erope  geht  in  die  Falle. 

Diese  Szene  ist  offenbar  eine  Nachahniong  des  III.  Aktes 
der  Seneca'schen  Tragödie,  wo  Atreus  seinen  Brader  eben- 
falls durch  seine  VerstellungskuDst  übertölpelt;  wie  femer 
dort  Thyestes  schuldbewußt  sich  vor  seinem  Bruder  nieder- 
wirft, dieser  jedoch  ihn  bittet,  sich  zu  erheben,  so  sinkt  auch 
hier  Erope  auf  die  Kniee  nieder;  doch  Atree  duldet  auch 
hier  diese  Demütigung  nicht 

Erope  äußert  den  Wunsch,  sie  wolle  ihr  Sohnlein  mit  sich  nach 
Mykenä  nehmen,  was  ihr  von  Atree  gestattet  wird,  wenngleich  sie  dessen 
gleisnerischen  Worten  nicht  völlig  tränt. 

In  der  6.  Szene  drückt  AtrSe  in  einem  langen  Monologe  seinen 
Zorn  gegen  Thyeste  und  Erope  aus  und  nimmt  sich  vor,  ihr  kleines 
Kiod  zu  ermorden  und  dessen  ßlut  den  Eltern  zu  trinken  zu  geben. 
Bei  diesen  lauten  Wutausbrüchen  wird  er  von  seinem  Offizier  Idas  über- 
rascht, der  ihn  nach  dem  Grunde  seines  Grolles  fragt.  Der  Pelopide  ist 
sofort  mit  der  Ausrede  bereit,  er  sei  ganz  plötzlich  vor  Zorn  über  sein 
Unglück  außer  sich  geraten  und  tadle  selbst  seine  Leidenschaftlichkeit. 

Fr6ron  ^)  stellt  diesen  laugen  Monolog  jenem  gegenüber, 
den  Atr6e  bei  Cr6billon  spricht,  als  er  seinen  schrecklichen 
BÄcheplan  faßt  (III,  8).  Fr6ron  will  durch  diese  Parallele 
beweisen,  daß  OrSbillon  seinen  Atrte  viel  rachsüchtiger, 
furchtbarer  und  imponierender  geschildert  habe  als  Voltaire. 
Dies  geht  auch  unbestreitbar  aus  dieser  Gegenüberstellong 
hervor.  Trotzdem  kann  Crfebillon  das  Verdienst  hierbei  nicht 
für  sich  in  Anspruch  nehmen,  da  er  gerade  die  ausdrucks- 
vollsten Zeilen  jenes  Monologes  dem  Stücke  Seueca's  ent- 
nommen hat'),  während  Voltaire  nur  eben  insoweit  an  den 
II.  Akt  des  lateinischen  Originals  erinnert,  als  hier  wie  dort 
Atreus  den  Entschluß  faßt,  dem  Thyestes  das  Blut  seines 
Sohnes  (d.  h.  bei  Seneca  kommen  noch  zwei  andere  Söhne 
und   das  Mahl  dazu)   zu   trinken  zu  geben.     Die  Worte  des 


^)  Annee  litt.  1722  IJ,  11  ff. 
«)  Cf.  S.  76/77. 


—    129    — 

Atree  bei  Voltaire  klingen  Dämlich  nur  schwach  an  Seneca 

an.    So  rufen  z.  B.'  die  Worte  des  Atr6e : 

Soleily  qui  Toia  ce  crime  et  tonte  ma  fareur^ 
Tu  ne  verras  bientöt  ces  lieux  qu'a?ec  horreur 

jene  Stellen  des  lateinischen  Originals  ins  Gedächtnis  zurück, 

wo  Yon  der  die  Verbrechen  verabscheuenden  Sonne  die  Rede 

ist;  insbesondere  kommen  dabei  vielleicht  folgende  Verse  in 

Frage: 

IV,  776  ff.  O  Phoebe  patiens,  fugeris  retro  licet 
medioque  ruptum  merseris  caelo  diem, 
sero  occidisti  .  .  . 

IV,  784  ff.  .  .  .  verterit  currus  licet 

sibi  ipse  Titan  obvium  ducens  iter, 
tenebrisque  facinus  obruat  tetrum  novis 
nox  missa  ab  ortu  tempore  alieno  gravis, 
tarnen  videndum  est. 

Ferner  erinnern   die  Worte,   mit  denen  Atree  sich  im 

Geiste  an  das  Kind  wendet: 

U  fait  rentrer  ton  sang,  au  grS  de  ma  furie, 
Dans  le  coupable  sang  qui  t'a  donng  la  vie 

an  die  folgenden  Verse  Seneca's  (v.  890^891»): 

pergam  et  implebo  patrem  Funere  suorum. 

Auch  bei  Voltaire  denkt  Atr6e  an  das  Bankett  des  Tan- 
talus: 

Le  festin  de  Tantale  est  prSpar6  pour  eux. 

Ahnlich  sagt  Atreus  bei  Seneca  (v.  243/43) : 
Tantalum  et  Pelopem  aspice; 
ad  haec  manus  exempla  poscuntur  meae. 

Die  Herausgeber  vom  Jahre  1877  geben  (S.  165)  an^  daß 
in  der  Ausgabe  von  1775  dieser  Monolog  noch  folgende  Verse 
enthielt: 

.  . .  Cessez,  alles  du  Stjx,  troupe  infernale, 
D'^pouvanter  les  yeux  de  mon  aieul  Tantale. 
Sur  Thyeste  et  sur  moi  venez  vous  acharner. 
Paraissez,  dieux  vengeurs,  je  vais  vous  fitonner. 

Mimchener  Beiträge  z.  rom.  u.  engl.  Philologie.    XXXVTI.  9 


—    130    — 

Diese  Worte  klingen  an  den  Ausspruch  des  Thjestes 
bei  Seneca  an,  in  dessen  erstem  Akte  der  Geist  des  Taotalus 
von  der  Furie  getrieben  wird,  den  Atreus  zur  Wut  aufzu- 
stacheln. 

In  allen  anderen  Versen  ^eigt  sich  Voltaire  unabhängig 
Yon  der  lateinischen  Quelle ;  daher  kommt  es  wohl  auch,  daß 
sein  Atree  nicht  so  schrecklich  erscheint  wie  der  Cr6billon's. 
Die  Ausgabe  vom  Jahre  1775  enthielt  noch  eine  7.  Szene  *), 
deren  Inhalt  kurz   folgender  ist:   AtrSe  teilt  dem  Idas  und 
Polemon  mit,  daß  er  den  Frieden  sogar  seiner  Liebe  zu  £rope 
vorziehe,  und   daß  sie  diesen  seinen  Entschluß  dem  Thyeste 
eröfiFnen  könnten.     Auf  die  Frage  des  Atree,  ob  er  denn  für 
Thyeste  fürchte,  antwortet  der  weise  Polemon: 
Oui,  je  crains  pour  tous  deux. 
Seconde-moi,  nature,  eveille-toi  dans  eux. 
Que  de  ton  feu  sacre  quelque  faible  6tincelle 
Kallume  de  ta  cendre  une  flamme  nouvelle. 
Du  bonheur  de  TEtat  sois  Tauguste  lien. 
Nature,  tu  peux  tout,  les  conseils  ne  fönt  rien. 

Hier   bringt  Voltaire    den  Seneca'schen   Gedanken   viel 
markiger  zum  Ausdruck  als  das  erste  Mal.^ 
V.  549  ff.  nuUa  vis  maior  pietate  vera  est : 

iurgia  extemis  inimica  durant, 

quos  amor  verus  tenuit,  tenebit. 

V.  Akt. 

Thyeste  ist  sehr  erfreut  darüber,  daß  Atree  für  immer  seinen  An- 
sprüchen auf  Erope  entsagt  hat.  Diese  aber  drückt  ihren  Zweifel  über 
die  Ehrlichkeit  der  Absichten  des  Atree  aus.  Doch  Thyeste  fühlt  sich 
im  Tempel  vollständig  geborgen,  und  sollte  sein  Bruder  zu  Tätlichkeiten 
schreiten,  dann  würde  ihnen  ja  sofort  von  dem  um  das  Heiligtum  Ter- 
Bammelten  Kriegern  Hilfe  zuteil  werden.  Zu  Thyeste  und  Erope  ge- 
sellen sich  (2.  Sz.)  Hippodamie,  Polemon  und  Megäre.  Die  Mutter  sucht 
jeden  Zweifel  über  ihren  Sohn  Atröe  aus  dem  Herzen  Poldmon's  za 
bannen.  Sie  bringt  die  Kunde,  der  Yersöhnungstrnnk  aus  dem  Tantalos- 
pokale  werde   bald  stattfinden,  und  bittet  den  Thyeste  und  die  £rope. 


')  Cf.  p.  155  (td,  de  1877). 
«)  Siehe  S.  125. 


—     131     — 

das  kleine  Kind  ihr  anzuTertrauen,  wenn  sie  noch  inuner  Argwohn  gegen 
Atree  hegten;  sie  übernimmt  den  Schatz  und  die  volle  Verantwortung 
für  den  jüngsten  Sprößling  des  Tantalidenhauses.  Thyeste  und  seine 
Gemahlin  erklären  sich  mit  diesem  Vorschlage  einverstanden.  Die  in 
Schrecken  geratene  Amme  wird  fortgeschickt,  um  das  £ind  zu  holen. 
Da  kommt  plötzlich  Idas  (3.  Sz.)  mit  der  Meldung,  dali  Atree  selber 
gerade  im  Tempel  opfere,  um  die  Götter  versöhnlich  zu  stimmen.  £r 
lasse  Thyeste  und  die  Königinnen  bitten,  dem  Feste  beizuwohnen.  Thyeste 
ist  zwar  erstaunt  über  die  Heimlichkeit,  mit  der  sein  Bruder  zum  Opfer 
geschritten  ist;  doch  legen  sich  seine  Bedenken  gleich  wieder,  und  er 
spricht  seiner  Gemahlin  Mut  ein.  Sie  wollen  sich  gerade  in  den  Tempel 
begeben,  da  öffnen  sich  dessen  Pforten,  und  man  bringt  den  Pokal  aus 
dem  Heiligtum  heraus  und  stellt  ihn  auf  einen  Tisch.  Atree  naht  eben- 
falls; seine  unruhige  Seele  spiegelt  sich  auf  seinem  Antlitz  wieder. 
Hippodamie  ruft  nach  der  Ankunft  des  Atree  (4.  Sz.)  die  Götter  an  und 
fordert  hierauf  ihre  Söhne  auf,  ihren  Argwohn  für  immer  zu  ersticken 
und  sich  zu  umarmen.  Dann  bittet  sie  den  Polemon,  ihr  den  Pokal  zu 
reichen.  Doch  in  demselben  Augenblicke  stürzt  M§gare  herbei,  gebietet 
Einhalt  und  teilt  der  nichts  Gutes  ahnenden  £rope  mit,  ihr  Kind  sei  ihr 
von  Soldaten  entrissen  worden.  Um  ihren  Sohn  flehend  läuft  Erope  davon 
und  wird  hinter  der  Szene  ermordet.  Thyeste  eilt  ihr  nach,  kann 
aber  die  blutige  Tat  nicht  mehr  verhindern.  Hippodamie  und  Atree 
stehen  sich  noch  einander  gegenüber.  Die  Mutter  nennt  ihren  Sohn 
ein  Scheusal  und  fordert  ihn  auf,  sie  zu  töten.  Unter  dem  Bollen  des 
Donners  hüllt  sich  die  Erde  in  Finsternis.  An  eine  Säule  gelehnt,  macht 
Atree  das  Schicksal  für  seine  Rachetat  verantwortlich  und  erblickt  in 
sich  den  wahren  Nachkommen  des  Tantalus. 

Man  sieht,  wie  selbständig  dabei  Voltaire  zu  Werke  ge- 
gangen ist.  Diese  Schlußszene  erinnert  nur  durch  den  mit 
Blut  gefüllten  Tantalidenpokal,  durch  die  Frage  nach  dem 
Sohne,  durch  den  Donner  und  die  Finsternis  an  das  lateinische 
Original.  Alle  anderen  Einzelheiten  weichen  von  Seneca  ab. 
Bei  Voltaire  sieht  Thyeste  nicht  einmal  das  Blut  in  dem 
Gefäße,  weiß  also  von  der  eigentlichen  Rache  seines  Bruders 
nichts.  Um  das  decorum  möglichst  zu  wahren,  sah  sich 
Voltaire  veranlaßt,  den  Ausgang  seiner  Atreustragödie  in 
dieser  Weise  abzuschwächen. 

Ganz  anders  steht  es  mit  der  ersten  Ausgabe  seiner 
Pilopides^  wo  der  Schluß  vollständig  verschieden  behandelt  ist. 
Dort  schob  Voltaire  noch  eine  4.  Szene  ein^),  deren  Inhalt 
hier  folgen  möge. 


^)  Cf.  p.  156  ff.  {Eil  dt  1S77). 

9* 


—     132    — 

PoMmon  glaubt  nicht  recht  an  die  ehrlichen  Abaicfaten 
des  auf  einmal  so  yersöhnlich  gestimmten  Atrfie^  möchte  auch 
in  Idas  denselben  Verdacht  erwecken  und  ihn  zu  gleicher  Zeit 
abhalten,  einen  angerechten  Befehl  seines  Königs  auszufuhren. 
Idas  aber  sieht  keinen  Grund  ein,  warum  er  dem  Atr6e  miß- 
trauen soU.^) 

Der  Anfang  der  letzten  Szene,  so  wie  sie  zuerst  gedruckt 
war,  ist  der  gleiche  wie  in  der  Ausgabe  von  1877;  nur  der 
Schluß  ist  verschieden.  Als  nämlich  Hippodamie  von  Polemon 
den  Fokal  verlangt,  um  ihn  ihren  Söhnen  zu  reichen,  und 
M6gare  plötzlich  mit  der  Meldung  dazwischenspriogt,  daß 
Soldaten  ihr  das  Kind  entrissen  haben,  da  jammern  ESrope 
und  Thyeste  um  ihren  Sohn,  während  Atr6e  ihnen  mitteilt, 
daß  der  Pokal  das  Blut  ihres  Eondes  enthalte,  womit  er  sie 
habe  tränken  wollen.  Da  verfinstert  sich  mit  einem  Male  die 
Erde,  und  der  Donner  beginnt  zu  rollen.  Thyeste  und  Atr^ 
stürzen  aufeinander  los,  werden  jedoch  von  PolSmon  und  Idas 
entwaffnet.    Zum  Schlüsse  tötet  sich  Thyeste  selbst. 

Wie  man  si6ht,  hat  sich  Voltaire  hier  viel  enger  an 
Seneca  angeschlossen.  Auch  ist  zu  bemerken,  daß  in  dieser 
Szene  der  Wüterich  einmal  zu  Thyeste  sagt: 

Trernble  encor  jylus,  ^>er/w/c,  et  reconnais  Atrce, 

Darin  ist  natürlich  das  bekannte  agnosco  fratrem  Seneca*s 
enthalten,  das  CrSbillon  viel  schöner  und  stärker  wiedergab 
mit  den  Worten: 

Je  reconnais  vion  frere. 
Femer  tötet  sich  hier  Thyeste  wie  bei  Crebillon. 
Der  letzte  Teil  der  Schlußszene  ist  in   der  Stereotyp- 
ausgabe noch  etwas  anders  behandelt.^)    Dort  trinken  nämlich 
Erope  und  Thyeste  tatsächlich  das  Blut  ihres  Kindes;   denn 
Atr§e  spricht  höhnisch: 

Vous  Tavez  bu,  ce  sang,  couple  ingrat,  couple  affreux. 
Je  suis  vengß. 


*)  Die  Stereotypausgabe  (1799—1827)  weist  in  dieser  Ssene  einige 
Abweichungen  auf  (cf.  p.  157  £d.  1877),  deren  Angabe  wir  uns  aber 
hier  ersparen  dürfen,  da  es  keine  Sinnvarianten  sind. 

«)  Cf.  p.  159  (td.  de  1S77). 


—    133    — 

Nach  dieser  schrecklichen  Offenbarung  fallen  die  un- 
glücklichen Eltem  ohnmächtig  zu  Boden,  bleiben  jedoch  am 
LebeD. 

Diese  Fassung  steht  also  Seneca  am  nächsten,  da  hier^ 
dem  lateinischen  Original  entsprechend,  Erope  und  Thyeste 
die  furchtbare  Bache  des  Atrto  yoU  und  ganz  zu  fühlen  be- 
kommen und  nicht  durch  den  Tod  von  ihrem  Jammer  befreit 
werden. 

Aus  dieser  Inhaltsangabe  und  der  damit  Terbundenen 
Quellenuntersuchung  geht  klar  herror,  daB  Voltaire  seinen 
Stoff  selbständiger  behandelt  hat,  als  irgend  einer  der  bisher 
besprochenen  Dramatiker.  Denn  nur  stellenweise  finden  sich 
bei  ihm  schwache  Anklänge  an  die  Thyestestragödien  von 
Seneca  und  Cr^billon.  Selbst  die  Schlußszene  ist,  so 
wie  die  Herausgeber  der  PSlopides  vom  Jahre  1877  «e  über- 
liefe haben,  in  freier,  ja  Tielleicht  in  allzu  freier  Weise 
ausgeführt  worden.  In  der  Stereotypausgabe  hat  Voltaire 
Tor  allem  Seneca  nachgeahmt. 

Hat  nun  Voltaire  mit  den  Pehpides  einen  Sieg  über 
seinen  Rivalen  Crebillcm  errungen?  Dutrait  ferneint  diese 
Frage ^),  Lion  bejaht  sie*),  und  jeder  der  beiden  sucht  den 
Beweis  für  seine  Behauptung  zu  führen.  Dutrait  meint: 
€  Voltaire  a  conipUtement  supprime  ....  Vhorreur  du  sujet;  plus 
de  fesÜHf  pas  tUtvantage  de  eoupe  sanglante;  trois  meurirea  vuU 
gcdres  sans  atteim  rafflnement,  et  eneore  dans  la  couUsse:  on  n'es^ 
pas  plus  dottx,  mohis  sanglanty  plus  ffUnager  des  ämes  sensibles» 
Mais,  ä  suppf'imer  le  denouement  consacri^  ne  supprime^Uim  pasj 
dti  coup,  la  tragidk  ?  Tamlis  que  PAiree  de  CrihHUm  remplü  tont 
le  drame  de  sa  vengeance,  ....  celui  de  VoUaire  est  commun,  banal 
et  sans  energie ;  le  dttwueme^it,  hien  lain  de  fions  faire  frisaormerj 
nofis  laisse  absolument  tranqu>illes,>  Außerdem  weist  Dutrait 
dem  französischen  Dichter  mehrere  stilistische  Fehler  nach. 

Lion  führt  aus,  daß  Voltaire's  Stück  dem  Crfibillon'scben 
in  bezug  auf  die  Handlung  und  Charaktere  vorzuziehen  sei, 
daß  allerdings  der  Stil  Voltaire's  viel  zu  wünschen  übrig  lasse. 


>)  i:tud€,  p.  446  ff. 

*)  Les  Tragedies,  p.  389  ff. 


—     134    — 

Was  die  Charaktere  anlangt,  so  ist  die  Figur  des  Atrfee 
unseres  Eracbtens  von  Cr6bilIon  besser  gezeichnet  als  von 
Voltaire,  während  wir  den  Thyeste  des  letzteren  über  den- 
jenigen Gr6billon's  stellen  und  das  Bild  der  Erope  viel  höher 
einschätzen  als  das  der  Theodamie. 

Der  Atröe  der  P^lopides  erscheint  sowohl  in  seinen  Reden 
als  auch  in  seinen  Handlungen  bei  weitem  nicht  so  rach- 
süchtig, blutgierig  und  unversöhnlich  wie  derjenige  Cr^billon's, 
der  den  Sohn  des  Thjestes  zum  Zwecke  der  Rache  erzieht. 
Bei  Voltaire's  Atr6e  vermissen  wir  auch  jenen  verletzenden 
Hohn  im  Augenblicke  der  Rache,  einen  Zug,  der  vom 
Charakter  jenes  Pelopiden  unzertrennlich  ist. 

Der  Thyeste  Voltaire's  zeigt  sich  mutig  im  E^mpfe  gegen 
Atr6e,  dem  er  unter  keiner  Bedingung  nachgeben  will,  mid 
ist  ohne  den  geringsten  Anflug  von  Reue  über  seinen  Ehe- 
bruch. Diese  Züge  finden  wir  ebenso  beim  Thyeste  Cre- 
billon's.  Aber  dadurch,  daß  Thyeste  in  den  Pelopiden  die 
Erope  schon  vor  ihrer  Vermählung  mitAtrfee  geliebt,  ja  sich 
bereits  als  ihren  Bräutigam  betrachtet  hat  —  war  sie  ihm 
doch  von  ihrer  Mutter  versprochen  worden  — ,  ist  die  Reue- 
losigkeit  des  Thyeste  von  Voltaire  sehr  gut  motiviert;  wir 
fühlen  deshalb  auch  mit  diesem  uDglücklichen  Pelopiden  tiefes 
Mitleid,  während  Cr6billon's  Thyeste  nicht  zu  entschuldigen  ist.^) 

Der  Charakter  der  Erope  wird  von  La  Harpe  sehr  weg- 
werfend beurteilt,  der  da  meint:  c//  n^y  a  .  .  .  md  mUrH  . . . 
pour  Vespeee  (Tamour  qtC^rope  a  pour  un  mari  qu^elle  condamn^ 
sans  cesse,  et  qvi  ne  lui  est  eher  que  jmrce  qu^eUe  voit  en  lui  k 
pere  de  leur  enfant.*  ^)  So  ganz  uninteressant  finden  wir  das 
Bild  der  ^^rope  nicht;  denn  daß  sie  den  Thyeste  stets  und 
ständig  verdammt,  sich  aber  trotzdem  für  immer  zu  ihm  hin- 
gezogen fühlt  als  zu  dem  Vater  ihres  Kindes,  ist  doch  nicht 
so  ganz  banal  aufzufassen ;  im  Gegenteile,  wir  erblicken  hierin 
ein  tiefes  psychologisches  Moment.     Wir  sehen  in  Erope  ein 

^)  Falsch  ist  deshalb  die  Behauptung,  die  La  Harpe  in  seinem 
Cours  de  Litt^ature  X,  430  über  Voltaire's  Thyeste  aufstellt:  «2/  n*ya 
. . .  nul  intiret  pour  Thieste  qxd  est  evidemment  coupabk,  et  qni  Ve$t  Sans 
excuse ...» 

»)  Cours  de  Litt.  X,  430. 


—     135    — 

Weib,  das  seinen  Verführer  zwar  moralisch  yerdammen  muß, 
sich  aber  doch  durch  die  Bande  sinnlicher  Liebe  und  ins- 
besondere durch  ihr  JSand  an  ihn  gekettet  fühlt.  Einen  an- 
deren Mann  als  ihn  verabscheut  sie,  entweder  will  sie  sich  für 
immer  in  den  Tempel  zurückziehen  oder  ihrem  Geliebten  an- 
gehören. Daß  dieser  Charakter  weit  über  das  Bild  der 
Th^odamie  erhaben  ist,  darüber  kann  kein  Zweifel  bestehen.^) 
Ja,  die  Zeichnung  der  Erope  scheint  ims  das  Beste  an  der 
ganzen  Voltaire'schen  Tragödie  zu  sein.*) 

In  bezug  auf  den  Stil  stehen  Cr^billon  und  Voltaire  auf 
gleicher  Stufe.  Denn  wie  bereits  La  Harpe  für  den  Ätre^  et 
Thyeste  und  Dutrait  für  die  Pelopides  nachgewiesen  haben'), 
zeigen  beide  Stücke  eine  ziemlich  vernachlässigte  Sprache. 

Wenn  wir  endlich  noch  den  Gang  der  Handlung  der 
zwei  Tragödien  zum  Vergleiche  heranziehen,  so  müssen  wir 
Crfebillon  den  Vorzug  geben.  Freron  bemerkt  ganz  richtig 
über  das  Voltaire'sche  Drama:  <cCette  iragidie  est  emphyee 
presque  ioute  d  peindre  la  »itimtion  embarrassanie  de  Thiesie  ei 
d^^rape,  et  .  ,  ,  la  vengeance  d^Atree  qui  doit  ctre  le  veritable  sujet, 
rCest  traute  que  sur  la  fin  du  4^  ade  et  daiu  le  caurs  du  5*"'.»*) 
Zu  diesem  treffenden  Urteile  Fr^ron's  haben  wir  noch  als 
Hauptfehler  der  Tragödie  Voltaire's  hinzuzufügen,  daß  AtrSe 
erst  im  III.  Akte  auftritt,  und  daß  so  unsere  Ungeduld,  den 
Wüterich  selbst  kennen  zu  lernen,  aufs  höchste  gespannt 
wird.  Wir  wollen  nicht  nur  aus  dem  Munde  anderer  Per- 
sonen von  der  Grausamkeit  Atree's  höret),  sondern  ihn  selbst 
vor  uns  sehen  und  beobachten,  wie  das  Feuer  aus  seinen 
zornigen  Augen  sprüht.  Crfibillon  verrät  in  dieser  Hinsicht 
ein  feineres  Verständnis  für  dramatische  Technik,  denn  gleich 
in  der  1.  und  2.  Szene  seines  Stückes,  wo  Atr6e  die  unbeug- 


^)  Auch  Li  OD,  Les  Tragedies,  p.  392,  teilt  unsere  Ansicht. 

*)  Im  Gegensatz  zu  Erope  fesselt  der  Charakter  der  flippodamie 
nur  wenig;  denn  daß  sie  als  Mutter  der  Pelopiden  ohne  Unterlaß  über 
ihr  Leid  klagt  und  sich  über  die  scheinbare  Aussöhnung  freut,  bietet 
kein  besonderes  Interesse.  / 

»)  La  Harpe,  Cours  de  Litt.  XI  (F.  1),  41ff.  u.  Dutrait,  i:tude, 
p.  448/49. 

*)  Annee  litt,  n,  9  (1772j. 


—     136    — 

same  Wut,  die  in  ihm  steckt,  in  leidenschaftlichen  Worten 
zum  Ausdruck  bringt,  werden  wir  in  Schrecken  versetzt  und 
auf  ein  kommendes  Unheil  vorbereitet.  Dnrch  die  teilweui 
lahme  Handlung,  insbesondere  durch  die  allzusehr  abge- 
schwächte Schlußszene  war  Yoltaire's  Atreustragödie  viel  zu 
kalt,  zu  monoton,  zu  klassisch;  sie  konnte  deshalb  nicht  nur 
nicht  den  Vorrang  vor  dem  Atr6e  et  Thyegte  seines  Rivalen  ge* 
winnen,  sondern  sollte  auch  nicht  einmal  einer  einzigen  Auf- 
führung für  würdig  erachtet  werden. 

Über  die  Form  des  Voltaire'schen  Stückes  ist  femer  noch 
zu  bemerken,  daß  die  Vertrauten  fehlen,  und  die  Monologe 
viel  seltener  werden.  Wir  haben  deren  nur  drei,  nämlich  je 
einen  im  I.  (2.  Sz.),  U.  (3.  Sz.)  und  IV.  Akte  (6.  8z.).  Aller- 
dings spricht  noch  in  der  Ausgabe  des  Jahres  1775  Hippo- 
damie  in  der  5.  Szene  des  IIL  Aktes  einen  funfEeiligen 
Monolog,^) 

Die  drei  Einheiten  sind  in  den  Pelcpides  natürlich  genau 
eingehalten;  die  Einheit  des  Ortes  ist  in  der  Schlußszene 
geradezu  mit  Gewalt  und  deshalb  allzu  auffallend  gewahrt. 

7.  Der  Tieste  von  Poscolo  (1797). 

Indem  wir  uns  dem  Tieste  Eoscolo's  zuwenden,  geben  wir 
zunächst  eine  Inhaltsangabe  dieser  Tragödie^),  deren  Schau- 
platz ein  königlicher  Saal  im  Palaste  des  Atreo  zu  Argos  ist 

Atreo  hat  die  Erope  Beinexn  Bruder,  der  bereitf  mit  ihr  Tersproehen 
var,  aaf  die  Erlaabnis  ihres  Vaters  hin  entrissen,  geheiratet  and  den 
Tieste  in  die  Verbannung  geschickt.  Einen  Tag  vor  ihrer  gewaltsamen 
Vermählung  war  sie  jedoch  von  Tieste  schwanger  geworden  und  hatte 
einen  Sohn  geboren,  den  Atreo,  der  von  der  Vaterschaft  des  Tieste 
Kunde  hatte,  ihr  entriß  und  die  ganze  Zeit  über  —  es  sind  schon  vier 
Jahre  her  —  im  Gefängnisse  bewahren  ließ. 

Am  heutigen  Tage  hat  die  unglückliche  Erope  —  und  hiermit  sind 
wir  am  Anfange  des  Stückes  —  die  Wächter  bestochen  und  auf  diese 
Weise  ihr  geliebtes  Kind  zurückerhalten.  Aus  Verzweiflang  will  sie  sich 
und  dieses  arme  Geschöpf  töten,  wird  aber  hieran  von  Ippodamia  ge- 
hindert.   Erope  vertraut  dieser  auf  ihr  flehentliches  Bitten  hin  das  teure 


»)  Cf.  p.  153  (id,  de  1877). 

')  Eine  ins  einzelne  gehende  Analyse  dieses  Dramas  ist  nicht  not* 
wendig,  da  dasselbe  zu  wenig  Anklänge  an  andere  Stüdte  aufweist. 


—     137    — 

Kleinod  ao;  doch  die  Oemahlio  des  Pelops  liefert  das  Kiud  ans  Furcht 
Tor  Atreo  wieder  in  den  Kerker  zorüek. 

Gänzlich  unerwartet  erscheint  Tieste  yerkleidet  im  Paläste  vor 
Ippodamia;  es  ist  ihm  die  Mitteilung  geworden,  daß  Atreo  Erope  er- 
mordet hat,  und  diese  Nachricht  hat  ihm  keine  Huhe  gelasssen;  ak  er 
nun  von  seiner  Mutter  hört,  daß  Erope  noch  am  Leben  ist,  da  yerlaogt 
er  mit  heifler  Sehnsucht  nach  seiner  Geliebten.  Ippodamia  gibt  ihm 
den  heilsamen  Rat,  sich  im  Vorhofe  des  Tempels  verborgen  zu  halten. 
Hierauf  bereitet  sie  die  Erope  auf  das  ihr  bevorstehende  Wiedersehen 
vor  und  führt  ihr  endlich  —  es  ist  finstere  Nacht  —  den  Tieste 
zu.  Seit  vier  Jahren  steht  er  zum  erstenmal  wiederum  vor  seiner  ihm 
entrissenen  Braut.  Er  hat  noch  keine  Ahnung  davon,  daß  Erope  ihm 
einen  Sohn  geboren,  sondern  erfahrt  dies  erst  jetzt  als  Neuigkeit  zu- 
gleich tnit  der  traurigen  Kunde,  daß  der  grausame  Atreo  ihr  Kind  in 
ein  dunkles  Verließ  eingeschlossen  habe.  In  leidenschaftlicher  Rede 
bringt  Erope  ihren  Schmerz  darüber  zum  Ausdruck,  daß  sie  ihre  Liebe 
zu  Tieste  nicht  aus  ihrem  Herzen  bannen  könne.  Jammernd  fleht  sie 
ihren  Geliebten  an  zu  fliehen.  Nachdem  er  sich  von  ihrer  Treue  über- 
zeugt hat,  vriU  er  auch  tatsäehlich  ihrem  Drangen  nachgeben,  merkt  aber, 
daß  seine  Ankunft  dem  Atreo  verraten  ist,  und  faßt  infolgedessen  den 
Entschluß,  seinen  Bruder  zu  ermorden.  Er  teilt  gerade  seine  Absicht 
der  Erope  mit,  als  Atreo  sie  beide  gefangen  nehmen  läßt. 

Doch  Ippodamia  bittet  den  Atreo  inständig,  seinem  Bruder  zu  ver- 
zeihen und  das  Kind  zurückzugeben.  Der  wütende  Felopide  beharrt 
anfangs  noch  auf  seinem  Vorhaben,  den  Tieste  zu  töten ;  mit  einem  Male 
aber  scheint  er  seinen  Sinn  zu  ändern;  er  sagt  zu  seiner  Mutter,  ihre 
Tränen  hätten  sein  hartes  Herz  erweicht,  läßt  Tieste  und  Erope  kommen, 
bietet  seinem  Bruder  die  Hand  zur  Verzeihung  und  teilt  ihm  mit,  er 
wolle  ihm  das  Reich,  die  Erope  und  das  Kind  überlassen,  wenn  er  für 
immer  seine  Nahe  meide.  Tieste  geht  auf  diesen  Vorsehlag  ein.  Die 
beiden  Brüder  umarmen  sieh  zum  Zeichen  des  Friedens.  Atreo  lädt 
nun  seinen  Bruder  zum  Versöhnungstrunke  ein.  Tieste  geht  in  die 
Falle,  die  ihm  der  gleisnerische  Felopide  stellt,  setzt  den  Pokal  an  die 
Lippen  —  doch  wehe !  da  entdeckt  er  Blut  in  dem  Gefäße  und  entsetzt 
ruft  er  aus:  «Che  bevo?  Sangue!» 

Von  düsteren  Ahnungen  erfüllt,  hat  Erope  schon  vorher  nach  ihrem 
Kinde  verlangt,  und  jetzt  entdeckt  der  Wüterich  dem  unglücklichen 
Tieste,  daß  das  Gefäß  das  Blut  seines  ELindes  enthalte.  Daraufhin  er- 
sticht sich  Tieste,  und  Erope  stirbt  vor  Schrecken. 

Was  die  Quellen  dieser  Tragödie  anlangt,  so  konstatieren 
schon  die  Notixie  storico-critiehe  sul  TiesUj  daß  Foscolo  Cre- 
billon  und  namentlich  Voltaire  benutzt  hat.  Zugleich  wird 
dort  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  bei  Voltaire  die  Rache 
des  Atr^e  viel  besser  motiviert  sei  als  bei  Foscolo,  da  bei 


-^     138     — 

letzterem  Erope  mit  Tieste  versprochen  gewesen  nnd  infolge- 
dessen freier  von  Schuld  sei  als  die  Erope  in  den  Pelopides. 
Die  Noiixie  weisen  femer  darauf  hin,  daß  Foscolo  auch  unter 
dem  Einflüsse  von  Alfieri  stand.  ^) 

Klein  wiederholt  im  Grunde  nur  diese  Angaben  der 
Noiixie  storico-critiche.^)  Er  nennt  den  Atreo  einen  „Alfieri- 
schen  Wütherich"  und  meint,  die  Erope  sei  „Alfieris  Clitem- 
nestra  mit  umgekehrten  Motiven".  Er  stellt  außerdem  noch 
folgende  Beziehungen  fest :  ,,Cr6biIloDs  Tieste  hatte  die  Erope 
in  dem  Augenblicke  entführt,  wo  sie  sich  mit  Atree  vermählen 
sollte.  Voltaire  benutzte  die  Erfindung,  dessen  Tieste  eben- 
falls die  Erope  als  Braut  des  Atr6e  vom  Altare  weg  raubt: 
Foscolo  kehrt  diese  Voraussetzung  um.  Sein  Tieste  war 
mit  Erope  versprochen,  und  Atreo  ist  es,  der  sie  dem  Bruder, 
mit  Einwilligung  ihres  Vaters,  entreißt.  Dadurch  vermindert 
der  Dichter  die  Schuld  des  Tieste  und  der  Erope," 

Diese  Behauptung  der  Noiixie  und  deren  Wiederholung 
durch  Klein   ist  zum  Teil  unvollständig,   zum  Teil  unrichtig. 
Oben  ist  bereits  auf  die  Worte  liingewiesen  worden,   die  bei 
Voltaire  Thyeste  zu  Hippodamie  und  Polemon  spricht  (II,  2) : 
Je  vous  dirai  pourtant  qu'avant  l'hymen  fatal 
Que  dans  ces  lieux  sacr^s  c616bra  mon  rival, 
J'aimais,  j'idolätrais  la  fiUe  d'Eurj'sthee, 
Que,  par  mes  voeux  ardents,  longtemps  soUicitee, 
Sa  m^re  dans  Argos  eüt  voulu  nous  unir; 
Qu'eufin  ce  fut  ä  moi  qu'on  osa  la  ravir. 

Aus  diesen  Versen  erhellt  deutlich,  daß  auch  bei  Vol- 
taire Atree  die  Erope  seinem  Bruder  entrissen  hat.  Der 
einzige  Unterschied  besteht  darin,  daß  bei  Voltaire  das  Kind 
des  Thyeste  im  Ehebruche  erzeugt  wurde.  Jedenfalls  aber 
hat  Foscolo  dieses  Motiv  aus  Voltaire's  Tragödie  genommen, 
wenn  es  von  ihm  auch  etwas  umgestaltet  worden  ist.  Der 
italienische  Dichter  stimmt  noch  in  folgenden  Punkten  mit 
Voltaire  überein: 

In  beiden  Stücken  verlangt  Hippodamie   das  Kind  von 

»)  Teatr.  Mod.  X,  62  ff. 

«)  Gesch,  des  Bram,  VII,  118  ff. 


_     139    — 

Erope;  diese  übergibt  es  auch  ihrer  Obhut,  liefert  es  aber 
auf  diese  Weise,  ohne  es  zu  wissen,  dem  Atreus  aus  (Fosc. 
I,  2;  Volt.  V,  2). 

Bei  Foscolo  wie  bei  Voltaire  hält  sich  Thyestes  der 
Sicherheit  wegen  im  Vorhofe  des  Tempels  auf. 

Bei  beiden  Dichtern  stellt  sich  Erope  als  die  allein 
Schuldige  hin  und  verlangt  von  Atreus  den  Tod  ob  ihres 
Vergehens,  um  hierdurch  ihr  Kind  und  den  Thyestes  zu  retten. 

Bei  Foscolo  sagt  Erope  zu  Atreo  (II,  5)  : 

Tieste 
A  torto  incolpi;  ei  non  ^  reo;  tu  il  festi; 
E  la  cagione  io  sol  ne  fui:  me  dunque 
.  Danna  al  supplizio  meritato,  sola, 
Me  sola. 

Bei  Voltaire  spricht  Erope  zu  AtrSe  (IV,  5): 

Les  dieux  ennemis 
Eternisent  ma  faute  en  me  donnant  un  fils. 
:  Vous  allez  vous  venger  de  cette  criminelle: 
Mais  que  le  chätiment  ne  tombe  que  sur  eile: 
Que  ce  fils  innocent  ne  soit  point  condamn6  .  .  . 
Seigneur,  avec  son  p^re  on  yous  r§concilie. 
De  mon  fils  au  berceau  n'attaquez  point  la  vie: 
II  suffit  de  la  m^re  ä  Yotre  inimitie 
J'ai  demande  la  mort,  et  non  yotre  pitie. 

Sowohl  bei  Foscolo  als  auch  bei  Voltaire  gibt  die  Mutter 
der  Pelopiden  denselben  Gedanken  Ausdruck: 
Ippod.  bei  Fosc.  (II,  4)  zu  Atreo: 

Figlio, 

•  .  .  una  madre,  che  suoi  giomi  visse 

Si  gran  tempo  infelici,  afflitti  e  rei, 

Deh!  una  volta  rallegra. 

Hippod.  bei  Volt.  (I,  2)  zu  ihren  Söhnen: 

Mes  fils, 

Si  TOS  sanglantes  mains  m'ont  outert  un  tombeau, 
Que  j'y  descende  au  moins  tranquille  et  consol6e! 
Venez  fermer  les  yeux  d'une  m^re  accablee! 


—     140    — 

Qu'elle  expire  en  vos  bras  sans  trouble  et  saus  boneor. 
A  mes  derniers  moments  melez  quelqne  doacear. 

In  beiden  Dramen  ist  ferner  Erope  dem  Tbjestea  mit 
leidenschaftlicher  Liebe  zugetan,  von  der  sie  sich  trotz  allen 
inneren  Bingens  nicht  zu  befreien  vermag. 

An  Crebillon  hat  der  Tieste  Foscolo's  faat  gar  kerne 
Anklänge. 

Dagegen  ist  der  Einfluß  Seneca's  auf  Foscolo  unverkenn- 
bar.   So  sagt  Erope  in  der  2.  Szene  des  I.  Aktes: 

Orror  succede 
A  orror:  veggo  Tieste  egro  ramingo 
Per  le  terre  non  sue,  squallido,  solo 
6ir  strascinando  una  Tita  languente  .  .  . 

Diese  Worte  rufen  uns  den  Thyeatea  Seneca's  ins  Ge- 
dächtnis zurück,  der,  von  der  Verbannung  zurückgerafen,  in 
einer  squalida  teste  vor  Atreus  erscheint^) 

Man  vergleiche  femer  die  beiden  folgenden  Stellen: 
Ippod.  bei  Fosc.  I,  3: 

Temer  del  vulgo  i  detti  a  un  re  conviensi, 

E  cercar  di  sopirli. 

Der  Sat.  bei  Sen.  II,  204/05  zu  Atreus: 
Fama  te  populi  nihil 
Ad  versa  terret? 

Dies  ist  offenbar  der  gleiche  Gedanke  bei  FoBColo  wie 
bei  Seneca.  Außerdem  erinnern  die  Worte,  die  in  der  4.  Szene 
des  II.  Aktes  Ippodamia  zu  Atreo  über  Tieste  spricht: 

e  forse 
Per  inospite  sehe  e  per  dirupi, 
Senza  fossa  di  morte,  disperato 
Di  sua  man  li  troncö 

au   den  Ausspruch  des  sich  in  Wäldern  verborgen  haltenden 
Thyestes  bei  Seneca: 


')  Atreut  sagt  ztt  Tbyestes  (v.  524):  squtUidam  vtaUm  exne. 


—    141     — 

y.  413  ff.  repete  siWestres  fugas 

saltusque  densos  potiiu  et  mixtam  feris 
similemque  Titam. 

Man  beachte  auch  noch  folf^ende  analoge  Stellen - 
Ippod.  bei  Fosc.  (IV,  5)  zu  Atreo: 

Oh  ciel!  .  .  .  vorresti  .  .  . 
Pnnir  delitti  con  maggior  delitto. 

Thy.  bei  Sen.  (V,  1103)  zu  Atreus: 

Scelere  quis  pensat  scelus? 
Atreo  bei  Fosc.  (V,  3)  zu  Tieste: 

Tuo  figlio!  ei  crescerä  tutto  rifongiof?) 

Di  rabbia  tiestea:  di  chi  pietoso 

Tita  donogh  e  genitori,  al  sangue, 

Allo  sterminio  anelerä.    Puot'  ei 

FoTse  smentir  suo  infame  nascimento? 

In   diesen  Versen  lassen   sich  die  Spuren  des  bekannten 
Seneca'schen  Ausspruchs  wiedertinden  (v.  313/14): 
ne  mali  fiant  times? 
nascuntur. 

Bei  Foscolo  (V,  3)  sagt  Tieste  zu  Atreo,  nachdem  ihm 
dieser  rersprochen  hat,  ihm  die  Hälfte  des  Reiches,  seine 
Gemahlin  und  sein  Kind  zurückzugeben: 

tua  clemenza  tutto 

Cancella:  or  odi,  io  tel  confesso;  duolo 

Avrö  mortale  in  rammentarla;  acerbo 

Tu  sembreraimi  piü:  ritogli  dunque 

Ogni  tuo  dono.  ei  m'ö  piü  amaro  assai 

De'  tuoi  tormenti;  o  se  lasciar  tu  il  ruoi, 

Perdonami. 

Sehr  ähnlich  drückt  sich  bei  Seneca  (III,  514/15)  Thy- 
estes  dem  Atreus  gegenüber  aus,  als  dieser  ihm  verziehen  hat : 
pessimam  causam  meam 
hodiema  pietas  fecit. 

Auch  das  Umarmen  der  Brüder  bei  Foscolo  findet  sich 
bereits  im  lateinischen  Original,  und,  wie  endlich  bei  Seneca 


—    142    -- 

Tbyestes  im  Augenblicke  der  Rache  nach  seinen  Söhnen  Ter- 
langt,  so  stößt  bei  Foscolo  (V,  3),  kurz  be^or  Tieste  den  Ter- 
hängnisvoUen  Becher  an  die  Lippen  setzt,  Erope  erschrocken 
die  Frage  aus:  Ov^e  mio  figlio? 

Die  Charaktere  sind  von  Foscolo  meisterhaft  gezeichnet 
Als  Schüler  Alfieri's  versteht  er  es  insbesondere,  die  Leiden- 
schaft gut  zum  Ausdruck  zu  bringen.  Atreo's  ungestümer 
Bruderhaß  und  listige  Verstellungskunst  treten  bei  unserem 
italienischen  Dichter  nicht  minder  stark  hervor  als  bei  seinen 
Vorgängern. 

Der  Tieste  Foscolo's  ist  derselbe  bemitleidenswerte  Lieb- 
haber der  Erope  wie  der  Voltaire'sche.  Wenn  der  Thyeste 
in  den  Pelopides  mit  seinem  Bruder  einen  Zweikampf  wagte, 
so  hat  derjenige  Foscolo's  ebenfalls  die  Absicht,  den  Atrfe 
zu  töten.  Ein  Unterschied  in  den  beiden  Charakteren  hegt 
darin,  daß  der  Tieste  des  italienischen  Dramas  sich  klein- 
mütig mit  Selbstmordgedanken  trägt,  von  denen  ihn  nur  die 
Liebe  zu  Erope  befreit.  In  der  2.  Szene  des  IL  Aktes  ge- 
steht er  nämlich  der  Ippodamia: 

Erope  sempre 

M'insegue;  ed  io?  .  .  .  Me  miserol  Rivolgo 

Contro  il  mio  petto  il  ferro;  ella  s'affacda, 

E  lo  ritorce,  e  par  mi  dica:  un  solo 

Avel  ci  accolga:  e  l'acciaro  di  mano 

Mi  strappa,  e  fugge.  —  La  soave  idea 

Di  rivederla  mi  trattenne,  oh  quante 

Volte  sul  margo  della  tomba,  in  punto 

Che  giä  volea  precipitarmi ! 
Das  Bild  der  Hippodamie  verstand  uns  Foscolo  leben- 
diger und  interessanter  zu  schildern  als  Voltaire.  Ihr  herz- 
zerreißender Jammer  über  die  Zwietracht  ihrer  Söhne  und 
über  das  harte  Schicksal  ihres  Hauses  spricht  aus  jedem  ihrer 
erregten  Worte.  Alles  will  die  unglückselige,  opfermutige 
Mutter  der  Pelopiden  daransetzen,  um  von  Atreo  Gnade  för 
das  Kind  zu  erlangen;  versichert  sie  doch  der  Erope  in  der 
2.  Szene  des  I.  Aktes: 

II  figlio  tuo 

L'avrai,  ti  rassicura:  ah!  sofiri  ancora 


—     143     — 

Per  poco;  il  rendi  a'suoi  custodi;  Atreo 
Mal  soffrirebbe  che  degli  ordin  suoi 
Si  violasse  il  menomo:  di  lui 
A'pie  mi  prostrerö;  bagnar  di  pianti 
Mi  vedrai  le  sue  maa;  preci,  scongiuri   . 
Per  te  non  fia  ch'io  mai  risparmi. 

Am  allermeisten  fesselt  und  der  Charakter  der  Erope. 
Durch  diese  Figur  bekundet  sich  Foscolo  ganz  und  gar  als 
Jünger  Altieri's.  Denn  „jenes  zwischen  zwei  Kontrastaffekten 
Hinundhergeschleudertwerden  der  Seele ;  jenes  mit  sich  selbst 
hadernde  Pathos,  das  Alfieri  der  französischen  Tragödie  ent- 
lehnte und  auf  die  letzte  Spitze  trieb,  auch  diesen  Leiden- 
schaftszwiespalt hat  unser  jugendlicher  Dichter  seinem  Meister 
treulich  abgelauscht  und  aus  allen  Poren  seiner  Erope 
sprühen  lassen."^)  Erope  ist  mit  ihrer  ganzen  Seele  dem 
Tieste  und  ihrem  Einde  zugetan  und  empfindet  bitteren  Haß 
gegen  Atreo.  Sie  gibt  sich  jedoch  Mühe,  ihre  Leidenschaft 
zu  zügeln^  und  ist  sich  wohl  bewußt,  daß  sie  als  Gemahlin 
des  Atreo  ihrer  Liebe  zu  Tieste  entsagen  muß,  wenn  ihr 
dieser  Sieg  auch  trotz  allen  inneren  Kämpfens  nicht  gelingt. 
Daher  gibt  sie  denn  auch  der  Ippodamia  auf  ihre  Frage  hin, 
ob  sie  den  Tieste  noch  liebe,  zur  Antwort  (I,  2): 

lo  Tamo?  .  .  .  lo  lui?  .  .  .  No:  quando  amai, 

Sposa  non  era  al  re.    Miseia!  Tace 

Ogni  dover,  se  si  rialza  amore 

Dentro  '1  mio  petto.  —  Or  ben;  odilo:  Tamo; 

Si,  Famo:  ah  non  Tamassi,  o  almen  cotanto 

Non  Tabborrissi! 

Ebenso  erklären  sich  auch  die  folgenden  Worte,  die  sie 
in  der  2.  Szene  des  IIL  Aktes  zu  Tieste  selbst  spricht: 

Si,  t'amo 
Con  ribrezzo  e  rancor;  de'  miei  delitti 
II  piü  enorme  e  l'amarti,  e  il  non  poterti 
Odiar  per  sempre.  —  Ah  potess'  io,  che  il  voglio, 
Altrettanto  abborrirti  .  .  .  ma  non  posso. 


^)  Klein,  Gesch.  des  Dram.  VII,  120. 


—     144    — 

Welch'  tiefe  Liebe  zu  ihrem  Kinde  legt  Erope  an  den 
Tag,  als  sie,  von  Ippodamia  gebeten,  ihr  das  Kleinod  anza- 
vertrauen,  erwidert  (I,  2): 

Or  prendi. 
Ma  ...  oh  dio ! .  . .  deh  .  • .  deh  mi  lascia  . . .  Almeno, 

o  madre, 
Seco  loi  fuggirö  •  .  .  Komita,  ancella, 
Furcht  sia  cou  mio  figlio  •  .  .  Ah  lascia. 

Ihren  HaB  gegen  Atreo  scheut  sie  sich  nicht,  diesem 
selbst  zu  gestehen  (II,  5): 

ordin  di  morte 
Attendo;  e  a  me  piü  dolce  fia,  che  starmi 
AI  tuo  cospetto. 

Eiine  sehr  edle  Seele  verrät  Erope,  als  Tieste  ihr  seinen 
Plan,  den  Atreo  töten  zu  wollen,  mitteilt  Obwohl  der  Tod 
jenes  Tyrannen  sie  aus  ihrer  unglücklichen  Lage  befreien 
würde,  verabscheut  sie  doch  einen  Brudermord  im  Grunde 
ihres  Herzens  und  entsetzt  ruft  sie  aus: 

Iniquo!  amore  a  te!  Non  mai:  non  altro 
Che  orrore  a  te.    Fuggi  da  roe;  tue  mani 
Son  parricide;  io  la  tua  voce  orrenda 
Odo  sonar  dentro  il  mio  cor:  la  voce 
Deir  empio  ö  qnQfta,  e  seduttrice  voce. 

Das  Decorum  ist  von  Foscolo  ebenso  gewahrt  wie  von 
Crebillon  und  Voltaire.  Die  Einheiten  des  Ortes,  der  Zeit 
und  der  Handlung  sind  genau  eingehalten.  Die  sieben 
Monologe,  die  in  dem  Stücke  vorkommen,  sind  nicht  za  lang 
geraten.  An  dem  Aufbau  der  Tragödie  ist  derselbe  Fehler 
zu  rügen  wie  an  dem  Voltaire'schen  Drama,  nämlich  der 
Umstand,  daß  Atreo  erst  in  der  4.  Szene  des  II.  Aktes, 
also  zu  spät  auftritt,  und  sich  das  Interesse  am  Anfange 
deshalb  mehr  um  Erope  und  ihr  Kind,  als  um  Atreo  und 
Tieste  dreht. 

Außerordentlich  gut  paßt  zu  jenem  tragischen  Stoffe  die 
feurige,  hüpfende  Sprache  dieses  italienischen  Dramas,  ,Jenes 
kurzatmige  Phrasieren,  das  bombenartige  Zerplatzen  der  Phrase 


—     146    — 

in  tausend  kleine  Stücke^,  das,  wie  Klein  ganz  richtig  be- 
hauptet^), dem  Alfieri  nachgeahmt  ist.-) 

Als  Tragödie  im  allgemeinen  betrachtet,  irt  der  Tieste, 
wenn  ihn  auch  Foscolo  als  seine  Jugendsünde  ansah  ^,  nicht 
schlecht  gelungen.  Ein  der  Pelopidensage  wohl  angemessener, 
überaus  tragischer  Ton  herrscht  in  dem  Stücke  von  Anfang 
bis  zu  Ende,  und  als  ein  besonders  glücklicher  Einfall  des 
Dichters  ist  hervorzuheben,  daß  er  jene  Szene  des  Wieder- 
sehens zwischen  Tieste  und  Erope  in  die  Nachtzeit  verlegt 
und  dadurch  einen  äußerst  feierlichen  und  Schauder  erregen- 
den Moment  erzielt  hat. 

Der  Aireo  von  Vivlani  ist  mir  bis  jetzt  leider  unerreichbar 
geblieben.  Er  sowie  die  Thyestestragödien  von  Weiße  und 
Joh.  Wilh.  Müller  werden  in  einer  späteren  Arbeit  behandelt 
werden.  Die  auf  9.  146  aufgestellte  Tabelle  möge  uns  das 
Gesamtresultat  der  vorliegenden  Untersuchung  veranschau- 
lichen ! 


*)  Gesch,  des  Dramas  VII,  124. 

')  Vgl.  über  die  Sprache  Alfieri*s  Landau,   Gesch.  der  ital.  Litt, 
im  IS.  JahrK  p.  481/82. 

»)  Wiese  n.  Pfercopo,  Gesch.  d.  it.  Litt.,  S.  497. 


Möuchener  Beitrage  z.  roiii.  u.  engl.  Philologie.    XXXVII.  10 


—     146    — 


Anhang. 

I.   Die  88.  Fabel  Hygin's. 

Atreus. 

Atreus  Pelopis  et  Hippodamiae  filius  cupiens  a  Thyeste  fratre  suo 
iniurias  exequi  in  gratiam  com  eo  rediit  et  in  regnmn  saam  enm  reduxit, 
filiosque  eiuB  infantes  Tantalum  et  Flisthenem  occidit  et  [in]  epulis  Thyesti 
apposuit.  qui  cum  vesceretur,  Atreus  imperavit  brachia  et  ora  pnerorum 
afferri.  ob  id  scelus  etiam  Sol  curram  avertit.  Thyestes  scelere  nefario 
cognito  profagit  ad  regem  Thesprotum,  ubi  lacuB  Ayernua  dicitur  esse: 
inde  Sicyonem  pervenit,  ubi  erat  Felopia  filia  Tliyestis  deposita,  ibi  caau 
nocte  cum  Minervae  sacrificaret,  intervenit:  qui  timens  ne  sacra  con- 
taminaret  in  luco  delituit.  Pelopia  autem  cum  choreas  dueit  lapsa  vestem 
ex  cruore  pecudis  inquinavit.  quae  dum  ad  fiumen  exit  sanguinem  abluere 
tunicam  maculatam  deponit,  capite  obducto  Thyestea  e  luco  prosilivit 
et  ea  compressione  gladium  de  vagina  ei  extraxit  Pelopia  et  rediens  in 
templum  sub  acropodio  Minervae  abscondit.  postero  die  rogat  regem 
Thyestes,  ut  se  in  patriam  Lydiam  remitteret.  —  Interim  sterilitas 
Mycenis  frugum  ac  penuria  oritur  ob  Atrei  scelus.  ibi  responsum  est, 
ut  Thyestem  in  regnum  reduoeret.  qui  cum  ad  Thesprotom  regem  isset, 
existimans  Thyestem  ibi  morari,  Pelopiam  aspexit  et  rogat  Thesprotum, 
ut  sibi  Pelopiam  in  coniugium  daret,  quod  putaret  eam  Thesproti  esse 
filiam.  Thesprotus,  ne  qua  suspicio  esset,  dat  ei  Pelopiam,  quae  iam 
conceptum  ex  patre  Thyeste  habebat  Aegisthum.  quae  cum  ad  Atreum 
veniflset  parit  Aegisthum,  quem  exposuit:  at  pastores  caprae  supposuerunt. 
quem  Atreus  iussit  perquiri  et  pro  suo  educari.  —  Interim  Atreus  mittit 
Agamemnonem  et  Menelaum  filios  ad  quaerendum  Thyestem :  qui  Delpho« 
petierunt  sciscitatum.  Casu  Thyestes  eo  venerat  ad  sortes  tollendas  de 
ultione  fratris.  comprehensus  ab  eis  ad  Atreum  perducitur.  quem  Atreus 
in  custodiam  coniici  iussit  Aegisthumque  vocat,  existimans  suum  filium 
esse,  et  mittit  eum  ad  Thyestem  interficiendum.    Thyestes  cum  vidisset 

10* 


—     148     — 

Aegisthum  et  gladium  quem  Aegisthus  gerebat  et  cognovisset  quem  in 
compressione  perdiderat,  interrogat  Aegistham,  unde  illum  haberet.  iUe 
respondit  matrem  sibi  Pelopiam  dedisse:  quam  inbet  acceniri.  cni  re- 
spondit  se  in  compressione  nocturna  nescio  cui  eduzisse  et  ex  ea  com- 
pressione Aegisthum  concepisse.  tunc  Felopia  gladium  arripuit  aimiilans 
se  agnoscere  et  in  pectus  sibi  detrusit :  quem  Aegisthus  e  pectore  matris 
cruentum  tenens  ad  Atreum  attulit.  ille  existimans  Thyestem  interfectnm 
laetabatur :  quem  Aegisthus  in  littore  sacrificantem  occidit  et  cum  paire 
Thyeste  in  regnum  aTitum  redit. 

[Gf.  M.  Schmidt,  Hygini  Fabulae  p.  84/85]. 


II.  Inhaltsangabe  des  ^gyste  von  Sigoineaa 
und  Pralard. 

Parfaict  Fr.,  Hist.  du  Theätre  fran^ais  XV,  454 ff.: 
Tindare,  Roy  de  Sparte. 
Atree,  Hoy  d'Argos. 
Thieste,  fr^re  d' Atree. 
i£gyste,  fils  de  Thyeste  et  de  Pelopee. 
Agamemnon,  fils  d'Atr6e. 
Pelopee,  fiUe  de  Thyeste,  et  rofere  d'^gyste,  connue  soos  le 

nom  d^Irine. 
La  Sc^ne  est  k  Sparte. 

La  haine  qui  r^naii  depais  longtemps  entre  Atree  et  Thiette,  avoit 
prodoit  des  effett  si  funestes,  qoe  Tyndare,  Roy  de  Sparte,  seien  oette 
Fable,  pour  en  arrdter  le  cours,  entreprit  de  reconcilier  oet  deux  frerea 
ennemis.  Sparte  qui  servoit  dej&  d'azüe  ä  Tbieste,  snr  leqnel  Aire« 
avoit  uBurp6  le  trone  d'Argos,  fnt  le  lieu  du  congrte.  Atree  s'y  rendit. 
Tyndare  lui  avoit  promis  en  mariage  sa  fille  Clitenmestre  pour  son  fik 
Agamemnon;  la  paix  devoit  se  conclure  ä  la  faveur  de  cet  hymeii,  par 
la  restitution  du  trone  usurp6;  en  quo!  Tyndare  est  d'autant  plus  g6- 
n^reux,  qne  par  lA  sa  fille  devoit  ayoir  un  trone  de  moins. 

Thieste  t^moigne  beaucoup  de  defiance  ä  Tapproche  d'Atrte,  et 
Atree  ne  peut  si  bien  dissimuler  k  son  arrivee,  qu'il  ne  lui  echappe  quel- 
ques marques  de  sa  mauvaise  volonte,  en  pr^senoe  meme  de  Tyndare. 
11  se  plaint  qne  les  Argiens  se  sont  r^voltes  en  faveur  de  son  fi%re,  qaHl 
acouse  d'avoir  foment^  cette  revolte,  et  fait  connoitre  k  I^ndare  qn'il 
vient  d*envoyer  son  fils  Agamemnon  contre  les  rebelies,  pour  les  iaire 
rentrer  dans  son  obeissanoe,  se  rdservant  apr^s  le  droit  de  faire  une 
restitution  volontaire  d^un  trone  qui  lui  appartient  par  droit  de  oonquete. 
Des  pretextes  si  frivoles  irritent  Tyndare,  qui  lui  fait  connoitre  qu'il 
pourroit  bien  prendre  parti  contre  lui.  s'il  s'obstine  dans  son  injostioe. 
Atr^e  a  recours  &  la  diisimulation  ordinaire.    11  fait  esperer  qu'il  n'ap- 


—     149     — 

portera  plus  d'obstacle  ä  cette  paix  tant  desiree;  mala  dans  un  monologue 
iBunödiatement  apr^s,  il  fait  connoitre  qua  ce  pretenda  traii^  de  paix 
est  Qo  BOQTeau  pidge  qu'ü  tend  k  Thieste,  pour  exereer  de  Bouvellea 
barbaiies  conire  lui,  ne  se  promettant  pas  moins  qne  de  le  faire  asaasaiaer 
par  son  propre  fils  iEgyste,  dont  hii  seul  connoit  le  sort;  et  qui  semble 
lai  ayoir  6te  adresse  par  les  Dienx. 

Au  seoond  Acte,  JEgysie  se  plaint  aux  Dienx  de  la  eruaut^  qn'ib 
ont  de  lui  cacher  son  origine.  Atr6e  le  trouyaot  agit^  lui  demande 
d'oü  vient  son  trouble.  iEgyste  lui  raoonte  un  songe,  dont  Tapplieatioii 
equiyoque  flatte  Atr^e  du  suoo^s  de  ses  vosux;  il  dit  k  Mgyvi%  qu'il  est 
seul  instruit  du  secret  de  sa  naissanee,  qu'elle  est  de«  plus  illustres,  mais 
qu'il  n'apprendra  qui  lui  a  donnd  le  jour  qu'&  nne  oondition  qu'JCgyste 
brule  de  s^aToir;  mais  Atree  Toblige  &  se  retirer,  Toyant  Agamemnon 
qui  surrient  avec  une  pr^tendue  fille  du  Gouyemeur  d'Argos,  qui  lui 
est  presentde  comme  un  garant  de  la  foi  du  Gouyemeur.  Atr6e  parott 
satisfait  de  son  fils,  yainqueur  des  Argiens;  il  l'enyoye  annoncer 
cette  heurense  nouyelle  k  Tyndare;  il  fait  quelques  eompKmens  k  son 
otage  et  se  retire.  Le  pr^tendu  dtage  se  fUt  connoitre  k  sa  oonfidente 
pour  P61op4e,  fille  de  Thieste.  Elle  lui  dit  que  son  malheureux  pdre  effray6 
d'un  oracIe  qu'elle  ignoroit,  Fayoit  bannie  pour  jamais  de  sa  prSsenee,  ei 
qa'elle  s'etoit  consaor^e  k  Minenre  par  ses  ordres,  eile  ajoute  qu'un  jour 
4tant  sur  le  bord  d'nn  fleuve,  un  inconnu  youlut  lui  faire  yiolence,  qu*elle 
se  sauya  dans  le  temple,  oü  malgre  ses  cris  et  malgr^  Minerye  et  tous 
les  Dieux  ältestes,  cet  inconnu  la  suiyit  et  exdcuta  son  sacril^ge  dessein. 
Elle  lui  dit  encore  que  s'Stant  jet^  sur  son  ^p4e  pour  yenger  son 
honneur  outrage,  cette  ep^e  lui  6toit  restee  entre  les  mains  par  la  fuite 
de  son  ennemi,  et  qu'elle  avoit  reoonnu  k  ce  funeste  fer,  que  oelui  qui 
yenoit  de  l'outrager  etoit  son  propre  p^re.  Cette  afirease  connaissance, 
poursuit-elle,  me  porta  k  exposer  aux  betes  farouches  le  detestable  fruit 
d'un  crime  qui  faisoit  fremir  la  natore;  mais  les  Dieux  le  oonsery^rent 
malgre  moi;  des  Bergers  qui  en  avoient  pris  soin  me  le  present^rent 
quelques  ann^es  apr^s,  me  le  firent  reconnoitre  k  des  ciroonstances  con- 
yainquantes;  je  lui  dis  que  Minerye  le  prenoit  sous  ses  auspieee,  je 
I'armai  de  l'6p6e  de  Thieste,  et  lai  annon^ai,  sans  lui  r^y^ler  son  sort, 
que  ce  fer  deyoit  servir  k  exeeuter  les  ordres  irrßyocables  du  destin. 
Pelop^e  dit  enfin  qu'elle  a  quitte  les  Autels  sacr68  par  un  ordre  expr^s 
de  Minerye,  qui  lui  a  promis  qu'elle  trouyeroit  la  fin  de  ses  malbeurs 
dans  la  Cour  de  Tyndare,  oü  son  p^re  Thieste,  et  son  fils  .Egyste  sont 
actuellement  sans  connoitre  leur  y^ritable  sort. 

Pelopee,  sous  le  nom  d'Ir^ne,  dit  k  Agamemnon,  au  troisi^me  Acte, 
que  l'amour  qu'il  a  pris  pour  eile,  ne  doit  pas  rompre  une  paix  qui  doit 
faire  la  felicitc  de  tant  de  peuples,  et  que  d'ailleurs  eile  ne  s^auroit 
repondre  k  sa  tendresse.  Agamemnon  se  laisse  persuader,  et  promet 
de  lui  sacrifier  jusqu'ä  son  amour,  en  receyant  la  main  de  Clytemnestre, 
etc.    Pelopee  se  retire;  Thieste  vient j  la  Sehne  entre  Toncle  et  le  neveu 


—     150    — 

est  affectuense  de  pari  et  d*aatre.  Atröe  qai  survient  ne  trouve  pu 
bon  qae  son  fils  ait  des  Conferences  secrettes  avec  son  moriel  enneml 
Les  deax  fr^res  s'injurient  reeiproquement  en  presence  d'AgamemnoD. 
Atr^e  reste  seul  arec  ce  dernier,  lui  reproche  sa  tendrease  ponr  son  oncle, 
et  le  renvoye  anz  pieds  de  Glytemnestre  offens^  de  son  amoor  ponr  U 
pretendue  fiUe  dn  Ocoyemear  d' Arges.  Dans  le  monologue  snirant,  il 
se  pr^pare  d^  mettre  la  demiöre  main  k  aa  vengeance;  ^gyste  rient  i 
propos  pour  en  etre  l'instmment;  Atree  lui  promet  le  tröne  d'Argos  et 
Glytemnestre,  oatre  la  connoissance  de  son  sort;  pcarru  qa'il  le  venge 
de  son  ennemi.  ^gyste  est  pret  k  la  venger,  mais  k  peine  a-t-il  appris 
que  cet  ennemi  est  Thieste,  qu'il  fremit  k  ce  nom,  par  une  esp^ce  de 
pressentiment  que  les  Dienz  fönt  naitre  dans  son  coeur.  II  se  determine 
enfin  a  tuer  Thieste. 

Tbieste  commence  le  qaatrifeme  Acte  avec  Tyndare,  k  qui  il  fait 
entendre  qu*Atr6e  a  quelqne  mauvais  dessein.  Tyndare  ne  peut  croire 
ce  qoe  Thieste  lui  veut  persuader,  et  jure  de  se  y enger  arec  6clat,  s'il 
yient  k  decouyrir  qu^ Atree  trame  quelque  perfidie.  Tbieste  reste  seal 
sur  la  Sc^ne  ä  refl^cbir  sur  son  sort;  JSgyste  vient  Tassassiner;  il 
tire  l'epee  sans  que  Tbieste  s^en  appergoive ;  mais  par  un  secret  avis  des 
Dieux,  il  n'ose  lui  porter  le  coup  mortel:  press^  meme  par  de  Yiolens 
remords,  il  met  entre  les  mains  de  Tbieste,  ce  meme  fer  qu'il  dcToit 
tremper  dans  son  sang,  et  demande  la  mort  k  celui  k  qui  il  ayoit  jure 
de  la  donner.  Tbieste,  k  la  vüc  de  cette  fatale  ^pee,  fremit  d'horreur; 
il  se  souvient  qu'il  Ta  laissde  autrefois  entre  les  mains  d'une  fille  qu'il  a 
violee,  il  tremble  qu'il  n'ait  rempli  malgr^  lui  l'oracle  qu'il  avoit  voala 
d^mentir,  en  consacrant  Pelopee  sa  fille  au  service  de  la  cbaste  Minenre. 
II  interroge  ^Egyste,  et  par  ses  reponses,  il  se  trouve  confirmS  dans  ses 
soupgons.  iEgyste  reconnoit  Tbieste  pour  son  p^re,  et  ne  dontant  point 
qu' Atree,  inform6  du  secret  de  sa  naissance,  n'ait  youlu  le  rendre  parricide; 
il  reprend  son  epee,  ot  malgre  tout  ce  que  son  pere  lui  peut  dire,  il 
court  le  venger;  Pelopee  survient,  et  se  faisant  connoitre  pour  fille  de 
Tbieste  et  pour  m^re  et  sceur  d'JBgyste,  eile  l'invite  ä  la  vengeance  que 
les  destius  exigent  de  lui. 

Au  cinqui^me  Acte,  s'execute  ce  qui  a  ete  projete  dans  la  derniöre 
Scene  du  quatri^me  Acte.  Tbieste  apprend  k  Tyndare  et  a  AgamemnoD, 
que  le  cruel  Atr^e  a  voulu  employer  la  main  d^Egyste  son  fils  a  loi 
donner  la  mort,  pour  avoir  le  barbare  plaisir  de  le  faire  perir  par  un 
forfait  afireux.  Agamemnon  fremit  de  ce  parricide;  il  prie  cependaot 
encorc  Tbieste  de  se  reconcilier  avec  son  fr^re.  Pendant  cette  Scene 
^Egyste  tue  Atree,  Agamemnon  qui  entend  du  bruit  sort  pour  le  secoiuv, 
mais  ä  peine  est-il  sorti,  qu'^gyste  vient  annoncer  k  Tbieste  qu* Atree 
ne  vit  plus,  qu'il  l'a  tue  au  milieu  de  sa  garde,  qui  est  demcure  immobile 
par  une  esp^ce  de  miracle.  Dans  les  premiöres  repr^sentations,  Pelopee 
venoit  se  poignarder  sur  la  Sc^ne;  mais  on  a  retranch^  et  sa  presence 
et  les  predictions  qu'elle  y  venoit  faire. 


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