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MÜNCHBNER BEITRÄGE
ZÜB
eOHANISdNDNDiGUSClfPEOLOeiE.
HERAUSGEGEBEN
VON
H. BREYMANN und J. SCHICK.
XXX.
FRANgOIS HABERT UND SEINE ÜBERSETZUNG DER
METAMORPHOSEN OVIDS.
LEIPZIG.
A. DEICHERT' SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG NACHF.
(GEORG BÖHME).
1904.
FßANCOIS HABERT
UND SEINE ÜBERSETZUNG DER
METAMORPHOSEN OVIDS
VON
Db. AUGUST LEYKAUFF.
LEIPZIG.
A. DEICHERT'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG NACHF.
(GEORG BÖHME).
1904.
Alle Rechte yorbehalteD.
Yor^oi^t.
Es ist mir eine angenehme Pflicht^ an dieser Stelle meinem
Terehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. ßreymann, der mir
das Thema zur vorliegenden Arbeit stellte und mich bei der-
selben mit Rat und Tat in liebenswürdigster Weise unter-
stützte, meioen herzlichsten Dank auszusprechen. Gleichzeitig
fühle ich mich Herrn Professor Dr. Schick für seine freund-
liche Beihilfe bei der Korrektur zu hohem Dank verpflichtet,
und endlich möchte ich es nicht unterlassen, verschiedenen
Bibliotheken: der h Hof- und Staatsbibliothek, sowie der k.
üniversüätsbibliothek in München, der k, Bibliothek in Dei'lin, der
Bibliotheque nationale, der Bibliotluque de V Arsenal und der
Bibliotheque de Genevieve in Pari^, sowie dem Herrn Konser-
vator der Bibliotheque publique in Versailles, für ihre Bemühungen
an dieser Stelle meinen wärmsten Dank auszusprechen.
162159
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Inhalt.
Seite
Vorwort V
Benützte Literatur VIII
Einleitung 1
Kap. I. Habert's Leben und Weltanschauung.
§ 1. Infiere LebensTerhftltnisse.
Geburtsort und -jähr S. 3. — Eltern und Geschwister S. 5. —
Studien S. 6. — Jahre der Not S. 7. — Erstlingsdichtungen
S. 8. — Freunde und Bekannte S. 9. — Liebesleid S. 11. —
Theatralische Aufführungen S. 11. — Galante Abenteuer S. 14. —
Krankheit und Geldsorgen S. 14. — Beziehungen zum K. Hofe
S. 15. — Besuch der Vaterstadt S. 18. — In Bourges und Quan-
tilly S. 18. — Todesjahr S. 19.
§ 2« Habert's Weltanschanniig.
1. Keligiöse Ansichten.
Katholik S. 20. — Über Nächstenliebe und Freigebigkeit
S. 20. — Idealbild des Christen S. 20. — H. als Orthodoxer
S. 21. — Bibelleser S. 22. — Französische Bibelübersetzung
S. 23. — Propaganda für Bibelkunde S. 23. — Über die niedere
Geistlichkeit S. 24. — Über den Ablaßhandel S. 26. — Über
die höhere Geistlichkeit S. 26.
2. Literarischer Standpunkt.
Die klassischen Dichter S. 27. — Verwendung der drei Götter-
namen: Venus. Juno, Pallas S. 28. — Die Humanisten S. 32. —
Altfranzösische Literatur S. 32. — Zeitgenössische Dichter:
Marot, St. Gelais etc. S. 33. — Unmoralische Dichter, S. 35. —
Die Lateinschreiber S. 35. — Die Plejade S. 35. — Vergleich
zwischen den klassischen Dichtern und den Zeitgenossen S. 36.
— VII -
Kap. 2. Habert als Übersetzer der Metamorphosen Ovid's.
§ 1. Frttliere nnd gleiehzeitig französisehe Metamorphosen-
übersetznngeii.
Seite
1. Chrestien de Troyes 38
2. Malkaraume [c. 1250] 38
3. Anonymus: Ovide moralise [c. 1310] 38
4. Anonymus: La Bible des pofetes [c. 1493J 40
5. Cl. Marot [c. 1531] 42
6. M. d'Amboise: Biblis et Caunus [1532] 43
7. Anonymus: Le Grand Olympe [1532] 44
8. M. d'Amboise: Buch 10 [1543] 46
9. J. Colin: Proces d'Alax et d'UIysses (13. Buch) [1547J ... 46
10. Bouchetel: Biblis et Caunus [1550] 46
11. Anonymus: Narcisse [1550] 46
12. Aneau [1566] 47
§ 2. Habert's Metamorphosenilbergetznng.
1. Piramus und Thisbe [1641] 50
2. Narcisse [1541] öl
3. Metamorphosen, 6 Bücher 59
4. Metamorphosen, 15 Bücher [1557] 59
I. Vereinfachungen.
a) Unterdrückungen 61
b) Ersatz eines Satzes 62
c) Andere Vereinfachungen 64
d) Auslassungen 64
11. Umschreibungen.
a) Erweiternde Umschreibungen 67
b) Erklärende Umschreibungen 71
c) Weitschweifigkeit im Ausdruck 71
d) Statt des bildlichen Ausdruckes der unbildliche ... 73
e) Übersetzangen nach dem Sinn 73
III. Fehler und Ungenauigkeiten 74
1. Habert und Le Grand Olympe 76
2. Habert und Marot 84
Literarischer Wert der Haber tischen Metaraorphosenübersetzung 102
Anhang: Bibliographisch-kritische Übersicht der
Schriften Habert's 105
Benutzte Literatur.
Amboyse, M. : Les cent epigrammes auec la vieioQ, la com-
plaincte de vertu . . . et la fable de lamoureuse Biblis et de
Caunus, traduyte Douide par Michel dambojse . . . Paris.
s. a. (Privileg vom 6. März 1532). S^.
A D e a u , B. : Trois liures de la Metamorphose d'Ovide. Trar
duictz en vers Frangois. Le premier et second par
Gl. Marot. Le tiers par B. Aneau. Lyon. 1556. 8®.
Aiinales poetiques ou Almanach des Muses. Paris.
1778—88. 40 Bde. 8«.
Bartsch, K.: Albrecht von Halberstadt und Ovid im Mittel-
alter (= 38. Bd. der Bibliothek der gesamten deutschen
Nationalliteratur). Quedlinburg und Leipzig. 1861. 8^.
Böhm, K. : Beiträge zur Kenntnis des Einflusses Seneka's
etc. (Münchener Beiträge zur romanischen und englischen
Philologie, Heft XXIV). Erlangen u. Leipzig. 1902. 8«.
Bonnard, J.: Les traductions de la Bible en vers fran^ais
au moyen-äge. Paris. 1884. 8^.
Bourciez, E.: Les moeurs polies et la litterature de cour
sous Henri II. Paris. 1886. 8^
Boy er, H. : Un menage litteraire en Berry au seiziöme siöcle.
ßourges. 1859. 8^
Chamard, H.: La date et Tauteur du Quintil Horatian,
in : La Revue d'Histoire litteraire de la France V, 54—71.
Chevalier, J.: Histoire religieuse d'Issoudun. Issoudun.
1900. 8^
— IX —
CoUetet, W. : Traitte de la Poesie morale et sententieuse.
Paris. 1658. 16«.
Crapelet: Les po^tes frangois depuis le XII® si^cle jusqu'ä
Malherbe, Paris. 1824. 3 Bde. 8^
Darmesteter, A., et Hatzfeld, A.: Le seizi^me si^cle
en France. Paris. 1878. 8^
Denais, J. : Les Po^sies de Germain Colin Bacher, Angevin.
Paris. 1890. 8^
Dolet, E. : La mani^re de bien traduire d'ane laDgue en
aultre. Lyon. 1540. 8^
Dnbellajy J. du: La deffence et illustratioD de la langue
francoyse, p. p. E. Person. Versailles et Paris. 1878. 8^
Dnplessis, 6.: Essai bibliographique snr les difPerentes
dditions des CEu?res d'Ovide, om^es de planches, publikes
au XV« et XVI« siöcles, in: Bull, du BibUophile. 1889.
S. 1-27, 97—123.
Freymond: Siehe die Festschrift zu Tobler's Jubiläum 1895.
Graesse, J. 6. Th.: Lehrbuch der allgemeinen Literär-
geschichte. Dresden. 1837—59. 4 Bde. 8^.
: Trösor de livres rares et pröcieux. Dresden. 1858. 4*^.
Grillon des Chapelles: Esquisses du Departement de
rindre. Paris. 1852. 3 Bde. 8».
Hart, H. : Ursprung und Verbreitung der Pyramus- und
Thisbesage. Progr. Passau. 1889. 8».
Hennebert, F.: Histoire des traductions fran^aises d'au-
teurs grecs et latins pendant le XVI® et le XVII« siöcles
in: Annales des UniversitSs de Belgique. Questions de
Philologie. S. 1—261. Bruxelles. 1861. 8^.
Junker, H. P. : Grundriß der Geschiebte der französischen
Litteratur. Münster i. W. 1894. 8\
Kehrli, Heinr. : Die Phaetonfabel im Ovide moralis6,
Bern. 1897. 4^
Kremp, G. : Histoire de la ville d'Issoudun. Issoudun.
1887. 80.
Kühne, H. : Prolegomena zu Maitre Elies altfranzösischer
Bearbeitung der ars amatoria des Ovid. Diss. Marburg.
1883. 80.
— X ^
La Barre-Duparcq, E. de: fiistoire de Henri II. Paris.
1887. 80.
Langlois, E.: Origine et sources du Komau de la Rose^
in: Biblioth^que des ecoles firangalses d' Äthanes et de
Rame, fascicule 68, Paris. 1891. 8^
Lintilhac, E. : Precis historique et critique de la litterature
frau^aise. Paris. 1890. 8^.
Lotheissen: Margareta von Navarra, ein Lebensbild. Wien.
1885- 80.
Lübke, W. : Geschichte der. Renaissance in Frankreich.
2. Aufl. Stuttgart. 188Ö. 8«.
Marcou, L. Th.: Morceaux des classiques frangais des
XVI«, XVII«, XVin* et XIX« siöcles. Paris. 1884. 8«.
Marot, Cl.: (Euvres, p. p. Gr. Guiffrey. Paris. 1875. 4^.
Minckwitz, M. : Beiträge zur Geschichte der französischen
Grammatik im 17. Jahrb., in: Körting's Zeitschrift XIX,
81—191.
Oncken, W. : Allgemeine Geschichte in Einzeldarstellungen.
Berlin. 1891 flf. 8«.
Ovide, P. : Les quinze liures de la Metamorphose D'ouide,
Poete treselegant, contenans L'olympe des Histoires poe-
tiques, traduictz de Latin en Francoys. Paris. 1539. 8^
Palissot, Gh.: Oeuvres. Li^ge. 1777.' 7 Bde. 8«.
Paris, G.: Ohr^tieu de Legouais et autres traducteurs et
imitateurs d'Ovide, in: Hist. litt, de la France XXIX,
455 ff.
Paulmy, M. de, et Contant d'Orville: Melanges tires
d'une grande bibliotheque. Paris. 1779—88. 7 Bde. 4^
Perenie, A. : Recherches historiques et archeologiques sur
la ville dlssoudun. Issoudun. 1847. 18562. 8**.
Picot, E.: Catalogue des livres composant la bibliothöque
de feu M. le haron J. de Rothschild. Paris. 1887—93.
3 Bde. 8«.
Rabelais, F. : (Euvres, p. p. Burgaud des Marets et Rathery.
Paris. 1857. 8«.
Sainct-Gelays, M. de: (Euvres completes, p. p. Pr.
Blanchemain, Paris. 1873. 8^.
— XI —
Schick, J. : Kleine Lydgatestudien, im: Beiblatt zur Anglia
VIII, 134 ff.
Sibilet, T.: Art poetique Francois. Paris. 1548. 8^,
Sieper, E.: Les Echecs amoureux, in: Literarhistorische
Forschungen, herausg. von Schick und Waldberg, Nr. IX.
Stollreither,E. : Quellen-Nachweise zu John Gower's Con-
fessio Amantis. München. 1901. 8'*.
Sudre, L. : P. Ovidii Nasonis Metaraorphoseon libros quo-
modo nostrates medii aevi poetae imitati interpretatique
sint. Parisiis. 1893. S^.
T ar b e , P. : Les oeuvres de Philippe de Vitry. Reims. 1850. 8«.
Theret, A.: Litterature du Berry. Bourges. 1900. 8^
Viollet le Duc: Catalogue des livres composant la biblio-
th^que poetique de M. V. 1. D. Paris. 1843. 8^
Wagner, E. W. : Mellin de Saint-Gelais, eine literatur- und
sprachgeschichtliche Untersuchung. Ludwigshafen. 1893.
8o.n
*) In der obigen Liste sind folgende von dem Verfasser be-
nutzte Werke nicht mit aufgeführt worden, da deren Titel bereits
bei Klein. Der Chor , p. IXff.; Ebner, Beitrag, p. Xff. undßuchet-
mann. Rotrou^s Antigmie^ p. VIII ff. verzeichnet sind: Birch-Hirsch-
ield, Geschichte etc.; Brunet, Manuel etc.; Chasles, ^tude^ etc.;
Faguet, La tragidie etc.; Fries, Montchrestien'a „Sophonisbe" etc.;
Girardin, Tabkau etc.; Crodefroy, Histaire etc.; (joujet, BibliO'
theque etc.; Histoire litteraire etc.; Hoefer, Nouvelle biographie etc.;
J u 1 1 e V i 11 e , Histoire de la langue etc. ;Lacroix-Du Verdier, Biblio-
fhiqiics etc.; La Valli^re, Biblioth^que etc.; Michaud, Biographie
etc.; Älorf, Geschichte etc.; Niceron, Memoires etc.; Parfaict,
Histoire etc. ; P e 1 e t i e r , VArt Poetique etc. ; Sainte-Beuve, Tableau
etc.; Suchier-Birch-Hirschfeld. Geschichte etc.
Einleitung.
Frangois Habert, ein Zeitgenosse und Anhänger
Marot's, dichtete ungefähr in den Jahren 1540 — 60. Ohne
tiefer auf sein poetisches Schaffen einzugehen, hat die Kritik
der Folgezeit den Stab über ihn gebrochen oder ihn doch
recht oberflächlich und einseitig beurteilt.^) Erst die neuesten
Literarhistoriker geben eine, wenn auch zum Teil absprechende,
80 doch richtigere Beurteilung seiner Leistungen. Während
Julleville^) und Morf*) nur einzelne charakteristische
Seiten seines Wirkens hervorheben, betrachten Birch-
Hirschfeld*), namentlich aber Theret*) die reichhaltige
Produktion Habert's in ziemlich eingehender Weise.
Trotzdem ist bisher noch manche Seite seines dichte-
rischen Schaffens unbesprochen geblieben oder falsch beurteilt
worden; auch hat man ihm als Menschen und Zeugen seiner
Zeit wohl nicht genügende Beachtung geschenkt. Es dürfte
sich daher verlohnen, noch etwas genauer auf sein Leben und
Denken einzugehen.
Auf vier Seiten zählte Goujet (1740 ff.) die Hauptdaten
*) Vgl. Öoujet, Bibliothhqiie VI, 25 ff.; Niceron, Mhnoires
XXXUI, 182ff.; La Croix-Du Verdier, Bihliomques I, 223; III,
«56 fr.
«} Eist de la Langue et de la Litt. fr. lU, 127, 128.
') Gesch. d. neuer, frzs. Lit. I, 54. Morf's Urteil läßt sich in die
Worte zusammenfassen: Armselige, fade, eintönige Dichtung, aber in
klarer, fließender Sprache.
*) Gesch. der frzs. Lit. S. 154—157; dazu S. 37. Anm. 19.
») Litterature du Berry, S. 9-147.
Mttnchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXX. 1
im Leben des Dichters anf.^) Seitdem hat die Habert-
Biographie keinen nennenswerten Fortschritt gemacht, da die
nachfolgenden Literarhistoriker sich in der Hauptsache mit
Goujet's Angaben begnügt haben. Der Dichter erwähnt in seinen
Schriften manche Einzelheit seiner privaten Verhältnisse; er
spricht von seinen Studien, die mit dem Tode seines Vaters
plötzlich abgebrochen werden mußten ; er verbreitet sich über
seine Tätigkeit in den verschiedenen Stellungen, die er bei
Juristen und Geistlichen einnahm; endlich bietet er dankens-
werte Aufschlüsse über seine Aufnahme und seine Wirksam-
keit am Hofe. Unsere Darstellung von Habert's Leben und
Weltanschauung gründet sich also auf eine eingehende Durch-
forschung seiner Schriften, deren Zahl, chronologische Folge
und Ausgaben weiter unten eingehend beleuchtet werden sollen.*)
Es war dies nötig, da die bisher verÖflFentlichten Zusammen-
stellungen*) weder vollständig noch kritisch gesichtet waren.
1) Bihliothkque XIII, 9—13.
•) Siehe den Anhang.
»)La Croix-Du Verdier, Bihl fr. I, 223ff. u. III, 656ff.;
Nioepon, Aßm. XXXIII, 184ff.; Goujet, Bibl fr. XIII. Uff.;
Graesse, Trhor III, 192; Brunet, Man. du Uhr. III, 2ff. u. Suppl.
ö8öff.; Picot, CatcUogue, S. 455ff.; Birch-Hirschfeid, Geschichte
etc., S. 37; T her et, La litUrature du Berry, S. 126—129.
Kapitel I.
Haberf s Leben oud WeltanschauHng.
§ 1. Äußere Lebensyerkältnisse.
€Ma terre naturelle
Est en Berry, Yssouldun on Vappelle
Ou i'ay esie des bons espns cogneu.if *)
Mit diesen Worten stellt sich Pran^ois Habert in
seinen „Jngendgedichten des Freudelosen^ dem Bischof von
Noyon vor. Issondon, seine Vaterstadt, stand seit 1517 unter
der Verwaltung einer hochgebildeten Fürstin, der Schwester
Franz' I., Margareta von Navarra. Mit ihr hatte der Geist
der ReoaissaDce und der Reformation seinen Einzug gehalten,
und Männer wiePierrre Guenois (1520), den berühmten
Rechtsgelehrten und Mitarbeiter des Cujas, Denis duJon,
ein Opfer der Reformatioo, und Franz Habert, den Hof-
dichter Heinrichs II., zählt die Lokalgeschichte ^) mit Stolz
zu den ihrigen. Die schöngeistige Gesellschaft dieser Stadt
reimt und dichtet, verfaßt Balladen, Rondeaux, Epigramme etc.
Neben Blois^ wo der Hof sich öfters aufhielt, genoB Issondun
den Ruf, daß seine Bewohner das reinste Französisch sptächen.
^Ich weißy'* sagt ein Zeitgenosse, der Dramatiker Bou che t^),
') Jeunesse du B. de L., epistre XIII, S. 41/r.
*) P creme, Rech, hist., S. 414; Kremp, Eist d, L ville d^L^
8. 26; Chevalier, Hist relig. d^L, S. 214: Boy er, Un menage Utt.j
S. 9; Theret, Liitirature, S. 1.
*) Julleville, Les Mysteres II, 130.
1*
— 4 —
^daß eure Sprache ohne falschen Accentj nicht barbarisch ist, und
ich bin fest überzeugt, daß sie^ in Gallien derjenigen des Hofes am
nächsten steht, ^ Dies war das Milieu, in dem der junge Habert
sich bewegte.
Die genaue Zeit seiner Geburt ist unbekannt. Da die
„Jugendgedichte des Freudelosen (1541)" sein erstes Werk
sein dürften, so wird er wohl um 1520 das Licht der Welt
erblickt haben, wie das auch bisher ganz allgemein ange-
nommen worden ist.^)
Das von einigen*) angenommene Jahr 1608 kann nicht
richtig sein, da sich Habert auf dem Titelblatte der Jeunesse
du B, d, L. (1541) noch <escollier estudiant ä Tholose* nennt.
Mit 33 Jahren wird er kaum mehr Student gewesen sein oder
sich als solchen bezeichnet haben. Ferner ist zu beachten,
daß in den 1558 erschienenen ^Discours de la courty^ (siehe
Anhang, S. 121) sich ein von dem Verleger dieser Schrift,
Philippe Danfrie, herrührendes Sonnet befindet, welches fol-
gendermaßen beginnt:
«i France a receu un honneur admirahle
Regnant Fran^ois taut puissant,
A voir la court dhai tel roy tres-puissant,
Plaisir n^estoii ä ce pUxisir semblahle.
Du Roy viuant qui n^est moins vaierable
Veux tu sQauoir Vhoneur resplamlissant ?
Icy Vestrit un potite naissant
Sur Hdlicon aux neufs seurs agrmbk,
De cest auth^ur humble est Vaffection
Pour les vertiis oü gist pcrfection,
Bonte, grandeur . . .>
Dazu bemerkt Desbarreaux-ßernard sehr richtig:
tSi Fr. Ilabert etait ne en 1508, d aurait eu cin/fuante ans lors-
qu^il publia smi Discours de la court, Dans eette hypothese, Vepi-
ihete de pocte naissant ne lui etait jhxs applicable.»^)
1) Pereme, Rech., S. 347: «de 1515 ä 1520»; Graesse, XeÄr-
buch etc. III, 473; Godefroy, Bist., S. 610.
2) Nouv. biogr. g^. XXUl, 11.
») BuU. du Bibl (1870/71), S. 362.
— 5 —
Habert's Vater war ein kluger und ehrenwerter Alter
{sage vieiUard et hing de vüupere), der dem jungen Franz eine
gute, religiöse Erziehung zu teil werden ließ. „Mein Sohn,^^
pflegte er zu sagen ^), „sieh die Nachtigall an/ Sobald sie Junge
h<äf hört sie auf zu singen und sorgt für deren Nahrung. So
sollen auch wir unseren Kindern Nahrung spenden, nicht nur für
den Körper^ sondern auch für den Geist, und diese geistige Nahrung
ist die heilige Schrifl.^^ In schöner Weise deutet er dann die
Nachtigall symbolisch:
Le rossignol ses petits nourissant
Est le Seigneur Celeste iout puissant
Qui nous nourrist tant de manne fertile
Qne du repas de son pur euangile
En nous monstrant que nous deuons nowrir
Les indigents que la favm fait mourir
En nous monstrant que tous sont noxr enfants
Qui en la foy de Christ son[t] trinniphants,^)
Da Habert seiner Mutter nie Erwähnung tut, so dürfen
wir wohl annehmen, daß er sie schon früh verloren hatte.
jjDir war das Schicksal nicht abhold,^* schreibt er einmal an
seinen Freund Jehan le Brun ^), ,ydenn du hattest und hast
noch jetzt die Mutter.^^ Mit diesen Worten wollte er offenbar
andeuten, daß er (Habert) nicht in derselben glücklichen
Lage war.
Der alte Habert hatte sieben Kinder, vier Töchter und
drei Söhne: Franz, Claudius und Peter. Drei der Töchter
starben schon vor 1540, also bevor des Bruders Dichter-
laufbahn begann.^) Die vierte scheint um 1540 verheiratet
gewesen zu sein.*) Der eine Bruder — Claude — war
*) Dicts de sept Soges Giiij/r.
') Dicts de sept Sages Giiij/r. f. (Zwiegespräch zwischen den Hirten
Kobinet und Luquet).
») Suytte du B, d, L., S. 48/vff.: Epistre VI: A Maistre Jehan
le Brun.
*) Jeun. du B. d. Z»., S. 27/r: Ep. VII ä une sienne seur.
») Ji^n. du B. d. L.y 8. 27/r :
Dieu voiUoit des quafre vous eslire
Pour vng grand fruict en ce monde produire.
— 6 —
tgreffier ä buzancoys^ ^), der andere — Pierre — war Literat
(maistre escrivain) in Paris, wo er eine Abhandlung über
die Kunst, ^rasch und leicht französisch lesen, sprechen und
schreiben xu lemen^^ einen „Katechismus der Tugend^^ etc. schrieb.*)
Um seine Gymnasialstudien zu machen, wurde der jungte
Franz nach Paris geschickt. Hier begeisterte er sich für die
alten Klassiker und machte die ersten Versuche, lateinische
Verse zu schmieden. Überhaupt eignete er sich eine gründliche
Kenntnis des Latein an. Seine Lieblino;sdichter waren Ovid
und Horaz. Griechisch scheint er wenig gekonnt zu haben.
Die Großstadt bot dem Jüngling manche Anregung;
^Fwcunde et heureiise^ nennt er seine Studienzeit in Paris ^),
wo er mit einem Verwandten, seinem cousin germain Guillo-
teau einen innigen Freundschaftsbund schloß. Später —
wann, wissen wir nicht — kam sein Vater in die Hauptstadt
und nahm den Sohn aus der Schule heraus.^)
Franz kehrte nach Berry zurück, wo er seine poetischen
Versuche unentwegt fortsetzte, angeregt durch seinen Pariser
Gönner, maistre Charters Billon.^) Es währte jedoch nicht
lange, so bezog der junge Dichter die Universität Toulouse.
wo er sich mit solchem Eifer dem Rechtsstudium widmete,
daß ihm keine Zeit blieb, seinen dichterischen Neigungen zu
folgen.*) Noch in späteren Jahren finden wir Spuren dieser
juristischen Tätigkeit. In seiner einzigen Prosaschrift, einem
„Katechismus der christlichen Nächstenliebe" '), schreibt er
einen einförmigen und öden JuristenstiL Er definiert z. B.
(S. 16/r) die christliche Nächstenliebe als la renj)roque dilection
ordonn6e , , , au nouueau testametU . . . passe par Iss fideles Notaires^
*) Comb, d. Cup. Piiij'v : Ep. a maistre Cl. Hdbert,
*) Le moyen de promptement et facilement apprendre en lettre
francoyse ä bien Kre, prononcer et escrire. P. Ph. Danfrie et R. Breton.
1549. 8^. LHnstitution de Vertu contenant plusieurs exoellentes sentences
morales . . . Paris, Jean liuelle. 1556. 16^. — Vg^i. auch Goujet,
BMiotMque fr. XIII, 48 ff.
^ Jeun. du B. d. L., Epistre liminmre, S. 4/v.
*) Ibd. Ep. d m. niaistre Charles billorij S. 47/r.
'^) Ibd., S. 48/v.
•) Ibd. Ep. ä M. VEuesque de Noyon. S. 04/r (Druckfehler f. 40i
"') LHnstitution de liberalite ehrest. P. Iö51.
— t —
^»^ MatrCf Lut c< MaHkieu, H raiifU p^ Jtsudirisi, tn stJHe de
laqiieUe raiificationj il a respandu son sang . . .
An einer anderen Stelle (S. 17/r) iAgt er: Par libercdüe
ninsi difmitj Chrestiennement gardM et mise a eaxeuiionf selon
ks troys poincts stufdiett^ nous euitons la fnalheurewse et interdicte
auarice.
Diese Zeit ernsten Studiums wurde plötzlich durch einen
harten Schicksalsschlag unterbrochen: Habert's Vater starb«
Traurige Tage begannen für den jungen escoüiet esiudiant^
Der verstorbene .^Mäcen^S wie er seineu Vater nennte hinter-»
liefi ihm nicht soviel pour viure
Eneores moitis pour
Les liures poursnyre,^)
Freunde und Bekannte bittet der arme Rechtspraktik&nt
um Vermittlung einer Stelle oder um Geld. Ein halbes
Jahr lang dient er einem jungen protenotaire. Doch dieser
Wohltäter verreist und Habert verliert seinen Posten.^) Seine
Gläubiger drängen ihn und besonders seine Hausfrau setst
ihm arg zu:
Pöur ceste heure tmg prisonnier eö suiSj
Mais ee tCest pas pour aele plein d'eocces
Ains seuletnent par faulte de pecune
Et ma priaon cV«< ttie liostderie
DorU la maistresse est du debte murrte
Et vCay vigueur au courroux resister
Si ie ne veuix de Vargent luy compier,^)
Dami befällt ihn noch eine Krankheit:
Dessus la peau les os sont apparens *)
Et n^ay atnys pour comfort ne parens . . .
Dueil Sans cesser en moy se continue
Et iour en iour ma bourse diminue
Toui le profßt de si peu de doctrine
Qui est en moy se med en mededne^
^) Jewn. du B. d, L,^ Ep. a m. maistre charles büUmf.&, 48/r.
•) Jrnn. dH Ä d. L., Bp. XHI, 8. 41/r.
*) By^yttt du B, d. L,, £p. UI, S. 44/r.
^) Combat de Oup,, Fiiijlv: Ep, a inaiatre Ol. HaJnrt.
— 8 —
In dieser traurigen Lage fragt er Fortune, welchen
Dichternamen er sich beilegen solle :
, . , Dy nioy qusl nom veulx que ie porte
Et que t'eseripue en mes dictz, lequel est ce?
Elle respondy le Banny de lyesse^)
Croy qiie ce nom est pour toy destine,^)
Eine gedrückte Stimmung herrscht in der ErsÜings-
dichtung des y^Fretidelosen^^ ; mit einer gewissen Befangenheit
unternimmt der junge Autor seinen ersten Flug. j,Bevor ihr
das kleine Werk veröffentlicJU,*^ schreibt er seinem Freunde
Guilloteau, ,jzeigt es euren guten Freunden; wenn sie es lesen,
tverden sie vielleicht sagen, daß es j/ein'* (polj) sei oder sich dar*
Über lustig Knochen und es als ,, schwer fällig , unzusammenhängend
und stillos^* bezeichnen ;
Si bien m'en vient, vous en serez Vau/^ur,
Si deshonneur, Ven seray Pinuenteur,^)
Bei einem Besuche der antiken Dichter im Elysium
fordert ihn Ovid auf, einige seiner Verse vorzutragen, doch
er lehnt ab mit den Worten:
Mon Stile n'est pas assez pour toy suhHl:
Car des Francoys qvHon veoit poetiqu£r
Je suis le moindre ä bien le praciiquer»^)
Schüchternheit und Bescheidenheit spricht aus allen diesen
Äußerungen. Zu dieser vorsichtigen Haltung hat wohl nicht
wenig der Streit zwischen Marot und Sagen, der gerade um
1540 tobte, beigetragen. Habert selber gesteht, daß er sich
vor der literarischen Kritik, dem „Bisse der Hunde^^ fürchte.*)
So gering er aber seine Anfangsleistungen einschätzt, so
Großes gedenkt er noch auszuführen. Auch in ihm glüht
*) Jeun. du B. d, L,: Preface aux Uctewrs, S. 7/r.
^) Jeun. du B, d. L.: Freface aux lecteurs^ S. 7/r; den gleichen
Namen hatte schon der Dichter Meschinot angenommen.
') Jeun, du B. d. L,, S. 3/r fF. : Ep. liminaire ä maistre Jehan Guilloteau.
*) Suyte de la ieun. S. 87/r.
^) Jeun. du B, d, L.j S. 5/r. Ahnlich äußerte sich schon Michel
d'Amboise in: ^Les Bucoliqv^es etc. (1530]« in seiner schwülstigen,
pedantischen Sprache : «Toute banne ceuvre est ä ceste heure floccipenMe,
mordue et dUacerle» (zit. nach Hennebert, Les trad. etc. S. 99).
— 9 —
der Ehrgeiz des Kenaissancedichters : ,fMich treibfs,^^ sagt er,
jytiti Buch zu schreiben^ durch das ich berühmt werden möchte^ une
Ovidf Horaz und Homer ^^^) Denn die Natur hat uns Ton den
Tieren unterschieden, die nur nach materiellen Dingen {asuure
terrien) streben, tsans veoir le cieh. Daher ist es nötig, so
schließt er,
*que nou8 laissotis ouuraige
Qui 8oU 2)Qur nous süffisant tesmoigtiage
Uauoir vescu,* ^)
Doch wie kann er, der arme kranke Dichter, zu Ruhm
gelangen? Dazu müssen ihm seine Ereunde behilflich sein.
Der junge Student schließt sich, wie wir gehört haben, dem
maistre Charles Billon^ aduocat en la cour de parlement, an;
er legt ihm seine lateinischen Verse vor und bittet ihn später
um seine Protektion und um Vermittlung einer Stelle bei
einem Prälaten. Auch in der Folgezeit korrespondieren die
beiden Freunde in gereimten lateinischen Episteln.^)
Der ebenfalls schon erwähnte maistre Jehan Giiilloteau
besorgte den Druck und die Ausgabe der „Jugendgedichte des
Freudelosen^^. ^) Die beiden Freunde liebten sich wie „Orestes
und Pylades". Eine Meinungsverschiedenheit kann das schöne
Verhältnis nur vorübergehend trüben. Denn als Guilloteau
von einer längeren Reise zurückkehrt, empfängt er einen
poetischen Brief folgenden Inhalts: „Ich freue mich sehr, daß
du von deiner weitere Reise wieder xuri'ick bist; müde, in Frank'
reich zu kben^ wollte ich schon auswandern utid mich in einem
fremden Lande niederlassen. Doch deine Uückkunft hält mich nun
fest; vergiß unsem kleinen Zwist*^ etc,^)
Einem gewissen Eenoist Foucheret sind die in dem
Combat de Cujndo enthaltenen (s. unten, Anh. S. 106) ^Epistres
cupidiniquesi gewidmet. An ihn richtet sich eine Epistel, die
Habert ursprünglich verbrennen wollte, da er sich nicht zu
schreiben getraute.^) In einer anderen Epistel dagegen nennt
») Jeun. du Ä d. X.: Frif aux lecteure, S. 6;v.
») Jeun, du B. d, L., S. 47/rff.j S. 72/v.
*) iM., S. 4/v.
*) Combat de Cup, Oiiijjr,
^) Ibd, (ohne Seitenzahl).
— 10 —
^r ihn schon in der Überschrift son bon aniy und entwirft ihm
eine kurze, realistische Schilderung seines Krankenlagers:
En languissant is sui» au liöt mtUlade,
Sans qu6 h corps de se gutrir s'azarde
Trouuer 9te puw komme qui me Supporte^
Encores moins qui vers may se transporte.
Le vin m^est plus aygre que la mouiarde,
Le medecin me dict donnez vous garde
De menger fruictz ne cresson en saU<ide.
May ie luy dis le diable vous empörte
En languissant^)
Gelegentlich der Aufführung der großen Mysterienspiele
in Issoudun machte Habert die nähere Bekanntschaft eines
Kollegen, des greffier Jean le Brun, welcher wegen allzu derber
Anspielungen auf bekannte Persönlichkeiten eingesperrt wurde,
indes Habert, der die Spottverse verfaßt hatte, straflos davon
kam. 2) Infolgedessen trat zwischen beiden Freunden eine
Spannung ein, die längere Zeit andauerte. Da reichte Habert
zuerst die Hand zur Versöhnung; er bat um Entschuldigung,
erinnerte an die alte Jugendfreündschaft, machte dem greffier
Komplimente wegen seines juristischen Wissens, seiner Vor*
liebe für Poesie u. s. w.*)
Wenu ihm ein Freuud nicht gleich antwortet, fühlt er
sich sehr gekränkt:
*Que 7)1 e sert si frequente escripiure
Qua f 1(1 de ta pari ie n^ay nulle lecUire P»
schreibt er in vorwurfsvollem Ton an den maü-ire Cruillaume
Chappuxet aus Issoudun.*) Chappuzet und Habert waren
Mitglieder eines Kreises von Schöngeistern, die der Abbe
Brugerat um sich sammelte. Hier saß man nicht feierlich
zu Tafel, sondern jeder setzte sich ins Gras und bei einem
guten Glase Wein, den der joviale, geistliche Gastgeber
spendete, hörte man den blasons zu, die der eine oder der
*) Ibd. (ohne Seitenzahl).
') Siehe weiter unten, S. 12fif.
») Suytte du B. d. L., S. 49/r.
*) Jeun. du B, d. X., S. 24/vfF.
— 11 —
andere vorlas. Chappazet, der Sekretär der Gresellschi^t, be-
gann vorzutragen uod ihm folgte gewöhnlich Habert noiit den
Erzeugnissen seiner Muse. Endlich gab der freundliche Wirt
sein Urteil über die poetischen Leistungen seiner Gäste ab.
Habert hatte fiir die Unterhaltung des schönen Rasenplatzes
zu sorgen und die Teilnehmer (freres) des literarischen Zirkels
für den bestimmten Tag einzuladen.
Auch in Damengesellschaft bewegte sich der junge Dichter
gern. Bei einer madame Guerin de Villebouche^) war er
häufig eingeladen. Sie pflegten miteinander zu musizieren.
Die Dame, die eine sehr schöne Stimme besaß, saug, und
Habert spielte die Flöte.
An einer anderen Stelle weiht er uns in seine Herzens-
angelegenheiten ein. ,jlch bin besiegt, und der ist der Sieger,
den man mit verbundenen Augen darstellt''^ so klagt er den
schelmischen Liebesgott an.^) Amors spitzer Pfeil hatte ihn
getroffen, sans espoir de re^nede. Gern scherzt und tändelt er
an lauschigen Orten und manch feuriges Liebesgedicht {maint
blason et jiropos amoureux) fließt aus seiner Feder. Doch ver-
schweigt er uns die Namen seiner Geliebten. Wohl deuten
auf ihre körperlichen und geistigen Eigenschaften verschiedene
Stellen hin, in denen der Dicliter seine Ansicht über das
Ideal weiblicher Schönheit darlegt.^)
Endlich haben wir noch des Anteils zu gedenken, den
Habert an theatralischen Aufführungen in Issoudun nahm.
Im Jahre 1634 war die Passion in Poitiers mit ungeheurem
Erfolg gegeben worden.*) Habert's Vaterstadt, die sich auf
ihre künstlerischen und literarischen Leistungen etwas zu
gute tat, wollte nun auch ihre Mysterienspiele haben. Billon,
wahrscheinlich der gleiche, den wir als Freund Habert's schon
^) Jcwn. du Ä d. L., S. 71 (üruckf. f. 17) v, S. 47/v.
^ JW., S. 22/vff.
*) Jeun, du B, d. L.. S. 13/r; Suytte du B, d. L., £p. XI, S. ö9/r.
u. Ditain de la Brünette, la Rousse et la blanche^ S. 76/r; Jeun. du B,
d. X. : Epistre ii ä vne ieune fille d^vng tapissier merueiüeuse en beaulte.
S. lö/r.
*) JulleviUe, lee Mysteres II, 123.
— 12 —
kennen gelernt haben ^), wandte sich an den Juristen and
überaus fruchtbaren Dichter Jean Bouchet*), der den
Spielen in Poitiers beigewohnt hatte, und ersuchte ihn^ die
Aufführungen in Issoudun zu leiten. Der Prokurator lehnte
dankend ab, übersandte jedoch dem Bittsteller sein Manuskript
und erteilte ihm Anweisungen über die Inscenierung und
Einstudierung. ^)
Im Jahre 1535 wurde das Passionsspiel wirklich gegeben.
Beim Klang. der Fanfaren hatte man schon einen Monat zu-
vor dieses Ereignis feierlich angekündigt.*)
Später arteten diese Spiele aus. Habert berichtet uns
folgendes darüber: Eine lustige Gesellschaft von Juristen
hatte die Sache in die Hand genommen. Der /^re//^- Jehan
le Brun gab die Idee und den Plan an, Habert machte die
Verse.**) Ein Parlamentsadvokat Leconte verfaßte mehrere
Rondeaux; ebenso unterstützten sein Kollege <imaistre Claude
Lacube hien entendu en poesie tant latine qite Frmicoyse» und
der Abt Brugerat tatkräftig das Unternehmen. Es ging
dabei sehr tidel her und manches Fäßchen und manche
Flasche wurde geleert.*)
Einige Jahre dauerten wohl diese Aufführungen : „Immer
noch beliauptete die Basoche ihre histige Herrschaft.^*' Als man sich
aber unbedachterweise zu Angriffen auf bekannte Persönlich-
keiten hinreißen ließ, wurden nach einem tollen Karnevals-
dienstag die supposiz verhaftet und ins Gefängnis geworfen,
und zwar, wie Habert sagt,
>) Vgl. oben, S. 9.
2) Theret, 1. c, S. 136ff.
') JuUeville, les MysÜres II, 128ff.
*) Pereme, Recherches hist^ S. 164: *La triomphante etniagnifique
monstre du Sainct MysÜre de la Passian de notre Seigneur JMaus-Chriat.
On cotistruisit ä cet effet un immense amphitheäire en 6o«, rappelant
cea enormes idifices qti'ofi n^avait pas mis depuis Us temps des Romains,
McUheureusement les details relatifs ä cette reprSsentation ne noiis ont
point 6U conserues.»
*) Suytte du B, rf. L., S. 63/r.
«) Ihd., S. 60/v.
— 13 —
par sergens deshyaulxj
Ha, i'ay grand tort, ie veulx dire royaulx,^)
Doch war die Haft eine leichte. Ja, die Schauspieler erhielten
sogar die Erlaubnis, Besuche ihrer Freunde und Angehörigen
zu empfangen, unter ihnen auch unser Dichter, der sich oft
einstellte und seine Freunde zu trösten versuchte. Le Brun's
sorgsame Mutter schaffte ihrem Sohne ein Bett ins Gefängnis.
Man wollte offenbar die hasoclmns nur schrecken ; sie wurden
bald wieder auf freien Fuß gesetzt und es wurde verboten,
de proclamer lihelle.
Depuis ce temps baxoche tnise m-rier
Cessa blasofis.
Mit Bedauern sah Habert diese tollen Fastnachts-
lustbarkeiten verschwinden; ier möchte sie gern wieder zu
neuem Glänze bringen:
tDont stiis d'cuhiis qu'il eii sott dispute
El Bmgerat fnir ce fatct consulte
Qui des long temps s^est monstrc secourable
Aiix botis siippostz . . .
En ce faisant baxoche reprendra
Son lox preyniem-)
Erst acht Jahre später (1549) berichtet uns Habert
wieder einiges über das Theater seiner Heimatstadt. Die
einst so ausgelassene Karnevalsgesellschaft war im Laufe
der Zeit eingeschlafen. Man sammelte zwar Beiträge ,fbis
xum Erbrechen^', doch machte man von dem Aufführungsrecht
von Theaterstücken keinen Gebrauch mehr. An Humor und
Scherz taten es die kleinen Städte der Umgegend den Ein-
wohnern von Issoudun zuvor. Diese spießbürgerliche Saum-
seligkeit ärgert unseren dereinst so eifrigen Bazochien so sehr,
daß er in einer geharnischten Epistel seine Landsleute auf-
zuwecken sucht:
») Suytte du B. d. i., S. 48/v.
•) Suytte du B. d. L., S. 50/r. — Goujet's Bemerkung (Bibl fr.
Xin, 13) : tH. refusa depuis de se melei' de ces divertissements trop libres
et trop satiriques» ist also unrichtig.
— 14 —
<0u est ce Roy? ha iL eueur resfroydi?
Ou est Bazoche? est son sens estourdy?
.Ou est Bacchits cour7vnn4 de lyerre?
Que vierht il vers vostre Roy grand erre? (sicl)
Ou sofit tabours sonnants soir et matin
Pour recorder en dance ou en fesim
Tous vos blasona? pour iß taut icy mettre
Vous dormez irop, cest la fin de ma fe/lr«.»^)
Die Jahre 1541—43 waren fär Habert yerhängnisvoU.
Er hatte, wie wir gehört haben, das juristische Studium auf-
gegeben. Mittellos und ohne Beruf stand er da. Die Not
trieb ihn, Buch auf Buch zu schreiben. Er war dem Spiel
ergeben : „ Und verliere ich alles bis aufs Hemd, tadelt michj wenn
ich eine Träne da^^m vergüße^^ schreibt er trotzig an einen
Bekannten, der ihn zum jeu de la botäe herausgefordert hatte.-)
Zu allem Unglücke läßt er sich noch mit liederlichen Frauen-
zimmern ein; ein galantes Abenteuer folgt dem anderen, bis
eine ernste Krankheit diesem ausschweifenden Lebenswandel
ein Ende macht.')
Seine Schulden häufen sich derart, daß er ins Gefängnis
wandern muß : ,, Magerkeit verzehrt mich^' klagt er in einem
lateinischen Epigramm, ,,und die Schwärze des Ortes quält mich ;
eine .schwere Kette trage ich an den Fiißen,^^ *) Als er seine Strafe
abgesessen hatte, war er wieder mittellos. Rin an Guillaume
Chappir/et gerichteter Brief schildert uns seine Lage : „M
freue mich, dich ülter mein Be finden und meine Genestntg in
Kenntnis setzen zu können. Seit vier Monaten habe ich kein Geld
mehr; ich laufe hemm bei meineyi Freunden und kitte rmi KreAii. ;
und was mehr ist, ich hin in Freiheit und fürchte immer in Oe-
fangenschaft zu sein, obwohl ich keine Ausschreitungen begehe; ich
muß mirh wieder nach einer Stelle umsehen, um etwas zu ver^
dienen ^^ *)
*) Temple de Chast. (1549): Atix Bazochiens d^Yss&uldun o. 8.
*) Liure des vis. fant, ohne Seitenzahl (vorletztes Epigramm).
') Vgl. Comb, de Cup., Epistres Cttpidiniques Hiij/vff., woselbst diese
wenig erbaulichen Dinge mit breiter Ausfü-hrlichkeit geschildert sind.
*) Jardin de fodicite (ohne Seitenzahl, gegen Ende).
^) Comb, de Cupidon, Ep. ä matstre G. chappuzet, ohne Seitenaahl.
— 15 —
Zudringliche Gläubiger belästigen ihn. 6ar oft sucht er
das Weite, um den Schutzleuten zu entgehen, die ihn ver-
haften wollen:
II m'e9t aduis que tout vif on mescorehe
Quand on tue va mes debtes denicmdani.^)
Eine adlige Dame, Madame de Touteville, Gräfin
von Sankt Paul, und viele andere bittet er um Geld; einen
protenotaire des Grafen geht er an, für ihn ein gutes Wort
bei dem Gemahl der genannten Dame einzulegen.^)
Um dieser Not für immer ein Ende zu machen, faßt
Habert einen kühnen Plan. Er sucht an den Hof zu kommen,
wendet sich jedoch nicht an Franz 1., sondern an dessen
Sohn, den nachmaligen Heinrich II. In einer an den
Dauphin gerichteten Epistel, die den Schluß der Nouvelle
Vrnu^ bildet (1543), vergleicht er Heinrich 11. mit Vulkan
und bittet, in die Zahl seiner Diener aufgenommen zu werden :
Ndtk Vnlcanus {Vukmn\ qne par grnce et faumir
Amntqu'allerckerchcrIJischezet Cerß (Herbst 1643?)'^)
Tofi vonloir me ßt r/i de tes serfz, [sie!]
In dem (Euire Bucolique, das der „neuen Pallas (1545)**
beigegeben ist, erzählt er von einem neuen Versuch, Zutritt
beim Dauphin zu erhalten.*) Der Hof befand sich damals
in Anet, dem reizenden Schlosse der „Senescliallin" (Diana
von Poitiers), einem Meisterwerke der drei größten Künstler
der französischen Renaissance. Hier traf Habert die hoch-
üebildete „Schäferin von Navarra", sowie den Dauphin, in
dessen Dienst er treten wollte. Er überreichte ihm seine
Dichtung ; man fand sie elegante^ honeste et resolüe. Doch es blieb
bei dieser lobenden Anerkennung; die Herren und Damen
des Hofes belustigten sich lieber mit der Jagd, als mit den
Versen eines armen Dichters:
») IM., cüij/rff.
*) Livre des vis. fcmt iiij/r» £y/v. Für Goujet's Bemerkung
(Bibl. fr. XIU, 12j: »H, fut , . Secretaire de M. le Duc de Nevtrs qui
U fit c9Hno%tre ä la Cour . , , H. . , . fut bien accüeiüi de Fran^ois I»
^iode ich uirgends eine Belegstelle.
») S. untea S. 111.
*) Nouv. Pallas (ed. 1545) S. 63 ff.
— 16 —
€si souuent Bergers vont ä la cfiasse
Que tout espoir hors de mon cueur ie cliasse.^^)
So mußte Habert „den Wert von 20 Hammeln" aus-
geben, ohne am k. Hofe eine feste Anstellung oder auch nur
Zutritt daselbst zu erlangen. Er gab seine erfolglosen Be*
mühungen auf und kehrte krank und niedergeschlagen zu
seinen Freunden nach Paris zurück.
Als aber kurz darauf der Dauphin wieder auf ihn auf-
merksam gemacht worden war und erfahren hatte, daß Habert
der Verfasser der „neuen Venus" (1643) sei, <qu^auoit receu
son amye exaulcee» (Catherina v. Medici), ließ er ihm sofort „den
Wert eines fetten Ochsen" ''^) ausbezahlen.
Ha (dis ie lors) o Berger honnorable
Tu m^as este au besoing secourahle,
Je te jtrofnetx que rna rurale Muse
Dilatera ta lotienge diffuse,^)
Auf den Wunsch des Dauphin verfaßte er nun die „fiene
Pallas*^, die er im Jahre 1544 zu Evreux überreichte. Gleich-
zeitig beglückwünschte er seinen fürstlichen Gönner mit be-
geisterten Worten zur Geburt seines ersten Sohnes*):
^) Nouv. Fall, S. 67.
^) Diese seltsame Rechnungsart nach Ochsen nnd Hammeln hängt
wohl damit zusammen, daß damals die Viehzucht in Issoudun in hoher
Blüte stand. Es wird dies ausdrücklich von dem Geschichtsschreiber
Chaumeau bezeugt: «La ville d' Issoudun est en troys ckoses princi-
palement recommendable : Vune pour raison de VetendurC de sa Jurisdiction,
Vautre pour la grande abondunce des trouppeanx de brebiSj aigneaux et
moutons qui sont ordinairement nourritz au dit Heu, etc.», zit. nach
Chevalier, Hist relig. d'Iss.^ S. 8.
») Nouv. Fall., S. 68.
*) Die beiden ersten Kinder des Dauphin waren Töchter, Elisabeth
und Claudia. Der älteste Sohn, der nachmalige Franz II., wurde am
19. Januar 1544 geboren. Dieses Datum berechtigt zu dem Schlüsse,
daß H. ira J. 1544 schon die „neue Pallas" überreicht hat, ferner
daß 'dieses Gedicht vor der „neuenJuno" entstanden ist (vgl. Anhang.)
Unrichtig ist daher auch die Bemerkung Paulmy's in den MSlanges
(Vn, 251), der, gestützt auf eine spätere Ausgabe der neuen Pallas
vom Jahre 1546, in dem erwähnten Prinzen den Herzog Franz von
Alen^on sieht. Außerdem heißt es ja gleich in der Überschrift des
Gedichtes {Nouv, P., S. 58): »Inuention sur la Naissance de Mon-
seigneur le Duc de Bretaigne etc.».
— 17 —
*0r est ü nay le desirS Enfant^)
Le Duo Francoys de brauche Liliak:
Louee en soü ton Espouse hyalle
Noble Daulphin . . .
La eruatUi qui se voulut armer
Contre le cours du Datdphin mw en cendre^
Ores ne peuU destruire ou consumer
Cil dont on voit vn Heritier descendre.^
Der Dichter bewarb sich um die Gunst der Königin und
ihrer Schwägerin, Margareta von Navarra.*) Der Dauphin
(der spätere Heinrich II.) zog ihn auch gelegentlich zur Ge-
sellschaft bei ') und stellte ihm schließlich eine Stelle bei
Hof in Aussicht.^) Doch erst im Jahre 1546 oder im Anfang
des Jahres 1547 scheint er eine solche bekommen zu haben. ^)
jfXächst Goiif'^ sagt er. „Wn ick meinem fürstlichen Freunde xn
Dank verpflichtet^^:
tUvn m^ha creie (sie!) ä sa forme et semblaneej
Uautre appelee a sa court d^excellence.i^^)
Im Jahre 1548 war der königliche Hof, der bekanntlich
seinen Aufenthalt oft wechselte, in Fontainebleau und hier
scheint Habert das Bruchstück seiner eben gefertigten Ovid-
übersetzung vor Heinrich II. rezitiert zu haben.') Von hier
ging er nach Paris, um seinen Kollegen, den Hofdichter
Meilin de Saint-Gelais aufzusuchen.^)
M Nouv. FaU., S. 57.
*) Dicts de sept Soges (1549; Druckerlaubnis vom 24. Febr. 1548):
Eglogue aur la naisaance de M. le daulphin (ohne Seitenzahl).
») iM., Eij/v.
*) IM.. Aij/r.
*) Für diese Annahme spricht der Umstand, daß Habert (Nauv,
Venus [1547] 8. 16) Heinrich II. (König seit 30. März 1547) noch als
Dauphin tituliert und ihn seinen Freund nennt. Femer heißt es in
einem £ztrait du Priailege auf S. 2 von Les quatre liures de Caton
(P. 1548; Druckerlaubnis v. 22. Janaar 1546): Francoys Habert, Poete
de numsieur le Daulphin.
•) Nouv. Venus (vor dem 30. März 1547), S. 16.
') Ep. Her. (1550), S. 68/r.
*) 8. weiter unten, 8. 33.
Miinchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXX. 2
— 18 —
Das Ende des Jahres 1648 brachte für Habert ein freu-
diges Ereignis : Er stattete seiner &eburtsstadt Issoudun einen
längeren Besuch ab. Manch frohe Stunde verbringt er im
Kreise der ehemaligen Schulkameraden und Freunde. Beim
Jahreswechsel (1549) hat er für jeden ein paar schmeichel-
hafte Verse, ein poetisches ^Etrenne" in Form eines Epi-
gramms etc.^)
Über den Grund seines Besuches in Issoudun läßt er
uns im Unklaren. Doch scheint er im Auftrage des Königs
dort gewesen zu sein, da er sagt: Königliche Arbeiten haben
mich hier festgehalten.^ Überhaupt scheint er bei Heinrich IL
sehr in Gunst gewesen zu sein ; denu der König nennt ihn in
einem Privileg vom 13. April 1551 (auf dem Titel steht irr-
tümlicherweise 1541)^) ymstre eher et hien ayme Francois habertj
nostre Poete Francois,^*
In der Nachbarstadt Bourges hielt er sich eine Zeitlang auf.
Hier lebte und dichtete sein Freund und Kollege Nicolas
le Jouure. In dem gastfreundlichen Hause Bouchetel's,
des Euripidesübersetzers , fand er herzliche Aufnahme und
ließ sich die guten Weine von Bourges vortreflFlich munden.*)
Doch konnte ihn das Leben und Treiben der Provinz
auf die Dauer nicht fesseln; er sehnte sich nach Paris zu-
rück. fjAber eher werden die Fische in der Luft Na)irung siichen^^y
schreibt er im Jahre 1549 ^)j „und die Vögel im Meer ihren
Unterhalt, als ich am königlichen Hof sein werile ; mit Schmerzen warte
ich, bis die Zeit abläuft, um unverzüglich an den Hof zu gehenJ^
Endlich schlug die Scheidestunde. Einige poetische Ab-
schiedsgrüße an JaquesThiboust; den ^^Mäcen und Vater
der Schriftsteller**, •) und an seine Gönnerin Madame Anne
Bisoton de Loches') — , und Habert ist wieder in der
geliebten Hauptstadt.
') Tempk de Chast, (1549), Ep. ä Claude Maupas (ohne Seitenzahl).
') Ihd., A Monsieur F. Begnier (ohne Seitenzahl).
') Les sermans satiriques d^Horace,
*) Temple de Chast (1549) L/vff.; Ep. Her. (1650), S. 102/v.
^) Ihd.^ A Nicole le Jouure (ohne Seitenzahl).
«) Temple de Chast. Dij/v; Boy er, M^. litt. S. 35 fi
') Ibd., Eiij/r.
— 19 —
Bald finden wir ihn jedoch wieder in der Provinz, und
zwar inQuantilly, bei seinem Freunde Thiboust. Hier
beginnt er die Satiren des Horaz zu übersetzen, die er in
Paris vollendete und seioem Gönner (1549). widmete.^) Aber-
mals lud ihn Thiboust ein; er versprach zu kommen und am
liebsten bis zu seinem Tode zu bleiben.
Doch mußte Thiboust auf die Ehre eines so langen Be-
suches verzichten. Habert kam von Bourges aus in Quan*
tilly an und hielt sich nur sechs Stunden auf. Die drei
Töchter des Hauses Jaqtielinej Jekanne und Marie boten alles
auf, dem Gast den Aufenthalt angenehm zu machen; besonders
der Wein schmeckte ihm vorzüglich und uicht leicht hatte
er in seinem Leben glücklichere Stunden, als gerade damals,
1560.«)
Zu seinem großen Leidwesen stirbt Thiboust 1555, und
bereits 1556 folgen ihm Jean Bouchetel und Nicolas le Jauure^)
ins Grab. Im Jahre 1557 erscheint Habert's bedeutendstes
Werk, die Übersetzung der 15 Bücher der Metamorphosen
Ovid's, die Frucht einer mehr als achtjährigen Arbeit, deren
Fortschritte Heinrich II. mit lebhaftem Interesse verfolgt
hatte.*) Die späteren Arbeiten Habert's bringen keine Lebens-
nachrichten mehr; er starb wahrscheinlich nach 1561, da in
diesem Jahre sein letztes Werk*) erschien.
§ 2. Habert's Weltanschauung.
1. Religiöse Ansichten.
Die Reformation hatte längst angefangen, sich in Frank-
reich zu verbreiten. Da sie sich von antiroyalistischen Ten-
denzen nicht immer frei hielt, so ist es begreiflich, daß die
französischen Könige, Franz I. und sein Nachfolger Hein-
*) Le Premier Hure des Serm. aüj/v.
^ IHacours du Voyage de V. (1550), (ohne Seitenzahl).
») Diuiru Oracles (1556): Depl de J. Bouchetd o. S.; Temple de
Chaat. L/vff.
*) Quinze liures de metam.: Epistre au Roy, am Anfang.
») Siehe S. 123.
2*
— 20 —
rieh U., die Calvinisten verfolgten.^) Die Gebildeteu sahen
sich yeraulaßt, zu der neuen Lehre Stellung zu nehmen. So
erklärt es sich, daß auch Habert's Interesse sich in erster
Linie auf religiöse Fragen richtete.
In einer Epistel an seine Geliebte, vne üune fiUe cCung
tapissier merueiUeuse en beauÜS '), schreibt er einmal, daß er „ein
besserer Katholik" werden würde, wenn er, anstatt einer Reli-
quie, sein Schätzchen küssen dürfte. Diese Mitteilung über
seine Konfession ist insofern interessant, als seine Jugend-
poesie durchaus keinen spezifisch katholischen Charakter an
sich trägt.
Seine Weltanschauung ist die christliche. Im Mittel-
punkte der Religion steht für ihn das Prinzip der Nächsten-
liebe.^) Leider sei sie so selten zu finden, meint er; da man
sie so gering achte, habe sie uns verlassen und sich in höhere
Regionen begeben.
Nicht genug kann er die christliche Freigebigkeit em-
pfehlen : „Die populäre Meinung, daß man die wohlgdeiiete Nächsieti-
liebe bei sich selbst beginnen müsse, ist vollständig ketzerisch und
gegen die evangelische Lehre}^ *) Die christliche Liebe wendet
sich an den notleidenden Nächsten ; sie ziert besonders Fürsten
und Prälaten. Seine Mahnungen gipfeln in dem Satze : „i^ei-
gebigkeü ist der Ursprung alles Guten, die Wurzel aller Glücke
seligkeitj die Quelle aller Weisheit^^ *)
Nach dem 2. Juli 1541 (Datum des Privilegs) ließ
Habert auf Anreguog seiner Freunde •) den PhilosopJie parfaict
erscheinen, eine Schrift, welche wir etwa Der echte Christ be-
titeln könnten:
<^C'est vng iraicte ou paindre ie m'ajjlique
Le Phihsaphe accoinply et parfaict
Que ie inieiprete hornme scientiflqiie
Et uertuenx . . .^)
*) De la Barre-Duparcq, Histaire de Henri II, S. 319.
*) Jeun. du B. d. L., S. 15/v.
») Ibd., S. 65/r.
*) LHnst. de Lib., S. 24/r.
») Ibd., S. 17/v.
*) Phil. parf. (ohne Seitenzahl), am Anfang.
') Ibd., aiij/v.
— 21 —
Habert's „vollkommener Philosoph" ist der gebildete,
sittenreine, ideale Mensch, Plato's naXbg xiya&bg dnijQ in
christlichem Gewände. Seine Eigenschaften sind Seelengröße,
Tagend, Freigebigkeit, Klugheit, christliche Nächstenliebe,
Ehrenhaftigkeit, Liebe zu Gott und zu den EUtem; er be-
schäftigt sich mit Wissenschaft und Poesie, namentlich reli-
giöser. Diese Tugenden erwirbt er in beständigem Kampf
mit der Welt und dem Fleische.^) Sein Ziel ist die Seligkeit
(le ual bien fortune), nicht das Tal „BrOnceval, in welchem
einst das Blut von Menschen und Pferden floß" % auch nicht
der Ort, wo die heuchlerischen Mönohe hinkommen, sondeiii
das ewige, himmlische Tal, wo Gott selbst uns aufnimmt
Ein christlich-religiöser Geist weht, wie gesagt, durch
seine Dichtung. Häutig paraphrasiert oder übersetzt er Stellen
aus der heiligen Schrift, die ihm nicht übel gelingen. So
gibt er z. B. das Gebet des Herrn folgendermaßen wieder:
0 pere supemel
SanetifU soU ton nom ceternel
Ton regne aduienne^ et ton uouUnr se face
En terre ainsi qv^en la coplesie place^
Et ce ioiirdhuy ne nous reffuse pas
Le pain qui est Vaidinaire repas,
Tons nos pechez par toy nous soient remys
Comme votUons ayiner nos ennernys
Et ne permetx que nous soyons tentex
De Vennemyj ains de mal exemptez,^)
Seine anfangs maßvollen, christlich-religiösen Anschali-
ungen ändert Habert sehr rasch, als er an den Hof des pro-
testantenfeindlichen Heinrichs U. und der orthodox-katholischen
Katharina von Medici berufen wurde. Jetzt wurde er auf
einmal der strenge zelotische Katholik, der dem Dauphin die
ausdrückliche Versicherung gab: cJ'at'mc Veglise vraü et Ca"
tholiquei^ *), indem er noch hinzufügte, daß die ketzerische
') Fhü. parf., eiij.
«) Ibd., fiij/r.
■) Jeun. du B. d. L., S. 107/v.
*) Nouv. Jun., S. 30.
— 22 -
Lehre nicht göttlich, sondern ein Werk des Antichrist ^), ja,
geradezu ein Verbrechen sei.*) Deshalb müsse ^,die Kirche,
welche die Meinung nicht hat, welche die Gläubigen heseeli^^y ver-
nichtet werden, um der wahren Kirche Platz zu machen.
Um dies zu erreichen, fordert er den König auf, ein dahin
zielendes allgemeines Edikt zu erlassen, weil sonst zu be-
fürchten sei, ,fdaß man das auserwählte Volk vemichte^^.^) End-
lich eifert Habert auch gegen die Anabaptisten und gegen
die „ÄtheisteHf welclie Jesum Christum aller Orten verleumden und
wirklich glauben, daß es keinen Öoti gebe^ und daß die Seele, wie
der Körper sterblich sei^^,*)
Habert war, wie gesagt, sehr religiös und zugleich ein
eifriger Bibelleser: jjch pflege täglich früh aufzustehen,^^ sagt er, -
„und zu lesen, uhis Gott einst offenbartet^ ^) Er wird nicht
müde, die Lektüre frommer Schriften zu empfehlen, außer
dem Alten und Neuen Testamente,
sainct Jherosme au texte euangelicque
Puis de Dauid le psauUier propheticque
Theophilacte, Origene et Lactance . . .
Sainct Augustin, Bernard et Cyprian*^)
Im Temple de Chasiete ermahnt er seine Zeitgenossen:
„Habet die Gaben des Evangeliums mehr im Herzen als die Verse
Homer's und VergiVs, leset nicht mehr in Oger dem Dänen . . .
noch in Gawein, der so viele Abenteuer ausführte. Besser sind
die heiligen Bücher,^^ ') Seine Gegner können ihn nicht irre
machen: „Ihr verliert die Zeit,** ruft er ihnen zu, ,jWenn ihr
l^mmt, mich zu tadeln, wenn ich die heilige Schrift verteidige; je
^) Ibd., S. 13.
*) Nouv. Pallas (Ausg. 1545) S. 48. — Birch- Hirsch fei d's An-
sicht {Gesch. d. frzs. Lit., S. 114): „Habert^ der am meisten kirchlich
.gesinnte der gleichzeitigen Poeten, ist darum doch kein Ketzerfeind wie
Gringore, Bouchet und BourdignS gewesen,^^ werden wir auf die erste
Periode seines Lebens beschränken müssen.
«) Nouv, Pall. (1545), S. 41.
*) Ep, Her. (1660), S. 68/r.
*) Nouv, Juno (1547), S. 26.
«) Temple de Vert, S. c/r.
') Temple de Cfiast (gegen den Schluß),
— 23 —
mehr ihr mich deshalb tadelt, um so inehr tväl ich sie lehren,^)
Im Tempel des Lasters ist sie yerboten, dort liest man nur
den Kosenroman und Ovid's ars amandi.*)
Der Dichter liebt es, seine Auseinandersetzungen mit
Zitaten aus der heiligen Schrift zu schmückcD. Man ver-
gleiche z. B. die hübsche Stelle aus Johannes:
Je suis la uie et resurrection
Qui croit eii nmy en ferme intention,
Voire si mort la rauy ]>ar enuye
Jay le pouoir de luy donner la wie.')
überhaupt sind Habert's Schriften dieser Periode durch-
tränkt von dem Geiste des Neuen Testaments.
Lange beschäftigt ihn die Frage, ob man die Bibel fran-
zösisch erklären und die Lektüre derselben in französischer
Sprache erlauben solle:
Si longuement Vay este en esmoy,
SHl estoii hon de lire l'Eseripture.
Je n^ay plus de doubiancej pourquoy ?
Dieu la preschoit ä touie creature.^)
Soll man sie vielleicht „in* Schottische *) ühersetzen ?" fragt
er. ffich kann wahrhaftig nicht glauben^ daß der Gegenstand, den
man französisch erklärt^ dem Menschen fremdartiger ist, als das
Lateinische, Griechisdie oder Hebräische:^ ^
<Ce qui est vtHe, reueler
Cela me semhle estre hon et propice.^"^)
Jeder Geistliche sollte die Bibel auswendig wissen ^), aber
Tiele von ihnen lesen sie heutzutage überhaupt nicht mehr.^)
Allem Volk soll sie verkündet werden, auch den Frauen,
») Ibd,, S. liy/r.
") Jardin de feel, S. cij/r..
") Jard. de fcsL, S. D/v.
*) Nouv. Jun., S. 26.
») IM., 8. 19.
^ N(mv. Jun., S. 19.
') Ihd. S. 26.
^ Songe de Fant. S. Cij/v.
•) Ihd., 8. Cij/r.
denen man sie infolge einer falschen Erziehung Torenthält.^)
Christus selbst lehrte ja die einfachsten Leute, die schwer-
falligen und bäuerischen, um zu zeigen, daß seine Lehre sanft
sei und leicht verständlich, im G-egensatz zu denen, welche
sie verbergen und in wundersame, dunkle Labyrinthe ein-
hüllen, in der Meinung, ihnen allein gehöre die Kenntnis und
OflFenbarung.^
Die Meinungsverschiedenheiten und Widersprüche be-
züglich der Lehre der heiligen Schrift findet der Dichter sehr
bedauerlich; mit Unrecht habe man versucht, das Buch der
Bücher zu verkürzen, zu erweitern oder fortzusetzen. Kate-
gorisch erklärt er: die Bibel ist ein Buch,
^Auqnel ne fmdt quelque chose adiüuster
Duqtiel aussi rien ne conuient oster. ^^
Die Gegner der französischen Bibelinterpretation und
-lektüre sind ihm „allzu engherzige Leute",*) manche auch
€iransgresseurs . . .
Qui pour auoir rentes et reuenus
Voiiloient de Dieu escriptz estre incongnux,^^)
Doch ist ihr Widerstand bereits gebrochen; die fran-
zösische Bibel liegt vor uns, dank den Bemühungen unseres
allerchristlichen Königs Franz:
€(Test luy qui ha {dire ie Vose bien)
Entre nox mains lettres Saintes rendues,
Par ignorance et mensonge perdues.^^)
Wie auf die Bibelverächter, so ist der Issouduner Dichter
auf die Geistlichkeit schlecht zu sprechen. Mit treffender
Satire verfolgt er die verlotterten Mönche. Der gute Frater
Morice, der sich zu Tode säuft'}, der Bruder Toussaintz,
der auf einer Wallfahrt nach Rom eine Nonne verführt und
^) Jard. de fcel, (ohne Seitenzahl, gegen Ende); Dicia de Sept
Soges: Egl. swr la naiss. de msgr. le Daulphin (ohne Seitenzahl).
«) LHnst de Üb. (1551), S. 10.
^ Songe de Pant,, S. Cij/v.
*) Nouv. Juno, S. 26.
») Nouv, Pallas, S. 16.
«) Ibd., S. 61.
^ Jeun. du B. d. L., S. 65/v.
— 25 —
sie dann zum größten Vergnügen der Brüder in sein Kloster
einzuschmuggeln weiß^), der Beichtvater Estienne, der
eine Dame bestiehlt ^), der bon compaignon Cordelier^),
ein Don Juan in der Mönchskutte — , das alles sind Q-estalten,
welche, mit trefflicher Realistik gezeichnet, Marot alle Ehre
machen würden.
Die Mönche häufen Schätze und Güter in ihren Klöstern
an, trotzdem ihnen ihre Regel Armut yorschreibt.^) Sie hassen
die Wahrheit und glauben, daß durch sie die Welt ver-
schlechtert werde.^) Sie huldigen ketzerischen Ideen*), sie
sind Pharisäer und Heuchler ^ ; an der Pforte des Jugend-
tempels sagt der selbstgefällige Franziskaner:
Je suis deuotf eatholic ei de Vordre ®)
De sainct Francoys . . .
Je scay desia tout par cueur nion psatUtisr
Et si ay uoix dotUce et bien ordonnee
Qtumd €ay au cueur quelque chose entonnie
Si que vertu me uoyant ä genoulx
Man gris habit et ma corde et mes nouds
Eüe dira que uertueux ie suis.
Doch im „Tbfe der Seligen^ im Himmelf findet man keine
glattrasierten und geschorenen Mönche im Kleide der Raben und
Elstern.'^ »)
Überhaupt ist das Mönchtum eine veraltete Einrichtung.
Zu einer Zeit, wo die Christen noch in geringer Anzahl
waren und sich verbergen mußten, baute man Klöster, um
sich gegen die Feinde des Evangeliums zu schützen. Heut-
zutage, wo das Christentum überall verbreitet ist, braucht
man sich nicht mehr an einem einsamen Orte zu verstecken,
>) Ibd., S. 67/r.
•) Combat de Cup,, S. Kiij/v.
^ Jeun. du B. d, L., S. 29/v.
*) Phü. parf., S. e/v.
*) Jard, de fctl, (nur teilweise nummeriert), etwa bei S. (Ji/r.
•) Dipl poH., S. 33.
') Sänge de P., S. diiij/v.
•) Temple de vert, S. bij/rf.
•) Fhü. parf., S. fiij/r.
sondern man kann frei umhergehen und seinen G-lanben
offen bekennen.
Als der junge Pantagruel seinen Ratgeber bei der Be-
rufswahl, den G-argantua, fragt, ob er sich in die Einsamkeit
eines Klosters zurückziehen solle, antwortet dieser spöttisch:
„Gewiß nicht; denn du könntest dort zu fett werden" {Certes
nenny, , . , en ce lieu trop tu pourroys engresser),^)
Ebenso bekämpft Habert eine andere kirchliche Institution,
den Ablaßhandel und seine Vertreter:
ceulx qtii presckerent iadis
Que par argent on gaignoü paradisy
Et qui disoient que sans merite ou aniure
Pan pour argent son paradis nous euure
En rec^mant grande somme. dargent
Dont y a eu maint poure komme indigent
Qui pour tirer bergers du purgatoire,
Vaches et ueaulx mectoieni en inventoire
Pour appaiser ces preschetirs amassex
Pour alleger ames des trespassex,
Dont üx tiroient biens de tout le plus chiche[y]
Mais n'en est pource [de]venu plus riche,^)
Die höhere Geistlichkeit ist um kein Haar besser als die
niedrige. Tityrus (= Petrus) wohnte in elenden Hütten aus
„Blättern und Gras^^ und sandte von dort aus seine Gebete
zum Himmel. Dagegen ist sein Nachfolger, der hohe geist-
liche Würdenträger unserer Zeit „aufgeblasen und stolz auf
die souveräne vom Gotte Pan ihm verliehene Macht." Er
läßt seine Herde huDgem und dürsten und fuhrt sie auf
schlechte Weide, wo giftiges Gras wächst:
E faict le grand, ü est presumptu^eux,
E cJiange habitx, son aulbergeon rustique
n mue en heau uestement Italique
*) Songe de Pant^ S. c/v. An einer anderen Stelle allerdings {Jeun.
du B, d. L.j S. 3ö/v] lobt er den Fürsten Antoine von MelphCy
D^auoir esleu vng simple monastere,
Estroict deuotj reigle canonicaL
Doch glaube ich, daß wir hierin nur eine Schmeichelei zu sehen haben.
•) Songe de Pant^ S. dij/r.
— 27 —
De uehux eher, il deuient fier et graue, . . .
Ses chaulces ont müh deschiquetures
11 a cheuätUx exomex cfe dorures:
Chaisnes au col düng or clair et luysant . . .
R entreprent le deduiet de la chasse
11 a oyseaulx et chiens en abondapice . . .
Amhüian en luy faict sa demeure:
Et imit plus a de uaehes et de ueauhc,
Thnt plus en luy sont appetis nousaulx
De posseder terrea et cedifices . . .^)
Er vertreibt sich die Zeit mit Spielen ; er ist unzufrieden,
prozessiert gern und stürzt wegen eines heftigen Wortes
manchen Armen ins Unglück. Tityrus (Petrus) bekam von
Pan (Christus) die Macht €8elon sa plaisance . . . touie chose
lier . , , et soubdain deslier», und er gebrauchte diese Gewalt
nach der Vorschrift Gottes, aber
ces bergers ne se ueullent renger
Ä ceste chose, ains plus tost deroger. *)
Es fehlen ihnen die beiden Haupteigenschaften der Seelen-
hirten, feste Willenskraft und Liebe zu Christo.^)
2. Literarischer Standpunkt.
Wo immer sich Gelegenheit bietet, gibt Habert sein
Urteil über antike und moderne Dichter ab. In den Schriften
der Griechen und Römer findet er Anmut, Weisheit und
edlen Gehalt^); sie zeigen uns deo Weg zu dem Gut, das
rein geistig ist und immer dauert, nämlich zur Tugend.^)
Die Sittenlehre der Alten kommt der christlichen sehr nahe;
dies zeigen uns z. B. die Worte des sterbenden Aristoteles :
En c€ mortel monde ie suis uenu
(Camme nature ordonne Va) taut nud
") Sänge de Fant.^ S. ciij|r.
«) Ibd., 8. d/v.
•) Songe de Pant^ S. dijv.
*) Phü. parf., Aij/r.
») Ibd., biij/v.
— 28 —
En doubte i'ay tiescu mourant mtssi,
Dedans tnon cusur ie n^ay moindre soucy
Et ,n ne soay ou inon chemin s^aduance;
Donc toy qui es la primitive essence
Eecoys Vesprii ä demence et mercy.^)
Die Aussprüche der griechischen und der römischen
Weisen stehen an den Wänden des G-lückseligkeitspalastes
und des Tugendtempels; hier finden sich Namen wie Pytha-
goras, Sokrates, Plato, Aristoteles, Cicero, Seneka; andere
Männer wird man hier jedoch vergeblich suchen, nämlich
Virgile aux fahles de Priam, Out de aux amours impudiquesj
Homere aux gv^rres heroicquesy Catule ou Propose (sie/).
Mit dem Humanismus und der Renaissance stieg die
antike &ötterwelt in all ihrem Glänze wieder empor. Maler
und Bildhauer begeisterten sich für Jupiter, Mars, die Liebes-
göttin Venus etc. Kein Wunder, wenn auch der Dichter
dem Zuge seiner Zeit folgte. 2) So kehren bei Habert die
Namen dreier Göttinnen beständig wieder, mit denen er einen
förmlichen Kultus treibt: Juno, Venus, Pallas. Es finden
sich Ausdrücke wie : Juno auoii vers moy forfaict *), encor moins
Juno nCa supporU ^) etc. Was versteht nun H. unter der Juno ?
Sie ist ihm die Göttin des Reichtums und des Geldes.^)
Venus ist die Göttin der rasch verrauschenden Liebesfreuden,
Pallas die DSesse de sdence, d. h. der rhetoriguey ari poetique
und der christlichen ReUgion.^) Juno, Venus und Pallas
bieten dem Dichter ihre Dienste an. Kalt weist er Juno
und Venus von sich: „Ich verweigerte Reichtum und Erbe und
seid versichert j auch manch süßen Kuß der Venus, sowie den
kurzen Genuß des göttergleichen Körpers, Dagegen halte ich mich
an die Güter, die Frau Pallas versprichty näirdich an die Wissen-
schaff, die unsterblich ist.*^ •)
So nimmt Habert bereits in seinen ersten Erzeugnissen
*) Phil parf., b/vf.
') E. Bourciez, Les mceurs polies etc., S. 179.
») Jeun. du B. d. L., S. 48/r. .
*) Ibd., S. 63/vff.
*) Suytte du Ä d. L„ S. 12/v.
«) Jeun. du B. d. L., S. 62/v.
— 29 —
die alte Götterwelt in seine Poesie herüber. Doch sind ihm
die Göttemamen zunächst noch Metaphern, Symbole der
Wissenschaft, Kunst, Beligion etc. Erst, als er in nähere
Beziehung zu Heinrich 11. tritt, versteht er unter VenuS;
Pallas« Juno bestimmte Persönlichkeiten des Hofes. Er ist
einer der ersten, welcher diese Art poetischer Vergötterung
der Fürsten in die französische Literatur einrührt^), eine
Sitte, die unter der Plejade in maß« und ziellose Lobpreisung
ausartete.
Habert schrieb diesen mythologischen Stil zuerst wohl in
der ^Erpo^iiion tnorale de la Fable des trois Deesaes Venus ^ Juno
ei Pattas:»^ (Lyon 1545), tpoeme^ bizarre ei 2)lai, sori de pamphlet
mystiqm:»,^) Hier sagt er (S. 25):
Ceries Venus n'est pas encores marte
Deesse eüe est, grand honnew on luy porte :
Que pkust d Dieu la voir en (la) mer pUmgee,
La Eqmbliqite en seroit bien vengee,^)
Mais peu a peu Venus s^abolira.
Et en son nom Diane on publira,
Que toute fable a diet esire pudique,
Contraire en tout au vouhir veneriq^ie,
Certainemeni dire bien je puis oreSf
En nostre kmps que Venus int e)icores,
On luy faict feste, on erige tropheeSj
Et en son nom pompes sont estofees, etc.
Unter dieser unzüchtigen Venus, der man Feste dar-
bringt, und die der Dichter am liebsten ins Meer versenkt
sähe, hat Habert, wie Bourciez meint, nicht eine „moralische
Abstraktion'^, sondern eine historische Persönlichkeit verstanden,
nämlich die schöne Anna von Pisseleu, Herzogin von
Etampes, die Geliebte Franz' I. Ob diese Ansicht Bourdex^
*) Bourciez, Mcewrs pol., S. 179ff.
«) a. a. O., 8. 187.
*) Etwas Ähnliches wird über den unheÜvoUen Einfluß der Göttin
Venus in den achtes amoureux berichtet. Vgl. Sieper, les ^checs
amaureux, in: Literarhistorische Forschungen IX, 29 und Schick,
Kleine Lgdgatestudien^ im Beiblatt zur Anglia VIII, 139.
— 30 —
richtig ist, wird sich bei der Dunkelheit der Steile wohl
schwerlich entscheiden lassen.
In seiner iYet/«n Fenu«. dagegen sagt Habert deutlich und
bestimmt, wen er unter dieser Göttin versteht, nämlich Katha-
rina von Medici:
tma Muse s'applique
De VappeUr la nouveüe Venus.» ^)
Heute würden wir diese Dichtung einen für Hofdamen
bestimmten Katechismus der Liebe nennen, in welchem die
Gemahlin des Dauphin als das Muster reiner, geistiger Hin-
gebung und keuscher Liebe hingestellt wird. „Ich toeiß tvohl,^^
sagt Habert, „da/? man es seüsam finden udrd, unier einem
solchen Titel dein Lob zu singen. Doch dafür ist Plato mein
Gewährsmann, der Schöpfer zweier entgegengesetzter VenusgestpUenj
die ei}ie unkeuschj der Inbegriff alles Lasters^ die andere keusch
und von sehr Iwher IVürde,^^ *)
Auch bezüglich der neuen Pallas^) hält Habert eine De-
finition für notwendig : ,,Manche werden staunen, wenn sie gerade
den Namen Pallas lesen; bei den Alten war Pallas die Göttin der
Wissenschaft, der Philosophie , Geschichte, Rhetorik, Poetik, Arith-
metik und Astrologie ; nach und nach sclUief ihre dem erhabenen
Schöpfer feindliche Lehre ein; nun lehrte ihr Urheber sie ein an-
deres Wissen, fiämlich dasjenige des Alten und Neuen- Testamentes.*^ *)
Einerseits ist also Pallas die Vertreterin des Christentums,
bezw. der katholischen Kirche:
<^Viem donc ä moy noble peuple Gaüique
Vien d Pallas nouvelle et catholique.» *)
Andererseits könnte H. aber auch unter der neuen Pallas
eine fürstliche Persönlichkeit gemeint haben. Schon in der
Exposition morale (1545) ist von einer neuen Pallas die Rede :
^Nostre Pallas ne s&nible d Vandenne,
Car eile est plus catholique et chresttenne,
^) Widmungsepistel der Nouv. Vin., S. 4.
«) Nouv. Yen., S. 6.
») Vgl. Theret, 1. c, S. 60ff.
*) Nouv. Pall, S. 8.
») Ibd., S. 16.
— 31 —
Nostre Pallas ne re^oü heresie^
Encores moina punaise htfpocrme^
Elle re^t Uwes parlans de Dieu,
Et les public et prononce en tout lieu,
Nostre Pallas est hing dHre et rancuncp
Loing du desir de servente pecune,
Loing de vefigeance, hing d*oppresshn,
Pleine d'amour et de compassion,
Nostre Pallas chereke au Oiel diademey
Et son prochain ayme comme soymesme,^)
Dazu bemerkt Bourciez: tll me semble reconnatire plus
(Pun trau qui s^appliquerait bien d une prhicesse celebre de rSpaque^
la sceur meme du roi^ h reine de Navarre.^^)
Dieser Ansicht yermag ich nicht beizupflichten. In der
j^neuen PaUas^^^ die im gleichen Jahre wie die Exposition inorale
(1645) erschien, spricht Habert von Margareta nur vorüber-
gehend :
h Royne de Nauarre
Par hauU scauoirfe) poulse plus loing la barre •),
und etwas Ähnliches sagt er in dem Petit anivre bucolique,
einem Anhange zur „neuen Pallas'^:
Je veis la grand* Bergere de Nauarre,
Qui en s^uoir poulse plus hing la Barre
Sur le troupeau du sexe Feminin.^)
Wenn er sie hätte verherrlichen wollen, hätte er wohl
nicht in so dürftigen, inhaltslosen Phrasen von ihr gesprochen.
Daher scheint mir, daß die Pallas der Exposition morale
dasselbe bedeuten soll, wie die „neue Pallas'S d. h. die christ-
liche, bzw. die katholische Kirche. Selbst Bourciez ist seiner
Sache nicht ganz sicher, denn er sagt weiter: tll n'est
point jusqu^ä cetie question soulevie d'herdsie qui ne sfaccorde bien
avec le portrait, Marguerite n'etait point, au fond de sa petite cour
de Nirae, sans en avoir plusieurs foia encouru le soup^ti, trop
haut plaeee cependant pour en etre atieinie, et H, Ven ddgage i sa
^) Expos, marakf S. 5
*) Mofura pol, S. 189.
») Now>, Paü,, S. 19.
*) a. a. O., S. 66.
— 32 —
f(Mjon^ comme Vont fait plus tard certains hiatorienSy par une af-
firmaiion peremptoire.^^)
Unter der j^netwa Juno^^ ist wie unter der neuen Venus
Katharina von Medici gemeint, die Gemahlin des Dauphin.
Sie belehrt uns über die Tugenden, die christliche Religion
und muntert auf zum fleißigen Lesen der heiligen Schrift;
sie predigt im wesentlichen die gleichen Grundsätze wie
die „neue Pallas".
Mit seiner Vorliebe für die Alten hängt auch Habert's
Verehrung für die großen Humanisten seiner Zeit zusammen.
Dem berühmten Hellenisten Budaeus (-f 1536) widmet er
er eine lateinische und französische Deploration *), die er wahr-
scheinlich schon während seiner Gymnasialzeit in Paris ver-
faßt hatte ; er beklagt den Verlust des großen Philologen, er
schildert den Leichenzug, an dem ganz Paris sich beteiligte,
die allgemeine Trauer des Landes und schließt mit einem
Fluch auf den Tod, dieses monstre infect^ cruel et insensL Zwei
Hirten, Janot und Perrinet, beklagen den Tod des großen
Holländers Erasmus von Rotterdam (f 1540): „EV- bebaute
die Felder der griechischen und lateinischen Sprache in fruchtbarer
Weise^^j sagt Janot (Habert).*) y.Schon vor langer Zeit nahm
mir mein Großvater den Pathelin aus der Hand und kaufte mir
dafür die Colloquien des ErasmuSf die mich sehr entzückten; dar-
über war mein Großvater so zufriedefi, daß er mich zu seinem
Universalerben einsetzte. Beinahe umrde ich noch einen fetten Stier
verkaufen, um mir sein Buch vom Alten und Neuen Testament an-
zuschaffen,^^
Für die altfranzösische Literatur hat er so wenig Ver-
ständnis wie alle seine Zeitgenossen. Nur den Rosenroman
schätzt er hoch, sowie dit Dichter, die im Geiste dieses
Werkes zu dichten fortfuhren : die Rhetoriker AlainChartier
und Jean Molinet mit ihren faden Allegorien.^)
^) Les niceurs pol, S. 189.
3) Suytte du B. d. X., S. 68/r; Jeun. du B. d. X., S. 66/r.
*) Comb, de Cup., Mij/v.
*) Ep. Her. (1551): Ep. ä M. de Sainct Gelais 8ur Vimmortalitt
des poetes frangois, S. 70/r.
— 33 —
Sein Ideal ist GlSment Marot, der „Fürst unter dm
Dichtem semer Zeit^^,^) Marot's Stil ist vie „Honig, schöner als
weiße Rosen^^^) Von elegantem ßan sind seine Verse, lieblich
und sanft. Weh denen, die Marot angreifen! „Ihr dummen
LeuUj^^ ruft er ihnen zu % „die ihr eure Feder spitzt gegen Marot.^^
fünem quidam qui se disoii ressembkr d Marot de stille^) schickt
er ein Bondeau, in welchem er sagt: „0 schwerfälliger Dichter,
du hast die Kühnheit, didi so sehr xu überheben .^^ ^) Natürlich
▼ersetzt er Sagon, Marot's Hauptfeinde, manchen Hieb:
„Sagoin'', meint er,
<Ce mot est beau, car de sagesse il vient,
Ce que foUie irUerpreter conuient,* *)
Aber den Lorbeerkranz unter den lebenden Dichtem er-
kennt er seinem Kollegen bei Hof, Meilin de Saint- Ge-
lais zu, demgegenüber er sich sehr unansehnlich dünkt
und von dem er stets mit der größten Hochachtung spricht.^)
Von sich selber sagt der eitle Dichter, er enthalte sich des
Urteils über seine eigene Person; es gentige ihm, „in dem
Munde derjenigen zu sein, die klare Augen haben, um gut zu ur-
teilend^. Die Königin von Navarra lobt er wegen ihrer
religiösen und gelehrten Poesie. Endlich gedenkt er des
Prokurators J. Bou che t^), der einen Kreis von rhetorischen
Dichtern alten Stiles um sich gesammelt hatte, la Perri^re's,
der ein paar Bücher moralphilosophischen Inhalts schrieb.
Von den Dichtem des Lyoner Kreises erwähnt er Mau-
riceScöve, Sainte-Marthe, H6roet, la Borderie ^)
und GillesDaurigni (= d' Aurigni). ®) Am meisten schätzt
*) SuyUe du B. d. L., S. 66/r; Temple de Chast, L/r.
•) Sugtie du Ä d. L., S. 67/r.
») Suytte du Ä d. L., S. 72/v.
*) Ibd. S. 67/v.
^) Ep. Her, (1650), 8. 72/v f. u. S. 112/v.
^ Siehe oben, S. 12. — Über diese und emige andere, hier
nicht aufgfeführte Autoren finden sich bei Th6ret (1. c, S. 131 — 145)
einige, übrigens sehr oberflächliche Bemerkungen.
^ Siehe Hennebert, Traductions^ S. 75, Anm. 2.
•) Ep. Her. (1550), S. 71/r. Von dem letztgenannten sagt H., dafi
er zu großen Hoffnungen berechtigt habe; leider sei er vom unerbitt-
lichen Tode vor der Zeit hinweggerafft worden. D'Aurigni war also
Milnolteiier Beiträge z. romanischen n. engl. Philologie. XXX. 3
— 34 —
er die Übersetzer: den Abt Hugo Salel (Homer), den
königlichen Sekretär Bouchetel (Earipides). Michel d'A m -
boise (Juvenal, Ovid, Demokrit etc.), Des Essarts (Ama-
dis), Des Masures (Aneis) und Jean Martin (Arkadia).
Ferner spricht er von Des Autels, Forcadel, Peletier,
6. Vincent, von seinem intimen Freunde Nicole le
Jouure.*) Endlich erwähnt er in der angeführten Epistel
an Saint-G-elais einen Dichter Boiu. Ob er damit den
vülustre inconnu^ Bouju aus Anjou^ oder den Advokaten
AndrS Bouiu^) oder einen anderen meint, läßt sich schwer
sagen.
Abfallig beurteilt er nur wenige Dichter: Godard,
Grenoille*) und Andouille'^) erscheinen ihm schwerfallig
und ungebildet Von einem gewissen Coquillart, wahr-
scheinlich c Quiäaume Coquillart^ Official en VEglüe de Rheims»^)^
sagt er, daß er rimes de cuisine schmiede und wie ein kleines
Kind dichte. Goujet ^ stellt Coquillart als schmutzigen, ge-
meinen Dichter hin, der namentlich die Frauen herabzu-
setzen liebe.
Mit dem gröbsten Geschütze zieht Habert gegen einen
Feind zu Felde, den er als quidam d^Aniou bezeichnet:
«0 gros lourdais, pleust a dieu qu'aux cfieueulx
Peusse tenir cesie teste st foile,
Je la rendroye beaucoup plus tetidre et nioüe
Que n'est ton venire et dUing cueur remply d'ire
Je te feroye de tes propox desdire
Oreuß vUain, que ne puiz tu cretier
Puisque bien scaix les innocens greuer,:^^) *
ia dem Abfassungsjahre der Ep. Her. (1550) bereits gestorben. Hiemach
ist Goujet 's und anderer Literarhistoriker Ansicht, er habe bis 1553
gelebt, zu berichtigen. Siehe Bibl fr. XI, 165.
*) Temple de Chast, S. D/v und Fiiij/r,
») La Croix, BibL fr. I, 394; Revne d'hist. HU, IV, 413.
») La Croix, Bibl. fr. l. 19.
^) Temple de Chast. (ohne Seitenzahl).
*) Ep. Her. (1550), S. 107/v: De maistre AndouiUe.
•) La Croix, Bibl. fr. I, 320.
') Bibl fr. X, 156 flf.
») Jeun. du B. d. L., S. 43/rff
— 35 —
Endlich kämpft Habert gegen die Sittenlosigkeit einzelner
zeitgenössiacher Dichtungen, zu denen er auch das eine oder
andere Werk- seiner Jugendzeit rechnet: „Venus ist nicht in
diesen Blättern*^ versichert er dem Leser der „Sieben Wei-
sen".^) Den „züchtigen Jungfrauen und Frauen" gibt er den
Rat, Marot's „Tempel des Cupido'* nicht zu lesen, da „keusche
Liebe dadurch vernichtet und erlöscht werde".*) Besonders
die Kitterromane wie Ogier der Däne, die 4 Haimonskinder
o. 8. w. verderben die Jugend und bieten ihr „Galle unter
einschmeichelnden Worten. Und doch wird ein Lancelot,
Gawein, Perceforest und manch andere nichtsnutzige Schrift
sich eher in den Händen eines jungen Mädchens finden, als
ein frommes Buch!"*)
Mit scharfen Worten verurteilt er die Latein schreibenden
Dichter, jjene Kälber, die den Ruf modemer Dichter suchen, die,
um XU zeigen, daß sie Latein können,
lyescorcherofit comme vn pauure maetin**, *)
Obwohl er selbst ein paar lateinische Gedichte verfaßte,
ärgert er sich über das Latein derer, die nichts von Latein
rerstehen :
<c(Te8t vn langage hien affable
Que le latin hien entendu
Toutefoys il est deffendu
A cfulx qui n'g eniendent goutte,»^)
Er glaubt, das jüngste Gericht sei nahe, «cor ies bestes
parlent latin,y>^)
Es fällt uns auf, daß H. die Vertreter der Plejade in
seiner „Unsterblichkeitsepistel** nicht erwähnt. War er viel-
leicht verletzt wordeo durch die Heftigkeit, mit welcher die
jüngere aufstrebende Dichtergeneration die Anhänger der
Marot'schen Richtung bekämpfte? Emphatisch hatte Du
Bellay ausgerufen: <0 combien ie desire roir sechei' ces Prin-
*) Dicts dt sept Soges, Aü/v (Eingangsepistel).
«) Temple de Chast, Aiij/r.
») Ep. Her. (1551), S. 3/vf.
*) Temple de Chast.^ Schluß : Exhortation sur Vart poet.
») Suytte du B. d, L. (1541), S. 59/v.
3*
— 36 —
tenSj chatier ces Peiües ieunesses, rabbattre ces Coups d^essay, tarir .
ces Fontaines — ces humhUs Esperans, ces Bannt z de lyesse,»^)
Später allerdings, als die PIejade sich Geltung verschafft
hatte, wandelt unser Dichter ganz in den Sparen dieser pseudo-
klassischen Kichtung; er lobt Bonsard's Oden und stellt ihn,
sowie Du Bellay und 0. de Magny den Alten an die Seite. ^)
H. teilte nicht die Ansicht der Bonsardianer, welche die
antiken Dichter allen anderen voranstellten. „Ich sehe gar
flicht ein,^^ sagt er, ,jwarum gerade die französischen Dichter den
alten Dichtern nachstehen sollen. Unsere Zeit^ namentlich die
Epoche Heinrich^ Sy des unbesiegbaren Fürsten^ hat Rhetoren, DiclUer^
Philosophen hervorgebracht^ die sich den Alten kühn an die Seite
stellen können. Man denke nur an Dichter wie Cl, Marot, Saint-
Gelais, Ronsard, Du BeUay, Olivier de Magny, an Philosophen und
Philologen wie Budceus, Oallandius, P, Pamus, Regius, Codusj
Carpentarius, Sabligneus, Danesius, Hector.^
Wie wir Ijeutzutage die Griechen und Eömer bewundem,
so soll die Nachwelt uns verehren ; unsere Sprache und unsere
Dichtkunst sollen bei ihnen die Stelle des Altertums ein-
nehmen. Darum müssen wir ,, unserer Sprache aufhelfen und
sie ebensosehr oder noch mehr zur Blüte bringen, wie Latein,
Griechisch und Hebräisch, das wir jetzt aller Orten publiziert
sehen".
*) Deffence et lllustr. etc., p, p. Person, S. 149.
«) Ep, Her. (15ö0), S. llO/r; Div. Oracles, S. 41/vff.
') Les Diuins Oracles de Zoroastre, S. 41/vff.
Kapitel IT.
Habert als Übersetzer der Metamorphosen Ovid's.
Seit Beginn seiner dichterischen Laufbahn war H. von
dem sehnlichen Wunsche beseelt gewesen, ein großes Werk
;ni schaffen, das seinen Namen unsterblich machen würde.
Daher begann er bereits um das Jahr 1547 die Metamorphosen
Ovid's zu übersetzen. Er selber hielt diese Übertragung,
welche mehrere Auflagen erlebte ^), für seine bedeutendste
Schöpfung*), wie auch Fontaine dieses Werk lobend er-
wähnt.') Bevor wir jedoch näher darauf eingehen, erscheint
es angezeigt, einen kurzen Blick auf die französischen Me-
tamorphosenübersetzungen vor Habert zu werfen.
§ 1. Frfihere und gleiclizeitlge franzosisclie
Metamorphosenübersetzuiigeii.
Bekanntlich war Ovid, der doctor egregitis, dessen ^prae-
cepia lecta erant quasi evangelium* , neben Vergil der Lieblings-
dichter des Mittelalters.^) Seine Erfahrungen und Vorschriften
in Liebesangelegenheiten fanden allgemeinen Anklang, und
») S. Anhang, S. 115, 120.
«) Qmme liur. d. M6t., Ausg. 1657 : Epistre au Roy.^ o. S.
*) Dnbellay, Deffence etc, p. p. Person, S. 211.
^) Bartsch, Albrecht von Halber$tadtf p. Iff.; Sudre, Ovidii . . .
lihroB quomodo . . . poetae . . . imitati . . . sint S. 47 ; Kühne, ProU-
gomena, S. Iff.; Stollreither, Quellen . . . S. 32ff.
— 38 —
man dachte meist gar nicht daran, wie sehr die Weltanschauung
des glänzenden heidnischen Hofdichters von der Keligion und
Moral des Mittelalters abwich.
Zwei Episoden aus den Metamorphosen waren bereits im
12. Jahrhundert von Chrestien de Troyes^) übersetzt und
später von einem unbekannten Dichter des 14. Jahrhuuderts
in seiuen Ovide. moraiisd aufgenommen worden. Fabeln aus
den Metamorphosen, wie die von Orpheus und Eurydice, Dä-
dalus, Narcissus waren längst bekannt, andere, wie die von
Pyramus und Thisbe, sogar „sprichwörtlich geworden"; auch
hatte man schon früh daran gedacht, einzelne Teile in das
Italienische') und in das Französische zu übertragen. Um
die Mitte des 13. Jahrhunderts übersetzte Jean Malka-
raume einen kleinen Teil der Metamorphosen und nahm ihn
in sein biblisches Gedicht auf.*)
Erst zu Anfang des 14. Jahrhunderts ging ein fran-
zösischer Dichter daran, sämtliche Bücher zu übertragen: es
war dies ein Franziskaner^) aus der Champagne, der den
lateinischen Hexameter durch paarweis gereimte Achtsilber
ersetzte. Allerdings waren vor ihm schon ähnlichs Versuche
gemacht worden, die „Verwandlungen" zu übersetzen:
^) Er gibt sich in dieser ÜbersetzuDg den Beinamen Chrestiien
li Gois,
•) Siehe ß e 1 1 o r i n i * s treffliche Untersuchungen {Traduzioni it. deW
Art. amat. e delle Bemedia amoris (189Ä) und Delle Eroidi. Torino. 1900).
Vgl. Romania 1883. XXII, .339.
») Herrig'8 Archiv, 1887, LXXVII, 212; Bonnard, I>« traductions
de la BibU, 8. 64.
*) Tarbe, Ghivres de Philippe de Vitry, Heims 1860, meinte, es
sei dies Philippe de Vitry gewesen. Dann wurde Chrestien
Legouais, bzw. Chrestiien li Gois als der Verfasser jener Über-
setzung angesehen; vgl. darüber G. Paris, in der Hist. litt. XXIX,
455 ff., 509 und in La litt. fr. du moy. äge. 2. Aufl. Paris, 1890, S. 80;
Langlois, Origines etc., S. 21; Sudre, I. c, S. 6. Daß man aber
bis jetzt den Verfasser nicht kennt, und daß Chrestien li Gois nur ein
Beiname ist, den sich Chrestien de Troyes gegeben hatte, ist von Thomas
und Gaston Paris nachgewiesen, siehe Romania 1893, XX TT, 273; vgl.
auch Freymond, Festschrift zu Tobler's Jubiläum 1895, S. 297 ff.;
Kehrli, Die Phaetonfabel, S. 9 und die Anm. 1 auf dieser Seite.
— 39 —
tPlttMur oni essaUj san» faUkf
A faire ce qua je propos
Sans taui aocompUr Uur pourpoa.*^)
Doch ist uns hiervon nidits erhalten geblieben. Was
des Verfassers Verfahren anlangt, so übersetzt er zuerst eine
Fabel nnd gibt dann eine ErUämng ihres physischen^ his-
torischen, moralischen und sogar biblischen Sinnes ; war doch
Orid ein Zeitgenosse Jesu Christi 1 So ist denn z. B. die
Erzählung von der Weltschöpfung zu dem alttestamentlichen
Schöpfungsberichte in Beziehung gebracht worden. Anderer-
seits gab die Beschreibung des eisernen Zeitalters dem Dichter
Veranlassung, die Mängel der Eechtspflege seiner Zeit zu
kritisieren. Das Beispiel Fhaetons zeigt den unbesonnenen
Jüngling, der seine Kräfte überschätzt. Um jeden Preis will
der Übersetzer eine Lehre oder eine moralische Nutzanwendung
aus der Fiktion seines Originals ziehen:
€Si Vescrüure ne me meni
Tout est pour nostre enseignemeni
QuanquHl a es Uwes escripi,i^^)
Über die Art der Übersetzung hat bereits T a r b 6 ^) folgen-
dermaßen geurteilt: tDe temps ä atäre sa versificcUion est penible:
an voit qu^eüe käie oontre un texte dont eüe veut rendre le sens et
les heauUs : eüe parte avec eile les traces des efforts qu'eUe vient de
faire, (Test ainsi qu'elle conserve par exemple les disinsnees la-
tines des substantifs qu^elle rencontre, Les gmüifSf Us aoeusaiifs
surviverU d la tradttdion^ qtiand. meme la rime n'a pas besoin
d'eux, Le texte renferme de nombreux passages ancUogues d celui-oi:
Juno la fenime Jovis
S^en aperput^ ce m^est vis:
Si commenca Jovem enquerre.
Sa fecondüe Ventratne souvent au deld des Hmites que doit
respecter un tradueteur, II s'ahandoyine voloniiers d des descriptions
qui dinotent un esprit curieux et ohservaieur, Ses eapHocUians
morales sont quelqpsfois trap longues: elles se r^eteni de temps ä
atäre et souvent dans les memes iermes,y^
>) HUt. litt, XXIX, 514.
*) Etat litt. XXIX, 514.
») (Euvrea de Philippe de Vitry, S. XIX.
— 40 —
In den Jahren 1337 — 1340 verfaßte ein Dominikaner,
PeterBerguire (Bersuire, Bercheure, f 1362), der Übersetzer
Livius'^), einen allegorischen Kommentar zn Ovid's Meta-
morphosen in lateinischer Sprache, der das 15. Buch seines
Reductorium , eines encyklopädischen Werkes, bildete. Er
kannte anfangs die Übersetzung des Franziskaners nicht. Erst
1342 arbeitete er seinen Kommentar danach um und erzielte
damit einen großen Erfolg. Nachdem er zuerst tod Thomas
Waleys (Valois) in das Französische übersetzt*) und von
dem Drucker Colard Mansion 1484 veröffentlicht war, wurde
die französische XTbersetzung ihrerseits in das Englische über-
tragen und von Caxton (f 1491) gedruckt.^) Im Jahre 1493
erschien das gleiche französische Werk unter dem Titel: La
Bible des poetesj herausgegeben von AntoineV6rard^), und
von Neuem veröffentlicht zu Paris im Jahre 1631.*)
Wie bereits bemerkt, übersetzte das Mittelalter nicht aus
ästhetischem oder literarischem Interesse, sondern aus Freude
an moralischen Sentenzen und sittlich-erbaulicher Belehrung.
Und doch bedeuten diese Übersetzungen einen Fortschritt
gegenüber den früheren Kompilationen, die von Troja, Theben,
Aneas, Alexander etc. erzählen!
Nach diesen ersten wenig gelungenen Versuchen, in die
Gedankenwelt des Altertums einzudringen, stürzen sich die
Dichter der Benaissance mit wahrem Feuereifer auf die an-
tiken Geistesschätze, so daß um die Mitte des 16. Jahrhunderts
bereits sehr viele der wichtigsten Werke der Griechen und
Römer in französischen Übersetzungen vorlagen. Die Übersetzer,
welche damals als „ruhmreü^ Eroberer im Beiche der Geister^'
erschienen •), standen in sehr hohem Ansehen; ja, manche von
*) Hist m. de la Fr. XXIV, 173.
•) Brunet, Manuel IV, 282; flennebert, 1. c, S. 93; Du-
plessis, BuU, du hiblioph.j S. 4.
») Julleville, Hist du theatre I. 249.
*) Brunet, Manuel IV, 282; Hkt HU, XXIX, 456; Duplessis.
1. c, S. 4.
*) Kehrli, Die Fhaetonfabel S. llf.
•) Morf, GeacL der frz. Lit, S. 101; Hennebert, TraducHons,
S. 15.
— 41 —
ihnen hielten sich für nicht minder bedeutend als die Schöpfer
der Originale. Es wurden die Grenzen zwischen eigener
Schöpfnngy Nachahmung und Übersetzung häufig ohne alles
Bedenken verwischt^); man betrachtete eben das Übersetzen
als eine ebenso vornehme wie schwierige Kunst , zu deren
Erlernung bestimmte Begelo aufgestellt wurden. So verlangte
Etienne Dolet (1540) von dem Übersetzer fünf Eigen-
schaften: 1. Er muß den Sixm des fremden Textes und die
fremde Sprache vollständig verstehen; 2. genaue Kenntnis
seiner Muttersprache besitzen; 3. nicht sklavisch am Texte
haften und Wort für Wort wiedergeben; 4. fremde Rede-
wendungen, z« B. Latinismen vermeiden, und 5. auf die
Stellung und Verbindung der Worte d, h. auf die Harmonie
des Satzes achten.^) Ahnliche Vorschriften wurden von
einem Zeitgenossen Dolet's, von T. Sibilet in seinem Art
po^tique (1648) gegeben.') Er fugte den guten Rat hinzu,
man solle sich gute Übersetzer wie Marot, Salel, Heroet,
Desmasures und Peletier zum Muster nehmen. Einige Jahre
später (1565) erkennt J. Peletier^) allerdings an, daß die
Ehre dem Autor gebühre: <Un Traducteur n'a james le nom
iVAnteur:^\ aber, so fahrt er fort, das Übersetzen ist dennoch
eine sehr verdienstvolle Arbeit; denn wir bereichern unsere
Sprache durch manche gute Wendimg und erschließen uns
eine herrliche Quelle moralischer und historischer Bildung.
Unter den Übersetzern, die nun den Büchermarkt über-
schwemmten, befanden sich begreiflicherweise auch viele un-
geschickte, denen Du Bellay ein eigenes Kapitel widmet und
welche er verächtlich mit dem Namen traditeurs bezeichnet*).
Denn, sagt er, sie verraten ihr Original, indem sie z. B., statt
1) Minckwitz, 1. c, XIX, 88.
*) La maniere de bien traduirej S. llfif. ; vgl. auch Hennebert,
Bist des traduct, S. 38 ff.
») S. 166 ff.
«) L'Ärt PoeUque, S. 30 ff. Auch meint er, daß das Übertragen
ein ebenso mühsames, wie undankbares Geschäft sei, da ein guter Über-
setzer doch nur ein Porträt kopiere.
*) Deffence^ p. p. Person, S. 67 ff. — Auch im Italienischen hieß es :
Traäuttore, traditore.
— 42 —
direkt das griechische Original, nur die lateinische Übeitragang
-desselben in die moderne Sprache übersetzen. Die fremde
Poesie mit ihrem eigentümlichen Kolorit, mit der Pracht.
Kühnheit und Mannigfaltigkeit ihrer Darstellung lasse sich
überhaupt nicht wiedergeben; leichtsinnig {de gayeU de ccewr^
legeretneni) gehe mancher Übersetzer an sein Werk, um es
ebenso leichtsinnig auszufahren : <0 Apolan! 6 Muses! prophaner
ainsi les sacrees JReliques de l'Atitiquitdf*
Wie im Mittelalter, so war auch im Anfange des 16.
Jahrhunderts der färben- und phantasiereiche Dichter des
augusteischen Hofes, Ovid, ein Liebling des lesenden Publi-
kums. Seine eleganten Fabeln, die Kinder einer leicht-
geschürzten Muse, übten noch immer ihren Zauber aus.
Marot übertrug um 1631 die ersten zwei Blicher der
Metamorphosen für den König Franz I.^) Er wählte gerade
Ovid's Verwandlungen einerseits wegen der Anmut des Stiles,
andererseits wegen der großen Mannigfaltigkeit des Inhalts:
tSi la nature en la diuersM se resiouyt, lä n£ se debvra eile me-
lancolier».^ Zugleich weist er die Maler seiner Zeit darauf
hin, daß auch ihnen Ovid manch dankbaren Vorwurf biete.
Diese Anregung findet Guiffrey^) überflüssig, da gerade zu
dieser Zeit Künstler wie Bosse und Primatice die königliche
Residenz in Fontainebleau mit Bildern aus den Metamorphosen
ausmalten.
Der Anfang dieser Übersetzuug wurde dem König im
Schlosse zu Amboise Torgelegt. Der bescheidene Marot ge-
steht, daß seine Kenntnisse im Lateinischen nicht weit her
seien, und Gruiffrey vermutet wohl nicht mit Unrecht, daß
Marot bei diesem Werke die klassische Bildung seiner Freunde,
namentlich des Sekretärs und Dichters Jacques Colin, sehr
häufig in Anspruch genommen habe.^) Marot war redlich bestrebt,
den lateinischen Text genau wiederzugeben. Es gelang ihm
') G. (t u if f r e y . Les osuures de ClSment Marot II, 299 ff. ; im Druck
erschien Marot's Übersetzungr erst 1534; vgl. Guiffrey, 1. c. II, 262;
Hennebert, Traductions^ S. 92ff.
•) Les ceuvres de Marot II, 299 {Prolog an Franz L).
») Ibd. II, 301.
*) Ibd, n, 300.
— 43 —
aucby eine im großen und ganzen klare Übertragung zui^tande
zn bringen. Da er indes das lateinische Original nicht immer
Terstand, so war er zu einzelnen Auslassungeu gezwungen,
rund häufig vermissen wir die feinen Schattierungen des 6e-
dankenSy die Eleganz und Anmut des Ausdrucks.
DieErzählung von der unkeuschen Geschwisterliebe zwischen
Biblis und Cauntis wurde Ton Marot^s Leidensgefährten, Michel
d'Amboise, nicht erst 1648^), sondern bereits im Jahre
1532^) in paarweise gereimte Zehnsilber übertragen. Die
Übersetzung ist ziemlich weitschweifig und umständlich. Am
besten gelungen ist der Liebesbrief der Biblis, der bei Orid
folgendermaßen beginnt:
Quamj nisi tu dederis, non est habitura scdiUem^
Hanc tibi miltü amans. pudet ah, pudet edere nomen.
Et si quid cupiam, quaeris^ sine nomine uellem
Posset agi mea causa meo, nee cognita Byhlis
Ante forem, quam spes uotorum certa fuisset.^)
Die französische Übersetzung lautet:
Cestuy escript ton amye ienuoye
Ha que iay honte: honte que It nom veoye
Cy imprime. Si tu ueulx faire enqueste
De ce qus U£ulx demander jmr requeste
Je uouldroy bien ores me estre permis
Sans que mon non y fust escript oii mis
Que tresbien fust ma cause debatue
Et que Biblis ie ne feusse cogneue
Jusques au temps que ksperance vaine
Fut en mon cuenr veritable et certaine.^)
Der Übersetzer folgt ziemlich genau dem lateinischen
Texte, den er jedoch bisweilen mißversteht. Die unglückliche
Biblis ruft z. B. einmal aus: „Weh mir! Wohin gerate ich?"
Hei mihi: quo lahor? quem mens mea condpit ignem?^)
») Th6ret, 1. c, S. 138; Birch-Hirschfeld» 1. c, Anno., S.U.
*) Das Privileg ist vom 6. Man 1532.
«) P. (Md. Met (1546), S. 244/26 (Bach 9).
*) Blatt LXI, r.
») Ovid, Met. 1546, 244/16 (Buch IX).
— 44 —
Amboise hält labor für ein Substantiv und übersetzt:
O qud labeur: quelle peine appercoü
Mon poure esperit ? *)
An einer anderen Stelle fehlt es an historischer Treue :
vacuam tenei altera ceram^)
D' Amboise :
Uautre vng papier: ou descript ny a goutte*)
Oder der römische Dichter sagt mutat^) (sie ändert
nämlich die Worte auf dem Wachstäfelchen). Dies wird von
dem Franzosen in folgender Weise wiedergegeben :
Dancre ou de pleurs coulantes de sa face
Elle transmue,^)
Merkwürdigerweise verfallt Habert, der sonst nicht von
dieser Übersetzung abhängig ist, an einer ähnlichen Stelle in
den gleichen Fehler:
Inque uicem sumptas (sc. tahellas) ponit, positasqus
resumiU^)
Or en la main le papier eile prent
Puis le (lelaisse et soudain le rejyrenL'^
Später spricht er allerdings von dre^)
Die bisher besprochenen, der 1. Hälfte des 16. Jahrhun-
derts angehörigen Einzelübersetzungen aus Ovid waren in
paarweise gereimten Zehnsilbern verfaßt. Im Jahre 1632 er-
schien nun eine Übersetzung sämtlicher 15 Bücher in Prosa
unter dem Titel: Le grand Olympe des histoires poeti'
ques du jyrince de poesie Ovide Naso en sa metaniorphose . . . traduit
de laiin en fran^ois. Lyon, Denis de Harsy, 1532. 8^\ wieder
aufgelegt 1537, 1538, 1539. Sie besteht aus 3 Teilen zu je
5 Büchern ; jedem dieser Teile ist eine kurze Einleitung vor-
0 Blatt LXI, V.
«) Ovid, Met 1546, S. 244/18.
») Blatt LXI, V. Ovid, Met. 1546, S. 244/20.
*) BlaU LXI, V.
*) Ovid, Met. 1546, S. 244/21.
•) Habert, Quinzt liur. (1557), S. 253/5 r.
') n. TeU, S. 2/v.
») Habert, Qu. /., S. 253/11 r.
— 45 —
ausgeschickt, die für die Auffassung des Übersetzers charak-
teristisch ist. In der Einleitung zu den ersten 5 Büchern
sagt der anonyme Autor tque tel Hure sott par icelle leu sehfi
le naturd du Hure sana allegories* ^), und fügt dann in der
2. Einleitung noch die Bemerkung hinzu, daß ja schon
Augustin im 2. Buch seiner doctrina chriaHana die allegorische
Deutung verbiete ^); unter dem Gewände der Fabel werde ein
moralischer Sinn angedeutet, den der Leser leicht selbst
herausfinden könne: <cSi Ventendement du Hseur rCest du taut
effaci par ignorancCj ü en tirera hanesies enseignemens et moniere
de bien viurei^. Im Vorwort zum 3. Teile endlich lobt der
Übersetzer Ovid's ^stille flusnt et dor4, remply des graces panny
la 7naieste heraique et pondereuses aentencesi^, ferner seine „geist*
reiche Erfindungsgabe^. Endlich gibt er zum Schlüsse noch die
Versicherung, daß *la grand oeuure U Guide est songneusenietU
en langue Francoyse reposee et traduyde»,*)
Unser Anonymus findet also Ovid's klassisches Werk
schon an und für sich lesenswert. Ohne lange Erklärungen
hinzuzufügen, bietet er den reinen Text. Und doch kann er
es nicht über das Herz bringen, hier und da ein Geschicht-
chen einzuschmuggeln, das sich nicht bei Ovid findet. So
erzählt er gelegentlich der Schilderung der Jugendzeit des
Bacchus, wie sich der Gott des Weines in der lybischen
Wüste mit seinen Gefährten verirrte und dem Verschmachten
nahe war, als ihm sein Vater Jupiter in Gestalt einer Kuh
erschien und Wasser aus dem Boden stampfte.^)
Der Verfasser hat teilweise wörtlich übersetzt, teilweise
nur den Inhalt angedeutet, aber die Lokalfarbe nicht gewahrt.^)
Die griechischen Götter und Heroen sprechen und handeln
wie altfranzösische Ritter. Als z. B. Perseus erscheint, um
die an den Felsen geschmiedete Andromeda zu befreien, heißt
es: «// la salua courtoisement et luy enquist son no7n, sa terre,
») Ausg. 1639, I. Teil, S. 2 v.
») IL Teü, S. 2/v.
») III. Teil, S. 2/v.
*) Grand Ol 45/v.
') fiieiuiuf ist bereits von Hennebert aufmerksam gemacht worden,
siehe dessen Histoire des TraducHons etc., S. 94.
— 46 —
san estre, qui eile estoit, et la cause pourquoy eile estoü ainsi tüee:
La pueeUe fast moult honteuse que le jouvenoü la veist nue^ et
votontierSf si eile eusi peUy eile se feust oauverie. Elle eut teile
dergongne que parier n^osa de prime face: st se teut un peUj et
phra tendremeni.y Perseus tötet das Ungeheuer und beiratet
das Mädchen, bei welcher Gelegenheit natürlich tTotis les
princes et barons du royauhne furent aux nopoesj et y feit-on moult
esbateniM». Schwierige Partien läßt der Übersetzer ganz aus.
Nicht mit Unrecht bezeichnet daher Atieau in seiner Ein-
leitung zu den 3 ersten Büchern der Metamorphosen den
Grand Olympe als eine Entstellung.
Michel d'Amboise übertrug im Jahre 1543 das 10.
Buch; diese Übersetzung stand mir nicht zur Verfügung,
ebensowenig die folgende: <Le proces d^Aiax et d^ Ulysses pour
les armes d\4ckilles, contenu au ireziesme Hure de la Metamor-
phose d^Ovide, translate en langue fran^oise par M, Jacques
Colin, abbe de S. Ämbrois. Lyon. 1547. 8^.*^) Henuebert,
welchem diese Übersetzung vorlag, hält sie für ziemlich gering-
wertig.*)
Eine Übersetzung der Geschichte von Biblis und Caunus
aus dem Jahre 1550 von BoucheteH) konnte ich ebenfitUs
nicht entdecken.
Endlich erschien im Jahre 1650 eine Paraphrase der
Fabel vom schönen Narcissus unter dem Titel: IJescription
poelique de Vkistoire du beau Nardssus. Sie wird wohl mit Un-
recht Habert zugeschrieben, da sie mit zwei ähnlichen Habert-
schen Arbeiten nichts gemein hat.*)
Der anonyme Verfasser beginnt sein Werk nach Art der
antiken Epiker:
Callio2)6, dicies moy Vorigine,
De Narcissus et sa beaute diuine
Dicies la moy, car bien vous le scavez.
^) Bull, du Bibl. (56. anDce), S. 100: •Nous n^avons pas pu voir ce
volume qui passa ä la vetite Yemeniz en 1867 »^ fügt der Verfasser des
genannten Artikels der Titelangabe hinzu.
«) Traductions, S. 106/107.
«) Birch-Hirschfeld, 1. c, Anm. 11.
*) Vgl. Anhang, S. 118f.
- 47 —
Nuo erzählt er den Kampf zwischen den Göttern und
den Giganten, Mutter Erde trauert über die Vernichtung
der Tiere und Wälder und sie gebiert den schönen Narciß.
Da werden die Wälder wieder grün, die Vögel beginnen zu
singen, alles yerliebt sich in den schönen Jüngling: Venus,
Jano, Diana, Cupido, die Plejaden, die Oreaden; besonders
hat ihn eine Nymphe, namens Echo, ins Herz geschlossen.
Die abgewiesenen Liebesgötter, Venus und ihr Sohn Oupido,
sinnen auf Rache. Cupido trifft den spröden Narclß mit
seinem Pfeile ; der Jüngling verliebt sich in sein eigenes Bild
etc. Im weiteren Verlaufe der Erzählung folgt der Dichter
ganz seinem Vorbilde Ovid. Diese Paraphrase ist viel schwung-
voller und poetischer, als die beiden Bearbeitungen Habert's.
Im Jahre 1556 übersetzte B. Aneau das 3. Buch der
Metamorphosen^) und gab bei dieser Gelegenheit die Marot-
sehe Übersetzung des 1. und 2. Buches neu heraus.^) In
einer sehr interessanten Vorrede erwähnt er zuerst seine
Vorgänger, zwei italienische Übersetzungen von Nicolo di
Aügustini und Lodovico Dolce, zwei französische,
die eine von einem Anonymus, die andere betitelt: Le grand
Olympe. Nach einigen Versen Marot's bemerkt Aneau
weiter, daß er ursprünglich beabsichtigt habe, das ganze Werk
zu übersetzen, doch sei ihm Habert zuvorgekommen. In den
beiden ersten Bücher ti habe er den Text Marot's an einigen
Stellen verbessert, die er auch gewissenhaft in eckige
Klammern gesetzt hat.
Am Rande und am Ende der Seiten gibt er mehr oder
weniger gelehrte Anmerkungen. Doch legt er die Fabeln nicht
im Sinne der heiligen Schrift aus; denn das hieße ^cmesler k
^'iel auec la ierre>. Auch wolle er keine alchimistischen Er-
klärungen geben, weil er von dieser Wissenschaft nichts ver-
stehe und nicht annehmen könne, daß die Alten die Fabeln
in diesem Sinne aufgefaßt hätten. Und doch dürfe man einen
Dichter nicht „kalt und nach detn Buchstaben^ erklären, sondern
') Vgl. Hennebert, 1. c. S. 113ff.
•) Siehe weiter unten S. 49. Übrigens hatte Marot die Absicht
gehabt, auch das 3. Buch zu übersetzen; vgl. Hennebert, 1. c, 8. 9ö,
Audi. 1.
— 48 —
man müsse dem r,geheimen Sinne^ nachforschen; die ganze
antike Religion sei in das Gewand der Mythologie, in das
Kleid eleganter und lustiger Fabeln gehüllt. Dazu seien die
alten Dichter durch zwei Erwägungen veranlaßt worden:
erstens, weil das Wesen Gottes und der Natur geheim ge-
halten und nicht in „nackten Worten den unkeuschen Ohren der
Menschen^ offenbart werden sollte ; zweitens, weil die Menschen
mehr Gefallen fänden an der „fingierten Lüge^ als an der ein*
fachen und 7uickten Wahrheit^'' ; sie seien ja selber alle Lügner !
Jener geheimnisvolle Sinn, so fährt Aneau fort, lasse
sich durch eine dreifache Art der Interpretation entdecken,
durch eine philosophische, eine moralische und eine historische.
Manche Fabeln lassen beide, andere sogar alle drei Er-
klärungen zu; ein Beispiel für die erste Art sei Jupiter, der
sich in alle schönen Mädchen verliebe und sie befruchte; er
bedeute nichts anderes als den „universalenj großen Geist, die Welt-
seelcj die alles liehe und alles mit sich vereinigt unssen woUe^^, Bei
der moralischen Erklärung verstehe man z. B. unter den Göttern
die Fürsten und Mächtigen der Welt: Jupiter, der den un-
geschickten Wagenlenker Phaethon bestraft, gebe uns das Bei-
spiel eines guten und hochherzigen Fürsten, der einen ehrgeizigen,
unfähigen Emporkömmling beiseite schaffe. Endlich folgt
die historische Erklärung : Unter Jupiter, der in Gestalt eines
Stieres auf der Insel Kreta, Europa, die Tochter des Königs
von Phönicien, geraubt habe, sei der geschichtliche, dritte
König von Kreta zu verstehen, der den Erdteil Europa den
asiatischen Königen einst entriß.
Aneau's Übertragung des 3. Buches ist sehr genau.
Nur zwei Fehler sind mir aufgefallen:
Ov. : Separat Äonios Actaeis Pliocis ab aruis
Terra ferax . . .^)
An.: Efitre les ciuxmps et les tetres Attiques
Et Celles la des fins Macedoniquee^)
Est im pays qu-on appelle Phocis
Qui hs sq)are . . .
(Aonien = Böotien, nicht Macedonien).
1) Ovid. Met. (1546) 31/13.
«) Aneau, Troia liures d, l Met, S. 40.
— 49 —
Ov.: Buccina . . . in hxtumque turbine crescii ab inio^)
An.: C07nme vn iurbot^)
(Turbo = Wirbel, Windung, nicht der Fisch
Steinbutt!)
Den Eigennamen gibt Aneau nur dann eine französische
Endung, wenn es ihm erlaubt scheint, um nicht in den
Verdacht des „Gräcisierens oder Laiinisierens^^ zu geraten.
Die Namen der Hunde Aktäons übersetzt er: Adamas =
Diamant, Hylaeus = Foresiier, Äglaodos = Clairedmt. Wort
und Vers seines Vorgängers Marot kritisiert und emendiert
er sorgfaltig. Er ist der erste französische Philologe, der
sich an Oyid heranwagt. So gründUch seine Übersetzung, so
tief ist seine Auffassung. —
Werfen wir einen Blick auf die verschiedenen Über-
setzongsversuche , die im 16. Jahrhundert an dem Meister-
werke Ovid's unternommen wurden, so läßt sich ein gewisser
Fortschritt nicht verkennen, den die Kenaissancezeit im Ver-
ständnis und in der Würdigung des römischen Dichters ge-
macht hat. Die langen allegorischen und religiösen Deutungen
erscheinen dem humanistisch Gebildeten kindisch und lächer-
lich. Diesem Gedanken gibt bereits Rabelais im Prolog zum
Gargantua einen unzweideutigen Ausdruck, wenn et sagt, es
seien die Allegorien, welche man in der Tlias und Odyssee
entdeckt zu haben glaube, ebensowenig <tsongie8 d^Homere que
d' Ovide en ses Metamorphoses les sacrements de HEvangüe, lesquelz
un frere Lubin, vray croqtielardon, s^est efförce difnonstrer, si d'ad-
venture il rencontroit gens aussi folx que luy et {comme dit Ic
proverbe) couuerde digne du chaudron*.^) Man strebte damals
schon nach einem reinen Texte. Allerdings blieb noch die
naive Freude an der moralischen Erklärung. Doch ward sie
nicht mehr mit dem Texte vermischt, sondern an den Rand
gesetzt oder es wurde der Leser darauf aufmerksam gemacht,
sie sich selbst zu abstrahieren. Man suchte in die Tiefe zu
') Ovid Mit. (1546) S. 32/4.
«) Troi8 liures etc. S. 43.
•) Des Marets et BatUry (2. Aufl.) 1, 79.
Mfmohener Beiträge s. romanischen u. engl. Philologie. XXX.
— 50 —
dringen. Aneau gab einerseits noch philosophische Deu-
tungen im Sinne Plato's, aber andererseits spürte er auch schon
den wirklichen, den historischen Grundlagen der Fabeln nach.
Die wissenschaftliche Forschung hatte begonnen. Die Über-
setzer sind jetzt Philologen und Dichter, nicht mehr Geist-
liche und Mönche, wie im Mittelalter. Eifrig schafft man
Steine auch zum Bau der Metamorphosen in der National-
spracfae herbei. Aber den stolzcnoi Renaissancebau des ge-
samten Ovid'schen Kunstwerkes hatte man doch nicht er-
richtet. Dies blieb einem anderen Architekten Torbehalten,
der ihm allerdings einen etwas eigentümlichen Anstrich gab,
wie das noch im einzelnen jetzt dargelegt werden soll.
§ 2. Hab^*t's Metamorphosenttbersetzniig.
Bevor wir Habert's Gesamtübersetzung der Metamorphosen
Ovid's vom Jahre 1557 betrachten, müssen wir ein paar Über-
setzungsversuche aus seiner Jugendzeit besprechen. In der
Jeufiesse du Banny de lyesse übersetzte er zwei Fabeln : La pre-
miere de Piramus ei Thisbe^)y la seconde du beau Narcissus^y
beide ampUfices de son inuention.^) Abweichend vom lateini-
schen Texte führt Habert Mars und Cupido ein. Zuerst
entbrennt Mars in Liebe zu der jungen Babylonierin Thisbe.
Auf einem arabischen Renner und mit einer Hüstung angetan,
die außen reich vergoldet und innen azurfarben schimmert, zieht
er aus, um das Herz der holden Geliebten zu erobern., allein
er wird abgewiesen. Da naht sich Cupido dem Mädchen.
Bogen und Pfeile und alle seine Macht über die Menschen-
herzen will er Thisbe zu Füßen legen. Als auch er keine
Gnade vor ihren Augen findet, sinnt er mit Mars auf gemein-
schaftliche Bache. Auf den Bat seines Leidensgenossen läßt
der Kriegsgott vou Vulkan ein Schwert schmieden, das er
dann mit heuchlerischen Worten Pyramus zum Geschenke
macht. Amor trifft das Herz der beiden jungen Menschen-
*) Jeun. du Banny. S. 89rff.; von Hart, Ursprung und Yerhreitung
der Pyramus- und ThisbesagCj nicht erwähnt.
«) Jeu7i. d. B. S. 105 r ff.
») Vgl. Theret, 1. c, S. 32ff.
— 5J —
kioder mit einem Pfeile. £s folgt eiu langes Zwiegespräch,
das nächtliche StelldicheiD, und der Tod der Liebenden mit
dem Schwerte des Kriegsgottes -*, alles genau nach dem Isr
teinischen Vorbilde.
Wir haben es hier nicht mit einer Übersetzung im eigent-
Uchen Sinne zu tun, sondern mit einer freien Bearbeitung.
Ob Habert die Episode mit Mars und Cupido selbst erfunden
hat, vermögen wir nicht zu sagen. Doch läßt sich unseres
Erachtens aus einigen anderen Zügen eine Quelle erschließen,
die er für diese Fabel benutzt hat, nämlich «Lc grand Olympe
des histoires poetiqtteit du pritwe de poesie Ovide JSaso en sa Metoh
iiiorphose . . . Tradiiict de latin en frati^s, Lyon 1532. 8^.>^)
Habert's Darstellung und Le grand Olympe haben einige
Züge gemeinsam, die sich im lateinischen Originale nicht
finden. Beide bringen längere Unterredungen zwischen den
verliebten Xacbbarskindern ; bei beiden steckt Thisbe ihren
Gürtel durch die Mauerspalte, wenn sie den Geliebten sprechen
will; als sie das Haus verläßt, wird sie bemerkt, im Orand
Olympe von einer Wache, bei Habert von einem Diener,
welche glauben, sie sei eine Göttin und sie daher passieren
lassen. Eiu Vergleich, den der lateinische Dichter bei Ge-
legenheit des Todes des Pyramus anwendet, fehlt in beiden
französischen Übersetzungen. Endlich findet sich ein gemein-
namer Anachronismus: die zwei Leichen werden in ein Grab
gelegt, während sie bei Ovid auf dem Scheiterhaufen ver-
brannt werden und ihre Asche in einer Urne vereinigt wird.
Am Schlüsse der Fabel findet sich bei Habert eine Nutz-
anwendung, wie bei den Dichtern des Mittelalters :
Aynier est hon, voire hkn ardemment
Par mariage cufisi q^ie Dien conmiende,
Mais Piramus et Thisbe. follement
En ont use, nul est qui rie Ventefide.
Gegenüber der Erzählung von Pyramus und Thisbe (1541)
zeigt die Übersetzung der Fabel vom schönen Narciß (1541)
'j Im folgenden ist die Ausgabe vom Jahre 1539, welche allein
zugänglich war, benatzt wordeD. Dort findet sich die genannte Fabel
auf 8. o5/vff. Siehe Hennebert, 1. c, S. 93. — Vgl. auch weiter
unten, S. 75 f.
4*
— 52 —
einen gewissen Fortschritt. Habert geht nicht mehr so will-
kürlich mit seinem Texte um, sondern schließt sich ziemlich
eng an denselben an, namentlich im Anfang. Von S. 87/14
— 87/21 läßt er sein Original außer acht, und so ist die hoch-
poetische Stelle, in welcher Narcissus durch die Zurufe der
verliebten Echo geneckt wird, Yollständig mißlungen. Am
Ende der Fabel bringt es der Dichter auch hier nicht übers
Herz, einen tSens morah fortzulassen:
Voila comment ä Nareissus est pris
Pour s'aymer trop, crains donc que tu hiy semble
De Corps mortd, ne soys $i fort surpris,
Que d^auec Dieu Vesprit se desassemble.^)
Auch diese Wiedergabe der Fabel vom schönen Narciß
ist keine originale, sondern lehnt sich stark an die Über-
setzung der gleichen Fabel im Grand Olympe an, den er ja
schon für Pyramus und Thisbe benützt hatte. Eine genauere
Vergleichung der beiden französischen Texte mit dem lateini-
schen Originale wird uns dies zeigen. Denn erstens haben,
von dem lateinischen Texte abweichend, beide französische
Übertragungen völlig oder nahezu übereinstimmende Wörter
und Ausdrücke, gleiche, bzw. ähnliche Hinzufiigungen, Aus-
lassungen und Fehler.
. I. Übereinstlmmniigren.
Ovid
' ^ \Hab, 105/1 r: Cephems
89/14 9yhiae (^' ^^' ^1''' P^«««»^ ^^^
\Hab. 109/1 r: 0 dieux puissantz
(Chr. Ol, 48/r: 0 enfant que la dedans
I Hab, 109/25 r : 0 bei enfant graamx
\ mens ä moy
(Chr. Ol. 48/r: Gratieux suis d wer-
..,. ^. , . , „ J*^^ ^^ ^ ^»-^ ^^^^ f"^"^^
' \Hab, 110/6 v: Grace et beaulte fönt
[ en moy leur demeure
^) Jeun, du B, d. L., S. 112/v.
— 53 —
Ovid
90jS Et quantum motu formosi mM-
picor oris
Verba refers aures non peruenien-
tia nostras
90i6 roger anne rogem?
90121 dumque dolet
90128 ut intabescere flauae
Igne leui cerat, matutinaeque pruu
nae
Sole iepente söhnt: sie attenuatus
afnore
Liquitur et tecto paulatim car-
pitur igni
Et neque iam color est mixto can-
dare rubori
Or, Ol. 48lr: et qimnd ie parle tu
ouures ta bouchepour respandre
mais ouyr ne te puis
Hab, 110120 V : Et quand ie parle est
ta bouche dechse
Mais ie n'en puis ouyr aulcune
chose
Or. Ol. dSjr: ie suis Ie requerant et
Ie requis
Hab. llOlßr: ie suis ..,Le requerant
et Ie requis
(Gr. Ol. 49 jv: par grand ire
XHab. 111112 V : par grand yre
Ghr. Ol. 49lv: tout Ie faisoit fondre
et firire comme feu la glace.
Ou comme Ie soleü la neige
Hab. 111(12 r: son cueurfond, ainsi
qu'au feu la glace
Ou tout ainsi que neige descendue
Interuenant Ie soleil est fondue
S6';21 hunc trepidos agitantem in re-
tia ceruos
S6I21 Aspicit hunc . . . Echo
Corpus adhuc Echo
f^^i23: Xec prior ipsa loqui didi^it
n. Gleiche oder ähnliehe Umschreibnngren.
Gr. Ol. 46lr: ü mist toute sa eure
en deduit de la chasse
Hab. 106115 V : il ne pourchasse
Que Ie soulas et deduict de la
chasse
Gr. Ol. 46\r: üng iour d^aduenture
Ie veit Echo qui belle puceUe es-
toit et saige ahrs
Hab. 106121 v: üng iour Ie veid au
boys, Echo la beüe Saige iadis
et prudente pucelle
Gr. Ol. 46jr: mais commencer aul-
cune raison ne pouoit d'eüe
mesme
Höh. 10612 r: mais si de soy ä par-
ier ne commence
Die zuletzt angeführte Stelle ist von beiden Übersetzern
zuerst ausgelassen, dann aber vor Vers 26: Reddere de muUis
lä uerba nouissima posset, eingefügt worden.
— 54 —
Ovid
87113 comitum seductus ab agmine
fido
88118 Dumqut sitim nedare cupit
sitis altera creuit
corpus putat esse quod umbra
est
88129 Dumqiie petit, petitur
Gr. Ol. 47 jv: qui d^aduenture se
trouua seul et esgare pur le
bocage
Hab. 107 115 r: qui estoit esgarf
En la forest et des siens separe
Chr. Ol. dSjv: La luy destrempa
amours vng tel breuuage qu^eUe
luy fit sa soif doubla'
Hab. lOBIlOv: Mais Cupido Venfant
delicieux
Luy feit sentir son arc pemicieux,
Luy preparant soubdain vn tel
breuuage
Que sa soif grande augmenta
d^auantage
Gr, Ol. 48jv: aduis luy fist que
c'estoit aulcune belle datne ou
damoyselle
Hab. 109 j 21 v : Pensant que cest dame
qui le suruient
Pour son amour
Gr. Ol. 48jv: Et comme plus amou-
reusenient le regardoit, aussi
faisoit luy son vmbre
Hab. 10911 r: Plus il se veoitj plus
se voir il s^efforce
Mais plus ü sent d€ Cupido la force.
III. Gleiche oder ähnliehe HinznfQgriuigreii.
86110 iam tunc qui posset aniari
86/11 de quo (sc. in f ante) consultus
861 IS si se 7ion noneint, inqnit
Gr. Ol 46, r: Pour la grand'
beaulti de luy chascun Vay-
moit et desiroit voulsist ou non
Hab» 10513 r: Duquel apres la
beaultS corporelle
Causa chaleur ä mainte damoyselle
Ch: Ol. 46 !r: La mere qui forment
Veut eher vintscauoird Thiresias
sa destinee
Hab. 106,2 v: Jliiresias, par sa
mere ordonnS
Predestinoit . . .
iGr. Ol 46lr: dist qu'il viuroit
l longuement, muis quHl se
{ gardast soymesme veoir
- 56
Omd
S6I13 9i se non nouerit, inquit
86115 vana
86117 zwiachen uideri und mvAÜ ü-
lufH petiere
86(ifO Dmw fugerent Nymphae
B7I22 egressaque (9c. Echo) gylua (bat
8812 098a fertmt lapidis traxUse fi-
guram
88118 Dumquc ntim $edare cupit,
sitii altera cremt
{106l5v: de viure en longue vie
S^ü ne prenoit de veoir soymeames
enuie
iGr. Ol. 46lr: vaine et . . . falle
\Hab. 10617 v: vaine et f olle
Gr. Ol. 46lr: ceatuy Narcissus eui
le renom par toutes terres loitig
et prea qu-ü estoit le plus heoM
iowiencel du inonde[,] par taut
en courroit la voix
Hab. 10619 v: Or ce pendant Nar-
cissua doulx et tendre
Fai8oit le bruyt de sa beaultS res-
pandre
En dinera lieux
Gr. Ol. 47lv : tellement que les nym-
phes avoient loysir de a^en*
fouyr
Hab. 106l20r: Nymphe» auoient
d'eschapper hon loysir
Or.Ol.^fv:Narci99U8 8^en y8»it
du boys et vint ä UPj^aine.
Eeho s^apparut lors deuantluy
Hab. 108jl0v: Narci88U8 eut 8%
tri8te courage
Qu*U delai88aparcowrrouxce8t
umbrage
Habandonnant la forest te-
nebreuse:
Ädonc Echo d^amour trop furiewe
Laiase le9 boy9
Chr. Ol. 47lr: Ses 08 gros et me-
nus sont deuenus pierres
Hab, lOHlllr: Si que sea os tant
les gros que menus
Sont par ce feu en pierres de-
uenus
Chr. Ol. 48lv: La luy destrempa
amours vng tel breuuage
qu^eüe luy fit sa soif doubler.
La se sceut amours de U»y venger
qui tant Vavoit de9pitf
par 9on orgueil et par son
oultrecuydance
66 —
Ovid
88118: Dumque sitim aedare cupit,
sitis altera creuit
89127: aetas
Hab. 109110V : Mais Cupido Pen-
fant delicieftx
Luy feit sentir son arc pemi-
cieux,
Luy preparant soubdain vng
tel breuuage
Que sa aoif grande augmenta
d^auaniage,
La Cupido le dieu puissant et
fort
A Narcissus monstra hien son ef-
fort
Dont il cogneut son bruict au-
thorisi
Que par orgueil auoit tant
despriai
(Gr. OL 48jr: aaye conuenable
\Hal>. 1101 7 V : aage . . . conuenable
IT. Gleiche Auglasgungren.
86117: poteratque puer, iuueni8que\ /. ij^
ui^^ri )
86118: tnulti illutn iuu ene 8, \ Beide erwähnen die Knabenliebe
tnultae petxere pueüae f nicht.
86122: Yocalia Nymphae, quae
Eine Art Parallelismtte, den beide
wohl für überflüssig hielten.
Dieser Vergleich der Liebe mit einer
Fackel, deren Glut mit Schwefel
genährt wird, fehlt ebenfalls.
nee reticere loquenti . . .
Nee prior ipaa loqui didicit, re-
sonabilis Echo
8717: Non aliter quam cum summii
drcundita tedis
Admotaa rapiunt uiuacia aulphura
flammas
Ferner ist der Schwur der abgewiesenen Echo (88/86),
die Beschreibung des schönen Narcissus (88/21) und eine
Klage (89/14) von beiden Übersetzern ausgelassen worden.
Y. Gleiche Fehler.
(Or, Ol. 46lr: Cest datne auoit neu-
uellemetit enfanti leplusbeau
enfant maale qu^oncques euat
estS veu
Hab. 105/1 r: Liriope . . .
D^ung bei enfant iadis se
Vit encincte
8619: eniaxL est utero pulcherrima
pleno infantem Nymphae
— 57 —
88J39 : painUrque accendi t etardet
Beide übersetzen hier statt des Nominativs pulcherrima
einen Akkusativ, den sie auf infantem beziehen.
Quid
Or, Ol. 48lv: Si approcha lafon-
iaine, et commeplua Vappro-
chait plus la representation
s^approchoit
Hab. 10914 r: L^vmbre respond en
faisant le pareü
Pitts pres il est, plus pres
son wnhre approche
Den Übersetzern bzw. dem ersten Übersetzer scheint oc-
cedert vorgeschwebt zu haben.
Qr.Ol.49jr:sx est Huri ä mar-
tyre en enfer ou il se mire
tousiours sa face en vne tene-
breuse et obscure eaue nammSe
Stiz
Hab. 111123 r: Dont maintenant au
regne plutonique
Martyre esgal ä sa vie on
applique
Tousiours ü veoit sa face claire
et blonde
En Veaue de Stix fort obscure et
profonde
Or, Ol 49lr: le tumbeau pour y
mettre le corps
Hab, 11213 v: vng monument
Pour y loger en digne sepulture
, Le triste corps
In den beiden letzten Fällen sind heidnische Gebräuche
durch christliche ersetzt und das Gesetz der historischen
Treue verletzt worden.
91114: Tum quoque se postquam est
infema sede receptusj
In Stygia spectabat aqua
91119: rogum
Tl. Sonstige Ihnlichkeiten.
o^ioo. T^ • I • j- ^ Diese Stelle ist bei beiden Übersetzern
86 23: Nee prior xpsa loqui dt- 1 ^ , , ,
didt de muUi, ut uerba nouis- ^"erst ausgelassei.. dann aber vor
sinta pouet, \ ^"" ^6: Reddere etc., emgeftgt
' worden.
86131: Huius ait linguae qua siwn
ddusa potestas
Parua tibi datitur^ uocisque bre-
uissimus usus
Diese Worte der Juno werden in den
> französischen Übertragungen dem
Ovid selbst in den Mund gelegt
— 58
Ovid
86132: Vocalis Nymphae . . . Echo
Sf^l2: 088a ferunt lapidis traxisse
figuram
8812: Vox manet: ossa ferunt
pidi8 traxisse figuram
la-
Gr. Ol 46lr: Echo qui belle pu-
Celle e8toit et 8aige cUor8
Hab. 106121 v: Ung iour le veid au
hoys Echo la helle
Saige iadis ei prudente pucelle
Chr. Ol. 47 Ir: Ses 08 gro8 et menus
8ont deuenu8 piare»
Hab. 1081 11 r: Si que 8e8 os tant
les gro8 que menu8
Sont par ce feu en pierres de-
uenu8
In den beiden vorausgehenden Fällen hat Habert zwei
Worte seines Vorgängers als Reime benützt. Endlich folgen
ein paar Beispiele, in denen die beiden Übersetzer zwei auf-
einanderfolgende Sätze in umgekehrter Reihenfolge bringen:
Grr. Ol. 47 jr: Se8 os gros et menus
sont deuenus pierres et sa voix
seulement luy est demourSe
Hab. 1081 11 r: 8i que ses os tant les
gros que menus
Sont par ce feu en pierres deuenus
Et ä Echo doUnte et esplor6e
Chose aultre n^est que sa voix de-
meur6e
(Or. Ol. 47 jr: Son son vit perdu-
rablement, mais eile ne sera ia-
mais veue ne trou^
Hab. 1981 14r: . . . demouurU
Le son d^icelle a perpetuiU
Mais tout le reste est plein de
nuUite
Ouyr le son d'Echo bien est pas-
sible
Mais de la veoir et trouuer im-
possible
Tn Habert's Übersetzung der sämtlichen 15 Bücher der
Metamorphosen vom Jahre 1557 kommt natürlich die Fabri
vom schönen Narciß wiederum vor; die letztere gibt getreu
den lateinischen Text Ovid's wieder und hat mit der Be-
arbeitung von 1541 nur zwei Verse und ein paar Reime ge-
meinsam. Der erste Vers lautet:
8813 : nulloque in mente uidetur .
sonus est qui uiuit tn illa
— 59 —
Dont accomply veneriqtie plaisir
Nymphes auaient cPeschapper hon loysir,^}
und in der Gesamtübertragung:
Qu^apres Veshat de l'amoureux plaisir
Nympheft auoient (T eschaper (»ic!) hon loyfnrj)
Der zweite Vers lautet:
Jeuv, du B. d. L. (1541) 8. 1 10/12 v:
Car quani vers t&y sont mes deux bras tendus
Les tiens aussi vers moy sont estendus
Gesamtübersetzung (1557) S. 79/29 v:
C^r qtuind mes bras dessus toy sont tendus
Pour m^embrasser les tiens sont estendus,
Jeun. du B. d, L. (1541) Gesamtübers. (1557)
I04l9r: torment . . . commcncement 7615 r: dire . . . martyre
„ martire . . . dire „ hlandissement. . . torment
10814 V : meschef . . . reelle f 76J21 r : le chef . . . rechef
109i2v: ordure . . . dure 7719 r: ordure . . ,pure
10918 v: reposer , . . appaiser 771 23 r: reposer . . . appaiser
Im Jahre 1557 'j veröffentlichte Franz Habert, der
Hofdichter Heinrichs U., seine Übersetzung der 15 Bücher der
Metamorphosen Ovid's in paarweise gereimten Zehnsilbern.*)
Er war nicht wenig stolz auf dieses Werk und unterließ es
auch nicht, gehörig Reklame dafür zu machen. In der ein-
leitenden Epistel {Epistre au Ray) rühmt er sich seines fürstlichen
Gönners ; er nennt ihn den ^^christlichen Hektor'^ und versteigt
sich zu überschwenglichen Lobeserhebungen:
«Je voudrais bien la docte langue auoir
De CicSron, sa graee et son Scauoir
Pour au sommet de vos vertiui attaindreT> ,^)
») Jeufi. du B. d. X., 106/18 r.
«) Quinze livres des Met., 76/17 v.
') Im gleichen Jahre erschien eine andere Übersetzung: La meta-
morpose d^Ovide figtiree. Lyon (Jean de Toumes) 1557. 8^, mit reizen-
den manrisehen Blattomamenten und reichen Hand Verzierungen aus-
gestattet, vgl. W. Lübke, Oesch. d. Renaiss.^ S. 26.
*) Chronologische Einzelheiten über diese Übersetzung s. unten
S. 114 u. 120. — Habert hatte bereits im Jahre 1549 sechs Bücher der
3Ietamorpho8en übertragen und im Druck erscheinen lassen, nämlich
Buch 3 — 6, 12 und 13; leider war mir diese Übersetzung nicht zugänglich.
^) Diese •Epistre au Boy» ist ohne Seitenzahlen.
— 60 —
Weiter verkündet der „untertänigste und ergebenste" Hof-
dichter, daß sein königlicher Mäcen einen gereiften Verstand,
Güte, Freigebigkeit besitze und einen Körper tqui de heauie
passe ioute exceüence» ; er walte mit G-erechtigkeit, vernichte
seine Feinde, sei aber auch durch Sanftmut und heldengleiche
Huld ausgezeichnet:
*A iamais ks ecrits poiiiques
Bhprimeront voz graees heroiques,^
Kein geringeres Lob spendet Habert seinem Autor Ovid,
dessen Metamorphosen in sich sämtliche griechische Dichter
vereinigen und verarbeiten ; denn sie handeln von Philosophie,
Rhetorik, Musik und allen Künsten ; so bieten sie dem Leser
eine allseitige Bildung; Ovid's Sprache sei sanfter als der
Klang von Instrumenten, namentlich, wenn er Liebende reden
lasse; seine Darstellung sei so plastisch, daß mau versucht
sei zu glauben, daß seine Personen leben.
Wir finden also bei Habert schon deutlich Spuren eines
ästhetischen Interesses an der Schöpfung des Dichters von
Sulmo; doch geht dieses nur nebenher. Hauptsache ist ihm
die den Geschichten zu Grunde liegende Moral: Jupiter ist
der Weltschöpfer und Vater aller Dinge, die Giganten sind
. die Feinde seines heiligen Namens. Das Beispiel Lykaons,
der in einen Wolf verwandelt wird, zeigt die Bestrafung des
Bösen durch die göttliche Gerechtigkeit. Daphne's Bettung
und Verwandlung in einen Lorbeerbaum bedeutet den Schutz,
den die verfolgte Unschuld findet.
tQuand ü {Ovid) descrü Us amours di^solues
Pour conuertir ks personnes polhies,
u\e veut-il pas monstrer euidemment
Qu^vn Prince et Roy doibt viure prtidemment ?*
Dies ist in Habert's Augen der Nutzen der Fabeln für
den Leser im allgemeinen; ein Fürst jedoch wird auch Ge-
fallen finden an den tBatailles ordonmes^, an den tPrinces,,,
en grauitc tant exquisey . . ., und, meint er,
cne sera froim^ facilement
Autheur pour plus viure ci uilement^.
Wir sehen also, daß H. z. T. noch in mittelalterlichen
Anschauungen befangen war. Die Metamorphosen waren ihm
— 61 —
einerseits eine praktische Sittenlehre, andererseits ejn höfisches
Anstandshnch.
Wir wissen nicht, welchen lateinischen Text Habert seiner
Übersetzung zu Grunde gelegt hat. Von den zahlreichen
lateinischen Textausgaben, die einander sehr ähnlich sind, hat
uns die folgende als Grundlage unserer Untersuchung gedient:
Publ. Ovidii Nasonis libri XV, Apud Seh, Gryphiwrij Jjugduni
1546. 8^, Sie steht zeitlich und inhaltlich der französischen
Übersetzung sehr nahe. Man kann nun einen Autor wörtlich
übersetzen, oder seinen Text yereinfachen, umschreiben oder
ihn ungenau und falsch wiedergeben. Da uns die erste Art
der Übertragung die Eigenart des Übersetzers wenig oder gar
nicht offenbart, so werden wir uns auf die drei übrigen Über-
setzungsarteu beschränken müssen und nacheinander die Ver-
einfachungen, die Umschreibungen und endlich die Fehler
und Ungenauigkeiten besprechen.
I. Yereinfachnngeiir
An vielen Stellen hat Habert seinen Text vereinfacht.
Er vermeidet Parallelismen, verkürzt lange Sätze oder läßt
gar Satz- und Redeteile aus, die er nicht versteht, oder die
sich seinem Versbau nicht fügen wollen. So fehlt manches
charakteristische Attribut und ungern sieht man die Poesie
des Originals so häufig zerstört.
a) Unterdrflckang einer Idee oder eines Satzes bei mehreren
koordinierten Ideen oder Sätzen«
2117:^) rudis indigestaque molesnec 7117 r:^ une Masse pesante^ lourde
quicqwim nisi pondus iners sans arty Sans ordre
22(3: qtwe postquam euoluit caeco- 8129 v: eut desliez ks ilement (sie!)
que exemit aceruo confusiment liSz
27 13: t er que quaterque 13125 r: par quatre foys
29/16: ne forte sacer tot ab ignibus 16/5 r: que tant d*espaisse fiame les
aeiherj conciperet flammaSj Ion- Cieux sacrez sotU)dain brusle et
g US que ardesceret axis enflame
29128: barba grauis nimbis, canis 16j2dr: d^abondante eau sa Barbe
fluit unda capillis degoutoit
1) s= Seite 21, Zeile 7 der lat. Metamorphosen, Ausgabe 1546.
2) =, Seite 7, Zeile 17 rechts der i'ranzös. Übers, vom Jahre 1557;
vgl. oben S. 120.
30117: cumque . . . simul ITjdr: auec
SOI 19: 8i qua domus mansit po- ITjTr: Si d^auanture <m appercoit
tuitque resistere tanto a Vheure
inddccta malo QuelqueMaisonquientieredemeure
32112: pletios capit alueus amnes, 19/30 v: Les fleuues pleins reserrent
flumina Bubsidunt lewrs pasmges
32/17: inanem . . . desolatas terras 19,12r: desoU le circuit terrestre
33124: pauido . . . ore, pauetque 21l2v: eile craint
33126: caecis obscura latebris 21/4 v: ambi^
(cerba)
33126: repetunt secum . . . inter 21j4v: ilz examinent
seque uolutant
34/8: dwriüem . . . suumque ri- 21l28v: sa durte vsitee
goretn
36/26: satpe pater dixit ... saepe 24ll9v: Souuentefoys son pere luy
pater dixit a dict
37/15 : brachiaque et nudos media 24/30 r : ses bras bien polis
plus parte lacertos
37/24: moderantius, oro, curre, fu- 25/7 v: Je te Bupply cownr moing
gamque inhibe vistement
37/28 : nesciSf quem fugias, ideoque 25/3 r: tu ne acais pas
fugis De qui . . . tu esloignes tes pas
38' 4: est . . . dicor 25/19 r: on me dict
38/23 : insequituvy ocior est 26129 v : est plus leger
39/26: haec domus^ haec sedes, haec 27/13 r: en ce lieu la . . .estla mal-
sunt penetralia magni son et caueme
43/22 : faller et, et credi posset 32/5 v : eile eust este prise pour Diana
Latonia
44/4: ibi . . .in artmdine 3212 r: Dans le Rouseau
44110: omnes succubuisse oculos, ad- 32/15 r: que . . . tous les yeux de la
opertaqxie lumin a somno Teste endormie estoient vaincues
45/17: ede notam tanti generis me- 34/16 v: Ren moy bien seur d^vne
que asser e coelo teile origine
46/4: quod nos auditque videtque 34/3 r: qui nous voit
. . . quem spectas
46/5: neget ipse uidendum se 34l7r: quHl face desormais que sa
mihi, sitque oculis lux ista clairie ne m^esdaire iamaie
nouis»ima nostrts
b) Ersatz eines Satzes. «
1. Darch ein Svbstaiitiv (biw. Fron.).
22/18: quarum quae media est 9/15 v: Vvne au milieu
23/11: occiduo quae littora sole tepes- 9l20r: En occident
ciint
— 63 —
25(25: Quasque (sc. opes) recon- 12ßr: oachtz dedans ses veinea
diderat, Stygiisqtte admouerat
umbris
'JSj3: quod tarnen admisswin sit, (do- 14j24r: toui le dilict
cebo)
34/14 : quae ...ex iUis (i. e. saxis) . . . 2119 r : la plus molk partie
pars humida . . . et terrena fmt
34125: nee quid Hymen, quid amor, 24(17 v: N'ayant souci d^amowrs,
quid sint connuhia, curat fuyant Hymen
'H7I5: quodque cupit, sperat 24j9r: ei le plaisir en ses dUWs
conceu
'i7jl6: 9i qua latent 25(1 v: autres parts corporeUes des-
soubs Vhabit
37131: quod eritque 251 10 r: chose future
39118: finierat Faean 27(27 v: aux dicts du Dieu
39(20: praerupta quod undique 27 (2 r: haiUt circuit d^vne ombreuse
clattdit forest
40(8: esse putat nusquam atque 28(9 v: il craint fort son trespas
animo jteiora ueretur
41,19: cum sol tellure suh alta est 29(14r: de nuict
42jl: iqthorat . . . quae sit 30(4 v: n^ont de leur seur cognois-
sance
42(27: quem lucida partu Fleias 31(10v: ßs de Maia
enixa est
43(20: et quoscumque deos habet 31(26 r: et Dieux
44; lo: qua coüo est confine caput 31(30 r: sa teste h^betie
44.18: lumen . . . extinctum est, cen- 32(27 r: la seuU Mort a sa lumiere
tumquf oculos nox occupat una estaincte
2. Durch ein Adjektiv oder Partidp.
21j7: quem dixere chaos 7117 r: nomme chaos
24(23: quae deciderant glandes 11123 V : Le Gland tombe
'25! 25: qwisque recondiderat 12(8 r: les Metaux cachez
'27,4: cum qua . . . sidera mouit 13(27 r: Faisant trembler les Ästres
32(23: terrarum quascumque vident 19(21 r: de tous les lieux terrestres
estendus
37(7: quas reliquit 24(13r: laisse
40(7 : qui uaga fulmina mitto 28(30 v: gouuernant la fouldre
3. Oarch ein Terbnm.
31(7: terris ubi sistere . . . possit 1819v: Heu . . . a se percher
.33(7: nuüa mora est 20(25 v: sans seioumer
— 64 —
41125: non habet qua brachia ten-
deret Argo
4216: oret opem
4411: ut 8e mutarent
291 25 r: eüe n'a eu bras ne main
pour luy tendre
30120 v: powr le prier de secours
fauorable
32127V : de la muer
c) Andere Yerelnfachimgeii«
21120: habentia pofidiM
27(16: illa tempestate . . . qtta
27118: honore coeli
2917: partes . . . assensibus implent
29112: talia quaerentes
29127: picea tectua caligine
32124 : haec quoque adhuc uitae non
est fidticia nostrae certa satis
33)22: rumpitque sileniia uoce
Pyrrha
33127: uerba datae sortis
33(31: lapides in corpore terrae
34j6: sua post uestigia
34118: inque bretii spatio
38/12 : impulsos . . . dabat aura ca-
pillos
39j7 : complexusque suis . . . lacertis
41115: capiebant quietem
4316: poteris considere
43j9: et euntem multa loquendo de-
tinuit serntone diem
43/20 : et quoscunique deosjunibrosaue
sylua feraxue rus habet
4415 : sonum . . . simüernque querenti
44 8: disparibus ccUamis conpagine
cerae inter se iunctis
44/31: coni'ugis ille suae complexus
colla lacertis
45114 : magni genitus de seniine . . .
Jouis
46/13: positosque sub ignibus Indos
sidereis
8l22v: le pesant
14/2 v: quand
14/24v: du Cid
1616 v: y consentent
16/3r: lors
16/23 r: noir
19/26r: encores n^est nostre scUut
bien seur
20/27 r: Pyrrha parla
21/4 v: V Oracle
21/12v: Les pierres sont les as
21/25 v: derrHre eux
21/15 r: aprhi
2618 v: faisoit . . . bransler
2713 v: il embrorce
29/7 r: sommeüloient
31/2 r: repose
31/8 r: passant le iour en maint
propos rassis
31/26 r: Dieux Syluains et,,. Dieux
rastiques
32/3 r: vn lamentable son
32/lOr: la Fluste (aux doux accords)
liez de cire
33/22 v: Vembrace
33/20r: fils du grand Juppiter
34/20r: et les lieux chaulds des
Indes
d) Auglassungeii.
1. eines Substantivs.
23 j9: Nabataeaque regna Persida
24/10: iudicisque ora sui
9/16r: Nabathe et Perse
10/24r: de iuge aucun
~ «& —
25126: lumina 9ofa8 12l30r: le Sokil
26120: LycaoMoe men»ae 13128 v: de Lyeaon
27178: hon ort coeh 14j24^: dH Cid
2814: contigerat noatraa , . . aures 141 27 r: me vint
28112: traherent cum B^ra ere- 15113 v: Lorsque la Nuict estait in"
pU9eula necietn teruerim
28119: de gente Molossa 15l29v: de Molosse
29119: correpiaque regia coeU 16l^r: Ciel
S0I5: Jouis ira 1719 v: Juppiter
32; 1: humeroB innat^ mwrice fec- 191 10 v: de Pourpre natureUe esttmt
tum couuert
33123: iussisque deae 20l28r: ä Themis
34119 : uiri manihus 2111 7r : par Phomme
37(12: igne micanies . . . oculos 241 25 r: ses yeux . . . esHnceUans
44:21: tempora . . . irae 3314 v: son Ire
44126: positis in m arg ine ripae 33(12 v: se prostemant a genoux
proeubuit genOms sur le Biue
4612: ad lumina solis 34(30 v: au Soleil
2. diies idjekthrs.
24115: tuba directi . . . aeris IllSv: comets d'Erein et Trompetes
comua flexi sonantes
2718: captiuo coelo 14j4v: les Regnes cHestvns
2810: gelidi Lyeaei ISjlOv: de LycSe
28117: grauem somno 151 24 v: en mon Sommeil
30(30: graciles capeUae 171 30 r: les Chieures
3212: caeruleum Tritona 19l9r: Triton
32(18: alta sHentia 191 11 r: en silence
36113: sagittifera . . , pharetra 23ll9v: de sa Trousse
37118: nympha . . . PeneXa 25l7v: Nymphe
39(31: populifer Sperchius 271 25 r: le fleuue Sperche
40(1: lenisque Amphrysos 27(27 r: et Amphryse
42(29 : potente . . . manu 31(15 v: en sa main
43(3: per deuia rura 31(23v: sur la verdure
43(7: inter hamadryadas Nona- 31(21 r: Ekmadryade
crinas
43(26: pinuque . . . acuta 32(12v: Pin
43(30: arenosi Ladonis 32(23v: Ladon
44 5: sonum tenuem simüemque 32(3 r: vn son lamentable
querenti
45(24: iüe ferox tacui 34(12v: me sui teu
3. 6ltt6t Parttslys.
21(12: circumfuso , . .in aere 8(8v: en VEr
22(20: in mare perueniunt partim 8(28r: Et la grand Mer autres
, . . campoque recepta fleuues regoit
Mttnchener Beitr&ge e. romanischen n. engl Philologie. XXX. 5
— 66 —
24111: caesa suis montibus 10127 r: des Forests
30129: subiecta uineta 17/29 r: svr les vignes
SljS: crura nee ablato prosunt . . . 18115 v: ne pieds . . . servent au cerf
ceruo
3219: cecinit . ..inflata 191 23 v: faxet ouir
34112: de marmore coepto 2117 r: quehjue Marbrine Image
4. eine» Terbims.
23/2: nebulas consistere iussit 9/27 v: il situa les Nues
3517: concipiunt et ab his oriun- 22/24 v: De ces deux la toute ckose
tur cuncta duobus est criee
36115: et cuspide fulget acuta 23l24r: d'ague et fine poincte
38/1: quod . . . fuitque estque 25ll0r: De ce qui fut
4614: quod nos auditque uidetque 34j3r: qui nous voit
5. etiles Saties.
22j8: densior his teÜus elemen- 8j7r: La Terre estant plus pisante
taque grandia traxii et plus grosse
25/23: Nee tantum segetes alimen- 12/3 r: Et non contens ,., des Bledz
taque debita diues posce- des Champs
batur humus
28116: an sit mortalis: nee erit 15l26v: S'il me pourroit tnortel^ ou
dubitabile uerum Dieu trouu^
31/14: terra ferax dum terra fuit 18129 v: Terre fertüe et rare
37J2: sed decor iste quodoptas 24/5r: ta beauti conuenante a ton
esse uetat^ uotoque tuo tua desir et veu est rSpugnante
forma repugnat
37/7: sepes . . . quas forte uiator 24ll2r: seche Espine
uel nimis admouit
4111: Bos quoque formosa est: 28/30r: Mesme Juno laue la blan-
speciem Satwmia uaccae probat cheur ^elle
42/4: iüa manus lambit, patriis- 30-15 v: eile . . . venoit lescher le»
que dat oscula palmis mains
42/15: quodque unum potes (ad 30!14r: Responds . . . mugissante
mea verba) remugis
42131 :ha€cubi disposuitf desilit 31/19 v : Ü deualle
43/4: (capellas) dum venit ab- 31/23v: Chieures
ductas
43/25: sie quoque f allebat j re- 32/9v: s'en reuenoit
deuntem
4i/12 : s upp rimit extemplo vocem 32117 r : adoncques
— 67 —
IL Umsehrelbniigeii.
Die Kürze des Ovid'schen Ausdrucks ist von Habert
selten gewahrt worden. Um einen Reim zu bekommen, zer-
legt er oft einen BegriflF in zwei BegriflFe, oder er gibt ein
einfaches Wort durch einen ganzen Satz wieder. Eine Menge
kurzer idiomatischer Ausdrücke, geographischer Bezeichnungen,
mythologischer Anspielungen muß er durch Zusätze erklaren.
Bisweilen überträgt er auch weitschweifig, ohne daß man
einen Orund dazu einsieht. Die bildliche Ausdrucksweise
seines Autors gibt er meist durch die gewöhnliche Rede
wieder; oft übersetzt er frei nach dem Sinn, ohne sich um
den Wortlaut zu kümmere.
a) Erweiternde Umschreibnngeii.
L Statt eines Substantifs stehen iwei Substantlva.
2114: mea tempora
2^118: flumine
2SI3: tonitrua
25';6: glades
25126: opes
2ÖJ26: nudorum
2Hj27: rabiem
2915: sie stat sententia
29/12: cur 06
HOIH: segetes
S7j3: votoque tuo
40114: latebras ferarum
45116: animis
45121: iramque
7(11 r: mon estre et naissance
8126 r: les fleuues et Riuieres
9129. r: le Tonnere et les Foudres
lanciea
11127 r: glace et QeUe
1217 r : leg Eichesses ...etles Metaux
121 10 r: crimes et maux
15117 r: fwrewr et rage
16jl2v: c'est mon arrest et demiere
ordonrMnce
16/29 v: soing et eure
17j5v: Fourments et Bledz
24/6 r: a ton desir et veu
28/23 v: passages et troux cachez des
animaux sauuages
33/23 r: d^esprit et de courage
34/6 v: 8on courroux et cholere
2. Statt eines Snbstantivs steht ein Sati.
21/5 : ante mare et terrcu ...et ccelum 7/12 r : auant quHl fust aucune
cognoissance de Terre, Met et
Ciel
llj7r: que chascun recueUloit des
chesnes verds
12/10 r: Qui sont . . . les aiguüli/ns
a tou9 crimes et maux
24/29: de uiridi ilice
25/26.: inritamenta malorum
— 68 —
27117: monticolae silvani
iiSjl ; hoc .... sermone
28114: pia uota
: tolitaeque cupidine cwäii
humani generis iactura
301 1: nuntia lunonis
30127: summa , . , in ulmo
33/29: nidlumque nefas
4015: fletibus
4115 : petit kanc Satwmia mumia
14/22 v: lea Syluains qui sont aiix
Monts camus
14/20 r: comme ü s^ennUt
15/18 v: le Peuple doux qui lors me
va priant
ISjlSr: Et en tenant de »m premier
cowrage
Qyii tant de Meurtre a esti curieux
16/18v: De ce que tous humaina
Bouffriront Mort
17/1 v: qui le» messages porte de sa
Juno
17/26r: Qui 9ur Ormeaux eftoietU
venua se rendre
2119 v: rien qui ne pervienne a quel-
que fruict et bien
28/4 v: et en a tant ietti de lärme»
d'asü
29ll2v : prie que de la vache il luy
face vn prSsent
3. JSUtt «iM8 idj«kttfg stehen iwei Adjektifa.
22/9: denaior
2311: onerosior
2415: ignotas
25/1 : pretiosior
25/14: venae peiaris
8/7 r: plus pisante et plus grosse
9/25 v: pius lourd, plus pesant
10112 r: incognus et nouueaux
11/15 r: plus souuerein et prScieux
12/16v: de tous metaux le pire et
le moins eher
29/22: poena . . . diuersa 16/12 r: vne autrepeine , . . contraire
31/6: crura velocia 18/15 v: piedz prompts et legers
34/10: naturaquemitior iUis contigit 21/5 r: Leur nature deuient plus
tendre et molle
38/8 : timido . , . eursu 25 129 r: estant fort honteuse et
craintifue
4. Statt eines idjekttvs steht ein Sati.
21/16 : innaMlis
25/13: non scelerata tarnen
8/14 v: Nauires ne portoit
12il3v: Et neantmoina cest Äge en
sog nHmprime
Desir malin ^ pour se soüler de
crime
26jl5:propago contemptrix »uperum 13/19 v: dont le genre odieux depuis
ce Temps fi^esprisa les haut»
Dieux
— 69 —
2919: terrae martoHbus orbae 161 20 v: Quant morts seront de la
Terre moleste les habUane
B0\20: altior , . .unda 17 ßr: Veau qui n'est pas H basse
S6I4: 9ui$qtie tnmca vident kumeri» 22/17 v: Les autres »otUimperfaietg
teüement
Qu^üz n^ont encor espauUs nvUe-
ment
H5J28: Daphne Penäia 23lllr: Daphni , . , qui du fleuue
F^Se la fiüe estoit
S6J21: innuptae aemula Phoebes 24/7 v: Et lafagon de Diane eneuluoit
Qui le renom tousiourB de vierge
auoit
S6J28: iUa vehtt crimen taedas 24123 v: Daphni qui lora hayne en
exosa iugales 8on cueur imprime,
De Marione autant comme d'vn
crime
38J22: hie spe celer 261 26 v: respoiramoureuxdonnelieu
de tost eourir
4019: a patrio . . . fkimine 281 14 v: Auqud son pere Inache se
tenoit
413: veri quoM nesda 2915 v: Car eUe auoit (a peu pres)
asseuranee
De viritS non mise en apparence
4117: auspectum 291 16 v: Juno pourroit se doubter
de sa ruse
41 21: amara . . . herba 29/18 r: ou gist grand amertume
5. Statt einas ProMmens stehei iwei ProBomiBa.
2112: coeptia adspirate mein 7j6r: inspirez moy en mes affections
6. Statt elies Protomeiis steht ein Sati.
3417: quia hoc credat 21/29 v: qui croira que vSriti cenoit
37/12: ecquid 24\23r: o quelle grace ilz auroient
37/17: ad haec . . . verba 25/6 v: du propos qui s^enauit
41/2: etcuius 29/4 v: et le Seigneur a qui apper^
tenoit
7. Statt eines Terbs stehen iwei Terba.
32/4: revocare 19/13v: appeüer pour retoumer
32/14: decrescentibus undis 19/4 r: Ainsi qtie Veau diminue et
descroit
32/17: vidit 19/10 r: desmis meit sa veue pru-
dente . . . voyant
— 70 —
S5120: perdidit
3719: pectore . . . Mo uritur
37111: si comantwr
3912: crescunt
39119: annuit
4015: äuget aquas
4016: luget
4216: loquatur
4SI 28: cede
46114: transit
221 14 r: il renueme et tue
241 18 r: Amour . . ,8on cuew h'usle
et tarmente
24124 r: quand mis en ordre etpig-
nez ilz seroient
26120 r: sont muez et transformez
27128 v: en remuant . . . consent
2816 v: il en faict croisire et enfler
8on onde
2817 v: regrette et pleure
30jl8v: eu8t voulu . . . retieler et . . ,
compter
32115 v: Preste VaureiUe et conaens
341 19 r: passa , . . trauersa
8. Statt eiies Terbs steht ein Sati.
38125: viribus absumptis
3916: sentit adhuc trepidare pectus
4116: suos abdicere amores
4117: non dare
43116: inquit
45119: ait
2615 r: Daphni qui sent sa puis-
sance affoiblie
2712 v: il sent le cuew qui encor
se remue
291 14 v: quand ses amours ainsi de-
laisseroit
29115 v: si ce don il refuse
31 120 r: Mercure alors luy feit re-
sponse teile
33130 r: Et d'vn hault cueur ces
mots luy profira . . .
31118: hie
9. Statt eine« id?erb8 stehen iwei Ad?erbia.
18l8r: lä..,y
10. Statt eines Adverbs steht ein Sati.
32126: Sic
33 j3: nunc
33j26: int^ea
4112: et uride
4418: aique ita
9112 r: il est aussi tout clair et
euidant
20117 v: au temps ou nous sommes
21j3v: e^i ce discours quand tous
deux ilz cheminent
2913 v: le Heu aussi duqud eile venoit
32,9 r: Ce qui aduint, car le Dieu
Pan deslors
En inuenta la Fluste aux doux
accords
— 71 —
b) Erklärende Umsclireibaiigren.
21110: Titan SjSv: du blond Soleil la splendeur
coustumiere
21/11: comua . . . Pkoebe 8(4 v: de la Lune le croiasant
21114: Ätnphitrite 8(9 v: la grand Mer OcSane
23130: satw lapeto 10127 v: FromSthSe ancien
2519: aemina tum primum Umgis 12j2v: Alors par t(mt le Laboureur
CereaUa 9ulcis cbruta sunt commence
D^vser du Soc pour cueillir sa Se-
rn ence
De grains et Bledz et la Terre
fime fut
26118: pat^ SaJtwmius 13126 v: Juppiter (sie!)
27 ß: anguipedum 14f2 v : ces Giants peruers auec piedz
Serpentins
2819: Maenala 1517 v: Menale le hault Mont
28(10: Cyllene 15(9 v: la Montagne , . . de CyüSne
28124: in dominum euerti tecta pe- 15(11 r: Cor ie fey lors vn grand
nates feu allumer
Et sa Maison destruire et con-
sumer
29(24: Aeoliis . , .in antris 16(18 r: En la prison du Boy des
ventSf Eole
30(6: (caendeus) f rater 17(11 v: son frere Neptune
31(2: Ner'eides 18(3 v: Nymphes de Mer Nereides
gentiües
31(31: rector Pelagi 19(8 v: Neptun
33(6 : et auxüium per sacras quaerere 20(23 v: Et consulter V Oracle et la
sortes response de ThSmis saincte en
lieuac sacrez absconse
33(17: Themi 20(13 v: Thimis saincte Diesse
33(28 : Promethides 21(5(6 v : Deucalion
Epimethida sa femme
34(2: Titania 21(15 v: Pyrrha
35(13: deus arquitenens 22(15 r: ÄpoUon tenant son Are
36(17: nympha Peneide 23(28 r: Daphni la vierge
c) Weltschweillgkeit im Ansdmck«
21(4: Perpetuum deducite Carmen 7(6 r: Inspirez moy en mes affections,
A ceüe fin que par itemel CBUure
Aux successeurs maints secrets ie
descueuure
26(17: sanguine natam 13(23 v: origine avoir pris de ces
Geants cruelz pleins de mespriz
— 72 —
et
gaudet
nunc quoque
30124: coOem
3112: syluaaque tenent delpbtTieg ei
aliia incumant numa agitaia^pte
robata ptUgant
3114: uehit unda leones
3X120: et nmmna montia
3il26 : nrnibUque aqMonc remotia U
coelo terra» ostendU et aethera
terria
32/6 : quae . . . UUora uaoare repXd
34/3: apea,. .in dMo est
34121: experienaque ktborum
35112: innumeras epedes
36115: quod facit
37123: crura notent sentes
37126: ctii placeas
sanguine 15121 v: Ne demandant que de vovr
et repandre Viniiute sang du
Troupeau faible et iandre
17/18 r: Sommet d^vne Montagne
haulte
18/5 v: Forests d'eau a^itm
Par les courbez Daindphrng sont ht^
bitiea
Qui ga H ki Jmrtent Bameaux et
TroncB
Des Arbrea granda qui dana Veau
aont profonda
18lllv: lea . , , Lyona . . . aont deaaua
Veau marine apparraiaaana
18115 r : PareiUement lea auibraa Dkiux
receua
Pour vSnSrer aur le m<mt Fer^
naaaua
1912 v: il rendit VEr aerein
Et Aquilon vint doulcem^U venter
Qui feit Vorage et lapluye abaenter,
Lora on pouuoit aux Cieux dreaaer
aa veue
La Terre auaai apertement fut veue
19jl7v: Et ^umd le som de sa
Trompe eapandu
Fut parmy VEr haultement en-
tendu . , .il fut ouy
21117 v: le acrufmle qu'eUe ha
Faict aon penaer varier ^ et la
211 23 r: et employi a touie expi-
rience de granda travaux portas
en patience
2216 r: de Beatea Offparentea
Vn nombre grandf en formea dilß-
rentea
231 23 r: ^^ <^^ ^ Q^ playe awm-
reuae eat ioincte
251 18 v: Ei que deaaua poignana
Buiaaona tu tombea
Qui a ta cuiaae . . .
Faire pourroient aentir playe et
doulcwr
25j27v: qui ie auia
Qui ton amouraiviuementpowrauia
— 73 —
d) Statt des bildlichen Ansdrnckes der unbüdliche«
31119: cum comarte tori ISIlOr: Auec $on JE^owe
36128: taedas iugaUs 241 24 v: Mariage
41116: t» skitume manehant 29ßr: veiUMmt
45126: $i modo sum code$H $iurpe 34115 v: n ie suis de naissance dt-
creaius uine
e) ÜbersetEiiHgeA bmA dem SIha.
22116 : tdlMS pressa est frauUate $ua SjS r : Aüa chereher la demetire plus
hasse
24113: n^Maqvke mortales praeter 9ua llßv: Qxr tm ehascun diu lieu se
liitora noratit contentoit
Et du seiour, auqud Ü habitoit
2719: tarnen iUud ab uno corpore et 1416 v: De teile Oent crueÜe et sans
ex fma penddxit origine beüum pitiif
Ce niantmoins ie fi'avois point
affaire
Qu^aux seuls OSants que ie pou-
uois deffaire
28115: discrimine aperto 15122 v: Four a chascun oster scrt^
pule tel
29f6: sHmulosque frew^nH adiciunt Iß/lSv: et encor plus sa cholere ilz
augmentent
29/17: Tamque erat in totiu spar- 16l3r: Lors il eust faict la fouldre
9wr%t8 fuimina terraa deualler
Pour Vvniuers de la Terre brukr
32131 : te sequererj coniux, et me quo- 20j9v: Four auec toy ma vie con-
que pontus haberet sumer
Ie lanceroys mon corps dedans
laMer
34J22: et doeutnenta damus 21j25r: Dont bienparla ciairement
nous s^auons
36114: fitgat hoc . . . amorem 2SJ22r: L'autre, d'amowr rend Ie
plaisir amer
36(29: pukhra uereetmdo suffkndons 24/25 v: En augmentant sa heawU
ora rubore nompareiüe,
D^vne couleur honteusement «er-
meille
38/10: ohuiaque aduersas uibrabant 26/5 v: Et en soufflant derriere sa
fiamma uestes vesture
Udie monstroient la chair tant
blanche et pure
38/14: perdere blanditias iuMcnis 26jl0v: du ieune Dieu . . .p&w de
Dem utque monebat ipse amor, doulceur la vierge entretenir,
admisso sequitur uestigia passu parquoy d^amour sa ieunesse
tentie
— 74 —
in. Fehler nnd Ungenanigkeiteiu
Man muß zugeben, daß der Dichter infolge seiner ein-
gehenden Kenntnis der lateinischen Sprache seinen Text im
allgemeinen richtig wiedergegeben hat. Einzelne Unrichtig-
keiten haben sich allerdings eingeschlichen, z. B.:
21,17 : nulli 9ua forma manebat 8 /Iß v : nul Eliment n'auoit sa propre
forme (statt: n. 6. ne gardoit)
2212: et liquidum spisso se<^euit 8127 v: en diuisant de VEr Vespece
ab aethere caelum impure (statt: pure)
^'auecques VEr espais et plein
d'ordure
2219: circumfluus humor ultima 819 r: Ja Terre (statt: VhumiditS, la
po88edit solidumque coercuit or- mer) « . . enuironnant de toutea
hem parts le Monde
23/21 : astra tenent coeleste solum 10/9 v : les Dieux ..,de8 Aßtrea (statt :
les Dieux et les Aßtres) sont
du Ciel jouissans
111 19 v: »t*f ^ Pommiers les Pom-
formaeque deorum
24121: arhuteos foetus
mes {arhuttks ist ein anderer
Baam, der Meerkirschen- oder
Erdbeerbaum)
12122 r: noir et horrible (statt: päk)
121 13 v: les corps lourds (statt:
sanuages)
. caesa- 12l25r: sa grand Barbe terribk
(statt: cheuelure)
sub terra 14jl4v: qui court dessoubs la forest
Stygiale (statt: soubz la terre
dans la f.)
17j23r:nauigant (statt: maniant les
rames)
20113 v: auec Terre fermie (Druck-
fehler für formee?)
20j3r: la vouste (statt: les crhteaux)
27/1 r: vn beau lieu (statt: un bois)
apparoist
39/23: deiectaque graui tenues agi- 27/7 r: et agitant son cours im-
tantia fumos nubila conducit . . . petueux , • . semble arrester
summisque adspergine syluis (Druckfehler für arroser ?) de
influit ses flots fluctueux
Le hault Sommet des forests om-
brageuses
2612: lurida
26121: Corpora dira
27(3: terrificam capitis .
riem
27/13 : per flumina iuro . .
Stygio labentia luco
30125: ducit remos
33/2: formatae terrae
33/11: fastigia
39/20: est nemus
— 76 —
40118: pascua Lemae 2813: de Lerne les estangs (statt:
les päturages)
4214: terra genitam 291 10 v: qu^en son pays (statt: aas
Erde, de terre) ceste vache fut nee
43118: naiaa 311 22 r: vne Naiade, Nymphe des
eaux (an dieser Stelle naias =
Nymphe im allgemeinen)
4414: dumque suspirat 31/1 r: et quand encor son alaine
respire {suspirat ist nicht = at-
met, sondern = seufzt, souspire)
45l20:etgetnmi8caudam stellan- 33l2v: Dont la queue ha pltimage
tibus implet pricieux (zu ungenau)
Der Vergleich des französischen Werkes mit dem latei-
nischen Utbilde hat uns das Verfahren und die Eigenart des
Übersetzers gezeigt. Es entsteht nun die Frage, ob Habert's
Arbeit selbständig ist oder ob er seine Vorgänger benützt
hat. In seinem ganzen poetischen Schaffen ist ja der Hof-
dichter Heinrichs II. wenig originell. Überall wandelt er in
Bahnen, die schon andere vor ihm betreten haben; selten
schlägt er einen eigenen Weg ein. Aneau's Übersetzung
des 3. Buches der Metamorphosen, die 1656, also etwa ein
Jahr Yor der Habert'schen, erschien, zeigt keine Ähnlichkeit
mit dem gleichen Buch bei Habert. Im Jahre 1532 war,
wie bereits erwähnt, von sämtlichen 15 Büchern unter dem
Titel Grand Olynipe eine Prosaübersetzung erschienen, welche
unser Dichter bei der Übertragung der Pyramus- und Thisbe-
fabel und bei der Narcißsage zu Bäte gezogen hatte.^) Zwei
Jahre später, 1534, hatte Marot seine Übersetzung der beiden
ersten Bücher veröffentlicht. Vergleichen wir nun die Über-
setzung Habert's mit der Übertragung dieser beiden Autoren,
so finden wir eine ziemlich große Zahl von Ähnlichkeiten,
gleichen Übersetzungen, gleichen Hinzufügungen oder Aus-
lassungeo. gleichen Versanfängen und Reimen, ja sogar gleichen
Fehlem! Im folgenden soll nun im einzelnen festgestellt
werden, in welcher Weise Habert den Grand Olympe und
Marot benützt hat.
>) S. oben, S. 50 ff.
— 76 —
I. Habert und Le Grand Olympe.^)
a) Oleiehe Übersetumgen.
Ovid
7511: Deue
7513: pater
75j8: Agenorides
7618: Phoebique oracula
75113: Moenia
77/31: se retrahehat
7918: Quinque superstitibua
79120: nepoB
80/19: Vincla duae pedibuB demunt
80/22: Exäpiunt laticem NipheguCj
HycUeque, Rhanisque Et Psecaa
et Phialej funduntque cap<icihu8
umi8
81/11 : Addidit haec . . . uerba
84/22: Da mihi te talem
(Gr Ol. 39/r: Juppiter
XHab, 64/2 r: Juppiter
(Gr. Ol. 39/r: Agenor
XHab. 64/3 r: Aginor pSre
fOr. Ol. 39/r: Cadmus
\Hah. 64/lSr: Cadmus
IQr. Ol. 39/r: au Temple Apollo
<Häb£5/2v:auTempk8ainctdePhibus
[ Ou le sacri Oracle ü cansuUa
(Gr. Ol. 39/r: vne citi
XHab. 65/12v: la CitS
Gr. Ol 40/r: il se print ä reculer
Hdb. 67/14r: trouue la maniere
De reculer son corps massif
arriere
(Gr. Ol. 41/r: exceptez cinq
XHab. 68/18r: Cinq exceptez
(Gr. Ol. 42 /v: Acteon
XHab. €9/17 v: Action^
Gr. Ol. 42/r: deux aultres la des-
chaussoient
Hab, 70;6v: Deux autres sont a des»
chausser la belle
Gr. Ol. 42lr: Et quatre aultres de-
moysdhs Nymphes, Hyale, Bha-
nis, Psecas et Phiole pu isoient
Veauenla fontaine pow la lauer
Hab. 70i9v: NypM [sie!], Bhanis
Psicas et Phiale
Puysent Veau auecques HiaU.
fGr. Ol. 43/v: et luy dist
XMab. 70/7 r: Puis luy a dict
Gr. Ol. 44/r: que . . . m embrassez
et accoüez ainsij et pareiUement
Hab. 74/10 v: Je te supply de
m^emhrasser ainsi^ en tel
pouuoir
^) Zitiert nach Ausgabe 1639, vgl. S. 51.
-) Ovid nennt den Namen an dieser Stelle noch nicht.
— 77 —
85ß: matemaque tempora complet
Ootd
(Qr, Ol. 44'jr: et la »e nourrxBt
comme au venire dt samere
iuaquesau iourdesanai»-
»ance
Hab. 74ll3r: Et fut nourri en la
Cuisse du pSre
Ne pltu ne moins qu^au ventre
de la mire
Juaques au tempa et iour de
8a naissance
{Gr. 0l.46jr: caril a eati femme
Hab. 7511 v: Qui pour autant que
femme auoit esti
IOr. Ol. 45 jr: et fut enceatuy e$tat
bim aept ana
Hab, 75lllv: Et par aept ana
ehangi ce aexe il n^a
86/16: Nam quater ad qumoa unum i^^P^' ^/^- AduintXXIana aprea
iHäb. 75l22r: Ce Narcia9ua des ana
Cepkuim annoa addiderat
\ n*auoit que eingt et vn auee
b) Ihidiche ÜbenetEimgeii.
7512: ae confeaaua erat
7512: Dictaeaque rura tenebat
{Gr. C
ai
Hdb.
Gr.
75110: Boa tibi, Fhoebua ait, Solia
occurret in aruia
75/12: Hac duce carpe viaa et qua
requieuerit herba
Ol S9!r: A reprina $on diuin
attour
64l2r: et ae repriae aa face
Ol. 39lr: en Crete en aa aale
royaÜe
Hab. 64ßr: en aon Palaia de Crete
Gr. Ol. S9jr: II euat reaponae
qu^en aa voye il trouue^
roit vn ieune beuf qui onC'
quea n^auoitportS leioug
de la charue
Hab. 65j6v: Fhibua reapond . . .
Tu trouueraa en ta voyevne
vache
Qui onequea n^a porti le
ioug preaaant
Gr. Ol. 39ir: qu'ü le auyuiat: et
au Heu ou le verroit arreater
Hab. Öo'lOv: Suy ceste wiche ou
giat ton aduanture,
Puia ou verraa qu'ette prendra
paature
78
Ovid
7611: iubet ire miniatros
Et petere ^ (sie!) uiuis libandas
fontibus undas
78/30: atque ita
79111: SidonixM hospea
79J14 : soceri tibi Marsque Vemtsque
contigerant
SOjlS: Margine gramineo
S0jl4: Hie Dea uenatu ayluarwm
fessa solebat
Virgineos arttts liquido perfundere
rore
80/28: Dunique ibi perluitur solita
Titania lympha
81/1: iamefi altior iUis
Ipsa Dea estj colloque tenus
supereminet omties
81 18 : et ut vellet protnptas Jiabuisse
sagittas
Or. Ol.40jv: ses gen 8 et compaig-
nons enuoya ä Veau viue ä
wie fontaine
Hab. 65jl2r: il enuoya ses gens
Chercher eau claire en pas fort
düigens
iGr. OL 41lr: A ce mot
\Hab. eSjlOr: Ainsi disant
(Qr. Ol. 41 Ir: Cadmus
\Hab. 68; 21 r : Cadmus le ßs d'Aghwr
Gr. Ol. 41, r: II print ä femme vne
moult belle et vaillante damoy-
seile fille ä Mars le dieu des
bataüles et ä Venus la d6esse
d^amaurs
Hab. 68;S0r: auoir en Mariage
Femm^ degrand etdiuinparentage,
Fille de Mars et de venus la belle
\Gr. Ol. 42 Ir: la verde herbe
KHab. 69j28r: V herbe verdoyante
Or. Ol. 42 ir: La se souUnt accous-
tumiement baigner
Diane toute nue
Hab. 69:29 r: En ce ruisseau Diane
se bagnoit
Quand le trauail de Chasse Va
gaignoit,
La eile vient et sa Troupe loyaüe
Pour y lauer sa forme virginale
Gr. Ol. 42 y: Tandis comme eile se
lauoit
Hab. 70;llv: Quand Diane vierge
saincte et haultaine
Lauoit ainsi son corps en la fon-
taine
Gr. OL 42 ir: plus grande d'eUes es-
toit n^apparust par dessus dies
le Chief franc
Hab. 70;2Sv: die estoit plus grande
De tout le chef que Nymphe de
la bände
iGr. Ol. 4Siv: et stelle eust eu son
\ arc prestj Ven eust occis
79
Ovid
IHah, 70j3r: Et tout ainai qu'auoir
eüe soubhite
Pour 86 venger son Are et sa
sagette
(Qr, Ol. 4Sjv: Te piaist ü moy
toute nue veoir baigner?
Se tu peux si fen vante aux dames
la ou tu seras
Hab. 70j9r: Soit maintenant par toy
propos tenu
Que deDione (sie!) as veu le
Corps tout nUf
Si a aucun le peux faire sgauoir
81112: Nunc tibi meposito uisam
uelamine narres
Si poteris narrare licet
c) Gleiche Hlnzufttfirniiffeii.
75/3: Cadmo imperat
76J12: Uma dedit sonitum
84(6: Ergo vbi captato Sermone^ diu-
que loquendo
Ad nomen uenere louis, suspirat
Qr, Ol. 39 jr : app ella Cadmus son
filz et luy commanda
Hab, 6416 r: appella . . .
Cadmus son fils, puis . . . luy com-
mande
Or. Ol. 39 jr: Lequel quand ü tn-
tendit le son des potz ou ceaulx
puyser
Hab. 66l2v: Ch-and son et bruit
a rendu le vaisseau
Dont Hz vouloient puyser de la
claire eau
(Chr. Ol. 43!r: Elles parlerent de plu-
sieurs choses ensemble, maisluno
qui ne tendoit ä aultre chose
qu^a decepuoir la damoyselle
par paroles obscures luy parla
tant d'unes et d'aultres, que de
luppiter commencerent d parier j
Semele qui d'amours fut esprinse
et affoUe, se commenca ä van-
ter de ses amours
Hab. 73j4r: En tel habit luno dis-
simuUe
Tient SimelS doulcement accoUie
Qui en tenant propos soulacieux
Du ieu d^ amours, etfruictdSlicieuXy
En ses amours de luppiter se
vente.
— 80 —
Ooid
85120: Nam dw) magnorum uiridi
coeuntia syltM
Corpora serpentHtn baculi uiokh'
uerat ictu
86130: Ihnm fmgereni Nymphae
Qr, Ol 43jr: Thiresias s'en alhit
vng towf e$batctnt par tesprez
delez vng boys, ai vif Soncntwrt
deux Btrpens
Hab, 7515 v: Aduint un iour pas-
sant par vn Boys sonibre
. Que deux Serpens ü apperceut
Or. Ol. 47 jv: teüement que tes nym-
phes auoient loysir de Ben-
fuyr
Hab, 76117 v: Qu'apres Vesbat
Nymphes auoient d' eschaper bon
loysir
d) Ihnliche Hlnxnflliraiigreii.
7516: Orbe pererrato
75112: Deus
8e confessus erat, Dictaeaque rura
tenebat
76128: Erat. .. telum
76130: Vt nemus intrauit
77119: Terrague rasa sonat squamis
Gr. Ol. 39 jr: Cadmus . . . s'atUmma
. . .pour reeouurer Europe
sa seur
Hab. 641 15 r: Cadmus adonc pour
de sa Seur s^enquerre
Enuironne Vvniuerseüe Terre
Or. Ol. 39/ v: resprins son diuin
attonr et se desduysoit il-
lec auec eile en grand ioye,
lyesse et soulas
Hab. 64j2r: etreprisesa face lou-
ist d^Europe
(Or. Ol. 40; v: et si auoit en sa
main vn dard
IHab. 66j3r: Et prent en main vn
Dard
Gr. Ol. 40iv: Si semist achemin
pour aller querir ses com-
paignon» au boys, m^mü
les trouua
Hab. 66l7r: Ainsi s^en va en la
Forest adoncques
Chercher ses gents, ou quand
il fut entrS
(Gr. Ol. 40lr: Si faisoit trembler la
terre d*enuiron luy
Hab.67ll9v: AVenuironla Terre
resonnoit
81 —
Ovid
78/14: Eece uiri fautrix auperas
deiapsa per aur€u
PaÜM adegt
78 17: Paret
78 '27: Cadtnua capere arma parahati
79; 25 : MoM erat infectus variarum
catde ferarum
Or, OL dljv: A tant descendit PaUas
de Vaer pour le rasseurer
Hab. 6918 v: Adonc Paüas . . .
Pour Va88eurer du diel est
descendue
Gr. (H.dllv: Cadmua aceomplist le
commandement de la de-
esBe Pallas
Hab. 68ll4v: Cadmus aux dicts
de Pallas obtempire
fOr. Ol. dl/v: Si s^appresta incon-
' tinent de combattre
Hab. 6814 r: Et accouroit aux armes
vistement
Or. Ol. 42jv: II alloit vne foys
par ses'forestz chasser comme
accoustum^ estoit et auoit moult
prins de sauluagine
Hab. 69l20v: Cest ÄctSon encores
ieune d^Äge
Ckassoit vn iour mainte Beste
sauuage
Deesus vn Mont^ et ia son entre-
prise
Se contentoit de mainte beste prise
Gr. Ol. 42lv : sans oeuure d^ komme
mortel
Hab. 69'20r: Non point basH par
komme vigilant
Non point construictdHndustrieuse
eure
(Gr. Ol. 42 jr: Moult furent les pu-
Celles esbakyes pource que cesiuy
les auoit veues nues: et plus
pour leur dame que pour
elles mesmes
Hab. 70il7v: Qui en voyant Vkomme
qui les a veues
De grand douleur n'ont este des-
pourueueSf
Et de leur cris, et lamentable vdx
Ont faxet soubdain risonner tout
le boySf
Et beaucoup plus de grief
torment se donnent
^ Pour leur maistresse
Hftnchener Beitrage c romanischen u. engl. Philologie. XXX. 6
S0j9: Arte laboratum nuUa
80(29: uiso sua pectora Nympkae
Percussere uiro
— 88 —
Ovid
81j3: Qmx color infectis aduersi SoHs
ab ictu
Nubibus €896 soletf aut purpureae
Aurorae
Is fuit in utUtu uisae sine ueste
Dianae
75120 : toUetis speciosam comibiis
altia
Ad codum frontem
T6i4: Et (aicf) speois in medio uirgis
ac uimine denstta
Efficiens humilem lapidum
compagibua arcum
76126: Quae mora sit sociis miratur
Agenore natm,
Vestigatqtie uiros
7 6' 27: direpta leoni pellis
76! 28: telum splendenti lancea ferro ^
Et iaculnm
(Ghr, Ol. 43lv: Quand Diane 8ceut
que Acteon Veut apperceue^ eile
se rougist de honte
Hab. 70j25v: Dont son clair ieint
par honteuse douleur
S'entremesla de aemblable coulewr
Que nou8 voyons les Nues eatre
teinctes
Quand eUes 8ont du chauld Soleil
atteincteSf
SembUAlement teüe couleur eile ha
Que nouA voyons a la rouge Aurora
Diane estoit honteuse du mes-
chef
Honteusement va destourner
son chef
e) Gleiche Anslaggungeii.
Gr. Ol. 39 jr: et dressa ses comes en
hault deuers le del
Hab. 65128 v: ses Cornes eüeua
Enuers le Ciel
Or. Ol. 40jv: dans vne vieille forestz
(sie!)
Hab. 65118 r: Et au milieti de ceste
forest sombre
ün clair ruisseau estoit cachi en
Vonibre,
Et tout autour de maints Saules
couuertj
De maint Osier et auire arbrisseau
vert
Gr. Ol. 40, 'v: Cadmus . . . moult
s^esbahissoit de leur demeure, et
71« scauoit quelle cause les de-
tetioit illec
Hab. 66 29v: Quand de ses gents
qui fönt si long seiour
Le puissant fils d'Aginor s'eS'
nierueille . . .
{Gr. Ol. 40 y: ung cuyr de Lyon
Hab. 66 2r: Peau de Lion
Gr. Ol. 40;V. vn dard moult fort
tranchant et affili
Hab. 66;3r: vn Dard resplendissant
83 —
7s 17 : Faret et impreaso sulcum
patefecit aratro
Spargit htuni iusaos mortalia
«emtna dentes
Ovid
{Gr. Ol dO/r: me tour
Hab. 66j22r: vne Tour forte et hault
SleiUe
(Qr. Ol. 40jr : Mais Cadmus qui . . .
Hab. 67j30v: Cadmus armi de son
Cuyr de Lyon
(Gr. Ol. dlj'v: Cadmus accomplist
le commandement de la deesse
Pallas. Et tant creust la se-
mence des dens semez par luy
Hab. 68jl4v: Cadmus aux dicts de
Pallas obtemp^re
Et va semer les Dents de la viph-e
Gr. Ol. 42 jr: vint la comme fortune
ramenoit Acteon ßz de la fiUe
de Cadmus: qui de Diane riens
ne scauoit
Hab. 70-13 v: Comme vouioit la for-
tune volage
Acteon vint par Vincognu passage
De la forest, voires iusques aux
lieux
Ou se bagnoient les Nymphes aux
beaux yeux
Gr. Ol. 43 jv: EUe luy arrosa la face
d'eaue
Hab. 70:5 r: De mesme cueur de
Veau eile puisa
Et d^Action le visage arrousa
Gr. Ol. 43 ;V : Beroe la meiüe nourrice
de Semele
73j4r: Beroe de SemeU Nourrice
Gr. Ol. 44,v: ainsi comme il faict
luno sa femme qunnd auec eile
se desduyst
Hab. 73,22 r: Tel, comme il va sa
luno embrassant
Gr. OL 46 jv: Liriope
Hab. 75jllr: Liriope
Gr. Ol. 4ii;r: Aduint XXJ (sie !} ans
apres que cestuy Narcissus eut
le renom par toutes terres hing
HHjl6: Nam quater ad quinos unum et pres qu'il estoit le plus beau
C^hisius annos iouuencel du monde
S0J25 : Ecce nepos Cadmi dilata
parte laborum^
Per nemus ignotum non certis
passibus errans
S1J9: sie hausit aquaSj uultumque
uirilem
Perfuditj spargensque comas
ultricibus undis
H4;o: Beroe Semeies Epidauria
nutrix
84112: tantus taiis^e rogato
Det tibi coniplexuSy suaque an^
te insignia sumat.
Hßj?: Caerula Liriope
()*
84
Onid
Addiderat, poteratque puer,fHab. 7Si22r: Ce Narcissus des ans
iuuenisque uideri n^auoit que vingt
Et tm auec pour sa beauUS su-
presme
Nymphes Vaymoient d'vne chaleur
extresme
f) Gleiche Fehler und UngeiiAiilgkeiteii.
75(2: Dicta£€tque rura tenebat
77124: oh Stentes syluas
7814 : usque seqiAcns pressit
8619: enixa est utero pule her
rima pleno
InfantemNymphae («ic-O» ^^ ^w<;
qui posset amari
Gr, Ol. 89 jr: en Crete en sa sale
royalle (statt : pays)
Hab. 64l3r: en son Falais de
Crete
Or, Ol. 40 jV: tout ce quHl rencon-
troit (zu anbesUmmt)
Hab. 67/9 v: ce quHl rencontre
Qr. OL 40lr: le hasta, . . de sipres
{usqite = in einem fort, fort und
fort)
Hab. 67ll7r: va de si pres son
ennemi pressant
(Qr. Ol 46!r: Ceste dame auoitnou-
uellement enfanti le plus beau
enfant masle qu^oncques eust esti
veu {pulcherrima ist nicht Ak-
kusativ, sondern Nominativ und
gehört zu Nymphae)
Höh. 75114 r : Duquel conceut vn en-
fant qui eut vie,
Digne d^aynxer, cor beau estoit
dessus
Tout autre enfant
II. Habert und Marot.^)
a) Gleiche Tene.
34:7: quis hoc credat?
Mar. 789: Mais qui croyra que ce
seit veritS
Hab. 21129 v: Mais qui croira que
vSrite ce soit
*) Zit. nach Guiflfrey IT, 303 ff.
85 —
Ovid
}ill20: moüia cum duris, sine pon-
dcre habentia pondus
^:^.10: Bclidumque coercuit orbem
b) IhBliehe Terse.
Mar, 41: Auec le dur lemolse combatoit
Et le pemnt au leger deabatoit
Hab. 8l21v: Le mol au dur atpre-
rnent combatoit
Et le pesant au leger %e batoit
Mar. 64: Enuironnant de tauts costez
la terre
Hab. 8l9r: Enuironnant de toutes
parts le Monde
Mar. 94: Et tout ainsi que Vouwier
aduisi
Feit le kault cielpar cercles diuise . .
Dont le dnquiesme est le plus
ardent d^eulx
Hab% 9j7v: Et comme Dieu sage et
bien aduisi
Le Cid en cinq cercles a diuis6 . . .
Dont le dnquiesme est de tousplus
ardani
IMar. 1^: Boreas froid enuahit la
partie
Septentrionne auecques la Scythie
Horrifer inuasit Boreas \Hab. 9j21r: Et Boreas va saisir la
I partie
[ Des sept Trums, en lafroyde Scythie
Mar. 287: Le mary s^offre a la mort
22:24: ut duae dextra coelum toti-
demque Mnistra parte secant
zonae, quinta est ardentior Ulis
26(1: Imminet exitio uir coniugis
iÜa mariii
26.28: Plebs habitat diuersa locis
27 2: Cdsior ipse loco, sceptroque
innixus ebumo
de sa femme
Femme au mary fait semblable
diffame
Hab. 12119 r: Femme au Mari pour-
chasse Mort infame
Et leMari veult la Mort de safame
Mar. 339: Les moindres Dieux en
diuers lieux s^assirent
Hab. 13/3 r: Les Dietix moyens en
diuers lieux assis
Mar. 347 : luppiter mis au plus hault
lieu de gloire
Et appuye sur son sceptre d'yuoire
Hab. 13i23r: luppiter mis au lieu
plus souuerin
En s'appuyant sur son Sceptre
yuoirin
— 86 —
Ovid
2919 : quae sit terrae forma rogant
29,12: sibi enim fore cetera curat
30i5: nee coelo contenta 8uo est
louis ira
30 j7: qui postquam tecta tyranni
intrauere sui
31j2: syluasque tenent delphines
31,4: fuluoft uehit unda leones
Ynda uehit tigres: nee nire8 fuL-
minis apro
3212: Tarn mnre litfm (nie!) habet
Mar. 483: Ei demander vont ä lup-
piter quelle
Forme aduiendra
Hab, 16:19v: Et demandS ont au
grand Dieu Celeste
Quelle forme aduiendra
Mar. 491: disant . . .
De toute chose ilala eure et soing
Hab. 161 29 v: Disant du tout quHl
aura soing et eure
/Mar. 537: Encor . . . Vire
De luppiter ne fut assez contente
Des grandes eaues que de son cid
iecta
Hah. 1719 v: Encor assez n'est lup-
piter contant
Des grands ruisseaux du cid qu'ü
va iectant
Mar. 544 : Lesqudz entrez dedans la
maison grande
De leur seigneur
Hab. 17 115 r: Auxqudz estants au
gran Manoir venus
De leur Seigneur
Mar. 594 : Par les daulphins les boys
sont habitez
Hab. 18;6v: Forests . . .
Par les courbez Daulphins sont
habitees
(Mar. 598 : La mer soustieni les roux
lyons puissants
Tigres legersporte Veaue vndoyante
De rien ne sert la force fouldroy-
ante
Äu dur sanglier
Hab. ISllv: Les roux lyons outra-
geux et puissajis . . .
Tygres portez sont sur VOnde emi-
nente
Et rien ne sert la force fulminante
Au fier sanglier
Mar. 675 : Desia la mer prend bordz
et riues neufues
Hab. 19 29v: Desia la Mer prent ses
bors et riuages
— 87 —
Ooid
32J13: coUes exire uidentur
32/19: ita Pyrrkam affatu/r
33126: laedere matemas . . . umhroB
36 j8: Füius huic Venerü figat tuus
omnia, Phoebe^ te meus arcuSy ait
3816: Hei mihi
38124: tergoque fugacis
Imminetet crinem aparsuin'cerui-
cibua afflat
42112: tu non inuenta, reperta es
4319: sedit Ätklantiades
Mar. 678: Et hors de Veaue les
montaignes sortir
Hab. 19,12 r: Que hora des eaux
mainte Montagne sorte
Mar. 689: il souspira
Parlant ainsi ä sa femme Pyrrha
Hab. 191 14r: il souspire
Puia dict ainsi a son Espoitse
Pyrrhe
Mar. 759: Et d^offenser craint de
sa mere Vame
Hab. 21l2v: L^ame de qui eüe craint
d'offemser
Mar. 911: Lors luy respond de Ve-
nus le filz eher
Fiche ton Ära ce quHlpourra flacher
0 Dieu PhebaSf le mien te fichera
Hab. 23l8r: Ainsi respond le eher
fils de Venus
Fichey 0 Phebus^ tout ce que tou-
chera
Ton Are puissant, le mien fc
fichera
Mar. 1033: 0 moy chetif^ o moy trop
miserable
Hab. 25j23r: 0 moy chetifet amant
miserable
Mar. 1070: si proehain il est
De ses talona que ia de son aleine
Ses beaulx cheueulx touts espars
il aleine
Hab. 2612 r: Tant pres il estoit d'eOe
Qu^ü alainoit desia de toutes parts
Ses blonds cheueux dessus le col
espars
Mar. 1296: Qu^en te trouuantiene
fay poinct trou6e
Hab. 3014 r: Qu^en te trouuantj ie
ne te trouue point
Mar. 1351: Mercure adoncq s'assit
aupres d^ Argus
Hab. 3117 r: Aupres d^ Argus Mercure
s'est assis
— 88 —
Ovid
43122: riH quoque cineta Dianae
45 ß: lJng\daque in quinos diUipsa
äbmmiitur ungiiCB
De boue nü superest forma niai
eandor in illa
45113: Nunc dea linigera colitwr ce-
leberrima turba
Mar. 1375: et cäncte
A la foiQon de ceste nohU naincte
Hob, 3213 v: ceincte
. En la fagon de sa maistresse Saincte
Mar. 1472: Fut diuisSe en cinq on-
gles humains
Brief, rien Wy midela vache sur
eUe
Fors seulement la blancheur nor
twreüe
Hab, 3318 v: Sont diuisez de dnq
angles humaifis
Breff on ne voit rien de Vache
sur eile
Que sa blancheur tant pure et nor-
tureüe
Mar. 1481 : Or maintenant en Diesse
honoree
EUe est du peuple en Egypte adorie
Hab. 33'jl7v: Et en Egypte a present
honorie
Est pour Diesse aux Temples
adorie
c) Gleiche Yersanfftnge«
{Mar. 757: En la priant
Hab. 20'29r: En la priant
.sedguidtentarenocebat(sic!)i^^l' [^^^''.^^t?*' '^"^^^
* * ^ \Hab. 21/21 v: Mais que nuyra
{Mar. 1003: 0 qtte ie craind que
Hab. 25,17 v: 0 gue ie croMS qu'a
Terre
(Mar. 1383: Du mont Lycie
\Hab. 32jl0v: Du mont Lycie
Mar. 1522: De luy donner signes
de 8on vray pere
Hab. .S4;23v: De luy do^iner certaine
cogtioissance
33! 24: . . .pauido rogat ore
3414:.
37122: . . . ne prona cadas
43125 : . . . colle Lyceo
45 30: . . . ueri sibi Signa parentis
d) Ihnllche Tersanfänge.
244:.,
. rudis et sine imagine ^eiiii^/^T ^^^' ^^/^' ^^^"^ '"''^^'^
\Hab. 10,9 r: La terre ainsi nagueres
— 89 —
Ovid
26/17:
. scires
IMar, 317: Si qu^ä la veoir bien
Veusaiez deuitUe
Hdb. 13l22v: 8% qu'a hien voiir . . .
V0U8 Veu99%tz öict
e) Gleiche Reime.
2115: et quod tegit omnia coelum Hab. 7jl4r: qui toutta ckoBes
Hent . . . encloses
Mar. 12: les semencea . . . enchsea
toutes choses
21/9: non hene iunctarum discordia Hab, 8jlv: coniunction dt cho8€$ en
vn Corps
discords
Mar. 39: guerre et discords
en vn corpa
IMar. 149: creature
nature
Hab. 10115 V : nature (Umstellung)
criature
IMar. 177: viure
cuyure
Hab. 10/21 r: Ouiure (ü.)
viure
IMar, 193: alarrnea
gensdarmes
Hab. Ilj9v: Qendarmes (ü.)
alartnes
!Mar. 225: »ouuerain
cerain
Hab. ll'lör: souuerin
Erein
(Mar, 229: annSe
21/9: $emina rerum
): non bene iw
semina rerum
21/19: pugnabant
23/24: animal
24/8: aere
24/16: eine müitis ueu
25/1: pretioeioT aere
25/4: annum
27/27: perhorruit
27/30: murmura compresait
28/22: partim torruit
(Mar, :i'^if: an
ordonnie
Hab. Iljl9r:
ordonnAp
(Mar. 39?
addo
Hab. 14ji
nAnn
annie
ordonnie
(Mar. 397: estonnl
addonni
4j9r: estonnSe
adonnSe
IMar, 403: eilence
exceüence
Hab. 14/17 r: exceüence (U.)
eilence
!Mar, 447: partie
roatie
Hab. 15/5 r: partie
roatie
— 90 —
Ovid
28128: nunc quoque
3019: efiundite
30131: 8ub gurffite
31111: audita est
32115: nudata
33/12: nne ignibus
33115: precUms
33129: nwXcet
34113: aignis
34/17: mansit
36/10: Deo
IMar, 457: premier
coustumier
Hab. 15/25 r: coustumier (ü.)
premier
IMar, 551: courses
sources
Hdb. 17/21 v: source (ü.)
course
IMar. 569: submergUs
desgorgUs
Hab, 18/21 v: submergies
desgorgies
IMar. 671: entendre
estendre
Hab. 19/25 v: entendre
estendre
(Mar. 681: mouiUSes
despouiüez
Hab. 19/5 r: moiüez
despoiÜez
IMar. 735: estainctes
attainctes
Hab. 20/5 r: estaincts
' attaincts
IMar. 739: Saisons
oraisons
Hab. 20/11 r: saison
oraison
IMar. 765: console
parole
Hab. 21j5r: parole (ü.)
console
IMar. 797: ymages
ouurages
Hab. 21/7 r: Image
ouura^ge
IMar. 805: heure
demeure
Hab. 21/13r: heure
demeure
IMar. 915: lieu
Dien
Hab. 23/13 r: lieu
Dien
— 91 —
Ovid
36/11 : percu89i8 . . . pennis
38113: aucta . . . forma
38121: eripitwr
39/18: Finierat
39121: Pindo
40/22: nebuku
41/25: tendere
43/12: pugnat
44/26: ripae
44/31: complexus
Mar. 917: voUen
eahranUes
Hab. 2315r: voUe
hransUe
Mar. 1047: augmenti^
tentet
Hab. 26113 V : tenUe (U.)
augmentSe
Mar. 1061: eschappe
le happe
Hab. 26123 V : le happe (ü.)
eschappe
Mar. 1119: con$ent
recent
honneste
teste
Hab. 27'27v: ricent (U.)
consent
honeste
teste
Mar. 1127: montaigne
baigne
Hab. 27 5r: Montagne
bagne
\Mar. 1195: nues
venues
Hab. 2S;i3r: Nue
^ venue
Mar. 1259: tendre
tendre
Hab. 29.25r: tendre
entendre
fMar. 1357: s^efforce
force
Hab. 31:9 r: force (U.)
^ s'efforce
'Mar. 1445: arriue
la riue
Hab. 13;llv: arriue
Riue
'Mar. 1455: embrasse
grace
Hab. 33 21 v: grace (U.^
Vembrace
— 92 —
Ovid
dö/T: contrahUur
Mar. 1469: deuiennent
reuiennent
maina
humains
eile
natureüe
Hab. 33j5r: deuiennent
reuiennent
maina
humaint
eile
natureüe
f) l]inlielie Reime.
2112: coeptis . . . meis
22119: sorbentur
23/16: necquicquam
24112: descenderat
24130: cibia
24125: natos
25 j7: domoB
(Mar. 4: ceuure
cceuure
Hab. 7j6r: osuure
descueiuMre
(Mar. 81: se hoytient
regoipuent
Hab. 8127 r: boit
regoit
IMar. 133: rien
terrien
Hab. 9l29r: sienne
terrienne
IMar. 183: fendu
descendu
Hab. 101 27 r: descendus
rendu8
IMar. 201 : pasture
culture
Hab. 11117 v: mmrritwre
agricuUure
(Mar. 211: alenies
nies
Hab. 11129 V : omie
nie
/Mar. 237: maiaons
I loisons
\Hab. 11129 r: Saison
^ Maison
— 93 —
Ovid
25117: InMiaeque
25118: ventis
25/20: ignotis
25125: reeondiderat
25/29: Sanguineaque manu
26/3: patrio8 . . .in anno8
26/4: Astraea
26,9: Olympum
26/23: Uta . . . manifesta
26/26: regakmque
26/26: dextra laevaque
(Mar, 257: Vioknce
opuUnce
Hab. 12i21v: Inaolence
violence
IMar. 259: souuent
vent
Hab. 12/29 v: parauant
vent
IMar. 264: comuea
incognue8
Hab. 12/25 v: deuenus
incognus
IMar. 273: vainet
veines
Hah. 12/7 r: mondaines
veines
IMar. 281: sanguinolente
vioknte
Hab. 12;13r: insolente (U.)
sanguinolente
(Mar. 291 : prospere
son pere
Hab. 12j23r: vitupere
son Pere
IMar. 293: oultree
Astrie
Hab. 12 29r: Astrie (ü.)
pinitrSe
IMar. 304 : facteur
haulteur
Hab. 13i9v: Recteur
haulteur
(Mar. 329: Celeste
manifeste
Hab. 133 r: manifeste
manifeste
(Mar. 335: royaXe
solle
Hab. 1317 r: loyaüe
Boyalle
(Mar. 337: estre
senestre
Hab. 13illr: estre
dexstre
— 94 —
Ovid
27J15: ense
27123: confremuere
2915: meruere
29J24: Aeoliis
29126: alü
29129: fronte sedent nehulae
HOjlS: defraeimto cursu
31122: uir
31124: stagnare
32ill: coercuit
32114 : decrescefUibus
IMar, 373: haste
gaste
Hab. 14117 r: haster
gaster
IMar. 389: murmurent
euretit
Hab, 14jOr: Mwrmure
murmure
!Mar. 475: meritie
arrestie
Hab. 16;i0v: miritS
inquiti
IMar. 513: Eole
vole
Hab. 16!17r: parole (ü.)
Eok
!Mar. 517: d'iceUes
ailes
Hab. 16121 r: Esles
eUes
IMar. 523: ßent
distillent
Hab. 16j25r: cotdloieht
distiüaient
/Mar. 559: espanduz
J estenduz
\Hab. 17,1 r: espanduz
^ rendtiz
IMar. 633: vivant
ensuyuant
Hab. 18j21r: viuathte
seruante
!Mar. 637: continue
deuenue
Hab. 18 23r: cognu
deuenu
IMar. 674: comer
retoumer
Hab. 19 27v: sonner
retoumer
IMar. 679: paroissent
descroissent
Hab. 19,2 r: croist
decroist
- 95 —
thid
S2I24: turba
H2126: certa
S6I15: quod facti
S7j25: moderantiuB
S8I16: üt canis
H9I16: Caput est
39:20: nemu8
41115: quietetn
45129: sororum
'Mar, 699: nwnde
profonde
Hab. 19j23r: Monde
^ Onde
Mar. 702: durie
asseurie
Hab. 19l25r: Seur
^ seur
Mar. 925: coincte
poincU
Hab. 231 23 r: iaincte
poincte
Mar. 1009: lentement
doulcement
Hab. 25l25v: viatement (U.)
^ lentement
Mar. 1053: agüe
habüe
Hab. 26115V : habile (ü.)
fertüe
Mar. 1115: dori
I decori
Hab. 27j23v: honorie
' dicorSe
Mar. 1123: forest
est
Hab. 27jlr: apparoist (ü.)
^ forest
Mar. 1239: sommeiUant
veillant
Hab. 29j7r: sommeiUoient
veUloient
(Mar. 1521: sasurs
seurs
peine
Clymene
propose
imposi
Hab. 34,21 v: doulceurs
Seurs . . .
Clymene (U.)
humaine
impos^ (ü.)
exposi
— 96 —
Ovid
Mar. 1531: voix
voys
tcfnptfc
pere
mets
4614: qui no8 auditque
uidetque
jamai8
Hab. 3413 r: vait
pouruoit
vitup^rt
pere
desormais
iamais
g) Gleiche ümsehreibaiigeii«
2114: ad mea . . . tempwa
21111: cornva
21/17: Ituis egens aer
2215: ignea . . ,ui8
22/21: Uttora
22/23: fremde
22/27: toHdem plagae
22/31: Imminet his aer
23/5: his quoque
23/9: Nahatheaqiie regna .
daque
23/15: liquidum
28/17: limitihua certis
23/19: aidera
(Mar. 10: iusque au tempa de mon
estre
Hab. 7/llr: Iusque» au cowrs de
tnon estre et naissance
(Mar. 25: la lune
yHab. 8/5 v: la Lune
(Mar. 36: L'aer san» clarti
\Hah. 8/15 v: VEr sans dairti
(Mar. 53: le fexi
\Hab. 8/3 r: le feu
(Mar. 84 : ports
\Hab. 8l30r: les Forts
(Mar. 86: rameaux et fueiUes
xHab. 9/4 V : fueiUes et verds Bameaux
(Mar. 96: cinq regions
XHab. 9/14v: cinq Rigions
{Mar. 103: Sur tout cela Vaer ü
voulut renger
Hab. 9/22 v: rangea VEr
(Mar. 113: A iceulx vents
\Häb. 9i3r: Mais a ces vents
Fersi' fMar. 123: Nabathe et Ferse
\Hab. 9!l6r: Nabathe et Ferse
(Mar. 132: ciel
XHab. 9/28r: Cid
(Mar. 136: en lieux seurs
\Hab. 10/2 v: en lieux seurs
(Mar. 138: les pianettes
XHab. 10/4 v: les Flanetes
97 —
Ovid
2S30: 8aiu8 lapeto
249: ligahantur
2416: gaUae
2418: intacta
2419: saucia tiomeribus
24 22: camaque
24124: arbore Jouis
25 20: carinae
25:22: humum
25' 28: utrogue
2617: scires
26,18: ut, . .uidit
27,22: struxerit insidias
(Mar. 159: Prometheus
\Hab, 10127 v: PromHhie
fMar. 178: u grauoyent
\Hah. 10(21 r: on grauoit
(Mar. 192: Varmet
\Hab. 1117 v: VArmet
(Mar. 197: non . . . ferue
XHab. 11(4 v: non ferue
(Mar. 198: du soc de la charrue
XHab. 11114 v: du Soc
(Mar. 205: pareülement
KHab. Ili21v: pareiüement
(Mar. 208: chesne
\Hab. 11124V : Chemes
(Mar. 262: et mainte nef
\Hah. 12127 v: Et mainte Nef
(Mar. 265: la terre
XHab. 12;29v: la Terre
(Mar. 279: par ces deux metaulx
XHab. 121 13 r: par ces deux Metaux
(Mar. 317: Si qu'ä la veoir, bien
Veussiez deuir^e
Hab. 13122 v: 8i gu'a bien veoir
Vous Veussiez dict
(Mar. 319: Cecy voyant
yHab. 13/20 v: Ce que voyant
iMar. 386: A conspiri encontre moy
XHab. 14jlr: et conspire contre moy
h) Ihnliche Umsohreibiiiigren«
(Mar. 23: Aulcun soleü . . . n'csiar-
gissoit
^Hab. 813 v: du blond Soleil la spkn-
[ deur n^espandoit
{Mar. 62: s^en alla sa demourance
querre
Hab. 818 r: aUa chercher la Demeure
(Mar. 126: Pres de VOccident
\Hab. 9.20 r: en Occident
(Mar. 152: print naissance
XHab. 10;i9v: print natiuitS
Mar. 158: Du ciel qui print sa fac-
ture auec eile
Hab. 10;26v: Auec lequel naissance
eile auoit pris
Mttnchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXX. 7
21 10: nullus adhuc mundo
bebat lumina Titan
prae-
22 9: circwnfiuus humor ultima pos
sedit
23.12: proxima sunt zephyro ■
23 26: natus . . . est
23! 29: cognati . . . coeli
— 96 —
Ovid
Mar. 1531 : voix
voy8
tempere
pere
meta
4614: qui nos anditque
jamais
uidetque
Hab. 34l3r: vait
pouruoit
vitupire
pere
desormais
iamai8
g) Gleiche Umsohrelbangen«
21/4: ad mea . . . tempora
21111: comua
21J17: Zttow egens aer
2215 : ignea . . . uis
22121: Uttora
22123: fronde
22127: totidem plagae
22131: Imminet hi8 aer
2315: his quoque
23 1 9: Nahatheaqxie regna .
daque
23/15: liquidum
23/17: limitibua certis
23/19: sidera
(Mar. 10: iusque au temp8 de man
estre
Hdb. 7/llr: luaquei au eown de
mon estre et naissance
(Mar. 25: la lune
\Hab. 8/5 v: la Lune
{Mar. 36: L'aer san» cUurU
\Hab. 8/15 v: VEr sans dairt^
(Mar. 53: le feu
XHah. 8/3 r: le feu
(Mar. 84 : ports
\Hab. 8/30 r: les Porta
(Mar. 86: rameaux et fuexüea
XHah. 9/4 V : fueiUea et verde Bameaux
(Mar. 96: cinq regiona
\Hab. 9/14v: cinq Bigiona
{Mar. 103: Sur tout cekt Vatr ü
voulut renger
Hab. 9i22v: rangea VEr
(Mar. 113: A iceulx venta
\Hab. 9j3r: Maia a cea venta
Perai- fMar. 123: Nabathe et Perae
\Hab. 9/16 r: Nabathe et Perae
(Mar. 132: ciel
\Hab. 9/28r: Ciel
(Mar. 136: en lieux aeura
XHab. 10/2 v: en lieux aeura
fMar. 138: ka planettea
XHab. 10/4 v: lea Planetea
97 —
Omd
28 30: 9atu8 lapeto
24 9: ligahantur
2416: gdUae
J^418: intacta
24,19: saucia wymenbus
24,22: camaque
24124: arbore Jaui8
23 20: catinae
2522: humum
25(28: utroque
26! 17: scires
26118: ut,,.uidit
27 '22: Btruxerit insidiaa
(Mar. 159: Prometheus
XRab. 10127 v: Promithie
fMar. 178: se grauoyent
\Hah. 10121 r: on grauoit
(Mar, 192: Varmet
\Hab, 1117 v: TArmet
(Mar. 197: non . . . ferue
XHab, 1114 v: non ferue
(Mar. 198: du soc de la charrue
XHah. 11114 V : du 8oc
(Mar. 205: pareiUement
ySab. Ili21v: pareiUement
(Mar. 208: chesne
\Hab. Ili24v: Chemes
(Mar. 262: et mainte nef
XHah. 12127 v: Et mainte Nef
(Mar. 265: la terre
XRab. 12 29v: la Terre
(Mar. 279: par ces deux metaulx
\ffab. 121 13 r: par ces deux Metaux
(Mar. 317: 8i qu'ä la veoir^ bien
Veussiez deuinee
Hab. 13/22 v: Si gu^a bien veoir
Vous Veussiez dict
(Mar. 319: Cecy voyant
XHab. 13/25 v: Ce que voyant
iMar. 386: A conspiri encontre moy
XHab. 14jlr: et conspire contre moy
h) Ihnllclie Umsohreibongeii.
iMar. 23: Atdcun soleü , . . n^eslar»
gissoit
Hab. 8,3 v: du blond Soleü la splen-
deur n^espandoit
22,9:circumfluu8humorulHmapos^i^^^' ^^' ^'^^ «^'^ ^ demourance
sedit { 9««^«
{Hab. 88r: aüa chercher la Demewre
iMar. 126: Pres de VOccident
XHah. 9 20r: en Occident
(Mar. 152: print naissance
XHab. l();19v: ptint natiuitS
iMar. 158: Du ciel qui print sa fac-
iure auec eile
Hab. 10:26v: Auec lequd naissance
eile auoit pris
KOnchener Beiträge z. romaniachen u. engl. Philologie. XXX. 7
23,12: proxima sunt zephyro
23 26: natus . . . est
23;29: cognati . . . coeli
— 98 —
Ovid
24J22: duris rubetis
23125: quaaque recandiderat
Stygiiaque admouerat . . . opes
27114: depo9cunt
85127: Umpora
36121: innuptaeque aemula Fhoebeß
S7jl: dedit hoc paier ante Dianae
S719: Sic deus in flammas abiit, sie
pectore toto vritur
4119: sociae generisque torique
41jl2: fuit anxia fwrti
4^116: studiis
23/15: haec super
Mar. 206: huisson» phin^ d^sspmeu'
ses poinctes
Hab. 11(22 V : aux poigmani^ buissmks
Mar. 273: les richesses vaines
Qu^eUe cachait en ses profondes
veines
Hab. 12/7 r: les Richesses mondaines
Et les tnetaux cachez dedans ses
veines
Mar. 391 : Vont suppliant qu^en leurs
mains veuiäe mettre
Hab. 1415 r: en requerrant que . . .
entre leurs mams smit düi/uri
et mis
JMar. 887: Sa blonde iesU
\Hab. 2319 V: son beau chef
Mar. 938: En imitant la pwxUe
Diane
Hab. 24j7v: Et la faqan de Diane
ensui%wit
Mar. 959: Juppiter immortel
Feit bien iadis ä Diane vn don tel
Hab. 24)1 r: Juppiter Dieu de puis-
sance immorteüe
A Diana permeit bien chose teüe
iMar. 977: Far tout son cueur se
\ brusle et se destruit
\Hab. 241 19 r: Ton cueur brusle et
\ tormente
(Mar. 1229: Sa femme et sceur
XHoh. 29:23 r Son Espouse et sa Seur
Mar. 1233: craignit gr andement
Que Juppiter luy prinst furtiue-
ment
Hab. 29130 v: die estoit en grande
crainte et doubtance
(^ ceste vache ä ses yeux pre-
sentie
Furüuentent luy fust prise et ostee
(Mar. 1373: e7i venerie
\Hab. 3212 v: a la Chasse
i) Gleiche Ulnzufagrangen.
fMar. 131: sur tout cela
\Hab. 9j27r: Sur tout cela
99 —
Otnd
23;29: retinehat
27 j8: anguipedum
32120: 0 saroTj ö caniux
35117: mille grauem Ulis
3öi28: Feneia
36127: nepote$
87(13: 09cula
37115: brachiaque
37 122: ne prona cadas
40 j4: Inachus
4(},8: Viderat . . . Juppiter
41116: caetera aervdbant
42.3: saiior Inachus
42113 :reHce8
42117: spesqiie fuit . . . aecimda ne-
potum
42i27: natwnqtte
42131: patria . . . a6 arce
43} 26: videt
(Mar. 157: retint en soy
\Hab. 10'24v: sentoit en soy
Mar, 357: Qeanta qui (mtserpen^
tins piedz
Hab. 14j2v: OSants . . . aiiecpiedz
Serpentins
iMar. 691: 0 chere espouse
XHab. 19:15 r: 0 chere Seur
iMar. 873: souhz tant de traitz tirez
\Hab. 22;19r: De mille Dards tirez
(Mar, 890: au fleuue Penie
XHab. 23'llv: fleuue Pinie
Mar. 950: enfants et beaulx nep-
ueuz
Hab. 24;22 v : Maints beaux enfants
Mar. 985: Sa bauche . . .petite
Hab. 24,27 r: Sa bouche ronde et
petite
(Mar. 988: bras polys
XHab. 24i30r: Ses bras bien polys
{Mar. 1003: 0 que ie craind que
Hab. 26;17v: 0 que ie crains qu'a
Terre
(Mar. 1153: Le fleuue Inache
\Hah. 28, Iv: le fleuue Inache
(Mar. 1163 : Or . . . Juppiter
\Hab. 2811V : Or . . . Juppiter
(Mar. 1240: touts les aultres
\Hab. 29 Hr: Les autres tous
(Mar. 1277: leben vieiUard Inachus
iHab. 3013c: Le bon vieillard
[ Inache
fMar. 129H: Las! tu te taie
\Hab. 30 8r: Las? Tu ne peux
Mar. 1306: le second^ de veoir en-
fants de toy
Hab. 30 20r: de voir tes enfans
(Mar. 1328: filz . . . Mercure
XHab. 3ll3v: fils . . . Mercure
(Mar. 1335: Du hault Manoir
\Hab. 3119v: du hault Palais
(Mar. 1382: mi iour . . . voit
\Hab. 32 9v: vn iour
— 100
Ovid
43128: restabat plura referre
44121: Protinm exarsit
44126: Nile
Mar. 1387: mainte auUre aduenture
Bestait encor ä dire par Mer-
cure
Hab. 32117 V : De ce heaucoup a
Mercure ü restoit
(Mar. 1435: Soubdain Juno en ire
\Rab. 3313 v: Juno soubdain
(Mar. 1443: 0 fleuue Nu
XHab. 33110V : Le fleuue Nil
k) Ihnliehe Hinsnfilcningreii.
2111: animuB
2311: iffne
2318: quin lanient mundum
23115: imposuit
23124: sanctius his animal
24116: fossae
24129: mella
35:14: te quoque
genuit
3619: animalia
(Mar. 1: ardent desir
XHab. 7jlr: constant vouloir
Mar. 106: plu8 que le feu tant
subtil et luysant
Hab. 9l26v: Que le feu clair, re-
luisant et subtil
Mar. 119: qu'ilz ne rompent et ruent
Lemondeiuspar bouffements
austeres
Hab. 9'jllr: que par leur cours
royde et impetueux
Ne soit rompu ce Monde
Mar. 132: le grand ouurier meit
Hab. 9j27r: le grand Dieu tres-
puissant meit
Mar. 149: la trop plus saincte et
noble creature
Hab. 10 15 V : Vanimal de plus noble
nature
fMar. 189: fossez et murs
\Hab. 11:3 v: Fossez et Murailles
(Mar. 219: miel dont lors chas-
cun goustoit
Hab. ll;7r: Miel que chascun re-
cueilloit
Mar. 863: dont se repent fen-
Python tum] gendra lors
Hab. 2210r: Teprocrea ...se rl-
pentit
{Mar. 915: bestes en tout Heu
Hab. 23; 13 r : animatix ...en maint
Heu
— 101 —
Omd
86117: Dens
87 ßS: siderihua
4019: 6 uirgo Jotte digna
40(20: tenuitque fugam, rapuitque
pudorem
40130: praesenserat
4511 : poenas
(Mar. 928: Dieu d'aymer
\Hab. 23l27r: Dieu d'Amoura
(Mar, 984: estaiOes des cieulx
\Hab. 24l26r: Ästres au Ciel
Mar. 1166: o vierge
De Juppiter tres digne d^estre
aymie
Hab. 28116 V : o beUe vierge
Qui de ramonr de Juppiter es
digne
Mar, 1187: Betint la fuyte ä lo,
ieune d'aage
Et par ardeur rauit son pu-
ceüage
Hab, 28jl6v: En retenani par vio-
lente suitte la belle lo et par
amour . .*.
Bauit la fleur de sa pudiciti
Mar, 1207: Mais Juppiter prer
uoyait
Hab, 28127 r: Mais Juppiter
' sentant
Mar. 1457: d*Yo , . . la grande
peine
Hab. 33j23v: d'Io . . . la peine ri-
goureuse
1) Übereinstimmende Fehler nnd Ungenauigrkeiten.
21J17: nnüi sua forma manebat
24113: littora
24(21: arbuteos foetus
26/2: lurida
44(4: dumque suspirat
{Mar. 37: Bien n^auoit forme
Hab. 8jl6v: nul EUment n'auoit sa
propre forme ^)
(Mar. 188: le lieu (zu allgemein)
XHab. lljlv: du lieu
(Mar. 203: pommiers
\Hab. 11:19 v: Pommiers^)
(Mar. 290: venins froidz et horribles
XHab. 12(22 r: noir et horrible^)
{Mar. 1401: quand dedans anhela
Hab. 32jlr: et quand encor son
allaine respire^)
») 8. S. 74 f.
Ov. 4812: Et Clymene ueros, ait,
edidit ortus
102 —
^Mar. 368: Ei Clymene a produict
Vray naturel et legitime fruict
Hab. 3619 r: De ClymhU, pärquoy
pour vray estime
Que d^elle et moy es enfant'ligi-
time (einen Bastard könne man
nicht als ligitime bezeichnen,
bemerkt Aneaa zu dieser Stelle).
Nachdem wir so Habert's Vorarbeiten und Quellen und
seine Übersetzerarbeit selbst betrachtet haben , ist es uns
möglich, ein Urteil über sein Werk abzugeben.
Doch hören wir zuvor Habert selber und die Ansichten
der Literarhistoriker, welche sich schon mit Habert's Meta-
morphosenübersetzung beschäftigt haben. Der Dichter selbst
äußert sich folgendermaßen:
tAu translateur
Fratice nc doibt moins de gr( qu'a rautheur^,
femer
tOest CEiiure . . . o Sire
Votre nom rendre wimortel düstre»,
und endlich:
«Z)e ma Muse loyalk
Vhumble labeur qui tant se publira
Que le Croissant au Ckl resplendira,» ^)
Dieses überschwängliche Selbstlob würde uns abstoßen,
wenn wir nicht wüßten, wie hoch die Renaissancezeit die an-
tiken Schriftsteller und Übersetzungen aus denselben anschlug,
und wenn wir nicht auch bei den übrigen Dichtem dieser
Periode die gleichhohe Selbsteinschätzung wahrnähmen. Ein
Zeitgenosse, B. Aneau, den wir als Herausgeber von Marofs
Übersetzung der beiden ersten Bücher der Metamorphosen
und als Übersetzer des 3. Buches kennen gelernt haben*),
rühmt Habert wegen seiner <^men'eUleu8e ßlicite et faoilite a
townier la plus graiide partie*,^) Auch Ch. Fontaine,, der
unseren Dichter gegen einen Angriff du Bellay's in Schutz
') Les XV liures de la Metern., Epistre au Roy, ohne Seitenzahl.
*) s. oben, S. 47 ff.
") Preparation de la voie ä la lecture ... de la Metam. d* Guide,
Einleitung zu der Ausgabe 1556.
— 108 —
Dttfam, fuhrt gerade die MBtamorphosenüb^nsetouag Habert's
all sein betonderefi Vardi^nit ao^^)
Dagegen gab etwas später (1740) Goujet der Meiauag
Ausdruck^ es sei jene Überaetzung €(run siiie fort maumiis et
peu exaci pmir le sevuf».^) Ähnlich drückt sich die Bhgraphde
ginhiüe aus: <Ceite ver«wn est hin de reproduire la grdce du
kxte original.^ Auch Brunet betont die Mangelhaftigkeit
der ÜbertragUDg : < Quoiqu^tUe ne soü pcbs bonne, ebOe versian a
eti beatteoup de sucees dans sa nouveaute,*^ Hennebert
yermißt an ihr besonders Genauigkeit^ Elegaoz, Feinheit und
Treue.*)
Überblicken wir diese ÄuBerungeu^ so finden wir, daß
Habert's Arbeit eine sehr verschiedenartige Beurteilung er-
fahren hat. Vom Standpunkt der modernen Zeit aus erscheint
die Übersetzung zwar klar, aber breit und oft schwerfällig.
Peletier's Rat, lauge Umschreibungen zu yermeiden und
neue Wörter , wenn auch mit Vorsicht, einzuführen '^) i ist
nicht beachtet. Vergebens suchen wir den Beichtum an Tönen
und Farben, dem wir auf Schritt und Tritt in Ovid's Meta-
morphose begegnen; wir vermissen den zarteu Duft, den
liebenswürdigen Scherz, den wir am Original bewundern ; mit
einem Wort, es fehlt die Poesie.
Und doch erlebte die Übersetzung mehrere Auflagen. Nicht
mit Unrecht ! Denn trotz aller Mängel besitzt sie einen nicht
geringen Wert. Die früheren Versuche waren weniger Über-
setzungen gewesen als Paraphrasen mit willkürlich hinzu-
gefügten allegorischen oder moralischen Erklärungen. Ja,
man hatte sich sogar nicht gescheut, wie wir das bei der
Prosaübertragung vom Jahre 1532 gesehen haben, Fabeln
einzufügen, welche Ovid gar nicht geschrieben hatte. Dann
1) 8. oben, S. 35.
•) Bibl fr. VI, 24.
») Manuel IV, 28&.
*) Traductians, S. 96: •Sa Version ne briüe ni par Vexactitude^ in
par üigance, Dans son nUtre sautülant de dix syUabes, le aeul en
vogtie avant la pleiade, ü a atissi peu de nohlesae et moins de fidilitS que
Marot*
») L*Art Poetigue, S. 32.
— 104 —
waren einzelne Bruchstücke aus dem Werke des Dichters ron
Sohno übersetzt worden, aber all das waren nur unvollständige
Versuche und schüchterne Ansätze.
Habert erkannte, daß diese Übersetzungen in künstle-
rischer Beziehung nicht genügten ; als guter Kenner des Lateins
und der griechisch-römischen Mythologie durfte er ho£fen,
etwas Besseres zu leisten. Grestattete er sich im einzelnen
auch manche Freiheiten, so verfahr er doch seiner Vorlage
gegenüber nie leichtfertig. Den Schmuck der lateinischen
Bede, ihre Farben und Schattierungen gab er nur in dem
Falle preis, wo er nicht imstande war, sie wiederzugeben. In-
dem er den ganzen Ballast früherer Erklärungen beiseite
ließ, gab er den reinen und voüsUmdigen Text in gebundener Bede
wieder,
V7ir haben gesehen, wie viele Schwierigkeiten überwunden,
wie viele Versuche gemacht werden mußten, ehe eine halb-
wegs brauchbare, treue Metamorphosenübersetzung entstehen
konnte. Habert's Arbeit ist eine für seine Zeit anerkennens-
werte Leistung, wenn sie auch den Anforderungen der Nach-
welt nicht mehr genügt Auch vor Schlegel und Tieck mußte
es erst einen Wieland geben!
Anhang.
Bibliographisch-kritische Übersicht der Schriften
Habert's.
1540: Les Visions du Banni de lyesse. Paris, Amoul
VAngdier^ 1540. 8^.^)
1541: La teunesse du Banny de lyesse, escoüier, es-
iudiani ä Tholose . . . Paris, Denys Janot, 1541. 8®. Äuee priuilege.
Dieses Werk wird eingeleitet durch ein in Distichen ab-
gefaßtes lateinisches Gedicht, in welchem Habert etwa folgen-
den Gedanken Aosdmck verleiht : Viele Dichter in lateinischer
und französischer Sprache haben ihren Namen auf ihre Werke
gesetzt und sich unsterblichen Ruhm erworben ; ich will nicht
den gleichen Weg einschlagen, um bekannt zu werden, sondern
unter einem Pseudonym schreiben. Die Vorrede an die Leser
beginnt mit den Worten:*)
tPiiisqus fortune incessamment me hlesse
Nomine ie suis le Banny de lyesse.i^
Endlich sagt er in der einleitenden Epistel an den m<fistre
Jehan GuiUoteau:^ „Empfangt also, edler Freund, das kleine
Werk des Freudelosen und zeigt es Euren guten Freunden,
Wenn es wert ist gedruckt zu werden, möchte ich es Euch
anvertrauen."
1) Du Verdier, Biblioihique (1585) S. 422; Niceron, Mim.
(1736) XXXIU, 184; Lacroix-Du Verdier (Aasg. Juvigny 1772)
lU, 659; Brnnet, Man. du libr. III. 2.
*) Jeun. du B. d, X., S. 5/recto.
») Ibd., S. 3/r.
— 106 —
Habert hält es also für nötig, in diesem Werk seinen
Dichternamen anzugeben und die Wahl desselben zu be-
gründen. Er nennt sich einen „Neuling in der Poesie" (no-
uum poetam) und fragt seinen Freund, ob er seine Gedichte
für wert erachte, gedruckt zu werden. — Das Werk enthält
außer verschiedenen kleineren Gedichten die Visions fantas-
tiques, Pyramus et Thisbe und Narcisstis,
1541: La suytte du Banny de Lyesse, Paris, Denys
Janot, 1541. 8^. Auec priuüege (vom 12. April 1Ö40).
Diese, sowie die Torausgehende Gedichtsammlung ver-
öffentlichte der schon genannte maistre Jehan Ouilioteau; sie
enthält zugleich (p. 4 rectoff): Le Jug&tnent dss troys Dcesses
Juno, PdUas et Venus und cLe second liire des Visions fantastiques»,
[1541]: Le Combat de Cupido et de la Mort nomielle-
ntent cofnpose par le Banny de Hesse, Prancoys habert . . . Paris,
Alain Lotrian, s, a, 8^,
In dieser Schrift, welche den 3. Teil der Visions faniastiques
.bildet, nennt H. zum erstenmal seinen wirklichen Namen auf
dem Titel. Auf der Eückseite des Titelblattes steht ein Pri-
vileg, datiert voni 4. Januar 1541. Am Schlüsse des Oofnbai
findet sich die Bemerkung: Fin du troisienu Uure des visions
faniastiques du Banny de Liesse. Diese Bemerkung setzt die
Existenz von zwei Büchern der Visions faniastiques voraus,
von denen sich das eine in La ieunesse du Banny de Lyesse,
das andere in La suytte du B. d. L. befindet. Näheres weiter
unten, S. 108.
1542: Le Philosophe parfaiet. Paris, pour Ponce Roffety
1542, 8^, Druck- und Verkaufserlaubnis vom 2. Juli 1541.
Habert's Namen enthält die einleitende Epistel an Franz
von Bourbon, Herzog von Touteviüe^ Graf von Sainct PaiuL
[1542]: Le iardin de forlicite auec La louenge et haut-
tesse du ISexe Feminin en Byrne francoyse, diuisee par chapitres.
Extra icie de Henrieus Cornelius Agrippa, par le Banny de Liesse.
Paris f Pierre Vidoue, s. a. 8^. — Privileg vom 27. Nov. 1541.
[1542]: Le Temple de Vertu, Paris, Ponce Hoffet, s. a.
8^. Privileg vom 28. Juni 1542.
Erschien anonym; doch verweisen Widmung (an Mme.
Andrienne de Touteville, Gräfin von Sainct Paul, s. o. S. 15),
— 107 —
Sprache und Inhalt auf Habert, ebenso die Tatsache, d^ß der
Tugendtempel nur einem geöffnet wird, nämlich dem tphüo-
sophe parfaicU.
1542: Le premier Hure des visions d'Oger le Dan-
noys au ro^ulme de Fairie, Paris, Ponce Roffei, 1542» kl. 8^, —
PriTileg Tom 2. Juli lö42.
Daß diese Schrift bereits lö40 erschienen sein sollte
(vgl. Th^ret, 1. c, S. 37 f.), dafür fehlt bis jetzt jeder Be-
weis. Ebenfalls anonym; doch spricht ein Dixain a Madafne
la Duchesse de Touteviüe, Contesse de Saind Paul, für Habert's
Autorschaft; hier sagt er:
VCEunre present du CheuaUer exquü
Dict le Dannoys ä tes yeulx se presenie.
Cest luy qui a par sa prouesse acquis
Loz imnicnielj si de ce n^es contente,
Du Phüosophe est la lecon presente,
Ou tu pourras prendre quelque plaisir.^)
Dieser Philosoph ist der dem Gemahl der Herzogin yon
Touteville gewidmete Phüosophe parfaict.^) Das Werk ist in
Habert's Sprache geschrieben und enthält Habert'sche Ge-
danken.
1542: Le Hure des Visions fantastiques. Paris,
Ponce Büffet, 1542. kl, 8^, — Privileg vom 3. August 1542.
Ist auch diese Schrift anonym erschienen, so deuten doch
verschiedene Anzeichen auf die Urheberschaft Habert's hin :
In der Ausstattung stimmt sie mit dem Phil. parf. uud Oger
k D. überein, und ist wie diese aus der Druckerei von Poyice
Roffei hervorgegangen. Der Verfasser ist ein eifriger Verehrer
Marot's; er ist wie Habert in großer und anhaltender Geld-
verlegenheit; er richtet Epigramme an zahlreiche Persönlich-
keiten, denen wir bei Habert begegnen, so an den Grafen
von Sainct Patä, an den Euesque et Conte de Noyon und nament-
lich an Mme Gilberte Gutrin, daine de Viüebouche. Überhaupt
deckt sich die in diesen Gedichten sich äußernde Geistes-
und Geschmacksrichtung ganz und gar mit der Habert'S.
Wie oben (S. 106) bereits bemerkt wurde, waren 1541
*) Le Premier Hure des vis. d'Oger le D. 2,1t.
«) Siehe oben, S. 106.
— 108 —
zwei Bücher der Visiom fantasUques von Habert veröfifentlicht
worden. Es weist nun dieses Buch, das aus Vmons und MSpi-
grammes besteht, am Schlüsse des ersten Teiles die Bemerkung
auf: Condiman du troysiesme Mure des visions fantastiques au
sens alkgoric. Merkwürdigerweise steht auch am Ende des
Combat de Cupidon (s. oben, S. 106) eine fast gleichlautende
Bemerkung.
1542: Le Livre des Visions fantastiques du Banny
de lyesse, natif du Yssouldun en Berry ou sont contenues les amours
infortumes etc, Paris, Amoul et Charles les Angeiiers frdres^
1542. Id. 8^.
Diese Schrift befindet sich in der Stadtbibliothek von
Versailles, deren Konservator in zuvorkommender Weise auf
meine Anfrage mir die Mitteilung machte, daß sie mit den
von Roffet 1542 gedruckten Visions nur den Titel gemeinsam
habe; sie enthalte nicht§ von einer Reise noch von einem
Schiffbruche, von denen das bei Roffet erschienene Werk er-
zählt.
[1542]: Le Songe de PantagrueL Auec la Deploration
de feu messire Anthoine du Bourg, cheualier, chanceliier de FVance,
Paris, Adam Saulnier, s, a. kl. 8^. Privileg vom 9. Sept. 1642.
Habert's Name findet sich in der Widmungsepistel an
Francoys^) du Bourg, euesque de Rieulx. Aus dem Umstände,
daß Du Bourg 1538 gestorben war, schließt Goujet*), daß
die Deploration eines der Jugendgedichte Habert's gewesen sein
müsse. Jedenfalls wurde es erst 1542 veröffentlicht.
1542: Le Diffirent du corps et de Vesprit. Auecles
cantiques extraits de VOraison Dominieale, vne Eglogue et F Epi-
taphe de v6nt6. Imprim6 ä Paris par Ouillaume le Bret, 1542. 8^.^)
1542: La maniere de trouuer la pierre PhilO"
sophale autrement que les anciens Philosophes. Auee le Credo
de VEglise Catholique, Ensemble cinq Ballades Euangeliques. Impr.
ä Paris par Denis Janot, 1542. 8^.^)
^) Nicht Antaine, wie T her et, 1. c, p. 126, N. 9, angibt.
») Bibl. frgse. XllI, 31.
») Lacroix (edit. Juv.) lU, 656.
*) Niceron, M6m. XXXTTl, 187, der sich auf Du Verdier,
Bd. ni, 656 (6d. Juvigny) beruft.
— 109 —
1542: La Controuerse de Venus et de Pallas,
appeliant du Royal Berger Paris; Juge dekgui par Jupiter au
mögen de PadjudicoHon de la Potnme d^Or ä Venus, par laquslle
est entendu le conflii du vice et de la vertu. Paris, Denis Janot,
1542. 16^.^)
1543: Le voyage de V komme riche, faict. et compose
en forme et moniere de Diahgue par maistre Francois Habert dict
le Banny de Hesse. Troges, Nicole Paris, 1543, 8\
Th6rety 1. c, p. 125, Nr. 5, zitiert diese Schrift mit
einem etwiis anderen Titel und unter dem Jahre 1641, Da
sonst kein Literarhistoriker diese Schrift erwähnt und Th^ret
in bibliofpraphischen Dingen sehr ungenau ist, bedarf seine
Angabe weiteren Beweises.
1545: Deploration poetique de feu M, Äntoine du
Prat en son viuant Chanceliier et Legat de France. Auec Vex-
positon morale de la Fable des trois Deesses Venus, Juno et
Pallas. Par Fran^oys Habert d'Issouldun en Berry. Lyon, Jean
de Taumes, 1545. 8^.
Brunet erwähnt eine andere Ausgabe: Lyon, Jean de
Toumes, 1647.«)
Der Kanzler Du Prat war schon 1535, also 10 Jahre
Tor dieser Totenklage, gestorben; deshalb sieht Goujet^)
hierin ein Werk aus der frühesten Lebenszeit des Dichters.
Habert selber berichtet nur*), daß er seine Deploration,
,,neulich", als er in Amiens krank darniederlag, dem Sohne
Du Prat's übersandt habe, und sie nun in verbesserter Form
veröffentliche. War es vielleicht anläßlich des 10. Todestages?
Brunet meint, daß auch die in dieser Schrift enthaltene
Fabel von den drei Göttinnen früher entstanden und schon
in der Suytte du Banny de L, gedruckt worden sei. Er ver-
wechselt indes die Exposition mmale de la fable des trois Deesses
mit Le iugement des troys Dresses luno, Pallas et Venus, ent-
halten in der Suytte du Banny de L. 1541, S. 4 rectoff.
>) Ibd. XXXIII, 186.
•) Suppl I, 685.
.•) Bibl fr. XIII, 31.
*) Deploration, A, recto.
— 110 —
1545: La nouvelle Pallas, presentee d Motiseigneur le
Daulphin, par Frangoys Haberi natif (fissouldun en Berry. Iteni,
La naissance de Monseigneur le Duc de Bretaigne Filz dudid
Seigneur, Auec vn petii cruure Bucolique. Au8»i le caniiqtie du
Peckeur conuerii d Dieu. Lyon, Jean de TourtieSf 1546, 8^,
Andere Ausgabe: Lyon, Jean de Tournes, 1647. 8*.*)
La nouveüe Pallas ist nicht dasselbe wie die in der De-
ploration 1546 enthaltene Exposition inorale de la fable des trois
d^esses, wie Nic6ron {M6m. XXXIII, 188) meint; denn in
der Ejcp. umfaßt das Gedicht Pallas nur drei Seiten, während
es als Sonderdruck 66 Seiten einnimmt.
1545: La nouvelle Juno, presentee d ma Dame la Daul-
phine par Fran^'oys Habert, natif d^Issatädun en Berry, Auec
VEsirene donnee d ladieie Dame le premier iour de VAn. Aussi
l^ Estrene au petii Duc, Filz de monseigneur le Daulphin. Lyon,
Jean de Tournes, 1545. 8^, Eine andere Ausgabe wird von
Brunet^ zitiert: Lyon, lean de Tournes, 1547, 8^ Brunet
fügt bei, es sei dies eine ^Nouvelle edition, retme et augmen-
tee d^une partie de Vouvrage oi-^lessus intituUe : Les trois nouveües
dee^ses.Ti>
1546: Les trois nouvelles deesses, Pallas, Juno,
Venus, (anonyme) y de Vimprimerie de Jeanne de Marne f, Paris,
1546. i^^«)
1547: La nouvelle Venus, par laquelle est entendue pu-
dique Amour, presentee d Madatne la Daulphine, Jointe vne epistre
d Monseigneur le Daulphin, Nouueliement oomposee par Fran^ois
Robert, Lyon, Jean de Tournes, 1547. 8^.
Da iu der einleitenden Epistel Katbarina v. Medicis, die
Habert hier als die neue Venus feiert, noch als Dauphine
bezeichnet wird, sie aber am 31. Mäxz 1547 Königin wurde,
so muß die Drucklegung dieser Schrift kurz vor diesem Datum
erfolgt sein.
1547 : La nouvelle Juno, la nouvelle Pallas, la nouvelle
Venus et aiitres compositions poetiques. Lyon, Jean de Tournes,
1547, 8^,
^) La Croix [Bibl fr. I, 224) gibt 1548 als Erscheinangarjahr an.
«) Manuel 111, 3.
») Ibd., III, 2.
— 111 —
In welcher Reihenfolge diese drei Gedichte rerfaßt worden
sind, l&St sich schwer sagen. In der nouveUe Venus (d. i.
Katbarina ▼. Medici») klagt diese Göttin (S. 31); daß sie
noch keinen männlichen Nachkommen habe:
« Venus auoit vn filz, ie n*en ay pointf
l^ftiis d^en auoir ie nCen vmj sur le point.*
Da ihr erster Sohn (Franz II.) am 19. Januar 1644 ge-
boren wurde, wird dieses Gedicht kurz vor diesem Datum
entworfen worden sein.
La nouveUe Juno wurde Tor dem Frieden von Cr6py
(18. Sept. 1644) handschriftlich überreicht. Denn Habert
ermahnt in diesem Gedichte (S. 43) die beiden kriegführenden
Herrscher, Karl V. und Franz I., Frieden zu schließen:
« Vous les deua: Bois vnis st raüiez,
Que direz vous de la gusne finie?
II est besoing que dueü vous oubliez
Quand Vvn sa Fille au FUx de Vautre aüie.
France en aura vns ioye infinie
Hespaigne en a perdu dueil et esmoy.>
In chronologischer Mitte zwischen der „neuen Venufr"
und „Juno^ steht die „neue Pallae''. In der „neuen Venus^
hatte Hal>ert die Geburt eines Prinzen ala unmittelbar bevor-
stehend bezeichnet (s. weiter oben), in der „neuen Pallas^ be-
singt er die am 19. Januar 1544 erfolgte Grebort des lang
Ersehnten und in der „neuen Juno^^ gratuliert er dem jungen
Sprößling zu Neujahr in einem poetischen Bstrenne.
1548: Les quatre livres de Caion pour la doctrine des
meur» (sie!), haduitz de vers Laiins en rühme Fran^se: aueaf
les Epigrammes moralisez, et autres phtsieurs petitx atuvres, Le
tont par Pran^ois Habert Poete, Auecq^ Priuilege du Roy, Pari^,
Estienne Grotäleau, 1548, 16^ ^) — Andere Ausgaben: Thimn,
par Jan VEspieier (sie!), 1550^) 16^. — Lj/on, Clmtde Marchant,
1552.^) 16^, — Paris, Ph. Danfrie et A Breton, 1559.^ 8^. —
») Nicht 1Ö62; wie Birch-Hirschfeld, 1. c, S. 156, angibt.
Theret, 1. c, S. 128, fügt kein Datum bei.
«) Brunet, Suppl. I, 685.
— 112 —
Unter dem Titel: IjSS qu. L de C. pour la dodrine de lajeunesse,
par F. H. Paris^ Nie, Bonfons (vers 1575)^\ 8^\ desgleichen
Paris, L. CaveücU, 1583, 8^. — Unter dem Titel: Les auHs
doris de Caton en franQots. Caen, 1579. 16^.^
In der Widmung, welche der Ausgabe 1648 vorausgeht,
redet Habert (S. 4) den Dauphin folgeodermaßen an:
cA'^a pas longiemps qu^a ton der iugement
Je presentay vn liure aeulement
Eepresentant de Caton la doctrine
Pour ton enfant qui ia parle et chemine . . .
. . . ensuyuant ma volunte jyremiere
Je n^ay voulu exposer en lumiere
Ce liure seid que je te vins ofrir
Mais par le iemps
J*ay mis ä fin les Uwes qui sont qu/xtre.>
Ursprünglich hatte also Habert nur das 1. Buch Cato's
übersetzt und seinem Gönner übergeben. Sämtliche vier
Bücher lagen erst am 22. Januar 1546 handschriftlich vor.
An diesem Tage erhielt nämlich der Buchdrucker und Buch-
händler Estienne Groulleau die Druckerlaubnis für sechs
Jahre nach der ersten Drucklegung.')
Die Widmungsepistel der Ausgabe 1548 bezeichnet auf
S. 3 ff. Heiurich II. noch als Dauphin und die der Über-
setzung unmittelbar folgende Institution puerile spricht noch
von dem Großvater des petit Duc d. i. von Franz I., als einem
Lebenden. Folglich wurde die Übersetzung dem jungen
Heinrich II. noch vor seinem Regierungsantritt (30. März
1547) überreicht.
Colletet*) zitiert noch : « Vn Liure de Fran^ois HabeH
d^Issoudun imprime premierement ä Paris en Leitres Gothiques
Van 1530 et ä Caen l'an 1579 sous ce iure: Les mots dorez de
Caton en Ff^an^ois.*
Über Habert's Catoübersetzung sagt Goujet:*) «J^ai vü
\) Brunet, Suppl L 585.
«) Brunei, Mafiuel I, 1672.
^) Les quatre livr, d. C. (1548) S. 2: Extraict du Friuilege.
*) Traitte, S. 114.
^) Bibl frgse V, 7, 8.
— 113 —
pliis^iairs Sditions de sa traduction des Distiques en vers fran^H,
La phts aneienne ne porte poini de date, unais eUe est stirement
ik 1530.9
Wir bemerken hierzu, daB die zu Caeti 1579 veröffent-
lichte Ausgabe sicherlich Habert zum Verfasser hat.^) Sie
ist ein Abdruck seiner Cato-Übersetzung von 1648. Mit der
von CoUetet und Goujet zitierten Ausgabe vom Jahre 1530
hat sie jedoch nur den Titel gemeinsam. Allerdings erschien
1530 eine UbersetzuDg der Disticha Catonis, aber anonym
und mit dem Titel: Le.s motx dorex de Chaton en francays et
cn latin, Auec bons et tresuiiles en^seignemens . . . Imprime nou-
uelkment ä Paris. On les vend au Palays en la Gallerie. Auf
der zweiten Seite steht die Druckerlaubnis, die vom 9. Februar
1530 datiert ist. Wiederaufgelegt, vermehrt und verbessert
erschien diese Schrift in den Jahren 1545, 1551, 1552.
Den Verfasser dieser Cato-Übersetzung kennen wir nicht.
Habert ist es nicht; denn er übertrug die Disticha erst Mitte
der vierziger Jahre ; außerdem ist seine Übertragung von der
seines Vorgängers vollständig verschieden. Der ähnliche
Titel der beiden Schriften verleitete also CoUetet dazu, sie
ohne weiteres unserem Habert zuzuschreiben. —
[?] Daß H. auch Fabeln verfaßt hat, geht aus einer Notiz
hervor, die sich in den Annales poiiiqnes (1778 ff.) findet. Es
heißt dort: «Vo?/.v avons trmive chez lui un Recueil de Fables dont
Vabbr Goujet ne j)arle poini : et c'est peut-rtre le seid de ses ou-
n-ages qui meritoit qn^on en parldt. II a traite plusieurs stijeis,
qtii depuis f&nt vtv ]mr La Fontaine . . . co^nme ce sont les plus
aunennes que nous ronnoissions et qii'eUes ne sord pas denuies de
latent, nous avons an qne les LeHetirs seroient curieux comme on
iraiioit re genre^ avani que la Fontaine Veut perfectionne,^ *) Und
daher druckt der Verfasser nur drei Fabeln ab, die er für
») Brunei I, 1672.
•) Ann. poet V, 11 ff. — Diese Notiz ist dann in der Folge oft
wieder verwertet worden, so z. B. von Crapelet, Les poltes frangais
(1824) III, 246 ; von P e r e m 6 , Recherches (1847) S. 350, von G ri 1 1 on , Es-
quisses (1862) III, 169; von Godefroy, Hist d. la Utt fr. (1878—79)
1,612; Marcou, Morceaux (1884) S. 4f.; von Lintilhac, Free, hist.
(1890) S. 181 f. u. von T höret, Litt, du Betry (1900) S. 77 ff.
Httncbener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXX. 8
— 114 —
Erzeugnisse H.'s hält, nämlich die Fable du Coq et du Benard,
die Fable nwrale du lion, du loup et de Vasne, und Z>e PAraignee,
de la Gueppe et de la mouche.^)
[?] La Marguarite blanche.
Dieses Werk ist nirgends erwähnt. Daß aber H. ein
solches Gedicht verfaßt hat, läßt sich aus einer Stelle in den
„Aussprüchen der sieben Weisen" (1549) schließen. Er sagt
dort von der Schwester Heinrich's II., Margareta:
€ Offert luy ay la Marguante {sie!) blmiehe
Ou sont de Dieu plusieurs propos temis,
Comme üay faid la nouvdle Velins
Inno ausai . . .>-)
Der Inhalt des Werkes war also ein religiöser ; vielleicht
wurde es nie gedruckt.
1549: Les Dicts de (sicf) sept sages de Grece, Tra-
duicts de Grec en vers Latins, par le Poete Ausone et de luy en
finie Franc'oyse par Frampys Hahert d'Yssouldun enBerrg: iairuis
autres dicts desdicts Sages, traduicis d'Erasme, auec vne eglogue sur
la naissance de man Seigneur le Dauphin . . . Paris, Anthoine le
Clerc, 1549. 16^ (Druckerlaubnis vom 24. Febr. 1648). — Lyon,
George Poncet, 1549.^) 16^. — Lyon, George Poncet, 1554. 16^.^)
— unter dem Titel : Les IJicts et sentences dorez de^ tres illustres
sept sages de Grece traduicts de grec en vers latins par le poete
Ausone . . . Lyoji, Benoist Riyaud, 1586, 12^,
1549: Le Ternple de Chastetc, Auec jAusieurs Epl-
grammes tant de Vitvuention de Vautheur que de la traduction et
imitation de Martial . . . Le totä par Francoys Habert d'Yssoulduti
en Berry. Paris, MicJiel Fexandat, 1549, 8^,
1549: Six Liures de la Metamorphose d^Ouide^)
tradnictz selon la phrase laiine en rime francoise, saroir le IJI,
IUI, V, VI, XII, XIII , Le tout par Frangoys Habert d* Yssotüdun
») Ann. poit. V, 13, 17, 21.
*) Dict8 de sept sages: Eglogue «ur la twissance de num Seignetw
le Dauphin (ohne SeitenzähloDg).
») Brunei, Manuel lU. 4.
*) Brunei, Suppl I, 586.
'^) Ibd., II. 114 f:
— 116 --
en Berry, ei par lui presente äu roy Henry dp. Valens, deuxiesme
de ce nom, Paris, Michel Fezandat, 1549. kl. 8^.
Habert meint wohl diese Ausgabe in der Epistel an
König Heinrich II., welche der Gesamtausgabe der Metar
morphosenübersetzung von 1557 vorausgeht (S. 2/r):
*Des long temps
Vostre grandeur Boyalle . . .
. . . auoit entre atdre ckose
Veu me4t kibeurs de la Metamorphose
Ouidienne, et qu!a ce grand rolume
Impose fin n^auoit encor ma plume,
Mais toiit ainsi (jue le temps Va souffert
VoHs en auays les six liures offert.^
In der Widmungsepistel der Sermons satinques d^Horace
(1551) sagt Habert:
^Ces iours passez Ouide intennettani
Que pour le Roy ma main ra translcUani[^^
fPai mis mon (ril sur les sermons d^Horaee.^
Aus diesen Worten haben Goujet^) und Birch-
Hirschfeld*) geschlossen, daß Habert erst seit 1551 an
der Metamorphosenübersetzung gearbeitet habe. Die Existenz
des oben erwähnten Buches vom Jahre 1549 beweist, daß er
schon einige Jahre vorher angefangen hatte, sich mit Ovid
zu beschäftigen. Ja, es muß dies wahrscheinlich bereits
1546, jedenfalls aber vor dem 30. März 1547 — dem
Krönungstage Heinrich's II. — gewesen sein. Zu diesem
Schlüsse berechtigen uns seine vor dem 24. Februar 1548
niedergeschriebenen Worte, welche sich in den Aussprüchen der
7 Weisen (gedr. 1549; Druckerlaubnis vom 24. Febr. 1548)
befinden. Es heißt daselbst in der einleitenden Epistre au
Roi^):
€ Offrir ie rous dcsire
Mon long labeur de la Metanu/iphose, . . .
. . . cclUtyy duquel quelque saison
») Bibl frcse. VI, 26.
•) Gesch. d. frz, Lit. I, 156.
') IHcts de sept s, Aii/rf.
8*
— 116 —
// votis pleut voir la forme commenr6ey
Ains qtie vous fust la couronne laissee,»
Die sechs Bücher scheinen in Fontainebleau überreicht
oder vorgelesen worden zu sein, wie wir dies aus einer anderen
Stelle schließen können ^) :
<tT)ans fontainebleau
Aujjres du Roy s*enfla mon chalemeau,
En liiy chantant (Tnn cneur prompt et auido
Voiuurt tradukt des coips nme% d'Ouide.»
Gedruckt wurden sie 1649 und zwar nach dem Trmple
de Cliasiete (1549); denn in letzterem verspricht H., dem Herrn
von Quantilly mit jener Übersetzung ein Greschenk machen
zu wollen:
tQuand Vimprimeur an reut la produira,»-)
Im Quiutil Iloratian (1551)*) wird die Übersetzung be-
sprochen.*)
1549: Les troi's livres de la Chryaopre, c^est-a-dire
Vart de faire Für contenants plusieurs choses jiaturellcs, iraduictz
de Jean Aurelle Augurelj poete latin, par F. Ilabert de Berry.
Paris, Benoist Pravost pour Viuant GnuÜJierotj 1549. 8^, Privileg
vom 28. Sept. 1549.
Ein Abdruck dieser Übersetzung findet sich in; Ilertms,
7)'ois andens traktex, de la philosophir naturelle . . . An 3. Stelle
steht: La Chrysopie de Jean Aurelle Augurel, qui enseigne Vart
de faire Vor . . . Paris, Charles Hulpmu. V)26, 2 tom. en 1 vol. 8^,^)
La nouvellr hiogntphie imiverselk (Paris 1855) zitiert unter
Augurelli Habert's Werk folgendermaßen: Vart de faire
Vor a fiti iraduit en franrais par Frau^ois Ifuhrrt, Lyon, 1548, 16^,
Hubert ist wohl ein Druckfehler für Habert; das Jahr
1548 und der Erscheinungsort Lyon beruhen vielleicht auf
einer Verwechslung mit einer anderen von Brunet zitierten
») Ep. hei\ (1550) S. 68 v.
*) Tempk de Chast: A Xicok U Jouure, ohne Seitenzahl.
') Siehe La R^vue d'Hist. litt, de la Fr. V. 64 ff.
*) Fontaine sagt daselbst: »Francoys Habert a bkn tnontrf quel
bon naturel il a en ses poursuivies translations des Metamorphose»
d^Ovide.* Siehe Person, La deffence etc., S. 211.
6} Brunet, Markuel III, 117.
— 117 —
AugurelluS'Ubersetzang : At^rellus, Facture de Vor, trois liures,
Lyon, Ginflaume Rouille, 1541, in-W^ (Andere Ausg. 1648).*)
1549: Le premier Hure des Sermons du senteu'
tieux Poete fforaee, Traduict de latin en rime FrariQoyse par
Fran^ Habeii de Berry. Paris, 1549. 8\
Eine andere vermehrte Ausgabe dieses Werkes erschien
unter dem Titel:
Les sermons satiriqu^s du sententkux Poete Horace, diuisex
en deux liures, inierpretez en rime fran^oyse par Francoys Haberi
de Berry. Paris, Michel Fexandat et Robert Grandjon, 1551. 8^,
Inhalt: 1. das 1. Buch der Satiren, wie Ausg. 1649; 2. das
2. Buch der Satiren; 3. Epistehi: Buch I, 1, 2, 4, 5, 9, 20,
29; die 7. Ode des I. Buches u. anderes.
Am Ende der Ausgabe steht ein Privileg des Königs
vom 13. April 1541 (offenbar ein Druckfehler für 1561).
Hier wird der Dichter bezeichnet als : <cnostre eher et hien ayme
Francois habert, nostre Porte FVancois».
Ein späterer Abdruck dieser Satiren findet sich in:
Les OK eres de Q. Horace Flacce, mises en vers fran^. auec le
texte latin, partie trad,, partie veüe et cmi^igee de nauveau par Luc
de la Port£, Paris, Claude Micard, 1584, 2 pari, en 1 vol., pet.
in'12''.') —
Im Jahre 1550 gab Habert ein Werk seines Freundes
Jacques Gassot heraus und versah es mit einer einleitenden
Epistel.') Es betitelt sich: cLe Discours du Voyage de Venise
a Constantinople . . . par maistre Jaques GassoL Paris, Antoim
le Clerc, 1550. 8^ (Druckerlaubnis vom 22. April 1550). Neu
aufgelegt unter verändertem Titel: Baurges, Jean Toubeau,
1674. 8».*)
1550: Les Epistres heroides , tressalntaires {sie!), pour
seruir d^exemple a toute am^ fidele, Composces par F. Habert
d^Yssouldun en Berry, auec aucuns Epigrammes, Cantiques spiri-
tuelx, et Alphabet moral pour Pinsfruction d^u?i ieune Prince, ou
») Manuel I, 556.
») Brunet, Manuel III. 328.
■) IjC Discours du Voyage de V. ß,v.
*) Boyer, Un menage litt., S. 43.
— 118 —
Princesse, Item la Paraphrase Laune et Fran^yse sur Voraison
Dominieale, Paris, Michel Fezandai, 1550. 8^.
Es ist dies der erste, aber schon vermehrte und ver-
besserte Druck der Epistres hero'ides, die Habert bereits 1549
der Mme Andrienne Destouteville handschriftlich vorgelegt
hatte. 1)
Eine andere Ausgabe (1551) enthält noch eine Inhalts-
angabe und das Druckprivileg vom 23. Juli 1560. Dann er-
schien eine neue, wieder vermehrte Auflage mit neuem Titel :
Les Epistres Heroldes Pour seruir d^Exmnple aux Chrestiens, re-
tieties et ampUfUcs depuis la premiere impression, Ei depuis pre-
sentees a ma Dame la Duchesse d'Estouteuille, CorUesse de S, Paul,
Par Francoys Habert de Ben-y, Paris, MicJid Fezandat, 1559, 8^
(t^itiofi fort rare, qui differe des premieres»),^)
Das Buch war in Frankreich sehr bald vergriffen, da
viele Exemplare ins Ausland gingen.*) Da jedoch Habert
eine Abschrift davon aufbewahrt hatte, so ließ er diese so
viel verlangten Episteln in einer vermehrten Auflage wieder
abdrucken : Leu Epistres Heroides pour servir d'exemple u. s. w.
wie in Ausg. 1559. Paris, Michel Fezandat, 1560. kl. 8^.^)
Die Ausgaben von 1559 und 1560 enthalten folgende
Gedichte nicht, welche sich in den beiden ersten Ausgaben
von 1550 und 1551 befinden: 1. Epistre XIH de VAutheur d
monseigneur de sainct Gelais; 2. Cantiqties Spiritudz; 8. Epi-
grammes; 4. Alphabet moral ; 5. Paraphrase LcUine et Francoyse
sur Voraison Doininicale. Dagegen sind die beiden Ausgaben
von 1559 und 1560 um fünf Episteln und eine Ehgie de
VAuteur ä Monseigneur Jean Delisle vermehrt worden.
[IhhO]: Description poeiique de Vhistoire du beau
Narcissus. Lyon, BalÜiaxar Arnouüet, 1550. 8^.
Dieses anonym erschienene Werk beginnt mit einer
Widmung an eine Dame: A. M. L. T. D. E. C. folgender-
maßen : Mad. II y en a beaucoup de teh qui perissent comme
Narcisse, pource quUlz se voyent, et ne sc congnoissent pas.
') Ep. her. (1550), S. 2/r.
*) Brunet, Suppl I, 585.
') Ep. Her. (1560): An Madame And^rietine de TouteviUe (ohne
Seitenzahl).
— 119 —
Das auf der Pariser Arsenalbibliothek befindliche Ex-
emplar (B. L. 8632) trägt auf dem Titel die baudschriftliche
Bemerkung: De Jehan Kax Bourdel (Brunet liest: De Jehan
Ruz Dourdet [ou Bourdel]). Auf der linken Seite steht von
einer anderen Hand geschrieben : cLe pefii marceau est certaine-
nient de francoia Habert dit le Bannt de Liesse doni fai plusieurs
auires ouvrages,> Auch Brunet hält unseren Dichter für den
Verfasser dieser Bearbeitung der Narcissussage.')
Ich kann diese Ansicht nicht teilen ^) ; denn Habert hätte
dann dreimal die gleiche Sage poetisch behandelt: in der
Jeunesse du Banny de Liesse (1541) S. lOö/r — 112/v hatte er la
Fable du beau Narzisse bereits erzählt, darauf hatte er sie
in den Metamorphosen (1549) aus Ovid übersetzt. (Übrigens
sind Stil und Gedankengang jener Narcissus- Bearbeitung von
dieseji beiden letztgenannten Werken verschiedeu.) Endlich
zitiert das Dictionnaire des anonymes n^ 7741 noch folgendes
Werk : UHistoire de Naroissus avec Vargument en prose par C. B.
{Claude Barthel), Bemard, Lyon 1551, inrl2^.^ Sollte hier
vielleicht eine Verwechslung mit dem bereits genannten
Bourdel vorliegen?
1551: L^Histoire de Titus et Oisippus et autres
j)etits o'uures de Beroalde Latin, inter^n-eies en Rime Fran^yse par
Francis Habert. Auec VexaUation de traye et parfaiie noblessey
les quaire Ämours, le noureau Cupido, et le tresor de vie de Pin-
rention dudict Habert» Paris, Michel Fexandat, 155L 8^,
1551: L^institution de Liberalite Chrestienne
avec la Misere et Calamite de Ihomme naissant en ce monde ])ar
F. Habert de Berry. Paris, Guillaume Thyout (Brunet*) zitiert:
Guillaume Thiboust), 1551. 8^. — Druckerlaubuis vom 19. Juni
1551.
1555: La louange et vitupere de Pecufie. Elegie
marale sur deuz vers d^Horace, Prine ä Dien par Manasses, Boi
^) Manud il, 622; vgl. auch Graesse, Trisor II,.368.
') Picot, Catalogue 1, 458 vertritt die gleiche Meinung; er fügt
noch hinzu: •UailleurSy tous les ouvrages quHl (Habert) pttblia aprh
1545 portent son nom en toittes lettres». Er hält den genannten Jehan
Ruz £oardel für den Verfasser.
») Manuel Ul 5; Suppl I, 685.
— 120 —
de Juda. Cantique sur ravant-naissance du huitieme enfant du
Rat Henri IL, m ä Foniwnebkan en Van 1555, nommt Herniles,
Thic d'AnjoK. Paris (Drucker, bzw. Verleger ist nicht an-
gegeben), 1555, 8^.^)
1556 : L*excellence de poesie, oontemie en epistres, dixains,
huitains, epitaphes, auec plusieurs epigrammes, le tont nouuellement
comjjose par Pran^ois Habel {sie!), Li/on, Benoist Bigaud et Jean
Saugrain, 1556, 16^.-)
1556: Les divins oracles de Zoroastres (.w/), inter-
pretex en rime fran^aise auec vn conimentmre moral sur ledlt Zo-
roastres, en poesie fran^aise et latine, plus la comedie du monarque
etc. A Paris, Philippe Danfri (sie!) et Rieh, Breton, 1556, 8^,'^)
Andere Ausgabe: Les Diuins Oracks de Zoroastre, ancien
Phihsophe Qrec, Interpreter en Rivie Francoise par Francis Habert
de ßerry . . , Paris, Phil. Danfrie et Rieh. Breton, 1558, 8^.
1556: La Harangue de la Deesse Astree, sur la re-
ception de noble et illustre personne, M. Jean Mosnier, au degrr
de Lieutenant Ciuil auec dix Sonnets Ueroiqttes de {sie!) la per^
fection des Juges, Ensemble la description Poetique de Vtiüiie et
conseniation des Lettres, de VlmpHmerie . . . par Fram^ois Hahert
de Berry. Paris, Guill. Thibout, 1556. 8^.
1557: Les quinxe Hur es de la Metamorphose
d^Ovide Interpreter en Rime Fran^oisCy seien la Phrase latine.
Par FrnnQois Habert d^gssouldun en Berry, et par luy preseniez
an Roy Henry IL A Paris, par Jacques Keruer, 1557. 8^.
Brunet*) erwähnt eine Ausgabe: A Paris, chez Ksiienne
Groulleau, 1557, 8^.
Diese Übersetzung ist also nicht erst 1574 erschienen,
wie Hennebert*) und Birch-Hirschfeld **) angeben,
sondern bereits 1557.
Spätere Ausgaben sind : Paris, Jeröme de Marnef ei Guil-
laume Carellat, 1573. 18^, nouveUement enriehis de figures non en"
^) Brunei, Snppl. I, 586; vgl. auch weiter unten: La preniiere
Monarchie^ S. 43.
•) Manuel III. 5.
») Manuel IV, 285.
*) Bist, des traductions, S. 95.
"*) Gesch. d. frz%. Litt. I, 156.
— 121 —
core par cy-devani itnprmiees . . ., ferner Paris, Jeröme de Mamefy
1574, 1580, 1582, 1587. 16^.^) .
[1558]: Discours de la courU Paris, Phil. Danfrie ei
Rieh. Breton, 1558. 8^.
Desbarreaux-Bei'Dard sucht zu beweiseD, daß der
Verfasser dieser anonym erschienenen Schrift kein anderer als
Habert ist. Sie enthält nämlich auf S. 49/r ein Sonett, in
welchem die Anfangsbuchstaben jeder Yerszeile den Namen
Erangois Habert bilden. Außerdem ist der Discours mit
Habert's Les Diuins Oracles de Zoroastre (1558) zusammenge-
bunden.*)
1558: Le Dieugard de la rille de Paris , a Monseigneur
de Guise, Pair et grand Ghainberlain de France et Lieutenant
General pour le Boy, ä son retour de la prise de Calais, par
Sonnets heroiques. Äutheur Francs Habert de Berry. Auec vne
ehanson en Vhonneur de rnondict Seigneur de Guise, mise en mur
sique par Frangois le Febures. Paris, Attaingnant, MDL VIII. 8^,
Ein Exemplar dieser bisher von keinem Bibliographen
Terzeichneten Schrift befindet sich in Paris auf der Biblioiheque
Mazarine.
1558: La premiere Monarchie Romaine et POrigine
des Boys Bomains, avee la hniange des sept Ambassadeurs, la hu-
ange et vitupere de Pecune^), une Eglogue morale sur Horace, la
priere du Bd Manasses; le tout imprime ensemble d Paris, par
Jean CaveiUer Van 1558 *) (das Format ist nicht angegeben).
Eine andere Ausgabe wird von Lacroix-Du Verdier*)
zitiert unter dem Titel: La premiere Monarchie et origine des
Bois Bomains, la puissance Boyale desquels fut reduite en deux
Magistrats ou cmisuls. Auec la puissance des sept Ambassadeurs,
assis ä la table du grand Boi Ptolomee, Lyon, Jean Saugrain,
1559. 16^.
1559: Eglogue Pastorale sur Vvnion nuptiale de
») Nouv, Biographie, Bd. XXIII.
«) Bua. du BibUoph. (1870/71), 8. 368 if.; Brunei, Suppl 540;
Picot, Catahgue I, 462.
«) Vgl. oben, 8. 119.
*) La Croix, Bibl fr. I, 226.
. *) Bibl. fr. m, 668.
ireshault, et trespuissant Seigneur Philippes, Boy
d^Hespaigne, et de tresexceUente, ei tresmertueuse Prinoesse ma-
dame Elisabeth premiere fUh du Roy Henrt/ II, Autheur WanQois
Habertf de Berry, Pour Jean Moreau, chex Ja veufue Nicolas
Büffet, pres le coUege de Reims. Paris, 1559. Ä*.
1559: Les Amours Conjugales de tresvertueux,
tresillnstre et tresmagnanime Prinee Emannel, Duc
de Savoye, Prinee de F^edmont ei de treswenerahle ei treseocoeüente
Princesse ma Dame MargueHte de Valois, Duchesse de Berry, Seur
unique du Boy Eknry IL par Somieis Heröüqttes. Auec Ofueuns
Epigrammes moratix en Poesie Fran^oise et Latine, AtUhe^ir
Franoois Habert. Paris, Pierre OauUier, 1559,^) 8\
1559: La reception fadte par les d^nUis du Rai d'Espagne
ei de la Reine, d la deUvranee qui leur a eie faite ä Ronoevaux,
par le Roi de Nauarre ei autres, Vincent Sertenas, 1559.^) —
Im Jahre 1559 erschieo eine französische Übertragung
der Sophonisbe Trissinos unter dem Titel: Sophonisba Tra-
gedie tresexceUente , . . Paris, Ph, Danfrie et R^ Breton, 1559, 8^.^)
Anf S. 2 dieser Übersetzung heißt es, sie sei von St.'G«lais
und anderen verfaßt worden. Blanchemain behauptet nun
in seiner St.-G^lais-Ausgabe, daß auch Habert Mitverfasser
dieses Stückes sei, ohne jedoch einen Beweis hiefiir zu erbringen.
Da Habert sonst nie aus dem Italienischen übersetzt hat und
zur italienischen Poesie in keiner Beziehung steht, erscheint
mir Blanchemain's Behauptung recht unwahrscheinlich.^)
1559: Les Regretz et tristes Lamentations sur le
trespas du Treschrestien Roy Henri IL, compose en forme de
LHalogue, par Fran^^s Habert de Berry, Paris, Jean MoreaUy
1559. 8^,
1559: Sonnet X Heroiques sur le Mariage de Monseigneur
Charks Diic de Lorraine, et de niadanie Claude ij. fUle du Roy
Henry II, auec une Ode sur le ddct mariage. Presentex a mon-
dict Seigneur et ma Dame son espouse, Par Fra7icois Habert de
Berry, Paris, Mariin VHomme, 1559. 8^.
1) Brunei, Suppl, S. 586.
«) La Croix, Bibl fr. I, 223.
3) Brunei, Suppl 805, und Man%iel V, 953.
*) Böhm, Beiträge zur Kenntnis des Einßutses Seneeas etc., S. 42 ff.
— 123 —
1560: La Deploration sur le trepas de M, le Chan-
edier 01% vier, avec nne l^Ure Laiine et Fran^oise de VEx-
cellence du Senat de Paris, imprime ä Pari», chez MicJiel Fexandat,
Van 1560,^) (Das Format ist nicht angegeben).
1561: Les Metamorfoses de Cupido, Fils de la Deesse
Gytheree: qui se mua en diverses formes, contenues en la page
suyuante, Le dict ceuure dedii au Roy treschresiien, Francoys,
dtuxiesme de ce nom, Autetir FranQois Habert, de Berry. Paris,
Jaques Keruer, 1561. 8^.
Das Privileg ist vom 12. Okt. 1560.
«C« poeme . , . n^est guere qu^une traduetion des Metamor-
phoses de Nicole Brizard, impr, d Paris en 1556, 8®.» *)
1561: La consolation du peuple Gauloys, griefue-
ment desole pour le trespas du Roy FrariQois IL Auec les Epv-
taphes dudict Seigneur, Auieur Francs Habert, de Berry, Paris,
Jean Moreau, 1561. 8^, (Druckerlaubnis vom 27. Dez, 1660.)
In dem Widmungssonett an den Prälaten Mgr Louys
de Bassey, Abb6 de Cisteaux sagt Habert, daß er
noch ein größeres Buch zu schreiben beabsichtigt habe.
') La Croix, Bibl fr. I, 21
*) £runet, Manuel III, 6.
Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr. , Naumburg a. S.
MÜNCHENER BEITBÄGE
ZÜB
e0IUllISGlNinniEN6USraPE0L06IE.
HERAUSGEGEBEN
VON
H. BREYMANN und J. SCHICK.
XXXI.
DIE ALTENGLISCHEN DIALOGE VON SALOMON UND
SATURN.
LEIPZIG.
A. DEICHERT'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG NACHF.
(GEORG BÖHME).
1904.
\
DIE ALTENGLISCHEN DIALOGE
VON
8AL0M0N UND SATURN.
MIT mSTOBISCHER EINLEITUNG, KOMMENTAR UND GLOSSAR
HEBADSOEOEBEN VON
ARTHUR RITTER VON VINCENTI
DR. PHIL.
ERSTER TEIL.
LEIPZIG.
A. DEICHERT'SCHE VERLAGSBÜCHHANDLUNG NACHF.
(GEORG BÖHME).
1904.
Alle Rechte vorbehalten.
Herrn Professor Dr. J. Schick
in hoher Verehrung und Dankbarkeit
gewidmet.
Vorwort.
Die vorliegende Abhandlung umfaßt den größeren Teil
der Untersuchungen, die ich im vergaugenen Jahre der üni-
yersität München als DiBsertation vorgelegt habe. Die noch
ausstehende Lautlehre, ferner der unter nochmaliger Ver-
gleichung der Handschriften hergestellte kritische Text mit
beigefügtem Kommentar und Glossar wird in nicht allzu
weiter Ferne in einem zweiten Teile nachfolgen. Damit hoffe
ich einem längst empfundenen Bedürfnisse abgeholfen und
zugleich auch einen Beitrag zur Aufhellung des ,, Wunder-
lichen und Dunkles" im altenglischen „Salomo und Saturn"
geliefert zu haben. Ich hoffe, daß die in mystisch-dunklem
Zwielicht stehenden Figuren von Salomo und Saturn durch
vergleichende Betrachtungen in etwas helleres Licht gerückt
sind; ich hoffe den Nachweis erbracht zu haben, daß die
altenglisohe Überlieferung in drei gesonderte, unabhängige
Stücke zu zerspalten ist, und daß das Prosastück von einem
Westsachsen, die zwei poetischen Stücke von auglischen
Dichtem herrühren. Ich hoffe besonders auch der Erkenntnis
vorgearbeitet zu haben, daß das zweite dieser anglischen
Gedichte mit seinen tiefsinnigen Fragen und seinem stim-
mungsvollen Ton sowohl eine Perle altenglischer Poesie, wie
auch ein merkwürdiges Denkmal altgernoanischer Spekulation
darstellt.
Den Bibliotheksverwaltungen des Corpus Christi College
zu Cambridge und des Britischen Museums für die freund-
liche Überlassung der Handschriften meinen aufrichtigen Dank
abzustatten, ist mir eine angenehme Pflicht; den größten Dank
aber für die wiederholte und tatkräftige Unterstützung bei
Ausarbeitung dieser Abhandlung schulde ich meinem ver-
ehrten Lehrer, mit dessen Namen sich dieses Buch schmücken
durfte.
Arthur von Tincenti.
Inhalt.
Seite
Vorwort VII
Benutzte Literatur IX.
I. Einleitang.
Die alifi^emeine Geschichte der Sagen von Salomo 1
Berichte über Salomo aus der Bibel und dem Talmud.
Semitische Fassungen der Sage 5
Indogermanische Fassungen 13
Verhältnis der altenglischen Sage zu diesen 23
n. Die altenglische Sage.
A. Überlieferung.
1. Ausgaben, Textbesserungen und Besprechungen der alt-
englischen Bearbeitungen der Sage 26
2. Beschreibung der Handschriften und ihr Verhältnis zu
einander 44
3. Verzeichnis der handschriftlichen Längezeichen .... 49
B. Komposition.
1. Wesen und Erklärung der altenglischen Fassungen ... 52
2. Die Persönlichkeiten des Salomo und Saturn 86
3. Über die Gottheit Satum's bei den Germanen 107
4. quellenfrage 122
Benutzte Literatur.
Arndt, Augustin: Die heilige Schrift des Alten und Neuen
Testamentes. Regensburg. 10. Aufl. 3 Bde. 1899—1900. 8^
Baring-Gould, Sabine: Gurions Myths of the Middle
Ages. London. 1884. 8®.
Basset, Kene: Salomon (Solaiman) dans les legendes mu-
sulmanes, in: Kevue des traditions populaires. Paris.
1888—1890. 80. T. IIl. IV. V.
Bandet, Louis: Cosmographie d'Ethicus. Paris. 1843. 8®.
BobertagyE. : Salomon u. Markolf, in : Kürschner's deutscher
Nationalliteratnr. Bd. XI.
Boguphal: Chronicon Poloniae etc., in: Monumenta Poloniae
historica, ed. Bielowsky Bd. II. Lwow. 1872. 4^.
Bornemann: Das Testament des Salomo, in: Illgen's Zeit-
schrift für historische Theologie. Leipzig. 1844. 8®.
Bosworth-Toller: An Anglo-Saxon Dictionary. Oxford.
1882 etc. 40.
Bouterwek, K. W. : Caedmon's des Angelsachsen biblische
Dichtungen. Gütersloh. 1854. 8^.
Brandl, AI.: Mittelenglische Literatur, in: Paulis G-rundriß.
n. Bd. VIII. Abschnitt.
Braune, W.: Gotische Grammatik ^ Halle. 1900. 8«.
ten Brink, Bernhard: Geschichte der englischen Litte^
ratur. Zweite Aufl., herausgeg. von AI. Brandl. I. Bd.
Straßburg. 1899. 8«.
: Altenglische Literatur, in: Paul's Grundriß II. Bd
VIII. Abschnitt.
— X -
Brooke, StopfordA.: English Literature from the Be-
gimimg to the Norman Conquest. 1899. 8^.
: The History of Early English Literature being the
History of English Poetry from its Beginnings to the
Accession of King Alfred. London. 1892. 2 Vol. 8^
Brunet, Gustave: La France litteraire au XV« siöcle.
Paris. 1865. 8^
Bülbring, Karl: Altenglisches Elementarbuch. ' I. Teil :
Lautlehre. Heidelbeig. 1902. B^.
: Sidrac in England, in der Festgabe für Wendelin
Förster. Halle. 1902. S^.
Burdach, Konrad: Zum Ursprung der Salomosage, in:
Herrig's Archiv. Bd. CVIII. Braunschweig. 1902. 8^
Ceriani, Antonius Maria: Fragmenta Parvae Geoesis
et Assumptionis Mosis, in: Monumenta Sacra et profana
ex codicibus Bibliothecae Ambrosianae. Tom I. u. V.
Mediolani. 1861 u. 1868. 4^
Cheyne, T. K., and Black, J. S.: Encyciopaedia Biblica.
London. 1899. 3 Bde. 4^
Ohild, Francis James: The English and Scottish Populu:
BaUads. Boston and New York. [1882—1894]. 6 Vol. 8«.
Concordantiae Sacrorum Bibliorum Vulgatae Editionis
emendatae primum a Francisco Luca, nunc studio Huberti
Phalesii. Venetiis. 1719. 4<>.
Concordantiarum universae scripturae sacrae thesaurus
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: in Paul's Grundriß 11«. 229.
II*
— XX —
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W ackernagel, Philipp: Das deutsche Kirchenlied von
der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVIII. Jahrhunderts.
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Weishaupt, Adam: Saturn, Mercur und Hercules, drei
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Wesselofsky, A.: Neue Beiträge zur Geschichte der Sa-
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S. 393 ff. und 548 ff.
: Slavische Überlieferungen über Salomon und Cen-
taurus und die westeurop. Legenden über Morolf und
Merlin. St. Petersburg. 1872. 8^ (russisch geschrieben).
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nesto Lamma, in: Giomale storico della letteratura
italiana VIII. Roma. 1886. 8^
Wetz er und Weite: Kirchenlexikon, (Artikel Salomo und
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Wilmanns: Recension von Vogt's Ausgabe, in: A. f. d. A.
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1885. 80.
- XXI —
Wynkyn de Worde: Legenda aurea. 1527. fol. (Trin. Coli.
Cambridge).
Zupitza, Julius: Lateinisch-Englische Sprüche, in : Anglia
I, (1878) 286.
: Zu Salomon und Saturn, in : Anglia in (1880), 527—531.
: Ein Zauberspruch, in: Z. f. d. A. N. F. 19. Bd.
Berlin. 1887. 8^
L Einleitung.
Die allgemeine Geschichte der Sagen von Salomo.^)
Nach jahrhundertelangen^ wechselvolleu Kriegen gelang
es endlich dem jüdischen Volke, unter Davids Anführung
über die feindlichen Nachbarstämme, besonders die Philister
Herr zu werden (2. Könige, Kap. 8 und 1. Paralipomenon
Kap. 20) ^), und durch weitere glückliche Siege erlangte Israel
') Über die allgemeine Sagengeschichte handelten : F. H. v. d. Hagen,
in der Einleitung der Ausgabe des Salomon und Morolf, in y. d. Hagen's
and Büsching's Deutschen Gedichten des Mittelalters I. Berlin 1806;
J. Grimm in der Besprechung dieser Ausgabe in den Heidelbergischen
Jahrbüchern der Literatur, 2. Jahrgang. 5. Abteilung. II. Bd. 14. Heft
(1809), ebenso in seinen kleineren Schriften IV. Siehe ferner Schelling :
Allgemeine Zeitschrift etc. 1813 ; Kemble in seiner Ausgabe des Salomo
und Saturn 1848; C. Hofmann: Über Jourdain de Blaivies, Apollonius
von Tyms. Salomo und Markulf, in den Sitzungsberichten der Münchener
Akademie der Wissenschaften 1870, philol.-histor. Klasse; W. Schaumberg,
Untersuchungen über das deutsche Spruchgedicht Salomo und Morolf,
in PBB. 11. Halle 1876. Grundlegend ist das Werk von Fr. Vogt; Die
deutschen Dichtungen von Salomon und 3Iarkolf I. Bd. Salman und
Morolf. Halle 1880. — Siehe femer Herford: Studies in the Literary
Relations of £ngl. and Germany. Cambridge 1886. £ine kurze Zu-
sammenfassung findet sich bei Grässe: Lehrbuch etc. II. 3. S. 466 — 71
und bei Migne: Dict. des Apocryphes IT, 872; beide jedoch veraltet;
vortrefflich, aber nur kurz bei Piper (1887) in Kürschner^s Deutscher
Nationalliteratur II. S. 196—206; ebenso bei Fr. J. Child (1884): The
English and Scottish Populär Ballads, Bd. V, S. 1 und 279 ff.; ganz
kurz bei H. Smyth (1898) : Shakespeare's Pericles and Apollonius of Tyre,
in: Proceedings of the American Philos. Society XXXVII, S. 288 ff.;
vgl. endlich auch fl. Varnhagen : Longfellow's Tales of a Waysideinn
und ihre Quellen. Berlin 1884. S. 26 ff.
*) Ich zitiere nach Augustin Arndt: Die heilige Schrift des Alten
und Neuen Testamentes. Regensburg 1899.
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologe. XXXI. 1
seine größte AusdehnuDg, vom Euphrat bis nach Ägypten
(2. Paral. Kap. 9). Die einsichtsvolle Regierung des weisen
David stärkte das Land auch im Innern, und so war Ruhe
in ganz Israel, als der kaum zwanzigjährige Salomo noch
bei Lebzeiten seines Vaters auf den Thron kam (1. Paralip.
Kap. 18 und 22). Unter seiner prunkvollen Herrschaft end-
lich trat das jüdische Volk in das Verkehrsleben ganz Vorder-
asiens ein. Dies erweckte den reflektierenden semitischen
Geist und brachte eine eigentümliche Weisheit, eine reiche
Fülle von Sprüchen der Lebensklugheit hervor. ^) Wie man
David als den Vertreter der lyrischen Gattung bei den Is-
raeliten ansehen kann, so erscheint nun Salomo als derjenige
der anomischen Weisheit, die bei den semitischen Völkern
die Philosophie der Inder und Iranier vertritt. Der Ruf
dieses weisen Königs, der tausendundfünf Lieder gesungen
und dreitausend Sprüche verfaßt hatte (3. Kön. Kap. 4, 32),
verbreitete sich über ganz Westasien. So zog nach der
Bibel die Köm'gin von Saba an seinen Hof, um diese Weis*
heit zu hören und ihn mit Rätselfragen ^) auf die Probe zu
stellen (2. Paralip. Kap. 9 und 3. Kön. 10, 1). Über diese
Begegnung Salomo's erhalten wir aus der jüdischen Sage nur
späten und fragmentarischen Aufschluß. In der arabischen
Sage trägt die Königin den Namen Bilqis. Schon Muhammed ^)
berichtet darüber in gekürzter Form, wodurch bewiesen ist,
daß er die Kenntnis der Sage bei seinen Zuhörern voraus-
setzte (27. Sure des Korans 21 — 45). Eigentümlich ist — wie
Hertz bemerkt — , daß der Königin in einzelnen Fassungen
der Legende selbst die tierischen Beine geblieben sind, um
^) Siehe den Artikel über Salomo in Albert Hauck's Baal-
encyklopädie für protest. Theologie. Leipzig 1883, S. 316.
') Hertz: Die Rätsel der Königin von Saba, in Z. f. d. A. XXVU.
Iff.; ferner R. Köhler, Germania XXIX, 53 ff. ; Kampers: Mittelalterliche
Sagen vom Paradiese und vom Holze des Kreuzes Christi. Köln 1897.
S. 28—34, 92—100; Rösch: Die Königin von Saba als Königin ßilquis,
in den Jahrbüchern für protest. Theologie 1880. VI, 624 ff.; Vogt: Über
Sibyllen-Weissagung, in PBB. IV. 48 — 100; vgl. ferner Gaster: Literatura
popularä romänä etc. S. 324 ff.
») Siehe Eisenmenger 1711. II. ßd. 443.
— 3 —
die es sich bei jener Täuschung in der jüdisch-arabischen
Sage handelt.^) Diesen Zug hat schon eine der frühesten Ge-
staltungen der Legende, welche in der Wiudsberger Hand-
schrift des Honorius Augustodunensis : De imagine mundi,
um 1150, interpoliert ist, und in einer lateinischen Predigt-
sammlung vom Ende des 12. Jahrhunderts wiederkehrt. ^)
Diese Legende liefert auch einen sehr interessanten Beitrag
zur Markolfsage, indem sie dem Salomo einen zwerghaften
Halbbruder zuschreibt, den die Königin von Saba auf ihre
Bitte zum Geschenk erhält.
Der Zug jener Königin steht jedoch nicht vereinzelt da,
denn in geistreichem Bätseispiel scheinen sich auch Hiram,
König von Tyrus, sowie der Tyrier Abdemon mit Salomo
gemessen zu haben. ^) Darüber berichtet uns Flavius Jo-
sephus^) im 1. Jahrhundert nach Christus, zuerst in seinen
Antiqq. judaic. VIIL 6, 3, und dann wieder Contra Apionem
I. 17, 18, wo er Auszüge aus Menander, welcher die tyrischen
Urkunden aus dem Phönizischen in das Griechische über-
setzte, sowie aus dem Historiker Dios gibt. Menander
sagt: Nach dem Tode des Abibai folgte ihm in der Re-
gierung sein Sohn Hiram .... Zu seiner Zeit lebte der
jüngere Sohn des Abdemon, welcher immer die Fragen löste,
welche Salomo, der König von Jerusalem aufgab. Und
Dios erzählt: Salomo habe dem Hiram Rätsel geschickt und
Ton ihm auf Verlangen welche bekommen; wer sie nicht
lösen konnte, sollte dem Erratenden Geld zahlen. Da nun
Hiram darauf eingegangen war und die Rätsel nicht lösen
konnte, so habe er dann viel Geld zahlen müssen. Dann
aber habe er durch den Abdemon, einen tyrischen Mann, die
Aufgaben lösen lassen, welcher nun seinerseits dem Salomo
andere Rätsel aufgegeben habe, die dieser nicht erraten
^) Siehe arabische Sage, unten Seite 9, und Hertz, a. a. O., S. 23.
*) Abgedruckt bei W. Meyer, Die Geschichte des Kreuzholzes vor
Christas, & 109 ff.
») Vgl. auch Smyth, a. a. O. 290; Child, a. a. O., Bd. I, 404.
*) £d. Haverkamp I. 434. 435 und IL 447—449. Siehe auch
J. Grimm, in den Heidelbergischen Jahrbüchern der Literatur, IL Bd.,
S. 260—251 und C. Hofmann, a. a. 0., S. 420.
1*
— 4 —
konnte und darom dem Hiram viel Geld dazu herausbezahlen
mußte.
Salomo's Weisheit tritt auch in jenem allbekannten Urteils-
spruche zutage, den er bei dem Streite der zwei Buhldimen
um das Enäblein fällte, welches die eine im Schlafe erdrückt
und der anderen in das Bett gelegt hatte, während sie das
lebendige ihr wegnahm (3. Kön. Kap. 3, 16). Wie nun hier
überall seine Weisheit gepriesen wird, so wird umgekehrt auch
getadelt, daß er sich von Gott abwandte ; dies hebt besonders
die Hagada hervor. Der Abfall von Gott hat seinen Grund
in der übergroßen Liebe Salomo's zu heidnischen Weibern.
Nach 3. Kön. 11 liebte er besonders die ägyptische Königs-
tochter Pharao's, ^) die er nach Kap. 3, 1 zu seiner Gattin
erkoren hatte, und der er auch nach Kap. 9, 24 ein Haus
errichten ließ. Er erregte aber den Unwillen Gottes da-
durch, daß er den Göttern seiner heidnischen Weiber Opfer
darbrachte und sogar Altäre erbauen ließ (vgl. Testament
des Salomo). Daher drohte ihm der Herr, sein Königreich
zu nehmen (Kap. II. 9 und 12). Daß dies wirklich einmal
eingetreten sei, schloß man aus der Stelle des Prediger's 1, 12 :
Ich, der Prediger, tmr König über Israel zu Jerusalem.
Nach 3. Kön. 1, 5 ist auch bekannt, daß Salomo's
Bruder ^) Adonia, der ältere Sohn David's mit der Haggith,
noch zu Lebzeiten seines Vaters die Krone an sich gerissen
hatte. Als nun Salomo, dem die Thronfolge versprochen war,
zum Könige ausgerufen worden war, verzieh er ihm ; als Adonia
aber die schöne Sunamitin Abisag, die junge Kebse des alten
David, durch Salomo's Mutter Bethsabe von ihm zur Gattin
erbat, benutzte Salomo diesen Verwand und tötete ihn ; denn
er befürchtete, es könnte ihm durch die Erfüllung dieser
Bitte der Anspruch auf mehr eingeräumt werden, zumal Adonia
den Feldherrn und Hohepriester auf seiner Seite hatte.
*) Siehe auch Vogt, S. IL.; vgl. G. Paris: La femme de Salomon,
in RomaDia IX. 1880. S. 463 und Literar. Centralblatt 1880, Nr. 40.
-) Vogt, S. LI vermutet hierin den Ausgangspunkt zu der Tat-
sache, daß in den slavischen Sagen der Freund Salomo^s als Bruder
dargestellt wird. Dagegen: Wilmanns in A. f. d. A. VII. 276.
— 6 —
Daa siDcL die biblischen Berichte über den Augustus und
Aristoteles der jüdischen Nation. Vergleichen wir damit die
Erzählungen über Salomo im Talmud^ so sehen wir, daß hier
weniger seine Macht und Herrlichkeit, als vielmehr sein Über-
mut und Abfall von Jehova, sowie seine darauffolgende De-
mütigung und Strafe hervorgekehrt werden.^)
Damit kommen wir zu den anderen semitischen Bearbeitungen
der Sage, in denen sogar die Geisterwelt Salomo Untertan ist
(s. Eisenmenger I. 355 ; Schaumberg S. 50 ; Vogt S. IL.). Bei
den Juden finden wir die Sage in kabbalistischen und talmu-
dischen Schriften, besonders in der Hagada ^) ausgeprägt.
Nach dem talmudischen Traktat Gittin, fol. 68 col. 1. 2, läßt
Salomo einen Teufel und eine Teufelin vor sich kommen, um
zu erfahren, wo der Wurm Sch&mir sei, durch dessen Eiaft
man die härtesten Steine spalten könne, die er für den
Tempelbau benötigte (siehe auch Vogt im Anhange). Diese
verweisen ihn auf den König der Teufel Aschmedai, der sich
auf einem Berge aufhalte und aus einer Wassergrube, die er
immer mit einem Stein zudecke und mit seinem Petschaftsring
versiegle, seinen Durst lösche.^) Salomo schickt nun den
Teufel Benajah dahin, damit dieser das Wasser auslaufen
lasse, dann mit Wein fülle, um so den trunkenen Aschmedai
in seine Gewalt zu bekommen. Dies gelingt ihm auch, und
so kommt der König der Teufel vor Salomo. Als dieser von
ihm den Wurm Schämir verlangt, bedeutet er ihm, daß der
Fürst des Meeres ihn besitze, der ihn dem Auerhahne gebe, auf
daß er ihn wohl verwahre. Er bekommt aber schließlich den
Schämir, woran sich dann die Geschichte dieses Wurms reiht. ^)
') Grünbaum: in der Zeitschrift der deutecben morgenländischen
Gesellschaft XXXI, 198 fif., wieder abgedrnckt bei Grünbaum: Gesammelte
Aufsätze zur Sprach- und Sagenkunde, herausgegeben von F. Perles,
Berlin. 1901, S. 22 ff.
*) Eisenmenger: Entdecktes Judentum. Königsberg. 1711. I, 350 ff.
II, 440 ff.; Grünbaam: Beiträge zur vergleichenden Mythologie aus der
Hagada, a. a. 0. 198 ff.; femer Vogt, S. XL VI; Wilmanns, in Z. f. d.
A. VII. 276 ; Wesselofsky : Neue Beiträge zur Geschichte der Salomons-
sage, im Archiv für slavische Philologie VI. 393 und &6öff.
'] Vgl. damit das Loblied auf Salomo, anten, S. 20.
*) Über den Schämir vgl. noch: Benj. E. Smith: The Cyclopsedia
— 6 —
Die Teufel helfen dem Salomo beim Tempelbau, solange
er Gott dieut ; nachdem er aber gesündigt, wenden sie sich
Ton ihm. Auch Aschmedai streift seine Ketten ab, daran er
gefesselt war und schleudert den König Salomo 400 Meilen
weit hinweg. Den zauberkräftigen Ring des Königs wirft er
in das Meer. Salomo muß nun drei Jahre betteln gehen.
Er kommt in das Land der Ammoniter, wird in die könig-
liche Küche geführt, wo er einige Speisen vor dem Könige
kocht und alsbald zum Küchenmeister angenommen wird.
Des Königs Tochter, Naama, verliebt sich in ihn und will
ihn zum Ehegemahl haben. Daraufhin aber verstößt der
König seine Tochter mit Salomo in eine Wildnis. Salomo,
der nach Nahrung ausgeht, kommt an einen Ort, wo er einen
Fisch kauft, in welchem sich sein Ring findet. Erfreut geht
er nach Jerusalem und treibt den Aschmedai von seinem
Thron. Er läßt dann den König der Ammoniter kommen
und zeigt ihm an, daß er sein Schwiegersohn sei. Auch
wird in dem talmudischen Traktat gesagt, daß Salomo alle
Tage von zwei Teufeln, Asa und Asael, zu denen ihn immer
ein Adler trug, Weisheit und Kunst« gelernt hätte (Eisen-
menger II. 440 und Säle: Koran S. 96).
In einer anderen talmudischen Variante^) will Salomo
die Kraft des gefangenen Dämons versuchen und dieser ant-
wortet ihm: Gib mir deinen Ring und ich will dir meine
Macht zeigen. Als Salomo seinen Wunsch erfüllt, wächst
Asmodeus (Aschmedai) riesig empor ; ein Flügel (Fuß) stützt
sich auf den Himmel, der andere auf die Erde. Er ver-
schluckt Salomo und speit ihn 400 Parasangen weit von sich ;
dort bleibt Salomo drei Jahre als Bettler. Inzwischen hat
sich Asmodeus in Salomo's Gestalt auf dessen Thron gesetzt
und herrscht, bis er Verdacht bei den Mitgliedern des Synhe-
driums erregt. Diese suchen den König auf, bringen ihm
den dem Dämon entwendeten Ring, worauf aber Asmodeus
davonfliegt.
of Names. London. [1894]. S, 904 ; ferner Baring-Öould : Curious Myths
of the Middle Ages, S. 386 — 416; Gaster: Literatura popularfi romänä,
S. 78-80.
») Siehe Wesselofsky, Archiv VI, S, 566.
— 7 —
Wie Wesselofsky zuerst gezeigt hat^), zerfallt die Tal-
muderzähluDg in zwei Episoden: 1. Fang des Asmodens; seine
Gespräche mit Benajab und Salomo; 2. Vertreibung Salomo's
durch den Dämon. Er erblickt in letzterer Episode den Ur-
sprung für die Erzählungen von der Entfährung der Ge-
mahlin Salomo's (siehe später), hingegen in der ersten, dem
Bestandteile der Gespräche, das Prototyp zu den Dialogen
zwischen Salomo und Saturn, Salomo und Morolf.
Irgend eine Variante der ersten talmudischen Erzählung
lag auch der muhammedanischen Legende von Salomo und
Sachr, der an Stelle Aschmedais tritt, zugrunde.^) Hier bei
den Arabern^ spielt Salomo jedoch nicht die kleinliche
Rolle wie bei den Juden, sondern er erscheint als ein großer
Zauberer, dem auf Gottes Geheiß acht Engel die Herrschaft
über die Winde übertragen. Der höchste gibt ihm einen
Edelstein, indem er sagt: Wenn du uns einen Befehl zu er-
teilen hast, so hebe nur diesen Stein gegen den Himmel,
uod wir erscheinen als deine Diener. Weitere vier Engel über-
geben ihm mit einem anderen Edelstein die Herrschaft über
alles, was auf der Erde und in der Luft lebt. Durch einen
dritten Edelstein bekommt er die Herrschaft über Land und
Wasser, so daß auf seinen Befehl die höchsten Berge ver-
schwinden. Ein anderer Engel überbringt ihm einen vierten
Edelstein, wodurch Salomo die Macht über das Geisterreich
erlangt. Diese vier Steine läßt Salomo nun zusammensetzen,
um jeden Augenblick Gebrauch von seiner Herrschaft über
das Tier- und Geisterreich, über Erde und Wind machen zu
können. Seine erste Sorge ist, die Satane und Djinn zu
unterwerfen. Er läßt sie alle vor sich kommen mit Aus-
nahme des mächtigen Sachr und des Iblis, des Meisters aller
») Archiv VI, 396.
«) Wesselofsky im Archiv VI, 666.
*) Siehe Weü: Biblische Legenden der Mnselmänner. Frankfurt.
1846, 226 ff.; Jos. von Hammer: flosenöl I. Stuttgart u. Tübingen. 1813«
S. 147 ff.; Rene Basset: Salomon (Solaiman) dans les legendes musul-
manes, in Revue des Traditions Populaires. Paris. 1888—1890, T. Ul,
S. 353-359, 503, 537-538; IV, 52—53, 231—234, 389-391, 486—493,
592-594; V, 298, 431.
— 8 —
bösen Geister. Jedem drückt er seinen Siegelring auf den
Hals, xxm sie als seine Sklaven zu zeichnen.
Diese bauen nun den Tempel. Es folgt dann dieselbe
Geschichte mit Sachr, der berauscht wird und dadurch in
die Macht Salomo's gerät, wie wir es schon bei Aschmedai
gesehen haben. Salomo will dann eine Pilgerfahrt nach
Mekka unternehmen. Zu diesem Zwecke läßt er einen großen
Teppich anfertigen, auf dem sich alle Pilger niederlassen. Den
Vögeln gebietet er, über dem Teppiche in geschlossenen
Reihen zu fliegen, um die darauf Befindlichen zu beschatten.
Den Winden befiehlt er, den Teppich mit allem, was darauf
ist, in die Höhe zu heben und nach Jathrib (Medina) zu tragen.
Als sie dort angekommen sind, geht er allein an die Stätte, wo
später Mohammed die erste Moschee errichtete und verrichtet
sein Mittagsgebet. Nach seiner Rückkehr müssen die Winde
den Teppich wieder nach Mekka tragen. Nach drei Tagen
will er nach Jerusalem zurückkehren. Als aber die Vögel
ihre Flügel ausbreiten, bemerkt Salomo ein Sonnenstreifchen
auf dem Teppich, woraus er schließt, daß irgend ein Vogel
seinen Platz verlassen habe. Ein Adler macht ausfindig, daß
der Wiedehopf fehle. Dieser muß ihn denn auch herbei-
schaffen, und der Wiedehopf entschuldigt sein Ausbleiben
damit, daß er bei der Königin Bilqis von Saba gewesen sei^
deren Geschichte er erzählt. Salomo hat von dieser noch
nie etwas vernommen; daher schreibt er an sie einen Brief,
drückt seinen Siegelring darauf und übergibt ihn dem Wiede-
hopf zur Beförderung. Bilqis erhält diesen am nächsten
Tage und schickt auf den Rat ihrer Großen Geschenke
an Salomo. Dann kleidet sie 500 Jünglinge als Jungfrauen
und ebenso viele Jungfrauen als Jünglinge und befiehlt
ersteren, sich wie Mädchen, letzteren, sich wie Jünglinge zu
benehmen. Auch durch andere Kunststücke sucht sie das
Prophetentum Salomo's auf die Probe zu stellen. Der Wiede-
hopf hört dies alles an und berichtet dem Salomo
dann ausführlich. Natürlich errät dieser bei der Ankunft
der Gesandten der Königin alles, die ihn nun mit der vollsten
Überzeugung seines Prophetentums verlassen. Bilqis kommt
dann selbst zu ihm; doch ehe er mit ihr das Lager teilen
— 9 —
will, möchte er über ihren Körper im Beinen sein und sehen,
ob sie wirklich Eselsfüße habe, wie ihm mehrere Satane glauben
machen wollen. Daher läßt er sie durch einen Saal führen,
dessen Boden von Kristall ist und unter welchem Wasser
mit allerlei Fischen fließt.^) Bilqis glaubt, sie müsse durch
das Wasser waten und hebt ihr Kleid bis zu den Knieen
auf; zu seiner großen Freude erblickt Salomo einen regel-
mäßig gebildeten Frauenfuß. Nun heiratet er sie, setzt sie
wieder als Königin Ton Saba ein und bringt jeden Monat
drei Tage bei ihr zu.
Bilqis erhält aber bald eine gefährliche Nebenbuhlerin
an Bjarada, der Tochter des Königs Nubara, welcher eine
der schönsten Inseln im indischen Meere beherrscht. Dieser
König ist ein furchtbarer Tyrann; Salomo zieht daher
mit so viel Truppen, als sein größter Teppich fassen kann,
gegen ihn, erobert die Insel und erschlägt den König mit
eigner Hand. Als er sich aus dem Palaste des Königs ent-
fernen will, tritt ihm eine an Schönheit selbst die Königin
von Saba übertreffende Jungfrau entgegen. Salomo läßt
sie auf seinen Teppich bringen und will sie zwingen, seinen
Glauben anzunehmen und sein Bett zu teilen. Djarada sieht
aber in ihm nur den Mörder ihres Vaters und erwiedert
seine Liebkosungen nur mit Seufzen. Als sie auch nach
einem ganzen Jahre noch immer ihr Herz seiner Ldebe ver-
schließt, fragt er sie, womit er ihren Schmerz lindern könne.
Sie bittet ihn darauf, durch einige Djinn die Statue ihres
Vaters aus ihrer Heimat holen zu lassen, um durch dessen
Anblick Trost zu erhalten. Salomo ist schwach genug,
ihrem Wunsche zu willfahren, und so zollt Djarada dem
Standbilde göttliche Verehrung. Vierzig Tage dauert dieser
Götzendienst, bis Assaf davon Kenntnis erhält und in einer
Predigt Salomo deshalb tadelt. Darauf eilt Salomo in das
Gemach Djaradas, und da er sie betend vor dem Bilde ihres
Vaters liegen sieht, zerbricht er dasselbe. Dann tut er 40
Tage lang Buße.
Als er eines Abends nach Hause zurückkehrt, und einer
') Vergleiche auch Köhler, Germ. XXIX, 53.
— 10 —
seiner Gattinnen seinen Siegelring aufzubewahren gibt, nimmt
der Djinn Sachr seine Grestalt an und läßt sich den Ring
von ihr geben. Als Salomo bald darauf ihn wieder zurück-
fordert, wird er verlacht und als ein Lügner aus dem Palaste
getrieben. 39 Tage irrt er so auf dem Lande umher. Am
40. Tage tritt er in den Dienst eines Fischers und hier
wiederholt sich dieselbe Geschichte, wie sie uns schon in dem
talmudischen Traktat erzählt ist, nur daß der König und
seine Tochter nicht erwähnt werden. Salomo kommt wieder
nach Jerusalem, wo er noch 10 Jahre regiert. Djarada will
er nicht mehr wiedersehen, dagegen besucht er die Königin
Bilqis regelmäßig. Nach deren Tode erscheint auch ihm der
Todesengel; beide gehen in einen kristallenen Saal, wo
Salomo betet. Dann stützt er sich auf einen Stock und
bittet den Todeseogel, ihm in dieser Stellung seine Seele zu
nehmen. Dieser willfährt auch seinem Wunsche, und erst
als der Stock, vom Wurm zernagt, mit ihm zusammenstürzt,
merken die Djinn seinen Tod. Engel tragen ihn dann, samt
seinem Siegelringe, in eine verborgene Höhle.
Daneben finden sich noch andere Sagen von Salomo's
Weisheit und ihrer Bestätigung im Gespräche mit Dämonen ;
so zum Beispiel die Unterhaltung Salomo's mit dem Dschinnen-
König Schachruch, ^) der ihm von den Sphären des Feuers,
des Wassers und der Luft erzählt, von den 7 Erden und den
7 Meeren, die er durchreist hat und endlich von dem das
ganze Universum umfassenden alten Weltdrachen, der die
großen Bevolutionen der Natar bewirkt. Er hat sieben
hohle Zähne, und diese Zahnhöhlen sind die sieben Höllen.
7mal 100000 Flügel aus biegsamen Edelsteinen streckt er in
das Unendliche;^ auf der Feder eines jeden Flügels steht
ein Engel mit feuriger Lanze, die alle zusammen Gott loben
und preisen. Alle 7mal 100 000 Jahre sagt der Drache:
Gott ist groß, und Lob sei Gott; dies sind die Jubeljahre
der Welt. Wenn er ausatmet, speit er die 7 Höllen aus,
und bringt jene großen physischen und politischen Revo-
lutionen hervor, welche die Oberfläche des Erdballs um-
^) Hammer, Rosenöl I, 205 ff. Siehe Vogt, S. LIII.
*) Siehe auch den babyl. Traktat Uittin. Näherei bei Vogt, S. 213 ff.
— 11 —
kehren. Wenn er einatmet, wird Ruhe und Ordnung wieder
hergestellt. Die Sterne sind die Schuppen seiner Haut, und
sein Schweif ist das Chaos. Alles, was da ist, umschlingt
er in sich selbst verschlungen, ein Bild der Unendlichkeit,
oder die Uuendlichkeit selbst. Die Ägypter haben sich die
Natur als ein Weib gedacht, das in der Stellung vierfüßiger
Tiere die Welt umfaßt Daher heißt der alte Drache bald
ein Weib und bald die Welt.
Endlich ist im Arabischen noch die Unterhaltung
Salomo's mit Simurg^) über das Schicksal und die Vorher-
bestimmung zu erwähnen.
Es fragt sich nun, ob nicht auch eine syrische Salomo-
Markolfsage existiert hat. Eine solche ist bis jetzt noch nicht
gefunden und auch nicht anzunehmen, zumal das zu einer
solchen Hypothese angefiihrte Zeugnis des Erzbischofs Wil-
helm von Tyrns bereits von Schaumberg (S. 44) zurückge-
wiesen wurde. Wilhelm fährt in seiner Historia rerum in
partibus transmarinis gestarum lib. XIII. c. 1 . ^) den bereits
zitierten Ausspruch des Josephus an und bemerkt in bezug
auf Abdimus: Et hie fortasse est, quem fabulose popularium
narrationes Marcholfum vocant, de quo dicitur, quod Salo-
monis solvebat senigmata, et ei respondebat, aequipoUenter
iterum solvenda proponens. ') Dieser Ausspruch beweist je-
doch nur die Verbreitung der Markolfsage zu Wilhelm's Zeit
(um 1170), wird aber durch frühere Zeugnisse hinfällig ge-
macht.
>) Roßenöl I, 244 ff.
°) £d. Bongars: Oesta Dei per Francos II, 834.
') Melch. Goldast (unter dem angenommenen Namen Georg Erhard)
in seinen Symbolae ad Petron. Francof. 1621. 8^ p. 726 (zuerst Heleno-
polis. 1610. 8^] führt diese Stelle an. Entdeckt wurde dies von Eschen-
burg, Denkmäler 175. Wieder abgedruckt bei v. d. Hagen, in seiner
Ausgabe, S. III, Anm. Er sieht hierin den orientalischen Ursprung der
Sage. Siehe auch Görres: Die teutschen Volksbücher 1807, S. 192;
Grässe, a. a. 0. II, 3, S. 466; Grimm, a. a. 0., S. 249 (EL Sehr. IV,
47 ff.); Kemble, S. 11; 0. Keller: Untersuchungen über die Geschichte
der griechischen Fabel, S. 370; vgl. C. Hofmann, a. a. 0., S. 421. Da-
gegen wandte sich Schaumberg: PBB. 43 ff. Von neuem wurde die
Frage untersucht von Vogt, S. XL VI.
— 12 —
So liegt also in dem Zauberringe die Macht Salomo's
über die DämoDen. Einen wichtigen Beitrag für die Eni*
stehungsgeschichte der Sage von Salomo und seinem Kampfe
mit den Dämonen lieferte K. Burdach^): „Die um das
Jahr 385 schreibende französische Jerusalempilgerin, deren
noch nicht lange bekanntes Reisememoire man sich gewöhnt
hat als S. Silviae peregrinatio zu zitieren, erzählt, in der
Kirche des hl. Grabes habe bei der liturgischen Ausstellung
des Kreuzes Christi am Karfreitag, nachdem diese kostbarste
B^liquie von allen Anwesenden geküßt worden war, ein Diakon
auch noch den Ring des Salomo und das Hörn, womit die
alttestamentlichen Könige gesalbt wurden, zur Verehrung und
zum Kuß dargereicht (Kap. 37, Itinera Hierosolymitana reo.
P. Geyer, im Wiener Corpus Scriptorum ecclesiasticorum
latinorum Vol. 29, S. 88). Zwei Jahrhunderte später be-
stimmte der Breviarius de fiierosolyma (ebda. S. 154) das
noch genauer : der Siegelring Salomo's werde gezeigt, mit dem
er sich die Dämonen unterworfen habe, und er bestehe aus
Elektrum. Aber schon das älteste Palästina-Itinerar, im
Jahre 333 von einem Siidfranzosen verfaßt, kannte in Jeru-
salem eine Krypta am heilkräftigen See Bethesda (Betsaida),
in der Salomo die Dämonen peinigte, und ein auf wunderbare
Weise mit einem einzigen Stein gedecktes Gemach an der
Stelle des einstigen Salomonischen Tempels, wo der alt-
testamentliche König „die Weisheit beschrieb", d. h. die
Proverbien und den Koheleth (und das Buch der Weisheit?)
verfaßte.
In diesen magischen Werkzeugen des Salomo, in diesen
fabelhaften Lokalitäten seiner Zauberkraft, die von der wunder-
süchtigen Andacht und unermüdlich schöpferischen Phantasie
der altchristlichen Jerusalempilger angestaunt, und mit mär-
chenhaften, immer weiter ausgedichteten Geschichten jüdischer
und arabischer Herkunft iimsponneu wurden, liegt unzweifel-
haft der Ausgangspunkt für die gesamte internationale Sa-
lomosage des Mittelalters. Noch im 12. Jahrhundert dauerte
») In Herrig'fl Archiv CVIII, 131; ferner 7. Kap. yon Burdach,
Longinas und der Gral (noch nicht erschienen).
— 13 —
die alte Filgertradition über Salomo fort; im Jahre 1137
wiederholte der Bibliothekar von Monte Cassino Petms Dia-
konus die Erzählung von dem Hom und dem Ring Salomo's,
die in der Grabeskirche zu Jerusalem gezeigt würden.^ Bur-
dach fügt hieran die Frage: „Ist danach das geblasene
Signalhorn König Salomos in der russischen Überlieferung
nur eine mißverständliche Umgestaltung des ursprünglichen
Salbhoms?«
Aus dem Orient wanderte die Sage nach dem Abendlande,
Den ältesten Inhalt derselben in Europa yersuchten Yogt^
S. XL VII und Wesselofsky zu rekonstruieren, und ich ver-
weise darauf.') Die Sage erzielte im Abendlande einen
riesigen Erfolg; sie wurde in alle Vulgärsprachen übersetzt
und fast überall auch poetisch behandelt. Aus der orien-
talischen Sage entwickelte sich nach Vogt die griechisch- by-
zantinische. Hierher gehört das apokryphe Testament des
Saiomo ^\ in dem sich Salomo mit den Dämonen unterredet
und ihnen ihre Verrichtungen anweist; aus ihm erfahren wir
auch, daß sich Salomo zum Molochdienste verleiten ließ, um
die Jebusitertochter Sulamith ^ zu gewinnen. Ferner gehört
hierher die Hygr'omantia SaUnnonis ad fdium Rohoam *) und die
Töv SoXo^cjvianUInf eidrjaig,^)
Von Byzanz waoderte die Sage über südslavisches Gebiet
(serbisch-bulgarische •) Fassungen des XII — XIV. Jahrb. sind
vorhanden gewesen) nach Rußland.'^)
») Wesselofsky, Archiv VI, S. 406-410 und 564 ff.
*) Testamentum Salomonis, in Migne: Patrolog. Graeca. Bd. 122.
Sp. 1315 — 58. In deutscher Übertragung von Aug. ßornemann, in
lUgens Zeitschrift für die historische Theologie 1844, III, 9.
') Siehe G. Paris: La femme de Salomon, in Romania IX, S. 436
—443, und Litterar. Centralblatt 1880. Nr. 40, Sp. 1333-35.
*) Fabricius: Codex pseudepigraphus veteris testamenti I. S. 1046.
*) Siehe auch eine griechische Fassung der Sage bei Michael
Glykaa, ed. Bonn, S. 342; ferner Fabricius, a. a. O. I, 1047.
•) Jagiö: Die christlich-mythologische Schicht in der russischen
Volksepik, im Archiv für slav. Philol. I, llOff. S. Vogt, S. XLVIII, Anm. ;
femer Vamhagen, a. a. 0., S. 28 ff.; Child, Fr. J., a. a. 0., Bd. V. S. 3.
^ Jagiö, a. a. 0., S. 103 ff. Ferner die russisch geschriebene Ab-
handlung Wesselofsky's : Slavische Überlieferungen über Salomon und
— 14 —
Hier ist sie in drei yerschiedenen HauptfassuDgen ^)
überliefert, die insofern den semitischen Bearbeitungen noch
am nächsten stehen, als Salomo noch Beziehungen zu außer-
menschlichen Wesen hat. In den Volksliedern sucht ein
Kaiser Vasilj Okuljevid eine durch Schönheit und Ver-
stand ausgezeichnete Gemahlin, worauf ihm seine Großen
Salomo's Gemahlin Salmanija yorschlagen (vgl. Sulamith).
Ein gewisser Ivaska entführt^) die Eöaigin, indem Boten,
als Kaufleute verkleidet, über das Meer fahren, die Königin
auf das Schiff locken und sie betäuben. Nach drei Jahren
kommt aber Salomo, als Pilger verkleidet, zu ihr; sie erkennt
ihn, setzt ihn in einem eisernen Koffer gefangen und gibt ihn
in die Gewalt Vasiljs. Dieser bestimmt für ihn den Tod am
Galgen; als Salomo gehenkt werden soll, erbittet er sich als
letzte Gunst, sein Hörn noch einmal blasen zu dürfen, da er
das Spiel von seiner Jugend her, als er das Vieh weidete,
lieb gewonnen habe. Auf dieses dreimal gegebene Zeichen
eilen geflügelte Roßmenschen herbei, die ihn befreien. Statt
seiner werden nun Vasilj, Salmanija und Ivaska aufgeknüpft.
In einer russischen Prosaversion ^) besticht Salomo, als
alter Pilger verkleidet, durch einen goldenen Ring eine Jung-
frau an einem Brunnen, ihm einen Trunk aus einem dem
Könige gehörenden Becher zu gestatten. Die Königin er-
kennt dann am Ringe, daß der Fremde ihr Mann ist.
Salomo soll gehängt werden, wird aber durch sein Horn-
blasen befreit. Eine andere Fassung*) kennt Kitovras als
Entführer von Salomo's Gattin, der einen als Kaufmann ver-
kleideten Zauberer zu Salomo schickt. Dieser kauft einen
CeDtaurus und die westearopäischen Legenden über Morolf und Merlin.
Petersburg 1872, u. Archiv für alav. Philo!. VI, 405—406 und 549 ff.
Vgl. dazu Vogt, S. XLII, u. S. 213 im Anhang eine elaviache Bearbeitung
von Salomo und Aschmedai, ferner Dunlop, History etc.. revised by
Wilson II, p. 637; Gaster, a. a. 0. 332; Varnhagen, a. a. O. S. 48;
Child, a. a. 0. Bd. V. S. 2 und 279 ff.
*) Siehe auch Wilmanns in A. f. d. A. VII. 274.
^ Über den Ausgangspunkt fdr die Entführung siehe Vogt, S.
XLVIIIff.
') Vogt, S. XLm und Wesselofsky in Archiv VI, 396.
*) Wesselofsky in Archiv VI, 406-407.
— 15 —
Farptir und bittet den Kaufmann, bei ihm am nächsten
Tage zu speisen. Bei dieser Gelegenheit versenkt der Gast
die Königin in Schlaf und trägt sie auf das Schiff. Als
Salomo erfährt; daß seine Gemahlin bei dem König Kitovras
ist, verkleidet er sich als Bettler und zieht mit einem Heere
hin. Auf sein Homblasen kommt ihm sodann sein Heer zu
Hilfe. In anderen Versionen ist der Eotführer der König
von Cypern ^) oder der König Porus von Indien.
Was die russischen Sagen betrifft, die sich an Salomo's
Mutter angeheftet haben, so möchte ich für diese auf Wesse-
lofky's Abhandlung im Archiv VI. S. 574 verweisen.
Zu den slavischen Bearbeitungen gehören auch ver-
schiedene polnisclie *) ; besonders in die Walthersage sind ähn-
liche Züge aufgenommen worden. Graf Walgerzs (Walther
der Starke) hält sich eine Zeitlang am Hofe des Königs von
Franken auf, dessen Tochter die schöne Helgunda ist. Sie
verliebt sich in ihn, beide entfliehen über den Bhein, nicht
ohne daß er zuvor einen Kampf mit dem anderen Liebhaber,
einem alemannischen Königssohn, zu bestehen hat. Nach
einigen Jahren besiegt Walgerzs den schönen Wislaw, Herrn
von Wislicz, und legt ihn in seiner Burg gefangen. Hel-
gunda verliebt sich in ihn und begibt sich mit ihm auf die
Flucht. Sie weiß dann Walgerzs in Wislaw's Gewalt zu
locken. Seine Bewachung ist Wislaw's häßlicher Schwester
anvertraut, die, von Liebe zu ihm gerührt, ihn befreit, worauf
er Wislaw und Helgunden tötet.
Eine welsche Bearbeitung der Sage zitiert Kemble
S. 99, und über den Einfluß anderer indogermanischer Sagen
siehe Otto Keller *), der auf eine große Ähnlichkeit der Aesop-
^) Wesaelofsky im Archiv VI, S. 398, 406 und 648 ff.
*) Siehe Kemble, S. 98; ferner Boguphal: Chronicon Poloniae, in
Monumenta Poloniae historica, ed. Bielowski II, 012—514; J. Giimm:
Latein. Gedichte des 10. und 11. Jahrh. Göttingen. 1838, S. 112 ff.;
F. liebrecht: Die slavische Walthariussage, in Benfey's Orient und Oc-
cident I, 125—129; ferner Germania XI, 172—173, XXV, 38; Vogt,
S. LXVUI; Wilmanns A. f. d. A. VII, 283.
*) Untersuchangen über die Geschichte der griech. Fabel, im Jahr-
buch für klass. Philol. Supplement Bd. IV, S. 36 ff., auch separat er-
schienen, Leipzig 1862.
— 16 -.
und Markolfsagen hinweist, ebenso Schaumberg (S. 37) ; doch
erklärte sich dagegen Vogt S. LVI.
Dem Abendlande kann die Sage in ihrer byzantinischen
Fassung nur durch lateinisdie Übertragungen vermittelt worden
sein. ^) Allein die erhaltenen lateinischen Bearbeitungen^)
sind später und haben eine von den Sagen abweichende Ge*
stalt. Der ungeschlachte Marcolphus kommt mit seiner eben
so häßlichen Frau vor Salomo und stellt sich erst Yor, nach-
dem ihm Salomo seine Abstammung yon 12 Generationen
berichtet hat. Es folgt die Beschreibung der beiden Ehe-
gatten, worauf dann das Urteil Salomo's über die zwei Buhl-
dimen angeführt wird. Alsdann wechselt Rede mit Gegenrede
ab, da Salomo mit Marcolphus disputieren will, nachdem er
ihn als einen schlagfertigen Menschen erkannt hat. Der
Dialog besteht aus lauter Sprichwörtern und Salomo's Satz
und Marcolph's Gegenrede sagen im wesentlichen dasselbe,
nur daß sich Marcolph immer unanständig ausdrückt. *) Ver-
gleicht man die Sprichwörter, welche Salomo dem Marcolph
vorlegt, mit den sogenannten Salomonischen Sprichwörtern
des Alten Testamentes, so zeigt sich erstens, daß die letzteren,
wenn auch nicht mit denselben Worten, so doch dem Sinne
nach gleich, sich in ersteren wiederfinden, zweitens, daß in den
Proverbia Salomonis ein besonderes Narrenkapitel ist und zwar
gerade das 26., in welchem Vers 8 ein Merkur erwähnt wird. *)
^) Über Hss. und alte Drucke der lat. Gedichte siehe Eschenburg
in Bragur IT, 456; v. d. Hagen, a. a. 0., S. IV, Anm. 4; Kemble, S. 30ff.;
Hofmann, 422 und 431; Schaumberg, S. 2 ff.; Kürschner, S. 200; Duff:
Anhang.
*) Auszüge bei v. d. Hagen, S. VI— XH; Schaumberg, S. 8—10,
siehe auch Kemble, S. 31. Über eine Sapientia Salomonis siehe Levin
Ludw.- Schücking : Studien über die stoffl. Beziehungen der engl. Komödie
zur italienischen bis Lilly. Göttinger Diss. Halle. 1901, S. 12, Anm.
') Siehe Hofmann, a. a. O. 431. Eine Vergleichung zwischen dem
deutschen und lateinischen bei Schaumberg, S. 4, ebenso Kemble, S. 50.
*) Von alten lateinischen Drucken konnnte ich im Britischen Museum
einsehen: 1. Dyalogus Salomonis ^ Marcolfi G. L. [Oologne? 1473?]
4®; registriert I. A. 4442 (früher C. 53. c. 28). 2. Dyalogus Salomonis
et Marcolfi G. L. [J. und C. Hist: Spire 1480?] 4»; registriert 1070.
m. 44. 3. Dyalogus Salomonis et marcolfi G. L. [H. Knoblochtzer: Straß-
— 17 —
Im Abendlande taucht eine Notiz über Salomo zum 1. Male in
dem sogen. Decretum Damasi ^) (366 — ^884) auf, das unter an-
deren Büchern, wie Physiologns, vom Drachen usw.^ anoh eine
Oootradictio Salomonis ^) verdammt. Was diese Contradiotio
enthielt, wissen wir nicht, da jede Spur verloren ist. Näheres
darüber siehe bei meiner UntersuohuDg über die Quelle für die
altengl. Fassungen (8. 108 ff.). Den ältesten Hinweis auf den
Namen Marculph liefert unser ae. Text von Salomo und Saturn
(vgl. darüber später) ; weitere Anspielungen und damit auch Zeug-
nisse für das Bekanntsein der Legende finden sich bei Notker^)
in der Paraphrase des 118. Psalms, dann bei Freidank*),
Agricola'), dem provenzalischen Dichter Rambaut d'Aurenga ^)
burg 1483?] 4»; registriert 12330. g. 36. 13 Blätter, von denen nur die
erste Seite blank ist. (Falsch im Katalog angegeben.) 4. Incipiaut ool-
latiofies quas diountur feoiase matno rex salomo» sapientissimtiS et mar-
colphas facie deformis et turpissimue tame» yt fertar eloquentifleimas
feliciter. Ms. Notes. Q. L. [C. Kachelofen: Leipsic 1485?] 4^^; registriert
I. A. 11653, früher 12316. d. 9. 5. Incipiunt coUationes quas dicuntur
fecisse mutoo Rex salomon sapientissimus et Marcolphus facie deformis
€t tnrpissimus tamen vt fertur eloqaentlssimus feliciter. G. L. [C. Rachel-
ofen: Leipshs U90?] 4°; registriert I. A. 116&5, frtiher 12816. d. 66.
Die anderen dortselbst aufbewahrten lat. Drucke scheinen nach der
Übereinstimmong^ der Anfangszeilen denselben Inhalt zu bieten, wie die
angeführten.
^) Früher als Decretum Gelasii angesehen ; vgl. Friedrich : Sitzungs-
berichte der bayr. Akad. der Wissensoh. phil. bist. Klasse 1888, I, 54£r.
und Zahn, Geschichte des neutestamentlichen Kanons II, 1, S. 259 ff.
>) Siehe Hoffmann, a. a. 0. 421; y. d. Hagen, S. IV.
") Siehe Keusch, Heinrich: Der Index der verbotenen Bücher.
Bonn. 1883-85. 1. S. 12 und 330; A. Thiel: Epistolae Rom. Ponti-
ficum. Brunsbergae. 1868. I. 469; vgl. auch Schaumberg, a. a. 0. S. 32
und Schaubach: Gregor Hayden's Salomon und Marcolf. Dias. Leip-
zig. 1881.
^) Siehe Grasse, S. 466; Notker ed. Piper II. 522, 12—22; ferner
Vogt, S. LVI.
*) £d. Grimm 81, 3. Siehe auch v. d. Hagen, S. XIV; Schaum-
berg, S. 28; vgl. Vogt, S. XV; Eschenburg, S. 177.
*) Siehe Kemble, S. 67; daselbst noch andere Anspielungen in
deatffchen Dichtungen.
''} Siehe Kamble, S. 13, der nooh andere Anspielungen in der
franz. Lit. angibt; vgl. Schaumberg, S. 34 ff.
Vftxicliener Beiti&ge z. romanischen n. engl. Philologie. XXXI. 2
— 18 —
(f 1173). Es folgt dann das bereits angefahrte Zeugnis des
Wilhelm von Tyrus über Marcolph. ^)
Von allen germanischen Bearbeitungen ist die altenglisrJie
Sage von Salomon und Saturo, der die vorliegende Unter-
suchung gewidmet ist, die älteste. Im Deutschen müssen wir
nun verschiedene Fassungen der Sage unterscheiden. (Siehe
Kürschners NatLitt. XI, 296 und Wilmanns, A. f. d. A. VII,
275). Der ursprünglichen Fassung kommt vielleicht der An-
hang zum Sprachgedichte am nächsten (vgl. Vogt S. LXIII
und Wilmanns S. 277; doch siehe Wesselofsky S. 564).
Hauptsächlich sind aber 3 Bearbeitungen in betracht zu
ziehen: 1. Salman und Morolf. -) Dieses Spielmannsepos
handelt von 2 Entführungsgeschichten der Salme; sein Inhalt
ist nach Vogt kurz folgender: Salman, König von Jerusalem
und Kaiser der gesamten Christenheit, hat die Tochter des
Königs Cyprian von Indien, namens Salme entführt und zur
Christin gemacht. Jenseits des Meeres herrscht zu Wendel-
see der mächtige Heidenkönig Fore, der Sohn des Memerolt;
er fordert seine Helden auf, ihm zu einer würdigen Gattin
zu raten, worauf ihm Salme genannt wird. Er beschließt,
diese mit Gewalt zu rauben, wird jedoch im Kampfe ge-
*) Über den Namen Marcolph siehe Eschenburg, Denkmäler 173;
V. d. Hagen IV, Anna. 3; Schelling, a. a. 0. 369; Mone. Anzeiger 1836 ;
Hofmann, der den Namen mit dem hebr. Mahol identifiziert, a. a. 0.
S. 418, 425; Schaumberg, S. 48; Vogt, S. LVII; Herford, Studies,
S. 250 u. 293; Eisenmenger, S. 65. 153; besonders Liebrecht zur Volks-
kunde, S. 346; über Marcolf bei Lydgate: Order of Fools, siehe ß. E.
T. S. Extra Series VIII. 79.
•) Ed. V. d. Hagen, S. 1 — 43; neu herausgeg. von Vogt mit aus-
führlicher Einleitung. Siehe auch Schaubach für Hs. und Drucke. Ferner
PauPs Grundriß « II, 230; Fei. Liebrecht, in Germania XXI, 385 und
XXV, 33—40; Friedr. Panzer: Hilde-Gudrun, S. 268; Wilmanns im
A. f.d.A. VIL 274—301; Fr. Panzer: Erzbisch. Albero v. Trier und die
deutschen SpieLaoannsepen, in den Germanistischen Abhandlungen, Her-
mann Paul zum 17. März 1902 dargebracht. Straßburg 1902, S. 318 ff.;
vgl. G. Paris: Li Bastars de Buillon, in Romania VII, 1878, S. 462;
femer Wesselofsky : El dyalogo di Salomon e Marcolpho etc. in Giornale
storico della letteratura italiana VIH, S. 275 — 276; Singer: Salomo-
sagen in Deutschland, in Z. f. d. A. XXXV (N. F. XXHI), S. 177-187;
Goedeke, Grundriß I», S. 68.
— 19 —
fangen genommen. Salman übergibt ihn seiner Frau zur Be-
wachung, entgegen der Warnung seines Bruders Morolf.
Fore schenkt der Königin einen Bing, wodurch sie von Liebe
zu ihm ergriffen wird. Schließlich befreit sie ihn, und nach
einem halben Jahre läßt er sie durch einen Spielraann ent-
führen. Morolf muß nun die Königin ausfindig machen, was
ihm auch gelingt. Salman rüstet ein großes Heer aus, das
Morolf im Tannenwalde im Lande des Fore versteckt.
Salomo, als Rlger verkleidet, geht auf Fores Burg, wird
aber von Salme erkannt und soll am nächsten Tage gehängt
werden. Unter dem Galgen erbittet er sich als letzte Gunst,
noch einmal sein Hörn blasen zu dürfen, damit St. Michael
zur Rettung seiner Seele herbeieile. Dies ist aber nur das
verabredete Zeichen für Morolf, der herbeieilt und die Heiden
besiegt. Fore wird überwältigt, Salme aber nach Jerusalem
geführt. Nach Verlauf von 7 Jahren beschließt der König
Princian von Akers, die schöne Salme zu entführen. Als
Pilger verkleidet kommt er nach Jerusalem, wirft einen Ring
in den Becher, wodurch die Königin von Liebe zu Princian
erfaßt wird und nach 12 Wochen mit ihm entflieht. Salman
sichert Morolf das Leben der Königin zu, wenn er sie wieder
zurückbringt. Dieser entdeckt den Aufenthalt der Königin,
doch Salman will sich nicht noch einmal der Lebensgefahr
aussetzen. So zieht Morolf mit einem Heere gegen Princian,
besiegt ihn, schenkt ihm aber die Freiheit. Princian ver-
bündet sich mit seinem Bruder Belian, jedoch Morolf siegt
abermals. Er kehrt nach Jerusalem zurück, wo er dann die
Salme im Bade ermordet.
Die zweite Fassung im Deutschen ist in dem Spruch-
gedicht gegeben, das den Titel: Der andere Morolf^) führt.
Dieses bietet im wesentlichen denselben Inhalt wie die la^
teinische Prosa. Zuerst tauschen Salomo und Morolf Weis-
heitssprüche aus, es wird das Urteil Salomo's über die 2
Buhldirnen erwähnt ; im 2. Teile werden verschiedene Streiche
') £d. V. d. Hagen, S. 44 — 64; ferner von Schftumberg und Vogt.
Siehe auch Piper in Kürschner's National-Litteratur ü, 206; femer
Bech in Pfeiffer's Germania XV, 129; Jantzen: Geschichte des deutschen
Streitgedichtes im Mittelalter, S. 21 und 86.
2*
— 20 ~
Horolf 8 erzilhlt, wofttr er gehängt werden soll. Er darf »ch
den Baum dazu selbet wählen; da er aber natürlich keinen
passenden ^odet, unterbleibt die Zeremonie. Dieses Spmcb*-
gedicht wurde später noch einmal bearbeitet um 1450 durch
Gregor Haiden, welcher es dem Landgrafen Friedrich VII.
Ton Leuchtenberg ^) zueignete (S. Sohaubach: Diss. Leipeig
1881.) In dritter Linie wurde die Sage auch dramatisch
behandelt, in der Form eines Fastnachtsspieles von Hans
Folz^) (ca. 1480), dann Ton Hana Sachs ^), der in zwei
Stücken den Gegenstand benutzte.
Ferner ist noch die deutsche Prosa*) zu erwähnen, die
die Unterredungen Markolf s mit dem Könige und die Streiche
des ersteren erzählt, wie sie in der lateinischen Prosa ge-
schildert sind. Über spätere Anspielungen auf die deutsche
Sage (wie bei Luther) vgl. Kemble 8. 68 ff.
Wichtig ist endlich noch das dem 11. Jahrhunderte an-
gehörige „Loblied auf Salomo"*), das die Sage von dem
Drachen erzählt, der berauscht und gefangen wird, der also
seine Beziehung zur jüdischen Fassung nicht verleugnen kann.
Eine nordische^) Bearbeitung der Sage gibt uns Auf-
schluß, wie Hjorleif, der Weibertolle — der drei Weiber zu
gleicher Zeit sein eigen nennt — von einem seiner Schwieger-
väter überfallen wird. Er entkommt aber aus der Biirg und
begibt sich auf einem Schiffe nach Hreidar's Wohnsitze, wo
er jedoch auf Betreiben einer seiner Frauen an seinen Schuh-
*) Siehe Kürschnert National-Litteratur U, 212, gedruckt bei
Kürschner XI, 293—361. Ein Teil bei v. d. Hafren, 8. XUI.
*) V. d. Hagen, S. X V; Gödeke, Liitg. I>, 332—54; Jautzen, a. a. 0.
S. 94.
') V. d. Hagen, S. XV ; Gödeke, ib. II ', 412 ; siehe auch Kürschner
II, 214 und Arnold in Kürschner's Nat.-Litt. ßd. XXI; femer Kemble 96.
*) Siehe Eschenburg in Bragur HI, 381—82, Anmeik.; dann
£sehenburg, Denkmäler 17, 2-^3; v. d. Hagen, S. XIV; fernar Daff,
p. XVI.
^) Abgedruckt bei Goedeke : Deutsche Dichtung im Mittalaltar ',
S. 102 ff.; Tgl. üerner Goedeke's Grondrifl I', S. 38.
*) F. Liebreoht, Zur Volkakande, S. 42 ; Tgl. Liebrecht in Germania
XI, 178 und Germania XXV, 89; Tgl. auch Kemble, S. 97; ferner Vani-
hagen a. a. 0. S. 28 und E. Mogk, in: Paol't Grundriß II >. S. 884.
_ 21 —
bändeni zwischen zwei Feuero aufgehängt wird« Als a.ber
seine Feinde eingeschlafen sind, befreit ihn eine seiner anderen
Frauen, und er rächt sich an seinen Feinden.
Eine niederdeutsohe Darstellung der Sage erwähnt
Ebchenburg, Denkmäler S. 178, ferner v. d. Hagen S. XVIII,
Anra. S3; vgl. Eemble S. 97 und Goedeke's Grundriß I^
S. 467; eine dänische Bearbeitung fand Nyerup, Bragur III.
3Ö8— 369, ib. 380 und 392; vgl. Hagen, Einleitung S. XVII;
Odrres: Über die teutschen Volksbücher S. 188 ff. ; Kemble
S. 97; Cbild, a. ä. O. Bd. V. S. 8 und 280, der auch eine
schwedische und norwegische Fassung daselbst S. 7
und 280 angibt.
Nachdem wir so die germanischen Bearbeitungen der
Salomosage betrachtet haben, wollen wir nun zu den roma-
nischen ttbergehen. Das Französische^ welches hauptsächlich
durch die Baschheit, mit der es sich der neuesten Stoffe be-
mächtigte und dieselben in poetische Formen brachte, seinen
Ruhm als Weltlitteratur gewonnen hat, besitzt eWei Gedichte
mit der Überschrift Salomon et Marooul. ^) Eine dritte
Version ist verloren (Kemble S. 81). Das erstere: La die»
putation de Salomon et de Mareen ') , ist eine späte Be-
arbeitung der Sage, in der Mareen in obscöner Weise die
Gewohnheiten schlechter Dirnen darstellt.
Das zweite Gedicht, Proverbes de Marcoul et de Sale-
mon *), ist das Produkt eines Gelehrten; es enthält Weisheit»*
^) Über den Namen vgl. Liebreoht: Zar Volkskunde, B. 846 ff.;
femer Gi^lase a. a. 0., Kemble a. a. O., S. 73^84; Hofmann a. a. O.,
Smyth a. a. 0.
^ Gedrackt bei Mone: Anzeiger för Kunde der teutschen Vorzeit,
1886, V, 8. 6Bff. Ich habe selbst eine andere Darstellung der Sage im
Britischen Museum eingesehen, betitelt: Lts dictz de Salomö: anec
queetes responces de Maroou Fort joyeuses ; registriert unter 0. 22. a. 35.
Das „Fort joyeuses^ besieht sich besonders auf die ,,putain^. Siehe
aneh Oröber's Grundriß IT, S. 700 und Kürschner a. a. O.; femer: His-
toire Htt4raire de la France XXII, 421 und BomaniaVII, 461; endlieh
Kemble, S. 76.
*) Gedruckt bei Crapelet: Proverbes et Dictons populaires aux
Xm« et XIV« siecles. Paris 1831, S. 188^200 (und Literatur daselbst).
Vergleiche auch Sehaumberg a. a. 0., S. 30; ferner Histoire littöraire
— 22 —
Sprüche und ist durchaus ernst gehalten. — Anklänge an
die Sage finden sich noch in einer Episode des Bastars de
Buillon^), wo ein Bastard Baudouin Ludie raubt und sie
gegen ihren Willen heiratet. Sie aber entflieht zu ihrem
Verlobten Corsabrin und dann folgt dieselbe Geschichte
unter dem Galgen wie im Deutschen. ^) Ferner wird im
Huon de Bordeaux^) auf die Sage angespielt; dieser ist
durch Oberons Güte in den Besitz eines Homes gekommen,
das ihm in der Stunde der Gefahr die Hilfe des mächtigen
Geisterkönigs und seiner Scharen sichert; ein Bing, der zu-
erst im Besitze des Riesen Orgueilleux war, der aber von
Huon getötet wurde, verleiht ihm wunderbare Kraft. Auch
ihm gibt im Gefängnis ein Mädchen Trost und Hilfe. Sein
Gefolge hat er zurückgelassen usw. Über spätere Anspielungen
(bei Rabelais) vgl. Eemble S. 13. 81; Herford S. 255.
In Italien war die Salomosage sehr beliebt, denn hier
werden die Schwanke MarcolPs, der als Bertoldo auftritt, durch
drei Generationen hindurch geschildert. ') Zuerst hat Giulio
Cesare Croce della Lira ein Leben Bertoldo's in Stanzen ab-
gefaßt und danach auch als Volksbuch in Prosa heraus-
gegeben; Ende des 16. Jahrhunderts erweiterte er es durch
die Geschichte von Bertoldo's Sohn : Bertoldino. Nach Croce's
Tode dehnte Camillo Scaliggero della Eratta die Sage noch
de la France XXIII, S. 198; Grimm a. a. O. 252; Brunei: La France
litteraire au XV 8. 1865, S. 187; G. Gröberes Grundriß H, 688 und
700; Kemble a. a. O., S. 73; siehe ferner: K. Hofmann: Amis und
Amiles etc. Erlangen 1882, 8. XXXVII; A. Tobler: Li proverbe au
Yilain 1896.
') Ed. Scheler 1877; vgl. Child, a. a. O. ßd. V. S. 6.
') Siebe G. Paris: Li Bastars de Buillon, in: Komania YII, 460 ff.;
Vogt in PBB. Vn, 316; Wesselofsky a. a. O., S. 402.
») Ed. Guessard et Grandmaison. Paris 1860, S. LVff. Siehe auch
Wilmanns, a. a. 0. 284; Wesselofsky, a. a. 0. 401; Gröber, Grundriß 11,
700. Siehe bei Gröber II, 872 auch das Jugement de Salemon; femer
Literatur bei Brunet, a. a. 0., S. 187 über andere frz. Bearbeitungen be-
treffs Salomo.
*) Siehe J. Görres, a. a. 0., S. 193; v. d. Hagen, a. a. 0., S. XVII
—XX; Schaumberg, a. a. 0., S. 37; Kemble, S. 99; Herford, S. 261;
Gaster, a. a. 0. S. 80—91; Dunlop, History etc. rev. by Wüson, 11. S. 308.
— 23 —
weiter aus, indem er als 3. Teil die Geschichte des Enkels:
Kakasenno beigab. 1736 wurde in toskanischer und 1740
in bolognesischer, 1747 in venezianischer Mundart eine Mar-
kolfdichtung Ton 23 Dichtem abgefaßt, indem Crespi's
Zeichnungen und Mattiolis' Stiche ihnen die Anregung gaben.
Von diesen ital. Fassungen wurde die Sage nach Griechen-
land gebracht (siehe Kemble S. 102).
Auch in Portugal ^) erfreute sich die Sage einer großen
Beliebtheit, wovon die verschiedenen Fassungen Zeugnis geben.
In der einen Fassuog wird der König von Leon, Gallizien
und Asturien, Don Bamiro, von dem maurischen Fürsten
Abencadäo seiner Gemahlin beraubt. Bamiro rüstet eine
Flotte aus, geht in Knappenkleidung dann an das Land,
trifft die Magd Artiga, der er beim Wasserholen einen Siegel-
stein in den Becher wirft und ihr einen Bing gibt. Die
Königin erkennt den Bing, es kommt schließlich zum Kampfe,
in dem Bamiro siegt. In der austührlicheren ^) Gestaltung
raubt der bereits verheiratete König Bamiro die Schwester des
Maurenkönigs Alboazare Albo^adam, der er in der Taufe den
Namen Artiga gibt Um sich zu rächen, entfuhrt nun seiner-
seits der heidnische König die Gattin Bamiro's. Letzterer
setzt ihm mit einem Heere nach, welches im Walde versteckt
wird und auf den Buf seines Homes herbeieilt. Die Heiden
werden niedergehauen, die Königin mit einem Mühlstein in
das Meer versenkt.
Überblicken wir nun die Sage im ganzen, so sehen wir,
daß die einzelnen Fassungen oft ziemlich stark voneinander
abweichen. Immerhin aber erkennen wir einen allen Be-
arbeitungen eigenen Typus. Auffallend ist, daß Salomo in
den meisten Bearbeitungen nicht die einem solchen Glanz-
könige gebührende Stelle einnimmt, die ihm nach der Bibel
zukommen sollte. Die Verbindung der Sage mit den Dämonen
macht es ferner wahrscheinlich, daß wir in einer talmudischen
^] Siebe Carolina MichagUs de Vasconcellos in PBB. VIII, 313 ff.;
dazu Vogt ib. 319; ferner Wesselofsky, Archiv VI, 397 und 552 ff.; Child,
a. a. 0. Bd. V. S. 4. Über die spanische Fassung siehe Vamhagen,
a. a. O. S. 28.
«) Wesselofsky, Archiv VI, 653.
— u —
Fassung den ersten Anaatz zu der Sagenbildang zu suchen
haben (gegen 6rünbaum). Doeh frühe schon wurde dia
Sage mit dem Christentum verbunden ; Begebenheiten aus der
Bibel, wie der Urteilsspruch Salomo's, werden damit yer-
floohten; die große Verbreitung im Mittelalter geht daher
auf den tou Burdach entdeckten Ausgangspunkt zurück.
Es möge mir gestattet sein, an dieser Stelle das Verhältaie
der altenglischen Fassung, des ältesten Vertreters der abendlän-
dischen Vulgärliteratur zu den anderen Bearbeitungen in grofien
Zügen zu zeichnen. Ich möchte daher zur rascheren Orientierung
ein paar allgemeine Worte über jene Torausschicken.
Wie auf den ersten Blick klar ist, gehört der „Salomo
und Saturn" zu jener Gestaltung der Sage, in welcher zwei
durch Wissen besonders hervorstechende Persönlichkeiten
sich in einem Redekampfe messen. Es handelt sieh also
in den ae. Dialogen nicht um eine Entf ührungsgeschiehte ;
eine Frau des Salomo wird überhaupt nicht erwähnt, ein
Ring oder Hörn kommt ebensowenig zur Sprache, sondern
wir haben hier drei Gespräche vor uns, in denen Salomo
als König der „Christenheit" dem heidnischen Saturn gegen-
übertritt. Der erste poetische Dialog ist ein ganz eigenartiges
Produkt, in welchem Salomo die Überlegenhrit des Pater
Noster über die Teufel dem Saturn erklärt und dies in ganz
orientalischer Weise. Ich bin der Meinung, daß wir hierin
eine Anlehnung an die Dämonensagen vor uns haben, die
wir bei den Juden, Arabern und im Testamente des Salomo
vorgefunden haben. Der prosaische Dialog mit der riesen-
haften Beschreibung des Pater Noster erinnert an jene gi-
gantische Beschreibung des Asmodeus. In dem dritten, je-
doch sehr ernst gehaltenen poetischen Dialoge, läfit sieb
Saturn über allgemeine Dinge theologischen, naturwissen-»
sch&ftlichen oder rein menschlichen Interesses, wie den Fall
der Engel, das Alter, das Schicksal usw. belehren. Zu einer
Vergleichung dieses Dialoßjes kann also nur der ernste fran-
zösische und der erste Teil des deutschen Spruchgedichtes
herangezogen werden, der wieder mit der lateinischen Prosa
übereinstimmt (Kemble S. 26). Jedoch beide Dialoge bieten
gar keine gemeinsamen Punkte mit jenem (vgl. Kemble S.
— 25 —
133). Wie Kemble Seite 50 und €4 nachgewiesen^) hat,
sind die Reden Salomo's entweder biblisch-theologisch oder
sie enthalten Beobachtungen aus dem täglichen Leben; die
des Markolf jedoch sind meist germanische volkstümliche
Sprichwörter. Saturn's Aussprüche erstrecken sich aber ent-
weder auf Berufungen aus der Weisheit der Philister, oder
er fragt nach theologischen Dingen, wie nach dem jüngsten
Gericht, nach dem guten und bösen Geist, der jeden
Menschen begleitet usw. £ßfat germamsch ist jedoch bei
ihm die Frage nach der Wyrd; auf andere Übereinstimmungen
mit der altnordischen Literatur werde ich weiter unten S. 84 f.
hinweisen. Li der altaDglisohen Prosa wird ein Kampf des
Pater Noster mit dem Teufel geschildert; hierin wäre der
Kampf awischan Christen und Heiden der anderen Salomo-
Markolphsagen wieder zu erkennen. Auch die in der Prosa
auftretende Zahl 12 000 spielt nur noch eine Bolle in dem
deutschen Spielmannsepos (Vogt XXVII). Ferner hat die
ae. Sage mit den anderen gemeinsam, daß sie im Orient^
und zwar in Jerusalem spielt; orientalische Völker, Fürsten
lind Länder werden genannt; mit der deutschen Fassung
des Spielmannsepos stimmt auch die Erwähnung des Wendel-
sees überein. Als besonders charakteristischen Zug erwähne
ich, daß aujch der ae. Salomo als christlicher König erscheint;
sein Qegenredner, Saturn, stammt aus einem Biesengeschlechte
(eormenstrynde). Entgegen Vogt möchte ich aber hier bereits
bemerken, daß man ihn nicht als Bruder Salomo's auffassen darf.
(Näheres unten, Seite 91, bei Besprechung der Pelrsönlichkeiten
des Salomo und Saturn.) Saturn hat mit Mareolf gemeinsam, d^ß
•r al« ein kluger Mensch dargestellt wird, ferner daß er aus
dem Oriente stammt (vgl. qui ab Oriente* nuper venerat.) In
der Erwähnung des Pilgeranzuges, der Kutte mit dem Palmen-
zweig im deutschen Spielmannsepos (Vogt S. XXX) darf
mao yielleicht auch eine schwache Verbindung mit dem
„palmenbezweigten^ Pater Noster erblicken.
*) Vgl. auch Schaumberg, S. ö8.
IL Die altenglische Sage.
A. Oberlieferung.
1. Ausgaben, Textbessernngen und Besprechungen
der altenglisehen Bearbeitungen der Sage.
Die erste Nachricht^) über die alteDglischen Fassungen
der Sage von Salomo und Saturn gab Wanley (1705), der
in seinem Catalogus ^) unter den Handschriften der Bibliothek
des Corpus Christi College zu Cambridge die beiden alteng-
lischen Handschriften, und zwar Seite 149 die für uns
wichtigere folgendermaßen anführt: S. 16. Cod. membr. in
Octavo crassiori, ad cujus caicem habentur hse Adootationes
recentu') manu scriptae: The Rede boke of Darbeye (in the
Peake in Darbyshire*) etc. In eo autem continentur*) I. Frag-
*) Siehe Wülker, R. : Grundriß zur Geschichte der angelsächsischen
Litteratur. Leipzig 1885. S. 362, ebenso Körung; Grundriß der Ge-
schichte der englischen Litteratur. Münster 18d9'. 8. 66.
') Erschienen als 11. Bd. Ton Linguarum Yett. Septentrionalium
Thesaurus Grammatic<vCriticus et Archeeologicus. Auetore Georgio
Hickesio, unter dem Titel: „Antiquie Literatur»* Septentrionalis Liber
alter seu Humphredi Wanleii Librorum Vett. Septentrionalium, qui in
Anglise Bibliothecis extant, nee non multorum Yett. Codd. Septen-
trionalium alibi extantium Catalogus Historico-Criticus, cum totius The-
sauri Linguarum Septentrionalium sex Indicibus. Oxonise 1705. **
•) Bereits von Wülker, S. 362 in recenti verbessert.
*) This booke was sumtime had in such reverence in Darbieshire
that it was commonly beleved that whosoever should sweare untruelie
upon this booke should run madd.
*) Nicht continetur, wie Wülker a. a. 0.
— 27 —
mentum Dialogorum inter Salomonem & Saturnum Toteri
manu scriptum, versibus Saxonicis, quibus etiam plurimse
habentur LitersB Runicse, sicut & in Cod. Exoniensis Eccl.
de quo vid. D. Hickesü Qram. — Nicht viel mehr erfahren
wir auf Seite 114 über die zweite Handschrift: S. 2: Cod.
membr. et antiquus in fol. a Leofrico Episcopo EcclesisB
Ezoniensi dono datus, in quo continetur : I. Bedae Veuerabilis
Historia Ecclesiastica Gentis Anglorum ab ^Ifredo Kege
Saxonice Versa .... VII. P. 216: Inc. Dicta Satnmi &
Salomonis, quse sie incip: Saturnus cwse)) hwaet ic ijlanda
eallra haebbe boca on byrged durh sebregd stafas lar-crseftas
on locen Libia and Greca. Swylce eac istoriam Indea rices
me da treahteras tala wisedon on |)am micelan bec
M ces heardum etc.
Ebensowenig teilt uns Conybeare (1826) mit, der die Hs.
selbst nicht gesehen hatte und daher in seinen lUustrations ^)
Seite LXXXIII die ersten sechs Verse von B nach der
Angabe von Wanley, femer von A die Verse 311 (312) *) bis
319 (320) einschl. nach der Abschrift eines Herrn Shelford
von Corpus Christi College druckte. Infolgedessen lernte er
die beiden Gedichte nur flüchtig und das zwischen diesen
stehende Prosastück überhaupt nicht kennen, da er es
nirgends erwähnt. Hingegen hatte er die — sowohl von
unseren Gedichten als auch von der eingeschobenen Prosa
dem Inhalte nach vollkommen abweichende — prosaische
Fassung der Sage im Ms. Cotton Vitellius A. XV eingesehen
und zieht daraus nun für unsere Gedichte falsche Schlüsse.
Denn er sagt, als er auf die Entstehung und Bearbeitungen
der Salomo-Markolf-Satumsagen kurz zu sprechen kommt:
^The Saxon compositions cited in the text preserve probably a
somewhat earlier modification of a fiction similar in sub-
stance: in these the interrogator is named Saturnus''.
*) llIastratioDS of Anglo-Saxon Poetry. London 1826, S. LXXXIl
— LXXXV.
*) Die eingeklammerten Zahlen beziehen sich auf den Text in
Grein- WüIker'B Bibliothek, die anderen anf meine Ausgabe, deren
Zählang dorch die bisherige falsche Trennung der Verse 6^7 um einen
Vers von jenem abweicht.
— 28 —
Von Conybeare druokte wieder EUmüUer (1860)^) die
Verse 311 — 319, ferner Auszüge aus dem Frosaatüok in Cottoo
Vitellius A. XV ab. Die erste vissenacbaftliche Ausgabe so«
wohl der aliitenereodeo , als auch der prosaischen alteng^
lischen Fassungen wurde im Jahre 1848 von dem gelehrten
Jöhn Mitchell Kemble^) für die ^Elfric Society veranstaltet,
der in fünfzehnjähriger Sammelarbeit ein ungeheuer reicb-
haltiges Material zusammenbrachte. Kurz zuvor hatte er die
Ergebnisse seiner Forschung über die Entstehung und Ver-
breitung der Sage in einem jetzt sehr seltenen Büchlein^)
verö£Pentlicht, welche er aber dann mit nur unbedeutenden
Änderungen seiner Ausgabe für die iElfric Society einver«
leibte. Somit enthält jene kurze Darstellung nur die bisto«
rische Einleitung, jedoch nicht den Text und die Ausführungen
über „Salomon and Saturn , — Traditional Character of
Marcolfus^, femer nicht die im Anhange stehenden Dialoge
von Adrian and Ritheus, sowie Adrian and Epictus. la
seiner größeren Ausgabe druckte nun Kemble zum ersten
Male die Handschriften vollständig, jedoch leider unkritisch
ab.^) Wie wir später sehen werden, sind unsere Gedichte
im früh - westsächsischen Dialekte überliefert; die hs. A. ist
frühestens aus dem Ende des 10. Jahrhunderts und „der Ab-
schreiber hat sich sichtliche Mühe gegeben, die altertüm«
liehen Formen durch diejenigen seiner Zeit zu ersetzen/^
^) Engla and Seaxna Sedpas and Böceras. London 1850. S. 239
und 42.
*) The Dialogue of Salomon and Saturnn«, with an Hißtorical In-
troduction by John M. Kemble. London. Printed for the Aelfrio Society
MDCCCXLVm.
^) Die Ausgabe, welche mir im Britischen Kuseum zur Verfüguner
stand, ist im Katalog registriert unter: 12431. bb. 2. Salomon and Sa-
turn [An historical Introduction by J. M. Kemble to this Anglo-Saxon
legend.] [London? 1845?] 8». Without titlepage. Prlvately printed. The
Anglo-Saxon text to which this is an introduction was afterwards pab*
lished by Mr Kemble for the Aelfric Society. — Auf dem ersten Blatte
dieses Büchleins in klein 8® steht der geschriebene Vermerk : This Edition
of Salomon and Saturn, (with the exception of twenty copies), was can-
celled by Mr. Kemble when he undertook to bring ont the Edition
printed for the .Elfrio Society.
*) Den Text gibt Kemble nach englischer Art in Kumeilen»
— 29 —
Kenble hat ihn, nie Schipper ^) treffend bemerkt, ^in diesem
Streben unterstttteen zu mliseeii geglaubt, und ron seinem
Standpunkt, naoh dem damaligen Stande der Wissenschaft,
mit Recht; nur hätte er mit noch größerer Konsequen2 ver-»
fahren mfissen. Das Richtige freilich würde gewesen sein,
gerade die von dem Schreiber der hs. übersehenen altertüm-*
liehen Formen als Norm anzusehen und darnach die Ortho-»
graphie zu regeln. '^ Dazu kommt noch, daß Kemble die
Änderung der handschriftlichen Lesart des zweiten Oedichtet
in seinem Dhicke überhaupt nicht mehr angibt. ^) Neben der
Urschrift gibt er die erste ^) englische Übersetzung, die man
im Verhältnis zu der damaligen Kenntnis des „Anglo-Saxon**
als eine treffliebe Leistung anerkennen muß. um so mehr
ist es zu bedauern, daß er gerade bei der ziemlich großen
Anzahl schwer verständlicher Stellen, welche insbesondere die
Gedichte bieten, seinen Kommentar auf das Mindestmaß be«-
schränkt hat, wie ihm denn neben der Übersetzung ein Olossar
ganz überflüssig erschien. In seiner scharfsinnigen Beurteilung
vermutete er bereits, daß man es hier mit zwei verschiedenen
Gtedichten zu tun hätte; seiner hohen Meinung über deren
Inhalt gibt er S. 133 Ausdruck: ""The first part of the
poetic Salomon and Saturn bears no relation whatever, save
in name, to the dialogues wbich we have examined, and shall
hereafter examine. The second part, however, in as much as
it is a seriesof riddling questions mutually proposed, approaches
more nearly to the real type of the whole matter, — the
Problems of Salomon and Hyram. Still it bears little resem«
blance to either of the prose dialogues in Sazon, and none
whatever to the other veraions of the Salomon and Marcolf ;
its subjeets are theological and moral, and in this respect,
difference of creed considered, it might be more properly
compared to the Waf))rttdnis-mal than to aoy other com«
Position I know. Thus it sings of the fall of the angeis, of
^) In der Collation d€r bsiden Hm. mit Kemble's T6xt, in : üermania
XXII. N. K. X. Seite 61.
*) Siehe Sweet in seiner „Collation'' etc., in: Anglia 1, 1878, S. 160.
*) Abgwshon von den wenigen Yerien, welche Conyhtare in das
EngUsciie Itbertnig.
— 30 —
heayen and hell, of the good and eyil spirits tbat accom-
pany every man, the one to tempt, the other to warn and
strengthen : or it mixes up allegorical and mythic narratives,
as where it speaks of death by the title of Vasa mortis, and
nnder the form of a bird etc. Upon the whole, although its
sabjects be similar, there is no one question found in the
poetic Salomon and Saturn which is repeated either in the
prose Version or in the Adrian and Ritheus^. — Mit laut-
lichen oder metrischen Untersuchungen konnte sich natürlich
Kemble damals nicht befassen.
Auf Kemble's Ausgabe beruht die Wiedergabe zweier
Bruchstücke von Bouierwek (1854). ^) Dieser kommt in seiner
Abhandlung über den Götter- und Stemenkultus der heid-
nischen Angelsachsen auch auf deren Glauben an ein unab-
änderliches Schicksal zu sprechen, und hiebei führt er die
Gespräche Salomo's und Saturn's über die „Vyrd" aus
unserem zweiten Gedichte (v. 423 bis zum Schlüsse) an.-)
Auch aus dem eingeschobenen prosaischen Bruchstücke greift
er die Unterredung dieser beiden Weisen über den Kampf
des Teufels mit dem Paternoster, wie letzteres den Teufel
mit glühenden Pfeilen schießt, heraus*), wobei er auch eine
von Kemble zu weit gesuchte Erklärung verbessert. Er
wählt für die alliterierenden Darstellungen die Langzeile und
gibt von den beiden Auszügen die erste deutsche Über-
setzung.
Nach Kemble druckte im Jahre 1868 die beiden Ge-
dichte in Langzeilen Christian Grein in seiner Bibliothek.^)
Er war auf diesen Druck angewiesen, da es ihm, dem hoch-
verdienten Forscher, nicht vergönnt war, in England selbst
die Hs. einzusehen. So nimmt er also auch die unrichtigen
Lesarten Kemble's in seine Bibliothek auf, doch muß es um
so mehr unsere Bewunderung erregen, daß er oft sehr gute
Verbesserungen vorgeschlagen hat und sogar bei einigen
') K. W. Bouierwek: Caedmon's des Angelsachsen biblische Dich-
tungen. 1. Teil Gütersloh 1854.
«) S. LXV— LXVII.
') 8. CXY. Von Wülker in seinem Gr. nicht angegeben«
«) Bibliothek der angelsächsischen Poesie Bd. II, S. 354—368.
— 31 —
Stellen zuerst die richtige Erklärung gab. ^) Einige weitere
TextYerbesserungen lieferte er dann in der Qermania X im
Jahre 1865.«)
Eemble's Text ist auch den Ton Max Rkger (1861)
herausgegebenen Bruchstücken aus unseren Gedichten (v.
280—299, 1—19, 145—168) zugrunde gelegt.»)
Den von Kemble und Grein gelieferten Text nach der
Handschrift zu verbessern und so zu einer wirklich kritischen
Ausgabe zu gelangen, war die nächste Aufgabe der Herausgeber.
Zuerst verglich H. Sioeet*) den von Kemble gelieferten
Text mit dem der Hs. A und gab die Abweichungen (mithin
auch die von Grein), sowie Erklärungen einiger von diesen
nicht verstandenen Stellen in der Anglia I (1877). In dem-
selben Jahre, aber nach Sweet gedruckt, erschien J. Schipper^s
Abdruck der Handschrift A nebst Vergleichung der Hand-
schrift B. ^) In seiner Einleitung spricht er sich auch über
die ursprüngliche Abfassung der Gedichte aus, die er in „jene
erste klassische Periode der angelsächsischen Literatur^ ver-
legt; darauf gibt er das bereits angeführte Urteil über
Kemble's Text ab und führt einige der für die früheste
Periode des westsächsischen Dialekts sprechende Merkmale
unserer Gedichte an. Für diese sowohl, als auch für die
eingeschobene prosaische Version liefert er sodann den
kritischen Text mit Variantenapparat, enthält sich jedoch
geflissentlich weiterer Editorenarbeit. Während nun Schipper
in den meisten Fällen mit Sweet — gegenüber Kemble —
übereinstimmte, widersprachen sich doch die beiden Gelehrten
in manchen Punkten. ^) Dies veranlaßte Zupitza '') im August
*) Siehe besonders v. 107 (108).
') Zur Textkritik der angelsächsischen Dichter, in: Pfeiffer's Ger-
mania Bd. X, S. 428.
') Alt- und angelsächsisches Lesebuch nebst altfiriesischen Stücken.
Gießen 1861.
*) CoUation of the poetical Salomon and Saturn with the Ms., in:
Anglia Bd. I, S. löO— 154 (1877 erschienen).
») In Pfeiffer's Germania Bd. 22 (N. R. 10. Bd.) 1877, S. 50^70
unter dem Titel: Salomo und Saturn.
•) Vgl. Engl. Stud. n, 26a
') Zu Saiomon und Saturn, in der Anglia lil, S. 527—631 (1880).
— 33 —
1877, Schipper's Abdruck unter gleichzeitiger Zamehuug Ton
Sweet's Berichtigungen mit den Handschriften su eolla-
tionieren, und dann diese Abweichungen in der Anglia Bd. TTT
(erschienen 1880) mitzuteilen. Die Ergebnisse all dieser
Textbesserungen der Gredichte wurden in der letzten Ausgabe
des Salomo und Saturn zusammengefaßt, welche Bruno Aa^
mann (1898) für die Neuauflage von Qrein's „Bibliothek der
angelsächsischen Poesie^ besorgte.^) Er verglich nochmalfi
sorgfaltig unsere Dichtungen mit den Handschriften, so daJB
mir bei der abermaligen Nachprüfung nur einige Ver-
besserungen falscher Lesarten übrig blieben; er führte auch
8. 237/8 die handschriftlichen Längezeichen übersichtlich ge^
ordnet, aber nicht ganz fehlerfrei an. Gemäß der Be»
Stimmung der „Bibliothek" mußte er jedoch von der Wieder-
gabe des eingeschobenen Prosabruchstückes Abstand nehmen.
Weitere Berichtigungen, besonders metrischer Art zu Aßmann's
Text lieferte HoUhamm^) (1901).
Nachdem uns also in der „Bibliothek" der Text der alt*
englischen Fassungen von Salomon und Saturn nicht volU
kommen kritisch und dazu unvollständig vorliegt, während
jener von Kemble und Schipper entweder ganz veraltet oder
auch mit kleinen Mängeln behaftet ist, so möchte ich nun
versuchen, einen den modernen philologischen Anforderungen
entsprechenden Text mit vollkommenem Variantenverzeiohnis
zu liefern. Mit Rücksicht darauf habe ich es nicht für ver*
lorene Arbeit gehalten, sowohl für die alliterierenden als auch
für die prosaischen Fassungen der Sage die Handschriften
noch einmal einzusehen. Da femer nur Kemble's Ausgabe
einen, jedoch ganz unzureichenden Kommentar enthält, so
habe ich mich bemüht, durch einen ausführlicheren das Ver-
ständnis der oft schweren Stellen zu erleichtern. Zu diesem
Zwecke habe ich die gesamte ae. Literatur in Grein-
Wülkers Bibliothek der Poesie und Prosa, femer die theo-*
') Von Richard Paul Walker. Leipzig 1896. m. Bd. 2. Hälfte,
S. 6&>-82 dintchließlioh.
*) Zu Alt- und Mittelenglischen Dichtungen XU. 60. Salomo «ad
Saturn in Anglia XXIII, 123—125. Halle 1901. Früher hatte schon
Sieters in PBB. X und yHl die Gedichte anm Teil metriaeh nntersucht.
— 38 —
logische^) Literatur nach Thorpe's Ausgabe der Homilien
Aelfric's, sowie Napier's Ausgabe der Homilien Wulfntan's,
endlich Skeat's Ausgabe Ton Aelfric's Lives of Saints und
Morris' „Bückling Homilies** daraufhin untersucht und
Parallelstellen fiir unser Denkmal in dem Kommentar an-
geführt. In der nachfolgenden Inhaltsanaijse sind die zum
Verständnis der altenglischen Dialoge unumgänglich not-
wendigen Parallelstellen bereits kurz angegeben. Durch das
beigefügte vollständige Glossar wird einem sämtlichen Aus-
gaben' anhaftenden Mangel abgeholfen. Eine ausführliche
Beschreibung der Handschriften, sowie eine Untersuchung
über ihr gegenseitiges Verhältnis erschien notwendig. Des-
gleichen wurde ein Verzeichnis der handschriftlichen Länge*
zeichen mit den Abweichungen von Dr. Aßmann's Text bei«
gefügt Durch die eingehende Analyse der Gedichte gelang
es, den inneren Zusammenhang, besonders des 2. Gedichtes,
klar zu legen, dessen logische Verbindung bis jetzt nur teil-
weise erkannt war. ')
Über die unbekannten Verfasser habe ich durch die
lautlichen Untersuchungen Genaueres anzuheben vermocht.
Der Untersuchung unseres altenglischen Denkmals schickte
ich eine übersichtliche Darstellung der allgemeinen Sagen-
geschichte unter Berücksichtigung der neuesten Literatur
voraus, nicht allein um den Leser über die ungeheuer weite
Verzweigung der Sage zu orientieren, sondern auch um even-
tuelle gemeinsame Züge der ae. Fassungen der Sage mit den
anderen Bearbeitungen aufzudecken. Bei der Darstellung der
allgemeinen Sagengeschichte habe ich mich bemüht, den Inhalt
der einzelnen Fassungen der Sage dem Leser vor Augen zu
führen; es würde jedoch nicht in den Rahmen vorliegender
Abhandlung fallen, über Quellen, Verfasserfragen etc. der
') Für die rein theologischen Stellen in unseren Dialogen haben
mir besonders die fi. Professoren ßardenhewer und Knöpfler (München)
and Prof. Schrörs (Bonn) die richtigen Wege gewiesen; ihnen allen
spreche ich hier meinen wärmsten Dank aas.
*) Vgl. Grein: „Salomon nnd Satarn tauschen gegenseitig weise
Spräche ohne inneren Zusammenhang aus.*'
Münchener Beiträge z. romaniichen a. engl. Philologie. XXXI. 3
— 34 —
jüdischen, arabischen, russischen, pobiischen, deutschen, fran-
zösischen etc. Fassungen ebenso wie bei der englischen zu be-
richten. In der Quellenfrage unseres Denkmals glaube ich
durch eine eingehendere Untersuchung das Verhältnis der
Contradictio Salomonis zu unseren Dialogen mehr geklärt zu
haben.
Was die andere altenglische Gestaltung der Sage von
Salomo und Saturn, die im Cotton Vitellius A XV über-
liefert ist, betrifft, so hat dieser Prosadialog mit unseren
Gedichten und mit dem prosaischen eingeschobenen Bruch-
stück nichts als die Dialogform gemein. Er weicht auch
von den anderen Fassungen der Salomon-Markolf-Sage gänz-
lich ab, da er in das reiche Gebiet der Lucidarienliteratur ge-
hört, weshalb er eine eigene Untersuchung erfordert.^)
Daß es Not tat, das Wesen des „Salomo und Saturn"
klarer zu stellen, zeigt sich am besten, wenn wir die ver-
schiedenen Auffassungen dieser Dialoge von Seiten der Forscher
und deren oft widersprechende Ansichten ins Auge fassen.
Die Urteile«) von Conybeare (1826) und Kembls^) (1848)
*) Literatur darüber siehe bei Wülker: Grundriß, S. 500; ferner
Besprechungen bei Conybeare, a. a. 0.; Bouterwek, S. CXIU; Xerable,
a. a. 0.; Stopford Brooke, 8. 289; Köhler: Kleinere Schriften; Skeat in:
The Academy 1895, II, 343; E. G. Duflf, 8. XIV; sodann die treffliche
Abhandlung von Max Th. W. Förster: Two Notes on Cid English
Dialogue Liter ature, in : An English Miscellany. Presented to Dr. Fumi-
vall in Honour of bis seventy-fifth Birthday. Oxford 1901. Ferner
Karl D. Bülbring: Sidrac in England, in der Festgabe für Wendelin
Förster zum 26. Okt. 1901, Halle 1902. — Über den me. "Lucidary"
siehe besonders Karl Schorbacb: Studien über das deutsche Volksbuch
Lucidarius, in: Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kultur-
geschichte der germ. Völker von Brandl, Martin und Schmidt, 74. Hefl.
Straßburg 1894.
«) Siehe Wülker, Grundriß a. a. 0.
') Nach Kemble's Ausgabe übersetzte Migne in seinem Diction. des
Apocr. Paris 1858, II. Bd., 872 ff. einige Partien des Salomo und Saturn
in das Französische.
— 35 —
habe ich bereits angeführt. Henry Morley ^) (1864) äußert sich
nur kurz in der Sache: ^^Saturn, in the poem^ seeking from
Salomon knowledge of the Paternoster, is instructed of its
virtues, and those of the word of God, which is golden, stoned
with gems, and silver-leaved. Among the successive letters of
the word Paternoster, power is distributed ; and thns in myst-
ical way, aecording to a humour of the East, there is re-
presented contest between the Paternoster and the Devil, who,
HS a prose continuation of the dialogue sets forth, will take
thirty shapes, and be met in each by the Pater Noster. In
answer to questions of Saturn, "What kind of head has the
Paternoster?" etc., Salomon replies in strains of Eastern
hyperbole. In the second part of the poem, Salomon and
Saturnus exchaoge at random metrical proverbs or wise coun-
sels in a dialogue that does not aim much at coherence/'
Über die Quelle sagt er : ^' Among spurious books of Scripture
was a "Contradictio Salomonis", withdrawn from the Canon
in the fifth Century by Pope Gelasius; and of this, or som^
work like it, the Anglo-Saxon poem of "Salomon and Sa;
turnus" — wholly wanting the characteristics of the Anglo-
Saxon mind — may have been a Version." — Auch C. Hofmann *)
(1871), der einen Vergleich der Sage von Salomon- Abdemon-
Hiram und Salomon-Markolf-Saturn zieht, kommt auf unsere
altenglische Fassung zu reden, deren Ausbildung er in letzter
Linie auf den Orient zurückführt. Hinsichtlich des Gegen-
redners Salomo's sagt er : Die Kirchenväter hielten den Saturn
für den Malcolm i. e. Moloch, da beide Kinderfresser waren^
freilich mit dem Unterschiede, daß Saturn seine eigenen
Kinder fraß, dem Moloch dagegen die Kinder seiner Anbeter
in seiner ehernen Bildsäule geopfert wurden (S. 431).
So verwiesen diese Gelehrten nur auf das orientalische
Element, welches sich in unserem Salomon und Saturn aus-
prägt; das heidnisch-germanische wurde zum ersten Male von
^) English Writers I, p. 328, London 1864; 3. Aufl. (1897) II, 205.
*) Über Jourdain de Blaivies, Apollonius von Tyrus, Salomon and
Marcolf, in den Sitzungsberichten der Münchener Akademie, phil.-hist.
KJ. 1871, £d. I, 415—433. Siehe auch Schaumberg, S. 55.
3*
— 36 —
Kembkf dann in der kprzen Besprechung H. Sweefs^) (1871)
betont: ''The carious poem, Salomon and Saturn, consists
also of a variety of gnomic sentences, mixed, however, with
a yariety of other matter, in the form of a dialogue.
Much of the poem is of foreign origin, and often wildly ex-
travaganty but many passages haye a strongly heathen char-
acter, and are probably fragments of some older piece re-
sembling the Eddaic Vaf|)rudnism&I." Etwas eingehender
bespricht Hammerich ^ (1873) unsere Gedichte: „Übrigens ist
jenes Gespräch ein sehr eigentümliches Geistesprodnkt, durch-
aus phantastisch abenteuerlich, halb germanischen, halb orien-
talischen Charakters und etwas barock. Jedenfalls ist es ge-
eignet, die Aufmerksamkeit des Lesers zu spannen, wie denn
namentlich die Schilderungen, die es enthält, alles Lob yer-
dienen. Der erste Abschnitt dieses Bruchstückes enthält
Salomon's Preis des göttlichen Wortes Hier verwandelt
sich auf einmal „das Wort Gottes** in das Paternoster. Und
dieser wohlgerüstete Kämpe, das Gebet, wird mit solchen
Zügen geschildert, daß sie an den gewaltigen Donnerer, Gott
Thor, erinnern. So erscheint in der prosaischen Gestalt des
Gespräches „Thor mit der Feueraxt" (statt des Hammers,
Mjölnir), im heißen Kampfe mit dem Teufel.*) Jeden Buch-
staben des Paternoster nennt unser Gedicht eine scharfe
Waffe, welche den Satan und „Satans Degen", die bösen
Geister, steche, haue, zerschmettere, yemichte. „So daher
jemand sein Schwert ziehen will, der möge zuvor ein Pater-
noster singen." Der zweite Abschnitt enthält ein Bätselspiel
zwischen Saturn und Salomo, jene Art geselligen Spieles,
welche im alten Norden durchweg beliebt war, so daß wir
an einzelne Stücke der älteren Edda erinnert werden."
*) In seiner "Sketch of the History of Anglo-Sftxon Poetry", in :
Thom. Wftrton'a History of English Poetry etc., ed. by W. Carew Haz-
litt. London. 1871, Vol. H, p. 18.
') Fr. Hammerich: De episk-kristelige Oldkvad hos de Gotiske
Folk. 1873, S. 80—81. — Aus dem Dänischen übersetzt von AI Michel-
sen: Alteste christliche Epik der Angelsachsen, Deutschen und Nord-
länder von Fr. fiammerich, Gütersloh. 1874, S. 111—113.
^ Hammerich druckt dies von Kemble ab, ohne die Korrektur
von Bouterwek, a. a. 0., S. CXV, beachtet zu haben.
— 37 —
Im Sinne Kemble's erklärt sieh W. Schaumberg ^) (1876)
über unseren Salomon und Saturn: „Es ist nämlich ein sehr
ernst geführtes Gespräch über die Gottheit Christi und über
sonstige Fragen philosophischen, theologischen und mystischen
Inhalts. Salomo belehrt einfach den letzteren, von einer Auf-
lehnung des Saturn oder einer Parodierung der weisen Reden
Salomo's ist nichts darin zu finden. Man kann überhaupt
nur dem allgemeinen Charakter nach sowohl die französischen
Rezensionen als auch die deutsch-lateinischen Dialoge unter-
einander und mit dem Salomon-Saturn vergleichen, gemein-
sames in Sprüchen etc. bieten sie gar nicht dar. Dem all-
gemeinen Charakter nach berührt sich das Französische mehr
mit den deutsch-lateinischen Dialogen, in einer anderen Be-
ziehung aber stimmt es mit dem angelsächsischen übereint
das ist: während diese beiden nur aus Rede und Gegenrede
bestehen, hat sich um die deutschen sowohl als lateinischen
Dialoge eine Rahmenerzählung geschlungen." Schaumberg
bespricht auch die Entstehung der Salomo-Markolf-Sage, die
er gegenüber den bisherigen Ansichten als im Abendlande
ausgebildet sich vorstellt; er nimmt als Antagonist Salomo's
den Gott Saturn und erblickt in Markolf den jüdischen Mar-
kolis, mithin auch den römiachen Mercurius.
Sehr ausführlich äußert sich Ten Brink^) (1877) über
unsere altenglischen Bearbeitungen: „Der Wortkampf, sei es
in Sprüchen oder Rätseln, sei es in Prahlreden, scheint auf
alter und tiefeingewurzelter germanischer Sitte zu ruhen. Im
altnordischen Wafthrudnismal sehen wir Odhin unter dem
Namen Gangradr den weisesten und stärksten aller Riesen, Waf-
thrudnir besuchen und beide ihr Wissen in einem Kampfe
messen, dessen Preis das Leben des Unterliegenden bildet»
In England aber tritt die dialogische Gnomik, soweit sie uns
erhalten, in Verbindung mit einer orientalischen, jedenfalls
im Judentum ausgebildeten Sage auf, welche den König
') Untersuchungen über das deutsche Spruchgedicht: Salomo und
Morolf, in Paul nnd Braune's Beiträgen zur Geschichte der deutschen
Sprache und Literatur, Bd. 2, Halle. 1876, S. 31.
«) beschichte der englischen Literatur I, 8. 112—114. I* (ed.
Brandl) 1899, S. 105-106.
— 38 —
Salomo im Gegensatz zu Marcoiis, dem Mercur oder Hermes
des klassischen Altertums, als den Vertreter jüdischer "Weis-
heit heidnischem Wissen und heidnischer Redegewalt gegen-
über darstellte. An Stelle des Marcoiis jedoch, dessen Name
bei den germanischen Stämmen in das anklingende bekanntere
Marculf überging, erscheint in der altenglischen Dichtung
Saturn, eine Vertauschung, die sich am besten doch wohl
aus Verwechslung von Marcoiis mit Malcol (Milcol, Milcom)
d. i. Moloch, dem orientalischen Saturn, erklärt. Zwei
poetische Gespräche zwischen Salomo und Saturn sind uns
— beide lückenhaft — überliefert, deren Inhalt als ein durch-
aus christlicher, jedoch sowohl mit rabbinistischen wie mit
germanischen Vorstellungselementen versetzt erscheint." —
Darauf gibt er eine kurze Inhaltsangabe der beiden Dialoge ;
den zweiten hält er für „vielleicht etwas älter". Hinsichtlich
des Alters sagt er: „Der poetische Stil in diesen Gesprächen
.... steht der älteren Dichtung näher als die Diktion in
den Metren des Boetius, wo ein neues, der prosaischen Rede
verwandtes Element sich geltend macht. Namentlich aber
hinsichtlich der Behandlung des Verses, der Alliteration unter-
scheiden sich diese von jenen. Wenn in Salomo und Saturn
und in Satan Zahl und Lage der Stäbe der alten, aber fast
nie ausnahmslos befolgten Regel zuweilen nicht entsprechen,
so zeigt sich doch mit kaum nennenswerter Ausnahme die
relative Tonstärke der Silben bei der Alliteration berück-
sichtigt."
Bestimmter in bezug auf eine chronologische Fixierung
drückt sich Grem^) (1880) aus, der unsere Gedichte sehr
frühe ansetzen will: „Gleichfalls dem Anfang des 8. Jahr-
hunderts dürfte ein angelsächsischer poetischer Dialog zwischen
Salomo und Saturn angehören, der aber lückenhaft auf uns
gekommen ist; zuerst belehrt Salomo den Saturn hauptsäch-
lich über die mystischen Eigenschaften des Paternoster, und
dann tauschen beide gegenseitig Sprichwörter und andere
weise Sprüche ohne inneren Zusammenhang aus."
*) Kurz gefaßte angelsächsische Grammatik. Kassel. 1880, heraus-
gegeben von R. P. Wülker, Leipzig. 1879, S. 9.
— 39 —
Zu neuen Resultaten gelangte F, Vogt^) (1880), nicht
allein für die ae. Bearbeitung, sondern auch für die Sagen-
geschichte im allgemeinen. Da jedoch dieser um die Salomo-
sage so hochverdiente Gelehrte hinsichtlich des Saturn eine un-
richtige und daher für die Gedichte eine nicht immer ganz
einwandfreie Auffassung zeigt, so werde ich bei meiner Ab-
handlung über die Persönlichkeit des Saturn ausführlicher
auf seine Abhandlung zurückkommen.
Kurz, aber ungünstig urteilt J. Earle^) (1884), der sich
an Kemble anschließt, über unsere Dichtung, da er be-
sonders die eingeschobene Prosaversion berücksichtigt: ^There
are, however, some places in which one is moved to doubt
whether the extravagance is the product of pure simplicity,
and without the least tinge of droUery .... The fragments
preserved are partly poetical aod partly in prose : the poetry
is rather insipid." Earle führt sodann aus der Prosaversion
die Stelle an, in welcher das Herz des Paternoster geschildert
wird, und bemerkt dazu : ^I do not undertake to assert that
this piece is as old as the first half of the tenth Century . . .
I believe that these "Dialogues" are the only part of Anglo-
Saxon literature that can be suspected of mockery. The
earliest laughter of English literature is ridicule; and if this
ridicule seems to touch things sacred, it will, on the whole,
I think, be found that not the sacred things themselves, but
some unreal or spurious use of them, is really attacked. So
here, if there is any appearance of a sly derision, the thing
derided is not the Paternoster, but the vain and magical uses
which were too often ascribed to the repetition of it."
Gegen diese abfällige Kritik wandte sich bereits Wülker
(1886) in seinem Grundriß.^ Er schließt sich an ten Brink
an und sagt (ib. S. 365): ^Es ist wohl anzunehmen, daß die
^) Die deutschen Dichtungen von Salomon und Markolf. I. Bd.
Salman and Morolf. Halle a. S. 1880. (Über Salomon und Saturn vgl.
S. LHl^LV.)
•) Anglo-Saxon Literature. London, Society for Promoting Christian
Knowledge. 1884, S. 210—212.
') (irundriß zur Geschichte der angelsächsischen Litteratur. Leipzig.
1885. S. 366.
— 40 —
beiden jetzt in A zusammengestellten Gedichte ursprünglich
keinen weiteren Zusammenhang hatten, als daß in ^ beiden
Salomo und Saturn auftreten. Diese rein äußerlidie Ähnlich-
keit war sicherlich auch der Grund, weshalb man sie zu-
sammenbrachte. Das zweite Gedicht ähnelt mehr anderen
Salomon-Saturn-Morolf-Dichtungen, indem es ein wirkliches
Zwiegespräch ist. Daß wir etwa dadurch berechtigt wären,
ihm ein höheres Alter als dem ersten zuzuschreiben, scheint
mir durchaus zweifelhaft, auch sonst finde ich keinen Grund
für eine solche Annahme. ** Wülker gibt sodann eine gedrängte
Übersicht des 1. Gedichtes, für das er als Quelle eine la-
teinische Vorlage voraussetzt Fälschlich hält er jedoch die
Verse 169—177 für den Schluß des 1. Gedichtes. Wie ich
im folgenden zeigen werde, bilden diese den Schluß des 2.
Gedichtes. Auf seine weiteren Ausführungen werde ich bei
meiner Auffassung der ae. Bearbeitung näher eingehen.
Gleich Wülker befaßte sich auch Ad. Ebert^) (1687)
eingehender mit dem Salomo und Saturn: „Das angelsäch-
sische Werk hat einen viel altertümlicheren, ernsten Cha-
rakter, der den orientalischen Ursprung dieser eigentümlichen
Dichtung überall offen zeigt. Sicherlich ist es auf Grund einer
lateinischen Vorlage verfaßt, die uns nicht überliefert ist, und
gewiß einer griechischen Quelle folgte ... So wie wir e»
besitzen, besteht es aus zwei Gedichten, vom ersten sind 178,.
vom zweiten 328 Langzeilen erhalten. Innerhalb des ersten
findet sich noch ein prosaisches Stück eingeschaltet, das viel-
leicht darauf hinweist, daß die gemeinsame Vorlage ganz in
Prosa verfaßt war. Und dort wird der Angelsachse sich ihr
am engsten angeschlossen haben.'' — Gleich Vogt sieht auch
Ebert in Saturn nicht den alten Gott der klassischen Mytho-
logie, sondern einen Fürsten der Chaldäer, wie sich aus dem
ganzen Werke ergibt, und den Salonion einmal Bruder nennt.
Am Schlüsse sagt er: „Es kann wohl zweifelhaft sein, ob die
beiden Gedichte von einem und demselben Verfasser her-
rühren; dagegen erscheint es mir sicher, daß das eine im
^) Allgemeine Geschichte der Literatur des Mittelalters im Abend-
lande. Leipzig. 1887, in. Bd., S. 91—96 einschl.
— 41 —
Hinblick aaf das andere , und beide auf Grund derselben
Qnelle yerfaßt sind, so viele Berührungspunkte zeigen sie
untereinander. Der Verkehr Salomo's mit den Dämonen,
wie er in apokryphiscben Werken des Alten Bundes, so
namentlich in dem griechisch geschriebenen ^^Testament Sa-
lomo's** geschildert wird, auf Grund weitverbreiteter orien-
talischer Sagen, hat die Anregung zur Abfassung des grie-
chischen Werks gegeben, welches — wie ich annehme —
in lateinischer Übertragung für den Verfasser des einen wie
des anderen angelsächsischen Gedichtes die Vorlage bildete.^
Mit Wülker (S. 366) weist auch er die von Vogt S. LIV
den beiden Gedichten zugeschriebenen Tendenzen, daß das
erstere es auf eine Läuterung der abgöttischen Überlieferungen
abgesehen habe, und das zweite die Überlegenheit christlicher
Weisheit über die weltlich-magische Gelehrsamkeit verherr-
lichen solle, zurück.
Nur kurz spricht sich E. Duff^) (1892) über unsere Ge-
dichte aus : ^The earliest form of the story, as far as can be
gatfaered from allusions to it, was a serious dialogue on theo-
logical and mystical questions between two persons of equal
leaming but of widely different feeling. If we accept As-
modeus, the prince of demons, as a prototype of the early
Marcolphus, or, as he was called in England, Saturnus, the
contest becomes one between inspired and infernal wisdom;
and a manifest connection is found between the Eastem
allegory and the earliest forms of the legend in the West,
in which Saturnus, earl of a country '^where no man may
Step with feet", contends in argument with Solomon
From a remote period forms of the dialogue seem to have
been known in England, and two very early versions, under
the title of "Solomon and Saturnus", are still in existence . . .
The first part consists of Solomon's elaborate ezplanation of
the Pater Noster, setting forth the power and value of the in-
dividual letters in a manner which, to a modern reader, would
seem to require wisdom even greater than Solomon's to un-
') The Dialogue or Gommuning between the Wiee King Salomon
and Marcolphus. London. 1892, S. XIII.
— 42 —
derstand. The second part is a theolbgical and moral dis-
putatioD, bearing no resemblance to other versions of tbe
Story, except in being arranged in the form of a dialogue^'.
Ausführlicher geht Siopford A. Brooke (1899)^) darauf
ein: "There are two dialogues between Salotno and Saturn
with which we may close the poetry of the ninth Century.
They are fragmentary. The oldest is the second in the ma-
nuscript [11. 179 — 506]. We guess this from the vigorous
way in which it begins: "Lo I heard ". Darauf gibt
er dann eine Inhaltsangabe in kurzen Züpfen ; über die Grund-
idee äußert er sich: "Solomon Stands as the representative of
Christian wisdom, Saturn of the heathen wisdom of the
East." — Über die allgemeine Sagengeschichte urteilt er kurz :
"In the "dialogues between Solomon and MarculP' Marculf does
not play the grave part of Saturn, the Eastern sage, but that
of tbe peasant or mechanic füll of uteducated mother-wit and
rough humour. This suits the raediseval temper, always a
little in rebellion against the predominance of the Church,
the Noble, and the king. And again and again Marculf' s
native wit has the better of Solomon. But in this early
Anglo-Saxon dialogue no such levity is allowed." Das 1. in
der Handschrift stehende Gedicht hält er also für das spätere :
**It has no introduction, and Saturn at once asks Solomon to
explain to him the power of the Paternoster. The answer
takes up the whole poem, and in the course of it many int-
eresting examples of folk-lore and superstition occur."
Von der eingeschalteten Prosaversion hat auch er keine allzu
hohe Meinung, wenn er sagt: "Then a prose fragmeut is in-
serted füll of curious thiogs concerning the shapes which the
Devil and the Paternoster will take when they contend to-
gether, of how the Paternoster will shoot at the Devil, of
what kind of head and of heart the Paternoster has, and of
all the wonders of bis body ; wonders so heaped up and amazing
that they may have had their origiu in Eastern imagination.^'
^) English Literature from the Beginning to the Norman Conquest.
London. 1899, S. 210 — 211; dagegen berührt derselbe Verfasser den "Sa-
lomo and Saturn" nur kurz in seiner zweibändigen "flistory of Early
English Literature" etc. London. 1892, L Bd., S. 194.
- 43 -
Die bisherigen Ergebnisse der Forschung faßt G. Kör-
ihig^) (1899) in ein paar Sätzen zusammen. Entgegen seiner
früheren Ansicht sagt Wülker (1900)*): „Das Gedicht, das
jetzt in den Ausgaben an 2. Stelle steht (V. 179 — 606), ist
jedenfalls das ältere." Dann gibt er eine Inhaltsangabe. Nur
kurz spricht sich Mar Förster^) (1902) über die vermutliche
Quelle der ae. Bearbeitung aus. „Daß gerade die irisch-
angelsächsische Kirche, die bei ihrer räumlichen Entfernung
von Rom allzeit einen nationalen, selbständigen Zug gezeigt
hat, eine fast verschollene Apokryphe bewahrt hat (i. e. die
von Jamnes und Mambres), ist nicht zu verwundern. Fehlt
es doch nicht an Beweisen, daß die irisch-angelsächsische
Kirche eine besondere Vorliebe für diesen Literaturzweig ge-
habt hat. James weist darauf hin, daß eine Form der Vita
Adae und Evae in dem irischen Saltair na Rann benutzt
ist, und daß der altenglische Dialog zwischen Salomon und
Saturn möglicherweise aus der Contradictio Salomonis, die
das Gelasianische Dekret verdammte, geschöpft ist" etc.
Die letzte Besprechung finden unsere Dialoge in der
großen Literaturgeschichte von R, Garnett und E. Gosse ^)
(1903): "In didactic literature we have a translation of the
distichs of Valerius Cato, and two dialogues in verse and two
in prose between Solomon and "Saturn". The origin of these
is Hebraic; they belong to the extensive class of writings,
founded on the history of the Queen of Sheba's visit to
Solomon, in which the wise king is represented in friendly
contest with visitors who come to make trial of his wisdom.
One of these in the earliest form of Hebrew tradition is
Hiram, King of Tyre, whose place at a later period is taken
by "Marcoiis", no other than Mercurius, whether the Gentile
deity or the Egyptian sage Hermes Trismegistus. Entering
*) Grundriß der Geschichte der Englischen Litteratur'. Münster.
1899, S. 66.
•) Geschichte der englischen Litteratur. Leipzig u. Wien. 1900, S. 48.
*) Das lateinisch-altenglische Fragment der Apokryphe von Jamnes
und Mambres, in: Herrig's Archiv Bd. CVJII, 1902, S. 27 (u. Bd. CX, 1903.)
*) English Literature, an Illustrated Record in Four Volumes.
London. 1903, 1. Bd., S. 61—62.
— 44 —
Europe, Marcoiis became the German Marcolf or Morolf, and
by a stroke of genius was transformed into the prototype of
EnleDspiegel aod Sancho ]panza, piain coarse common-sense
mockiog divine philosophy, and low cunning winning an ap-
parent triumph OTer lofty but unpractical wisdom. There is
nothing of this profound doable-edged irony in tbe Anglo*
SaxoD pieces, where "Saturn" — how conÜDg by that appel-
lation is hard to teil — manifests no trait of Morolf or
Sancho, bat is simply a propounder of queries sometimes
oncountered by meet replies, sometimes by a recital of tbe
wild est imaginings of the Rabbis."
So möge es mir nun vergönnt sein, durch die folgenden
Untersuchungen etwas mehr Licht über den rätselhaften „Sa-
lomo und Saturn" zu yerbreiten.
2. Beschreibimg der Handschriften und ihr YerhUtni»
zu einander.^)
Die altenglischen Bearbeitungen von Salomo und Saturn
sind uns in zwei Pergamenthandschriften ^), in beiden jedoch
lückenhaft, überliefert, die jetzt im Corpus Christi College
zu Cambridge aufbewahrt sind. Die Haupthandschrift, ein
Codex in 8®, nach Kemble's und Grein^s Vorgang mit A be-
zeichnet, trägt die Nummer 422 (früher S. 16), die andere,
Handschrift B, die Nummer 41 (früher S. 2). Erstere ent-
hält alles, was überhaupt noch von unseren Gedichten er-
halten ist. Sie besteht aus 26 Seiten, die in einer kleinen^
oft schwer lesbaren Schrift, und, wie Kemble vermutete, von
einer weiblichen Hand geschrieben sind. Jede Seite umfaßt
gewöhnlich 24 Zeilen; die 1. Seite dieser Handschrift^
welche die Verse 1 — SO** enthält, ist so gut wie ganz un-
lesbar, da sie durch chemische Einflüsse fast ganz schwarz
geworden ist. Ich selbst konnte nur auf der ersten Zeile
*) Vgl. Walker, Grundriß, S. 361; femer Kemble, S. 132; Grein,
Bibliothek II. Bd. S. 413; Sweet, Gollation in Anglia I, S. 150; Schipper,
Salomo und Saturn, in Germanis XXII, S. 51.
') Vergleiche Wanley, Catalogos. S. 114 und 149; siehe oben,
S. 26.
— 45 —
8 : : : RN : : ^), auf der 2. Zeile a : da von ijlanda, und onb : : : : von
onbyrged, auf Zeile 3 on von onlocen, auf Zeile 4 : : : : hter
von treahteras, 5 : : : : m : c : 1 : von micelan, 9 : : : : odde se : :
odde eor : : : (hier also abweichend von B) ^) ; dann auf Zeile
13 cantices, aaf Zeile 16 eordan, Zeile 18 Se : : : : done,
Zeile 19 warad he, Zeile 20 on domdsese dr : c : und auf der
letzten, der 24. Zeile, of : dwi von of edwittes mit Sicherheit
entziffern. Die 2. Seite der Handschrift ist nur gegen
Ende schwer lesbar, die 3. — 11. Seite sind sehr gut zu lesen.
Die 11. Seite hat unten ein groBes Loch, das selbstverständ-
lich auf der 12. Seite wiederkehrt. — Der Text des ersten
Gedichtes ist uns also in A (von v. 30* ab deutlich) bis
Y. 168 *) einschließlich (auf Seite 6) erhalten.
Ohne Unterbrechung folgt in der Handschrift, in der
Mitte der Seite 6 und von derselben Hand, ein Bruchstück
aus einem Prosagespräche zwischen Salomon und Saturn.
Dieses geht bis S. 12 einschließlich. Dahinter ist ein Blatt
herausgeschnitten.^) Auf dem 7. Blatte, also Seite 13, be-
ginnen die V. 169—177, die nach vorliegender Untersuchung
den Schluß des 2. Gedichtes bilden.
In der Mitte derselben Seite fängt das 2. Gedicht an,
das schon äußerlich durch die großen Buchstaben der ersten
ZeUe kenntlich ist: HWJET IC FLITAN 3EFILE3N. Die
14. Seite ist ausradiert und mit lateinischem Text über-
Bchrieben. Von der 15. Seite sind die ersten 6 Zeilen, sowie
die Mitte undeutlich, die 16.— 19. Seite ist. sehr gut zu lesen;
die 20. dagegen schwer, die nächsten Seiten wieder gut,
die 26. Seite jedoch sehr schwer. Mit Seite 26 schließt
die Handschrift; das übrige scheint nach den bisherigen
Herausgebern herausgeschnitten zu sein, trotzdem in der
') Also das 1. Qedicht begann wie das 2. auch mit großen Anfangs-
bnchstabeti.
*) Dadurch wird die von Holihaufen in Angiia XXfll, S. 123
verlangte metrische Konjektur handschriftlich bestätigt.
*) Ich zitiere nach meiner Ausgabe, die also von dem Texte bei
Grein- Wülker hier um eine Zeile diflFeriert.
^) Kemble: ** After a lacuna of one or more pages the Couplets re-
commence." — Es fehlt nur ein Blatt.
— 46 —
Handschrift selbst nichts zu bemerken ist. Ich selbst glaube,
daß nur wenig fehlen kann und bin der Meinung, daß das
nach der Prosa ausgeschnittene Blatt die Fortsetzung des
2. Gedichtes bildete, an die sich dann der Schluß, eben die
Zeilep 169—177, anreihten (vgl. unten).
Das Fehlen eines Blattes müssen wir auch nach Vers 306
annehmen, obgleich in der Handschrift nichts zu sehen ist,
ebenso nach Vers 396 (vor Blatt 23). Der Sinn, alsdann
besonders das Fehlen der Antwort Salomo's drängen uns zu
diesem Schlüsse. Diese zwei Blätter können aber nicht zu
demselben Bogen gehört haben.
Die zweite handschriftliche Überlieferung fi steht auf dem
ziemlich breiten £a.nde der Folioseiten 196 — 198 einer sehr
wertvollen Handschrift von Alfred's Beda und ist in einer
großen, deutlichen Hand geschrieben. Die Schrift stammt
wohl aus dem Ende des 11. Jahrhunderts. Sie enthält zwar
nur die Verse 1 — 94 T, doch ergänzt sie auf diese Weise
glücklich die Handschrift A, indem die wenigen auf der
1. Seite der hs. A noch lesbaren Worte genau mit jenen in
B übereinstimmen. Nach diesen Handschriften wurden, wie
ich bereits im vorhergehenden bemerkte, die beiden Gedichte
und die Prosaversion zuerst von Kemble, jedoch unkritisch,
dann von Schipper gedruckt. Die Gedichte allein finden
sich bei Grein und Grein-Wülker in der Bibliothek. Bei
einer nochmabgen Vergleichung fand ich zwar nur ein paar
Stellen, die für den Text zu verbessern waren; doch ohne
vorherige Einsicht der Handschriften wäre es nicht möglich
gewesen, einen Schluß auf das nach der Prosa fehlende Blatt
zu machen. Die Accente gebe ich im folgenden gesondert.
Der Umfang der Lücken ist, wie bei Schipper, durch Punkte
(: : : = 3 Buchstaben fehlen) bezeichnet. „Abkürzungen,
im Text durch kursiven Druck angedeutet, kommen in den
beiden Handschriften nur wenige vor, mit Ausnahme des be-
kannten, in der Regel gebrauchten Zeichens ./ für ond, wie
es aufzulösen ist {nicht and) ^) nach Anleitung einzelner Fälle
') Schipper, a. a. 0., S. 51.
— 47 —
des Prosabruchstückesj wo das Wort sich öfters auf p. 7 — 12
der hs. so geschrieben findet/^ Das Getrenntstehen der Kom-
posita habe ich im folgenden durch Bindestriche angedeutet.
Was das Verhältnis der beiden Handschriften zu einander
betrifft, so will ich es durch eine Gegenüberstellung der haupt-
sächlichsten Abweichungen klarlegen. Die Worte vor der
Klammer sind jene der Handschrift A, die daneben stehenden
jene von B; die Zahlen beziehen sich auf meine Ausgabe.
Aus den ersten 30 Versen ist also nur [eines] odde se : : :
odde eor : : : gegenüber odde achte eorlscipes in B 10 anzu-
führen. .Die Handschrift A liefert also hier die bessere Lesart.
Ferner müssen wir zur Vergleichung heranziehen : se jepalm-
twisoda Pater Nos/er^) in B 11; ebenso p gepalm-twigude
pater nr B 38 mit daet gepalm-twigede Pat^r Noster in A 38.
Alsdann : gifrust] gifrost B 47 ; eadost] eadusd B 35 ; worolde]
worulde B 56; gripu] jripo B 45; fyrwit] fyrwet B 57; fe-
dersceatum] federscette B 31; feohgestreona] fyrngestreona
B 31; ungelic] ungesibb B 34; getselrime] getales rime
B 37; ontyned] untyned B 39; swylce] swilce B 42; dy
fehlt B 42; dreara] dry B 43; intingum] intingaa B 44;
sifrust wealled] gifrost weallad B 47; steored] stered B 50
(vgl. dreosed A, B 59); heofona rices heregeatewa wiged]
heofon rices herejeatowe weged B 51; gast] gsest B 53;
durh jastes gife godspel secgan] durh gajstses gife godspellian
B 64; vgl. gaest Geist A 85; scyldijü] scyldü B 55:
A ist also hier ganz gedankenlos; asceadan] asceaden B 55;
wuldorlicne] wundorlicne B 56; gaf] geaf B 55; mod ge-
menged] mod geond menged B 58; hige heortan neah hsedre
wealled] hige heortan hearde wealled B 61, alsoB gibt besseren
Sinn ; jefeccan] gefetian B 68 (siehe Sievers * § 106, 3 und
416 Anm. 15 b und Bülbring, § 546.); clusum] clausum B 70;
he ahieded zerstört] hege hege hided verbirgt B 72: B also
schlecht; modigra middan^earde] modigra middanjeardes B 74;
stadole stren^ra donne ealra stana sripe] stadole he is strenjra
|>one ealle stana gripe B 75 (vgl. auch 80); lamena] lamana
') Die kursiv gedruckten ßachstaben zeigen an, daß die Hand-
schrift die gebräuchliche Abkürzang Nf für Noster hat.
— 48 —
B 76 ; wincendra] winciendra B 76 (siehe später) ; he is] his B 77 ;
dnmbra] deadra B 77 ; B ist also gedankenlos ; earmrafisca] earma
fixa B 80 ; welm Wasser für Fische] wlecco Stolz B 81, B also
gedankenlos ; on westenne weard, weordmynda] westenes weard
weordmynta B 82, letzteres metrisch besser; sodlice] smealioe
B 84; hine siemle wile lufian] bine symle luian wile B 85;
38estJ sesid B 85 ; fechtende] feohterne B 86, B gedankenlos,
gebrengan] sebringan B 86 ; du gebrengest] du sebrinjed B 87,
B also falsch ; on ufan] ufan B 87 ; lerne] yom B 87 (siehe
darüber in der Lautlehre); gud msecja gierde] gudmaja gyrde
B 89; sweopad] swaped B9I; prologa prima] prologo prim
B 88.
Einfluß von Nasalen in: begonsanne] be^ansenne B 63;
donne] t)ane B 34, als ; forden] fordan B 47 ; done] |)ane B 70.
Brechung: hwearfad] hwarfad B 34; vgl. auch toweor-
ped] toworped B 73.
Palatalisierung : ofslihd] ofslehd B 92; scippend] sceppend
B 55; scyppendes] scippendes B 78.
U/0-Umlaut etc. : heofona] heofna B 36 ; heofona] heofon
B 51; hefenum] heofnum B 59; seofan] sefan B 44; seofan
snytro ^ saule] sefan snytero .^ sawle B 65 (Bülbring § 234);
vgl. ferner seolfres] silofres B 30; sylfren] seolofren B 63;
leaf fehlt B 63.
Wechsel von ie, i, y: fyljed] filgid B 91; gefylled oder
gesylled] sefiUed fällt B 40; jimmum] gymmmn B 62; sien-
nihte] synnihte B 67 ; hie] hi B 68, 69 ; getimbred] getymbred
B 73; scyldigra scyld, scyppendes] scildisra scild, scippendes
B 78; siemle] symle B 84. 85; hwilum] hwylü B 60; gif] gyf
B 87; sierde] gyrde B 89.
Vergleiche auch: unnit B 20; ida B 28; aber untyned
B 39; swylce] swilce B 47.
Die Handschrift B ist jünger und hat daher die Ent*
rundung des y zu i in stärkerem Maße durchgeführt.
Abkürzungen kommen vor: englum] englü B 36; |)am]
})ä B 53; bocü] bocum B 60; selmihtigü] selmihtisnm B 33.
hwilum] hwylü B 60.
Verschiedenheit der spirantischen Schreibung und Syn-
kope erscheint: halsan] halijan B 36; hali^e] halie B 39;
— 49 —
bysis] bisi B 60 ; mersan] merian B 64 ; faeofonas] heofhas
ß 39; heofona] heofna B 36; ferigend] feriend B 79; nerisend]
Deriecd B 79; vgl. seherian B 33; fremede] fremde B 33.
Allgemein :
Zeile 66 fehlt in A.
ä fehlt in B 90 ; him fehlt in B 91.
B hat Vorliebe für J): Jjone B] done 90 A.
Die Runen sind nicht in B angegeben. Wiewohl B in
einigen Fällen bessere und ältere Lesarten bietet, so macht es
doch auf der anderen Seite wieder arge Verstöße ; man kann
eigentlich keiner Handschrift, soweit wir die Texte vergleichen
können, den Vorzug geben. Das Schwanken in der Aus-
sprache des i, ie, y macht es wahrscheinlich, daß die
Schreiber beider Handschriften nach dem westlichen Teil des
Westsächsischen gehören (Bülb. § 306, § 161 Anm. 2, § 163
Anm.). Wie femer in der Lautlehre gezeigt werden wird, ge-
hören die Verfasser der Gedichte dem nordhumbrischen
Dialektgebiete an.
3. Yerzeichnis der handschriftlichen Längezeichen. ^)
Hs. A: ä 90 (fehlt bei Assmann), 92, 95, 348, 463;
abanne 478; abelgan 327; äbited 299; &breoted294; äc 300,
333, 337, 361, 383, 445; äcende 362; ädreogan 360; ^r 177,
271, 273, 427; äfeded 371; äfiUed 296; äfran(?) 374; äge
475 (fehlt bei Assmann); ähieded 72; ählog 177; äldor 354;
an 245, 253, 384; äna 34, 273; äne 362; änra 232, 354; än-
sseced 181 ; äre 358 ; äsceadan 55 ; ästyred 295 ; ätol 468 ;
ätole 128; ädenden 473 (fehlt bei Assmann); ädreotan 446;
ädreoted 427 ; ädrinsan 502 ; äwa 321 ; äweced 282 ; äweorp 461.
bän 143; blican 234; boca 183, 241; bocstafas 161;
breosttosa 183; bringän 232; brodor 327; brucän 440.
cempän 138; corsiäs 185 (nicht über i); d^d 299; döm-
daeses 271; dömes dsege 334; endgum 344; aber nicht eordan
273, dessen Strich über r kein Accent ist.
*) Vgl. dazu Linke, Die Accente im Oxforder nnd Cambridger
Psalter. Dias. Erlangen. 1886.
MÜnchener Beiträge z. romanieohen n. engl. Philologie. XXXI. ^
— 60 —
f&ran 383; feld-jönsende 163; fgorbaende 278; förhd 177;
fet 263; fl6t 191; flow&n 320; förcamen 206; fireond 212 (toü
Assmann nicht angeführt); früma 279; füll 308 (tod Aas-
mann nicht angeführt); f^ 414.
särtom 144 (von Assmann nicht angeführt, allerdings ist
der Accent sehr undeutlich); jeltc 363; jerlmes 289; seomriän
349 (von Assmann nicht angeführt) ; sewesän 180; gilpän 204;
36d 101 ; 3Öde 361 (yon Assmann nicht angeführt).
hine 274; his 177.
tren 299; is 52.
laen&n (sie!) 325; lic 151; lix&n 234.
m&ne 315, 324; m&nfulra 147; men 179; monn 250;
mortis 279; m6t 320, aber nicht 396.
ng 395; nd 100.
öf 67, 108, 176, 335, 336, 455, 461 ; öfer 48, 274, 321 ;
öferbided 298; öfer-hnsesed 304 (von Assmann nicht ange-
führt); öfermodan 449; öferstised 298; öferwijed 297 ; öffeoll
214; öfslihd 92; Öfslog 213: oft 346, 371, 426; Öme 299; 6n
82, 87, 91, 97, 113, 129, 134, 138, 154, 160, 176, 178, 213, 214,
223, 245, 253, 257, 260, 262, 272, 285, 290, 296, 296, 307, 312,
317 (fehlt bei Assmann), 325, 334, 364, 367, 383, 385, 387,
389, 392, 412, 413, 414 (beide), 429, 430, 452, 457, 497,
499, 500; önseled 4t; önbyrejed 241; ön-fand 459; önfod
150; önsan 450; öngieldad 131; önhsetan 42; önlidisan 355;
önlutan 355; önmedlan 360; önsendad 243; onw^ned (fehlt
bei Assmann) 219 ; örda 230, 231 ; ordum 141 ; örjanes 32 ;
örles 373 (fehlt bei Assmann); örmod 348; ördancas 71;
öwiht 32.
räcenteaje 292; rapäs 330.
salomön 368; sceal 364; sindön 236; sorsfoilne 377;
st^le 298; swä 299; to 68 (Accent über t); t6 308, 415, 428,
439, 445, 501, 503; töbrseddön 430; todraf 461 ; torhte (Accent
über dem zweiten t) 37; tungän 229.
näsa 279; üt 163, aber nicht unjelic 34; wä 103; Wät
202, 428 (bei 205 ist nur ein Punkt über t); wSj 500; wen-
delsafe 202; wie 466; winrod 234; wlntre 466; wisdöm 180;
wissefa 437.
yra 47 trägt keinen Accent (falsch bei Assmann).
— 51 —
Hs. B: äna 34; äweaxen 27; dömdse^e 25; f&s 57; f^a
46; jlSda 47; irenum 28; onh^tan 42, aber nicht or|)anca8
71; Öwihit 32; stäna 75.
Prosa: äbimelech (S. 39); äc (S. 35); &damas (S. 36);
ädyfed (S. 38); &n (S. 37); änra (8. 36); äspyrian (S. 36);
dömescan (S. 35); ealra (S. 37); sesomnöd (S. 38); ilcan
(S. 37); magön (S. 36); middangeard (S. 37); 6f seofones
(S. 35); öferjesette (S. 85); öferhleod (S. 38); öferworht
(S. 36); auf jedem ön (S. 35); ön (S. 37); femer önseled
(S. 35); on-se-sömDÖd (S. 38); ebenso auf jedem önlicnisse
(S. 35); örjan (S. 38); tösömne (accent über t und s) (S. 36);
üppe 6n (S. 35); ös (8. 35); ütan (8. 38, 39); ymbtedmän
(8. 37).
Was die Accente betrifft, so ist deren Bedeutung trotz
Linke's Untersuchung noch nicht Töllig geklärt; sicher ist^
daß wir sie in unserem Denkmal nicht als Längezeichen der
betreffenden Vokale auf&ssen dürfen* Denn sie stehen ent-
weder auf ganz schwach betonten Wörtchen, oder auf unbe-
tonten Vor- oder Endsilben, oder gar auf kurzen 8tamm-
silbenvokalen, wahrscheinlich um den Vortragenden aufmerk-
sam zu machen, daß er erstere nicht übergeht.
4*
B. Komposition.
1. Wesen und Erklärung der altenglischen Fassungen. ^)
Im Altenglischen sind zwei Arten von Dialogen des
Salomon und Saturn zu unterscheiden : die erste, ziemlich um-
fangreiche ist durch die Haupthandschrift Nr. 422 des Corpus
Christi College zu Cambridge, die andere, viel kleinere durch
das Manuskript Cotton Vitellius AXV vertreten. Vorliegende
Abhandlung ist nur der ersteren gewidmet; die letztere er-
fordert eine eigene Untersuchung, da sie in das Gebiet der
Elucidarienliteratur gehört.
Wie schon bei der Vergleichung der altenglischen Dialoge
mit den semitischen und indogermanischen Bearbeitungen
ausgeführt worden ist, stellt der ae. „Salomon und Saturn"
den ältesten Repräsentanten der Salomosage in der abend-
ländischen Vulgärliteratur dar. Er besteht, wie im folgenden
ausgeführt werden wird, aus drei voneinander unab-
hängigen, fragmentarischen Zwiegesprächen. Das erste,
ein poetisches, enthält zuerst Salomo's Preis des Paternoster,
das in der Gestalt eines Palmbaums erscheint. Darauf schil-
dert Salomo dem Saturn die Überlegenheit der Buchstaben,
aus denen sich das Paternoster zusammensetzt, — die aber
nach Art der Runen gefaßt und personifiziert sind, — über
den bösen Feind.
Das zweite, ein prosaisches Zwiegespräch, behandelt
^) Vergleiche Kemble in seiner Ausgabe ; Hofmann, a. a. O. 423 und
431; Schaumberg, a. a. 0. 31 und 45; Vogt, S. LIV; Duflf: The Dialogue
or Gommuning etc. S. XIII.
— 53 —
im ersten Teile den Kampf des Paternoster mit dem Teufel
in je 15 yerschiedenen Gestalten; daran schließt sich eine
Beschreibnng des Paternoster als eines Riesen von unermeß-
licher Größe. — In der Handschrift folgen alsdann die
Zeilen 169 — 177, die nach vorliegender Untersnchung den
Schluß des 2. Gedichts bilden.
Dieser zweite poetische Dialog ist ein Rätselspiel, in
dem Salomo und Saturn philosophische, theologische und
mythische Probleme, wie den Unterschied zwischen Schicksal
und Vorsicht, das jüngste Gericht, den „Wandernden Wolf"
zum Gegenstande ihrer Betrachtungen machen. Beide Ge-
dichte hatten also keinen weiteren Zusammenhang; sie
rühren auch, wie in der Lautlehre gezeigt werden wird, von
zwei verschiedenen Verfassern her. Die äußerliche Ähnlich-
keit, daß in beiden Salomo und Saturn auftreten, war, wie
auch schon Wülker ^) bemerkte, sicherlich der Grund für den
Abschreiber, daß er sie in eine Handschrift vereinigte. Die
Prosa wurde nur des verwandten Inhalts wegen, den sie mit
dem ersten Gedicht hat, eingeschoben ; sie ist also nicht eine
prosaische Fortsetzung des ersten Gedichts; denn hier ist
das Paternoster ganz anders aufgefaßt. Zu der Beweisführung
dieser Behauptungen erschien neben der Lautlehre eine ein-
gehende Analyse, die zugleich eine ausführlichere Inhalts-
angabe^) ersetzt, unbedingt erforderlich; durch sie ist es
auch möglich geworden, den Kern der oft sehr schwer ver-
ständlichen Dichtung und das Wesen des rätselhaften Saturn
zu ergründen, was ich im folgenden klarzulegen versuche.
Ohne jede Einleitung beginnt das erste Gedicht so-
gleich mit der Rede Satums (v. 1 — 19): „Wahrlich, ich habe
von aller Inseln Büchern gekostet durch gelehrte Kunst^ ich
habe die Weisheit der Libyer und Griechen erschlossen, ebeup
so die Geschichte des Inderreiches. Mir wiesen die Erklärer
die Geschichten in dem großen Buche M : ces (?). •) Doch
») Grondriß, S. 365.
*) Eine solche findet sich bei £bert, a. a. 0. III, 97; vgl. ferner
Bouterwek: Ciedmon's des Angelsachsen biblische Dichtungen S. LXIV
und CXV; ferner Vogt a. a. 0.
') In den erhabenen, schwierigen Büchern Mosis?
— 64 —
konnte ich memals in allen den alten Sohriften die Wahrheit
finden« Da suchte ich noch, was in bezug auf Stolz oder
Machtfalle, Stärke oder Besitz Ton Tagenden das palmen-
bezweigte (d. L sieggekröate ; siehe S. 69) Paternoster wfire.
loh gebe dir, o Sohn Davids, Herrscher der Israeliten^ alle
30 Pfand geschlagenen Goldes and meine 13 Söhne, wenn du
jmcSx dazu bringst, daß ich durch das Wort des „Cantic^^^), durch
Christi Lehre angeregt werde, wenn du mich mit der Wahrheit
Tersöhnst und ich in Sicherheit fortgehe, mich befriedigt auf
den Wassernicken begebe, über den £lufi Chabur (wie ich
„Goferflod^ wiedergebe) die ChaldSer aufzusuchen/^ — Daraus
entnehmen wir also, daß Saturn ein Ohaldäer ist, und sicher
als ihr höchster Fürst aufgefaßt wwden muß. Dasselbe er-
fahren wir wieder aus U.*) t. 175 und 806. Er ist über das
Meer von ferne hergekommen und will wieder über den
Wasserrücken und über den Chaburfluß nach Hause. „Cofer-
flod'^^) kann nur diesen linken Nebenfluß des Euphrat in
Chaldäa bedeuten (ygl. Kommentar). Wenn er zwar dahin
zurückkehren will, so brauchte er von Jerusalem aus, wo das
Gespräch stattfindet (siehe S. 63), sich nicht auf das Meer
zu begeben. Er will aber jedenfalls seinen Weg nicht durch
die syrische Wüste nehmen, daher fahrt er auf dem Wendel-
see, d. i. dem Mittelländischen Meer, wie wir aus U. t. 802
erfahren. Er hat 12 Söhne, mit denen er nicht besonders
^) Nach fibert's Vorgang behalte auch ich die Wiedergabe det
alteDgüschen eantie bei.
*) Die römische Zahl bezeichnet daa zweite Gedicht.
*) Unter Coferflod ist kaum das Land Chabul zu yerstehen, das in
3. Kön. Kap. 9 und 13 erwähnt vrird: „Nachdem aber 20 Jahre ver-
gangen waren, und Salomo die zwei Bauwerke errichtet hatte, das ist
das Haus des Herrn, und das Haus des Königs, gab Salomo dem Hiram
20 Städte im Lande Galiläa (d. i. den Distrikt Chabul. ganz im Norden
des Landes der Verheißung und zwar noch aufier demselben gelegen; er
wurde wahrscheinlich von den Israeliten früher erobert, infolgedessen teils
verwüstet, teils entvölkert. Arndt I, S. 810). Als nun Hiram von Tyms
kam, die Städte zu besichtigen, die ihm Salomo gegeben hatte, gefielen
sie ihm nicht und er sprach: Sind dies die Städte, die du mir gegeben
hast, mein Bruder? Und er nannte sie das Land Chabul (d. h. mifl-
fällig bis auf diesen Tag).
— 56 —
zufrieden sein muß, da er sie dem Salomo anbietet Dazu
will er ihm noch alle 30 Pfund Goldes geben, also er scheint
ein reicher Fürst zu sein ; darauf wird wieder angespielt IL
▼. d06. Es kann sein, dafi hierin noch eine Srinnerung an
das Sätselspiel zwischen Salomo und Hiram liegt (ygl. oben
S. 3). EiT «ist im Besitze großen Wissens; denn er hat
die Bücher Ton allen Inseln, die hier doch wohl allgemeiner
als Halbinseln oder Länder überhaupt zu fassen sind, durch-
studiert, besonders die Weisheit der Libyer, wohl Egypter
(man denkt an Pythagoras, Herodot etc.), die wieder ü.
y. 195 erwähnt wird, dann die der Griechen und Inder. Damit
scheint der Dichter die Länder der weisesten Nationen der
damaligen Welt zu bezeichnen. Unter dem großen Buche
M : ces sind doch wohl die einzelnen Bücher Mosis zu yer-
stehen (ygL Kommentar). Die alten Schriften konnten ihm
nicht Aufschluß geben, was für eine Macht dem palmen-
bezweigten (sieggekrönten) Paternoster innewohne.
Also er ist ein Heide, der über das Christentum auf-
geklärt sein will, denn er sagt noch einmal, daß er durch das
Wort des Cantic, durch Christi Lehre angeregt sein möchte. Das
Cantic schließt wohl den Begriff des Außergewöhnlichen ein ;
wie Ebert bereits ausgesprochen hat, weist diese Stelle auf
eine lateinische Vorlage hin, da das lateinische Wort auch
Zauberlied bedeutet. Saturn will befriedigt Ton dannen
ziehen, also möchte er jedenfalls durch die Auseinander-
setzungen seines Gegenredners selbst bekehrt werden.
Salomo, der Sohn DaTids, geht nun (t. 20 — 34) darauf
ein und erklärt dem Saturn, daß der Mensch, der durch
den Cantic nicht Christum preisen kann, unnütz im Leben,
leer an Weisheit, und gleich dem Vieh sei. Am Tag des
Gerichts wird er verdammt; da wirft ihn der Teufel mit
eisernen Kugeln (?). Dann, heißt es weiter, „wird es ihm lieber
sein als diese ganze lichte Schöpfung, und wäre sie an den tier
Enden Toller Schätze (t. 31), wenn er jemals etwas von dem
''organ" — also dem Paternoster — erfahren hätte^'. Salomo
Terstärkt sogar seinen Ausspruch noch, indem er hinzufügt:
„elend, fremd dem allmächtigen Gott wird er sein und weitab
von der Gemeinschaft der Engel wird er einsam wandern.^
— 56 —
Daran schließt sich die Frage Satums (v. 35—37), welches
von allen Geschöpfen am leichtesten die heilige Türe des himm-
lischen Reiches ö&en könne. Salomo (v. 38 — 51) antwortet
ihm, daß dieses das pahnenbezweigte Paternoster sei. Dasselbe
habe aber noch andere Eigenschaften: „Es macht mild den
Schöpfer y macht die Todsünde zunichte^, dagegen kann es
anch dem Teufel so zusetzen, daß ihm die Schweißtropfen
hervorquellen. Zum Schlüsse sagt ihm Salomo, daß der Cantic
von allen Büchern Christi das berühmteste sei: er lehrt die
Schriften, lenkt mit seiner Stimme, hält (behauptet) die (Wal)-
statt, trägt des Himmelreiches fleeresrüstung.
Saturn (v, 52 — 61) möchte daher wissen, wie das „organ^
zu lernen sei, damit es solche Wirkung hätte. Elr wollte
schon seit langem seinen Geist reinigen von Schuld. Dem-
nach hätte er schon lange bekehrt sein wollen, yielleicht
deshalb, um so dem Tode gefaßter in das Auge sehen zu
können, zumal er sich auch im zweiten Gedichte eingehend
nach dem Tode erkundigt. Denn er ist schon sehr bejahrt,
da ihn nach II. v. 246 bereits „50 Winter die Neugierde
plagt^^ In keinem Buche konnte er etwas darüber finden.
Salomo antwortet ihm mit einer langen Bede, die den
Hauptinhalt des 1. Gedichts bildet, v. 62—168. Er preist
zunächst nochmals und in ganz orientalischer Weise das
„Wort Gottes" (se godes cwide), das eben wieder das Pater-
noster bedeutet. Dieses ist golden und mit Edelsteinen ge-
schmückt, es hat silberne Blätter, es ist der Honig der Seele,
und die Weisheit des Sinnes; es kann die Seele von der
ewigen Finsternis zurückholen, es beraubt die Hölle, es ist
der Arzt für die Kranken, ein Wächter in der. Wüste. Und
wer eifrig das Wort Gottes singen will, der kann den bösen
Feind zum Fliehen bringen, wenn man zuerst den „Prologum
primum" gegen ihn losläßt, dem der Name P ist. — Salomo
legt nun die geheimnisvolle Kraft der einzelnen Buchstaben
des Paternoster dar. Die meisten haben Speere oder Ruten
und stechen und hauen auf den bösen Feind ein. So heißt
es von P: Es hat der Kampf held eine lange Brute, einen
goldenen Stachel, und schlägt damit immer den grimmigen
Feind ; , . . B geht zornig auf ihn los ; der Fürst der Buchstaben
— 57 —
schwingt ihn an seinem Haar herum nnd zerbricht seine
Glieder am Grestein, so daß er flieht in seine Burg, mit
Finsternis bedeckt. — Daß R als Fürst der Buchstaben auf-
tritty weist nach Ebert auf das griechische Grundwerk hin, in-
dem P in dem Monogramm Christi eine hervorragende Stelle
einnimmt. — N und [O] [oder I, siehe Kommentar], die Zwil-
linge der Kirche, tun ihn in Acht und Bann ; S, der Fürst der
Engel, der Stab der Herrlichkeit, packt ihn bei den Füßen
und zerschmettert ihm die Wangen an einem Stein. In der
Luft quälen ihn die „Zwillinge des Lebens" mit silbernen
Ruten (140 ff.). Wer diese sind, ist mir unklar, die Zwillinge
des Lebens sind doch eigentlich Leib und Seele (oder der
Teufel und der Schutzengel?).
So also, sagt Salomo, kann das Gotteswort (cwide) jeden
der Feinde zum Fliehen bringen und die schwarze Schar der
Bösen bannen. Diese Feinde nehmen oft die Gestalt einer
Schlange (wörtlich Wurms) an, stechen das Vieh, das Pferd;
ja „der'' Feind fesselt sogar die Hände des dem Tode ge-
weihten Mannes, er beschwert seine Hände, wenn er im
Kampfe Sorge tragen will für sein Leben gegen die feind-
liche Schar; der Feind schreibt auf die Waffe des Mannes
eine Menge zum Unheil gereichender Zeichen, er verzaubert
das Schwert Salomo gibt nun in echt germanischem
Sinne die Nutzanwendung : „Daher soll niemand ohne Bedacht
das Schwert zücken, wenn auch der Glanz ihm gefallt, sondern
immer soll er, wenn er sein Schwert zieht, das Paternoster
singen und den Falmbaum mit Freuden bitten, daß er ihm
beides gebe, das Leben und die Hände (d. i. den Gebrauch
der Hände), wenn sein Feind kommt.^ Also der Palmbaum
bedeutet das Paternoster ; wir haben hier eine Nebeneinander-
stellung desselben Begriffes, den im ae. üblichen Parallelismus.
Nach T. 62 hatte das Paternoster silberne Blätter und war mit
Edelsteinen geziert. (Näheres über Palmtreow im Kommentar).
Damit ist die Rede Salomo's zu Ende gekommen, und
Saturn könnte seinem Gegenredner nach einer so ausfuhr-
lichen Beschreibung und Darleguug der hervorragenden Eigen-
schaften dieses Palmbaums Paternoster nur erklären, daß er
zur richtigen Überzeugung gelangt ist und sich zur Lehre
— 68 —
Ohristi bekeDnen will. Dieses erfahren wir aber nioht mehr,
denn in der Handschrift beginnt ohne Unterbrechnng auf
derselben Seite die Prosa.
Die Verse 169 — 177 bilden also nicht den Schloß des
1. Gedichtes. Fassen wir den Inhalt des ersten Gedidites
in ein paar Worte zusammen, so enthält es also die Schil-
derung der Gewalt des Paternoster durch Salomo. Die Kraft
der neunzehn Buchstaben desselben wird beschrieben, indem die
paar fehlenden Buchstaben nach Grein, Bibliothek II., S. 368
Anm., sich leicht ergänzen lassen. Bereits Kemble ergänzte
O in V. 107, und Grein J nach v. 122. Grein hat überhaupt
zuerst den Zusammenhang der Runen erkannt, indem er sagte :
,,Gibt man die Ergänzung in t. 123 (122) zu und sieht man
in y. 136^ — 137 (135) das nicht genannte B, so haben wir die
neunzehn Buchstaben, aus denen das lateinische Paternoster zu-
sanmiengesetzt ist, und zwar im ganzen in der Folge, wie sie
in ihm nach und nach zuerst auftreten, .V durch U yertreten.^'
Zugrunde gelegt ist das Paternoster nach Matthäus VI, 9 — 13
einschließUch: P ATERNOSQOICLFMDGBH. Das
Nos beweist, daß nicht die Fassung nach Lukas XI, 2 — 4
(nach der Vulgata) Torliegen konnte.^) — Eine lateinische
Vorlage ist also sicherlich dafür anzunehmen.
Fragen wir uns nach dem Zwecke, den der Dichter damit
verfolgte, so glaube ich dies dahin beantworten zu können,
daß er damit die Überlegenheit der christlichen Beligion
über die heidnisch-germanische zum Ausdrucke bringen
wollte. Es ist erklärlich, daß er dazu das Paternoster
wählte, da dieses in wenigen, aber herrlichen Worten die
Lehre des Christentums enthalt. Mit Recht wurde daher
bei der Bekehrung der Heiden von den Geistlichen ver-
langt, daß die Germanen zuerst das Paternoster, dann das
Credo beten können. Ich möchte nur zwei Stellen aus den
Homilien Wulfstans anführen, worin es heißt (ed. Napier,
p. 125, 1): Leofan menn, understandad seome . . ., ))8Bt »Ic
cristen man mid rihte cunnon sceall, |>8et is, pater noster and
a-edo in Deunt . . ., weiter ib. p. 136, 18 : fordam nan man ne
') 8. WÜUnr, Giundrüt, S. 366, Anm.
— 59 —
mses bim sylfum rihtlice to his drihtne bis |»earfe sesmcljaD,
baton be cnnne pater noster and credan (ygl. aucb eine
HomiUe Aelfrics, Tborpe n. 604).
Über die Palmzweige vgl. die Predigt auf den Palm
Simday in den Blickling Homilies, S. €7, Z. 7 : ))a bsBron bie
bim (Cbristo) tojeanes blowende palmtwia^; for)>OD {)e bit wsbs
Indisc )>eawy f^nne beora cininsas bsefdon nje jeworbt on
beora feoDdum, ^ bie wseron eft bam bweorfende, ))onne eodan
bie bim togeaDes mid blowendum palmtwisnm, beora 81568 to
wyor))myndum. Wel f^t jedafenode {)8et Dribten 8wa dyde
on )>a selicnesse; for|ion |)e be wses wnldre8 cyniDg. |)ysne
dses bie nemdon siges dseg. (Ein Vergleicb des Gebetes mit
einer Palme findet sieb bei Scbönbacb, Altdeutscbe Predigten I.
90, 4ff.y Tgl. femer I. 192, siebe Kommentar.)
Der Diobter wftblte also die Qestalt eines Palmbaumes,
da eben die Palme das Zeicben des Sieges ist. Für die
eigenttimlicbe Auffassung des alteugliscben ^) Dicbters, den
einzelnen Bucbstaben des Paternoster die Überlegenbeit über
die bösen Feinde zuzuscbreibeu, möcbte icb auf eise Stelle
der Bibel Terweisen, d. i. Psalm 118, in dem aucb Gedanken
über das Wort Gottes an die Betracbtung der Bucbstaben
des bebrtiscben Alpbabets geknüpft werden.*) Dies soll an-
zeigen, daß dem Frommen das Wort Gottes ebenso tief ein-
geprägt sein müsse wie das Alpbabet seiner Spracbe (vgl. damit
aucb die Klagelieder des Jeremias Kap. 1. 9. 3. 4. 5).
Eine andere Frage drängt sieb uns wegen der „bösen
Feinde^ auf. Im Paternoster entbält ja nur die 7. Bitte
einen Hinweis auf den Teufel, aber dieses ist meiner Meinung
nacb bier belanglos. Ten Brink folgert aus der Scbilderung
des Treibens der bösen Geister auf einen Zusammenhang mit
') Aus der eogÜBchen Literatur möehte ich aU ParallelBtelle
Ohauoer's ABC anfahren, das freilioh wieder eine Überseteung aas dem
Franzöfiflchen ist, and sein Spiel mit den Buchstaben in anderer Weise treibt.
*} Vgl. auch Migne, Dict. Col. 842: Wagenseil, dans son recueil
d*6crits composSs par des Jaifs contre la religion chr6tienne, pretend
que les Jui& attribuent & Salomon une priSre qui donne, si l'on prend
Im premikres lettres de chaque phrase, le mot hdbreu correspondant 4
Salomon rez.
— 60 —
den. germanischen Eiben. Ich selbst erblicke, wie ich bereits
erwähnt habe, in dem ersten Dialoge eine schwache Anlehnung
an die Dämonensage, die wir bei den Juden, Arabern, Griechen
kennen gelernt haben. Alles wird in orientalischer Weise
geschildert; ich kann jedoch nicht mit Vogt übereinstimmen,
daß dieser Dialog es auf eine christliche Läuterung der ab-
göttischen orientalischen Überlieferung abgesehen habe. Ich
glaube, daß der altenglische Dichter den Dialog nur mit
Rücksicht auf seine heidnischen Germanen verfaßt hat, was
die Runen und die Aufforderung zum Gebete, bevor der
Krieger sein Schwert zieht, bekräftigen. Der Dichter be-
nutzte also die in England jedenfalls sehr bekannte Salomo-
sage, um die ausserordentliche Kraft des Paternoster zu veran-
schaulichen. Die Kirche gebrauchte die Dialogformen als ein
Mittel zur Belehrung der Heiden; in dem zweiten Gedichte
werden wir sehen, wie Salomo dem Saturn den Fall der Engel,
das jüngste Gericht etc. auseinandersetzt; das prosaische
Gespräch im Gotton Vitellius A. XV soll ihn über die
Schöpfung der Welt, die Bücher Moses, die Erschaffung des
Menschen, die 10 Gebote etc. aufklären. Für alle Dialoge
müssen wir also christliche Verfasser annehmen.
Noch deutlicher tritt uns die Tendenz der Kirche, mit
Hilfe des Dialogs den Heiden eine Vorstellung von christ-
lichen Dingen zu machen, in dem in der Handschrift auf
das erste Gedicht folgenden prosaischen Dialoge von
Salomo und Saturn entgegen, zu dem ich nun übergehen will.
Dieser hebt mit der Frage des Saturn an, in wie mannig-
fachen Gestalten der Teufel mit dem Paternoster kämpfen
wird. In dreißig Gestalten, antwortet Salomo, d. h. ein jeder
von beiden in 15. Es ist klar, daß sich dies nach der
Beschreibung des Kampfes des Teufels mit dem Falm-
baum Paternoster nicht sehr gut anschließt, da ja dort der
Teufel schon besiegt ist. Der Teufel wird also zuerst in der
Gestalt eines Kindes sein, das Paternoster aber in der des
heiligen Geistes; damit wird immer ein Gegensatz ausgedrückt,
wobei natürlich dem Paternoster der bessere Teil zufällt ; denn
der heilige Geist ist selbstverständlich dem unerfahrenen
Kinde überlegen. Das dritte Mal kämpft der Teufel in
— 61 —
der Grestalt eines Drachen, das Paternoster aber in der G-e-
stalt des Pfeiles, der Brachia Dei heißt; damit kann eben
der Drache erlegt werden. Jener dann in der Gestalt der
Finsternis, dieser in der Gestalt des Lichts.
Manchmal ist der Gegensatz nicht gleich zu erkennen,
wie Nr. 13 und 14 : der Teufel ist in Gestalt eines Schwertes,
das Paternoster in der einer himmlischen Brünne. Damit ist
gemeint, daß das Schwert nichts gegen die himmlische Brünne
ausrichten kann.
Die zweimal vorkommende Gestalt des Paternoster als
eines silbernen Adlers in Nr. 16 und 18 und den daher nicht
zu erkennenden Gegensatz für den Teufel müssen wir der
Unachtsamkeit des Schreibers auf Rechnung setzen. Das
19. Mal ist der Teufel in der Gestalt des Todes, das 20. Mal
das Paternoster in der Gestalt Christi. Das 29. Mal ist der
Teufel wieder in Gestalt des Todes ; doch da bedeutet Salomo
dann noch einmal: „Dann ist das Paternoster glorreicher ge-
wendet in die Gestalt des Herrn."
Hieran schließen sich noch eine Beihe wunderlichster
Fragen und Antworten; so fragt Saturn: Aber wer entdeckt
den Teufel in dem Walde des Himmels (!) und bringt ihn in
die Arme der Kämpen Christi , die so heißen : Cherubim und
Seraphim? Darauf Salomo: üriel und Rumiel. ^) Saturn
fragt darauf: Aber wer schießt den Teufel mit glühenden
Pfeilen? worauf Salomo antwortet: Das Paternoster schießt
den Teufel mit glühenden Pfeilen, und der Blitz brennt und
zeichnet ihn und der Regen kommt von oben über ihn, und
die Wolken führen ihn irre, und der Donner drischt ihn
mit der feurigen Axt, und treibt ihn zu der eisernen Kette,
an welcher sein Vater gebunden liegt, Satan und Sathiel.
Vergleichen wir damit I. v. 116, so sehen wir, daß also
das Paternoster nicht gegen Satan, den obersten Teufel selbst,
auftritt. Salomo fährt dann fort: und wenn der Teufel
sehr müde geworden ist, so sucht er das Vieh eines schuldigen
Mannes oder einen unreinen Baum auf, oder wenn er den
^) Ein Bruchstück eines Dialoges zwischen Uriel und einem Ramiel
ist in dem 6. nnd 7. Buche Mosis (apokryph) enthalten, gedr. bei Ceriani:
Fragmenta Parvae Genesis et Assumptionis Mosis. Tom V. (vgl. Komment.).
— 62 -
Mond oder Leib eioes ungesegneten Mannes trifft, dann
geht er in des Mannes Eingeweide. Und durch seine Hant
und durch sein Fleisch geht er auf die Erde und von da
sucht er die Wüste der Hölle auf. Vgl. damit die Bück-
ling Homilies, ed. Morris, S. 47: CwaB)) se halja lareow:
Ne ablinnan we, manna beam, (»set we Gode cwemon, .f
deofol tynan, dseges ^ nihtes, J midCristes rdde tacne
US sebletsian, |)onne flyh^ (»set deofol fram us; for-
|)on him bi|) mara broga |)0Dne senisum men sy, |)eah hi[m]
m<m sl^ mid sweorde wi)) {ises heafdes ; vgl. auch S. 97 :
For{>on we sceolan weordian |)set halije sisetacen Cristes
rode c/ Softer fylgeon . . .
Nun kommt Saturn wieder auf die Gestalt des Pater-
noster selbst zurück und fragt: Aber was für ein Haupt hat
das Paternoster? Salomo: Es hat ein goldenes Haupt und
silbernes Haar^); unter einer einzigen Locke kann man
trocken stehen, wenn auch alle Wasser der Erde und des
Himmels zusammen regneten; und seine Augen sind 12000
mal glänzender als die ganze Erde, wenn sie auch mit den glän-
zendsten Lilienblüten überdeckt wäre, und jedes Blatt der
Blüte 12 Sonnen und jede Blüte 12 Monde hätte, und jeder
Mond 12 000 mal glänzender wäre als er vor Abels Ermordung
war. So wird dann auch ausführlich das Herz des Pater-
noster beschrieben, das 12000 mal herrlicher ist als alle die
7 Himmel, die über uns gesetzt sind; das Paternoster hat
femer eine feurige Zunge und eioen goldenen Bachen und
einen leuchtenden Mund. „Und wenn auch die ganze Erde
neu geworden wäre von Adam's Schöpfong an und jeder
einzelne Mensch die 12 Weisheiten Habraham's, Isac's und
Jacob's hätte und 300 Jahre leben dürfte, sie könnten nicht
die Länge seiner Zunge, noch die Kraft ihrer Macht entdecken.^
Seine Arme sind 12 000 mal länger als die Erde, seine 2 Hände
sind breiter als 12 Mittelwelten, ein jeder seiner goldenen Finger
jedoch ist 30000 mal länger als die ganze Mittelwelt. (Es
hat also ganz unproportionierte Extremitäten.) In der rechten
^) Im 1. Gedichte war das Gotteswort golden, mit Edebteinen ge-
schmückt and hatte lilberne Blätter (y. 62—63).
— 63 —
fiUmd des Paternof ter ist die Gestalt eines goldenen Schwertes,
dessen Unke Schneide grimmiger ist als die Erde, wenn sie auch
Ton wilden Tieren angefüllt wäre, und jedes 12 eiserne Homer
hätte nnd jedes Hom wieder 12 eiserne Zinken, und jede
Zinke wieder 12 Spitzen und jede Spitze wieder 12000^) mal
sdiärfer wäre als ein Pfeil, der Ton 120 Schmieden (?) gehärtet
wäre (der 120 Härtungen erfahren hätte?). Mit seiner rechten
Hand könnte das Paternoster alle Geschöpfe zu der Gestalt
eines Wachsapfek zusammendrücken. Der Gedanke des Pater-
noster ist schneller als 12 000 heilige Geister, wenn auch
jeder 12 Gefieder hätte, und jedes wieder 12 Flügel und jeder
wieder 12 Siege. Es wird dann noch die Stinmie beschrieben,
die alles übertönen würde, wenn jedes Wesen auch eine
goldene Trompete im Munde hätte und jede Trompete 12
Töne.
Also das Paternoster erscheint hier nicht wie im 1. Ge-
dichte als ein Palmbaum, sondern als ein Riese von wahrhaft
unermeßlicher Größe. Es wird dann die Ausrüstung geschil-
dert, Ton dieser aber nur das Banner, indem mitten in seiner
Schilderung die Prosa abbricht. Es heißt da: das Pater-
noster hat ein goldenes Banner, das mit 12 Purpurtüchem(?)
umgeben ist und jedes hängt an 120 goldenen Bingen; das
erste Purpurtuch heißt Aumm cseleste; dann nennen die
Engel das zweite: Spiritum Paraclitum; in dieser Art des
Tuches wird der heilige Michael am jüngsten Tage gekleidet sein.
Das 3. nennen die Engel Pastoralices; in dieser Art war das
Purpurtuch, das einst um die Säulen von Salomon's Vater David
in diesem selben Tempel hing (das Grespräch spielt also in Je-
rusalem). In der Gestalt des 4. Purpurtuches, das Solacitum
heißt, opferte einst Abimelech, der gute König, Christo (!).
Das 5. Purpurtuch heißt Vita Perpetua, das der heiligen
Dreieinigkeit gehört; das 6. heißt Sacrificium Dei. Dann
ist das 7
Damit bricht die Prosa ab, indem in der Handschrift
ein Blatt herausgeschnitten ist. Wenn ich mir nun die Frage
vorlege, ob dieses eine Blatt die Fortsetzung der Prosa ent-
^) Der Verfasser ist hier wohl von der Apokalypse beeinflufit worden.
— 64 —
halten habe, so muß ich. diese verneinen. Das möchte ich
mit folgendem begründen. Der Prosaverfasser müßte zunächst
noch die 5 anderen Purpurtücher aufzählen^ femer hätte
Saturn doch auch nach der Bedeutung der 120 goldenen
Ringe gefragt, und Salomo, der alles weiß, hätte ihn auch
darüber aufgeklärt. Dieses hätte zwar auf den zwei Seiten
Platz gehabt, wird aber durch die umständliche Art und
Weise der Erklärung, die der Prosaverfasser dem Salomo
zu eigen gibt, unwahrscheinlich gemacht. Ferner muß ich
annehmen, daß Saturn, der sich in dem Prosabruchstück
eingehend nach allem erkundigt, auch nach anderen Gegen-
ständen der Ausrüstung des Paternoster gefragt hätte, so be-
sonders nach dem Schild und der Rüstung selbst, ja es
könnte mich nicht wimdern, wenn der Verfasser der Prosa
dem Saturn auch noch eine Frage nach den Siebenmeilen-
stiefeln für die vorauszusetzenden, die Mittelwelt an Länge
12000 mal übertreffenden Beine des Paternoster in den Mund
gelegt hätte. Dafür hätte aber ein einziges Oktavblättcben
nicht ausgereicht. Femer hätte Saturn doch auch dem Salomo
erklären müssen, daß er nun endlich vollkommen klar über
das Paternoster geworden ist.
Meine Meinung geht vielmehr dahin, daß sich auf dem
herausgeschnittenen Blatte die Fortsetzung des 2. Gedichtes,
also nach v. 501 ^) befand, an die sich dann der Schluß des
2. Gedichtes in den v. 169—177 anschloß. Wie in der Laut-
lehre gezeigt werden wird, gehören diese wenigen Verse der
Sprache nach zum 2. Gedichte, sind also nicht mehr wie
bisher als der Schluß des 1. Gedichtes zu betrachten. In
sprachlicher Beziehung darf ich hier bereits anführen, daß die
erine auffallende Formel forcumen J' forcyded v. 175 sich
wieder v. 205 vorfindet ; andere Übereinstimmungen sind in der
Lautlehre verzeichnet.
Daß auf dem ausgeschnittenen Blatte höchstwahrscheinlich
die Fortsetzung des 2. Gedichtes gestanden hat, möchte ich noch
durch folgendes bekräftigen. Wie ich in der Analyse des 2. Ge-
^) V. 504 bei Grein- Wülker.
— 65 —
Gedichtes sehen, daß in Vers 4 74 ff. Satum dem Salomo es-
chatologische Fragen stellen zu wollen scheint. Salomo zielt
am Schlüsse seiner Antwort auf das jüngste Gericht und die
Verurteilung des bösen Menschen ab. Dieses, sowie die letzte
Frage Saturns nach dem jüngsten Gerichte kann höchstens
2 Seiten in der Handschrift ausgefüllt haben, muß aber den
Versen 169 — 177 vorhergegangen sein. Denn es heißt in
diesen: „Er läßt nicht nach, bevor er sicher weiß, oaß die
sündigen Seelen bei den Feinden mitten in der Hölle stecken
werden. Dann wird der hohe König befehlen, die Hölle
zu schließen voll des Feuers und die Feinde mit dazu." Daran
reiht sich v. 174 der objektiv gehaltene Schluß, der dem An-
fange des 2. Gedichtes genau entspricht: „Es hatte da der
kluge Sohn David's den Fürsten der Chaldäer überwunden
und zu Schanden gemacht; aber es war doch der befriedigt,
der auf seiner Reise von ferne her gekommen war; niemals
zuvor lachte sein Herz (so) auf." Das „von ferne her'* ent-
spricht genau der Aufzählung der vielen Länder, die Satum
durchzogen hat, im Anfange des 2. Gedichtes.
Bevor ich jedoch zu diesem selbst übergehe, möchte ich
noch auf das Prosabruchstück zurückkommen. Wir haben
gesehen, daß dieses inhaltlich von dem 1. Gedichte abweicht.
In der Darstellung des Riesen Paternoster werden wir an
ähnliche Beschreibungen in der Psychomachie des Prudentius
erinnert. — Im 1. Teile soll wieder die Überlegenheit des
Paternoster, jedoch nicht so sehr die des Christentums über
das Heidentum dargestellt werden; im 2. Teile will der
Verfasser (seinen heidnischen Germanen) einen Begriff von
dem Paternoster geben, wie er es sich vorstellt. Allerdings
läßt dies auf keine hohe geistige Veranlagung schließen : denn
eine solche Beschreibung des Paternoster ist nicht mehr
schöpferische Phantasie ; wir können auch keine Vision, sondern
nur das Produkt eines nicht mehr ganz normalen Menschen
darin erblicken, wenn wir ihn nicht gleich für 12 000 mal
verrückt erklären wollen.^) Er sticht also gegen den Verfasser
^) Ich könnte nur einen guten Gedanken von ihm anerkennen,
wenn er die 120 goldenen Hinge und die so häufig auftretende Zahl
Mttnchener Beiträge 2. romanischen u. engl. Philologie. XXXI. 5
r^ 66 ^
des 1. Gedichtes {bedeutend, oooh lodir ftbe^ gegen den des
2. Gedich;te8 ab, das leb nun analysieren mll.
Es beginnt, .entgegen dem ersten, mit «liner eiHflchen
^Eünleitung, in der der Dichter selbst spricht (v. 178—^00?) :
^Traun, ich habe erfahren, daß in frühej^en Tagen sinnes-
Jduge Männer, Fürsten der JBrde wetteiferten, stritten um
jhre Weisheit . . . Salomon war der berühmtere, wenn auch
Satl^rn, der kühne Geistesheld, die Schlüssel von einigen
Büchern hatte , die Schlösser der Gelehrsamkeit. Das ganze
Land durchwanderte er, das Meer der Inder, nach Osten hin
die Korsier (Gedroeien ?), das Reich der Perser, Palästina,
.die befestigte Stadt Niniveh und nach Norden hin die Parther (?),
die Schatzhallen der Meder, das Land Marculfs, das Beiob
Saul's, wie es nach Süden zu liegt um Gilboa und um Geador
nach Norden, die Paläste der f^hilister, die befestigten Plätze
der Griechen, den Wald der Egypter, das Gewässer der
3Iathäer, die Clauder, Coreffer, das Beich der Ohaldäer, die
Mächte der Griechen, die Greschleohter der Araber, die Lehre
der Libyer, das Land Syrien, Bithynien, Byzanz (?), Pamphyli^a,
das Grenzland des Perus (Pontus?), Macedonien, Mesopotamien,
Gappadocien, Christi Hierycho, Galiläa, Hierusalem . . ."
Aus diesem Eingänge erfahren wir also, daß Salomo .doch
4er berühmtere war, trotzdem Saturn den ganzen damals be-
kannten Erdkreis durchzogen hatte. Auffallend ist, daß dabei
sein eigenes Eeich genannt wird ; worauf sich das "Marculfes
eard" bezieht, ist nicht klar; selbstyerständlich muß «s ein
Land im Orient bedeuten, vielleicht ist damit Syrien gemeint
(vgl. damit den Bericht des Erzbischofs Wilhelm von Tyrus
oben Seite 11, ebenso auch „Marculphus, qui ab Oriente nuper
venerat^'), das zwar v. 195 wieder erwähnt wird. Als Apqpo-
sition zu Meda maddumeelas darf es nicht gefaßt werden,
da eine solche Konstruktionsweise überhaupt nicht in usfieren
rGedichten vorkommt Unter Geador ist doch %wohl das jieutige
Qadara südlich vom See Genezareth zu vjersteheüoi ; das Gre*-
12000, die Vervielialtigang von 120 mit 100, im Hinblick auf das
Großhundert der Germanen eingeführt hätte (um sie noch rascher zum
Gbriatentum zu bewegen?). Wabreoheinlich aber hat er die^ Zahl
)12000 dv Offenbarung Job. Kap. .7. 4 entlehnt.
— 67 —
«Eässer der Mathäer halte ich fiir den See Tiberias, die Heimat
des fSyaiigelisten Matthäus ; unter Porus haben wir vielleicht
Pontus oder .den König Phaiao von Egypten zu yessteheq,
der als iFore in dem deutschen Spielmannsgedioht erscheint; es
kirnnte auch vielleicht der König Porus von Indien gemeint
sein. Eine genauere •Bestimmung ist nicht möglich, da der
Verfasser des 2. Gedichtes die Länder nidit nach ihrer geo*
graphischen Lage aufzählt. Von .dem irömischen Beich wird
nichts erwähnt, dagegen überwiegen die biblischen tarnen.
Leider ist die nächste Seite ausradiert und -mit lateini-
schem Text überschrieben. Wahrscheinlich hat sidh hier Saturn
ähnlich wie im 1. Gedichte als einen Menschen vorgestellt,
der viele Büdier studiert und bei all den genannten Völ-
kern Weisheit vemcnnmen bat; es wird jedoch im folgenden
nur die der Philister herangezogen. Der Ohaldäerfürst wird
auch seinen Grund angegeben haben, warum er Salomo auf-
gesucht hat, eben um zu sehen, wer den anderen an Weisheit
übertreffen könnte. Wir müssen nach der Antwort Salomo's
annehmen, daß er dies in besonders prahlerischer Weise her-
vorgehoben hat; er muß femer von .dem Lande der Philister
erzählt haben, das niemand betreten dürfe, wohin aber er doch
allein ging. Nicht umsonst werden immer die Philister erwähnt,
da sie die erbittertsten Feinde der Israeliten waren.
Die Handschrift beginnt dann mit dem Pragment einer
Rede Salomo's: „Oder ich schweige, sinne auf etwas Nütz-
liches .... ich weiß dann, wenn du dich begibst auf den
Wendelsee, über den Fluß Chabur dein Volk aufzusuchen,
daß du dich rühmen willst, du hättest die Kinder der Men-
schen besiegt und zu Schanden gemacht: Ich weiß, daß
die Chaldäer so ruhmredig waren im Kampfe, so stolz auf
ihr Gold, so prahlerisch auf ihre Herrlichkeiten, als an sie
die Mahnung erging südlich auf dem Sanerefeld. Sage
mir von dem Lande, wohin keioer . der Menschen den Fuß
setzen darf." Hieraus sehen wir also, daß Saturn einem
mächtigen Volke angehört. Damit stimmt v. 327 überein
(s. später). Jedoch möchte ich bemerken, daß die ,^umena
beam", auf die sich Vogt so sehr stützt und für Saturn den
Schluß zieht, daß er übermenschlich sei, nicht (gerade be-
6*
— 68 —
weisend sind, da dies eine epische Formel ist. Der Kampfes-
eifer und die Prahlsucht derChaldäer werden besonders hervor-
gehoben. Die Mahnung sud ymbe Sanere feld bezieht sich
oflFenbar auf Genesis Kap. 11. In Genesis 10 wird bei dem
Geschlechtsregister der Nachkommen Noe's erzählt: „Und Chus
zeugte den Nemrod; dieser fing an ein Gewaltiger zu sein auf
Erden. Und er war ein starker Jäger vor dem Herrn. Daher
entstand das Sprichwort : Ein starker Jäger vor dem Herrn wie
Nemrod. Seine Herrschaft aber erstreckte sich anfänglich auf
Babylon, Arach, Achad und Ghalanne im Lande Sennaar^.
Kap. 11 heißt es dann: „Es war aber auf Erden nur eine
Sprache und einerlei Rede. Und als sie vom Aufgange her-
zogen, fanden sie eine Ebene im Lande Sennaar und ließen sich
daselbst nieder." Es wird dann der Turmbau zu Babel ge-
schildert und die Sprachenverwirrung. Darauf spielt Sa-
lomo an; er möchte nun etwas von dem Lande der Philister
erfahren, das der Chaldäerfürst auf dem fehlenden Blatte in
prahlerischer Weise angedeutet haben muß.^)
Saturn erzählt darauf (v. 210 — 222): Der berühmte
Seefahrer war geheißen: „Wandernder Wolf", bekannt den
Völkern der Philister, der Freund „Nebrond's" (also Nem-
rod's). Er erschlug auf dem Felde 25 Drachen bei Tages-
anbruch, doch ihn erschlug der Tod ; daher kann kein lebendes
Wesen dort weilen; von da entstammten zuerst die giftigen
Scharen, die nun wandernd in giftigem Hauch sich Eingang
schaffen. — Also der Freund des Chaldäers „Nebrond", der
„Wandernde Wolf", war gleich diesem ein großer Jäger,
der 25 Drachen erschlug, aber selbst fiel, wodurch die
Scharen sich ausbreiteten.*-^) Durch ihren giftigen Hauch
kann niemand in das Land, das doch wohl das Land
der Philister selbst ist. Daß dieser Philisterfiirst zu
einem germanischen Namen kam, findet seine Erklärung
wahrscheinlich darin, daß der Dichter oder seine Vorlage sich
*) Ich fasse dieses also gegen Vogt nicht als Saturn's Reich; daü
der Wandernde Wolf nicht Saturn ist, beweist dessen Aussage, daß jener
selbst fiel.
^) Hierin ist vielleicht noch ein Nachklang der Drachensage aas
der jüdischen Fassung zu erkennen.
— 69 —
an die Etymologie des Wortes „Philister" gehalten hat, welches
„Wanderer^' bedeutet und daher ihrem Fürsten das Prädikat:
Wandernder Wolf gab (vgl. Encyclopsedia Britannica * XVIII,
766 : The very name of Philistines probably comes from a
Semitic root meaning "to wander" ; the Septuagint calls them
!^U(Jf/)t;Ao«, "aliens".)
Die V. 223 — 227 fasse ich nun als Antwort Salomo's auf,
die aussagt, daß der Wandernde Wolf sich eben in die Ge-
fahr begeben hat und darin umkam : Denn töricht ist der,
der in tiefes Wasser geht und nicht schwimmen kann oder
den Grund nicht erreichen kann.
Saturn fragt dann (228—236): Aber wer ist der Stumme,
der in einer Höhle ruht, sehr weise ist, sieben Zungen hat,
von denen jede 20 Spitzen und jede Spitze die Weisheit
eines Engels hat? Salomo gibt die Antwort darauf (v.
236 — 240), wenn er sagt: Bücher sind berühmt. Also der
Stumme in der Höhle ist ein Buch in seinem Fache; die
7 Zungen bedeuten wohl 7 Siegel^), jedes Siegel umfaßt
wahrscheinlich 20 Blätter. Es ist vielleicht hier das Buch
gemeint, das in der Offenbarung des Johannes, Kap. 6 ge-
nannt ist, das 7 Siegel hat (vgl. auch Ezechiel 2, 9).
Die Frage Satum's entspricht auch äußerlich ungefähr der
Antwort Salomo's in der annähernd gleichen Anzahl von Versen ;
dies stimmt genau bei den zwei nächsten Aussprüchen Saturn's
and Salomo's, die ganz allgemein sich auf Bücher beziehen.
Darauf sagt Saturn (v. 245 — 250): Ein Wesen ist in der
Welt, um das mich die Neugierde 60 Winter plagte, weithin
über die Schöpfung; mein sich quälender Geist tut dies
immer noch, bis der ewige Herr mir gönnen wird, daß mich
ein weiserer Mann befriedige. — Trotzdem Saturn keine weitere
Bemerkung macht, so will doch Salomo ihn sofort aufklären.
Er beweist alsbald, daß er auch in der Weisheit der Phi-
lister beschlagen ist, wenn er sagt: Ein Vogel sitzt mitten im
') Vgl. damit eine Stelle bei Migne, Dict. 843: «Nicolas Eymerio
(Director. Inquisitor, part. II. quaest. 28) dit que le Pape Innocent VI
condamna et fit bruler an gros livre divise en sept parties, intitule Le
livre de Salomon, et rempli d^invocations et de pratiques coupables pour
Commander aux demons.»
— 70 —
Lande der Philister, ein Berg ist rings um< ihn,, ein weiter
goldener Wall. Eifrig bewachen ihn die Weisender Philister;
sie glauben ohne Ghrund, daß ihn das ganze Volk ihnen rauben
möchte.^) Mit der Schneide des Schwerte? bewachen sie ihn;
jede Nacht, Tt)n Norden und- Süden, geben auf beiden Seiten
200 Wächter auf ihn Acht. Der Vogel hat vier Köpfe
von Durchschnittsmenschen, ist in der Mitte walfischaitig, er
hat die Flügel eines Geiers und die Füße eines Greifen. Er
liegt fest in Fesseln, er schaut schrecklich, mächtig schwingt
er, und seine Ketten erdröhnen. Lang kommt ihm die Weilb
Yor, es dünkt ihm, daß es dreimal 30000 Winter seiesi,
bevor er den Lärm des jüngsten Gerichts hört. Es kannte
ihn auf dieser Erde keiner der Menschen, bis daß ich allein
ihn fand und ihn zu fesseln befahl über das weite Wasser
hin, daß ihn der mutige Sohn Melot's, der Fürst der Philister,
fest mit Ketten schließen ließ. Diesen Vogel heißen die
weithin wohnenden Fürsten der Philister Vasa Mortis.
Da Salomo dem Fürsten der Philister Befehl erteilen
kann, so hat also der Verfasser des 2. Gedichts hier die
Herrschaft Salomo's in seiner Jugendzeit, als die Philister
unterworfen waren, im Auge. Er macht sich aber eine un*
richtige Vorstellung von der Lage des Landes der Philister,
wie das „ofer brad water" von Vers 274 zeigt. Ich glaube
nicht, daß der Todesvogel Vasa Mortis zu der Art von
Drachen gehört, die der Wandernde Wolf erlegt hat; er
scheint etwas heiliges zu sein, da 200 Wächter ihn hüten:
Daher sehe ich hierin eine Anspielung auf den Gott Dagon
der Philister, der den Leib eines Fisches hat (Samuel 1, 5);
vgl. damit Encyclopsedia Britannica • XVIII, 756: ''The
more famous Dagon, who had temples at Ashdod (1 Sam. V;
1 Mac. X. 83) and Gaza (Judges XVI. 21 sq.), seems to
have been more than a mere local deity; there was a place
called Beth*Dagon in Judsßa (Josh. XV. 41) and another on
the borders of Asher (Josh. XIX. 27). The name Dagon
seems to come from n "fish", and that this idol was halA
man half-fish is pretty clear from 1 Sam. V. 4, where, how-
^) oder : sie glaubeoi daß in der Nacht ein fremdes Volk ihn rauben
möchte (siehe Kommentar).
- n -
ever, the toxt ib haidly 8ound> aüd^ we oughli probably tö
read, omittiüg' one of two> consecative num, ''only his fisü-ptfrl^
wft9 left to him'\ To' the male god Dagon answers in tbe
Bible die femaie deity Asht'oreth, whose t'emple spoken' of
in 1 Saiu. XXXI. VO is probably the ancient temple at Ae-
c&Ion, which Herodotus regarded as the oläest seat of the
^rorship of Aphrodite Urania. . . . The image had a bnman
head, bat was continued in the form of a fish." Die Stielle
erinnert anch sehr an das Oesieht des Propheten Daniel,
Kap; 7, 6 : „Danach schaute ich, siehe, da war ein anderes
Tiei*, gleich einem Pantiier, das hatte auf seinem Eücken 4
J?lügel wie ein Vogel, a^oh hatte das Tier 4 Köpfe, und die
Herrschaft war ihm gegeben^.
Darauf fragt Saturn (v. 280—289): Aber was ist das
wunderbare Ding^), das über diese Welt dahinfährt, unerbittlich
einherschreitet, die Fundamente erschüttert, Tränen verursacht,
dem nichts edtgehen kann, kein Stern, Stein oder Tier, dem
jährlich von den auf der Erde, iti der Luft, und im Wasser
Üiebenden dreimal 13000 zur Speise werden? Darauf gibt ihm
Sälomo in einem ebenso langen Sinnesabschnitt (v. 290 — 299)
die Antwort: Das Alter ist stärker als alles auf Erden, es
fesselt, was es will ; es fällt den Baum und zerbricht seine
Zweige, es frißt den wilden Vogel, es besiegt den Wolf, es
überdauert Steine, es übertrifft Stahl, es frißt das Bisen durch
Rost, so tut es auch mit uns. In diesen Worten Salomo's
finden wir den Weltschmerz ausgedriickt, daß eben alles dbm
Alter unterworfen ist.
Hierauf fragt Saturn wieder (v. 300 — ?): Aber warum
fällt der Schnee, bedeckt die Erde, zerdrückt die Früchte,
sucht die Menge der Tiere heim, in nassen Schauem stürmt er
daher, bricht das Tor der Städte, fährt kühn . . .? Hier
am Ende der Seite müssen wir annehmen, daß vor Blatt
19 ein Blatt fehlt, wiewohl in der Handschrift selbst nichts
zu sehen ist; denn wir vermissen die Antwort Salomo's. Es
gebt dann weiter mit dem Fragmente einer Kede Salomo's:
^) Vgl. damit': Hvat er ist undra etc., bei: Heosler und Kanisch:
JSddica Minora. Dortmnnd' 1903. S. 109fr.
— 72 —
Er (oder es) richtet Verheerungen an, um vieles stärker
als listige Feindschaft ^ die ihn in die verhaBten Behau-
sungen, dem Teufel zur Freude, unter die Verdammten hinein-
führt (vgl. V. 497). Bezieht sich dieses vielleicht auf den
Tod? Das folgende würde dazu passen (vgl. 309 — 310), wo
Saturnus sagt: die Nacht ist das dunkelste der Wetter, die
Not ist der härteste der Schicksalsschläge, die Sorge ist die
schwerste Bürde, der Schlaf ist am ähnlichsten dem Tode. Auf
diesen allgemeinen Ausspruch hin sagt Salomo (v. 311 — 319):
Eine kurze Weile sind die Blätter grün, dann werden sie
fahl, fallen auf die Erde und verwelken. So werden dann die
fallen, die lange zuvor Frevel ausführen, in Verbrechen leben,
hohe Schätze verbergen, sie an einem festen Ort gierig be-
wachen, und wähnen, daß der allmächtige Gott sie erhören
wird. — Dies hat Salomon wahrscheinlich im Hinblick auf
Saturn selbst gesagt ; vgl. damit auch Psalm 38, 7 : Wahrlich,
nur als ein Schattenbild geht der Mensch vorüber und um-
sonst macht er sich Unruhe ; er häuft Schätze auf imd weiß
nicht, für wen er sie sammelt. (Über den Vergleich von
Blume und Mensch siehe auch Bückling Homilies, S. 59.)
Die nächsten Fragen und Antworten spinnen den Ge-
danken weiter fort. Saturn sagt (v. 320—323): Bald wird es
oflFenbar, wenn die Woge über alles Land fließen wird; sie
will durchaus nicht von ihrem Wege abweichen, wenn die
Zeit kommen wird, daß sie den Lärm des Gerichtstages hören
soll. Der Dichter stellt sich also vor, daß am jüngsten Tage
eine Woge alles vernichtet; das „bald" ist vielleicht im Hin-
blick auf das Jahr 1000 zu verstehen, in dem man allgemein
das Ende der Welt vermutete, vgl. damit Bückling Homilies
(ed. Morris), S. 117/119: })onne sceal ]}es middangeard endian
[im sechsten Zeitalter] ^ [)isse is [)onne se msesta dsel agangen,
efne nigon hund wintra ^ LXXI. on l}ys jeare. Ebenso
Seite 107: Magon we J)onne nu geseon ^ oncnawan ^ß swil)e
gearelice ongeotan [)8et t)isses middangeardes ende swi{)e neah
is . Salomo warnt nun (v. 324 — 328, also auch äußer-
lich ist die Antwort hier wieder in denselben Sinnesabschnitt ge-
kleidet) Saturn, auf daß es ihm nicht schlimm ergehe am
Tage des Gerichts; das Metrum paßt sich auch der feier-
— 73 —
liehen Rede an: „So ^) wird es dann den übermütigen Menschen
ergehen, die jetzt hier am längsten in Verbrechen leben in
dieser yergänglichen Schöpfung. Einst taten dies deine Leute
kund: sie kämpften gegen die Macht des Herrn, weshalb sie
ihr Werk nicht vollenden durften. Doch möchte i^h dich,
„Bruder^, nicht erzürnen, du bist aus einem sehr bösen
Geschlechte, aus einer grimmigen, mächtigen Familie; ver-
falle daher du nicht in ihre böse Natur. ^ Der Turmbau
zu Babel, der hier wieder gemeint ist, war also die größte
Missetat der Chaldäer ; diese erscheinen als trotzige Menschen.
Über den Ausdruck „Bruder^' werde ich später reden, möchte
aber hier bereits auf die Ausdrücke „cyning" v. 329 und
„hlaford** Salomon v. 368 verweisen.
Saturn fragt nun (v. 329—330): Sage du mir, „König"
Salomo, Sohn David's, welches sind die 4 Fesseln des dem
Tode geweihten Mannes?
In den 2 nächsten Zeilen gibt ihm Salomo die Antwort,
daß dies „gewordene" (vollendete)^) Geschicke seien. Ich
glaube, daß diese 4 Geschicke, denen der sterbliche Mensch
nicht entgehen kann, eben die Nacht, dann die Not ist, von
der es ja heißt: „ned bid wyrda heardost^, alsdann die Sorge,
und der (Todes-)Schlaf, die Saturn v. 309 — 310 aufgezählt hat.
Meine Meinung finde ich noch dadurch bestärkt, daß dies auch
äußerlich durch dasselbe Reimpaar angezeigt ist. Diese sind erst
(von den Nomen) gewoben, da sie vor dem Falle der Menschen,
wodurch letztere dem Tode geweiht wurden, nicht vorhanden
waren. Satumus fragt hierauf (v. 333 — 334): Aber wer richtet
Christus am Tage des Gerichts, wenn er alle Geschöpfe richtet?
Salomo antwortet ihm (v. 335 — 336) : Wer darf denn den Herrn
richten, der uns aus dem Staube erschuf, den Eetter aus der
Wunde der Nacht? Aber sage mir, wer waren die Retter?
Damit hat nun die Rede über das jüngste Gericht vor-
') Kemble, Grein und Aßmaun setzen hier Wa, das wohl besseren
Sinn gibt, aber nicht in der Handschrift steht.
') Die Hs. liest gewurdene wyrda; diese auffallende Partizipialform
verbessere ich nicht mit Sievers in Pßß. XII. 480 in gewundene, da ich
in diesem besonders hervorgehobenen Halbverse eine etymologische
Spielerei unseres Dichters mit der Wyrd (Urd) erblicke.
— 74 —
d^rhand ihr Ende epreicht. A«if die Frage Salomo's, wer dio
Retter (aus der Wunde der Nacht) waren, kleidet Satnm die
Antwort^ die eben die Sonne ist, in eine weitere Frage (v.
337 — 340): ^Aber warum darf nicht die Sonne die weiti»
Schöpfung heU besoheinen^ warum beschattet sie Bei^
und Hügel und auch manche wüste Plätze? Wie kommt
das?'' Die Antwort Salomo's wird nun in einem gleichen
Sinnesabschnitt von 4* Zeilen (v. 341 — 344) wieder in eine
Frage gehüllt: Warum wurden die Schätze der Erde nicht
^eich unter die Leute y<erteilt? Der eine hat zu wenig^ und
muB nach Besitz Verlangen tragen; selig setzt Gfott den
anderen« zur Ruhe durch seine Verdienste.
Saturn fragt nun (y. 345 — 347): Warum sind die beiden
Gefährten^ das Weinen und das Lachen, immer beisammen?
Die Antwort Salomo's (v. 348—349) bezieht sich auf den
ersten Gefährten; ,,denn elend und mutlos, ja Gott verhaßt,
ist der, der immer im Unglück jammern will". Dahinter
ist der tiefere Sinn verborgen, daß durch Weinen und Weh-
klagen nichts in der Welt zu erreichen ist. Der Mensch soll
im Unglück nicht traurig die Händia in den Schoß legen und
nachdenken über das, was nicht mehr zu ändern' ist, sondiem
er soll, durch das Unglück gestählt, seine Kraft betätigen*;
dann wird auch Gott ihm zur Seite stehen.
Saturn fragt hierauf (v. 350 — ^351): Warum können wir
denn nicht alle glorreich in das Reich Gottes eingehen?
Salomo klärt ihn indirekt darüber auf, indem dies an der
Verschiedenheit der Menschen liege, wenn er sagt (v. 352 —
355): Die Umarmung des Feuers und der Schauer des
Frostes, Schnee noch Sonne können nicht beieinander wohnen
und ihr Leben verbringen, sondern was weniger Macht hat,
muß jeweils sich beugen. Saturn fragt wieder (v. 366 — 388) :
Warum lebt der schlechtere Mensch länger, dem doch in
der Welt keine größere Ehre widerfährt? Salomo antwortet
(v. 359—360) : Niemand kann für irgend eine Zeit die fürch-
terliche Reise aufschieben, sondern muß sie über sich ergehen
lassen. — Damit erklärt er also, daß dem Tode, wann und wie
er kommt, niemand entrinnen kann (vgl. auch Psalm 48).
Die nächste Frage Saturn's ist wieder aus dem mensch«*
— 76 —
lieben Leben genommeDj indem er sagt (t. 361 — 368): Aber
wie kommt es, daß, wenn ein Widib Zwillinge gebiert, ihre
Henrlichkeit nicht die gleiche ist? Der eine ist elend, der
andere glücklich, und hoch in Gunst bei den besten der
Menschen; der erstere lebt nur kurze Zeit und stirbt
dann unter Sorgen. Ich frage dich , o „Herr" Salomo,
wessen Lage ist die bessere? Die Antwort Salomo's lautet
in einem etwas längeren Sionesabschnitt (v. 369 — 384), daß
keine Mutter bei der Geburt ihres Sohnes Macht über
dessen Gltick hat, sondern dem Schicksal* gemäß wird eines nach
dem anderen sich ToUziehen; das ist das alte Verhängnis.
Hier haben wir denselben Gedanken ausgedrückt wie im
Prediger Kap* 9, daß alles als ungewiß für die Zukunft auf-
bewahrt ist, daß alle dasselbe Geschick trifft, daß alles von Zeit
und Zufall abhängt. Es ist eine allgemeine Betrachtung, die
damit schließt, daß schon in der Geburt das Leben des
Kindes vorherbestimmt ist, daß also der Mensch dem Ge-
schicke blind unterworfen ist.
An das Gespräch über das Kind schließt sich die Frage
Satum's an (v, 385 — 387), warum der Mensch nicht in der
Jugend arbeiten und nach Weisheit streben wolle. Die
Antwort Salomo's lautet in einem gleichen Sinnesabschnitt
▼on 3 Zeilen (v. 388—390): Ein wohlhabender Edler kann
leicht für sich einen milden Herrn wählen, einen Fürsten
Ton edler Geburt, der Arme kann dies nicht. Ich verstehe
dieses dahin, daß es nur dem Reichen vergönnt ist, in der
Welt emporzukommen; er allein kann sich auch höheres
Wissen verschaffen. Es hebt nun in Vers 391 die Frage
Saturn's an: „Aber warum dringt mit Gewalt dieses Wasser
durch die Welt, belastet die tiefe Schöpfung, und kann nicht
am Tage ruhen; nachts presst es nicht (?), durch seine Elraft
reißt es alles hin; es macht zu Christen und reinigt eine
Menge Menschen; mit seiner Herrlichkeit verleiht es ihnen
leuchtende Glorie! Ich weiß durchaus nicht, warum der
Strom nachts nicht ruhen kann . . .^^
Man muß hier annehmen, daß vor Seite 23 ein Blat^
felüt^ wiewohl in der Handschrift nichts zu sehen ist; dieses
muß' eine lange Betrachtung Saturn's über das Wasser (viel-
— 76 —
leicht Taufe) enthalten haben, was man aus der langen Bede
Salomo's — ich fasse die Verse auf Seite 23 so auf —
schließen muß. Was Saturn mit dem ewig fließenden Wasser
meint, ist nicht recht ersichtlich. Der Gedanke des Dich-
ters war vielleicht derselbe wie der Heraklit's, daß in der
Welt nichts bleibendes ist; nicht nur die einzelnen Dinge,
sondern auch das Weltall als Ganzes ist in ewiger Umwälzung
begriffen, alles fließt. Heraklit erklärte jedoch die Welt für
ein ewig lebendes Feuer, das Feuer also für das Wesen aller
Dinge; dieses trifft genau mit der Antwort Salomo's zu-
sammen, die nach meiner Ansicht auf dem fehlenden Blatte
begann und eine Betrachtung über das Feuer enthielt, die
sich in y. 397 also fortsetzt : . . . „mit der Umfassung seines
Leibes ; immer ist es (also es kann nicht mehr der Strom, se(!)
stream, sein) seinen Lehrern gehorsam; sehr oft zerstört es
auch die Macht des Teufels, wo die Menge der Weisen ver-
sammelt ist. Dann entgleitet der Bissen einem weisen Manne,
er besieht ihn bei Lichte, er beugt sich danach, er macht das
Kreuzeszeichen darauf, belegt ihn mit einer Znkost und ißt ihn
selbst. So ist dieser eine Bissen, wenn er gesegnet ist, für
jeden Menschen, wenn er es versteht, ein viel besserer G^nuß,
als ihm Schmaus und Gastmahl von 7 Tagen wären. Das Licht
hat die Gestalt und Beschaffenheit des heiligen Geistes (Hinweis
auf das Erscheinen des heiligen Geistes in feuriger Zunge am
Pfingsttage) imd die Art von Christus (indem es wie dieser
nach dem Himmel zu strebt). Es macht dieses oft kund;
(denn) wenn die Unvorsichtigen es eine Zeitlang ohne Fessel
halten, schlägt es durch das Dach, bricht und entzündet die
Balken der Häuser, wabert hoch und weit herum, steigt
empor, züngelt nach seiner Art. Es strebt das Feuer, wenn
es kann, seinem Ursprünge zu, in die Wohnungen des
Vaters, wieder zu der Stätte, von der es zuerst kam. Es ist
durchaus für den Edlen wohl zu erkennen, für den, der teil-
nehmen kann am Lichte des Herrn (der tiefer hineinsieht in
die Geheimnisse Gottes?). Denn da ist keine Art von Lebe-
wesen, weder Vogel noch Fisch, weder ein Stein der Erde,
noch auch eine Woge des Wassers, auch kein Holzzweig,
weder Berg noch Hügel, noch selbst diese Erde, die nicht
— 77 —
von der Art des Feuers wäre." Ich glaube, daß auf
dem fehlenden Blatte eine ausführlichere Betrachtung über
die Taufe war, von der Saturn etwas Yemommen hatte (ebenso
wie von Christus y. 333). Danach schloß sich vielleicht die
Firmung an ; was die ersten Zeilen von Salomo dann bedeuten
sollen, ist mir nicht ganz klar; soll hier auf die letzte Oluug
angespielt werden ? Der Bissen, der entgleitet, bedeutet vielleicht
die Hostie, oder es ist hier eine Anspielung auf ein Gottes-
gericht') (corsnsed). Die 7 Tage beziehen sich wohl auf das
Osterfest, das 7 Tage gefeiert wurde ; danach würde dann der
Bissen mit der Kommunion in der Osterzeit zu identifizieren
sein. Es folgt sodann die Betrachtung über das Feuer, in
der wir dieselben Gedanken wiederfinden» die später Schiller
in dem Liede von der Glocke zum Ausdruck gebracht hat.
Der Schlußgedanke, daß das Feuer der Grundstoff von allem
sei, ist die Philosophie Heraklit's, wie schon oben hervorgehoben
wurde. Dies ist also ganz das Gegenteil von dem biblischen
Salomo, der (Prediger 3, 20) sagt: Aus Erde ist alles ge-
worden und zur Erde kehrt es wieder zurück.
Derselbe Gedanke mit dem Feuer kommt auch in den
Metren des Boethius XX vor. (Grein-Wülker III, 2, S. 33,
vgl. auch Crist 969 ff.). Ich glaube aber kaum, daß wir hierin
eine Anlehnung an die gnostische Auffassung der Lehre der
Manichäer zu sehen haben.
Eine ausführliche Diskussion entspinnt sich gegen den
Schluß (v. 423 ff.) über die Frage, was stärker sei, das Schick-
sal (wyrd) oder die Vorsicht (warnung), wenn beide mit-
einander kämpfen. Hier spricht Saturn: Sehr oft hörte ich
kluge Männer vorlängst sagen und reden von einem gewissen
Ding, nünlich welches von beiden ohne Zweifel das stärkere
wäre, das Schicksal (wyrd) oder die Vorsicht, wenn sie oft
in grimmigem Zwang mit einander kämpfen, und welches von
beiden zuerst ermüdet; gewiß weiß ich es: es sagten mir
einst die Weisen der Philister, wenn wir in (Wort)streiten
(zusammen) saßen, Bücher ausbreiteten, und auf den Schoß
^) Vgl. Liebermann, F. : Die Gesetze der Angelsachsen. Halle. 1903.
(1898) 4«. I. S. 386, 408 fiF., 425 fiF.
— 78 —
legten, Weohsolrede hielten, manches ausfindig machten, daß
kein Mensch auf Erden wäre, der den Zwiespalt der Beiden
ergründen könnte. Darauf erwidert Salomo (v. 4M — 440):
Das Schicksal ist schwer zu wenden, gar ernst schreitet es
daher, es weckt das Weinen, es häuft Weh auf, es regt den
Geist an, es führt die Jahre herauf; und dennoch vemutg
ein vorsichtiger Mann eine jegliche Schickung zu mäßigen,
wenn er klugen Sinnes ist und bei seinen Freunden Unter-
stützung suchen will, aber nichtsdestoweniger den göttlichen
Geist gebraucht.
Salomo redet also zuerst von der Härte des Schicksals,
mildert jedoch seinen Ausspruch mit dem Hinweise, wie man
das Geschick mäßigen könne. Saturn fragt hierauf, warum
das Schicksal, die Tochter des Todes, bei den Menschen wohne,
und sagt, daß es erst sehr spät im Pehdestiften ermüden
werde (v. 441--447): Aber warum quält uns das starke
Schicksal, der Ursprung aller Frevel, die Mutter der Fehde,
die Wurzel der Leiden, die Quelle der Tränen, Vater und
Mutter der ürschuld, die Tochter des Todes? Aber wozu wohnt
es unter uns? Wahrlich, spät erst, so lange es lebt, wird es
ermüden, durch frevelnden Streit Feindschaft zu erzeugen.
Nach allgemein christlicher Anschauung wäre das Schick*
sal die Tochter des Todes durch den Sündenfall geworden
(vgl. 309 — 330); so antwortet Salomo Saturn auf die Frage,
warum das Schicksal, der Ursprung aller Frevel, die Menschen
züchtige, indem er den Fall Lucifer's und seiner Genossen
erzählt (v. 448—473): „Es durfte zusammen nicht Gemein-
schaft des seligen Engels und des übermütigen im Belobe
Gottes sein: der eine gehorchte seinem Herrn, der andere
begann durch geheime Künste für sich zu rüsten Banner
und breite Brünne, sagte, daß er mit seinen Gesellen ver-
heeren wollte das ganze Himmelreich und über die Hälfte
tronen, weggehen mit dem 10. Teile, bis daß er sein (ge-
rechtes) Ende durch das Schicksal [fand]. (Der 10. Teil ist
der mit Lucifer abgefallene Engelchor.) Da ward die edle Schar
in Aufruhr gebracht durch des Teufels Eingebung ; er (Gott)
ließ ihn da hinabstürzen, fällte ihn unter die Säume der
Erde, hieß ihn dort festbinden. Die sind es, die geigen
— 79 —
11918 fechten; daher koannt einem jeden der Menschen die
Vermehrung des Leids. Als der selige Gebieter der Engel
Saskd., daß sie länger von ihm die Lehje nicht annahmen^
da warf er sie^) hinaus aus der Heixlicbkeit und vertiiidb
aie weithin, und es gebot ihnen das Kind der Himmels-
bewohner (== Engel, i. e. Ohristus)*), daiß sie auch sollten
immerfort, solange sie lebten, wohnen in Qual, Jammer er-
dulden, Klage unter den Himmeln; und (er) schuf für sie
die Hölle, die todeskalten Behausungen, mit Winter bedeckt,
schickte Wasser hinein und Schlangenbehalter, gräßlicher Tiere
(gar) viele mit eisernen Hörnern, blutige Adler und schwarze
JNattem, Durst und Hunger und grässliche Not, Schrecken
iUr die Augen und Traurigkeit; und jegliches dieser Leiden
▼erbleibt für sie fortwährend, ohne daß sie es ändern können,
immerfort, solange sie leben.^
Hiemach scheint also der Autor anzunehmen, daß das
Schicksal, wie er es auffaßt, das Werk der Teufel sei. Letz-
tere fanden ihr Ende durch .das Schicksal. Der Stolz der
Engel hat die Qual und die Pein der Menschen verursacht.;
die .Menschen müssen also für den Stolz der Engel büßen.
Auf die weitere Frage Satum's: ist denn auf dieser Erde
irgend einer der Menschen von irdischem Geschlechte, der
den Tod erbitten könnte, bevor der Tag kommt, daß seio
Termin abgelaufen ist, und man ihn bestimmt aus (dem Leben)
entbietet (vorladet), bemerkt Salomon : Einem jeden (Menschen)
sendet der Herr einen Engel, der zusehen soll, wie sein (des
Menschen) Sinn wachse in Gottes Freundschaft, solange es Tag
ist. Dann umgeben ihn zwei Geister, der eine ist glänzender als
Gold, der andere schwärzer als der Abgrund ; der eine kommt
herüber von der stählernen Hölle ; der andere lehrt ihn, daß er
die Liebe halte, des Schöpfers Milde und seiner Vertrauten
Rat ; (jener) andere lockt ihn und lehrt ihn Verkehrtes, zeigt
und offenbart ihm der armen Menschen üble Taten und reizt
dadurch sein Gremüt; er führt ihn und faßt ihn und zieht ihn
^) Das ae. hine an dieser Stelle ist doch wohl als Schreibfehler für
hU aufzufassen.
*) Dagegen übersetzt £o8Worth-ToUer p. 529 „beam heofonwara^
mit ^'childron of heaven-dwellers/'
— 80 —
durch das Land bin^ bis sein Auge yoU von Ärgernis, durch
der Armen Schuld (Versündigung) irre geworden ist. So
ficht denn der Feind auf vier Arten, bis daß er (der Mensch)
sich wendet auf die schlechtere Seite durch des Teufels Taten
den ganzen Tag lang, und den Willen dessen tut, der ihn zum
Üblen verführt. Dann begibt sich weinend der Engel auf den
Weg, geht zurück in seine Heimat und sagt alles dies (zu
Gott): Nicht vermochte ich aus dem Herzen den stahlharten
Stein zu entfernen, er steckt mitten in ihm . . . (Damit bricht
die Hb. ab.)
Der Gedankengang des Dichters war also folgender: Die
Frage Satum's (474 — 478) : Kann ein Mensch dem Tode ent-
gehen? wird von Salomo indirekt beantwortet; er sagt: Den
Menschen umgeben zwei Engel, ein guter und ein böser;
letzterer verführt den Menschen; der gute Engel geht daher
von dannen. Der Mensch kommt nun zu den Teufeln und
bleibt dort bis zum jüngsten Tage. Diese Fortsetzung vermute
ich auf dem ausgeschnittenen Blatte vor den Zeilen 169 — 177.
Die Beschreibung der Hölle hat Salomo schon vorher gegeben
(465 — 473) ; Saturn hat in v. 476 bereits den jüngsten Tag an-
gedeutet; er wird nun auf dem fehlenden Blatte noch die letzte
Frage gestellt haben : Wie geht es bei dem jüngsten Gerichte
zu? Salomo wird da zuerst das Los der Guten beschrieben
haben und dann das Los der Schlechten, die für immer in die
Hölle geworfen werden. Diese wird alsdann geschlossen, was
in den Versen 169 — 173 ausgesprochen ist.
Darauf folgt der Schluß des ganzen 2. Gedichts, daß
der weise Sohn David^s den Fürsten der Chaldäer im Wissens-
kampfe besiegt habe; dieser objektive Schluß entspricht, wie
erwähnt, dem objektiven Anfange des 2. Gedichts.
Überblicken wir nun das ganze 2. Gedicht, so können
wir acht verschiedene Hauptpunkte unterscheiden:
1. Eingang und Schluß des Gedichts, sowie Angaben über
Saturn: 178—200, 169—177; femer 201—209, 245—
250, 324—328, 423—433.
Über Salomo erfahren wir nur, daß er der Sohn
David's ist, 176 und 329, ferner, daß er weiser als
Saturn ist, 174 und 181.
— 81 —
2. Berichte über die Philister: Saturn's Ausspruch über
den Wandernden Wolf, 210—222; Salomo's Schil-
derung des rätselhaften Wesens Vasa Mortis 252 — 279;
endlich Saturn's Aussage, daß die Philister ihm nicht
Auskunft über die Wyrd geben konnten, 429; vgl.
auch den Eingang des Gedichts, wonach er die Paläste
der Philister durchwanderte, v. 191.
3. Naturwissenschaftliche Besprechungen: Saturn's Frage
nach dem Schnee, 300-^306 (?) ; Salomo's Ausspruch über
das Hinwelken der Blätter, 311 — 319; Dialog über das
Wasser und Feuer, 391 — 422 ; Frage Saturn's über das
ungleiche Bescheinen der Sonne, 337 — 340; Antwort
Salomo's, daß Feuer und Frost, Schnee und Sonne
sich nicht vereinbaren, 352 — 355.
4. Allgemein menschliche Themata: Salomo's Ausspruch
über den törichten „Nichtschwimmer", 223 — 227; der
Dialog über Bücher, 228—244; über das Alter, 280—
299 ; Salomo's Ausspruch über die ungleiche Verteilung
der Güter, 341 — 344; Salomo's Bemerkung, daß der
Schwächere nachgeben soll, 352 — 355; Saturn's Frage
nach dem längeren Leben des bösen Menschen, 356 — 360 ;
Dialog darüber, daß die Mutter bei der Geburt der
Kinder keine Macht über deren spätere Lebensgestaltung
hat, 361—394 ; über das Arbeiten in der Jugend, 385—390 ;
Salomo's Beschreibung des Feuers (Lichts), 407 — 422.
fi. Kein christliche: Saturn's Frage nach dem Buche mit
7 Siegeln (?), 228—235; über das Wasser, 391— 396(?);
Salomo's Antwort über den Bissen, 397(?)— 406 ; Saturn's
Frage nach dem Reiche Gottes, 350—351; Salomo's
Bericht über den Sturz Lucifer's und Beschreibung der
Hölle, 448 — 473; Salomo's Ausspruch über die zwei
Engel, die den Menschen umgeben, 479—601.
6. Fragen nach dem Tod: Salomo's Hinweis auf den
Tod(?), 306—308; Saturn's Vergleich des Schlafes mit
dem Tode, 310 ; Salomo's Aussage, daß jeder den Tod
erdulden müsse, 359—360 ; Saturn's Vergleich der Wyrd
als Tochter des Todes, 445; Saturn's Frage, ob ein
Mensch dem Tode entgehen könne, 474 — 478.
Xttnchener Beitr&ge z. romanischen n. engl. Philologie. XXXI. 6
— 82 -
7. Über das jüngste Gericht: Andeutoiigen Salomos, 271
. (bei Vasa Mortis); 319 (der ewige Herr kann die geizigen
Menschen nicht erhören) ; Dialog und Warnung Salomo's^
320—336; Andeutung Satum's, 476; Bericht Salomo's
über daßselbe am Schlüsse des 2. Gedichts, 169(?) — 173.
8. Über die Wyrd : * Ausspruch Saturn' s, daß die Not die
härteste „Wyrd*' sei, 309; Dialog (329— 331) ; Ausspruch
Salomo'si daß das Geschick schon an der Wiege des
Kindes stehe, 384; Dialog und Aussage Salomo's, daß
man das Geschick mäßigen könne, 424 — 473 ; das Schick-
sal, welches durch den Stolz der Engel in die Welt
kam (458), ist die Tochter des Todes (445).
So sehen wir also, daß orientalisch-rabbinische, christ-
liche und germanisch-heidnische Elemente in dem 2. Gespräche
vereinigt sind. Gegenüber dem 1. Gespräche, welches den
Kampf des Paternoster in Gestalt eines Palmbaums mit dem
Teufel darstellt, femer gegenüber der Prosa, die einen anderen
Kampf des Paternoster mit dem Teufel und die Beschreibung
des Riesenpaternoster in ebenso sonderbarer Vorstellung
bietet, haben wir hier sehr ernste Auseinandersetzungen
in Rätselform. Rein äußerlich ist auch zu beachten, daß in
dem zweiten Gedichte im Gegensatze zu dem ersten keine
Runen vorkommen.
Der Kern des Gedichtes ist in den Dialogen über die
Wjrd, das Alter, den Tod und das jüngste Gericht gegeben.
Dies entspricht auch der Tendenz des zweiten Gesprächs, das
wohl den alternden Saturn über die letzten Dinge des Men-
schen aufklären sollte. Damit wollte aber der Dichter auch den
heidnischen Angelsachsen die Vergänglichkeit des Lebens vor
Augen führen. Es ist das Motiv, welches sich durch das
ganze zweite Gedicht hindurchzieht; ich glaube aber nicht,
daß der nordhumbrische Dichter dies aus der Bibel entlehnt
hat, wo Salomo sagt (Prediger XII, 8): O Eitelkeit über
Eitelkeit, alles ist Eitelkeit! Denn erstens sind zu wenige
Sprüche aus der Bibel genommen, zweitens sehen wir auch,
daß die Entstehung der Welt aus dem Feuer gerade ent-
gegengesetzt dem biblischen Prediger ist; der elegische Ton,
der in dem Gedichte sich ausprägt, durchzieht überhaupt die
— 83 -
ganze ae. DichtuDg. Schließlich ist noch hervorzuhebeD, daß
das rein christliche Element gegenüber dem germanischen
Element etwas in den Hintergrund tritt. Immerhin müssen
wir aber auch hier im Orunde eine Gegenüberstellung von
Heidentum und Christentum anerkennen; denn Saturn fragt
nur in orientalischer oder germanischer Weise, während Sa-
lomo alles in christlichem Sinne beantwortet. Auffallend ist,
daß der Heide Saturn nicht nach Gott Vater, Christus oder
Maria fragt. — Die Belehrung über das Alte Testament, die
Erschaffung des Menschen, das Paradies, die 10 Gebote etc.
ist dafür in dem prosaischen Dialog von Salomon und Saturn
in der Hs. Cotton Vitellius A. XV. gegeben.
So sehen wir, daß in allen drei Fassungen eine Gegen-
überstellung von Christentum und Heidentum sich geltend
macht; ich möchte daher den terminus a quo für die Ent-
stehung der Gedichte in jener Zeit erblicken, in der das
Christentum noch nicht den endgültigen Sieg über das ger-
manische Heidentum erruugen hatte, und die Kirche es für
nötig erachtete, die Vorzüge der christlichen Lehre durch wahre
oder erdichtete Erzählungen glaubwürdiger darzustellen.
Hinsichtlich unseres 2. Gedichtes wissen wir, daß der
Verfasser ein Nordhumbrer war; Nordhumberland wurde 627
christlich, erst 674 wird Wearmud und 680 Jarrow gegründet ;
aber schon 868 wurde die Kultur durch die heidnischen Dänen
wieder zerstört. Diese Überlegungen geben einen, freilich nur
sehr ungefähren tertninus a quo. Für das zweite Gedicht
könnte das Jahr 1000 einen termmiis ad qtmn bilden; vgl.
oben S. 72 zu Zeile 320.
Blicken wir uns in der altenglischen Literatur um, wo
noch andere Vertreter zweier verschiedener Religionen im
Gegensatz zueinander stehen, so fällt uns besonders die
Gegenüberstellung von Wodan als Hauptgott der Heiden mit
dem christlichen Gott in den Denksprüchen II, 133 (bei
Grein- Wülker I, 348 ff.) auf, die aber mit unseren Gesprächen
nichts gemeinsam hat; ferner sind zu einem Vergleiche mit
unseren Dialogen noch diejenigen von Adrian und Ritheus,
oder Adrian und Epictus heranzuziehen. Wie Kemble aber
6*
— 84 —
bereits nachgewiesen hat, haben unsere Dialoge mit diesen
keine Berührungspunkte.
Betrachten wir die gnomische Dichtung der Angelsachsen,
so müssen wir besonders die Cotton- und Exeter-Denksprüche
heranziehen^); mit Ausnahme von wenigen im Kommentar
bemerkten Stellen haben sie aber nichts Übereinstimmendes.
Zu erwähnen sind femer noch die altenglischen Rätsel, die
mittelenglischen Sprüche Alfred's, sowie die ApoJ)egms*),
ferner: Be monna crseftum, Be monna wjrrdum, Be monna
mode, und die Gnomen im Beowulf: 183*>— 187, 287^—289,
300, 455b (Gsed ä Wyrd swä hio scel), 1385^ ff.; 1535 ff.;
2167»»— 2170»; '2891/2; im Wanderer (6.) und Seefahrer. Je-
doch alle weichen meist von unseren ae. Fassungen ab. Ein
Vergleich mit den mittelenglischen Sprichwörtern, wie Pro-
verbs of Hending, ferner den Demaundes joyous, Saint Serf
and the Devil führt zu demselben negativen B.esultat.
Die Dialoge von Salomo und Saturn erinnern besonders
an die Wortkämpfe, die bei den Skandinaviern beliebt waren.
Aus der altnordischen Edda gehört hierher namentlich der
Redekampf Odin's mit dem Riesen Vafl)rüdoir, dessen Ein-
gangsstrophe bereits unseren Anfangsversen ähnlich lautet:^)
„Rate mir, Frigg, zu reisen verlangt mich,
Wafthrudnir wünsch' ich zu sehn;
ausforschen roöcht' ich, ob an alter Kenntnis
mir gewachsen der weiseste Thurs."
Und wieder in der 3. Strophe:
„Viel fuhr ich umher, viel versucht' ich,
oft schon hab' ich die Äsen geprüft;
nun will ich wissen, wie Wafthrudnir
in seiner Heimstätte hausf
Darauf legt Odin seinem Gegner verschiedene Fragen
^) Vgl. Strobl: Zar Spruchdichtung bei den Angelsachsen, in: Z.
l d. A. XIX, 54 und XXXI, 54; MüUer, Hugo: Über die ags. Versus
gnomici, Dias. Jena. 1893; Zupitza: in Anglia I, 285 und Z. f. d. A.
XIX, 45.
') Bei Kemble, 8. 258.
^ Gering: Die Edda, S. 59 ff.
— 85 —
vor, von denen besonders die zwölfte an unser erstes Gedicht
anklingt (Strophe 42):
„Gib Antwort zum zwölften, woher du alle Geschicke
der Götter, Wafthrudnir, weißt?
die Runen kennst du der Eiesen und Götter,
und Wahres nur meldet dein Mund,
in Weisheit bewährter Thurs!"
Darauf Wafthrudnir:
„Ich kenne die Runen der Riesen und Götter,
und Wahres meldet mein Mund,
denn die Welten alle hab' ich durchwandert,
die neun Welten bis zu Niflheims Tiefe,
die die Scharen der Toten verschlingt."
Das andere Lied in der Edda, das Hä.rbarl)sljö)), in dem
Odin, als Gott der Vornehmen, mit Thor, dem Vertreter des
Bauernstandes, in einem Kampfgespräche wetteifert, hat mit
unseren Dialogen nichts gemeinsam. Die Sprüche Hars
(H^vampl) bieten einige Ähnlichkeiten, wie I, 68 mit v. 420,
1, 74 mit 344, I, 76 mit 360 (vgl. Kommentar). Bezüglich
des jüngsten Tages findet sich in der „Seherin Weissagung"
eine andere Auffassung, die daher nicht herangezogen werden
kann. Über das Schicksal hören wir in Gripi8sp6 24 : Mag das
Künftige ruhen, das da kommt, wie es muß ; 52 : Dem Geschick
trotzt keiner; ferner Atlam^l 46: Doch keiner entgeht dem
Schicksal. — An das Züngeln des Feuers v. 410 ff. erinnert
Atlakvifia 43. Die Alvissm61 haben mit unserem Denkmale keine
Berührungspunkte; auch nicht die Dialoge der Gylfaginning.
Aus anderen Literaturen ist sodann besonders das fran-
zösische heranzuziehen. Ich fand mehrere Berührungspunkte
in dem Dialog zwischen Sidrac und Boccus, aus: Le livre
du Saige Sidrac. Paris 1530 (Privatbesitz des H. Professor
Bülbring)^) und habe sie im Kommentar vermerkt. Das
2. Gedicht steht den anderen Bearbeitungen der Sage von
Salomo, wie den Gesprächen von Salomo und Hiram näher.
Mit der satirischen Tendenz der Salomo-Morolf-Dichtungen
hat es aber gar nichts gemein.
^) Für die liebenswürdige Überlassang dieses seltenen Büchleins
spreche ich H. Professor Bülbring^ meinen verbindlichsten Dank aus.
2. Die Persönlichkeiten des Saiomo und Saturn.
Betrachten wir die Aussprüche der beiden Gegenredner,
so sehen wir, daß dem Saiomo nur wenige seiner biblischen
Sprüche in den Mund gelegt werden. Die meisten seiner
Aussagen sind in Form von Lebenserfahrungen gegeben, oder
beziehen sich auf theologische Dinge, wie auf das jüngste
Gericht etc. Über ihn erfahren wir aus unseren Dialogen,
wie ich bereits hervorgehoben habe, sehr wenig. Er erscheint
als König der Christenheit, der den Heiden Saturn über
christliche Dinge aufklärt. Meist wird er von Saturn als
Sohn David's angeredet: so v. 12, 174, 329. Seiner Frau,
die in den anderen Salomosagen eine so große Rolle spielt
wird mit keiner Silbe Erwähnung getan. Das Gespräch spielt
nach der Prosa in Jerusalem. Daß Saiomo als König der
Israeliten den Saturn über das Paternoster, das jüngste Ge-
richt etc. belehrt, ist nicht so auffallend, da er ganz all-
gemein als ein weiser König gemäß der mittelalterlichen
Auffassung erscheint. Es war damals üblich, Saiomo auch
Sprüche zuzuschreiben, die nicht in der Bibel stehen; diese
Freiheit erlaubte sich z. B. Chaucer in seinem Melibeus.^)
Wie überhaupt in der altenglischen Literatur, so erscheint
Saiomo auch in unseren Gedichten als der Herrscher Israels
im Sinne der Bibel, oder er wird auf Christus gedeutet;
zwei Beispiele mögen genügen. Saiomo wird etymologisch als
^) Vgl. Conway: Solomon and SolomoDic Literature, S. 235; Kemble
a. a. O., 104 ff.; Skeat, The Complete Works of Geoffrey Chaucer, Oxford
1894, IV, p. 200, Z. 2187. Nachh Skeat's Kommentar (V, p. 203) stand
das Sprichwort allerdings z. B. in Wycliffe's Version.
— 87 —
der Friedfertige erklärt, und dann mit Christus yerglicfaen
in einer Predigt Aelfrics (Thorpe II. Bd. S. 578): Sodlice
Salomon is gerebt 'Gesibsum', fordan de be and ealle bis leoda
wunodon on fulre sibbe etc. (vgl. 1. Faralip. Kap. 22, 9.
Ebenso wieder im Anfang des Orrmulum). Ein zweiter Ver-
gleich Salomo's mit Christus findet sich in einer Predigt
Wulfstan's (ed. Napier 279).
Wichtiger ist die Persönlichkeit Saturn 's. Alle Be-
ziehungen, in denen er sich zeigt, weisen auf den Orient. Er
wird als ein besonders belesener Fürst der Chaldäer bezeich-
net, der viele Bücher durchstudiert und alle Länder des
Orients durchzogen hat, v. 1—7, 174—177, 182—209. Wa-
rum gerade die Chaldäer eingeführt werden, werde ich im
folgenden zu erklären versuchen. Er ist bereits weit über
50 Jahre alt nach v. 246, und hat 12 Söhne nach v. 14. Sein
Volk wird 2 mal genannt, v. 19 und 203, worin ihr Kampfes-
eifer, aber auch ihr Goldstolz und ihre Prahlsucht hervor-
gehoben werden. Saturn ist aus einem sehr „bitteren'^ Stamme,
aus einer trotzigen, mächtigen Familie (v. 327). In sein Land
gelangt er, indem er sich auf den Wendelsee und dann über
den Chaburfluß ') begibt. Saturn weilte viel bei den Philistern,
mit denen er disputierte; er hat besonders die Weisheit der
Libyer, dann der Griechen und Inder studiert (v. 3 und 195).
Er ist Heide und will zur Lehre Christi angeregt sein (v. 15),
daher möchte er über das Paternoster belehrt werden (v. 52).
Im 2. Gespräche tauscht er Weisheitssprüche aus, die meist
heidnisch-germanisch sind.
Eingehender bat sich zuerst Vogt über unseren Saturn
geäußert. Bei seinem Vergleiche der orientalischen Über-
lieferungen von Salomo mit unserem ältesten abendländischen
Gespräche sagt er S. LUI: „Was zunächst die Person des
Gegenredners des Salomon angeht, so hat derselbe mit dem
Gotte nichts als den Namen gemeinsam; irgendwelche antik-
mythologische Vorstellungen werden mit dieser Persönlichkeit
nicht verknüpft, sie treten überhaupt nirgends in den beiden
ags. Dialogen zutage und man ist daher auch nicht be-
^) Nicht See von Gaphernauxn nach Grein; vgl. oben, S. 54.
— 88 —
rechtigt, als die denselben zugrunde liegende Idee die Gegen-
überstellnng der durch Salomon vertretenen göttlichen Weisheit
des Christentums und der durch Saturn zu vertretenden welt-
lichen Weisheit des antiken Heidentums zu betrachten.^ —
Wenn zwar auch nicht das antike Heidentum durchschimmert,
so glaube ich aber doch bewiesen zu haben, daß eine Gegen-
überstellung zwischen Christentum und Heidentum in den
Gedichten zum Ausdruck gebracht ist. Trotzdem er
orientalischer Fürst ist, besitzt er germanisch-heidnisches
Wissen ; dies kann nicht so sehr auffallen, wenn man bedenkt,
daß sogar der Philisterfürst in v. 210 ff. den germanischen
Namen „Wandernder Wolf" führt. Es ist eben der ang-
hsche Verfasser, der sein Wissen zum Ausdruck bringt.
Mit dem „Wandernden Wolf" komme ich zu einer zweiten
Berichtigung Vogt's, welcher dessen Land als das des Saturn
auffaßt. Wie ich im vorausgehenden gezeigt habe, dürfen
diese beiden nicht identifiziert werden. Denn daß der „Wan-
dernde Wolf" nicht Saturn ist, sagt v. 214, wonach es
heißt, daß er im Kampfe mit den 25 Drachen fiel. Auch
nicht ganz richtig sagt Vogt, daß Saturn als ein Biese
dargestellt wird; denn entgegen seiner Ansicht möchte ich
noch einmal bemerken, daß Salomo's Aussage, Saturn wolle
sich rühmen, daß er die Menschenkinder überwunden habe
(v. 204), nicht beweisend ist. Saturn ist furchtbaren Ge-
schlechts nach V. 327 — 328; seine Leute wollten gegen Gott
kämpfen und wurden dafür bestraft (325). Auch in dem
folgenden kann ich Vogt nur teilweise beipflichten, wenn er
sagt: „Also ein orientalischer Fürst, welcher übermenschliche
Eigenschaften besitzt und welcher mit dem Namen eines heid-
nischen Gottes belegt wird, ist in diesen angelsächsischen
Dialogen dem Salomo gegenübergestellt; es existierten orien-
talische Traditionen von Unterredungen des Salomon mit
Dämonen oder einem Dämonenfürsten: Da ist es doch nahe-
liegend genug, die angelsächsische Überlieferung aus der
orientalischen abzuleiten und die zersplitterten^) Attribute
jenes wunderlichen Saturnus auf einen Dämonenfursten zurück-
^) Vogt seist uDrichtig hinzu: „teilweise sich widersprechenden.''
— 89 —
zufuhren, welcher dieselben in sich vereinigt. Auch ihrem
Inhalte nach berühren sich noch die angelsächsischen Ge-
spräche mit den der orientalischen Sage von Salomon und
den Dämonen angehörenden. Im ersten angelsächsischen
Gespräche handelt es sich um die Bezwingung der Teufel
durch die vom Salomon auseinandergesetzte geheimnisvolle
Kraft der einzelnen Buchstaben des Paternoster ; im Testament
des Salomo, und ebenso gewiß in vielen späteren im Abend-
lande verbreiteten Salomonischen Zauberbüchern, handelt es
sich um die Bewältigung der Dämonen durch allerhand vom
Salomon angewendete geheimnisvolle Formeln und Symbole.^'
Ob man mit Vogt nun aber zu dem Schlüsse berechtigt
ist, der ags. Dialog habe es auf eine christliche Läuterung
jener abgöttischen Überlieferungen abgesehen, möchte ich, wie
gesagt, sehr in Frage stellen. Das erste Gespräch erinnert
mich auch an die Unterredungen Salomo's mit Dämonen;
ich glaube jedoch, daß es mit Rücksicht auf die heidnischen
Germanen gedichtet ist, wenn es heißt : Der Teufel verzaubert
das Schwert, die Elu*e des £jriegers, daher soll kein Mann
ohne Bedacht sein Schwert ziehen, wenn auch der Glanz ihm
gefällt, sondern immer soll er zuerst ein Paternoster beten.
Allerdings „an Stelle der Zauberei tritt die Kraft des
Gebetes, die aber auch noch als eine magische aufgefaßt wird^^
Was die Prosa anlangt, so ist meine Meinung, daß der
Verfasser durch die Personifikation des Paternoster den heid-
nischen Germanen eine Vorstellung von der außerordentlichen
Macht desselben zu geben versuchte. Ich glaube aber nicht,
daß man in der riesenhaften Beschreibung desselben eine Um-
bildung jener gigantischen Größe des Asmodeus erblicken
darf, ebensowenig glaube ich, daß ein Einfluß der jüdischen
Religion, die sich Jehovah so riesig vorstellt oder ein Einfluß
der gigantischen Größe Christi bei dem Elkesaiten vorliegt.
Über das 2. Gespräch äußert sich Vogt: „Hierin wird
man an die orientalischen Traditionen von Salomo's kosmo-
graphischem Unterricht bei den Dämonen erinnert, wenn von
Saturn's hoher Gelehrsamkeit, von seiner Reise durch die
Welt berichtet wird, und wenn er dem Salomon von jenem
entlegenen wunderbaren Lande erzählt, in welchem kein le-
— 90 —
bendes Wesen existieren kann/' Dem kann ich gar nicht
zustimmen. Ich habe schon erwähnt, daß man unter dem
wunderbaren Lande nicht das des Saturn yerstehen darf.
Alsdann erinnert mich das Gespräch auch nicht an den
kosmographischen Unterricht Salomos bei den Dämonen.
Vogt meint hier besonders jene Stelle, an der es beißt:
Nach dem Buche Emek Hammelech fahrt Salomon täglich
zum Firmament herauf und läßt sich von den Dämonen Asa
und Asael in verborgener Weisheit unterrichten (Eisen-
menger I, 358). Seine Gespräche mit Aschmedai sind hier
Ton untergeordneter Bedeutung, mehr Beachtung verdient eine
Unterhaltung, welche nach musleminischer Tradition Salomo
mit dem, dem Aschmedai entsprechenden Djinnenfiirsten
Schachruch (d. i. Sachr) hat (Hammer, Rosenöl I, 205). Der
Djinn erzählt Salomo von den Reisen, die er als Begleiter
der voradamitischen Salomone gemacht, von den Sphären des
Feuers etc. (siehe oben Seite 10).
Dagegen muß ich einwenden: Salomo ist bereits im Be-
sitze seines Wissens, er fragt nur ein einziges Mal (v. 209;
V. 341 ist keine wirkliche Frage). Wie im ersten Ge-
spräche wird also Salomo als der gelehrte und belehrende
dargestellt. Das kommt auch zum Ausdruck in v. 181:
„Salomon war der berühmtere, wenn auch Saturn, der
kühne Held, die Schlüssel zu manchen Büchern hatte";
sodann am Schlüsse des Gedichtes, v. 174 ff. : „Es hatte da
der kluge Sohn David's besiegt und übertroffen den Fürsten
der Chaldäer." Vogt sagt aber richtig : „Es ist die Tendenz,
wie vorhin die Macht des christlichen Gebets über die Gewalt
der Dämonen, so hier die Überlegenheit christlicher Weisheit
über die weltlich magische Gelehrsamkeit zu verherrlichen."
Aber gegen die letzte Schlußfolgerung Vogt's muß ich mich
wieder wenden, wenn er sagt : „Dürfen wir nach alledem den
Gegner des Salomo in den ags. Unterredungen, den Chal-
däerförsten Satumus, auf einen orientalischen Dämonenfursten
zurückführen, so dürfen wir nun auch andererseits eben diesen
Satumus dem Kitovras parallel setzen, nicht nur weil Asch-
medai und Kitovras identisch sind, sondern auch weil der
Satumus eine Beziehung mit dem Kitovras teilt, welche vom
— 91 —
Aflchmedai nicht überliefert wird: Saturnns ist ebenso wie
der Eitovras der Bruder des Salomo. Salomon redet den
Saturnns „Bruder*' an, v. 327 : 'ne sceall ic de hwaedre, bro-
dor, abelgan'. So entspricht nun schließlich der Satumus
auch dem deutschen Morolf und Marolf: jenem als Bruder
des Salomon, diesem als sein Gegner im Wortstreit und es
ergibt sich nach alledem die Parallele: Aschmedai — Ei-
tovras — Satumus — Marolf und Morolf."
Vogt macht jedoch hier einen Fehler; denn „brodor"
ist nicht im wortlichen Sinne zu nehmen. Ebert vermutet
Schwager; meiner Meinung nach ist es die beliebte Bezeich-
nung der Fürsten untereinander. Daß wir nicht eineiv wirk-
lichen Bruder zu erblicken haben, begründe ich mit folgendem :
Saturn redet Salomo niemals mit brödor an, sondern stets
mit: Salomon, sunu Dauides, und dies gleich in der jener
Stelle folgenden Frage v. 329; außerdem noch v. 13, 174;
ja er redet ihn sogar einmal „hlaford Salomon'S ^' ^^^i &Q-
Wäre er sein Bruder gewesen, so würde er kaum diese Aus-
drücke der Hochachtung gebraucht haben. Alsdann wird be-
tont, daß er ein Fürst der Chaldäer ist, während Salomo als
Herrscher der Israeliten auftritt: v. 13. Er selbst will zur
Lehre Christi bekehrt werden, ist also Heide, Salomo aber
ist König der Christen. Wenn er der Bruder wäre, so müßte
es doch sehr auffallend erscheinen, daß die beiden in einem
so starken Gegensatze stehen. Zur Bekräftigung meiner Be-
hauptung möchte ich auch anführen, daß wir die Bezeichnung
Bruder in demselben Sinne 3. Kön. 9. Kap. 13, gebraucht
finden. Es heißt an jener Stelle, als Hiram dem Salomo
seine Ansicht über die geschenkten 20 Städte (im Chabul
Bistrict, siehe oben S. 54), die ihm nicht gefielen, aus-
spricht: Sind dies die Städte, die du mir gegeben hast, „mein
Bruder" ? — Ebenso nennt David den Jonathas seinen Bruder
2. Kön. Kap. 1, 26, trotzdem er nicht verwandt war. Aus der
altenglischen Literatur zitiere ich die Anrede des Engels
Bartholomäus an Gudlac y. 686: Is \ixt min brodor etc. I
Daß unser Saturn nicht der Vertreter der klassischen
Mythologie, sondern ein Chaldäerfürst ist, geht aus dem
Voranatehenden zur Genüge hervor. Wir wollen nun zusehen,
— 92 —
in welcher Beziehung sonst noch Saturn in der altenglischen
Literatur vorkommt.
Im klassischen Gewände erscheint der Qott in den
Metren des Boetius XXVI., bei der SchilderuDg des Trojaner-
kriegs, als Ulysses auf das Eiland im Wendelsee verschlagen
wird, das die Tochter des Apollo, Circe, inne hatte (Vers 34).
Es heißt da^):
Dies war der Apollo aus edelem Geschlechte,
des Jupiter Sohn: der war vor Jahren König;
den Großen und den Kleinen gab er vor,
jedem der Männer, daß er Gott wäre,
der höchste und der heiligste. Der Herr führte so
das abergläubische Volk zur Irrlehre hin,
bis daß zuletzt ihm glaubte der Leute Unzahl:
denn er war mit Becht des Beiches Hirte
aus ihrem Königsgeschlecht und kund ist es weithin,
daß in der Vorzeit damals der Völker jedes
hielt seinen Herren für den höchsten Gott,
und sie verehrten ihn, als sei er der Obherr der Glorie,
wenn er zu des Beiches Herrschaft war zu Becht erhoben.
Auch war des Jupiter Vater Gott wie er:
Saturnus hießen den die Seeanwohner,
der Helden Kinder. Es hielten die Völker
einen nach dem andern für den ewigen Gott:
auch sollte sein des Apollo
edelgeborene Tochter des abergläubischen Volkes
der Männer Göttin. —
Ferner in einer Predigt Aelfric's: De falsis deis, in
Napier's VTulfstan S. 105, 32 ff.; vgl. ib. p. VlII.«):
„syt da hoejienan noldon beon gehealdene on swa feawum
3odum, swa hy sei hsefdan, ac fengon to wurdjenne sei nyhstan
mistlice entas and strece woruldmen, pe mihtige wurdan on
woruldafelum and egesfuUe wseran t)a hwyle, ]^e hy leofedon,
^) Ich gebe die Übersetzung nach Grein, Dichtungen der Angel-
sachsen (11, 197 f.).
«) Vgl. auch Skeat in E. E. T. S. Bd. 94, S. X.
- 93 —
and heora agenam lustum fullice fuUeodan. An man wses
on seardasum eardjende on ))am iglande, |)e Creta hatte, se
wses Saturnus sehaten, and se wses swa wselhreow, |)set he
fordyde his ajene beam ealle butan anum and unfsederlice
macode heora lif to lyre sona on seogode. he Isefde 8wa))eah
uneade senne to life, ))eah de he fordyde ))a brodra elles;
and se wses louis gehaten. and se weard hetol feond. he
aflymde his agene fseder eft of dam ylcan foresaedan islande,
))e Creta hatte, and wolde hine forfaran ^eome, gif he mihte."
Darauf wird berichtet, wie „Jovis" mit seiner Schwester
Juno die Minerva und Venus erzeugt, dann heißt es weiter:
„jias mänfuUan men, {)e we ymbe specad, wseron getealde for
da mserostan jodas |)a on dam da^um ; and da hsedenan wur-
dodon hy swyde durh deofles laxe; ac se sunu wses swa))eah
swydor on hsedenscype jewurdod, {)onne se fseder^) waere,
and he is geteald eac arwurdost ealra |)sera soda, ^e |)a hse-
denan on dam dajum for 3odas hsefdon on heora gedwylde
sum man eac wses gehaten Mercurius on life, se wses
swyde facenfuU and deah füll snotorwyrde, swicol on dsedum
and on leasbregdum ; done macedon |)a hsedenau be heora getsele
esiC heom to mseran gode and set wega gelsetum him läc oSrodon
oft and selome" etc. S. 107: *'nu secjad sume |)a
denisce men on heora gedwylde, l)8et se louis wsere, \ie hy
|)or hatad, Mercuries sunu, })e hi Odon namjad. ac hi nabbad
na riht, fordan |)e we rsedad on bocum, 36 on hse})enum, 36
on cristenum, ))a3t se hetula louis to sodan is Saturnes
simu.***)
Sodann in Aelfric's Lives of Saints, in einer Predigt
*) Über fseder von anderer Hand. I. saturnus.
') Vergleiche auch die Version bei Kemble S. 120—125. Am
Schlüsse fügt diese noch hinzu (v. 116 iT.): Hi jesetton eac da dsere
sannan and da [dam] monan and dam odrum jodum, selcum his d8e5;
serest daere sunnan done sunnand8ß3. done seofodan d8D3 hi
sealdon Saturn e, dam ealdan daera 3oda fseder him sylfum to frofre,
endenext swa deah deah de he yldest wsere. Hi woldon 3it wurdlan
arwnrdlicor da 3oda8 and for3eafon him steorran swilce hi ahton heora
3eweald, da seofon tunslan, sunnan and monan and da odre fif, da
farad sefre onseon done rodor to eastdsele ward, ac hi 3ebi3d seo heofon
andtrbeec »fre etc.
— 94 —
über : Passio Sancti Sebastiani Martyris (ed. Skeat I, S. 136,
vgl. auch Zupitza in Z. f. d. A. N. F. XVII, S. 206):
|)a cwsed tranquillinus to chromatise |)ns:
))a sodas ))e ge wurdiad, wseron arlease menn,
yfele geborene, and bysmor-fulle on life,
mid facne afyllede, and ford-ferdon earmlice.
Cwyst |)u la |)set nsere nan lyfijende god,
a^r ])aQ de saturnus bis suna abite,
and heora flaeac sete on ))am Ig-lande creta.
Eft bis sunu louis, jie ge wurdiad for god,
se wolde acwellan bis unclaenan fseder,
|)e abat bis gebrodra |)a bi geborene wseron,
se iouis wses afylled mid fulre galnysse,
and nam bis agene swystor to bis fulnm synscype,
swa swa ge raedad on eowrum gerecednyssum.
leb gebe nun zu den anderen Belegstellen in der alt-
engliscben Literatur über, die sieb auf den Saturn als Stern
bezieben. So in den Metren des Boetius XXIV, löflF. (Grein-
Wülker, Poesie III, 2, S. 41):
Du meabtest de siddan mid dacre sunnan faran
[uppe] betweox odrum tunglum,
meabtest de fullrecen on da?m rodere ufan
siddan weordan .9 donne samteoges
a?t dcTm solcealdan anum steorran,
se yfmest is eallra tungla,
done Saturnus sundbuende
batad under beofonum; be is se cealda:
eallisig tungl yfemest wandrad
ofer eallum ufan odrum steorrum.
Vgl. ferner Metra XXVIII. 26 ff.
Über die Bezeichnung der Sterne mit den Namen der
Götter darf ich anführen Encyclop. Brit. XXI, 321 :
The designation of the planets by the names of gods is
at least as old as the 4*^ Century B. C. The first certain
mention of the star of Cronus (Saturn) is in Aristotle (ifcto-
physics, p. 1073 b, 35). The name also occurs in ibe Epi-
noniis (p. 987 b), a dialogue of uncertain date, wrongly as-
— 95 --
cribed to Plato. In Latin, Cicero (Ist cent. B. C.) is the first
author who speaks of the planet Saturn. The application
of the name Saturn to a day of the week (Saiumi dies, Sa-
turday) is first found in Tibullus (I. 3, 18).
Vergleiche dazu auch die Ausführungen J. Grimmas in
seiner Deutschen Mythologie (4. Aufl. bes. von E. H. Meyer)
S. 101: „Von Ägypten her durch die Alexandriner kam
siebentägige woche {ißdofidg), wie sie in Westasien sehr alt
ist, aber wohl später erst planetarische benennung der Wochen-
tage bei den Römern auf, unter Jul. Caesar älteste er-
wähnung des dies Satwni, in Verbindung mit dem jüdischen
sabbat, bei Tibull 1, 3, 18 ... . Diese namen, samt der wochen-
einteilung, waren aber früher als der christliche glaube von
Rom aus nach Oallien und Deutschland übergegangen. In
allen romanischen ländem dauern die planetarischen namen
bis auf heute fort (meist in sehr verkürzter gestalt), nur für
den ersten und letzten Wochentag ausgenommen: statt dies
solis wählte man dies dominica, franz. dimanche ; statt
dies Satumi blieb das jüdische sabbatum, franz. samedi
(== sabdedi, sabbati dies)."
Über die Verbindung Saturnstag in der altenglischen
Literatur möchte ich nur die Homilien Aelfric's (Thorpe II,
260) anführen:
Eft sodlice se Scyppend, on l)am sixtan daege, on rode
hangiende, bis handjeweorc alysde, Adames ofspring, mid bis
agenum deade, and on byrgene siddan anbidiende Iseg on
dam seofodan dsege, de ge Sseternes hatad: ferner Thorpe
n, 364. I, 216 (an letzter Stelle saeterniht).
Zu den altenglischen Belegstellen gehört femer das Vor-
kommen des Namens Saturn in geographischeyi Nameii und
Pflanzen *), worüber sich Kemble S. 128 folgendermaßen äußert :
" A more important fact however is, that names of places
and plants are compounded with the name of Ssetere. In a
1) Vgl. auch Kemble, S. 119; Bouterwek, S. LI; Scbaumberg:,
S.51,59; Hofmann, S. 431; Vogt, S. LIV und CXU; Herford S. 2Ö4;
Doff, S. XII; Kemble, The Saxons in England, a New Edition, rev.
by W. De Gray Birch, vol. I, p. 372 flF.
— 96 —
charter of Edward the Confessor I find the name Sffiteresbyiig,
which answers exactly to Wodnesbyrig: again, in the north
of England there are two parishes called Satterthwaite, and
in Devonsbire one called Sattersleigh ^) ; while the common
crowfoot or gallicrus is in Anglo-Saxon Satorl&d.*) Now
it is acknowledged that no signs of ancient divinity are more
conTincing than the appearance of a name in the appellations
of places and plants, and in the days of the week, and all the
conditions are fulfilled in this instance. That he should also
appear in such a legend as the one under consideration, is
another evidence of his divinity. And if it be objected that
the places and plants named from bim are few in number, I
can only answer that they are at least as numerous as those
devoted to Bunor and Tiw, whose godhead has never been
doubted.'*
Was die Etymologie des Wortes betrifft, so kreuzen sich
hier die Meinungen. Nach der Ansicht Lassen's ist Saturn
aus Savitar zusammengezogen und bezeichnet demnach einen
Sonnengott (Grünbaum 278). In der klassischen Mythologie
tritt er immer als Allegorie des Ackerbaues auf.^) Dionys
Ton Halicamassus (Antiq. Rom. I. cap. 38, ed. Carolus
Jacoby, Lipsiae 1885, S. 59) leitet seinen Namen von Satu
(Samen) ab, als einen, der uns mit Gütern sättigt (Saturando),
da er der einzige war, welcher die Menschen das Land zu
bauen und die Kunst Getreide hervorzubringen lehrte. — Es
möge mir gestattet sein, auch ein paar mittelenglische Ety-
mologien anzuführen, die ich der Legenda aurea (von Wynkyn
de Worde 1527 ; Trinity College Cambridge S. C.O.C.XXXIX)*)
entnommen habe. Diese beziehen sich zwar nicht auf den
Gott Saturn selbst, sondern auf den Märtyrer Satuminus:
There foloweth the lyfe of saynt Satumyne. And fyrst
^) Seetere könnte zwar auch zu seeta etc. gehören, vgl. Dorset,
Somerset, Eis aas, wenn nicht gar zu ssetere Räuber.
*) Hierüber vgl. unten S. 120.
*) Vgl. Weishaupt: Saturn, Mercur und Herkules.
*) Für die Benutzung dieses Buches bin ich besonders Kr. William
White zu Danke verpflichtet.
— » —
of hit oame : Satamyne is sayd of saturate, )>^^) is to be fiUed,
^ of DUZ, y^ is a.nnttfiy for )>* paynyms' wece fylled for to
martyr him lyke as Y squyrel Y eteth Y i^atte. for wfaan
Y squyrel pylleth )>* nutte it semeth to bim bytter; than he
ascesideih a tree ^ lettetb >* nutte £aU, J than Y ^^
hreketh J the nutte lepeth out. And thus were Y paynyms
fylled in saynt Saturnyne, for be was bytter to them bycatMe
he wolde not do sacrefyce, J thä they brought hym up on
hygh on Y capytoU, J cast hy down the steppes, so Y ^ his
heed was broke, J Y brayne spränge out.
Satumyne was oideyned byssbop of Y disciples of Y
apostles, nß was sent in to }>* cite ofTholouse; J whS he
entred in to Y cite Y devuls cesed to gyue answeres «/ thafi
a paynym sayd. But yf they hewe Satumyne they sh^lde
haue none answere of theyr goddes; S they toke Satumyne
whiche wold not do sacrefice, ./ boude hy to Y ^^^^ ^^ & ^^
^ drewe hym unto Y hyghest place of Y capytoU, S cast
him down ))e steppes to ])e groude, so Y ^^^ ^^^^ brake J Y
brayne spränge out, J so accomplysshed bis martyrdom, S two
women buried bis body in a depe place for fere of l)e payn-
yms ^ after bis succesours träsported it into a more honour-
able place.
There was another Satumyne, whome the prouost of
Borne beide longe in pryson S after he reysed hym on eculee
^ did do bete hym w* synowes, roddes J scorpyüs ^ after
dyd do bren bis sydes S after heded hy about Y J^^e of our
lord C.C.LXXX. vnder Maximyen.
And yet there was another Satumyne i Africa which
was broder of saynt Satyre saynt renouele, S saynt felicyte
bis sister y saynt Perpetua, whiche was of noble lignage,
whiche all suffred deth togyder of whome the passyon is
holden an other tyme. And whan the prouost wold ^ bare
had them to do sacrefice to Y ydoUes, they refused it vtteriy.
Es folgt nun der Traum der Perpetua und Felicitö,
danach :
^) Der Druck liest {>•.
■) Der Druck liest {>•.
MüBohener Beitrüge z. romaniichen a. engl. Philologie. XXXI.
— 98 —
cJatyre S Perpetue were deuoured of lyons, J^ saynt Sa-
turnyoe had his heed smytten of. And this was about tbe
yere of our lorde C.C.LVI under Valeryen S Galyen em-
perours.
Femer möchte ich über Saturn noch zitieren aus Opus-
cula Mythologica, Ethica et physica, Graece et Latine. Can-
tabrigiae 1671 (Trinity College Cambridge), S. 42: Phurnuti
über de natura Deorum:
De Saturno. Saturnus est ratio omnium conditarum
rerum, sicuti praediximus, et potentissimus est omnium
suorum liberorum. Falso narrant Satumum a love vinculis
astrictum, sed cum ille remotior a nobis, extemo cursu circum-
Yolvatur, et motus tardus non facile ab hominibus percipiatur,
eum quodammodo colligatum perhibent Multorum vero
fide^) profunditas Tartarus dicitur.
Daß man unter unserem altenglischen Chaldäerfdrsten
keinen Märtyrer zu verstehen hat, ist klar; ebenso wenig hat
unser Saturn mit dem Gnostiker irgend etwas gemeinsam. Die
flauptlehre der Manichäer und Gnostiker, die Erschaffung der
Erde durch die Aeonen, steht sogar in direktem Widerspruch
mit unseren Versen 417 — 422.
Es harrt nun die Frage der Lösung: wie kamen die ae.
Verfasser resp. deren Quellen dazu, den Chaldäerfürsten Sa-
turn dem Salomon gegenüber zu stellen. Zur Erklärung
sei es mir vergönnt, etwas weiter auszuholen. Ich halte
mich im nachstehenden an die Ausführungen über Saturn in
D. Schenkel's Bibellexikon, Leipzig 1873. S. 191 ff.:
„Selten mag auch bei den verschiedensten Umbildungen^
welche sich die alten Götter gefallen lassen mußten, eine so
radikale Verkehrung des Wesens eingetreten sein wie die,
welche der altitalische Saturn bei seiner astrologischen Ver-
wendung erlitten hat. Ursprünglich mit der hilfreichen Ops
verbunden, zählte er zu den ältesten und populärsten Götter-
gestalten des alten Italien ; Ops war die gütige Mutter Erde,
Saturn ihr Gatte, der männliche Gott der Saaten, altertümlich
^) Der Druck liest fiderum.
— 99 —
SaetuFDus, dann Saturnus geheißen Den Saatengott machte
man aber auch zu emem mythischen König des Landes, der
das Urvolk zuerst aus seinen Bergen yersammelte, mit Ge-
setzen versah und erzog. Unter diesem König war das
goldene Zeitalter. War aber so der alte Gott zum König
und dieser zum Kulturbringer geworden, so leitete man ihn
auch alsbald von da ab, von wo man neben vielem anderen
auch Eeligiöses entlehnt hatte, von Griechenland, und ließ ihn
von dort eingewandert sein und dem Land den Namen Latium
gegeben haben, weil er dort sichere Zuflucht gefunden habe.
War so der echt italische Saturn erst zu einem griechischen
Einwanderer geworden, so identifizierte man ihn mit dem
alten Kronos, sichtlich weil beide die Sichel mit sich führten
und beide im goldenen Zeitalter herrschten.
Li einer späteren Ausbildung wird dann Kronos als ur-
alt und darum als weise und aller Listen kundig dargestellt;
doch evrig zu herrschen ist ihm nicht vergönnt, seine Eltern
weissagen ihm, daß seine eigenen Kinder ihn beseitigen
werden (so schon bei Hesiod). Daher verschlingt er alle
Kinder, die ihm Rhea, seine Gemahlin, eine zweite Per-
sonifikation der Erde, gebiert, mit Ausnahme des jüngsten
Kindes, Zeus, welches sie in Kreta verbirgt und dem be-
gierigen Vater einen in Windeln eingewickelten Stein gibt,
den er verschlingt. — Der kretische Zeusmythus ist mit dem
Kronosmythus verknüpft; die Kureten, die den jungen Zeus
in Kreta erziehen, sind Phrygier nach kretischer Überlieferung
(Strabo X, 3, 19). Gleichzeitig war aber Kreta auch ein
Hauptplatz phönizischer Mythen, welche dort mit kleinasiati-
schen und griechischen verschmolzen wurden (Preller). So-
bald nun eine Identifizierung hellenischer und phönizischer
Götter versucht wurde^ stach bei Kronos der Zug bedeutsam
in die Augen, daß er die Kinder verschlungen hatte, und dies
führte von selbst dahin, daß man ihn mit dem Kinder ver-
schlingenden, bösen und strengen Wesen zusammenstellte,
welches wir als Moloch kennen, obwohl dies nicht überall
geschehen ist.
So werden wir schließlich von Kronos weitergeführt zum
kanaanitischen Moloch, über den uns auch Diodor XX, 14
— 100 —
die wichtigste Aufklärung gibt. Der Name selbst bedeutet
K&nig, eine besondere Namensform Milkom bezeichnet speziell
den ammonitischen Stammgott (die Septnaghita bietet Moloch,
Melcholy die syrische Übersetzung Malcum, Hieronymus Moloch
und Melchom) Die Asche und Knochen dieser imglück-
lich^ Opfer [des Moloch] benutzten die Chaldäer vermutlich
zum Wahrsagen
Wenden wir uns nun zu der astrologischen Bedeutung^
die Saturn erhalten hat. Hiermit Yerlass^Q wir den phö«
nizischeu Boden; denn Strabo (XVI, 1, 629 und Diodor
Ily 30) berichten übereiustimmend von der Astronomie der
Chaldäer, und letzterer bietet genügende Anhaltspunkte, um
zu erkennen, daß die Lehre derselben die Wurzel aller
späteren Astrologie geworden ist, denn die arabische Himmels-
kunde (die Wissenschaft der 'anwa' oder Stemuntergänge) ist
nichts als Wetterbeobachtung und Wetterregel. Diodor nun
berichtet, die Chaldäer hätten den Planeten große Aufmerk-
samkeit geschenkt, sie die „Dolmetscher^' genannt und den
Planeten, der die meisten und bedeutendsten Vorzeichen biete
und von den Griechen Eronos genannt werde, El geheißen«
Neben diesem haben sie noch die Planeten Mars, Venus, Mer-
cuiius, Jupiter, die sie so wie die griechischen Astrologen be-
zeichneten Den hier babylonisch El genannten Planeten
finden wir nun durch die Vermittlung des Kronos latinisiert als
Saturn wieder, und so wird dieser, respektire der ihm ent-
sprechende Moloch, in das astrologische System gebracht, so
daß der Planet El-Moloch oder Eronos-Saturn zum wichtigsten
Schicksalbestimmer wird, dem tmter den Wochentagen der
Samstag gewidmet wurde. Die jüdische Astrologie nannte
den Stern daher später sabtaj, d. i. den sabbatlichen Planeten.
Jenem Planeten gehörte die erste Stunde, die zweite dem
Jupiter, die dritte dem Mars etc. Zählt man so durch, so
fallt jedesmal die erste Stunde des folgenden Tages auf den
Planeten, nach dem der Ta^ benannt ist, als 1. 8. 15. SS.
(Saturn) Samstag; 2. 9. 16. 23. (Jupiter) Donnerstag; 4. 11.
18. 1. (Sonne) Sonntag etc.
Hieraus aber geht unzweifelhaft herror, daß der El-
Kronos-Satum der erste und höchste Planet war; auch lieBe
— 101 —
aicli hieraus erklären, warum gerade sein Tag für den jüi«
dischen Ruhetag ersehen ist.
Welche Art von Verehrung der Saturn bei den alten
Chaldäem genossen hat, wissen wir nicht aus unmittelbaren
Zeugnissen der Alten, wir können nur Eückschlüsse aus der
Lehre der Sabier machen, die aber jünger und getrübt sind.
Am Sonnabend, sagt Dimischki (gest. 1327), kamen die Sabier
in schwarzen Kleidern und mit unentblätterten Ölzweigen in
den Tempel des Saturn (der Araber nennt ihn Zuhal, d. h.
der Zögerer). Als Opfer diente ein alter Stier. Saturn hatte
einen sechseckigen Tempel aus schwarzen Steinen und Vor*
hängen, worin an einer Wand ein Bild des Saturn, als alten,
schwarzen Mannes, mit einem Beil in der Hand, gezeichnet
war. An den vier übrigen Wänden war Saturn mit einem
Seil in der Hand abgebildet, mit dem er einen Eimer aus
dem Brunnen zog, sodann als Mann, der über die alten ge*
heimen Wissenschaften nachsinnt, weiter als Zimmermann und
Maurer, endlich als König, auf einem Elefanten sitzend, den
Rinder und Büffel umgeben. Eine ähnliche Schilderung findet
sich auch im Dabistan (engl, von Troyer, London 1843, 1, 35).
AJs Planeten, und zwar als bösen, kennen auch die
arabischen Astrologen den Saturn unter dem Namen Zuhal,
sie bezeichnen ihn als den großen Unglücksstern (en-nahs
elakbar) gegenüber Jupiter als dem großen Glücksstern (7 be-
rühmte Tempel hatten die alten Araber und Inder, welche
den 7 Planeten gewidmet waren; so soll auch der Tempel
von Mekka dem Zohal oder Saturn geweiht gewesen sein
(Shahrestan), darüber Koran I, 22). Diese chaldäische Lehre
ist auch zu den klassischen Völkern gedrungen, wie sie in der
Kürze Properz (Eleg. IV, 1, 130) darstellt."
Hieraus erkennen wir also, daß die Chaldäer schon frühe
als Wahrsager und Schicksalsbestimmer bekannt waren. In
dem Tempel der Sabier ist Saturn als Mann, der über die
geheimen Wissenschaften nachsinnt, abgebildet; dies stimmt
sehr gut zu unseren Dialogen. Ferner war er mit einem Seil
abgebildet, worauf vielleicht unsere Stelle v. 330 anspielt:
„Was sind die 4 Fesseln (räpas) des dem Tode geweihten
Mannes", denn eine solche Fragestellung ist doch sehr auf-
— 102 —
fallend. In den ae. Gedichten ist Saturn der Fürst der
Chaldäer, der alle Wissenschaften durchstudiert hat; er hat
also Ähnlichkeit mit dem Manne, der über die geheimen
Wissenschaften nachsinnt und schließlich König wird. Im
zweiten Gedichte ist Saturn in einer sehr innigen Beziehung
zu dem Schicksal : er will von Salomo wissen, ob das Schick-
sal oder die Vorsicht stärker sei. Die alten Angelsachsen und
Skandinavier hat ohne Zweifel die Frage nach der Zukunft
in höherem Grade interessiert als die hochdeutschen Stämme ;
das häufige Vorkommen der Wyrd in der altenglischen und
altnordischen Literatur spricht sehr deutlich dafür. Der
Chaldäerfürst Saturn kann demnach seine Beziehung zu dem
unheilvollen Sterne und dadurch wieder zu El-Kronos nicht
gut verleugnen.
Ich glaube daher, daß den altenglischen Verfassern, wenn
nicht den Autoren der apokryphen Quellen unserer Gedichte,
eine Erinnerung an den chaldäischen Stemenkultus und Wahr-
sagedienst vorschwebte, die sie ^natürlich nur durch Ver-
mittlung antiker, vielleicht altohristlicher oder keltischer
Quellen erhalten konnten. Der göttlichen Weisheit Salomo's
stellten sie die Gelehrsamkeit des angesehensten heidnischen
Fürsten gegenüber und wählten dazu den Chaldäerfürsten.
Die Kirchenväter sind sich über den Saturn selbst nicht
klar; Lactanz hält den karthagischen Saturn nicht nur für
den phönizischen Moloch, sondern beide sogar für den Erz-
vater Israel.^) Der gemeinsame Zug des Kinderfressens
wird doch wohl der Grund zu der Vermischung von Moloch
und Saturn gewesen sein. Für die Verbindung des Salomo
mit Moloch und die Ausgestaltung zur Sage mag vielleicht
auch der Bericht aus 3. Könige Kap. 11, 6 und 6: „Und
Salomo verehrte den Moloch, den Götzen der Ammoniter"
einen Einfluß gehabt haben.
Der Name Moloch, der König bedeutet, gehört nur
der LXX an; im Hebräischen heißt er Molech, Milcom,
^) S. Kemble, S. 120; Hofmann 431. Letzterer glaubt, daß das
26. Kap. der Spriichwörter Salomo's, in dem ein Mercurius auftritt, den
Typus für die Komposition der Salomo* Marcolph-Sage abgegeben habe.
— 103 —
Malcom, Malcol, und so müssen wir wohl mit Ten Brink an-
nehmen, daß durch die Verwechslung von Malcol mit Marcol
Saturn als Salomo's Dialogist in die Eeihe gekommen ist.
Die älteste Aufzeichnung einer Zusammenstellung Yon
Salomo (wie wir zu lesen haben statt Samson) und Saturn
aus der Sachsenzeit entnehme ich Kemble (S. 84) und will
diese hier ganz wiedergeben, da sie sich mit dem Inhalte
unserer Prosa , femer mit der Beschreibung der Hölle
(v. 466 — 474) sehr eng berührt. Es ist ein Dialog zwischen
einem Teufel \m6 einem Klausner, der im Ms. Ootton Tib.
A. ni, fol. 86flF. enthalten ist.
Hit ^elamp hwylan set suman cyrre {> an ancra sefing
anne deöfol durh Godes mihte, «^ he wses se ancra on De-
beijdan lande, swide lifes man hälig geworden j)arh Godes
mihte. Da se ancra anjan |)reäpian swtde done deöfol, p
him ässede eal helle wites brösan, and eäc heofona rices
fesemesse. Da cwsed se deöfol tö dam a[n]cran düs: deäh
dset lenjeste triöw de an ^middan^earde is, ^ hit stöde donne
on üfon dam hehstan stanclife, de an middan^earde is hegest,
^ mon donne gebunde daes monnes fyt tö üfanweardan dam
treowe de w^re «r äne niht an helle mid us, ^ him mon
donne lete han^ian p heäfod an düne nider dset him sige ^
blöd on äelcere healfe üt {)urh dane müd ^ l)urh da nös-l)yrle,
^ hine daer öhtan donne ealle da yfela .P ealle da brogan de
sefre eordwara fram sensinne geh^dan secgan, ^ hine ealle
se ydan niodan cnyssende wseron mid eallan ssebröjan, de.
he ford brind, donne wile se man eal lustlice aefre mä
))olian, c/ deah he scure donne gyt ))usend wintra dartö ^ &
tausend de se dömesdae; scel on geweordan, wid dan de he
yft ne |)urfe nae&e mä da helle gesecan. Da git cwaed se
deöfol tö dam häligan lifes men, wä bid dam mannum, de
sculan habban heora eardungstöwe ön helle mid tis, dser bid
wöp bütan fröfre, y dser bid l)eöwdöm bütan freowdöme, y
unrotnes bütan gefean; dser bid fülnys bütan äwendednysse,
nß bitemes bütan swötnesse, ^ i&r bid hungor ^ ])urst an helle
suslum, y jeömerung ^ l)oterun3, y daet wyrste wyrmcyncj
eal byrnende, ^ dracan kin de naefre ne sweortad; daer bid
swefle f^r, sweart .P unädwsescedlic, y dser bid cele ^ brene
— 104 —
ß br6ga, itior J ofiBrselifId, ^r&naiis ^ snoninns, mnoht cf wop,
onäo ^ mordoT, s&r ^ sufil; S iwt n&n man ne mses fidnui
nsBfre sehflpan. Nis d^ cynises weorduns ne eBldormamieB
werdnes; d6r nän man ne mss his wildend semunan mid
nanum lofiumse, for däm säre de hiom ansittad. He cw»d
d& git ae deofol t6 dam haljan anomn düa, ^ ssBde 16 him.
fiios eorde ndere mid eallum hire wKstmum, dses de W8^r
OD ne 30813, ^ deäb nsere nä märe on hire brädnesse seö eorde
donne seö hrfide hei is, donne is se micela sarsecj dy das
eordan 6tan ymblised cmnetlioe micel, ^ nis eal diös eorde be
him de märe de an price bid, de bid on änum weax-bryde
^epricod. f>a cwsed ae deofol da jit to dam ancran düs: deäh
men dane garsics mid laanan wsealle ütan bet^ ß hine man
|>äm nyfelle f^res of heofones hrof, ß hine mon donne ütan
besitte »all mid emidbelsom, swä [licce t> hiora selc ödrum
anhrine, ^ si donne tö ^hwylcum belje man ^esitted, ^ ae
hebbe Samsones strengde, se de ealle FJÜBteisan l)eöde ämyrde
ß hyia dügeda äfelde, ß be hsefde XTT loccas se ilca Samson
y on elcan locce wses XII manna msegen, ß mon donne je-
aette isem )iel ofer dses f^rea hrof, ß p aie eal mid mannum
danne äfyUed, y hiora bebbe seshwylc hamor on handa, y bit
donne an^inne eal »tsidre brastbgan, ß da hameraa beätaa
y deähhwaßder for eallnm dyaan jedene ne mseg aiö säwle hi
jareatan inne of däm egesan de he mr seaeh tö p beö da
yrrnde sefre mä for^itan mage, äne helfe tid dieses, de ehr
wflBS äne niht an helle. Onsitan we nt hü ae deofol acede
to dära hälsan ancran hyllewite, awä he him eäc asede keofena
rScea wuldrea wlite ; ß he cüde awtde wel, ^ he xiihte eäde
htt aecsan forden ha weea bwilan aciaende «ogel on beofennm
riee, ac hme äwearp Drykten of heofemon for bis ofennettum,
ß donne mödisan üeönd on helle wlte, fordon he dyde hine
GECanheäbe Gode, ß jet he^ran wölde doo ; «^ he da fordan je-
weard tö deöfle äwend^ ^ ealle hia jeferan, ß eäc eaJie da de
wst hifi rfflde w^roo odde seflier beaawon, ealle hl wurdon of
dim ensebcum hiwe tö deöflnm äweiide, ß jeleöllon da heom
an helle diöpniaae, beauncon ealle tö niedere; ^ fordon is
^hwylcnm deöfle awide cüd hwylc hit ia on heofennm rioe,
mid Criste on d^re dean myrhde : wel ia däm aefre tö womlde
— 105 -.
de on dfi^e st6we wunian möt! And d& cwsBd se Deöfol
tö dam anoran da git düs ; deäh de sie sam smeteselden dün
eal mid giininum asett sei sunnan up^nge od neorxna wonge,
sf Bie donne oferhlifise ealle eordan brädnesse, S d£er sitte
donne sum cynebearn an üfan dsere syldenan düne, S he sie
eac an middan bis fere fegemiBse S hie life, S he möte ds^r
sittan & od ende his lifes, S he hsebbe donne Samsoneswlite
S his wtsdöm, S him sie eal middangeard on geweald
seeealdy mid eallum dam welom S dam weoruldsestreönum
de heofen behweolfed äbütan, S him Saturnas döhtor,
y deSii de him ealle streämas honise fleöwan, S him danne
an eordan n^efre nc^re senig widerbresta on ])isum life, deäh
de him sseön ealle wynsumnesse S ealle swetnessa tö gehrior-
dum fordgeborenne, S him donne sie singal sumor J lytel
winter, ^ he donne sie lange tö life gescapen, bütan wrace
S bütan säre, S he donne deähhwsedere ne mseg for sorgum
daet he on eallum dysumm wnldre wunige, gef he s^r waere äne
niht on heofonum, J eft dider möte S sceäwigan dar dses
heofoncjninges ansiöne S da wynsumnesse de on heofonum
biöd. Bä dset deöfol dis eal hsefde ä^segd d&m haJigan ancran,
4ä forlset he hine; S se deöfal gewät da tö helle tö his ear-
dongstöwe. Ac utan we nü, men da leöfestan, geeamigan
intö gödan dedum dset we tö üran Dryhtne becuman mötan
J him danne mid beön S mid wunigan, ä bütan ende. In
ecnesse däm Dryhtne sie symle wuldar S werdmend in ealra
weorulda weoruld. Amen.
Für Samsonea wliie and his wisdom müssen wir also Salo^
niones lesen. Samson's Name schlich sich aus der kurz
zuvor erwähnten Stelle ein.
In nächster Linie folgen dann unsere altenglischen Dialoge^)
fon Salomo und Saturn, femer der prosaische im Ms. Cotton
Vitellius A. XV.
Was den Gegenredner des Salomo in den anderen Sagen,
]k(arculf , betrifft, so erscheint er in der englischen Literatur
nur bei der Aufzählung der Länder in unserem 2. Gedichte,
^) Vgl. für die mittelenglische Zeit. Kemble. S. 89fif. und Lydgate's
Order of Fools, in E. E. T. S. Extra Series VIII, 79.
— 106 —
die Saturn durchwandert hat; hier wird ein „Marculfes eard"
genannt (v. 188), als ob es zwischen Medien und dem Reiche
SauFs liegen würde. Allerdings darf man darauf nicht all-
zuviel Gewicht legen, da der Dichter die Länder nicht nach
ihrer geographischen Lage aufzählt. Ob man Marculfes eard
in Beziehung zu dem Weallende Wulf ^) der Philister bringen
darf, möchte ich nicht als sicher behaupten.
Außerdem erscheint noch ein Mearchealf in Widsid
23 (Gr.-Wülk. I, 2), der über die Hundinger geherrscht
hätte. Doch wird man wohl kaum die beiden identifizieren
dürfen. Marculf ist sicher ein germanischer Name; auf-
fallend ist in dem altenglischen Worte, daß keine Brechung
des a eingetreten ist. Was der Name bedeutet, ist bis jetzt
noch nicht aufgeklärt. Kemble (S. 118) vermutet Mearcwtdf,
also Markenwolf, Grenzwolf. Mone (vgl. Kemble S. 130)
glaubt die Bedeutung als Spaßmacher, me sie im Nieder-
ländischen erscheint, nachgewiesen zu haben. Eine merk-
würdige Stelle führt Kemble, S. 119^), aus dem Gott. Ms.
Cal. A. III. fol. 4 an: „Hethicus uero Gosmographus dicit
Gog et Magog pluribus insulis uel litoribus usque Euxinum
maris sinum inclusos in Biritheis montibus et Taracontis in-
sulis, contra ubera Aquilonis . . . Diem festum non habent, nisi
quod mense Augusto mediante colunt Saturnum
in insula majori maris oceani Taraconta. Appellauerunt
lingua sua Morcholon, id est stellam Deorum, quod de-
rivato nomine Saturnum appellant." — Marculphus hat mit
Saturn den Zug gemeinsam, daß auch er vom Osten her-
kommt; vgl. jene Stelle der lateinischen Bearbeitungen:
„vidit quendam hominem, Marcolfum nomine, qui ab Oriente
nuper venerat." Beide sind sehr weise und wechseln Sprüche
aus ; mit der Zeit aber schwindet der ernste Saturn dahin und
wird zu dem listigen Morolf, ja schließlich zu dem niederen
Marcoul der französischen Fassung. Kemble (S. 12) glaubt,
daß die Umwandlung der Dialoge von Ernst zu Scherz in
1) Vgl. Kemble, S. 119 und Duff, S. XII.
■) Diese Stelle steht jedoch nicht in Baudet^s - Cosmographie
d'Ethicus. Paris. 1843.
— 107 —
Deutschland, vor dem 13. Jahrhundert, auf fränkischem Ge-
biete und zwar auf der linken Seite des Rheines und unterhalb
der Mosel vor sich gegangen sei. Von da aus wanderte dann
die Sage einerseits nach Frankreich, andererseits nach Ober-
deutschland.
3. Über die Gottheit Satnm's bei den Germanen.
Ein weiteres Problem ist nun, ob wir auch einen Saturn ,
bzw, Ssetere etc. als germanischen Gott ansehen dürfen,
wie frühere Gelehrte glaubhaft zu machen versuchten. Über
diesen Punkt handelte zuerst Jacob Grimm in der zweiten
Auflage seiner deutschen Mythologie, I. Bd. S. 226—228
(wörtlich wiederholt in der vierten Auflage, besorgt von
Elard H. Meyer I. Bd. S. 204—206):
„Noch einmal zurückwenden muß sich die betrachtung
auf einen namen, der schon s. 104, 105 ^) unter den gottheiten
der woche angeführt wurde, und dem seltsames zusammen-
treffen einzelner umstände fast eine stelle in unserem ein-
heimischen alterthum zu verschaffen scheint, die hochdeutsche
woche läßt zwei tage, gerade in der mitte und am Schluß,
nicht nach göttern benannt werden, wie aber mittwoch ftir
Wuotanstag, ist. auch sambaztag haare neuerung, welche die
kirche wenigstens bei diesen tagen durchsetzte oder gern an-
nahm. Die sechs ersten tage heißen nach sonne, mond, Zio,
Wuotan, Donar und Fria; welchem gott hätte den namen
des siebenten herzugeben gebührt? für Mars, Mercur, Jupiter,
Venus standen jene deutschen gottheiten zu gebot, wie ließ
sich Saturn verdeutschen? das mittelalter fuhr fort den
siebenten tag aus dem römischen gott zu erklären, unsre
kaiserchronik, die auch beim dritten, vierten, fünften, sechsten
der deutschen götter geschweigt und nur von Mars, Mercur,
Jupiter, Venus redet, drückt sich unbeholfen aus:
an dem sameztage sh
einez heizet rotunda,
daz was ein herez betehus.
I) Siehe unten S. 115 ff.
— 108 —
der got hiez Satumüs,
darnach was iz aller tivTel ere,
hier ist Satums cultas mit dem zu aller götter oder tenfel
ehre errichteten, Yon Bonifacius in eine Marienkirche um-
gewandelten Pantheon yerhunden. Angelsachsen, Engländer,
Friesen, Niederländer und Niedersachsen haben dem dies
Satumi seinen namen selbst gelassen : S^teresdSg, Saetemes-
däg, Saturday, Saterdei, Saterdach, Satersdag, auch Irländer
dia Satuirn, Satam angenommen, während das franz. samedi
(sabdedi), span. sabado, ital. sabato zum hochd. samstag
stimmt, hier ist nicht nur ein begrif, wie bei den übrigen
göttern, sondern im namen gleichheit, und der unyerschobne
laut scheint unmittelbare entlehnung zu yerraten; oder sollte
die berührung zufallig und ein deutscher name nach dem
fremden verderbt sein? weder ein ahd. Sätames noch Säzar-
nestac läßt sich aufweisen, merkwürdig aber bedeutet ags.
ssetere insidiator (ahd. säzari, vgl. säza, mhd. saze insidiae =
läga, läge), was noch wichtiger ist, eine ags. urk. von £kluard
dem bekenner (chart. antiq. rot. M. no. 1)^) liefert den
Ortsnamen Sseteresbyrig, ganz dem Vödnesbyrig vergleichbar^
und die pflanze gallicrus, nhd. hahnenfuß, engL crowfoot,
wurde ags. sätorläde benannt, gleichsam Satumi taedium
(altn. leidi, ahd. leidi)'). ich erinnere daran, daß schon die
alten Franken von Satumus (s. 88)^) als heidnischem gott,
imd von Satumi dolium (s. 105)^) redeten, was freilich auf
den bloßen planetarischen gott bezogen werden darf.
[Nachtrag. DI. Bd. S. 83: Die kaiserchronik 3750
sagt noch von Saturn : Satumo dem wilden dem opphere wir
*) Kemble, Cod. dipl. IV, 157. [Sateres byrig].
') bei den Angelsachsen haben sich verschiedenartige gespräche
zwischen Saturn und Salomon erhalten, ähnlich denen zwischen Salomon
and Harculf im innem Deutschland, nur altertümlicher und von der
christlichen fassong oder Überarbeitung abgesehn den fragen und reden^
vergleichbar, welche in der edda zwischen Odinn und Vafjirudnir,
zwischen V!ng])örr und Alviss, zwischen Här und Gangleri gepflogen
werden, der name Saturn scheint auch hier von belang und eines
heidnischdeutschen gottes.
») Siehe den Bericht Gregors S. 109.
*) Vgl. unten S. 117.
— 109 —
daz koksilber (quecksilber) , während heute Saturns zeichen
das hlei bedeutet bei Megenberg 66, 2. 57 wird Saturn
Satjar genannt, der sächsische Saturn erhält noch bestätigung
durch die berufung des Hengist auf Saturn (s. 106)^), und
das ags. sätorläde paoicnm cmsgaUi ist ein gras wie äy^ojimgy
des Kronos kraut (zu s. 997). an Satumi dolium erinnert Lu-
cifer sedens in dolia upstandinge s. 41 und des tiuvels vaz.
Haupts zeitschr. 7, 327. was bedeutet altn. scätumir. Sq.
222*?]"
J. Grimm hat hier die Stelle aus Gregorys yon Tours
(t595): Historia Francorum 2, 29 ff.*) ins Auge gefaßt,
in der Chrotchilde ihrem Gemahl Chlodowieh, den sie für die
Taufe gewinnen will, die Nichtigkeit der von ihm angebeteten
Götter darstellt:
„Igitur ex Chrotchilde regina habuit filium primo-
genitum. Quem cum mulier baptismo consecrare veUit, prae-
dicabat assiduae viro, dicens: 'Nihil sunt du quos Colitis,
qui neque sibi neque aliis potuerunt subvenire. Sunt enim
aut ex lapide aut ex ligno aut ex metallo aliquo sculpti. No-
mina Yero quae eis indedistis homines fuere non du, ut Sa-
turnus, qui filio, ne a regno depelleretur, per fugam elt^Msus
adseritur, ut ipse lovis omnium stuprorum spurdssimus per-
petratur, incestatur virorum, propinquarum derisor, qui nee
ab ipsius sororis propriae potuit abstenere concubitu, ut ipsa
ait: lovisque et soror et coniux.
0 Siehe anten S. 114.
«) Ed. W. Arndt et Br. Kniach. Hannoverae. 1884. 4». Bd. I.
S. 90. Vgl. dagegen Rettberg, Fr. W. : Kirchengeschiehte Dentachlands.
Göttingen. 1846. L S. 273: „Glodwiga Gemahlin Clotilde ans burgnn-
diflehem, aber rechtgläabigem Stamme hatte nach Gregori Bericht ja
längst sdn Herz bearbeitet, wenn anch die ihr in den Mund gelegten
fteden wohl nnr eine Zntat des Berichtentatters sind. Der Beweis für
die Nichtigkeit der heidnischen Götter wird darin lediglich aus dar
klassischen Mythologie geführt, wie Satnm vor seinem Sohn geflohen
Jupiter alle Unzucht geübt, Mars und Merkur nur dämonische Mächte
seien, und dergleichen Reminiscenaen aus älterer lateinischer Apologetik
mehr.** Siehe auch Elard Hugo Meyer in seiner Germanischen Mythologie
(1891) S. 51 über Satumus-Freyr in den romanischen oder antiken
Rittersagen.
— 110 —
Grimm fährt daDn fort S. 205: „Dieser letzte Dame des
sabbats führt auf das altn. laugardagr, schwed. lögerdag, dän.
löverdag, worunter man späterhin sicher den wasch- oder
badetag meinte, wie der gleichbedeutende {)yottdagr lehrt;
aber früher könnte ein Lokadagr, Logadagr gegolten haben ^)
und Logi, Loki dem lat. Satumus entsprechen, wie das volk
die in Loki nachgewiesene idee des Teufels auf den jüdischen
satan und heidnischen Saturn überträgt und Loki altn. zu-
gleich Verführer, verlocker, nachsteller ist. Sogar ein neben-
name Odins aus Ssem. 46*^ Sadr oder etwa Sädr käme in
betracht, obschon ich es vorziehe, die erste form für Sannr,
und Sanngetall gleichbedeutend zu nehmen.
Unabweisbar mahnt aber jene ags. Saeteresbyrig aus
der mitte des 11. jh. an die bürg, welche unsere bisher ver-
achteten meidungen des 16. jh. in Bothes Sachsenchronik auf
dem Harz dem abgott Saturn errichten lassen, und diesen
Saturn, wie beigefügt wird, hieß das gemeine volk Krodo,
wozu wir den s. 170 berührten namen, für welchen ein älteres
Hruodo, Chrodo gemutmaßt wurde, herholen dürfen. -) von
Saturn oder Krodo ist zugleich ein bild überliefert, das den
götzen als mann darstellt, der auf einem großen fische steht,
in der rechten ein getäß mit blumen und in der linken ein
emporgerichtetes rad hält^) ; dem römischen Saturn wurde die
Sichel, kein rad beigelegt.
^) Vgl. Finn Magnusen lex. s. 1041. 1042.
*) auf Hrödo ließe sich nun jenes Roysei (die spätere schreibang
ist Reusei) und Roydach bei Gramaye ziehen, der an Mars denkt: Ur-
kunden müsten erst außer zweifei setzen, welcher Wochentag gemeint
sei. Hruodtac ist gerade ahd. mannsname (Graff 5, 362), alts. flroddag
gewähren trad. corb. § 424 ed. Wigand ; sie können sich zu Hruodo,
Hrödo verhalten wie Baldag zu Baldar, und die Kürzung Roydag, Rodag
gliche dem Roswith f. Hrödsuith. es wäre ein starkes zeugnis für den
Chrodocultus, wenn Roydag der siebente der woche ist; bleibt es beim
dritten, so darf angeschlagen werden, daß auch der dritte Monat dem
Mars geheiligt war und den Angelsachsen Hr§dem6nad hieß (s. 170).
') Vgl. dazu eine Stelle aus Richard Owen Cambridge's "Scrib-?
leriad" (1751). zitiert bei Henry A. Beers: A History of English Ro-
manticism in the Eighteenth Century. London 1899. 8^ S. 228:
But chief the Saxon wisdom be your care,
Preserve their idols and their fanes repair;
— 111 —
[Nachtrag. III. Bd. S. 83. DeHus s. 41. 50 fuhrt
krodeDduvel, krodenheuker, krodenkind an. rührt der erste
aus Botho? pravi spiritus id est de kroden duyels heißt es
im gegensatz zu den guden holden (s. 377) in einer hildes-
heim, handschrift des 16. Jahrhunderts froschmeus. Hb. YIII*:
so ungestalt wie man den kroden teuffei mahlt.
Jomandes de rego. succ. p. m. 2 hat den stamm Saturnus,
Picus, Faunus^ Latinus vgl. 561. GDS. 120. der dem Saturn
entsprechende slav. Sitivrat ist der indische Satjavrata d. h.
nach Kuhn der wahrhafte (erfüllte) gelübde hat, so auch
Dhritavrata, der erhaltene gelübde hat = Varunas.]
Hier scheinen slavische Vorstellungen einzugreifen. Widu-
kind (Fertz 5, 463) nennt ein ehernes simulacrum Saturni bei
den Slaven des 10. jh., ohne es irgend zu beschreiben; nun
fuhren altböhmische glossen bei Hanka 14' und 17' weiter,
in der ersten wird Mercurius Radihost wnuk kirtow (Badigast
enkel des Kirt), in der andern Picus Saturni filius, ztracec
sitivratow zin (specht söhn des Sitivrat) genannt, und in einer
dritten 20' heißt Saturn nochmals Sitivrat. wer sieht nicht,
daß Sitivrat Satums slavischer name ist, der zunächst auf
sit = satur leitet? Radigast = Mercur (s. 108) ist des
Stracec = Picus söhn, wie griechische mythen Picus (UlKog)
dem Zeus gleichstellen, und ihn das reich seinem söhne Hermes
abtreten lassen. Picus ist Jupiter, Saturns söhn ; außer Sitivrat
vernehmen wir noch einen anderen namen Satums, nämlich
Kirt, der offenbar unser Krodo und Hruodo scheint. Sitivrat
und Kirt bestätigen Saturn und Krodo, ich weiß nicht, ob
bei dem slavischen wort an das böhm. krt, poln. kret, russ,
krot d. i. maulwurf gedacht werden mag.^) größere lust hätte
ich dem namen Sitivrat den nebensinn von sitovrat (siebdreher)
einzulegen, so daß er beinahe gleichviel mit kolovrat (rad-
dreher) wäre, und aufscfaluß über jenes rad des Krodo gäbe ;
beide rad (kolo) und sieb (sito) laufen um und ein alter
Zauber lag in dem siebdrehen. Slavische mytfaologen haben
And may their deep mythology be shown
By Seater's wheel and Thor's tremendous throne.'^
^) Bchwerlich an Kreta, wo Kronos herrschte und Zeus geboren ward.
— 112 —
8itivrat mit dem indischen Satjavrata, der. au8 ^ner großen
Wasserflut in fischgestalt durch Vischnu errette wird, zu-
sammengehalten. Krodo steht auf einem fisch, und Vischnu
'Wird blumenkränze um den hals, in seiner vierten hand em
rad (tschakra) tragend vorgestellt.^) Alle diese bezöge sind
noch kahl und unsicher, aber sie reichen hin das hohe alt^
eioer deutschslavischen göttersage, die an mehreren ecken
hervorbricht, zu bewähren.^
Auf Grimm faßt J. M. Kemble : TheSaxons in Eng-
land. A new edition, revised by Walter de G-ray Bir-ch.
London. 1876. L Bd. S. 372:
^Among the Oods invariaUy mentioned as having been
worshipped by our forefathers is one who answered to the
Latin Satumus, at least in name. From the seventh week-
day we may infer that his Anglosaxon name was S»tere,
perhaps the Placer or Disposer^); for Ssetevesdseg seems a
more accurate form than Saetemesdseg whicb we sometimes
find. There are both names of places and of plants formed
upon the name of this god: as Satterthwaite in Lancaahire^
Satterleigh in Devonshire and Saeteresbyrig ^) in the same
county, of which there appears to be no modern representadve ;
white among plants the Gallicrus, or common crowfoot, is
called in Anglosaxon Satorl&de. The appearance of Ssr
tumus as an interlocutor in such a dialogue as the Salomon
and Saturn is a forther evidence of divinity; so that, taking
all circumstances into account, it is probable that when Gre-
gory of Tours, Geoffrey of Monmouth and others, number htm
among the Teutonic gods, they are not entirely mistaken. Now
there has been a tradition, in Germany at least, of a god
Ghrödo, or Hruodo, whose Latin name was Saturn, and whose
fignre is said to have been that of an old man standing upon
a fish, and holding in one hand a bündle of flowers, while
the oiher grasps a wheel. Grimm imagines herein some
working of Slavonic traditions, and foUowing the Slavomc
^) Edw. Moore the Hindu pantheon. Lond. 1810, tab. 13 und 23.
') Grimm seems rather to imagine insidiator. Myth. p. 226.
») Cod. Dipl Nr. 813 [Bd. IV. 157].
— 113 —
Interpreters conDects this Cbrödo with Kirt or Sitivrat, and
again with some Sanskrit legend of a Satjavrata.^) But
the reasoning seems inconclusive, and hardly sufficient to
jastify even the very cautious mode in which Grimm expresses
himself abont this Slayo - Germanic godhead.') More than
this we cannot say of the Anglosaxon Ssetere, whose name
does not appear in the royal genealogies; nevertheless we
cannot doubt the existence of some deity whom our fore-
fathers recognized under that name."
Zum Beweise für die Gottheit Satam's bei den Germanen
wnrde Ton Grimm die Berufung des Hengest auf Saturn bei*
gebracht (4. Aufl. S. 106): „Unsere Vorfahren, in natür-
licher täuschung befangen, hüben wohl schon frühe an, den
Ursprung der wochentagnamen auf die eigenen götter ihrer
heimat zu beziehen.^
Wilhelmus malmesbur., die ankunft der Sachsen
in Britannien berichtend , erzählt von Hengist und
Horsa, daß sie aus dem edelsten geschlecht abstammten:
erant enim abnepotes illius antiquissimi Vo d e n , de quo om-
nium pene barbararum gentium regium genus lineam trahit,
quemque gentes Anglorum deum esse delirantes, ei quartum
diem septimanae, et sextum uxori ejus Freae perpetuo ad
hoc tempus consecraverunt sacrilegio (Savile 1601, p. 9). Um-
ständlicher bei Galfredus monemut. (lib. 6 ed. 1687.
p. 43), Hengist sagt zu Vortigern: ingressi sumus maria,
regnum tuum duce Mercurio petirimus. ad nomen itaque
Mercurii erecto vultu rex inquirit cujusmodi religionem ha-
berent? cui Hengistus: deos patrios Saturnum, atque
ceteros, qui mundum gubemant. colimus maxime Mer-
curium (wie bei Tac. 9), quem Woden lingua nostra appel-
lamus. huic veteres nostri dicaverunt quartam septimanae
feriam, quae usque in hodiernum diem nomen Wo de nesdai
de nomine ipsius sortita est. post illum colimus deam inter
ceteras potentissimam, cui et dicaverunt sextam feriam, quam
de nomine ejus Fredai vocamus. Da Matthaeus west-
') Deut. Myth. p. 227.
') See Salomon and Saturn, p. 129.
Mttncbener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXI.
— 114 —
monast (flores^ ed. 1601. p. 82) in ehuselnem abweicht,
mögen auch DOch seine Worte hier stehen: cumque tandem
in praesentia regis (Vortigemi) essent constitnti, quaesiiit ab
eis, quam fidem, quam religionem patres eonim oolnissent?
cni Hengistus: deos patrios, scilicet Satunram, Jovem atque
ceteros, qui mundnm gubernant, colimas, maxime antem Mer-
cariam quem lingna nostra Voden appeUamus. huic patres
nostri yeteres dedicavenmt quartam feriam septimanae, qnae
in hone hodiemum diem Vodenesday appellatur. post illnm
oolimns deam inter ceteras potentissimam, vocabulo Fream,
CQJus vocabulo Friday appellamns. Frea nt Tolunt quidam
idem est qnod Venus et dicitur Frea, quasi Froa a frodos,
quod est spama maris, de qua nata est Venus secundum fa-
bulas, unde idem dies appellatur dies Veneris ^
Dazu stimmt die Unterredung Hengest's mit Vortigem
in Lagamon^s Brut v. 13897 ff. (ed. Sir F. Madden, London
1847. Vol. n. S. 157):
We habbed godes gode, |)e we luuied an ure mode:
])a we habbed hope to, and heored heom mid mihte.
[)e an hsehte Phebus, ))e oder Saturnus,
{)e |)ridde hsehte Wodan, })at is an weoli godd.
I>e feorde hseh[te] Jupiter, of alle l)inge he is whar ;
J)e fifte haehte Mercurius, l)at is l)e hsehste euer us.
])se saRzte haehte Appollin, |)at is a godd wel idon.
])e seouede hatte Teruagant, an hseh godd in ure loD[d] . .
Saturnus heo giuen saetterdaei, l)ene Sunne heo giuen
sonedaei.
Vergleiche dazu den Bericht von Wace^) in seinem:
Le Boman de Brut, v. 6921 ff. :
Par le sort qui sor nous chai
Avons nostre pais guerpi,
Et Mercures nous governa
ün Diex qui nous amena <;a.
Quant li rois a o'i nomer
Le Deu quis ot k govemer;
*) ed. Le Roux de Lincy. Rouen. 1836. 4«. L 319-320.
— 115 —
Draaanda lui quel gent avoient
Et en quel Den dont il cr6oient:
Kons avonSy fait-il, pluisors Dels
A qui Doas devuns faire autels,
Ce est F4bus et Saturnus
Jupiter et Mercurius.
Altree Dex avons nous pluiBors
Solooe la sant as anceseor«
Mais sor tos altres honoroo,
Ce T0U8 di bien, Merourion
Qui en nostre luigage a non
Wodeo; par grant religiau
Notre anoiesor taut l'oDor^rent
Que le quart jor li consacr^rent ;
Pour Woden lor Deu qu'il am^rent
Wodesdai le qart jor nom^rent
Et eneor a non Wodesdai.
Tacitus scheint, wie G-rimm S. 99 ausführt, ,,keine be-
nennung römischer gottheiten ohne vorsieht und Überlegung zu
brauchen, er nennt bloß Mercur und Mars (Grenn. 9. ann. 13, 67
biet. 4, 64), von vergötterten beiden Hercules, Oastor und Pollux
{Germ. 9. 43), von göttinnen Isis (Germ. 9), die terra mater,
mit deutschem namen (Germ. 10), die mater deum (G-erm. 45).
<7anz unvergleichbare, z. b. Apoll oder Bacchus werden niemals
verglichen. Das auffallendste ist, daß Jupiter nicht vorkommt,
und die auszeichnung Mercurs, der b^ den Kömem nur eine
^ottheit zweiten rangs Uldet, hier als vornehmste unter allen
erscheint : deorum maxime Mercurium colunt, dem auch allein
menschenopfer fallen, während Mars und Hercules sich mit
thieren begnügen, das hervortreten Mercurs erklärt sich
wahrscheinlich daher, daß dieser gott auch unter den Galliern
als haupt^ottheit verehrt und zumeist abgebildet wurde (deum
maxime Mercurium colunt, hujus sunt plurima simulacra,
Jul. Gaes. 6, 17), die blicke der Römer nach Deutschland
immer aber Gallien im Vordergrund sahen; vielleicht hatten
auch gallische berichterstatter den germanischen gott in dieses
licht gestellt "^
Am meisten schien für die Gottheit Satum's die Be-
8*
— 116 —
Zeichnung des letzten Tages der Woche bei mehreren
niederdeutschen Völkern zn sprechen, worüber sich Grrinim
S. 104 äußert: „Zumeist verschieden war wohl der name des
siebenten (tages), man bildete nach dies Satumi Säteresdag?
vgl. westph. Saterstag, Saiterstaig Günther 3, 502 (a. 1366)«
Ssp. 2f 66 liest eine hs. für sunavend Satersdach.
[Nachtrag. III. Bd. S. 47: sonnavend Elempin. sater-
dag ist nl. und westf., nicht sächs. saterstag Seibertz s. 724^.
1352. satirsdach Marienlieder. Haupts zeitschr. 10, 80. 81.
saterstag spinnr. evang. Cöln (1538). titel. Freidank 169, 15 :
suones tac verwandelt eine hs. in satersdach. soterdag Fir*
menich 1, 30P. sorreschteg in Eupen a. o. 1, 495].
Mnl Vn. Saterdach Maerl. 2, 114. 120. 123. 157.
159. 276. 3, 197. 343, daneben sonnacht Maerl. 2, 164. 3, 240.
[Nachtrag. IIL Bd. S. 47: saterdach Decker, im leven
van Jezus s. 27. 28. 74. 75. 234 wird der jüdische begriff
von sabbat unpassend immer durch saterdach gegeben.]
Nnl. VII Zaterdag.
Altfries. Saterdei, belege für alle diese formen hat Bicht-
hofen.^)
Neufries. VII. sniuwn, snioun, gekürzt aus sinnejuwn,
Sonnabend, vgl. tegenwoordige Staat van Friesland 1, 121.
Wassenberghs bidraghen 2, 56. Halbertsma naoogst. s. 281. 282.
[Nachtrag III. S. 47: wie VII sniuon, snioun ist sna-
vendes aus sunavendes gekürzt in einer anhaltischen urk. von
1322 bei Höfer s. 163.
Nordfriesische formen bei Outzen s. 38.*) VII. das nordfr.
1) Altfriesischea Wörterbuch. Göttingen 1840. S. 1000: W. 389,
16. 19. 390, 3. 31. 415, 12. a. 1468 Schw. 623.
•) Glossarium der friesischen Sprache. Herausgeg. von Engelstoft
und Kolbech. Kopenhagen 1837. S. 38: 7.) Sennan, NordbulL Sanneen^
Silt Sennin. Auf den westl. Inseln auch Saterdei, und selbst bei den
Saterländern wie bei Wiarda, wo man die Namen der Tage findet, wie
im Ags. seater-dseg, engl, saturday. Mit diesen ist zu vergleichen
Christoph Amold^s „Altsächsische Wochengötzen, s. Saterdei.'' S. 297:
„Saterdei, der Sonnabend, auf Silt, W. Br. W. B. Kil. Saterdag, dies
Saturni, Meines Bedünkens hat er aber ebensowenig den Namen
von Saturn, als die Saterländer, welche auch selbst diesen Tag Satertag
nennen ; s. Hoche's Reise. S. 159 Weit glaublicher scheint es mir
— 117 —
in abend in sennin gleicht dem een abend in der englischen
Volkssprache, schott. gude eerif Shakesp. gooden.]
Ags. VU. Ssetres däg, Sseternes dag.
Engl. VII. Saturday.
Altn. VIL laugardagr [Nachtrag III. S. 47 Altn. Gula|).
s. 9 VII J)?atdagr.
Schwed. lördag [Nachtrag VII. löghurdagh. östg.]
Dan. löverdag [Nachtrag S. 48. Jütisch. VII Luora.
Foersom. s. 12].
Man sieht, nur in dem siebenten tag entfernt sich der
nord. name von dem sächsischen und friesischen: laugardagr
bedeutet badetag, weil am Schluß der woche gebadet wurde,
und doch ist vielleicht hier Zusammenhang? ein lat. gedieht
des neunten jh. auf die Schlacht von Fontenay (Bouquet 7,
304) hat den merkwürdigen vers: sabbatum non illud foit,
sed Saturni dolium, ein teufeis bad?
Wenn auch die Germanen von frühster zeit an die
siebentagwoche nach den reihen und folgen des mondwechsels ^)
zu seyn, daß er diesen Namen daher bekommen, weil er bei der Ab-
teilnng in Wochen das Ende derselben macht; so wie so manche örter,
und besonders in unserem Lande, Satdorp, Baterthorp, Saterup aus
gleichem Ursprünge, als Gränzörter, wenigstens ehemals benannt worden.^
— Siehe ferner J. ten Doomkaat Koolman: Wörterbuch der osttriesi-
Bchen Sprache. Norden. 1884. IIL Bd. S. 86: „sater-dag, Sonnabend. —
Sprichw.: d'r is g^n saterdag so nat, of de sünn' schind altid wat; —
od. d'r is gen saterdag so kw&d, of de sünn' schind frö of lat etc. —
Es wird hier auch als Beschwörungs-, Kraft- oder Fluchwort ge
braucht, ähnlich wie sakkerlöt etc. (z. B. saterdag! wat is dat od. wat
is d'r nn mSr los; — saterdag nog^n mal, dat kwam d'r up an; — du
saterdag fan 'n jang', od. du saterdags junge, du schast ferdomd wesen; —
bi 'n saterdag, kanst da net hören; — bi'n saterdag, wat deist du dnfel
dar etc.), woraas man wohl schließen muß, daß darin noch eine vom
Gott Saturn herrtihrende Beminiscenz aus altheidnischer Zeit stecken
blieb." Vgl. femer: Cirk Heinrich Stnrenburg: Ostfriesisches Wörter-
buch. Aurich 1857. S. 210: Saterdag 1. Sonnabend; holl. zaturdag
2. Bösewicht, Tangenichts — ein Schimpfname — in diesem Sinne je-
doch gewöhnlich Ssaterdagg ausgespr.; B. W. B. satrian Teufel; — er-
innert wohl an den seine Kinder verschling. Saturn oder an „Satyr^,
holL sater (Spötter).
1) „dem lat. worte vix, gen. vicis entspricht das unverschobene
— 118 —
gekannt haben, ao ist ihnen die benennung der tage und deren
anordnuDg offenbar aus der fremde zugebracht worden, sonst
würde einzelnes abw^hen, und Saturn aus dem spiel ge-
blieben sein, für den sich kein einheimischer gott darzubieten
scheint
[Nachtrag S. 48: Auch Snorri im formäli hat Inter-
pretationen und ▼ergleichuDgen aus der bibel und der dassi-
schen mjthologie. den Freyr hält er zu Saturn.]^
Sind wir nun nach allen den beigebrachten Stellen wirk-
lich berechtigt, Saturn in das Reich der germanischen
Götter aufzunehmen? Ich glaube dies entschieden in Abrede
stellen zu müssen, da diese Beweise einer wirklich kritischen
Prüfung nicht Stand zu halten yermögen.
Es ist ja auffallend, daß die meisten Niederdeutschen den
4. und 7. Tag in abweichender Fcmn erhalten haben (ndl.
Zaterdagh, ndd. säterdach, engl. Saturday)^), während die
Oberdeutschen diese Tage durch „Mitte der Woche^ und
„Sambaztac^ ersetzten.^) Das Fehlen des Wuotanestac kann
Mogk^) nur daraus erklären, daß die „oberdeutschen Stämme
keine Gottheit verehrten, die sie für den römischen Mercurius
einsetzen konnten, wie auch bei allen germanischen Stämmen
keine den Saturnus wiederzugeben yermochte.^
Wenn die Germanen bei der Übernahme der römischen
Kultur die Tage ihren eigenen Gottheiten weihten, die meist
mit den römischen übereinstimmten, so Sonne und Mond für
den 1. und 2. Tag, Tiw, der dem Mars entspricht (noch heute
in Tuesday), für den 3. ; Wodan für den 4., also wie dies Mer-
ciurii; Bunor für den 6., dies Jouis; Freya für den 6., dies
Veneris; so erblicke ich in dem niederdeutschen Saetere für
den 7., dies Saturni, nur eine Übertragung des lateinischen
Gottes, also eine gelehrte Entlehnung. Dies wird mir bestärkt
goth. Tiko, ahd. wecliä und wehaal, beide der wurzel veika, Taik, ahd.
yvicbu, weih gehörend, weil der weohsel ein weichen (recedere) ist "
1) Vgl Khige: Vorgeachichto ' etc. 344 und Etymol. Wörterbueh*,
unter Samstag.
^) Vgl. auoh Kemble, S. 128.
>) In Paul's Grundriß* II, 329; siehe auch MüUeahofi; Deutseha
▲Itertamskonde V, 644.
— 119 —
durch die Notiz in Byrhtferhth's Handboc (ed. Kluge in Anglia
VIII, 321): Ja dagnm Romani y eac Angli gehalgedon od
)>i8ra tangla gemynde heora dagas, y ))8eDe forman dseg hig
heton sunnandseg for{)an heo ys ealra tungla wlitegost .... %
«^ )>one seofodan Saturnus. Hig wendon ure yldran {)set
hig h^don gast of Ji^re sunDan S lichaman of )>am monaD
S wsetan of Saturno .... ))se9 sunnandseges nama wsm
of |)aBre sunnaD S )>des monandsßges of {)£e8 moDan ^
Saeternes daeg of Saturno ioris fseder.
Was die Berichte über Saturn bei den emzeken Autoren
des Mittelalters betrifft, so sagt schon Jacob Grimm mit bezug
auf Gregor von Tours in der Mythologie (2. Aufl. S. 96,
4. Aufl. S. 88): „Was uns Gregor tur. 2, 29 — 31 von
Chlodovicbs taufe und den ihr vorhergegaDgenen begeh en-
heiten meldet, ist sichtbar verziert imd namentlich halte ich
die reden der königin für erdichtet.^
Allerdings fallt dann auf, wenn er fortfahrt: „Solch ein
umständlicher bericht von Chlodovichs heidenthum, kaum hun-
dert jähre nach dem ereignis und aus dem mund eines unter-
richteten geistlichen, wäre abgeschmackt, wenn ihm gar nichts
wahres unterläge, sobald Gregor einmal an die stelle der
fränkischen götternamen lateinische setzte (worin er ganz die
ansieht und gewohnheit seiner zeit befolgte), muste er von
selbst darauf gerathen, auf diese namen auch lateinische fabehi
zu beziehen, und es ist nicht zu übersehen, daß die vier ge^
nannten gotter lauter Wochentaggötter sind, d. h. dergleichen
völlig hergebracht war den einheimischen gottheiten zu iden*
tificieren ^
Aber auch dieses erscheint gemildert, da bereits Rettberg
erkannte, daß Saturn hier doch im Liebte des klassischen
Altertums erscheint, „indem der Beweis für die Nichtigkeit
der heidnischen Götter lediglich aus der klassischen Mytho-
logie geführt wird, wie Saturn vor seinem Sohne geflohen etc.**
(vgl. oben S. 109. Anm.).
Unterziehen wir nun die anderen Berichte der alten Ge-
schichtsschreiber über Saturn einer kritischen Prüfung, so
können wir auch hier den Platz des germanischen Gottes er-
— 120 - .
schlittern. Galfridas monemut. ist längst als ein Lügen-
historiker erkannt worden und der auf Wace beruhende Bericht
Lasamon's kann als eine späte und gelehrte Stelle von vorn-
herein ausgeschaltet werden.
Auch der Satum unserer ae. Dialoge, in dem Jacob
Grimm einen heidnisch-deutschen Gott sah (siehe oben S. 108.
Anm. 2), ist für seine Hypothese hinfallig, da Satum nach
▼erliegender Untersuchung als ein Belehrung suchender Chal-
däerfurst erwiesen ist. Ein weiterer Beweis gegen die Gott-
heit ist darin zu erkennen, daß Saturn, bzw. Ssetere in keiner
ae. Genealogie erscheint, ebenso daß Satum dem Tacitus nicht
bekannt ist, der nach Grimm „keine benennung römischer
gottheiten ohne vorsieht und Überlegung zu brauchen scheint."
Schließlich scheinen mir auch die ae. Lokalnamen gar
keine Beweiskraft zu besitzen. Ich möchte besonders darauf
hinweisen, daß diese Namen sich entweder im Norden Eng-
lands Torfinden, also in jener Gegend, in welcher unsere
Salomo-Saturn-Sage wohl entstanden und besonders heimisch
gewesen ist, oder in der äußersten Südwestecke, also auf ehe-
maligem keltischen Boden. Joseph Wright in seinen: The
English Dialect Dictionary scheint jede Beziehung zu einem
Saturn zu leugnen, wenn er S. 310 anfuhrt: Seater, ab.
The pasturage attached to a dwelling; a meadow; esp. used
in place names Setter, sb. Also written setr;
and in form saeter, The pasture near a farm or collection
of peasants' houses; also very common in names of places
[ON. setr, a seat, residence]. Vgl. auch S. 96 Anm. 1,
Am schlimmsten steht es mit demjenigen Argument, welches
die Zugehörigkeit Saturn's zum germanischen Pantheon aus
dem imaginären Pflanzennamen Satorlfid erweisen will (s. oben
Seite 96 und 112). Dieser verderbliche Irrtum entstammt
einer falschen Lesung im Herbarium Apuleji, dessen 45. Para-
graph die Überschrift trägt: Herba galli crus ^ is attorlade.
Lye hat in seinem Dictionary daraus Sattorlade gemacht^),
und andere haben ihm dies nachgedruckt; so Bosworth in
*) Vgl. Cockayne's Leechdoms I, p. 22.
— 121 —
seinem '^Dictionary of the Anglo-Saxon Language'^ London
1838, p. 303: Sattorlade: Sanuncnlus flammula, galli crus;
herba sie dicta, Herb. 45.
In Wirklichkeit heißt die Pflanze ätorläde und ihr Name
kommt in dieser richtigen Form im ae. und frühmittel-
englischen häufig genug vor; so im Herbarium Apuleji,
Cap. 46 (Cockayne I, 22 und 148) ; im Läeceböc I (Cockayne,
vol. II, p. 22, 15; 110, 8 und 114, 11); in Aelfrics Vocabulary
(133, 38), wo atterla{)e das lateinische uenenifuga glossiert,
und sonst in Wright-Wülkers Vocabularies; noch in der
Ancren Riule begegnet ein atterlode: s. das New English
Dictionary.
Auch bei seinem slavischen Vetter „Sitivrat^ wird sich
der germanische Pseudogott in der jetzigen kritischen Zeit
vergebens nach Hilfe umsehen. Denn auch dieser ist von
maßgebenden Slavisten bereits mit rauher Hand aus dem
Tempel der slavischen Götter hinausgefegt worden. Grimm
ist bei seinen Ausführungen über „Sitivrat^^ als den vermeint-
lichen slavischen Saturn (vgl. oben S. 111) das Opfer eines
Betruges geworden. Der ebenso kritische wie gelehrte Louis
Leger sagt über diesen Punkt in seiner Mythologie slave,
Paris 1901, S. 44: <Une falsification bien autrement grave
est celle de la Mater verborum. Elle a empoisonnS pendant
un demi-si^cle toutes les publications consacrees ä, nos 6tudes.
La biblioth^que du MusSe de Prague poss^de un manuscrit
de la Mater verborum^ sorte de dictionnaire latin compile par
Salomon III, 6veque de Constance, qui pari^t dater du
XIU* si^cle; il est accompagnS de gloses allemandes et
tchdques. Un certain nombre de ces gloses sont authen-
tiques. Toutes celles qui concernent la mythologie slave ont
et6 fabriqu^es au XIX® si^cle. Je les ai nagu^re 6num§r£es
dans la Hernie (Phistoire des religions (annSe 1881, t. IV, p. 134
et 135). Je les reproduis ici pour mettre les lecteurs en
garde contre l'usage qu*en ont fait un grand nombre de mes
pred^cesseurs.»
In der Ajimerkung hiezu heißt es dann mit spezieller
Beziehung auf Sitivrat: <Le mot Sytivrat est fabrique de
— 122 —
fa^oi^ ^ preter mati^re k des interpretationB diverses. Jacob
Grimm s'y est laissS prendre dans sa mythologie allemande«»^)
Nach alledem wäre es unkritisch im höchsten Grade, noch
länger an die einheimische Gottheit Satarn's bei den Ger-
manen glauben zu wollen.
4. Quellenfrage.
Die Vorlage, die unsere ae. Verfasser benutzten, habe
ich noch nicht ausfindig machen können. Kemble^), Morley
und neuerdings Max Förster ^) vermuteten, daß wir sie wahr-
scheinlich in der von dem Papste Gelasius 496 verbotenen
Contradictio Salomonis zu erblicken hätten. Dem kann ich
aber nicht ganz beistimmen. — Zuerst sei es mir gestattet,
darauf hinzuweisen, daß jenes Dekret, welches eine Contra-
dictio Salomonis verbietet, nicht von Papst Gelasius, auch
nicht, wie andere behaupteten, von Papst Damasus (f 3B4)
stammt, sondern daß dieses, wie Friedrich^) nachgewiesen
hat, eine Privatarbeit ist, die erst nach 533 entstanden ist.
Betrachten wir nxm das Dekret^) näher, so sehen wir,
daß es in 6 Hauptabschnitte zerfallt: 1. De spiritu saneto,
2. de canone scriptorae sacrae, 3. de sedibus patriarchalibns,
4. de synodis oecumenicis, 5. de libris recipiendis. — Uns
geht nur § 6 an. Das erste Kapitel*) davon enthält die
Darlegung des Primats der römischen Kirche. Kap. 2 und 3
^) Der Anglist wird auch von dem nächsten mythologischen Namen
mit Interesse Notiz nehmen: mStracec sytivratov syn (Straceo fik de
SytiTrat). Picus, Satorni filias. Straka en tch^que veut dire pie.»
Auch dieser Name, an den Grimm bekanntlich ziemlich groteske Fol-
gerungen über die Bedeutung des Namens Beowulf knüpfen wollte, ist
also einfach Fälschung.
^ A. a. O., S. 112: Tbat this Contradictio Halomoms was the
groond-work of our Anglo-Saxon poems seems veiy possible.
') Zur Apokryphe von Jamnes und Mambres, in Herrig's Archiv
CVIII, S. 27.
*) In den Sitzungsberichten der bayr. Akademie der Wiss., philol.-
hist. Kl. 1888. I, 54 ff.
^) Siehe auch fiefele, Coneiliengesehichte. Freibarg i. B. 1875, 8. 619.
*) Ich zitiere nach der Ausgabe Ton A. Thiel in £pistolae Rom.
Pontificum. Brunsbergae. 1867, S. 454.
— 123 —
fiibrt die Schriften auf, die in der Kirche anerkannt sind;
Kap. 4 aber die, die zurückgewiesen werden ; dies sind zuerst
als Nr. 6 die apokryphen Äpostelevangelien, dann 7. die
apokryphen Schriften der Schüler der Apostel, und die apo-
kryphen Bttcher der heiligen Schrift, wie Liber proyerbiorom
ab haereticis conscriptos et sancti Xysti nomine praenotatas
apociyphus, femer Liber physiologus ab haereticis conscriptns
et beati Ambiosii nomine praesignatus , apocryphus, 8. die
Kirchenväter und Kirchenschriftsteller, mögen deren Werke
nun echt oder unterschoben sein; darunter z. B.: Historia
Ensebii Pamphili apocrypha, opascola Tertulliani apocrypha,
opuscnla Lactantii apocrypha, 9. folgende 5 Schriften:
Epistola Jesu ad Abgarum regem apocrypha.
Epistola Abgari ad Jesum apocrypha.
Passio Quirici et Jnlittae apocrypha.
Passio Oeorgii apocrjrpha.
Scriptura, quae appellatur Salomoniscontra-
dictio, apocrypha.
10. Phylacteria omnia, quae non aogelorum, ut illi con-
fingunt, sed daemonum magis nominibus consecrata sont, apo-
crypha. Hsec et bis similia, quae Simon Magus, Nicolaus,
Oerinthus, Mareion, Basilides, Hebion, Paulus etiam Samo-
satenus, Photinus et Bonosus, Valentinus, sive Ma-
nichaeus Faustus Afiricanus, Sabellius, Arius, Pe-
lagius, — — — NestoriuB Constantinopolitanus,
Petrus et alias Petrus, e quibus unus Alexandriam alius
Antiocbiam macolavit, Acadus nee non et omnes
haeresiarchae eommque discipuM sive schismatici docuenint
Tel conscripseront, quomm nomina minime retinentur, non
solum repudiata, rerum etiam ab omni Bomana catholica et
apostolica ecclesia eliminata atque cum suis auctoribus auc«
tOTumque sequadbus sub anathematis insolubili vincnlo in
aetenram confitemur esse damnata.
Unter Nr. 10 werden also alle die Irrlehrer (gegen Gott,
die Dreifaltigkeit, Menschwerdung, hl. Geist, Mutter Gottes etc.)
verdammt.
Wenn ich mir die Frage Torlege, ob diese imter Nr. 9
aufgeführte contradictio Salomonis die direkte Quelle fUr
— 124 —
unsere ae. Verfasser, — wir müsseD als solche wohl Mönche
aDoehmen, — gewesen sein könne, so glaube ich, diese Frage
verneinen zu müssen. Was jene scriptura enthalten hat, wird
uns wohl ein ewiges Rätsel bleiben. Aus der bloßen Angabe
einer contradictio ist kein fester Rückschluß zu machen; sie
kann eine Unterredung Salomo's mit der Königin von Saba,
oder mit Hiram von Tyrus, oder mit A bdemon etc. enthalten
haben.
Dagegen möchte ich aber zur Stütze meiner Behauptung
folgendes beibringen:
Wie wir gesehen haben, ist in dem altenglischen Salomo
und Saturn ein Gegensatz zwischen christlicher und ger-
manischer Weisheit. Dies war sicherlich nicht der Inhalt der
im 6. Jahrhundert verbotenen Schrift. Femer tritt als Gegen-
redner Salomo's in den ae. Gedichten ein Saturn auf, der, wie-
wohl ein Chaldäerfurst, doch bei den heidnischen Angelsachsen
sehr bekannt gewesen ist. Wäre ein Saturn der Gegenredner
in der Contradictio gewesen, so wäre er wohl aufgeführt.
Jene Contradictio muß eine der damaligen Welt sehr bekannte
Unterredung zum Gegenstand gehabt haben, da sie so kurz
erwähnt ist. Der Hauptgrund, weshalb ich jene scriptura
als direkte Quelle zurückweise, ist der, daß unser ae. Salomo
und Saturn in 3 verschiedene Teile zu trennen ist, zuerst
das Gespräch Salomo's über den „Palmbaum^' Paternoster,
dann der Kampf des Paternoster mit dem Teufel, schließ-
lich die allgemein philosophischen und theologischen Be-
trachtungen im zweiten Gedichte, die alle drei mit ger-
manischen Elementen vermischt sind. Ehidlich gibt uns die
Contradictio auch keine Erklärung für die verschiedenen
Namen des Gegenredners des Salomo, wie Saturn, Marculphus,
Morolf, Kitovras etc.
Ich glaube daher, daß aus oder neben jener Contradictio
eine uns unbekannte Disputatio oder Altercatio entstanden ist,
die die altenglischen Verfasser kannten ; es ist ziemlich sicher,
daß sie nach einer lateinischen Vorlage arbeiteten ; die vielen
lateinischen Worte, darunter besonders der Name Satumus und
das häufiger vorkommende Wort caniic drängen uns zu diesem
Schlüsse.
— 125 —
Für das 1. Gedicht habe ich vergeblich bei Migne (Patroiog.
Bd. 218 — 222) nach einer Vorstellung des Paternoster als
eines Palmbaumes gesucht. Für das zweite Gedicht würde
eine Vergleichung mit den lateinischen Bätsein vielleicht noch
etwas zutage fördern. Auf das griechische Grund werk deutet
nach Bbert R, der Fürst der Buchstaben, hin; ferner ist zu
beachten, daß fast ausschließlich orientalische Länder genannt
werden. Auch die Parallelstellen mit der altnordischen
Ldteratur verdienen unsere Aufmerksamkeit, wenn wir sie
auch wohl als Erbgut aus dem urgermanischen Poesienschatze
ansehen müssen. Eine nähere Beziehung zu Skandinavien
scheint mir auch daraus nicht zu erhellen, daß wir die ae.
Sage — nach der Heimat der Verfasser und dem Vorkommen
des Saturn in geographischen Namen — mehr dem Norden
Englands zuweisen müssen.
So ist die Frage nach der direkten Vorlage unserer ae.
Verfasser um so schwieriger zu entscheiden, als diese uns
keine Quellen angeben, und auch die anderen Bearbeiter der
Salomosage uns hier im Stiche lassen, und imser Suchen
wird erschwert, wenn wir erfahren, daß selbst der heilige
Hieronymus nur als fingierte Persönlichkeit vorgeschoben wird,
wie dies der Verfasser des deutschen „Lobgedichtes auf
Salomo" tut, wenn er v. 25 sagt (Goedeke : Deutsche Dichtung
im Mittelalter ^ S. 102):
Ein herro hiz Heronimus,
sin scripft zelit uns sus,
der heit ein michil wndir
uzzir einim buchi uundin
uzzir archely,
daz habint noch di Crichi,
wi in Hierusalem giscach
michilis wndiris gimach;
ein wrm wchs dar inni,
der irdranc alli di brunni,
didir in der burch warin.
Lippert d Co. (G. Päiz*sche Buehdr.), Nanmbarg a. S
MÜNCHBNER BEITRÄGE
ZUB
ROMiNISdNDiENGUSmPEOW.
HERAUSGEGEBEN
VON
E BREYMANN und J. SCHICK.
TCTC-XTI
DDE POETISCHE PERSONIFIKATION IN DEN JÜÖEND-
SCHAUSPIELEN CALDERON'S.
-♦•
LEIPZIG.
A. DEICH ERT'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG NACHF.
(GEORG BÖHME).
1904.
DIE
POETISCHE PERSONIFIKATION
IN DEN
JÜGMDSCHAÜSPIELEN CALDEßON'S.
EIN BEITRAG
zu
STUDIEN ÜBER STIL UND SPRACHE DES DICHTERS.
VON
De. ernst LINDNE».
-c^-
LEIPZIG.
k. DEICHERT'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG NACHF.
(GEOKG BÖHME).
1904.
Alle Rechte vorbehalteD.
Seinem hochgeschätzten Lehrer
Herrn Professor Dr. Breymann
in dankbarer Verehrung gewidmet
vom
Verfasser.
Inhaltsübersicht
Seit«
B«nütKte literatnr VII
EinleituDg 1
Kapitel I: Fenosifikationen aus dem Gebiete der Natar.
Die Sonse 8
Der Mond 31
Die Morgendämmerung und die Morgenröte 32
Tag und Nacht 41
Die Sterne 48
Der Himmel 63
Wolken und Blitze 57
Die Erde, Länder und Städte 68
Berge und Felsen 64
Die Steine 68
Der Garten, Bäume und Blumen 69
Der Frühling 78
Wasser, Bäche und Flusse 81
Das Meer 85
Der Wind 88
Feuer und Licht 93
Häufungen 94
Kapitel II: Die Personifikation von Teilen des menschlichen
Körpers, sowie von Äußerungen und Zuständen seiner
sinnlichen und seelischen Existenz.
A. Der menschliche Körper:
Das Haar 99
Die Augen 100
Die Ohren 102
Zunge und Zähne 103
Das Herz 103
Arme und Beine 105
Hunger und Durst 106
— VI —
Seite
Schlaf und Traum 107
Der Tod 108
B. Die Seele 113
Die Liebe 115
Die Eifersucht 121
Schmerz and Furcht 122
Kapitel III: Die Personifikation von abstrakten Begriffen:
Das Schicksal 123
Die Glücksgöttin Fortuna 125
Das Unglück 129
Das Glück (La dicha) 132
Die Ehre 134
Der Ruhm 136
Das Stillschweigen 137
Zeit und Zeitverhältnisse 139
Kapitel IV: Die Personifikation von Gebäuden und Geräten. . 142
Ergebnisse 148
Benutzte Literatur.
I. Schriften über Galderon nnd seine Werke.
Abert, Johann: Schlaf und Traum bei Calderon. In der
Festschrift für Professor Urlichs. Würzburg. 1880. 8<>.
S. 163 bis 198.
Baumgartner, Alexander: Calderon -Literatur. In der
^Literar. Rundschau f. d. kathol. Deutschland", heraus-
gegeben von J. B. Stamminger. Freiburg i. B. 1881.
Nr. 11, S. 321 bis 331.
Baumstark, Reinhold: Die spanische National-Literatur.
Dritte Vereinsschrift der Görresgesellschaft für 1877.
Köln. 1877. 8^
Günthner, Engelbert: Calderon und seine Werke. Frei-
burg i. B. 1888. 2 Bde. 8^
Klein, J. L.: Geschichte des Dramas. Elfter Band, 1. u. 2.
Abteilung. Leipzig. 1874 u. 1875. 8^
LaBarrera y Leirado, DonCayetano Alberto de: Catälogo
bibliogräfico y biogr&fico etc. Madrid. 1860. 4^
Lista, Don Alberto: Lecciones de literatura espafiola.
2 Teile in einem Bande. Madrid. 1853. S^.
Münch-Bellinghausen, F. E. von: Die alt. Samml.
span. Dramen. Wien. 1852. 4t^.
Schack, Adolf Friedrich von: Geschichte der drama-
tischen Literatur und Kunst in Spanien. Zweite, mit
Machträgen vermehrte Ausgabe. Frankfurt a. M. 1853.
3 Bände. 8^
— VIU —
Schäffer; Adolf: Geschichte des spanischen Nationaldramas.
Leipzig. 1890. 2 Bde. 8^
Schmidt, Friedr. Wilh. Valentin: Die Schauspiele
Calderons, dargestellt und erläutert. Herausgegeben von
Leopold Schmidt. Elberfeld. 1857. 8«.^)
n. stilistische Abhandlungen.
A. Allgemeine Werke über Stilistik und Rhetorik.
Biese, Alfred: Die Philosophie des Metaphorischen. Ham-
burg. 1893. 8<>.
Brinkmann, Friedrich: Die Metaphern. Bonn« 1878. 8^
Gerber, Gustav: Die Sprache als Kunst. Bromberg.
1873. 2 Bde. 8^
Gottschall, Rudolf von: Poetik. Breslau. 1882. 2 Bde. 8^
Pecz, Wilhelm: Beiträge zur vergl. Tropik der Poesie.
Berlin. 1886. 8^ (Berliner Studien für klass. Philologie.
1886. ni.) Enthält eine reichhaltige Literatur über die
Tropen und eine wertTolle Einleitung.
Tumlirz, C: Die Lehre von den Tropen und Figuren.
Prag. 1892. 8«.
Vischer, Friedr. TL: Aesthetik. III. Teil, 2. Abschnitt.
Die Künste. 5. Heft: Die Dichtkunst. Stuttgart. 1857. 8».
Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik,
ed. Ludwig Sieber. Halle. 1873. 8^
B. SpezialanterBuchiingen. ^
Arendt, H. : Die Metapher bei Corneille. Diss. Marburg.
1889. 8«.
Goldmann, Friedrich: Die poetische Personifikation bei
Plautus. 2 Programme. Halle. 1885 u. 1887. 4<>.
Halfmann, Robert: Bilder und Vergleiche in Pdcis Mor-
^) Die Werke der folgenden Autoren wurden gleich£ftll8 zu Rat
gezogen, waren aber für die vorliegende Arbeit nicht nutzbar: Baumstark.
(Ausflug nach Spanien), Dorer, Fastenratb, Lemcke (Handbuch), Putman,
Ribeiro, Ticknor, Ulbrich, Zarate.
gante. Marburg. 1884. 8^. (In Stengel's Ausg. und
Abhandl. Nr. 23.)
Hense; C. C: Poetische Personifikation in griech. Dich-
tungen, etc.; a) Erste Abteilung. Festschrift. Parchim.
1864. 8<>; b) 1. Teil. Halle. 1868. 8^
: Beseelende Personifikation in griech. Dichtungen, etc.
a) £rste Abteilung. Programm. Parchim. 1874. 4®;
1)) Zweite Abteilung. Programm. Schwerin. 1877. 4*.
Ho bürg: Einige Bilder und Personifikationen aus Shakspere.
Programm. Husum. 1872. 4^
Meier, Diederich: Vergleich und Metapher bei Moliöre.
Diss. Marburg. 1885. 8».
Pott, Friedrich: Metaphern vom Leben und von körper-
lichen Lebensverrichtungen hergenonmien. In Kuhn's
Zeitschrift, 1853. IL S. 101 bis 127.
Raeder,Han8: Die Tropen und Figuren bei Garnier. Diss.
Kiel. 1886. 8«.
Scholl, Siegmund: Die Vergleiche in Montchrestiens
Tragödien. Diss. München. 1894. 8<>.
Schürmeyer, Franz: Vergleich und Metapher bei Bacine.
Diss. Marburg. 1886. Q\
Tappert, Wilhelm: Bilder und Vergleiche im Orlando,
etc. Marburg. 1886. 8®. (In StengeVs Ausg. u. Abhandl.
Nr. 56.)
III. Texte.
Calderon: Comedias, recogidas por Don Joseph Calderon,
SU hermano. Madrid. 1636 u. 37. 2 Teile. 4^
— : Comedias, ed. Hartzenbusch. Madrid. 1848 — 50. 4 Bände.
4«. (Abkürzung = H.)
Erenkel, Max: Elass. Bühnendichtungen der Spanier,
herausgegeben und erklärt. Leipzig. 1881/87. 3 Bände
und Nachträge zum 1. Bande. (Abgekürzt = K^, K^N,
Eressner, Adolf: Bibliothek spanischer Schriftsteller.
Band XX: Calderon, El Medice de su honra. Leipzig.
1898. 80.
— X —
IT. TJbersetznngeii.
'Gries, J. D. : Schauspiele von Don Pedro Calderon de la
Barca. Berlin. 1816/29. 8 Bde. 8«.
Latour, Antoine de: (Euvres dramatiques de Calderon.
Paris. 1875. 2 Bde. 8^.
Lorinser, Franz: Calderons größte Dramen religiösen
Inhalts. Freiburg i. B. 1875/76. 7 Bde. 8».
Malsburg, Ernst Friedrich von der: Schauspiele von
Don Pedro Calderon, etc. Leipzig. 1819/25. 6 Bde. 8^
Martin, Adolf: Schauspiele von Don P. C. Leipzig. 1844.
3 Bde. 8^
Pasch, Konrad: Ausgewählte Schauspiele des Don P. C.
Freiburg i. B. 1891/96. 7 Bde. 8^
Schlegel, Aug. Wilh.: Schauspiele von Don P. C. de la
Barca. Berlin. 1809. 2 Bde. 8».
Die Abkürzungen von Titeln Calderon'scher Stücke sind
in der Einleitung, S. 5 f., angegeben. Ferner bedeutet
C. = Calderon,
Pers. = Personifikation,
Perss. = Personifikationen.
Einleitung.
Während die Calderon-Literatur eine ziemliche
Anzahl von Schriften literarhistorischen, kritischen und ästhe-
tischen Inhalts aufweist ^), fehlt es fast noch gänzlich au Unter-
suchungen über den Stil und die poetische Sprache des
großen spanischen Dramatikers. Nur Ansätze zu solchen
Untersuchungen sind vorhanden.
Einige Beobachtungen über den Sprachgebrauch bei
Calderon finden sich in dem trefflichen Kommentare Va-
lentin Schmidt's (1867)^); einen kleinen Beitrag zum
Studium der poetischen Sprache unseres Dichters liefert
ferner Johann Abert in seiner Untersuchung über Cal-
deron's Gedanken über Schlaf und Traum (1880). Aber das
wertvollste Material zu solchen sprachlichen Studien liegt in
den Ausgaben KrenkeTs (1 881 ff.) aufgespeichert. Erenkel
geht an vielen Stellen auf den Sprachgebrauch des grossen
Dichters näher ein, weist auf verschiedene Stileigentümlich-
keiten desselben hin und verwendet ganz besondere Sorgfalt
darauf, durch vergleichende Anführung von zahlreichen
Parallelstellen Calderon „aus sich selbst zu erklären". ^) Auch
Pasch macht in seinen Übersetzungen (1891 ff.) auf ge-
wisse Eigentümlichkeiten in Sprache und Stil aufmerksam^),
») Cf. Baumgarlner und Günthner I, S. XI— XXXVIII.
') S. (Uta Verzeichnis der Bemerktingen über „Sprachgebrauch wid
Dichtergebrauch" im Register C am Schlusse dieses Werkes, S. 541 f.
») Kl, Vorrede, S. VI.
*) Bd. I, Vorrede, S. VIII.
Mänchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXII. 1
aber das sind, wie bei Krenkel, nur einzelne gelegentliche
Beobachtungen, die, weit entfernt, die betreffende Stileigenheit
erschöpfend darzustellen, namentlich ohne inneren Zusammen-
hang, wie sie gerade der Text bietet, nebeneinander ge-
stellt sind. Zu einer umfassenden Darstellung von Calderon's
Stil und Sprache bietet sich daher noch ein dankbares, er-
giebiges Feld.
Nun machen gerade bei Calderon gewisse Eigenheiten
es mehr als bei anderen Dichtern nötig, seiner Sprache er-
höhte Aufmerksamkeit zuzuwenden, bieten doch namentlich
sprachliche Kriterien oft einen Anhaltspunkt für die Chrono-
logie seiner Stücke, unterscheidet man doch gerade in Hin-
sicht auf Calderon's Sprache drei große Perioden der Ent-
wicklung.^)
Ferner weist unser Dichter, um mit Gries zu reden ^),
einen „ungeheuren Überfluß an gemachten stehenden Phrasen
auf, die sich bei jeder ähnlichen Gelegenheit wiederholen^.
Es dürfte sich wohl der Mühe lohnen, diese Ausdrücke zu
sammeln und nach bestimmten Gesichtspunkten geordnet auf-
zuführen.
Aber auch die nämlichen Gedanken, die nämlichen Bilder,
Vergleiche und Anspielungen finden sich in seinen Werken
immer wieder, bald mehr, bald minder deutlich ausgeführt:
durch eine vergleichende Zusammenstellung solcher Parallelen
würde man das Material kennen lernen, dessen sich der
Dichter zur Ausschmückung seiner Werke bedient; gleich-
zeitig würde eine solche Materialsammlung beträchtlich zum
richtigen Verständnisse des Autors und zur Aufhellung der
zahlreichen, noch dunklen Stellen in seinen Werken bei-
tragen.*)
ij Schack III, S. a3-~86; Val. Schmidt, S. 4.
') Gries an Tieck, 29. Mai 1829, zit. von Sc buch ar dt. Neueste
deutsche Cald.-Lit, Allgemeine Zeitung 1881^ Nr, 193^ Dienstag, 12. Juli,
'j Schuchardt, a. a. O. „ .. das SMimnief oder vielmehr das
Gute bei unserem Spanier ist^ dafi, um Weniges vo7i ihm ganz zu ver-
stehen, man ihn ganz gelesen Imhen muß . , . Das steht fest, dafi es keinen
Dichter gibt, welcher sosehr sein eigener Kommentator ist^ wie Cal-
deron.'' - Cf. K„ Vorrede, S. VI/ VII.
•- 3 —
Daß ferner durch derartige Arbeiten für die Lexiko-
graphie, für noch zu erwartende kommentierte Ausgaben der
einzelnen comediasj sowie für den Vergleich mit dem Bilder-
reichtum der großen Dichter anderer Nationen viel gewonnen
würde, sei hier nur angedeutet. Hiezu kommt noch, daß die
Werke Galderon's, der erfolgreicher als seine Zeitgenossen
bestrebt war, den poetischen Stil zu vervollkommnen, auch
in stilistischer Hinsicht Repräsentanten ihrer Epoche sind,
und einmal als wertvolles Material zu Studien über den estilo
cuUo, dann aber auch als Ausgangs- und Vergleichspunkt für
sprachliche Untersuchungen bei seinen großen Vorgängern
und Zeitgenossen dienen können.^)
Die vorliegende Arbeit soll nun zur Erforschung der
bilderreichen Sprache Calderon's einiges beitragen. Da es
unmöglich ist, den ganzen bildlichen Ausdruck bei diesem
Dichter, sei es auch nur in einer Auswahl seiner 108 comedias,
in den engen Grrenzen einer Dissertation darzustellen, so be-
absichtigt der Verfasser zunächst, in den Werken der ersten,
d. h. der Jugendperiode Calderon's ein Gebiet zu behandeln,
auf welchem die dichterische Individualität des großen Spaniers
besonders deutlich zum Ausdruck gelangt: das Gebiet der
poetischen Personifikation, ein Gebiet, das durch die grund-
legenden Arbeiten H e n s e ' s ^) für die griechischen und
römischen Dichter, sowie für Shakspere schon längst erfolg-
reich angebaut worden ist.
Bei der Bearbeitung des Themas traten dem Verfasser
eine Reihe von Schwierigkeiten entgegen.
Es handelte sich zunächst darum, Begriff und Umfang
der Pers. genau festzusetzen. Die Lehrbücher der Stilistik
und Rhetorik sind in diesem Punkte selbst nicht einig und
fassen den Begriff bald enger, bald weiter. Hense und
*) „Zu welch einer Fülle interessanter und fruchtbringender Beo-
bachtungen ufhd Erörterungen femer Sprache und Versifikation der
spanischen Dramatiker Veranlassung geben, braucht kaum erst noch hti'-
vorgehoben zu werden.^ Lemcke in Gröberes Zeitschrift^ 1878. II, 329.
") Poet. Pers. in griech, Dichtungen mit besond, Berücksichtigung
lat. Dichter und Shaksperes. L Teil, Halle. 1868.
X*
- 4 - •
Goldmann ^) bestimmen den Umfang dieser Redefigur ent-
schieden zu weit, und fuhren Wendungen auf, bei denen die
Kraft der Pers. nicht mehr gefühlt wird*), oder die besser
als Metonymie, Synekdoche oder als allgemeine Metapher zu
bezeichnen siod. Zwar „durchzieht die Pers. die ganze
Sprache unwillkürlich und unbewußt in jeder Benennung" *),
aber wir müssen streng scheiden zwischen den Perss., die,
bereits zu einem Bestandteile der Sprache geworden, dem
Dichter ohne sein Zutun in seinen Werken mit unterlaufen
(verblaßte Perss.), und den poetischen Bildern, die er ab-
sichtlich zur Ausschmückung seiner Sprache verwendet.
Nur mit diesen poetischen Bildern haben wir es in unserer
Abhandlung zu tun, da diese allein bei der Beurteilung der
dichterischen Kunst in Betracht kommen.
Bei einer an sich bilderreichen Sprache wie der spani-
schen^), ist eine solche Scheidung nicht immer leicht; oft
ist nur durch Vergleichen in Wörterbüchern, sowie durch
eingehendere Beobachtung des Sprachgebrauchs selbst Auf-
schluß zu erhalten.
Die zweite Schwierigkeit bestand in der Anordnung des
gesammelten Stoffes. Hense geht von den personifizierenden
Attributen aus, denen doch nur nebensächlicher Wert zu-
kommt, während Hoburg und Goldmann besser die per-
sonifizierten Gegenstände und Erscheinungen selbst der Reihe
nach betrachten. Der Verfasser zog es vor, sich dem Ver-
fahren der letztgenannten beiden Autoren anzuschließen^
um so mehr, als von verschiedenen Rezensenten die Anord-
>) Die poet. Pers. hei Plautm, Halle. 1885 u. 1887.
«) Cf. Hense, Poet. Pers. 7, Vorrede, S. VI.
^) Gerber, Die Sprache als Kunst, II, 1, S. 108. — Über die
Perss. in der ümgangssprachej siehe Pott in Kühnes Zeitschrift 1853,11,
S. 101/127 und Biese, Die Philosojyhie des Metaphorischen, S. 28.
*) Brinkmann [Die Metaphern, Bonn. 1878) sagt S. 122 von Cal-
deron ; „Man möge . . . wohl bedenken, dafi man es tnit dem Dichter einer
Sprache zu tun hat, in deren Diktion überall etwas Prächtiges waltet, und
worin also das Majl des Erlaubten höher gesteckt ist als im Französischen,
Englischen oder Deutschen.^^ Siehe ibid. S. 31 („An . . . Metaphern ist
besonders Calderon reich^), sowie die eingehende Betrachtung der spani-
schen Metaphern, S. 130 ff.
— B —
nung des Stoffes bei Hense als wenig vorteilhaft bezeichnet
worden ist^)
Auch empfahl es sich, die Gedanken des Dichters aufs
genaueste zu sondern: so wurde jedes Bild, in welchem
mehrere Vorstellungen aus verschiedenen Gedankenkreisen
verschmolzen sind, in seine einzelnen Bestandteile zerlegt und
an verschiedenen Stellen des öfteren aufgeführt.
Mit der Anordnung stand die Frage nach der Darstellung
des Stoffes im engsten Zusammenhang. Der Verfasser war
bemüht, trockene Statistik soviel wie möglich zu vermeiden;
auch schien es ihm nicht empfehlenswert, die Stellen im
Original oder in der poetischen Übersetzung ohne inneren Zu-
sammenhang nebeneinander hinzustellen. Nach reiflicher Über-
legung hielt es der Verfasser für das beste, kürzere Stellen
in möglichst getreuer Prosaübertragung zu geben, unter steter
Hervorhebung der charakteristischen Merkmale der Fers.,
bei längeren Stellen dagegen die poetische Übersetzung an-
zuführen, und zu Gleichnissen und Bildern, die aus dem Zu-
sammenhange gerissen, unverständlich erscheinen würden,
einige erklärende Worte hinzuzufügen.
Als „Jugenddramen'' kamen zunächst die 24 comedias
in Betracht, welche in der Primera und in der Segunda parte
de las comedias de Don Pedro Calderon de la Barca vom Jahre
1636, bzw. 1637 abgedruckt sind. Es sind dies die folgenden.
In der Primera Parte:
La vida es suefio (Abgekürzt: Vida)
Casa con dos puertas (Casa)
El purgatorio de San Patricio (Purg.)
La gran Cenobia (Cenobia)
La devocion de la cruz (Devocion)
La puente de Mantible (Puente)
Saber del mal y del bien (Saber)
Lances de amor y fortuna (Lances)
La dama duende (Dama)
Peor est& que estaba (Peor estä)
^) Cf. Kuhn'8 ZeitschHft 1867, XVI, 315- Liferar. Centralblatt
1869, S. 277.
— 6 —
El sitio de Bred4 (Sitio)
El principe constante (Princ).
In der Segunda Parte:
El major encanto amor (May. encanto)
Argenie y Poliarco (Arg6nis)
El galan fantasma (Gal.fant.)
Judas Macabeo (Judas)
El medico de su honra (M6dico)
La virgen del sagrario (Virgen)
El mayor monstruo del mundo (M. monstruo)
Hombre pobre todo es trazas (Hombre)
A secreto agravio secreta venganza (A secr. agr.)
El aströlogo fingido (Aströl.)
Amor, honor y poder (Amor)
Los tres mayores prodigios (Tres m. prod.).
Zu diesen 24 comedias treten noch einige wenige hinzu ,
von welchen unzweifelhaft feststeht, daß sie der Jugendperiode
des Dichters angehören, nämlich:
Mejor estd que estaba (Mej. estä), verfaßt c. 1631 %
La banda y la flor (Banda), verfaßt 1632*), sowie
Un castigo en tres venganzas (Castigo), das bereits
im Jahre 1633 gedruckt vorlag.^)
Endlich dürfte das Stück Con quien vengo, vengo (= Con
quien), wie Münch-Bellinghausen so überzeugend dargetan hat*),
doch wohl auch mit zu den Jugendwerken gerechnet werden,
um so mehr, als es auch bereits 1638 gedruckt war*), während
bei einigen anderen gemeiniglich als Jugendwerke geltenden
») Of. Val. Schmidt, Wiener Jahrb. 1822. Anz.-BlaU XVII, 7;
Hartzenbusch, Comedias IV, 662 ff.
«) Val. Schmidt, 1. c, XVII, 21 ; Hartzenbusch, 1. c, IV, 668f.
') In der Parte XXVIIl de comedias de varios autores. Haesca.
(Bluson). [Madrid. Nat.-Bibl. : T. i. 30] ; cf. L a Barrera, S. 64 und 684j
Hartzenbusch, Comedias IV, 654, 684, 701; Münch-Belling-
hausen, Samml., S. 21; Ticknor, Suppl.-Band, (1867). S. 114.
*) 1. c, S. 30flF.
*; In der Parte XXXI de las meiores comedias etc. Barcelona.
[Wiener Hof- u. Staatsbiblioth.]; cf. La Barrera. S. 54; Sa Iva, I, 414;
Münch-Bellinghausen, 1. c, S. 22 f.
— 7 —
Stücken die Ansichten der Forscher noch recht weit aus-
einandergehen.
Diese letzteren Stücke, sowie diejenigen Jugenddramen,
welche Calderon in Gemeinschaft mit anderen Dichtern ge-
schrieben hat, wurden auf den Kat meines geschätzten Lehrers
Ton der Bearbeitung ausgeschlossen, die letztgenannten des-
halb, weil sich hier nie von vornherein entscheiden läßt, was
der Anteil unseres Dichters, was der der Mitarbeiter ist. Die
verwerteten Stellen in den 28 bearbeiteten Dramen werden nach
der Ausgabe von Hartzenbusch (Madrid 1848 ff.) zitiert;
für die Vida und den Principe^ sowie für den Midico standen
dem Verfasser neben H. noch die mit Verezählung versehenen
Ausgaben von Erenkel, bzw. Ereßner zur Verfügung.
Da aber H. nicht durchweg den ursprünglichen Text
bietet und zuweilen recht willkürliche Lesarten bringt*), so
wurden die zitierten Stellen mit der Originalausgabe der
Werke Calderon's vom Jahre 1636/37 verglichen und die Sinn-
varianten angemerkt.
Es möge dem Verfasser auch an dieser SteUe ge-
stattet sein, seinem hochgeschätzten Lehrer, Herrn Professor
Dr. Breymann, der die erste Anregung zu der vorliegenden
Arbeit gegeben und sonst stets hilfsbereit des Verfassers
spanische Studien gefördert hat, für manchen Hinweis bei
der Bearbeitung des Themas, sowie für die freundlichst be-
tätigte Mühewaltung bei der Drucklegung seinen ergebensten
Dank auszusprechen. Auch seinem verehrten Lehrer, Herrn
Professor Dr. Schick spricht hier der Verfasser für die
liebevolle Hilfe bei der Korrektur den gebührenden Dank aus.
*) „-BT. ist leider oft nachlässig^ oft willkürlich zu Werke gegangen
und überhebt spätere Herausgeber durchaus nicht der Arbeit, zu den
Manuskripten und zu der Originalausgabe zurückzugehen.^ Stiefel,
Uteraturblatt 1885, V, 240. — Cf. Kr, Vorrede, S. VIII f.; Lemcke,
Gröbers Zeitschrift 1878, II, 328 f.
Kapitel L
Personifikationen aus dem Gebiete der Natur.
(Naturgegenstände und Naturerscheinungen.)
Einteilung.
Wir betrachten in jedem einzelnen Abschnitte zunächst
die Bilder, welche bei dem personifizierten Gegenstande die
Vorstellung der menschlichen Körpergestalt erwecken (Pias-
tische und plastisch-beseelende Personifikation ^)) ; gehen dann zu
den Bildern und Redensarten über, welche dem personifizierten
Objekte Züge des menschlichen Geistes- und Seelenlebens
verleihen (Beseelende Personifikation), und sehen uns endlich
Vergleiche und Redewendungen an, in welchen zugleich eine
Personifikation enthalten ist.
Freilich ist diese Einteilung nicht immer streng durch-
zuführen, da viele Bilder zwei oder auch alle drei Momente
in sich vereinigen.
Die Sonne.
Wie Shakspere ^), so verwendet auch Calderon die Sonne,
tese planeta . . . siempre hermoso, siempre vivoi^ *), überaus häufig
zu Gleichnissen und Bildern. So nennt er die Sonnenstrahlen
») Cf. flense, L Teil, Vorrede, S. Vff., sowie Programm, 1877,
S. Iff.
«) Hoburg, S. 4ff.
») May. encanto I, 394*.
— 9 —
mit Vorliebe die y^blonden Haare^ der Sonne, mit welchen
sie jeden Morgen unseren Erdkreis von neuem vergoldet^),
oder die „goldenen Locken^, die sie weit ausgebreitet über
Berge und Wälder entfaltet.') Noch halb im Schlaf breitet
sie ihre rötlich-blonden Haare über Jasminsträucher und
Aosen aus, wodurch sie die Schatten der Nacht verscheucht ^ ;
oder sie läßt ihre rotblonden Haare flattern, während sie
ihre Rosenwangen im krystallenen Spiegel des Meeres be-
schaut^); die Morgendämmerung kräuselt ihr die goldenen
Stirnlocken, während die kalte Nacht sie wieder in Unordnung
bringt.*)
Endlich steigt, um von des Tages Mühen auszuruhen,
die Sonne am Abend ins Meer nieder und benetzt ihr krauses
Haar.«)
Auch im übertragenen Sinne spricht Calderon von den
goldenen Locken der Sonne : „Noch sind die goldenen Locken
der Sonne hinter dunklen Wolken verhüllt, aber bald wird
ihr Licht wieder hell erstrahlen," d. h. die Wahrheit wird
bald erwiesen werden. '^ So sagt auch Don Alvaro zu dem
unschuldigerweise verdächtigten Grafen Lara: „Ich werde
so lange nach den Ursachen forschen, die Eure Ehre ver-
dunkeln, bis die Sonne, die Besiegerin der Schatten, ihr
krauses Haar wieder rein und hell entfaltet." ^)
') vuelve d dorarle (seil, nuestro hemisferioj / Con nuevas madejas,
Castigo lU, 392^
•) el 8ol Ui8 doradas trenzas / Extiende desmarafiadas / Sobre los
montes y selvas, Purg, I, 157 ^
') medio dortnido el sol^ / Atropellando las sombras / Del ocaso, des-
maranal Sobre jazmines y rosM I Rubios cabellos^ Princl, 246'* = 1, 221 ff.
*) dntes que d sol otra vez / Rubios cäbellos descoja, / Y en espejos
de cristal I Mire meßUas de rosa^ Puente I, 221".
*) el alba le riza / La crespa melena de oro / Hasta qiie la noche
fria I 8e la desmarafia, Mej. estd I. 225'.
*) despenado en las ondas, / Para templar su fatiga / Los cäbellos
Crespos moja, Purg, I, 156»»; cf. Arg^nis 1, 437'', S. 12»).
') ahora entre nuhes densns / Son embozos que deshacen / Del sol las
doradas trenzaSj Sab er I, 34 •.
•) Sacar^ d hiz la verdad
Destos nuhlados que han sido
La noche de vuestro honor.
— 10 —
Neben den Haaren, den goldenen Locken, werden der
Sonne noch andere Attribute und Tätigkeiten des mensch-
lichen Körpers beigelegt und ihr so menschliche Körper-
gestalt verliehen.
Beim Anbruch der Nacht wendet sie ihr leuchtendes
Antlitz von der Erde weg und läßt uns im Dunkeln zurück ^) ;
wenn nach heißem Kampfe das Schlachtfeld von Blut tiber-
strömt, dann betrachtet sie ihr Antlitz in scharlachroten
Spiegeln und wundert sich, daß sie jetzt ein Meer vorfindet,
wo ehedem Land war*), während sie sonst, wie wir oben hörten,
jeden Morgen ihre Rosenwangen im kristallenen Spiegel
des Meeres betrachtet'), aus den Blumenkelchen der hohen
schneebedeckten Berge trinkt*) und ihre Stirn mit kost-
baren Edelsteinen ziert*), worunter wir offenbar die Tau-
tropfen zu verstehen haben, die sie nach altem Volksglauben
in Perlen verwandelt. •)
Über die azurnen Gefilde des Himmels hin erhebt sich
der mit goldenen Säulen gezierte Palast der Sonne'), der
jedoch nach der Meinung des Don Juan nur als „blauer
Trug der Erdensöhne und Heuchler seiner blauen Schimmer" ®)
Hasta qtie claros y UmpioB
Deje el sol^ venciendo sombras
Cabellos Crespos y rizos, Sah er I, 30''/31».
^) cuando el sol / En el silencio nocturno / Ausente su faz Jiemwsa /
Dejando d ohscuras el mundo, Vir gen I, 332 *'.
*) El sol mirando su faz / En espejos de escarlata / Ihtdö como haU
laba mar I La que dejo tierra; tanta j Era la vertida aangre^ Argenis
1, 461'^.
») Puente I, 221", s. S. 9*).
*) aquel monte, / Pirdmide de nieve, / Donde en copas de flores el
sol bebe, Puente I, 212^
*) las Piedras que el sol cria / Petra estrellas de su frente, Puente
I, 213 ^
•) Cf. Ka, S. 228, za V. 839 ff.
') De los palacios del sol / Los dorados balaustres, Midico I, 354'
= II, 94 ff.
*) si no es que fuese I Ese palacio del sol / Mentira azul de las
gentes, / Hipocrita de sus galas, / Pues no son lo que parecen, Peor estä
I, 100 ^
— 11 —
anzusehen ist, da Q^stalt und Farbe des Himmelsgewölbes
nur auf einer Sinnestäuschung des Menschen beruhen.
Weiter erfahren wir von blutigen Kämpfen zwischen
Sonne und Mond, wenn die Sonne nicht gewillt ist, dem
Monde ihr Licht zu geben, das in seinem Antlitz wider-
strahlt. ^) Als Kampf zwischen Sonne und Mond bezeichnet
und beschreibt unser Dichter auch die Sonnenünstemis bei
der Geburt des Prinzen Sigismund:
— die Sonne, blutigtriefend
Einen Zweikampf mit dem Monde
Unternahm im höchsten Grimme;
Und getrennt durch unsem Erdball
Kämpften diese zwei Gestirne,
Da sie sich nicht fassen konnten.
Mit der yoUen Kraft des Lichtes.
(Gries.)*)
In das Gebiet der plastisch-beseelenden Pars, gehört
femer die mythologische Darstellung der Sonne als Sonnen-
gott Phoebus Apollo, der, von Sternen und Planeten umgeben,
stolz daherkommt.')
Am Morgen erhebt er sich, um der Erde neues Leben
zu spenden *) ; zur Zeit der Morgenröte vergoldet der locken-
haarige Phoebus Felsen und Berge mit seinen Lichtstrahlen *) ;
am Abend badet er seine goldenen Locken in den silber-
glänzenden Wogen und gibt der Nacht die Erlaubnis, ihre
^) se eclipso^ / El sol, que en sangrienta guerra / No quiso dar d la
luna I Luz^ que en au fax reaplandece^ Furg. 1, 155 ^
•) Vida I, 4«^ = I, 681ff.:
— el 8olj en su sangre tinto
Entraba sanudamente
Con la luna en desafio;
Y s^lendo valla la tierra,
Los dos faroles divinos
Ä luz entera luchaban,
Ya que no ä hrazo partido.
•) el dorado Febo / Acompanado de estrellas / Y cercado de luceroSj
May, encanto I, 391^
*) Febo madi^ga I Ä dar una vida al mundo^ Puente 1, 212V
•) Febo ini(mso / Cumbres bana y montes dora, Vir gen 1, 332»»
— 12 —
schwarzen Schatten zu entfalten ^) ; wenn dagegen der Himmel
sich verfinstert, dann heißt es, es verberge Apoll im Todes-
kampf sein goldenes Antlitz in einem Leichentuche aus
schwarzen Wolken *) ; auch zur Nachtzeit vergräbt der Gott
der Dafne sein Licht zwischen düsteren Schatten. *)
Getreu der mythologischen Auffassung werden der Sonne
auch Rosse und Wagen zugeschrieben.
Auf ihrem reichverzierten, prächtigen Wagen fahrt die
Sonne, jene leuchtende Fackel, rings um die Welt und er-
leuchtet den Himmel mit ihren Strahlen*); vom Wagen des
Faeton steigt sie am Morgen herab auf die Saphirmauer des
Himmelsgewölbes*); am Abend sieht sie von ihrem Wagen
aus dem Kampfe ihrer Strahlen mit den Wellen im spanischen
Meere zu*), oder lenkt, der Bitte des die Nacht herbei-
sehnenden Liebhabers willfahrend, die Deichsel ihres Wagens
durch die Gefilde des Sonnenuntergangs. ') Beim Einbrechen
der Nacht wäscht sie ihren leuchtenden Wagen im spanischen
Meere ®), oder es verbirgt die Nacht, in Schatten gehüllt, den
leuchtenden Sonnenwagen in den kühlen Wellen.*)
Auch Anspielungen auf die Sonnenrosse finden wir; so
rühmt Guido von Burgund zwei edle spanische Pferde, welche
*) el dorado Ftho j En ondas de plata y nitve / Bana loa rubios
cabellos I Dando licencia d la noclie / Que haje entre oscuros velos, Ar-
(jenis I, 437^
') rfc un parasismo el mismo Apolo / Amortajado en nübes, la do-
rada I Faz eacondio, Fr ine. I, 248' = I, 523 ff.
') Espere que el dios de Dafne
Entre sombras y hosquejos
De una noche sepuUase j Su liiz, Con quien II, 236 •.
*) Esa luminar antorcha, j Que desde su plaustro rico / El cielo
ilumina ä rayos, i El mundo describe d giros, May. encanto I, 394 •.
*) del carro de Faetonte / Säle el sol de zafir d la muralla, Vir gen
I, 334 K
•) el sol apenas hoy desde su coche / Lid de rayos y olas / Verd
sobre las ondas espanolas, Gal. fant. I, 298 ^
') parece que obediente / Ä mi voz noble y bizarro / Gruia d pirtigo
del carro I Por los campos de occidente, Gal. fant. I, 298*.
*) bana / AI descender la noche / Su luminoso coche / En las fmdas
de Espana, Furg. I, 162»»; Gal. fant. I. 292 ^
•) la noche, / Envuelta en sombras, el luminoso coche / Del sol «-
eonde entre las ondas puras. Fr ine. I, 260 ^^ = III, 686 ff.
— 13 —
die Sonne mit Kecht für ihren Wagen begehren könnte*),
wie denn Calderon schöne Pferde geradezu „Sonnenrosse",
cabcUlos del sol, nennt.')
Mannigfach betätigt sich die Phantasie des Dichters, wenn
es gilt, Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang zu schildern.
Heller Lichtschein im Osten verkündet das Kommen der
leuchtenden Sonne'), die bald im Meere sich erhebt*), bald
in einer Wiege aus Blumen geboren wird *) ; voll Stolz kommt
sie hervor, um die Sterne auszulöschen ^) oder begräbt Legionen
von Sternen in den saphirblauen Wogen des Himmelsgewölbes '^) ;
auch findet die Sonne, der Himmelsphönix, fern im Osten, in
Lidien, am kühlen Meeresstrande Saphirwiege und Silbergrab.^)
Beim Sonnenaufgang spielt die Morgendämmerung,
die alba, eine große Rolle: sie bringt uns die neugeborene
Sonne in ihren Armen*); in ihren Armen erwacht Sol, der
größte Planet, zu neuem Glänze und kehrt zu den Rosen und
den anderen Pflanzen zurück. ^^)
Als treue Kammerfrau zieht die Alba jeden Morgen im
Osten die Vorhänge vor dem Bette der Sonne weg**) und
kräuselt ihr, wie wir oben gesehen, die goldenen Stirnlocken.**)
') dos caballos j De alma y aliento espanol, Que imra su carro el
sol I Con razon puede envidiallos, Puente I. 207^' f.
»j Casa 1, 142 ^
') del sol luciente / Pregona la venida / Coronado de Im el claro
Oriente, Judas L 323 ^
*) en el mar madrugay Banda II, 153'.
*J en cmia de flores nace. Sab er J, 24 ^
•) Säle con lyanidad borrando estrellas^ Purg. L 162''.
") en ondas de zafiros j Sepulta abismos de estrellaSy Argen is
I, 444*; Sepultando estrellas sale, Lances I, 37 •.
*) al finix celestial la playa fria / Es cima de zafir, tumba de plata,
Cenobia I, 188^; la India, que eligio / / .para su ciina el sol^
Ä secr. agr. 1, 695 ^
•) El alba . , . en sus brazos / Nos presenta el sol infante^ Devocion
I, 61*=; sol infante, cf. Mdgico II, V. 832, K«, S. 227.
") el mayor planet a, / Que en los brazos de la aurora / Se restituye
luciente / Ä las plantas y d las rosas, Vi da I, 16» = III, 607 flF.
*') Seis veces pues corrio al sol / Las cortinas orientales / Sumiller
el alba, Casa 1, 132»»; Gal Fant. I, 307*.
") Mej. estd I, 225', siehe S. 9-^
— 14 —
Weit häufiger sind die Stellen, die auf den Sonnen-
untergang Bezug haben.
Bald legt sich die Sonne im Meer zur Ruhe^), wo
sie sich zwischen Korallen und Perlen verbirgt^); bald zieht
sie sich hinter karminrote Vorhänge zurück^), bald geht sie
nach einem anderen Horizont^) oder zieht mit langsamen
Schritten in die Gefilde des Sonnenuntergangs ein/)
Die Sonne stirbt im Marmorgrab "), oder findet ihr Silber-
grab in den kühlen Wogen des Meeres'); auch sinkt sie
altersschwach ins diamantne Grab hinab ^), oder es begräbt
die düstere Nacht die goldenen Strahlen der Sonne in der
dunkelgrünen Meeresflut*), wobei das ganze Meer zum Grab
wird für ihre gewaltige Lichtfülle ^®) und der blaue Dreizack
des Meergottes ihr Licht austilgt. ^^)
Wieder tritt uns das Bild vom Vogel Phönix vor die
Augen, wenn es heißt, am Abend verbrenne die Sonne ihre
goldenen Schwingen am silbernen Feuerherde, um während
der Nacht wieder neu zu erstehen. ^^
*) en el mar se acuesta, Banda II, 153'.
*) äntes que el sol se oculte j Entre corales y perlas j Princ. I, 251*
= II, 20öfiF.; Arginis I, 444*.
'j iCudndo no se acuesta el sol j Tras corünas de carmin? Mej.
estd I, 241^
*) se parte el sol d otro horizonte, Fi (i a I, 1*» = I, 48; Busca el
sol nuevo horizonte^ Castigo HI, 392 ^
*j con lento paso I Entra el sol en las llneas del ocaso^ Castigo
III, 381».
*) eyi tumba de marmol mwere, Sab er I, 24'.
') Hagan los rayos del sol / Del mar sepulcro de plaia, Sitio
I, 113^; cf. Mägico I, V. 24 ff., K„ S. 143.
*j el sol caduco muero / En tümulos de diamante, Ä secr. agr.
I, 597 ^
*} Äntes que la oscura sonibra I Sepulte los rayos de oro / Entre
verdinegras ondas, Fi da I, 17»» = III, 804 ff.; dntes que en el mar se-
pulte I El sol sus rayos . . , . Ä secr. agr, I, 608°.
") siendo monuntento / Todo el mar d todo el sol / Cuando Uegase d
SU centro, Con quien II, 236'.
") I Apagut el azul tridente/ Tu luz!, Qal. fant I, 298«.
**) dntes que en esta (seil, noche) renazca / El sol qtiemando las
plumas I De oro en hogueras de plata, Banda II, 161 ^
— 16 —
Andere Stellen melden uns, daß die Sonne am Abend
den Tod erleide und die finstere, traurige Nacht ihr die
Leichenfeier rüste. ^)
In hellem Glanz, von herrlichen Lichtern umgeben, stirbt
die Sonne; die Abendröte bedeutet ihren Todeskampf 2) ; in
den Gefilden des Sonnenuntergangs liegt sie als rotleuchtender
Leichnam^), an welchem die Sterne als schwache Funken
des Lebens zurückbleiben. Mithin ist ihr nicht alles Leben
entflohen :
Zwar die Totenfei'r sich haltend,
Stirbt die Sonne nicht; sich spaltend
Hinterläßt sie viele Sonnen,
gleich einem Spiegel, der zerbrochen in vielen kleinen Spiegeln
nur um so öfter widerstrahlt.*)
Zur Leichenfeier der Sonne behängt die schwarze Nacht
ihren Thronhimmel mit schwarzen Trauerschleiem *^) , der
Himmel zieht seinen schwarzen Schleier vor, den der Wind
ihm webt; um den Tod der Sonne zu beklagen ; anstatt froher
Lieder singen die Nachtvögel in klagenden Tönen der Sonne
den Grabgesang. 6)
Es bedeutet ja ihre Abwesenheit den Tod für alles auf
der Erde, und erst ihre Wiedergeburt verleiht dem Erdkreis
neues Leben, neues Sein ^ ; alles erwacht zu neuem Leben
^) de luces avara / Y triste la noche fria, / En eclipsado arreholj /
Las exequia» hace cU sol, Gal. fant. I, 295 \
') el sol entre luces hellas / Muerej paredendo en ellas / Farasismo
8u arrebol, I Y del cadäver del sol j Cenizas son Icts estrellaSy Fuente
I, 215«.
') en los campos de occidente / Es un caduver el sol / Cada vez q^ie
resplandece, Peor estd I, IUI».
*) Conio un espejo quebrado / Finge varix>s tomasoles^ / Asi el sol
entre an-eboles, / Aunque exequias se celebra, / No muere^ sino se quiebra /
Pues nos deja tantos soles, Puente I, 215 ^
*) la noehe negra / Por las exequias dd sol / Doseies de luto cuelga^
Cenobia I, 199^
•) los cielos tenian / Corrido el oscuro velo^ / Luto que ya por la
muerte / Del sol entapiza el viento, I Y eti sus exequias las aves / Noc-
turnas^ en vez de versos / Cantan caistros, Purg. I, 151 *.
') siendo, / Si su ausencia muerte d todOj / Vida y ser su nacimiento,
C astig 0 III, 392 ^
— 16 — .
bei ihrem warmen Odem^), wenn sie am Morgen mit holdem
Gruß die Berge vergoldet ^) oder lichtgekrönt über Berge und
Meere emporsteigt, um über Gipfel und Wellen Glanz und
Strahlen zu verbreiten ^) ; lediglich der Glanz der Blumen
welkt dahin unter ihren starken Fußspuren.*)
Betrachten wir jetzt die Fälle, in welchen der Sonne
Züge des menschlichen Geistes- oder Seelenlebens verliehen
werden, Stellen, in welchen sie als beseeltes Wesen erscheint,
mit Vernunft und Verstand ausgestattet, denkend und empfin-
dend wie der Mensch, indes die Erinnerung an die menschliche
Körpergestalt weniger in uns wachgerufen wird.*)
Als bedeutendstes Gestirn des Tages führt die Sonne
den Vorsitz in der Ständeversammlung der Planeten"); der
Majoratsherr Sol hat die Pflicht, für die glänzende Luna,
seine jüngere Schwester, zu sorgen, indem er ihr Licht
spendet'); dafür steigt Luna zur Nachtzeit als Vizekönigin
am Himmel empor®), oder es bleiben an Stelle der Sonne
der Mond und die Sterne als leuchtende Vizeköniginnen zu-
rück. »)
Die Sonne ist der Vater ^°), wie auch Herz und Seele des
*) iPues quien no vive y deapierta I Ä los aliento8 del sol? Sab er
L 24*.
*} la salva I Del sol estos montes dora, Arginis 1, 440 ^
') sohre montes y mares, / Cuando coronado asoma, / Luz esparce,
rayos Mlla j Cumbres bana^ espumas borda, Vi da I, 16' = III, 511 ff.
*) las rosas , . . Cuyos muertos resplandores / Ä las estampas y
htieUas I Del sol, Con quien II, 244 •.
*) Beseelende Personifikation.
•J Yo en esferas perfetas / Llamando el sol d cortes los planetas /
Le vi que presidia / Como mayor ordculo del dia^ Vi da I, 9*" =11, 623 ff.
') Äntes que la breve ausencia
Del sol, mayorazgo en fin
Di luz d la luna tersa,
Como d 8u menor hermana, Castigo III. 383 ^
®) vireina dtl sol sah luna. Vir gen I, 337*".
^) Sustituyendo su ausencia / Las estrellas y la luna / Porque abra-
sadas vireinas / De la majestad del sol / Son la luna y las estrellaSj Gal.
fant. I, 296 ^
") es padre del dia, Fr ine. I, 256«^ = lU, 50.
_ 17 —
Tages ^); sie zieht den Tag hinter sich her^) und führt ihn
am Ahend nach einem anderen Pole^), wozu sie häufig von
der kalten Nacht aufgefordert wird.^)
Als gefühlvolles Wesen beweint die Sonne den Tod
Christi mit blutigen Tränen^); sie weint beim Unglück des
Volkes Israel ^) und nimmt Anteil an der Buße des Eusebio ''),
während sie, um die Greueltaten des Ludovico Enio nicht
ansehen zu müssen, einen Trauerschleier umlegt^), und lieber
verlöschen würde, ehe sie die schrecklichen Zornesausbrüche
des Königs Don Pedro mit ansähe.*) Bei einem gewaltigen
Seesturm legt sie Purpur- und Earmingewänder an, wenn
sie all das Unglück bemerkt ^^), und bei dem Unheil, das
durch die Neugier des Königs Rodrigo und den Einfall der
Mohren über Spanien kam, verfinsterte sie ihre Strahlen imd
fürchtete, gänzlich zu verlöschen. ^^)
Vor den gewaltigen Heeresmassen des Riesen Fierabras
erstaunen Sonne und Meer'^); beim Anblick der Cyklopen
gerät die Sonne in Aufregung ^^) ; bei dem Aufstand in der
Residenz des Königs Basilius erschrecken Sonne und Wind **),
') Alma y corazon del dia, Gal. fant. I, 295'.
■) Llevändose tras «i el dia, May. encanto I, 394*.
•) Era la est^icion que ya j El planeta luminoso / Dejändonos en la
noche I Llevaba d dia d otro polo, Oal. fant. J, 302 ^
*) la noche fria^ / En mal distinto arrebol j Da priesa diciendo al
8ol I Que se vaya con el dia^ Casa I, 144*.
*) can sangre jLloro la muerte de Cristo, Vi da I, 4* = I, 689 f.
•) Llore el sol, Judas 1, 311 **.
') Y para verlo mejor / El sol descubre sus rayos, Devocion J , 86 **.
*) mis obras / Tan abominables son. Que, por no verlas ^ se cubre /
De luto ese resplandor, Purg. 1, 163 ^'e
•) «c muriera estimara f La luz del sol por no veros, Medico
I, So?«» = U, 552t.
*•) Äpercibiendo tragediae / Vistiö purpura y carmin, Arginis
1, 4Ö4H.
"'^ el sol entre sus rayos / Eclipses padedö^ temiS desmayos^ Vir gen
I, 334*.
'*) ü sol de verlos se espanta j . .el mar de verlos se admira^ Fuen te
I, a09^
") El sol se turba^ May. encanto 1, 403^
") El sol se turba y se embaraza el viento, Fi da 1, 14* = IIJ, 284.
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXII. 2
— 18 —
wie beide, bewundernswerte Heldentaten in der Schlacht voll
Aufmerksamkeit verfolgend, stumm vor Erstaunen in ihrem
Laufe innehalten ^) und ebenso scheint die Sonne für alles
andere blind zu sein, wenn sie das heldenmütige Vorgehen
des Don Diego aufmerksam betrachtet.^)
Auch Neid empfindet die Sonne bisweilen, wiewohl sie
selbst der Inbegriff aller Schönheit, Großartigkeit und Pracht
ist und ihren glänzenden Lichtstrahlen nichts anderes gleich-
kommt.*)
Sie beneidet gar manchmal den König, wenn er in voller
Kriegsrüstung über das Schlachtfeld dahinzieht *) ; mit scheelem
Blick sieht sie auf die schöne Dejanira, die es ihr an Glanz
bei weitem zuvortut, so daß der Meinung des Neso zufolge
die Sonne vor dem hellen Lichte der Dejanira nur mit Angst
und Furcht ihre Strahlen hervorholt ^) ; selbst auf das Glück
eines liebenden Paares scheint sie neidisch zu sein, indem sie
zeitiger als sonst zwischen Gold- und Purpurwolkeu ihre
Strahlen entfaltet und die Liebenden zur Trennung zwingt.^
Gleichwohl hat die Sonne selbst einst die Qualen der
Liebe empfunden, da sie in ihrem Liebeseifer voll Treue
einem Lorbeer nachgingt), weshalb Carlos, der die Nacht
herbeiwünscht, um mit seiner geliebten Laura beisammen sein
zu können, sich vertrauensvoll an die Sonne wendet:
O du strahlender Planet, ermiß in deinem Liebesschmerz,
wie groß der meine ist.
^) atentos d la accion / Que intenta atrevido un hombrCy / Mudo el
viento se deüene / Y d sol se ha parado inmobily Sitio 1, 124 'f.
') atento d su f accion se via / Sordo el mar, mudo el aire y eZ Bol
ciego, Sitio I, 111 ^
') con 8u lux ardiente I No Kay cosa que no iguale, Amor I, 370 ^
*) Envidia del sol tal vez, Amor 1, 372 ^
*) Hermosa Deyanira^ / Ä qytien el sol tan envidioBO mira, / Que con
ansiaSj con penas, con desmayos / Saco d lucir ante tu luz sus rayoSy
Tres m. prod. 1, 284*.
•) / Que tan veloz ... sea I El tiempo ! No me parece / Que hd un
hora que anochecioj / Y presumo que envidioso / De mi gloria, el sol her-
mo80 I Ma» temprano descubrio j Los reflejos . . . Astrol. I, 677*.
') Bien podre decir mi amor / AI sol, pues su hello ardor / ün laurd
siguio fiel, GaL fant 1, 289«.
— 19 —
Kürzend diesen Tag, vereine
Schnell den West und Orient:
/ Oh tüf planeia IvcieMe,
Mide en tu pena la mia,
Y haz hoy stncopa dd dia
El ocaso y el Oriente/^)
Auf ihrer täglichen Wanderung von der Perlmutterwiege
zum schneeigen Grab im Meere ^) erlebt die Sonne gar
mancherlei, nichts bleibt ihren Strahlen verborgen; nur ganz
entlegene Örter, versteckte Stellen und ferne Gegenden sind
auch ihren Lichtstrahlen unerreichbar, und dann heißt es,
das Licht der Sonne habe hierher keinen Weg gefunden.^)
Curcio berichtet von einer abgelegenen Stelle des Ge-
birges, wo die Sonne vergebens £inlaß begehrte, denn Bäume,
Blätter und Zweige, kunstlos, wenn nicht liebevoll ineinander-
geschlungen, verwehrten ihr den Eintritt^); der unglückliche
Sigismund haust in einem finsteren Turme zwischen den
Felsen und Schluchten des Gebirges, wohin kaum das Licht
seinen Weg findet, da plumpe Steinsäulen ihm den Zugang
versperren *) ; Federico wird in einen finsteren Turm gesperrt,
woselbst ihn die Sonne nicht besuchen soll®), da sie durch
keine Bitze Einlaß findet.*^
Laura lebt, wie sie selbst berichtet, stets im Hause ein-
») Qal fant I, 298^
*) Desde la cutia de nacar / Hasta la tumba de nieve^ Arginis
J, 451 •.
') una partej donde / Ann la luz del aol se esconde, / Qu« aqui no
lUgo jamaSy Purg, I, 159 ^
*) una 8eci*eta estancia / Deate monte^ d cuyo alberg^ie / El 8ol ignaro
la entrada, / Porque se la defendian, / RnsHcamente enlazadas / Por no
decir que amarosas I ArboUs^ hojas y ramas^ Devocion I, 58', cf. K,,
8. 159, zu Mdgico 1, 322fi'.
*) Etitre las penas y riscos / De eso» montes^ donde apinas / La luz
ha haüado Camino, / Por defenderle la entrada / Sus rnaticos obeliscos^
Vida I, 5* = I, 740flF.
•) Venid / Donde una torre os encierre, / Y donde el sol no os visite,
Castigo UI, 390^
') donde el aol apenas / Por solo un resquicio entre, Castigo
JII, 390^
2*
— 20 —
geschlossen, so daß nicht einmal die Sonne sie zu besuchen
kommt ^); da Do&a Angela sich verborgen halten muß, so
weiß kaum die Sonne, wer sie ist*); Poliarco soll sich für
einige Zeit in einer dunklen Höhle verstecken, nicht einmal
die leuchtende Kugel der Sonne darf von ihm erfahren *), und
auch Don Lope will sein Rachewerk so behutsam und heim-
lich vollführen, daß kaum die Sonne es sehen soll/) Don
Astolfo berichtet von einer Hütte, welche im tiefsten Walde
verborgen, kaum der Sonne bekannt ist^), Aureliano beherrscht
die entferntesten Teile der Welt, die nicht einmal die Sonne
kennt®), und Julia ist bereit, ihrem Geliebten überall hin
zu folgen, selbst in das entfernteste Land,
„Dort, wo sich des Weltenrundes
Hell erglänzend Rad, die Sonne,
Kaum vom Tag erlauschen läßt",
oder wo sie mit rotleuchtenden Strahlen die Nacht besiegt.')
Nicht überall kommt also, wie wir sehen, die Sonne frei
und ungehindert hin; Astolfo erzählt, man habe ihn, um ihn
vor der Rache des Herzogs zu schützen, in das entlegenste
Zimmer eingesperrt, wohin selbst die Sonne nur furchtsam
und in kleine Strahlen aufgelöst, gedrungen sei ®) ; das Laby-
*) siempre cerrada en casa / Xi aun el sol me llega d »er, Mej.
estd I, 228^
*) apenas el sol sabe / Quien soy, Dama J, leg*»; ibd. I, 169*; cf.
Alcalde, K,, J, V. Ö4öff, S. 182.
') no ha de saher di ti / Ni aun la luminar estrdla / Del sol^ Ar-
ginis I, 440'».
*) tal mi venganza sea, / Obrando discreto y sabio^ / Que apenas el
sol la rea, Ä secr, agr, I, 607».
*) Aquella cabana, aquella / Que, en lo ignarado del soto, f ApSnas
el sol la sabe, Gal. fant I, 302^
*) Ocupas lo mos remoto / Del mundOj que ignora el sol / Sulcando
estrellados globos^ Cenobia I. 187'».
'^ Llevame contigo^ y sea / Patria mia el mas remoto / Clinuij dande
el sol apenas / Nndo luciente del globo, / Se dejar acechar del dia^ j 0
adonde con rayos rojos j No dejar triunfar la noche. Gal. fant. I, 303'.
®) Efi el ultimo aposento, / Donde ajyenas temeroso / Entrö el sol
deshecho en rayos, / Entro el aire envuelto en soplos, / Me encerraron,
Gal. fant. I, 302»'.
— 21 —
rinth des Minotaurus ist, dem Berichte des Lidoro zufolge,
ein düsteres, unheimliches Bauwerk,
Utia oscura horrible casa
Donde apenas el sol entrOj
Y es verdadf pues aunque enirara
Libremeniey entrara ä penas^),
indes Mariene den Königspftlast zu Jerusalem als einen Tempel
der Ehre bezeichnet,
den die Sonne selber
Nicht betreten würd', als nur
Sich entschuldigend, sie käme
Ihm zu leuchten.')
Bisweilen glaubt die Sonne, sie habe sich auf ihren
Wanderungen am Himmelsgewölbe im Wege geirrt.
Der Riese Fierabras droht dem Kaiser Karl, er wolle
während der Schlacht aus einem lieblichen Tal ein rauhes
Vorgebirg von Leichnamen machen, so daß die Sonne, wenn
sie beim Aufgehen Berge sehe, wo früher Wälder standen,
denken werde, sie habe bei ihren Wanderungen am Himmels-
gewölbe den rechten Weg verfehlt.*)
Den gleichen Ausdruck finden wir wieder in der Stelle
May. encanto I, 403«, wo die Zauberin Circo, um dem Streit
zwischen den Griechen und ihren Mannen ein Ende zu machen,
künstliche Nacht und ein Gewitter heraufbeschwört:
Wenn Sonne und Mond sehen, daß sie heute nur so
kurze Zeit zu leben haben, werden sie denken, sie hätten bei
ihren Wanderungen am Himmel den Weg verfehlt, oder ich
'i Tres m. prod. I, 275^
') Templo de honor talj que a verle / El sol no entrara^ ä no entrar /
Con disculpa de que viene / Ä darle la luz; que aun el sol / No entrara
de otra suerte, May, monstruo I, 493 ^ In der Ausor. v. 1636, 2. Teil,
fol. Ißö recto, 2. Spalte lautet diese Stelle: El sol se atreve con miedo / Y
entra dentro^ porque vietie / Ä trnerle luz^ que el sol / Aun no tntra de otra
merie. Vgl. die K, zu S. 163 angeführte ähnliche Steile Lindahridis
II, 262-.
') este valle hermoso. / Con los caddvereSy sea / ün bdrbaro promon-
torio: j Tanto que el sol al nacer, / Viendo tnonte el que era soio, / Piense
qiie ha errado el ramino , De sus telestiales tomos, Fuente I, 208''.
— 22 —
hätte von der Erde aus ihr Licht mit einem Hauche ausge-
löscht, i)
Von besonders bemerkenswerten Ereignissen sagt unser
Dichter mit Vorliebe, sie seien das größte Schauspiel, das
die Sonne je auf ihrem Laufe gesehen hat; in vielen Fällen
ist die Redewendung <que viö el sol* wohl nur als Verstärkung
des Superlativs aufzufassen.
So sind die Festlichkeiten beim Empfange der Infantin
Maria in Wien (1631) <el niayor teatro / Qiie viö el sol, en
cuanios gira / Oircidos de vidrio y meve* *), die Huldigung für den
Kroninfanten Baltasar (1632) bezeichnet Calderon als <e/
7nayor acto / Que viö el sol en su carrera*^)', den Zweikampf
zwischen dem alten Ursino und seinem Sohne nennt Don
Sancho : ^el duelo / Mas exlrafio y mos notable j Que ha visio el
sol hasta koy> *), und Ulyxes ist, nach der Ansicht der Circe,
„der edelste Grieche, den die Sonne sah".^)
An vielen Stellen wird die Sonne, da sie allwissend und
allgegenwärtig ist, als Zeugin angerufen.*)
„Heute soll die Sonne Zeugin meines stolzen Mutes
werden", sagen Sirene ') und Simon **), und, um die Macht
des spanischen Reiches und seines Herrschers, Philipps IV.
(1621 — 65), in würdiger Weise zu verherrlichen, ruft der
Marquis Espinola begeistert aus:
Möge
Zeuge seines weitgedehnten
^) el sol y la luna hoy, j Vicndose vivir tan poco, / Piensen que el
Camino erraron / De sus celestiales tornos, / 0 que yo desde la fte»Ta /
Äpague su luz de t<n soplOj May. encanto I, 403*'.
«j Mej. estd J, 225*.
*) Banda II, 151».
*) Con quien II, 253^
*) May. encanto I, 392^
*) testigo I Haz dl sol de que conmigo I Lidiaste. Tres m, prod.
1, 285*.
') Hoy el sol set-ä testigo j De mi valor arrogante^ May. encanto
I, 407*.
^) testigo ä las fuerzas / De mi valor siempre augusto^ Judas
I, 324«.
— 23 —
Reichs die Sonne sein, die niemals
In demselben untergehet.
A SU düatado imperio
Sirva de iestigo el solj
Sin qiie le falte un momento,^)
Die Sonne ist ewig und unyergänglich ; Jahr für Jahr
zieht sie ihre goldene Bahn am Himmelsgewölbe ') ; wenn sie
am Abend uns entschwindet, so wird sie anderen Völkern ge-
boren^); jeden Tag stirbt sie und erwacht wieder zu neuem
Leben, dem Vogel Phönix gleich, der aus seiner Asche immer
wieder neu ersteht.*)
In Glück- und Segenswünschen spielt deshalb der Spanier
gerne auf die ewig lebende Sonne an: ,, Mögest du so lange
leben wie die leuchtende Sonne, die Jahrhunderte über-
dauert^), heißt es gewöhnlich, und um diesen Glückwunsch
besonders wirkungsvoll zu gestalten, fügt der galan bei seiner
Geliebten wohl noch hinzu: Lebe so lange wie die Sonne,
ohne daß du einen Augenblick nur von deinem Glänze ein-
büßest:
Ruego al cielo . . . que imites
La edad del soly sin que iengas
Solo un instante de eclipse.^)
Bereits eingangs, S. 8, wurde erwähnt, daß Calderon
die Sonne ungemein häufig auch zu Vergleichen verwendet. Bei
der lebhaften Phantasie des Dichters gilt dieser glänzende
Himmelskörper, das größte und hervorragendste, was die
Natur aufzuweisen hat, gar oft nur als Superlativbegriff oder
als Vergleichspunkt, um das höchste Maß von Reinheit,
Schönheit, Macht, Größe, Majestät, kurzum, den Inbegriff
aller Vollkommenheit auszudrücken, wobei Calderon mit der
>) Sitio I, 116*.
') pasando anoa / El sol por dorcuhs rumboa, Vir gen I, 333 ^
*) cuando yace f Ä nosotros, d otros nace, Vir gen I, 332 •.
*) el 8olj que cada din muere y nace / Y fenix de 8U$ rayos se re-
nace, Purg. I, 164 ^
») Vivas la edad del sol, Sitio I, 119"; Purg. I, 164»»; Saber
I, 21*»; Con quien II, 237% und andere Stellen mehr; imites la edad
luciente I Del sol, que por siglos dura, Lances I, 42 ^
•) Astrol 1, Ö74^
— 24 —
Überschwänglichkeit des Südländers sich in Übertreibungen ge-
fällt, die uns ruhigeren, kaltblütigeren Germanen gar oft ab-
geschmackt und unnatürlich erscheinen.
Als reiner Superlativbegriff wird sol eingeführt z. B. in
der Stelle AströL I, 679', wo eine Dame sich die Nach-
stellungen eines galan mit den Worten verbittet: Hier sollt
Ihr bleiben, und wenn die Sonne selbst sich unterstehen
würde, mir nachzugehen, so würde ich beim bloßen Gedanken
daran ihr Licht auslöschen, und nicht mehr würde sie es
wagen, mich ungestraft anzublicken. Aqui os habeis de quedar; /
Pues, ciiando el sol mismo fuera \ El que seguirme ifUentarOy /
Solo en pensarlo^ eclipsara / Su lux, y no se atreviera / Ä rniranne
si7i desden (Guanto mos un hambre . . .) ^)
Die Sonne ist das Bild der höchsten Reinheit^) und
Schönheit; doch im Vergleich zur strahlenden Schönheit der
Estrella ist selbst die Sonne nur ein Schatten und der Himmel
ein schwacher Abglanz^); der Glanz der schönen Zares be-
leidigt die Sonne ^), da Zares das Gefilde mit mehr Licht-
strahlen verschönt als Phoebus ^), und wie die Sonne in ihrer
einzigartigen Götterpracht die Morgenröte zum Wettstreit
herausfordert, so fordert Dofia Angela an Schönheit und
Glanz die Sonne zum Wettkampfe auf. •)
^) In der Ausg. v. 1636, 2. Teil, fol. 212 yerso, Spalte 2, lautet der
Text etwas anders:
De dqui no habeis de pasar^
Pues ctmtido el sol mismo fuera
El que mir arme intentara,
Sola mi vista eclipsara
Sil luz ....
Cf. Mägico I, V. 405ff.; Alcalde I, V. 546ff. = H. JII, 70'.
«) Cf. Ka zu S. 215.
^) EsoH rayos excelentes, / De quien el sol fue una sombra j Y el
cielo un amago breve, Vida 1, 10 »^ = II, 756 ff. ; La bellissima Clara J
Von cuya luz es la del sol avara^ Hombre I, 518'.
*) Luz que la del sol afrenta, Judas I, 313 ^
*) este campo hermosea / Com mas luz que la febea^ / JRues ä sus
plantas se ven j Los rayos del sol, Judas J, 323'*.
•) El solj deidad Singular,
Ä la aurora desafia,
Vos {seil Dona A.) al sol . . . Dama I, 182*.
— 25 —
Von schönen Damen lernt überhaupt die Sonne erst den
rechten Glanz und die rechte Schönheit kennen. So nennt
ein Liebhaber die Dame seiner Wahl „das schönste und
reinste Licht, von welchem die Sonne könnte leuchten
lernen" ^) ; ein anderer behauptet , seine Oeliebte sei edler
als die Sonne, da diese erst 'von ihr müsse leuchten lernen %
und ein dritter nennt seine Schöne eine „bessere Sonne, als
die, welche am blauen Himmelszelt mit topasgelben Strahlen
sich zu erheben, mit rubinroten sich niederzulegen pflegt" ^),
wie denn ein galan seine Dame fast stets sol nennt und ihr
deren Glanz, Reinheit und Schönheit beilegt.^)
So wird, um nur einige wenige Stellen anzuführen,
Lisarda, die ihr Antlitz verhüllt hat, eine verborgene Sonne
genannt, an deren Glanz die Blumen sich erfreuen und er-
laben*); weiter heißt es von ihr, sie sei ein zarter sanfter
Lufthauch, ein Himmel im kleinen, eine herrliche Blume,
eine feine Perle und eine leuchtende Sonne®); Argenis ist
eine Sonne, welche den Erdboden mit Fluten von Licht-
strahlen überschwemmen könnte ^ ; ein galan nennt seine Ge-
liebte „die leuchtende Sonne dieser Erde" ^) ; wenn die In*
fantin Florida im Hause des Grafen Salveric absteigt, wird
dieses zum „Lichtpalaste der Sonne" *) ; Jerusalem, die Re-
*) La luz mos hermosa y pura^ / De quien el sol la aprendidy Dama
I, 176»».
') mejor sol, pues el sol jLa luz de Lisarda aprende, Conquienllj 243^.
*) mejor sol, / Qtte el que en campo de zafir / Suele madrugar topa-
ciOf I Suele acosiarse ruhij Mej. estd I, 241 ^
*) Vgl. hierzu El mejor amigo el muerto, H IV, 479*: No hay
quien no diga d su dama / Sol, estrella, y ella sähe / Que es mentira;
pero es / Mentira de muy buen aire,
*) Vengais d dar alegria, / Sol disfrazado, ä estas flores . , ,
Peor estd J, 95^
•) C8 / Lisarda hella aura dibil, / ßreve esfera^ hermosa flor, \ Perla
fina y sol ardiente^ Peor estd I, 100''.
^ un sol que causar pudiera I Diluvios de luz dl »uelo^ Arginis
I, 463 ^
*) Quiero . . , j Ir donde Laura me espera, / Luciente sol desta esfera,
Oal fant I, 299*.
•) Aqui podrds descansar, / Yo quisiera que el akdzar / Fuera dd
sol, Amor I, 368V
— 26 —
sidenz der Maxiamne, ist „die erhabene Sphäre der schönsten
Sonne Judaeas" ^), und jeder Raum wird zum ffimmel, wo
Cloris strahlende Sonne sich blicken läßt. ^)
Kommt eine solche Dame daher, dann geht die Sonne
erst auf, denn die wirkliche Sonne ist nur ein schwacher Ab-
glanz von der strahlenden Schönheit dieser Dame ; auch heißt
es, der Tag breche zum zweiten Male an; geht die Dame
fort, so bedeutet das den Sonnenuntergang.
In diesem Sinne begrüßt Sigismund seine Base Estrella:
„Ihr erfreut selbst den leuchtendsten Himmelskörper durch
Euren Glanz; was laßt Ihr denn noch der Sonne zu tun
übrig, wenn Ihr Euch frühmorgens erhebt?
tarnatiecer / Podeia, y dar alegria
AI mos luciente faroL
iQu^ dejais que hacer al Sol,
Si 08 levmitais con el dia?^)*
Rugero, der in seinen Armen die aus dem Seesturme
gerettete Aurora daherträgt, behauptet, es beginne zum zweiten
Male zu tagen und die Silberflut des Meeres erlebe einen
zweiten Sonnenaufgang.^)
Oft werden solche Vergleiche auf die höchste Spitze ge-
trieben; so sieht ein galan einen blau angestrichenen Balkon
als den Himmel an, an welchem seine Dame glänzender als
die Sonne aufgeht*); ein anderer hält für seine Geliebte ein
Zimmer bereit, in welchem die eben aufgegangene Sonne
wieder untergehen könne •) ; ein dritter begrüßt seine dmna
mit den überschwänglichen Worten:
Wohl nicht umsonst
Weicht der Sonnengott zurücke.
^) la esfera sobej'ana I Del mejor sol de Judea, May. monstruo
I, 491»'.
■) cualquiera esfera es cielo / Donde tanto sol se ve, BandaU^ 156'.
«) Vida 1, 8^ = 11, 414ff., cf. 11, o88ff.
*) Si en los brazos se ofrece / Nuevo sol, de las ondas dividido, j
Hoy diri que amancce j Segunda veZj segundo Oriente ha sido I Ese
reino de plata, Lances I, 43^
*) Lances I, 40»', cf. Pasch 7, S. .%>.
*) Senoraj ya prevenido j . . . nn cuarto q\ied<i, / Que ser el ocaso
pueda I Dese sol reden nacido, Con quicn 11^ 247 ^
— 27 —
Wenn er seine Früh umkränzet
Sieht von Licht; er glaubt, er müsse
In der Zeit geirrt sich haben,
Da er aufgeht ohne Frühe. ^)
Auch den König, bzw. den Fürsten nennt Calderon bis-
weilen 8ol, ist doch hienieden auf Erden der König die Sonne
der Menschen^; so nennt der Marquis Esplnola den König
Philipp IV. von Spanien „den vierten Planeten des Tages-
lichtes*'^); so nennt der Dichter die Residenz Madrid:
esfera soberana,
Trono, dosel y cenit
De un sol espaüol, que viva
Eternos siglos feliz. *)
Astolfo und nachher Rosaura begrüßen Sigismund als
die Sonne Polens, die ihre Umgebung mit göttlichem Glänze
erleuchte. *)
Natürlich muß in solchen Fällen die Sonne erst vom
Könige oder Fürsten „leuchten lernen^, da ihn eine Sphäre
des Glanzes und Lichtes umgibt, gegen welche das Sonnen-
licht nur ein Schatten ist, und ferner müssen die dem Fürsten
an Rang zunächststehenden Personen mit dem Prädikate
aurora fürlieb nehmen.
So ist die Gemahlin des Königs Recisund de tanto sol
^) Die dama ist die Sonne, die am frühen Morgen, zur Zeit der
Aurora, die Erde mit ihrem Glänze errüllt; wenn nun die wirkliche
Sonne daherkommt und bereits dieses helle Licht vorfindet, so muß sie
glauben, sie sei heute zu spät dran. Banda II, 157'»; Schlegel I, S. 410.
No en rawo, al ver
Carmiada de reflejos
Sil aurora, el sol se retira,
Como quien dice : « Yo deho
De haber hoy errado el dia,
Fues sin aurora amanezco.»
Vgl. hierzu sois el dia / Que amanece sin el sol, Dama I, 181*".
^ enla esfera del mundo / El rey es sol de los homhres, iS a 6 er I, 20 ^
*) Filipo poderoso, / Cuarto planeta de la luz del dia, Sitiol, 110*.
*) Hombre I, Ö03-.
*) 08 mostrais / Sol de Polonia, y üenais / De resplandor y alegria /
Todos esos horizmites I Con tan divino arrebol, Vida I, 8' = il, 356 fiF.
Luciente sol de Polonia, ibd. I, 16« = III, 516.
— 28 -
divina aurora^); die Prinzessin Fenix wird bezeichnet als
aurora, hija del sol ^) oder als de aquel sol aurora *), und dem
König Minos und seinen beiden Töchtern schmeichelt Lidoro,
wenn er sagt, es sei eine Gnade, „eine Sonne mit zwei Morgen-
röten erblicken zu dürfen." *)
Den ausgiebigsten Gebrauch von dieser allegorischen
Verwendung von sol^ aurora und estrellas, bzw. Uiceros hat Calderon
wohl in dem Stücke La hart da y la flor gemacht, wo er
von dem Feste der Huldigung für den Kroninfanten Baltasar,
das im März 1632 mit großer Pracht in Madrid gefeiert
wurde, eine ebeoso farbenprächtige wie überschwängliche
Schilderung entwirft und in höchst origineller Weise den
König Philipp lY. mit der Sonne, die Königin mit der
Morgenröte und die beiden Brüder des Königs, Carlos und
Fernando, mit den Morgensternen vergleicht.
Schlegel I, 368 f.:
An diesem berühmten Tage,
Ging die Dämmerung im Nebel
Grauer Schatten, und Aurora
Auf, von Wolken dicht umgeben.
Sie tat nicht der Sonne Tor auf,
Das Geleit der Morgensterne
Gab kaum Spuren ihrer Schönheit.
Und ob andre Mal' des Wetters
Graue Einhüllung dem Zufall
Möchte zugeschrieben werden:
Nicht durch Zufall heut geschah es,
Nein, nach höheren Befehlen.
Laß hier eine Lücke leer
Für die Ursach ...**)
•) Virgen I, 330".
«) Princ. I, 216* = I, 144.
') Ibd. I, 2ö7» = irr, 128.
*} Es merctd ver un sol con dos auroras^ Tres m. prod. I,
••) Banda II, 158*:
Este pues dia felice,
De pardas sombras ctilnerta
FJ alba salio^ y la aurora
— 29 —
Also, es herrscht an diesem Tage schlechtes Wetter,
aber der Dichter weiß diesen Umstand vortrefflich auszu-
nutzen und, wie sich gleich zeigen wird, selbst hieraus eine
glänzende Huldigung für die spanische Köoigsfamilie abzu-
leiten.
um nun die Spannung des Hörers oder Lesers noch
besonders zu erhöhen, gibt der Dichter jetzt in über 100
Verszeilen eine genaue Schilderung des Festes und fährt
dann fort:
Schlegel I, 373 f.:
— es war kein Zufall
Dies Versäumen, nein, notwendig.
Denn in Carlos und Fernando
Prangten die zwei Morgensterne,
Sie der Sonne schöne Brüder,
Die in ihrem Strahl sich nähren.
Aus fuhr an Aurorens Stelle,
Sie an Schönheit übertreffend,
Isabeir in goldnem Wagen,
Ganz besät von Amoretten.
Und wenn es Aurorens Amt ist,
[374] Blumen geben, wenn ihr Lächeln
Blumen zeugt: der Lilie Frankreichs
Prachtgeleit sind Blumen eben.
Und wenn seine Sphär' erleuchten
Ziemt dem vierten der Planeten,
War Planet der vierte Philipp,
Über diesem Himmel schwebend.
Embozada en nubes densas.
No le dio ventana al sol,
Ni los luceroH apetuis,
Indicios de su hermosura;
Y aunque otras veces pudiera
Atribuirse d accidente
Del tiempo esta parda ausencla^
No fue accidente este dia,
Sino precisa obediencia.
Haz parentesis aqtd
La causa . . .
— 30 —
Kind Aurorens und der Sonne
Zog der heiterste der Sterne . . . *)
Wenn vor jenen, die der Sonne
Morgensterne selbst beschämen:
Wenn vor ihr, die mit Auroren
Blume gegen Blume wettet;
Wenn von ihm, der Strahl um Strahl
Weiß der Sonne Glanz zu schwächen.
Endlich, wenn vor solchem Stern,
Der zur Sonne sich verkläret: —
Die des Himmels schwache Schatten,
Stummer Pomp, erloschne Helle
Diesmal schienen, war's kein Zufall,
Der sie dem Vergleich entwendet,
Sondern Absicht, da aus Furcht sie
Oder aus Beschämuug fehlten.^)
Banda II, 153'>f.
— no fue acaso
El no salir, sino fiter za.
Parque en Carlos y en Fematido
Los dos luceros st osUnian^
Hermanos dd sol hermosoSf
Que ä sus rayos st alinientan.
Salio efi lugar dt la aurora^
Mtjor aurora eyi belleza^
Isabel en plaustro de oro,
Que mil CapidtÜos cercan.
Y si es de la aurora oficio
Dar florts, flores engendra
Su hermosura; flores son
Pompas de la lis francesa.
Y si del planeta cuarto
Es üuminar la esfera
[153*^] Qxie toca, el Cuarto Filipo
Fue destt citlo el planeta.
Hijo del sol y la aurora
Iba la tnas pura estrella*)
Luego si ä tales luceros,
Que d los del sol averguenzan,
♦) Der Infant ßaltasar, der bereite oben genannt wird: Hüo dd
alba y dd sol, II, 153 V
— 31 —
Der Mond.
Weit weniger häufig als die Sonne wird der Mond, der
mozarabische Planet'), personifiziert, wie überhaupt unser
Dichter die „Vizekönigin der Sonne" *) ziemlich selten er-
wähnt.
Der Mond birgt sein düsterblickendes Antlitz voll finsterer
Runzeln zwischen den Wolken^); zaghaft, mit zitternden
Strahlen, verbreitet er bei seinem Untergänge sein Licht ^),
das er von der Sonne erbettelt; je nachdem diese ihm
Licht gibt, macht sie ihn arm oder reich an Lichtstrahlen. ^)
Auch versorgt der Majoratsherr Sol, wie oben erwähnt, die
leuchtende Luna, seine jüngere Schwester, mit Sternennah-
rung. •)
Dafür zahlt der Mond zur Nachtzeit seine Schulden an
die Sonne zurück, indem er an ihrer Stelle der Erde Licht
8i aurora tal, que a la aurora
FlortB d flores apuesta;
Si d tal 8ol, que rayo d rayo
Los rayoB del sol desprecia^
Y 8% d tal estrtlla en fin,
Qtie ya jura del sol, eran
Las del cielo somhras breveSj
Mudas pompös, luces muertas,
No fui accidente del tiempOy
Rehtisar la competencia,
Sino estudiOj pnes faltaron
De temor « de verguenza.
*) Si ya no quiere hacerle tu porfia
On planeta mozdrabe dd dia^ Castigo III, 381^
*) vireitia del sol, Virgen I, 337^ Gal fant. I, 296«, 8. S. 16».
*) la luna / Saco entre nubes el ceüo / LUno de sombras y arrugas^
Feor estd I, 94».
*) ÄUu luces que en su muerte / Temerosamente pulsa / Ese trimulo
farol, Peor estd I, 94».
^) de la luna . . . / Los resplandores mendigos, / Fues una dddiva
9uya I Los hacepobres 6 ricoSj May, encanto I, 394*; — unfarold otro
forol I Mas 6 menos rayos fia, Mej. estd I, 242*. Zum geliehnen Lichte
des Mondes cf. Alcalde III, V. leOfif., Xr„ S. 245.
•) Castigo III, 383«, s. oben S. 16'.
— 32 —
spendet ^) ; wie die SoDoe am Tage, so kommt der Mond zur
Nachtzeit mit seinen Lichtstrahlen überall hin, so daß eine
Dame, die stets im Hause sich verborgen halten muß, klagt,
es komme unter Tags nicht die Sonne, und während der
Nacht niemals der Mond, der ihr unbeständiges Wesen nach-
ahmen könnte, zu ihr herein, um zu sehen, wie sie ihr Un-
glück beweine. ^)
Nicht immer ist die Sonne gewillt, dem Monde von
ihrem Licht abzutreten und dann kommt es zu schweren
Kämpfen zwischen den beiden Himmelskörpern. ')
Noch ist zu erwähnen , daß der Mond in seiner stets
wechselnden Gestalt den Wankelmut und die Unbeständigkeit
versinnbildlicht^), und daß unser Dichter das Himmels-
gewölbe bisweilen als den cöncavo alcdxar de la luna, den von
gewaltigen Säuleu oder Bergen gestützten Lichtpalast des
Mondes, bezeichnet. *)
Die Morgendämmerung und die Morgenröte.
Nächst der Sonne liefern die Morgendämmerung und die
Morgenröte unserem Dichter den meisten Stoff zu herrlichen
Bildern.
Calderon gebraucht die Ausdrücke alba und aurora meist
unterschiedslos, wie es gerade das Metrum oder Assonanz und
Keim erfordern ; in einigen Stellen, in welchen beide Begriffe
*) Sigue una noche importuna / Quedando d pagar la luna / Obli-
gaciones del «o?, Mej. estd I, 242.
*) Que yo / Entre dos paredes muera / Donde inconstante la
lunttj I Que aprende influjos de mi, / No puede decir : »Yavij Que lloraba
8u fortuna», Dama I, 169 ^
*) S. oben S. 11.
*) mi fortuna, / Mudable maa que la luna^ Princ. I, 251 • =
II, 168f. — Dama I, 169^ s. Anm. 2.
Sin temer mudanza alguna / De la iniagen de la luna, Sab er I,
21^. — La luna me dio inconstancia I En la condician, Purg, 1, 151 **,
u. a. m.
*) May. encanto I, 407*»: May, monstruo I, 495*; Ätezada
coluna I Del concavo edificio de la luna^ Mej. estd I, 234*. Cf. Val.
Schmidt, S. 426.
— 33 —
nebeneinander vorkommen, werden sie jedoch streng ge-
schieden.
Den Unterschied ^) zwischen den beiden erfahren wir aus
der SteUe Dama I, 181«:
Die Nacht flieht; es erscheint zunächst die Alba und
begrüßt uns mit fröhlichem Lächeln; sie macht hell; aber
vergoldet nicht. Auf sie folgt die Aurora, welche noch mit
Ldcht und Strahlen kargt; sie vergoldet, aber erwärmt nicht.
Hinter der Aurora kommt die Sonne, die allein erhellt, ver-
goldet und erwärmt. ')
Ein anderes Bild enthüllen uns folgende Stellen:
Beim muntern Ruf der Sonne erscheinen Alba und
Aurora mit holdem Gruß, die Alba, die vom Tage nichts
gutes hofft, unter hellen Tränen, die stets fröhliche Aurora
dagegen mit lachendem Q-esichte. ^)
An anderer Stelle heißt es, daß bei Tagesanbruch die
Aurora in den Armen der Alba liege und helle Perlentränen
weine. *)
Die letztgenannten Stellen enthalten ein von C. ungemein
*) Cf. K,, S. 227 f.
•) Huye la noche^ [senorajy
Y pasa d la dulce salva
La risa bella del alba*),
Que iluminaj mos no dora.
Despues del alba la aurora,
De rayoB y luz escasa
Dora, mos no abrasa. Pasa
La aurora, y tras su arrebol
Pasa el sol, y solo el sol
Dora, ilumina y abrasa.
*) Ä la voz presMrosa / Del sol, con dulce salva / Säle Uorando el
aU>a I Y riendo el aurora, / Q^e esperan en un dia / Efectos de tristeza y
alegria, Cenobia I, 197 c. — AI tiempo que ya la salva j Del sol estos
montes dora I Säle riendo la auroral Y scUe Uorando el alba, ArgSnis
I, 4400.
• *) llora I Blando alj6far la aurora / En los brazos del alba, Purg.
I, 162b.
♦) Diese Verszeile fehlt in der Ausg. von 1636.
Mflnohener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXII.
— 34 —
häufig gebrauchtes Bild: in sinniger Weise bezeichnet der
Dichter den Morgentau als „die Tränen der Morgenröte^ ^),
welche von der Sonne aufgetrocknet ^) und in Perlen ver-
wandelt werden. ^) Auch der rasche Atem der Aurora im
Morgentau erzeugt die Perlen, die „eisigen Eeuertränen^. ^)
Oft findet sich einer dieser Gedanken weiter ausgeführt,
zu farbenprächtigen Bildchen ausgemalt, so wenn es heißt,
die Sonne entfaltet goldene Tücher auf der Erde, um die
Perlenträuen der Aurora aufzutrocknen ^), wie denn auch C.
ungemein häufig auf das fröhliche Lachen der Alba und die
Tränen der Aurora anspielt.
So erwidert eine Dame auf die überschwänglichen Ge-
fühlsausbrüche ihres Galan : Ich bin nicht Alba, denn mir
fehlt bei aller Zufriedenheit das lächelnde Antlitz, und bin
auch nicht Aurora, da ich nicht durch Tränen meinen
Schmerz zu erkennen gebe. •) Eine andere sucht ihre traurige
Freundin mit den Worten zu trösten : Trockne deine Tränen,
denn Aurora wird böse werden, wenn du ihr so ihr Amt weg-
nimmst.'^) und ähnlich spricht Enrique zu Flora: Seid nicht
mehr traurig, wohl sahen wir die Morgenröte weinen, doch
nie die Sonne®), oder Don Carlos zu Dofta Violanta: Hört
auf zu weinen; versetzet nicht den Tag in Schrecken, denn
wenn die Alba nicht lächelt, ist es nicht gut, daß Aurora
Tränen vergieße. ®) Während aber die Tränen der Menschen
*) las Idyrinms que el alba j Llora cuando va d salir^ Mej. estd
I, 241b.
») El llanto (lel alba enjiiga ; El sol, Puen^c I, 212»
») Vgl. Kl, S. 193, zu Frinc. 1, 225ff., und K„ S. 228, zu Mag.
II, asiff.
*) las perlas / Que engaidra el veloz aliento / De la aurmn en su
rocio, I Layrimas de fuego y hielo^ Purg. I, 152 *>.
^) el Bol despliega / AI mundo cendales de ovo, / Qxie enjuguen llanto
de perlas. Cenöbia I, 199b; Princ. I, 246b == I, 225ff.
^) No 8oy alha^ pxies la risa / Me falta en contento tanto; / Ni
aurora. pues que mi llanto / De mi dolor no os avisay Dama I, 182».
'} esas lägrimas enjuga; j Que se correrd la aurora ! Si asi w* oficio
la hurtas, Peor estd I, 94b
®1 llorar el aurora I Ya lo vimos^ mos no el sol, Sitio I, 112 c.
^'j Suspended el llanto agora, / No deis sobresalto al dia; / Que wn
— 35 —
wirklicher Trauer entspriugen und Zeugen sind für seinen
Schmerz, weint Aurora nur geheuchelte Tränen. ^)
Auch andere Anspielungen auf die Tränen der Morgen-
röte finden sich : dem Galan Enrique, der- in die schöne Clori
verliebt, im Garten schmachtet, verdanken die Pflanzen mehr
Tränen als der Morgendämmerung mit ihren Seufzern ^) ; der
Riese Fierabras droht, der Aurora zum Trotze, die mit ihren
Tränen und Seufzern das Gras habe grün entstehen lassen,
wolle er, -daß vom Blute der gefallenen Krieger gefärbt, es
rot verderbe^), indes Poliarco berichtet, als er nach durch-
schwärmter Nacht sich beim ersten Morgengrauen von seiner
Geliebten habe trennen müssen, da habe in seinen Armen
eine Alba geweint, weil die andere zu lachen begann. *)
Wie bereits von KrenkeP) mit Recht hervorgehoben
worden ist, spottet der Dichter aber auch über die Bilder
von den Tränen der Morgenröte.
„Herr Ritter von der Morgenröte, was kann Euch dran-
liegen, wenn beim ersten Tagesgrauen ein paar Blumen die
Tränen der Aurora trinken? Was habt Ihr, wenn Ihr wißt,
daß sie Berge vergoldet und Perlentränen vergießt, welche
die Erde gern hat und welche nachher die Sonne auf-
trocknet?^* sagt eine spottsüchtige Dame einem für Dama
Aurora allzusehr schwärmenden Galan. •)
(/u€ el alba se ria, ■ No es bie^i que Ihre el aurora, Ast r 61. I, 583».
Diese 4 Verazeilen fehlen in der Ausg. v. 1636; Casiigo III, 3Ä)cf.
*) wo eSj setiOTj poaihle / Que [Flora] aqiiellas perUis fingiera; / Que
en desprecio del aurora / Fuera desaire que fueran / Para ser testigos
falsos, I Siendo finas^ tantas perlas^ Castigo III, 384 b.
•) Enrique fut viva estatua / De mis jardines^ tan rtt?a, / Que les
debieron las plantas i Mas Idgrinias ä sus ojos / Que d los suspiros del
alba, JBanda II, 161».
') d pesar del aurora^ / Que con lägrimas y soplos / Qui^o que na-
ciesen verdes (seil, los cespedes)^ Querre yo que mueran rojoSj Puente
I, 208»>.
*) alguna noche . . . / Llorö en mis brazos un alba, d. i. seine Ge-
liebte, / Porque otra empezo d reir, Argenis I, 454 *>.
*j K„ S. 193.
•) Don Quijote de la Aurora . . ., Banda II, 151° f., siehe bei
K„ S. 193.
3*
— 36 —
Ans anderen. Stellen können wir uns ein YollstäDdiges
Phantasiebild der Aurora (Alba) entwerfen.
In weiße Nebel gehüllt ^), schläft sie bald in einem rosen-
farbenen Bette ^), bald auf einem smaragdgrünen Lager mit
Bettpfosten aus Erystall, welches ihr vom Zephyr bereitet
wird ^ ; beim Erwachen mahnt sie die Sonne, es sei jetzt Zeit,
den Tag hereinzulassen ^) ; sie erhebt sich beim ersten Morgen-
grauen ^), schmückt ihre Purpurstirn mit Eosen und Nelken *)
und kämmt, von Blumen umgeben, ihre rötlich- goldenen Haar-
locken "^ ; dann kommt sie strahlengekrönt ^) hervor, von den
Vögeln begrüßt •), und sucht im buntgefärbten Walde ihren
Geliebten, einen Hirteu, auf. ^^)
Daher kann, wie die spottsüchtige Dame Nise^^) meint,
*) Enviielia en blanco arrebol, Peor estdJ^lOS^] Mej. e « ^ d 1, 237 o.
') Dtterme la blanca aurora I En lecho de rosicler^ Con quien
II, 238c.
•) el cifiro hace^ / Para que duerma la aurora / Lechos de esmeralda
en catres / De cristalj d.i. grüne Wiesen, vom Silberbach durchflössen,
Puente I, 214b/c.
*) la aurora fria / . . . Despierfa diciendo al sol / Qv^ es hora qu^
venga el dia, Peor estd 1, 103b; Mej. estd I, 237c, beide Male am Be-
ginn der dritten jomada. Zufall?
*) al albor pritnero^ Banda II, 152»
•) Apinas la rubia frente / Vträ el alba coronada / De ronaa y de
claveles, Peor estd I^ 101^.
') madruga / La aurora d peinar en flores / Las madejas de aro
rulnaSj Peor estd I, 93«.
•) Sak el alba coronada I De rayos, Cenobia I, 199 *>.
®) bien como al alba I Los pdjaros saludanj Tres m.prod. 1,275«.
'®) Madrugar entre las bellas
SelvaSj llefias de coloreSj
Cambiando tropas de flores
Por ejerdtos de esirellas^
No es desairej si tnire eüaSj
Busca SU amante pastor;
Y el madr^igar en rigor
Gala es rfe fi verdadera,
Pues que minos dama fuera
Si durmiera con amoi% Banda II, 152».
**) Siehe oben S. 35". Nise führt mit Don Enrique einen Disput,
in welchem sie die Vorzüge der Nacht rühmt, indes der galan warm
für dama Äwo7*a eintritt, Banda II, 151c/152».
— 37 —
Aurora keine feine Dame sein^ denn Frühaufstehen ist etwas
für gewöhnliche Leute ^)y indes Don Enrique der Morgenröte
eine glänzende Ehrenrettung zu teil werden läßt:
Kränkt Auroren nicht an Rechten,
Fräulein! ich muß sie yerfechten,
Weil ich hold den Damen bin,
Und wie sollte man entzieh'n
Huld'gung einer Schönen dürfen,
Von der alle Düfte schlürfen
Nelk', Orangen und Jasmin.
Göttlich Licht, nur ihr verliehen,
Schwebt dem Tag beherrschend vor,
Bringt den Auen muntern Flor,
SchafR; den Blumen frische Färbung,
Ist die Zeit der Liebeswerbung,
Weckt der Waldgefieder Chor.
Sagt, ist's recht, daß man verschmäht
Solche Gaben?«)
Nicht immer ist Aurora fröhlich und heiter gestimmt,
bisweilen, an unheilvollen Tagen, kommt sie schlaftrunken
*) Dama en fin que madrugüy / No debe de ser muy dama;
Se hizo para gente ruin I La fiesta del madrugar^ Banda II, 152 *.
«) Schlegel 1, S. 356f.; JSanda II, 151c.
No hagaiSy senoray
Ese deaprecio al aurora^
Que es dama, y soy muy cortes
Y no dejarS agraviar
Üna hermomra^ d quien deben
Todo cuanto aliento beben
El clavelf jazmin y azär.
Su luZj deidad siyigularf
Es breve imperio del dia
De los campos alegria,
Pulimetito de las flores,
Estacion de los amores,
De las aves armonia:
Ved si es justo que ofendais
Tal perf'eccion.
— 38 —
hervor, ganz ia Trauergewänder aus grauen und schwarzen
Wolken gehüllt, i)
Auch am Tage der Huldigung für den Kroninfanten
kam die Alba mit grauen Schatten bedeckt, und die Aurora
in dichte Wolken gehüllt, hervor, doch hatte dies, wie wir
oben gesehen haben, einen bestimmten Zweck. ^)
In den Armen der Dämmerung wird der Tag geboren ^) ;
in einigen Stellen ist sie die treue Dienerin der Sonne. *)
Aus einer anderen Stelle erfahren wir, daß auch die herrliche
Aurora mit prächtigen Rossen angefahren komme, zur Zeit
wenn die Dämmerung, in Schatten gehüllt, über die Wolken
dahinschreitet *) ; bisweilen auch steigt die Morgenröte, gleich
der Sonne, aus dem Meere auf. ®)
Nennt C. schöne Damen häufig sol, so nennt er sie gar
oft auch aurora , und hier können wir die nämlichen Über-
schwänglichkeiten beobachten. ')
So preist Floro die schöne Dejanira, die sein Vater-
land beglücke als aufsteigende Morgenröte®); Clori und
Nise sind sogar schöner noch als Morgendämmenmg und
Morgenröte *), wie auch der König von England die Schön-
heit der Estela von Salveric in den glühendsten Farben
schildert: Man könnte meinen, die Dämmerang, glanzumkleidet
und strahlengekrönt, komme nochmals auf das Feld und
trage in ihren weißen Händen den Tau gesammelt, den sie
als Tränen zu vergießen pflegt. ^^) Wenn man sie gesehen,
*) salio I La aurora meilio desjnerta / Toda veatida de luto ■ Con
nubes pardus y negras^ Purg. I, 157^.
^) Banda II, 153»; siehe S. 28 ff.
•) en brazos del alba nace el dia, Cenobia I, 188*».
*) siehe oben S. 13.
*) A^o tan hertnosos caballos / El aurora he^-mosa ostenia / Cuando
el alba dntea que el sol I Sombras visfe y nubeshuella^ Argenis I, 444».
•) He visto salir la aurora j Del mar, Vir gen 1, 332 b.
') Cf. oben S. 25 ff.
'') ifelice el dia, senoraj / En que mi patria os merece, / Por ama-
necida aurora^ Tres m. prod. I, 287^.
•) Mas luZy mejor aurora y mejor alba, Banda II, 155^.
*^) dijeras que el alba j Vestida de resplandores, / 0 de rayos coro-
nada / Otra vez al campo sale^ / Y que eyüre sus manos blancas / Trae
congelado el rocio / Que por l^igrimas derrama, Amor I, 368c.
— 39 —
daDn hat man die herrliche Alba, ja, die Sonne selbst ge-
sehen. ^)
Kann die Sonne erst Ton schönen Damen lernen, was
Glanz und Pracht ist, so verdankt auch die Dämmerung
schönen Damen erst ihre weiße Farbe ^) ; auch braucht die
helle Morgendämmerung nicht stolz sich zu rühmen, als ver-
danke ihr der Garten seinen Glanz, als habe sie der Rose
die purpurrote und dem Jasmin die weiße Farbe verliehen,
denn wenn die Prinzessin E6nix wie eine zweite Morgenröte
daherkommt, so erfiUlt diese durch ihre Schönheit das Gefilde
mit Pracht und Glanz.*)
Auch die holde Marlene kann großmütig der Dämmerung
ihr Licht, dem Tage seinen Glanz, den Blumen ihren Duft,
dem Gefilde seine herrlichen Farben, der Blumengöttin ihre
Farbenpracht und der Morgenröte ihre Perlen zurück er-
statten. *)
Gleich der Sonne findet Aurora am Abend in den
schneeigen Wogen des Meeres ihr Wellengrab; das ganze
Meer dünkt ihr klein für ihre gewaltige Fülle von Licht-
strahlen*); auch bezeichnet Aurora bisweilen die Abendröte,
die lieblich herschwebt, um mit ihren Händen die Blumen
aufzurichten, die während des Tages vom Fuße des Menschen
zertreten wurden. •)
*) al fin I Vi al alba hermosa, vi aX sol . . . j Si vi ä Estela, Ibd.
J, 374 a.
*) Flor hermosa, ä quien le debe I El alba el pWwcr candoVy üas-
tigo III, 379c.
•) No blasone el alba pura / Que le debe este jardin [ La lux nx
fragrancia hermosa, / Ni la pnrpura la rosa, / Ni la blancura ei jazmin,
Fr ine. I, 245 >» = I, 32 ff. — sale d este jardin / Fenix ä dar vanidad I
AI campo con su hermosura, I Segunda aurora del campo, Ibd. I, 245»
= I, 27ff.
*) Liberal resHtuya tu alegria / Su luz al alba, su esplendor al dia, /
Su fragancia ä las flores, / AI campo siis colores, / Sus maiices d Flora,
Sus perlas d la aurora, May. monstruo 1, 481 »>.
*) en lechos de nieve / Halla undosas sepulturas, / Juzgado pnra sus
rayo» I Todo el mar pequtna tumba, Peor estd I, 93«.
•) hasta que / El aurora de la tarde / Salga hermosa d florecer / Con
las manos, cuantas flores / Marchito profano el piS, Sab er I, 31c.
— 40 —
An einer Stelle ist auch alba offenbar für den Begriff
„Abeuddämmeruog^ gesetzt, wie aus dem Zusammenhange^)
hervorgeht und aus der Verwendung des Verbums bajar er-
hellt, {ya el alba I ... Baja), was C. sonst nur vom Einbrechen
der Nacht sagt^):
Die schöne Abenddämmerung steigt zwischen den Tulpen
und Lilien herab, von Hyazinthen bekrönt, um den Blumen
neues Leben zu spenden: ya el alba hermosa, I Entre axucenas
y lirios, / Baja d dar vida d las flores / Coronada de jacintos. *)
Auch das Wort crepusculo kann sowohl Morgen- als auch
Abenddämmerung bedeuten ; in ersterem Sinne finden wir das
Wort gebraucht in der Stelle Purg. I, 164"*), während es
in der zweiten Bedeutung in recht origineller Weise personi-
fizirt wird:
Ein Jäger erzählt dem unwissenden Bauern Tosco, im
Gebirge habe ihn die Dämmerung überfallen^), und der
Bauer, der das Wort zum ersten Male in seinem Leben hört,
meint, dies sei ein Verräter oder ein verzauberter Mensch
oder sonst ein furchtbares Ungetüm, und fragt den Jäger voll
Teilnahme, ob der Crespüculo ihm nichts Böses getan habe:
^Es traidor. j 0 es encantado ese fiombre ? j qY c&mo le cogiö ?
j Hay Uli! Y diga ^ gno le hixo mal ? •)
Der Jäger läßt den Bauern in seinem Irrtum; er redet
ihm vor, dieser Crespüsculo sei ein Menschenfresser, der einen
ganzen Menschen auf einmal verschlucke, und wenn er hungrig
sei, deren zwei, worauf Tosco vor diesem Ungetüm immer
größere Angst bekommt. '')
In einer der folgenden Szenen*) führt uns der Dichter
^) Amor I, 374^: Der König soll am Abend in den Garten kommen:
Baja esta tarde al jardin.
«) Vgl. S. 44 ^^ u. ".
») Amor 1, 377«.
^) Como d las auroras rnele / El crepdsculo dudarj / 8i atnanece 6
no amanece.
*) en el monte nhe cogiö / El crepiisculo del dia, Amor I, 370».
«) Ibd. J, 370».
') Un homhre se traga entero^ j Y 91 estd con hambrCy dos / Juntos. —
Tosco: Si H me agarra, muet'to so,
*) Amor, 1. Akt, 15. Szene = I, 371c und 372» Cf. Val. Schmidt,
— 41 —
in das Schloß Salveric, ins Zimmer der Estela, woselbst diese
das Kommen des in sie verliebten Königs, Tosco den Überfall
des menschenfressenden Gespenstes fürchtet. Hieraus entsteht
eine weitere Reihe komischer Mißverständnisse, und besonders
am Schlüsse, als der König an die Türe pocht und Tosco
öffnen soll, da kennt er sich vor Furcht gar nicht mehr aus :
tsi este es ladron^j Y me xampaj ^qu4 he de her? j Porque
hoy 80 Tosco j y mafiana / Bios sähe lo que sere, >
Tag und Naclit.
Ein Kapitel, das mit der Fers, der Sonne und der Morgen-
röte im engsten Zusammenhange steht, die Fers, von Tag
und Nacht, mag hier vorweggenommen werden, umsomehr,
als C. die beiden Begriffe weniger als Zeitabschnitte, denn
als Naturerscheinungen auffaßt, und außerdem dia und sol
bei ihm oft geradezu identisch sind.
Der Tag wird in den Armen der Morgendämmerung ge-
boren^); fern im Osten, in Indien, steht seine Wiege ^); sein
Vater ist Sol"), der leuchtende Flanet, der den Tag hinter
sich herzieht ^ und ihn lam Abend nach einem anderen Fole
entführt. *)
Gleich der Sonne umkleidet und schmückt der helle Tag
jeden Morgen die Gefilde mit neuem Licht ^); das fröhliche
Lachen der Alba und die Tränen der Aurora bringt er uns
jeden Morgen, um uns zu mahnen, daß er immer wieder neu
sich erhebt zwischen Lilien und Hyazinthen, zwischen Rosen
und Jasminen, und uns Freud und Leid bringen kann.*)
S. 248 f. Nach Schmidt (S. 252), gehört dieser „komische, monologartige
Dialog zwischen Tosco und Estela" zu den besten Szenen des Stückes.
*) en brazos dtl alba txace el dia, Cenobia I, 188 *>.
•) En las Indias del Oriente / Cuna donde nace el dia, Puente I,
213c j Cenobia I, 188 *>; cf. la India, que eligio . . . .para su cuna el sol,
Secr. agr. I, 595c.
») S. oben, S. 16 »«.
*) Gal. fant I, 302b; 5. oben S. \1\
*) Äntes gi*c el clnro dia / De nueva luz los campos / Lucido adorne
y vista, Judas I, 319».
•) Bisa y Idgrimas envia / El dia al amanecer, / Para darnos d en-
— 42 —
Gleich der Sonne findet der Tag als Gaatfreund des
Meergottes am Abend sein Grab in den kühlen Wogen ^),
und wenn ein Tag zu Ende ist, dann ruft er den folgenden
an seine Stelle. ®)
An das vielgebrauchte Bild vom Zahn der Zeit erinnert
uns der giftige Zahn der Tage, der mit langsam wirkender
Beharrlichkeit baufällige Gebäude benagt*); und eine treff-
liche Wiederbelebung der verblaßten Pers. „ Der Tag kommt"
finden wir in der Stelle May, encanto I, 399°, wo der Biese
Brutamonte zu Clarin sagt: 0 käme doch der Tag, an dem
ich dich auffressen dürfte, worauf Clarin erwidert: O käme
er doch nie, sondern ginge sich die Füße wund und bliebe
unterwegs: «i\'b HeguelNunca, sino deiq)€ado j En el camino se
quede, »
In der überschwänglichen Sprache der Liebenden muß
auch der Tag zu einer Schmeichelei herhalten; es begrüßt
nämlich Astolfo die schöne Estrella mit den Worten: Ihr
kommt daher wie Aurora, voller Fröhlichkeit und Pracht,
und verhöhnt so den Tag, den bereits die Nacht verdrängt.*)
Weit häufiger als der Tag wird die kalte Nacht, die
schöne Gegnerin des Tageslichtes *), personifiziert; häufig auch
finden wir die beiden Begriffe einander gegenüber gestellt.
tender / Que amanece cada dia / Entre lirios y azticenas, / Entre rosas y
jazmineSj I Fara dos contraHos finea I De contentos*) y de penas, Är-
gert is I, 440c.
M el dia / Ya en la tumba helada y fria^ / Huesjyed del undoso diosj
Hace noche, Medico I, 350* = I, 480ff.
*) Un dia llama d otro dia, Princ. I, 251c = II, 159.
') el edificio . . . mellado j Con j^rolijas porfias / Del venenoso diente
de los dias, Banda II, 159^.
*) D. h. Aurora erscheint nur am Morgen, Ihr aber, eine zweite
Aurora, kommt am Abend, wodurch der Tag gewissermaßen gefoppt
wird : sois, burlando el dia / Que ya la noche destierra^ / Aurora en el
aUgHu, Vi da I, 3« = I, 490 ff.
^) Emula hermosa de la luz del dia, Gal. fant. I, 295»; cf. en la
oposicion del dia I Es l<i noche ohscura y fria, Hombre I, 514 c.
*) Die Ausg. V. 1687 liest concetos statt contentos. — Zu dieser
Stelle siehe VaJ. Schmidt, S. 284.
— 43 —
Der Tag fürchtet die Nacht ^), da diese oft zum Mörder
des Tages wird^), oder wenigstens, in düstere Nebel gehüllt,
rasch heraufkommt und der Sonne befiehlt, mitsamt dem
Tage fortzugehen^); auch trägt der kalte Nebel der Nacht
den Sieg davon über die Gefilde des Tages. ^)
Eine ausfuhrliche Beschreibung der Nacht erhalten wir
aus der Stelle Mej, estd I, 234»: Die dunkle Nacht, die
Kaiserin der Träume, trägt auf ihrer schwarzen Stirn einen
Kranz Yon Cypressen und Bilsenkraut. Während des Tages
hält sie sich im finsteren Eeiche des Sonnenuntergangs auf,
gegen Abend erringt ihre Schar von Scbattengeistern den
Sieg über das schöne Heer des Tages. ^)
Ein weniger erfreuliches Bild finden wir in demselben
Stücke, Mej. estd I, 241»: Die Nacht ist ein feiges und furcht-
sames Ungetüm; leise schleicht sie durch den Garten über
Nelken und Levkojen hin; vor ihr wagen die Bäche nicht
zu murmeln und die Blumen nicht zu lachen; sie verhüllt
das krystallene Himmelsschild unter Nebeln und begräbt so
ganze Heere von Sternen unter saphirblauen Grabhügeln.®)
Die Nacht wird im Innern eines dunklen Gewölbes ge-
boren "') ; mit Vorliebe schlägt sie in dunklen Höhlen ihr un-
heimliches Quartier auf ^); furchtsam liegt sie im Labyrinth des
*) El dia teme la noche. Ce^iobia I, 199^.
*) hasta qu€ la noche fria / Sea homidda del dia, Mej. estd I, 227»
^) Casa I, 144*; s. oben, S. 17*.
*) ya se ha declarado / Triunfante la niehla fria / De las campanas
del dia, Gal fant J, 299«.
*) Si emperatriz del aueno, / De cipres coronada y de beleno / Tienes
la adusta frente / En el l6l>rego imperio de occidente, / Triunfe tu hueste
umbria / Del maa hermoso ejei'cito del dia.
*) E}ra la noche medrosa / Monstruo tan cobarde y vil, / Qiie pisando
blandamente / El clavel y el alheli, , Xo dejo d fuentes ni flores, / Ni mur-
murear ni reir. / Entre nieblas empanado / El cristalino viril, ! Sepulfo
abistnos de estrelUut I En tiimulos de zafir. Mej. estd I, 241».
') La noche sin duda nace j De la boca desta gruta, Puente I,
211b; Vida I. Ib = 1, 69/72.
•) PoloDJa hesrhreibt uns eine Höhle als: U» espacio, un vacio,
harror del dia, i Funesto albergue de la noche fria, Furg. 1, 159^.
— u —
Minotaurus ausgestreckt^) oder schläft träge in ihrem Bett,
ohne daß irgend ein Gedanke sie aufregen könnte.^)
Ist das ferne Indien die Wiege des jungen Tages und
der Sonne, so ist dieses Land auch zugleich das Grab der
Nacht. 8)
Das Einbrechen der Nacht wird uds in der mannigfachsten
Weise geschildert. In Schatten gehüllt , birgt sie den
leuchtenden Sonnenwagen in den kühlen Wogen ^); sie rüstet
der Sonne die Leichenfeier*), oder erhält vom goldeuen
Phoebus die Erlaubnis, daß sie sich unter dunklen Schleiern
auf die Erde herabsenke, um den Sterblichen Furcht, Schrecken,
Schauder und süßen Schlaf einzuflößen.^)
Die dunkle Nacht kommt im Westen herauf) und
spannt ihren schwarzen Mantel aus 8) oder ihren schwarzen
Schleier •); auch steigt sie vom Himmel- hernieder^®), mit
grauen Schatten bedeckt ^^) oder in ein schwarzes Leichentuch
*) La lobrega noche aqui j Pavorosamente yace, Tres m. prod.
I, 278c.
*) i Como tüy NochCj en tu lecho, / Perezosmnente duermes, / Sin ^ue
de aqueste cuidado I El empeno te despierte? Tres w. prod. I, 263c.
') La India qtie eligio / Para su tumba la noche / Y para 8u cuna
el 8ol Secr. agr. I, 595c.
*) Princ. I, 260b = III, 685 ff., s. oben S. 12».
ft) S. oben S. 15.
«) S. obeu S. 12»:
el dorado Febo ....
Dando licencia d la noche
Que baje entre oscuros velos^
Infundiendo d los mortales,
MiedOj espantOy horror y sueno,
Argenis I, 437c/438*
') Cuando la nochcj escasa I De luz^ salga de occidente^ Lances
I, 51».
**) Extiende 8u manto negro, Gal, fant. I, 294»; Casa I, 137».
^) Tendiendo «< n^gro velo, Dev. 1, 60c ; Aströl. I, 585^.
^^) la noche fria I Baja, Puente I, 216».
**) la noche funesta / Ya de somh-a cubierta f Baja^ Secr. agr. I,
603 » ; Luego q^ie baje la noche / De pardas sombras cubiertay M.monstruo
I, 499 *>. In der Ausg. v. 1637 findet sich für das letztere die folgende
Stelle : Y pues ya el ave notuma / estiende las alas negras^ / ha^.endo
— 46 —
gehüllt ^) ; sie entfaltet ihren schwarzen Schatten *), droht mit
schwarzen Schatten *), oder breitet, von Trauer und Schrecken
umkleidet *), ihre schwarzen Flügel aus und beschattet den Tag.^)
Am Morgen zieht die kalte Nacht den Mantel, den sie
über „des bunten Tages reizende Gestalten^^ gedeckt, wieder
Ton der Erde weg*) und flieht feige vor dem hellen Licht
des Tages.')
Bisweilen hat sie es damit recht eilig ; dann faltet sie den
Mantel ihres schwarzen Dunkels rasch und ohne Ordnung,
so daß er allenthalben Falten bekommt und tüchtig zer-
knittert wird.®)
8ombra»y y el aol / Fenix renace de estrellaSj / en hogueras de zafir
fol 161 verso, 2. Spalte.
*) Envuelta en esa löbrega mortaja^ Dev. I, 68% Vir gen I, 337«.
*) apmas koy la noche / Desplegado habrd la negra / Sombra^ Mej.
estd I, 232».
*) con aombras I Negriis la noche amenaza^ Amor I, 368».
*) De luto y Horror vestida^ Puente I, 215c.
^) la noche / Sus alas noctumas Hende / Haciendo sombra d los diaSj
Pfor estd 1, 101»; Puente I, 216«.
•) Apenas desdoblar verdSj senora^
La falda que arrugo la noche fria,
Sobre la hermosa variedad del dia^
May. monstruo I, 492».
') Su manto va recogiendo / Y cobardemente huyendo I De la her-
mosa luz del dia, Midico I, 356» = II, 344 ft".; huye esta beldad de
f ni I Conto de la noche el velo I De la hermom luz dtl dia, Du ende
I, 176b.
*) doblando el manto / De las tinieblas oscuras / La noche^ como le
dobla I Sin drden, y con arrugas, / Mas que doblarle, parece / 0 que le aja
6 le arrebuja, Puente 1, 212».
Zu den der Nacht beigelegten Attributen:
manto: Midico J, 353b = n, v. 5.
Gal fant I, 294».
Casa I, 137».
Secr, agr. l, 596»».
Magic 0 I, V. 887 f.
velo: Devocion I, 60c.
Aströl, I, 585b
mortaja: Devocion I, 68».
Virgen I, a37c,
fliehe K„ S. 184, zu Mdgico I, 887 f.
— 46 —
Obwohl die kalte Nacht mit einem einzigen Morgenstern
heller lenchtet als der Tag mit der Sonne ^), so wird sie
dennoch von der Sonne verabscheut, da sie ihr Licht austilgt *) ;
die Liebespaare jedoch verehren und schätzen die Nacht;
bedeckt sie doch gar manches heimliche Liebesabenteuer unter
ihrer schwarzen Kapuze^); gelangt doch der gähn meist
„durch der Nacht hilfreichen Beistand" in das Gemach oder
in den Garten seiner duTua. *)
Deshalb wünschen die Liebenden stets die Nacht herbei,
die mit ihrem Schleier die Menschen auf kurze Zeit in Schlaf
versenkt^), und versprechen ihr für ihren Schutz alle mög-
lichen Opfer, so Arnaldo, der, wenn es ihm vergönnt ist, seine
teure Laura zu sehen, der bleichen Gottheit der Nacht aus
Ebenholz, Erz und Jaspis einen Tempel verheißt ^) , und ebenso
verspricht Jonatas, der Nacht zum ewigen Gedenken Statuen
unvergänglichen Marmors zu errichten, wenn die schöne Zares
nächtlicherweile in seinen Armen liegt. ')
Für die Liebenden beginnt das Leben erst in der Nacht,
wenn die Sonne tot ist. ^Muera el sol y viva yo,> sagt der
Zur Erklärung von cUas nocturnas cf. el ave de la 7wche / Sits
alas noctiirnds tiende / Haciendo sombra ä loa dias / En los campos de
occidente^ Mej. estd I, 229", sowie S. 44**.
*) Noche hermosa, que con solo / ün lucero resplundeces ; Mas que
el dut con el sol, Tres m. prod. I, 263».
') la noche aborredda / Del sol, que su luz ofende, Puentel, 215 c.
') ^No fue la noche i De amantes delitos vuestros j Capa oscura?
fragt Lisidu mit Recht den Don Enrique, Banda II, 157 c; tiene som-
bras la noche, j Rejas mi casa, yo coche, Hombre I, 505 c; Siendo ter-
cera fiel , La noche dqu^ no consiguen / üna reja y unpapel?)^ Äsecr.
agr. I, 602 c.
*) de la noche ayudado, Amor 1, 382»; testigos i Fulron de ven-
tnras tales j La noche y jardin, Casa I, 131 b.
**) Ven, noche fria, j Extiende el velo que diö / En triste funesto
empetio I Breves sepulcros al sueno, Astral. I, 585^.
^) si . . . La [luz] de Laura merezco j Veras que d tu deidad pdlida
ofrezco / Por victorioso ejemplo / De ebano, bronce y jaspe negro templo . .
Mej. estd I, 234».
') EstatnOrS de eterno marmol / Pietiso d tu memoria hacer, / Ypor
sacrificio tuyo / Efi tus altares pondre / Estatuas, mdrmol, luz y rosicler^ /
Si gozo la hermosura de Zares, Judas I, 322».
— 47 —
galan ^) ; woza braucht er auch die Sonne , geht ihm doch
Dächtlicherweile am Gartenzaun in seiner Geliebten eine
schönere Sonne auf. ®)
Nur ist den Liebespaaren die Nacht stets zu kurz für
ihre heimlichen Zusammenkünfte ; so fleht Jonatas die Nacht
an, sie möge mit seiner Liebesqual ein Einsehen haben, in
ihrem raschen Laufe innehalten, und nicht dem hellen Tag
und dem Sonnenlichte nachgeben, sondern, seiner Liebschaft
eingedenk, den goldenen Glanz der Sonne mit Schatten zu-
decken :
Noclie, si de mis susjnros / Estds ohligada, ten / Tu ciirso,
quitale al dia j De su beldad el poder \ I Xo obedexcas d la luz j Del
8olj y d nii amor fiel, j Sepulta en oscuridadjSu dora/lo rosicler.^)
Ebenso möchte Don Juan beim ersten Tagesgrauen mit
Mohn und Bilsenkraut dem Erdkreis Ruhe und Schlaf ein-
flößen, um noch ein Weilchen länger mit seiner Geliebten
beisammen sein zu können. *)
Nach der Meinung der Nise ist nicht die Morgenröte,
sondern die Nacht die Königin des Feldes ^), und wenn schöne
Damen so warm für die dunkle Nacht eintreten, so braucht
diese nicht mehr die herrliche Morgendämmerung um ihren
Glanz und Schmuck zu beneiden. ^)
Zum Schlüsse ist zu erwähnen, daß im Vorspiele zu der
comedm *Los tres mnyores prodigios* neben den Nymphen
Pales und Flora, neben Jason, Theseus und Herkules auch
die Nacht in allegorischer Pers. auftritt. ')
») Astr6l. J, Ö85b; cf. Alcalde II, V. 526f., K„ S. 226.
*) No te olvideSj Laura bella^ / De que en la reja tu sol I Eata noche
me amanezcüj Gal. fant. 1, 297c.
*) Judas I, 322ft
*) / Oh Leonor ! quisiera ser / Del toda esa esfera duenOj / 0 con el
opio y beleno / . . . Infundir en la fortuna / Del orbe silencio y »ueno,
Con quien II, 238«.
*) La reina del campo es I La noche^ Banda II, 161«; cf. oben
S. 36".
•) No ya la yioche oscura / Del alba envidie pompa y hermosura^ /
Si hace d la noche salva j Mas luz, mejor aurora y mejor alba, Banda
II, lö5b.
0 Tres m. prod. I, 263*ff.
— 48
Die Sterne.
Eine Reihe von Stellen, in welchen eine Pers. der
Sterne vorliegt, gründen sich auf die noch im 17. Jahrhundert
herrschende astrologische Anschauung, daß die Sterne mit dem
Geschicke der Menschen innig verknüpft seien. Nach damals
noch weit verbreiteter Auffassung, die auch C. vollkommen
teilt, besaß jeder Mensch seinen glückbringenden oder un-
heilvollen Stern.*) So fragt Dejanira, welcher von den vielen
Sternen, die das blaue Himmelsgewölbe umsäumen, der ihrige
sei ^, Eusebio spricht von seinem Stern , der ihn bald feind-
selig bedrohe, bald mitleidsvoll beschütze^), und der König
Basilius beklagt den unheilvollen Einfluß, der seinem Sohne
Sigismund von dessen Stern drohe.*)
Die Sterne sind dem Menschen meist feindselig gesinnt
und verfolgen ihn unablässig. So haben Rugero ^) und Dona
Maria ^) viel unter der G-rausamkeit ihres schlimmen Sternes
zu leiden; Dofia Beatriz und Dona Clara haben unter dem-
selben Unglückssterne viel zu leiden '') ; Lisarda jammert,
daß ihr ünglücksstem ihr mehr Übel bereite als man ahnen
könne ^), und der treue Diener Coquin beklagt seine Herrin
*) Selbst das Tier hat seinen schlimmen oder gütigen Stern : Tarn-
bien un bruto nace j Con mala 6 con buena estrelUif Medico I, 349« =
I, 434 f.
*) ique estrella de cuantas / AqiAcse azul manto bat'dafi , , , , Es la
mia? Tres m. prod. I, 286 »>.
*) la estreüa, / Que enemiga me amenaza, / Y piadosa me reserva,
Devocion I, 65^.
*) Ä Segiffmundo mi hijo / El influjo de 8u eatrella / (Bien lo aabes)
amenaza j Mil desdichas y tragedias. Vi da 1, 6c = II, 113 f.
') ,'Oh pasion dura y cruel / De la estreÜa en que nad! Lances
I, 42*
•) i Ay^ crueldad I De estrella siempre enemiga! Aströl. 1, 087*».
') / Que parecidas que son
Nuestras penas^ Clara beüa!
Un mismo amor, una estrella
Rige nuestra inclinadon^ Hombre J, 509 *>.
*) es tal j La desdicha de mi estreUaj j Que me previene mos tnal !
Del que presnmis^ Peor estd I, 102b.
— 49 —
Dofia Mencia als eine unglückliche Frau, die von ihrem Sterne
▼erfolgt werde J) Doch bereiten die Sterne bisweilen auch
Gutes ; so preist Enrico seinen G-lücksstem, der ihm die hohe
Gunst der Infantin Florida beschert habe. ^)
Nicht nur einzelne Sterne, die Planeten überhaupt be-
einflussen den Menschen ; es erzählt Ludovico, daß bei seiner
Geburt alle sieben Planeten, Sonne, Mond, Merkur, Venus,
Mars, Jupiter und Saturn, mißmutig und feindselig gesinnt,
zugegen gewesen seien und jeder ihm eine andere schlechte
Eigenschaft verliehen habe*), während wir von Cenobia er-
fahren, daß die Gestirne sich bemüht hätten, sie mit aller
Schönheit und Kraft auszustatten. ^)
Jedoch selbst der feindseligste Planet vermag den Menschen
in seinem Tun nur bis zu einem gewissen Grade zu beeinflussen ;
bei allen feindlichen Einflüssen schlimmer Gestirne behält nach
der Ansicht unseres Dichters der Mensch trotzdem seinen
freien Willen und kann die Sterne bezwingen:
„Da die sprödesten Geschicke,
Das unbändigste Gelüste,
Die feindseligsten Gestirne
Immer nur den Willen lenken.
Aber zwingen nicht den Willen.'^)
') üna infelice mujer J Peraeguida de 8u esirellaj Midico I, 364 o
= m, 716 f.
•) mi felice estreUa [ Me ofrece gloria tan bella^ Amor I, 371» f.
') Todos iiete planetaSf / Turbados y descompuestos^ / Amtieron de»-
igudUs I Ä mi infeliz nacimientOj Purg. I, 151*.
*) Cenobia . . ., aquella j Deidad en quien los astros 8e miraron /
Para haeerla tan fuerte como bella ... Ccn. I, 188«.
') el hado mos esquivo^ / La inclinacion mos violenta, / El planeta
mas ttttpio, / Solo el albedrio inclinan^ / No fuerzan el alhedriOf Vi da I,
6» = I, 788 flf. Weiter finden wir in der Vida: el hombre j Predomina
en la» estreüa», IJ, 125 f.; vencerds loa estrellas, / Porque es posible ven-
Cellos I Äun magnänimo varon, II, 388ff. ; De hados y estrellas triunfando^
II, 466, n. a. m.; hierzu:
Los afectos humanos .../... viven atentos d una estreüa / Que su-
perior ilustra y predomina :
Y aunque es verdad que no se vencen della^
Con tal podevj ya que no fuerza^ inclina^
Mttncbener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXII. ^
— 60 —
Freilich ist C. in dieser Anschauung nicht immer kon-
sequent; es heißt in anderen Stellen, daß ein Unglücklicher
vergebens gegen seinen Stern kämpfe.^) Die Sterne können
schalten und walten , wie sie wollen ^), niemand kann sie ssur
Rechenschaft ziehen'), und was sie verweigern, kann selbst
durch List nicht erlangt werden.^)
Natürlich finden wir bei unserem Dichter auch zahlreiche
Anspielungen auf die damals noch weit verbreitete Astrologie,
die dudosa detwia de tin astro,^)
Der Himmel schreibt die Geschicke eines jeden Menschen
mit goldenen Buchstaben auf krystallene Tafeln •) ; der Astro-
log, der diese Sternenzeichen auf den demantnen Tafeln
zu deuten versteht, wird zum lebendigen Orakel dieser flüch-
tigen Schrift'), wie denn der gestirnte Himmel für jeden
Que piei'den lihertad^ discurso y hrio
El alma, la razon y el albedrio. Homhre I, 509».
Scherzhaft heißt es von einer schönen Dame, in die ein galan ver-
liebt ist: Bien merece ser estrella^ / Si 8u hernwsura y 8U brio I In-
clina vuestra albedrio. Banda II, 156».
*) es en vano / Que un desdichado porfie / Contra su estrelkif Aairöl.
I, 574^. iHdbrd algun homhre en d mundo j Que desenganado quiera, I
0 que quiera ahorrecido I Porfiar contra su estrella? Sab er I, 36».
') Der Mensch kann nicht ändern, was die Sterne einmal bestimmt
haben :
— quien tan bien conocio
La fuerza de las estrellaSy
Bien verd en sus luces bellas
Que no pude torctr yo
Lo que dispusi^ron eÜas^ Aströl. I, ö80c,
. *) No hay de lo que no hacenj Quien las totne residencia, Dama
I, 169»
*) Lo que niegan estrellas, / Industria no lo concede, Judas I, 317».
*) May. monstruo I, 485 ^j in der Ausg. v. 1637 statt dudoea
= Dtiquesa, fol. 147 A. 2. Spalte.
*) todo el cielo escribe / Mi desdicha, que en el grabada vive / En
papel de cristal con letras de oro^ May. monstruo I, 481 *».
') En Idminas leyendo de diamante / Caracteres rfc estreüas . . . Tanta
es la fuerza de su estudiOy tanta^ / Que es ordculo vivo / De todo ede
cuademo fugitivo . . . May. monstruo I, 481*.
— 51 —
Astrologen ein schöngebundenes Buch ist, in welchem er unsere
Schicksale wie in einem Register eingetragen findet.^)
Wie wird sich aber ein „Mann von tüchtiger Art" der
Astrologie gegenüber verhalten?
Er wird den vorausgesehenen Ereignissen teils Glauben
schenken^ teils sie zu vergessen trachten, und entweder ihnen
vorbeugen, oder nicht weiter auf sie achten,
Denn er kann als Herr der Sterne,
Durch die Tatkraft seines Willens
Auf Gefahr sich vorbereitend,
Böses selbst zum Guten wenden. ^)
Er wird weiter nicht blindlings seinem Sterne sich an-
vertrauen , sondern auf seine eigene Kraft und eigene Macht
sich verlassen; diese, nicht die Sterne sind die Pole seines
Willens ^), wenn auch das Volk allgemein in dem Irrtume be-
fangen ist, die Sterne übten den hauptsächlichsten Einfluß
auf den menschlichen Willen aus. *)
Abgesehen von den soeben besprochenen Fällen, die für
die Pers. immer wieder die nämlichen Belege liefern, aber
für die Beurteilung der poetischen Sprache nicht ins Gewicht
') eee estreÜado zafiro , . . Ä quien le mbe ker / Es encuademado
lihrOf I Donde estdn nuestros alientos / Aaentados por regiatro^ May. mon-
struo I, 485c.
■) debe el mron perfecto / Ä loa aucesos previstoa / Darios dl cridito
en una / PartCj y en otra al olvido: / Aquipara no eaperarloa / Yallipara
vrevenirloa;
Puta aenor de loa eaträlaa^
Por leyea de au alhedriOj
Previniindoae d loa rieagoa
Puede hacer virtud del vicio^
May. monatruo I, 4850.
■) No fiar de mi eatrella mi cuidadOj
Sino de mi poder y el valer into,
Qtie elloa loa poloa aon de mi albedrio.
Qal. fant I, 295»
*) iO^ error tan recibido
De la opinion comun . . .ha aido
Decir que laa eatrellaa
De amor terceraa aon, y que eatd en eüaa . . .
La primera eleccion del albedrio! Gal fant. I, 295».
4*
fallen, werden die Sterne selten personifiziert, wenn sie auch
sonst häufig zu Bildern und Vergleichen herhalten müssen
und namentlich in der schwülstigen Sprache der Liehenden
eine bedeutende Rolle spielen.
Die Sterne und die Blumen, die in liebevollem Frieden
miteinander leben , sind oft die Vertrauten der Liebespaare ^) ;
so befragt eine Dame, die ihren Galan erwartet, die Blumen
und die Sterne, ob er wohl kommen wird:
Blumen und Sterne, die ihr in schönem Wettstreit mit-
einander ringt, in der Nacht, um Lichtzu spenden, am Tage,
um zu leuchten, sagt mir, da ihr stumme Zeugen der selt-
samsten Liebe seid, ob jener glückliche Liebhaber mich er-
wartet —
Flores y estreücts que heimosas
Bayo ä rayo ccytnpetis,
De noche para alumbrm-f
De diu para hmr ;
Pu€8 sois del amor mos raro
Mudos testigos, dedd
*) estrdlas y flores / Siempre en amorosas paces^ / Enlazadas unas
de otras / Eran terceras de amantes, Ca»a I, 131 ^ ; die Ausgabe von
1636 (fol. 30 recto, 2. Spalte oben) liest terceras ö amantes, eine Lesart,
welche natürlich keinen Sinn gibt.
Die Sterne werden auch sonst oft zu den Blumen in Beziehung
gebracht. „Bald nennt Calderon die Sterne die Blumen der Nacht,
bald die Blumen die Sterne des Tages; bald ist der Himmel ein Feld
von Sternen, bald das Feld ein Himmel von Blumen,** so könnte man
die bekannten Worte Scback's („bald ist der Garten ein Meer von Blüten,
bald das Meer ein Garten von Schäumen**, III, 84) passend variieren.
Als Beispiele seien angeführt das Sonett der Prinzessin Feniz,
Princ. I, 256» = II, 716flF.; femer Banda II, 166c:
iQui trofeoa son mayorea?
i Un campOj cielo de flores,
0 un cielo, campo de estreUas,
sowie :
8% estrellas del dia son las flores,
Flores son de la noche las estrellas,
Mej, estä L, 234» und:
las rosas ....
Estrellas son de otra esfera, Con quien II, 244».
— 53 —
Si aqtiel veniuroso a^natiie ....
Me estä esperando . . . . ^)
Wenn am Abend der edle Glanz der Sonne erlischt,
dann bleiben die Steme, ^die hellen Schatten der Sonne " %
als Yizeköniginnen zurück^); sie werden gleich dem Monde
von der Sonne mit Licht gespeist^), doch leben sie nur kurze
Zeit: eine Nacht ist das Lebensalter der Sterne.^)
Am Morgen muß der schöne Haufen der Gestirne und
Himmelszeichen ^) vor dem Glänze der Sonne zurückweichen ;
verschwindet doch das winzige Licht eines Sternes vor dem
Strahlenmeere des gewaltigsten aller Planeten. ^
Bisweilen, an unheilvollen Tagen, entfernen sich die Sterne
voll Mißmut und halten es für besser, wenn sie nicht da sind ^ ;
nur der Morgenstern, der infolge seines schönen Glanzes
Herrscher im unruhigen Staate der Sterne ist*), verkündet
den nahenden Tag. ^^)
Der Himmel.
Calderon gebraucht cielo {cielos) ungemein häufig metony-
misch für Gott, Vorsehung, Geschick — , ein Gebrauch, der
') Qal. Fant I, 306«.
•) ciaras sombras del sol, Hombre I, 505*.
*) Foco hä que 86 escanden / Del 8ol las luces heUaSj / Dejando por
vireinas las estrdlaSj Con quien 11, 242b; Sustituyendo su ausencia
(seil, ausencia dd sol) / Loa estreüas y la luna / Forqiie ahrasadas vireinas /
De la majestad dd sol j Son la luna y Jas estreUas, Gal fant 1, 296 o;
ähnlich Mdgico 1, Y. 655fr.
*) cobran . . . / Alitnentos dd sol en resplandores, Princ. I, 255 »
= U, 717 ff.
*) üna noche es la edad de las estrellas, Princ, I, 255» = 11, 723.
*) Toda la caterva hermosa / De los astros y los signos, May. en-
canto 1, 394^
^ suda ufia estreUa / Deshacerse al resplandor / Del sol^ planeta
mayor, Argenis I, 448 c; Estando d sol ddantej iQue estrella no ca-
duea?, Sab er I, 26».
") con mal contenta luz / Se amentaron las estreüas, / Que solo esta
vez tuvieron I Por venturosa la ausencia^ Purg. I, 157*.
•) Yo en esas cortes bellas / De la inquieta repüblica de estrellas, /
Vi en d lugar primero / Por rey de las estrdlas al hicerOf Vi da I; 9o
= n, 619 ff.
*•) no di6 nuevas I Del dia ningun lucer o, Banda U, 153*.
— 64 —
auch in der Umgangssprache eingebürgert ist; man denke nur
an die Ausdrücke: Valgavie el ckJo! Hago testigo el eklo, /Sea
el cielo Ustigo! Hago al cielo ßiex, u. a. m.
Mit diesem metonymischen Gebrauch haben wir es in
unserer Arbeit nicht zu tun ; wir betrachten lediglich diejenigen
poetischen Bilder, in welchen cielo {cidos) in der Bedeutung
„das Himmelsgewölbe" personifiziert wird.
Da treffen wir zunächst auf die ungemein anschauliche
Schilderung eines Gewittersturmes : Der Himmel, mit schwar-
zen Wolken überzogen, verkündet unter Donnern der Erde
fürchterlichen Krieg und schleudert des Wassers Speere und
und steinerne Kugeln auf sie herab :
se cubnö / El cielo de nubes nep'as, j Y piihlicando con true-
710S l AI mundo espantosa guen-a, / Lamas arrojaba en agua, / Balas
disparaha en piedras,^)
Aholich beschreibt der Dichter einen heftigen Schneesturm:
Der Himmel, hinter dichten Wolken verhüllt, bekriegte die
Erde mit Strahlen aus Schnee: los cielos j Rehoxadoa entre densasj
Nubes, con rayos de nieve j Hicieron al mundo guerra, ^)
Weiter erfahren wir, daß der Himmel am Tage ein blaues
Gewand, einen herrlichen blauen Schleier trägt, der dem bunten
Frühling gleicht, *) wie ihn denn der Dichter an einer anderen
Stelle einen „blauen Narzissus" nennt, der in den ruhigen
Meereswogen seine Schönheit betrachtet.*)
Es ist zwar in Wirklichkeit mit diesem blauen Schleier
nicht weit her, denn der Dichter sagt an der nämlichen Stelle
von dem Blau des Himmels:
Diese Farbe schwebt im Scheine
Nur dem Auge vor; in Wahrheit
Ist der Himmel nichts als Klarheit,
Und er trägt der Farben keine.
*) Devoc. I, ööo.
») Purg. I, löOb.
') Se viste de azul el cielo. j Prhnavera es su azul vfZo, / Donde son
las flores beUas / Vivas luces^ Banda II, 156 c.
*) Im agnas / Tan dulces y lisonjeras, IQue el cielo j Narciso azulj
Se m6 conteniplando en ellaSf Ä secr. agr, 1, 609«,
— 55 —
Drum ist seiner Sphären Reine
Mit erlognem Blau umfangen. . . ., ^)
wie denn Calderon an mehreren Stellen ausspricht, daß
der blaue Himmel, den wir schauen, weder Himmel sei noch
blau. 2)
Nicht immer trägt der Himmel einen blauen Schleier;
wena er Schmerz empfindet, legt er einen grauen Schleier^)
oder ein schwarzes Trauergewand um *), und „wenn er auch
am Ende nicht empfindet, so scheint es doch wenigstens so". ^)
Zur Nachtzeit legt der Himmel ebenfalls einen schwarzen
Schleier an, um den Tod der Sonne zu betrauern®), oder es
dient der dunkle Schleier der Nacht ihm zum Gewände, mit
welchem er sich yerhüllt. ')
Bisweilen empfindet der Himmel Neid, so über das große
Heer der Spanier, da es an Glanz und Größe sein Stemenheer
bei weitem überragt®), oder über den Schmuck der Nymphe
Flora, der Herrscherin im fröhlichen Reiche der Quellen und
Blumen, da ihre Farbenpracht in den grünen Laubgängen
gar oft seine blauen Schleier an Glanz übertrifft, wenn im
») Schlegel I, 403f.; Banda II, 156b.
«) Peor estä I, 100c, g. oben bei sol, S. 10».
e/ cielo azul que miramos^
f.Habrd alguno que no crea
Vulgarmente que es zafiro
Que hermosos rayos ostenta?
Pues ni es cielo, ni es azul, Sab er I. 34».
■) Siente el cielo y se oscurece
Cubierto de un pardo velo, Sitio I, 112 c.
*) Cnbrese el cielo de lutOj Arg. I, 454 1.
*) Y si al fin no siente el cielo,
Poi' lo menos lo parece, Sitio 1, 112 o.
«) Purg. I, 151 c, s. S. 15«.
') el manto negro / Capa de noche que viste / Para disfrazarse el
cielo, Casa I, 137».
*) el ejercito . . j Tan numeroso que diö / Envidia ä la celesiial / Es-
fera, viendole igunl j En todo d sus liices bellas] / Porque al competir con
dlas, I Excedio, dando desmayos, / En resplandor d sus rayos, / Y en
nümero ä sus estrellas, Sitio 1, 113».
— 56 —
Widerstreite der Garten zu einem grünen Himmel, der Himmel
zu einem blauen Garten wird. ^)
Eine Pers. liegt auch vor in der Drohuog des Sigismund :
Himmel) wie tust du recht, daß du mir die Freiheit nimmst.
Denn gegen dich würd' ich zum Riesen , und um der Sonne
jenes krystallene Gewölbe zu zerschmettern, häufte ich Berge
▼on Jaspis auf dem Felsengrund empor.
/ Ah cielos, / Que bien haceis en quiiamie j La libertad / Por-
que fuera / Contra vososiros gigante / Que para quebrar al sol / Esos
vidrios y cristales / Sobre cimientos de piedra / Puswra montes de
jaspe. *)
Eusebio empfindet Furcht, nachdem er eine schwere
Freveltat begangen : „Seht ihr nicht, wie der Himmel blutig-
rot über mich kommt? Wo gibt es für mich noch Sicher-
heit, wenn der Himmel mir seinen Zorn sehen läßt?^
g'JVb mir als sangriento el cielo
Que todo sobre mi viene?
ßDonde estar seguro puedo,
Si airado el cielo se muestra?^)
Ähnlich ruft Polonia im Fieberschauer aus : Der Himmel
zittert und wankt in seioen Polen, und sein wunderbares
Prachtgebäude bedroht mich im höchsten Zorne.*)
Schönen Damen muß sogar der Himmel huldigen, so der
göttergleichen Estrella, „zu deren Füßen sich / Senkt des
*) Flora ..../.. cuya cultura el cielo / Mismo entidiö tantas
veces Tres m. prod. I, ?36bf.
») Vida I, 3» = I, 329 ff. — Gleich Sigismund will der König
Egerio wie ein zweiter Nimrod den Himmel stürmen, Purg. I, 149«.
') Devocion I, 63*>. Vielleicht steht hier cielo airado bereits
metonymisch für Gott, wie denn die eigentliche und die übertragene
Bedeutung von cielo oft ineinander übergehen. Man vergleiche: No ha
»ido I Airado el cielo conmigo, j Curcio, eii haherte iticontrado (hier ist
cielo == Gott oder Geschick), Dev. I, 66^ mit: Los ejes rotos videlfirma-
mento, j Eil cielo desatö toda su ira. / La tierra se esireniece y gime d
viento, Purg. I, 160».
*) El cielo tiembla / Desquiciado de sus polos, / Y su fdbrica perfecta I
Ä mi nie estä amenazando j Con su eminente soberbia^ Purg. I, 158» f.
— 67 —
Himmels Glanz und Wonne^ ^), wie denn eine solche Schön-
heit bisweilen auch cielo ^) genannt wird. Wenn, nach der An-
sicht der Philosophen, der Mann eine kleine Welt darstellt,
so ist die Frau gewiß „ein Himmel im Kleinen." *)
So ist die Infantin Florida „der Himmel selbst" ^), die
zarte Marianne ist ein „vergänglicher Himmel" ^); Lisarda
Tergleicht die schöne Florida mit dem Himmel, während sie
sich selbst bescheiden „tierra" nennt ^) ; zum Schlüsse einigen
sich die beiden Schönen : Laßt uns beide Himmel sein . . .
Nur des Mondes Himmel schein' ich, Scheint der Sterne
Himmel Ihr. ')
Die Wolken und die Blitze.
Vom Himmel steigen die Wolken gleich Wassersüchtigen
bisweilen zum Meere hinab , um ihren brennenden Durst zu
löschen ^) ; sie werfen sich auf das Meer, um in seiner blauen
^) esta diosa humana, / Ä cuyoa divmos pies / Postra el cielo 8u arre"
hol, Vida I, 8b = n, 401 ff.
*) Cf. en esta aldea vi la maravilla j Del cielo, reducida en una
datna . , . Ä secr. agr. 1, 598»
») Fida I, 9b = II, 580 ff.; siehe Ki, zu dieser Stelle (S. 96);
Homhre I, 503 <'. Weiter heißt es von der schöuen Estela Ton Sal-
veric: Si d otras hermosuras / Un mundo pequeno üaman I Tu eres un
cielo pequeno, Amor I, 368«.
*) d mismo cido, Amor 1, 367«.
*) cielo caduco, May, mofistruo 1, 501 «.
•) cudn gravemente yerra
Quien asi rinde d Ui tierra
Todas las luces del cielo, Peor estd I, 93b.
') Fueramos cielos las dos ....
Sere el cielo de la Imia, (= FlSrida)
Y vos (= Lisarda) el de las estrellas, Restd I, 93b ;
vgl. za dieser Stelle Klein 11, 1, S. 511.
*) Tal vez la mibe mas lijera
AI mar sedienta baja, y llena subCj
Caldndose hoy al mar desa manera
Hidröpica sin duda alguna nube,
Tres m. prod. I, 268b.
— 58 —
Flut den Regen zu empfangen, den sie in Krystall wieder TÖn
sich geben. ^)
Hoch über der Erde schmieden sie ihre Blitze, die ver-
hängnisvolle Ausgeburt der Wolken*); nur bei Erdbeben
scheint es, als ob sie im Innern der Erde ihre Waffen
schmiedeten ^) ; mit ihren Blitzen, mit Donner und Regen stiften
sie Frieden unter den kämpfenden MeoschcD, d. h. ein heftiges
Gewitter macht dem Kampfe ein Ende.*)
In einem Falle werden auch die Wolken als Zeugen an-
gerufen; es schwört nämlich der Tetrarch dem fliehenden
Tolomeo, er werde ihn überall mit seiner Rache verfolgen:
„Flögst du auch zur Himmelssphäre,
Sollen dort der Wolken Heere
Zeugen meiner Rache sein!^^
Si al mLsmo cielo ie subes,
Campana serän las nvhcs
Qiie hagan de mi honor alarde, *)
Die Erde.
Für gewöhnlich zeigt uns die Erde ihr ernstes, bekümmertes
Antlitz voll finsterer Runzeln ^), doch bei besonderen Anlässen
öffnet sie ihren Mund, um sich zu beklagen, und speit graue
Rauch- und Feuerwolken aus*), wie denn finstere Gewölbe
und Höhlen, sowie Minen und Schächte als grausige Schlünde
*) Ä la mar se arrojan
Ä concehh' en zafir
Lluvias que en criatal ahortan,
Princ. I, V. 254ff. = I, 246o.
•) Del emhrion de las nubes
Sean los rayos abortos^ M. encanto I, 403«.
Äl rayo que de la nube
Frenado es fatal aborto, Gal. fant I, 302 ^
•) iCudndo, contra la costiimbre^
En el centro de la tierra
Forjan sus rayos Ins nubes? May. cncanfol, 408«.
*) pusieron paz las nubes . . . May. encanto I, 404».
*) May. monsUruo I, 498c.
•) no sufre / Ella aun de su grave faz
La arrugada pesadumbre;
Pues obre para quejarse
— 59 —
bezeichnet werden, aus welchen die Erde mit traurigem Grähnen
ihre Schrecken ausdunstet. ^)
Trefinich wird die Erde personifiziert in der Schilderung
von Wiege und Grab, die uns Don Fernando, der standhafte
Prinz, entwirft. Er vergleicht die Erde mit einem Menschen,
der die gefalteten Hände emporhält, um eine Gabe zu em-
pfangen, und die Häude umdreht, um die empfangene Gabe
wieder wegzuwerfen.
Bei unserer Geburt nimmt uns die Erde in ihre gefalteten
Hände auf, da ihr an unserem Besitze gelegen ist (Form der
Wiege, nach oben offen) ; wenn sie aber, ärgerlich oder zornig,
sich unser entledigen will, kehrt sie die gefalteten Hände
um und schleudert uns weg (Form des Sarges, nach oben ge-
schlossen) :
El mundo, cuando nacemos
En senal de que nos busca
En la cuna nos recibe^
Y en ella nos asegurcij
Boca arriba; pero cuando
0 con desddn 6 con furia
Quiere anojamos de si,
Vuelve las manos que Junta,
Y aquel instrutnento 7ms7no
Forma esia maieria muda;
Pues fue cunn boca arriba
Lo que boca abajo es tumba . . . ")
In vielen Stellen werden der Erde Züge des menschlichen
Seelenlebens beigelegt.
Beim Tode Christi erbebt sie *) ; bei der Geburt des Prinzen
Una boca^ y de ella escupe
Pardas n%d>e8 de humo y fuego. M.encantolj 408 o.
*) La harrihle boca . . . / Por donde en tristes bostezos / Eorrwes la
iierra escupa^ Puente I, 211»; [la mina], por cuya boca j Bosteza la
iierra asombroSj Oal. fant, I, 302 o; I, 301»; el hielo con que bosteza j
Esta rdstica tristeza, Vir gen I, 344*
«) Princ. I, 259» f. = III, 494 bis 513.
') Aquel mortal parasismo,
Cuando^ cerrados los cielos,
La tierra se estremeciS, Virge^i I, 331».
— 60 —
Sigismund glaubt die Erde, ?od lebendigen Flammen über-
strömt, ihren letzten Todeskrampf zu erleiden ^) ; sie soll An-
teil nehmen an dem Unglücke des Volkes Israel ') ; in Blamen-
schrift verkündet sie die Größe Gottes^), und die Seeleute,
die nach langer Irrfahrt auf der stürmischen See glücklich
den rettenden Strand betreten, rufen ihr begeistert zu: „Sei
gegrüßt, und abermals gegrüßt, barmherzige Matter^, t^Sake^y
salve otra vexy Madre piadosa I > *)
Wie wir oben gesehen, verkündet ihr der Himmel bis-
weilen den Krieg und schleudert des Wassers Speere und
steinerne Kugeln*^) oder Pfeile aus Schnee auf sie herab*);
doch kommen beide meist friedlich miteinander aus, die Erde
verdankt dem Himmel Schmuck und Schönheit, und hat dafür
keine Geheimnisse vor ihm in ihrem dunklen Schöße,
Weil der Himmel selbst, obwohl
Himmel, Zins für Wohltat fordert. "^
Kleidet sich der Himmel in blau, so legt die Erde ein
grünes Gewand an ^) und tritt in ihrer Farbenpracht oft mit
*) anegado / El orbe eti incetidioa vivos, / Presumid que padecia / El
ülHmo parasUmOy Vi da I, 4c = I, 6921!.
') d tanta ruina j Haga sentimiento el orbCj Judas I, 311c.
') i No escribe la tierra / Cofi caract^es de flores / Grandezas vuestras ?
Purg. I, 164».
*) Saltida el pehgrinOj / Qtie en salado cristal <ibri6 Camino^
La tierra donde llega,
Cuando inconstante y ndufrago se niega
Del mar d la inco^istancia procelosa^ M. encanto I, 391»,
ebenso Arginis I, 437»;
iOh madre tierra^ que bien
Me recibes ! Dulce patria / EreSj Z a n c e 8 1, 43 o ; cf. Kf, S. 200 f.
*) Devocion I, 55«, s. oben S. 54*.
•) Furg. I, 150b, s. S. 64«.
^) d. h. es kommt alles an den Tag:
La tierra, viendo el adomo
Y la Itermosura que debe
Ä ese cristalino globo
Le ofreciö de no encubrirU
Nada en su centro m<is hondOj
Que aun los cielos, cofi ser citlos,
Dan las mercedes d logrOj May.monstruoL, 497«.
^) el suelo de verde / Se viste, Banda II, 166 o.
— 61 ^
dem Himmel und dem Meere in Wettstreit, wobei sie mit
ihren blauen Schatten bisweilen den Himmel und mit ihrem
grfinen Gewände das Meer an G-lanz übertrifft. ^)
Wenn wir uns jetzt zu den einzelnen Teilen der Erde
wenden, so fesseln zunächst Erdteile, Länder und Städte
unsere Aufmerksamkeit.
Siegesbewußt betritt Don Fernando an der Spitze des
portugiesischen Heeres den Strand Afrikas: „Ich will der
erste sein, schönes Afrika, der deine sandige Küste erklettert,
damit unterdrückt vom schweren Tritte meines Fußes du in
deinem Nacken die starke Macht spüien mögest, die dich
zähmen soll Nur keine Furcht,** sagt er drauf zu seinem
Bruder Don Enrique, als dieser beim Betreten des Landes
strauchelt, „Dein Fallen kommt daher, daß das Land selbst
Dich als seinen Herrn gebeten hat, es zum Empfange zu
umarmen** :
Yo he de ser el primero, Africa bella^
Que he de pisar tu morgen arenosa^
Porque oprimida al peso de mi huella
Sientas en tu cervix la poderosa
Fuerxa que ha de rendirte
.... — el caer agora dntes ha »ido
Que yUf conto d sehor, la misnia tierra
Los brazos en albricias te ha pedido. *)
Weiter heißt Europa die große Mutter so vieler mächtiger
Berge ^), und Ludovico berichtet, daß „Irland ihn wie eine
Mutter aufgenommen habe, aber bald zur Stiefmutter für ihn
geworden sei.***)
In den bekannten Worten gleich im Anfange der Vida:
„Wie schlecht empfängst du, Polen, einen Fremdling, da du
*) Y la Herta ecn los dos,
Fues con iomasoles vence
Äl cielo en sonUfras azules
Y al mar en celajes verdeSj Arginis I, 466»
«) Fr ine, I, 2470 u. 248» = I, V. 477 ff.
') Ghran madre de tantos / Hijos^ cuyo aborto fueron / Los montes
Virgen I, 330«.
*) Irlanda . . . como madre / Me recibiö, pero luego / Fui madrastra
para mi, Furg. I, 162»
— 62 —
mit Blut seine Ankunft in deinen Sand niederschreibst" ^) ist
doch wohl auch Pers. des Landes Polen eher als Metonymie
(das Land für das Volk) anzunehmen. Ahnlich sagt auch
der alte Fabio, der von einer Reise zurückkehrt : „ Wie schlecht
empfängst du mich, mein Vaterland! Am Tage, da ich an
deiner Schwelle ankomme, finde ich zuerst meine Leiden und
meine Plagen vor"^), während Otaüez, der bei seinem ver-
meintlichen Ritte durch die Lüfte *) glaubt, in seiner Heimat
angelangt zu sein, voll Freude ausruft : O Vaterland, laß mich
voll Dankbarkeit deinen Boden küssen : t Oh patria mia, / D^'a
que tu tien-a besä / Agradecicio ! » *)
Von den Städten finden wir zunächst Rom und Jeru-
salem personifiziert.
An der Spitze des aufrührerischen Heeres sagt Sigismund :
Könnte mich doch Jieute die mächtige Roma im Glänze ihrer
Jugendtriumphe sehen! Wie würde sie sich freuen, in mir
den Mann gefunden zu haben, der ihre gewaltigen Heere be-
herrschte und dem bei seinem hochfahrenden Sinne es ein
Leichtes wäre, den Himmel selbst zu erobern :
Sl este dia me viera
Borna cn hs triunfos de su edad primei'a,
/ Ohj cuanto se alcgrara,
Vicndo lograr una ocasion tan rara
De teuer mia fiera
Que sus grandes ejtrcilos rigiera,
A ciujo altivo aJiento
Fuera poca conquista el firmamentofi)
Weit grimmiger hören sich die Worte des Libio an:
„Wenn du auch die Kronen vieler Völker trägst, mächtige
^) Mal^ Folonia, recihes j Ä un extranjero^ pues con sangre escribes
Su entrada en tus arenaSj Vi da I, 1» = I, 17 ff.
') / Q^ ^^h patria, me recibes !
El dia que ä tus nmbrales
LlegOj emnientro lo primero
Mis penas y mis pesares, Banda II, 166».
3) Aströl I, 592a
*) Aströl I, 593a
^) Vida I, 15c = III, 469ff.
— 63 —
Roma, so will ich heute doch an dir grausame Rache üben."*)
Wir haben in beiden Fällen an die symbolische Darstellung
der Roma als Statue, weibliche Figur, zu denken.
An dieser Stelle müssen wir der herrlichen Worte Er-
wähnung tun, die der siegreiche Octavian an die im Morgen-
sonnenscheine erstrahlende Stadt Jerusalem richtet:
„Sei gegrüßt, du große Hauptstadt des Orients, du gött-
liches Jerusalem. Sei gegrüßt, du Kaiserin von Palästina
und Herrin Asiens, welcher auf Auroren ros'umkränzten Auen
Durch stumme Strahlentöne
Huldigt die Sonn' in jugendlicher Schöne.
Salve, tu, ö gran metropoli de Oriente,
Jerusalen divina.
Salve, ö tu, emperatrix de Palestina
Y del Asia sefvora,
Que en el rosado imperio del aurora,
Con luden te vox muda^i
El sol en su primera edad saluda. *)
Von den spanischen Städten wird das edle Barcelona mit
einer Fürstin verglichen, welcher auf hohem Thron am Meere
sitzend, die schaumigen Wogen die Füße, netzen*); der
Stadt Madrid winkt Ota&ez einen Abschiedsgruß zu^), und
die Stadt Toledo, das Herz Spaniens •), wird von dem Ne-
gerfürsten Aben Tarif in Worten ehrenden Lobes gefeiert,
ja selbst der Tajo, welcher, der herrlichen, unvergänglichen
Stadt die Füße bespült, spendet ihr ungebeten Goldkömer
als Tribut in seinen Wellen. ')
*) Aunque te corones I De naciones, Hoy, Borna, en H determino
Tengarme, Cenobia I, 200».
') In der Ausg. v. 1637 voz y lengua muda^ fol. Iö6 verso.
') May. monatruo I, 494«.
*) la ilustre Barcelona, / Ä cuyo altivo dosel / El mar con rizas es-
pumas I Argenta el sagrado piS, Lances I, 40».
*) ;Adio8, Madrid! desta vez j No pienso volver d verte, AstrdL
I, 591 c.
•) es Toledo el corazon de Espana, Vir gen 1, 3M^.
') Si hablarte puedo, / Escucha, imperial Toledo . . . . / inmortal
ciudad de Espana,
Vivo solar de su mejor nobUza,
— 64 —
Berge und Felsen.
Ausführlich beschreibt Calderon den Berg mit der
Höhle des Fegefeuers^), den er, wie dies im Spanischen
häufig ist % mit einem menschlichen Haupte vergleicht, wobei
dem Berge Teile und Tätigkeiten des Menschen beigelegt
werden. *)
Heben wir die personifizierenden Züge dieser Beschrei-
bung her?or:
Der rauhe Berg, dessen düstere Stirn mit Eichen be-
wachsen ist, blickt drohend auf das reine Licht der Sonne. ^)
Voll Eigensinn hat er nie geduldet, daß der Fuß eines
Menschen ihn betrete. Sein Antlitz voll grauser Runzeln
erregt Bewunderung, Staunen und Furcht zugleich.*)
Seht ihr, heißt es weiter,
— den Felsen dort, der nur mit Mühe,
Wie's scheint, vermag sich aufrecht zu erhalten,
Den nur die Angst, daß er zum Abgrund fliehe
Im Stande war, im Sturze aufzuhalten?
Er ist's Gebiß, daß er zusammenziehe
Dort eines Rachens gräßliches Entfalten,
Der unter ihm mit grausem Klaffen gähnet.
Durch den des Berges Atem schaurig stöhnet.*;
Ä quien el TajOy que tus plantas bana,
Qranos de oro iributa por grandeza^ Vir gen I, 334».
») Purg. I, 1590.
«) Cf. Kl N, S. 6.
^ semblantej boca, labios^ cerviZj cabellOy grena; c«fio, ioberbia
perezüj melancdlico bosteza.
*) rtistico monte . . .
Cuyo cenOj de robles coronadOj
Amenazö del sol la lumbre pura . . .
*) .... es tania
Su soberbia que nunca ha consentido
Muda impreium de conducida planta.
8u semblante intricado y retorcido,
Que visto admira, que admirado espanta^
Causando (isombros ....
•) i No ves ese penascOj que parece
Que se estd »ustentando con trahajo,
— 65 —
Und dieser Schlund, umgeben von Cypressen,
Zwei Felsen bilden seine starren Lippen,
Er ist dem wilden Nacken angemessen.
Als Mähne hängt hernieder von den Klippen
Unnützes Kraut, vom Sonnenstrahl vergessen. ^) . . •
In dieser Beschreibung, die sich über 32 Verszeilen er-
streckt, finden wir fast sämtliche charakteristischen Züge ver-
einigt, die der Dichter seinen Bergen zuzulegen pflegt.
Mit finsteren Blicken, mit düster gerunzelter Stirn sehen
die Berge auf das reine Licht der Sonne ') ; sie krönen, stolz
emporragend, ihre hohe Stirn mit Lichtstrahlen') oder
Sternen *) ; reichen sie doch bis an das Licht der Sonne selbst
hinan'), vermögen sie doch bisweilen durch ihre Höhe den
Glanz der Sonne zu trüben. *)
Stolz und hochmütig erhebt der Oeta seine Stirn*); die
rauhen Berge von Phlegra treten mit dem Himmelsgewölbe
Y el ansia misma que padece
Ha tantos siglos que se viene abajo?
Fues mordaza es que sella y enmudece
El aliento ä una hoca^ que dehajo
Ähierta estä, por donde con pereza
El monte melancolico hosteza.
') Esta, pues, de cipreses rodeada,
Entre hs labios de una y otra pena^
Descubre la oerviz desaHnada^
Suelto el cdbeUOj ä quien sirviö de grena
Inütil yerha^ aun no dd sol tocada ....
Furg. I, 159«; Lorinser 4, S. 57f.
*) egte monte eminentCj / Que arruga cd sol el ceno de la frente,
Vida I, 1' « I, 15f. Vgl. zu dieser Stelle Ki, N, S. 5.
•) esta excelsa cumh-e j Que del sol se atrevid d tocar la luni^fre, /
T altiva y eminente, / Coronada de rayos la aUa frente, May. encanto
I, 407 ^
*) aqueUa / Funta vecina al sol^ que de una estrella / Corona su
tocado, Furg, I, 149'.
^) aquella ctimbrey / Que al sol se atreve d profanar la luwhre^
Furg, I, 149 ^
•) el Oeta, / Monte que altivo y soherhio^ / Es, empinando la frente^
Verde colwMt del cielo, Tres. m. prod. I, 282 •.
Uünchener Beiträge z. romanischen n. engl. Philologie. XXXII. 5
— 66 —
in Wettstreit, da ihre hohen Bergesspitzen sich stolz mit den
Sternen messen ^) ; in einem Vergleiche fiihrt der Dichter auch
den Vesuv ein, der, ein rauhes Vorwerk aus Stahl, Feuer-
geschosse und Bauchsäulen zum Himmel emporwirft und als
Behell sich selbst gegen die Sonne wagt, wenn auch seine
Asche im Vergleich zur Sonnenglut kalt ist wie Schnee.^)
Um das hohe Haupt der Berge bauschen sich die
Wolken als Turban'); ja bisweilen stoßen sie mit der Stirn
an das Himmelsgewölbe an oder durchbrechen sogar den
blauen Himmelsschleier.*)
Einem Atlas gleich tragen die Berge das Himmelsgewölbe
oder den Sonnenball *) auf ihren Schultern •) ; bisweilen ö£fnen
sie den Mund , um Atem zu schöpfen ^ , oder gähnen aus
Langeweile oder Trägheit melancholisch vor sich hin, aber
Felsstücke, die wie ein Knebel über dem Schlund herabhängen,
bringen sie zum Schweigen. ®)
^) Asperos montes de FUgra, / Cuya eminerwia compite / Con el cielOf
pues 8%u ptmtas I Con las estreUas se miden, May. encanto I, 409^
") [No asi] el Vesubio fiero, / Q%ie haluarte rnsHco de acero, / Contra
los cielos vomitar presumo / Bombas de fitego y p6lvora de humo, / Co-
munero del sol^ al sol se atreve, j De cuyo incendio es la ceniza nieve;
[Como . . J, Gal fant I, 301».
*) Alias montanaSy de quien / Ttirbanie han sido las nubesj M, en*
canto I, 409^
*) una montana eminente, j Tanto que para pasar j De los cielos,
con la freute I AboUöy si no rompio j Est velo azul Celeste, Purg. 1, 165 ^
*) ^No miras ese monte, 6 nuevo Atlante,
Que, coluna del sol, al sol se atreve,
Dando bataüa en derretida nieve
AI mar, que espera aun menos arrogante?
Arginis I, 453»; Tres m. prod, I, 284^
•) Zu •espalda de un monte», was eine bereits verblaßte Fers, dar-
stellt, cf. Dante, Inferno I, 16 f.:
[a pit d'un colle giunto]
Chuardai in alto, e vidi le sue spalle
Vestite giä dei raggi del pianeta —
Also im Italienischen die gleiche Metapher „Schulter des Berges**
fiir unser deutsches „Berg^cken".
"0 la roca / Abra una funesta boca, / Tronera por quien respira / Una
cueva, Arginis I, 440^
*) Purg. I, 169", s. oben S. 64 f.; esta boca, j Por donde metan-
— 67 —
Die Berge bekriegen das Meer mit Strömen geschmolzenen
Schnees^); dafür werden sie oft vom Meere belagert^); so
liegt Tox, der Geburtsort des heiligen Patrizius, aaf einem
Berge, den das Meer in engem Gefängnisse gebunden hält,
d. h. das Meer umgibt den Berg von allen Seiten.')
Auch Züge des menschlichen Seelenlebens werden den
Bergen verliehen.
Vor dem großen Heere des Fierabras mit seinen Ejriegs-
elefanten und Pferden bekommen die Berge Angst und zittern,
wenn sie eine solch ungeheure Last zu tragen haben ^) ; selbst
ein stolzer Berg ächzt und stöhnt, wenn der rauhe Wind ihm
gar zu arg mitspielt. ^) Voll Stolz beschaut aber auch der
Berg , der im Winter in tiefe Nebel gehüllt eisbedeckt dalag,
die Farbenpracht, welche der Frühling mit seinen Blumen ihm
verleiht; so vermag der Berg Enttäuschungen, Mühsale und
Beschwerden zu ertragen, wenn ihm nur die Hoffnung auf
bessere Zeiten bleibt; wenn ihm die Hoffnung fehlte, würde
auch er der Last der Jahre erliegen. •)
Gleich dem Berge ragt der Fels hoch empor über Land
und Meer, als Gebieter von Tälern und Wellen "^ ; die Flüßchen
c^ico bosteza / El monte : sea mordaza dura roca, j Que enmudezca tsU
horroTy e»ta tristeza. Vir gen I, 329 '^/^
*) Arginis I, 453»; Tres m. prod. I, 284^ s. ob. S. 66, Anm. 6.
*) dd mar niiado, Tres m. prod. I, 267»; Arginis 1, 439^
') Tax , . . se asienta / En un monte, ä guten ü mar 1 Ata con
prisiofi estreeha, Furg. I, 150 •.
*) Los montes de sustentaüos / Deliran 6 se estremecen, / Que montes
vivos parecen I Elefantes y cahaüos^ Puente I, 209 ^
'*) Quijase un monte arrogante / De las injurias del viento, / Cuando
le ofende violento, Ä secr. agr. I, 597 ^
•) Apenas el invierno helado y cano
Este monte con niehlas desvanece,
Cuando la primavera le florece,
Y el que hela<lo se mö, se mira ufano . . .
Con esperanza sufre desenganm
ün monte; que d faltarle la esperanza
Ya se rindiera al peso de los anos,
Tres m. prod, 1, 284*.
') esa punta, que hace / Corona al mar y a la tierra, j Arhitro de
ondas y volles, May. encanto J, 406 *".
6*
— 68 —
Nereu8 und Doris sind nach dem Zeugnisse der Mythologie
die Tränen, die ein Felsblock weint ^) ; in sich selbst Terliebt
wie Narcissus bespiegeln sich die blnmengeschmüd^ten Felsen
im Meere % wie denn auch der Fels, auf welchem die Stadt
Toledo gelegen ist, im krystallhellen Spiegel des Tajo seine
Schönheit mit solchem Hochmute beschaut, daß er in sich
selbst verliebt, sich nur mit der größten Mühe über dem
Wasser aufrecht erhält.*)
Die Steine.
Nicht nur Felsen, auch Steine werden von unserem Dichter
beseelt, empfindet doch selbst ein Stein Schmerz, wenn er
von seinem Felsenschoße losgerissen wird.*)
Als der Herrscher in der gelehrten Akademie der Steine
erscheint infolge seiner strahlenden Schönheit der Diamant^),
vor dessen Blicke nicht einmal der Magnet, dem doch sonst
jedes Stück Stahl gehorchen muß ^), es wagt, seine Kraft fühlen
zu lassen, denn auch er muß dem Diamanten als seinem Könige
Gehorsam schwören. '^) Der Glanz des Diamanten ist nnr
der Sonne vergleichbar, ja, ist noch weit glänzender als das
Sonnenlicht^), wie denn dieser Edelstein in verschiedenen Stellen
*) Nereo y DoiHs, / Qu6, lagrimas de un penasco, / AI mar en dos
fuentes corren, May. encanto J, 393^
*) las faldas lisonjeras / De estos elevados riscas, / Que son delpuerio
de Jafa I Enamorados Nardsos^ May, mönstruo 1, 486 •.
') en el espejo / Del rio ve su hermosura / Con tal desvafiedmietUo^ /
Que enamorada de si / Sobre las ondas del Tejo / No sin gran fatiga, hd
tantos I Siglos que se estd cayendo, Vir gen I, 330".
*) De SU centro con dolor / Siente ttna pi^dra arrancada, Sitio
I, 112 ^
*) Yo vi entre piedras finas / De la docta aoademia de stm minaSy /
Freferir el diamante, / Y ser su emperador por nias brillante^ Vida I,
9« = II, 615 ff.
*) el iman dificilmente / Intentara que obediente / El acero le de-
jara, Casa I, 129».
') El diamante^ d cuya vista j Ni aun el iman ejecuta / St* propiedad,
que por rey / Esta obediencia le jura, Princ. I, 269* = III, 468 ff.
*) hace de la luz desden, Astrol. I, 581 ^
— 69 —
geradezu als „Sohn der Sonoe^, hijo del sci^ bezeichnet wird *),
da ja die Sonne selbst die DiamantMi erzeugt.')
Der Garten.
Zunächst lernen wir in der Schilderung des Wettstreites
zwischen Garten und Meer eine gute Probe des esHlo
rnUto kennen').
Voll Neid auf die vom Winde zierlich gekräuselten Wellen
möchte der Garten es dem Meere gleichtun, da kommt ihm
der linde Zephyr zu Hilfe und wiegt die Blumen des Gartens
hin und her, so daß der Garten aussieht wie ein Meer von
Blumen. Doch
das Meer, betrübt, zu sehen
Wie der Garten zierlich pranget
Von Natur, nun auch verlanget
Ihm au Schmuck nicht nachzustehen . .
. . . Und so sieht man lieblich kämpfen
Blaue Flur und grüne Bucht.
Hit den gekräuselten Wogen und den bunten Farben ist
der Garten ein Meer von Blumen und das Meer ein Garten
Ton Schäumen.
— el jardin, envidioso
De ver las ondaa del mar,
Su ourso quiere imüarf
Y asi el eifiro amoroso
Maiices rinde y olores,
Qtie soplando en ellas bebCf
») P. estä I, 100»; Banda II, 168*. Este diamante, farel I Que
een luz hermeea y nuwa^ / J^ira su hmpieza prueha / 8er luden te
Mje del sol, Ä secr. agr. I, 696r
*) [dimmantes] . . . Siendo el toi qmen tot engendra, Homhre I,
508°; los diamantes .... hoy san piedras^ y rayos fueron antes / Del sqI^
fue perfieuma y üumina / Bästico yrano em la abrasada miiuif Ä secr.
agr. I, 698*. *
*) La emuUicion que en reftejos
Tienen la tierra y el niar, Princ. I, 246» •» I, IXf.
^ 70 —
Y hacen las hojaa que mueve
Un ociano de flores;
Ouando el mar, trisfß de ver
La natural campostura
Del jardin, iambien procura
Adomar y componer
Su playa
Compüe con dulce efeto
Campo axui y golfo verde,
Siendo ya con rixas eqmmas
Y con mexclados colores,
El jardin un mar de flores^
Y el mar un jardin de espumas, ^)
Mit Recht bemerkt KanDegießer za dieser Schil-
deruDg: Gesucht scheint uns Deutschen die Vergleichung
zwischen Meer und Garten, aber für den Spaaier ist sie es
nicht, wenn wir uns die Lage der Gärten an den spanischen
Seeküsten ganz nahe dem Meere denken.^)
Die Gärten, in sich selbst verliebt wie ein schöner Nar-
zissus aus Smaragd, beschauen sich im Wasser') ; mit Gewalt
entreißen sie dem Jahre den holden Frühling und behalten
ihn als ihren Genossen zurück^); sie errichten ihm Statuen
aus Rosen über Tempeln aus Jasmin*), da er in schönen
Gärten mit Vorliebe seinen Thronsitz aufschlägt.*)
Wenn die Prinzessin Fenix gleich dem glänzenden Abend-
rote über das Meer hinfährt, dann glaubt der Garten, das
wirkliche Abendrot zu sehen, und beklagt sich voll Melancholie
beim Meere, daß der Tag so kurz gewesen, da nun die Sonne
') Fri7ic. I, 245" = I, 77 ff. Cf.Lances I, 38«; Caatigo ^I,379^
«) HerrigB Archiv, 29. Band, 1861, S. 32.
•) Estoa jardines que hermosos / Narcisos 8on de esmeralda I Y en-
amorados de si j Se estdn mirando en las aguas^ M. encanto I, 404 ^
*) usurpan / AI ano la primavera / Y aqui la tienen por 9uya,
Lances J, 42^
^) d la primavera hermosa / Labran estatuas de rosa / Sobre templos
de jazmineSy Princ. I, 245»* = I, 57 ff.
^) So nennt unser Dichter den Park von Aranjuez : admirable j Dosel
de la primavera, Casa I, 132 •.
— 71 —
schon untergehe ^) ; die schöne Flora beneidet der Garten um
ihren herrlichen Blumenschmuck , denn er möchte in der
gleichen Weise mit prächtigen Blumen geziert sein wie sie ^) ;
in der schwülstigen Spraohe der Liebenden spielt, wie so viele
andere Naturobjekte, auch der Garten eine bedeutende Bolle:
kommen doch die Liebespaare, wie wir oben gesehen haben,
bei der Nacht heimlich im Garten zusammen, so daß der
Garten und die Nacht oft zu Zeugen von so manchem Liebes-
abenteuer werden. ') Den beiden, dem Sammelplatze fiir die
Sterne und für die Blumen, vertrauen sich die Liebenden
arglos an ^), und eine Schöne, die sich von ihrem Galan ver-
lassen wähnt, klagt dem traurigen, düsteren Garten, der mit
seinen Quellen und seinen Rosen zu fröhlichen Zeiten ihr
Liebesglück miterlebt hatte, auch ihr Leid:
Triste, funesto jardin,
TUj que un tiempo mos alegre^
Si pompa del amor fuiste
Ruina ya del amor eres
Oye mis desdichasj pues
Lugar ä mis dickas deben
Tus crisiales y. ins rosas. *)
Im folgenden betrachten wir das anmutige Volk der
Bäume*), sowie das liebliche Heer der Blumen.'')
^) cuando tanto arrebol / Errar por sus ondas vea / Con grande me-
lancolia / El jardin cd mar dird:
• Ya el 8ol en su centro estd:
Muy breve ha sido esU dia», Frinc, I, 245»» = I, 63ff.
•) Flora m fin / Fu^ desperdiciando flores, / Tan hijas suyas, que
ai I Para adomarse otra aurora I 8e las envidid el jardin, Mej. estd
I, 241 •.
■) testigos / Fueron de venturas tales / La noche y jardin ; que solo /
Ä los dos quise fiarme, Casa I, 131»»; Testigo sea el jardin, Banda
II, 161»; Estari . . . I De noche en ese jardin I . , , d fin I De que 61 solo
sea tesHgo I Del afecto d que me obligo^ May. encanto I, 399*
^) C&mplice d la noche hice / De hurtos de amor agradables / Y c&m-
plice hice d un jardin^ / Que d los dos quise fiarme^ Qal. fant. I, 291 ^
*) Oal fant I, 299»>/«.
*) Esa amena poblacion / De los drholes, Ärginis I, 440»*; amena
pobladon I De los montes, Silio 1, 111\
') ejircito de flores, Judas I, 311«.
— 78 —
Bäume wid Blumen werden oft zu stummen Zeugen für
die Gespräche und die Gefühle der Menschen^); gleiehwie
den Felsen und Steinen klagt der Unglückliche ilmen sein
Leid| wenn er sich von seinen Mitmenschen verlassen äeht *X
oder er wünscht sich nur ein paar rauhe Weidenbänme sur
Gesellschaft^ um diesen yorzujammern« denn wer wie sie hört,
aber nicht verstehti wird wohl nichts ausplaudern.') Die
Blumen und Sträucher des Garteos hören oft die fröhlichen Ge«
spräche der Liebespaare mit an ^), müssen aber auch grausames
Liebealeid erleben'); und wenn, wie man sagt, die Wände
Ohren haben, so haben die Bäume Augen % d. h. der Mensch
ist nirgends sicher, belauscht oder beobachtet zu werden.
Von den einzelnen Bäumen erwähnt C. zunächst die
Ulmen auf dem Prado zu Madrid, die als Kinder der Haupt-
stadt ganz nach Art der Hauptstädter sich in wollüstiger
Liebe umschlingen^, sodann finden wir in Gleichnissen die
Eiche (eZ roble), die hoch oben auf dem Berge stolz zum
Himmel emporstrebt, dabei aber dem Blitzschlage und der
Gewalt des Sturmes ausgesetzt ist'); die Steineiche {la endna),
die voll Übermut sich dem Toben des Windes und der
Wucht des Gießbaches widersetzt, aber schließlich doch zu
1) Ta estäi d 90la8 conmigo; / SoU) ärbolet y fiort9 / PM«2en 9er wm-
dos testigos I De tus voce», Dev, I, 64*'.
*) Tan infeliz nu tto / Que ffa no tengo un amiga. / ArbokSj penas y
floreSf I Pues faltan para mis quej<i8 1 Ä lo» hombres loa WfJM^ / TenganlsM
vuestros rigores, Sah er I, 32 •.
*) No quiero muu cotnpania / Que aquestos rMicoe sauces, / Fi^ea
quien 99eu<^ y no aprende / Serd fuerza que no kable, Devocion I,
61^; die Aiugf. v. 1636 Ueat foh 113r: tronoos mk(^ für rüst «hicm.
*) El huerto, / Cuyas flores fueronjueces / De mi amor, Con quien
11, 842«.
^) Siendo jazminea y murtas / De un jardin verdee te9Hgo$ / De mi»
ttmores y dudas, Ptor estd 1, 94\ — Testigo doy d unjasmin [De nd
tragedia cruel^ Ihd. 1, 104 V
*) 8% oyen Uxm paredes, / Loa troncos . . . vtn / Y nada no8 estd bien,
MSdico I, 347»» = I, 33ff.
^ dlamos bellos . . . ^' . . . lascivos / Quereie enlazar loe cueüoe ? / Pero
me reeponderüs, / Con verdad desvanecidos, / Que como en corte nacidos /
Cortesano amor teneis . . . Hombre I, 609«.
*) el roble, que quiso / Ser contra el cielo gigante. Sab er 1, 25 \
- 73 -
Falle kommt % sodanik den Mandelbaum, der noch im Rauh-
fröste des Januar seine Blüten entfaltet und eitel und hoch-
mütig über seinen herrlichen Blumenschmuck heim ersten
Hauche des Südwinds Fracht und Glanz Terliert: für C.
das Sinnbild des ebenso rasch verfliegenden menschlichen
lidbens. ')
An einer Stelle finden wir die Parabel (cuento) vom
Jdandelbaum, der, ein Narzissus unter den Blumen, der un-
scheinbaren Lilie gegenüber seinen prächtigen Blütenschmuck
rühmt und behauptet, sie müsse vor Neid dahinsterben, wenn
sie ihn sehe, dann aber, als der rauhe Südwind grausam seine
Pracht zerstört, die bescheidene Blume glücklich preist, der
es nicht nach Glanz und Majestät gelüstet.^)
Weiter finden wir den spanischen Lorbeer als den König
der Pflanzen und Blumen bezeichnet^); die Granate (der
Granatapfel) trägt eine Krone aus Stacheln, zum Zeichen,
daß sie die Königin der Früchte ist ^) ; der Epheu, der gegen
die Macht der Liebe nicht gefühllos bleibt, beklagt sich, wenn
er den harten Fels, den er liebevoll umkleidet, verlassen
muß^; der Jasminstrauch wird ziemlich häufig genannt^)
*) la encina . . . opitesta / Ä las rdfagas del vientOj / Del raudal d
Uu violencias, Gal. fant. I, 297'.
Ärranque el raudal vioUnte
La encina^ que se resistfj
[No el jtmcOj que se le ofrece], Vir gen I, 336 ^
') ün almendro^ de hoja» üerw, / Que ufano con amhician / Ä los sus-
piros del austro / Pompa y vanidad perdiö, Cen6bia I, 192% cf. Ei,
S. 124, zu Vida HJ, 144flF., sowie V. Schmidt, S. 335.
") un almendro ufano / . . . Tanto se desvaneciö^ / Que^ Narciso de
las floreSy / Empezö d decirse amore»; / Cuando un lirio humilde M, / Ä
quien vano dijo asi: I mFlor, que majestad no quiereej ^No te desmayas
y mueres / De envidia de verme d mi?i> / Soplö en esto el austro fiero,
Y demMnecid cruel / Toda la pompa que ä H I Le desvanecio primero . . . /
Volviö al lirio Y dijole: «; Venturoso j Tu . . .! Hombre I, Ö06\
*•) Siendo el laurel espatkd j Rey de Uis plantas y flares, Sab er
I, 21 ^
^) la granada^ / A quien coronan las puntas / De una corieza, en
HtUül De que es reina de las frutas, Princ. I, 259» = III, 4ö0ff.
*) Q(*^/Me, parque amar sabe, / üna hiedra^ si perdi6 / El duro 69-
eoüo que am6^ Ä secr. agr. I, ö97^
') a oban, a 72».
— 74 —
und muß an einer Stelle zu einer abgeschmackten Schmeichelei
herhalten :
Eine schöne Dame will eine Jasminblüte pflücken, da
wirft, nach der Meinung ihres Galan, der Strauch ruhig seine
Blüten zu Boden, damit sie von den Füßen der Dame getreten
werden, und sagt, als die Hände der Dame mit seinen Blüten
an Reinheit und Duft wetteifern: Nimm meinen Blättern
die Blüten, doch deine Hände zieh' nicht weg Yon mir, denn
es ist gleich, ob ich deine Hände oder meine Jasminblüten
habe (d. h. : die Hände der Dame sind ebenso weiß und duftig
wie die Blüten des Jasminstrauches). ^)
Einen breiten Raum nimmt bei unserem Dichter die
Personifikation der Blumen ein, wie denn überhaupt Calderon
diese zarten Kinder der Natur bald in farbenprächtigen
Schilderungen, bald in herrlichen Gleichnissen ungemein
häufig erwähnt.
So verschiedene Farben die Blumen auch später anneh-
men mögen, so werden sie doch alle in einer grünen Wiege
geboren ^) ; sie erwachen beim ersten Morgengrauen zu Glanz
und Freude^); doch währt ihre Pracht nicht lange, ein Tag
ist die Lebensdauer der Blumen.^) Schon am Abend, wenn
*) Un jazmin tu mano hermosa
Robahüj y el apacible
Rindio aus flores al stielo
Forque tua planlos las pisen;
Y dijOf viendo que ufanos
Blancura y olor compiten:
•Quita d mis hojas las ftoreSj
Y ius manos no me quites;
Pues es lo mismo tener / Tus nhanos que mis jazmines^f
AstroL I, 574*.
An einer Stelle, in welcher Calderon über den estilo culto spottet,
sagt er von den Händen einer Dame, sie seien : dos azucenas / U dos
ramos de jazmin j / Que en pctrtidas hojas hacen / Una blanca flor de lis,
Hombre I, öOS*'.
') Nacen de varios colores / En cuna verde lasfiores^ £an da II, 156°.
'j fueron pompa y alegria^ / Despertando al aXbor de la
mafianaj j Ä la tarde serdn lästima vana, / Durtniendo en brazos de la
7ioche fria, Princ. I, 264« = II, 682 flf.
*; un dia es el siglo de las flores, ibd. I, 255* = U, 722.
— 75 —
die altersschwache Sonne ins diamantene Grab des Meeres
hinabsinkt und die rauhe Abendluft die Blüten streift, beginnen
sie zu klagen ^) und vollends erregen sie unser Mitleid, wenn
sie, ihrer Farbenpracht beraubt, in den Armen der kalten
Nacht schlafen^); sind sie doch wie Waisenkinder, wenn
ihnen das schöne Licht des Tages fehlt.*)
Im Reiche der Düfte herrscht infolge ihrer Schönheit
die göttergleiche Böse als Kaiserin über die gewöhnlichen
Blumen % die ihre Vasallen sind. ^) In schönen Gärten ruft
der Frühling die Stände seines Reiches, die Blumen, zusammen,
damit sie der Rose als ihrer Königin huldigen, welche, ge-
färbt mit dem Blute der holden Venus, ihren Köuigspurpur
anlegt. ^
An anderer Stelle freilich bezeichnet der Dichter die Lilie,
die schönste, reinste, duftigste Blume, auf deren glänzendes
Gefolge sogar die Sonne neidisch ist, als die ,,Königin der
Blumen^ '^), doch ist diese scheinbare Inkonsequenz leicht zu
erklären : Calderon spielt an dieser Stelle auf die französische
Lilie, Isabella von Bourbon, die Gemahlin Philipps IV. an.
Die Blumen besitzen nicht nur eine Herrscherin, man
unterscheidet bei ihnen auch Adel und gewöhnliches Volk
{nohleza y plebe). So jauchzt der ganze Adel und das gewöhn-
liche Volk der Blumen der schönen Florida zu, wetteifernd
^) QuSjase tma flar constante j Si d aura 8U8 hojat hierCf / Cuando
tl Bol caduco muere j En tamulos de diamanten Ä secr, agr, I, 697 ^
') S. Seite 74, Anm. 3.
*) espira en su luz el dia: j De tantas flores te duele, / Hu^fanas
9in «u hermoüura^ Qal. fant. I, 300^
*) Yo vi en reino de olores / Qtie presidia entre comunes flores / La
deidad de la rosa / Y era su emperatriz por mas hermosa. Vi da I, 9*'
= II, 611 ff. Die Lesart der Aueg. v. 1636, fol. 13 r. •com. ftores» er-
scheint mit Hinblick auf pkbe und plebeya flor (s. u.) besser als H : »es-
cuadron de flores;
*) lucir I Suele entre vasallas flores j La rosa su emperatriz, Mej,
est dl, 241*.
*) esie hermosa jardin / Adonde la primavera / Llamö las flores d
cortes I Para jurar por su reina / Ä la rosa, que, tenida / En sangre de
Venus bella I Purpura viste real, May. encanto I, 397^
') la mas bella / La mas pura, mas fragrante / Flor, la flor de lis,
la reina / De las flores, Casa I, 132».
— 76 —
mit den Vögeln und den Quellen^); der Adel und das ge-
wöknliche Yolk der Blumen und der Quellen begrüßt gar
oft die schöne Dejanira'); auch beruft der Frühling an schön^
gelegenen Plätzen den Adel und das Volk der Blumen zur
Versammlung. ')
In der Sprache der Liebeuden spielen auch die zarten
Blumen eine bedeutende Rolle.
Der Sonne gleich verbreitet die schöne Lisarda Fröhlich*-
kext unter den Blumen, die sich von den Strahlen ihres Glan-
zes nähren und ihr als ihrer Göttin ihre Liebe gestehen ^)y
und weun Ulysses in Circes Armen liegt, so beneiden ihn
selbst die Blumen um dieses Glück ^), denn auch sie wissen,
was Liebe ist*), sie haben eine lebhafte Empfindung für die
Liebe, so daß der Mensch ihnen Liebesleid und Liebeslust
ablernen könnte. ^
Jede Blume hat einst selbst geliebt ^ : Die veilchenblaue
Lilie (Hyazinthe) erinnert uns an den verliebten Hyacinthos,
die Sonnenblume ist Clicie, die Cy presse ist Cyparissus, während
die Windrose die Erinnerung an Adonis, die Narzisse das
Andenken an den schönen Narcissus wachruft.^)
Von der Betrachtung der Blumen im allgemeinen wenden
>) la aclamaron / Toda la nobleza y plebe / De las Horts, al compas /
De las aves y las fuentes, Peor estd I, 100*.
") Deyanira . . . A qmen la nobleza y pkbe / De la» fiores y cris-
tales I Saludaron tantas veee», Tres m. prod, I, 265^
') llamö I Ä cortes la primavera / La noble y pUbeya flor, Purg.
I, 163 ^
*) Vengais ä dar cUegria, / Sol disfrazado » [Lisarda], d estas fiores, /
Que bebiendo resplandores / De una luz qae no se ve, j Como u su diosa,
por fe, I Os estan diciendo amores, Fear estd I, 95^
*) entre tnis brazos / Envidia d las fleree das, M.encanto l, 406 \
•) ^No Henen amar las fiores? Amor I, 378^
^) Antes ddlas aprendi . . . / Las quejas y los favores: YenteflaWa«
fuera error; / Qtie no hay fior aqui delante / Que por haber sido amante j
No se la entienda la fior, / Todas tuvieron amor ,.. Peor estd 1, 95^
') 4 No es este cärdeno lirio / El gue en las selvas de Areadia / Fui
enamorado Jacinto? / f,No es Clicie esta fior del sol, I Y este eipres
dpariso ? I iNo es esta anSmona Adonis, / Y aquel nareiso Narciso ? / Fnss
si en la tierra las fiores . . . Amanj Amor 1, 378\ Zu •Clicie» cf.
Mdgico III, 204 ff. K«, S. 247; zu .NarcisoM ibd. S. 229.
— 77 —
ifir uns seu den einselnen Blumen selbst. Oben baben wir
schon gesehen, daß die rote Rose mit ihrer glänzenden Pracht,
mit ihrem Eönigspurpur, die Herrscherin im Reiche der Düfte
ist. Leider währt ihre Pracht nicht lange; wie allen Blumen
ist auch ihr nur eine kurze Lebensdauer beschieden. Sie er-
wacht am Morgen, um zu blühen, sie blüht, um rasch zu altem,
und findet in derselben Knospe Wiege und Grab. ^)
Der Rose zunächst an Schönheit und Duft steht die
Lilie, die Catderon einmal als „Königin der Blumen** be-
zeichnet *), während er sie sonst als bescheidene Blume schildert,
die tief unten im Tale in stiller Ruhe lebt, imbekümmert um
Wctterstürme und drohende Gefahren.*)
Ferner erwähnt unser Dichter die Sonnenblume, die ihre
Blicke stets der Sonne zuwendet, ziemlich häufig in Gleich-
nissen. ^) So versichert z. B. eine Dame ihrem Galan , sie
werde ihm nie untreu werden, sie sei wie die Sonnenblume,
welche stets die Sonne anbete. ^)
Die Wunderblume, welche nur einen einzigen Tag lebt,
indem sie, ein flüchtiger Duft, beim Morgengrauen geboren
wird, um in derselben Nacht zu sterben, ist für unseren Dichter
das Sinnbild der Vergänglichkeit*); die roten Nelken versinn-
bildlichen die Farbe des menschlichen Blutes, und häufig
finden wir die Drohung ausgesprochen, daß das grüne Gras,
') Ä ftorecer Uu rosas madrugarony
Y para envejecerse flarederon:
Cuna y sepulcro en un hotan haUaron
Frinc. I, 254« = II, 690ff.
•) Casa I, 132*, siehe oben S. 7ö'.
*) en la kumildad de los valles / . . . vive seguro / El lirio que humiide
nace, Saber I, 26»; loa lirios que se humillan^ Virgen I, 335**; die
Parabel vom Mandelbaom und der Lilie, Hombre I, 506% s. oben, S. 73'.
*) Cf. K„ S. 247.
*) siguiendo etemamente / De tu sombra d arrebolj / Sere yo et fhr
del 8ol^ I Que le estä adorando siempre, Castigo III, 380*»; M. monstruo
I, 48ö^
•) maraviüa fria, / Flor que nace con tl dia, / Flor que eon la
noche muercj Cenobia I, 189*^; m. fria, / Cuya edad es el termino del
dia, Lances 1, 'iS''] m. que nace / AI alba^ y muete ä la noche I Como
efmera fragrante^ Saber I, 25 •.
— 78 —
vom Blute der erschlagenen Helden getränkt, zu roten Nelken
werden solle.
Voll Ingrimm ruft der Riese Fierabras aus : Die Blumen
sollen sich in den Bächen menschlichen Blutes spiegeln, und
das bescheidene Gras unter meinen Füßen, das es den roten
Nelken gleichtun möchte, soll Nutzen aus dem Unglücke ziehen ;
der Morgenröte zum Trotze, die mit Tränen und Seufzern das
Gras grün entstehen ließ, will ich, daß es rot verderbe.^)
An anderer Stelle heißt es : Das Gefilde soll, von purpur-
rotem Blute dampfend, im Todeskampfe liegen, so daß der
Himmel denkt, er habe vergessen, andere Blumen als rote
Nelken zu schaffen.^) Oder es sieht, nach einem blutigen
Kampfe, die Sonne die Grashalme des Feldes für Nelken
an, denn sie starben blutigrot, wie sie smaragdgrün ent-
standen waren. ^)
Im Zusammenhange mit dem Garten, mit den Bäumen
und den Blumen betrachten wir am besten, in welcher Weise
der holde
Frühling
mit den Frühlingsmonaten
April und Mai
personifiziert wird; schlägt doch der Frühling gerade in
schönen Gärten seine Residenz auf*), beruft er doch meist
hier die Stände seines Reiches, die Blumen, zur Versammlung. ^)
^) Las flores se han de mirar j En loa humano8 arroyoB / De sangre,
y €8to8 humildes / Cespedes que piso y tocOy / Compitiendo los claveles^ /
Tendran desdichas d log^'O ; / Fues d pesar del aurora, j Que con Idgrimas
y soplos I Quiso que naciesen verdes^ / Qtierre yo que mueran rojos^
Puente 1, 208 ^ Zum Ausdrucke: morir rojo^ cf. ibd. 212*»: Decidme^
plantas, que tnoristeis rojas . . .
') Vea en pdrpura caliente / Agonizar estos campos, / Tanto que los
cielos piensen j Que se olvidaron de hacer / Otras flores que claveks^ Princ.
I, 257" = III, 199 ff. Cf. : anegadas las flores I . . . , con la pürpura hu-
mana I Se olvidan de que nacieron I Azfdes, verdes y hlancaSy Puente
I, 210*.
•) De la lid sangrienta fui / Senor^ la tragedia tanta, / Que d sol
tuvo por claveles / Las hojas de la campana, / Porque murieron coi'ales /
Si nacieron esmeraldas, Argenis Ij 451"; cf. Princ. I, 2ö7** = III, 184 ff.
«) S. oben, S. 70«.
''j yfay. encanto I, 397^ s, oben S. 75«; Furg, 1, 163»»; b. S. 76*j
— 79 —
Gleich den Blumen trägt der Frühling ein grünes Ge-
wand ^) ; aus Blumen wirkt er sich ein huntes Ruhebett. *)
Farbenpracht zeichnet ihn aus, herrlicher Blumenschmuck
ziert ihn, wenn er sich auch erst Yon schönen Damen seine
Farben holen muß und bei diesen Schönen neue Kosen, neue
Blumen kennen lernt, vor welchen selbst seine herrlichsten
Blumen zurücktreten müssen ^) , ja, eine solche Schöne, deren
Purpurwangen prächtigen Rosen gleichen, erteilt ihm selbst
im Schlafe Unterricht, wie seine Blumen beschaffen sein
müssen. *)
Wenn man das spanische Heer gen Breda ziehen sieht,
so glaubt man, die lustige Hochzeit des Winters mit dem
Lenze zu schauen; denn die starren, funkelnden Rüstungen
sehen aus wie Berge von Eis, die buntgefarbten Federbüsche
hingegen gleichen Feldern von Blumen.*)
Wie der Lenz selbst, so zeichnen sich auch die beiden
Frühlingsmonate, der April, „des Jahres Jugend"®), und
der Mai, der König der zwölf Monate, der Gott des Frühlings ') ,
durch ihre bunte Blumenpracht aus.
Gleich dem Frühlinge wirkt sich der April aus Blumen
einen bunten Teppich ®) ; mit den Blumen, seinen Schätzen ^),
hierzu : En la falda lisonjera / Beste tnonie coronado / De ftores, donde
ha Uamado / Ä cortes la primaveray Ä secr. agr. I, 697*.
*) se viste I De verde la primavera, Banda II, 156 ^
•) et catre de las flores / Que tejio la primavera^ Yida I, 12*^ =
II, 1130 f.; ese mullido catre j Que hordS la pr,, Tres m. prod. 1, 274 •.
') la pr., / Comprando stts colores, / Aprendio nuevas rosas^ nuevas
floreSj I Con quien ya las que fueron mos hermosas / Vulgares flares son,
vulgares rosas^ Tres wt. prod. I, 275'.
*) Ariadna . . . / Que duerrne dando lecciones / Ä la primavera her-
mosa I De c6mo han de ser las flores^ Tres m. prod. I, 280v
*) maridaje lozano / Del iyivierno y del verano . . , . Sitio I, 113 •.
•) la juventud del ano, Casa I, 130**.
"^ el mayo genül, / Que es rey de los doce meseSj P. estä I, 100 ^
«/ QuiSn coronarte pudiera
Mayo^ de flores y mieses^
Por rey de los doce meses,
Por dios de la primavera!» Hombre I, 509*.
•) la alfomhra que en el suelo I El abHl ha matizado, Puente
— 80 —
schmückt er Felder und Wiesen aus *) , oder er entwirft die
Zeichnungen am Landhanse, welches dann der Mai mit schönen
Farben bemalt.^) An seinen Festgewändern, den bunten
Feldern und Wiesen, bilden die krystallhellen Bäche einen
glasglänzenden Saum. ^)
Zuweilen auch richtet der April infolge seiner Unwetter
unter den Blumen ähnliche Verwirrung an wie ein schöner
Mann unter Damen, weshalb ihn die Blumen galan nennen ^),
und Ton einer Falle, welche den Eingang zu einem unter-
irdischen Gewölbe verdecken soll, sagt der Dichter, sie sei
so getreu der Natur nachgebildet, daß selbst der April sich
täusche und glaube, er habe die aufgemalten Blumen ge**
schaffen. •)
Dem wärmeren Klima Spaniens entsprechend, spielt dort
der April die Hauptrolle als Frühlingsmonat ^) , während der
Mai in den Dichtungen seltener erwähnt wird.
Der Mai malt weiter aus, was der April nur zu skizzieren
begonnen ^); auch bringt der holde Mai, der König der
zwölf Monate, schönen Damen wie einer Blume seine Huldi-
gung dar.*)
I, 221 ' ; esta tejida alfomhra, / Que de colores diversas / Labrö d abrüf
May. encanto I, 397 ^
^) Los tesoros del abril, Fuente I, 216«.
*) campos que el abril dtbuja, May. encanto I, 407*.
*) esta quinia^ / Q^e pule ya el ahril, y el mayo pinta, Banda n,
169»; Tres m. prod. I, 276«.
*) Los arroyos cristalinoSy / Que d las galas del abril / Son guar^
niciones de vidrio, Amor I, 377''.
^) por deshechos suyos j Llaman galan al abrUy MeJ. estd I, 841 \
^) Una losa de jazmin^ / Con tan buen arte dispttesta, / Que se ha
enganado el abril^ j Creyendo que el le engendrö / El sobrepuesto matiz,
Gal fant. 1, 307^
') Cf. K„ S. 204, zu Princ. I, V. 504.
*j aquesta quinta, / Que bosqueja el abril y el mayo pinta^ Tres
m. prod. I, 276«.
*>) Vi una estdtua de jazmines
Coronada de cluvelts [= FWnda\
Ä quien el mayo gentüy
Que es rey de los doce meses^
For flor jurö^ Feor estd I, 100«.
— 81 —
Das Wasser.
Zunächst müssen einige Stellen angeführt werden, in denen
der esiüo culto sich von seiner schlimmen Seite zeigt.
So sagt der Dichter von einer Dame, die beim Seesturme
an das Land zu schwimmen trachtet : „Im Kriege der Schnee-
massen ringt Erystall gegen Krystall^ ^) , wobei imter Schnee
und Krystall der weiße Arm der Dame gemeint ist, der mit
dem Schnee oder Krystall, d. h. dem Wasser ringt. ^) Oder
es heißt von einer Dame, welche sich zum Bade rüstet: Sie
steckt ihre Füße ins Wasser, und alsbald kämpfen Krystalle
gegen Krystalle in einem Bürgerkriege, d. h. die Dame
plätschert mit ihren weißen Füßen in den Krystallen des
Wassers, den Wassertropfen, herum. *)
Wenn es gilt, ein schnellfüßiges Koß zu bilden, so
helfen alle vier Elemente zusammen. Auch das Wasser ist
dabei beteiligt, denn es verleiht dem Rosse die schneeweiße
Farbe.
El color . . , siendo hla'tico,
Dice el agua: <cParto es este
De mi esfera^ sola yo
Pude cuajarle de nieve.y *)
Bisweilen, wenn das Wasser in kleinen Atomen hoch auf-
spritzt, dann heißt es, es sei auf den Wind neidisch; wie
dieser den Staub aufzuwirbeln vermag, so will auch das Wasser,
daß Stäubchen seinen dumpfen Schaum durchziehen ^) ; beim
Empfange der Infantin Maria in Wien (1631) wird auch ein
Turnier auf der Donau abgehalten, damit nicht bei den Fest-
lichkeiten das Wasser sich dem Lande gegenüber zurückgesetzt
^) En guerras de nieve d nieve j Cristal con cristal pelea^ Lances
I, 43^
«) Cf. ibd. I. 43«: El cristal de sumano, sowie Pasch VII, S. 67^
•) Metio los pif$ en el agua / Y trabaron entre si / Cristales contra
cristaksl üna batalla civilj Mej. estd 1, 241 ^
*) Frinc. 1, 248« = I, 633ff.
•) del viento envidiosa / Quiere que ätomos tamhien / Discurran m«
espuma aorda, Puente I, 221 ^
Mttnchener Beiträge z. romanischen n. engl. Philologie. XXXII. 6
fühle und nicht „neidisch auf die Erde stürbe" ^) , und als
der Dichter sein Schauspiel tEl mayor encanto amor^ auf dem
Teiche von Buen Retiro aufführen ließ, da war das Wasser
recht beglückt, daß es das Theater für zwei Sonnen werden
durfte. 2)
Das Wasser im wunderbaren Brunnen des Heiligtums
darf über eine bestimmte Höhe nicht emporsteigen , da es
hiezu nach der Meinung des Mohammedaners Selim Ton Allah
keine Erlaubnis hat^), das Wasser des kleinen Teiches von
Ontigola hingegen ahmt in seinem Übermute den Wellen-
schlag des Ozeans nach.*)
Reich an personifizierenden Merkmalen ist die bei Calderon
zweimal sich findende Schilderung der Quelle^); es werden
ihr nämlich fünf menschliche Eigenschaften beigelegt.
Sie ist schmeichlerisch, weil sie spricht, aber nicht em-
pfindet; lieblich, weil sie Täuschung erfindet; furchtlos, da
sie laut spricht; sanft, da sie zu schmeicheln versteht, und
„spröde, weil sie davonläuft wie ein schüchternes Mädchen".
Mit helltönender Stimme lädt der Silberquell den 'Wan-
derer ein, krystallklares Wasser zu trinken aus eogem Kelche
von Gold*); mit lieblichem Gesänge feiert der Bach die
Güte des Himmels, der ihm Voll Majestät freies Feld zu
seiner Flucht verleiht'), aber er bedenkt nicht, daß er bei
') el Danubio / Era el circo donde habia / De ser un tomeo de agua /
La fiesta, porque de envidüi / De la tierra no muriesey / Viendo qiie ella
merecia / Siempre en 8u esfera ä sii 8ol . . . Mej. estd I, 226Y*-
') FuS el agxm tan dichosa / En esta noche felice / Que merceio ter
ieatro / De soles [= Philipp IV. und seine Gemahlin}, May. encanto
1,410^
*) No tiene de Aid licencia j Para pasar adeUinte^ Vir gen I, 344 ^
*) ufano entonces / Ese breve mar que imita / Del oc4ano las ondas,
Casa I, 142^
^) Frinc. I, 250^f. = II, 11/20; Amorl, 369\ Text bei Kj, S. 222,
y. Schmidt, S. 252.
*j la plata, j Que le brhido con sonoro / Äcento d beber cristal j En
penada copa de oro, May. mönstruo I, 497'..
') müsico cdebra / De loa cielos la piedad / Que le dan con majestadj /
Abierto campo d »u huida, Vi da I, 2» = I, 157 fi'.; Lesart von Hj. cf.
Kl N. S. 7.
— 83 —
seinem übereiligen Laufe bald seinem sicheren Tode entgegen-
geht. 1)
Preisen die einen das liebliche Gemurmel der Bäche und
Quellen als fröhliche Musik ^)y so sind andere weniger davon
erfreut
Der vom Unglück verfolgte Curcio will weder den Vögeln
noch den Quellen sein Leid anvertrauen, denn jene haben
eine Sprache , und auch diese murmeln, sind also nicht ver-
schwiegen genügt); dem Geheiß der Circe gehorsam sollen
die Bache und Quellen nicht durch ihren Lärm Ulysses im
Schlafe stören:
Bauschen lasse die Krystallen
Keiner dieser Bäche! Schweigend
Rinnet hiu, ihr Quellen! zeigend
Mit gehorsam leisem Wallen,
Wie die Lieb' in mir beschafifen;
Und mit rednerischer Stille
Sagt, wie seine Kuh mein Wille
Heilig achte.*)
Wenn die schöne Mariene am Morgen daherkommt, dann
bringen ihr die Vögel, die Quellen und die Blumen holden
Gruß zur Bewillkommnung ^), und bei den schrecklichen
Liebestragödien, die in einem Garten sich abgespielt haben,
fühlen sich selbst die Quellen und die Blumen zum Mitleid
und zur Teilnahme bewogen : die einen führen statt der Perlen
nunmehr blutrote Korallen, die anderen bringen statt weißer
Jasmine nur noch rote Nelken hervor.®)
*) Ese arrayOj que d morir I Camina con tanta prUsa^ Tres nu
prod. I, 274^
'] con tonos difereniea j Dando mdsica las fuentes^ Judas I, 312 ^
•) Ni las aveSf ni las futntes j Sean testigos bastantes; I Que al fin
las fuentes murmuranj / Y tienen lengua las aves, Dtv. I, 61 ^
*) Schlegel 1, S. 299. No hagan ruido los cristales / De los arroyos^
caüando / Corran las fuentes ^ mostrando / Obedientes y leales / El amor
que en mi se encierra, / Y en retorico sikncio / Digan cudnto reoerencio /
Su descatiso, May, encanto I, 405''.
^) Las aveSj fuentes y flores / La dan dulce parabien, Ma y.monstruo
I, 481 \
•) Tragedias de amor, que pueden j Tanto mover d las flores^ / Tanio
6*
— 84 —
Der Usurpator Lidögenes wird treffend mit einem Bache
▼erglichen, der bescheiden aus dem Meere hervorgeht und,
nachdem er Macht und Ansehen gewonnen, wieder dahin zu-
rückkehrt, nicht um dem Ozeane Tribut und den Lehenseid
zu leisten, sondern um den zu bekriegen, der sein Ursprung
war imd dem er seine Würde und seinen Vorteil verdankt.^)
Weit gewaltiger und majestätischer als der muntere Bach
tritt uns der stolze Fluß entgegen.
Seine Ufer sind starken Achseln vergleichbar, aufweichen
er Befestigungstürme ^) und Häuser mit Leichtigkeit trägt;
nur mit der größten Anstrengung jedoch vermag der Fluß
des grünen Wassers den gewaltigen Bau der Brücke von
Mantible auf seinen Schultern zu halten.')
Bisweilen ist der Fluß höflich und küßt den Städten
und Häusern, die an seinen Ufern liegen, die Füße ^), während
er sonst meist stolz und unaufhaltsam dahineilend'^) seinen
„wasserreichen Übermut" •) zum Meere hinträgt, oder anstatt
dem salzigen Reiche Tribut zu zahlen, es in einer Schlacht
bekämpft.^)
Der Stadt Toledo bringt der Tajo Goldkörner als Hul-
digung dar'); Nil und Tiber müssen dem mächtigen Cäsar
ablandar d las fuentes, / Que las fuentes y las flores / De piadosas y corteses /
Carran por perlas coraleSf I Den por jazmines daveleSf Gal. fant. I, 299*^.
^) Arroyo fiii^ que del mar / Saliö humilde, y adquiriendo f Caindal
y pompa^ volviö, / No d darle tributo y feudo^ / Sino d presentar bataUa /
AI mismo que fu^ su centro, / Y de quien Sl recibiö / La majestad y el
aumento, ÄrgSnis I, 438**.
*) el rio, I En cuyos hombres se asienta / El segundo fuerte real,
Sitio I, 122*.
•) edificio honroso, / Qu« el rio del agua verde / Sustenta sohre sus
homhroSf Puente I, 208«; no sin fatiga suma, ibd. I, 213*.
*) üna quinta . . . cuyos plantas hesa j El rio, Sitio I, 122*;
Vir gen I, 334*; s. unteD, Anm. 8.
*) 6 Quien [podrd] detener de un rio la corriente / Que corre al mar
sobe^'hio y despenado? Fi da I, 14»» = m, 243 f.
*) Su caudalosa soberbia, Sitio I, 122*.
^3 Ikva en vez de tributos I Batalla al saXado imperio, Tres m.
prod. I, 282*.
•) Toledo . . , Ä quien el Tajo, que tus plantas banaj / Gi'anos de
oro tributa por grandeza. Vir gen I, 334*.
— 85 —
Roms demutsvoll die Füße küssen ^), während der Nil, jener
lärmende Hippogryph aus Krj'stall, an anderer Stelle auch
als Vasall des Kiesen Fierabras bezeichnet wird.*) Träge,
langsam verläßt er seine Wiege, doch durch sieben Mün-
dungen haucht er tobend und Schrecken verbreitend sein
Leben aus.*)
Das Meer.
Ungemein häufig finden wir bei unserem Dichter das
Meer personifiziert. So vergleicht er die Wellen des Meeres
vorzugsweise mit krausen Haaren, die, zwar grau und zer-
zaust, bei aller Nachlässigkeit schön sind^); oft kräuselt das
Meer die Locken auf seiner gerunzelten ^) Stirn % und wenn ein
Fahrzeug sanft durch die schmeichlerischen Wogen ^) hinfahrt,
dann sagt der Dichter in einem glänzenden concettOf das Schiff
kämme dem Meere die krausen Haare. ^)
Das Meer beugt sein krauses Haupt vor dem Berge, der,
um es noch mehr zu quälen, ihm im krystallenen Gefängnisse
einen sandigen Kerker anweist *) und dem Mißmute des Meeres
*) 8oy d ünico Cisar / De Roma^ y el Nilo y Tiber / Humildes m%8
plantas hesan, May, motistruo I, 488'.
•) depongo gue sea / Mi vaaallo aquel ruidoso j Hipöyrifo de criatal, /
Que nace en su cuna sordo, / Y espira por Hete bocas / Con escdndaio y
asombrOy Puente I, 208*.
'] Weiter heißt es in einem Bilde vom Bach, der tobend den Berg-
ftbhang heruntereilt: Con poco caudal nos causa / Tal eacdndalo y ruidoj
Que finge d los moradores / Las siete bocas del SilOj Sab er I, 30".
*) los cabellos rizos, / Que canos y ajados son / Hermosos con desa-
lino, May, encanto I, SOS^f.
*) el ceno del mar, Tres m. prod. I, 283''.
•) el copete de su frente riza^ May. monstruo I, 491''.
') Las ondas lisonjeras, ibd. I, 491''.
•) No tan presto d peinar vuelvas / AI mar los cabellos rtzo«, Ma y.
encanto I, 393".
•) La cdbeza crespa humiUa / AI monte^ que le da, para maspena, /
En prision de cristal carcel de arena, Purg, I, 149*», d. h. der Berg
läßt das Meer nicht weiter an das Land herankommen. Vgl. Y como
el mar, tiene 'freno I De arena que la acobarde, Vir gen I, 344**.
— 86 —
trotzend, stets die Wogen zerstäubt zurückwirft, die seine
Grundfesten mit krystallenem Schießpulver bekämpfen ^) ; beim
Sturme dagegen wirft das aufgebrachte Meer seine Wellen
wie Berge hoch empor und runzelt voll Ingrimm seine Stirn *) ;
mit der Gefräßigkeit eines Hungrigen und der Gier eines
Durstigen fordert es dann seine Opfer ^) ; namentlich in seinem
Durste kennt das wilde Ungetüm^) weder Maß noch Ziel:
Es strebt mit durst'ger Gier,
(Sah je das Wasser man so dürsten hier?)
Zu bergen in des Schlundes grausem Naß
So yiele Leute, daß
Grabmäler von Korallen,
Särge von Schnee zu zimmern ihm gefallen
In silberheller Gruft.*)
Doch wirft das Meer, wenn es wieder ruhig geworden,
mitleidsvoll seine Opfer an die Küste aus, da es seine Ver-
heerungen und Greueltaten selbst nicht ansehen kann^); der
weiße Schaum seiner Fluten bildet wiederum an dem blauen
Gewände der Wogen eine schöne silberne Verzierung, die,
weil sie keine bestimmte Ordnung in der Zeichnung einhält,
^) Besiste conslante el ceno / Del tnar^ volvietido deshechas / Lca oXas^
que 8U8 cimientoB / Con pölvora de cristal / Baieny burlando 8U estruendo
Tres M. prod. I, 283^
*] el mar alter ado / En pielagos de montes levantado j Biza la al-
iiva freute, Purg. I, 149 ^
') cuantas [vidas] / Tu hambriento rigor destruye, / Tu sedienta furia
acaha, Lancas I, 43''; mos vidas j Que el mar sediento bebe, ibd.
*) el monstruo fiero del mar, Tres m. prod. I, 271 \
*) Con un furor sediento
(iQuien ha visto con sed tanto elemento?)
En 8X18 entrafias härbaras esconde
Diversas gentea, donde
Ä consagrar se atreve
Sepulcros de cristalj tumbas de nieve
En bovedaa de plata,
Purg. I, 149'; Lorinser 4.
*) el mar / La [= dama] arrojd de sus entranas / Ä estu orilla, per
no ver / Sus eati-agos y vengamas, Lances I, 44 •; el mar la arrojd
piadoso, ibd.
— 87 —
nur um so Bchöner ist^); uod geduldig trägt es wieder die
SchiflFe auf seinen schaumbedeckten Schultern.*)
Der König von Portugal kann daher ganze Städte von
SchiflFen auf den leichten Schultern des Meeres erbauen'),
und Ulysses erzählt, die Meerflut habe ihn lange Jahre auf
ihren Schultern als Gast beherbergt.*)
Auch den Meergott Neptun finden wir bei Calderon
des öfteren erwähnt; mißmutig verzieht beim Seesturme der
wütende Gott sein Gesicht und schüttelt den Dreizack*); er
quält die Griechen im Seesturme •); bisweilen auch gewährt
der Wankelmütige mitleidsvoll dem Seemann gute Fahrt ^)
oder beherbergt ihn lange Jahre als Gastfreund.')
Das aufgeregte Meer wirft bei unserem Dichter fast stets
seine Wogen bis zum Himmel empor.
So wagen sich einmal gen Himmel Berge aus Salz, Pyra-
miden aus Eis, Türme aus Schnee, Paläste aus Schaum*);
ein andermal erheben sich krause Berge aus Schnee und
zackige Gebirge aus Krystall ^®) ; bald streben die aufgebrachten
Wogen danach, Stücke des Himmels zu sein ^^), bald türmen
*) Bianca espuma^ que dl azulj Camdote de aguas hace / Bella guar-
nidon de plata^ / Que sin que al dibujo guarde / El &rdeny es mos hermoso /
Por ser dibujo sin arte^ May, encanto I, 406".
•} naves ..../.... siistenta en sus nevados hombroSf Princ. I,
260' = m, 653.
•) sobre la espalda leve / Del mar ciudades fahrica / De mil armados
bajeles, Princ. I, 2ö7»» = UI, 177ff.
*) Ese piSlago, que sobre / Sus espaldas tantos aiios / Butsped me ad-
miHöj May. encanto I, 393*.
*) saHudo Neptuno j Parece que importuno / Turbo la faz y sacudi6
el tridente, Purg. I, 149«.
•) Sagrado dios Neptuno j / iGriegos ofendas d pesar de Junof^
May. encanto I, 390^
') El inconstante Neptuno / FuS piadoso . , . Arginis I, 449»/*».
*) Huesped vivi de Neptuno I Seis atlos, May. encanto I, 393*.
•) se atreven aJ, ddo / Montes de sal^ piramides de hielo, / Torres
de nieve, älcdzares de espuma^ Purg. I, 149*.
**) el mar . . . / soberbio levanta j Rizados montes de nicve^ / De cristal
Crespos montanas, Vi da I, 18*» = III, 1010 fF.
**) Alterados estos mar es / Ä serpedazos aspiren / De hs cielos^ May.
encanto I, 410\
— 88 —
sich die Wellen wie Berge hoch auf, daß es aussiebt, als
wollten sie die Sonne samt den Sternen auslöschen^), wie
denn auch sonst die Meeresfluteu, stöhnend unter der schweren
Last der Schiffe, den Ehrgeiz hegen, es in ihrem Übermute
den Felsen gleichzutun, sich hoch aufzubäumen, sobald sie sehen,
daß ein Schiff über das blaue Gefilde ihrer salzigen Ejrystalle
dahingleitet.*)
Eine üppige Phantasie entfaltet der Dichter, wenn es
gilt« einen Sturm auf dem Meere zu schildern ; bald kämpfen
Land und Meer, aufs äußerste erregt, mit der höchsten Gewalt
gegeneinander*); bald schwellen die Wogen vor Zorn, und
das Meer, ein Nimrod der Winde, türmt Berge auf Berge,
und Städte auf Städte^), oder möchte, einem zweiten Atlas
gleich, den Himmel selbst stürmen.^) Bisweilen auch wirft
das Meer wie zum Hohoe die Munition seiner Tiefe, Muscheln
und Perlen, ans Land und beschießt aus krystallenen Feuer-
schlünden die nahen Städte, so daß diese in ihren Grund-
festen wanken.®)
Der Wind.
Der Wind, ein flinker, hurtiger Gesell, gilt auch bei
Calderon vor allem als das Sinnbild der Schnelligkeit. So
^) el mar se queja^ / Montes sobre montes fucron / Las ondaSj cuya
eminencia j Mo ja al gol, porque pretende / Apagar las luces bellas, Purg,
I, 150"; — el mar se altera, j Que parece q\ie «i*a ondas / Van ä apagar
las estrellas, Cenohia I, 199^; ÄrgSnis I, 464^
*) las ondas / Gimiendo del peso grave j Con amhicion de penascos /
Blasonan, ctuindo arrogantes, / Ven por ki campana azul / De sits aalobres
cristales / Vagar un volcan deshecho .... May. encanto I, 406*.
•) con fuerza mayor j Tierra y mar en siis extremos / Luchan con
violencia suma; j Y il que sus furios dtsata^ / Montes fabrica de plata, /
Torres levanta de espuma, Lances I, 43 ^
*) Enojdronse las ondas, / Y el mar, Nembrot de los aires, / Montes
puso sobre montes, / Ciudades sobre ciudades, May. monstruo I, 482*':
cf. Schack in, S. 84.
*) Todo el reino de cristal, j Monstruo de vidrio, gigante / De zafir,
es nueve atlayite j De la esfera celestial, Lances I, 43 ^
•) De trabucos de cristal / Combatidos sus cimientos / Caducaron las
ciudades / Vecinas, y por desprecio j Tiraba el mar d la tierra, / Que es
municion de sus senos, / En sus nacares las perlas, Purg. I, 152 •.
— 89 —
laufen schnelle Pferde fast stets mit dem Winde um die
Wette ^), oder übertreffen ihn sogar an Geschwindigkeit, und
auch der Gedanke des Menschen hält mit dem Winde gleichen
Schritt^), ja, ist sogar noch rascher als der Wind.
Becht anschaulich finden wir an einer Stelle den Wettlauf
mit dem Winde beschrieben:
Der Ritter Guido, der aus dem Lager des Fierabras
entflieht, hält anfangs mit dem schmeichlerischen Zephir
gleichen Schritt, doch mitten im Laufe geht dem Winde der
Atem aus, so daß er erschöpft zurückbleibt und bekennen
muß, daß das Roß geschwinder sei als er.^)
Im Vergleiche zu schnellfüßigen Rossen ist also selbst
der behende Zephir^) träge '^); versieht er doch die Pferde
mit Flügeln, gleichen sie ihm doch so sehr an Behendigkeit,
daß ihnen die Sporen geben Schimpf bedeutet und nicht Auf-
munterung *) ; ja, wenn dem Winde von einem feurigen Renner
berichtet w^ird, hört er auf, Element zu sein, um ein so
schönes Tier zu werden.')
Häufig nennt unser Dichter schnelle Pferde deshalb „die
Söhne des Windes" ®), „die rasche Ausgeburt der Luft", „den
beseelten Zephir" •), oder auch „die Söhne des Windes und
^) Vidal, If.; ün bruto veloz, y d pensamiento I Van corriendo
parejds en el viento, Puente I, 205 ^
") Su pensamiento / Va corriendo parejas con el vientOj Vir gen
I, 329»; Puente I, 205^ s. ob. Anm. 1.
•) Igual pareja corri6 / Con el aura lisonjera, I Y en medio de la
carrera / Tan atrds se la dejo, / Qmc publica sin aliento, / Que confiesa con
desmayOj / Qtie aquel prodigio violentOj / Si hay rayo con alma, es rayo, /
Si hay viento con cuerpo^ es viento, Puente I, 221».
*) el cifiro satil, Arginis I, 454 ^
*) El cefiro es perezoso / Con ese cabaüo, Gal. fant. I, 302".
•) dos cahallos / , . . cuya lijereza / El viento calzo de pluma : / Tan
kijos suyoSj que fuera j La espuela manchar en ellos / Desprecio, y no
diligenda, Gal. fant, I, 297*.
') un cahallo tal / Que informado du el viento / Dejo de ser elemenio /
Por ser tan hello animal^ Astrdl. I, 573 •.
8) hijo{s) del viento, Princ. I, 248« = I, 629 f.; Purg. I, 152»;
Lances I, 40^
») Veloz ahorto del aura, Fi da I, 18» = III, 937 f.; el cifiro ani-
modo, Cen, I, 189* j cf. K^, S. 149.
- 90 —
des Gedankens" ^), wie er an einer Stelle schnellsegelnde
Schiflfe als „Töchter des Windes" -) bezeichnet.
Bisweilen laufen auch Menschen so rasch^ daß sie dem
Winde Fesseln anlegen könnten *), oder daß im Vergleiche
zu ihrer Schnelligkeit der Wind ein unbedeutendes Element,
und auch der Gedanke schwerfällig wäre.^)
Wie das Meer, so wird uns auch der Wind als zornig,
wütend und wankelmütig*) geschildert.
Voll Ingrimm schüttelt der Südwind die Ähren des Ge-
treidefeldes •) ; tobend verkünden sich die Winde gegenseitig
fürchterlichen Krieg ') ; das auf dem Meere fahrende Schiff
ist der Willkür der Winde und der Wogen preisgegeben®),
wie überhaupt der Seefahrer den Winden auf Gnade oder
Ungnade sich anvertrauen muß •) und nur auf dem Lande
vor ihren Wutausbrüchen sicher ist^^); hier darf er glücklich
über den Zorn der Wogen und der Winde triumphieren.^*) ,
Bei Stürmen auf der See spielen die mörderischen Winde
und Wogen dem Menschen übel mit.*^)
') DoB cabdUos . . . dir6 dos onzas / Hijas del viento, aunque mos /
Del pensamiento se nombrany Purg. I, 156 »f.; un cahallo . . . Tan veloz
hijo del vientOj / Qiie del mismo pensamiento / Concepto le imaginij Vir-
gen I, 343».
*) hijas del viento, Sitio I, 111 ^
•) pone dl viento lazos j Su gran veloddadj Vir gen I, 329'.
*) El vientOj st le comparas / Conmigo^ es corto elemento / El pen-
samiento es pesado, Argenis I, 439»; Ä secr. agr. I, 595 •.
*) de los vientos / La repetida inconstanciay May. encantoly 404 •.
•) el desden / Del noto, cuando sacude / Las espigas de una mits^
Puente I, 217'.
^ bramando publican / Entre si dura guerra, Judas T, 324*.
*) Tome pues al dibedrio / De aire y mar la nave^ May. encanto
I, 393«.
•) d la discrecion / De los vientos, May. encanto 1, 396*; 409'; La
discrecimi de los vientos j Es quien la {seil, nave) trae y Ueva^ Tres m.
prod. I, 269*.
**^) libre del ultraje I Del viento^ Arginis 1, 437*.
^*) contento / Ptieda en la tierra triunfar / De la cdlera del mar / Y
de la Sana del viento, May. encanto I, 392 ^
**) Homicidas los mares y los vientos, / Hoy sei'än nuestra ruina,
May. encanto L 390'.
— 91 —
Der Wind bekriegt das Schiff und läßt es oicht ans
Land herankommeo, sondern treibt es immer weiter vom
schützenden Hafen weg^); der Gott der Winde befreit diese
aus ihrem Kerker, damit sie dem Meere in seinem Zer-
Btörungswerke beistehen, nnd sie fallen ohne Hecht nnd
Gesetz über das Schiff her, das mit seiner Trompete sich
selbst den Schwanengesang singt.*)
Ahnlich erzählt uns Ulysses, daß die Göttin Venus, über
die Griechen erzürnt, den Winden den Kerker geöfl&aet habe,
und diese, bereit, den Ulysses zu verderben, voll Wut die
gebrechlichen Fahrzeuge der Griechen angefallen hätten.*)
Ein besonders anschauliches Bild von dem Toben und
dem bösen Spiele des Windes erhalten wir aus dem Berichte
des Ludovico:
— so wütend sich erhebend
Uns grausamer Sturm erfaßte,
Und uns züchtigte so schrecklich,
Auf den Bergen, in dem Meere
Ringsum tobend so verheerend.
Daß zum Übermut des Meeres
Lächeln mußten selbst die Berge/)
Doch nicht immer wütet der Wind so grausam in der
Natur: verkündet er doch bei allem Heulen und Toben die
Größe Gottes, der ihm Leben und Bewegung gibt*); -raubt
*) le8 hace gv^erra, / Y , , no les da lugar / Para poderse acercar /
ün mento que de la tierra I Los aparta, Lances I, 43 ^
•) el dio8 de los vientos los desata I De la prision que asisten, / Y
ellos sin Uy y sin aviso embisten / Ä ese bajel^ cxiyo darin sonaba, / Cisne
que sus exequias se cantdba, Purg. I, 149®.
•) Venus^ del griego ofendida . . .
La cärcel ahrio ä los vientos,
Para mi agramo veloces ....
Ellos que airados embisten
La fragil armada rompen, May. encanto 1,393**/^.
*) enojado et viento / Nos amenazo cruel / Y nos casiigd soberbio, /
Hadendo en niontes y tnares / Tal estrago y tal esfuerzo / Q^e estos hi-
cieron donaire I De la soberbia de aqv^lloSy Purg. I, 152 •; Lorinser
TV, 31.
•) i El viento / En los ecos repetidOy / No publica qut haheis sido f
Autor de su fnovimiento? Purg. I, 154 •.
er auch, unhöflich wie er ist, der Wiese die bunte Farben-
pracht^), so kann er sich auch höflich zeigen, wenn er einen
Liebhaber begünstigt, der nächtlicherweile seine Geliebte be-
suchen will.^) Mit schmeichelnder Zunge löscht er dem einen
das Licht aus, während er es dem anderen zu neuer Glut ent-
facht^); bisweilen belauscht er die GrespräclüSL der Menschen
und plaudert sie weiter*), weshalb die Menschen mit ihren
Worten nie vorsichtig gering sein können.*) ^
Macht auch der Wind, wenn er feindlich gesinnt die See-
fahrer anfallt, mit seinem Ungeftüj]^ genug Mühe und Plage®),
so treibt er doch mitleidsvoll die Schine vorwärts '), die in
seinen starken Armen dem Ziele zustreben ^), und der schlaue
Jäger macht sich den Wind zinsbar, indem er ihn über die
Richtung des Schusses täuscht.*)
Im Gegensatz zum schnellfüßigen, tobenden Winde, dem
Sinnbilde der Geschwindigkeit, zieht die träge Luft langsam
und unhörbar dahin ^^) ; gleich dem Sonnenlicht ist sie überall
zu finden, nur in ganz abgelegene Stellen des Waldes kann
auch sie nicht eindringen, sondern muß außen lauschend und
Stille gebietend stehen bleiben.^ ^)
^) Deaortes el viento al prado I Eoba hermosura y colores, Judas
I, 311«.
*) El viento apenas se mueve / Que parece que cortes / No murmura
de tu engafiOj Judas I, 322 •.
•) La Ungua de los vientos lisonjei'a / Matarte la luz pudo / Y darme
luz d mi, Medico I, 369'' = II, 985flF.
*) iHabla por Ventura el aire? Afddtco I, 363« = III, 597.
*) CallUj calla^ no pronuncies / Otra razon, porque tenio j Que los
vientos nos escuchetij Medico I, 353** = 11. 18 ff.
•) violento / Para enemigo basta y sobra el viento, Argenis I, 446«.
") los vientos / . . . piadosos hasta aqxn / Kos derrotaron^ Argenis
I, 454«.
^) En los brazos de los vientos^ Argenis I, 442 **; 462*'.
•) El astuto cazador / No adonde la caza estä / Pone la mira, ad-
virtiendo / Que para que el viento peche / Le importa enganar el viento^
Banda II, 157«.
^®) apenas el aire / Que corre con iardo curso / Nos sienta^ Vir gen
I, 333».
**) una oculta / Parte^ murada de troncos, / Tanto que aun no pcwe-
traba / El aire que por defuera j Le andaba acechando, solo / Como para
hacer silencio, / Ceceando en suspiros roncos^ G a l. fa n t. I, 302 **
— 93 —
Zum Schlüsse ist noch auf die bei Calderon ziemlich
häufig sich findeude Redeusart: lisonja del aire, Iwonja del
viento hinzuweisen.
Von den im Winde lustig wehenden Fahnen, wie von
den geschwellten Segeln heißt es, sie buhlen schmeichlerisch
mit dem Winde*), und die befiederten Pfeile sind „giftige
Vögel, die beseelt, doch ohne Leben, mit der Luft kosen^.*)
Feuer und Licht.
Li einigen wenigen Stellen werden Feuer und Licht per-
sonifiziert.
Das Feuer, das, wie ein blutiger Henker*), unbarm-
herzig alles yernichtet, hat bisweilen Mitleid mit dem Menschen
und tut ihm nichts zu leide ^), so daß der spanische General
Don Fadrique den Bewohnern von Breda, drohen kann, mehr
Mitleid habe das Feuer als sein Schwert.*^)
Derselbe General mäßigt sich aber, als eine schwache
Frau ihn um Gnade anfleht: Ich will an Höflichkeit nicht
jenen züngelnden Flammen nachstehen, die mir hier verkünden,
welche Achtung sie vor Euch haben.
No he de ser menos cortis
Que, esias vividoras Uamas,
Que ine estän didendo aqui
El respeto que te guardan,^)
Gleich dem Winde und dem Wasser verkündet auch das
Feuer das Lob Gottes ^, und selbst wenn es mit gieriger
*) Una hlanca handera j Con los vientos lisonjera, Sitio I, 125 •;
Virgen I, 337»; loa velas I Que son del viento lisonja^ Princ, I, 246«
= I, 266f.
•) loa venenosaa aveSj / Que con almas y ain vidas / Fuiron lisonja
del atrc, Fuente I, 214 ^ Zu dieser Kedensart cf. K^, S. 195.
•) fuij Sangriento verdugo el fuego, Ä secr. agr. I, 609 ^
*) Enire las Ilamas estuve / Libre^ sin que me ofendieran / Y adverti
despues, dudando / Que haya en el fuego clemencia^ Dev. I, 55^; lapiedad
del fuego, Sitio I, 113^
*) Mas piedad I Tiene el fuego que mi espada, Sitio I, 114 •.
•) Sitio I, 114^
') El fuego y el agua luego, j i Aldbanzas no os previenen^ / Y para
este efecto tienen I Lengua el agua y lengua el fuego? Purg. I, 154 »f
— 94 —
Flamme der Welt den Krieg verkündet, d. h. mit dem Blitzstrahl
uns zu vernichten droht, stößt es dumpfe Elagetöne aus.^)
In vielen Fällen ist bei unserem Dichter das abstrakte
lux identisch mit dem konkreteren Begriffe ,, Sonnenlicht '^ oder
„Tageslicht^, wie denn Calderon zwischen sol, dia und lux
nicht immer streng scheidet und oft das eine für das andere
setzt.
Schon oben haben wir gehört, daß zum finsteren Turme
Sigismund's nicht einmal das Licht gelangt, da die plumpen
Steinsäulen der Berge und Felseo ihm den Zutritt verwehren^) ;
schöne Damen wetteifern oft mit dem uns blendenden Lichte
an Beinheit und Glanz ^) oder werden geradezu mit dem hellen
Tageslichte identifiziert.*)
Das Licht der Abenddämmerung, das sich nicht mehr
recht zu zeigen wagt, nennt unser Dichter medrosa luxj furcht-
sames Licht. ^) Li diesem Ausdrucke liegt wohl noch eine
Fers, vor, hingegen ist hices desmayadas, ohnmächtiges, blasses
Licht®), als verblaßte Fers, anzusehen. Doch finden wir an
einer Stelle die letzterer Bedewendung zugrunde liegende An-
schauung weiter ausgeführt; es sagt nämlich Bosaura vor dem
spärlich erleuchteten Gefängnisse Sigismund's stehend: Ist
denn nicht jener trübe Schimmer, jener bleiche Stern dort
ein kleines Licht, das wie ein Ohnmächtiger zitternd mit
flackernder Flamme seine Strahlen verbreitet?^)
Häufungen.
An manchen, meist hochpoetischen Stellen werden die
vier Elemente, oder verschiedene Naturobjekte, oft auch in
*) Quejase el fuego, si tticierra / Rayos que dl mundo hacm guerra,
Ä secr. agr. I, 597 ^
*) Viddl, b^ = I, 740 ff., siehe oben, S. 19».
') Stt . . . / celebrada hcrmosura, / Que en competencia ae atreve /
Ä la luz que nos fatiga, Lances I, 41*.
*) es luz del dia / Aurora (= Name einer dama\ ibd. I, 41 ^
^) Vi da I, !»> = I, 52.
«) Fuente I, 217^
^) i No es hreve luz aquella / Caduca exhalacionf pälida estrella j Que
en tremulos desmayos j Pidsatido ardores y latiendo rayos^ j Hace mos tene'
— 95 —
VerbinduDg mit Menschen und Tieren, zusammen genannt, um
einen dramatischen Effekt hervorzurufen; es sind dies, wie
Schack^) bemerkt, „deklamatorische Stellen, die ganz wie
rhetorische Kunststücke angelegt sind^.
Da solche Stellen nicht in ihre einzelnen Bestandteile
zerlegt werden können, ohne in ihrer Gesamt Wirkung ein-
zubüßen, so müssen wir sie hier eigens betrachten.
Die unter sich uneinigen Elemente, Meere, Feuer, Erde
und Winde, verkünden das Lob Gottes^); die entfesselten
Elemente, Wasser, Feuer, Luft und Erde, sollen, der Auf-
forderung der Cenobia gemäß, voll Rachegefuhl die Feinde
in blutigem Kriege bekämpfen '), und wie später der römische
Kaiser Aurelian ihren Klagen gegenüber taub bleibt, so ruft
dieselbe Cenobia verzweifelt aus, sie werde ihr Unglück den
Winden, dem Himmel und der Erde vorbringen, der Luft
ihre Seufzer und dem Meere ihre Tränen geben.^)
Curcio erkennt in der wildesten Gegend des Gebirges
die Stelle, an welcher er vor Jahren seiner Gattin hatte den
Tod geben wollen: „Jede Blume erfüllt mich mit Schrecken,
jedes Blatt mit Schauder; jeder Stein sieht mich seltsam an,
vor jedem Baumstamme hab' ich Angst, jeder Fels sucht
mich zu erdrücken, jeder Berg bedroht mich, denn alle sind
Zeugen einer so ruchlosen Tat" *) ; Octavian hört den Lärm
von Trommeln und Trompeten und glaubt, die Natur trauere
mit ihm in seinem Schmerz um den Tod der Marlene:
brosa I La oscura habitacion con luz dudosa?^ Vida I, 1" = I, Soff.
Cf. Kj, S. 43 die zu dieser Stelle gegebene Erklärung.
>) III, 93f.
-) Los discordes elcmentos / MareSy fuego, tierra y vientos / 1 No pub-
lican vuestros lörea? Furg. I, 154*.
') FMiquen sangrtenta guen-a / Con mortales sentimientoa j Tur-
hctdos loa elementoa j Ayua, fuego, viento y Heira^ Cenobia I, 194'.
*) *iAun sin verme me dejas? I Pues con ecos veloces j Dari d los
vientos voces / Dave d los cielos quejas / Dave d la tierra espanto / A los
aires suspiros^ al mar llanto.^ Cenobia I, 198*.
*) no Kay flor que no me asombre, / Xo hay hoja que no me espante, /
No hay piedra que no me admire, / Tronco que no me acobärde^ / Fenasco
que no me oprima, / Monte que nd me amenace, j Forque todos son tes-
tigos I De una hazana tan infame. Devocion I, 61*.
— 96 —
Ob die Himmel,
Ob die Berge, ob die Haine,
Ob die Winde, ob die Meere ....
Nicht vielleicht begehn, mitleidig.
Dieser hingewelkten Schönheit
Wiederholte Leichenfeier?*)
Den Tod seiner Geliebten sollen dem Wunsche des
Lotario gemäß Himmel, Sonne, Mond und Sterne; Erde,
Wind, Feuer und Wasser betrauern*); Menschen, Tiere,
Himmel, Berge, Tag und Nacht, Sonne und Mond sollen auf
die Worte des Ludovico hören und zittern bei seinem Namen.*)
In Anreden ist bei Calderon die Häufung besonders be-
liebt, wie er sie auch anwendet als Zusammenfassung der Tor-
hergehenden einzelnen Anreden an Menschen, Tiere, Himmels-
körper und Naturobjekte, eine Stileigentümlichkeit, welche
Schack*) und Krenkel*), sowie Pasch®) mit Recht her-
vorheben.
So finden wir im Principe eonsiante die kurzen Ansprachen,
die der standhafte Prinz an den König, an seinen Bruder
Enrique, an die Christensklaven, an die Mauren, sowie an
Himmel, Meer, Berge, Wind^ und Erde hält ^, gleichsam zur
Bekräftigung nochmals zusammengefaßt in den Worten:
Porque rey, Iiermano, moros^
Cristianos, sol, luna, esireüas,
CidOy iierra, mar y mento,
FieraSf monteSj todos sepan *)
^) i Si los cielos, / 8i los montes^ si las selvaSf / Si los vientoSy si los
mares . . . Compadecidos celebran / De esa difunta hermoswa / Bepetidas
las exequias? May. monstruo I, 487*.
*) Lloren aquesta desgracia / Cielo, sol, luna y estreUaSf / Tierra,
vientOf fuego y agwi^ I Y yo mos que todos llorCf Lances I, 43*.
') atiendan ä mi voz / Hombres, fieras, cieloSf montes, / Dto, noche,
luna y soly Purg. 1, 164*; — Homhres, fieras, monteSj globos / CeksHaUs,
penas duras, / Plantar tiemaSj secos olmos, / Yo soy Ludovico Enio^ /
Temblad ä mi nombre todos^ Purg. I, 162 ^
*) m, 93 f.
») Kj, S. 230.
^ Pasch I, S. 173'; 11, 101».
') Princ. I, 253» = H, 415—436
8) Princ. II, V. 437—440.
— 97 —
und ebenso energisch bekräftigt Estela von Salyeric ihre
Sache in einer von geschmacklosen Häufungen überladenen
Stelle, die Schack als Beispiel anfuhrt.^) Um noch ein Bei-
spiel dieser Art zu geben: in der Stelle A secr. agr,
ly 597^ finden wir die vorhergehenden Gleichnisse folgender-
maßen zusammengefaßt:
se quejan monte, piedra,
Ave, floTj eeOf sol, hiedra,
TroncOy rayo, nuxr y viento.
Mariene ruft Himmel, Sonne, Mond und Sterne ; Gestirne
und Himmelszeichen; Berge, Meere, Bäume und Pflanzen;
Menschen, Tiere, Vögel und Fische zu Zeugen ihres Groß-
mutes, aber auch ihrer Rachegedanken an *), wie auch Ariadne
die Tiere des rauhen Berges, die Vögel der sanften Lüfte,
die Bäume des grünen Waldes, die Wellen des klaren Flusses,
die Blumen des lieblichen Gartens, die Planeten der blauen
Himmelssphäre, die Sterne des hohen Himmelsgewölbes, die
schaumigen Wogen des weiten Meeres und die Weltteile zur
grausamen Bache auffordert.')
Am Schlüsse der Betrachtung der Naturgegenstände an-
gelangt, wollen wir uns noch umsehen, in welcher Weise Cal-
deron die Natur selbst, la docta naturalexa, personifiziert.^)
Mit ihrem lieblichen Pinsel bemalt die Natur Himmel
und Erde prächtig blau und grün*); die Tiere haben ihrem
gelehrten Pinsel die schönen Streifen und Flecken auf dem
') Amor I, 383V, ». Schack ÜT, S. 93f.
') d ver lleguen / Cieh^ sol, luna y estreUas, / Aatros y Hgnos celeatea^ I
MonteSy mores, troncos, plantas^ / HombreSy fleraSj aves, peces, / Que como
reina perdonCf I Y como mujer me vengue! May, monatruo I, 494 *';
diese Aufzählung fehlt in der Ausg. v. 1637.
*) Fieras deste inctUto monte, j Aves desoa blandos aires / Troncoa
dese verde hosgrue, / Ondas dese claro rio, / Deste ameno jardin flores, /
Luces desa azul esfera, / Estreücu dese aUo mdml^ / Espumas dese ancho
mar, / Partes que haceis todo el orbe, I Ä la venganza os convido, Tres
m. prod. I, 281^
*) Siehe K„ S. 45.
*) mos colores / En verde y azul papel / Que dibuß en cielo y tierra /
El apacible pincel I De naturakza, Castigo III, 388»,
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXII. 7
i
— 98 —
Fell zu verdanken^); schöne Pferde malt der Meisterpinsel
der Katur mit besonderer Sorgfalt*), und wenn die Natur
ihren Pinsel zweimal verwendet, so pflegt sie aus einer Guß-
form zwei verschiedene Gebilde hervorzubringen.')
Eine schöne Dame ist das Vollendetste, was der Pinsel
der Natur hervorzubringen vermag^); ja, bisweilen kann die
Natur mit ihren feinen Pinseln die Schönheit einer Dame
nicht nachbilden und gibt voll Arger die Hoffnung auf, je-
mals wieder etwas so Vortreffliches schaffen zu können: Da
ich mich nicht übertreffen kann, so achtet man mich nicht
mehr, denn ich kann nichts Schöneres mehr hervorbringen,
seitdem ich dieses Wunderwerk geschaffen.^)
Bisweilen tritt die Natur mit der Kunst in erfolgreichen
Wettbewerb.
Ist die Kunst auch bestrebt, in schön gepflegten Gärten
der Natur vorauszueilen®), so nimmt wiederum die Natur sich
vor, die schönen Landschaftsbilder des Gartens, welche die
Kunst zeichnet und ausschmückt, durch die Schatten der
Nacht auszutilgen.'^
Im Parke von Aranjuez, an einer mit prächtigen Statuen
gezierten Quelle sieht Don Felix eine schöne Frau, die stumm
und regungslos sich im Wasser betrachtet, so daß man nicht
glaubt, sie sei ein lebendes Wesen, während die Statuen um
sie herum so lebenswahr sind, daß man nur wartet, bis sie
^) la piel I Qae dibujan manchas hellas . . . Oracias al docto pincdf
Vida I, 2* = I, 133ff.
*) un caballo hertnoso / Ä quien el docto pincel / De natwraleza hizoj
Con mos estudio^ Lances I, 40^
•) en una estampa j Swle duplicar y hacer j Dos fonnas naturaUza /
Con repetido pincelj Homhre I, ölO*.
*) El mos düatado amago f Que hizo el natural ffineel, Lances
I, 40 Y.
') Corrida natwraleza / De Siks pinceles sutiles / PerdU la esperanza,
viendo / Que imitartt era imposible, / Y dijo : •Pues ya no puedo / Ex-
cederme^ no me estimen; / Que ya no tengo q%te hacer ^ / Despues que este
asombro hice*, Äströl. I, 574*.
^) adelantarse en II (scÜ. jardin) quiso j El arte d lo natural^ Amor
I, 377 ^
^ el natwral presume / Yencer hermosos paises / Que el arte dibuja
y pule, Medico I, 363» = II, 36ff.
— 99 —
zu sprechen anfangen. Da scheint die Natnr zur Kunst zu
sagen : „Rühme dich nicht, als könntest du hier den Tod mit
größerem Erfolge Lügen strafen wie ich das Leben, denn,
da wir in den entgegengesetzten Fähigkeiten einander gleich
sind, kann ich eine Statue bilden, wie du eine Frau schaffen
kannst; so sieh eine Seele ohne Leben, hier wo die Marmor-
statuen belebt sind." ^)
Kapitel n.
Die Personifikation Ton TeUen des mensehliehen Körpers,
sowie Ton Anßernngen und Zuständen seiner sinnliehen
und seelischen Existenz.
Die Teile des menschlichen Körpers.
Wenn wir in der Betrachtung der einzelnen Körperteile
in systematischer Ordnung von oben nach unten gehen, so
treffen wir zunächst auf einige wenige Fälle, in welchen das
Haar personifiziert wird.
Vom Haare der schönen Flora, das aus den Fesseln des
Elfenbeingefangnisses, d. h. den Bingen aus Elfenbein, befreit
und seines Blumenschmuckes beraubt, frei herabwallt, sagt
ihr Galan : es sei der Sorgen des Tages ledig ^) ; das goldhelle,
') Estaha en la primer fuente .... Una mujer recostada . . . . / Tan
divertida en mirar / Su kermosura en el estanque / Estabüy que puse duda /
Sohre jt es mujer 6 imagen; / Porque como ninfas hellas / De plata brunida
hacen / Quarda ä la fuente ^ tan vivas, / Que hay quien espere que hohlen;!
Y ella miraba tan mu^ta^ / Que no pudo esperar nadie / Que se pudiese
moveTf I La naturaleza al arte / Mepareciö que deda'.j *No hlasones, nö te
alabes / De que lo muerto desmientes / Con mas fuerza en esta parte, / Que
yo desmiento lo vivo; / Pues en lo contrario igualeSj / 8i hacer una estatua
yOj 1 8i hacer tu una mujer sabes, / 0 mira un alma sin vida / Donde estd
con vida un jaspe.» Casa I, 1307131V
") Desenlazo las sortijas / De la prision de marß I ... De los
7*
— 100 —
Tom Schmuck befreite Haar der Mariene fordert an Glanz
selbst die Sonne zum Wettstreit heraus^); der Bauer Tosco
freilich entwirft uns in seiner derben Schilderung von den
Eeizen der Estela ein weniger erfreuliches Bild:
Wenn sich Estela ihren falschen Haarzopf aufsetzt, dann
glaub' ich sagt das darunter liegende echte Haar zu ihm:
Der du mich als Märtyrer siehst, der die Qualen des Kräuseins
aushalten muß, fall' nicht herunter, halte dich fest an, sonst
könnte es dir leicht wie mir ergehen:
Y cuando . . .
El mofio se estd poniendOf
Pienso que le estd didendo
El cabeUo que hay debajo:
€Tu que me miras d mi,
Martir de rixado useo,
No te caigaSf tente en ti;
Que cual tu te ves mi vi,
Verdate como me reo.»*)
Ungemein häufig werden die Augen personifiziert.
Wie wir im Deutschen sagen, die Augen können sich an
etwas Schönem nicht satt sehen, so heißt es im Spanischen:
die Augen dürsten, los qjos iienen sed.
So sagt der König, der die schöne Estela bewundert: Den
Lippen geh' ich Wasser, den brennenden Durst aber fühle
ich in den Augen; sie sind noch durstiger als mein Mund.*)
Der Dichter geht im Bilde von den dürstenden Augen
noch einen Schritt weiter und nennt sie qjos hidröpicos, wasser-
süchtige Augen, da sie gierig die Reize schöner Damen in
in sich einsaugen. Es erklärt der Galan Enrique, die schöne
cuidadoa del dia / Ya ahsudto d cabello vi, / Siendo ociano de rayos . . .
Mej. estd I, 241».
^) desafia / AI sol esplendor tan hello / Desobligado el cahello / De
lo8 adornos del din^ May. tnofistruo I, 499""; für loe adomoe liest
die Ausg. v. 1637 f^las prisiones», fol. 162 r, 1. Spalte.
«) Amor I, 377»; vgl. Schmidt, S. 262.
•) Tieften sed labioa y ojps . , , Ya doy el agua d los lahios / Teniendo
el fuego en los ojos . , , . Äla boca el agua üevo, j Y m« ojos me la dan, /
Que ya con mos sed estdn^ Amor I, 369».
- 101 —
Olori sei der Magnet gewesen fär seine durstigen Augen, die
Strahl um Strahl Glanz und Glut der Geliebten getrunken
hätten^), und Sigismund glaubt beim Anblicke der Bosaura,
seine Augen litten an der Wassersucht, denn obwohl sie
wüßten, daß das Trinken ihnen den Tod bringt, so tränken
sie doch immer mehr.^)
ungemein häufig wird den Augen eine Sprache beigelegt,
drücken sie doch in stummen Worten aus, was die Seele
fühlt'); ja, sie reden oft eine eindrucksvollere Sprache als
die Lippen^), und der Mensch kann mit dem Munde nicht
verheimlichen, was die Augen offen bekennen^); selbst wenn
der Mund schweigt, so sprechen dennoch die Augen.®)
Astolfo erklärt der Bosaura, sie verstehe es schlecht,
sich zu verstellen, da ihre Augen ganz anders sprächen als
ihr Mund'); was hilft dem Menschen auch das Verstellen,
wenn die Augen mit ihrer krystallenen Sprache, den Tränen,
nur um so deutlicher reden?*)
Zuweilen werden die Augen zu Dolmetschern in der
Liebe*), doch wer kein Gefühl für die Liebe hat, versteht
^) fu6 Clotri el 9ol hello / Luciente iman de los ojos / Qu« hidröpicos
se bebieron / Bayo ä rayo mejor sol / Luz d luz mejor incendiOj Banda
n, 157*.
") Ojos hidröpicos creo / Que mis ojos deben ser; / Fues cuando es
muerte el beber, I Beben mos, Fi d a I, 2" = ü, 227 ff.
*) son tnudas lenguas I Del almaj Gal fant I, 297*; Hombre
I, 506% s. Anm. 5.
^) Nada me digan tw labios / Que karto me ?uin dicho tus ojoSy
Saber I, 32*"; la lengua te diga j Lo que te han dicho los ojosj Dev.
I, 57*; I, 58«; Princ. I, 252» = 11, 249f.; Si no te han dicho mis ojos,
Amor I, 377".
*) no negard la boca I Lo que confiesan los ojos, Amor I, 374*;
/ Qui mal han disimulado / Tus ojos, Beatrix ! pues, lenguas / Del alma,
me han dicho ya / Tu sentimiento y mis quejas^ Hombre I, 608*.
•) caüando la lengua / Y solo hablando los ojos, Oal. fant I, 302".
') / Oh qui mal, Rosaura, puedes j Disimular f Di d los ojos / Que
SU müsica concierten / Con la voz, Vida I, 11* = II, 928 ff.
•) e Q^ aprovecha j Disimular, fingir la lengua enojos, / Si lenguas
de crist€U hahlan los ojos? Arg. I, 441".
•) son los ojos d veces j Intirpretes del amor, Amor I, 371*.
— 102 —
ihre zarte Sprache nicht. ^) Häufig müssen deshalb die Lippen
den Schlüssel abgeben für die allzu unverständliche Geheim-
schrift der Augen.*)
Als mitfühlende Wesen teilen die Augen mit dem Menschen
Freud und Leid; durch ihre Tränen, die Calderon ebenfalls
die „Sprache der Seele'* ^) nennt, nehmen sie lebhaften Anteil
an dem Kummer des Menschen; die Sorgen sind mit den
Augen innig befreundet und haben keine Geheimnisse vor
ihnen, d. h. der Mensch verrät sein Weh leicht durch
Tränen^); und wenn der Mensch klagt, dann klagen die
Augen mit.*)
Die Tränen sind oft allein Zeugen für des Menschen Leid
und Kummer*), oder Bürgen für die Wahrheit dessen, was
der Mund sagt.*^
Wenn der Mensch, tödlich verwundet, blutüberströmt da-
liegt, dann weinen seine Augen, auf die Wunden neidisch,
blutige Tränen.®)
Fast gar nicht finden wir das nächstwichtige Sinnesorgan,
die Ohren, personifiziert; an mehreren Stellen klagt der
Dichter, daß, während Augen und Zunge durch Lider und
Zähne geschützt sind, das Ohr schütz- und wehrlos sei, so
*) los ojo8 I Sin duda hablaron por mi. / Pero no los entendiS^ / Que
SU lenguaje sutü / No le sabe^ hermana^ hahlai% / Q^ien no le sähe «enfir,
Amor 1, 374».
*) jffaz contra-cifra los lahios j De las cifras de los ojos;IQue no
te entiendo, Arg. I, 449 ^
*) fueran lenguas del abna I Las lägrimas de los ojoSy Banda
n, 167».
*) los enojos / Que son grandes amigos de los ojoSy / No les encubren
nada, Midie o I, 361° = III, 308 tf.
*) No te espantes que los ojos, / Tambien se quejen, se9ior^ Midico
I, 360» « m, 15 f.
®) Mis Idgrinias solo sean j Hoy testigos de la mia (pena)^ GaL
fant I, 297 ^
') Serän testigos de abono / Estas lägrimas^ que juran / Beste luego
que es verdad I Cuanto la lengua pronuncia, Peor estä I, 93*.
®) De envidia de las heridas j Hoy lloran sangre los ojoSj Vir gen
I, 341*»; Gal. fant I, 302'*; en bdrbaros enojos j Le (=^ sangre) lloran
las heridas y los ojos, Con quien II, 246 *\
— 103 —
daß der Meosch fremde Klagen mit anhören müsse, ohne sich
wehren zu können.^)
Häufiger dagegen werden Zunge und Zähne per-
sonifiziert.
In engem Kerker eingeschlossen lebt die Zunge, welche
die Natur gleich einem furchtbaren Ungetüm hinter starken
Schlössern und Türen in Gewahrsam hält; hinter Schranken
ans Korallen ist an diesem Kerker nochmals eine Mauer aus
Perlen angebracht.')
In der oben erwähnten derben Schilderung, die der Bauer
Tosco Yon den Beizen der Estela entwirft, kommen gleich den
Haaren auch die Zähne nicht gut weg : die Zähne der Estela
sind Bewohner ihres Mundes, die nach einem anderen Hause
sich umsehen, d. h. bald ausfallen werden : Los dientes . . . /
Son vecinos de su boca / Que se mudan d otra cflwfa.*)
Eine weitere Pers. finden wir in der Stelle Princ. I,
266« = m, 68fiF.
Die Nahrung, die der Bitter und der treue Diener mit
ihrem Herm^ dem standhaften Prinzen in der Gefangenschaft
teilen, ist so gering und so rasch verzehrt, daß sie, wenn sie
die Lappen berührt, in die Brust hinabgleitet, ohne daß der
Mund etwas davon erfährt.^)
Ziemlich zahlreich sind die Fälle, in welchen das Herz
des Menschen personifiziert wird.
Als ein Gefangener lebt es fest eingeschlossen in des
*) /ay cielos! / i Porgut ä I09 oidoa I Tanibien no loa defendisieia I
€on mos guardaa? Argenis I, 442*; Turbados mis aentidoa j Puedm
en tanta mengua, / Vencer ojos y lengua, / Pero no loa oidoa; / Que tienen
por despojoa j Labioa la lengua y pdrpadoa loa ojoa, Cen. 1, 198*; iComo
olvido (la naturaleza) que tuviera / Defenaa el oido , aiendo / El que
aprende maa aprieaa? Con quien II, 240».
•) encerrada / En carcel eatrecha wve, / Con muralla y con cancelea /
De coralea y marfilea, Arg. I, 442*; La naturaleza . . . En la lengua
puao luego / Como d monatruo, come d fiera / Terrible, mayorea guardaa /
De eandadoa y de puertaa, / Traa cancelea de coral / Otraa murallaa de
perlaa. Con quien II, 240*.
«) Amor I, 377*.
*) cuando loa labioa toca, / Se auele paaar al pecho^ / Sin que lo aepa
la boca, Princ. I, 256« = III, 68ff.
— 104 —
Menschen Brust ; bisweilen zeigt es sich unter Tränen an den
Augen ^) oder stürzt sich, in Tränen gehüllt, zu den Toren
der Seele, den Augen, heraus.^) Es sieht gleich einem Astro-
logen das kommende Unheil voraus und verkündet es der
Seele'); unbedenklich darf der Mensch den Ahnungen dieses
Astrologen Olauben schenken, denn im Unglücke trifft wohl
jeder Astrolog das Richtige.^) Sucht auch das Herz zuweilen
seine Gefühle durch Mund und Augen zu verheimlichen^),
so gelingt dies nur schlecht, denn die Brust schreibt ihren
Schmerz und ihren Kummer mit Blut auf die Tafel des Ge-
sichts^), weshalb denn auch das menschliche Antlitz das
Zifferblatt der Brust genannt wird.^
Auch das Blut des Menschen wird personifiziert: Das
unschuldig vergossene Blut schreit nach Bache, während es
in Purpumelken sich ergießt.')
Ungemein stimmungsvoll wirken die Worte, welche Curcio
auf der Suche nach dem tödlich verwundeten Ehisebio aus-
spricht : „Ich will ihn rasch aufsuchen ; jenes kalte Blut, das
mit schüchterner Stimme mich ruft, muß doch wohl mein
eigenes sein, denn sonst würde es mich nicht rufen und ich
würde es nicht hören^' : < Voy voktndo, / Qiie aqueüa aangre fria, /
') d corazon dentro del pecho . . . . En Idgrimas se asoma por los
ojo8f Devocion I, 66^
•) Sdlga en lägrimas envueUo / El corazon ä las puerias / Del alma^
que son loa ojoa, MSdico I, 307" = n, 574ff.; Vida I, 3»» = I, 424flF.,
fliehe K^, S. 55f.; Saber I, 25».
*) aslrSlogo el corazon \ No si q\U le avisa dl alma, Sitio I, 11 3 ^
*) Dicen que aströlogo suele / 8er el corazon, y yo I Presumo que he
de creerle; / Que en las d^sdichas no Kay / Aströlogo que no äderte,
C astig 0 lU, 390^
*) d corazon / Disimula cuanio puede / Por la hoca y por los ojos,
Princ. I, 249» = I, 669ff.
•) Bien su dolor y su pena / En el papd de la cara / Escribe con
sangre el pecho ^ C astig o IH, 382 •.
') La muestra del pecho ea el semblante, Castigo III, 377*»; el
rostro es rdoj, adonde j El corazon hace muestra, Homhre I, 508**.
*) aquesta sangre inocente / Que estd pidiendo venganza / Desper-
diciando clavdes, Devocion I, öS**; Saher I, 24*. — ya agonizahaj
Banado en su sangre fria, / Cuyo aliento pronunciaha / Mas, cuanto menos
deda, May. monstruo I, 484^
— 105 —
Que con timida voz me estä Uamando / Älgo tiene de mia; / Que
sangre que no fuera / Propia, ni me Uamara, ni la oyera.y^)
Desgleichen werden Arme und Beine personifiziert.
Der König Basilius hat Furcht vor den Armen seines
Sohnes, da sie nach seiner Meinung bereits Unterricht em-
pfangen haben, wie man tötet ^), während Llocia, die auf
die feinen Reden des Filipo nicht zu antworten weiß, ihm
ihre Arme entgegenstreckt, damit diese ihm stumme Antwort
geben.*)
Calderon liebt es, von den zierlichen Füßchen schöner
Damen zu sprechen und ihre elfenbeinweiße oder krystallhelle
Farbe, sowie ihre Kleinheit zu rühmen.
Die Füße der Flora, die in blauen Tuchschuhen stecken,
nennt ihr Galan in überschwänglicher Weise Perlmutter streifen,
Yon dunkelblauem Tuche umarmt^), oder Krystalle, die mit
den Krystallen des Wassers Krieg führen ^) ; den kleinen Fuß
der Lisarda nennt Celio eine Geheimschrift, welche Amor
schreibt, einen Kobold unter den Füßen, einen Fuß, noch so
jung an Jahren, d. h. so klein, daß man ihm einen Vormund
geben sollte ^), während Fersio den Fuß der Cenöbia zunächst
als einen Zwerg unter den Füßen und sodann als ein Knirps-
chen bezeichnet.*^
Der Leichnam des von einer Kugel getroffenen Clarin
») Devocion I, 67».
') tengo miedo ä tus hrazos, Vida I, 9** = 11, 490; estdn ensefiados
8i I Ä dar muerte, ibd. = II, 373 ff.
*) Ä ian discretas razones / Btida y ignoranU 8oy; / YaHloa brazos
08 doy I Por guitarme de cuestionee, / Eüoa sabrdn reaponder / CaUando
por mi deseo, Purg. I, 152*'.
*) rasgos de nacar / De un cendal de azul turqui / AbrazadoSf Mej,
est dl, 241 ^
*) Mej. estd 1, 241'*, s. obeo, S. 81'. Vgl. weiter die Bezeichnung
der Füße als „Säulen aus Schnee", columnas de nieve, Banda II, 165**;
auch verwandelt das Elfenbein der Füße die Erde in Schnee : Esa tierra
que d marfil I De tue pies convierte en ntere, ArgSnis I, 454°.
•) Cifra que aeienta el amor . . . PU duende . . , Y pU tan menor
de edad, / Qtie le pueden dar tutorj Con quien II, 241''.
') Eee enano de otros piSe, Cen. I, 191*: Enano le Uami anies I
T ahora digo Bonami, ibd. I, 191 ^
— 106 —
spricht zum König Basilius durch den Mund einer Wunde ^),
die mit blutiger Zunge lehrt, daß der Mensch trotz aller
Vorsorge gegen sein Schicksal nichts auszurichten vermag^);
ebenso verkündet der von Floripes erstochene Riese „aus
zweifelhaften Mündern Weh und Klagen^^ % da ja die Wunden
gleich den Augen Münder sind, die niemals lügen.^)
Vom menschlichen Körper und seinen Teilen wenden wir
uns weg zu den einzelnen Erscheinungen des physischen Lebens ;
da treten uns zunächst einige wenige Fälle entgegen, in denen
Hunger und Durst personifiziert werden.
Vom Hunger belagert weilt Floripes als G-efangene im
Turme von Mantible *), wie denn auch die vier Paladine Karls
des Großen in demselben Turme unter dem stumpfen Messer
des Hungers und des Durstes dahinschmachten ®) und große
Qualen ausstehen müssen, da das Messer des Hungers, wenn
es auch unserem Leben ein Ende macht, sich selber durch
das Schneiden zu schärfen scheint.*^
Das Alter ist bei Calderon nicht sonderlich beliebt,
nennt er es doch das „schwarze Greisenalter^, das niemals
eine bunte Farbe annimmt, je mehr man auch Schminke auf-
trägt^), und das sich ärgert, wenn es von seinen Jugend-
streichen hört.®)
*) «boca de la herida*, Devocion I, 59 ^ der Mund, die Öfifnung
der Wunde, wohl eine bereits verblaßte Pers., wird hier wieder belebt.
Cf. For la infauata boca de una herida / El alma los espiritüa diviertet
Con quien II, 246\
^) Este caddver que habla / Por la boca de una herida, / Siendo et
humar que desata / Sangrienta lengua ... Fi da I, 18' = lU, 910 ff.
') vertiendo por inciertas / Bocas estas desdichas y congojaSj Puente
I, 212 ^
*) al fin heridas y ojos / Son bocas que nunca mienten, Dcü. I, 58**.
*) La bellisima Floripes, / En la torre del encanto / SUiada por
hambre tnt?e. Pt*ente I, 214 ^
^) Cuatro paladines yaoen / AI cuchillo de madera I De la sed y de
la hambre, Puente I, 215 ^
*) con el hambre nos previenes / Cuchillo, que al romper vida tan
corta i Parece que se afila en lo que corta, Vir gen I, 334*^.
*) Negra vejez, oh, que bien / Te llaman negra en rigor / Pues nunca
tomas color I Por mas tinta que te den, Judas I, 313 ^
') Se corre la vejez / De escuchar stis mocedades, Mej. estdl, 237*.
— 107 —
Der Diener CoquiD, dem die Zähne ausgerissen werden
sollen, bemerkt, es sei gar nicht zu verwundern, wenn da
das Alter rasch in seinem Munde sich festsetze.^)
Bezüglich der Pers. von Schlaf und Traum ist zu-
nächst auf die eingangs erwähnte Abhandlung von Abert^)
zu verweisen, wenn auch der Verfasser mehr die atUos als
die comedias berücksichtigt und ferner noch nach Keil
zitiert. Leider wird die Schrift durch zahlreiche Druckfehler,
namentlich in den im spanischen Originale angeführten Stellen
unliebsam entstellt.
Die Schlafenden liegen „in des Schlafes Armen^, in
Morpheus' Armen sagen wir wohl besser im Deutschen; in
den Armen des Schlafes ist der Mensch gleichzeitig tot und
lebendig^) oder ein lebender Leichnam, da der Schlaf, ein
blasses Abbild des Todes, der Herr ist über das menschliche
Leben.*)
Träge macht sich der Schlaf nächtlicherweile zum Be-
herrscher unserer edlen Sinne; wie ein Dieb stiehlt er uns
das halbe Leben ^) ; der Mensch, der sich ihm ergibt, betäubt
seine Sinne ^) und liegt für kurze Zeit als Leichnam im Grabe
des Schlafes.*^
Aus einer Stelle erfahren wir, daß Licht und Schatten,
d. i. das Zwielicht der Abenddämmerung, den Schlaf aus
seinen Fesseln befreien, und dieser vertauscht das helle Licht
*) No es mi4cÄo que tome postas I En mi boca la vejeZy Midie o
I, 352» = I, 803ff.
») „Schlaf und Traum bei C."
") entre loa hrazos del tmeno^ Dev. I, 68**; en los hrazos delsueno I
Ä un tiempo muere y vive, Cen. I, 197 ^
*) en br. del 8. / Vivo cadaver soy^ porquel el es dueno / De mi
v^idUf de suertCy / Que vi un pdlido amago de la muerte^ Purg. I, 149';
bei Abert = 8. 17ö«.
*) es dueno / De los sentidos el sueno, / Ladron de la media vida^
Dama I, 179°; ^Es hoy perezoso el sueno I De nobles sentidos dueno?
May. encanto I, 405''; Castigo III, 385°.
•) mi vida / . . . rendida / Äl sueno, los sentidos desvanece, Castigo
m, 385«.
') yace / En el sepulcro del suefio / Toda mi casa cadaver, Mej.
e$tä I, 237*; el noctwno silencio I Construia ä los mortales j Breves
sepulcros del suenOj Purg. I, 151°.
— 108 —
des Tages mit dem miheimlichen Dankel der Nacht ^); dem
einen fällt er lästig und bereitet ihm Verdruß und Kummer,
wenn er ungerufen zu ihm ins Hans kommt ^); der andere
ergibt sich gerne seinen Schmeicheleien % oder ruft den „Herrn
Yon Schlaft zur Gesellschaft herbei, um nicht die Nacht fiber
allein sein zu müssen/)
Daneben findet sich auch die mythologische Darstellung
des Schlafes als Gott Morpheus, dessen todbringenden Waffen
der Mensch sich unterwerfen muß, wenn jener abgezehrte
Schatten, der gleichzeitig schmeichelt und schreckt, es ge-
bieterisch verlangt.*)
Das Wort sueno, das bekanntlich sowohl „Schlaf" als
auch „Traum" bedeuten kann, wird auch in dieser letzteren
Bedeutung personifiziert.
In der Schlußszene der Vida versichert Sigismund, ein
Traum sei ein Lehrer gewesen •), und Payo, der sehr schlÄfrig
ist, meint scherzhaft, während die Besucher der Messe einzeln,
einer nach dem andern, daherkommen, kämen seine Träume
stets zu zweien.'')
Der Tod.
Einen breiten Baum nimmt bei unserem Dichter die Fers,
des Todes ein.
*) Sombra y luz confusamente j Hacen que el atado brocke / De
sambra y luz desabroche / El sueHo, ya perezoso / Equivocando el dudoso /
Crepusculo de la noche^ Gal. fant I, 299*.
*) Cierto, aueno, mi senor / Que estais cansado; y no esjusto / Venir
d casa de nadie / Ä hacer pesar y disgusto. / i Yo por Ventura os üami?
Virgenl, S3S\ In der Ausg. v. 1636 fol. 125 r. findet sich no
escuBO statt no es juato.
') entregado I Ä las lisonjas del sueno, Arginis I, 438".
*) Solo estoy ... 8i ya ä Don Monsiur del su^o / No Uamo que
me acompane, Banda n, 165 ^
*) Se da ülises por vencido / Ä la deidad de Morfeo, / Ä cuyo letal
trofeo I Las potencias ha rendido^ / Haciendo de todas dueno / Esta mad-
lenta sombra / Qtie ä un tiempo halaga y asombra, May, encanto
I, 405 ^
•) fui mi maestro un sueno, Vida I, 19^ = III, 1115.
') Mientras que los maitinantes / Van viniendo de uno en uno, / M%8
smnos de dos en dos^ Vir gen I, 333'.
— 109 —
Wie die Schlafenden in den Armen des Schlafes^), so
liegen die Sterbenden und Toten in den Armen des Todes ^) ;
so heißt es tom Infanten Don Enrique, der bei einem Sturze
Tom Pferde sich schwer verletzt, er sei dem Tode in die
Arme gefallen^); Rosaura klagt, daß das Unglück sie un-
ablässig verfolge und nicht ruhe, bis sie, vom Schicksal
hart getroffen, in den Armen des Todes liege ^) ; Muley nennt
sich einen Sohn des Unglücks, der schon auf der Schwelle
des Lebens in des Todes Armen geboren sei^), während
Astrea von Aurelian rühmt, er habe oft in blutigen Kämpfen
den Arm des Todes zu müßiger Ruhe gezwungen, d. h. er
habe in den Schlachten die Arbeit getan, die eigentlich dem
Tode zukomme.^)
Stolz bezeichnet der Riese Fierabras sein Schwert als
die Sense, die der Tod in seinen Armen schwinge '^, worauf
der Ritter Guido ihm ebenso kühn erwidert, sein starker Arm
sei der Arm des Todes selbst, der diese Sense bezwingen
werde.®)
„Mit dem Tode ringen^ ist eine Redewendung, deren
personifizierende Kraft gewiß verblaßt ist, und fast ist uns
das Gefühl für das äußerst anschauliche Bild, das dieser
Redensart zugrunde liegt, verloren gegangen. Der Dichter
belebt jedoch auch das Erstorbene wieder, wenn er von einem
tödlich verwundeten, aber sich wieder zum Leben empor*
») 8. oben, S. 107.
^ aganizando J En los hrazos de la muerte. Sab er I, 21% 36':
Fuente I, 222».
») Tropexando . . , I En loa br. de la m., MSdico I, 347»' = I, 31f.
*) Juuta verme / Herida de la fortuna / En los br, de la w., Vi da
I, 11» = n, 866f.
*) Tan hija fui de desdichas / Desde mi primer Oriente^ / Que en el
umbral de la vida I Naci en brazos de la muerte, Princ, I, 249** =
I, 737 ff.
•) Tu que en sangrientas victorias .... Tantas veces de la muerte ',
El brazo tuviste ocioso, Cen. I, 187 ^
^) Del brazo de la muerte es esia espada^ / Guadana, Fuente
I, 212«.
*) Este es el mismo brazo de la m, I Que manda esa guadana,
Fuente I, 212^
- HO —
raffenden Helden sagt, er ringe mit eingebogenem Arme mit
dem Tode — con la muerte / A brazo partido lueJia.^)
Bei der Belagerung von Toledo ringen die verzweifelten
Bewohner mit aller Kraft mit dem Tode •), während der Ge-
fangene im dunkeln Kerker, um auch eine Modifikation dieser
Bedensart anzuführen, mit den düsteren Schatten und
Schreckgestalten mit verschlungenem Arm um seinen Tod
ringen muß.*)
Auch ein Antlitz und Hände werden dem Tode zuge-
schrieben.
Voll Stolz rühmt sich der standhafte Prinz, ihn werde
nicht des Todes Antlitz schrecken*), und der König Basilius
erklärt, falls der Tod ihn erwarte, so wolle er ihm fest ins
Antlitz blicken.^) Irene beglückwünscht den Libio, „er sei
den Händen des Todes glücklich entschlüpft^' ^), und Marlene,
welche den Tod herbeisehnt, bittet ihn, er möge so leise
kommen, daß sie das Geräusch seiner Tritte nicht vernehme. ')
Stets trifft der Tod beim ersten Wurfe sein Ziel*); un-
ablässig bedroht er den Menschen in seinem Leiden*), wes-
halb er nie des Menschen Freund werden kann.^<^) Niemals
läßt der Tod auf sich warten, nur bei Menschen, die ihn her-
beisehnen, zögert er, einzig, um ihnen nicht angenehm zu
') Puente I, 211«; En el ultimo aliento de mi vida^ / Lucho d hr.p.
con la muerte, Con quienU, 2i6^j auch Mägico I, V. 715 f., K,, S. 176.
*) llegando ä loa Ultimos extremos / Luchando d brazo8 con la muerte
fiera, Virgen I, 334«.
*) d brazo partido / En esta löbrega estancia / Luchando estoy de
mi muerte I Con las sombras y fantasmas^ May. monstruo I, 491*.
*) ni me espantaraj El semhlante de la muerte, Princ. I, 248** =
I, V. Ö82f.
*) 8t la muerte me aguarda I Aqui, hoy la quiero huscar, / Esperando
cara d cara, Vida 1, 18* = IH, 942 flF.
•) De las manos de la muerte j lAhre quedaste, Cenobia I, 200*.
') Ven, muerte, tan escondida [ Que no te sienta venir, May. monstr.
I, 499«; cf. V. Schmidt, S. 264. Diese Stelle fehlt in der Ausg. r. 1637.
•) de una vez la muerte / El suyo ha acertado ä todos, Oal. fant
I, 303*.
•) Ypara lapena mia / La muerte treguas no hace, Puente I, 216*.
***) Muerte j nunca al hombre amiga, Arginis I, 440«.
~ 111 -
sein^); zu denen, die ihres Lebens überdrüssig sind, kommt
er gewiß nicht. ^)
Freilich ist der Dichter bisweilen anderer Ansicht, wenn
er sagt: Niemals zögert der Tod, selbst bei denen nicht, die
ihn erwarten ; Nunca tarda / La muerte, aun para el mismo que
la aguarda.^)
Läßt der Tod auch grimmig seinen Zorn am Menschen
aus ^), schlägt er grausam den Menschen nieder ^), so vermag
er nicht zwei Menschen zu trennen, welche die Liebe yer-
einigt*); die Bande der Freundschaft und Liebe, durch welche
die Menschen aneinand ergekettet sind, vermag er selbst mit
hartem Stahle nicht zu lösen ^), er müßte sie denn gewaltsam
in Stücke hauen. ^)
Von der Todesangst, die er im Gefängnisse ausgestanden,
entwirft uns Clarin eine höchst anschauliche Schilderung : „Im
Turme eingesperrt, deckte ich dem Tode die Karten auf, um
zu wissen, ob er mir gibt oder nicht; auf der Karte, die er
mir gegeben hätte, stand mein Leben als Einsatz; es hätte
mir wahrlich schlimm gehen können.^ ^)
Ferner hat Calderon den Clarin zum Träger des nahe-
liegenden Gedankens gemacht, daß der Mensch zu keiner Zeit
^) presumo que tarda I Por no serme lisonjera, Amor L 379".
*) nwnca la nwkerte viene I Ä quien le cansa el vivir, Devocion
I, 64»; Arginis I, 454^
») Banda II, 169r
*) Si e8la muerte quien no8 busca, j Quiebre su colera en ml^ Puente
I, 211 ^
^) de la muerte el feroz I Golpe, Dev. I, 68 ^
*) no dioida la muerte / Ä dos quejtmta el amor, May. monstruo
I, 484^
') nudo tan fuerte / Que no le pueda desatar la muertej Peor estä
I, 94*; loa brazoa I Cuyo lazo serä nudo / Tan inviolable en mi pecho /
Que nunca el acero duro I De la muerte le desate, ArgSnis I, 449 ^
•) los hrazos / Cuyo lazo y nudo fuerte / No desatard la muerte /
Sin que los haga pedazos, MS die o I, 357 • = ü, 514 ff. — taUs lazos I
De amiatad y nudo fuerte / No los desha^e la muerte / Aunque los haga
pe^dazoSy Arg, I, 447°.
•) En una torre encerrado / Brujuleando mi muerte / Si me da o si
no me da^ I Y d figura que me diera / Pasante quinola fuera / Äfi vida . . .
7t da I, 17»» = in, 831 ff. Zu dieser Stelle vgl. K^ N., S. 28 ff.
— 112 —
und an keinem Orte vor dem Tode sicher sei, und daß der
ihm gerade ent;gegengehe, der ihn zu fliehen trachtet.
Zunächst hat Clarin eine unbändige Freude, während
der Schlacht in seinem Schlupfwinkel vor dem Tode sicher
zu sein: „Hier wird mich der Tod nicht finden, hier lache
ich ihn zweimal aus."^)
Aber die todbringende Kugel ereilt auch ihn, und sterbend
muß er sich als einen Unglücklichen bekennen, der, weil
er vor dem Tode geflohen, erst recht mit ihm zusammen-
getroffen sei:
Soy un hombre desdichadOj
Que por quererme guardar
De la nmert€j la busqtd,
Huyendo deüa^ encontre
Con eUüj pties no hay lugar
Para la muerte, secreto:
De donde daro se arguye,
Que quien mos su efecto Imye^
Es quien se llega d su efetoJ)
Der Held, welcher unter den Feinden ein großes Blutbad
anrichtet und so den Tod in seinem Zerstörungswerke unter-
stützt, wird passend als „Diener des Todes'*, ministro de la
muerte^ bezeichnet^); das Schlachtfeld heißt auch ieairo de la
muerte, die Bühne, auf welcher der Tod sein Spiel treibt.*)
Auf dem großen Welttheater '^) lauert der Tod hinter
den Kulissen, und wenn die Menschen ihre Rollen ausgespielt
haben, dann macht er alle einander gleich, d. h. nach dem
Tode hören alle Rangunterschiede auf.')
Bei dem hartnäckigen Kampfe der Makabäer mit ihren
Feinden schaudert sogar der Tod, wenn er sieht, daß so viele
') La muerte no nie hallardj Dos higas para la muerte, Vi da
I, 17« « m, 865if.
2) Vida I, 17« = m, 884 ff.
») Judas L 311 ^
*) Princ. I, 248« = I, 602.
*) el gran teatro del mundo, Vida 1, 12^ = II, 1087.
•) como el papel se acahe, / La muerte en el vestuario / Ä todos los
deja iguäles, Sab er I, 24 ^
— 113 —
Menschen ihn mehr bekämpfen als ihm Tribut liefern^); der
tapfere Lisidas vermochte mit seiner donnernden Stimme
selbst den Tod zu yerscheuchen ^), und Dedo wünscht dem
Aurelian^ es möchten ihm aus Jaspis und Erz so lebenswahre
Statuen errichtet werden, daß, wenn der Tod ihn heimzuholen
gedenke, er sich in ihnen getäuscht finde, d. h. sich an diesen
Statuen vergreife, statt an der Person des Aurelian, und dieser
also ewig leben bleibe.') Ahnlich heißt es von Leonor, die
trotz Schmerzen und Betrübnis am Leben geblieben, sie habe
in den schützenden Händen des Lebens den Tod zum Besten
gehalten.^)
Endlich ist noch hinzuweisen auf das Bild vom „Buche
des Todes", aus welchem der König von Fez in blutiger
Schlacht das schönste Blatt herausreißen solP); auch nennt
der Riese Eierabras seinen krummen Säbel „ein aus dem
Buche des Todes losgerissenes Blatt"/)
Haben wir uns in diesem Kapitel zunächst mit dem
menschlichen Körper und seinen Teilen, mit den Betätigungen
und Zuständen seiner physischen Existenz, sowie mit dem
Ende derselben, dem Tode, beschäftigt, so wollen wir jetzt
die Fers, der menschlichen Seele und ihrer Betätigungen, die
Fers, von Gedanken und Grefuhlen des Menschen betrachten.
Die Seele.
Die Seele wohnt im menschlichen Körper, aus welchem
sie entflieht; sobald sie eine Tür darin geöffnet sieht; durch
^) Horror ä la miama muerte / Dard el Uutimoao iniulto / Vtendo
que tantos la ofrecen j Mas bataüa que tributOj Judas I, 324 ^
•) LiHdaa fuerte^ / A cuya voz se rtHrd la muerte, May, encanto
I, 407 ^
*) en jatpe y hronce fuerte / Estatuas tengas tan beUas / Que yendo
d matarte en eücu I Se halle burlada la muerte, Cenobia I, 188 ^
*) Leonor . . . / D^6 la muerte burlada / En loa manos de la vida,
Ä Beer, agr, I, 609^
^) del libro de la muerte / Deaate la mejor hoja, Princ. I, 247* =
I, 369 f.
*) eata cuchiUa corva / Que ea del libro de la muerte / Deaencua-
demada koja, Fuente I, 222 ^
Mttnohener Beiträge z. romanischen n. engl. Philologie. XXXII. 8
— 114 —
den :anb6ilvöll0ii Mund mian: Wunde h&uckt sie ikre Lebei»-
'igoäster aus.^)
So "vramt Tolomeo den Tetrarchen, ihm den Ünglücto-
^ch aufi A&T Wonäe zu zieheü, damit seine Seete, wesan «n
4ie Tüi' geöffiiet sehe, nicht ihren Geist ao^aache^, und
4e[ zum Tode ?eFwimdete lisardo seaM: Meine 9eele, glsab'
rcAi, zögert, ans dem Körper sni entfliehen, da sie bei sovieden
^r€fn nicht weiß, welche die redite ist.^
Oft .tritt die Seele, wie das Herz, m 'TirlKiieii aufgelöst,
'M% den Allgen, den „Toren der Seele"*), herror*); und wii*4
auch der Körper ins Grab gelegt, so herrscht dennoch im
äitomel die Seele.*)
Die >8eele isrt; der ^itz der Gedanken und der GeiFiiUe,
die im Mensdhen bald wirr miteinander kämpfisn und stUrmiscli
hin nnd herwogen '^, bald auch, zaghaft wie sie eond, einen
Bürgerkrieg miteinander führen.*)
Wie Aeneas seinen Vater Anchfees ans dem brennenden
Troja rettete, so muß auch der Infant Don Enrique sdae
^Gefühle in Sicherheit bringen, bevor er in seiner Liebe su
Dofia Mencia sich ai weit vergißt :
^Estäse Troya (xrdiefido j Y Eneas dB mis senMdos / He de
Kbrarlos de fuego.t^)
Die Menschen sollen zuzeiten in einem Selbstgespräche
die Seele und die Gefühle ziur ^ohenschaft ziehen. ^^)
^) Con quien 11, 246»»; siehe S. 106^.
') Este jpunal no me saques j Forque al ver la puerta abierta / Su8
espiritus no exhale I El alma, May. mönstruo I, 482*.
') el alma pienso que eapera / Ä salir porque entre tantas / No sähe
cuäl €8 la puertOy Devocion I, 56*.
*) lae pwRftas l Del alma, que eon los ojoßy MSdico I, 367^ -a^
tl, 575 f.
*) en despojos I El alma sale ä los ojos, Astral. I, 582*.
*) Dad al cuerpo sepultura / Futs reina en el delod ahnaj Ca st ig o
m, 394*.
') en mi mis pensamientos / Pelean confusamente / Por Uegarse y
por Äwir, Saber I, 21^.
•) confusa entre mi / Cöbardes mis pensatnientos / TVo^n una guerra
civil Puente I, 206«.
*) Medico I, 348« = I. 242ff.
*®) un soliloquio reverendo j En que Iktfyhos ä cuentas / AI ahna y
^ 115 .r^
Das mäcbttgste QefüU, das den Mensoheix beaeeH; ist
AweHellos die Li e b e , and da diese in den Drangen •Cijdf^pn^s
euke IkttTOiTag^de Bc^le spielt, so .darf es uns nicht wunder-
Mlunen, wenn wir sie oft personifiziert finden. Fast «tots
tritt uns amor hierbei in der mythologischen QestaH des liiehe^^
eettes epfegegen, der, ein blinde kleiner Schelm, der Sohfi des
Mars und der Venus, mit seinen Pfeilen und dem Bogen yiel
Unheil unter .den Menschen anrichtet.
In fajst «Uen 'Stellen, in wel<^n ütmr p^yrsonifiniert wird,
finden «wir emes oder meliere der dben genannton charak-
lerUtiachen Momente bald mehr, bald minder .deutUofa aus-
geführt.
Zunächst suchen wir zu erfahren, wer Amor's £lten^ ge«-
jwesen seien. Nach der Aussage der länen jst Amor der
Sohn des Mars und der Venus; andere sagen, Adonis ^ei
sein Vater ^), denn sein stolzes Wesen schliejje yoUkosnmen
aus, daß er als der Sohn eines gewöhnlichen Grobsohnueds
gelte. Tapfer und mutig wie er ist, kann er nur den Kriogs-
gott zum Vater haben *), da er in dessen Armen aufgewachsen,
Yon frühester Kindheit an die Furcht vor Krieg und JSxiegs-
geschrei abgelegt hat.^
Dagegen sind wohl alle einig, daß Venus die schöne
Mutter sei, welcher der kleine Gott Amor als Sohn gehorcht.^)
Zahlreich sind die Stellen, in welchen auf Amor's Pfeile
und seinen Bogen angespielt wird.
los sentidoSy Ftor estäl, 95*; ObligciindoU ä enaayar j SolüoquioSj y &
llamar / Los sewUdos eada dia / Ä cumtas, Banda II, 165^
^) Muchas vsces oi que Amor vmdado
Hijo de Marte y Venus ha nacido ....
Otros dieen que Adonis le ha engendrado . . .
Feor estd I, Ö9\
*) Los que le finden valienite, / Fora que el nambre le cuad/re, / Ik
dan d Marifi por padre: / Que su orguUo no conaiente / Ser hijo de un
vü herrero, Sitio I, 120V
') Amor, al fin, que no teme \ Los escändalos y estruen^ / Be
Marte (que desde niüo / Le tiene perdido el miedo, / Como se crio en sus
brazos), Con quien II, 236°.
*) Venus . . . Hermosa madre de amor . . . Dile d aquese nino dios
Si te obedece por hijo, Amor I, 378**.
8*
— 116 —
Wie eine lichte Flamme, wie ein behender Blitz strebt
er mit seinem Bogen gerade nach dem Widerspenstigsten als
seinem Ziele ^)^ in seinem Übermute weiß er auch stets das
höchste Ziel zu treffen*); selbst Fürsten und Könige sind
Tor seinem Geschosse nicht sicher.
So gibt er voll Stolz dem Herzoge von Florenz zu ver-
stehen,
„Eün Blitz sei jeder Pfeil von seiner Hand,
Da er wie Blitze pflegt in wilden Wettern,
Hohes zu treffen, Gipfel zu zerschmettern.'^ ')
Hat der König von England auch bisher geglaubt, daß
Amor, wenn er auf einen König ziele, goldene Pfeile und
Geschosse verwende, so wird er bald eines Besseren belehrt:
auch für ihn gibt es keinen Widerstand mehr, seitdem Amor
auf des Königs Liebesglut Pfeile aus Schnee absendet.^)
Stets ist Amor in seinem Eifer bereit, nach den Menschen
seine Pfeile zu schleudern*); wenn ein Pfeil nicht ausreicht,
um das Ziel zu treffen, dann legt er deren zwei auf seinen
Bogen ; erscheint ihm ein Sieg besonders schwer zu erringen,
dann sendet er
Von des Bogens Elfenbeine
Mit mehr Kraft, Geschick und List
Widerhaken zwei je zwei,
Federn ohne Maß und Ziel^),
so daß jedermann sich ihm unterwerfen muß. Selbst alte
^) es una ardiente llama / . . . es un rayo sutil^ / Que en lo mos
rehelde siempre I Va anhelando por herir^ Puente I, 206».
*) es un rayo sutil / Qi*e con arrogancia sabe / Lo mos eminente
herir, Arginis I, 454^
■) Bien el amor hoy del poder se venga / Dando ä entender ufano /
Que es rayo cada flecho de su mano, / Fues como rayo que violento pasa /
Lo altivo hiere y lo eminente ahrasa, Banda II, 159*».
*) Toda mi vida pensi / Qtie amor, cuando d un rey se atreve /
Fhchas de oro y rayos mueve ; / ^ Mas quS resistencia aguardo, / Si para
el fuego en que ardo, / Hoy vibra rayos de nieve? Amor I, 369'*.
*) estd I Siefnpre flechado tu ardor, Mej. estä I, 238 •.
•) por juzgarme imposible / Victoria, con mas ardid, / Con mas poder,
con mas fuerza / Flecho el arco de marfil I Harpones de dos en dos / Y
plumas de mil en mil, Puente I, 206»; Schlegel II, 177.
^ 117 —
Leute können sich seiner meuchlings geschleuderten Pfeile
nicht erwehren; er ist feige genug, daß er auch an den Be-
siegten seine Macht erprobt, obgleich Menschen, welche die
Last der Jahre fühlen, für seine Pfeile ein unwürdiges Ziel
sind.^)
Manchmal legt Amor seinen Bogen und seine Pfeile ab
und tötet mit Feuerwaffen^; als er ehedem mit Pfeil und
Bogen die Herzen traf, da starb die Seele langsam dahin
in dumpfem Liebesschmerz, doch seit der Erfindung des
Schießpulvers kann er mit seinen Feuerwaffen den Menschen
in einem Nu besiegen, denn Feuerwaffen wirken schnell');
auch spannt der grausame Liebesgott, seines Bogens und
seiner Pfeile müde, um den Liebhaber zu fangen, ein Netz
aus, worunter der Galan die lang herabwallenden Haare seiner
Geliebten versteht.*)
Wenn ein Liebender bei seiner dama keine Gegenliebe
findet, dann hat, einem alten spanischen Volksliede zufolge %
Amor die Herzen der beiden seit früher E^indheit mit zwei
verschiedenen Pfeilen getroffen % und zwar den einen Menschen
mit einem Pfeile aus Gold, der süße Liebe erweckt, den
anderen mit einem Pfeile aus Blei, der Widerwillen und Ab-
neigung erregt.^
Die weiße Hand seiner Geliebten sieht ein Galan als den
^) tan cobarde ha sido / Que 8u violericia prueba en un rendido . . .
Banda II, 1Ö9^
*) Depuesto el arco y depueato / El arpon^ quiso tal vez / Matar con
amiaa dt fuego^ Con quien U, 23ö^
') Cuando amor con arco y flecha / Los corazones heria^ / Espacio el
alma tenia / Para morir satisfecha / De un blando dolor; despues / Que
pölvora «c inventOj / Y anmu de fuego tomo^ / Hace el efecto que ves; /
Y aai en un pwnto amor ciego / Vence ya . , . Lances I, 37'; cf. Paach
7, S. 17».
*) Doradas hebras al viento / Flechaba, que amor cruel^ / Cansado
del arco y flechaj Trocö la aljdba ä la redy Lances I, 40^
») Siehe K^, S. 213.
*) amor en nuestras nitieces / . . . JStrio nuestros corazones / Con ar-
pone» diferenteSj Princ, I, 249^ = I, 760flf.
') Labrö el oro en mis entranas / Dulces lazos, tiemas redes, / Mihi-
iras el plomo en las suyas I Libertades y desdeneSy Göngora^ El Es-
panol de Oran, siehe Ki, Anhang, S. 291.
— 118 —
£!'öoher an, wachem Amor sein« Pfeil» yerdanke ^) ; eia an*
deper schildert seiti Idebesw^rben tun eine schöne Dame aU
ein^n regelrechten Krieg, in welchem Amot dev AnfHbxer
sei^ indes das Heer an» Tränen, Uebesqualen^ Seufzern, aus
Liebesgedanken und Liebessorgen bestehe ; als Vorhut komme
Se JßnttäuBchung, al6 größt<er Kanonier das Herz, während
die Augen Schildwache stehen.^)
Amor ist mächtiger als alle Könige, er ist der Allein«
herrscher auf Erden, denn seine Macht bändigt Beiche und
bricht Gesetze ') ; dennoch ist er ein schlechter Ghrammotiker,
da er bisweilen eine handelnde Person zu einer leidenden machte
d. i. Aktiv und Passiv vertauscht^); auch tritt er alaMaler^)
auf, der, wenn er für gewöhnlich mit feurigen Zügen seine Bilder
in die Brust des Menschen malt, sie auch wieder austilgt.^)
Mit Becht auch nennen ihn die Leute einen Dieb^ oder einen
Straßenrättber % da er die Menschen auf dem Wege überfällt
und sie mit den Banden der Liebe fesselt; treffend winl er
ferner mit einer Sirene verglichen, deren klagende Stimme
wunderiieblich tönt und dabei doch voller Verrat steckt.*)
Amor ist weiterhin ein durchtriebener kleiner Schelm,
der alle Schliche und Umtriebe kennt ^^) ; er ist unbesie^ar,
^) Dadme, senora, vuestra blanca manOj / Aljaba d guten amar 8U8
flechas debe^ Peor estd T, 99*.
*) vierten aliatados / Para amaroa y serviros, / Lägri^nas^ penas,
äü8piro8f I Pensamientos y cuidados. / Por capitan viene amor, j Btawlto
d cualquiera dano^ / Y por cabo tl desengano , Lances I, 38*.
■) ÄmoTy amor^ tu rigor / Reinos vence y qtiiia leyes: / Maa puede
amor que loa reyeaj Solo ea monarca el amor^ Banda IT, 164°.
*) Barbariamo de amor grande^ / Salir d ver y aer viata ; j Puea^ mal
grdmaticOy aabe / Peraona hacer que padece j De la peraona que hace,
Gal fant. t, 291 ^
^) Amor, que ea pintor^ Dama I, 182*.
•) aunque amor con fd^lea enojoa / Deade elpecho d loa ojoa / Linecta
de fuego cörraj Ahora no dibuja, aino borra^ Peor eatd I, 100*.
') Dignamente / Ladron al amor le llaman^ Caatigo III, 386 *•;
May. monatruo I, 492*.
*) Ciego el amor oa previno, / Pora aer mi aalteadoraj Caaal, 129 ^
^) jAy amor^ falaa airena^ / Cuya queja^ cuya voZj / . . . DulciHma-
mente auena^ / T eatd de traicionea llena! Sab er I, 28^
*®) i Que pueda un dioa nino aabio / Con trazaa y autilezaa? Banda
II, 164*.
~ 119 —
denn keine Macht Tennag die Liebe zxl bezwingen; nicht
kennt die Liebe Unmöglichkeiten, da sie. sieghaft alle Hinder-
nisse aus dem Wege räumt. ^) Die Liebe macht im Notfalle
den Menseben zum Tyrannen^) und triumphiert sogar über
den Tod, wenn auch beide, wie die Sage geht, von demselben
Baume ihre Pfeile absehneiden, da sie mit ihren Geschossen
weder auf Zeit noch auf Personen Bticksicht nehmen.^)
Den Wettstreit zwischen der Liebe und dem Tode, um
zu ergründen, wer von den beiden die größere Macht besäße,
sowie den endgültigen Sieg der Liebe schildert uns der
Dichter in einem Sonette, dessen Inhalt „wohl zu dem tief-
sinnigsten gehört^ was ^e in Worte geüaßt ist''/)
Einst stritten Tod und Lieb^ um zu erkunden
WeK an Gewalt den andern überrage,
Da beider Pfeilen ja, nach ewiger Klage,
Kein Leben, keine Freiheit sich entwunden.
Jelzt eine Schönheit, wie noch nie gefunden,
Eradivf die Lieb' ; es lag ihr Sieg am Tage ;
Die aber fiült der Tod mit einem Schlage,
Und Lieb' und Schönheit seh'n sich überwunden.
Die Liebe nun, zwar hierin überboten,
Ließ zartem Blech ein göttlich Bild entschweben^),
Dem nur umsonst des Todes Pfeile drohteiL
Drum soll den Preis mit Recht die Lieb' erheben.
Denn sie beherrscht die Lebenden und Toten,
Allein der Tod nur jene, die da leben. ^)
^) Xo al hay amor imposibks; I Todo h venceyh allaiMf Ästrol.
I, ö8ö"; JudaB I, 816»; — como dio9 m fin, / Triunfa de todo üsspues,
Banda II, 170«.
') Amor sw twa^o tnuma^ Dev. I, Q2\
*) Por no dütinffuir lo9 Hempo9 / Ni loa per8ona8y «e cuenta / Qye
de un arbol mimto eortan / La muerte y amor wb fiechaa^ Gal. fant,
*) VaL Schmidt, S. 268.
^) d. li. die Liebe schafft das Bild einer schönen Frau.
«) May. monatruo I, 486*; öries, S. 234/35.
— 120 —
La muerie y d amor una lid dura
Tuvieron sobre cudl era mas fuerte,
Viendo que d sus arpones de una suerte
Vida ni libertad viviö segura,
Una hermosura amor divina y pura
Perficionö, donde su triunfo advierte;
Pero borrando tanio sol la muertey
Triunfo asi del amor y la Iiemiosura,
Vi&ndose amor entönces excedido,
La deidad de una Idmina apercibe,
A quien borrar la muerte no ha podido.
Luego bien el laurel amor reHbe,
Pues de quien vive y muere dueno ha sido,
Y la muerte h es solo de quien vive.
Ans zahlreichen Stellen erfahren wir, daß Amor blind
ist ^) ; ist er doch schon mit yerbundenen Angen auf die Welt
gekommen ^ ; er ist ein blinder kleiner Gott ^ oder ein blindes
Kind, das die glimmende Asche des Liebesfeuers stets zu
neuer Glut entfacht^)
Da nun Amor blind ist, so hat ihm der Himmel als
Führerin die Eifersucht gegeben; diese führt ihn nach ihrem
Gutdünken wohin sie will, und er hat ihr willenlos zu ge-
horchen und ihren Worten zu glauben.'^)
Mit Recht nannte die Heidenwelt die Liebe einen Gott %
und Amor ist bis heutzutage heidnisch geblieben ''), so daß
ein Galan von einer schönen Dame sagen kann, sie sei in
ihrem Gebaren so heidnisch — tan gentil — gewesen, daß,
*) amor es ciego, Astrdl I, 576 ^
") Amor vendado I . . , ha nacido, Peor estä I, 99**
•) ciego dioSf Banda IT, 151®.
*) Amor, nino ciego, I Las cenizas sopld y avivo el fuego, Banda
n, 156^; „Liebesfeuer", vgl. M6dico I, 348* = I, 129ff.
^) pintan al Amor ciego y vendado, / Ä quien dieron los eielos, / Para
que le guiasen, ä los celos. / Mozos de ciego han sido .... Eüos han con-
ducido I Ä Amor por donde quieren; y el svjeto .... Peor estä 1, 106'.
«) / Que bien la gentilidad j Llamaba dios al amor! Amor I, 371*.
^] amor hasta hoy es gentil, ibd. I, 374*.
— 121 —
da sie Amor als ihren Gott verehre, sie gleich ihm keinen
Glauben habe, wobei tgentüi^ doppelsinnig sowohl ,,heidni8ch^
als auch „edel, hübsch, nett^ bedeuten kann.^)
Auf ein glücklich liebend Paar, auf schöne Menschen
überhaupt, ist sogar Amor neidisch. „Selbst Amor darf mich
um meine Liebe zur schönen Zares beneiden^ '), meint Jo-
natas hochbeglückt, und der wackere Ritter Guido von Burgund
ist ein tapferer Jüngling, auf welchen selbst Amor neidisch ist.^)
In engster Verbindung mit der Liebe steht eine häßliche
Leidenschaft, die Eifersucht, die Calderon wohl mit Recht
„das größte Scheusal der Welt^ nennt>)
Schon wissen wir, daß die Eifersucht den blinden Amor
leitet, wie und wohin es ihr gut dünkt ^) ; in dem Belagerungs-
kriege, den Amor gegen spröde Schönen zu befehligen hat*),
ist die Eifersucht der Baumeister, der die Minen anlegt, da
die Eifersucht, argwöhnisch wie sie ist, auch das Verborgenste
aufzuspüren pflegt. Keine ihrer Kriegsmaschinen arbeitet
erfolglos, da sie im Liebeskriege ihre listigen Anschläge sogar
unter der Erde hervorholt.')
Leise, mit Diebesschritten schleicht die Eifersucht herum ^),
genügt doch ein Windhauch, um bei einem mißtrauischen
Menschen Eifersucht zu erregen*); einem Astrologen gleich
spiegelt sie dem Menschen Wahngebilde vor, die doch nicht
zutreffen, weshalb man ihr nie trauen soll:
*) en todo tan gentil fui / Que con ser amor su dios / Con amar
no tuvo fiy Lances I, 40^
*) dejo dl mismo amor I Envidioso de mi hien, Judas I, 322*.
•) Aquel pues valeroso / J6ven, que al mismo amor deja envidioso
Es el ilustre Guido de Borgona, Puente I, 205 ^
*) El mayor monstruo dd mundo, ursprÜDgl. Titel der comedia
(H 1, 481 ff.).
*) Mozos de ciego han sido . . . Peor estä I, 106; s. S. 120*.
•) 8. S. 118, Z. 3 von oben.
') Para hacer niinas, tambien j Conmigo vienen los celos, / Porque
»iempre sus desvelos / Lo mas escondido vefi : / Ingenieros son, d quien /
Ninguna mdquina yerra, / Pues en la amorosa guerra / Saca ä luz su
resplandor I Estrdtagemas de amor I De debajo de la tierra^ Lances
I, 38*.
*) Tienen los celos pasos de ladrones, Midico I, 369" = 11, 875.
•) basta I Para dar celos el viento, Argenis I, 451*.
- 122 —
* „ist fSifersucht
In der Tat ein Astrolog,
Glanby. o glaub nicht dea Gespenstem,
Die ihr böser Zauber wob.** ^)
Von den Gefühlen des Menschen werden feiner der
Schmerz und die Furcht personifiziert.
Oft legt der Schmerz dem Menschen ein^ Knebel auf
den Mund und einen Strick um den Hals und macht ihn so
zum Handeln unfähig ^), ja, bisweilen wird er gar zum Mörder
an dem Menschen.^
Die Furcht bemalt die Wangen des Menschen mit
Purpurfarbe^ so daß dieser seine Angst nicht verheimlicheo
kann ^) ; sie lehrt ihn trefflich singen ^) oder hält dem Feigen
die Hände gefesselt, so daß er sich nichts zu unternehmen
getraut^; auch hält sie ihn im entscheidenden Augenblicke
mit den Fesseln der Beklemmung am Fuße fest.^ Der
Mutige indes wird der Furcht trotzig ins Auge schauen.^)
Einem Könige gleich beherrscht der Schrecken bisweilen
die Sinne des Menschen; ist der eine Schrecken vorbei-
gegangen, so tritt rasch der nächste als Vizekönig an seine
Stelle.^ Der Schrecken über eine begangene Schandtat
') 81 loa celos hicieron / Tctl figura, porque aon / ABtr4loQ08, por lo
miamo / No dehea creerloa, no, Peor eatä 1, 104*; Malsburg I^ S.31fi.
') El dolor I Me atMpendid con poner / üna mardaza o» la kngva^ /
Y en la garganta un cordel, Cenobia I, 202 ^
*) mi dolor, I Eate aerd mi homieida, Cenobia L 192 ^
^) 6 Q^ ^^^ procwraa / Detmentir eaoa colorea / Qm en tua rntjUlas
dibuja I El temor? X an ee< I, 42°.
*) / Q^ 9^o.n müaico ea el miedo! Dama 1, 177*: der Diener Cosme
flingt in seiner Angst vor dem Kobold ein Kinderlied.
*) Atadaa las manos I Me tiene un temoTy Cenobia I, 203*.
') el temor nie tiene I Con grilloa de miedo al piiy Fr ine. I, 255**
= II, 762 f. — ApenM las plantaa puedo I Mooer, que el miamo temor/
Griüoa ä mia püa ha puesto, JJevocion I, 63''; ef. el harror y el
eapanto / Son de mia plantaa priaionea, Sab er I, 20 ^
^] baatara aer dos portuguesea / PartvctdareSy para no haber viato /
La cara al miedo, Fr ine. I, 250* = I, 865 ff.
*) No dtjea tan preauroso / For vWey en mis aenOdos / Ün aaombro
de otro aaombro, GaL fant. I. 302 ■.
— 123 —
ziiehtigjb den Mensehea und wird an ihm zom kähnen nnd ge-
waltigBn Henker.^)
An einer Stelle wird^ nm dies hier anmifügen, die Gefahr
personifiziert.
Die Grefahr ist Herrscherin über Wasser nnd Land; auf
den Meere wie auf dem Festlande hat sie ihr Beich gegründet;
sie kann dies beweisen^ indem sie sieh auf dem Meere ndt
den Trümmern der Schiffe bekrönt und auf dem Lande sich
mit so mancher Not umgürtet.^)
Kapitel IIL
Die Personifikation Ton abstrakten BegrilTeii.
In der Fers, der abstrakten Begriffe nehmen die Stellen,
in welchen das Schicksal, sowie das Glück und das
Unglück personifiziert werden, den breitesten Raum ein.
Das Schicksal.
Stets sind die Menschen dem Zorne, stets der Wut eines
allzustrengen Schicksals ausgesetzt"); stets züchtigt das
grausame Schicksal den Unschuldigen und nicht den mit
Schuld Beladenen^), denn es ist die Art des Schicksals und
die Pflicht der Glücksgöttin, den Menschen zu züchtigen ohne
Schuld.»)
^ (Ä fm paMa fui iraidarj Lleg6 ü rigor / A ea§Ugarme y ä
8er I Mi verdugo osado y fuerte, Cenobia I, 200*.
*) d peligro j Eb de mar y tierra dueno, / Parque en la iierra y el
mar / Tiene el peligro su imperio : / Digalo alUf coranado [ De tarUas
naufragio» cierto$, / Y aqui lo diga, cefiido / De tantoe preeisos riesgos,
May. eneanto I, 391®.
^ Siempre d la cdlera expueetos, / Siempre eapueetoe d la $aHa / De
loe hadas rigurosoB, May, eneanto I, 401*.
*) Siempre aevero el hado / Castiga al inocenU, no al eulpado,
Saher I, SO*.
^) da/r fin exdpa castigos / Es inclifiacion del hado f Y e$ de la
fortuna oficio, Saher I, 31*.
— 124 —
Nicht achtet das Schicksal menschliche Schönheit ^) ; streng
und grausam verweigert es edlen Menschen ihr verdientes
Glück ^\ und jeder müht sich vergebens ab, dem das Schick-
sal nicht hilfreichen Beistand leistet.')
Das Schicksal kennt alle Wege und weiß den Menschen
selbst im Dickicht des Gebirges aufzufinden; dennoch ist es
eines Christen unwürdig, zu sagen, es gebe keinen Schutz
gegen seine Wut; dem klugen Manne wird es gelingen, das
Schicksal zu besiegen/)
Freilich sagt der Dichter wieder an anderer Stelle, daß
was das Geschick anordne, weder Weisheit verhüten, noch
Sorgfalt vereiteln könne. '^)
Gar selten lügt das Schicksal, wenn es Unheil verkündet,
denn so trügerisch es im Glücke ist, so sicher ist es im Un-
glück.®)
An den Gefangenen im Turme von Mantible wird das
Geschick zum Mörder ^), indes Ulysses sich freut, daß endlich
das Schicksal auf seiner Seite stehe und der Himmel ihn be-
günstige.')
Die übrigen Perss. des Schicksals: rigor del hadOf hado
inclemente, las iras del hadOf u. a. m., gehören, aus der Häufig-
keit ihres Vorkommens zu schließen, der Umgangssprache an.
Mit hado deckt sich in vieler Beziehung der Begriff /br/t/Tia;
*) el hado no respeta ä la hermosuray Fear estä I, 100*.
•) el hado / Niega, cruel y severe I La Ventura ä la nohleza, 8 ab er
I, 22 ^
■) En vano se atreve^ en vanoj Aquien la suerte no ayttda, Lances
l 43*.
*) Aunque el hado, senor, sabe / Todos los caminoSj y haüa / Ä guien
busca, entre lo espeso / De las penas, no es cristiana / Detcrminacian decir /
Qiie no hay reparo d su sana; ISi Jiay Yida 1, 18» = m, 921/928.
Hierzu Ftda IH, 898/900.
*) lo que el hado dispone, / Ni lo previene la ciencia / Ni el estudio
lo conoce, Judas I, 311 \
0) jQui pocas veces el hado I Que dice desdichas, miente! I Pues es
tan cierto en los males I Cuanto dudoso en los bieyies, Fi da I, 10** =
n, 739 ff.
') esos de quien el hado es homicida, Puente I, 212**.
*) ya veo / Tan de mi parte los hados, / Tan en mi favor los cielos,
May. encanto I, 392«.
— 125 —
beide können mit „Schicksal, Geschick'' übersetzt werden,
wenn auch fortuna meist nnr das gute, günstige Geschick, das
Glück, sowie die Glücksgöttin bezeichnet.
Das Glück.
(Die Glücksgöttin Fortuna.)
Eine genaue Beschreibung der Glücksgöttin gibt uns die
Stelle Saber I, 25»^):
Die Glücksgöttin, die ehemals auf Altären verehrt und
von unwissenden Menschen in ehernen Statuen yerherrlicht
wurde, zeigt uns solch ein wüstes Bild, solch ein zweifelhaftes
Antlitz, solche trügerische Gesichtszüge, solch ein flüchtiges
Betragen, daß sie bei jedem, der sie betrachtet, den Anschein
erweckt, als mache sie verschiedene Gesichter, wie die Sonnen-
blume, die bald grüne, bald rote Farben zeigt. Sie setzt
ihre Fußspitzen auf ein Bad, welches die Zeit so rasch vor-
wärts treibt, daß nicht einmal des Menschen Bede es ein-
holen kann, indes ihre Schönheit der vergänglichen Wunder-
blume gleicht, der nur ein einziger Lebenstag beschieden ist.
Während uns in dieser Stelle die Glücksgöttin in wunder-
bar plastischer Gestalt entgegentritt und wir von ihrer Haupt-
untugend, ihrer Wankelmütigkeit, sowie von ihrem fliegenden
Rade hören, werden ihr an anderen Stellen Attribute des
menschlichen Körpers beigelegt und ihr so ebenfalls mensch-
liche Körpergestalt verliehen.
Einem unglücklichen Menschen ist es nicht vergönnt, dem
») Saher I, 25»:
em diosa, que en altares
Vivio idolatrada un tiempo,
Ä quien dieron ignorantes
Los homhrea bultos de bronce
Sobre eolumnas de jaspe,
Es de aspecto tan confuso,
De tan dudoio semhlante.
De tan enganoso trato
Y de condicion tan fdcil,
Que, ä quien la mira, parece
Que diverses rostros hace,
— 186 —
tiüficke ins Antlitz zu schauen ^) ; so sagt Ouido, der in seia
Gerfängniese plötzlioh Florfpes erblickt, er bezweifle noch sein
Glück, denn da er ihm so selten ine G^sidit geschaut, so
habe er dessen Gesichtszüge nicht merken können'); Don
Alvaro fragt die wankelmütige JPcMrtuna, ob er noch lange
ihr Spielball bleiben solle oder endlich in ihrem Antlitz
einiges Erbarmen finden werde ^, indes der Graf Lara ihm
versiofaert, daB jedermann an ihnen beideo das wankelmütige
Antlitz der Glücksgöttin erkenne/)
fitok erklfirt Flotfftes, nioht von ungeflUir wolle Me sich
der iridorwärtigen Fortuna ergebcm, sondern stascdhaft gegen
sie ankämpfen : Auge .gegen Auge, Stirn gegen Stirn, AntJitp
gegen AntBtz, Körper gegen Körper; wer dann sioge» der
möge leben. ^)
Bereits oben haben wir erfahren, daß die Glückagöttüi
mit den Füßen auf einem rasäh Tollenden Rade steht, da$
-mehr fliegt als es rollt, wedialb es mit Flügeln gemailt wivd %
und das, je nacdidem es sidh dreht, die seltsaoBOsten Wirkungen
Como d girasol que muestra
Verdea y rojos ceUyes.
Ya 86 que pone las plantaa
Sobre una rueda, ä quien trete
Tan veloz el tiempOf que
No hay discureo que la alcance.
Y ya 8i que 8u hertnosura
Es maraviUay que nace
AI alba, y muere ä la nocke,
Como efimcra fragrante.
^) un hotnbre tan desdichado / Que la cara no conoce j Del hten,
Saber I, 21*.
^) Dudo m\8 dichas, senora; / Que como tan pocas veces / Las vi
el rostrOj no observS I De 9u rostro las espedes, Puente I, 218".
*) i Dirne, hasta cudndo, fortuna, / Objeto tuyo hedeser? I ^0 cuändo
tengo de ver j En tu faz piedad alguna? Saber I, 23®.
*) ninguna / Persona que d los dos viera, / En los dos no conociera /
El rostro de la fortuna^ Saber I, 32 ^
*) No me he de dar ä partido j Äla fortufia inclemente^ / Pues la
he de esperar constante / Vista d vista, frente ä frente, / Cara ä cara,
cuerpo ä citerpo, / Pues asi viva quien vence^ Puente I, 213".
•) Tu rueda pinta con afew, / Que no corre, sino vuela, Banda
II, 164«.
— 137 -
liarvorbrkigt.^) Oft kann es durch ein« einzige Waldung den
Menschen vom höchsten Glück ins größte Unglück stürzen ') ;
bei doer Ueinen Drefbong können Königtümer und Kaiser-
möhe sich ändern.*)
'Kann anch nach der Meinung des Ludovico niemand das
nnbeständige fiad der Fortuna besiegen^), und fleht auOh
Don Alvaro die Glücksgöttin an, ne mSge ihr Rad nicht mehr
«weiter drehen, da er mit seiner gegenwärtigen Lage zufrieden
8d ^), so erklärt doch Clorfquea voll Btolz, sie wllrde am !Bade
einen Nagel anlegen, um seine Bewegung zu hemmen^), tmd
£lorfpeB glaubt, Roldan (Roland) ^ei gerade der rechte Mann,
dw das Rad^OT Fortuna aufhallten könne. ^
Die 'schlimmdte Eigenschaft der Glücks^ttin i^ unstreitig
ihre Wankelmütigkeit, die wohl ein jeder einmal kennen
lerort.^) In zahlreichen Stellen spielt Calderon auf diese
'BMptoiltirgend an, und Ausdrücke wie €la forhma imonatante^),
Ut mcGnsümcia de la foriuna, la mudable condwUm de la fmiuna^ ^^)
n. a. m. werden bei ihm nachgerade zum G^meinplectze.
Es kann mit der Glücksgöttin auch gar nicht anders
«ein, denn da sie ein Weib ist^^), so ginge es nicht mit
*) iEstos 8on, diosa fortuna, / Los efectos de tu rueda? Sa 6 er I, 32*.
*) .So warnt die besiegte Genobia den fliegesstolzen Kaiser Aurelian:
podrd ser, qiAe cansada / Deatos aplauaos, la rueda / Di la vuelta^ y qiie
d mis pUs I Como me hos vistOj te tfeas, Cenobia I, 199^
*) d una hrwe fdcil vmlta / 8e truecan kut monarqidas / Y loe
iwtp€rio8 86 trueeanj ibd. I, 199* f.
*) no hay quien pueda / Vencer la inconstante rueda^ Purguly 155*.
*) eupuesto que he üegado / Ä un punie fijo^ deten / La rueda.
Saher I, 32*.
^) Busiera un clavo d la rueda .... Pör parar el movimientOj
Judaß 1, 314".
^ Tu dparar serös hastantelDe la fortuna la rueda, Puente I, 216^
^) Uegaa I Ä conocer sus mudanzas, Cenobia I, 199*.
») Saber I, 26*.
") Frinc. I, 260« = m, 778f. Vgl. noch in denwelben Stücke:
mi fortuna / Mudable mos que la luna, I, 251 « = 11, 168f. ; — «te / De
la f. vaiven, I, 25ö^ -* 11, 744 f.; — Deidad de los hombres varia, May.
monstruo I, 490*.
") en efetol Es la fortuna mujer, (Jen. I, 189»»; Judas I, 314«;
Una inconstante mujer, Saber I, 32*.
— 128 —
rechten Dingen zu, wäre sie nicht launenhaft und wankel-
mütig, i)
Deshalb ist es für den Mann keine Ehre, sich von ihr,
einem unbeständigen Weibe, besiegen zu lassen; sie ist doch
wahrhaftig keine heilige und unnahbare Gottheit, denn ein
tapferer Mann kann sie bezwingen '), wobei er freilich mit
Klugheit und Mäßigung verfahren muß.^)
Fortuna ward stets nur vom Feigen gefürchtet*), ihn
stößt sie zurück, indes sie dem Mutigen stets beisteht^):
fortes fortuna adjuvat.^)
Glücklich ist daher der Mann zu preisen, der ihre
Drohungen nicht fürchtet und sich ihren harten Schlägen
nicht unterwirft ^, der selbst in schwierigen Lagen auch dem
Glück etwas zu tun überläßt^)
Zum Schlüsse ist noch auf die bei Calderon sich häufig
findende Bedewendung : „Fortuna fuhrt ihre Trauerspiele auf"
hinzuweisen, welche gleich den „Armen des Todes" ^) wohl
eine jener gemachten stehenden Phrasen ist, von denen Gries
spricht. ^*^)
Beim Volksaufstande wird der alte Thron zum „Frevel-
schauplatz, wo, uns zur Bedrängnis, mit Trauerspielen schrecket
*) en te fortuna fuera accion contraria, j Siendo mujer, no ser
mudable y varia, Ctn. I, 188".
•) cuando vengas d ser l Dt la fort vencido, I ^Es honor haberlo
sldo I De una inconstante mujer? I iEs eata f. alguna / Deidad santa y
eminetite? I No, pttes un hombre valiente / Sähe vencer la fortuna, Judas
I, 314 ^
*) quien vencer aguarda j Ä su fortuna, ha de ser j Con cordura y
con templanza. Vi dal, 18 »> = HI, 1026 ff.
*) siempre la f. I Fui sagrado del cobarde, Judas I, 314 ^
*) d los audaces, sin duda, / Dicen que fortuna ayuda, (Yd los
timidos repekt, Con quien IT, 234»».
•) siempre estd la fortuna j De parte del atrevido, Dev, I, 6ö^; la
fort. I Ayuda dl atremmiento, Casa I, 137°,
") /Oh venganzas de fortunalJiMil veces felice el hombre I Que ni
teme tus aniagos I Ni se sujet^ d tus golpes^ Judas I, 311 ^
*) Dejemos d la Ventura I Algo en lance tan severo, Peor estd
I, 102^; dejemos algo / Ä la fortuna^ Mej. estd I, 229 ^
. ^) 8. oben, S. 109.
lö) Gries an Tieck, Brief vom 29. Mai 1829.
— 129 —
da» Verhängnis" ^); auf dem Welttheater führt Fortuna ihre
Trauerspiele auf^); bei einem blutigen Gefechte spielt das
Schicksal vor dem Himmel auf smaragdgrüner Bühne^ d. h.
dem Wiesenteppich, tausend Trauerspiele^); die armen. Ge-
fangenen im Turme nennt Floripes die Tragödien Eortunas ^),
indes Filipo sich als „elende Siegesbeute der Fortuna^' ^) be-^
zeichnet.
Gleich der Glücksgöttin ist auch die flüchtige Gelegen-
heit ein wetterwendisches Weib^), welches wir Menschen
aber nicht verachten dürfen, wenn es uns laut ruft ^ oder uns
den Haarschopf bietet, damit wir sie festhalten ^) ; denn wenn
¥dr sie einmal entwischen lassen, bietet sie uns ihr loses Haar
niemals wieder.*)
Das Ungittok.
Ist auch die Wissenschaft des Unglücks so viel«
umfassend, daß noch niemand dieselbe ausstudiert hat^^), so
wird es uns doch gelingen, mit Hilfe der von Schuchardt
angedeuteten Leitlinien ^^) einen Begriff zu erhalten, in welcher
Weise unser Dichter das Unglück personifiziert.
') Teatro funesto es, donde importuna
Representa tragedias la fortuyia^ Vida I, 14" = III, 225f.
*) representar tragedias I Asi la fortufia sabe, Sab er I, 24**; la
mayor tragedia / Que en el teatro del mundo / La fortuna representa,
Cenobia 1, 198^
') Dos campos que se am^fiazan, / Representatido d los cielos / En
teatros de esnieraldas I Mil tragedias la fortunOy Puente 1, 210 •.
*) esos miseros presos, f Tragedias de la fortuna, Fuente I, 21 1^
*) mise^'o trofeo I De la fort. Purg. I, 1Ö3*'.
*j Mujer es la ocasion, Amor I, 382 ^
") esta ocasion , . . tan ä voces nos llama^ Dama I, 186«.
**) El copete I Nos ofrece la ocasion , Puente I, 218^ — Über diese,
bekaante Fiktion vgl. z. B. S c h ö n w e r t h , Lit-Hist, Forschungen XXVI^
S. 2U/1Ö.
•) no hagas / De la ocasion desprecio; / Qwc yiwvca d quien la d^a /
Volvid el suelto cabello, Amor I, 382'*.
^^) es estudio tan gründe j Aqu^te de las desdichas / Que no le ha
alcanzado yiadie, May, monstruo I^ 483*.
^^) „C. liebt es, Sentenzen auszusprechen des InhaItS| da£ nie ein
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXII. ^
— 130 —
Ein Unglück kommt nie allein^ sondern die Leiden und
Qualen sind miteinander verkettet und verbunden, so zwar,
daß alle in einem einzigen Unglück ihren Ursprung finden ^) :
Ein Unglück ruft stets das andere herbei.*)
Diesen Gedanken führt der Dichter in der mannigfachsten
Weise weiter aus :
Wie ein Tag, wenn er zu Ende, den folgenden an seine
Stelle ruft, so ruft auch eine Qual, eine Klage die andere
herbei und hält sie fest^); oder die Qualen gleichen den
Stunden des Tages, denn wenn mit der letzten Minute die
eine aufhört, so fängt eine andere an *) ; auch Hydren werden
die Qualen genannt, da tausend neu geboren werden, wo
eine stirbt.*)
Am häufigsten aber werden unsere Leiden und Mühsale
mit dem Vogel Phönix verglichen ; wie dieser als sein eigener
Erbe im Tode zu neuem Leben erwacht, da er aus seiner
Asche immer wieder neu ersteht, so tritt auch stets ein neues
Unglück das Erbe des vorigen an®), eines entsteht aus der
noch warmen Grabesasche des vorigen ') und bereitet wieder
dem folgenden das Gemach.®)
Unglück allein komme, daß nur das Unglück wahr, das Glück aber er-
logen sei, daß Schönheit und Unglück immer verbunden seien," u. s. f.
Allgem. Zeitg., 1881, Nr. 193, vom 12. Juli.
*) las desdichas y penas / Se eslabonan y se juntan / De suerte que
salen todas j En tirändoae de una, Con quien II, 247*.
") una desdicha otra desdicha Uama, Vir gen I, 337*'; un mal d
otro med llama, Casa I, 140 •.
*) Un dia llama ä otro dia, I Y asi Uama y encadena / Llanto ä
llanto y pena d pena, Fr ine, I, 251« = II, 159 ff.
*) 8on horas las desdichas^ / Qwc en el minuto postrero / Que una
acaba, empieza otra, C astig o in, 378«.
*) Hidras las desdichas son, / Mil nacen donde una wwere, Puente
1, 219 ^
•) iinas d otras suceden^ / Herederas de si mismas. I Ä la imitacion
del Fenix, I Tinas de las otras nacen, / Vimendo de lo que mueren^ j Y
siempre de sus cenizas / Estd el sepulcro caliente, Vi da I, 11* == 11, 846 ff.
^) Puente I, 219^ siehe Kj, zu S. 106.
*) Bien sabeis de las desgracias^ I Que cualquiera que sucede / Hace
el aposento d otra: j Que d la imitacion del fenix ^ j Siempre de cenizas
suyas I Estd el sepulcro caliente, Mej. estd I, 230*; mis desdichas,/
— 131 —
Sagt auch ein Weiser, die Unglücksfälle seien feige« da
nie einer allein kommt ^), sondern sie, wie allgemein anerkannt^
stets in Truppen daherziehen ^) und ganze Geschlechter von
Leiden, ganze Familien von Qualen feig und frech nach dem
Menschen fahnden und ihn überfallen^), so bekräftigt doch
Bosaura, sie seien mutig, denn sie schreiten stets tapfer vor,
ohne je sich umzuwenden. Wem sie zum Geleite dienen,
der kann alles unternehmen, da er in keinem Falle zu
fürchten braucht, daß seine Leiden ihn im Stiche lassen/)
Verfolgt doch das Unglück den Menschen unablässig: zu
Wasser und zu Lande weiß es ihn zu finden^), im Hause
sucht es den Unglücklichen auf*); die Leiden und Qualen
eilen hinter dem Menschen her, und wenn sie auch über-
einander stolpern und sich gegenseitig im Wege sind, so
haben sie ihn doch bald eingeholt^); nie ermatten sie, bis
sie endlich ihr Opfer, vom Geschicke hart getroffen, dem Tode
in die Arme getrieben haben. ^) Nichts anderes deckt ihnen
Imitadoraa del fenix / Tanto que en cuna y sepxdcro / Tinas nacen y otras
mueren; / Que ä las desdichas siempre / Otras desdichas hay que las hereden,
Gal. fant I, 299^
*) Que eran cobardes, decia / Un sabio, por parecerle / Que nunca
andaba tina sola, Vida I, II» = II, 853 ff.
') es cosa asentada / Que son cobardes las penas, / Pues siempre en
cuadriUas andan, Mej. estä I, 239*^; Tres m. prod. I, 289»,
*) Tantos generös de agravios, / Tantos linajes de penas / Como co-
bardes me asaltan, I Como atrevidas me cercan, Medico I, 357** = 11,
568 ff.; dieselbe Verbindung generös de agravios, linajes de penas findet
sich noch in Purg. I, 157°; Con quien 11, 240^
♦) Yo digo que son valientes, / Pues siempre van adelante I Y nunca
la espalda vuelven. / Quien his llevare cor^igo, / Ä todo podrä atreverse, /
Pties en ninguna ocasion f ^o hay miedo que le dejen, Vida I, 11* =
n, 856 ff
*) hallar el mal ä un desdichado sabe j En la tierra y el agua,
Arginis I, 446".
«) Mi desdicha me buscd j En mi casa, Castigo HI, 389*.
^ mis desgraoias j Tinas con otras tropiezan, / Y tan en mi alcance
andan, Casa I, 140*.
*) Nunca me he hallado sin ellas / Ni se han cansado hasta verme /
Herida de la fort%Ana j En los brazos de la muerte^ Fi da I, 11' =
n, 865ff.
9*
— 132 —
dem Kücken als sie selbst, so daß sie deu Menschen nur ver-
la,ssen, um ihn von neuem heimsuchen zu können.^)
Der Mensch y den sein Unglück begleitet, iat wahrlich
nicht allein ') ; aber, wenn ihm die Unglücksfalle Gesellschaft
leisten sollen, dann kommen sie gewiß nicht so zahlreich wie
gewöhnlich^); auch sie lassen sich bitten, wenn sie merken,
daß sie für den Menschen von Vorteil sind/) Manchmal ist
nämlich das Unglück doch zu etwas gut, und vielleicht sogar
die Mutter großen Glücks/)
Wie wir oben gesehen, betont unser Dichter an vielen
Stellen, daß nur das Unglück wahr, das Glück aber erlogen sei.
Das . Unglück lügt nie ®) ; nie sagt es falsch von der Zukunft
aus ^) ; eine böse . Prophezeiung ist nie lügenhaft, wenn sie
vielleicht auch erst spät in Erfüllung geht.^)
Deshalb gilt das Unglück in den Reden des Volkes für
einen ausgezeichneten Astrologen, der in seinen Voraussagen
stets das Richtige trifft^), indes das Glück meist vom Miß-»
trauen begleitet ist^^)
Bei dem breiten Raum, den in unserem Dichter die
Fers, des Unglücks einnimmt, verschwinden die wenigen. Eälle,
^) mis desdichas 7W titnen / Otraa que espaldas lea hagan / Sino eüas
mismaSy de suerte / Que es fuerza que d mi me Imsquen, / Aun para que
d mi nie dejen, Mej. estä I, 230*'.
•) no estä sola / Quien estä con su tristeza, Mej, estä I, 231 •;
Si no son I Compania las tristezasj Sola estoy^ Con quien II, 241*.
•) Sola estoyj no nie acompanan / Sino solas mis desdichas; / Parece
que no son hartas, / Que aun para hacer compania / Hacen las desdichas
falta, Sitio I, 113^
*) ä veces / Aun las desdichas se hacen / De rogar, si les parece / Que
son de provechOf Con quieti II, 242''.
*) ä veces la desdicha / Es madre de la venturaj Mej. estä I, 228''.
•) ^Mas cuändo desdichas mienten? Dama I, 185".
') jcu/mdo dicen mal / Las desdichas que han de ser! Mej. estä
I, 243».
*} tarde n fiunca son j Mcniirosos los iynpioSj [sei], presagios)^ Vi da
I, 4" = I, 678f.
•) de los males stiele / Decirse , . . que fueron / Astrologos excelentes^ /
Pues siempi'e adicinaron, I Y dijeron verdad siempre^ Casa I, 134^
*®) siempre andar juntos vi j Fortuna y desconfianza, Casa T, 135 ^
— 133 —
in welchem das GegeDteil von desdicha, das Glück, la dicha,
personifiziert erscheint.
Des Lebens ungemischte Freude ward keinem Irdischen
zuteil, denn stets muß der Mensch dem Kummer einen Zoll
von seinem Glücke zahlen^); außerdem hat das Glück den
großen Nachteil, daß es stets zu kurz ist^) und nach kurzer
Weile wie ein Traum zerrinnt.*)
Auch verträgt das Glück sich nicht gut mit menschlicher
Schönheit^); ja, beide leben in beständiger Feindschaft mit-
einander.^) Nach der Meinung Calderon's werden namentlich
schöne Frauen vom Unglück heimgesucht; es genügt zu wissen,
daß eine Dame schön ist, um daraus zu schließen^ daß das
Glück ihr nicht hold®), und umgekehrt, hat eine Frau vom
Unglück viel zu leiden, so dürfen wir annehmen, daß sie sehr,
hübsch sein muß."^
Doch wäre es ein Irrtum, zu glauben, daß häßliche Leute
vom Unglücke verschont bleiben; vor einer traurigen Gestalt
Üieht das Glück erst recht ^), während es sonst, wenn es dem
Menschen günstig gesinnt ist, ihn gleich dem Unglücke in
jeder Lage zu finden weiß •) ; nur darf er nicht die Tür ver-
schließen, wenn das Glück ins Haus hereingehen wül.^®)
*) tengas felicemente / BieneSj sin que d los pesares / Pagues pension
de los bienes, Devocion I, 58^
*) Si no trajera la dicha j Esta pension de ser corta, Ärginis
I, 446».
■) toda la dicha humana / En fin pasa como un stteHo, Ftda 1, 19«
= m, 1122 f.
*) no st avienen bien helleza y dicha^ Purg. I, 166 ^
*) dicha y hermosura / Siempre enemigas se nomhran^ Tres m,prod.
I, 286 ^
*) Hermosa Deyaniray / Y infelice cuanto hermosa, ihd. I, 286*^;
quien deda beüa, ya deda / Inftlice, Midico I, 3öl» = I, 622 f.; Leonor
, , . I Tan infeliz como hemxosa, Ä secr, agr. I, 609 ^
'') segun fu6 desdichada / Debiö de ser muy hermosa^ Vi da I, 16«
= m, Ö47f.
•) de mi mala figura I Se anda huyendo la rcwfwra, Sab er I, 33 •.
•) cttando / Quiere el bien haüar d un hombre, / Le halla en c^Mlquire
estado, Saber I, 29«; vgl. hiezu Ärginis 1, 446«, S. 131».
^®) no he de cerrar la puerta / Si se entra la dicha en casa^ Lances
I, 44«.
— 134
Die Ehre.
Den für den Spanier so wichtigen Ehrbegriff finden wir,
abgesehen von den zahlreichen verblaßten Perss. von honor^
personifiziert in dem Drama El Medico de su honra, wo Don
Gutierre die Ehre seines Hauses, die nur von einem schwachen
Weibe abhängt, als einen Kranken betrachtet, der in Lebens-
gefahr schwebend sich schon dem Tode nahe fühlt, indes
Don Gutierre selbst, als der Arzt seiner Ehre, ängstlich be-
dacht ist, sie zu heilen:
„Ehre, du bist in Gefahr;
Jede Stunde kann entscheidend
Für dich sein; in deinem Grabe
Lebst du, weil nur eines Weibes
Hauch dich nährt, weil du in ihr
Schon den Band der Gruft beschreitest.
Ehre, heilen muß ich dich.^
A peligro esiais, honor,
Xo hay hora en vos que no sea
Oritica, en iniestro sepukro
ViviSj puesto que os alienta
La mujer, en ella esiais
Pisando siempre la huesa,
Yo OS he de curar, honor.
Langsam, mit Geduld will er hiebei vorgehen;
Und weil dieses Erstereignis
Gleich im Anbeginn der Krankheit
Die Gefahr so drohend zeiget,
Sei der erste Heilplau dieser,
Daß dem Übel man den Eintritt
Wehr' und seinen Fortgang hemme.
Und so ordnet und verschreibet
Dir der Arzt der eignen Ehre
Erstlich die Diät des Schweigens
Y pue^ al prineipio mufstra
Este prhnero accidente
Tan grave jyeligroj sea
— 135 —
La primera medicina
Cerrar al dano las pnerias^
Atajar al mal los pasos,
Y asi receta y ordena
El Midico de su honra
Primeramente la dieta
Del silendo, ^)
während er als zweites Heilmittel „Zärtlichkeit bei seinem
Weibe, Freundlichkeit, Zuneigung, Liebe, Schmeichelei'n, die
unvergleichlich ..." 2) anzuwenden für gut findet.
Noch öfter bezeichnet sich Don Gutierre als den Arzt
seiner Ehre, der sich vorgenommen hat, seine Unehre zu heilen
und deshalb zur Nachtzeit in sein Haus kommt, um, wie er
sagt, seinen Kranken zu besuchen, d. h. seine Gattin beim
Stelldichein mit dem Infanten zu überraschen.®)
Wie freut er sich, da er seine Gattin allein antrifft, also
die Heilung seiner Ehre für gesichert hält: ^Bueno he haüado
mi honoTj hacer no quiero / Por ahora otra cura : / Pues la salvd
en Ü esid segura.^^)
Doch soll er leider bald erfahren, daß er das Opfer
einer geschickt inszenierten Täuschung geworden und daß
seine Ehre kränker ist als zuvor, weshalb er den König um
Hilfe anfleht und von ihm das Leben seiner Ehre erwartet:
Von dir, Herr, erwart' ich Leben
Meiner Ehr, und hoff* einstweilen
So mit Vorsicht sie zu heilen
Und Gesundheit ihr zu geben.*)
*) Midi CO I, 357« = II, 638 ff.; üries, Übersetzung, Reclam's
ÜDiv.-ßibl. 590, S. öl f.
*) apliq\Aeis j Ä vuestra mujer finezaa^ I Agrados, gustos^ amores, /
lAsonjaSj que son las fuerzas / DefensibUs^ Ibd. I, 357° « II, 656 ff.
*) Medico de mi honra / Me Uamo, pues procura mis deshonra /
Curar, y asi he venido / Ä visitar mi enfermo . . . Mid, I, 358*' = 11,
8öOff. Of. de i^uestro honor I Midico os llamais, I, 360»» = in, 93f.
Vgl. weiter : Esta noche tri d mi casa, / De secreto entrari en ella / Por
ver que malicia tiene I El mal, I, 357'' = II, 666 ff.
*) I, 359» = n, 879ff.
*) La vida de vos espero j De mi honra; asi la curo / Con prevencion,
y procura / Que esta la sane pf^itnerOy Medico I, 360^ = III, 41 ff.
— 136 —
im allgemeinen dürfte zwar in Ehrensachen die Macht
kein guter Arzt sein.^)
Auch sonst hat Don Gutierre viel mit seiner Ehre zu
sprechen, wenn sie beide allein sind'), da er gegen seine
Gattin den schweren Verdacht der untreue geschöpft hat.
Ist doch die Ehre eines Menschen aus so zartem Stoffe, daß
ein Blick sie schon erschüttern, ein leiser Lufthauch sie be-
makeln kann.^)
Der Ruf, der Ruhm.
(Die Fama.)
Fällt es bei der figürlichen Verwendung abstrakter Be-
griffe bisweilen schwer, zu entscheiden, ob Metonymie, ver-
blaßte Pers., oder wirkliche, vom Dichter beabsichtigte
„poetische Pers." vorliegt, so ist dies, der Bedeutung nach,
"bei dem Worte fama wohl am allerschwersten.
In den meisten Fällen steht fama abstrakt für das kon-
krete los hombresj so in der bei Calderon häufigen Kedewendung:
tjyigalo la faniai^)\ schon eher Pers., wenn auch verblaßte,
liegt vor in der Wendung: ^Digalo ä voces la fama> '^), „Mag
es laut der Buf verkünden^', indes liegt zweifellos die beliebte
Metonymie abstr actum pro concreto vor, wenn es heißt, der Ruf
verkünde die Reize einer schönen Dame als einzig dastehend.*)
Bisweilen jedoch tritt uns die Fama in allegorischer
Pers. als ein geflügeltes ^) Wesen entgegen.
Mit schnellen Flügeln huscht sie leicht durch die Lüfte
') d dolenciaa de honor j No es huen midico el poder^ Banda 11,
167»; 170r
*) jAy honor ^ tnucho tenemos / Que hahlar d solns los dos! Midico
I, 356* = n, 379f.
') el honor / Es de materia tan frdgil, / Que con v.na accion se quiebray/
O se mancha con un aire, Vidal, 3*» = I, 447ff.; Ä secr. agr. I, 506*.
•*) 2. B. Saher I, 24«.
») Midico I, 365» = HI, 785.
•) La fama, hermosa con extremo os llama . , . I . ..ya imesti'a heldad
aclama I Por ünica, Feor estd I, 99 •.
■) En alas de In fama, Amor 883^ Sitio I, 119*.
— 137 —
hin^); dem Neide und dem Tode trotzend verktindet sie mit
eherner Zunge den Ruhm des Königs von Portugal') oder
bezeichnet mit goldenen Bachstaben auf eherner Tafel den
König Yon Spanien als den Herrn des Erdkreises '), indes sein
Name auf des Buhmes Lippen ewig leben bleiben wird>)
Die Festlichkeiten bei der Taufe des Infanten Baltasar
(Oktober 1629) nennt der Dichter ein Schauspiel, wozu die
ruhmgekronte , unsterbliche Fama mit metallenen Klängen,
mit eherner Stimme einlädt^); durch die ruhmvolle Über-
windung Frankreichs verleiht ihr Fierabras Fittiche zu ewigem
Fluge. •)
Das Schweigen.
Das Stillschweigen finden wir nicht selten personifiziert;
das retörico silencio, das beredte Schweigen, dürfte ja allen,
die Oalderon's Vida einmal gelesen haben, wohl bekannt sein.^)
Das Schweigen ist auch eine Antwort; es macht größeren
Eindruck und sagt oft mehr als des Menschen Worte ^); ja,
oft sind die Qualen und Leiden des Menschen so groß, daß
er sie in Worten gar nicht ausdrücken kann, wie dies die
alte Letra verkündet, die auch unser Dichter anführt:
*) la fama que lijera I Loa vientos rompe con veloces alas, Sitio
I, 110«.
*) Älfonso te Portugal f / Ret/ famoso^ d quien celebre / La fama en
lengtuu de bronze I Ä pesar de envidia y muerte^ Fr ine. I, 257*» =
in, 158ff.
*) DueHo te aclame del orhe / La fama con letras de oro / Sohre
laminas de hronce, Sah er I, 21 ^
*) Ilustre Alfonso Cuyo nombre viva etemo / En los labios de
la famUy Saber I, 35^; en los l de la /*., Ä secr. agr. I, 610^
•) Ün teatro en quitn la fama^ / Para su aplauso inmortal, j Con
aceritos de metalj Ä voces de bronce llama! Dama I. 169 ^
•) La gran victoria en que triunfa
Mi hermano de Francia, dando
Ä la fama etemas plumas^ Puente I, 210 ^
') Kr„ S. Vn (Vorrede); Vida T, 2^ = II, 636.
^ es el sileficio elocuente, Con quien 11,242*'; Bespdndate retdrico
el silenciOy Fi da I, 9 ** = 11, 636; [los discursos . , , De mi vida] dudo
y temo / Que yo los pueda decir^ I Si no los dice el silencio, Con quien
n, 236^
— 138 —
Zeuge meiner Herzensklage
Soll allein das Schweigen sein,
Kaum faßt meine ganze Pein
Alles das, was ich nicht sage.
Solo el silencio testigo / Ua de ser de mi tormento, / Y aun
HO cabe h que siento / En todo lo que no digo,^)
Das Stillschweigen findet oft ein Grab in des Menschen
Brust ^), oder ein eisiges Gefängnis *), in welchem es von der
Furcht mit Fesseln und Riegeln angeschmiedet wird>) Der
zur Verschwiegenheit verpflichtete Mensch ist dem Still-
schweigen in die Hand gegeben und darf nicht eher reden,
bis es ihn aus der Hand läßt % doch fällt es namentlich den
Dienern oft schwer, das nötige Stillschweigen über Geheim-
nisse zu beobachten*), ja, ein Diener sein und schweigen, ist
sogar der größte Frevel.')
OflFen erklären daher die Diener Moron und Ponlevi,
sowie die Zofe Ines, wenn auch das Geheimnis heilig sei, so
feierten sie diesen Heiligen nicht®), indes Clarin wohl oder
übel den Tag des heiligen Secreto durch Fasten im Gefang-
nisse feiern muß:
„Wenn das Schweigen Heil'ge macht.
Wie im neuen Festkalender,
So ist Sankt Sekret mein Heil'ger,
Denn ihm fast' ich, ohn Ergötzen." •)
') May. encanto I, 397% 399»f., cf. VaJ. Schmidt, S. 311.
*) aiendo mi pecho j Del silencio sepultura, Con quien IT, 247 ^
*) procura romper / Las priaioties ä un secreto / Que tantos afios
guardij Aströl. I, 574 ^
*) rompiendo d mi silencio / Las prisiones y los griUos / Cmi que eti
cärceles de hielo I El temo}- los ha tetüdoy May. monstruo I, 486*.
*) 81 me deja I El silencio de su mano^ Firfa I, 7** = ü, 230 f.
*) Clarin y criado / Son dos cosas que se llevan / Con el secreto muy
mal, Vida I, 7»» = H, 227ff.
') callCj siendo criado^ l Que es el mayor sacrilegiOf Vida I, 13**
= III, 39 f.
*) au7ique el secreto sea santo / Yo no guardo ä San Secreto {Moron),
Aströl. I, 578*; Sati Secreto j Nxmca es fiesta de guardar {Ponlevi)^
Banda II, 152 **; aunque es santo, prometo j El secreto Singular, / Yo
nunca pude yuardar (La fiesta de san Secreto (Lies), Homhrel,blS\
*) Si llaman santo al callar, / Como en caletidario nuevo, / Sa/n
— 139 —
Die Zeit und die Zeitverhältsisse.
„In allen Literaturen ist die abstrakte Zeit zu sinn-
vollem Leben personifiziert worden." ^) Während aber Shak-
spere in Perss. der Zeit unerschöpflich ist^), finden sich bei
Calderon nur einige wenige prägnante Fälle dieser Art.
Die geschäftige Zeit schreibt zu ewigem Angedenken die
Ruhmestaten verdienter Männer auf eherne Tafehi *) ; als ge-
schickte Künstlerin, sorglos und ohne Mühe, * meißelt sie die
harten Felsen zu breiten Wandelgängen aus^); auch hat sie
das Recht und die Pflicht, uns jeden Tag an Erfährung
klüger zu machen, so daß, nach dem Ausspruche eines Weisen,
die erfahrenen alten Leute in der Schule der Jahre die
Schüler der Zeit gewesen sind.*)
Der König Basilius jedoch nimmt der Zeit diese ihre
Pflicht weg, da er vermöge seiner astrologischen Kenntnisse
die Ereignisse der Zukunft voraussieht. Zugleich gewinnt er
auch der Zeit den Dank ab, indem er anderen mitteilt, was
eigentlich sie berichten sollte.^) Indem der gelehrte Astrolog
die immer noch zu früh eintretenden Schicksalsschläge vorher-
sagt, ist er gewissermaßen eifrig bemüht, den Lauf der eiligen
Zeit noch zu beschleunigen, als ob es nötig wäre, sie noch
an ihren schnellen Lauf zu mahnen.^
Secreto es para mi, / Pttes le ayuno y no le huelgOj Vi da I, 13** = III,
33ff. Cf. Val. Schmidt, S. 355.
*) Biese, Die Philosophie des Metaphorischen^ S. 100 f.
«) üottschall, Poetik, S. 170; Hoburg, S. löfiF.
') SU hlason el tiempo presuroso / En läminas de bronce tiene escritOj
Sitio I, 111*; Invicto Otaviano, cHyo/Xombre en läminas etemas I El
tiempo escriba, dictado j De las pltimas y laslenguas, May. monstruo
I, 487 %• I, 483«.
*) Por diversos laberintos / Que labrö (artifice diestrOy / Sin estudio
y sin cuidado), I El desalino del tiempo^ May. encanto I, 391 ^
^) Dijo un sdbio que los viejos / En üi escuela de los anos / Son
discipulos del tiempo, C astig o III, 377 ^
•) al tiempo le quito . ... La jurisdiccion y oficio / De ensenar mas
cada dia; I Pues cuando en mis tahlas miro I Presentes las novedades I
De los venideros siglos, / Le gano al tiempo las gracias / De contar lo que
yo he dichOy Vida 1, ^^ = l, 615 ff. Siehe Ki, S. 62 f. zu dieser Stelle.
') Un doctisimo hebreo / Tiene Jerusalen, cuyo deseo / Siempre ha
— 140 —
Eilt auch die stolze Zeit ^) mit starrem Flügelschlag und
hartem Fußtritt rasch und unaufhaltsam dahin % so geht sie
doch recht langsam in Not und Unglück^, und auch der
Ungeduldige möchte am liehsten die altersschwache Zeit in
seinen Armen halten, um ihren Lauf zu beschleunigen.^)
Gleich der Sonne ist auch der Zeit ewiges Leben be-
schieden. So wünscht dem Könige Pedro sein Bruder eine
lange glückliche Regierung mit den Worten: „Mögest du als
dein eigener Etbe um Ewigkeiten mit der Zeit wetten." *)
Die Zeit zerstört alle Macht und Größe*); mit Leichtig-
keit trägt sie ihre Siege davon ; für sie wird keine Eroberung
schwer, da selbst das Größte und Beste der Last der Jahre
erliegen muß.')
Das Kommen und Gehen der Zeiten ändert den Zustand
der Dinge ^), und der Mensch hat unter dem Wankelmute
der Zeit schwer zu leiden.*)
Über die einzelnen Zeitabschnitte ist wenig Neues
zu berichten, nachdem wir den Frühling und die FrühlingB-
monate April und Mai im Zusammenhange mit dem Garten,
mit Bäumen und Bhimen, die Pers. von Tag und Nacht
sidOf estudioso / Apres^irar al tiempo presuroso / La edad, como n fueraj
Meneater accordark que corriera, May. monstruo I, 481 ^
*) El tiempo . . . ufanOy May. monstruo I, 483°.
*J el tiempo que mos vtiela^ que mas corre, / Ni con loa torpes
alas le derribe / Ni con las plantas trägicas le borre (le ^= el nombre de
Cisar), May. monstruo I, 495°.
^iQue tasado que anda el tiempo I en las penas! Con quien
n, 236*.
*) Quisiera al tiempo caduco / Tener en mis brazos koy / Para
apresurar su curso, Judas I, 324°.
*) heredero de ti mismo / Apuestes edemidades \ Con el tiempo^ Mid.
I, 356° = II, 476 fF.
*) grandezas / Que ha de deshacer el tiempo j Fi t^a I, 13° = HE, 121'f.
^ AI peso de los anos / Lo eminente se rinde; / Que d lo fddl del
tiempo I No hay conquista dificil, Fr ine. I, 245* "=■ I, 21 ff.
*) Si no mudara las cosas / De los tiempos el vaiven^ Midico
I, 352'> == I, 844f.
•) Si diga cudnto he sentido / Este inconstante desden / Del tiempo,
Princ. I, 255^ = Ü, 740 ff.; iQtden, en naciendo, no vive j Sujeto d las
inclemencias I Del tiempo y de la fortuna? Ä secr. agr. I, 596 ^
— 141 —
aber bei der Morgendämmerung und der Morgenröte betrachtet
haben.
Auf den jugendlichen Sommer folgt der greise Winter ^),
der die Berge in tiefe Ifebel einhüllt.')
Der Sommer hat unter der schädlichen Glut der Sonne
viel zu leiden ^) ; die Gluthitze des Sommers ist den Menschen
besondfors gefährlich^ so daß wir es recht wohl verstehen,
wenn der Bauer Gil renommiert, er töte in der Schlacht allein
mehr Leute als ein Arzt und ein heißer Sommer zusammen.^)
Der fröhliche Herbst dagegen beschert den Bergen grüne
Wiesen, den Tälern Früchte in reicher Fülle.*)
Von den Monaten finden wir neben den häufiger ge-
nannten Frühlingsmonaten April und Mai®) nur den Januar
gelegentlich erwähnt, als den unwirtlichsten und rauhesten
Monat, der viele Zerstörungen anrichtet^; die Monate Juli
und August treten uns in einem Wortspiele entgegen®), und
vom Monate Dezember erfahren wir, daß er im Feldzuge
gegen Holland (1625) den kräftigen Schultern der Soldaten
Spuren von Reif und Frost eingeprägt habe.®)
*) al joven verano / Sigtte el cano inviemo, Mej. estd I, 241*».
*) el inviemo l^lado y cano / Este monte con niehlaa desvanece,
Tres m. prod, I, 284».
•) el verano / Los desprecios del sol sufre y padece; / Llega alegre el
otono y enriquece j El monte de verdor, defruta el llano, Tres m. prod.
I, 284 •.
*) Maio solo tnas, que juntos I Un midico y un esHOj Devocion
I, 66 •.
») Tres m. prod, I, 284% 8. oben.
«) 8. S. 78 ff.
') partos de un ano mismo / Soti las pompas del ahril / Y las fndnas
del etierOf Puente I, 206*.
*) £b antwortet nämlich der eine von zwei Dienern auf die
Fragte: „Wer von Euch beiden ist Julius?** scherzhaft: Den Herrn Julius
oder August dürftet Ihr an der Trockenheit und Dürre leicht erkennen
. , . El senor Julio 6 Ägosto^ / Por lo seco y por lo flaco / Le ptidiereis
conocer, Sah er I, 29 ^
^) el dicietnbre . . . . / Molduras de escarcha y hielo / Labre en sus
robustos hombroSj Sitio I, 111 ^
— 142 —
Kapitel IV.
Die Personifikation yon Gebäuden und Geräten.
Den niedrigen Turm^ in welchem der unglückliche Sigis-
mund gefangen gehalten wird, beschreibt uns der Dichter als
„ein roh ßebäu zwischen kahlen Felsen, so niedrig, daß es
sich kaum getraut, zur Sonne aufzuschauen^ ^), indes der Turm
von Mantible uns als ein stolzer Riese aus hartem Stein ge-
schildert wird, der hoch emporragt und mit der Stirn am
Himmel anstößt. Er kleidet sich genau wie ein Afrikaner,
denn die Wolken sind der Bausch seines Turbans, und damit
seinem Kopfputze nicht das Abzeichen der Königswürde
fehle, setzt er den Halbmond des Himmels auf die oberste
Spitze auf.*)
Türme, Paläste, Tempel, ja selbst Landhäuser erheben
mit Vorliebe ihre hohe Stirn bis in die Wolken oder bis zur
Sonne empor') und wollen in ihrem Ehrgeiz dem Himmels-
gewölbe an Höhe gleichkommen.*)
Die Brücke von Mantible ist so hoch, daß ihre finstere
Stirn dem Sonnenball zur Stütze dienen könnte*); verwegen
und trotzig steht sie der Sonne gegenüber, der sie infolge
*) Rtistico nace entre deanudas pema / Un palacio tan breve, / Que
al 8ol apinas d mirar se atreve^ Vi da I, 1** = I, 56 ff.
') gigante de piedra, / Que viste africano traje / Tan al prqpio, que
las nubea / San tocas de m turhante^ j Y porque ingignia de rey I En 8u
tocado no falte, / La media luna del cielo / Se le pone por retnate, Puente
I, 216 ^
•) Eata quinta eminente / Que al sol empina la elevada frente, Tres
m, prod. I, 276^
*) Ese mipremo edificiOy j Que entre aquesas penaa altas / Ä igualarse
con el cielo / Ambicioso se l^anta, / Templo de Jupiter es, Tres m. prod,
I, 288 ^
*) esa fdbrica altiva . . . En cuyo ceno la esfera j Del sol descansa
y estriba^ Puente I, 213*.
— 143 —
ihrer Höhe die Aussicht versperrt.*) Eitel uod hochmütig
steht der Palast der Circe da^ die Luft hemmend und die
Berge bedrückend <), während das Landhaus, in sich selbst
▼erliebt wie einst Narzissus, seine Schönheit in der grünen
Meerflut betrachtet '), oder die Huldigung des vorübereilenden
Flusses empfängt, welcher dem Landhause bescheiden die
Füße küßt.*)
Zum Schlüsse ist noch auf einen Vergleich hinzuweisen.
Um anzudeuten, wie ein Untertan in der Umgebung seines
Fürsten am ersten dessen Zorn zu fühlen bekommt und des-
halb sich wohl hüten soll, dessen Unwillen zu erregen, bedient
sich Calderon des Gleichnisses vom Turme, der als Schutzwehr
gegen die Blitze hoch oben auf dem Hügel thronend, der
Blitzgefahr vor allem ausgesetzt ist und deshalb nicht den
Blitz, die verhängnisvolle Ausgeburt der unheilschwangeren
Wolke, zum Zorne herausfordern darf.*)
Bei der Betrachtung der Fers, mechanischer Gegenstände
treffen wir zunächst auf einige wenige Stellen, in welchen
Wagen und Schiffe personifiziert werden.
Der Bauer Gil erzählt von einer alten wackeligen Kutsche,
die im Vergleich zu anderen Kutschen ausgesehen habe, wie
eine verschämte Arme, und die, mit dem Fluche ihrer Eltern
beladen, immer tiefer in den Schmutz gesunken sei'); die
stolzen Fahrzeuge, welche die portugiesischen Heere nach
M Est puentCj que atrevido j AI sol, que le mira^ enoja, I Pues puesto
en la mitad del mundo, / Ver la otra mitad U estorba ... Pticn fc I, 221**.
") Vimos un rico palacio^ / Tan vaiiamente soberbio, / Que embara-
zando los aires j Y lo8 montes afligiendOj / Era para aquellos nube / Y
penaaco para estos, May. encanto I, 391*.
■) eata quinta, / Narciso que en el viril I Del mar mira su hermosuraj j
Enamorado de ai, Arginis I, 454 ^
*) Una quinta hermosa y bella / E8 casa de recreacion / Suya, cuyas
plantas beaa I El rio, Sitio I, 122*.
*) AI rayo que de la nube / Prenada es fatal aborto, / No le burla
aqueüa forre / Que cimera de un escoUo^ / Rebeüin contra los rayos / Estd
al repäro de todos, Gal. fant. I, 302 ^
•) Este coche . . . . / Parecia entre los otros / Pobre coche vergonzante; /
Ypar maldicion muy cierta / De sus padres / Iba de estribo en estribo . . .
Devocion I, 54*.
— 144 —
Afrika hinübergetragen, nennt der König Alfonso „Berge des,
Meeres, schwanger von KriegsYolk^, die selbst den Himmel
in Schrecken versetzen^); das bescheidene Schiff hingegen,
das dem Ulises imd seinen Gefährten auf dem Krystallfelde
des Meeres lange Jahre zum Aufenthalte gedient hat, soll,
dem Wunsche der Circe gemäß, im sicheren Haf^i ausruhen
von der langen Irrfahrt; sanft und ohne große An^rengimg
möge es hier seine leinenen Flügel schlagen,
„sich dankbar zeigend
Für die Schickung, für das Mitleid
So der Himmel ihm erweiset." *)
Einen breiteren Baum nimmt die Fers, der Waffen ein.
Don Luis entledigt sich des Degens, mit dem er Don
Manuel verwundet hat, als eines ungetreuen Dieners, der
seinem Herrn Verdruß bereitet. „Hier ist der Degen, der
Euch verletzt hat; er kommt zu Euren Füßen, um Verzeihung
für seine Schuld zu erwirken." — Don Manuel nimmt ihn
an mit den Worten: „Das Schwert, stets an meiner Seite,
möge mich Tapferkeit lehren." *)
Der feige Diener Cosme dagegen weigert sich, im Zwei-
kampfe zu fechten, mit der Entschuldigung, seine Klinge sei
noch eine reine Jungfrau, die er ohne Bing und Trauschein
nicht entblößen dürfe*); ebenso weigert sich Chato, sein
Schwert zu ziehen und sucht nach allerlei Ausflüchten : seine
Klinge sei noch eine unbefleckte Jungfrau, sie sei viel zu
^) esa mäquina arrogante j De naveSj que causando al cielo asombros
Aborten gente loa prenadoa montes I Bei war, Fr ine. I. 260*
= m. 651flf.
^) ese bajelj que al abrigo / De dos montes surto yace^ j Permite que
agradecido / Ä la piedad de los cielos, / De los hados al arhitrio, / Manda^
y no penosamente, / Bata las alas de lino^ / En tanto que te reparas, May.
encanto I, 394'.
^) Bien como aqud criado / Qite d su senor aigun disgusto ha
dado, I Hoy de mi lo despido. / Esta es, senor, la espada que os ha
herido; j Ä vuestras plantas viene / Ä pediros perdon, si culpa tiene . . .
Datna I, 171*.
*) Es doncclla, j Y sin cedula 6 palabra; Xo puedo sacarla, Datna
I, 168*.
— 146 —
sittsam und schäme sich, vor so vielen Leuten entblößt zu
werden.^)
Oft besitzen die Worte, welche der beredte Stahl ^)
spricht, mehr Nachdruck und Kraft als die Worte der Zunge •) ;
wo das Schwert zu sprechen hat, muß die Zunge schweigen ^) ;
wichtige Angelegenheiten werden überhaupt nur mit dem
Stahle in der Hand entschieden.
Wie die Klingen oft zu Schiedsrichtern für die Tapfer-
keit werden^), so kommen auch Fierabras und der Kaiser
Karl überein, daß der Krieg ihr Schiedsmann sei, daß der
Degen Richter ihres Anspruchs werde.^
Der blinkende Dolch soll Zeuge sein, daß dem Infanten
von Don Gutierre kein Leid geschehe ') ; derselbe Dolch aber
verkündet dem Könige untrüglich die Schuld des Infanten:
„Der Dolch beklagt sich über Euch, und ich muß ihm Gehör
schenken." *)
Dem schlafenden Ulysses legt Polydor den Panzer und
die WaflFen des Achill zu Füßen, damit jener beim Erwachen
an seine Pflicht erinnert werde. Hiebei redet Polydor die
Waflfen an:
') La mia (= espada) j Es muy recatada, y teme / El parecer des-
honesta / Delante de tanta gente . . . Es doncelkt, / Y porque mejor lo
pruebe, / Jarnos sangrienta se lia visto .. .Judas l^ 316 ^
«) Retörico el aeero, Dama I, 186»; (cf. ibd Ruido de cuchiUadas /
Habloy siendo las lengiuis las espadas).
*) Discursos han sido vanos / Los que la lengua primero / Ariicvla,
que el acero, Fuente I, 218*.
^) donde el acero / Ha de hablar, caUe la lengua, Devocion l, bb^]
La lengua / Suspended, y hoble el acero^ Da mal, 168*; Besponda presto, /
0 ya desenvoinada I Lengua de acero, lo dird mi espoda. Ä secr. agr,
I, 603^; Callando doy respuesta con la espoda, ibd, 1, 603".
*) sean los aceros / ÄrbUros del valor en la campafia, Puente
I, 205 \
•) Mi hermano y Carlos trataron / Que fuese ärbitro la lid, / Qtie
fuese juez el acero j De su pretension, Puente I, 206".
') Enrique . . . . / Estä seguro conmigo, / Ypara esto hoble un testigo :
Esta daga, esto brillante I Lengua de acero elegante, Midico I, 360**
= m, 53ff.
*•) i Veis este punal dorado ? / Geroglifico es que dice / Vuestro delito:
d quejarse / Viene de vos, y he de oirle, Midico I» 361*" = HI, 209ff.
MUnchener Beitrage z. romanischen u. engl. Philologie. XXXII. 10
— 146 —
Ihr Trophä'n, die in der Aschen
Troja immer noch beweinet,
Die ihr um so heller scheinet.
Von Trojaner Blut gewaschen!
Sprecht für euch, und seid nicht Willens
Hier, von schnöder Lieb' umdunkelt.
Einzurosten, da ihr funkelt
Von der toten Glut Achillens.^)
Sind auch die spanischen Waffen wohl unterwiesen, über-
all den Sieg davoDzutragen *), so haben doch die Kugeln der
Feinde wenig Respekt vor den spanischen Soldaten, wenn sie
ohne anzuklopfen ins Heerlager zum Besuche hereinkommen.^)
Neben den Waffen finden wir die Kleidung des
Menschen personifiziert.
So rühmt der Bauer Tosco seinen kurzen Mantel, der
ihm nur bis zu den Hüften geht: der Mantel sei ungemein
höflich und gamicht hochmütig, denn wenn sein Besitzer sich
auch niedersetze, bleibe er immer stehen^); der feige Gil
dagegen, der die Tracht eines BÄubers hat anlegen müssen,
nennt sein Gewand einen großen Schurken, der die Leute
belüge.^) Doiia Mencia möchte ihren Gemahl ebenso oft
umarmen wie die Maschen des Panzerhemdes, denn diese
halten ihren Gemahl stets liebevoll umschlungen.')
Viele leblose Gegenstände werden dadurch personifiziert,
daß ihnen der Dichter eine Sprache beilegt oder sie zu Zeugen
anruft.
*) Trofeon que soberanos / Troya entre cenizaa üoray / Y aun estais
sudando ahora / La aangre de los troyanoSj / Volved por voSy y entre viles /
Amores no os permitais j Empanar . . . May. encanto I, 408 ^
*) Hoy las vidoriosas armas / Muestren sangrientas que estan /
Siempre d vencer ensenadaSj Sitio I, 114 ^
•) / Miren que poco resj}eto ! / Sin licencia se nos entran / Ä conver-
sadotifj Sitio I, 117 ^
*) siempre tan cortes fu6 j Que d ninguna se igualo, / Pues aunque
me siento yoj Ella se me queda en pie, Amor I, 377 •.
*) Ya nos ha dicho / El traje que es bandolero I . . . El traje les ha
mentido I Como muy grande hellacOj Devocion I, 66'.
•) Con envidia de estas redes, / Que en tan amorosos lazos / Estän
inventando ahrazos, Medico I, 354** = IL 157 ff.
— 147 —
So sollen z. B. der Feldherrnstab ^)y die Schärpe^, der
Zettel^ ZeugDis ablegen, durch eine Aufschrift spricht der
Briefe); wie es fluchende Menschen gibt, so gibt es auch
fluchende Spielkarten, die jeden Tag lästern^), und das vom
Fürsten von Marokko an die schöne Fenix geschickte Bildnis
wird zu einem Oesandten, der, weil er eine stumme Sprache
redet, wohl eine Liebesbotschaft überbringt.^
Im Reiche der Münzen, wo Dukaten und Taler als
Könige und Fürsten herrschen, sind die unverschämten
Pfennige das gemeine Volk ') ; die Silbermünze, die bei der
Belagerung von Bred& geschlagen wurde, fühlt sich unglück-
lich, da sie keine Zinsen gewährt und jedermann durch ihre
Inschrift verkünden muß, daß die Stadt belagert sei.^
Schmunzelnd bemerkt der Diener Cosme von seiner Geld-
börse, die er im Laufe des Tages tüchtig zu füllen Gelegenheit
gehabt hat, sie sei heute als Jungfer aufs Pferd aufgestiegen
und schwanger wieder heruntergekommen.*)
Zum Schlüsse muß noch die Pers. der Wörter liaie! =
halt! und ihola! erwähnt werden.
Der Diener Coquin betritt im Selbstgespräche ein Ge-
mach des königlichen Palastes und sieht sich plötzlich dem
^) Esia sena / Dirä . . . guten fui: j El baston testigo sea, Cenohia
I, 199«.
*) La banda hoble, Banda II, 156*; Sea esta banda testigo, ibd.
•) Esta carta que veis, j He tenido esta tarde, / Mensajero y testigo /
De tu ausencia, Aströl, I, 684 •.
*) mNadie rne ahra, porque soy / De Don Manuel solamente», Dama
I, 173 ^
^) ä imitacion de las gentes / Hay barajas mdldicientes, / Y dicen
mal cada dia, Qal fant. I, 294^
•) enibajador / Es de su parte; y no dudo / Que, etyibajador que habla
mudo, I Trae embajadas de amor, Fr ine, I, 245' = I» 109 ff.
') Cuartaaos son insolentes, / Que en la repüblica donde / Son los
principes y reyes / Las doblas y patacones, / Ellos son la comun plebe,
Damal, 172 ^
•) Esa nueva moneda , . . I . . es infelice . . Breda sitiada per EspaHa
dice, Sitio L 123*.
•) aquesta Jornada / Subio doncella, y se apeö prenada, Dama
I, 171 ^
10*
— 148 —
Könige gegenüber. Basch bricht er sein Selbstgespräch ab:
Doch haltl Denn dies ist ein gar ehrenwerter „Doch" vom
berühmten Geschlechte der „Halt — hier" von Kastilien. Es
steht ja der König hier." ^) Der Bauer Tosco dagegen weist
den Ruf hola, mit welchem ihn ein Jäger aus dem Gefolge
des Königs angesprochen hat, entschieden zurück : er sei nicht
der Holla, das könne er beschwören, und er bitte ihn, höf-
licher zu reden.*)
Ergebnisse.
Wir haben mit der vorliegenden Untersuchung einen
Einblick in die bilderreiche Sprache des großen Spaniers
erhalten, wir sind mit gewissen Eigenheiten unseres Dichters
näher bekannt geworden, und haben, trotzdem wir nur etwas
über den vierten Teil seiner cotnedias (28 : 108) und auch da
nur eine bestimmte Figur der Bede prüfen konnten, gesehen,
wie Calderon bei aller Originalität, bei aller Großartigkeit
und Farbenpracht der Diktion eigentlich nur über ein be-
stimmtes, fest begrenztes Gebiet von Gedanken, Bildern, Ver-
gleichen und Bedewendungen verfügt, über welches er nicht
hinauskommt, eine Eigenheit, auf welche übrigens schon
Gries, Schuchardt, Krenkel u. a. hingewiesen haben.
Von dieser Erwägung ausgehend, dürften wir nach der
Durchforschung dieses verhältnismäßig kleinen Teiles von
Calderon's Werken immerhin ein ausreichendes Bild von
seiner Art zu personifizieren erhalten, ein Bild, das in großen
Umrissen festgefügt vor uns steht und nur in Einzelheiten
noch abzurunden und zu ergänzen wäre.
Auf Grund des vorliegenden Materials wird die Frage
zu erörtern sein, ob Calderon die handelnden Personen seiner
*) Pero i täte ! (Que es un pero muy honrado / Del celebrado linßje /
De los tates de Castiüa), I Parque el rey estd delante, Midico I, 356"
= 421 ff.
') / Hola, aho, pastor ! , . . . Yo no so hola^ jura d noSy / Y avisoU
que habre bien .... Amor I, 369**. Zur Pers. einEelner Wörter cf.
Hense I, Einleitung, S. XXVI.
— 149 —
Stücke durch die angewandten Bilder (Perss.) in besonderer
Weise charakterisiert.
Schon oben ist des öfteren darauf hingewiesen worden,
wie in der Sprache der Liebenden, die bei Oalderon rorzugs-
weise den höheren und höchsten Ständen angehören, das
reiche Gebiet der Natur zur Geltung kommt, und wie hier
namentlich die Sonne, die Morgenröte, die Sterne und die
Blumen eine große Rolle spielen.
In der Sprache der Personen aus den niederen Ständen,
der Diener und der Bauern hingegen finden wir kaum eine
Pers. aus dem Gebiete der Natur ^), während ihre Sprache für
die Perss. der mechanischen Gegenstände zahlreiche Belege
bietet. Für die Natur haben diese Personen, die bei Calderon
die Vertreter des Humors abgeben, eben keinen Sinn; die
Geräte, die Kleider, das Geld, die Betätigungen des mensch-
lichen Lebens u. ä. liefern den Hauptstoff für ihren engen
Gesichtskreis.
Li der Mitte zwischen den criados, den Dienern, und den
Angehörigen der höheren Stände steht die criada, die Kammer-
zofe, die als Vertraute ihrer Herrin schon Anspruch auf eine
höhere Bildung erhebt. Ihr Gesichtskreis ist erweitert, sie
hat einen Blick für die Schönheiten der Natur, wenn sie meist
auch nur nachahmt, was sie von ihrer Herrin gesehen und
gehört hat.
Wir erkennen also, daß Calderon seine Personen durch
die angewandten Bilder im allgemeinen recht wohl zu cha-
rakterisieren versteht.
Dagegen macht unser Dichter in der Verwendung der
Bilder (Perss.) keinen Unterschied in Hinsicht auf den Stoff,
den er behandelt: ein religiöses oder ein mythologisches, ein
geschichtliches oder ein symbolisches Drama, ein Ritter-
schauspiel oder eine comedia de capa y espada wird in der
gleichen Weise an geeigneter Stelle mit Bildern ausgeschmückt,
und daß hier Calderon bisweilen des Guten zu viel tut, wird
unsere Darstellung gezeigt haben.
*) So findet «ich eine solche Pers. in der Stelle Arg in i 8 I, 440"
(s. oben, S. 41, Anm. 6), was jedoch auch Schmidt „höchst be-
fremdend^ erscheint, s. dort, S. 284.
— 150 —
Bei aller Begeisterung für den großen Spanier, der nns
durch langjähriges, eingehendes Studium lieb und wert ge-
worden ist, müssen wir bekennen, daß Calderon in seinen
Perss. in vielen Punkten hinter Shakspere zurücksteht, mit
welchem er sonst so oft in Parallele gestellt wird, und daß
seine Perss. trotz aller Farbenpracht im Ausdrucke nur selten
die Wärme, das Gefühlvolle, Anheimelnde, Ansprechende der
Perss. Shakspere's erreichen.
Weitere Schlüsse zu ziehen, dafür hält Verf. das be-
handelte Material für noch nicht ausreichend genug. Eis
müßte erst der gesamte Bilderschmuck iü sämtlichen Werken
Oalderon's genau durchforscht und mit dem Sprachgebrauche
seiner großen Vorgänger und Zeitgenossen eingehend ver-
glichen werden, bevor man ein endgültiges urteil über die
poetische Kunst Oalderon's und über die Sprache des spani-
schen Theaters überhaupt abgeben könnte. Freilich bietet
sich auch zu diesem umfangreichen Unternehmen, wie bereits
Stiefel 1884 in bezug auf die Textkritik hervorgehoben
hat, noch mehr als einer Generation Stoff zu ernster, kritischer
Arbeit.
Lippert A Co. (O. Pätz^sche Bnobdr.), Naumburg a. S.
MÜNCHENER BEITRÄGE
ZUB
ROliNISCIiDiifiLISCIIiimOLOeiE.
HERAUSGEGEBEN
VON
E BREYMANN und J. SCHICK.
xxxm.
RICHARD FLECKNOE.
-*
LEIPZIG.
A. OEICHERT'SCHE VERLAGSBÜCHHANDLUNG NACHT.
(GEORG BÖHME).
1905.
RICHARD FLECKNOE.
EINE LITEEAEHISTORISCHE ÜNTEKSÜCHUNG
VON
Db. ANT017 LOHR.
-<#>-
LEIPZIG.
A. OEICHERT'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG NACHF.
(GEORG BÖHME).
1906.
Alle Rechte vorbehalten.
Yorwort.
Die ABregung zn vorliegender Arbeit verdanke ich fiem
(JnirerBitätsprofessor Dr. Jos. Schick, der in einem Kolleg
über die englische Literatur der Restanratioosaeit die Auf»
hellmig der dichterischen Persönlichkeit B. Flecknoe's als
Desideratum bezeichnete. Bisher hatte man eigentlich nieht
viel mehr von Flecknoe gewußt, als daB er den Titel für
eine glänzende Satire Dryden's geliefert hatte. Alles andere^
was man von dem Manne zu sagen wufite, war mehr oder
weniger stark problematisch, und mit geringen Ausnahmen
hatte der eine Literarhistoriker die Behauptungen des andern
ziemlich kritiklos nachgeschrieben. Da ich aus verschiedenen
Anzeichen schließen durfte, daß ich in Flecknoe auf eine
recht pittoreske Persönlichkeit stoßen würde, und Langbaine,
fast ein Zeitgenoase Flecknoe's, mir bestätigte, daß der Mann
zu seiner Zeit in hohem Rufe stand, so machte ich mich mit
großem Literesse an die Arbeit, diese immerhin eigenartige
und charakteristische Persönlichkeit, soviel wie möglich, auf-
zuhellen und damit zugleich einen bisher dunklen Winkel der
damaligen Literatur zu beleuchten. Eine sogenannte „Ehren-
rettung", wie der Dichter Robert Southey sie an Flecknoe
versuchte, lag mir fern. Ich wollte nur ein Sandkorn zu dem
stolzen Bau der englischen Literaturgeschichte beitragen.
Zum Gelingen der Arbeit trugen die stets erneuten An-
regungen, Förderungen und Ratschläge, die mir während der
Ausarbeitung und noch während des Druckes der Unter-
suchung Herr Prof. Dr. Schick in liebenswürdigster Weise
- VI -
zuteil werden ließ^ wesentlicli bei. Ebenso möchte ich an
dieser Stelle den beiden Herren Professoren Brejmann und
Schick, meinen hochverehrten Lehrern, meinen herzlichen
Dank für die Anleitung zu wissenschaftlichen Arbeiten aus-
sprechen, die ich ron ihnen erhalten.
Als Förderern meiner Arbeit sei noch warm gedankt den
Herren Dr. Eugen Oswald in London, der mir den Zutritt
zum britischen Museum ermöglichte, und Oberbibliothekar
Mr. Nicholson in Oxford, der mir als Vorstand der Bodleiana
ToUes Entgegenkommen bewies. Zu danken habe ich auch
Rev. Jos. Gillow, dem Herausgeber des "Biographical Dic-
tionary of the English Catholics", der mir in liebenswürdiger
Weise briefliche Auskunft auf einige Fragen erteilte. Endlich
— last not least — möchte ich meinem Freunde Maximilian
Pfeiffer, früher Assistent an der hiesigen Hof- und Staats*
bibliothek, jetzt Sekretär an der Staatsbibliothek in Bamberg,
auch hier nochmab danken für die Bereitwilligkeit, mit der
er mir stets entgegenkam, wenn ich an der Staatsbibliothek
seine Hilfe in Anspruch nahm.
Möge der kleine Beitrag zur Geschichte der englischen
Literatur im Bestaurationszeitalter in wissenschaftlichen Kreisen
wohlwollend aufgenommen werden!
München, im Juli 1904.
Der Terfasser.
Inhaltsübersicht.
Seite
literatorangaben VIII
I. Einleitung 1
II. Erste literariBche Vennche 9
in. Keisebriefe und ^^Kiscellania'^ 12
IV. Erster dramatischer Versach 37
y. Humoristische Streifzüge durch London 48
VI. Charakterbilder 61
VII. Flecknoe über Oliver Cromwell 58
VUI. Flecknoe's Stellang zar Restanration 61
IX. Ein neues Bühnenstück 70
X. Eine Umarbeitung von '^Love's Dominion" nebst einer
Abhandlung über die englische Bühne 78
XI. Neuausgaben der „Charakterbilder*^ und eine Sammlang
verschiedener Arbeiten 82
XII. Anlehen bei Moli^re 87
HUI, Davenant's Heise ins Jenseits 91
XIV. Eine neue Sammlung lyrischen Inhalts 95
XV. Vermischtes 102
XVI. Betrachtungen über Flecknoe als Mensch und Dichter 104
XVU. Bisherige Urteile über Flecknoe. Endergebnis . . . 108
Fenonen- und Sachregister 112
Literaturangaben.
A. Werke Flecknoe'e.
Hierothalamium, or the Heavenly Nuptials of our Blessed
Sayiour with a Pious Soule. 1626. (L. Stephen.)
The Affections of aPions Soule, unto our Sayiour-
Christ. Expressed in a mixt Treatise of Verse and
Prose. By i^chard Flecknoe. London. 1640. Printed
by John Baworth for William Brocke, dwelling at the
Upper end of Holbome in. Torping Bents. 8^. 49 S.
pBodleiana.]
The Furnace of Divine Love sufficient to melt the
hardöst Hearts to Devotion toward cur Saviour Christ
Wiitten in Latin by LudoYicus Blosius, Abbot of Lessy,
of the Holy Order of S. Benedict With other Pious
and useful Treatises, out of the same author. And
Engüshed by R. P. (Lond.?). 1642, 32 mo; (Lond.)
1686, 32 mo; title, &c., 2flF., 203 S. (J. Gillow.)
Miscellania: or, Poems of all Sorts, with divers other
Pieces. Written by Richard Fleckno. Printed by T. B.
for the Author. London. 1663. 146 S. 8«.
Love's Dominion: a dramatick piece [in five acts and in
verse] fiill of excelleot Moralities; written as a pattern
for the refonned stage. London. 1654 (anon.). 79 S. 8^
A Relation of Ten Years' Travels in Europe, Asia,
Affrique and America. By way of letters to divers noble
Personages from Place to Place; and continued to this
- IX -
preaent year by Bicbard Flecknoe. With other hifitoricai,
moral and poetical pieces of tbe same Author. For
tbe Autbor. Londoo. [1656]. (Leslte Stepben: 1656.)
176 S. 16^
Tbe Diarium, or Journall: divided into 12 Jornadas
in burleaque Bbime, or Drolling Verse, witb divers otber
pieces of tbe same autbor. H. Herringman. London.
1656. 104 S. 80.
Enigmaticall Cbaracters, all taken to tbe Life, from
several Persons, Humours and Dispositions. [London?]
1658. 136 S. 8«.
Tbe Marriage of Oceanus and Britannia. 1659.
[L. Stepben.]
Tbe Idea of bis Higbness Olirer, late Lord Protector,
&c. Witb certain brief Eeäections on bis Life. London.
1659. 68 S. 8^
Heroick Portraits, witb otber Miscellary Pieces, Made,
and Dedicate to His Majesty. By Rieb. Flecknoe.
London. 1660, Printed by Ralpb Wood for tbe Autbor.
Vm u. 120 S. 80. [Bodleiana.]
Erminia; or, tbe Fair and Virtuous Lady. A Trage-Co-
medy. Printed for tbe Autbor. London. 1661 u. 1665.
96 S. 8*.
Love's Kingdom. A Pastoral Trage-Comedy. Witb a
sbort treatise of tbe Englisb stage. Printed by R. Wood
for tbe Autbor: London. [1664], 8^. 98 S. (Das
Datum ist weggerissen, da aber die Abbaodlung über
die engliscbe Bübne 1664 datiert ist, so wird dieses
Datum wobl aucb für das Stück ricbtig sein.)
[Die Abbandlung bat einen Neudruck erlebt in
Hazlitt's ^'Englisb Drama and Stage", Roxburgbe Library,
1869.]
Tbe Damoiselles a la Mode. A Comedy. Printed for
tbe Auibor. London. 1667. 8^. 124 S.
Sr William D'avenants Voyage to tbe Otber
World: Witb bis Adventures in tbe Poets' Elyzium.
A poetical Fiction. Printed for tbe Autbor. London.
1668. 15 S. 8^
— X —
Sixty nine Enigmatical Characters, all very exactly
drawn to the Life. The Second Edition bj the Author
R. F. Esquire. For W. Crook: London. 1666. 154 S.
120.
Rieb. Flecknoe's ^nigmatical Cbaracters. Being
ratber a New Work, tben New Impression of tbe Old.
Printed by R. Wood, for tbe Autbor: London. 1666.
118 8. 16^
A Farrago of several Pieces. Newly written by
Riebard Flecknoe. Being a Supplement to bis Poems,
Cbaracters, Heroick Pourtraits, Letters and otber Dis-
courses formerly publisbed by bim. London. 1666.
Printed for the Author. 86 S. 8^ [In der Bodleiana.]
Epigrams of allSorts, made at Divers Times on Several
Occasions (Epigrams Divine and Moral dedicated to her
Majesty) 2 Tle. For tbe Author and W. Crook : London.
1670. 93 S. 12^ Daran schließen sich die "Epi-
grams Divine andMoral, Dedicated to Her Majesty".
Sie haben eigenes Titelblatt, sind aber nicht paginiert.
Im !&egister werden sie jedoch mit den übrigen Epi-
grammen aufgeführt.
Epigrams of all Sorts, made at Several Times, on Several
Occasions. Being ratber a New Work than a New Im-
pression of the Old. 2 Tle. Printed for the Author:
London. 1671. 88 S. 8^ Die sich wieder ohne Pa-
ginierung hieran anschließenden "Epigrams Divine and
Moral" tragen das Datum 1670.
A Collection of the choicest Epigrams andChar-
acters of R. F. Being ratber a New Work, than a
New Impression of the Old. London. 1673. 2 Teile.
99 u. 64 S. 8^
Euterpe Revived, or Epigrams made at several times on
persons most of them now living. 1675. [L. Stepben.]
A Treatise of the Sports ofWit. 1675. [Ein Exemplar
in der Huth Library, das zweite bekannte im Besitze
des Earl of EUesmere.]
— XI ~
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Poets from Chancer to Cowper". By Dr. S. Johnson.
81 Bde. Bd. IH 8. 261 ff.
Saintsbury, George: John Dryden. London. 16B6.
Scott, Sir Walter: Memoirs of John Dryden. 2 Bde.
Paris. 1826.
Southey, Kobert: Omniana, or Horae Otiosiores. 2 Bde.
London. 1812.
Stephen's Artikel: Flecknoe Richard in Stephen,
Leslie, and Lee, Sidney, L., Dictionary of National
Biography. In 6B toLs. London. 1885—1901. 19. Bd.
S. 260—261.
I.
Einleitung.
Die Ironie des Schicksals spielt auch in der Literatur-
geschichte eine bedeutende Rolle. So verdankt Richard
Flecknoe sein bisheriges Dasein in der Geschichte der eng-
lischen Literatur fast einzig der Tatsache, daß John Dryden
in seiner glänzenden Satire ^Mac Flecknoe'' den Namen des
Unglücklichen zur Züchtigung seines Gegners Thomas Shadwell
verwandte. Weder die zahlreichen Werke, die Flecknoe ^for
private circulation'^ drucken ließ, noch seine zahlreichen
hohen Gönner und Gönnerinnen hätten ihn vor dem völligen
Vergessenwerden gerettet, wenn nicht Dryden's Verse:
"^// human things are subject to decay.
And, when Fate stimmonsj motiarchs must obey,
This Flecknoe found, who, like Augusttis, young
Was called to empire, and had govemed long;
In prose and verse was owned tvithout dispute,
Through all the realms of Nonsense, absolute"
ihn ewiger Lächerlichkeit überantwortet hätten.
Über den Grund, warum Dryden Shadwell gerade als
den poetischen Sohn Flecknoe's hinstellt und ihn dadurch
besonders brandmarken will, ist schon viel geschrieben worden.
So meint Robert Southey^), der erste, der Flecknoe wieder
zu Ehren bringen wollte: ^Perkaps Dryden was offended at his
invectives againsi the ohscenity of the stage, feeling himself more
notorious, if not more cidpable than any of his rivals, for this
') South ey, Omniana, S. 105—110.
Mänchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIII.
— 2 —
scandalous and unpardonabls offence^ Hat diese Vermutang^
schon wenig für sich, da Dryden doch wohl auch Flecknoe's
Bewunderung für seine Werke kannte, so ist die von Alexander
Chalmers^) gänzlich falsch. Derselbe sagt nämlich : ^^Somef?)
have Said (hat when the revolution was compleied, Dryden having
8ome Urne before turned papist, became disqualified for Holding hi^
place of poet-laureate, It was acoordingly taken from him, and
conferred on Flecknoe^ a man io whotn Dryden is said to have
had already a confirmed aversion; and this produced the famous^
Satire, called from him Mac Fkcknoe ..." Diesen Unsinn, der
auf einer Verwechslung der Personen Flecknoe's und Shad-
well's beruht, hat Chalmers Ton Cibber *) übernommen, der
meinte, der neae poeta laureatus, der nach der Revolution
geschaffen wurde, sei Flecknoe gewesen, ^^for whom he (Dryden)
had a confirmed aversion^ in eonsequence of whieh he wrote a
Satire against him, caUed Mac- Flecknoe". Dazu hatte schon
Malone') bemerkt: ^The wriier seems to liave thought ihai Mac
and Änti ivere synonymous^ Diese Verwechslung dauerte
noch lange an. Noch Austin AUibone^) achreibt 1859, in-
dem er sich die Sache anders zurecht zu legen sucht : ^Dryden
held Fkcknoe in great contempt^ which was naiuraüy augmented
when the latter uhis named poet-laureate in his stead. . Shadtoell
suhsequently held the same office, and hence Dryden ridictUes
hivi as the poetical son of Fkcknoe,^^ Das hat AUibone doch
rein aus den Fingern gesogen!
Neuere Xritiker, wie Leslie Stephen *) und G. Saintsbury •)
nehmen wohl mit Recht an, daß Flecknoe's Anteil an Dryden's
Satire rein dekorativer Natur sei. Es finden sich keine An-
haltspunkte dafür, daß Dryden irgendwelchen persönlichen
Haß ge^en Flecknoe hatte. Flecknoe selber aber war ein
großer Verehrer Dryden's und sang in einem Epigramm auf
1) Chalmers, Biographical DicHonary, XIV, 368—70.
«) Cibber, The Lives of the Poets, IIL 61-63.
') Malone, The Critical and Miscellaneous Frosetcorks of John-
Dryden, I. 169 f.
*) Allibone, A Critical Dictianary I, 603.
*) Stephen, Dictionary XiX, 260f.
•) Saintsbury, John Dryden, 87.
— 3 —
Drydeo dessen begeistertes Lob. Dryden hätte wohl auch
zu Flecknoe's Lebzeiten diese erbarmungslose, und in dieser
Weise nicht verdiente Verdammung des armen Dichterlings
unterlassen. Flecknoe war aber zur Zeit der Abfassung aller
Wahrscheinlichkeit nach schon mehrere Jahre tot, so daß eine
persönliche Kränkung auctgeschlossen war. Andererseits aber
hatte er wohl den Poeten der Restauration als der Popanz
gegolten, an dem der Fluch der Lächerlichkeit haftete.
Schon 1645 hatte ihn Andrew Marvell^) in dem armseligen
Kämmerlein, das er während seines AuTenthaltes in £U)m
bewohnte, aufgesucht und dieses Ereignis dann in seinem Ge*
dichte: ^Flecknoe, an English Priest at Iiome'\ beschrieben,
worin er den Armen, der in größter Dürftigkeit tLber drei
Stiegen hoch in einer Mansarde hauste, erbarmungslos yer-
spottet. Nach dieser Beschreibung war Flecknoe dünn und
httgev wie eine Bohnenstange, stets verhungert und bettlerhaft
zudringlich. Dabei trug er immer eine Menge Manuskripte
mit sieh herum, die er bei jeder passenden wie unpassenden
Gelegenheit jedermann vorlesen wollte. Dazu kam seine Art,
wie er als Gelegenheitsdichter, Lautenspieler imd mattre de
plaisir in adeligen Häusern sein kärglich Brot erwarb, sein
Pochen auf seinen Dichterruhm bei oft sehr schwachen, ja
sogar mitunter absurden Leistungen, sein Renommieren mit
seinen hohen Gönnern und Bewunderern, seine fortwährenden
Ausfälle gegen die obszönen und lasziven Schriftsteller seiner
Zeit, und schließlich die Manier, wie er seine Werke ^^for
privcUe circulation^^ drucken und von '^private friends^^ be-
zahlen ließ; — lauter Gründe, die Flecknoe zu einer fast
sprichwörtlichen Persönlichkeit gemacht haben müssen. Aus
den zahlreichen Epigrammen, die Flecknoe gegen „Feinde^'
und „Neider^' richtet, läßt sich zur Genüge ersehen, daß er
viel verspottet und als Dichter arg mitgenommen worden sein
muß. Die Erwiderungen Flecknoe's sind aber meist in wür-
digem Tone gehalten. Eine solche lautet z. B.
In Inimicum,^)
"i see ikou art resolved in spighi
») Marvell, WGrk9, By Ed. I%omp8on, I, 280—86.
") ""Epigrama''. 1670. 60.
— 4 —
To cry down every thing I write\
And Fm resolved in spight of thee,
To torüe so, ihou ashamed sJialt be,
Boih of thy envjj and thy spighi
To cry down every thing I write,^
Als poetischen Sohn dieser damals gleichsam sprich-
wörtlich lächerlichen Persönlichkeit führte nun Dryden Shad-
well eio, um ihn desto ärger zu treffen, nicht aber aus einer
persönlichen Abneigung gegen Flecknoe. Daß dessen meist
sehr schlechte Verse, sein nicht selten in hellen Unsinn aus-
artender Bombast, verbunden mit seiner Autoreneitelkeit,
Dryden nicht gefallen konnten, ist ohne weiteres klar.
Literarische Gründe haben daher bei dem Bestreben, ein
Yergleichsobjekt für Shadwell zu finden, wohl eine Haupt-
rolle gespielt. Vielleicht läßt sich auch daran erinnern, daß
der wohlbeleibte Shadwell als „Sohn*' des spindeldürren
Flecknoe sich besonders komisch ausnehmen mußte. Von
dem ^^pamphlei whieh Flecknoe ivrote in vindiaUion of Dryden's
enemy, Sir Thomas Howard*^ ^) ist in den mir zugänglich ge-
wesenen Werken Flecknoe's nichts zu finden. Allerdings ist
in der '^Collection of the choicest Epigrams and Characters"
von 1673 ein Epigramm auf Thomas Howard enthalten, jedoch
bewegt sich dieses in Huldigungen allgemeiner Art, und läßt
keine weiteren Schlüsse zu.
Etwas durchaus Bestimmtes läßt sich auf Orund des mir
vorliegenden Materials über das Verhältnis Flecknoe's zu
Dryden nicht aussagen; aber auch sonst fließen die Quellen
über Flecknoe's Personalien und Verhältnisse nur recht
spärlich. Soviel kann indessen mit ziemlicher Sicherheit be-
hauptet werden, daß Flecknoe Engländer und kein Irländer
war, wie gerade neuere Grewährsmänner ohne plausiblen Grund
annehmen.
Der Einzige, der bis jetzt auf Grund von Quellenstudien
die Personalien Flecknoe's festzustellen versucht hat, ist
J. Gillow.*) Nach dessen Ergebnissen wäre unser Autor in
^) Croker and Elwin, Pope-Ausgabe^ IV, 314.
•) Gillow, Biographical Dictionary of the English CathoHcs,
n, 293 ff.
— 6 —
Oxford geboren, also ein Engländer, und der Neffe des Jesaiten
William Flecknoe, dessen Namen manchmal Flexney geschrieben
nnd in den '^Douay Diaries" ^) in Flaxenus latinisiert sei. Der
letztere sei 1576 in Oxford geboren, im JesnitenkoUeg zu
Douay am 1. April 1600 zum Priester geweiht und im fol-
genden Jahre nach England in die Seelsorge geschickt worden.
Später, gegen 1611, sei er dann in den Jesuitenorden ein-
getreten.
Auf Veranlassung dieses seines Onkels sei dann wohl
auch Richard Flecknoe an ein ausländisches Jesuitenkolleg
geschickt worden, wo er dann in den Orden eingetreten und
und zum Priester geweiht worden sei. Die stramme Disziplin
habe aber seinem leichtlebigen Naturell nicht zugesagt, wes-
halb er bald wieder aus dem Orden ausgetreten sei. Soweit
Gillow auf Grund seiner bisher nur ihm zugänglichen Quellen.
Eine Nachprüfung, die ich anstellte, ergab aber die gänzliche
Hinfälligkeit dieses Resultates. Vor allem hat es nie einen
Jesuiten Flecknoe gegeben; der Mann heißt William Flexney
(Flexneiiisjy wurde, wie Gillow dann richtig angibt, 1575 in Ox-
fordshire geboren und trat um 1611 in den Jesuitenorden
ein; wie die Quelle, fl. Foley^), vermutet, ist dieser Fkxneiy
identisch mit einem William Flaxen aus Oxford, der in den
"Douay Diaries" in Flaxenm latinisiert ist, am 1. April 1600
zum Priester geweiht und am 25. September 1601 in die
englische Seelsorge geschickt wurde. Diese beiden, deren
Identität doch nicht so ohne weiteres feststeht, hat nun Gillow
für eine Person genommen, der er in willkürlicher Weise den
Namen Flecknoe gibt, den seine Quellen gar nicht kennen.
Nur der Name Fleckney kommt noch in einer Liste vor,
und wird als identisch mit Flaxen bezeichnet. Es ist ja
immerhin möglich, daß Fleckney mit Flecknoe identisch ist,
da solche Formen zuweilen wechseln.^) Auftällig ist nur, daß
dann in Gillow's Quellen nie die Form Flecknoe vorkommt,
*) Knox, Tht First and Second Dianes of the English Coüege,
Douay, 17, 32.
*) Foley, Becords of the Society of Jesus VI, 30, 632; VI,
2. Teil, 906.
') Vgl. z. B. die Doppelformen von Marley und Mario we.
— 6 —
während in Flecknoe's Werken der Name immer gleich ge-
schrieben wird. Doch selbst den unwahrscheinlichen Fall
zagegeben — : aus der Tatsache, daß eventuell ein Jesuit
Flecknoe aus Oxford um diese Zeit existierte, darf doch noch
nicht geschlossen werden, daß unser Richard dessen Neffe
war, in demselben Orte geboren wurde und später vom Orden
seines Onkels seine Erziehung erhielt, ja sogar in diesen
Orden eintrat.
Ich bin mit JGtev. Jos. Gillow, der mir in liebenswürdiger
Weise entgegenkam, über diese Frage in Briefwechsel getreten.
Er gibt jetzt selber zu, daß sich für die beiden Angaben,
Richard Flecknoe sei aus Oxford und ein Neffe des Jesuiten-
paters Fiexney gewesen, kein positiver Beweis erbringen läßt
Dagegen hält er daran fest, daß Flecknoe Engländer war, da
keine verläßliche Autorität auf eine irische Abstammung oder
Nationalität hindeute. Der Name „Flecknoe'^ sei aber so
selten, daß seiner Überzeugung nach Richard Flecknoe nur
von der Oxforder Familie Fiexney, Fleckney oder Flecknoe
abstammen könne. Dagegen habe ich nur einzuwenden: die
Quellen nennen nur die Namen Fiexney und Fleckney als
die einer oder zweier Oxforder Familien. Woher sollte denn
plötzlich ein Flecknoe kommen?
Für Grillow's Ansicht, daß Flecknoe Engländer ist, spricht
der Umstand, daß alle Gewährsmänner, die Flecknoe als
Iren bezeichnen, dafür keinen Beweis vorzubringen vermögen.
Weiterhin findet sich in Flecknoe's Werken nichts, was sich
auf ein Bewußtsein der Zugehörigkeit zur irischen Rasse
deuten ließe. Im Gegenteil weisen viele Stellen direkt darauf
hin, daß sich unser Autor ganz als Engländer fühlte. Er
sagt immer ^^aur naiion'^ von England, ^owr ancestors*^ von
den alten Engländern u. ä. Das Ansehen Englands im Aus-
lände macht ihn stolz und freut ihn; zu wiederholten Malen
verteidigt er englische Einrichtungen gegen fremden Tadel,
lauter Momente, die für Gillow's Überzeugung sprechen. Auch
glaube ich, daß die Bewunderung Flecknoe's für Cromwell,
der doch den Iren so übel mitspielte, ebenfalls gegen das
irische Nationale Flecknoe's sprechen dürfte. Andererseits
weiß er von den Iren an den paar Stellen, wo er von ihnen
— 7 —
spricht, nar Ungünstiges zu sagen. Eünmal bezeichnet er
'das Irische als Sprache eines geknechteten und untergehenden
Volkes und das andere Mal zeichnet er in seiner Sammlung
Ton Epigrammen und Charakteren aus dem Jahre 1673 einen
^^Mtndicant hish priest", wobei diese Gattung recht schlimm
wegkommt. Die Bettelhaftigkeit, geringe Bildung, elende
Kleidung und schließlich die Eitelkeit dieser Klasse werden
^gerügt und yerspottet.
Wir hören auch nie davon^ daß Flecknoe je in Irland
weilte. Bei seiner Reiselust hätte er gewiß auch einmal Lust
bekommen, sein Vaterland wiederzusehen, wenn er wirklich
ein Sohn der grünen Insel gewesen wäre. In Rom speist er
•öfters im englischen Kolleg ^) ; yon einem Besuche des irischen
Kollegs aber hören wir nichts.
Kurz, es spricht alles dafür, daß Flecknoe Engländer
war, während sich für seilte irische Nationalität kein einziger
stichhaltiger Beweis erbringen läßt. Woher kommt es dann
aber, daß so viele neuere Gewährsmänner Flecknoe für einen
Iren halten? Die Benennung *^Mac Fleeknoe^\ die Dryden
seiner Satire gab, bat diese Leute irregeführt und sie ver-
anlaßt, aus diesem keltischen Worte für „Sohn*' auf die
Nationalität Flecknoe's zu schließen. Berechtigt ist eine der-
artige Schlußfolgerung ohne weitere Gründe natürlich nicht.
Drjden wollte eben seiner Satire einen flotten, packenden
Titel geben; dazu eignete sich aber ''Mac Flecknoe" besser
^s etwa das schwächliche, unwirksame "Son of Flecknoe'*.
Damit auf Flecknoe's etwaiges Nationale hinzuweisen, lag
Dryden gewiß ganz fem, und hatte in diesem Falle auch gar
keinen rechten Sinn.
War Flecknoe Priester? Ich glaube diese Frage ver-
neinen zu müssen, trotzdem ich mir wohl bewußt bin, mich
•damit in Gegensatz zu allen Gewährsmännern neueren Datums
gestellt zu haben. Dafür, daß Flecknoe Priester war, seheint
zu sprechen, daß seine ersten literarischen Versuche religiöser
Natur sind und daß er auch später noch, wie die "Epigrams
-dirine and moral" zeigen, religiöse Lyrik von der Art pro-
>) Foley, Becords, VI, 629, 630, 6%.
— 8 —
duzierte, wie sie Ton Laien nicht allza häufig yerfaßt wird..
Auch der Umstand, daß Flecknoe stets eifrig für Sittlichkeit
eintrat und gegen die obszönen Dichter seiner Zeit losdonnerte,
sowie die Tatsache, daß er in seiner Lyrik die Liebe fast
ganz ausschaltete und auch sonst nur gleichsam objektiv über
dieses Gefühl sprach, scheinen in dieser Richtung Fingerzeige
zu geben. Das ist aber alles von wenig Belang, wenn man
bedenkt, daß Flecknoe Konvertit war und als solcher sicli
wohl besonders eifrig in seinem neuen Glauben zeigte. £s ist
ja eine alltägliche Wahrnehmung, daß Konvertiten — und
Flecknoe bezeichnet sich in der Unterschrift eines Briefes
mit Nachdruck als solchen — ihrem neuen Glauben ganz be-
sonders ergeben sind und es auch nach außen hin in ihrem
Tun und Lassen zeigen. Wenn Andrew Marvell auch Flecknoe
als ^'English priest bezeichnet, — was offenbar die Veran-
lassung war, daß die späteren Gewährsmänner das gleiche
taten — , so wiegt das nicht so schwer wie die Tatsache, daß
die Jesuiten, bei denen er im englischen Kolleg in Rom öfters
speiste, ihn in ihrem ^'Pilgrim-hooV^ ^) nur als *'Jtfr. Richard
Flecknoe^^ anführen, während sie sonst Stand und Rang,
namentlich aber das '^priesi^^ hinter einem Namen, gewissen-
haft verzeichnen. Dafür, daß er Laie war, spricht ferner die
auffallige Wahrnehmung, daß sich nirgends in den Werken
Flecknoe'seine Stelle findet, die einen positiven Anhaltspunkt
dafür gäbe, daß er wirklich Priester war. Weder in den
Reisebriefen, wo er doch auf alles zu sprechen kommt, noch
in seinem Selbstporträt, in dem er sich sonst so offenherzig
zeichnet, ist irgend ein HinWeis darauf gegeben.
Es ist also wohl anzunehmen, daß Flecknoe Laie war.
Dagegen mag er in einer von Geistlichen geleiteten Anstalt^
vielleicht in einem Jesuitenkolleg, erzogen worden sein und
dort humanistische Studien gemacht haben. Er selbst sagt in
seinem Selbstporträt, daß er seiner Erziehung viel zu ver-
danken habe. Hier mag er auch konvertiert haben ; denn da
er uns von Anfang an als Katholik schriftstellerisch entgegen-«
tritt, muß der Glaubenswechsel recht frühe erfolgt sein.
1) Foley, Records, VI, 629, 630,
Jedenfalls aber eignete er sich auf der von ihm besuchten
Bildungsstätte eine hübsche Summe Ton Kenntnissen an. Er
konnte lateinische Briefe schreiben, und zitiert in seinen
Werken recht häufig Klassiker wie Cicero, Horaz, Seneca,
Hartial, Aristophanes, Plautus u. a. Namentlich von Horaz
entlehnt er regelmäßig Zitate, um sie seinen Büchern und
deren Kapiteln voranzustellen.
Aber auch in der neueren Literatur ist er gut bewandert.
So zitiert er z. B. in seinem „Charakter" ^Of a Busie Body**
Chaucer's Verse, die dieser in seinem Prolog zu den ^Canter-
bury Taks** Tom ^Sergeant of ike Lawe^^ gebraucht:
^^Nowher so hisy a man as he ihei' nas.
And yet he semed bisier than he was.**
Ebenso ist ihm Sidney's „Arcadia" ganz vertraut, und
von den Elisabethanern spricht er des öfteren. Außerhalb
der englischen Literatur kennt er von italienischen, französi-
schen und spanischen Dichtern Ariost, Guarini, Moli^re, dem
er sein Stück ^Damoiseües a la Mode" entnahm, Ronsard, von
dem er ein paar Gedichte übersetzte, MUe de Scud6ry, von
der er eine poetische Widmung übertrug, Du Bartas, Scarron
{^the Best yet France had ever had^*), Cervantes und Lope de
Vega. Von Künstlern sind ihm bekannt: Z.euxis, Baphael,
Tizian, Yan Dyck, Breughel, Callot u. a. Daneben ist
FleckDoe noch ein großer Liebhaber der Musik, der sich nie
von seiner Laute trennt.
II.
Erste literarische Versuche.
Die ersten Veröffentlichungen Plecknoe*s sind religiöser
^atur. Das ist bei einem Manne, der den unter den damaligen
Verhältnissen in England doppelt folgenschweren Schritt des
Glaubenswecbsels tat, ohne weiteres verständlich. Als erste
derartige Schrift führt Leslie Stephen ^) das ^Hierothalamium"
an, das ich leider nicht eruieren konnte. Wenn das von
L. Stephen angegebene Erscheinungsjahr 1626 richtig ist, so
>) Stephen, Dictionary of National Biography, 1889, XIX, 260 f.
— 10 —
ließe sich daraus der Schluß ziehen, daß Flecknoe's Qeburto-
datam wohl ins erste Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts zu
setzen wäre.
Die zweite Schrift stammt aus dem Jahre 1640. Sie
trägt die Überschrift "TÄe Affeäions ofa Piaus Souk unlo our
Savionr Christ'. Das einzige mir bekannt gewordene Exemplar
findet sich in der Bodleiaua.
Das 49 Seiten zählende Werkchen beginnt mit einem
Vorwort "Tb ihe Town-Eeader^^ worin Fleckooe erklärt, daß
er schon so viele unnütze Stunden in der Stadt verlebt habe,
daß er sich jetzt dessen schäme und sich daher aufs Land
zurückgezogen habe. Was das Büchlein anlange, das er dem
Leser bieten wolle, so habe er auf den Geschmack der Leute
Bücksicht genommen. Da man Ton frommer Lektüre nichts
wissen wolle, namentlich wenn sie in dicken Bänden vor-
gesetzt werde, so habe er sich bemüht, sich möglichst kurz
zu fassen und die geistliche Speise nur in kleinen Portionen
vorzusetzen. Was seine vielen lateinischen Zitate anlange,
so würden diese von den Kennern des Lateinischen wohl
freudig begrüßt; die anderen aber könnten auch nichts da-
gegen haben, da die Zitate zum Verständnis des Ganzen nicht
nötig seien. Wie man sieht, macht sich die drollige Natur
Elecknoe's gleich von Anfang an bemerkbar/
Der Inhalt des zu zwei Dritteilen in Prosa und zu einem
Drittel in Versen abgefaßten Werkchßns ist kurz folgender:
Eine fromme Frau aus Galiläa kommt nach Jerusalem, um
Jesus aufzusuchen. Bei ihrem Eintritt in die Stadt sieht sie
die ganze Bevölkerung in großer Aufregung. Die einen
weinen und jammern, während die anderen jauchzen und jubeln.
Plötzlich erblickt sie auf dem Kalvarienberg ein grausames
Schauspiel. An drei Kreuzen, von denen das mittlere etwas
höher als die beiden andern ist, hängen drei Menschen.
Um das mittlere Kreuz lagert eine Gruppe von Frauen, dar-
unter Maria, die Mutter Jesu und Maria Magdalena, die den
Gekreuzigten beweinen. Die fromme Seele aus Galiläa tritt
herzu und weint bitterlich mit den übrigen, ohne zu wissen,
wen sie betrauert. Erst als eine der Frauen: 0 Jesu, Jesu!
seufzt, fragt sie nach dem Grunde des EJagens. Die An-
— 11 —
geredete erzählt ihr nun die ganze schreckliche Leidens-
geschichte des Herrn, unsere fromme Seele aher singt hierauf
einen Dithyrambus auf den gekreuzigten Heiland und faßt
gute Vorsätze. In ihrer Betrachtung des Kreuzbildes wird
sie dann schließlich Ton einigen Männern gestört, die auf den
Kalvarienberg zueilen. Schon fürchtet sie Schlimmes. Da
erkennt sie Joseph you Arimathäa, der Jesus vom Kreuze
herabnehmen will. Sie schaut seinem Beginnen zu und ver-
läßt nach der Beisetzung Jesu mit den anderen Frauen toII
lieiliger Entschlüsse den Ort.
Diese biblische Szene hätte sich sicher ganz ergreifend
ausmalen lassen. Leider verdirbt Flecknoe durch geschraubten
Schwulst die ganze Wirkung. Ich nehme folgende Stelle heraus :
"At hearing of which, ü was no griefy no passion of the
Umng that ceased her; hui such a stupidüy, as death eotUd not
have rendred her more immovable for ihe. time^ so irue it is, Curae
kves loquuntur^ ingenies stupenU Seneca. Uniil at last ihe flood-
gaies of her tears tvere drauni up, they gushed forth in such c^nd-
ance, as if each drop had stroven io fall first to ihe ground. In
so much, as had you beheld Niobe weeping her children^s losSj
you had seen an itnage and hut an image only of her weeping
him\ and yet in this excess of tears and grief oä if she had been
all defeciive io estimaie her heart, Die more to grieve and exciiaie
affection to weej) the more: In a sad and mournftdl aceent she
delivered thisj
To excitate the affection.
Am I a Christian then, or no?
I can behold Christ suffering so,
And feel no woe ?
Though none yet soft humanitie
Should make one man commi^eratej
When he beJiolds another die,
Such interest haih he in the State:
So verie Infidels we see^
Are not from pity free.
Then am I man, or am I none ?
Tliat can consiekr him as one.
— 12 —
And make no moane ?
Yet wert I none^ the sun, tke moon,
And such as hui his creatures are, T
WotUd cause me feel hi^ sufferings soon,
ünless I were more senseless far,
Mare duU than very rocks and siones,
Thai now hurst forth in groanes,^^
Das dürfte zur Genüge zeigen, daß es dem Verfasser
des Werkes bedauerlich an Sinn für Natürlichkeit und poeti-
schem Gefühl gebricht. Er vermag uns keine echte Empfindimg
zu vermitteln. Das Gefühl höchsten Schmerzes will er uns
hier schildere, — und wird fast lächerlich.
Und so gehts durchs ganze Büchlein mit Grazie fort.
,,Das Echo'S heißt es gleich darauf, ,,war ganz ermüdet und
konnte ihre lauten Klagen nicht mehr wiedergeben, weshalb sie
schweigend ihrer Trauer nachhing, um ihm Buhe zu gönnen.*'
Das Gedicht von der grausen Mär, wie die Liebe und
der Tod ihre Speere verwechselten, das wir später in "Love's
Kingdom" wieder antreffen werden, findet sich bereits hier
eingeschoben.
Zwei Jahre nach der Veröffentlichung dieser Schrift,
1642, soll Flecknoe nach der Annahme Gillow's das Werk
"The Fumace of Divine Lote eie*^ aus dem Lateinischen über-
setzt haben. Die Angabe ^^Englished by 7?. F^ auf dem Titel-
blatte scheint allerdings ziemlich sicher auf unseren Flecknoe
zu deuten. Näheres konnte ich aber nicht eruieren«
HL
Reisebriefe und ''Miscellania''.
Aus dem gleichen Jahre 1640, in dem die '^Affections
of a Pious Soule" erschienen, ist auch der erste Reisebrief
datiert, den Flecknoe in seinem Werke : "Ä Relation of Ten
Years Travells^* *) veröffentlicht.
*) A Relation of Ten Years Travells in Europe, Asia, Affrique and
America, By way of leiten to divers noble Personages, from place to
^ 13 —
Das ErscheinuDgsjahr dieses Buches ist auf dem Titel-
blatte nicht yermerkt. Leslie Stephen gibt das Jahr 1666
an. Aus den von ihm genannten Quellen kann er das aber
nicht geschöpft haben, denn da findet sich keine derartige
Angabe. In dem von mir benützten Exemplare des Briti-
schen Museums ist von fremder Hand das Jahr 1654 als
Erscheinungsjahr auf dem Titelblatte genannt. Das ist aber
jedenfalls unrichtig. Das richtige Datum ist augenscheinlich
1655; denn aus diesem Jahre stammt der letztdatierte, darin
enthaltene Brief, und nach Angabe des Titels [^and corUinued
io Ulis present yectr"] hat Flecknoe das Werk noch im gleichen
Jahre veröffentlicht. Gewidmet ist es "Tb all those Noble Per-
sonages mentiotied in Diese foüowing leüers'\
In der Vorrede an die Leser fuhrt dann der Verfasser
aus, daß es weder Eitelkeit noch Ruhmsucht sei, die ihn
Äur VeröflFentlichung der Reisebriefe bewege, sondern der
Wunsch, die Neugierde einiger hoher Freunde zu befriedigen,
und andere, denen er sehr zu Dank verpflichtet sei, darin
rühmend zu erwähnen. Denn, fragt er naiv, "««ce Fortune
maifh'd me^ and hrought me to my cruickeSf whom sliould I rely
upon hut the best able to Support me?^*
Wenn er ihnen für die empfangene Unterstützung etwas
Vergnügen mache, so sollten sie ihn in Zukunft nur fröhlich
weiter unterstützen. Also eine Art öffentliche Quittung für
erhaltene Wohltaten mit der Bitte um weitere Spenden!
Um dann seine Dichterpersönlichkeit in das richtige Licht
zu rücken, setzt Flecknoe einen Brief an den späteren Herzog
von Newcastle als ein ^'testimony of friends" über seine bis-
herigen poetischen Leistungen dem eigentlichen Texte voraus.
Der Marquis von Newcastle hatte ihn folgendermaßen
angedichtet:
"Fleckno, thy verses are too high for me,
Though they but justly fit thy Muse and thee,
Caesars shauld be thy Theam on them to u/rile,
place; and continued to this present year by Richard Flecknoe. With
other historical, moral and poetical pieces of the same author. London.
176 8. 8*>.
— 14 —
Though thou^dst expresse them more than they could fighiy
Those Worthies rank them in thy wits pure file,
Though Homers blush, and Virgils hfty stile:
For thy poeüque Flame is so mueh higher,
Where it should warm, H consumes us with thy fire.
Thy vaster faney does embrace all things,
And for thy Subject ought fhave greaiest KingsV
Darauf erwidert nun Flecknoe geschmeichelt, daß er dieses
hohe Lob zwar noch nicht ganz yerdiene, aber bald Terdienen
werde. In diesem Sinne habe es Mylord wohl auch gemeint,
da es veriiiessen wäre, anzunehmen, Mylord habe ihm, Richard
Fiecknoe, etwa gar schmeicheln wollen!
Der tapfere Marquis, der sich noch öfters als Gönner
Flecknoe's erweisen wird, hat dieses schwülstige, schlecht ge-
reimte Lob jedenfalls auch ehrlich gemeint. Andere hohe
Gönner urteilten ähnlich über ihren Schützling, der ja,
wie Langbaine bestätigt, "oä famoiM as any in his Äge^^ war.
Die Angriffe auf Fiecknoe gingen dagegen fast alle von ein-
fachen bürgerlichen Literaten aus, die mehr künstlerisches
Verständnis, aber auch wohl etwas Brotneid besalJen.
Der erste Reisebrief, den Fiecknoe geschrieben, ist, wie
schon erwähnt, 1640 aus Gent datiert und an den Colonel
William Evers gerichtet, der einige Jahre nachher in der
Schlacht bei Marston Moor fiel. Fiecknoe teilt darin die
Gründe mit, warum er England verlassen habe. Er scheint
um sein Fortkommen bei den anbrechenden unruhigen Zeit-
läuften besorgt gewesen zu sein. Er schreibt nämlich, er s^
ein ZugTOgel, der fortziehe, wenn der Herbststurm heran-
brause. Die Wogen des öffentlichen Lebens in England
gingen hoch; das verkünde Sturm, weshalb er sich beizeiten
aus dem Staube gemacht habe. Gent habe er deshalb zu
seinem Aufenthaltsort gewählt, weil es so nahe der eng-
lischen Küste liege. Es gefalle ihm sehr gut da; er ver-
kehre täglich mit dem Stadtkommandanten, Grafen Salazar,
und den anderen vornehmen Leuten.
Der zweite Brief ist ebenfalls aus Gent; er trägt das
Datum 1641 und ist an einen ungenannten Lord aus Anlaß
der Hinrichtung des Earl of Strafford gerichtet. Das Strafford
— 15 —
TOD Flecknoe dabei gewidmete Epitaph enthält eine zwar
naheliegende, aber banale Weisheit, und lautet:
^To see such Heads off, on ihe Seaffold lie,
Only to heq) on ih' Head of Majestie,
What 18 '/, but Admonüion io his Peers,
Sudi Heads once off, 'Hs Urne to hok to theirs"
Darauf zeichnet Meckuoe das Charakterbild Strafford's,
den er natürlich sehr lobt. Zum Schluß des Schreibens gibt
er dann dem Adressaten die tröstliche Versicherung, daß er
um sein ^Epitaph" und seinen '^Character^' nicht besorgt zu
sein brauche, wenn er etwa das Los Strafford's teilen müsse ;
denn er, Flecknoe, werde die Herstellung mit größtem Ver-
gnügen besorgen!
Der folgende Brief, 1642 an einen Mr. Henry Petre ge-
richtet, teilt Flecknoe's Entschluß, Gent zu verlassen, mit.
Die Stadt sei jetzt ganz mit englischen Flüchtlingen über-
füllt, die immer über ihre in England zurückgebliebenen
Angehörigen und ihre geplünderten oder verlorenen Oüter
jammerten. Das könne er nicht mehr länger mit anhören.
Deshalb gehe er jetzt nach Brüssel oder Antwerpen. Der
Ort sei ihm gleichgültig, da er mit Blas sagen könne : Omnia
mea mecum porto.
Kurz darauf meldet er dann richtig der Lady Audley
seine Ankupft in Brüssel. Er hofft, hier länger zu verweilen,
da er so gute Aufnahme und gnädige Unterstützung bei der
Marquise von Bergen und ihren beiden Töchtern, der Her-
zo^n von Lothringen und MUe de Beauvais, von denen er
sehr begeistert ist, gefunden habe. Mme Berlamont ferner
habe ihm freien Mittagstisch bei ihr gewährt; dort treffe
er täglich die beiden Töchter des Herzogs yon Arschot und
den jungen Prinzen von Arenberg. Aus dem Ton und den
Worten, mit denen Flecknoe das vorbringt, geht hervor, daß
er sich furchtbar wichtig vorkommt. Er weiß die Ehre, mit
solch hohen Persönlichkeiten verkehren und an einem Tische
speisen zu dürfen, nicht genug zu betonen. Für das Un-
männliche und immerhin Erniedrigende eines solchen Para-
sitenlebens scheint er kein Verständnis besessen zu haben.
Ein guter Freund, Mr. Edward Lewis, wollte ihm nun,
— 16 —
wie es scheint, dieses Yerständnis in zarter Weise beibringen.
Leider ganz erfolglos. Denn in einem Briefe, immer noch
1642, schreibt Flecknoe dem genannten Freunde, der ihm
gemachte Yorwurf, er verkehre immer nur mit Damen, sei
eine Ehre und keine Schande für ihn. Denn welch edleren
Umgang könne er überhaupt haben? Bei den Damen lerne
man nur Tugend, Noblesse, edle Gesinnung, während man
sich in Gesellschaft junger Modestutzer in der reinsten Bordell-
atmosphäre fühle. Das Schreiben klingt in ein begeistertes
Lob der Mlle de Beauvais aus.
Nach einem größeren Zwischenraum meldet dann 1644
ein Brief einem ungenannten Lord Flecknoe's Absicht, nach
Italien zu reisen. Es gehe ihm zwar in Brüssel recht gut,
und jeden Tag dürfe er mit Mlle d'Arschot und der Prin-
zessin von HohenzoUem singend und musizierend im Parke
sich ergehen ; aber die gleichen Verhältnisse, die ihn seinerzeit
aus England yertrieben hätten, seien jetzt auch hier einge-
treten. Die Franzosen auf der einen und die Holländer auf
der anderen Seite bedrängten das Land, und die Verhält-
nisse verschlimmerten sich so, daß selbst die reichsten Adels-
familien kaum mehr genug zum Leben hätten. Um dem
Kriege aus dem Wege zu gehen und seinen Gönnerinnen
nicht mehr zur Last zu fallen, wolle er deshalb, so schwer
ihn der Abschied auch ankomme, Belgien yerlassen und nach
Italien gehen. Das sei das einzige Land, wo gegenwärtig
Friede herrsche.
Das Reisegeld erhielt er von Mlle Beauyais, an die er
dafür von allen Hauptpunkten seiner Beiseroute aus Briefe
mit der Schilderung seiner Eindrücke und Erlebnisse sandte.
Paris gefiel ihm nicht besonders; er fand es zu unruhig und
aufgeregt. Alles sei dort in beständiger Eile, schreibt er,
so daß man in einer Woche mehr an Geist yerausgaben könne,
als man in der Einsamkeit in einem Jahre wieder zu sammeln
imstande sei. Marseille dagegen, in dem er über Lyon an-
gelangt ist, findet er entzückend. Besonders gefallen ihm die
dortigen Frauen; er nennt sie außerordentlich hübsch und
unterhaltsam, und läßt sich sogar zu dem Ausspruche herbei,
Venus könne nur an einem solchen Meere geboren sein, über
— 17 —
Monaco, wo das Schiff Flecknoe's sich vor Piraten bergen
muß, geht die Reise zur See nach Genua, von wo er wieder
zu Lande über Lucca, Pisa, Florenz und Siena nach Rom
reist. Der aus Genua datierte Brief fällt schon in das Jahr
1645. In den ersten Monaten dieses Jahres langt dann
Flecknoe in Rom an, wobei er sich rühmt, auf der ganzen
Reise von Brüssel bis Rom nicht mehr als 22 Pistolen ver-
ausgabt zu haben.
In den ersten Briefen aus Rom, die alle entweder an
Mlle de Beauvais oder ihre Schwester, die Herzogin von
Lothringen, gerichtet sind, schildert er die Besuche, die er
bei zahlreichen vornehmen Familien machte. Wir erfahren
bei dieser Gelegenheit auch den eigentlichen Grund der Italien-
fahrt unseres Flecknoe. Er sollte sich beim Vatikan für die
Anerkennung der zweiten Ehe des Herzogs von Lothringen,
der wegen Lösung seiner ersten Ehe in Rom denunziert und
exkommuniziert worden war, verwenden. Dafür erhielt er
noch in Rom von der Herzogin und ihrer Schwester reichlich
Geld. Er widmete sich auch mit regem Eifer der ihm von
der Herzogin übertragenen Mission und machte zahlreiche
Besuche bei den maßgebenden und einflußreichen Kreisen
Roms. Schließlich mußte er aber vom Kardinal Caraffa er-
fahren, daß der Herzog selber die Ansicht seiner Gattin
nicht teile und seinen Agenten beauftragt habe, die Sache
aus politischen Gründen möglichst dilatorisch zu behandeln.
Frankreich und Osterreich hätten ebenfalls in der Sache
Partei ergriffen; weshalb der heilige Vater, um keine der
beiden Mächte vor den Kopf zu stoßen, noch keine Ent-
scheidung treffen wolle. Mit dieser Erklärung war natür-
lich Flecknoe's diplomatische Mission für seine Gönnerin zu
Ende.
Damit hörten aber auch die Unterstützungen von dieser
Seite zu fließen auf, und Flecknoe geriet in wirkliche Not.
Aus dem schon zitierten MarvelFschen Gedichte erfahren wir,
daß Flecknoe in einem elenden Stübchen über drei Stiegen
wohnte und bitter hungern mußte. Das Benehmen Marvell's,
der für den armen, mit seiner klapperdürren Hungergestalt,
seinem zudringlichen Wesen und seiner Dichtereitelkeit ja
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIII. 2
— 18 —
wohl etwAS lächerlichen Flecknoe nichts als Spott und Hohu
ühiig hatte, scheint für die englische Kolonie in Eom typisch:
gewesen za sein. In einem Brief an einen Freund, der in den
1.653 erschienenen ^MisceUania** abgedruckt ist, erwidert Fleck-
Qoe auf den Vorwurf, warum er in Rom nicht mit seinen engli-^
sehen Landsleuten verkehre, daß ein gemütlicher und friedlicher
Verkehr mit ihnen nicht möglich sei. Er fällt über sie
folgendes ergötzliche Urteil : ^For your ItoMonized-English here^
who ipere accovnted Devills incarnate in the Dayes of Puck and
Bobin'goodfellow, wfien Devills were nothing nigh so block as now
they are; I know not wliat a Deviü to make of ihem^ bui only unU
he sure to have nothing to do with them,^* Von dieser Seite war
also keine Hilfe zu erwarten. Dagegen fand er im englischen
Jesuitenkolleg in Eom freundliches Entgegenkommen. Das
Pilgerbuch des Kollegs weist öfters seinen Namen unter denen
auf, die Mittag- oder Abendessen dort empfingen. Der Um-
stand, daß unser Dichter stets als Mr. Flecknoe bezeichnet
wird, während sonst meist nähere Angaben über Stand, Her-
kunft etc. gemacht werden, deutet übrigens darauf hin, daß
ihn die Jesuiten nicht näher kannten und er daher wohl
kaum ihrem Orden irgendwie angehört hatte. Die Jesuiten
hielten ihn auch jedenfalls für keinen Geistlichen, da, wie be-
reits bemerkt wurde, die Bezeichnung "priest" hinter seinem.
Namen fehlt, die sonst gewissenhaft registriert wird. Nach
diesen Eintragungen speiste Flecknoe am 29. Dezember 1645
zum ersten Male im englischen Kolleg.
Man begreift, daß Flecknoe die ewige Stadt, in der er
so wenige Gönner fand, unter diesen Umständen nicht gefiel.
In einem Schreiben an einen anonymen Freund schildert er
seine Eindrücke in seiner drolligen Art folgendermaßen:
"Good meat is there, delioums wifie, and excellent fruit; but that
is ilie climais vertue, and none of ilmrs, Qive me good Company^
good XatureSy and good Mirth, and the Deviü of any such thing
tliey have here all being for tlieir Interestj and- conserving their
IndimduumSj I never hearing a hearty laughter since I came, iwr
seeing a sfnile but from one end of tJie mouth to th^ other. In
a Word, wlicn you have seen thcir Ruins, you have seen all here;
for all their aniient Structures are faln to ruin : and for Generosüie
— 19 —
and Magnificence, it seema io have dyed wüh ike last Pope, for
now ikere's none left aUve^
Die Sorge um seinen Unterhalt scheint nun Flecknoe
aufs politische Gebiet gefuhrt zu haben. Ein aus dem Jahre
1646 datierter Brief an den spanischen Grafen Salazar, den
er in Gent als Stadtkommandanten kennen gelernt hatte,
zeigt, daß Flecknoe im spanischen Interesse in Italien zu
wirken suchte. Nachdem er dem Grafen zuvor zu einer ihm
vom König von Spanien verliehenen Auszeichnung gratuliert
hat, teilt er ihm mit, daß er eine Anekdote verfaßt und
veröflfentlicht habe, deren Nutzanwendung für die Italiener
darin bestehe, daß sie sich zu den Spaniern und nicht zu
den Franzosen halten sollten. Auch aus einem späteren Briefe
an den Grafen Salazar erhellt, daß Flecknoe fortgesetzt für
die spanischen Interessen in Italien tätig war.
Von den Schreiben aus Rom ist noch ein Brief an die
Prinzessin von HohenzoUem aus dem Jahre 1646 zu erwähnen,
in dem Flecknoe sich in Klagen über sein langweiliges Leben
in Rom ergeht. Er unterhalte sich mehr mit den Toten, den
alten Statuen und Gemälden Roms, als mit dessen Lebenden,
und finde, daß die ersteren bei weitem die bessere Gesell-
schaft seien.
Am 21. Juli 1646 speiste Flecknoe zum letzten Male im
englischen Kolleg. Wahrscheinlich hat er bald darauf die
ewige Stadt für immer verlassen. 1647 schreibt er dann aus
Marseille an Lord Thomas Somerset einen Brief, worin er
behauptet, er hätte Italien längst verlassen und unterdessen,
gleich dem vielgewanderten Odysseus, weite Reisen im Oriente
gemacht. Trotzdem wisse er darüber nichts anderes zu be-
richten, als was man schon tausendmal gehört habe. Er sei im
Archipelagus, den Dardanellen, dem Pontus Euxinus undHelles-
pont gewesen. Wie es da aussehe, könne der edle Lord in
anderen Reiseberichten nachlesen. Er sage nur soviel: Kon-
stantinopel sei eine der schönsten Städte, die er je gesehen.
Die bunten Kleider, schwellenden Turbane und fliegenden
Gewänder der Leute nähmen sich dort sehr hübsch aus, so
daß die Straßen wie Tulpenbeete aussähen. Wegen der
Kriege mit den Venetianern habe er dann leider umkehren
— 20 —
müssen und sei auf einem französischen Schiffe nach Marseille
zurückgekehrt. Die ganze Schilderung dieser angeblichen
Orientreiae macht aber durchaus den Eindruck, als ob der
gute Flecknoe nichts oder nicht viel vom Orient gesehen
habe und dem Lord nur blauen Dunst vormachen wolle.
Der folgende Brief ist bereits aus Lissabon an Lord
Charles Dudley gerichtet und trägt das Datum 1648. Flecknoe
bedankt sich darin beim Adressaten für das Reisegeld, das
ihm dieser gegeben, und erzählt, daß er sich in Toulon nach
Spanien eingeschifft habe, wobei er mit naiver Eitelkeit be-
merkt, daß er bei einem Geistlichen übernachtete, der in
Marseille schon von seinem Dichterruhme gehört habe. Weiter-
hin erfahren wir aus dem Briefe, daß Flecknoe infolge ver-
schiedener Zwischenfälle gegen seine Absicht in Spanien nicht
landen konnte und auf einem holländischen Kriegsschiffe nach
Portugal kam. Dort hielt man ihn für einen Spion, nahm
ihn fest und führte ihn vor König Johann IV. Der erkannte
aber gar bald Flecknoe's Harmlosigkeit, und als dieser erst
seine Laute vor dem Hofe erklingen ließ, da würdigte ihn der
König sogar seiner Freundschaft und gestattete ihm jederzeit
freien Zutritt. Bei einem Landsmann, Mr. John Muley, erhielt
er sodann auch eine freie Wohnung angewiesen.
Von hier aus richtete er Briefe an die Gräfin von Ber-
lamont, worin er in drolUger Weise das Leben am portu-
giesischen Hofe schildert, und an MUe de Beauvais, der er
seine Absicht, nach Brasilien zu reisen, mitteilt. Der König
habe ihm bereits ein Viatikum von 200 Kronen dazu gegeben.
Er sei auf diesen Reiseplan verfallen, weil er etwas von
einem ^ Philosopher and Astrologer^^ in sich spüre, der die Sterne
des anderen Poles und die Natur der anderen Hemisphäre
kennen lernen wolle ; *^and lastly", fährt er in seiner grotesken
Eitelkeit fort, "w^ desire of seeing all the world ü so iusatiahle
as just like another Alexander (fj^ not thinhing one world sufficient,
I am secking another forth,^^
Einige Monate später schildert er dann von Brasilien aus
in einem Briefe an Mlle de Beauvais seine Erlebnisse auf der
Überfahrt und seine Ankunft in Rio de Janeiro. Er fand
im dortigen Jesuitenkloster freundliche Aufnahme und erhielt
— 21 —
sogar zwei Mulatten zu seiner ständigen Bedienung. Flecknoe
gibt hierauf in einem Schreiben, das bei weitem das um-
fangreichste der ganzen Sammlung ist, eine eingehende Be-
schreibung von Land und Leuten. Über die Geographie, die
Flora imd Fauna des Landes verbreitet er sich in eigenen
Kapiteln. Schließlich kommt er auch in längeren Aus-
führungen auf die Eingeborenen zu sprechen. Er beschreibt
sie als dumm, phlegmatisch und ^in servüudinem natV\ Sie
gehen fast immer völlig nackt, konstatiert er weiter, und fügt
in seiner naiven Weise hinzu : ^with ofily some rag to hide their
privy partSf whick you woidd never desire to see, you are so dis-
gusted tvith the rest^
Er erzählt dann, wie er auf einer ^Hamatta", einer Art
Sänfte, die von vier Eingeborenen getragen wurde, Keisen im
Lande machte. Dabei findet er auch Gelegenheit, sich über
die Ein- und Ausfuhrartikel Brasiliens, die portugiesische
Kolonialpolitik und andere interessante Dinge auszulassen.
Aus dem Jahre 1649 besitzen wir keinen Brief. Flecknoe
wird sich während dieses Jahres wohl noch in Amerika auf-
gehalten haben. 1650 dagegen finden wir ein Schreiben
Flecknoe's an den Jesuiten J. Pereiro in Brasilien, worin er
den Jesuiten nochmals für ihr Entgegenkommen dankt und
ihnen die Abschrift eines Briefes übersendet, den er in wohl-
gesetztem Latein an den Kardinal Barba in Rom geschrieben
hatte, und der voll des Lobes über die Tätigkeit der Jesuiten
in Brasilien ist.
1650 muß Flecknoe dann auch wieder nach Belgien
zurückgekehrt sein, denn ein Brief an die Herzogin von
Lothringen aus diesem Jahre enthält den Bericht der Be-
stattungsfeierlichkeiten bei der Beisetzung der Gräfin Berlamont,
wobei, wie es scheint, der geschäftige Flecknoe eine Haupt-
rolle gespielt hatte. Weitere Briefe an die Herzogin folgen
noch im gleichen Jahre. Die Herzogin hatte sich seiner
wieder angenommen, was Flecknoe nun mit ausgesuchter Galan-
terie im Stile der Zeit quittiert. So hatte z. B. die jugend-
liche Tochter der Herzogin entzündete Augen bekommen.
Flecknoe erklärt nun sofort: ^Tlie rednesse of her Eyes is
nothing eise htit as the hluahing of the Morn is to the- day ; and
no wonder ihat Aurora should precede ihe fair Sunskine Iier
Eyes promise ; next His hut justice^ that those Eyes which are to
inflame so tna?iy, should first experience whai His to he inflamed
themselves, that she may say with Dido, she has learnt to püy
others hy her own harmes"
In einem Brief an den Herzog von Bucldngham schildert
uns Flecknoe die Stellung näher, die er in der Familie der
Herzogin von Lothringen einnahm. Er hat die Hoheiten
durch Spaße in guter Laune zu erhalten, muß auf der Laute
vorspielen, vorlesen usw, ; kurz, er ist förmlich ein maitre de
plaisir. Dabei befindet er sich augenscheinlich sehr wohl,
denn er prahlt damit anderen gegenüber. So erzählt er in
einem " To Monsieur Laurim, Lieutenant CHvil at Oant, Anno öÖ*^
überschriebenen Briefe zuerst von seinen Reisen in „Asi4n{!),
Affrika{!) und Amerika^, und bedauert, der Einladung des
Grafen d'Averos, Vize-Königs von Ostindien, nicht gefolgt
zu sein und auch Indien besucht zu haben. Er schließt dann :
" You should see if you were at Brüssels I am admiited to such
a familiarity uith those Grayidees, as some Admire, sonie Envy,
and all EmuluteJ^
Die Herzogin zog sich aber bald aufs Land zurück, wo-
hin ihr Flecknoe folgte. Mlle de Beauvais, die ohne ihn in
Brüssel zurückbleiben mußte, suchte er damit zu trösten, daß
er ihr versprach, allwöchentlich für sie ein gewünschtes
Thema brieflich zu behandeln. Wirklich schreibt er auch
eine Reihe solcher Lehrbriefe, die er alle seiner Sammlung
einverleibt hat. Einige davon sind in mehrfacher Hinsicht
interessant, so gleich der erste, der ^'Of Languaye" betitelt
ist. Flecknoe beginnt damit, daß er sagt, ein Reisender
müsse sich ebensowohl mit Sprachkenntnissen wie mit Geld
versehen. Dann beschreibt er die lokale Umgrenzung der
einzelnen europäischen Sprachen, worauf er sogar sprach-
geschichtliche Untersuchungen anstellt. Dieses fast wissen-
schaftlich zu nennende Interesse an den Sprachen ist Flecknoe
jedenfalls hoch anzurechnen. Auch ist seine Einsicht in das
Verhältnis der verscliiedenen europäischen Sprachen zueinander
für seine Zeit immerhin respektabel. Er sagt nämlich: Alle
Sprachen Europas gehen auf zwei Hauptquellen zurück, auf
— 23 —
das Deutsche {^ Almain**) und das Lateinische. Das Italienische,
Französische und Spanische stammt vom Lateinischen ah, das
Niederdeutsche, Dänische und Holländische dagegen >rom
Deutschen. Am Schluß des Briefes bespricht et dann noch
den Einfluß des Handels auf die Verbreitung einer Sprache
und die Stellung der Dialekte zur Schriftsprache.
Im folgenden Lehrbrief behandelt er die Aussptache.
Hier vertritt er allerdings noch einen recht elementaren Stand-
punkt. Er fuhrt das Beispiel der Königin-Mutter von Frank-
reich, Marie von Medici, an, did es nie gern gesehen habe,
wenn er die Fehler seiner französischen Aussprache habe
verbessern wollen. Sie habe zu ihrer Umgebung immer ge-
sagt : „Wenn ihr ihn gut sprechen lehrt, so beraubt ihr mich
des Vergnügens ihn so schlecht parlieren zu hören." Die
hohe Dame wollte sich eben ihren Spaß nicht rerderben
lassen. Flecknoe aber faßt das ernst auf und schließt daraus,
daß es genüge, wenn man so gut sprechen könne, daß man
sich zur Not zu verständigen vermöge.
Ein weiterer Brief handelt vom Ruhme und ist großen-
teils in Versen, und zwar in heroics couplets abgefaßt. Der
Inhalt bewegt sich in Gemeinplätzen, die mit vielen conceits
im Geschmacke der Zeit aufgeputzt sind.
Ein anderer Wochenbrief trägt den Titel: "Täc Vices of
evü Tongues Arraign*d*\ Der Inhalt ist ein sehr derber, nicht
wiederzugebender Soldatenwitz.
Unter diesen Lehrbriefen findet sich auch ein an eine Mlle
de Clerque in Gent gerichtetes Schreiben, in dem Flecknoe das
Leben auf dem Landsitze der Herzogin von Lothringen
schildert. Nach der Morgenandacht, ungef&hr eine Stunde
vor dem Diner, spielt er mit der Herzogin und ihrer Tochter
abwechselnd Laute, Guitarre und Geige. Mlle de Beauvais
kommt auch dann und wann von Brüssel herüber, und da
musizieren oder singen sie dann alle zusammen. Nach dem
Diner werden 1 — 2 Stunden angenehm verplaudert. Wefin
der Tag schön ist, wird ausgefahren. Von diesem Ausflug,
der nie ohne "Banquet or CoUation" endet, kehrt die kleine
GesellschaftgegenSonnenuntergangzurück, worauf l—2Stunden
Tor dem Souper getanzt wird. Damen sind hierzu meist genug
— 24 —
vorhanden; dagegen mangelt es an Herren, wenn gerade keine
Edelleute von Brüssel herübergekommen sind. Nach dem
Souper wird Karten gespielt, gelacht und gescherzt. Eine
lebenslustige Gesellschaft!
Mit den zwei folgenden Briefen treten wir ins Jahr 1651
ein. Es sind wieder Lehrbriefe, von denen der erste "0/*
aecrets^* betitelt und recht banal ist. Der zweite behandelt das
Thema: ^How we are to contemn the Calumnies of the World^\
und erzählt die bekannte Fabel von dem Bauern, der mit
seinem Sohne und seinem Esel zur Stadt geht und es jedem,
der ihm begegnet, recht machen will.
Ein weiteres Schreiben an MUe de Beauvais, das von
großer Intimität zeugt und im Faschingsstil gehalten ist, be-
titelt sich: *'7b Mlle de Beauvais^ in Raüleriej on his heing King
on Twelfth'nigM\ worauf sie ebenso lustig "-1 sa Majesic Fleck-
notique" repliziert.
Dann kommt plötzlich der Bruch. Man scheint Flecknoe's
überdrüssig geworden zu sein und es ihn auch haben fühlen
lassen. Beleidigt verläßt er die Familie und bemerkt in
seinem Abschiedsbrief an Mlle de Beauvais: "/^ being not my
nianner, who lovc not to he treated with Indifference^ much less
urüh Neglect, to importune any with my Company ^ longer then tltey
may take delight in it^
Das geht noch im Jahre 1661 vor. Wir hören dann
drei Jahre lang von keinem Briefe mehr. Ob sich Flecknoe
während dieser Zeit mehr auf dem Kontinent oder in England
aufhielt, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Jedenfalls
hat er noch 1651 oder im Laufe von 1652 London und Eng-
land einen Besuch abgestattet, wie aus seinem 1653 erschie-
nenen Werke ^^Miscellania^* ohne Zweifel hervorgeht. Anderer-
seits erhellt aus demselben Werke, daß er sich mit der
Familie der Herzogin von Lothringen wieder vollkommen
ausgesöhnt haben muß, denn das Buch ist nicht nur ^^A la
plus Excellenie de son Sex€^\ die, wie deutlich ersichtlich, keine
andere als Mlle de Beauvais ist, gewidmet, sondern auch der
Inhalt der Schrift bietet eine große Anzahl von Huldigungen
und Schmeicheleien, die sich auf die Herzogin und ihre Schwester
beziehen. Flecknoe wird also wohl wieder ihre Gunst oder
— 25 —
UnterstützuDg genossen haben; vielleicht hatte er auch seine
bisherige Stellung als Gesellschafter nach kurzer Unterbrechung
wieder aufgenommen.
Erschienen sind die ^^Miscellania-^ ^) erst 1653 in London.
Das Buch ist eine Sammlung von kürzeren und längeren Qe-
dichteuy sowie einzelnen Briefen und kurzen Aufsätzen, die
Flecknoe hier gesammelt hat, weil, wie er in seiner drolligen
Art bemerkt, ^^being ihe loosest of my Paper s^ tkey were niQst
sybject to scattering, and it will g7*ieve me lesse to kave them lost
aüogether iken by parcels as they were before,^^
Dieses Sammelwerk ist auch die erste eigentliche poetische
Veröffentlichung Flecknoe's, da seine früheren literarischen
Arbeiten religiöse Zwecke verfolgen.
Der poetische Wert der Gedichte in den ^^Miscellania^^
ist recht gering. Es sind schlechte Verse im Stile Waller's,
aber ohne seine Formvollendung, ohne Tiefe, ohne den Aus-
druck echten Gefühls, und außerordentlich pretiös und ge-
schraubt. Neben Waller, den Flecknoe gelegentlich einmal
*Hhe best of Poeis'^ nennt, ist sichtlich auch der Kreis der
Herzogin von Lothringen in Brüssel von großem Einfluß auf
unseren Autor gewesen. Dieser Kreis verehrte und bewunderte
aber besonders die damals hochberühmten Romane der MUe
de Scudfiry, die ihren bekannten Roman tArtamene ou le
grand Cyrus> sogar eigens mit einer sehr pretiösen und
schmeichelhaften Widmung in Gedichtform, die unser Flecknoe
ins Englische umdichtete, der Herzogin von Lothringen über-
reichen ließ. ^
Das Buch beginnt mit dem von Southey^) wie von der
"Retrospective Review" ^) so bewunderten Gedichte ^^Invocation
of Süence^\ das in Flecknoe's Gedichtsammlungen noch öfters
wiederkehrt und ein integrierender Bestandteil seines Stückes
^^Love^s Dominion'^ ist, dessen Manuskript damals schon vor-
gelegen haben muß, da noch drei weitere Proben dem-
*) Misceüania: or, Poenis of all sorts, with divers other FieceSj
Written by Richard Fleckno. London, Printed by T. R. for the Ätithor,
MDCLni. 80. 146 S.
*) Southey, Omniana. I, 105—110.
») Baldwyn, Retrospective Review. 1822. V, 266—275.
selben eDtnommen und hier wiedergegeben sind. Sodann folgt
in der Sammlung ein längeres, ungefähr 400 Verse zählendes
Gedicht in Iieroic couplets mit dem Titel: "TÄe Meiamorphosed
Lover8^\ Es ist pretiös bis zur Albernheit. Der Inhalt ist
folgender: Zwei Jünglinge, Asteron und Philocell, sind
schon von Kindesbeinen an die besten Freunde. Bei einem
Peste der Liebesgöttin Aphrodite sehen nun die Unzer-
trennlichen die holde Aniouret, und werden gleichzeitig von
heftigster Liebe zu ihr ergriffen. Denn obwohl die Schöne
dicht von ihrem Schleier bedeckt ist, strahlt sie doch hell
wie die Sonne und stellt sogar die Göttin in den Schatten.
Unwiderstehlich angezogen^ können die beiden kein Auge
mehr von ihr wenden und folgen ihr überallhin. Sie sehen,
wie die Holde durch den Glanz ihrer Augen die Vögel in
der Luft betäubt, daß sie nur so in die feinen Netze Amouret's
herabtaumeln; wie die Fische im Wasser, von dem Glänze
geblendet, der von ihr ausgeht, auf ihre Lockspeise zustürzen
und sich ihr gefangen geben. Aber nun ereilt auch die Spröde
ihr Schicksal. Sie ist in den Wald gegangen, wohin ihr
Asteron und Philocell, von den Blumen geleitet, die unter
ihren Tritten aufsproßten, schmachtend folgen. Da springen
plötzlich zwei grimme Bären auf die Holde los und drohen
sie zu zerreißen ; die beiden Jünglinge aber eilen ihr schleunigst
zu Hilfe und erlegen die Untiere, wobei leider Asteron am
rechten und Philocell am linken Arme verwundet werden.
Amouret aber zerreißt bei diesem Anblick ihren Schleier
und verbindet „mit zarter Hand und zarterem Herzen" die
Wunden; und das Mitleid, das sie mit den beiden hat, wird
zur Liebe. Asteron und Philocell sind darüber anfanglich
sehr entzückt, werden aber gar bald eifersüchtig aufeinander.
Ja, die Heimtücke Amors, „der zwei mit einem Pfeile und
eine mit zwei Pfeilen durchbohrt hatte", bringt sie sogar der
Verzweiflung nahe. Asteron will zuerst sich, dann seinen
Nebenbuhler töten ; schließlich tut er keines von beiden. Denn
brächte er sich selber um, so zerstörte er ja seine Liebe zu
Amouret; tötete er aber Philocell, so vernichtete er dessen
Liebe zu Amouret und verscherzte vielleicht gar die Gunst
der Geliebten.
— 27 —
As^ouret, die beide Jünglinge in gleichem Maße liebt,
beklagt ihr Los ebeu falls aufs bitterste. Beständig ringt ßie
qualvoll die Hände, Tränenströme entstürzen ihren Augen
;uad unaufhörlich begehrt sie zn sterben.
Doch kein Hofifnungsstem will den dreien aufgehen. So
begeben sie sich denn zuguterletzt gemeinsam in ein Tal, um
da zu sterben. Alle drei sind vom Weinen, Wehklagen imd
Seufzen so eingefallen und entstellt, daß sie einander lange
nicht erkennen können. Unter Stöhnen und Ächzen hauchen
sie dann ihren Geist aus, worauf sie zum Lohne für ihre treue
Freundschaft und Liebe als Dreigestirn ans Firmament ver-
setzt werden. Damit ist die rührselige Seufzergeschichte^ die
wohl zweifellos durch Ovid's Metamorphosen angeregt wurde,
zu Ende. Die anderen Gedichte, von denen eine große Zahl
in den späteren Sammlungen Flecknoe's wiederkehrt, zeigen
im allgemeinen den gleichen pretiösen, geschraubten Typus;
namentlich leistet Flecknoe, dem Zuge seiner Zeit und der
Rücksicht auf seine abhängige Existenz folgend, in der
Yerhimmelung seiner Gönner und Gönnerinnen Großes. Als
Beispiel dafür diene ein kurzes Gedicht, das Flecknoe zuerst
französisch verfaßte imd dann folgendermaßen ins Englische
übersetzte :
"Jm^/ OS Flora is o* tK Sjyring
And o' M Stimmer d- Äuiumn were
Ceres, and Pomona Queene,
So are you of aü ihe year.
They do wrong then, who compare
You to ane o' tV Goddesses alone,
Who amongst aü so exceUent are,
As you surpasse them every one,^^
Von anderen an hohe Persönlichkeiten gerichteten Ge-
dichten seien erwähnt : "/n execraiion of Üie Sniaü Poxe, on tke
occasiori of the Princess of Zollern's sickne8se^\ ^^On ihe late Duke
of Buckingham. To my Lord Duke, his So?ie^^', "Tb the Lord
N, Eequesting some of his Verses to shew to the Queen of Bo-
hemia^^ (er ist nicht wenig stolz darauf!); "/» memory of that
ever memorable Lady Ann Packinton, Lady Audley" usw.
— 28 —
Eigentliche lyrische Motive behandelt Flecknoe nicht^
wie man sieht. Was er bietet, das sind fast ausnahmslos
Gelegenheitsgedichte. Das dichterisch beste Gedicht neben den
paar Proben aus "Lotv's Dominion" ist wohl das folgende :
The Libei^ty, Song.
Free as I was hörn Fll live,
So shud evertj tviseman da;
Onely Fools Üiey are who give
Their freedoms to I know not who,
If my wedkness cannot sare ii,
But H must go, whatere it cost;
Some more strong than I shall have it,
Who can keep what I have lost ?
Still sonie excellen^cy shud he,
More fth^ Mr, than the Slave,
Which in othrrs tili I see^
None my liberty shall have.
Nor is*t exceüency enotigh,
Time or cJiance ran mar or make;
But U shall he more lasting stu/f
Shall from me my freedom take.
Wlierefore Riches n^ver sJiall
Captivate my liberty:
Its gold chaines are too slight and smaü,
To hind a heart that wdd he free.
And f/reatnesse though I rcverence
In those, yet it were want of wit,
Shud take argumcnt from thence.
I therefore wo'd he slave to iL
Beauty too I can admire,
Änd submit unto 7 in part,
But Dominion intirCy
^T shall nere have oV my freeborne heart.
Yet for a freind, Vd do so much,
My liberty away to give,
— 29 —
If tM World were any sucfi^
Which tili I can see, Fle scarce beleeve,
Then for all the world can give
rie ne^re he brought io servitude,
But free as I was hörn Fle live,
Or rather dije: and to conclude,
Tliose to whom I'le give away
That which none too dear can buy,
Shall he fnade of better clay,
And Jiave better soules ilian L
Auch hier stören schlechte und unkorrekte Verse, übel-
klingende Kontraktionen und schwerfalliges, unklares Satz-
gefüge an zahlreichen Stellen die poetische Wirkung des
Ganzen. Die in diesem Gedichte ausgesprochene Freiheits-
gesinnung ist übrigens um so bemerkenswerter, als sie sonst
von Flecknoe nicht betont wird. Dem Autor scheint das
Lied auch besser als andere seiner lyrischen Produktionen
gefallen zu haben, denn er verleibte es später sowohl seinen
^ Cliaracters^* wie seinen ^^Epigrams'* von 1671 ein, jedesmal
wieder etwas abgeändert und teilweise gekürzt.
Auf Seite 74 der ^^MisceUania^^ beginnt dann eine längere
Abhandlung, betitelt: ^'Ä Discoiirse of Langiiages, and parti-
cularly of the English Tongue'\ die eigentlich nur die etwas
erweiterte Bearbeitung des an Mlle de Beauvais gerichteten
Lehrbriefes "0/" Langimge''^ ist.
Auch hier zeigt sich wieder, daß Flecknoe für seine Zeit
bemerkenswerte sprachhistorische Kenntnisse besitzt und selber
über sprachliche Dinge nachgedacht haben muß. Nachdem
er sich, wie früher, über die Abstammung der europäischen
Sprachen verbreitet hat, kommt er besonders auf das Englische
zu sprechen. Er bezeichnet es als ein auf das Deutsche
i^^Dutch^^) gepfropftes Französisch, das mit einigen Zutaten
aus anderen Sprachen aufgeputzt sei. So seien die Ausdrücke
für die Künste und Wissenschaften meist dem Lateinischen oder
dem Griechischen entnommen. Das Entstehen der englischen
Sprache schildert er folgendermaßen: Das Deutsche oder
— 30 —
Sächsische verdrängte zuerst das Britische und beschränkte
es auf die Berge von Wales; dann taten die französisch
redenden Normannen das gleiche mit dem Sächsischen: sie
vermengten es so mit ihrer Sprache, daß es im Laufe der
Zeit weder sächsisch noch französisch war, sondern zu einer
Mischsprache wurde.
Für die damalige Zeit ist diese AufÜEissung jedenfalls
nicht so übel. Aber nicht nur über die Geschichte der eng-
lischen Sprache, sondern auch über die Entwicklung ihres
*^8tyle of langiLoge^^ will uns Flecknoe Aufschluß geben. Die
alten Engländer (er denkt wohl an Chaucer, den er kennt;
weiter zurück datiert Flecknoe's Kenntnis nicht, soweit sich
aus seinen Werken erkennen läßt) drückten sich schlicht und-
einfach aus, sagt er; zur Zeit der Königin Elisabeth liebte
man dann einen prunkhaften und geschwollenen Stil; unter
Jakob I. bevorzugte man das Lehrhafte und gelehrte Bildung
Verratende; unter König Karl kam die Vorliebe für den fran-
zösischen Stil bei den Vornehmen in Mode, und in aller-
letzter Zeit brachte das puritanische Kegime den Bibelstil in
Schwung, und die Leute ^^like Qypsies cant it now in ihe Hebrew
phrase^\
Flecknoe teilt den Stil in zwei Arten ein, 1) in den
gewöhnlichen oder Zeitstil, und 2) in den gelehrten Stil.
Den letzteren, meint er, solle man anwenden, wenn man für
den Kuhm und die Ewigkeit schreibe. Er lasse sich am
leichtesten übersetzen und sei überhaupt an bestimmte Formen
gebunden, die sich nicht so bald änderten; der Zeit- oder
Modestil wirke indessen lächerlich, wenn die Mode eine andere
geworden sei.
Als Stilfehler bezeichnet es Flecknoe, wenn man sich
unverständlich oder geschraubt ausdrückt ; man darf aber auch
nicht zu schlicht und einfach schreiben. Es ist weder schön,
auf Stelzen daherzuschreiten, noch als Reptil aili Boden zu
kriechen. Es ist gleich verwerflich, nur auf den Inhalt oder^
nur auf die Form zu achten. Beide müssen in gleicher Weise
berücksichtigt werden.
Dann kommt Flecknoe wieder auf das Sprachprobtem
Zurück. Er unterscheidet dreierlei Sprachen : erstens Sprachen,
— 31 —
die infolge eines reichen literarischen Erbes noch fortleben,
wie das Griechische, Lateinische und Hebräische; zweitens
Sprachen, die sich lebendig in der Gegenwart fortentwickeln ;
das sind die Sprachen gesunder und blühender Völker, wie
das Spanische, Französische, Italienische und Englische ; drittens
verfallende Sprachen, die Sprachen verachteter oder geknech-
teter Völker, die keine rechte Literatur haben. Dazu rechnet
Flecknoe das Irische.
Die Vorzüge einer Sprache findet Flecknoe nicht so sehr
in ihrem Wortreichtum, wie in ihrer Qualität. Nicht im
Beichtum an Vokabeln, sondern im Wohlklange einer Sprache
liege ihre Schönheit. In dieser Hinsicht, meint er, stände
das Englische wohl anderen Sprachen nach ; sonst aber nehme
es in jeder Beziehung den Vergleich mit allen anderen
Sprachen, toten wie lebenden, auf. Er findet, daß das Eng-
lische die an conceits reichste Sprache der Welt ist. Das
sei auch gar nicht weiter verwunderlich, da die Engländer
das witzigste, froheste und umgangs&eudigste Volk seien, das
es gäbe ! (Das kann man heute kaum mehr behaupten.) Das^
Englische eigne sich femer vorzüglich zur Rhetorik und zum
getragenen Stil; auch sei keine andere Sprache an Figuren
und Metaphern reicher.
Zu diesen Vorzügen sei das Englische durch lebhafte
Berührung mit anderen Sprachen, da die Engländer ja ein
Handelsvolk seien, imd durch Übersetzungen gekommen. Die
Bühne habe gleichfalls sehr viel zur Bereicherung der Sprache
beigetragen imd ihre Entwicklung bedeutend gefördert. Die
Bühne, sagt unser Autor weiter, ist die Münze, in der täg-
lich neue Worte geprägt und in Umlauf gesetzt werden.
Bücher haben lange nicht denselben Wert und Einfluß, wie
das von der Bühne herab gesprochene Wort. Ich fürchte
daher, fährt er fort, von der jetzigen Unterdrückung des-
Theaters eine Verwilderung der Sprache. Man wende nicht
ein, daß auf dem Theater viel Unsittliches und Zotenhaftes'
zur Darstellung komme; das ist anderswo auch nicht besser.
Wenn Mißbräuche sich eingeschlichen haben, so soll man sie
eben abstellen, aber nicht mit der Unterdrückung des Theaters
auch seinen Nutzen hintanbalten.
— 32 —
Schließlich kommt Flecknoe noch darauf zu sprechen^
warum denn das Englische trotz all seiner Vorzüge im Aus-
lande so wenig Achtung und Ansahen genieße.
Er meint, daran sei hauptsächlich die insulare Lage
Englands schuld, die es Fremden weniger nahe lege, auch
englisch zu lernen. Hätte England z. B. die Lage Frank-
reichs inmitten des kontinentalen Verkehrs, so würden die
Engländer seiner Überzeugung nach bald nicht mehr die ein-
zigen Bewunderer ihrer Sprache sein. Als weiteren Grund
führt er an, daß das Englische lauter einsilbige Worte habe,
was für fremde Ohren rauh und abgehackt klinge. Von
großer Bedeutung hält Flecknoe noch einen dritten Grund,
der zeigt, daß er auch phonetische Beobachtungen zu machen
weiß. Er sagt, die Engländer sprächen keinen einzigen
Vokal wie die anderen Völker aus, ein Umstand, der sie
in hohem Grade unfähig mache, fremde Sprachen richtig zu
erlernen. In ihrem Munde seien fremde Laute kaum mehr
kenntlich, weil sie den Mund nicht ö£Fneten und die Worte
aus Atemmaugel ersticken ließen, ein Nachteil, der nicht nur
die Rede, sondern auch den Gesang beeinflusse. Und wenn
beide nicht gebessert werden, müssen sie unangenehm für
fremde Ohren klingen, schließt Flecknoe seinen Aufsatz.
Im Anschlüsse daran behandelt er in einem weiteren Essay
ein ähnliches Thema. Er spricht nämlich : " Of translation of
Äuthorsr ^)
Nachdem er in der Einleitung das Übersetzen als geistigen
Güteraustausch zwischen den einzelnen Völkern charakterisiert
hat, gibt er einen historischen Überblick über die Geschichte
des Übersetzens. Er beginnt mit dem Turmbau von Babel,
und entwickelt dann die eines Körnchens Wahrheit nicht ent-
behrende Theorie, daß alle Wissenschaft auf Übersetzung be-
ruhe und ständig von Osten nach Westen weiterwandere. Die
Brahmanen Indiens hätten zuerst die Wissenschaft besessen;
von ihnen hätten sie die Perser und Chaldäer überliefert
*) Flecknoe's Aufsatz hat mit dem 1684 in heroic Couplets ge-
dichteten und damals berühmten ''Essay on Tratislated Verse" des Earl
of Roscommon gar nichts gemein. Roscommon lehnt sich teüweise an
Boileau an.
— 33 —
erhalten. Dann sei sie stets auf dem Wege der Übersetzung
nach Ägypten, Griechenland und Eom weitergewandert. Von
den Römern hätten sie die Völker West- und Mitteleuropas
erhalten, von wo sie im Laufe der Zeit nach Amerika weiter-
rücken werde.
Nach diesen Auslassungen kommt Flecknoe auf das
eigentliche Thema zu sprechen und spottet über Übersetzer,
die an griechische oder lateinische Worte nur eine englische
Endung anfügen. Das sei dasselbe, wie wenn man bread und
beer als breado und beero ins Spanische übersetze.
Weiterhin bemerkt Flecknoe, daß jede Nation bestimmte
Charakteristika besitze, die in ihrer Sprache zum Ausdrucke
kämen, z. B. die Italiener eine ^insinuaiing sweetnesse'^ die
Spanier eine ^lowd haughtinesse^^ die Franzosen eine ^eff&niitiate
niceti/^ usw. Das Schwierige für den Übersetzer liege nun
darin, daß er nicht nur den Sinn der Worte, sondern auch
ihren eigentümlichen Charakter und Ton wiedergebe.
Dann wirft Flecknoe die Frage nach dem ersten Über-
setzer auf, den er bewundernd apostrophiert:
'*/ wonder who It loas, who durst
Adveniure on ikat bold wcnk first:
To re-make whai the Gods unmade,
To joyne what they disserer^d had :
And to consolidate agen
Tlie broken InieUigence of men.
WheW it the God of Lear?iing wey-e
Pliebus, or one of higJier fipJieer,
Or eise, by guesse to come more nigh,
The God of Language, Mercury:
For sure some GodH was, d^H wer'' known,
Or men at leasi had made him oneT
Als erstes Erfordernis für einen guten Übersetzer be-
zeichnet Flecknoe ein gesundes Urteil. Denn man solle nur
Werke übersetzen, die es auch wirklich verdienen, und keine
oberflächliche Schundware reproduzieren. Weiterhin muß der
Übersetzer ein guter Stilist sein; wer seine eigene Mutter-
sprache nicht tüchtig beherrscht, wird auch kein guter Über-
setzer sein.
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIII. 3
— 34 —
Ferner muß der Übersetzer in hohem MaJie die Sprache
beherrsohen, aus der er fibersetzt; noch mehr aber muB er
mit der Materie des zu übersetzenden Werkes vertraut sein.
Mecknoe ist überzeugt, daß einer, der den bebandelten Gegen-
stand kennt, in der Fremdsprache selber aber nur mäßig
Tersiert ist, besser übersetzt als ein anderer, der zwar die
fremde Sprache yollkommen beherrscht, dem aber der be-
handelte Stoff fremd ist.
Die Hauptsache aber bleibe: Induere personam attionsf
Der Übersetzer müsse sich ganz in die Gedankenwelt seines
Autors hineinleben, und mehr nachschaffen als mechanisch
übersetzen. Er solle sich stets fragen: Wie würde sich der
Autor in der Sprache, in die ich übersetze, ausgedrückt haben?
Diese Yorschrifben und Katschläge, die Flecknoe dem
Übersetzer gibt, berühren ganz modern, wie man sieht, zeugen
Ton gesundem Urteil und sind fast durchaus treffend.
Zum Schlüsse seiner Ausführungen macht Flecknoe eine
Bemerkung, die zwar für seine Zeit besonders angebracht war,
bei den damaligen Herren Autoren aber wohl verschnupfen
konnte. Er sagt nämlich, die Übersetzer seien auf jeden
Fall ehrliche Leute, die ihr Handwerk offen betrieben, was
man auch sonst gegen sie einwenden möge ; andere Leute aber
ließen sich Schriftsteller heißen und gälten auch dafür, während
sie doch bei näherem Zusehen nur viele Bücher übersetzt
hätten, um eines zu schreiben.
Auf diesen Essay folgt ein Brief, den Flecknoe von Rom
aus während seines dortigen Aufenthaltes an einen Freund ge-
schrieben hatte. Der Brief, der in wenig veränderter Form
auch in Flecknoe's Beisebriefsammlung aufgenommen und
oben, (S. 18), schon Erwähnung fand, klagt besonders über
das Verhalten der dortigen englischen Kolonie, mit der
Flecknoe nichts zu tun haben will. Das Gedicht, das sich
nur hier am Schlüsse des Briefes findet und das die Freund-
schaft besingt, ist eines der besten, die Flecknoe gedichtet
hat, obwohl auch bei ihm die Fehler des Autors stark ins
Auge fallen. Es lautet:
^^Freindship companion of each gentle brest,
Withont whose Company who ere can be,
— 35 —
Must either he a God ar eise a best;
Above or eise below humanüy,
Freindship, that niarriage hy whose rites we see
IIoiv not two hodyes bat two Soules conjoyn:
Even viaking mortall ihe Divinity ;
Whilst of all morial thing thou ort most divine,
Thou art the port, saves us from being lost,
The Haren where we certaine Befuge find:
Wken on the worlds tempestious waves w'are
And 7nade the tennis Balls of Seas and Wind,
Thou in this vale of Tears and miserye^
Dost with tky comfort fnake them seem so light,
As rnidst a world of incofnmodityeSf
We scarcely seem incammodated byU,
Oh may we maJce a Temple of our Hearts,
Which dedicate, and eonsecrate to thee:
Who from Religion of it nere departs,
May in this mortal life still happy be.
And lastly be so happy when he dyes,
(As every one at lust miist passe by Death)
To have his Freind stand by to close his Eyes,
And gently to receii'e his dying breath,^^
Das letzte Stück des Buches ist betitelt: "^ whimzey
written front beyond Seas, ahout the end of the year 52 to a Friend
latdy retumed inio England.^' Es sind Knittelverse, mit Prosa
untermischt, in denen Flecknoe in humoristischer Weise
schildert, wie er nach jahrelanger Abwesenheit im Auslande
wieder die Straßen Londons durchwandert und mit gemischten
Gefühlen all die Veränderungen wahrnimmt, die das Commoiv-
wealth mit sich gebracht hat. Die Sprache ist zwar manchmal
recht derb, aber wirklicher, gesunder Humor ist dem Ganzen
oieht abzustreiten. In Smithfield beginnt Flecknoe seine
Wanderung und ruft aus:
"0 Smith fieldy that in Times of yore,
With thy Ballets did make all England roar,
3*
— 36 —
Whilst Goodwife ürsuly lookfd so higg
At roasiing of a Barthohmew Pig :
And so many Enormities ev&tn^ wh&rc
Were observed by Justice Overdoe ihere;
Fall lütle (I wuse) didst tkou thmk Uten
Thy mirih should he spoyVd by the Banbury man:
And Uten too, Iie as Utile did thinke,
How some in the world should make him stinket
Von da begibt sich der Dichter nach der City, wo er
ebenfalls alles verändert findet, und nicht zum Vorteile. Die
St. Paulskirche ist in einem elenden Zustande, das Black-
Friars-Theatre liegt gänzlich verödet; kein Theaterzettel am
Eingang, keine Kutschen auf dem Vorplatze, kein Theater-
diener — nur Kirchhofsruhe allenthalben. Da« entringt nun
Flecknoe den Ausruf:
^^Poor House, tJmt in dayes of our Grandsires
Belongst unto the Mendiant Fryers:
And where so oft in our Fathers dayes
We fiave seen so many of Shakespears Playes,
So many of Johnsons , Beaumonts d> Fletchers,
Until I know not what Pwitan Teachers:
f[Vho for their Tone, their Langtmge <£- Action^
Might 'gainst tfie Stage make Bedlam a fadion)
Haie made wUh their Raylings the Players as j)oore
As were the Fryers and Poets before:
Since tWast the tricke onH all Beggars to make,
I wish for the Scotdi^Presbyterian's sake
To covifort the Players and Fryers a liitlc,
Thou mayst be turn^d to a Puritan spiUky
Hierauf wandert er an den Strand hinunter, wo er die
Häuser des Adels alle leer stehen sieht. Er nimmt dann ein
Boot und fährt auf der Themse nach Westminster hinauf,
das er ebenso verwahrlost vorfindet wie St. Paul. Vor dem
Parlamentsgebäude zieht er respektvoll den Hut und denkt
sich, das sei immer noch besser, als wenn einem der Kopf
abgenommen werde. Wie er jedoch an White-Hall vorüber-
kommt, schüttelt er nur traurig das Haupt. Schließlich kehrt
— 37 —
er dann in einer alten Taberne ein; aber auch da siebtes
recbt armselig aus, und der Wirt schneidet das reinste Leichen*
bittergesicht. Die herrschende "^ma//-6cer"-Religion hat ihm
seine Kunden entzogen, denn ^Hhey can he inUxcicated now tmth
Preaching wHhout drinky <j& that spoyls all our mirthj^ Und
Flecknoe bestätigt : ^ Good Drink and good Rßligion goes together,
and Hwas never a good World, since Beer d' Ileresie came first
into England" Mit einem Trinklied, das inhaltlich stark an
ein unter Anakreon's Einfluß entstandenes Trinklied Abraham
Cowley's erinnert, schließt das burleske Stück und damit auch
das ganze Buch.
IV.
Erster dramatischer Versuch.
Im folgenden Jahre, 1654, weilte Flecknoe sicher ständig
in England. Die mit diesem Jahre wieder fortgesetzten „Reise-
briefe^ sind alle in England geschrieben. Der royalistische
Adel war teilweise wieder zurückgekehrt, nachdem unter
Cromwell's straffem Regiment ruhigere Zeiten gekommen
schienen. Flecknoe bekam daher wieder Gönner, bei denen
er jetzt in England die Rolle weiter spielte, die er in Belgien
uei der Herzogin von Lothringen innegehabt hatte. An
Schmeicheleien ließ er es nicht fehlen. So schreibt er einer
vornehmen Dame, die er Cloris nennt, einen Brief, der einer
MUe de Scud§ry, was Pretiosität anlangt, Ehre gemacht hätte.
Er sagt der Dame nämlich, daß sie sehr gut daran täte, im
Sommer aufs Land zu übersiedeln, denn zwei Sonnen zu
gleicher Zeit könne die Stadt unmöglich aushalten! Dabei
erlaubten sich aber die angehimmelten Damen manchen Scherz
mit unserm guten Flecknoe. So schreibt er selber zu gleicher
Zeit an Lady Tenham von einer Damengesellschaft im ^Mul-
bery-Garden" in London, bei der er als einziger Herr an-
wesend war. Als die Damen sahen, wie galant und dienst*
beflissen der Gute jeden zu Boden gefallenen Gegenstand
aufhob und der Eigentümerin graziös überreichte, ließen sie
— 38 —
absichtlich Fächer, Taschentücher und Handschuhe faliefi, so
daß der arme Flecknoe mit dem besten Willen nicht alles
aufheben und wiederfinden konnte und endlich schweißgebadet
und todmüde seine Bemühungen einstellen mußte.
In diesem Jahre trat Flecknoe auch zum ersten Maie
als dramatischer Dichter an die Öffentlichkeit, und zwar mit
dem Stücke : ^^Love^s Dominion^ A Dramatique PiecCj füll of
ExceUeni Mordlüie; Written as a Patiem for the Reformed StageJ* ^)
Gewidmet ist es der Lady Elisabeth Claypole, von deren
Vermittlung der Autor die Aufführung des Stückes erwartete,
wie aus den Worten der Widmung hervorgeht.
In der Vorrede an die Leser setzt dann Flecknoe seine
Absicht, durch vorliegendes Stück die Bühne zu reinigen und
moralisch zu wirken, des näheren auseinander. Er sagt:
**/ deny not hui aspersians (these laiter times) have been cast upoti
the steige hy the Ink of some who have uritten obscenely and
scourrilously, d'c, but instead of wiping ihem off, io break the OlasSy
was too rigid and severe, For my pari I have endeavovred here
the Clearing of it, and restoring il to its former splendor, and first
instittUion; (of teaching Virtue, reproving Vice, and amendmeni of
Manners) so as if the rest but imitate viy exampte^ those who shall
he Enemies of it hereafter, 7nust declare themselves Enemies of
Virtue, as formerly they did of Vice : Whence we may justly hope
to see ii restored again, with tlie qualificaiian of an hunible coad*
jutor of the Piüpit, to ieach Morality, in order to the otfters Dimnity^
and tK moulding and tertipering mens minds for tlie better reoeiving
the impressions of Qodliness . . ."
Zu der Wahl seines Stoffes bemerkt Flecknoe weiter:
^^Bhr the Design or choice of the subjed, I thought ü necessary
there first to apply the Rffnedy, where the härm was most unir^rsalf
Love being tJie general passion of evei-y breast j atid there to begin
the Beformation of the Stage, where iis abxise was most frequsnij
and most notonous, iis greatest disreglement having been in point
of Lore, and therefore Hwas first to be rectifiedj and first to be
redticed to its right Channel, where iis overflow and debordment was
the most dangerous, For the Plot, l have taken a middle way
1) London. 1654. 79 S. 8^
— 39 —
betivixt the French and English, the ane mdking it too plainy
and the other too confused and intrigtied.*^
Dabei befolgt aber Flecknoe die für das französische
Theater so typischen drei Einheiten genau: ^^For the real, I
have ohseiDcd all the Ruks of Art in handldng it, the Scene at
Amathonte in OypreSy never going out of view, nor out of the
Precincts of Love^s Temple; continued to the End of the Ad, to
make an entire piece of erery Act, and some disiinction (by cleering
of the Stage) betunüct the end of an Act, and the ending of a Scene ;
the Time only from Moming tili Night.^*
Das Verzeichnis der Personen des Stückes, bei deren
Anfzähinng Flecknoe stets auch die Kostüme als Bühnen-
weisung angibt, lautet:
The Persona Bepresented, and their Habits:
Philostrates, Love's Soveraign Pontif, and Oovemor of
Cypres: in Pontiflcal Ornaments, a Tyara on his head, dhc,
Euphanes, a Noble Cypriot loving BeUvida, and behved by
Philena: like your aniient Heroes in Müitnry array, a Javelin in
his hand.
Philander, a Stranger, arid Bellindä's beirotKd: habiied at
all parts like Eiiphanes, but girt with a Scimiter, Sc.
Polydor, one of Love's Ministers, and Confident of Eu-
phanes : in Roba longa of Taffaia imto the knee, Buskins, crown^d
mth Mirtle, or Roses, &c,
Pa mp hilus, a Cockscomb, Stranger to tJie customs of Love's
Dominions: in Bidicuhus Fantastique Equipage, — Mysti and
Chorus: like the antient Egyptian Priests, in long BobeSf croton^d
with Bases or Mirtles, Buskins, dx.
Philena, a Noble Nyfnph of Cypres, hospitably entertaining
BeUinda, and loving EupJianes: in long Taffata robes to the midiegg,
with a Tynsel manile of different colour, fastned on the one Shoulder,
and hanging doum under the other arm, silver'd Buskins wüh falls
white Tynsel on either side; her hair curled, ivreathed, or pleytedj
with a Coronet of Rosee or Mirile, white gloves, a coUar of Pearl
about the neck^ dhc.
BeUinda, a Noble nymph, cast on shore in Cypres by
— 40 —
Strange Äcddeni: Iiabited at all parts like Philena, iheir colours
only differeni,
Flammette, a facetious Nymph of Oypres, and Confident
of Philena: more simply and matronly habited than the rest.
Masquers.
Prologue,
Hope, In green Garments,
Joy, In white Oarments,
Fear, In pale Ash-colour,
FruUlon. In Sky-colotir,
Lover, and his Mistre^sej All properly habited for the Dance.
Giiards, Eocectttionery Grex of Youths and Virgins drc.
Das Stück beginnt dann mit einem Prolog der Mysti, die
um Fernhaltung alles dem Reiche der Liebe Schädlichen
flehen. Hierauf tritt Euphanes auf, der eben im Begriffe
ist, sich aus Verzweiflung über seine unglückliche Liebe in
seinen Speer zu stürzen. Polydor verhindert das noch glück-
lich, und tröstet den Unglücklichen mit Bellinda's Versprechen,
daß nur er es sein solle, wenn sie je einen Inselbewohner
liebe. Während Polydor wieder abgeht, ist Philena hinzu-
getreten und hat Euphanes freundschaftlich angesprochen.
Dieser antwortet ihr aber recht unwirsch und bedeutet ihr, sie
müsse Beilinda ihm geneigt machen, wenn sie sich ihm ver-
pflichten wolle. In einem Monologe beschließt die von Liebe
Gequälte, das grausame Verlangen zu erfüllen. Jetzt tritt
auch Pamphilus, der Vertreter des derbkomischen Elementes,
auf und gibt in zotigen Spaßen seiner Hoffnung Ausdruck,
hier seiner Leidenschaft frönen zu können. Die von ihm an-
geredete Flammette kann den Zudringlichen nur durch das
Nahen des Pilostrates los werden. Dieser Liebespapst über-
gibt nun in der folgenden Szene dem Polydor eine Botschaft
über die platonische Liebe an den Provinzstatthalter. Dann
treten der Chor und die Mysti auf und erklären die zwei
Arten von Liebe, von denen die eine "a lustful Irrutish one^^
sei und die andere ^^Vemis Urania\s Sony
Der zweite Akt beginnt mit einem Monologe Bellinda'a,
worin sie dem stillen Haine anvertraut, daß sie verliebt und
— 41 —
sogar verlobt sei. Da sie aber über den Verbleib ihres Ge-
liebten gar nichts weiß, so findet sie: "Loic'ä a solicitotis thing
and füll of Fears^\ Von Polydor eingeladen, zum Tempel zu
kommen, wird sie dort von Philostrat in Schweigen gezaubert,
und dann verschleiert, unter Gesang und Mu^ik, in eine ein«
same Zelle geleitet. Flammette hat unterdessen scheinbar
deni Drängen des Pamphilus nachgegeben und ihm versprochen,
ihn zu einer Nymphe zu führen, die keinen seiner Wünsche
verweigern würde. Voll sinnlicher Glut folgt er Plammette
in den Wald, wo er wirklich eine herrliche Mädchengestalt
am Boden liegen sieht. Aber statt der erhofften Nymphe
hält er nur eine Puppe in seinen Armen, und wird von
Flammette gehörig ausgelacht.
Der dritte Akt setzt mit Philander's Ankunft auf Cypern
ein. Aus einem Monologe des Ankömmlings erfahren wir, daß
ihn das delphische Orakel hierher gewiesen habe. Euphanes
gesellt sich ihm auf dem Wege bei und erzählt ihm, daß vor
genau sechs Monaten eine herrliche Nymphe an Gypern's Ge-
stade verschlagen worden sei. Sie befinde sich aber in der
heiligen Zelle und müsse heute noch den Eid ablegen, daß
sie jemand auf der Insel liebe. Liebe sie jemand, so werde
sie gleich mit ihm vereint werden; wenn nicht, so müsse sie
sofort die Insel verlassen. Beilinda habe ihm zwar etwas
Hoffnung gelassen, daß er der Glückliche sei, den sie liebe;
aber bis sie den Eid abgelegt, schwebe er noch in schreck-
lichem Bangen. Philander, der gleich gemerkt hat, daß es
sich um seine Verlobte handle, fühlt die Qual der Eifersucht
in sich aufkeimen, wie sich die beiden dem Tempel der Liebe
nähern, zu dem eben Beilinda aus ihrer Zelle zurückgeleitet
wird. Da sie mit dem scharfen Auge der Liebe ihren Phi-
lander sofort unter der Menge erblickt, schwört sie vor allem
Volk, daß sie einen auf der Insel liebe. Philostrat zaubert
sie hierauf wieder in Schweigen und läßt sie in ihre Zelle
zurückbringen, wo sie noch eine Stunde verweilen muß. Da
alle der Ansicht sind, ßellinda habe mit ihrem Schwüre
Euphanes gemeint, fühlt sich Philander betrogen und verraten.
Er zieht vom Leder und dringt auf Euphanes ein. Polydor
schreitet polizeilich ein und verhaftet beide. Philander er-
— 42 —
klärt nun, Bellinda sei seine Verlobte^ was ganz Hellas be-
zeugen könne.
Zu Beginn des vierten Aktes wird uns die traurige Kunde,
daß Bellinda sterben müsse, weil sie falsch geschworen habe.
Der Chor und jdie Mysti erscheinen wieder und berichten die
traurige Mär, daß der Tod und die Liebe ihre Speere ver-
wechselt hätten. Daher komme es, daß die luiebe jetzt töte,
statt verwunde, und der Tod verwunde, statt töte. Euphanes
und Philander aber erbieten sich um die Wette, für Bellinda
sterben zu dürfen. Inzwischen haben sich alle für die bevor-
stehende Hinrichtung schwarz angekleidet. Nach Ablauf der
festgesetzten Stunde erscheint dann Polydor mit der ver-
schleierten Beilinda. Fhilostrates nimmt ihr den Schleier ab,
worauf sie freudig auf Pbilander zueilt, welcher anfangs ent-
rüstet zurückweicht. Beilinda klärt aber die Zuschauer rasch
über den vermeintlichen falschen Schwur auf, worauf unter all-
gemeinem Jubel die Liebenden ihre glückliche Vereinigung
feiern. Alle gratulieren dem seligen Paare; auch der Chor
gibt seiner Freude in einem Liede Ausdruck. Nur der arme
Euphanes macht in seiner Erbitterung Philena Vorwürfe, daß
sie so schlecht bei Beilinda für ihn eingetreten sei, und bittet
sie, sich doch nie mehr vor ihm blicken zu lassen.
Im fünften Akt fleht dann die verzweifelte Philena
Flammette an, ihr ein Kraut zu geben, das schmerzlos töte.
Diese weigert sich anfanglich, willigt aber schließlich doch
scheinbar ein. Während sich nun Philander und Bellinda
ihre Schicksale seit ihrer Trennung durch einen Seesturm
erzählen, und dann zu Ehren der Liebenden ein Fest ver*
aostaltet wird, treten Polydor und Flammette mit der Nach-
richt auf, die arme Philena habe sich draußen im Walde
vergiftet. Euphanes erhält nun von allen Seiten die härtesten
Vorwürfe, daß er die Unglückliche durch seine Herzlosigkeit
in den Tod getrieben habe. Inzwischen hat auch Philostrates
mit den Mysti und anderem Gefolge die leblose Philena im
Walde gefunden. Er vermutet sofort ein Verbrechen. Man
entdeckt Pamphilus in der Nähe, der Philena für eine Puppe
gehalten hatte, von der er sich nicht wieder übertölpeln lassen
wollte. Man hält ihn aber für den Mörder Philena's und
— 43 —
nimmt ihn fest, wobei er fürchterliche Angst aussteht, die
sich bei ihm sehr drastisch äußert. Bellinda, Philander und
Flammette treten jetzt hinzu. Erstere hält ihrer Freundin
eine schöne Grabrede. Plötzlich erscheint auch Euphanes,
zerrauft sein Haar, schwört der Totgeglaubten ewige Liebe
und will sich dann aus Oram töten. Flammette aber fallt
ihm in den Arm mit der Kunde, daß Philena nicht tot,
sondern nur bewußtlos sei. Man brauche sie bloß mit Wasser
zu besprengen, um sie wieder ins Leben zurückzurufen. Da
will sie denn Euphanes mit seinen Zähren wieder erwecken
und weint herzbrechend über sie. Und wenn auch das noch
nicht helfen sollte, will er all sein Blut über sie vergießen.
Da erwacht denn Philena wirklich, verzeiht Euphanes seine
Hartherzigkeit und wird mit ihm glücklich vereint. Pamphilus
wird nun freigelassen und schüttelt eiligst den Staub der
Insel von seinen Füßen; Philander und Beilinda aber wollen
für immer im Reiche der Liebe bleiben.
Damit schließt das romantische Stück. Die Führung der
Handlung und der äußere Aufbau desselben sind nicht übel
und verraten gute Technik. Die Zeichnung der einzelnen
Charaktere ist aber eine recht farblose und oberflächliche;
an der inneren Motivierung fehlt es durchaus. Alle Figuren
des Stückes ohne Ausnahme machen den Eindruck von will-
kürlich bewegten Puppen; keine einzige vermag glaubhaft
menschlich zu wirken. Dieser Eindruck wird durch eine
künstliche Leidenschaft der Hauptpersonen noch erhöht;
ebenso durch die sich überall breit machende, lächerliche und
übertriebene Sentimentalität, eine schwülstige Sprache und
•viele pretiöse Conceits.
Zur Charakterisierung des heroisch -galanten Stiles, in
dem die Peisonen des Stückes reden, seien die Worte Poly-
dor's angeführt, mit denen er Euphanes am Selbstmorde aus
Liebesgram hindert:
^^Afid sliall EuphaneSj
The (jallani, and brave Euphanes die
Only io p-event Deaih?'' (Akt 1, Sz. 2.)
Als in der gleichen Szene Philena zu den Zweien heran-
tritt und Polydor abgehen will, um die Beiden nicht etwa in
— 44 —
einem Liebesgespräch zu stören, da hält ihn Eupbanes mit
der beruhigenden Versicherung zurück, daß die Liebespfeile
aus ihrer beider Augen einander nicht so heftig entgegen-
flögen, daß Polydor von dem Pfeilhagel erschossen würde.
Es ist ganz die Atmosphäre der D'XJrf6, Gomberville und
Scudery, in die uns Flecknoe mit seinem Stücke versetzt
In der englischen Literatur werden wir an Lyly's „Euphues"
und Sidney's „Arcadia" ^) erinnert. Hier wie dort finden wir
dieselben langatmigen Monologe, die gleiche ungesunde und
farblose Sentimentalität, die nämliche schwülstige Sprache.
In scharfem Kontrast zu dem sonstigen Charakter des
Stückes steht die Gestalt des Pamphilus. Es ist der Clown
der englischen Bühne, der in unserm Fall den Gegensatz
zu dem galanten und sentimentalen Reiche der Liebe ver-
körpern muß. Er hat die Sprache und Manieren eines rohen
Wüstlings, der nichts Höheres als den gröbsten SinnengenuB
kennt ; dabei ist er noch außerordentlich dumm und läßt sich
stets übertölpeln. Aber auch diese derbkomische, realistische
Figur zeigt keine individuellen Züge. Wenigstens darf sich
ein solcher Kumpan, der nur ins Reich der Liebe gekommen
ist, um der Lust zu frönen, nicht gar so unsagbar albern an-
stellen, wie es der Fall ist.
Bezeichnend für das Stück ist der Umstand, daß sich
die Helden und Heldinnen beim geringsten Liebesschmerz
gleich umbringen wollen. Das ist besonders für die galant-
heroische Richtung der Scudery und Genossen charakteristisch
und muß die damaligen Pretiosen hoch entzückt haben. So
will sich Euphanes dreimal — am Anfang, in der Mitte und
am Schlüsse des Stückes — unter sehr bombastischen Redens-
arten töten; Philena macht einen Vergiftungsversuch, und
als Philander hört, daß sein Geständnis, Bellinda sei seine
Verlobte, dieser gefährlich geworden ist, ruft er aus:
"0 Hemen and Earth!
Whj dd*s not föne sink widfr me? and Vother
Fall on my mrsed head, am gniUjj of Bellinda's deatk ?
^) Daß sich Flecknoe die „Arcadia" sogar direkt zum Vorbild Dahm,
geht aus einem seiner Briefe hervor. Vgl. S. 46.
— 45 —
Bat yet H i^ needless too, for tkough they hoth
Forbear io punish me, I do so loaih
My haied life for% fll die in spighi of them,
If flames or steel, or preeipices
Have any force io take away a lifej^
(Akt 3, Sz. 6.)
Was die äußere Form des Stückes anlangt, so sind die
Partien, in denen Pamphilus auftritt, in Prosa geschrieben.
Sonst herrscht ein sehr frei gebauter, oft recht holperiger
Blankvers vor. Dabei sind Kontraktionen wie:
^'Thne i«? a Treamire few or none do carc
To sare tili H 's almost lost — "
an der Tagesordnung. Die eingestreuten Lieder der Mysti,
des Chors usw. zeigen verschiedenes Versmaß. So wendet
Flecknoe z. B. bei der Formel, mit der Philostrat Bellinda
in Schlaf zaubert, den viertaktigen, stumpf ausklingenden
trochäischen Vers an. Die Verse, die Flecknoe in seinen
"Epigrams" etwas verändert wiederbringen wird, und die er
auch schon in den ^Miscellnnia'' abdrucken ließ, lauten:
^^ Still hörn silence thou thaf ort
Floodgate of the deepest heart,
Offspring of a heaienly kind,
Frost o' th^ moiith and Thaw o' th^ mind^
Admirations readiest tongiie,
Leave thy desari shadesy among
Reverend Herrn iis haüowed cells,
Where retirdst devoiion divells,
IVith thy Enthusiasms come^
Seixe this Nyrnph, and strike lier dumbJ^
Was endlich die Quellenfrage des Stückes angeht, so
scheint die eigentliche Handlung von Flecknoe erfunden zu sein.
Die Anregung und viele Einzelheitendes Stückes hat der
Autor aber wohl zweifellos der Maske "TÄe Tempk ofLove^'^)
von William Davenant entnommen. In der Maske Davenant's
wird dieser Tempel der Liebe, dem der Flecknoe'sche genau
*) In der Folio- Auegabe von Davenant's Werken. 1673.
— 46 —
entspricht, durch den Einfluß der ^^Chaste Love^ auf einer
Insel — auch das hat Flecknoe in seiner Insel Cypern nach-
geahmt — wieder errichtet. Die Botschaft des Philostrates
an die Provinzstatthalter über die piatonische Liebe scheint
mir ebenfalls nur eine ausführlichere Paraphrase über die
Verse Davenant's in der genannten Maske zu sein:
^^They raise stränge doctrines, and new stets of Lave:
Which mtist not woo ar court the person^ but
The mind; and practice generation not
Of hodies biä of souls.^^
Wie wir aus einem Briefe Flecknoe's an eine ungenannte
Dame aus demselben Jahre 1654 erfahren, gedachte unser
Autor ein Seitenstück zu "Lore's Dominion'^ zu schreiben.
Nachdem er die Liebe verherrlicht hatte, wollte er auch der
Freundschaft ein Denkmal setzen. Der Brief, in dem er sich
darüber aussprach, trägt die Aufschrift: ^'Of the Temple of
Frendship, a Trctgecotnedy Jie mos wTiting, wüh tJie Character of
the Persons.^^ Über den Plan des Stückes läßt sich Flecknoe
folgendermaßen aus: Da die Freundschaft gleichsam unsere
zweite Religion ist, so wollte ich sie so schön für das Auge
darstellen, daß alle von ihr entzückt sein sollten. Ich habe
sie daher im liebenswürdigsten Geschlechte personifiziert, und
zwar in lauter weiblichen Personen, um jede Mißdeutung zu
vermeiden, ^^Frcndship being noihiwj but Love stript of suspition
of Ilannr
Dann beschreibt er im einzelnen die Personen seines
Stückes: ^^ First then for Blondinia cO Lindiana, I niake ihem
xinduuting to their fair Sex, all the Noblencsse df* Generosity as
ever was in nian, (€' to their Frendship all the dearnesse cC- tendemesff
a.s ever was in Love,
For the iwo Pi'inresses Marfiana d'- Phüothea, I make them
of eqiial pcrfection, ihough of differeyit disposition (l'Uce Pamela and
Philoclra in the Avcndia) highminded, inagnaniinotis^ exceUing in
all the vnines of grcat p'inces, subject too to their noble Vices of
Angn-j Ambition d-c,, to sh'ew in fme that they are not nrtuous
by chanccj but hy choice eC' Fleet ion, sincr they may be otherivise,
For Bella roy she is a person whose divine Conversation wotdd
cven jnake ymi doubt tiJie'er she were human or no. Her wisdom
— 47 —
is so greaty aa there is no Labyrinth in this wcrld she tvould not
help you out of, hy connecting a Thrid of first and seeond eaiises,
She hos a charge both of the Altar d- Oradey yet in her breast the
purest AÜaTy and mouth the truest oracle; so as in foUowing her
ojnnion, you are eure of truth for guide, <£; in foüowing her ejth
ampk, you are eure of Heaven for Frend,^*
Außer diesen musterhafteD Damen werden noch aU
Personen genannt: Euphemia, die Schülerin Bellara's, und
Campace, die für Humor zu sorgen hat.
Das Stück spielt in einem Amazonenstaat, der zwar ge-
wöhnlich friedlich und ruheliebend ist, sich aber jetzt in Kriegs-
nöten befindet. Das letztere brauche niemand zu wundem,
fügt Flecknoe bei; seine Frauen seien alle große Heldinnen,
die trefflich mit dem Schwerte umzugehen wüßten.
Gedruckt scheint das Stück niemals vorgelegen zu haben ;
es ist in keiner Aufzählung der Flecknoe'schen Werke ent-
halten. Auch der Autor selber erwähnt es nie mehr.
Auf diesen Brief folgen in fter ^^Relation of ten years
TraveUs" eine Anzahl von Gedichten, meist zum Preise vor-
nehmer Damen verfaßt, deren Gunst der Dichter sich durch
recht ergiebige Schmeicheleien gewinnen oder erhalten will.
So singt er die schwarzen Haare der Lady Biron an; bei der
Gräfin Desmond entschuldigt er sich, daß er ihre Reize bis
jetzt noch nicht besungen habe. Das sei nur deshalb unter-
blieben, weil ihre Reize so überwältigend seien, daß sie sich
durch keine Worte ausdrücken ließen. Ahnlichen Inhalts sind
auch die an Lady Elisabeth Darcey, Lady Isabella Thinn
und Lady Howard gerichteten Gedichte. Nur eine "ißsa"
tadelt er, daß sie noch immer jung scheinen wolle, obwohl
sie es längst nicht mehr sei. In einem anderen Gedichte ver- •
wahrt er sich gegen das Gerücht, daß er in eine ^^Phiüis'^
verliebt sei, weil er sie so oft besinge.
Das Versmaß dieser Gedichte ist meist das h^oic coupkt
in vier- oder mehrzeiügen Strophen; einmal sind auch fünf-
füßige Jamben mit der Reimstellung aaabbb verwendet.
Auf diese poetische Abteilung folgen wieder Briefe, und
zwar aus dem Jahre 1655. Der erste ist an den Yizekönig
von Norwegen gerichtet, der unsern Flecknoe um Übersendung
— 48 —
von Poesien gebeten hatte. Flecknoe schickt ihm darauf
ein recht mittelmäßiges Gedicht **0n his choosing Valeniuies^^
mit einem Begleitschreiben, das für den schwülstigen Stil
der damaligen Zeit bezeichnend ist. Flecknoe schreibt dem
Vizekönig, er solle das Gedicht, wenn es ihm nicht gefalle,
nur gleich verbrennen. So sterbe es doch eines natürlichen
Todes und kehre dahin zurück, wo es entstanden; denn in
Flammen sei es erzeugt! Ein weiterer Brief berichtet der
Gräfin Desmond den Tod der Lady Theophila Carey, der
Tochter des Henry Earl of Monmouth. Einem Mr. Thomas
Higgins übersendet er eine Ode zum Lobe des Landlebens,
und die Herzogin von Richmond erhält einen Kondolenzbrief
und eine Elegie auf den Tod ihres Gemahls. Das Buch
schließt dann mit ^'A Consolatory Episth to the Queen Motfier
of France^ Mm-y of Mediccs *) ; wiiiten about the year 41, Qmiiied
in its place, db inserted Iterey Der Brief hat einen rein reli-
giösen Inhalt, der die landfiüchtige, greise Königin trösten soll.
f
V.
Humoristische StreifzQge durcli London.
Nachdem Flecknoe in Form von Briefen seine ernste
„Reisebeschreibung" veröffentlicht hatte, machte er sich auch
an eine humoristische Schilderung von Wanderungen und Streif-
zügen, die er in London und Umgebung gemacht hatte. Mit
dieser Aufgabe, die seinem grotesken Humor besonders zu«
sagen mochte, scheint sich Flecknoe ganz in seinem Fahr-
wasser zu befinden. Man merkt ihm ordentlich das innere
Behagen an, mit dem er bei den lächerlichen, gewöhnlichen
und niedrigen Situationen und Begebenheiten seines Stoffes
verweilt. Obscön wird er dabei allerdings nicht, aber des
öfteren recht roh. Überschrieben ist das Elaborat: '^The
Diari u 7n, or Journall: DivUed into 12 Jornadas in Biirlesque
*) Sie war die Gemahlin Heinrich IV., wurde später aus Prank-
reich verbannt, begab sich 1638 nach England und 1641 nach Köln, wo
sie 1642 starb.
— 49 —
Ehime, or Drolling Verse. Wüh divers other fneces of ihe samt
AuUiory ^) Die Jahrzahl 1656 ist angegeben, aber der Name
des Autors fehlt auf dem Titelblatte. Mit Absicht. Denn
wie unser drolliger Flecknoe bemerkty hat er deswegen sanen
Namen nicht, wie bei seinen anderen Werken, aufs Titelblatt
gesetzt, weil er dem vorliegenden Opus eine weitere Ver-
breitung sichern und es nicht bloß, wie die anderen Bücher,
in den Händen seiner .Freunde sehen will. Er hasse es, wenn
das Büchlein mit seinem Namen auf dem Titelblatte im Aui^
lagefenster der Buchhändler hege, und die Leute es anstarrten,
aber nicht kauften. Dem neugierigen Leser woUe er aber
seinen Namen nicht yorenthalten, weshalb er ihn am Schlüsse
der Vorrede gerne nenne. Der gute Flecknoe scheint dem-
nach gefürchtet zu haben, daß der Anblick seines Namens
auf dem Titelblatte die Kauilustigen abschrecken könne!
Über die Idee, die ihn bei Abfassung dieser burlesken
Dichtungen leitete, läßt er sich in der Vorrede ebenfalls näher
aus. Die Malerei, sagi er, ist stumme Poesie, und die Poesie
redende Malerei. Dem Epiker Virgil entsprechen daher ein
Bafael und ein Tizian ; dem Lyriker Horaz ein Holbein und ein
Van Dyck ; den burlesken Dichtem aber Breughel und Callot
Bauern-Breughel im besonderen will nun Flecknoe nachahmen,
nnd ebenso, wie dieser derblustige Volksszenen malte, will er
solche beschreiben. Er fährt fort: ""Thai I use some broad
words sometimeSy 'tis but conform to the pattem 1 imitate: Brughel
representing without any dishonesty, here a Boor shiUng^ ihere a
Boorinne pissing, to render the mdgar more ridiculouSj and whose
foUieSj abuseSf and vices, are properly tke subject of SatyreJ^
Das Versmaß, das Flecknoe bei seiner burlesken Dichtung
anwendet, besteht aus vierfußigen, paarweise gereimten Jamben.
Der Enittelverscharakter ist stark ausgeprägt
Eine einheitliche Handlung fehlt natürlich. Die zwöif
Jornadas werden inhaltlich nur dadurch zusammengehalten,
daß der Autor erzählt, was er an jedem Tage in London
und Umgegend sieht und erlebt. An sich ist das meist recht
wenig humorvoll oder lustig; erst durch die Art der Dai>
>) London. 1656.
Mtlnchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIII.
— 50 —
Stellung wird es zum Burlesken gestempelt. So interessant
nun auch manches aus dem Inhtüte in kulturgeschichtlicher
Beziehung sein mag, so ist das Ganze als burleske Satire
doch arg witzlos und dürftig, stellenweise sogar recht lang-
weilig. Flecknoe beginnt mit der Schilderung der Matrosen
in Gravesend und der Fischweiber in Billingsgate. Dann
kommt er auf die Londoner Bettler zu sprechen ; die Straßen-
jungen machen ihm ebenfalls zu schaffen, und er schimpft
über schlechte Erziehung.
In einem weiteren Gesänge wohnen wir dem Gottesdienste
einer der vielen Sekten bei, die damals in London entstanden
waren; femer hören wir während eines ganzen langen Ge-
sanges von nichts anderem als von einer Ratte, die boshafter-
weise Herrn Flecknoe nicht schlafen läßt, schließlich aber
doch nach einer herzbewegenden Rede des Gestörten ver-
schwindet. Als Flecknoe dann am nächsten Tage die Themse-
schiffer um eine Gefälligkeit bittet, erhält er Götz von Ber-
lichingens klassische Einladung zur Antwort. Ähnliche ge-
schmacklose Roheiten bekommen wir noch mehr zu hören.
Im Hyde-Park, den er besucht, bemerkt unser Autor
zu seiner Enttäuschung, daß die Bäume, die er hier stehen
glaubte, verschwunden seien. So geht es Dichtem oft, denkt
er sich dabei. Sie glauben, sie hätten Gedanken, kostbarer
als Gold; wenn sie aber dann mit ihrem Witz zu Markte
gehen wollen, können sie nichts damit kaufen. — Sollte dieser
Einfall auf Selbsterkenntnis basieren?
Des Herumlaufens satt, macht sich Flecknoe nun beritten.
Da passiert ihm aber gleich am ersten Tage die schreckliche
Geschichte mit dem Hunde und dem Schweine. In South-
wark waren nämlich ein Schwein und ein Hund aneinander
geraten. Um den Streit zu schlichten, gibt nun Flecknoe von
seinem Gaule herunter dem Schweine mit der Reitpeitsche
einen tüchtigen Klapps, worauf das Borstentier unter wütendem
Grunzen zur Seite springt und den Stand einer Obsthändlerin
umwirft. Der Hund bellt, die Straßenjungen stürzen sich
gierig auf die herumkugelnden Apfel und die erboste Händlerin
rennt Flecknoe nach, der nur durch seines Bosses Schnellig-
keit der Rache der Furie entgeht.
— 61 —
Er begegnet dann einem miBgestalteten Clown, der ihn
irre fiihrt, worauf er zu einer Landschule kommt, "where the
whip is alwayes Walking", und über die er daher seinen Spott
ergießt. Ein letztes Abenteuer mit einem Müller, dem die
Hosennaht aufging, während er sich aufs Pferd schwingen
wollte, sei nur angedeutet.
Wie sich aus dem Gesagten ersehen läßt, ist dieses etwa
1600 Verse zählende Diarium ein geistloses und minderwertiges
Produkt. Bezeichnend aber ist, daß Flecknoe gerade dieses
Werk für weitere Kreise geeignet hielt!
An das Diarium schließen sich dann noch einige kürzere
poetische Darbietungen an, die teilweise in Flecknoe's späteren
Sammlungen wiederkehren. Davon ist ein Gedicht auf seine
zerrissene Hose, und ein längeres zweites, in dem er seinem
Gaul gute Lehren gibt, recht albern. Das Stück : " Jb'» Meto-
morphose into a Cow*^ ist aber eine geradezu unflätige Para*
phrase der antiken Sage. Den Schluß des Buches bildet
endlich ein schwülstiger, lächerlicher gereimter Brief eines
Verliebten an Cupido.
VL
Charakterbilder.
Verfolgte Flecknoe mit seiner Schriftstellerei einerseits
den Zweck, den Leuten, denen er sich verpflichtet fühlte, für
ihre Wohltaten auf diesem Wege zu danken, wie er es in
der Einleitung zu den Reisebriefen ja offen ausspricht, so ist
andererseits sein Streben, wirklich wertvolles zu schaffen und
seinen Gönnern Ehre zu machen, nicht zu verkennen. Man
gewinnt sogar den Eindruck, daß unser Autor, wenn er auch,
im Banne einer servilen Zeit, seinen Patronen und Patronessen
in einer uns zwar lächerlich erscheinenden, damals aber viel-
fach üblichen Weise schmeichelte, dabei doch verhältnismäßig
wenig gegen seine Überzeugung sündigte, und derselben sogar
da, wo es ihm schaden konnte, zuweilen Ausdruck gab. Was
ihn aber entschieden ehrt, das ist sein stetes Eintreten für
alles Gute und Schöne, und seine Abneigung gegen alles
4*
— 58 ^
Schleehte im allgemeinen, wnd gegen das Obscöne in der da-
maligen Literatur im besonderen. Sicher ist ein Teil der
Verachtung, die ihm von Literaten entg^engebracht wurde,
auf Rechnung dieses ümstandes zu setzen; sicher ist auch,
daß er seine Beliebtheit durch das Streben, der herrschenden
ausschweifenden Literatur, speziell im Drama, entgegenzutreten,
bei den aristokratischen Kreisen, für die er schrieb, im all-
gemeinen nicht förderte. Diese moralische Tendenz^ die er
namentlich in der Vorrede zu '^Love^s DominiorC^ betont
hatte, kehrt er auch wieder in einem neuen Werke hervor,
das den Titel führt: ^^Enigmatical Charactera, all tak&n
io the life, froni several Persons, Humous's and DispositionsJ^ Das
Erscheinungsjahr ist 1658. Seine Hauptabsicht bei dieser
Veröffentlichung ist : "to honour Nobiliiy, praise Vertue, tax Vice,
laugh at Folly, and pitty Ignorance^ Gewidmet ist das Buch
der Herzogin von Lothringen, unter deren Dach er es ge-
schrieben habe, wie der Autor in der Widmung bemerkt. Wenn
man also nicht annehmen will, daß Flecknoe seine ^^CharacUrs*^
schon 1650 und 1651 geschrieben habe, so wäre diese An-
gabe ein Beweis, daß sich unser Autor auch nach der 1661
erfolgten Trennung von der Familie der Herzogin von Loth-
ringen noch auf dem Kontinent aufgehalten und in die
Familie der Herzogin wieder Aufnahme gefunden habe. Für
die erstere Annahme spricht aber die Tatsache, daß Flecknoe
in seinen "Miseellania" bereits drei der hier veröffentlichten
^Characters^\ und in den „Beisebriefen'^ einen, publiziert hat,
daß also jedenfalls ein großer Teil der „Charaktere'' schon
früher geschrieben wurde.
Über den Wert seines Buches drückt er sich in der
Widmung recht selbstbewußt aus. Er sagt : ''/ aeem io surpass
mediocrUyf and (Xffproach somcwhai nigk perfection,^^ In der Tat
zeigen diese scharfumrissenen Porträtskizzen eine tüchtige
Beobachtungsgabe, die nur leider zu sehr am Äußerlichen
haften bleibt Der Autor war weit in der Welt herum*
gekommen, hatte sich den verschiedensten Verhältnissen an-
schmiegen müssen und dabei vieles genauer anschauen ge-
lernt. Aber auch der kulturhistorische Wert verschiedener
dieser „Charaktere'', die auf allerlei Persönliehketten und
— 68 —
Zustände in England ein Streiflicht werfen, ist kein nnbe-
dentender. Fleeknoe selber sagt in der Vorrede, daß er
immer bestimmte Persönlichkeiten im Auge gehabt habe. Die
edleren seien aus der Beschreibung leicht zu erkennen, da «de
ja ohnehin im Leben so selten seien; bei den anderen, meint
er, schade es nicht, wenn man die Einzelpersonen nicht heraus-
kenne; die Typen seien dafür um so sichtbarer.
Die äußere Form der „Charaktere'' zeigt allerdings alle
Fehler und Merkmale der damaligen Zeit. Selten fließt die
Darstellung klar und ruhig dahin. Sie arbeitet fast stets mit
Antithesen, Parallelen und Vergleichen. Wortspiele und
sprachliche Kunststücke aller Art erhöhen noch die Maniriert-
faeit der Schilderung. Die Zeitgenossen aber betrachteten
gerade diese Geistreichigkeit als besonderen Vorzug. So singt
der Marquis Ton Newcastle wieder von den „Charakteren"
seines „ehrenwerten Freundes" Richard Fleeknoe:
„Flecknoef ihy Charaders are so füll of wü
Afid fancy, as each itord is throng'd tmlh it,
Each line's a volume, and wko reads wauld swear,
Whole libraries were in each Character/*
Bei solchem Lob kann man es Fleeknoe doch nicht ver-
denken, daß er etwas eitel wurde.
Fleeknoe hat nicht als erster diese Literaturgattung ge-
pflegt, die später in La Bruyöre einen so berühmten Ver-
treter fand. Schon zwei Männer vor ihm hatten in England
derartige kurze Charakterskizzen veröffentlicht. Der erste
ist Thomas Overbury, der 1614 unter dem gleichen Titel
^^Characters" eine Sammlung solcher Skizzen herausgab. An-
geregt wurde er dazu wohl durch Theophrasts „^Hd-mol Xagan"
Tijgeg^^, wenn sich auch keine direkte Anlehnung feststellen
läßt. Ihm folgte John Earle, der 1628 anonym ein Werk
^^Mcrocosmographt/y or a Piece of the World discovered in Essays and
Ckaracters'^ veröffentlichte, das eine genaue Nachahmung der
Overbury'schen ^^Characiers^^ ist. Nur besitzt Earle mehr
Humor und weiß mehr Maß zu halten als Overbury, der
satirischer, aber auch roher und gewöhnlicher ist.
Overbury rühmt sich, er sei der erste Vertreter dieser
apophthegmatischen Dichtungsart in England. Jedenfalls ist
— 64 ^
er der originellere, EJarle der elegantere Schriftsteller. Die
Werke beider Männer waren zu ihrer Zeit hochberühmt und
erlebten eine Menge Auflagen. So erschien noch 1664 die
18. Auflage von Overbury's ^^Characlers'^ in London. Von
Earle's ^^Microeosmography" lag 1633 auch schon die 6. Auflage
vor. Kein Wunder, daß die Werke Flecknoe bekannt werden
und in ihm den Wunsch erwecken mußten, auch so ein viel-
bewundertes Buch zu schreiben, zumal die Art dieser Literatur-
gattung gerade seinem Naturell zusagen mochte.
Er ist denn auch seinen Vorlagen gegenüber wenig
origiDcU geblieben. Sowohl in der ganzen Anlage des Werkes,
wie in der Art der Ausführung, folgt er ihnen aufs genaueste.
Sogar den Titel "Characters" hat er von Overbury entlehnt.
Auch in den Stoffen der einzelnen kleinen Porträts lehnt er
sich öfters sowohl an Overbury, wie an Earle an. Auf Over-
bury gehen die Stücke ^^Ofa Ghaniber-mai(V\ ^^ Of an InimitabU
Widdow'\ ''Of a mare Imitabk Widdow'\ ''Of a Flatterer", ''Of
a Gree^isickness Girle^\ ^^Of a make-bate^\ "Of a young En-
amourist" und einige andere zurück; Earle sind die Nummern:
"0/" a high spirited man", ^^Of a gaUant warrior" und andere
nachgebildet. Overbury's vielbewunderte Beschreibung von
"^ Fair aiid Happy MilkmaioC^ hat Flecknoe in seinem Charakter
"0/* a pretty swest Innocence" benützt.
Dagegen hat Flecknoe zu einem großen Teile Stoffe in
seinen „Charakteren^' verarbeitet, die seinen Vorbildern fremd
waren, und die teils auf seinem katholischen Bekenntnisse
beruhen, teils gesellschaftlicher und zeitgeschichtlicher Art
sind. Hierbei fehlt Flecknoe sowohl der Humor Earle's, wie
die satirische Schärfe Overbury's ; dagegen sucht er sie durch
Wortwitze, Pointen und gezierte Sprache noch zu übertreffen.
Das Lächerliche, Absonderliche und Auffällige der charakte-
risierten Personen entdeckt auch er mit vieler Schärfe, bleibt
aber mehr als die beiden anderen am Äußerlichen, Komischen
haften.
Besser als durch eine Abstraktion läßt sich der Begriff
von einem Flecknoe'schen „Charakter" durch das bloße
Zitieren des ^CJiaracter" vermitteln, in dem der Autor einen
solchen beschreibt:
— 56 —
^^Of the Auikors Idea, or of a Character,
It gives you ihe hint of discourse, hui discourses not; and is
ihat in mass and ingoi, you may coin and wire-draw to etemity ; His
more Seneca than Cicero, and speaks rather the language of orades
ihan orators: every line a sentence, and every two a period, It
says not all, hut all it says is good, and like an air in Musick is
eiiher füll of cloxes, or still driving towards a dose: His no long-
tuinded exerdse of spirit, hut a fordhle one, and therefore soonest
out ofhreath; His all matter , and hos nothing of superfluity^ nothing
of drcumlociäion ; so little comporting tvith mediocrüy^ as it er
extols to Heaven, or depresses unto Helly having no mid' place for
Purgatory left. 'Tis that in every sort of writing ddighteth mostj
and though the ireatise he gold, it is the jeweü stiU, which the
Author of Characters, like your Lapidary, produces single, whilst
others goldsmithlike inchass them in their v)orks. 'Tis a Portraiture^
not only o' th' body, hut the soul and mind; whence it not only
delights hui teaches and moves unthall, and is a sennon as well as
a picture to every one» In fine, His a short voyage, the rvriter holds
out with equal force, still Coming fresh unto his joumeys end,
whilst in long ones they commonly tire and f alter on their way:
And to the reader, His a garden, not joumey, or a feastj where hy
reason of the subjects variety, he is never cloyed, hut at each
Character, as at a new service, falls too tvith fresh Appetite,"
Weibliche Charaktere zeichnet Flecknoe mit Vorliebe;
sie gelingen ihm auch im allgemeinen besser als die männ-
lichen. So sei folgendes Muster weiblicher Vorzüge zitiert:
"O/" a faire and virtuous Lady,
She is the honour of her sex and that to heatäy, as heauty is
to others all grace and omament, her virtue like a charm rendering
her heauty invtdnerable against nialidous tongues; and tliat which
in others is fragile afid of glass, so maüeahle in Jier as it can
neitlier he hroken nor crackt, whence she only has privilege freely
to dress herseif, without suspicion of härm ; and enjoy all lawful
pleasures without danger of unlawful ones; whilst all w suspicious
and dangerous in others: to condude then, as antienüy your senii-
gods in marrying with mortals comunicated to them their divinüy,
so her heauty hy the marriage of sacred virtue is consecrate and
— M --
rendred all eelesiial and divine ; these iitleft, whicii oihers inewriously
usurp^ only of right appertaining unto her^ wJio becomes more
venerable by age and immortal hy death itsüfy her virtue hamng
radsed her above time and nioriality"
Daß Flecknoe die Weiblichkeit aber auch von ihrer
niederen und sogar etwas anstößigen Seite schildern kann, mag
folgendes Porträt zeigen :
"0/ a Chamhermaid,
A Ghambermaid is as suspiciotis a nanie for a maid, as a
Oranimar Scholar is for a great scholar^ or a schooUmaster for a
greai Master, <&c, She differs front the toatting-wonian onlg, as
Single roses do from double ones ; and is a maid of one coat, whilst
your waiting-gentletvofnan hos many ; for the rest, she is the gentler
of the tioo, when she falls into gefitle handling ; marry tJie rttde
servingman sJie cannot endure, telling htm, she^s for his heiter Sy <Sx,
She is the more suhject to towsing, less danger there is of rumpling
her, (an advaniage she lias of the gentlewoman for aU she is so
fine) there being more provocation too in her single petticoat (so
mgh querpo) than in all f others silken gotcns, Meanwhile her
words and actions are to he understood hy contraries, and when
she skreecks and cries fie aioay, lay hy there , &€,, you must under*
stand, they are interjedions of enoouragementj not prohihiiion, as
when ehe hids herseif t' th' dark or fains to sleep, ^t is only thaJt
you should groap her out and take napping, itt, Only there^s a
certain thing^ calVd sweetheart, and a certain thing, eaWd fnatri'
mony tJiat spoils the sport, and mahes her skie and cautimts; for
any thing eise there mag he sport enough, and nothing eV the worse:
For she may he a chamhermaid still, though not a maid; and if
she he right and of the game indeed, wliaisoever they say ujito her^
and whatsoever they do unto her too, sheHl he sure to he a maid
still tili she he married, when let her hushand look, where sJie he a
maid or no; for otiters have looKd eyiough and found her none,^^
Als letztes Beispiel dürfte ein Stück von Interesse sein,
das möglicherweise auf SelbsterfahruDg beruht. Es lautet:
"0/ a Novice,
He is just like a young Lover, atid his order is his Mistresse^
who makes a fool of him, whilst he idolatrizes it more than your
— 67 —
Frtnch Inamourists do their Phillis^s and Chloris^s, and Don
Quiehotc's love io Duhinea was nothing so extravagant. The more
doz^d and bemopt he is, the better still; His a sign he^s right, and
hos a true vocation: and if lie have any wit and judgment of
hiß oum, they cry of htm for a very Beprobate: for the rest, he
kates all womankind and caUs a Petticoat, Leviathan; and a
stnoek but innocently blanching on a hedge: Asteroth or the fout
devil of fomication ; he ivalks with his eyes fia^d upon the groundy
and crumples up like a Hog-lowse for fear of effusion: he makes
OS rnany stops as an old rusty Jacky and winds up himself a»
oft io rectifie his intention^ Jie says his our Fathers as devouüy as
others their our Father, and counis all damn^d who are not friends
of his Order, as an infallible sign of predestination, the being
devoted to it, and the patron ihereof: he is as lively afier a dis-
eipline as an ape, newly whipt, and is no more moved then a
stntua at a reprehension or reproach. In fine his novitiai passes
with htm just like an enchantmentj whilst he is so stund and
astonished as knoivs not what to do ; only toivards the end he eomes
U> himself again, recovering by degrees ; and the charm once eapired,
beeomes Wce other menJ*
Um Ton dem Gesichtskreise, in dem sich die ^Cbaraktere^
bewegen, ein Bild zu geben, sei noch das Inhaltsyerzeichnis
des 134 Seiten zählenden Buches wiedergegeben: 1) Of a
Lady of excellent convei'saiion, 2) Of one tliat is the foyle of good
conversaiion, 3) Of an Excellent Companion. 4) Of one that xanies
the good Companion, 6) Of öne that imitates the good Companion
another way. 6) Ofan Irresolute Person. 7) Ofa Fantastique Lady,
8) Of a QreensicknesS'Girle, 2) Of a Talkatit^ Lady. 10) Of a
Taciium Person. 11) Ofa Dutch Waggoner. 12) Ofa Huge Over-
vahier of himself 13) Of an ordinary French Laqiiey. 14) Of
a Suspicious Person. 15) Of Raillerie. 16) Of one who troubles
herseif with every thing. 17) Of one who troubles himself with
nothing, 18) Ofa Chambermaid. 19) Of a Nobleman^s Chaplain„
20) Of an Impertinent Governant. 21) Of a School of young
Gentlewomen. 22) Of a Xovice. 23) Of a Fille devote. 24) Of
an Inimitable Widow. 26) Of a more Imitable Widow. 26) Of a
Fifth Monarchy-man. 27) Of an Importunate Visitant. 28) Ofa
French daneing Master in England. 29) Of your Toum^ialkers.
— 58 —
30) Of a horrible uncked atid deboiched Person. 31) Of a VaUani
Man. 32) Of an alladmirable Person. 33) Of a Qallant Warriar.
34) Of a miserable old Gentlewonian, 35) Of a Lady's lUÜe Dog.
36) Of ymr Ladies Colonel. 37) Of a SckooWoy. 38) Of one
that shall he namelesse, 39) Of a pretiy sweei Innocence. 40) Of
a scrupulous Honour. 41) Of a Fleerer. 42) Of a make-bate.
43) Du Tour d la mode. 44) Of a changeable Disposition.
46) Of a Physitian. 46) Of the Authors Idea, or of a Character.
47) Of a duU Fellow. 48) Of a hold ahusive Wü. 49) Of a
troublesome kindness, 50) Of a Jansenist. 51) Of a certain
Nohleinan. 52) Of anothei\ 53) Of a Natural Beauty. 54) Of
an Ärtifidal Beauty. 55) Of a petty Politique. 56) Of a honte-
bred Country- Gentleman. 57) Of a common Äcquaintance. 58) Of
a young Envoy. 59) Of a degenerate Lord. 60) Of a high spirited
Man. 61) Öf a Proud one. 62) Of a low spirited Man.
63) Of a petty French Lutenist. 64) Of a Flatterer. 65) Of a
fair and virtuous Lady. 66) Of a quarrelsmne Cockscomb. 67) Of
a Cofnplementer, 68) Of a young Enamourist.
Wie man sieht, ist das Gebiet, dem Flecknoe seine Stoffe
entnimmt, sehr ausgedehnt. Außerdem wäre noch zu be-
merken, daß die ^ Characters^^ wohl dasjenige Werk Fleck-
noe's sind, das auch heute noch unterhaltend und anregend
zu lesen ist.
VIL-
Flecknoe über Oliver Cromweli.
Im folgenden Jahre (1659) veröffentlichte Flecknoe wieder
eine Arbeit auf dem Felde des Dramas unter dem Titel
^Marriage of Oceanus and Biiiaiinia", die mir leider nicht zu-
gänglich war. G. Langbaine bemerkt darüber; ^A Masque,
which I never saw, and therrfore am not dble to give any account
of it.*' ^) Sonst ist, wie über die meisten Arbeiten Flecknoe's,
nirgends etwas über die Maske zu finden.
*) An Account of the English Dramatick Poets, &c. 1691.
— 59 —
In das gleiche Jahr 1659 fallt die VeröffentlichuDg eines
Werkes, das Flecknoe Ehre zu machen geeignet ist. Es ist
das: ^The Idea of his Highness Oliver Laie Lord Protector^ d^.
Wüh certain brief refledions on His lAfeP ^)
Flecknoe hatte niemals ein Hehl daraus gemacht, daß
er Eoyalist sei ; namentlich in den Eeisebriefen hatte er sich
aus naheliegenden Gründen öfters gegen die Wendung der
Dinge in England ausgesprochen. Aber auch sonst war er
als Katholik auf die Puritaner herzlich schlecht zu sprechen,
was er z. B. im oben besprochenen vorletzten Stücke der
^Miscellania^* hinreichend bekundet. Wenn er trotzdem nach
Gromwell's Tod vorliegendes Werkchen zum Preise des großen
Lord Protektors verfaßte und dessen Sohne Eichard widmete,
so darf man vielleicht annehmen, auch mit Rücksicht auf den
ganzen Ton der Ausführungen, daß seine Bewunderung für
Gromwell zurzeit wohl echt war. Von dem schwachen
Kichard, der bereits am 22. April 1659 das Protektorat
niederlegte, war keine Belohnung zu erwarten. Lady Elisa-
beth Claypole, die Lieblingstochter CromweU's, der Flecknoe
früher sein Stück ^Love's Dominion''^ gewidmet hatte, war
dem Protektor schon im Tode vorausgegangen. Zudem be^
reitete sich schon die Rückkehr der Stuarts vor, so daß
Flecknoe auf der einen Seite kaum auf Belohnung hoffen
konnte, während er andererseits erwarten mußte, den ganzen
Kreis seiner bisherigen Gönner und Freunde, der fast aus-
nahmslos aus Royalisten bestand, zu verlieren oder doch
wenigstens vor den Kopf zu stoßen.
Flecknoe ist sich der Tragweite seiner Publikation auch
bewußt gewesen ; denn er spricht in der Widmung von den
vielen Feinden CromweU's, die er in zwei Klassen teilt: Feinde
von CromweU's Partei und Feinde von seiner Person. Die
Ersteren wüßten Verdienst auch beim Gegner zu schätzen;
die Letzteren aber verkehrten aus Haß alles ins GegenteU
und seien gemein und verleumderisch. Gegen sie wiU Flecknoe
hauptsächlich zu Felde ziehen. Überhaupt, fährt er fort, ist
es in unserer Zeit soweit gekommen, daß die jüngeren Leute
») London. 1669. 68 S. 8«.
— 60 —
alle Handlungen einer Person als Ausfluß von Laflterhaftigkeit
und Ausschweifung auslegen, während die alten überall nur
Politik, persönliches Interesse und Ehrgeiz wittern, so dafi
die Nachwelt auf den Gedanken kommen muß, es habe in
unserer Zeit keine Tugend und keine Ehrlichkeit mehr ge-
geben, und nun findet Flecknoe die schönen Worte: Ta
vmdicat€ and elear it from which aspersion, I have urü tkis treaHsej
io let post^rity know, ihat as tkere taanted not some in thü age
to do brave things, so there wanted not otkers to celebraie and honour
ikenir
In einer Einleitung : ^ Proemitim to tJie Idea*^ betitelt, setzt
der Autor dann des Näheren auseinander, was er mit dem
Titel des Werkes besagen will. ^Expect of me no eircumstanoes
of iime^ place, nor persans ; that is for those wko wrüe the annale»
and history of his life. I only write his elogiums, they shew
you the things he did ; I, the man who did those tkingsJ* Flecknoe
will uns den allgemeinen Eindruck der gewaltigen Persönlich-
keit Cromweirs vermitteln, unter Weglassung aller neben-
sächlichen und zufalligen Züge.
Er kommt sodann nochmals auf die Gefährlichkeit und
Undankbarkeit seines Vorhabens zu sprechen : "/ undertake a
work (I hnow) dispkasing and ungrateful to the mtdtitude, naiuraUy
envious and malicious/* Aber trotzdem will er sich nicht ab-
schrecken lassen : " Yet tkis in spight of envy and malice Fle say
of htm, tfiai a greater and ?nore exeelient personnage hos Tiowhers
been produc'd by this latter age ; nor fperhapsj in our nation Inf
any formet ones. And if men anciently kam been judged fit for
empire only for the greatness of their bodies ; he certainly tvas
mosi fit for itj for the greatness of his mindy
Hierauf tritt Flecknoe in die Behandlung seines Themas
ein. Er spricht von der Geburt, den Familienverhältnissen
und der Erziehung CromwelFs, und verfolgt sein Leben von
der Wahl ins Parlament bis zur Laufbahn des sieggekrönteo
Heerführers und weitblickenden Staatsmannes. In dem Kapitel
über den Tod des Protektors vergleicht er ihn mit Julius
Cäsar; er sei eben so groß gewesen wie jener und ebenso
vorzeitig für seine großartige Wirksamkeit aus dem Leben
geschieden. Nachdem unser Autor dann noch herrliche Worte
— 61 r^
fttr Cromwell's persönlichen Charakter gefunden hat, Bchließt
er seine Abhandlung: ^Thus have we braught his life (in its
Idea) all und&r one prospect of Üie eye, and by brief glin^^aes and
refledians given ligkt to aee^ how greai a person he was, no human
hody being scarcely capable of a greater saul; how fortune and
virkte never more concur'd to the adiancement of a man; how
never any past io ihe temple of honour by more direct ways, through
ihai of his own virtue and heroie deeda; how mueh he meriied of
England by his serving and conserving, in its most dangerous
times ; and finally how both at home and abroad he was ihe honour
of our nation, wherefore our nation should be most unworthy and
ungrcUefulj shotdd ii not always honour hvnj*^
Diese Auslassung, wie das ganze Werkchen, würden dem
Charakter und der Urteilsfähigkeit Flecknoe's Ehre machen,
wenn man überzeugt sein könnte, daß sie wirklich seine auf-
richtige Meinung enthalten. Charakterstärke war nun einmal
nicht die Lichtseite der damaligen Zeit, und unser Flecknoe
hing eben auch uur gar zu leicht sein Mäutelchen nach dem
Winde. Wie wir sehen werden, betrachtete er gleich im
folgenden Jahre Cromwell von einem wesentlich anderen
Gesichtspunkte.
VIII.
Flecknoe's Stellung zur Restauration.
Hätte unser Autor 1659 an die Restauration der Stuarts
schon geglaubt, so hätte er wohl sein Büchlein über Crom-
well nicht veröffentlicht. Denn es muß selbst für weniger
charaktervolle Naturen nicht angenehm sein, seine Gesinnung
schon nach einem Jahre öffentlich zu revidieren. Das tat
aber Flecknoe mit seinem 1660 erschienenen neuen Werke:
**Heroi€k Portraits" *), das Karl II. gewidmet ist und die Stuarts
in der schwülstigsten Weise verherrlicht, während der vor einem
*) Heroick Portraits. With other MisceUary Pieces^ made,
and dedicate to Eis Majtsty. By Bich. Flecknoe, London, 1660. Printed
by Ralph Wood for the Auihor. YUI a. 120 S.
— 62 —
Jahre noch so gefeierte Cromwell schlecht wegkommt. Flecknoe
fühlt selbst etwas das Peinliche seiner Handlungsweise, denn
er entschuldigt sich im Vorworte damit, daß er die meisten
seiner „Porträts" schon im vergangenen Jahre, also vor der
Kestauration, abgefaßt habe: "Most of ihem were made thelast
year at Briiselles, since when, tkough their Fortunes he changed^
their Persons are not; and ihis I thought ß to teil yoUj that you
may not suspect me of Flattery (!)j (if their Persons were such as
tkey cotdd he flattered) for all flatter fortunate Princes; hui only
Hope flatiers tke unfortunate"
Das Buch beginnt, wie nicht anders zu erwarten, mit
dem "Portrait of His Majesty Charles ihe 77." Nach einigen
schwülstigen Versen wird die äußere Erscheinung des Königs
folgendermaßen beschrieben :
"His Stature*s tau, and of tlie comliest make^
His visage oval, his hair thick and block,
In ample curles, on's Shoulders falling dourn,
Adoming more his head, tlian any croum.
His eyes are lively, fuü of flame and sprüe,
And of that colour most delighia the sight :
Royal and largely feaiured aU the rest,
Declaring largeness of his roycU hreast,^
Seinen geistigen Vorzügen sind folgende Verse gewidmet:
"For moral virtues ihen, h'as every one
In their füll splendors and perfectiorij
Justice, not clouded with severity,
Nor temperance, vnth sower austerity;
And n^er in none more courage was, nor more
Wisdom and prudence, with less vaniiy, nor
With lesser artifice; then or's passions he
Commands so ahsolutely, and sovereignly:
It shows hirn King over himself, as well
As over others, nor does lie less exceü
In civil virtues, which adorn no less _
The rayal throne, oä mildness, gentleness^
Bavishing sweetness, debonarity,
Obligingness and affability,
— 63 —
Thai more does conquer with a genile word,
Than ever any conquered hy the sword,
Äcquiring absolute dominion
And sovereign sway d'r hearts of every one."
Ferner :
^Dances so admirahlyj oß your eye
As well OS ear^s aü ckamid with harmony,
Knows musick, poetry, gaUantry and witj
And none knows better how to judge of it :
In fine, in every thing that curious is,
None^s taste was e'er more delicate than hisJ*^
Nachdem Flecknoe so den König in ca. 110 Zeilen be-
sungen hat, zeichnet er in Prosa das „Porträt" seiner Brüder,
der Herzöge von York und Glocester, unter den Decknamen
Kastor und PoUux. Kastor, der Herzog von York, ist zwar
klein von Gestalt, aber in seinen Augen liegt ein seltsamer
Qlanz, und Größe und Anmut streiten sich in seinem Antlitz
um die Herrschaft. Im Felde erzeigt er sich ganz besonders
tapfer. PoUux ist ebenfalls klein; er kann aber bei seinen
jungen Jahren noch wachsen. Er hat einen kleinen Mund
mit rötlich schwellenden Lippen, ^and such a gentle rising in
the nose, as nothing could he more graceful nor hecoming"
Von anderer Art ist das folgende Stück. Es ist das
„Porträt" der Prinzessin von Oranien. Flecknoe bemerkt,
es sei von einer vornehmen Dame in französischer Sprache
abgefaßt gewesen und er habe es nur ins Englische übersetzt.
Das merkt man. Während Flecknoe nur Bewunderung und
fade Schmeicheleien für seine Leute hat, weiß die Dame bei
aller Artigkeit der Prinzessin eine Menge wenig liebens-
würdiger Charakterzüge vorzurücken. Die Prinzessin ist stolz,
rachsüchtig, falsch und so faul, daß sie lieber allein in ihrem
Gemach bleibt als in Gesellschaft geht, nur um sich nicht
umkleiden zu müssen.
Nach diesem Prosastück folgen wieder Verse, die das
Porträt der Herzogin von Lothringen darstellen. Wie aus
dem Vorwort erhellt, hat Flecknoe 1659 wieder die Gast-
freundschaft der Herzogin genossen, die überhaupt seine erste
— 64 —
Wohltäterin und Gönnerin zu sein scheint. Hier kennt er
gar keine Grenzen und überbietet sich selber in den lächer-
lichsten Schmeicheleien. Es gibt nur zwei strahlende Dinge
auf Erden : die Sonne und die Augen der Herzogin ! Niemals
ist das Echo so glücklich und selig, als wenn es den Wider-
hall ihrer Stimme zurückgeben kann! Wenn es auf der Welt
irgendwo Wilde, Barbaren und Unglückliche gibt, so rührt
das lediglich davon her, daß sie nicht dort weilt. Man hat
bereits den Himmel und die Seligkeit des Jenseits, wenn man
ihre Unterhaltung genießen darf. Und so fort mit Grazie.
Nicht ganz so vollkommen, aber doch auch mit zahl-
reichen Tugenden begnadet, schildert uns Flecknoe im nächsten
Stücke ihre Tochter Anna. Auch der Sohn der Herzogin
erhält sein Wohlverhaltungszeugnis ausgestellt.
Weiterhin bekommen dann noch die Herzogin von Rieh-
mond^ die Prinzessin von Arenberg, der Herzog von Buckiog-
ham und der Marquis (und spätere Herzog) von Newcastle
Lobpreisungen in Versen und in Prosa. Vom Marquis von
Newcastle bemerkt er u. a., daß er Kunst und Wissenschaft
besonders hochschätze. Es sei daher zweifelhaft, ob die Luft,
die sie einatmen, oder die Wohltaten des Marquis den Ge-
lehrten zum Leben notwendiger seien!
Damit endigen die ^Herokk Portraits", Wie Flecknoe
im Vorwort gesteht, hat er diese Schmeicheleien geschrieben,
um den betreffenden Herrschaften seine Dankbarkeit für er-
haltene Wohltaten zu bezeigen. Er läßt auch bei der Ge-
legenheit durchblicken, daß andere Leute sich ebenso porträtiert
sehen könnten, wenn sie sich um ihn verdient machten!
Wie er im Vorwort femer berichtet, will er das ^Pörtraä^^
als literarische Gattung in England einfuhren. In den fran-
zösischen Salons sei es bereits in Mode gekommen. E» unter-
scheide sich vom ^Character^^ dadurch, daß es nicht bloß
^the dispoaition of Ute MiiidC^ einer Person, sondern auch nodi
^the Bodies resemblance^^ biete.
Der zweite Teil des Büchleins enthält sodann: ^Other
Miaceüary PourtraitSj PictureSy Schizzos eicj* Im Gegensätze
zum ersten Teile sind hier die niedrigen, gemeinen und lächer-
lichen Leute und solche, die nicht unter die ^Heroiek PortraüsT
— 65 —
passeD, abporträtiert. Diese Leute begeistern Flecknoe auch
nicht mehr zum Yersemachen ; alles wird hier in Prosa ge-
schildert. Teilweise kehren auch Sachen wieder, die wir
schon bei den ^^Enigmatical Characters^^ antrafen. Die Titel
lauten: "TÄe Portrait of Lysette, My Ladies half Gentle-woman^
^'Of a modern CamisC' ^^Of a mrious GMiony ^^Of the She-
Qamestery ^^Of a Formal Scholar:' ^^Die Picture of a GaUant
FVench Monsimr." ^^Of a Lady of ihe TimeJ' '^The Picture of
a Dutch Frow:' ^^Of a Bilk Gourtier:' ^'Of a Busie Body:'
Interessant, aber mit naturalistischer Derbheit gezeichnet, ist
"TÄe Picture of an English Inn'\ *'7he Portrait of OromweW',
das einen so starken Gegensatz zu der ein Jahr vorher heraus-
gegebenen Schrift über Cromwell bildet, findet sich auch in
dieser Gesellschaft. Es lautet: "//" these times will give me
leave, the fiäure Fm 9ure loill thank tne for inserting this tnans
Portrait amongst the rest, Gurions of krunving all persans eminent
either for good or bad; and so curums, as H worM go as far to
see his Picture wlw bumt Dianas Temple, as his who founded il;
besides it will be a great argument of the gooduess of these times,
for ondy under good priyices vien dare freely speak o' th' Bad.
He was of stature rather weü sei than tau; strong and
robustious of Constitution, of msage leonin; his eyes fierce; his
nose of the largest sixe and so red, as that was well applied to
him, whicfi was said of Tiberius : He was a mass of day tempered
tvith blood,
This was his MarticU Face, for he had change of them, and
could put on the Foxes as well as the Lions contenance; wJience
you may easüy guess he was a great Dissembler; and H was ondy
that indeed niade hi7n so fit to Reign, Though the art Jie us'd
would have serv*d at no other time, but then, any wovld serve,
when meti were prepared for Servitude by a rabble of mercennary
and factious Preachers, and a fatal Madness had possessed the
Nation, which now tliey are cur'd of; they are shamed to seCj how
they were fooled by him with the name of Liberty without the
thing; tmih the empty husk of Parliament without the kemel of
King and Lords; and mock^d just as children are wüh Hobby-
horses, when they complain of weariness, by giving them a heavy
stick to lugger, would weaiy any one that were wise, nwre than
Müachener Beiträge z. romanischen n. engl. Pkilologie. XXXUI. 5
— 66t —
Ihqp to^re befm-t: na^ maäA tmry ksraa^ of themsduaf tmd spurt ff&lkd
ond ^utfa nd tktm off tkeir lega wiih a tht^rp hk <md curb^ m
Ihty weU (hsarvei, who eould. run awaif mih fkeir läder fsrmeriifi^
toktn ^ey wem ansly rid tffüh a snaffk and g«ntle katUL
For the resiy he was &f sinmg and abie paris, and if ever
amf Ufas Ärtifker of his oum fkiinrey ii wob he: vakani of hrs
ptTBOHy hui never using force, wben straiegem wmUd suffiee: hold
and resohite^ and whtU he determmed onca io do, none eould hmtkr
kirn fron^ doing it : nor euer met he witk any abstach^ hiU by farce
ar sleigki he wotdd remove ü straiffhi; hy wh4ek he arrwed te
grtai fame ; and had transniUied it greaiery and mors pure unto
posterity, had he not confounded the soldier wUh ^ ptreaßhet. In
finey Fortune carried kirn up so high and on so unekdde foundaiüm
ae the fear of faUing took from kim all the pleasure of his rise;
and he lived unih aü the fear» of an iü cause aboui him, whwk
made c»*t<e% often necessary, though H was not naturale Änd do but
imagine of how vast comprehension he was, who grasped and held
aü England together whilst he lived; whdeh when he died just like
a Fagot when the band is hroke^ feil all to pieces presentiy : nor
eould the Body of EebeUion find a Spirit great enough to animate
üy wlten he was gone. And thai foundation of Shnpire whicli he
sought to lay in his Family ^ but proved thai saying true, thai greai
enterprises like great edifices, are onely built for ruin, unless they
be finished» To conclude, kis Deaih gave peace to cM Christendom
who looked upon him ivhilst he lii^d just like sonu blax^ing star,
the portent of war^ Ruine and destntction ; and wlien he died, the
fatal Influence ceased,^^
Darauf folgt das ^Picture of HeW% worin in mittelalterliek-
grausiger Art die Schrecken der Hölle beschrieben werden.
Dann kommt zum Schlüsse ein hochwichtiges Stück, das
uns die besten Aufschlüsse über die Persönlichkeit unseres
Autors zu geben vermag. Es ist dies Flecknoe's Selbstporträ^
das uns trotz all der naiven Eitelkeit, mit der Fleckaoe bei
aller äußerlichen Objektivität sich schildert, doch tiefe Ein-
blicke in sein Wesen tun läßt. Auch vom äußeren Menschen
Flecknoe können wir uns an der Hand dieses Porträts eine
lebhafte Vorstellung machen. Die umfangreiche Selbst-
b«Bchreibuttg hat folgenden Wortlaut:
— OT —
The Portrait of ihe Author,
To ike Lady
MaAaimey
You demand my PtniraU (eoneidemble for noüwng but für
tvriting of tke rest) and hoiv can I deny you my P&rtraü, to whom
I havB given myself? Behold ü kere then, wUk aU its hnper-
fictUms^ to wkieh I have added those of my tvriting it: and tkat
I may dedare more freely and with less ooneem^ I shaü put off
mim oum person and ptä an anothersy wkilst I teä you.
In his person there is not mucft to eommend nar diseommend:
kis siature i» raiher tau tken lowj hetunxt gross and sl&nder^ kia
visage oval and cheeks a liitle sunk; his eyes block and lively;
no&e weä enough proportioned ; mauth wi^ cheerftd overture; ?unr
dark and limber; complexion tkiek and trouhledj and raiher ftesh-
eoloured than pale; his atr and moHon sprightiy, Naktre seeming
in his whole oomposition to have been neither too negligent nor too
eocact, This he was in hi» yotUhful dayes, but now his Physio*
gnorwy is muck ehanged by Äge; his air grisled, his beard (ä la
mode of tke time) dose shaven; his eyes dim and deeply sunk,
(to admonish htm perhapsy His time to look into kvmself). In fine,
he is lüeXl enough content rvith his exterior (not much unlike th<xt
Portrait which commonly passes for Seneea^s) bui wüh his interior
not so well. For his memory is so fugitfoe as he mvst shoot
ftying, and take it as ii comes, or eise Uis gone; and his under-
standmg so darkly lodged, as he is forced to grope it out; whenee
his Inventions are so low and apprehensians so conftis^d; as tili
he hos produeed to light and explicated them on paper, he knows
not what they are, Whence he torites better than he speaks and
his writings are better Company then himself, As for his
Moming Thoughts they are somewkat, before they are iryM wiih
the Species and distradions of the day; but afterwards nothing but
confusion. How he is qualifUdy you know Madame, and how the
Muses and Mus ick were not averse at his nativüy, and he bom
so averse to all profitable Arts, as he prefers the Pleasant to the
Profitable in every thing.
For his Minde, Uis neither very good, nor very bad; and he
is raiher enemy to Vice then any great friend io Virtue. His
6*
— 68 —
greatest fauUs are tJwse of Omission^ (if ihey he not more oiher*8
faulis then his) and next to God, he ows much to his Edticatian,
and much unto his Friends, thai he commits no more; and not a
little to his En&mieSj whom he should scom ever to give thai ad-
vantagCf tnUy to report any härm of htm ; and if falselyj ^Hs more
their hann iJien his,
For quieting his mind, he hates Business, a)ui never eures for
what he cannot have, nor scarce for anything others can deprive
htm of. He never extends his desires further then to easie ihings^
not to put himself on the rock for the ohtmning them; and oiüy
paints his hopes in waier cokmrs, that unthout fretting tJie Table,
they may easily he washed out again. Ahove all, he shuns all
high'Ways of the vulgär, and hy-ways i?i religion, not to erre in
doctrine and opinion. But pa^sing wJiat he is in himself, to come
to wliat he is to otliers ; he is shy of acquaintance, and familiär
hui unih few, and these otiely of the nohler and heiter sort. He
is the hast hold of any, disdaining thai shouid he paid to his
holdness, which he imugines onely due to merit. Otiely favour can
imholden him, when Iie is familiär, without insinu4xting and in-
croaching; ohsequious, tvithout troubling and nwlesting you; and
complaceni unthout flattery and assentation. As he is uHUingly
enemy to none, so he tvill he friend to none against their will;
nor cares to Jiave those his enemies, who are never liJce to he his
friends ; tior those his friends, who are never like to do him good.
He never lost any friends that wcre worth tlis keeping, nor never
made any his friends but onely stwh; and if any unkindness
liappens, fie retires tili the reitiembrance of former kindness may
effiace the memory of any latter unkindness ; whence mosi commonly
he reiurns in greater favour than hefore, if some envious of his
favour hinder it not, against whose malice lie never sufficiently
promdes, who having no secondary ends in making friends, uses
no secoyidary means for the conserving them. He loves all things
cheerful, splendioi4s and nohle, and hates Sectaries most of all,
hecause they are otherwise. And he loves easie Company, as he
does easy garmenls, mcJcing no difficulty to cast off either, wJien
they pain or trouhle him ; and is so far from regretting the want
of them, as he tJianks God he can want such trouhlesome and
needless things.
— 69 —
If he dispraise any, *tis more his love of perfection then hate
to thevn; and he praises more unllingly, then he dispraises; yet
since every one hath somewhat praise-worthy in them, and so on
the conirary ; whilst he looks on his friends on the better side, his
enemies must pardon him if he have not the same friendship for
them. He blows not Iiot and coldj bui may be bloum so; for a
cold Word freexes him, and a hot makes him presenily boil over;
when next io his Prince, who can sovereignly dispose of his body^
and God who can dispose of soul and body both, he cares not for
offending any, who first offendeth him; and he rather expresses the
resentments of his offence by writing, then word of mouth, because
words in leiiers are not so apt to fly and break forth as in
Speech; nor to rise in sparks of anger, nor flames ofcholer, when
they are dead, as when they are alive. And he loves an open
rather than a covert enemy, wherefore he puis them timely to the decla-
raiion of their enmity, that so the venom driven outwardj there may
be less danger for himself, and for others too, to be invenom^d by it.
He counts conversation between man and man his second Religion,
and so that be good, for their first Religion, or the conversation
betwixt God and them, he leaves that unto theinselves; this makes
fnany imagine him less xealous, who know not righily to distin-
guish bettoixt xeal and factum; and who overlash as far in their
judgments, as he underdoes perhaps.
Indeed he is sorry and ashamed not to have that dear and
tender resentment for Almighty God, as he shotdd have for a noble
friend; and thai he shotdd be so untliankfuü to him for all his
benefits, who hos blessed him with a happiness and felicity as far
superior to Fortune, as health and repose of mind is to Riches,
and the solitnde they bring along rvith them: yet he thanks God
Jie fears him so, as he considers himself perpetiuilly in his hands ;
and if they admired anciently the audadty of young Cato, that he
durst offend them who held him out of the window and threatened
to throw him down; he much more admires the aiidaciousness of
ihose who wiüingly dare offend Almighty God, wito holds them in
his hands and threatens in case they offend him, not onely to
throw tliem on the ground, but to the boitomless pit of Hell,
Meantime, there is nothing more easie than to mistake his
disposition, for necessity often makes him do many things which
— »0 —
naktraüy he w&M not do; and he eouid he fiaed^ had 'he any
ftermanent habüaiioHf and appl^ himaelf to graver sttuüeSf häd he
not mere encowragemeni for lighter anes; and if he regrei Ifce
want of Fcrtiune^e assistanee in any thmg^ 'tie io furiher hini m
hik retreat^ ivhen grawing older, he shmM be glad to üUerpoae
€Ofne Utile ^Mce betwiaU ihe bueineas of Life and pr^paration fär
his Deaih.
But 'tis Urne to kam off, lest I make an Jpology for Mm
dnstead of his Portrait; and tvrite his life inaiead of giving you
ihe Character of his disposition.
Danach haben wir in Flecknoe das Bild eines etwas
achwachsiBnigen, sonderbaren und eitlen, aber frommen und
sieht unedlen alten Mannes tot uns. Eine Persönlichkeit,
die als Dichter ihrer Zeit etwas zu sagen hat; war Flecknoe
nicht ; er war nicht einmal ein bloßes Formtalent. Das einzig
Verdienstvolle, das wir ihm zuerkennen müssen, beruht fast
nur in seinem steten Auftreten gegen das Unsittliche und Aus-
sdiweifende in der Dichtung und im Leben der damaligen Zeit
IX.
Ein neues Buhnenstiick.
Dem Zwecke, die Literatur zu „reinigen", der Flecknoe
stets Yor Augen schwebte, diente auch das Bühnenstück,
das im folgenden Jahre 1661 gedruckt wurde und den THtel
trägt: *^Erminia or: The fair and virtuous Lady, A Trage-
comedy"^) Gewidmet ist es "7b tthe fair and virtuous Lady>
the Lady Southcoi^
In der Widmung führt der Autor dann weiter aus, er
müsse gestehen, daß das Stück mehr Lady Southcot's Ver-
dienst sei als sein eigenes. Sie habe ihm bei der Anlage
des Stückes als Vorbild gedient; von ihr habe er auch die
Inspiration zu seiner Ausarbeitung erhalten. Auf ihrem
Landsitze in Westham habe er es in Ruhe und fern von
allem Trubel der Stadt gedichtet. Es freue ihn daher, daß
er sie in seinen ^Heioick Poriraits" noch nicht gezeichnet
') Umdon, Frinied for the Auihor. 1661. 8«. 96 S.
^ n ^
*imd verherrlicht habe; detm das kötme >er jdet riel >es8er
in der Figur der Erminia tun.
Aus der Vorrede zum Stücke, die ^io tke (mly few, ihe
besi and noblesf^ gerichtet ist, erfahren wir flodana weitere
interessante Dinge. Flecknoe gesteht, er habe die Vorrede
nur deshalb, wie angegeben, iiberschrieben, weil er sein Stück
lediglich zur Zirkulation unter seinen acHigen Freunden und
Gönnern, nicht aber für die Öffentlichkeit habe drucken lassen.
Wie der Fuchs, dem die Trauben zu sauer Bind, erklärt er
weiterhin, man solle nicht die Nase darüber rümpfen, daß er
ein Stück, das nicht aufgeführt worden sei, dennoch habe
erscheinen lassen. Er habe min emnal kein Interesse an der
Bühfie, und überlasse sie gerne d«aen, die eines hätten. Br
gebe zwar zu, daß das Stück dadurch, daß es nicht a«f die
Bretter der Bühne komme, tan Kolorit verliere. Aber vmtm
man es im l%eater, von Scbftnspielern au%efühtt, aneb besser
sehen könne, so T^tmöge man es doch gedruekt boiser m
Terstehen.
Durch eine etwas lebhafte EmbiidiD||8kraft lieAe sich
übrigens die szemsche Anlfühmng leieht ersetzen. Um der
Tielleicht doch nicht genügend refen Phantasie der Leser
nadizuhelf en , wolle er deshalb die Szenenwechsel, die Be-
kleidung und die Namen der Schauspieler angeben, von denen
er «8 am liebst^i geepielt sehen würde. Doch ein Beweis,
wie bitter er die NiditauiYÜhruog seines Slftekes empfand!
Das Personenverzeichnis lautet nun:
The names of the Persona: The actors* namea:
i Z Bird
The Duke of Missena \ ^ . . , .
I CartufriglU
Ihe Prince his Son, C. Hart
Qeander, his General M, Moon
Ämtfiiier his friend Buri
^'**^' l Qmrtiers of { ^^"^ <^ ^' ^''^'^
Leontius j \ Argos Wiuterton
DimoigoraSf a aoldier
Clinias i Two of Wat. Ohm.
CieaMo \ Oleanders siaves Lacy
— 72 —
The names of the Persona: The actors* names:
ÄurindOy alias Cyn'ena,
Princess of Argos Mrs, Win. Marshai
'ihe Ditchessj Mrs, Marg, Riiüer
Erminia, Cleatiders Lady Mrs, Weai^r
^,. , J The Duchesses Warnen
Ohnda |
Althea, Enninias woman Mrs, Michel
ServantSj Guards Sc.
The Scene: Missena in Greece.
Naiy-humoristisch mutet der Prolog an. Flecknoe hält
dem Publikum vor, daß es, wie kleine Kinder nach Spielzeug,
80 nach neuen Stücken schreie. Habe es dann wieder ein
solches von einem Autor erhalten, so mißachte und verwerfe
es dasselbe und begehre nach einem neuen. Trotz dieser be-
trübenden Tatsache habe er dem Publikum das vorliegende
neue Stück geboten, um zu sehen, ob es wirklich eine Zeit-
krankheit sei, daß kein Stück mehr Beifall finden könne. Sei
das jetzt auch wieder bei dem seinen der Fall, so wisse er
sich zu trösten; er steige dann einfach von der Bühne ins
Parterre hinab und verdamme mit dem Publikum die Stücke
anderer Leute.
Da wir uns jetzt in der Bestaurationszeit befinden, so
erhält der Hof noch einen eigenen Prolog, worin Flecknoe
versichert, wie er das bei späteren Werken regelmäßig tun
wird, daß er das Stück hauptsächlich zur Unterhaltung Sr.
Majestät des Königs geschrieben habe.
Das Stück spielt im alten Griechenland, und sein Inhalt
ist kurz, wie folgt : Der Herzog von Missena hat nicht seinen
Sohn, wie man allgemein erwartete, sondern seinen General
Oleander als Befehlshaber seiner Truppen in den attischen
Krieg geschickt, um sich den Zutritt zu dessen Gemahlin
Erminia, zu der er eine heftige Leidenschaft gefaßt hat, zu
erleichtem. Aber auch der Prinz, sein Sohn, ist in Erminia
vernarrt und sucht durch Bestechung von Erminia*s Dienerin
Althea, sowie durch Vermittlung seines Pagen Aurindo, Zutritt
zu Erminia's Gemächern und ihre Gunst zu erlangen. Da
- 73 —
kehrt Cleander, der den Krieg glorreich zu Ende geführt hat,
seinem Heere yorauseilend plötzlich nach Hause zurück,
um seine geliebte Grattin zu überraschen. Zu seinem größten
Erstaunen findet er aber den Zugang zu seinem Palaste von
Trabanten verstellt, und sieht dann zuerst den Herzog und
später eine vermummte Gestalt sich vom Hause entfernen.
Da schöpft er Verdacht und faßt sofort den Entschluß,
seine Frau auf ihre eheliche Treue hin zu prüfen. Sein
Freund Amynter, der ihn begleitet, sucht ihn vergeblich davon
abzubringen.
Als Mohr verkleidet, bietet er Erminia seine Dienste an,
während Amynter einen Brief des Inhalts, daß Oleander noch
immer auf dem Kriegsschauplatze festgehalten werde, dem
Herzog überbringen muß. Auf diese falsche Nachricht hin
macht der Herzog Erminia sofort wieder einen Besuch und
wirbt drängender um ihre Liebe; sie weist ihn aber, wie bei
seinem ersten Besuche, rundweg ab, was den als stummen
Mohr zuhörenden Oleander bedeutend beruhigt. Bald aber
wird er von neuer Eifersucht erfaßt, als er die Intimität
Erminia's mit Aurindo gewahrt. Aurindo, die als Prinzessin
von Argos vom Prinzen wegen seiner Leidenschaft zu Er-
minia verschmäht worden war und ihm nun als Page verkleidet
dient, hatte sich nämlich Erminia entdeckt und von ihr Hilfe
in ihrer Liebesnot erbeten und zugesagt erhalten. Aber auch
die Herzogin, die Aurindo natürlich für einen Mann hält, und
ihr mit Liebesanträgen beschwerlich fallt, ist über die schein-
bar anstößige Vertrautheit zwischen dem Pagen und Erminia,
die ihr Althea verraten hat, über die Maßen empört und sinnt
in ihrer Eifersucht auf blutige Bache. Sie bittet ihren Ge-
mahl, Aurindo, von dem sie sich Erminia's wegen verschmäht
glaubt, hinrichten zu lassen. Aber Leontius, der Höfling aus
Argos, der seine Fürstin in der männlichen Verkleidung längst
erkannt hat, warnt Aurindo vor der drohenden Gefahr. Diese
flüchtet nun zu Erminia, die sie in ihrem eigenen Zimmer
verbirgt, was den Mohren rasend vor Eifersucht macht. In-
zwischen versucht nun der Herzog einen letzten Sturmlauf
auf Erminia's Tugend; er besticht den Soldaten Dimagoras,
Erminia zu melden, ihr Mann sei auf dem Meere ertrunken.
— 74 —
Wenn «Erinima ihren Mann tot ^lamben mufi, hoflft der H«nog,
«ein Eiel leichter erreichen zn können. Aber Ermioia ge-
'bärdet sich bei der Schreckensbotschaft ganz troetloe und
föUt gleich in Ohnmacht, worauf Dimagoras auf Andrängen
Amynter's den Anschlag eingesteht. Als sich dann der fiei2ag
«elber einstellt, um ihr heuchlerisch sein tielstes Beileid am-
-zudrücken, erfahrt er eine letzte Abweisung. Auf die Kunde,
Oleander sei ertrunken, kommt dann auch der Prinz, koi^
'dotiert Erminia und tritt zugleich mit seinem Liebeswerben
doppelt ungestüm hervor. £rminia geht nach einigem Zögemi
«cheinbar auf seine Zumutung ein und bitteft ihn, nachts in
ihr Schlafzimmer kommen zu wollen. Auf diese Weise will
'sie ihn täuschen und mit Cyrena, in die sieh Aurindo jeM
umgekleidet hat, y ereinen. Der Mohr aber hat das Gespräch
tnit angehört, und stürzt nun gegen Abend in sinnloser Eifer-
-sucht ins Schlafgemach Erminia's, um sie dort in den Armen
jhres Buhlen mit diesem zu töten. Eh- ist der Meinung, sie
wolle an zwei Männer zugleich, an Aurindo und an den
Prinzen, ihre Ehre verlieren. Zu seiner grenzenlosen Über-
Taschung findet er aber, als er mit gezücktem Schwerte üben:
die Schwelle des Schlafgemaches stürmt, statt des jungen
OSerrn Aurindo, ein feines Fräulein vor, das Erminia respekt-
voll mit „Hoheit" anredet. Beschämt zieht «r eich wieder
zurück.
Kun bat aber die verräterische Althea auch den Auf-
enthaltsort Aurindo^s erkundet und der Herzogin verraten, die
*sich in der Nacht mit dem Herzog aufmacht, um das Paar
zu überraschen. Sie begeben sich in Erminia's Palast und
pochen an ihrem Schlafzimmer; als geöffinet wird, sind sie
^böchst erstaunt, den Prinzen, ihren Sohn, zu sehen. Ak
•diesem nun die Herzogin die gröbsten Vorwürfe 'macht, dftB
'Or sich mit einer solchen Dirne wie Erminia eingelassen habe,
zieht Cyrena ihren Schleier zurück und gibt sich zum all-
gemeinen Erstaunen als Prinzessin von Argos zu erkennen.
In dieser heiklen Situation bleibt nun dem getäuschten mti
am meisten überraschten Prinzen nichts anderes übrig, ak
Oyrena schleunig für seine Frau zu erklären.
Wie sich das alles nun so schön aufklärt und entwickelt,
— 76 —
läidä auch Oleander zu seiner keuachen Gattin tmcl 'wiofk:
seine Mobremnaske ab. Nach einer Weile erscheint dann
vadk er mit Erminia anf der Bildää43he, worantf sich alle
Mifidentungen und Irrnngen in allgemeinfes Wohlgefallen tbkI
gegenseitiges Vergeben aoflöaen. Nnr Althea wird aar Strafe
für ihre Untreue von ihrer Herrin ans dem Dienste entlassen.
Das Stück ist, soviel sich ersehen läJBt, nicht aufgeführt
ivorden. Jedenfalls aber ist es das beste Stück Fleoknoe's
«nd hätte das Rampenlicht viel eher ertragen als das durcdi-
gie&llene **Lave^8 Kingdom^\ Ea hat eine reiche, verwickelte,
spannende Handlung, und die Charaktere sind mit ziemlicher
^Folgerichtigkeit gezeichnet. Frezlioh darf man aucli hier
fainen za streiken Maßstab anlegen. DaB sich z. B. die
als so überaas sittenstreng geschilderte SSrmiiiia zu dem ge-
fährlichen Abenteaer zugansten Oyrena's bereit finden laßt,
ist nicfat recht glaublich. Auch daS sich der Herzog, der
im Verlaufe des Stückes Enninia mit allen Mitteln zum Ehe-
bruch zu verführen sucht, am Schlüsse als wackeven Biedeiv
mann entpuppt, und noch dazu erklärt, er habe nur in bester
Absicht Erminia auf die Probe stellen wollen, ist eine grobe
ünwahrscheinlichkeit.
In recht glücklicher Weise ist dagegen das humoristische
Element im Stücke verwendet. Die zwei Sklaven Cleander's,
Clinias und Cleobulo, freuen sich riesig, daß sie einen
schwarzen Genossen bekommen. Sie hoffen an ihm einen
Prügeljungen zu haben, an dem sie ungestraft ihren Mutwillen
ftuslsBsen könnten. Aber so oft sie ihm einen Sehabemack
spielen oder ihn -prügeln wollen, bekommen sie die Schläge und
■QnUereien von dem kräftigen und resolaten Mofaren jedesmal
nk Zinseszinsen zurück, so daß sie zuletzt sehr froh sind,
ak sich der angebliche Mohr imd Mitsklave als ihr Heer
-entpuppt.
Wenn Fkdcnee im Epiloge zu dem Stücke meint, dafi
nUe Zuschauer, die es auf der Bühne spielen sehen, dadurch
das Theater reinigen und heben helfen, so ist das doch cum
grano salis zu verstehen. Für seine Zeit bedeutet das Stück
^ wohl einen Fortschritt zam Moralischen hin; aber absolut
fenoQBiimen ist die Atmosphäre des Glänzen — mit Ausnahne
— To-
des Charakters der Erminia, die sich aber auch allzu leicht
zu dem Abenteuer für Cyrena bereit findet — immer noch
eine ziemlich schwüle, so daß das an bedenkliche Stoffe aller
Art gewöhnte Publikum auch in dieser Beziehung auf seine
RechnuDg gekommen wäre, wenn das Stück eine Aufführung
erlebt hätte. Die Bemerkung Langbaine's, Flecknoe habe
das Publikum überreden wollen, ^that Imagination wotdd supply
ihe defeci of Action", ist jedenfalls für dieses handlungsreiche
Stück unzutreffend, und gerade dieser B^ichtum an Handlung
hätte dem Stücke zu einem Erfolg auf der Bühne wohl ver-
helfen können.
Über die Wahl des Namens ^Erminia" finden sich ver-
schiedene Andeutungen im Stücke. Flecknoe will eine Frau
schildern, deren besondere Eigenschaft die Keuschheit, die
Reinheit ist. Er vergleicht sie nun mit dem Hermelin, dessen
Fell von fleckenloser Weiße ist, und bildet aus: ermine =
Hermelin, den Namen Erminia. So sagt Erminia in der
4. Szene des 1. Aktes:
"TÄew if ihey stir abroad^ tke world's so foul and diriy, how
idcely one must go, and step by siep pick out their way^ not to
defile their Ermine piirity?"
Und in der 4. Szene des 3. Aktes heißt es noch deut-
licher :
"OÄ ye Gods! Erminia is as white I see as is her
name ar mnocence itself, and Fm o'rjoyed with it/'
Die Handlung des Stückes zeigt reiche Anklänge an das
Drama der Shakspere'schen Zeit. So erinnert Cyrena, die
als Page verkleidet ihrem Geliebten dient, an die gleichfalls
als Page auftretende Viola in Shakspere's „Was ihr wollt"
und an Imogen in „Cymbeline". Auch in den "Two Gentle-
men of Verona" ist dieses Motiv schon verwendet. Die Unter-
schiebung der treulos verlassenen Cyrena an Stelle der Er-
minia meist unwillkürlich auf „Ende gut, alles gut" hin, wo
Bertram seine rechtmäßige, aber von ihm verlassene Gattin
Helena untergeschoben wird, und auf „Maß für Maß", wo
das gleiche Motiv begegnet. Das Grundmotiv des Stückes,
das Liebeswerben eines Fürsten um die Gattin seines für ihn
— 77 —
Krieg führenden Generals, bildet wohl eine Erinnerung an
das pseudoshakspere'sche Stück "King Edward III", in dem
auch das Werben des Königs an der Tugend der Gräfin
Salisbury scheitert. Femer könnte das Stück "The Faithful
Friends" von Beaumont und Fletcher hier Pate gestanden
haben. Der König Titus Markus von Rom sendet nämlich
in diesem Stücke seinen Günstling in den Krieg, um dessen
neuYermählte Frau für sich zu gewinnen, kommt aber damit
nicht zu seinem Ziele. Daß die liebende Oyrena als Aurindo
noch den Liebesboten zwischen dem Geliebten und der Bivalin
machen muß, ist ein Motiv, das Flecknoe bereits in ^Lov^s
Dominion'* benützt hat und das vielleicht eine Reminiszenz
aus Shakspere's „Was ihr wollt" ist.
In ähnlicher oder gleicher Weise finden sich die Motive
und Situationen des Stückes in verschiedenen Dramen der
Restauration und der ihr vorhergehenden Zeit.
Da sich Flecknoe hier auf realerem Boden bewegt als
in seinem phantastischen "Love^s Dominion", so ist auch die
Sprache in der ^Enninid!^ natürlicher geworden. Der größte
Teil des Stückes ist in Versen geschrieben, und zwar wechseln
heroic couplets, Blankverse und unregelmäßig gebaute Zeilen
aller Art miteinander ab. Die Verse sind fast stets derartig,
daß man sie nur durch die Hervorhebung am Druck als
solche erkennt. Eigentlich sind sie Prosa. Schwülstige Stellen,
die den Einfluß der Arcadia erkennen lassen, finden sich
zwar auch hier, sind aber nicht so zahlreich und aufdringlich
wie in anderen Werken. So sucht der Prinz z. B. Erminia's
eheliche Treue durch folgende Phrase wankend zu machen:
"'7\1» crime in Oleander to appropriate to himself an universal
goodj and injusiice in you to consent unto tK impoverishing the
World to enrich Cleander^s bed.^' Von schlechtem Geschmack
zeugt auch die Szene, in der sich der Prinz, als Kriegsgott
Mars verkleidet und auf einem Piedestal stehend, von der
arglosen Erminia um glückliche Heimkehr ihres Gatten aus
dem Kriege anflehen läßt. Als die Statue des Pseudogottes
zum Entsetzen Erminia's dann plötzlich lebendig wird, erklärt
der Prinz galant: "T/s your beauty, fairest, Iias given me Life
and motion; and if in tJie cold veins of frozen marble H lias the
— 7» —
tmrtiwus foroe to inapm and infiise mfk spirii and vital Kao^
imagine in my hoeom ivkai ii must nemi» beffet."
Das hätte Sir Philipp Sidney auch oicdiLt viel belBMr
machen kömien.
X.
Eme Umarbeitmig von ^Love's Domnion'^ mbst Maor
AbhandJfing Ober die englische Bfthne.
Endlich sollte ein Wunsch Flecknoe's, den ec seit langem
gehegt hatte, wirklich in ElrfüUnng gehen : Eines seiner Stücke
wurde aufgeführt. Diese Tatsache erfahren wir aas dem
Titel der 1664 erschienenen Neuau^abe und Umarbeitung von
^Lovt^s Dominion''. Sie trägt die Aufschrift: ^^Loves King^
dorn. A Pastoral Trag^Comedy. Not as it toas acted at ihe
Theaire near Ldncoln's Jnn, bui as it was wrütenj and sinee
oorrected." Gewidmet ist das Stück diesmal dem Herzog von
Newcastie. Aus dem Wortlaut der Widmung erfahren wir
sodann, daß das Stück bei der Aufführung durchfiel. Über
die Gründe äußert sich Flecknoe wie folgt: ^The People^ who
(as one says weil) are Judges tmihotä Judgmentj had eondemn^d
ikis Play on the Stage, for want of being rightly represented tmto
them ; at which many noble Persons were so much offendedj as I
Goutd not in any one Act do it mare right, or give them more satis-
factionj then by Printing it, io shew Ha Innocence." An dem
Mißerfolg sind also nur das Publikum und die Schauspieler
schuld; die es nicht richtig aufgeführt haben ! Um dem Leser
nun das Verbrechen der Schauspieler recht zu beweiseo, gibt
Flecknoe genau sein Bühnenmanuskript in der vorliegenden
Ausgabe wieder. Das ist aber für jeden Urteilsfähigen nichts
anderes als eine glänzende Rechtfertigung der Schauspieler;
denn Love^s Dominion wäre noch aufzuführen gewesen,
aber das umgearbeitete Love's Kingdom mußte Ton vorn-
herein Fiasko machen ; wenn die Rßgie das Stück daher etwas
veränderte und zurechtschnitt^ so tat sie es sicher im lateresse
des Autors und des Stückes.
Die Umarbeitung und „ Verbesserung^' des Stückes ist
-^ 79* —
ainilich in jedev Beziehung eine ,fVerböaerang^^ geworden.
So* ist gleich die Binfiibcung dev Yena3, die aii6 dian. Wölken
hai!ab< einen guilanten Ptolog apricht, . als verfehlt und) ge*
aefamftekle» zu betiraeht^b Mehr nebensächlicher Natur ist
die Umwandlnng de». ^^Liebeepapates'^ Philostrates in einrai
Sheetimaa^ den den Titel ^^Lave^s Ärch-FUmtin!^ führt Folydoir
ndrd Atta einem ^^L&m\s MiniMer*^ zu einem ^'Love^s Inqmail(yii^\
Nen i«b die Vignr dea Dit^phanee, Advokaten am Gerichtshof
dar liebe ; aus der Nymphe der Flammette ist ein^ Amasantha^
^'Qcvemesa of ike Nymphs^', geworden. Bellinda muß jetzt
achon nach dreimonatlichem Aufenthalte schwören, da& sie
jemand auf der Insel liebe ; zugleich wird am nämlichen Tage
die Jahireaflaier der Ankunft der Venus auf Cypem abgehidten.
Die Hanpthandlung geht im großen und ganzen wie früher
weiter. Nur am Schlüsse ist die Änderung eine ebenso aua-
gadehste wie ungeachickte. Diesmal wird nämlich Palaraon
(so heißt jetzt Euphanea) auch durch den Vergiftungsveraucb
ITilena's noch nicht gerührt Theotimus gebietet ihm nuQ>
daa Herz der Filena, das er geraubt, ihr wieder zurückzu-
erstatten und ihr sein Herz dazu zu schenken. Der Buchlose
weigert sich dessen aber entachieden und soll daher als Love^s
RsbeU zur Strafe auf eb ödes Eiland yerbannt werden. Aber
anch das« nutzt noch nichta. Palamon erklärt yielmehr kalt-
blütig, er könne wohl den Ort, aber nicht sein Herz ändern»
Da tritt plötzlich ein furchtbares Erdbeben ein, der Liebes-
tempel erstrahlt in hellstem Grianze und die Liefoesgöttin
schwingt eine flammende Packel. Durch dieses Wunder wird
muL natürlich auch Palamon's steinhartes Herz erweicht; er
siokt, von Liebesgluteu verzehrt, zu Boden und heiratet dann
— Filena. Damit ist nun glücklich bewiesen, daß die Liebe
ayieh. die härteeiten Herzen erweicht, und die Geschichte zu
Ende.
Li der Nebenhandlung wird, die wirklich komische Szene,
in der Flammette den Pamphilua mit der Puppe narrt, dies-
mal weggelassen, und Pamphilus ein&ch mit Kastration be«
droht, weim er nicht von den Nymphen ablasse.
Die in der ersten Fassung eingehaltene Szeneneinteilung
ist hier angegeben.
— 80 —
Dem bösen Publikum gegenüber, das sein Stück durch-
fallen ließ, begründet Flecknoe die Vorzüglichkeit seiner
Leistung im einzelnen. So sagt er im Vorwort: "TÄe greatest
fault in this kind of writing, is to err against Art and Decorum
(sie!) of which I hope this Play w /ree"; so frei allerdings, daß
nichts Natürliches mehr daran ist. Zu der kritischen Frage,
ob Blankvers oder nicht, die in der Restaurationszeit eine
so große Rolle spielte, nimmt hier auch Flecknoe Stellung.
Er bemerkt: *^For the Rkißne^ His more excusahle in Pastorals,
then in other Plays; and wliere I leave tlie Rhynie or numbers,
I imagiWd, that as a good Actor ivas like a good Singer^ so a
good Play was like a good song ; wliere Uis not necessary all notes
shu'd he of equal length^ Wie in der ersten Bearbeitung, so
ist auch hier der größte Teil des Stückes wirklich im blank
verse geschrieben, der aber nicht nur sehr unregelmäßig, sondern
auch oft recht holprig und unpoetisch gebaut ist. Die Hand-
lung des Stückes findet Flecknoe sodann ^hieai and handsoTne^^(J)j
die Sprache ^'sofi and gentle, suitable to the persons who speak,
mittler on the ground, 7ior in ilie clouds; bui just like the Stage,
somewhat elevated above Die common^\ Aber weder das ge-
schraubte Pretiösentum der edlen Figuren, noch die Zotereien
des Pamphilus können den Eindruck beseitigen, daß der Autor
absolut keine wirklichen Menschen, keine Individualitäten
zeichnen kann.
Diesem verunglückten Stücke ^^Love^s KingdonC^ ist in
seiner Ausgabe von 1664 eine wichtige Abhandlung bei-
geheftet, die "-4 Discourse of the English Stage'^ be-
titelt ist. Dieser Essay wird von Langbaine als Flecknoe's
bestes Werk angesehen, und Hazlitt^) hat ihn sogar in un-
serer Zeit neu herausgegeben.
Flecknoe hat seine Auslassung in die Form eines Briefes
an den Marquis von Newcastle gekleidet.
Er beginnt mit einer kurzen Geschichte des Dramas bei
den Italienern, Spaniern und Franzosen. Dann leitet er auf
das englische Drama über, dessen Anfänge und Entwicklung
*) Jlie English Drama and Stage under the Tudor and Stuart Frinces
1543—1664. (In der Roxburghe-Bibliothek) 1869. 275—281.
— Bi-
er etwas breiter beschreibt. Von den ElisabethEnern s> er :
**7n tfns iime W€ire Poets and Actors in th&ir greaiest fUmriah^
Johnson^ Shakespectr, unth Beaumont and Flekher, (heir PöeiB, and
Fidd and Bwrbidge^ tkeir Aetors, For Plays, Shakespear was <me
of the first who inverted ths Dtamatidc Style, front duü History
io quick Comedy, upon whom Johns&n refin^d, as Beaumoftt and
Fleteher ftrsi imit in the Heroiek loay, upon whöm StoMing and
alhers endeavournd to refins agen; one saying taittikf ofhis Ayhura,
tkat 't was fuü of ftne flowers bui thsy seem^d raiher stuck, th&n
growing tksre ; a» another of Shakespeares wrUing, that H was a ftne
garden bui ii wanted weeding"
Der französische Einfluß, der Flecknoe bei seinen eigenen
diamaiiseheo Arbeiten die drei anstotelischen Suiheiten so
ausdrücklich festhalten ließ, macht sich audi hier fiihlbar;
So beiaerkt er über da» englische Theater im Gegenaatse znni
französisehen: ^Tkere are few of our Engiisk Plays (eoDcepüng
oniy sofne few of Johnsons) unihofä some ftaslis or other; and
if the Freneh Jiave fewer then our Engldsh, ^tis beeause tkey eonfine
ihsmselives to narrower lifrvUs, and eonsequenUy have less liberty
to erreJ'^
Die hauptsächilichsteu Fehler der englischen Dramatiker
bestehen nach Flecknoe darin, daß sie ihre Stüebe zn sehr
mit Handlung überladen und sie zu lang und zu verwickelt
werden lassen, so daß sich der Zuschauer inü Theater gar
nicht mehr auskenne.
Er selber beschreibt dann folgendermaßen, wie ein gutes
Stück beschaffen sein soll: ^A good Play shu^d he like a good
stuff, closely and evenly urrought, wiüiout any breakes, ihrums or
hose ends in ^um, or like a good Picture well painted and de-
signed; the Plot or Contfivement, the Design, the Wrüing, the
Cohris, and Counterplot, the Shadowings, toiÜi other E^Tibeüishments ;
or finally, it shu'd be like a well coniriv^d Garden, cast into its
Walks and Counterwalk^ , bettoixt an AUey and a Wildemess,
neither too plein, 7wr töo confas^d,"
Die allgemeine Anschauung seiner Zeit, die Ben Jonson
über Shakspere stellte, teilt Flecknoe. Er bemerkt über die
einzelnen Dramatiker : " To compare our EngUsh Dramaiick Poets
togeiher (unthaut taxing them) Shakespear exceUed in a nakiral
Münchener Beiträge z. romaniichen u. engl. Philologie. XXXIII. 6
Fetn, Fletcher in Wii, and Johnson in Gravüy and Ponderousness
of Style; whose only fatUt waSf he was too elaboraie; and had he
mixt less erudition wüh his Playes^ they had been more phasant
and deUghtful then they are. Comparing htm wUJi Shakespear you
shaü see the difference hetwixt Naiure and Art; and wiih Fletcher ^
ihe difference betimxt Wit and Judgment.'^^
Beaumont und Fletcher findet er ausgezeichnet in ihrer
Art ; nur wußten sie das Dekorum nicht zu wahren. Nament-
lich Fletcher wirft er nicht ohne Berechtigung yor, daß er
^t?uit loitty obscenity'' in seineu Stücken eingeführt habe, ^whick
like Poi^on infus*d in pleasant liqiwr, is akoays the more dan-
gerous the more delightftUJ^
Von den Dichtern leitet Flecknoe auf die Schauspieler
über, von denen er namentlich Field und Burbadge preist.
Der fanatisch puritanischen Richtung gegenüber, die das
Theater als Teufelswerk überhaupt verwarf, verteidigt es
Flecknoe warm als harmlose und unschuldige Erholung. Dar
bei wiederholt er seine schon früher ausgesprochene Forderung^
das Theater müsse moralisch und erzieherisch zu wirken
suchen. Zuletzt streift er noch das Regiewesen der Bühne
und schließt mit dem Geständnis, er habe sich deshalb so
über die moderne Bühne verbreitet, um anderen Gelegenheit
zu geben, sich ebenfalls, und eiDgehender als er, über die
Sache zu äußern.
XI.
Neuausgaben der „Charakterbilder'' und eine Sammlung
verschiedener Arbeiten.
Im folgenden Jahre, 1665, erlebt Flecknoe die Freude,
eine zweite Auflage der ^Enigmatical Charactcrs^^ ^) heraus-
geben zu können. Die „Charaktere" scheinen wirklich, und
zwar verdientermaßen, großen Anklang gefunden zu haben.
*) Sixty nine Eyiigmatical Char acter 8^ all very exactly drawn to the
Life. The Secand Edition by the Author R. F. Esquire. For W. Crook:
London, 1665. Entspricht inhaltlich genau der ersten Ausgabe.
83 —
denn der Autor sah sich veranlaßt, Doch im Dämlichen Jahre
eine nochmalige und diesmal stark veränderte Ausgabe des
Werkes erscheinen zu lassen. Der Titel lautet: ^^Äenig-
matical Characters. Being rather a New Work then New
Impression of tke Old. London 1665"
Ein Huldigungsgedicht an Karl 11. leitet das Buch ein.
Flecknoe scheint allerdings Grund gehabt zu haben, dem
König zu schmeicheln, denn, wie er mit Stolz im Vorworte
hervorhebt, haben seine ** Characters^* die Ehre gehabt, "to
have plea^ed crowned Heads.^* Femer erfahren wir an der
gleichen Stelle, daß der Herzog von Gloucester über sie
geurteilt habe, ^Hhat some of them were the best as ever ke
had read,** Flecknoe wiederholt sodann nachdrücklich seine
moralische und erzieherische Absicht, die er mit der Ver-
öflfentlichung des Werkes habe. Weiterhin erfahren wir,
daß sich viele Leser über die „Schlüssel' zu den einzelnen
Charakteren die Köpfe zerbrochen haben. Dazu sagt der
Autor, daß er niemandem den Gefallen tun wolle, die Namen
der Personen, die er im Auge gehabt habe, auszuplaudern.
Wer daher als Urbild dieses oder jenes „Charakters" eine
bestimmte Persönlichkeit nenne, tue es lediglich auf seine
Gefahr hin; er wolle nur soviel verlauten lassen, daß er die
Herzogin von Lothringen und ihre Schwester in eiDigen
„Charakteren" gezeichnet habe.
Mit der Widmung bekundet Flecknoe diesmal einen ge-
sunden Humor. Da die Herzogin von Lothringen, der die
erste Ausgabe gewidmet war, inzwischen das Zeitliche gesegnet
hatte, widmet nun Flecknoe die vorliegende Ausgabe einer
anderen Dame, die er aber nicht nennen will, da es dem
Wesen des ganzen Buches entspreche, wenn der Name ^^enig-
ffiatkal" bleibe.
Inhaltlich hat Flecknoe die neue Ausgabe um neun
Stücke vermehrt, und die alten neunundsechzig hat er teil-
weise umgearbeitet. Von den neuen „Charakteren" bietet
der eines ^*Mendicani Irish Priest** besonderes Interesse, sowohl
in kulturhistorischer Beziehung, als mit Rücksicht darauf, daß
sich aus dieser Tatsache ein Schluß auf Flecknoe's Nationalität
ziehen läßt. Wenn er nämlich selber so ein armer ^^mendicant
6*
— 84 —
Msh priesf- gewesen wäre, hätte er sich wohl kanm so de«
^ektierltch über diese Menschenklasse ausgelassen.
Das Stück läutet : ^^Hb goes otfer seas in tro^mes^ and ihere
turne heggar before he tums siudeni ; and learne the ari of oraving
hefore any other Art: By which he hrings aü the town where he
lims inio contributum for his maintenaneef one gwing kim viduals,
a/nother clothes, even io the devoiä honest cobbleTj who givee him
the mending of his brougs or shoea. If they he many of them^
they heg some old house or other (which they call a CoUegeJ and
there live together like so many heggar s in a ham; and to stir up
the people^s oharity and compaesum toward$ them, they teil ihem
ktmeniable stories of Irelandf and St. Patrieks Purgaioryf ft&hich
they helieve the sooner^ heeause they look like so numy poor fools come
out of it themselves,) Having thus provided for his other necessiUes,
he hegs his learning^ and having goi a few scraps of Laim togeiher^
is made Priest; when like a ragged coUj he changss his coat for
a> cassocky so old and threadbarey asH hos neither lining nor outside,
and yau wotM doubt wherever H were new or no. Then by re*-
commandation to some under-SacrisUmj Jie gets to say DirgeSy Inf
which and the candles endsy he picke up a prüty living, and is as
sure as the beggars of the parish to he ai every dole and funeral.
After thisy if he gel a Ghappel of some twenty Nobles a year^ or to
he under-Pater to some monastery of nims, he thinks himself a
bishop and very Patriarch; and if he chanoe to come to any higher
promoHon, he is gloriousy as all this is forgot, and in short time
himself tooj'
Von den übrigen neuen Stücken wären noch "O/" a
Chimerieal Poe^^ und ^^Of your fanaiic Refornwrs^ zu erwähnen;
das letztere ist gegen die Katholikenhasser gerichtet.
Die folgende Publikation Elecknoe's, die 1666 unter dem
Titel "j1 Farrago of Several Pieces", erschien, ist ein Sammelwerk
wie^ die *^Mi8cellama*\ Das Werkchen ist der Herzogin von
Newcaatle gewidmet, deren Gastfreundschaft und Unterstützung
Flecknoe lange genoß, wie er angibt. Auf der Besitzung der
Herzogin in Welbeck sei das Buch auch entstanden.
Im Vorwort erklärt er daim ausdrücklich, er schreibe
diese kleinen Sachen nur zum Vergnügen seiner Erevmde und
nicht für die Kritiker, die zu gescheit, oder für den Pöb%l,
— 88 —
fler zu dumm sei. ^^I pubUsh thism cnely for my friends, and
skould he sarry ihey shotüd cowie into ihe hands of any otherj*
'Br habe nicht den Ehrgeiz, sie in der fiodleiana zn seilen,
bemerkt er. [Das einzige Exemplar dieses Werkes, das iinir
bekannt wurde, befindet sich nun gerade in .der Bodhiana.]
Wenn andere Leute fttr den Nachruhm sefarieben, so .schreibe
er nur, um nicht schon bei 'Lebzeiten für tot .zu gelten.
'^ When I am dead^ let posterity ditpose of my memory as it pleases.
Älwe, 1 deaire to live uMi this r^puktHon, of .conaennng an tn-
vidable faüh unio my friends, a loyal heart to my prinee and a
good conscienee to Almighty Qod^
Das Buch beginnt mit eiuem aufierordentlich geechmack-
lostti • Gedicht auf die Schwangerschaft der Königin, dem ein
eben «olöhes auf ihre Fehlgeburt folgt. Beide sind in heroic
eouplets abgefaßt. Weiterhin finden wir eine Reihe von Ge-
legenheitsgedichten zum Preise «einer Gastgeber in Welbeck.
So: ^^To Jan US. Becomfnending Welbeck to him, On Newyean^
day 1666.'' ^^On the Dtächees of Netoeastles CtosetJ' ^,On Wel-
beekJ' **The Birth-Day.*' Diese -Stücke zeichnen sich durch
'fade, übertriebene Schmeicheleien und durch Mangel an dich-
terischen Qualitäten in gleicher Weise aus. Li den späteren
Sammlungen von 1670, 1671 und 1673 finden sie sich zum
größten Teile wieder. Auf die Yerse folgt dann eine schwülstige
Verherrlichung in Prosa: ^TJie Pourtrait of Margaret Dutckees
of Newcastle^\ in welchem Stück die Herzogin besonders als
Dichterin und Philosophin gepriesen wird.
Der Baronin Bromley erteilt er dann gute Batschläge
•über Erziehung. Eine Hauptsache sei die Wahl richtiger
-Erzieher. Man solle dazu lieber kluge als gelehrte Leute,
lieber Gentlemen als Pedanten und lieber erfahrene Männer
ab Bücherwürmer wählen. Vor allem aber müsse der Er-
zieher tief religiös sein, denn ee gingen mehr Seelen aus
Mangel an guten Erziehern als Kinder durch schlechte 'Heb-
ammen zugrunde.
In einem weiteren Stück spricht er in faden Gemein-
plätzen über die Wahl eines Weibes. Nachdem er sich dann
noch *^0f Benefifs^' verbreitet hat, schiebt er eine Beihe von
^Charaeier^' eio. "0/" one who ehanges day into nigh(\ ^^Of
— 86 —
a French Taylor", ^^Of an Old Bachelor'', *'0f a Wife in QeneraT
und "0/* an Excellent Wife'\ In ^^Ofyour new Irreligious Order^
zieht Flecknoe sehr scharf, aber nicht ohne Witz, gegen die
Ausschweifungen seiner Zeit los.
Nun folgt ein "Essay of History, and how it is io he
tüTÜten'', der statt selbständiger Gedanken fast lauter Geniein-
plätze enthält. Geschichte müsse wie eine würdige Matrone
dargestellt werden, reich, nicht prunkend; anständig, nicht
phantastisch. Man darf nicht bloß Handlungen berichten,
denn das tun auch die Zeitungen ; man muß die inneren Be-
weggründe dieser Handlungen aufzeigen. Ein Historiker muß
daher richtiges Urteil besitzen.
Im nächsten Aufsatz ^ Of Musick and Poetry" beklagt es
Flecknoe, daß Musik und Dichtkunst nicht mehr wie in alten
Zeiten innig miteinander verbunden seien. Hieran schließt
sich der hier wieder abgedruckte, schon bei den "Misceüania"
behandelte "Discourse of Langttage".
Das folgende Stück " Of Noble Wonien" ist in mehrfacher
Hinsicht interessant. Flecknoe gesteht: "I know not under
what consteüation I was bom, (hat ü hos always been my Fortune
to live anwngst the best and noblest of womankind; bui I am
sure, it hos been a happy and fortunate one for me^ for there I
have seen nothing but honourable and vertuous; there as in a
Safictuary I have lived, protected from the vices of the tinie; and
there (if any where) I have found tliat saying true, thai if vertue
could be seen müh mortal eyes, H would ravish all unih admiration
and reoerence''
Nach einem moralisierenden Stücke "Of Uwse who glory
in their vices" kommen sodann zum Schlüsse zwei Briefe an
eine mit dem Decknamen "Theotima'' bezeichnete Persönlich-
keit, die so etwas wie ein geistlicher Berater Flecknoe's ge-
wesen zu sein scheint. Im ersten Brief " Of Religion and Qood
Life'' spricht sich Flecknoe gegen die zahlreichen Sekten und
Glaubensmeinungen aus ; die hätten nicht die Wahrheit, denn
nur der alten Kirche habe Christus versprochen, daß er bei
ihr bleiben wolle bis ans Ende der Zeiten. Er schließt : ^^Let
US hold firm unio the old, which our Saviour hiniself hos instituied
and taught us, who says of himself, that he is the Way, the TruÜi
— 87 —
and the Life; the Way, in which we cannot erre; the Tnäh, hy
which we cannot he deceived; and the LAfe, in which and hy which
we are to live etemally^
Der zweite Brief enthält die Antwort auf den Bat seines
Frenndes, doch Bücher über religiöse Dinge zu schreiben.
Flecknoe dankt "Theotimd^^ für die gute Meinung, die er
über ihn hat, da er ihn für fähig halte, derartige religiöse
Bücher zu verfassen. Aber wo finde man Leser dafür?
Kein Mensch wolle geistliche Schriften lesen. Es gäbe
übrigens schon religiöse Werke genug; möchten doch die ge-
lesen und befolgt werden! Weiterhin meint Flecknoe, die
Leute hätten mindestens ebensoviel Moral wie Religion nötig,
und man solle zuerst das Laster und den Unglauben aus den
Herzen reißen, ehe man ihnen Tugend und Gottesfurcht ein-
pflanze. Darauf schließt Flecknoe: ^*This then is the toay,
Theotima, which I have taken, which 1 find hut approved hy you,
I shaU vnth the more cheerfulness pursue it, and ghry in the title
of being
Your devoted Servant and Convertit.
Im gleichen Brief beteuert er auch "/ thank God, I am
still constant io my firsi principles'\ Dieses Schreiben liefert
uns also den Beweis, daß Flecknoe wohl schon in der Jugend
zum Katholizismus übergetreten sein muß. Die immerhin auf-
fälh'ge Tatsache, daß Flecknoe in allen seinen Schriften nie
von seiner Heimat, seinen Eltern, Geschwistern usw. ein
Wörtchen verlauten läßt, ist vielleicht daraus zu erklären,
daß er sich infolge seiner Konversion von seiner Familie
lossagen mußte.
XII.
Anlehen bei Moliire.
Im nächsten Jahre, 1667, erschien dann wieder ein neues
Stück unter dem Titel: "T/te Damoiselles a la Mode,
A Comedy^^^), das Flecknoe dem Herzog und der Herzogin
*) Compos'd and Written hy Richard Flecknoe, London: Frinted
for the Äuthor, 1667. 8^. 124 S.
— 88 —
mnjNaiwoaatle widmate. Die .Quellen, deneu er den Stoff Munt-
.nubm, ^bt der Autor in der Vorrede eelber an. Das Lustspiel
ist einfach eiue Compilation dreier Stücke vonMoU^re. ^^This
Gomedy!^ sagt Flecknoe, ^^ü taken out of mmol Uoooelimi Pieeea
ofMoUere. The mam plai of ihe DamoiaüUsoviofhis Preoieuaes
JSidiindes; ihe Oountsrplot of Sganartüe, out of his Eseok des
Jmnmäs, and out qf ihe Eacole des Maryß, the two Natarak"
iESr Jiabe .aber das .alles nicht so direkt .herübergenommen,
^fpaateht iFlecknoe, so «tlaB er kein Verdienst mehr daoan hätte ;
jiondam wie die Biene habe er den fremden Stoff gesanmielt
und dann .ndt seinem eigenen Wesen durchtr&nkt. Er habe
daher nicht bloß übersetzt, sondern das Stuck mit wirklich
eoglisohem Geiste zu erfüllen gesucht.
In einer Einleitung^ die Flecknoe dem Stücke voranstellt,
läBt er sich zwei Theaterbesucher über das Stück unterhalten.
,^at er ^ne Partei für sich?^' irägt der eine. „Wenn
jüemand sein Stück hinaufschreit, wird es sicher nieder-
geschrien, bevor noch der Vorhang gezogen isf „Was das
anbelangt,'' meint der andere, „so ist er ein sonderbarer
Kauz, der keiner Partei seinen Erfolg danken und lieber auf
eigenen Beinen stehen, ak auf fremden Stelzen gehen wilL''
Nach dieser captatio benevolentiae verteilt Flecknoe die
S<>llen des Stückes wieder an Schauspieler, um dem phan-
tasiebegabten Leser die Aufführung teilweise zu ersetzen.
Diese Naivität läßt er sich nun einmal Jiicht nehmen. Die
Aufstellung lautet:
The RepresenterSf
The Persons Represenied as they were first
design^d
Bonhomme, Fathei' to the Damseis Cartivright
Valerio, i In love with Isabella C, Hart
Ergasto, \ His fründ W, Winterioti
Du Buisson i ., ., , ,, Buri
^ s ^uitors unto mevi ^ r^ • .
La Fleur \ E. Kemnston
Sganarelle, Guardian to Isahelle J, Lacy
Marquis Mascarillio ( m t ,. . , ^' Moon
ComtJodeUt j^Two Laqueys d^sgu^sed j^shatterel
IsabeUa, a uritiy Damoiselle Mrs, IhUkr
^
— 89 —
The Bepresenters^
The P'&rvons Represenied as they^were fit^&i
de9ign*d
MJk [ ,^^ 1 .Dammsellea a la Mode The Two Marshak
1 Anne j
Jjysetie, ihe DamoiseUes^ waüing Woman Nd Guin
Two Naktral Foals, Sganafelk^s Eomekeepera Alexander & W^
hrdham Baimon
Tuio Ghair'Mm; Qenikmen & Ladies for the
BaU
The Seene: Paris,
Die ^Kompilation ist im allgemeineii ^b eine aiemlich
glückliche und gelungene zu bezeichnen, wenn auch eine iÜbev-
ladung eintreten mußte. iPlecknoe hat es yeP8tanden, die drei
^^rerachied^neu Moli^re entnommenen Motive zu einem neuen
•Gmizen zu komponieren. Dabei ist er von «einer Vorlage
•«ehr weuig abgewichen. Das ''^Englishmg*\ von dem Fleobnoe
«pricht, bezieht sich nur auf die stark vergröberte Sprache
•und auf «pezifisch englische Einzelheiten. Einige Szenen der
Moli^re'schen Stücke bat Flecknoe zusammenziehen müssen,
qnn nicht gar zu weitschweifig zu werden, aber sonst hat er
6i«ih sogar an die Szeneneinteilung seiner Vorlage gehalten.
«Die Namon 'hat er teilweise abgeändert; aus den Bdelieuten
'Ija Grange und Du Oroissy hat er einen Du Buisson und
einen La Pleur gemacht, und die pretiösen Fräulein Madeion
und 'Cathos hat er in eine Anne und eine Mary verwandelt.
Die Art nnd Weise, wie Flecknoe die entlehnten Stoffe
^u einem neuen Ganzen verwob. zeigt am besten die Inhailts-
angabe des -Stückes.
Bonhomme besucht mit seinen Töchtern Anne und Mary
figanarelle und dessen Mündel Isabella. Dabei tauschen die
'beidoi Vettern ihre verschiedenen Ansichten über Erziehung
aus. Während Bonhomme für eine vernünftige Freiheit seiner
Töchter eintritt, ist Sganarelle für ständige Überwachung und
läßt Isabella 'nicht einmal ihre Cousinen fortbegleiten. Dafür
muß er sich dann selber unbewußt zum Liebesboten zwischen
«einer listigen Mündel und ihrem Geliebten Valerie hergeben.
— 90 —
Den Töchtern Bonhomme's werden unterdessen Ton den beiden
Edelleuten Du Buisson und La Fleur ehrende Heiratsanträge
gemacht, welche die jungen Damen jedoch, als dem Ceremoniell
des Pretiösentums zuwiderlaufend, entrüstet zurückweisen.
Die gekränkten Freier senden nun ihre Lakaien als Marquis
Mascarillio und Graf Jodelet verkleidet zu den Fräulein, die
von den pretiösen vornehmen Herren ganz entzückt sind
und für sie sogar eine Tanzunterhaltung veranstalten, wozu
sie die Nachbarn und ihre Base Isabella, die aber nicht er-
scheinen darf, einladen. Inmitten des Tanzvergnügens treten
nun plötzlich Du Buisson und La Fleur mit dicken Knüppeln
auf, reißen ihren Dienern die Verkleidung herunter und prügeln
sie zum Entsetzen und zur Beschämung der pretiösen Fräulein
tüchtig durch.
Während dieser Vorgänge im Hause Bonhomme's be-
schließt Sganarelle, seine Mündel schon am folgenden Tage
zu heiraten. Durch eine neue List gelingt es Isabella aber,
ihren verhaßten Vormund zu täuschen und zu Valerio zu
fliehen. Sganarelle, der infolge einer weiteren Überlistung
auch seine Einwilligung zur Heirat des jungen Paares gegeben
hat, muß zum Schaden auch noch den Spott Bonhomme's
ertragen. Dessen Töchter sind durch die Lektion, die ihnen
ihre Freier erteilt haben, nun vernünftiger geworden und
reichen den beiden braven Edelleuten die Hand zum Ehebunde.
Das derbkomische Element des Stückes vertreten die
zwei ^Natural Fools^\ die Moliöre's Alain in der t&ole des
Fjßmmes* nachgebildet sind. Sganarelle hat sie in seinen
Dienst genommen, weil er glaubt, daß sie zwar sein Haus
gut bewachen könnten, aber zu dumm seien, um etwas zu
stehlen oder davonzulaufen. Natürlich machen sie stets alles
verkehrt und geben zu mancher komischen Situation Anlaß.
Das Beste ist wohl die Szene, in der Sganarelle ihnen aufs
dringendste einschärft, ja niemand einzulassen. Um sie zu
erproben, dringt er nun selber ein und wird von ihnen unter
der Tür seines Hauses arg durcbgebläut.
Auch bei diesem Stücke muß sich Flecknoe wieder ent-
schuldigen, daß er es drucken ließ, ohne daß es vorher auf-
geführt worden wäre. In besonders naiv-drolliger Weise
— 91 —
schiebt er diesmal die Schuld den Theaterdirektoren in die
Schuhe. Er sagt: *^For ihe acting it, tkose who have ihe Go'
veming of the Stage^ have iheir Humours, and wou'd he ivireated;
and I have mine^ atid wo^nt inireat them; and were all Dramatick
Wriiers of my Mind, they shau^d wear iheir old Playes thredbare,
ere they shmCd have any new, tül they better understood their own
Inieresty and how to distinguish beiwixt good and had^
Das Stück scheint übrigens umgearbeitet und später dann
aufgeführt worden zu sein, wie aus einem ^Prologue for the
revival of his Damoiseües a la Mode, acted hy his Majesties Ser-
vants" hervorgeht, der auf S. 74 f. der '^Epigrams'' Ton 1670
enthalten ist.
xin.
Davenant's Reise ins Jenseits.
Das Jahr 1668 brachte wieder eine VeröflFentlichung
unseres Autors, die, so unbedeutend sie an sich ist^ doch für
Flecknoe ganz charakteristisch genannt werden muß. William
Davenant, der bedeutendste Dramatiker seiner Zeit, der für
die Wiederbelebung des englischen Theaters nach der puri-
tanischen Unterdrückung erfolgreich tätig war, hatte eben das
Zeitliche gesegnet. Unser Flecknoe wußte nun nichts Eiligeres
zu tun, als über diesen Mann, den er sonst hoch verehrte,
wie aus vielen Bemerkungen ersichtlich ist, ein pietätloses
Pamphlet mit dem Titel: "Ätr William D^avenant^s
Voyage to the Other World: With his Adventures in the
Poets Elizium. A Poeiical Fiäion" ^), zu schreiben, das er für
ungemein geistreich hält.
Schon das Vorwort ist so bezeichnend für die freiwillig
und unfreiwillig humoristische, gutmütig-beschränkte Persön-
lichkeit des Verfassers. Er beginnt mit dem schönen Ge-
ständnis: ^^Iwrite ordy for myself and private friends ; and none
prints more and publishes less then I: nor had I prinied thiSj bat
only to let you see how Innocent it ie, which others make so
») Lmdon, Printed for the Au^un-, 1666, 16 S. »>.
'Griminaiy Weib&thin gesteht er, daß er sich (Jfters Aber 'die
<Welt lustig mache, da er nicht einsehe, warnm er sidi über
sie betrüben solle ! und weshalb er sich nun gerade über
diesen Bayenant und keinen anderen lustig nmchB? Nun, das
ist sehr einfach, — ^eil ihm eben gerade "kein anderer ein*
iällt, und sonst aus keinem Grunde I So yersichert uns 'Herr
Flecknoe ganz gleichmütig.
Darauf beginnt er die Erzählung von Davenant^s Reise
in die andere Welt damit, daß er Davenant's Tod konstatiert.
Xein Dichter habe dem Dahingeschiedenen eine Elegie ge-
widmet. Nur einer, barmherziger als die anderen, habe ihm
folgendes ins Grab nachgesungen:
^^Now Davenant's dead, ihe Stage ivill mourn,
And all to Barbarism turn:
Since he it was this latter Age,
Who i^iefty cMhx^d Mm Stage,
Great was his Wit, his Fancy grecU,
As eVe was any Foets yet:
And more Advantage none eV made
OHK Wit and Fancy which he had,
Not only Ikddkts' Arts he knew,
But even Promethius' too:
And living Machins made of Men,
As well as dead ones, for ihe Seene,
And if ihe Stage ar Theatre he
A Utile World, Hwas chiefly lie,
That Atlaslike supported it,
By foi'ce of Industry afid Wit.
All this, and more, he did beside,
Which Jiaving perfected, he dy^d:
If he may properly he said
To dyy wliose Farne will ne'er he dead"
Dieser eine, der Torstehende satirisch empfundene banale
^Reimerei yerfaßte. ist aber niemand anderer als unser Flecknoe
selber. In der Ausgabe seiner Epigramme von 1670 steht
das Gedicht auf 8. 67.
Nun fängt die eigentiiche AufzäUung der Abenteuer
DaYenant's im Jenseits an. Grleich bei den Beamten des
Parnaß, die zu entscheiden haben, ob jemand in den Dicfatee*
himmel eingelassen weiden dürfe oder nicht, geht es nicht
ohne Umstände ab. Als Davenant sagt, er sei ein ^Herakk
Foei" gewesen, da fmgeo sie ihn, warum er denn kriner ge-
blieben wäre? Als er fortfährt, er sei auch ein. Dramatiker
gewesen, da erwidern- sie ihm, warum er d^m auch, diese
Tätigkeit dem Gelderwerb zuliebe aufgegeben hätte? Zuletat.
bringt er vor, er sei sogar Foeta^ laureatue gewesen; Da lachen^
die Herren aus vollem' Halse und meinen,, der Lorbeer sei;.
noch nie wohlfeiler gewesen.
A^uch bei Charon kommt Davenant nicht ungesohoren
durch* Der hatte nämlich gehört, der Dichter sei sehr reich,,
ein Umstand, den er gleich zu seinem Vorteil auseoniitzeu
gedachte. Aber als es zum Zahlen kam^ da* hatte der arme
Davenant kaum den unerläßU<dien Obolus^ was den Fährmann,
der Unterwelt so ergrimmtC) daß er den Dichter über den.
Sfyx. wieder zurückfahren wollte.
Wie Davenant endlich glücklich im Foetenhimmei anlangt;
findet er bald zu seinem Schrecken, daß er nur vom Begea
in die Traufe geraten ist. Er wird von seinen Dichterkollegen,
sehr ungnädig aufgenommen, da er sie zu seinen Lebseiteui
alle irgendwie erbost hat. Sogar sein Fate ShaJc^oere, den.
er fuff' seinen größten Freund hielt, ^uhzs as much offtnded with
him as any of the resU for sa spoiUng and mangUng of his
Playes,*^ Ein anderer Rottet Davenant mit lächerlichen
Staten aus seinem !E^8> „Glondibert^ aus, was den Armen.
80 in: Wut' bringt, daß sieh die zwei in die Haare geraten*
Die kemischen Dichter nehmen dann Davenant in die Mitte,
schließen einen Ring um ihn und verhöhnen ihn abwechselnd.
Plötzlich* packen ihn jedoch Fluto's Gendarmen und führen»
ihn vor den Bichterstuhl des Minos, Aeaeus und Rbadamantbusy
wo Momus als Staatsanwalt fungiert. Man fragt ihn da zuf-
erst nach Bang und Stand. Davenamt erwidert^ er sei poeta
laureatua und ä&t größte Dichter seiner Zeit; Seine Hyperbeln
sei«» soweit wie möglich hergeholt, und "caneeäs^* könnei
er machen^ wie kein anderer. In der Tlragödie^ TragäomödiB
— 94 —
und Komödie sei er Meister, und in seinem Stücke ^The Siege
of Rhodes" übertreffe er sowohl die antiken wie die modernen
Dichter.
Darauf liest ihm aber Momus ordentlich den Text. Seine
eigenen Stücke seien YoUer Mängel, und was noch schlimmer
sei : er habe mehr gute Stücke anderer Leute verdorben, als
er selber geschrieben habe. Seine Hyperbeln und Vergleiche
seien nichts weniger als lobenswert. Seine Phrasen klängen
um so geschwollener, je leerer sie wären. Sodann mache er
stets so viele Parenthesen, daß sich kein Mensch mehr in
seinem Unsinn auskenne. Was seine Lebensführung anlange,
so wolle er lieber schweigen; man kenne ja seine Aus-
schweifungen zur Genüge. Nur seinen Stolz wolle er noch
rügen; er habe keinen angeredet, der nicht mindestens ein
Lord gewesen sei.
Trotz dieser scharfen Anklagerede des Momus lassen
aber die Richter doch Gnade für Recht ergehen, und Dave-
nant wird nur verurteilt, am Hofe der Proserpina und ihres
finsteren Gemahls den Spaßmacher abzugeben. Li diesem
Amt weiß er sich bald so einzuschmeicheln, daß er rasch
vom Hofnarren zum maitre de plaisir an Pluto's Hof be-
fördert wird. Und so geht es ihm denn, meint Plecknoe,
auch in der Unterwelt nicht schlechter, als es ihm früher auf
der Oberwelt ergangen war.
Das Postskriptum zeigt uns Plecknoe in neuer Beleuchtung.
Im Gefühle seiner Macht und Würde bietet er den Schau-
spielern des Lincolns-Inn-Fields-Theaters vorliegendes Pamphlet
mit dem Bemerken dar, es sei doch viel harmloser aus-
gefallen, als man ihnen vorgemacht habe. Wenn es ihnen
aber trotzdem nicht gefalle, so müßten sie bedenken, daß sie
ihn nicht kränken dürften, da er gerade so gut gegen sie
wie für sie schreiben könne. Diese Drohung wird aber den
Schauspielern wohl keinen allzugroßen Schrecken eingejagt
haben.
J. Maidment und W. H. Logan, die Herausgeber der
dramatischen Werke W. Davenant's in der Sammlung ^Dror
maiists of the RestoraiwrlP, urteilen in der Einleitung zum ersten
Bande über Flecknoe's Pamphlet: ^Än eniire ahsence of wü
— 96 —
ckaraeUrixes this effuMon^ which was no doubi intended io he
immensely satirical" Da das Pamphlet dem Ansehen Dave-
nant's ja doch keinen Eintrag getan hat, so hätte das Urteil
wohl um eine Nnance milder ausfallen dürfen. Man mag die
Auslassung Flecknoe's geschmacklos und taktlos nennen;
der Ausdruck: ^An entire absence of wif^ geht doch etwas
zu weit
XIV.
Eine neue Sammlung lyrischen Inlialts.
Zwei Jahre später, 1670, trat dann Flecknoe wieder mit
einer Sammlung lyrischer Erzeugnisse an die beschränkte
Öffentlichkeit, wie man bei ihm wohl sagen muß. Das Werk
trägt den Titel: ^Epigrams of all Sorts, made ai Divers Times
on Several Occasions,^^ ^) Gewidmet ist es allen adeligen Gönnern
des Autors. Das ebenso naive wie bezeichnende Geständnis,
daß niemand weniger yeröffentliche und mehr drucken lasse
als er, wird hier von Flecknoe mit dem Hinzufügen wieder-
holt, daß er eben nur für sich und seine ^Personal Friends^^
schreibe. Doch es kommt noch drolliger. Der Hauptgrund,
warum er dichte, gesteht Flecknoe diesmal zu, liege darin,
daß er nicht vöIUg müßig gehen wolle. Und wie andere
schrieben, um nach ihrem Tode fortzuleben, so schreibe er,
um etwas von sich hören zu lassen und nicht schon bei Leb-
zeiten für tot zu gelteo.
Weiterhin verbreitet sich Flecknoe in der Widmung über
das Epigramm, das sich so gut für seine Zwecke eigne. Auch
der ständige Ausfall auf die obszönen Dichter fehlt nicht.
Fast sämtliche Gedichte der ersten zwei Bücher der
Sammlung verherrlichen Freunde, Gönner und Gönnerinnen,
oder sind Gelegenheitsgedichte. Wenn sich in ihnen auch
zuweilen so etwas wie poetisches Gefühl bemerkbar macht,
so wirken doch die vielen Übertreibungen, der Mangel an
*) London: Ptinted for the Author, and Will Crook^ at the Green-
dragon^ without Temple-bar, 1670, 93 S, 12^,
— 96 —
Tiefe, die ewigen Gemeinplätze und die manirierte Sprache
auf die Dauer unerträglich. Der Inhalt der Gedichte ist,
wie sich denken läßt, meist unbedeutend und niohtesagend^
oft geradezu albern.
Unter anderen dichtet Flecknoe den Herzog von Moi>-
m/oath, den Herzog und die Herzogin von Newcastle, Sir
William Dewcy, Lord Henry Howard von Norfolk, Prine
Gosmo von Toskana, den Herzog von Albemarle, die Prin-
zessin von Arenberg, Lady Audley, die Herzogin Mary von
Bichmond, Mrs. Stuart u. v. a. an. Eines dieser vielfach
schon in den ^Eerokk Portraüs^^ 1660 veröffentliehten Ge-
dichte sei zitiert, weil es in mehrfacher Weise typisch ist:
"7*0 his Royal Highness^ the Duke of York, re-
iurning from our Naval Victory, Anno 65,
More famous and more great ikan eVe
Caesar or Alezande)' were!
WJw hos both done and mädone too,
What tJiose great Ileives could not do.
Till Empire of the Seas we get,
Ko victory can he compleal:
For Land and Sea makes hui one Ball;
They had hut lialf, thou hast it all,
Great Prince, the glory of our duys,
And utmost hound of human praise!
Increast in stile, we well may call
Thee noiv the whole worlds Admiral,
Whilst mighty Charles uith Trideni Stands,
And like some God the Sea commands,
Having so gloriously dercoine^
What 710W retnains hut to come home,
And fixed in our British SpJier,
Shine a hright Constellation ther?
More fa?nous and moi'e great tJien e^re
Caesar or Alexander were/^^
Man bedenke bei dieser plumpen Anhimmelung den
kläglichen Ausgang dieses Seekrieges (1665 — 67) für England!
Einen besonders lächerlichen Eindruck maehea die Ge*
— 97 —
legefibeitogedichte über unpasaeiide und geachmackloseTheaMB
wie: ^On ihe Lady ßoehingham^s Nursmg her Cküdren her9elf^\
oder ^On the Equal Mixiure of Blood and Water, after letting Nood
of MUe de BeauvaisJ^ Das letztere, weil kürzer, sei zitiert:
^QtiesUon: Of ^ü jvst mixiure and equaliiie,
Of waier and blood j what shv!d ihe reason he ?
Answer: The reason^ s deaVy foreed to pari unth her,
Each ,drop of blood far grief did sÄerf a tear,^
Interessanter ist das dritte Buch dieser Sammlung, das
^Theatrical Poems** enthält. Das Gedicht auf Davenant
wurde bereits erwähnt. Auch der 1667 zu Chertsey ver-
storbene Abraham Cowley erhält einen Nachruf, der von dem
Hufe dieses Lyrikers bei seinen Zeitgenossen zeugt. Die
Verse lauten:
^On Mr. Abraham Cowley.
Cowley*8 not dead, immortal is his Muse,
Or if Iie be, a Phoenix he*s beconie;
Who unique in his kinde^ his life renues
By animating's Ashes in his Tomb"
John Dryden, dessen berühmte Satire ^Macflecknoe" ihj»
später ein ewiges Brandmal aufdrücken sollte, widmet unser
Autor folgende vpn abgedroschenen Gemeinplätzen strotzendß
Lobeshymne :
^To Mr, John Dryden.
Dryden, ihe Muses* darling and delight,
Than whom none ever flew so high a flight,
Some have their veins so drosie, as from earth
Their Muses only seem io have ta*n their Mrth.
Others but Water-Poets are, have gon
No farther than io tK Founi of Belieon :
And theyW but aiery ones, ufkose Muse soars up
No higher than to Mouni Pamassus* top;
Whilst thouj unth thine, dost seem io have mounted higher,
Than lie who feicht from Heaven Celestial fire;
Ami dost as far su/rpass all others, as
Fire does all oiher Elements surpass.'
Mttnchener Beiträge z. romanischen n. engl. Philologie. ZXXIII. 7
— 98 —
Dieses Oedicht, das ja formell wie inhaltlich gleich minder*
wertig ist, beweist wenigstens, daß Flecknoe ein Bewunderer
der Dry den 'sehen Muse war, und Dryden in dieser Hinsicht
keine Veranlassung bot, ihn anzugreifen. Freilich besagt
diese Bewunderung der Kunst Dryden's für den Geschmack
Flecknoe's sehr wenig , da unser Autor allzusehr gewöhnt
war, alle Welt anzusingen und zu preisen.
In einem anderen Gedichte dieser Rubrik verbreitet
sich Flecknoe über den Unterschied zwischen den Dramen
seiner Zeit und denen früherer Dichter. Die älteren
Dramatiker, sagt er, wußten ihren Stücken etwas zu geben,
das die Zuschauer hinriß. Die heutigen Dichter wissen
aber nur mehr HiglU conceits'^ zu drechseln, die alle Welt
kalt lassen.
Er schließt:
"So hard H is now for any one to tvriie
With Johnsons fire, or Fletchers flame and spright:
Much less inimitable Shakespears way
Promethian-like to animate a play.^
Wie man sieht, gelingt Flecknoe doch auch zuweilen eine
gelungene Wendung, und der Ausdruck: ^Promeihian-like to
animate a play^, mit dem er das Schaffen des Shakspere'schen
Genius bezeichnet, würde auch einem Größeren als Flecknoe
noch Ehre machen.
Ehre macht ihm ebenfalls sein auch hier, und zwar be-
sonders stark, ausgesprochenes Bestreben, der ünmoralität der
damaligen Bühne entgegenzutreten. Überaus kräftigen Aus-
druck verleiht er seinen Gefühlen in dem Gedicht: "/n your
scurrüous and obscene Dramatick Poets", das mit den Versen
beginnt:
"Shame and dwgrace o' ik' Actors and the Äge,
Poet mare ß for tW Brothel than the Stage I
Who makes thy Muse a Sirumpetj and »he ihee
Bawd to her litst, and so you well agree"
In einem weiteren Gedichte nimmt er dann Abschied
von der Bühne, für die er nicht mehr schreiben wolle, weil
sie ihm zu schmutzig geworden sei.
— 9» —
Aus einem Ver8stück: ^Prologue, intmded forhis Physitian
againsi his WUr geht jedoch hervor, daß Flecknoe jeden-
falls noch im Sinne hatte, eine Farce mit diesem Titel zu
schreiben. Ob er aber seine Absicht bei seiner jetzigen
Stimmung gegen die Bühne wirklich ausgeführt hat, und ob
die Farce eine Übertragung von Moliöre's «Le mededn malgre
luh sein sollte, wie Langbaine aus naheliegenden Gründen
vermutet, ist nirgends zu ersehen.
Die vierte Abteilung Gedichte benennt sich: ^Facetiaus
and droUing Epigrams^\ Diese humoristisch sein sollenden
Epigramme gehören mit zu den schwächsten Leistungen
Flecknoe's; sobald er witzig sein will, gelingt es ihm nicht.
Die Gedichte weisen auch kaum eine Spur wirklichen Humors
auf, und stellen meist recht fade und temperamentlose Knittel-
verse dar.
Dem Bande ist sodann noch eine kleine Sammlung reli-
giöser Gedichte unter dem Titel ^Epigrams Divine and
Moral, dedicaUd to Her Majestf/\ beigeheftet. Dieser Anhang
hat eine eigene Titelseite und keine Paginierung.
In der Einleitung hiezu setzt Flecknoe auseinander, daß
er dem König Johann IV. von Portugal, dem Vater der
Königin von England, zu großem Danke verpflichtet sei. Dies
habe er ihr, seiner Tochter, schon kundgeben wollen. Da er
aber in gänzlicher Verborgenheit, fern ^from the light of Ckmff\
lebe, so wage er als bloße Null nicht, ihr seine persönliche
Aufwartung zu machen. Andere Geschenke als seine Ge-
dichte könne er ihr aber nicht machen, weshalb sie mit ihnen
vorlieb nehmen möge.
Nun, der Wille war jedenfalls gut. Aber die rein reli-
giösen Themata, die Flecknoe da in schlechten Versen be-
handelt, haben durch die dichterische Form nicht gewonnen.
Es sind kalte Gedichte, ohne Tiefe und poetische Inspiration,
die handwerksmäßig in schlechte Verse gebracht sind.
Dieses Buch „Epigramme** scheint aber trotz allem bei
Flecknoe's Freunden Anklang gefunden zu haben, denn bereits
im folgenden Jahre, 1671, gab der Autor eine neue, veränderte
Auflage heraus unter dem Titel: ^^Epigrams of all Sorts,
7*
— 100 —
at several times, on severcd ocoasions. Being rcUher u New
Work, ihan a New Impression of the Old,^* ^)
In der Vorrede entschaldigt der Verfasser diese neue
Ausgabe damit, daß alle, welche die Poesie lieben, sieh des
Dichtens so wenig enthalten könnten, wie der Wassersüchtige
des Trinkens. Flecknoe scheint demnach seine Diditwut fSr
«ine Art Krankheit zu halten. Ebenso solle man sich über
sein fortwährendes Umändern und Verbessern seiner W^ke
nicht wundem, meint er weiter, da ja nichts in der Welt voll-
kommen sei, sondern alles der Verbesseruog bedürfe. Auch
solle man keinen Anstoß daran nehmen, w^m er manchmal
Leute verherrlicht habe, die es nicht verdienten. Er mache
es eben wie die Biene, die den Blumen bloß den Honig ent-
nehme, während sie alles andere der Spinne überlasse. Auch
seien seine Produkte nur für die Tasche und das stille
Kämmerlein berechnet; die Bibliotheken und Salons mögen
andere Autoren mit Beschlag belegen ! Soweit die, wie stets,
humorvolle Einleitungi die diesmal viel mehr Bescheidenheit
als sonst atmet.
Das erste Buch der neuen Ausgabe enthält lauter un-
verGffentlichte Gedichte. Darunter seien erwähnt eines auf
den Herzog George von Buokingham^ femer Gedichte auf
den Earl James von Northampton, auf den Tod der Herzogin
Henriette von Orleans, und eines, das darauf schließen läßt,
daß Flecknoe's Gönner sich nach und nach von ihm zurück-
zogen, so daß ihm seine Existenz erschwert wurde. Einem
Sir Edward Gage teilt Flecknoe nämlich seine Absicht mit,
die Welt zu verlassen, die täglich schlimmer und herzloser
werde, und schließt:
"/ ihen who formerly observ^d kave been
Never to talk but of some King or Queen,
Nor in disoourse ever io have Tnenüon made,
Biit of what stich a Duke or Dtüehess said,
Whilst all my chiefeet study was to know
The best and nablest of this world below;
») London, PrinUd for the Author, 1671, 8^,
— lai —
Am now resolv'd to study^ in some Celi,
Those of the oiher toorld to know as weU,
Thai whilat Fm known enough to thoae are here,
I may not die unknoum to those are tkere;
But may before I die so happy he,
To leave the worldy before the workt leaves nteJ*
Der Entschluß scheint ihm aber trotzdem so schwer ge-
worden zu sein, daß er ihn nicht ausführte.
Ein anderes Gedicht dieser Abteilung verdient sowohl
wegen der neckischen Grazie, die es auszeichnet, als auch
wegen der damals sehr bekannten Persönlichkeit, auf die es
gedichtet ist, eine besondere Hervorhebung. Es ist das auf
die Schauspielerin Nelly Gwyn gemachte Gedicht ^On a
little pretty Person**:
"SÄ6 is pretty, and ahe knows it;
She is loitty, and she shews it;
And besides that she's so tvitty
And so little and so pritty,
She has a hundred other pcerts,
For to take and conquer hearts;
'Mongst the rest her Ayres so sprightful,
And so pleasant and delightful^
With such Charm and such Attraction,
In her words and in her action,
As whoe*r does hear and seCy
Says there^s none does charm but she;
Yet who have her in their anns,
Say she *as hundred other Charms,
With as many more Attractions ;
In her ivords and in her actions,
But for that suffice to teil ye
'Tis the little pretty Nelly:'
Das zweite, dritte, vierte und fünfte Buch der Epigramme
entspricht sodann im allgemeinen dem ersten bis vierten Buch
der Ausgabe von 1670. Der Unterschied besteht nur darin,
daß in jedem Buch einige Gedichte der ersten Ausgabe weg-
gelassen uud andere stellenweise umgedichtet sind; «bens»
— 102 —
sind neue Gedichte eingefügt worden, so im vierten Buch
ein Gedicht auf die Farce, die Elecknoe als Dichtungsgattung
verteidigt, und ein Preisgedicht auf Mrs. Margaret Hewes,
^the prettiest Actress of ihe Age", die sich damals von der Bühne
zurückzog.
Neu ist in der Ausgabe von 1671 auch, daß die einzelnen
Bücher Widmungen tragen. So ist das zweite Buch Lady
Gerard, Baroness of Bromley, zugeeignet, das dritte William
Earl of Devonshire, das vierte „allen Liebhabern der drama-
tischen Muse", und das fünfte endlich ist Lord Buckhurst
und Sir Charles Sedley gewidmet.
Die ^Epigrams Divine and Moral" fehlen auch hier am
Schlüsse des Buches nicht; sie entsprechen genau denen der
ersten Ausgabe. Sogar die Jahreszahl (1670) ist unverändert
geblieben.
XV.
Vermischtes.
Wir nähern uns jetzt dem Abschlüsse von Flecknoe's
schriftstellerischer Laufbahn. Sein letztes mir zugängliches
Werk erschien zwei Jahre später, 1673. Es ist dies eine
Auswahl seiner früheren „Charaktere" und „Epigramme",
denen einige neuere Stücke angefügt sind.' Der Titel. lautet:
^A Collection of ihe choicest Epigranis and Charac-
iers of Richard Flecknoe, Being raiher a New Work, then a
New Impression of ihe OW
Aus der Vorrede erfahren wir, daß der Verfasser vor-
hat, die Schriftstellerei aufzugeben. Vorher aber will er das
vorliegende Werk noch herausgeben, weil es das Lob vieler
Personen enthält, denen er sich verpflichtet fühlt. Auch ist
er bedeutend bescheidener geworden als ehedem, und gesteht
zu, daß seine kleinen poetischen Gaben ^launch not into the
depth of Poetrif\ sondern sich hübsch auf der Oberfläche halten.
Er beginnt dann mit dem ausgedehnten ^Pourtrq,it of
His Majesty^^ das er schon 1660 in den ^Heroick Portraits"
verö£fentlicht hatte. Ebenso bringt er in den vier Büchern
— 103 —
von Epigrammen fast ausschließlich altes Material. Der
zweite Teil des Werkes, die „Oharakteriö", bieten mehr Neues.
Im zweiten „Charakter", der ^Of a Bunning HeadP über-
schrieben ist, schildert sich Flecknoe gleich selber. Dieses
interessante und für die Kenntnis der Geistesverfassung und
und des ganzen Wesens unseres Autors so hochwichtige
Dokument lautet: ^He hos so many wild fcmdes in kis Brain^
08 he is perpettially distracted, and more tvüd when joyned toüh
ihe distraciions of tfie day. Eis ihoiighis are like a swarm of
Bees huxxing up and down his headj tvithout Gonsistence^
Coherence and Consequence; and there is hardly any means
to settle them, His head is a Leaking Fountain, and would
he wholly dry^ but for ihe contimioL currant of his Bunning
Thoughts. And finally, ihe Figur es of his Mind are all
broken and disjoynted, like ihose of agiiated Water , and it is
scarcely ever so calm to represent them perfectly ; only as you ham
Seen colours confusedly laid, coniracted into some figure hy the Art
of Prospective ; so someiimes you may make somewhat of them in
Writing, when on Paper ^ as in a Net he catches his flying
thoughts; and ihen you may see they have more Demo er itus
than Heraclitus in them, that they more laugh than cry, are
more merry than sad; And finally make sport with the World,
not for any ill will, but for its good, and with those in it,
for their amendment, not their shame, A pattern of all
which you have in these GharadersP
Die durchschossenen Worte sind im Originale ebenfalls
alle durchschossen gedruckt. Aus der ganzen Auslassung,
zusammen mit vielen anderen Anzeichen, scheint doch hervor-
zugehen, daß der gute Flecknoe geistig nicht ganz normal
war und mit zunehmendem Alter stets geistesschwächer wurde.
Von anderen neuen Stücken wären hervorzuheben: "0/*
Poetry and its abnse^\ worin er wieder gegen die obszönen
Dichter seiner Zeit loszieht und von ihnen sagt: Hhey con-
verted the Laiiguage of tJie Gods into tlie Language of the
Devil, and lost all the Reveretice atid Esteem tliey had before;
desermng more the coertion of ihe Magistrate, and punishment of
ihe Laws ihen common Poysoners" Interessant ist ferner eine
Auslassung: ^Of the Parliament, In answer to the ignorant
— 104 —
cbfeetians of 9ome StrangeraJ^ Sie wandet sich gegen die
MeiBimgy als ob in England das Parlament, und nicbt der
König henscbe, und behauptet dagegen: **The King of England
«9 as absokiie ob any Monarch, nor is ihe ParHamenl such a Ourh
or Clog io kirn a§ ihey imagmtr
Damit scUiefit die mir zugängliche literarisdie Tätigkeit
Fleeknoe's ab. Die 1675 erschienenen Publikationen: ^Euterpe
Revived, or Epigrams made at several iimes , . , on persona . . .
most of them now lwing'\ nnd ^Ä Treatise of ihe Sports of Wü^
waren mir nicht erreichbar.
XVI.
Betrachtungen Ober Flecknee als Mensch und Dichter.
über die persönlichen Schicksale Fleeknoe's wissen wir
nach dem Abbrechen des Keisebuches, 1665, wieder recht
wenig. Die einzigen spärlichen Qaellen, die dieses Grebiet
anfzohellen vermögen, sind die Einleitungen des Autors zu
seinen Werken, und gelegentliche Angaben, die wir da nnd
dort aus seinen Werken schöpfen können. Vor allem scheint
das eine sicher, daß sich Flecknoe seit Mitte der 50 er Jahre
beständig wieder in England aufgehalten hat. Seinen Unter-
halt mußte seine Dichtkunst und sein Lantenspiel verdienen«
Für die Leute, die bezahlten, machte er Gelegenheitsgedichte
aller Art, Hochzeits-, Gebnrts-, Sterbegedichte, pries die
Schönheit und Tugend der Damen und die Tapferkeit und
den Edelsinn der Männer. Widmungen und die Drucklegung
der Bücher mußten natürlich noch eigens bezahlt werden.
Wer das nicht tun wollte, fiir den hatte auch die Muse
Fleeknoe's nichts übrig. So sagt er selber in einem Epigramm:
"Ta tkese from uhom I for rexcard caril look
So nmeh as comes to tlü hinding of my ho oh;
Much less the printing , why shxi*d I present
It to ^uniy unlessH he out of compkment ?
And I donH like such complemeufft as those^
Wliere one gets nothing ^ and is stire to loose^
— 106 —
In der damaligen Zeit^ wo es noch keine freien Bemfsschrift-
steller gab, galt dieses Parasitenleben aber noch für keine
Schande, und so zog denn auch Flecknoe im Sommer mit seinen
jeireiligen Gönnern aufs Land und besang die Freuden des
Landlebens und Ackerbau und Viehzucht; im Herbste bo«
gleitete er sie dann wieder zur Stadt zurück und freute sieh,
wenn er in den Salons als Dichter glänzen und als ''polite
English Scholar" gelten konnte. Dabei fühlte er sich durch-
aus als Gentleman, und beklagte es in einem Gedichte an den
Bruder des Herzogs yon Newcastle, daß ihm das Schicksal
einen so hohen Sinn, der nur auf eine höhere Sprosse der
sozialen Stufenleiter passe, bescheert habe. Er könne es aber
nicht über sich gewinnen, auf unwürdige Weise einen höheren
Platz zu erringen.
Diese moralische Gewissenhaftigkeit zeichnet Flecknoe
überhaupt vorteilhaft vor den meisten seiner Dicbterkollegen
aus. Ob er nun Priester war oder nicht, und im ersteren Falle
Bücksicht auf seinen Stand zu nehmen hatte, so viel ist
jedenfalls sicher, daß er selber in die von ihm so heftig be*
kämpfte Laszivität der zeitgenössischen Literatur nie verfiel.
Die vielen Roheiten, die beim Lesen seiner Werke unser
heutiges Gefühl verletzen, empfand man damals nicht so sehr
als solche. Wie sehr er darauf bedacht war, in sittlicher
Hinsicht kein Ärgernis zu geben, geht schon daraus hervor,
daß er kein einziges Liebesgedicht verfaßte. In emem Epi-
gramm: **Why I write not of Love^^ sagt er darüber:
"Fott fain wou^d have me writ of Love, and say
It may he chaste and vertiumSf so it may:
But howsoever vertuous and chatte it be,
It yet does come so nigh unchasiüy:
And is so steep and slippery a preeipice,
One easily thence does slide and faü to vice,
Wlierefore let who^s list ivrite of ü for me,
rU keep vie, if I can, froiyi tK danger freeP
Wie mir scheint, waren es religiöse Gründe, die Flecknoe's
Stellungnahme zu der Unsittlichkeit in der damaligen Literatur
veranlaßten. Überhaupt lag ihm sein Bekenntnis stark am
— 106 —
Herzen. Abgesehen von den noch am Ende seiner poetischen
Schaffenszeit für die Königin gedichteten religiösen läedem,
zieht er z. B. in den ^ Characters*^ scharf gegen die ^FaruUick
Eeformer»^^ und ^^Cross-haters" los, und auch schlechte Katho-
liken, wie ^The shrewd old Catholie Oenilewoman^f werden heftig
getadelt und der Verachtung preisgegeben. Dagegen wird
^Ä good honest Caiholid^ und ^Än English Papist Ass** gepriesen ;
der letztere lasse sich, wie ein Esel, alles auflegen und er-
trage geduldig, daß er fortwährend verfolgt werde. Das Be-
dauern Flecknoe's, daß der £[atholizismus in England von
einer ^smaü-beer rdigion" abgelöst wurde, haben wir schon
oben, bei Besprechung der ^Misceüaniä'^ Yemommen.
Aber weder Flecknoe's Kampf gegen die Laszivität der
zeitgenössischen Literatur, der vielleicht von manchem be-
troffenen Dichter unangenehm empfunden werden mochte,
noch seine Religion, scheinen, entgegen dem Urteile einiger
späterer Gewährsmänner, auf das Urteil des Publikums über
Flecknoe's literarische Erzeugnisse von irgendwie bemerk-
barem Einflüsse gewesen zu sein. Langbaine konstatiert, daß
er ^as famous as any in his age^^ war, und aus den von
Flecknoe reproduzierten Urteilen seiner adeligen Freunde und
G-önner gewinnt man nur die Bestätigung dieser Angabe.
Flecknoe wußte eben dem Zeitgeschmacke entgegenzukommen
und die abgedroschensten poetischen Gemeinplätze und al-
bernsten pretiösen Phrasen nochmals zu variieren ; dabei wußte
er der lieben Eitelkeit seiner Gönner in den an sie gerichteten
Huldigungsgedichten in jeder Weise Kechnung zu tragen.
Solche Leute sind zu ihrer Zeit immer berühmt. Die Nach-
welt richtet dann gewöhnlich um so strenger über sie, je mehr
sie zu ihrer Zeit gefeiert waren, wenn sie es nicht vorzieht,
sie in der Versenkung des Vergessens verschwinden zu lassen.
Die ^Enigmatical C}iaracters^\ die bemerkenswertes Be-
obachtungstalent erkennen lassen, und das Stück ^Erminia^\
das auch nicht übel ist, lassen das Urteil zu, daß Flecknoe
nicht unbegabt war und unter günstigeren Verhältnissen viel-
leicht Namhaftes geleistet hätte. Das Fazit seiner wirklichen
Leistungen kann kein günstiges genannt werden. Li der Lyrik
ging ihm sowohl das dichterische Gefühl, wie der Sinn für
— 107 —
die poetische Form ab ; was er uns bietet, ist fast Die Lyrik,
sondern gereimte Banalitäten und GFemeinplätze. Im Drama
fehlt es ihm durchaus an Gestaltungskraft: ; während der Auf-
bau seiner Stücke im allgemeinen nicht schlecht ist, gelingt
es ihm hingegen nie, die handelnden Personen zu individuali-
sieren imd glaubwürdig erscheinen zu lassen. Fast überall
aber fehlt es ihm an einer natürlichen, dem betreffenden
Gegenstand entsprechenden Sprache und Ausdrucksweise, ein
Umstand, der auch den literarischen Wert seiner sonst tüch-
tigen „Charaktere" beeinträchtigt. Die Anerkennung seiner
Umgebung war daher für Flecknoe ein hinreichender Lohn
für seine Schriftstellerei ; der Nachwelt konnte er als Dichter
nichts mehr bedeuten.
Gegen den Schluß seines Lebens scheint Flecknoe aber
auch mit seinen zahlreichen Gönnern, unter denen fast der
ganze englische Hochadel vertreten war, immer schlimmere
Erfahrungen gemacht zu haben, wie aus manchen Geständ-
nissen hervorgeht. Ob er dann wirklich die Welt verließ,
wie er im Sinne hatte, oder ob er bis ans Ende seines Lebens
in der Gesellschaft verblieb, wissen wir nicht. Überhaupt
herrscht über Flecknoe's letzte Lebensjahre völliges Dunkel.
Nicht einmal das Jahr seines Todes ist bekannt, viel weniger
der Ort, wo er starb. In der Widmung an Lord Vaughan
seines 1678 erschienenen und bei der Aufführung durchgefallenen
Stückes ^Limherham^^ sagt Dryden : "/ have seen an fistle of
Flecknoe^s to a nobleman, who was hy some exiraordinary chance
a Scholar (and you may please io take notice hy Üie way Jiow
natural ihe conneciion of thought is betwixt a bad poet and flecknoe),
where he begins thus: Quatuordecim jain elapsi sunt anni, etc;
his Latin, it seems^ not Jiolding otä to the end of the sentence:
hut he endeavoured to teil his patron, beivnxt two langtcagesj which
he understood alike^ that ü was fourteen years since Iie had tlie
happiness to know htm, It is jicst so lotig (and as happy be the
omen of dullness to me, as it is to some clergymen and statestnen!)
since your lordship Jias Jcnown tliat ihere is a worse poet reinaitiing
in the worldy than he of scatidalous memory who left it last,^* *)
^) Scott'8 Dryden, VI, 6.
— 108 —
Daraus schloß nun Malone^X ^^^ Flecknoe 1678 ge^
storben sei, eine Annahme, die von ihm dann seme Nach-
folger übernahmen, die aber wohl mit einem Fragezeichen
▼ersehen werden darf.
XVII.
Bisherige Urteile über Flecicnoe. Endergebnis.
Was die Geschichte der Bewertung Flecknoe's in der
englischen Literatur anlangt, so waren lange Zeit hindurch
die yernichtenden urteile, resp. der Spott Dryden's und
Marvell's für die Bewertung Flecknoe's maßgebend. Das ist
um so verständlicher, als Flecknoe's Werke, die fast aus-
schließlich "/br private friends'^ gedruckt worden waren und
der Öffentlichkeit daher unbekannt bleiben mußten, schwer zu-
gänglich waren. Langbaine, der auch Flecknoe's dramatische
Arbeiten wirklich kennt, ist in seinem 1691 erschienenen ^Ac-
count of the English Dramatic Poets^\ allerdings bemüht, Flecknoe
gerecht zu werden. Er rühmt Flecknoe's Ansehen als Dichter
bei seinen Zeitgeuossen und bemerkt dann sehr richtig : ^Hi»
Acquaintance loiih the Nohility wa^ more than wüh the Muses;
and he had a greater propens^Uy to Rirning, than a Genius io
Poetry" Cibber ist Flecknoe nur der verächtliche Dichter-
ling-); Thompson, der Herausgeber der Werke Andrew
Marvell's, nennt ihn kurz und gut ^that incorrigibk poetaster",^
E. Malone, der Herausgeber Dryden's, stimmt ebenfalls kräftig
in das Verdammungsurteil mit ein. Doch haben die drei
letztgenannten augenscheinlich keine selbständige Kenntnis
von Flecknoe's Werken.
Mit Robert Southey beginnen dann die Ehrenrettungen.
In seinem 1812 erschienenen Werke ^Oinnimw!^^) behandelt
^) Halone, Works of Dryden. London. 1800. I, 169/70.
«) Cibber, Lives of the Foets. Londo7v. 1753. III, 61—63.
^) Thompson, Tfie Works of Afidreio Marvell. London. 1776,
I, 442.
*) Southey, Onmiana. I, 105—110.
— 109 —
Sottthey auch Flecknoe und findet, daß er ^is by no nieam
ike despicabk lorüer that we might suppose him to he from the
miche in wkieh his mighty enemy (DrydenJ hos placed him" Fleok-
noe's Epigramm anf einen Greizhals:
^Monej/s like muekj thafs profitable whHe
*T serves far manurifig of some fruüful sail,
But on a harren one, like ihee, methinks,
'Tis Uhe a dunghill that lies still and stinhf^
nennt er ^excellent lines" ; ein anderes Gedicht erscheint ihm
^tcell tumed'\ und auch sonst gefällt ihm an Flecknoe sehr,
**thai he is never in the slightest degree an immoral wrHer htm-
seif, and tJictt he expresses a due abhorrence of the misc^iievotis
and disgraceful writings of his contemjwraries** , Nur die häufige
Anwendung von ^eolloquial contractions" findet er an Flecknoe
als ^evil fashion*^ zu tadeln. Freilich ist auch das Bändehen
Epigramme von 1670 alles, was Southey von Flecknoe kennt.
Andere und bessere Werke Flecknoe's sind ihm nicht einmal
dem Namen nach bekannt!
Alexander Chalmers, der sein Wissen aus Cibber,
Malone und Southey schöpft und augenscheinlich keine weiteren
Quellenstudien gemacht hat, findet sodann, nach Southey's
Vorgang, Flecknoe's Dichtungen **not tmthout some proportion
of merit".^)
Das von Southey begonnene Werk der Ehrenrettung
wird dann von der ^Retrospective Beview"*) zehn Jahre später
energisch weitergeführt. Die Zeitschrift knüpft an den „Fall
Flecknoe" zuerst folgende allgemeine Bemerkungen: ^An
ofidhor who was knocked down by such authority and who never afkr^
wards reeovered from the hlow. The man who is once sealed,
aUhaugh undeservedly, with a had name, must he contented to retain
ii for life; it fixes the eye, like a stain on a fair garment, and
is as difficult to he oblUerated. If an evil report he onee put in
dreulaiion, his enemies confirm it, his friends have not moral
eourage to deny ii, and strangers will not take the irouble to in-
vestigate its correetness," Das urteil über Flecknoe als Schrift-
*) Chalmers, Biograpkieal Dictionary, XIV, 968—70.
*) Baldwyn, Betro^ectwe Remew, London. 1822, V, 286*-75.
~ 110 —
steller lautet sodann : ^He is not the contempiible scribbler he hos
been generally represtnted; at least, he could wrüe^ and hos tvrüien,
some ihings which merit praise, and ought to be preserved," Frei-
lich ist auch der ^Retrospective Review" nur ein Bändcheo
Epigramme und die erste Ausgabe der ^Enigmaiical Charao-
ters^^ zugänglich gewesen. Hinsichtlich der „Charaktere^
findet der Kritiker, daß Flecknoe ^^succeeds best in the portraiture
of fem4Üe excellence^\ wovon Proben gegeben werden und was
ja auch stimmt. Unter den Epigrammen werden gleichfalls
sehr hübsche Stücke entdeckt; das Epigramm auf den Geiz-
hals, das schon Southey's Beifall gefunden, erhält das Prädikat
^h-ery good^\ was wir nicht gerade unterschreiben können.
Der Abstraktion, die der Kritiker aus den Proben zieht, kann
man dagegen im allgemeinen beistimmen, da sie charakte-
ristische Eigentümlichkeiten der Flecknoe'schen Muse zum Aus-
druck bringt. Sie lautet: ^^He attempted to torite smartly rather
than tersely; wittüy rather than seriously; ingeniously rather than
profoundly. But although he has not the slightest claim to be con-
sidered a man of genius, we cannot deny him the praise of fancy
and ingenuäy,^^
Abgesehen von Dryden, hat keiner der vorstehenden
Kritiker auch nur den größeren Teil der Produktion Flecknoe's
aus eigener Anschauung gekannt. Sie verließen sich bei ihren
urteilen entweder auf andere Gewährsmänner, die selber
nicht mehr wußten als sie, oder sie basierten unsichere, all-
gemeine Urteile auf das eine oder andere, ihnen zufallig unter
die Hände gekommene Werk Flecknoe's. Diese verschiedenen,
zum Teil sich widersprechenden, Urteile auf Grund einer
genauen Untersuchung aller zugänglichen Werke Flecknoe's
auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen, war der Zweck der vor-
liegenden Abhandlung, als deren Fazit sich etwa folgendes
Bild der Persönlichkeit Flecknoe's ergibt: Unser Autor war
ein gutmütiger, harmloser und anhänglicher, aber auch eitler
und wichtigtuerischer Mensch, der ganz ein Kind seiner Zeit
war. Als Dichter gelang es ihm aber nicht einmal, seiner
Zeit genug zu tun ; über die Wiedergabe abgedroschener poeti-
scher Gemeinplätze und die mehr oder minder gelungene
Nachahmung bekannter zeitgenössischer Werke und Schrift-
— 111 —
steller kam er eigentlicli nie recht hioaus. Es fehlte ihm
durchaus an Persönlichkeit, die Eigenes und Tüchtiges aus
sich heraus hätte schaffen oder fremden Stoffen den Stempel
einer bedeutenden Individualität hätte aufdrücken können.
So war und blieb er, trotzdem er majichmal bessere Leistungen
zustande brachte, doch stets unter dem Mittelmaß seiner Zeit,
ein ^^wretched poef\ wie ihn Walter Scott nennt, der Dryden
nicht untauglich schien, um als Greißel des immerhin be-
deutenderen Shadwell benützt zu werden.
Personen- und Saehregister.
(Die Zahlen geben die Seiten an.)
Albemarle, Herzog von 96.
Allibone, Oritical Dictionary 2.
Arcadia 44, 77.
Arenberg, Prinz Ton 15, 64.
Arenberg, Prinzessin (siehe auch
Mlle de Beanvais) 96.
Ariost 9.
Aristophanes 9.
d'Arschot, Mlle 16.
Audley, Lady 96.
d'Averos, Graf 22.
Baldwyn, Betrospective Review 25.
Du Bartas 9.
Beaumont 77, 81, 82.
Beauvals, Mlle de (siehe auch Pr.
V. Arenberg) 15, 16, 17, 20, 29, 97.
Bergen, Marquise von 15.
Berlamont, Gräfin von 20.
Blackfriars-Theater 36.
Brasilien 20 f.
Breugbel 9, 49.
Bromley, Baroness 85, 102.
Buckharst, Lord 102.
Buckingham, Herzog von 22, 27,
64, 100.
Callot 9, 49.
Carey, Lady Theophila 48.
Cervantes 9.
Ohalmers, Biographical Dictionary
2, 109.
Chaucer 9.
Cibber, Lives of the Poete 2, 108, 109.
Cicero 9.
Claypole, Lady Elisabeth 59.
Clerque, Mlle de 23.
"Convertit" 87.
Cowley, Abraham 37, 97.
Croker and Elwin, Pope- Ausgabe 4.
Cromwell, Oliver 59, 65 £
Davenant, Sir William 45, 91 fl
Desmond, Gräfin 48.
Devonshire, William Earl of 102,
Dewcy, Sir William 96.
Douay, Diaries 5.
Dryden, John 1, 2, 3, 4, 97.
— Limberham 107.
— Mac Fleckuoe 1.
— Proseworks 2, 108.
Dudley, Lord Charles 20.
Van Dyck 9, 49.
Earle, John 53.
Bvers, William 14.
Flaxen, Flaxenus 5.
Fleckney, Flexney, Flexneius 5.
Flecknoe, Richard, "Affectiona of a
Pious Soule" 10 f.
— "Damoiselles k la Mode" 87 fl
— ^Davenant's Voyage the Other
World" 91 f.
— 113 —
Flecknoe, Richard, "Diarium, or I Hewes, Mrs. Margaret 102.
Joarnal" 48 f. ' Higgins, Mr. Thomas 48.
— "Discourse of the English Stage" | HohenzoUern, Prinzessin von 16,
80 f. , 19, 27.
Holbein 49.
Horaz 9, 49.
Howard, Sir Thomas 4.
Jakob I. 30.
Johann IV. von Portugal
Jonson, Ben 81, 98.
Karl I. 30.
Karl II. 61, 83.
Enox, Douay Diaries 5.
— "Enigmatical Characters" (1658)
62 f. '
— "Enigmatical Characters" (1665) i
83f.
— "Epigrams of all Sorte" (1670) |
95 f.
— "Epigrams of aU Sorts" (1671) >
99f. j
— "Epigrams Divine and Moral" '
99 f. i
— "Epigrams and Characters" (1673) j
102 f.
"Erminia" 70 f. 1 Langbaine, English Dramatick Poete
— "Euterpe Revived" 104. 1 14, 58.
— "Farrogo of Several Pieces" 84 f. Logan, W. 4, 94.
— "Eumace of Divine Love" 12. ! Lope de Vega 9.
— «Heroick Portraits" 61 f. | Lothringen, Herzogin von 15, 17,
— "IdeaofhisHighness Oliver" 59f. , 22, 23, 25, 63, 83.
— "Love's Dominion" 38 f. i .^ ^ ^^
— «Love's Kingdom" 78f. I M^idment. J. 94.
— "Marriage of Oceanus and Bri- ' ^«^1«^^^ WorksofDryden2,108, 109.
tannia" 58. ^*^*^*^ ^•
~ "Miscellania" 25f. ^ Mar vell, Works 3, 7 108.
— "Relation of Ten Years Travells" ^^^^^'^ ^"^'^ ^°° ^-
^nc Möllere 9, 88.
— "Temple of Friendship" 46f. ^onmouth, Henry Earl of 48.
— "Treatise of the Sports of Wit" ' ^""^^^^ ^^' -^^^^^ ^0.
^^' ^ „. ^ Newcastle, Herzog von 64, 88.
Hecknoe Wilham 5 | y^^^^^^^ Herzogin von 84, 85, 88.
Fletcher 77, 81, 82 98. ^^^^^^^^ ^ ^^^^^^ ^^ 96
Foley, Records of the Society of | ^^^^^^^^ ^^^^ j^^^^ ^^^^ ^^ ^^
Jesus 5, 8. I
' Omniana (Southey) 1, 25, 108.
Gage, Sir Edward 100. \ Orleans, Herzogin Henriette v. 100.
Gillow, Biographical Dictionary 4, 6. i Overbury, Thomas 53.
Glocester, Herzog von 63. I Qvid, Metamorphosen 27.
tiomberville 44. ,
Guarini 9. Packinton, Lady Ann 27.
Gwyn, Nelly 101. ' Parlament 104.
I Paulskirche 37.
Hazlitt 80. I Pereiro, P. 21.
VÜBcbener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIII. 8
— 114 —
Pilgrim-book 8.
PlautuB 9.
JPope. Ed. by Croker and Blwin 4.
Baphael 9, 49.
Betrospectiye Review (siehe atich
unter BaWwyn) 25, 109, 110.
Richmond, Mary von 96.
Rockingham, Lady 97.
Ronsard 9.
Saintsbury, John Dryden 2.
Salazar, Graf 19.
Scarron 9.
Seudery, Mlle de 26, 37, 44.
Sedley, Sir Charles 102.
Seneca 9.
Shadwell, Thomas 1, 4, 111.
Shakspere 76, 77, 81, 93, 98.
Sidney, Sir Phüip 44, 78.
Somerset, Lord Thomas 19.
Southey, Robert (siehe auoh wölket
Omniana) 1, 25, 108, 109.
Stephen, Dictionary of Nation^
Biography 2, 9, 13.
Strafford, Ewrl of 14 f,
Stuart, Mrs. 96.
Tenham, Lady 27.
Theophrast 53.
Thompson 3, 108.
Tizian 9, 4^.
Toscana, Prinz Cosmo von 96.
dTrfig, Honore 44.
Yirgil 49.
Waller, Edmund 25.
York, Herzog von 63, 96.
Zeuxis 9.
Lippert ft Co. (G. Pätz*sche Buchdr.), Naamborg a. S.
MÜNCHENER BEITRÄGE
ZUB
iliNßdNDiENGUSCIIiPEOLOßlE.
HERAUSGEGEBEN
vox
H. BREYMANN und J. SCHICK.
XXXIV.
DER EINFLUSS VON ARIOST'S ORLANDO FURIOSO AUF
DAS FRANZÖSISCHE THEATER.
-^
LEIPZIG.
A. DEICHERT'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG NACHF.
(GEORG BÖHME).
1905.
DER EINFLÜSS
VON
ARIOST'S ORLANDO FURIOSO
AUF DAS
FRANZÖSISCHE THEATER
VON
Db. TH. ROTH,
OBERLEHBEK AM REALGYMNASIUM ZU YEGESACK.
LEIPZIG.
A- DEICH ERT'SCHE VERLAGSBÜCHHANDLUNG NACHT.
(GEORG BÖHME).
1905.
Alle Rechte vorbehalten.
Inhalt.
Seite
Vorwort VI
Benutzte Literatur VII
Einleitung.
1. Der Einflul{ Italiens auf die französische Literatur im all-
gemeinen ' 1
2. Der Einfloß Italiens auf die franz. Lyrik 9
3. Italienischer Einfluß auf das franz. Epos 25
4. Italienischer Einfluß auf die Erzählung und den Roman . 29
5. Italienischer Einfluß auf das franz. Theater.
I. Italienische Schauspieler in Frankreich 37
II. Einfluß Italiens auf die franz. Tragödie 45
III. Einfluß Italiens auf die franz. Komödie 53
IV. Einfluß Italiens auf die franz. Pastorale 67
V. Einfluß Italiens auf die franz. Oper 71
Ariost in Frankreich.
I. Übersetzungen 75
U. Ariost in der franz. Lyrik **.... 76
m. Ariost im franz. Epos 88
IV. Ariost im franz. Theater 102
1. Die Bradamante- Episode 104
2. Die Roland-Episode 166
3. Die Isabella-Episode 194
4. Die Ginevra-Episode 203
5. Die Alcina-Episode 220
6. Die Joconde- Episode 225
7. Die Erzählung vom Zauberbecher 234
8. Die Erzählung von den verzauberten Quellen . . . 241
9. Die Erzählung vom Amazonenstaate 242
10. Die Ring-Episode 244
11. Die Atlante-Episode 245
12. Einzelne Entlehnungen aus dem Orl. für 245
Ergebnisse 248
Anhang: Ariost-Ubersetzungen 256
Vorwort.
Die vorliegende AbhaDdlung ist der erste Versuch, ein
Gesamtbild zu geben von dem Einfluß, den der Orlando fu-
rioso des Ariost auf die französische Literatur ausgeübt
hat Ihre Entstehung verdankt sie in erster Linie den An-
regungen und Ratschlägen meines hochverehrten Lehrers,
Herrn Professors Dr. Breymann. Daher sei es mir ge-
stattet; ihm an dieser Stelle meinen tiefen Dank für seine
mühevolle Unterstützung sowohl bei der Abfassung der Arbeit
als auch ganz besonders bei der Durchsicht der Korrekturen
auszusprechen.
Bbensc? herzlich danke ich Herrn Professor Dr. Schick
für seine liebenswürdige Beihilfe bei der Durchsicht der
Korrekturen; ferner der Staats- und der Universitäts-
bibliothek zu München, der Stadtbibliothek zu
Bremen, der Kgl. Bibliothek zu Berlin, endlich den
Bibliotheken de l'Arsenal, Mazarine, Ste-6enevi^ve
und der Nationalbibliothek zu Paris, welche alle
meine Wünsche, soweit sie vermochten, mit bekannter Bereit-
willigkeit und Liebenswürdigkeit erfüllt haben.
Benützte Literatur.
Albert, M.: Les thö&tres de la Poire (1660—1789). Paris.
(Hach.) 1900. 8^
Albo'ize, E.: Histoire de la Comedie italienne en France,
in: Le monde dramatique (1835). I, 342 ff.
Allais, 6.: Malherbe et la po^sie fran^aise du 16« sidcle.
P. 1891. 8^
Andrae, A. : Sophonisbe in der frz. Trag., in: Zschr. f,
fr. Spr. u. L. 1891. Suppl. VI.
Anonym: Th6ätre franQois. P. (G. Loyson) 1625. 8^
Ariosto, L. : Orlando furioso, ed. Casella. Firenze. 1877.
2 Bde. 8^.
Arn au d, J. : Les Italiens prosateurs frangais. Etudes sur
les Smigrations italiennes depuis Brunetto Latini jusqu^d,
nos jours. Müan. 1861. 8®.
Arnould, E. : Essais de throne et d'histoire litt^raire: De
l'influence exerc^e par la litt^rature italienne sur la lit-
tßrature fran^aise. P. 1858. 8®.
Aumer, Ch. : Astolphe et Joconde ou les coureurs d*avan-
tures. P. 1827. 8^
Baif, Ant. de, (Euvres en rime, p. p. Marty-Laveaux.
P. 1891. 8^
Baillet: Jugements des Savants, rev. et corr. par La Mon-
noye. P. 1722. 7 Bde. 8^
Barbier, A. A. : Dictionnaire des ouvrages anonymes. 3. Aufl.
P. 1872—80. 4 vols. 8».
Barth elemy, G.: Histoire de la Comödie fran^aise. P.
1886. 8^
— vin —
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le Lieutenant de Civil. S. 1. s. a. (Paris. Bibl. nat.: YS
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Bauter, Ch. : La Rodomontade, Tragödie de Rodomont,
avec la descente aux enfers, avec figures. Troyes (Nie.
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Becker, Pb. A. : Jean Lemaire de Beiges. Straßburg.
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1902, S. 176; Guy, in: Anndes du Midi. 1902 (avrü).
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B e t z , L. P. : La Litterature compar^e. Essai bibliographique.
Straßburg. 1900. 8^
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Bizos, G. : Etudes sur la Vie et ies (Euvres de Jean de
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Böhm, E. : Beiträge zur Kenntnis des Einflusses Seneca's
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Böhme) 1902. 8^ (Münchener Beitr. XXIV. Heft).
Bolte, Job.: Moli^re-Übersetzungen, in: Herr.'s Arch. Bd. 82,
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Bolza, G. : Manuele Ariostesco. Venetia. 1866. 8®.
ßourciez, E. E. J.: Les moeurs polies et la litterature de
cour sous Henri IL (Thöse). P. 1886. 8<>.
Bouvy, E.: Voltaire et ritalie. P. 1898. 8^
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des Universites du Midi. Bulletin italien (1901) I, 22 ff.
Campardon, E. : Les Com6diens du Roi de la troupe ita-
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- IX —
Carducci, G.: L'Ariosto ed il Voltaire, in: Fanfulla della
Domenica, 5 giugno, 1881.
CaBanova, 6.: Memoires Gentes par lui-m§me. P. 1880.
8 Bde. 8».
Castelnau: Memoires sur les rdgnes de FraoQois U,
Charles IX, Henri III et de Catherine de Medicis.
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Castre (rAbb6 de): Les trois si^cles de la litt6rature fran-
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Catherine de MSdicis: Lettres, in: Docum« ioed. de
l'Hist. de Fr. 1886, Bd. II, S. 145.
Chamard, H. : L'invention de Tode et le differend de Ron-
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Chappuys, 6.: Le Roland furieux mis d'Italien en Fran-
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Chappuzeau, S. : Le Theatre frangois. Lyon. 1674. 8^
Chouquet, 6.: Histoire de la musique dramatique en
France. P. 1873. 8^
Claris [= Claretie]: Le Th6ätre ä la foire Saint-
Laurent pendant la premidre moitie du 18^ siecle. P.
1893. 8».
Clement (F.) etLarousse, P.: Dictionnaire des Opöras.
P. 8. a. 8«.
Coignee de Bourron: Les Amours d'Angelique et de
Medor avec les furies de Roland et la mort de Sacri-
pant, Roy de Circassye et plusieurs beaux effets con-
tenus .en cette tragedie tiree de TArioste et qui est en
cinq actes en vers sans distinctions de scenes. Troyes.
(N. Oudot). 1620. 120.
[Coignee de Bourron]: Les Amours de Zerbin et d'Isa-
belle princesse fugitive oü il est remarque les perils et
grandes fortunes passees par le dit Zerbin recberchant
son Isabelle par le monde, et comme il est deli?r6 de
la mort par Roland. T[royes]. 1621. 12».
Co 11 6, Pb. : Joconde, op6ra comique en 2 actes et en vau-
deville, in: Theatre de societe ou Recueil de diff6rentes
pi^ces de theatre tant en vers qu'en prose. P. 1768.
2 Bde. 8^ ibd. 1777. 3 Bde. 8^
— X —
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Theätre Frangois ou Recueil des plus nouvelles Piöces
reprfisentees au Thfeätre Fran^ois depuis quelques annee8.
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Gab Otto: Notes sur quelques sources ital. de TöpopSe au
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G6nin: Farce de Pathelin. P. 1857. 8^
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J. Grevin und beider zu den Italienern. Festschrift zum
8. allgem. deutschen Neuphilologentag in Wien. Wien.
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vgl. Lit. 1895. VIII, 175 ff., 279 ff.
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de J. Vauquelin de la Fresnaye. P. 1887. 8®.
Lenient, C. : La Comfedie en France au 18« siöcle. P.
1888. 2 Bde. 8^
Lepage: Le Th6ätre en Lorraiue. P. 1897. 8^
Le Sage, A. R. : Les eaux de Merlin. Opera comique en
un acte et en Vaudeville, im 2. Bande des Th6ätre de
la Foire, contenant les meilleures pißces, qui ont 6t6 re-
presentees aux foires de St-Germain et de St-Laurent...
recueillies, revues et corrigees p. M. M. Le Sage et
d'Orneval. P. (Etienne Ganneau). 1721. 9 Bde. 12«.
Le Sage et d'Orneval; L'isle des Amazones. Opera Co-
— XV -
mique en un acte et eo Vaudeville, im 3. Bande des
Theätre de la Foire. P. 1721. 9 Bde. 12«.
Lintilhac, C: Precis bist, et crit. de la Litt6rature fran-
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- XVI —
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Montreux, Nicolas (Ollenix du Mont Sacr6): Bergeriea
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— XVIil —
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Robiou, E.: Essai sur Thist. de la litt, et des moeurs pen-
dant la premi^re moitie du 17^ si^cle. Sous le rdgne
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Bochon de Chabannes: Heureasement, Com6die en un
acte. et en vers, p. p. J. J. 01i?ier. P. 1903. 8^
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: Contributo allo studio della Novella francese del XV
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l'Hist. litt, de la Fr. 1897. IV, 366ff.; 1898, V. 554ff.;
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con le Lettres persanes del Montesquieu, in: Gior. stör.
1897. XXVIII, S. 84ff; XXIX, 47 ff.
II*
- XX -
Toldo, F.: La Bottegd. del cafe e TEcossaise del Voltaire,
in: Gior. stör. XXXI, 442.
— — : Quelques sources italiennes du Th^atre comique
d'Houdar de la Motte, in : Annales . . . Bull. ital. 1900.
I, 200 fif.
: La pofesie burlesque, in: Z. f. rom. Phil. 1901.
XXIV u. XXV und RhlF., 1901. VIII, 569 flF.
Torraca, F.: Gl' imitatori del Sannazaro. Roma. 1882. 8*^.
Trautmann: Franz. Schauspieler am bayerischen Hofe, in:
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Treverret, Ch.: L'Italie au 16« siöcle. P. 1879. II« serie.
8« [Cfr. Rev. critique 1880, S. 37].
Vaganay,H.:Le Sonnet en Italie et en France au 16« siöcle.
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Vaganay: Du Bellay et les Rimes diverses, in: Rev. d'Hist.
litt. 1901. VIII.
Vauquelin de la Fresnaye: Diverses po§sies, p. p.
J. Travers. Caen. 1869. 2 Bde. 8^
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Vianey, J.: Mathurin R6gnier. P. 1896. 8^
: Les ödes pindariques de Ronsard, in : Rev. d. langues
rom. 1900. sept.-oct.
: L'Arioste et la Pleiade, in: Bull. ital. I, 293—317.
: La Source de TOlive, in: Rev. crit. 1902. 21 oct.
: ün modöle de Desportes non signal6 encore, in: Rev.
d'Hist. litt, de la Fr. 1903. X, 277 ff.
: L'Arioste et les Discours de Ronsard, in: Rev. Uni-
versitaire 1903. XII, 473—75.
: La part de Timitation dans les Regrets, in: Bull. ital.
IV, Iff.
Vollhart, W.: Die Quelle von Moliöre's Tartuffe, in: Herr. 's
Arch. Bd. 91, S. 55—68.
Voltaire: CEuvres, p. p. Beuchet. P. 1829—34. 70Bde. 8<^.
Wagner, E. W. : Meilin de St-Gelais. — Eine literarische
u. geschichtliche Untersuchung. Ludwigshafen a. Rh.
1893. 8^.
— XXI —
Weinberg, Q.: Geschichte des franz. Schäferspiels in der
ersten Hälfte des 17. Jahrh.'s. Frankfurt a. M. 1884. 8^.
Wenzel, G. : P. Larivey's Komödien und ihr Einfluß auf
Moliöre, in: Herr.'s Arch. Bd. 82, S. 63—81.
: Ästhetische und sprachliche Studien über Antoine de
Monchr6tien, im Vergleich zu seinen Zeitgenossen. (Diss.).
Weimar. 1885. 8».
Young: Moliöre's Stegreif komödien, in: ZfrSp. XXII, 190 ff.
Zumbini, B.: Studj di lett. stran. Firenze. 1893. 8^ (Vgl.
Gier. stör. Bd. 23, 292 ff.).
Anm. In der obigen Liste sind folgende von dem Verfasser
benatzte Arbeiten nicht mit verzeichnet worden, da deren Titel bereits
bei Klein, der Chor, p. IX ff., Fest, der Miles glor., p. IX ff.; Ebner,
Beitrag, p.IXff.; Buchetmann, Kotroa's Antigone, p. VIII ff. ; Böhm, Bei-
träge, p. Xff. and HoU, Tendenzdrama, p. Xff. aafgeführt sind: Amicis,
L^mitazione latina; Ancien th^fttre fr., p. p. Viollet le Duo; D^Ancona,
I comici italiani; Aneedotes dramatiques; Baschet, Les com^diens;
Beaachamps, Keoherches; Belleaa, (Eavres po6tiqaes; Bibliotheqae
da th. fr., p. p. La Valli^re; Birch-Hirschfeld, Geschichte; Brunet,
Manuel; Ohasles, E,, La com^die; Ohasles, Ph. !&tudes; Greizenach, Ge-
schichte; Darmesteter et Hatzfeld, Le 16e siede; Dhom, Welches ist
das Verhältnis . . . .; Des Masares, Trag^dies sainctes; Didot, Dict. g6n. ;
Doamic, Marguerite de Navarre; Da Verdier, La bibliothöqae ; Ebert,
Entwicklangsgeschiehte ; Fagaet, La trag^die; Foarnier, Le th^&tre fr.
aa 16e et au 17e siecle; Foomier, Varietes bist, et litt.; Garnier, Les
tragSdies, heraasgog. v. W. Förster; Gaspary, Geschichte; Goedeke,
Grandriß; Goajet, Bibliotheqae; Gröhler, P. Scarron; Haag, La France
protestante; Histoire universelle des th6atres; Jodelle, (Euvres, p. p.
Marty-Laveaax ; Journal du th^atre fran^ais (zitiert nach Faguet);
Julleville, Histoire du th^ätre en Fr. au m. äge; derselbe, Hist. de la
langue etc.; Kahnt, Gedankenkreis; Klein, Geschichte des Dramas;
La Croix du Maine et du Verdier, Les biblioth^ques; Larivey, Les
Gomedies; La Taille, Jacques de, (Euvres; Lenient, La Satire; Leris,
Dictionnaire portatif; Lotheissen, Molifere; derselbe, Geschichte; Lucas,
Histoire philosophique ; Mairet, Silvanire, herausgeg. v. R. Otto; Magnin,
Les origines; Marguerite de Navarre, L'Heptameron ; Michaud, Biogr.
univ.; Moland, Moli^re et la com. ital.; Moreri, Le grand Dictionnaire
historique; Morf, Geschichte; Mouhy, Tablettes dramatiques; derselbe,
Abrege; Nagel, A. de Bai'f; Niceron, Memoires; Parfaict, Histoire;
— xxn ~
Dieselben, Dictionnaire des theätres; Pasquier, Les Äecherches; Peters.
P. Scarron [Müncheü«r Beitrag«, fl. 6]; Proelss, Geschiebte; ßein-
hardstöttner, Piautas; Rigal, A. Hardy; derselbe, fisqoisse; Saint e-
Beuve, Tableau historiqne; Sand, Itasques; Schmidt^ Wartenberg,
Seneca's Einfluß; Stiefel, Über die Chronologie; Suchier und Birch-
Hirschfeld, Geschichte; Tivier, Histoire; Toldo, Figaro; derselbe, Ge
que Scarron doit . . . . ; derselbe, Le theätre de la Renaissance ; Vapereau,
Dictionnaire; Wiese u. Percopo, Geschichte.
Einleitung.
1. Der Einfluß Italiens anf die französische Literatnr
im allgemeinen.
Der Einfluß der italieDischen Literatur auf die fran-
zösische ist der tiefgehendste und erfolgreichste gewesen, den
je eine fremde Literatur auf das französische Schrifttum aus-
zuüben vermocht hat. Trotzdem fehlt es immer noch an einer
das gesamte Gebiet der Literatur umfassenden Darstellung
dieses Einflusses. Seitdem mit der Renaissance das
Studium des klassischen Altertums seinen Einzug in Frank-
reich gehalten hatte, ward man nicht müde^ die Alten als die
unerreichten Vorbilder zu preisen und ihre Nachahmung als
die sicherste Gewähr für die Unsterblichkeit eines Werkes
hinzustellen; in Wirklichkeit aber plünderte man die Schätze
der spanischen und ganz besonders der italienischen Lite-
ratur, meist ohne Quellenangabe, oft auch mit der lügenhaften
Angabe antiker Vorbilder.^) Es ist daher begreiflich, wenn
die Literarhistoriker des 16. bis 18. Jahrhunderts, soweit sie
überhaupt sich mit Quellenforschung beschäftigen, zunächst
den klassischen Einfluß auf die französische Literatur hervor-
heben, weniger aber den italienischen beleuchten. So zählt
Du Verdier (1586) nur die Übersetzungen und freien Über-
tragungen italienischer Dichter auf, scheint aber nichts von
') Texte, Le» orig. dt Ja Ben, (R. des c. et e.) 1894, 8. 248: €lls
Mit pleine la hauche de la tragedie grecque; en faxt ils liBent et relisent
la Sophonishe de Trissin; s'ils imiteront Terence ou Piaute, leur vrai
omd^k est une comSdie de Bibbiena,»
Münohener Beiträge z. romanischen n. engl. Philologie. XXXIV. 1
— 2 —
der italianisiereiiden franz. Lyrik des 16. Jahrh. zu wissen;
80 erwähnt er von Mellin de St- Gelais nur die Gineira
und die Sophonisbe als Nachahmungen der Italiener ^)9 von
Desportes nur die Übertragungen aus dem Rasenden Roland
und aus Aretino's Marftm,^) Goujet behandelt allerdings in
einem eigenen Bande die italienischen Übersetzungen, doch
führt er von sonstigen Einflüssen der italienischen Literatur
wenig an. Du Bellay nennt er den französischen Ovid');
Konsard hat nach ihm nur das Altertum zum Vorbilde ge-
nommen ^) ; auch bei Ant. Baif wird mit keinem Worte des
italienischen Einflusses gedacht.'^) Besser unterrichtet sind
die Brüder Parfaict in ihrer IKstoire du ihedtre franQais (1745 ff.)
und Beauchamps in seinen Recherehes (1735), da die Bühnen-
dichter gewöhnlich die Quelle, aus welcher sie ihre Stoffe
schöpften, angegeben haben. Wo das jedoch nicht der Fall
ist, sind ihre Quellenangaben mit großer Vorsicht aufzunehmen.*)
Erst im 19. Jahrhundert beschäftigt sich eine Reihe
hervorragender Gelehrter mit der Untersuchung dieses Ein-
flusses. Ant. Scoppa stellt 1803 in seinem TraitS de la poisie
italienne, rapporte ä la poisie fran^ise eine eingehende Unter-
suchung über die französische Prosodie an und kommt zu
dem Besultate, daß ein großer Teil der franz. Verskunst von
der italienischen beeinflußt sei.^ Weit wichtiger ist Rathery's
Influence de VItalie sur les lettres frangaisesj depuis le XIIP s.
jusqu^au regne de Louis XIV. Doch gibt Rathery nur einen
allgemeinen Überblick über den italienischen Einfluß in Frank-
reich; einen großen Raum nimmt zudem die Untersuchung
von Frankreichs Einfluß auf Italien ein^); so handeln die
>) Biblioth. S. 864.
«) Ihd. S. 947.
«) Bibl. frang. XII, 119.
*) Ihd. XII, 192.
») Ihd. XIII, 340.
•) Vgl. über die geringe Zuverlässigkeit ihrer Angaben Böhm ^ Beitr.
z. Kenntnis d. Einflusses Seneca's (8. ^SSl), woselbst sich noch weitere
lAteratumachweise finden.
'') Traue, S. 245 f.
•) Oelsner, Dante in Frankreich, unterzieht das Buch einer
— 3 —
ersten 60 Seiten nnr von dem letzteren. Spricht er z. B. von
TassOy 60 ist ihm in erster Linie daran gelegen, zu be-
weisen, daß der italienische Dichter häufig auf altfranzösische
Quellen zurückgeht; zum Schlüsse erst fügt er hinzu, wie
Boileau und Voltaire über den Dichter geurteilt haben.^)
Über Konsard und seine Schüler weiß er nur zu sagen, daß
sie besonders Petrarca, Bembo und Sannazar nachahmen');
in ähnlicher, allgemeiner Weise wird die Pastorale behandelt.
Gründlicher und übersichtlicher behandelt Amould den
Gegenstand in seinen Essais de theorie ei cThistoire litteraire
(1858); er betrachtet die einzelnen Literaturgattungen in
chronologischer Reihenfolge und untersucht besonders eingehend
den Einfluß des italienischen Stiles auf den französischen. ')
Was den stofiFlichen Teil betrifft, so geht er, wie sein Vor-
gänger, nie auf Einzelheiten ein. So sagt er z. B. über die
franz. Dichter des 16. Jahrhunderts*): *Il serait facile de relever
dans les ceuvres de Bonsard, de du Beliay, de Baif, de Remi
BelleaUy de Desportes et en gincral des poetes de la seconde moiiii
du 16* siecle un grand nombre de morceaux lyriques, ödes, sonnetSj
ehansons, madrigaux, imites ou traduits de Vitalien, mais cela nous
apprendrait peu de chose.y (\) Ihm ist es besonders darum zu
tun, das resuUat definitif festzustellen.
Auch Demogeot widmet einen größeren Abschnitt seiner
Histoire des lüieratures etrangeres (1880) dem italienischen J!in-
flusse.^) Er verfolgt ihn als erster, allerdings in ganz kurzen
Umrissen, vom Beginn des 15. Jahrhunderts bis in die erste
Hälfte des 19. Jahrhunderts, lehnt sich jedoch allzusehr an
Rathery an, den er auch in der ausführlichen Behandlung
des französischen Einflusses auf die italienische Literatur
nachahmt.
scharfen Kritik; Demogeot, Eist, des litt itr.^ spricht ihm die Oriind-
lichkeit ab.
*) InfluencCy S. 96.
•) Ibd., S. 110.
*) Essais, 8. 335: »De Vinfluence exercee par h, littirature italienne
sur la litterature fran^aise.»
*) IM., S. 416.
») Chap. Xni, 135 ff.
!♦
— 4 —
in demselben Jahre (1880) erschien die erste be-
deutendere Arbeit über die italienischen Schauspieler in Frank-
reich, besonders in Paris, von Campardon, welcher sich
ausschließlich mit der inneren Geschichte derselben, mit ihr^
Beziehungen zum französischen Hofe, ihren Einnahmen, ihrer
sozialen Stellung und ihrem Privatleben beschäftigt.^) Auch
Baschet geht in seinen Comidiens italiens ä la cow de Fronet
nicht auf den literarischen Einfluß der italienischen Schau-
spieler ein.
Von deutschen Forschern kommt besonders Lotheissen's
Geschichte der franxös^iscJien Literatur im 17. Jahrhundert (1877)
in Betracht; zwar weist er nachdrücklich auf die wichtige
BrOlle bin, welche Italiens Schrifttum in Frankreich spielt^,
doch geht er nicht viel über BAtherj und Demogeot hinaus;
auch ihm ist die Pleiade in erster Linie Nachahmerin der
Alten, Malherbe einseitiger Bewunderer der Griechen und
B<)mer, Begnier nur ein Schüler des Horaz.^) Ergiebiger
dagegen ist Proelss' Abschnitt über dieses Thema in seiner
Geschichte des neueren Dramas (1880/83) *), besonders der Teil,
welcher die französische Oper^) bebandelt, während ihm da-
gegen bei der Besprechung der Tragödie und der Komödie
nicht wenige Irrtümer unterlaufen.®)
Erst das letzte Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts bringt
a^§ mehrere eingehende Abhandlungen über einzelne Epochen
der französischen Ldteratur, in denen die italienische Ein-
wirkung sich besonders geltend macht.
Nolhac und Solerti liefern einen ausführlichen Bericht
von Heinrich's III. Reise nach Italien und von seinem ersten
Zusammentreffen mit den Catnici gelost in Yenedig.'^ Stiefel
*) Les comediens du roi de la troupe ilalienne etc. Par. 1880. ^.
«) Geschichte J, 25, 27, 2e4ff.; ii; 9 ff.
») Ibd. J, 30.
*) Cf. Bd. II Halhhand i, 8-314.
*) Ibd., S. 234—310.
•j Ihd., S. 22 : Die Corrivaux sollen die Übersetzung eines Ariosf sehen
Lustspieles sein! 8. 26: Die Deguisez des J. Oodard sind nach ihm
von Larivey beeinfiufU.
'^ Nolhac e Solerti, II viaggxo in Italia di Enrico III etc
1890; vgl. auch das Öiorn. stör. 1891, XVIL 146 ff.
— 5 —
untersucht die ital. Qaellen des Paraaiie von Trisiran VHermiU
und einige unbekannte Quellen Botrou'scher Stücke.^) Texte
beginnt seine Forschungen über Italiens Einfluß auf die fran-
zösische Renaissance, welcher nach ihm darin bestand, daß
er in die Sprache Anmut und Reinheit brachte, in dem
Dichter einen stark ausgeprägten Individualismus großzog und
die idie düari als obersten Grundsatz für jeden Dichter auf-
stellte.^ Allerdings bleibt uns Texte einen befriedigenden
Beweis für diese von ihm aufgestellten Punkte schuldig. Die
Zeit Franz' I. wird hinsichtlich des italienischen Einflusses
eingehend von Fr. Flamini untersucht, welcher im 4. Kapitel
seiner Siuäi eine Reihe neuer Tatsachen zutage fordert und
besonders das Wirken italienischer Gelehrter am Hofe und
an der Pariser Universität schildert.^)
Während er in einem weiteren Kapitel gelegentlich der
Besprechung von Odet de laNoue's Gedichten den italieni-
schen Einfluß zur Zeit Heinrich's III. nur kurz behandelt^),
ist den Entlehnungen Desportes' bei den italienischen
Dichtem ein breiterer Raum gewidmet % wobei er viel Neues
bringt; so findet er in Desportes' Sonettonsammlung Les ren--
eonires des Muses de France et d^Italie zu der bis dahin auf 43
angegebenen Zahl von entlehnten Sonetten 10 weitere, deren
Quellen Sonette von Domenichi, Amomo, Rota und
Marini. bilden.*)
Das größte Verdienst um die Forschungen auf diesem
Gebiete jedoch hat der unermüdlich fleißige Toldo sich
erworben, der eine geradezu erstaunliche Kenntnis der
') Tristan V Herrn, Le Parasite (1891); derselbe, ünhdc. ital. Quellen
J. Rotroü'8 (1H9S).
') Les origines de la Ren, (1894); derselbe, Vinfluenee ital. dans
la Ren. fr.^ in seinen Ktudes (189H).
«) Studi di storia lett, aap. IV, 197—339; auf S. 206—209 führt er
die Namen von 6 bedeutenden Gelehrten an der Pariser Univ. an von
it€Ll. Dichtem a^n Hofe Franz I. toerden besonders Amomo und O. Camillo
Delminio (S. 297 ff,, bzw. 319 ff.) behandelt.
*) Le ritne di Odetto de la Noue e Vltalianismo a tempo d'Enrico
III, ibd., S. 370— 3H1.
*) I plagi di Ph. Desportes, ibd., S. 347 ff., und Appendix, S. 431 ff.
•) Le rime, ibd., S. 358—360.
— 6 —
italienischen und französischen Literatur an den Tag legt
Er untersucht die Quellen der französischen Novellen des
16. und 17. Jahrhunderts und findet, daß nahezu die Hälfte
derselben lange vorher schon in italienischen Novellensamm-
lungen enthalten waren. ^) Wenn auch G. Paris bestreitet,
daß Toldo's Quellenangaben für alle Novellen richtig seien,
so muß er doch zugeben, daß in den meisten ein italienischer
Einfluß sich geltend macht. ^) Noch wichtiger sind seine
Untersuchungen über die Komödie der Benaissancezeit, welche
er in einer Reihe von Artikeln in der Bevue cPHütoire litieraire
de la Frafice veröffentlicht hat.*)
Nach dem Vorbilde G-aspary's ^}, den er übrigens nicht-
erwähnt, zerlegt er die Handlung in den Lustspielen in ge-
wisse Motive und vergleicht diese in den Komödien der beiden
Literaturen. Da nun gewisse Motive in der Komödie aller
Zeiten unabhängig voneinander wiederkehren und die Grund-
lage fast jeder Intrigue bilden, müssen viele seiner Quellen-
forschungen mit Vorsicht aufgenommen werden. Wir werden
später Gelegenheit haben, ihm eine Anzahl von Irrtümern
nachzuweisen. Trotzdem darf seine Arbeit auf diesem Gebiete
als eine grundlegende bezeichnet werden, ebenso wie seine
Untersuchung über die italienische Kunst bei Babelais ^), über
Montesquieu's •), Diderot's ') und Voltaire's *) Beziehungen zur
Literatur jenseits der Alpen.
*) Contrümto (1895), pass.
*) La nouvelle fr. (Joum. d. Sav. 1895, mai-juin, 289—303; 342
—361); der formelle Einfl^ifJ toird von G. Paria voüst zugegeben; hin-
sichtlich des Stoffes will er keine y,lit€rarischen'* Einflüsse^ sondern in
erster Linie Volksiiberlieferung gelten lassen (vgl. ibd., S. 294^ 298, 350).
») La Comedie de la Benaissance (Rev. d'Hist. litt. 1897, XXIII,
366—392; 1898, XXIV, 554—603); bei Betz, La liU. comp,, S. 60, un-
richtig angeführt.
*) Geschichte, II, 611 ff.
*) Varle ital. nelV op. di Babelais (ANSp. 1899, Bd. 100, 103—148).
•) DelV Espion di G. P. Maranno etc. (Giom. sior. 1897 ff., XXIX,
47—79.)
') Se il Diderot abbia imitato Goldoni (Giom. stör. 1895, XXVI
S. 350—376).
*) Attinenze fra il teatro comico di Voltaire e quello di Goldoni
(Giom. stör. 1897, XXXI, 358).
— 7 —
Vianey beleuchtet zum ersten Male das Verhältnis der
Pleiade zu Ariost mit besonderer Berücksichtigung der Lyrik ^);
wenig gelungen ist ihm die Untersuchung über das Theater
des 16. Jahrhunderts, welches nach ihm, besonders in den
Tragödien Garnier's und Montchrestien's, einige Beschreibungen
von Zweikämpfen und Schlachten in der Manier des Ariost
aufzuweisen hat.^) Die Bradamante Oamier's erwähnt er
nicht, ebensowenig die beiden yorhergehenden, dem Orlando
furioso entlehnten Tragikomödien, von denen wir allerdings
nur die Titel besitzen. Bouvy liefert uns in seiner Abhand-
lung Voltaire et Vltalü (1898) ein reichhaltiges Material über
diese Seite der Yoltaireforschung ^) ; doch erschöpft er keines-
wegs den Gegenstand. Creizenach's dritter Band seiner
Geschichte des neueren Dramas (1903) berücksichtigt im
richtigen Maße den Einfluß Italiens besonders auf die Komödie,
bringt zum Teil neues Quellenmaterial, so z. B. für die Cbm-
vaux des J. de la Taille, die er ganz richtig auf eine Novelle
im Decamerone (V, 1)' zurückfuhrt^), schließt aber seine
Arbeit mit dem Jahre 1570 ab. Mit der Zusammenstellung
italienischer Dichter, die los Französische übersetzt wurden,
beschäftigen sich Blanc^) und Guidi'); doch können beide
den Anspruch auf Vollständigkeit nicht erheben; besonders
lückenhaft ist die Kompilation Blanc's; von den 94 Über-
setzungen (nebst deren verschiedenen Auflagen) Ariost's kennt
Blanc nur 46, Guidi zählt deren 84.
Den ersten Versuch, die bis 1900 vorhandene Literatur
über die Wechselbeziehungen des italienischen und französi-
^) L'Arioste et la Pleiade (Buü. ital, J, 293-^317).
*) Ibd., S. 313.
.*) B, nennt nicht die ital. QtteUen des Zadig^ noch die der J^cossaise,
geht nicht auf die einzelnen Nachahmungen in der Fucelle und in
Henri IV. ein; auch über die Quelle Tancr^de^s läßt er uns im ün-
geicissen.
*) Geschichte des neueren Dramas III^ 93 f.
*) Bibliogr, des trad. fr. d'aut, ital, in: Bibliogr. italico-fran^.,
II, 1265—1606.
•) Annali delle ediz. e delle versioni delV Orl. für. e ^altri lavori
etc., S. 177/f.
— 8 —
sehen Schrifttums machte Betz in seinem hibliographischen
Werke La liUeraiüre comparee (1900). Leider sind Betz* An-
gaben allzu unyollständig ^), die EinteUung ist mangelhaft,
da der Verfasser die Titel, anstatt nach Literaturperioden
oder Literaturgattungeo, nach der Zeit ordnet, in der die be-
treffenden Werke erschienen sind. Besonders dürftig ist
der itaUenisch-firanzösische Teil ausgefallen, in dem Betz zwar
eine ziemlich grofie Zahl £ranzösischer Arbeiten, dagegen fast
gar keine deutschen anführt und yon den deutschen wissen-
schaftlichen Zeitschriften nur ganz wenige in den Kreis
seiner Untersuchung zieht.
Von den bedeutendsten franz. Literaturgeschichten des
19. Jahrhunderts betonen nur die in der jüngsten Zeit er-
schienenen den Einfluß Italiens. Während Sainte-Beuve *),
Saint-Marc Girardin *) und Nisard *) auf die einseitigste Weise
die Nachahmung des Altertums als vorherrschend bezeichnen
und italienische Einwirkungen nur flüchtig berühren, werden
letztere von Lanson, Morf und in Petit de Julleville's großem
Literaturwerk, wenigstens in bezug auf das Theater mehr be-
rücksichtigt; allerdings ist es bei der Anlage dieser Werke
von vornherein ausgeschlossen, daß sie auf Einzelheiten ein-
gehen.
Außer den angeführten Werken wurde noch eine größere
^) S. 53 icird ein Artikel von Labitte: Dante j trad, de M. Fiorentino
etc. (R. d. 2 Jkf., 1. nov. 1S40) erwähnt^ doch suchten wir den Artikel
vei'geblich an dieser Stelle; daselbst vermissen toir bei Hauvette's Dante
dans la poisie fr. de la Ren. die Angabe j dafJ die betr. AbhandL nur
eine kurze Rede ist. Auf S. 58 ist bei Nunziante's Marino aÜa corte
di Luigi XIII, welcher in der Nuov. AntoL erschien, die Angabe des
Bandes ausgefallen. Murray^s Artikel The influence etc. (S. 66) erschien
in der Academy am 17. Juli, nicht am 4. Sept. über Betz* unvoll-
stäridige Angaben cf. Minckwitz^ IM. Bl. f. germ. u. rom. Phil. 1902,
S. 58; ebetiso Bouvy, Bull ital. 1901, I, 57.
*j Tabl. fiist. etc.; er erwähnt ital Einfl. weder bei Du Belhy
(S. 70 f.), noch bei Ronsard (S. SOff.).
*) Tabl de la litt, fr.; er erwähnt selbst bei MeH de St-Gelais
(S. 66) und bei Desportes {S. 80) keinen Einfl. der ital. Lit
*) Hist. de la litt, fr, III, 74: •La tragidie [est] imitie des anciens,
la tragi'Comedic imitee des Espagnols, la farce imitee de Vitalien.»
-^ 9 —
Anzahl von Spezialuntersachnngen zu Rate gezogen, welche
im Laufe unserer Abhandlung besprochen werden sollen.
2. Der Einfluß Italiens auf dto franzosiscfce Lyrik.
Der Umstand, daß das italienische Rom der Sitz der
Christenheit war, brachte es mit sich, daß sich ein reger
Verkehr zwischen den gebildeten Kreisen Frankreichs und
Italiens bereits frühzeitig entwickelte. Kardinäle, Priester
jeden Standes und Ranges, Diplomaten, Heerführer und ganze
Scharen von Söldnern waren stets auf dem Wege nach dem
Lande jenseits der Alpen, und brachten die großartigen Ein-
drücke, welche die Trümmer der alten Welt und die Nach-
kommen derselben, ihre neue Literatur, ihre Liebe zur Kunst
auf sie machten, mit nach Hause. ^) Andererseits sandte Italien
eine Reihe seiner besten Söhne nach dem westlichen Nachbar-
lande, und half so seine höherstehende Kultur dort zu ver-
breiten.^) Thomas von Aquio, Brunetto Latini studieren auf
der Pariser Hochschule. Pico della Mirandola^), Dante*),
Petrarca *), Boccaccio ^) verweilen, wissensdurstig oder schutz-
bedürftig, kürzere oder längere Zeit auf französischem Boden ;
CrStin, Molinet, Chastellain, Meschinot lesen und studieren
bereits die guten Schriftsteller Italiens ^, und bald dringen
*) Flamini, Studio pass.
«) Proelss, Ge8ch. II, 1, HaJthb,, S. 8; Lanson, Bist, S. 152,
besonders aber Arnaud, Les Italiefis jn-osateurs fr., wo diese Reiseti der
Italiener nach Frankreich von Brunetto an eingehend behandelt xoerden,
•) Dorez etThuasne, Pico d. l. Mirandola en France (cf. Giorn,
stör. XXXI ^4-5); ebenso Morf L 10 [La Croix, Bibl J, 459. Seine
Werke wurden von A. Baif 1557 übersetzt).
♦) Arnould, Essais, S. 3S8; Rathery, Infi., S. 20.
*) Lanson, l. c, S. 15S, 164; Arnould, l c, S. 338; Gaspary,
J, 409; Couture, Petr. et J. Colonne; cf. Romania 1882, IX, 338.
•) Arnould, l c, S. 338.
') Rathery,7nj^.,S. 5.5; ¥h. Chusles, ttudes, S. 86 f.; Becker,
Jean Lemaire, S. 298 ff. findet, daß Martin Franc, der Sekretär der Päpste
Felix V. nnd Nikolaus V., eine toichtige Vermittlerrolle zwischen den beiden
— 10 —
ÜbersetzungeD der großen italienischen Dichter Dante, Petrarca
und Boccaccio in weitere Kreise ein.*) Aber erst als die durch
Karl VUI. 1494 begonnenen Feldzüge der französischen Könige
Frankreich das Italien derBenaissance erschlossen hatten, ergoß
sich in das Land ein Strom nener Ideen, welche die bereits
vorhandene Neigung zur Nachahmang der antiken Literatur
stärkten, klärten und auf eine Besserung der unbefriedigten
Lebenszustände hindrängten.^) Der erste bedeutende Mann,
bei dem sich der neue Einfluß zeigt, ist Jean Lemaire de
Beiges. Seine italienischen Vorbilder sind Dante, Petrarca,
Boccaccio, Filelfo und Serafino.^) Aus der Div. Com.^ deren
Verfasser er mit J. de Meung auf eine Stufe stellt*), nimmt
er die Terzine mit ins Französische, und dichtet in diesem
Versmaße seinen Temple d!Honneur et des Vertus,^)
In seinem Buche Concorde des deux langues (1511), in
welchem Lemaire seine Überzeugung von der Überlegenheit
der italienischen Sprache zum Ausdruck bringt, fordert er
am Schlüsse zu gemeinschaftlicher Kulturarbeit der beiden
Länder auf.
Jene Überlegenheit bekundete sich auch darin, daß eine
Anzahl Franzosen sich der italienischen Sprache in Wort
Literaturen gespielt hat; in seinem Champion des Dames schiceht ihm
Dante' s Div. Com, vor, auf welche besonders die Nachahmer des Bösen-
romans ihre Blicke richten. Bocc.^s Decamerone und De claris mulieribus
finden frühzeitig Nachahmer in Frankr. Chastellain schreibt ihm zu
Ehren den •Temple de Bocace». Von Petrarca sind es die rührende
Geschichte von Griselidis und die ^Trionfi*^ welche mit Vorliebe nach-
gebildet werden,
») Blanc, Bibl Bd. II, S. 1291—94 [Dante); S. 1326—29 {Petrarca);
S. 1278—1281 {Boccaccio) ; von der Übersetzung BoccJs durch Le Ma^on
werden aüein 24 Ausg., bzw. Neuauflagen angeführt
•) Morf, Gesch. 7, 10.
») Becker, l c, S. 297.
*) Oelsner, Dante in Frk., S. 18.
*) Darmest. etHatzf., Le W «., 8.84; Lanson, l. c, 8. 227;
Birch-Hirscbfeld, Gesch. d. frz. IM. im 16. Jahrh., 8. 73, erwähnt
nichts von einem italienischen Einflüsse bei J. Lemaire; öidel, Hist.
de la litt, fr., S. 27, nennt den « Temple de Vinus* eine Dichtung im Geiste
der Trionfi; Morf, l. c, 8. 19: „Er ahmt gern Petrarca nach.*'
— 11 -r-
imd Schrift bedienten^ so G-. d'Avost^ Gab. de Gntterry,
J. Zaallart, Ph. E. de Gondi, P. Bricard.^) Umgekehrt sehen
wir Italiener, welche das französische Idiom gebrauchen, da-
bei aber eine Reihe von Italianismen mit einmischen.')
Der bedeutendste dieser Italiener ist O« Alione^), ein politi-
scher Dichter, welcher die Eroberungen der französischen
Könige in Italien feiert. Es ist Flamini's Verdienst, eine
Anzahl der berühmtesten italienischen Humanisten, welche in
französischer Sprache schrieben, der Vergessenheit entrissen
zu haben. ^) Stärker wird der italienische Einfluß mit der
Eegierung Franz' I. Nach Bathery dichtete dieser König
selbst in der Manier Petrarca's Sonette ^) ; Froelss *) nennt ihn
einen Bewunderer Aretino's; Maulde beschäftigt sich mit
der italienischen Erziehung des Fürsten Yomehmlich durch
Quinziano Stoa und schildert den Einfluß derselben auf sein
späteres Leben.'') Ob aber Franz I. ein besonderer Beförderer
des italienischen Einflusses auf die franz. Literatur war, ist
zu bezweifeln. Zwar stand er der Benaissancebewegung und
dem Eindringen italienischen Wesens mit großem Wohlwollen
gegenüber, doch fehlte ihm auch hier, wie in der Politik, die
nötige Energie und Aufopferung.^)
^) Siehe darüber Picot, Des Frangais qui ont eci^t en italien^ in:
Rev. des biblioth^ques, Bd, XI, S, 4-6.
•) Birch-Hirschf., Geschichte d. frz. Litt, S. 106; „Alione's
erste Arbeiten weisen vielfache Italianisnien auf.**
*) Darm. u. flatzf., Le 16* «., S. 86, führen seine }Verke an und
erwähnen, toie Wagner, Meli, de St-Gelais, S. 120, Alione als den Ver-
fasser des in Terzinen gedichteten ^^Chapitre de Liherte*.
*) Studi, S. 203 ff. Fl. hebt hervor, da/i Bathery kaum die Namen
dieser Männer kennt Fausto Andreiini, G. Aüione, Mario Filelfo und
Quinz. Stoa werden in den Studi eingehend beliandelt.
») Infi., S. 70.
•) Gesch., Bd. 1, Halbb. 2, S. 98 ff.
') LHnflitence de Viducation ital. sur Fr. /«•, in: Societe d^etud.
ital 1, 3 ff. Das beste ßild vom Italianismus am Hofe Franz' I. ent-
wirft Flamini im 4. Kap., S. 199—337, seiner Studi: Le kttere italiane
alla Corte di Francesco /., re di Francia.
•) Ähnlich Morf, Geschichte, in: ANSp. Bd. 94, S. 208, und
ProeUs, /. c, Bd. II, Halbb. I, S. 8, welcher aber den Beginn des
Einflusses der ital. Lit später ansetzt
— 12 —
Wichtig ist, daß anter seiner Begiernng zahlreiche Über-
setzungen italienischer Dichter in Frankreich erstehen» 1537
wird der Cortegiano Castiglione's übersetzt^), nachdem im
Gentilkomme Pasquier's um 1528 bereits eine Nachahmung
dieses so berühmten Werkes erschienen war.*) 1543 machte
die Übertragung Ton Ariost's Orlando furioso ■) Frankreich mit
den fantastischen Schöpfungen des ferraresischen Dichters
bekannt; in demselben Jahre erschien auch Macchiavelli^s
„Kriegskunst^ in französischer Sprache. Ein Jahr später über«
setzt J. Martin die Ärcadia Sannazaro's, ein Werk, das nahezu
ein Jahrhundert lang den gewaltigsten Einfluß auf die fran-
zösische Literatur ausüben sollte.^) 1549 gab J. Vincent
den Franzosen eine Übersetzung des Orlando innafnüraio^)\
1571 endlich, bereits nach dem Tode Franz' I., erschienen
in franz. Sprache Bembo's ^) Asolani, welche von dem bereits
erwähnten N. Pasquier in seinem Monopkile nachgeahmt worden
waren.')
Petrarca war längst schon übersetzt worden; seine
Dichtungen und Bembo's Asolani erweckten die Begeisterung
der französischen Dichter für platonische Ideen ®) und so ent-
stand nach dem Muster der italienischen Akademien, wenn
auch etwas freiheitlicher, die Lyoner Dichterschule, deren
Hauptvertreter Sc^ve, Dolet, Babelais, Sainte-Marthe und
Fontaine waren.*)
Den Mittelpunkt dieses Piatonismus bildeten Marguerite
») Morf, Gesch., S. 35; derselbe in: ANSp., Bd. 94, 8. 210; ein
ausführliches, wenn auch nicht vollständiges Verzeichnis der ital. Über*
Setzungen jener Zeit findet sich bei Goujet, VII, Iff.^ VIII, 428 ff.
•) Toldo, Contributo, S. 41, Anm. 4.
*) Birch-Hirschfeld, Geschichte, Anm., 8. 29.
*) Du Verdier, 8. 719.
*) Du Verdier, 8. 627.
«) Du Verdier, 8. 719, von J. Martin übersetzt.
') Toldo, Contributo, 8. 46, Anm. 2.
•) Biroh-Hlrschf., Gesch., 8. 16Sf.;ibd., Anm., 8. 29: die Trimfi
wurden übers. 1514, 1519, 1531; 12 Sonette v. J. Peletier 1647.
*) Siehe darüber eingehend 6eiBourciez, Les mceurspol., 8. 101 ff.;
Birch-flirschf., 163/f.; Lefranc, Le Platofiisme etc., in: Rev. d^Hist.
litt, de la France 1896. Ille annee, 8. 1—45.
— 13 —
de Nayarre und Heroet, ihr Sekretär und Verfasser der Par-
faite Amtfe.^) Neben Petrarca und Bembo wurden in diesem
Kreise besonders die Italiener Oayalcante, Politiano, Accolti
und Pico della Mirandola studiert.^)
Mit dem Einzug der Dauphine Catherine de M6di-
cis in die französische Hauptstadt faßt die italienische Lite-
ratur in Frankreich festen Fuß.*) Die florentinische Höf-
lingsgesellschaft bildet einen Herd italienischen Einflusses, in
dessen Zentrum lange Luigi Alamanni stand, der in zahl-
losen Dichtungen und besonders in seinem Gedicht übei- den
Landbau (1546) König Franz feiert. Leider fehlt uns bis jetzt
eine Würdigung des Einflusses dieses Italieners auf die fran-
zösische Literatur.*)
Italienische Künstler und Schriftsteller lebten in Frank-
reich oder fanden sich dort vorübergehend ein, wie Bernhard
Tasso und U Rosso. Äretino erbat sich von Italien aus die
Gunst des französischen Hofes. Die größten italienischen
Künstler übten ihre Kunst an den Prachtbauten der da-
maligen Zeit : Leon, da Vinci, Andrea del Sarto, Primaticcio,
*) Lefranc, l. c, S. 9 ff. Über Mar g.^ 8 Briefwechsel mit der ital.
Dichterin V. Colonnttj «. Birch- Hirse hf., S. 112; nach Rathery {Infi.
S. 73^ schätzt und rühmt diese Fürstin besonders della Casa^ Caro,
Tolomeiy Alamannij Bemardo Tasso.
*) Katharinen^s Bedeutung in dieser Beziehung mird bes. eingehend
von Büurciez (Les moeurs^ S. 270 ff) geschildert: Sie brachte italienische
AlmosenierCf Astrologen^ Ehrendamen etc. mit an de7i Hof. Ähnlich bei
Arnould, Essais, S. 339; Demogeot, Eist, S. 143; Birch-H.,
S. 111-112; Flamini [Sludi, S. 200) hebt hervor, daß Kath. sich be-
sonders um Fetr, verdient gemacht habe, weil sie eine Sammlung petrark.
Sonette, betitelt *Laure dAvignon* herausgab. Ihr Sekretär Tronchet
übersetzte 70, Philieul de Carpentras in ihrem Auftrage 196 Sonette des
ital. Dichters.
') Hauvette'8 L. Alamamii {S. 80) berührt diesen Punkt nur
ganz oberflächlich; vgl. die Krit. in der ZfSp. 1904. XXVI, Ref.,
S. 214 ff.; Boss. Hbl. 1904. XII, 148 ff.; Flamini (Studi, S. 269—285)
erwähnt ebenfalls Alam.'^s Einflu(i auf die frz. IM.; ferner behandelt
er neben Alam. den bis jetzt ganz unbekannt gebliebenen Hofdichter
Martellif welchen er «iZ piü cospicuo letterato italiano» der Zeit nennt.
(Cf. S. 311—316, woselbst noch einige weitere Namen sich finden.) —
Über AI. s. noch Bucbetmann, Rotrou^s Antigone, S. 29.
— 14 —
Benv. Cellini, Fra Giocondo und Domenico da Cortona,
Paganino und Pachiazotti, Andrea Solario ^) waren die herTor-
ragendsten. Eine Anzahl von Lehrstühlen an der Pariser
Hochschule war von italienischen Gelehrten besetzt.^
Die französischen Lyriker fangen an, ihre Liebe in der
Manier Petrarca's zu besingen. Selbst Cl. Marot kann sich
vom Einfluß Italiens nicht frei halten. Während seines
langen Aufenthaltes in diesem Lande lernt er die italienische
Sprache und Literatur gründlich kennen; dem Studium der
ersteren verdankt er seine glatte Ausdrucksweise, seine kunst-
vollendete Form.^ In seinen Jugenddichtungen merkt man
den Schüler Petrarca's; im Temple de Oupide vermischt er die
Manier des Bosenromans mit der geistreichelnden Kunst des
Dichters der Laura*); er übersetzt sogar eine Reihe Ton
Sonetten und Visionen*) und studiert mit Vorliebe Aretino,
dessen Stil er nachahmt. •)
In grammatischer Hinsicht beruft er sich gerne auf die
Italiener, so bezüglich der Kongruenz des Partizips Perfekti
und des Gebrauches des Artikels. "^ Die Arcadia Sannazaro's
hat er ebenfalls gelesen, wie aus der 1631 auf Louise von
Savoyen geschriebenen Totenklage hervorgeht.*)
Marot's Freunde und Schüler sind fremden Einflüssen
sogar noch zugänglicher als ihr Meister. Desperiers^) zeigt
«eine Vorliebe für die italienische Sprache in dem häufigen
Gebrauche der Diminutivform auf ei und ette.^^) Noch mehr
^) Flamini, Studi., S. 226.
«) Morf, Gesch,, S. 36.
*} Demogeot, Hist, S. 138; Bourciez, in: Hist. de la lan^ue
et litt, fr.f hrg. v. P. de Julleville. Bd. III, 111^ erwähnt nichts von einem
ital. Einflüsse.
*) Gidel, Bist, S. 55.
*) Demogeot, l. c, S, 138; Wagner gibt in seiner Arbeit über
MeUin de St-Gelms (S. 120) sechs als die Zahl der übersetzten Sonette
an, erwähnt auch ein Epitaph auf Laura.
«) Rathery, Infi., S. 72.
') Wagner, Mellin de St-Gelais, 8. 121.
•) Morf, Gesch., S. 50.
•) Über Desperiers cf. Rev. d'Hist. litt. 1902, IX, 100.
^^) Morf, Gesch., S. 52; ausführlich über sein Leben handelt
Birch-Hirscbf., Gesch., S. 36f.
— 16 —
tritt der Italiamsmus bei Mellin de St-Gelais zutage. Dieser
erscheint als eigentlicher Träger des Kultus, dessen sich die
italienischen Dichter, vor allem Petrarca, am französischen
Hofe zu erfreuen hatten, und der italienischen Geschmacks-
richtung in der Poesie, welche sich mit Du Bellay, Baif und
Bonsard noch in der folgenden Schule fortsetzte.^)
1638 übersetzt Saint-Gelais den Cortegiano in einer uns
yerloren gegangenen Fassung^; 1646 erscheint der erste
Band seiner Gedichte, worin der italienische EinfluB vor-
herrschend ist. Italianismen finden sich im Beim, in den
Vokabeln und Wortformen (besonders der substantirierte
Infinitiv); ital. poetische Formen werden eingeführt, so z. B.
das Madrigal, die Terzine für die beschreibende Dichtung und
das Pasquill.^) Von den ital. Lyrikern ahmt er besonders
Petrarca und Aretino, von den Epikern, wie wir sehen werden,
Ariost, von den Dramatikern Trissino nach. Im Epigramm
dagegen nimmt er Boccaccio und Poggio als Muster.
Auch Margarete von Navarra's Lyrik steht, wenigstens
in der Form, unter Petrarca's Einfluß. Sie schreibt Terrinen
nach dem Vorbilde des großen Florentiners, welchen sie
gründlich studiert, und ahmt Sannazaro's „Weiden^ in der
Einkleidung der christlichen Gedanken in antiker Mythologie
nach.*)
>) Siehe Birch-Hirschfeld, Geschichte, 8. U9ff.; Wagner,
Meüin de St-Gelais, Leben u. Charakteristik, S. 9—119; der ital, Einfl,
auf St.-Gel. {S. 119—149) ist sehr eingehend behandelt. Lenient {La
Satire au 16* «., S. 149); Bourciez, in JulUviiys großer lAtt-Gesch.
{Bd. III, Kap. 2, S. 131) sagt von St-Gelais, er schwanke zivischen Vn-
gebundenheit u. petrark. Manier.
') Morf, Gesch., S. 52 drückt sich ungenau aus, wenn er sagt,
daß Meilin d. St-Gelais eine Ausgabe des Cort. besorgt hohe.
•) Wagner, i. c, S. 120 ff.; Morf, Gesch., S. 52: „Er {Meüin)
schreibt Terzinen auf der Spur Bembos und Äriosts.** Sainte-Beuve
{Le 16* s., S. 40) und St-Marc Girardin [^Tabltau, S. 66) erwähnen
keinen italienischen Einfluß.
*) Horf, Gesch., S. 60; Lefranc {Dem. pois. de Marg.) findet den
Einfluß Dantes bes. in zwei der von ihm hrsg. Gedichte Margaretens. Nach
Fi cot {Des Frangais qui o?it icrit en italien. Bev. des bibl. 1900, XI,
S. 4 — 6) schrieb Marg. sogar 4 Sonette in italienischer Sprache. Ahnlich
flauvette, in: Bull. ital. Bd. II, 217.
— 16 —
Obwohl die Franzosen im Jahre 1559 ihre Eroberungen
in Italien verloreo, dauerte der literarische Einfluß Italiens
unvermindert fort, wohl deshalb, weil die nunmehr aus-
brechenden Beligions- und Bürgerkriege einen solchen Nieder-
gang über das Land brachten, daß die Dichter ihre Blicke
mehr denn je nach Italien wandten und dort ihre Meister
suchten. Es ist daher keineswegs auffallend, wie Lotheissen
meint, „daß mit dem Steigen der religiösen Leidenschaften
in Frankreich das Anwachsen des italienischen Einflusses and
damit auch der klassischen Studien zusammenfällt.^ ^} Nach
Morf beginnt gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Periode
des Niedergangs der Kenaissance«Literatur und damit des
ital. Einflusses.^)
Noch ehe die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts zu
Ende ist, treten die Dichter der Plejade in Tätigkeit. Bis
in die neueste Zeit hinein glaubte man ihren Versicherungen,
Nachahmer der Alten zu sein. Ein eingehendes Studium
hat das überraschende Resultat ergeben, daß sie weä mehr
unter italienischem, ah ufUer antikem Einflüsse stehen, und
daß sie oft absichtlich auf antike Nachahmung hinweisen,
wo italienische vorhanden ist. Die Deffence Du Bellay's
befürwortet von speziell italienischen Dichtungsarten nur
das Sonett.*) Die antiken Formen, welche Du Bellay empfiehlt,
wurden längst schon in Italien gepflegt und konnten ebenso-
gut als Vorbilder dienen, wie die klassischen Originale. Sainte-
Beuve*) erwähnt weder bei Du Bellay noch bei Bonsard
italienischen Einfluß, Saint-Marc Girardin ^) kennt als italieni-
sches Vorbild der Plejade nur Petrarca, auch Darmesteter
und Hatzfeld nennen kein anderes italienisches Muster^, selbst
') Gesch. J, 26.
«) OescK S. SS ff.
') Livr. II, chap. IV: «... So7ine moy ces heanx Sonnet»^ non moins
dode que plaisante Invention Ifalienne . . . Ponr le Sonnet donqties tu
as Petrarqne et quelques modei-nes Italiens.»
*) I^ 16* siede, S. 70 u. SO.
») Tahleau, S. 66.
•) Le 16* sxMe, S. 06 ff. und S. 125.
— 17 —
G. Pellissier bringt in Julleville's großer Literaturgeschichte
keine neuen Resultate.^) Dagegen hatte bereits in den 50 er
Jahren des vergangenen Jahrhunderts Amould den italieni-
schen Einfluß auf die Plejade stark betont.^) Er sagt: „Was
Ronsard und die Lyriker seiner Zeit besonders erstrebten,
war die Harmonie der Sprache. Diese suchten sie bei den
Italienern. Man las nicht nur Petrarca und Sannazaro, man
las sie laut; man hörte sie rezitieren, sucht« die Harmonie
ihrer Verse zu erfassen und in die Muttersprache zu über-
tragen.^ Leider läßt sich Amould auf eine nähere Unter-
suchung nicht ein. Auch Lanson stellt den italienischen und
den antiken Einfluß auf gleiche Stufe.')
Texte, der tüchtige Renaissanceforscher, geht noch weiter,
wenn er von den Dichtern der Plejade sagt: tUs parlent bien
limä de Pindare mi d'Homfre; au fond ils songent d Petrarque
ou au Tasse , . . Partout ce soni les Italiens qui nous foumissent
et les genres et les modeles. > *)
Falsch ist es, wenn Proelss neben dem antiken und
italienischen Einflüsse noch den spanischen anführt ^), da dieser
erst mit dem Ende des Jahrhunderts sich fühlbar machte,
als das Plejadengestim längst schon untergegangen war.
Wir wollen nun näher auf die Untersuchung des Ein-
flusses eingehen, welchen die großen Lyriker Italiens auf jene
franz. Dichtergruppe auszuüben vermochten.
Bonsard ahmt in seinen Oden nicht bloß Pindar, wie
man bisher einseitig annahm, sondern auch Petrarca und
besonders Alamanni nach, dessen kymnes pindariques er in
seinen Ödes pindariques die Einteilung in Strophen, Gegen-
strophen und Epoden entlehnte. •) In seinen Sonetten, ^Amours
^) Bonsard et la PUiade {Petit de Juüev., Hist III, lB7ft.).
») Essais, S. 412.
') Hist, S. 164: •Les Italiens sont mis sur le meme pied que les
anciefis.»
*) Bev. des cours et conf., März 1S94, 8. 248.
») Gesch., Bd. II, Hhd. 2, S. 15.
") J. Vianey, in: Bev. d. lang. rotn. 1900 sept.—oct. Vgl. noch
die Bev. de la Benaiss. 1902 {oct. - dec.).
Mänchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIY. 2
— le-
ck Cassandro betitelt, verbindet er die Erotik der petrarki-
schen Manier mit dem Schwelgen in mythologischen Vor-
stellungen ^) ; daneben macht sich auch der Einfluß Bembo's
und anderer Nachahmer Petrarca's geltend; dagegen befreit
er sich in den tAtnours de Marien, namentlich im ersten Teile,
Yom Einfluß Petrarca's % während er in den Eklogen wieder
ganz in dessen Spuren wandelt. Zu den Eklogen liefert ihm
nicht nur Vergil, sondern auch Sannazaro das Beispiel, oft
sogar den Wortlaut.^) Ob Ronsard jedoch das Sonett in
Frankreich in Mode gebracht hat, ist bezweifelt worden.
Pflänzel datiert die ersten französischen Sonette in Petrarca's
Manier vom Jahre 1511^), während Ronsard die seinigen erst
1547 veröffentlichte; für Du Bellay beansprucht er die Ehre,
das Sonett eingeführt zu haben ^), der jedoch erst 1549
seine ersten 50 Sonette herausgab. Wagner endlich sucht
zu beweisen, daß jene Ehre dem Abbe St-Gelais gebühre,
der bereits um 1511 sich eingehend mit der italienischen
Poesie beschäftigte, während Marot erst von seiner ersten
italienischen Reise 1535 an mit ihr bekannt wurde ^; doch
unterläßt Wagner, ein Datum fiir das Erscheinen der ersten
Sonette St-Gelais' anzugeben. In Vaganey's Sonettenverzeichnis
wird Ronsard als der erste franz. Sonettendichter bezeichnet. "^
Wie dem auch sei, Ronsard war einer der ersten, die in der
Sonettenform dichteten und dieselbe auf französischem Boden
heimisch machten.
Mehr noch als Ronsard sucht Du Bellay seine Vorbilder
jenseits der Alpen. Seine Olive ist eine Sonettendichtung nach
dem Muster Petrarca's, doch benützte er nicht nur diesen, wie
") Suchier und ßirch-Hirschf., Gesch., S. 349.
«) Morf, Gesch., S. 158.
*) Torraca, GH imitafori str. del Sannazaro, S. 58.
*) J. du Bellay, S. 7.
*) Ibd., S. 14.
*0 Mellxn de St.-G., S. 124. — W. erörtert die Streitfrage sehr
eingehend.
^) Le Sonnet en It. et en Fr., unter dem Jahre 1547 (die Ab-
handlung ist nicht paginiert).
— 19 —
Demogeot^), Lanson^) und Pellissier') zu glauben scheinen,
sondern er plünderte hauptsächlich die im Jahre 1546 in
Venedig erschienene Sonettensammlung 100 italienischer Dichter
aus, von denen er, wie leicht erkenntlich ist, 30 teils aufs ge-
naueste nachahmte, teils geradezu übersetzte. 1553 schwört
Du Bellay bekanntlich den Petrarkismus ab, jedoch nicht
den italienischen Einfluß. Die Aniiquiiez de Borne, welche
bis in die neueste Zeit als selbständige Schöpfung des
Dichters galten, haben neben lateinischen auch eine ilreihe
italienischer Vorbilder aufzuweisen, so Guidiccioni, Molza,
Dante, Ariost; ja selbst Petrarca's Geist weht in Du Bellay's
Klageliedern.*) Auch Jodelle's lyrische Dichtungen, seine
TerceiSj sind Nachahmungen von Capitoli italienischer Dichter.*)
Antoine de Baif^) ist mehr Epiker als Lyriker; als
letzterer schrieb er die anmutigen Amours de Meline (1552),
die Amours de Francine (1558) und Les Amours diverses, Sonette,
die sich im Geleise petrarkischer Liebesdichtungen bewegen,
welchen jedoch ein gewisser naturalistischer Sinn eigen ist. Seine
Embassade de Vemis ist eine Nachahmung Bembo's und enthält
eine Lobpreisung der Liebe. Die beiden Dichtungen Genevre
und Fleurdepim, Nachahmungen Ariost's, werden später noch be-
handelt werden. Pontus de Thyard ist einer derjenigen Dichter,
welche fast gleichzeitig mit Ronsard petrarkische Dichtung
pflegten ') ; seine Erreures amoureuses erschienen in ihrem ersten
Teile sogar vor den Amours de Cassandre, Die meisten Versarten
entlehnt er Petrarca, Sannazaro "), Cariteo, Teobaldeo. Zahl-
reiche Italianismen und Concetti sind in seinen Dichtungen zu
finden.
>) Eist, S. 140,
«) HisL, S. 282.
») Eons, et la PlHade {JulleviUe, Bist III, 193),
*) Vianey, BtdUtin ital. 1901, I, 31off. u. JF, S9ff.
*) Darm, et Hatzf., Le 16* siecle, S. 116, Anm, 2.
•) Nagel, Das Lehen J. A. d. Baifs {Herr, Arch. Bd, 60,
8. 241^266); derselbe, die Werke J. A. d. BaXfs {Herr, Arch, Bd. 61,
8. 53—124).
^ Flamini, Role de F. d. Th. dans le pitrarquisme fran^. (Rev.
de la Renaiss. 1901, 1. fasc),
•)Torraca, QU imitatori str, del 8annazaro, 8, 40 ff,
2*
— 20 —
Eine größere Anzahl weniger bedeutender Poeten schließt
sich den Führern dieser petrarkischen Liebeslyrik an; zahl-
lose Sonette, Oden, Elegien und Eklogen werden gedruckt,
alle den ewig neuen Gregenstand der Liebe, bald platonisch,
bald realistisch behandelnd. Eiine gewisse ermüdende Ein-
förmigkeit konnte nicht ausbleiben, leidet doch schon Petrarca's
Canxoniere an diesem Übel. So tragen die Sonette Ta-
hureau's ^), de la Feruse's, Denisot's, Ol. de Magny's % Fasserat's
und des Masures' dasselbe Gepräge petraririscher Nach-
ahmung. Der bedeutendste von den eben angefühlten
Jüngern der Plejade ist unstreitig Ol. de Magny, welcher
neben Petrarca auch Sannazaro sich zum Vorbild wählt,
letzteren besonders in seinen 1557 erschienenen Soupirs, in
denen sich, nach Morf, auch Fabrizio Luna's Einfluß geltend
macht. ^) Zu den Fehlern Magny 's rechnet Lintilhac : <Ueaxe^
de facüite, le petrarquisme et la serviiüc dans Virniiation de tous
les modcles ordinaires des petrarqtdsants depuis Anacreon jusqu^d
Sannaxar,>^)
Ein ebenfalls sehr bemerkenswerter Lyriker ist J. Vau-
quelin de la Fresnaye. Seine Foresteries, in denen er seine
Liebesgeschichte erzählt, sind eine Nachahmung der Ärcadia
Sannazaro's.*) Einzelne Teile sind geradezu wörtlich übersetzt,
so ist z. B. For. /, 1 eine Übersetzung von jEH. //, 2 der Are.
und For. I, 6 von Ed. I, 9.^) Auch Vauquelin huldigt der
petrarkischen Manier, auch er hat seine Laura (Myrtin e),
welche er in Form und Inhalt, ganz wie sein Vorbild besingt.^
Seine beiden Bücher Idiüies weisen ebenfalls, jedoch nur ver-
einzelt, italienischen Einfluß auf. Seine Satiren (1605) galten
i)Lemercicr, Vauq. d. l. Fr,, S. 19; Morf, Gesch., S. 171.
«) Lintilhac, Hist J, S. 201 Torraca, l. c, S. 44.
») Gesch., S. 172.
*) Hist, S. 201.
*) Lemercior, Vatiq. de la Fr., S. 23 ff.
«) Ibd., S. J25.
"') Ihd., S. 143, ICO Lemercier mit Bez. auf Petr. folgenden Vers
VauqueliiVs zitiert.
Et volontiers ponr lui je m'en irois ä Borne.
In seinem «Art pociique» {I, 547) sagt Vauquelin von Betr.:
QuHl oma le sonnet de sa premi^re gräce.
— 21 ^
lange Zeit als selbständige Schöpfungen. Goujet ^), Lenient %
Amoold^), Morillot^) erwähnen nichts von einer italienischen
Beeinftossung der französischen Satiren in dieser Zeit; allein
schon langst ist Ton Lemereier der Beweis geliefert worden,
daß sie zum großen Teil Plagiate sind ^) ; von Ariost entlehnt
eVy wie wir weiter unten sehen werden^ über die Hälfte seiner
Episteln, während er eine Anzahl von Satiren ans SansoTino's
Sajnmlnng Setie lAbri di satire (1660) übersetzt.
Im Jahre 1673 erschien PL Desportes' erste Gedicht-
sammlung, deren erste Hälfte Amours de Diane und Amours
d'Hippolyie überschrieben ist, und aus Sonetten, Oden, Stances
und Terzinen besteht/) Sodann folgen Liebesklag^i (ßUgies)y
Stücke, welche ans dem Orl. fwr, übersetzt sind,nnd Diverses
Amours et atäres aeuvres mesides. Später kamen noch die Demieres
Amours (Les amours de Cleonice) hiazn.
Du Verdier zahlt sieben italienische Vorbilder für die
lyrischen Gedichte DeqM)rtes' auf: dellaCasa, Mozarillo,
Gnidiccioni, Molza, Copeta, Sannazaro und Berni.^
IXese Aufzählung ist jedoch nicht vollständig. In der Dieme
folgt er Yor allem dem Sänger der Laura % dann finden sich
auch noch Anklänge an Pamphiio Sassa") Fla mini findet,
wie bereits S. 6 bemerkt wurde, noch weitere Vorbilder in
den italienischen Lyrikern Domenichi, Amamo, Bota und
Marini.^^) In seinen epischen Versuchen stoßen wir auf
Aiiosfs und auf Aretino's Spuren. ^^) Schon im nämlichen
*) Thiätre franc. Uly 296.
«) La Comedie, S. 243,
*) Essais, 8. 426,
*) In: Julkville, Eist, III, 2öH.
*) J^tude litt. 8ur les poesies de J, Vauq, de la Fresnaye. 1887,
& 199 ff. VgL ferner Vianey, in der Rev. des Universites du Midi,
1895, I, S. 315 (dort zeigt V., daß Vauq. in seinen Satiren ein Plagiator
gewesen ist).
«) Morf, Gesch., S. 177,
') Bihl, S. 947.
•) Flamini, Ess., S. 361 {pei Morf\ S. 241 falsch zitiert),
») Vianey, Ufi modele de Desp, {Bev, d'Hist. litt 1903, S. 277 ff.).
") Ess,, S. 368^360.
") Morf, Gesch., S. 177,
Jahre, wo Desportes' Amaurs cCHippolyte erschienen, schrieb
ein Anonymus, nach Goujet^) ein gewisser R. G. de Saint-
Jory, ein Pamphlet, Les rencontres des Muses de France et
d'Italie, in welchem er für 43 Sonette Desportes' fünfzehn
ital. Vorbilder nachweist. Seitdem hat die Forschung gefunden,
daß die Zahl der Plagiate viel größer ist, daß indessen
Desportes' Nachahmungen den italienischen Originalen meist
ebenbürtig und oft überlegen sind, wie Faguet zu beweisen
gesucht hat.^ Baillet nennt ihn bereits im 17. Jahrb. den
Prince des po'etes erotiqv£s^)j Morillot den geschicktesten der
Petrarquisten.*)
Desportes' Schüler B ertaut steht besonders als beschrei-
bender Dichter unter italienischem Einfluß, sonst hält er sich
mehr an seinen Meister Desportes und an Bonsard, die er
ausdrücklich als seine Vorbilder bezeichnet. !&Iit Bertaut
endet die Herrschaft des Petrarquismus in Frankreich;
die folgenden Dichter werden jedoch darum den italienischen
Mustern nicht untreu. Tansillo, Berni, Aretino und die
burlesken Dichter treten nun an Stelle Petrarca's, des
Lyrikers xcti' H^X^v.
Fr. de Malherbe versuchte der franz. Literatur
eine neue, vom italienischen Einfluß unabhängige Lyrik zu
geben, aber auch er bildete sich an den Italienern heran:
sein erstes größeres Gedicht ^die Tränen des hl, Petrus^
(1587) waren eine Nachahmung von Tansillo's gleichnamiger
Dichtung.**)
») Bibl fr. XIV, 71.
*) Desportes (Rev. d. cours et conf. Janv. — Mars 1S94. S. 385, 417,
461, 481); dasselbe sagt Morf, Gesch., S. 178.
') Jugemens des Sav. F, 37.
*) In: Jullev., Eist. III, 251: «B lui (ä Petrarque) ap^ns lesprocMrs
de composition et de style, auxquels ont ew recotirs, pen om heaucoup,
tous les poltes du temps, ä la seule exce2)tion de Iht Bartas.»
■) In seiner Yorr. zu Malh.^s Wei'ken gibt Laianne Tansillo' s ^La-
grime» in 13 Gesängen als Quelle an, während Allais [Malh., S. 115)
beweist, daß Malh. die erste Ausgabe der ital. Dichtung in 42 Stanzen
(1560) benützte, und seiner Vorlage gefiau, Vers für Vers folgte. Bob,
Estienne hat 1595 ebenf. eine Nachahm. der »Lagrime» herausgegeben,
s. Allais, l c. S. 286).
Der Satiriker M. R^gDier folgte den Lateinern, vor allem
floraz, aber auch den neueren Italienern, Bemi, B. Aretino
und Ariost. Amould beweist, daß er auch mit Vorliebe die
Capitoli Mauro's und Caporali's studierte und nachahmte, be-
sonders in Sitten- und Charakterschilderungen.^) Flamini
meint, daß sogar zwei Drittel seines Honnmr ennemi de la vie
Kachbildungen Mauro's seien, daß er mehrere Züge seines
berühmten Mauvais gite Bemi entlehnt und noch mehrere
andere ital. Dichter als Modelle benützt habe.^
Thöophile de Viau schrieb außer Komödien eine An-
zahl Yon Oden, Sonetten und Satiren ; die in diesen Gedichten
für witzige Vergleiche und sinnreiche Gegensätze zutage tretende
Vorliebe mag er Desportes und den Italienern, besonders
Marini entlehnt haben. Eine Untersuchung seiner lyrischen
Dichtungen nach dieser Seite hin fehlt noch.
Als bedeutendste Gefährten Malherbe's sind Maynard
und Racan zu nennen. Ersterer gibt selbst in einem Briefe
an Conrart zu, daß er die besten italienischen und spanischen
Bücher täglich lese*)/ sein Philandre ist ganz im italienischen
Geschmacke. Racan verstand sehr gut italienisch; er
liebte die Italiener und ahmte sie nach.^) Voiture und die
Gäste des Hotel Rambouillet huldigen, soweit sie für die
lyrische Poesie in Betracht kommen, ebenfalls der Nachahmung
Italiens ; ist doch die sich dort treffende Gesellschaft nur eine
Nachbildung der römischen Gesellschaftskreise, und stammt
doch Cath. deVivonne mütterlicherseits von Italien ab.
Was zur Schönheit des Lebens beitragen konnte, die Pflege
der Kunst und Poesie, die gefällige Unterhaltung, den leichten
Verkehr der beiden Geschlechter, all das nahm man von
1) £m., S. 42fK
*) Studi, S. 369. Lotheissen, Gesch. 1, 104, sagt von RSgnier:
Seine HauptniMter blieben die Lateiner-; doch benutzt er manchmal auch
einen ital. Dichter als Vorbild. Von diesen Italienern erwähnt er jedoch
nur Mauro.
') Faguet, Maynard (Rev. d. cours et conf. Xov. lH94—mars 1695,
8. 33 if.), wo der Brief zitiert wird.
*) Arnould, Ess.y S. 416.
— 24 —
Italien.^) Demogeot nennt die drei Hauptdichter des Bdtels,
Yoiture, Benserade und Dorat Jünger der Muse Marini's.^
Dieser italienische Dichter, welcher am fran2. Hofe eine
glänzende Stelle ') einnahm, wirkte geradezu verderblieh durch
seinen . Einfluß auf die französische Lyrik. Seine Über-
treibungen in der Anwendung von Antithesen, Wortspielen
und glänzenden Bildern, der sogenannte Marinismus, fanden
überall Eingang. Andererseits ist der Zug von Freigeisterei,
der sich um diese Zeit in der franz. Lyrik geltend macht,
ebenfalls auf einen Italiener, Lucilio Yanini, einen Schüler
G. Bruno's, zurückzuführen.*)
Mit Boileau's Auftreten macht sich die franz. Poesie
vom italienischen Einflüsse frei*); der Hauptgrund dafür ist
in dem raschen Verfall der italienischen Poesie zu suchen;
außerdem kommt noch hinzu, daß Frankreichs Dichtkunst sich
gerade um diese Zeit zu einer hohen Blüte emporschwang.
Erst das 18. Jahrhundert kann einige vereinzelte Nach-
ahmungen italienischer Lyrik verzeichnen, so werden Chia-
brera's Oden von Lebrun*) nachgeahmt; Filicaja, der Sänger
der Befreiung Wiens, ist ein Vorbild J. B. Rousseau's. ')
Größer ist der italienische Einfluß, wie wir sehen werden,
auf epischem und dramatischem Gebiete. Hettner's franz.
Literaturgeschichte des 18. Jahrh. geht leider auf keine
Quellenuntersuchung ein.^)
Von den großen französischen Lyrikern des 19. Jahrhunderts
kommt allein Lamartine in Betracht. In seiner Jugend
*) Lotheissen, Gesch. I, 153 — 155.
") Hist, S. 144. ÄU8 einem Briefe Voiture^s erfahren v)ir^ dafl er
eine Ubers. des Orl. fnr. an Af«« ät Saintot sandte, ein Zeichen von der
Beliebtheit it. Dichter zu jener Zeit.
») Siehe darüber Wiese-Percopo, Qesch. d. it. L., S. 387— 3S9.
*) Schirmacher, Vaiture (Herr, Ärch., Bd. 96, S. 109 ff.).
•) LansoQ) Htsty S. 806: «Boüean et les purs cUusiqHes natis en
(nämlich von der Nachahmung der Italiener) affranehissent, ä partir
de 1660.^
•) Demogeot, Hist. des litt. Hr., S. 146.
') Ibd., 8. 146.
*) Weder Lanson noch ei^ie andere frz. Liti.-Gesch. untersnekt den
italienischen Einfluß im 18. Jahrhundert.
liest er nach seinem eigenen Geständnisse Tasso's Gerusalemme
liberaia und die anderen großen Epen des Cinquecento.
So groß Leopardi's Einfluß auf die Lyrik seines eigenen
Landes war, über die Grenzen desselben ging er nicht hinaus;
Tielmehr ließ er sich selbst, wie A. Ori<d^) bewiesen hat,
Yon den französischen Dichtern Rousseau, Chateaubriand und
besonders M"^^ de Stael beeinflussen. Die franz. Lyrik des
19« Jahrh. ist ihre eigenen Wege gegangen, ja in mancher
Hinsicht war sie derjenigen der übrigen europäischen Nationen
weit voraus und ist heute noch in steter, selbständiger Ent-
wicklung begriffen.
3. Italieniseher Einflofi auf das Epos.^)
Als den Schöpfer des neueren klassizistischen, französischen
Epos können wir Ronsard betrachten. Er wollte in der Franeiade
ein Epos nach dem Muster der großen antiken Epen-
dichter schaffen, doch hält er sich neben Vergil besonders an
den Italiener Ariost, den er oft nahezu übersetzt,, wie wir
später zeigen werden. XJber die längeren epischen Gedichte
Ba'if s und Desportes', Nachahmungen einzelner Episoden des
Orlando furioso, werden wir ebenfalls in einem anderen Kapitel
handeln. Der Südfranzose Du Bartas wendet die poetischen
Prinzipien Ronsard's auf einen religiösen Gregenstand an;
Amould hält es für möglich, daß Du Bartas des großen
Florentiners Dipitia Commedia kannte und sie zu seinem Vor-
bilde machte.^) Sicher ist, daß besonders in dem Epos Judith
') Leopardi et la litterat fr., in: Buü. it. 1902, t, 11, 303^326.
*) Daniels Einfluß im 15, JahrK war kein großer (vgl, 0 eisner,
Dante in Frkr., 8. 3; Arnould, Eas. 392; Bouvy, Voltaire etc.
8. 37). Im 3. Teü der mMutadon de Fortune* der Cbrisäne de Fisan
findet iich eine Anspielung auf Inferno XXVII; einzelne Naeh^
ahmnngen finden sich im i^Livre du Chemin de long esinde», im Gle88ar
zum »Livre de Frudence», wo eine Stelle aus dem hvfemo XVI, 124
--126 angeführt wird («. darüber OeUner, Dante m Frkr., 8. 5 ff.);
femer Wiese, gelegenÜ. der Kritik von OeUner's Ähh,, in Herr. ^8 Arch,
Bd. 102, 8. 229 f
*) Essais, 8. 442.
Tasso und Ariost für einzelne Stellen benutzt wurden*); in
seiner Seconde Semaine (II, 2 u. 3) werden Petrarca, Boccaccio,
Ariost und Tasso als Hauptvertreter der italienischen Poesie
genannt.
„Im 17. Jahrhundert, sagt Amould, steht das romantische
Epos Frankreichs in voller Blüte, wozu besonders der schnelle
Erfolg des befreiten Jerusalems und das Glück des mariniscben
A d 0 n e beitrugen. Auf Tasso und Ariost gehen besonders
ScudSry, St.-Amant, Desmarets, Ohapelain, Le Meine zurück.^ ^
Doch scheiterten alle Nachahmungen an dem mangelhaften
Stil der Franzosen, sie verstanden nicht das Scherzhafte,
Ironische eines Ariost, noch das Erhabene, Ernste eines Tasso
nachzuahmen, und so hören sich ihre Epen wie Parodien der
großen Italiener an.
Boileau's Lutrin hat neben dem Froschmäusekrieg auch
den Gerauhten Wassereimer Tassoni's zum Vorbilde.')
Hierher möchten wir auch eine Eeihe von burlesken franz.
Dichtern stellen, welche insgesamt bei den hirlesken (auch
bemesk genannten) Dichtern Italiens in die Schule gingen.
Italien ist das Vaterland des Burlesken.^) Pulci
kündigt es an, bei Ariost finden sich eine Menge von bur-
*) Siehe weiter unten beim Abschnitte: Einfl. Ärioafs auf d, frz.
Epos; Rathery, Infi., S. 97 ff. erwähnt überhaupt nichts von einem
ital. Einflu/i auf das frz. Epos.
•) Essais^ S. 445 ff. Gemeint sind Saidery's Alaric^ St. AmanVs
Alboinj DesmareVs ClouiSj Chapelain's Pucelle und Le Moine's St-Louis.
Birch-H. {Lit.-Gesch.j S. 410) erwähnt hier nichts von einem ital.
Einflüsse.
») Suchier-Birch-il., Gesch., S. 485; Gröbedinkel (1882);
K.naake (1883); Bobertag, in: B. St. I, 456; H, 204.
*) Über die „Burleske*' in Italien finden sich Andeutungen bei Wiese -
Perc, Gesch., S. S4iiff., über die bürgerl. Dicht, in Frankreich bei
Morillot {Scarron et la poisit buri) welcher fast nur den span. Ein-
flu/i behandelt. Wichtiger, und nur auf den italienischen Einfl. bezug-
nehmend, dagegen: Toldo, Ce que Scarron doit aux. burl. und Schön -
herr, St.-Amant (ZfrSp. J, HS ff., wo er S. 139 eine Definition des Burl.
gibt, jedoch auf den ital. Einfl. nicht näher eingeht). Cfr. noch Vianey,
Bruscambille etc., in: Rev. d'Hist. litt 1901, VIII, 569 ff FernerToldo,
in Gröb:s Z. (1901). XXV, 71 ff.
— 27 —
lesken Bemerkungen. Populär jedoch wurde diese Dichtungs-
art bekanntlich erst durch Bemi. Eine ganze Schule entstand
um ihn: Folengo, Molza, della Casa^ Firenzuoli, llauro,
Caporali etc. Der bedeutendste Vertreter der französischen
burlesken Dichtung war Scarron. Seiner Abstammung nach
Italiener, kam er frühzeitig nach Bom, kurz nachdem Lalli
die erste Travestie der Aneide veröffentlicht hatte, welche
ihm wahrscheinlich die Idee zu seinem VirgUe travesiy gab.^)
Als weitere Quellen dieser französischen Travestie sind die
Oigantea Amelonghi's und die Werke Bracciolini's nachgewiesen
worden, hauptsächlich dessen Schemo degli dsi.^)
Auch der bereits erwähnte St-Amant schrieb 1637 in
diesem Genre seinen Passage de Otbraltar und 1643 seine Borne
ridicule. Der Mo'ise sauve desselben Dichters weist Einflüsse
klassischer Schriftsteller und italienischer Dichter, besonders
von Castelvetro Piccolomini und Tasso auf.^) Sarrazin hatte
ebenfalls aus Italien eine Vorliebe für das Burleske mit-
gebracht und schrieb die Aveniure de la Souris, Die Blütezeit
des Burlesken in Frankreich datiert seit Scarron's Typhon 1644.
Drei Jahre später veröffentlichte Loret seine Po^sies burlesqttes ;
1649 erschien eine Passion de Notre-Seigneur in burlesken
Versen. Alles schreibt in dieser Manier. Morillot führt
folgende bekannte Autoren von Travestien an: Furetidre,
Du Fresnoy, Perrault, Br6beuf, Barciet, Claude Petit-Jean,
Bicher d'Assoucy, Picon et cent autres.*)
Folgendes sind die Gegenstände, welche die Franzosen,
in Nachahmung der Italiener, mit Vorliebe in burlesker Weise
behandelten *) :
1) Die Liebe und die Frauen.
2) Persönliche Angriffe und ärgerliche Abenteuer.
3) Paradoxe.
^) S. Krit v. Toldo's Ce que Scarron etc.^ im Gioi*n. stör. XXV,
S. S2öflr,
«) Schönherr, St-Amant, in: ZfrSp. X, 174,
•) Scarron etc., S. 152,
*) Toldo, J&f. «ttr to poesie 6uW. {ZrPh. XXV, 71., und Vianey
in der Rev. d^H^^L litt. VIII S. 569—576)-, ferner Arnould, Eaaaig,
8. 40L
4) Gegen die Ehre.
5) Verteidigung einiger moratischer Gebrechen und des
menschlichen Elendes.
6) Verteidigung der Krankheiten.
7) Verteidigung der Tiere.
8) Burleske Beschreibungen: die Brennessel^ derBinsen-
korb (le cabas), die Mütze^ der Tabak etc.
Sogar ilronsard hatte einen Panegyrikus auf das Glas,
Le verre, nach Bino geschrieben ^), ein Loblied auf den
Salat, La salade, nach Molza*), endlich les Vues ou Nourelies,
nach Mattio Franzesi.^) Du Bellay schrieb einen Hymnus
auf die Taubheit*), Jamyn ein Gedicht gegen die Ehre.*)
Eine größere Zahl burlesker Dichtungen findet sich in
den Mu^es gaillwdes, im Cabinet satiriqne und im Famasse.
Die Prologe Bruscambille^s, welche vor den Aufführungen
im Hotel Bourgogne gewöhnlich gesprochen wurden, sind
nichts anderes als burleske Satiren.*) Er lobt da die Armut,
die Feigheit, zählt die Freuden der Qalleux (Krätzkranken),
die Tugenden der Puces auf und ahmt so die Italiener nach«
Auch Eegnier's Satiren 7 und II und seine ganze Galerie
häßlicher Frauen gehören hierher. Die 10. Satire, in welcher
er ein persönliches Abenteuer schildert, ist eine Nachahmung
Bemi's. Thöophile de Viau huldigt dem burlesken Ge-
schmacke in seinen Rcgrets faits sur un fäcJieitx logis. Eine
große Anzahl derartiger Nachahmungen finden wir in den
Studien Toldo's über die burleske Poesie.')
Allmählich jedoch stirbt die Burleske aus oder fristet in
*) Rons., (EuvreSj p. p, Blanchemain III , 402.
*) Ibd.j VIj 87. Bino*8 und Molza's Gedichte finden sich in den
Opere hurlesche. Londra. 172H. Livr. II, 214 u. 223.
') Kons., (Euvres, p. p. Blanchem, TT, 257, — Franzesi's Geäkht
befindet sich in den Opere hitrL, Livr. 11, S. 97.
*) (Eueres, p. p. Marty-Lav. II, S99ff.
*) (Euvres, p. p. Colletet. 1879. II, 20Hff.
•) Vianey, Bruscambille ei les poetes bemesques' (Rev. ^JBist litt.
VIII, 671).
') La poesie burl., Gröb.'s Z. XXV, S. 71—93; 215—229; 257-^277;
384-410.
— 29 —
den literarischen Oafös, welche besonders von E^ier und
Bertbelot besucht werden, ein elendes Dasein.^)
Nach dem Aussterben des burlesken Genre vergeht eine
lange Zeit, ehe wir wieder etwas von italienischem Einüusse
auf die französische Epik bemerken. Erst in Yoltaire's beiden
Epen Henri IV und La Pucelle finden sich einige Anlehnungen
an die italienischen Epiker Dante und Ariost ^) ; manche Züge
entlehnte er auch dem 1623 vom Italiener Malmignati ge-
dichteten Enrico quarto.^)
Auch der größte Epiker des neunzehnten Jahrhunderts
in Frankreich, V. Hugo, kannte die ^Divirui Coniedia* zwar
nicht gründlich, aber er nennt Dante seinen tdiv^in maltre*.*)
4. Italienischer EinlliiB auf die Erzählung und den Boman.^)
Die Quelle des modernen Romans und der modernen
Erzählung ist Boccaccio's Decamerone. In seinem Werke
findet man alle Formen dieser Literaturgattung, welche die
Geister der Renaissancezeit bis zum 17. Jahrhundert unter-
hielten und interessierten. Die Franzosen wurden durch
Laurent de Premierfaict's Übersetzung des Boccaccio (1414)
mit dem Decamerone bekannt®); doch scheint der Erfolg
dieser Übersetzung kein großer gewesen zu sein. Denn erst
als die Novellen Bandello's, Giraldi's, Poggio's und die Facetien
') Vianey, Bruscamhille etc., in: Bev. d'Hist litt. YIII, S. ^69 ff,
*) Prato. Tre passi d. Diu. Com. etc.. in: Giom. Daiit. I, 560 ff. ;
Oelsner (Dante in Frkr., S. 34) behauptet jedoch, Volt, hätte sich nie
mit Dante beschäftigt] vgl. dag. Farinelli's scharfe Kritik von Oelsner' 8
Äbh., im Oiom. stör. XXIX, S. 142.
«) Hettner, Gesch., S. J^27.
*) Farinelli, Gim-n. stör. XXIX, 142: BouYy, Bull. ital. 1902,
(Chronique) sagt von V. Hugo: *0n noserait af firmer que V. H.
connüt ä fond la Div. Com. . . . Mais il est rertain que le gi-and poete
frangats nourrissait un vrai culte ponr Dante, et quHl arait de Vensemble
de son pohme une idee claire et vive. Le Furgatoire et le Paradis n^ont
pas autant d^attrait pour V. H. que VEnfer, bien quHl les juge eux aussi
extraordinaires. *
•) Körting's Geschichte des frz. Bomans beschäftigt sich nicht
mit Quellenforschung. Auch sonst ist dieser Gegenstand noch wenig be-
handelt worden.
•) Suchier u. Birch-H., Gesch., S. 262.
— 30 —
Straparola's erschienen waren ^), gewann auch die fran-
zösische Novelle Lebenskraft und errang bald eine der italieni-
schen Literatur nahezu gleichkommende Stellung in der Novellen-
literatur.
1536 vollendete der Sattler Nicolas aus Troyes eine zwei-
bändige Sammlung von Novellen, von welchen uns jedoch nur
der 2. Band (180 Novellen) unter dem Titel: Le grand Paran-
gon des fiouvelles tiouvelles enthalten ist. Der Verfasser benützt
vornehmlich Ant. de la Säle, außerdem besonders Boccaccio
und andere italienische noveüieri. Die Comptes du monde aven-
tureux werden 1555 publiziert; 1557 f. erscheinen die Joyeux
Devis Des Periers'; 1565 veröffentlicht Tahureau seine
Dialogues, 1572 werden die Discours non plus melancoliques qtie
divers und der Printemps Iver's veröffentlicht*); 1547 er-
scheinen die Propos rustiques und 1548 die Balivemeries des
Noel du Pail und 1585 die Conies et discours d^Eutrapel von
demselben; die Matinees erscheinen 1585—86 und die 4?^^
disnees 1587 — 88, beide von Choliöres verfaßt. Die Cofiies
amoureux des Flores, um 1531 veröffentlicht, sind zum größten
Teil dem Boccaccio entlehnt, während die 1584 veröffentlichten
Facetieuses joumees des Chapuis den Notti Strapola's ent-
nommen sind.*)
Auch das 17. Jahrhundert hat mehrere solche Samm-
lungen von Erzählungen aufzuweisen: 1603 le Tresor des rS-
criations; 1646 die Galerie des curieux; 1668 den Courrier facSiieux ;
1695 den Bouffon de la Cour und die Gaquets de PAccouchie.
Diese Angaben sind größtenteils nach Toldo's erstmaliger
Zusammenstellung gemacht.^) Die meisten sind Rahmen-
erzählungen, gehen also in ihrer Form auf Boccaccio zurück.
*) Über die ital Nov. 8. Näheres 6ct Wiese -Pärc, Gesch., S. 376 ff.
«) Cf. KocKs Z. 77, 274; IX, S3ff., 54 ff.; ZDA. XXI, 445 ff.;
Schnorr's Arch. VI, 130 Änm.; Herr. Arch. XC, 182; Liebau, König
Edw. III, S. 90 ff.
») Toldo, Contributo, S. V u. S. 83 ff., 106 ff.
*) Contributo, S. Vf. Toldo's Zusammenstellung ist nicht vollständig.
Es fehlen z. B. noch: Beüeforesfs Bist, (prodigieuses) tragiques ex-
traites des ceuvres ital de Bändel. F. 1547 {s. Du Verdier, S. 366) und
Henri Philippe de Villiers^ Hecatomythie {eine Übertragung der Liebes-
briefe Parabosc&s, 1536; s. Du Verdier, S. 572).
— 31 —
Schwerer, oft sogar unmöglich ist es, festzustellen, ob auch
der Inhalt der Novellen vom Italienischen genommen ist, oder
ob die behandelten Stoffe auf den mittelalterlichen Anekdoten-
schatz des franz. Volkes zurückzuführen sind ; viele von ihnen
sind übrigens Gemeingut aller damaligen Kulturvölker. Von
den Cent Nouvelles Nouvelles gehen mehr als 30 auf italienische
Quellen zurück^); eine große Anzahl italienischer Novellen
hat auch Margarete von Navarra in ihren Hepiameron auf-
genommen.*) Im Orand Parangon findet Toldo 87 Novellen '),
denen italienische Quellen zugrunde liegen, die Comptes du
monde aventuretix enthalten 44^), die Joyeux devis endlich 50
italienische Novellen.^)
Dieses Ergebnis von Toldo's Untersuchung wurde jedoch
von 6. Paris angezweifelt*), der darauf hinweist, daß eine
Reihe der von Toldo als italienisch bezeichneten Novellen
teils in den Fableaux bereits zu finden seien, teils in der
mündlichen Überlieferung des Volkes schon seit Jahrhunderten
lebten. So behauptet Paris, die Novellen des Orand Parangon
seien puremeni fran^ais ^) ; vom Heptameron sagt er, daß der
italienische Einfluß sich nur auf die Anlage der Sammlung
und auf viele Ideen, aber „literarisch^ auf keine der Er-
zählungen erstrecke.^) Ahnlich spricht er von den Joyeux
») Toldo, Cmtr,, S. 1—29.
•) Ibd., S. 30-82.
•) Ibd., S. 83-105.
*) Ibd.. S. 106—127.
») Ibd., S. 128—153. Such.-Birch-flirschf., S. 330 bezeichnen
die Joyeux Devia einfach als eine Art Fortaetzwvg der Fableaux.
•) La nouv. fran^. {Joum. d. Sav. 1895. mai-juin^ 289—303 u.
347—361). Auch Tobler hat einmal gesagt: „Toldo^s Verweisungen auf
ital Vorbilder {Herr. Arch. Bd. 98, S. 211) sind sehr oft wenig überzeugend.'^
') La nouv. fr., S. 298; Wagner, Mellin de St-G., 8. 119 da-
gegen: „In dem Grand Par. wird die ital. Überlieferung fortgesetzt.^
•) Ibd., S. 550,- Such -Birch-H., Gesch., S. 331: „Einzelne {No-
vellen) stammen aus litt. Qudleti, aus Ariost, Masuccio] G. Cinthio,
Sacchetti etc."*. Morl, Gesch., S. 80 sagt, das Hepi. erinnere an
Boccaccio. — Wenn wir bedenken, daß Le Magon von Marg. be-
auftragt wurde, den Decameron zu übersetzen, so ist wohl anzunehmen,
daß die eine oder andere Nov. ihrer Sammlung aus dem Decameron
stammt.
— 32 —
Devis.^) Doch gibt er am Schlüsse seiner Arbeit den
italienischen Einfluß, wenn auch in beschränkterem Grade sm.
Einen zwingenden Beweis, daß Toldo im Irrtum sei, hat er
jedoch nach unserer Ansicht nicht geliefert, da ein solcher
vielleicht überhaupt nicht zu liefern ist.
Für die übrigen bei Toldo aufgezählten Novellensamm-
lungen ist eine genaue Quellenuntersuchung bis jetzt nicht
angestellt worden; aber es ist wahrscheinlich, daß auch hier
eine reiche Ausbeute italienischer Quellen sich ergeben wurde.
Die beiden Hauptwerke Rabelais', der Oarganttm und
der PaniaffTuel, stehen auch vielfach unter dem Einflüsse
italienischer Dichter und Schriftsteller. Toldo hat sich rem
erstenmal mit ziemlich eingehender Genauigkeit darüber ge-
äußert.*) Doch bedarf es, um ein vollständiges Bild dieses
Einflusses zu geben, noch der Zuhilfenahme einer Anzahl
anderer Forscher.
Aus Pulci's Morgante Maggiore nahm Rabelais die Gestalt
seines Morgan; nach demselben Italiener führt er in seiner
Genealogie Pantagruel's (Garg. II, 1) 62 Kolosse an, die dem
Stammbaume des Riesen zur Zierde gereichen.^) Ferner ent-
hält die Reise FantagruePs Anklänge an Pulci und Folengo,
welch letzterer zweimal von Rabelais erwähnt wird.^) Das
Erziehungssystem, wie es der französische Satiriker
aufstellt, ist teils seinen eigenen Ideen entsprungen, teils nach
den Theorien der Renaissance geschaffen, wobei Castiglione's
Cortigiano besonders berücksichtigt wird.*) Einfluß der italieni-
schen Renaissancekultur ist es, wenn Rabelais ganz besonders
das Gefühl der Ehre betont.*) Die Gestalt des Panurge er-
') Ibd., S. 350; Morf, Gesch., S. 80: „Sie e^Hnnem an Sacchetti."
*) TJarte ital. nelV opcf^a di F. R., in : Herr.'s Ärch., Bd. 100, S. 103
— 147 'j Arnould, Ees.j S. 465, behauptet, daü ein bestimmter Einfluß
Italiens auf Rabelais sich nicht nachweisen la«se.
») Morf, Gesch., S. 77.
*) Garg. IT, 7; IIl, 11. Pulci's Morgante wird in Garg. TT, 1
angeführt.
*) Toldo, L'arte ital., in Herr. 's Arch. C, 119.
**) Zumbini, Stmlj d. lett. stran.; cap. IV, Rabelais. Unsere
Stelle ist angeführt nach dem Referat über das Buch im Gw*n. stcr.
XXIII, 292ff.
— 33 —
inpert an den Brnnello des Innamorato (C. II, 6) und an
den des Orl. für. (C. III), an den Margutte des Morgante
Maggiore (C. XIX) und an den Cingar Folengo*s (Macch.
n).^) Die Anekdote über das Almosengeben findet sich bereits
bei Poggio (C. N. N. XXV); ebenso erinnert an diesen das
Gelübde im Sturm.*) F. Colonna's Polifilo wird- im I. Buche
(Kap. 9) des Gargantua erwähnt, und der Schluß des &« fiuches
ist nahezu eine wörtliche Übersetzung dieses 1499 in Italien
erschienenen Werkes.^ Die Abtei Th61dme ist beschrieben
nach dem Vorbilde der Henaissancepaläste ; die Liebe der
Thelemiten war die platonische Liebe Petrarca's.*) In den
Regierungstheorien endlich, die er in seiner großen Satire auf-
stellt, sind Macchiavel und Castiglione seine Quellen.
Eine Eeihe italienischer Schriftsteller trägt außerdem
noch zur Bildung Babelais' bei; er selbst nennt sie uns:
Poliziano (Garg. I, 24), Lorenzo Valla (I, 10), Passavante
(I, 14), Pontano (I, 19), Alberti (II, 7), Pico della Mirandola
(II, 18), P. Giovio (V, 31),^)
So konnte selbst dieser sonst so unabhängige Geist sich
dem Einflüsse der italienischen Literatur nicht entziehen, yiel-
mehr erwuchsen ihm seine besten Ideen aus dem Studium der
italienischen Dichter und Schriftsteller. Mit Recht hat Phil.
Chasles einmal gesagt, daß Rabelais die Elemente seiner
„großen Ironie" hauptsächlich in Italien sammelte.®)
^) Luzio's Spigolature Folenghiane^ Bergamo, 1897, in welchen
ein Kapitel über die Nachahm. FoVs bei Rabelais handelt, konnte nicht
benützt iverden; vgl. Toldo, /. c, S. 124,
*) Rabelais, Garg. IV, 18 u. 19.
')Sölthoft- Jensen, Le 5* livre de Babelais, etc. (Rev. ä^Hist.
litt. 1896. III, 608 ff.).
*) Toldo, l. c, S. 137 ; ferner das Referat v. ZumbinVs Studj in
dem Gior. stör. XXIII, S. 292 ff., wo noch AriosVs Insel der Alcina
und BemVs rifacimento delV Orl. innam. als Quellen angeführt werden.
*) Lanson, Hist, S. 254, nennt außer den bisher erwähnten Vor-
bildern noch Coccaie und Aretin. Das Verhältnis des Ersteren zu Rab.
wird untersucht von Lo forte- Ran di in den •Umorisii» [Lett. stran.
Palermo. 1901. .?«. seria, S. 179 ff.); der Artikel ist sehr allgemein ge-
halten; vgl. Krit. desselben in dem BulL it. 1901. I, 317.
«) Etudes, S. 446.
Httnchener Beiträge z. romanischen a. engl. Philologie. XXXIV. 3
— 34 —
Im 17. Jahrhundert sind außer den bereits erwähnten
Novellensammlungen noch Lafontaine's Contes, eigentlich nur
Novellen in Versform, zu nennen. Ihre Quellen sind zum
großen Teil in Italien zu suchen.^)
A. Regnier hat allerdings die Quellen sämtlicher Conies
in der Lafontaine-Ausgabe der Gi-ands iJcrivains eingehend
untersucht und festgestellt, doch fehlt bei ihm eine übersicht-
liche Zusammenstellung der Ergebnisse, die wir nun hier
geben wollen.
I. Teil der Contes:
Conte 1 = Ariost, Orl. f., Canto XXVHI, 4 ff.
„ 2 = Bocc, Dec, Giorn. III, 7.
., 3 = „ „ „ VII, 7.
„ 11 = Candelaio (letzte Szenen).
II. Teil:
Conte 1 = Bocc, Dec. VIII, 8.
V
3 =
jy
?»
IX, 6.
V
4 =
JJ
JJ
III, 2.
jy
5 =
J7
J7
II, 2.
V
7 =
>J
Ji
VII, 5, 8 u. 9.
yj
8 =
J>
?>
II, 10.
•1
9 =
Jf
?>
VIU, 1.
}?
13 =
7>
17
I, 2 (oder aus den Diporti des
Parabosco).
»
14 =
Bocc.
., Dec
. II, 7.
n
15 =
»
7>
IV, 2.
J>
16 =
tt
?>
III, 1.
III. Teil:
Conte 4 -=
Orl.
für., <
C. XLIII, 17 ff.
') Bekannt ist ja Lafoniaine^s Vorliebe für die ital. Dichter^ welche
er in folgenden an den Bischof von Soissons gerichteten Versen zum
Ausdruck bringt:
«Je cheris VArioste, et festime le Tasse;
Plein de Machiavely entefe de Boccace,
Ten parle si souveni qu^on en est etourdi;
Ten lis qui sont du Nord et qui sont du Midi.»
(Gr. tcr. IX, 204, Vers 77-^0.)
— 35 —
Conte 5 = Bocc. Dec. V, 9.
„ 13 = Orl für., C. XLIII, 67 «F.
IV. Teil:
Conte 6 = Bocc, Dec. III, 8.
„ 7 = „ „ i2L, 2.
„ 8 = Pecorone, Giorn. I, 2.
„ 9 = Bocc, Dec III, 10.
„ 10 = „ „ IX, 10.
„ 15 = „ „ III, 5.
„ 16 = Ragionamenti dell' Äretino, Giorn. I, 1.
V. Teil:
Conte 3 = Bocc, Dec III, 3.
,, 7 = Novella piacevolissima des Macchiavel.
Von den 64 Erzählungen des großen Dichters sind also
nicht weniger als 27 auf eine italienische Quelle zurück-
zuführen.
Als eine Fortsetzung des Eitterromans haben wir den
Schäferroman zu betrachten, welcher besonders in der ersten
Hälfte des 17. Jahrhunderts in Frankreich in Blüte ßtand.
Sannazaro aus Neapel schuf dieses Genre mit seiner Arcadia
(1489 — 1495). Spanien entwickelte es weiter und übertraf
die Arkadia mit Montemayor's Diana 1560; von Spanien aus
gelangte diese Dichtungsart sodann nach Frankreich. Indessen
macht sich auch manchmal ein direkter Einfluß Italiens
geltend, wie z. B. bei Honore d'Urfe. Die Quellen seiner
AstrSe sind in Sannazaro's Arcadia^ in Tasso's Aminta und in
Guarini's Pastor fido zu suchen.^) Birch-Hirschfeld bemißt
den italienischen Einfluß auf d'ürfe sehr hoch, wenn er sagt:
„Neben den spanischen Mustern sind es die Erzeugnisse der
italiemschen Schäferdichtung, denen d'Urf(§ für seine Schöpf-
ungen am meisten zu verdanken hat. Die Vereinigung mittel-
alterlicher, antiker und italienischer Bildungsbestandteile
') Lanson, Eist, S. 369 u. 370.
3*
— 36 —
machte das Werk zu einem Liebliogsbuch der Zeitgenossen,
deren Stimmungen und Lebensideale es aussprach." ^)
Während das Schäferspiel für die ersten Jahrzehnte des
17. Jahrhunderts sich eine hervorragende Stelle im dramati-
schen Genre errang und bis in die Mitte desselben Jahrhunderts
sich auf der Bühne erhielt, ward dem Schäferroman eine viel
kürzere Lebensdauer zuteil. Bald nach dem Erscheinen der
Astrce wandte sich die Mode dem historischen, und später
dem mehr realistischen Roman d la Princesae de Cleve zu;
andererseits verfiel in Italien die Prosaerzählung nach Art der
Arcadia, ohne daß ein neues Genre an ihre Stelle getreten
wäre; daher hört mit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts
der Einfluß Italiens auf diesem Gebiete auf.*) Nur wenige
französische Erzähler des 18. Jahrhunderts wenden ihre Blicke
dorthin. Montesquieu*) schreibt seine Lettres persaties nach
dem Vorbilde G. P. Marana's Vesploratore turco e le dt Im
relationi scgrete alla Porta oitomatiaj M™® d'Aulnoy nach dem-
selben Muster ihren Prince Marcassin.*')
Der komische Koman der Franzosen hat seinen Ursprung
in Spanien, wo Lazarillo de Tormes, 1553, die glänzende
Reihe der nov^las picarescas eröffnete. Ab und zu jedoch
scheinen sich auch italienische Einflüsse bemerkbar zu machen ;
so geht in Cyrano de Bergerac's Histoire comiqiie des Etats et
E7npires de la Lune, 1656 oder 1659, und desselben Ver-
fassers Histoire comique des Etats du Soleilj 1662, die Idee
der Mond- und Sonnenreise auf Dante und Ariost zurück.*^)
1) Such.-B.-Hirschf., Gesch., S. S72.
3) Nach Lintilhac [Rist, S. J240) benutzen in der 2. Hälfte des
17. Jahrh.j der Märchendichter Ferrault und die schriftstellernden Damen
ans dem Gesellschaftskreise der Marquise de Lambert die von J. Louvean
loßO übersetzten Facetieuses Nuits des Sfraparola.
») Wiese-Pferc, Gefich., S. 470. Marana (1042-1693) lehit drei
Jahre iy\ Paris und übersetzte selbst sein Werk ins Franz. Siehe audi
Toldo: Les Lettres persanes et l' Espion de Mar, [Gior. stör., Bd. XXIX,
S, 47—49).
*) Darm, et Hatzf., Le 16^ s., S. 64 u. Änm. 5.
*) Körting:, Gesch. d. frz. Born., Bd. II, Kap. VII; Hönncher
(Fahrten nach Mond und Sonne in d. frz. Lit. des 17. JhrhJs) streift diese
— 37 —
5. Einfluß ItaUens auf das franz. Theater.
I. Italienische Schauspieler in Frankreich.
Der Einfluß der italienischen Schauspieler auf die fran-
zösische Bühne kann nicht hoch genug angeschlagen werden ;
daher ist er auch schon von einer großen Anzahl von Literar-
historikern einer eingehenden Untersuchung gewürdigt worden.
Freilich ist es oft geradezu unmöglich, diesen £influß, soweit
er die bloße Kunst des Schauspielers betrifft, festzustellen,
da wir hierüber für die italienische Bühne des 16. u. 17. Jahr-
hunderts nur spärliche % für die französische überhaupt keine
schriftlichen Aufzeichnungen besitzen.
Gewöhnlich bezeichnen die Literarhistoriker als Datum
des ersten Auftretens italienischer Schauspieler in Paris das
Jahr 1571, so z. B. Lucas, Campardon, Baschet, JuUerille;
D'Ancona schwankt zwischen 1570 und 1571; Bigal nimmt
1572 an. Fest gibt als Datum das „Ende des 16. Jahr-
hunderts^ an. Es ist jedoch wahrscheinlich, daß bereits
früher schon ital. Wandertruppen in Paris gespielt haben.
Wir wissen, daß solche Truppen wiederholt vor 1571 einen
(iueUenfr. nicht. Nach Beyigesco, Bibliogr, Volt. L 440 j geht Voltaire^ 8
Micromegan in seiner Idee auf Cyranö's beiden Roma/ne^ also indirekt
auf it. Einß. zurück.
*) Hierher gehören vor alUm die Scenarii Gherardi's, 1694,
1697 v/nd 1700 erschienen; ihnen gingen voraus die weniger bedeutenden
Scenarii von Flam. Scaln und Dom. BiancoleUi^ bekannt unter dem
Namen Dominique I. Für die Zeit von Wi0^166n ist Dorefs Muse
historique [3 vols. ; neue Ausg. P. lSo7. 4 vols.) wichtig. Eine ausführliche
kritische Bibliographie über das ital. Theater in Paris findet sich bei
Klingler, Die Com.-Ttal., S. 19 ff. Doch vermisse ich folg. für diesen
Gegenstand in Betracht kommenden, toichtigen Werke: Ebert, Ent-
tricklungsgesch., S. l^^ff.; Lucas, Hist^ IIL 137—168; Fournier,
Varietes hist. et litt. 7, 69 ff.; D'Ancona, Dell. orig. IL 455 ff.;
JuUeville, Les comediens fr., p. 67 ff.; Fest, Der miles glor. (Münch.
Beiir.) 8.43; Rigal, Le Th. fr. avant la periode class., S. Iff. Ver-
eimelt sieht K 1 1 n g 1 e rntt^ seinem Lobe von Sandys Masques et Bouffans,
dessen biogr, Teil jedoch auch von ihm als unzuverlässig bezeichnet wird
(s. 8. 21, Anm. 2).
— 38 —
Euf nach Frankreich erhielten, und bei einer solchen Ge-
legenheit mögen sie wohl auch die Hauptstadt des Landes
betreten haben. Ebert hält es nicht für unmöglich, daß die
geistlichen Komödien der Königin von Navarra (gestorben
1549) durch italienische Komödianten gespielt wurden.^) Von
Trautmann wissen wir, daß bereits im Jahre 1496 italienische
Schauspieler sich nach Frankreich „zerstreut" hatten.*) Proelss
verlegt ebenfalls das erste Erscheinen derselben in Frankreich
in das Ende des 15. Jahrhunderts^) und Birch-Hirschfeld
datiert es, allerdings ohne Quellenangabe, von 1486 an.^)
Lotheissen endlich nimmt das Jahr 1533 an, in dem be-
kanntlich die italienischen Komödianten zu Lyon die Calandriu
Bibbiena's aufführten.^)
Von 1671 an finden sich solche Wandertruppen beständig
in der französischen Hauptstadt. Ganassa war der Direktor
der ersten Gesellschaft; gleichzeitig mit dieser wirkten noch
zwei andere, von denen wir nichts Näheres wissen.®) Als
Heinrich III. 1576 eine Versammlung der Reichsstände nach
Blois entbot, lud er, um sie zu unterhalten, an seinen dortigen
Hof die berühmte italienische Schauspielergesellschaft der
Comici gelosi, welche er auf seiner Reise nach Ober-
italien kennen gelernt hatte. ^) Diese spielten so vortreflFlich,
^) Entwicklungsgesch.^ S. 122, Anm. 1S4. Laur, Marg.y S. 302,
weifi dasselbe zu berichten.
2) Ital. Schauspiekr, 8.224. Die betr. Stelle laufet : „Am 5, Februar
1490 schrieb Herzog Ercole von Fen-ara an Franz von Gonzaga, daji
die Schauspieler, welche terenzinische und plaulinische Stücke an seinefH
Hofe gespielt hätten, nach aller HeiTen Ländern, besonders nach Neapel
und Frankreich sich zerstreut hätten.^
^) Proelss, Gesch., Bd. 7, Halbbd. II, S. 98, 121, 166; Bd, U,
HaWbd. I, S. «.
*) Suchier und Birch-H., Gesch., S. 357.
«) Gesch. /, 265.
*) Nur bei Bauchet erwähnt, L c, S. 39.
') Molantl, Molicre et In com. it. 2. Aufl., S. 38; Lotheissen,
Gesch., I, 266 ; Nolhac e Solerti, Viaggio di Enr. III {Giom. stör.
Bd. XVII, 139 ff. und 446 f.); d'Ancona, Yarieta st. e lett, 2<^ serie,
bescMftigt sich haupts. mit der inneren Geschichte dieser Truppe:
Proelss (/, 1. 26), 31orf {Gesch. 197) M^wf Klingler [Die Com.-It.,
— 39 —
daß „sie mehr Zulauf hatten, als die vier besten Prediger
zusammengenommen^.^) Weitere Gesellschaften waren die
Fedeli^ unter dem berühmten Direktor und Theaterdichter
E. G. Andreini, welche von Baschet die mattres des maitres de
Moliere genannt werden.*) Das berühmteste weibliche Mitglied
dieser Truppe war Isabella d' Andreini, welche man mit der
Isabella im Ol. für. verglich. 1584 spielte Fabricio de For-
naris^), 1600 kamen die Gelosi abermals, jetzt unter Flam.
Scala, welchem später ein Saal im Palais Bourbon zur Ver-
fügung gestellt wurde.
Alle diese Truppen erfreuten sich unvermindert des größten
Beifalls, waren ihre Mitglieder doch wirkliche Künstler und den
franz. Schauspielern weit überlegen. In Frankreich wurden
außerdem die Frauenrollen noch von jungen Burschen gespielt,
während bei den Italienern auch Frauen die Bühne betraten
und die Zuschauer durch den Glanz ihrer Schönheit und
durch ihr anmutiges Spiel blendeten.^) Die italienische
Sprache war dabei kein Hindernis, da das Spiel der Komö-
dianten so deutlich und lebendig war, daß auch der italieni-
schen Sprache nicht mächtige Zuschauer das Stück verstehen
konnten.*) Vielleicht wurden sie auch vor dem Beginn der
Vorstellung mit dem kurzen Inhalt des betr. Stückes bekannt
gemacht. Dieses war immer ganz im Charakter der cmnmedia
deir arte aufgebaut: Liebesintriguen, Entführungen oder Ver-
wechslungen, dabei Übertreibungen einzelner Charakterzüge,
wie Prahlerei, Geiz, Furchtsamkeit etc. Daneben aber ver-
S, Iff.) nennen das Jahr 1577, wo die Gelosi bereits von Blois nach
Faris gezogen waren,
») Morf, Gesch., 197: ähnlich Ruth, Gesch. II, 493.
^) Näheres über die Fedeli siehe: Bevilacquaj Andreini e la comp,
dei Fedeli {Giorn. st, Bd. XXIII, 76).
•) Les com., S. :134; über die weitei-en Schicksale dieser Fedeli s.
Parfaict Eist, du Thrntre fr. III, 236 f., ebenso in ihrer Hist. du
Thiätre ital. (P. 1753), welche nach Klingler {Die Com.'ltal., S. 19) ein
vollst. Plagiat der handschriftl. Aufzeichnungen Gueulette^s sind.
*) Proelss. Gesch. II 1, S. 26.
*} Lotheissen, Gesch., I, 266.
*j Ein grofier Teil der bessere^i Pariser Gesellschaftskreise verstand
damals das Italienische geläufig.
— 40 —
nachlässigten sie auch die commedia ervdita nioht, veld^ nch
jedoch nie einbürgern konnte, da sie für denjenigen, weicher
des Italienischen nicht mächtig war, unverständlich sein mußte.
Der Einfluß der italienischen Bühnenkünstler wirkte wohl
zunächst auf die französischen Schauspieler ; diese hatten keine
andere Tradition, als das künstlerisch wertlose Spiel der
Basochietis und der Confreres de la Passion. Die Kunst der
Italiener, die von Natur aus schon zu Schauspielern geboren
sind, und bei denen ständige Theater sich an den Fürsten-
höfen schon seit Beginn des 15. Jahrhunderts befanden, wo
sich die Kunst von Vater auf Sohn vererbte, mußte für die
französischen Kollegen eine Offenbarung sein. Sie werden
zunächst versucht haben, ihr Gebärdenspiel, ihr für die Bühne
berechnetes Kostüm, ihre Art des Vortrages und der Be-
wegungen nachzuahmen.
Dann ging man daran, einzelne Bollen, die auf der
italienischen Bühne immer wiederkehrten und stets den Bei-
fall der Pariser fanden, auf ihr eigenes Theater zu übertragen^
endlich aber übersetzte man eine Reihe von italienischen
Stücken oder ahmte sie nach, um mit den Italienem kon*-
kurrieren zu können. So lassen sich zweifelsohne die in der
zweiten Hälfte des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahr-
hunderts in Paris erschienenen Übersetzungen, besonders die-
jenigen von Larivey auf diese Entwicklung des ital. Einflusses
zurückführen.^)
Von den typischen Rollen, die in der comimedia dtJV arte
gebräuchlich waren, ging vor allem die des großsprecherischen
Soldaten auf die französische Bühne über. Fest, welcher
unter Benutzung der einschlägigen Literatur die Geschichte des
miles gloriosus bis auf MoUöre's Zeit untersucht hat, betont
hierbei zu sehr den antiken Einfluß auf Kosten des italieni-
schen.^ Er überideht, daß vor ^^i/^ene (der ersten französischen
Komödie) bereits wi italienisches Lustspiel ins Französische
übersetzt wurde, welches den prahlerischen Soldaten aufzu-
weisen hat. Es sind dies die Ingannati Giglio's, 1631
') Proelss, Gesch, Bd. II, Halhhd. 7, 26.
•) Der mil. glor. in d. frz. Litt.j pass.
- 41 -
«rediieueii und 1643 übersetzt^), nicht zu verwechseln mit
den IngannaH Secchi's, c. 1551. Wenn Fest femer be-
hauptet, daß 6r6vin bei der Zeichnung des Panihaleone den
antiken ^imil^^ im Auge hatte, so müssen wir auf die
nmiesten Forschungen Toldo's hinweisen, welcher zeigt, daß
Ghrevin's Quellen neben der erwähnten Übersetzung der 7n-
garmati nur noch Eugene und die TrSsoriere, also keine an-
tiken Lustspiele waren. ^) Andererseits ist nicht unmöglich,
daß der Rodomonte des Orl. für, dem französischen Dichter
vorschwebte, da er aus diesem Epos die beiden An-
fangsverse des zweiten Gesanges anführt (Akt II, Szene 3).
Auch R. Belleau's Capüaim Bodomont steht, nach Fest,
unter klassischem Einfluß; demgegenüber ist jedoch einzu-
wwden, daß der Name tJRodomont^ an das Epos des Ariost
denken läßt, welches damals bereits in französischer Über-
setzung in mehreren Auflagen erschienen war. Toldo erinnert
daran, daß die Szene, wo Eodomont erscheint, eine auffallende
Ähnlichkeit mit einer Stelle im Orl, für. (XLVI, 101) habe.«)
Daß überhaupt mit dem Namen Rodomont nicht allein
die Idee eines großsprecherischen Soldaten, sondern auch
die des Ariost'schen Helden verknüpft war, beweisen die
Verse einer 1622 erschienenen, dem Gros Guillaume zuge-
schriebenen Satire, worin dieser Volkskomiker von den Cour^
tisans aa^:
<7& fönt les Rodomonts, les Rogers ^ les Bravaches,
Ils arhoriseront quaire ou oinq cens pennackes
Au feste sourciUenx d\m chapeau de cocu
Et rüont pas dans la pocJte un demy quart d!escu,^*)
>) Toldo, La com. de la Ren, {Rev. d'Hist. litt 1S97, S. 379),
Der Schöpfer der Rolle des •matamoros» der comm. delV arte ist Silvio
FiorüU, welcher sich urkundlich erst 1599 so benannte (s. Stiefel,
in: ZfSp, Bd. 26. Rez. u. Ref., S. 35). Sein Sohn war der berühmte
SchoKSpieler Tiberio Fiorilli, langjähriger Darsteller des ScaramucciOy
welcher vieäeicht den matamoros nach Frankr. verpflanzte («.Klingler,
/. c, S. 113).
«) La com. de la Ren. {Rev. d'Hist. litt. 1898, S. 556).
•) Ibd., S. 564.
^) Bei Fest, l. c, S. 72, in anderem Zusammenhange zitiert.
— 42 —
Moli^re ließ den traditionellen Capiiaine fallen, behielt
aber einige seiner Züge in verfeinerter Gestalt bei.^) Der
Grund, warum er diese Figur nicht vollständig beibehielt,
während er doch eine Reihe anderer komischer Typen der
covim, deir arte herübernahm, scheint mir ein ganz äußer-
licher zu sein. Die italienischen Schauspieler verbannten bereits
vor der Mitte des 17. Jahrhunderts den Capitano von ihrer
Bühne und ersetzten ihn durch andere Charakterfiguren,
die allerdings mehr oder minder mit jenem verw^andt waren. ^)
Infolgedessen verschwand er auch bald von der französischen
Bühne, oder fristete dort nur noch ein kümmerliches Dasein.^)
Denn man muß stets im Auge behalten, daß, wie Moliöre,
ebenso die späteren Lustspieldichter bei den Italienern in
die Schule gingen, und, wie wir sehen werden, für sie sogar
ihre Erstlingsstücke schrieben.
Von weiteren Typen ging auf das französische Theater
der Pedant über, welcher zuerst durch den Cleandro der Suppo-
siii (übers. 1545) in Frankreich Eingang fand. Im Laquais
Larivey's, einer Übersetzung aus dem Italienischen, findet
sich ebenfalls ein pedantischer Professor. Die Amme in
ihrer wichtigen Rolle ist nach Eournel eine Schöpfung des
italienischen Renaissancelustspiels.*) Durch die halia in Ariost's
Suppositi wurde. sie den Franzosen bekannt. Der EJinfluß
des Altertums auf den valet ist allerdings unbestreitbar, aber
es wirkt auch italienischer Einfluß mit.*) In den Eshahis, der
Hauptsache nach einer Nachahmung der Ingannati, also eines
italienischen Lustspiels, tritt uns bereits der Typus des Dieners
des 17. Jahrhunderts entgegen dehire, hcau parleur, abondant
en iwoverhesj chevilk ouiriere de Vaciion,^) Die ersten Diener
Moliöre*s, hauptsächlich Mascarille im Etourdi, zeigen vornehm-
lich italienischen Einfluß, desgleichen die von Regnard, der
1) Fest, Der mil glor., S. 122.
*) Schon die scenari des Flam. Scala {1611) haben keinen Kapitä
aufzuweisen; ebensowenig die des Dominique u. des Gherardi,
^) Fest, Der miles glor., S. 12S.
*) Fournel, Le Th. au IT' »., S. IM.
*) Ibd., S. 117.
^) Ibd., S. 117.
— 43 —
sich ja selbst an den Italienern heranbildete.^) Lucas -) zählt
noch weitere Typen auf, die Moliöre der comm. deW arte entlehnt
habe, z. B. den Pantalon (den Arnolphe des Mol), den
Docteur (Metaphraste und Pancrace), den Arie quin,
den Pier rot, welcher die Rolle des Arlequin spielt,
den Mezzetin (Gros Rene und Covielle), den Scara-
muccio (Scaramouche). Eournel nennt dagegen nur Mas-
carüle, Sganarelle, Metaphraste und Marphn^nuSy den Docteur, den
Mezzetin oder Leandro, als Typen, deren Vorbilder auf der
italienischen Bühne zu suchen seien. ^)
Es erübrigt noch, das Schicksal der italienischen Schau-
spieler in Paris bis zu ihrem endgültigen Verschwinden zu
verfolgen.
Nach dem Tode Moli§re's nahmen ihr Einfluß und ihr An-
sehen etwas ab. Der G-rund davon lag darin, daß ihre Schau-
spielkunst keine Entwicklung aufzuweisen hatte*); die Steg-
reifkomödie wurde nach einem konventionellen rawctos gespielt %
die Handlung blieb im großen und ganzen dieselbe, nur die
Rollen änderten sich ab und zu. Außerdem hatten die Fran-
zosen jetzt ein eigenes, unübertrefi'liches, abwechslungsreiches
Lustspielrepertoire in Moliöre's Meisterwerken. Trotzdem aber
geben die ital. Künstler seit 1680, wo sie das Hotel de Bour-
gogne beziehen, täglich Vorstellungen. Von 1682 spielen sie
auch rein französische Stücke in französischer Sprache, nach-
dem schon seit einem ganzen Jahrhundert häufig längere Stellen
in französischer Sprache in ihren Stücken vorkamen.®) Damit
') Ihd., S. 119.
*) Hist. phil. J, 1S8. Seine Quelle scheint allerdings der unzuvei'-
lässige Cham fort yeß'esen zu sein.
«) Fournel, l c. S. 1H4; 3Iorf, Gesch. {S. 197), sagt sehr allge-
mein: „Diese italienischen Truppen haben tiefe . . . Spuren^* zurückgelassen ;
Schneegans, Moliere {S. 29) zählt die einzelnen Typen der ital. Com.
auf, bespricht aber nur ihr Verhältnis zu Moliere.
*) Despois, Hist. du th. fr., S. 59 f; Fest, Der mil. glor., S. 58.
*) Über die Darstellung und Improvisation s. besonders Albotze, Le
thidtre de Tabarin (Le monde dram. 1835. /, S. H61f.). Betz gibt
fälschlicherweise in seiner Litt. comp. [S. 56) als Titel dieser Arbeit an :
Hist. de la Com. ital. en France.
•) Klingler, Di« Com.-Ital, S. 171 ff.
— 44 —
fangt für dieComici italiani eine TÖllig neue Epoche an,
die sich dann durch das ganze achtzehnte Jahrhundert hinaus-
zieht; man kann sodann ihre Bühne als eine national-fran--
zösische bezeichnen.
Auch als solche i/t^ußte sie das Interesse der Franzosen
ganz besonders zu fesseln, indem sie es sich zur Aufgabe
machte, bald aktuelle Ereignisse, Skandalgeschichten aus der
Pariser Gesellschaft, bald Parodien berühmter Theaterstücke
und Opern auf die Bühne zu bringen.*)
In der Parodie sind sie unübertrefflich: Götter und
Menschen, Meisterwerke, wie der Cid (1682) des großen Cor-
neille, alles fällt ihrem Spotte anheim.^) „In viel weiterem
Umfange als die Tragödie wird die Oper parodiert: die Par-
titur Lulli's, die Libretti Quinault's, . . . P^court's Tänze und
der lärmende, prangende, szenische Apparat, den man dort
entfaltete, Musik, Tanz, Spektakel! Das gibt Augen- und
Ohrenweide die Fülle." *) Man kann geradezu sagen, daß die
Italiener dieses genre begründeten, da es vor ihnen außer
Donneau's ^La Cocue imaginairei> (1660) wohl nur wenige
Parodien gegeben haben mag. Noch unzweifelhafter gebührt
ihnen das Verdienst, das Vaudeville und die komische
Oper geschaflfen zu haben.
Sobald die Musik der LuUi'schen Opern im Volke be-
kannt zu werden begann, bemächtigten sich die findigen
Italiener einiger besonders beliebter Arien, versahen sie mit
parodierenden, oder derbhumoristischen Texten und flochten
sie in ihre Possen und Lustspiele. Damit ist das Vaudeville
schon geschaffen. Bald schrieb man anstatt der den ernsten
Opern entlehnten Musik eigene Partituren und es entstand so
die Operette. Favart, der bei den Italienern'sich heranbildete,
hat die erste derartige Operette geschrieben; auf der Bühne
der Comici italiani fand diese neue, schnell beliebt ge-
wordene Gattung ausgezeichnete Darstellung.
1697 wurde die Cornedie italienne unterdrückt wegen der
M P. d'Estree, Les orig. de la Bevue au theatre {Bev. rf'JKjt.
litt 1901. VHT, 2Si^280i
-) Klingler, l c, S'. 179if; Despois Le th. fr., S. 65.
») Klingler, l c, 8. J8S.
— 45 —
Aufführung der Fausse Prüde, in welcher man M™® de Main-
tenon leicht erkennen konnte^); erst 1716, als der Regent
an der Spitze des Staates stand, durften sie wieder zurück-
kehren. Während der Zeit ihrer Verbannung wurde das
Theätre de la Foire gegründet, mit welchem sich die
Italiener später (1762) verschmolzen*); erst mit Beginn der
Revolution verließen sie für immer die Seinestadt; 1793 wurde
ihr Theater zur Oitera comique national, aus der dann 1810
die heutige Opera comique hervorging.
n. Die Tragödie.
Seit dem 16. Jahrhundert begannen die Italiener, sich
eine eigene Tragödie nach den regelmäßigen Formen der
antiken dramatischen Kunst zu schaffen. Auf Trissiuo's
Sophonishe folgte die Bosmunda und der Oreste Ruccellai's, die
Tullia Martelli's und die neun Tragödien Giraldi Cinthio's, von
denen zwei Didone und Cleopatra betitelt sind. Diese
neue Kunst Italiens konnte in Frankreich nicht unbeachtet
bleiben und unter der doppelten Beeinflussung durch Italien
und Griechenland treten um die j^Iitte des 16. Jahrhunderts
die Jünger des Humanismus mit dem Bestreben hervor, eine
dramatische Dichtung zu schaffen, die in heimischer Sprache
den großen Mustern des Altertums und Italiens nacheiferte.
Bereits hatte Quinziano Stoa, der Erzieher Franz' I., eine
Anzahl von Stücken geschrieben, deren Stoffe der römischen
Geschichte entlehnt, und deren Vorbilder griechische Tra-
gödien waren.*) Alamanni, der eigentliche Vertreter der
*) Despois, Le theätre fr., S. 65. Ein Getnäldc von Watteau,
Le depart des comediens Italiens (um 1718 gemalt), verewigt dieses denk-
icürdige Ereignis. Eine Reproduktion dieses Bildes findet sich in der
Lit.-Gesch. von Suchier und Birch-Hirschf., S, 515 f, und bei
Klingler, l. c, S. 13.
') Wie populär die ital. Komödianten noch im 18. Jahrh. waren,
beweist Marmontel's Ktage, daß die »Deguisements» der ital. Schau-
spieler die Werke des gro/Jen Moliere in Vergessenheit brächten («.
E. Chasles La cotn, fr., S. 5).
•) Darmesteter et Hatzf., Le i6"< «., S. 155, ebenso ßirch-
flirschf., Geschichte der franz, Lit, 62 ff.
— 46 —
italienischen Literatur am Hofe Franz* I., bearbeitete die
Antigene in italienischer Sprache, die dann zuerst in Frank-
reich gedruckt wurde. ^) Italienische Schauspieler führten,
wie wir bereits gehört haben, lateinische und italienische
Tragödien am Ende des 15. Jahrhunderts in Frankreich auf.
Bald wurden italienische Übersetzungen antiker Tragödien an
den Hof gebracht. In einer solchen Zeit entstanden Jodelle's
zwei Tragödien Cleopätre und Didon. Der Einfluß
Seneca's ist unverkennbar'); aber auch die Italiener dienten
ihm als Vorbilder. Amould hält es für gewiß, — beweist
es allerdings nicht — daß der franz. Dichter die gleich-
namigen Stücke Cinthio's kannte.') Auch Levrault ist der-
selben Ansicht. Er sagt: *(7e8t ä Cintio qu'il s^adressa, Bit
les Premiers pas de la Muse frafi^aise sur la seine iragique furenf
guides . . ,par un poete italien.y*) Doch ist diese Behauptung bis
jetzt nicht bewiesen worden. Kigal leugnet jede Abhängigkeit
der Jodelle'schen Didon vom gleichnamigen ital. Trauerspiel,
da dieses viel weniger klassischen Geist in sich trage *) ; über
die Cleopätre äußert er sich überhaupt nicht. Böhm*) ver-
mutet, daß Rigal vielleicht auf Grund einer von ihm zitierten
Stelle bei Du Verdier ') auf die Möglichkeit eines Abhängigkeits-
verhältnisses der beiden französ. Stücke von G. Cinthio ge-
kommen sei. Nach Friedrich's Untersuchungen über die
Didodramen ist eine Benützung von Dolce's Didone seitens
Jodelle ebenfalls ausgeschlossen.®)
Birch-Hirschfeld erwähnt bei Jodelle's Tragödien
überhaupt keinen italienischen Einfluß.®) Morf gibt als Vor-
*) Darmest. et Hatzf., Le 16« sücle, S. 155.
*) Siehe darüber die gründliche Arbeit Böhm's (Der Einfl. Seneca's),
woselbst weitere Literaturangaben über Seneca*8 Einflvfi auf die ersten
franz. Tragödien sich finden.
*) Essais, S. 466.
*) Ih-ame, S. 19.
^) Le theatre fr. avant In per. class., S. 271, Anm.
•) Einfluß Seneca^s S. 74; Böhm gibt als Hauptquelle der CUopätre
die Antoniusbiographie von Flutarch an (i6d., S. 76).
') Bibliotheque, S. 286; vgl. Böhm, l c, S. 74 u. Anm. 2.
*) Die Didodramen, S. 45; vgl. Böhm, ibd., S. 47.
») Suchier und B.-H., Gesch., S. 357.
— 47 —
bilder Seneca und die Italiener an und findet, daß Jodelle
nach dem Beispiele der Italiener den Chor häufiger am
Dialoge teilnehmen läßt als Seneca.^) Texte spricht allerdings
nicht speziell von Jodelle's Stücken; doch legt er ganz be-
sonderen Nachdruck auf den italienischen Einfluß bei den
ersten Tragikern der französischen Bühne. ^) Böhm äußert
sich selbst nicht über diese Quellenfragen der beiden Stücke^
da sie außerhalb des Rahmens seiner Untersuchung liegen^
führt aber diejenigen Literarhistoriker an, welche nun Seneca
als Vorbild nennen.^)
In der von Böhm aufgestellten Zeittafel der zwischen
1552 — 1673 veröflFentlichten franz. Tragödien findet sich an
vierter Stelle die Sophonisbe St-Gelais'*), über die bereits
eine stattliche Literatur existiert. Die umfangreichste und
gediegenste Abhandlung über St-Gelais' Sophonisbe in ihrem
Abhängigkeitsverhältnis zur gleichnamigen Tragödie Trissino's
mit Berücksichtigung der weiteren französischen und außer-
französischen Bearbeitungen dieses Stoffes ist die von An-
drae, welcher 12 französische, 5 italienische, 2 spanische,
1 portugiesische, 3 niederländische, 3 englische, 13 deutsche
und 2 russische Tragödien über diesen Stoff eingehend be-
handelt hat.*^)
Was St-Gelais' Stück betrifft, so haben die Untersuchungen
von Fries •) und Wagner ') ergeben, daß es eine Übersetzung
von Trissino's Sophonisbe ist mit einigen wesentlichen Ab-
weichungen am Schlüsse, indem er den Tod der Heldin nicht
») Gesch., S. 200.
•) Les Origines de la Ren., in: Rev. des cours et conf. 1894; nov.
— mars, S. 248: *Hs ont pleine la bouche de la tragidie grecque; enfait
ils lisent et relisent la Sophonisbe de Triss^in. lls feignent de se demande^"
«'ito imiteront Terence ou Piaute; leur vrai modele est une comedie de
Bibbiena.»
») Einfluß Seneca s, S. 57 ff.
*) Ibd., S. 27.
^) Siehe StiefeTs anerketmende Kritik dieser Arbeit in Vollm.'»
J.'B. IV. 2. S. 555 fr, daselbst (S. 656 ff.) handelt St. noch über den
Einfluß des italienischen Dramas auf das anderer Länder.
•) Monchrestien^s Sophonisbe, seine Vorgänger u. Quellen, pass.
') Mellin de St-Qelais, S. 120ff,
~ 48 -
auf der Bühne yor sich gehen läßt, sondern ihn nor erzählt
offenbar um damit einer von den italienischen Dramaturgen
aufgestellten Forderung zu genügen.
Der von Böhm auf „1556?^ datierte Josias des Messer
Fhilone ^)j unter dem er den Tragiker Des Mazures vermutet,
und die 1561 gedruckte SoUane des Bounyn*) werden von
einigen Literarhistorikern als Übersetzungen aus dem Itaüeni-
schen bezeichnet^); doch wurde bis jetzt noch nicht unter-
sucht, inwieweit diese Behauptung auf Wahrheit beruht. Die
Soltane bezeichnet der auf Venema's*) Dissertation fußende
Morf als eine „stümperhafte Nachahmung Seneca's, ins-
besondere seiner Medea^.^) Böhm kommt zu demtselben ur-
teile, wenn er, allerdings in gemilderter Form, die Soltane
als eine „Kopie" der Senecatragödien bezeichnet.^)
Dagegen sind unstreitig die Italiener als die Vorbilder
der Tullia, eines von Böhm nicht erwähnten Stückes Le
Breton's, anzusehen, das dieser naoh der gleichnamigen Tra-
gödie Martelli's 1533 schrieb.')
Selbst das religiöse Tendenzdrama kommt, wenn auch
vereinzelt, von jenseits der Alpen herüber und gibt den Pro^
testanten eine Waffe in die Hand zur Verteidigung ihres neuen
Glaubens. 1558 übersetzte nämlich Jean Crespin aus dem
Italienischen des Francesco Negro seine Tragedie du Boy Frano-
Ärbitre, einen „Prosatraktat von 426 Seiten, ein dialogisiertes
Pamphlet von unheimlicher Beredsamkeit".®)
Von Le Jars' Liwnile bemerkt Ebert, der sie sehr ein-
gehend behandelt, daß ihr eine italienische Novelle zugrunde
') Einfl. Seneca'B, S. 27,
«) Ihd,, S. 27.
^) Ibd., S. 75, Anm. 1 sind die betr. AxUoren gennannt Holl
{Tendenzdr.t S. 169) erwähnt den Josias^ den er ebetif, dem Des Mazures
zuschreibt.
*) Venema besorgte einen Xeudruck der Soltane (Marb, Di$s.
18S8. A. u. A. Nr. 81).
6) Gesch., S. 205,
«) Einfl. Senecas, S. 152. Über den Ausdr. ^Kopie'', üwf,, S. 150.
•) Morf, Gesch. 204,
») Holl, Das rel u. pol. Ttndenzdr., S. 136 t*. Anm, 1; Morf,
Gesch., S. 210.
— 49 —
liege. ^) Nach Morf sieht sie wie die Bearbeitung eines
italienischen Originals aus.^)
Von B.. Garnier und Ant. de Montchrestien werden
wir später noch reden; auch diese beiden Hauptvertreter
des Benaissancedramas können sich dem italienischen Ein-
fluß nicht entziehen. Doch können wir hier gleich Mont-
chrestien's Sophonisbe erwähnen, die dem Gange der Hand-
lung in Trissino's Trauerspiel folgt.*) Eine weitere nur von
Andrae erwähnte Sophonisbe Mermet's (1584) ist nichts
anderes als eine Übersetzung der Sophonisbe des italienischen
Dichters.*)
Hardy, der fruchtbarste Theaterdichter, den Frankreich
gesehen, blieb in seinen Tragödien unabhängig vom Einfluß
des ital. Theaters % während dagegen in Theophile de Viau's
Pyrame et Thisbe sich eine bedenkliche Neigung zum Marinis-
mus bemerkbar macht, welcher allmählich die ganze fran-
zösische Literatur ergreift und sie mehrere Dezennien hin-
durch beherrscht.*) Selbst Corneille bleibt nicht frei von
dieser geschmacklosen Moderichtung, und Eoileau hat allen
Grund, sie zu bekämpfen.')
Von Mairet's Tragödien gehören hierher seine Sophonisbe
und sein Marc-Antoine, welch letzterer neben Plutarch und
») Ebert, Entw,, S. m,
«) Morf, Gesch., S. 211.
») Vgl Kritik vm A n d r ae's Sophonisbe {ZfSp, 1891, SuppL 6', ,S. 5).
*) Ibd., S. 5. Eine neugedrtickte Sophonisbe vonMondot aus dein
gleichen Jahre wird voti Andrae ebenfalls ertoähnt,
•) In seinem grutidlegenden Werke über Alex. Hardy enoähnt Bigal
keine ital, Quelle. Dagegen hält Morf, L c, S, 226, seine Schäferspiele
stofflich von Italien beeinflniit. Wir werden darauf in einem späteren
Abschnitte zurückkommen.
öj MaHnismen: Akt I, Sz. 1 {Vers 6-^10) und /, i, Vers HS f.
Akt 7, 2. Vers ööf Vgl. Lotheissen, Gesch. I, 3 11 ff'. Nach Lucas,
Hist. (III, 275) und Lotheissen, Qesch, (/, 309) fand die erste Auf-
führung von Pyrame et Thisbe 1617 statt.
') Artpoetique I, 43 ff.; II, 105 f G, Scud^, Boisrobert, Cyr.
de Bergerac, La Calprenede und Benserade, die sich in der Tragödie ver^
suchten, als diese ihren Aufschwung nahm und die vornehmste Dichtung»-
form wurde, verrieten eine große Neigung zum Marinismus.
Münchener Beiträge z. romanischen a. engl. Philologie. XXXIV. 4
— So-
und Garnier auch auf Qir. Cinthio zurückgeht ^) ; die Mariamne
des Tristan THermite, die in demselben Jahre wie der
Cid ihre Erstaufführung erlebte und einen fast ebenso lebhaften
Erfolg errang, weist auf die €Mariannay> Dolce's zurück.*)
Mit der nun folgenden Blütezeit des französischen Trauer-
spiels und dem gleichzeitig eintretenden raschen Verfalle der
italienischen Literatur mußte naturgemäß der Einfluß Italiens
immer mehr zurücktreten. Die Epigonen eines Corneille und
eines Racine^ brauchten nun nicht mehr über die Alpen zu
gehen, um Vorbilder für ihre Dichtungen zu finden; und
selbst wenn sie dort nach solchen gesucht hätten, würde ihr
Bemühen vergeblich gewesen sein. Denn das 17. und die
erste Hälfte des 18. Jahrhunderts bezeichnen den traurigsten
Tiefstand des italienischen Dramas und der italienischen Lite-
ratur überhaupt. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts beginnt in Italien mit Metastasio *) eine neue Periode
der dramatischen, vorzüglich der tragischen Kunst, die iu
Frankreich nicht unbemerkt blieb. Metastasio wird gelesen
und nachgeahmt; seine vorzüglichsten Bewunderer sind Vol-
taire, Marmontel, La Harpe, Rousseau.^) Voltaire folgt ihm
in der Nichtbeachtung der drei Einheiten {Semiramis)\ die
Idee, mit dem Orphdin de la Chine ein chinesisches Stück
auf die Bühne zu bringen, kam ihm bei der Lektüre des
Eroe cinese von Metastasio.^) Lefranc de Pompignan soll ihn
zum Vorbild in seiner Didon gewählt haben ") ; Lemierre schreibt
seinen Artaxerce und seine Ypermnestre in Anlehnung an Meta-
stasio's gleichnamige Tragödien^); der Titus Du Belloy's ist
*) Dannlieisser, Stud. zu Mairefs Leb. u. Werken^ S. 110.
') Wiese-P^rc, Gesch., S. SOO. Vgl. noch Landau, Die Dramen
von Herodes u. Mariamne, in: Z. f. vgl. Lit. 1895, VIII, 175 ff., '^79 ff.
•) Dejob, ißtudes, S. 158, glaubt bei Racine ital Einfl. zu finden^
der auf die ital. Lektüre in seiner Jugend zurückzuführen sei.
*) Ibd., S. 151-172.
*) Ibd., 8. 152. Hettner geht in s. Litt.-Gesch. auf Quellenfrageti
* nicht ein.
•) ßouvy, Voltaire, S. 212.
■' Dejob, l. c, S. 15^; ebenso Bouvy, l c, S, 205
*) Petitot, Repertoire, Bd. IV, S. 195 u«rf Dejob, l c, S. 158 f.
— 61 —
eine Nachahmung der (yiemenxn di Tito Metastasio's, seine Zelmire
eine Nachbildung der Issipile. *) Marmonlel und Dßriaux
arbeiten seinen Deniofoonte zu Opern texten um.^) Vieuville
ahmt 1766 dasselbe Stück nach. Bursay und La Ville
endlich bringen je einen Artaxerce nach dem Vorbilde des
Ärtaserse des italienischen Tragikers auf die Bühne, und am
Ende des 18. Jahrhunderts ist es wiederum Metastasio, den
Lamac in seinem TJumistocle vor Augen hat. Ja, bis ins
19. Jahrhundert reicht noch sein Einfluß. Denn Delrieu's
Artaa-erce (1808) und Arnault's Regulus verdanken ihr Ent-
stehen dem großen Italiener. Goldoni, der lange Zeit in
Paris weilt, berichtet besonders von der Beliebtheit der Stücke
Metastasio*^.^) Von Voltaire ist noch zu erwähnen, daß
seine Mtrope durch die Lektüre von MaflFei's gleichnamigem
Stücke veranlaßt wurde*), beabsichtigte er doch ursprünglich
das italienische Stück selbst zu übersetzen. Bouvj weist auf
eine Keihe von Entlehnungen, welche Voltaire bei Maffei
machte, hin. Auch in seiner ißcossaise läßt sich eine italienische
Quelle nachweisen, und zwar ist es diesmal Goldoni's Bottega
del cafiy welche ihm einige Szenen lieferte, wie d'Ancona *),
Neri ^ und Toldo ') nachgewiesen haben. Die Quellen zu
Diderot's Rührstücken L« Pire 'de familk und Le fils naturel
») Dejob, M., S. 104 u. Petitot, l c, IV, 19Ö.
2) Ibd., S. 154; ebenso für die folgenden hier angef. Sticke, die vmi
Metastasio beein/i. worden sind.
') (joldoni, Memoiren j Teil II T, Kap. 3. Goldoni seihat ist lange
ohne Einflufi auf die franz. Lit. geblieben. Mit seinem französisch ge-
schriebenen 'Bourru bienfaisant» hat er sich jedoch in der Literatur
seiner Zeit einen ehrenvollen Platz errungen und ist von den Kritike^-n
einstimmig bewundert worden (J. Merz, C. Goldoni, S. 67).
*) In Hartmann's Merope im it. u. fr. Ihr., S. 76, werden die
Meinungen einzelner Literarhistoriker über Volt.'s Entlehnungen von
Maffei angeführt. Jedoch geht aus seinen Ausführungen nicht klar hervor-,
worin Maffei den frz. Dichter beeinflußt hat. S. Krit. über Hartmamx's
Merope, in: Z. f. vergl. Litt. 1903. N. F. VI, 416.
*) 1 comici italiani in Franda, in: Varietä, 3<* serie, S. 230.
•) Una fönte delV Acossaise di Voltaire, in: Rassegna bibliogr. d.
Utt it, VIT, S. 44.
') Giorn. stör., Bd. XXXI, 442 ff.; 31erz (C. Goldoni, S. 37) über-
geht diese Frage.
4*
— 52 —
sind noch nicht eingehend untersucht worden. Fr6ron nennt
das erstere geradezu ein Plagiat des gleichnamigen Goldoni-
schen Stückes, während Kosenkranz, der Herausgeber Diderot's,
nur eine teilweise Benützung desselben zugibt.^) Von dem
zweiten Stücke erklärt Diderot selbst, daß es unter Goldoni's
Einfluß geschrieben wurde.^)
Auch Alf ier i fand Nachahmer in Frankreich. Lemercier
▼erdankt ihm zum großen Teil den Erfolg seines Agamemnon,
Legouv6 pdre entlehnte den Schluß seines Jßteode dem Polinice
des Italieners.')
Noch in der Restaurationszeit finden wir Spuren italieni-
schen Einflusses. Denn 1821 brachte Janin einen Oreste
auf die Bühne, der die meisten Szenen des gleichnamigen
Alfieri'schen Stückes enthielt; dasselbe kann man von der
im nächsten Jahre aufgeführten Clytemnesire Soumet's sagen.
Endlich zeigt sich Alfieri's Einfluß noch 1827 in äuirand's
Virginie^)
Das ganze 19. Jahrhundert hindurch werden italienische
Tragödien auf franz. Boden in italienischer Sprache auf die
Bühne gebracht. M°^® Ristori, die große Tragödin der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts führte mit ihrer Truppe
mehrmals ital. Trauerspiele in Paris auf.^) 1830 ließ die
Herzogin von Berry italienische Tragödien in der Haupt-
stadt Frankreichs aufführen; doch machte die Julirevolution
diesen Vorstellungen bald ein Ende. 25 Jahre später trat
M"^« Ristori noch ein letztes Mal mit einer Truppe auf und
spielte mit außerordentlichem Beifall Alfieri's Mirra und Pellico's
Francesca da Rhnini,^) Erst gegen 1860 hören diese Gastspiele
*) Vber Frero}V8 Behauptung s. Rosenkranz, Diderofs Leb. u.
W, 7, 275.
*) Au8<j, V, Bosenkr. VII, 337.
») Dejob, ^tudes, 227 ff.
*) Dejob, i/< S. 227 f.
^) Dejob, i6<i., S. 2S4:, Anm. i, mit weiteren Lit.-Ang. Jedoch
vermissen wir: Perrens, La comedie ital. ä Paris. M^ Eistori {Bev, des
deux M. 15. Juni 1855 tmd 15. Juni 1857).
'^) Dejob, ihd., S. 282.
— 53 —
der Italiener auf, um nochmal gegen Ende des Jahrhunderts
durch Eleonore Düse in Mode gebracht zu werden.^)
in. Die Komödie.
Noch mehr als die französische Tragödie steht die Ko-
mödie in ihren Anfängen unter italienischem Einflüsse. Bereits
9 Jahre bevor Jodelle's Eugene ou la Rencontre über die Bühne
ging, hatte Ch. Estienne ein Lustspiel *) aus dem Italienischen
übersetzt, nachdem die Franzosen schon 1533 zu Lyon die
Calafidria Bibbiena's auf der Bühne hatten sehen können. In
der Vorrede zu seiner Übersetzung teilt Estienne dem Leser
mit, daß er die Lenay den Negromanf und den Marescako,
welchen er fälschlicherweise ebenfalls Ariost zuschreibt, ge-
lesen habe, und fuhrt sie seinen Landsleuten als Muster vor.
Im Jahre 1545 erscheint die Übersetzung der Suppositi des
Ariost durch J. Bourgeois*); 1549 empfiehlt Du Bellay in
dem Manifeste der Pleiade die Komödie und die Tragödie im
Gegensatz zu den mittelalterlichen Gattungen des Dramas.^)
Im Jahre 1552 endlich erhalten die Franzosen in Eugene
ou la Bencontre ihre erste Originalkomödie. Wir finden im
Stücke selbst keinen italienischen Einfluß, allein der Prolog
ist ganz nach italienischer Manier aufgebaut, indem er die
im Stücke auftretenden Personen kurz andeutet.*)
Aus dem umstände nun, daß diese erste französische
Komödie nicht unter italienischem, sondern teils unter antikem,
teils unter mittelalterlich-französischem Einfluß steht, haben
viele, selbst moderne Forscher den italienischen Einfluß auf
das Lustspiel überhaupt viel zu wenig betont. Wir wollen
^)Larroomet, La Düse et le public parisien (Nouv. Et. Paris,
1899, S, 239 f,).
*) Das Sacrifizio der Intronati zu Siena li)4H,
') Nach Greizenach {Gesch., III, 89) wurden wahrscheinlich in
Paris die Lucidi des Firenzuola 1555 und Anfang März des folgenden
Jahres in Fontainebleau die Flora des Älamanni vor der Hofgesellschaft
aufgeführt.
*) Vgl. Lanson, Hist, S. 275,
*) Vgl, den Prolog in den ital. Komödien Androsia, Cassaria etc.
— 54 —
hier die Ansichten einiger wichtiger Autoritäten auf diesem
Gebiete anführen.
Schon Vauquelin gibt zu, daß Frankreich sein Lustspiel
nicht selbst geschaffen, sondern es den Italienern und Lateinern
entlehnt habe.^) Auch Beauchamps gibt den italienischen
Einfluß auf die Komödie zu, wenn er auch meint, daß seine
Landsleute nur die Fehler der Italiener entlehnt hätten.*)
E. Chasles nennt den italienischen Einfluß auf das franz.
Theater (Komödie) vorherrschend, bezeichnet jedoch Italien
als ein „trügerisches Vorbild und als einen gefährlichen Führer** ^),
während dagegen Lenient die Renaissancekomödie auf die
mittelalterliche Farce zurückführt.*)
Mahrenholtz hinwiederum gesteht dem franz. Lustspiele
nationale Selbständigkeit zu, bedauert aber, daß daneben
„immer wieder die plumpsten Nachahmungen der spanischen
und römischen Komödie und namentlich, was am meisten zu
bedauern sei, die italienische coinmedia ddC arte sich Bahn
brachen". '^)
In seiner Einleitung zur Farce de PatlieUn erklärt endlich
Genin, daß die Verwicklungs- , wie die Charakterkomödie,
aus der Farce entstanden sei.*) Genin's Ansicht wird auch
von Aubertin vertreten'), während Darmesteter und Hatz-
feld jene Komödie aus dem italienischen Lustspiele und der
Farce erstehen lassen, wobei sie jedoch der letzteren die größere
Bedeutung beilegen. ®) Ganz besonders vertritt Petit de
JuUeville die Entwicklung der franz. Komödie aus der Farce
*j Art poetique., Chant IIT, v. ISO f.
') Rech. I. Teilj S. 150 ff.: *Kous lumes Icurn ouvrage^, «otw Irs
imitämesj il nous arriva ce qui arrive^ quand ön stiit ses ffuides sann dis-
cernementj noHS prtnies leurs difauts, et ne tirämes point de parti de
leiirs heauth.*
») La ComMie en Fr., S. 109; vgl ibd., S. 10: •On lit les ancitnn
ou les imite ä travers Vinflxience de V Italic; V Italic fnt nn modele de-
eevant et unguide dangereux.r>
*) La Comedie en Fr., S. ö73.
») Momre, Äbschn. i, S. 68.
«) Farce de Pathelin, EinlHtung, S. IV ff.
^ Hist. du th. fr. I, r>R,H.
«) Le 16' siede, S. 176.
— 55 —
und verteidigt seinen Standpunkt mehr als einmal in seinen
Werken.^) Dagegen erkennt Rigal voll und ganz die Be-
deutung des italienischen Einflusses an*); als einen Aus-
fluß der mittelalterlichen Farce bezeichnet er diejenigen
Stücke, welche nur belustigen wollen; auch betont er, daß
die meisten Personen der französischen Komödie sich bereits
im italienischen Lustspiele vorfinden.') Barth^lemy, dessen
Geschichte des franz. Lustspieles übrigens jedes wissenschaft-
lichen Wertes entbehrt, spricht vom italienischen Einfluß erst
gelegentlich der Erwähnung Scarron's/)
Nach Lotheissen ist das Lustspiel aus dem französischen
Volksgeiste hervorgegangen ^) ; an einer anderen Stelle läßt er es
jedoch von „der ausgelassenen Gommedia delP arte^ ausgehen.^
Der italienische Einfluß wird ganz besonders von Lanson
betont, welcher das französische Lustspiel geradezu einen Ab-
glanz des italienischen nennt. "^ Creizenach schätzt die Be-
^) La com. et ks mceurs, S. 1. Femer: Le th. en Fr.^ S. 84ff: «La
com. ihmeura originale .... Un ilement nouveau fut empruntSj non de
VantiquitCj mais de la com. italj qui inspira aux Francis le goüt et leur
donnu les modeles d'une intrigxie plus compliquSe, de ces itnbroglios que
In simplicite du mögen äge avait igtiores ou dedaign^s.» Hier gibt
Julleville also den ital. Einfl. wenigstens teilweise zu. Dagegen sagt er in
Bd. II y S. 421^ seiner grojkn Litt. -Gesch. : *La moralitS aboutit ä la grande
comedie de caracteres; la sotie devient la comedie politique et socicUe.^
«) Julleville, Eist, III, 216—318, S. 266: ^Les comSdies itant
soutent de simples traduetions. sont construites ä Vitalienne plutot qu'ä
la fran^aise.»
^) Ibd.y S. 311; Rigal zahlt hier die bereits im ital. Lustspiel
befiyidlichen Personen auf, die später auf die frz. Bühne übergingen:
•Leandre et IsabeHe^ les amoureux; Scapin ou Arlequin, les valets;
Fantalony le vieux marchand; le Docteur, le pedant de Bologne: et le
cajntaifie terrible etc.»
*) Bist, de la Com. fr., S. 178.
^) Gesch., J, 24.
«) Ibd., l 335.
"') Bist, S. 502 f. : *Notre comedie du XVI^ siede, depuis VAndrienne
jusqiCaux trois demieres comedies de Larivey {1540 — 1611), n^est qu'un
reflet de la comHie des Italiens .... Cest aux Italiens qyCon va
directement, et exclusivement. Leur exemple vaut assez pour imposer
la prose ä certains de nos auteurs, en dipit des exemples contraires des
anciens, Intrigue, dialogue, types, comique, tout vient d'eux, et ceux qui
. _ 66 —
deutnng der Vorbilder des klassischen Altertums für das Lust-
spiel bei weitem nicht so hoch wie für das Trauerspiel, da
in der Komödie der italienische Einfluß weit stärker ein-
gewirkt habe.^) Morf endlich betont, daß Jodelle's Nachfolger
zwar am französischen Schauplatz der Handlung festhalten,
daß sie sich jedoch im Geiste mehr dem römischen und dem
auf ihm beruhenden italienischen Lustspiele nähern.*) — Wir
haben hier also eine Beihe der verschiedenartigsten Ansichten,
deren Extreme einerseits von Julleville mit der Betonung der
Fortentwicklung aus der Farce, andererseits von Lanson mit der
exklusiven Hervorhebung des italienischen Einflusses vertreten
werden. Eine genaue Unterscheidung der verschiedenen
Strömungen, die auf die Entwicklung des franz. Lustspiels
eingewirkt haben, wird wohl nie möglich sein, und wir dürfen
Bigal recht geben, wenn er sagt: tUhistoire de la coniedie
fran^ise du 16 * siede doü sc resigner ä rempUicer quelquefais les
cerfäudes par les prohahiliUs.^ *)
Während die erste französische Komödie*), wie wir be-
merkten, keinen italienischen Einfluß aufzuweisen hat, vielmehr
als eine aus den damaligen Zeitverhältnissen herausgewachsene
„beißende Satire auf die Zuchtlosigkeit der katholischen Geist-
lichkeit" angesehen werden kann % schöpft der Verfasser der
1560 erschienenen Esbahis, J. Grevin, mit vollen Händen aus
einer italienischen Quelle, nämlich aus den von Gh. Estienne
übersetzten Ingannati od. Sacrifixio.^) Wie wir bereits oben
essaient ou se vantent de faire des compositions originale^t ne se distin-
gnent pas du tout des traducteurs.*
') Gesch., Bd. ITI, 77,
•) Gesch., S. 217. Levrault (La ConUdie, 1903, S. 2H) rechnet
Eughie und La Reconnue noch zu den Farcen, u. datiert den it. Einfi.
erst von den nachfolgenden Stücken an.
») Julleville, l c, 111, 296.
*) Die Bezeichnung „comidie" findet sich urkundlich unseres Wissens
1345 gelegentlich eines •mysthre» der Königin von Navarra {Fr. Parfaict
in, 56"), vielleicht nach der in demselben Jahre erschienenen „Com e die
tres elSgante^ von J. Bourgeois, welches der Titel für die IJber^
setzmig der Suppositi des Ariost ist.
*») Holl, Tendenzdrama, S. 204.
«) Morf, Gesch., S. 218; Chasles {La com., S. 47) gibt knne
Quelle an. Das Datum ist nach Holt {Tendenzdr., S, 206) angegeben.
— 57 —
gesagt haben, spielen anch Reminiscenzen an des Dichters
früheres Lustspiel «La Tr^soriere* und an Jodelle's <c Eugene*
mit herein. Grrfiyin flicht satirische Auställe ein, deren
Kosten vorzüglich die Italiener tragen. In der Figur des
Pantaleone, welcher sich von nun ab auf der komischen Bühne
Frankreichs einbürgert, stellt Gr6yin den bramarbasierenden
italienischen Kurschneider dar.
Remi Belleau's Lustspiel La Beconnue ^), welches wir gleich-
falls schon erwähnt haben, ist allerdings nach den lateinischen
Mustern desPlautus undTerenz gedichtet, aber es finden
sich, wie Toldo nachgewiesen hat, darin auch Spuren des
italienischen Renaissancelustspieles. ^) Holl hält die Eshahis
für eine Originalkomödie, welcher die geschichtlichen Ereig-
nisse von 1562 und 1563 zugrunde liegen.^)
P. le Loyer entlehnt in seinen beiden Stücken le Miiei
insense und Ncphehcocugie eine Anzahl von Zügen dem italieni-
schen Theater.*)
Schwierig scheint es dagegen, das Vorbild der NapoUtainea
des Fran^ois d'Amboise zu finden. Rigal will in ihnen eine
Nachahmung des Akssandro von Piccolomini sehen.*) Toldo
dagegen glaubt als Quelle eine Novelle im Becamerone gefunden
zu haben.*) Birch-Hirschfeld und Morf äußern sich über die
Quellenfrage überhaupt nicht.
Tumöbe's Les Contents (1584) sind nicht den Contenti
des Parabosco, sondern der Hauptsache nach dem Alessandro
des Piccolomini mit Benutzung einiger anderer italienischer
Komödien entlehnt.')
») Aufgef. 1Ö64. Abgedruckt im Anden Th. fr. iT, 341-438.
«) La com. fr., in: Rev. d'Eist. litt. 1898. S. 567.
») Tendenzdr., S. 204.
*) Toldo, Za com. fr., in: Rev. d'Hiat. litt. 1898, S. 564.
*) Rigal, La com. de la Ren. {in: Jullev., Hist., III, 301).
") Toldo, l. c, S. 585.
^ Morf, Gesch., S. 220; ebenso Toldo, l. c, 1899, S. 571 ff.,
welcher besonders K.awczynski {Festschrift zum VIII. deutschen Neu-
phil.'Tage: Über da» Verhältnis von *Les Contents» zu *Les Esbahis*
und beider zu den Italienern) berücksichtigt; Fest {Der miles, S. 66) 6c-
handelt sie als Originalkomödie.
— 58 —
Wichtiger für die französische Komödie ist Pierre Larivey,
dessen ÜbertraguDgen von 9 italienischen Lustspielen ins
Französische wir jedoch hier nicht erwähnen, da sie bei
Darmesteter und Hatzfeld^), Kigal*), Morf*),
Suchier-Birch-Hirschfeld^) angegeben sind. Interessant
ist aber, daß man ihn lange Zeit hindurch für einen Original-
dichter hielt, der die Lateiner und Italiener nicht mehr oder
weniger nachahmte, als es die anderen franz. Lustspieldichter
taten. Die Gebrüder Parfaict nennen seine Lustspiele tpieees
de theäire ä Vimitation des anciens Grecs et Laiins et modernes
Italiens, jt^) Chasles sagt von Larivey, er habe sich von
der direkten Nachahmung freigemacht, besonders habe er
die Komödie wieder zurückgeführt zur ursprünglichen Quelle,
dem lateinischen und griechischen Theater/) Auch Lenient
stellt den französischen Dichter als selbständig hin, der
sich allerdings von der Stegreifkomödie, der Farce und den
Lateinern beeinflussen lasse, aber seine Stücke imabhängig
aufbaue.')
Nach Janet (1855) und Lucas (1682; I, 26 ff.) werfen
Darmesteter und Hatzfeld von neuem die Frage auf,
was Entlehntes und was Originales in den Lustspielen
Larivey's sei. Sie finden,^ daß Larivey nur Übersetzungen,
allerdings mit einzelnen Änderungen, geliefert habe. Die
letzteren bestehen darin, daß er den Schauplatz der Hand-
lung gewöhnlich nach Frankreich verlegte, daß er Neben-
personen hinzufügte, einige Szenen und Rollen fortfallen ließ,
so daß die Stücke scheinbar den Charakter von Original-
komödien bekamen.^) Zu einem ganz ähnlichen Resultate
') Le Iße «., S. 179.
"j La com. /V., in Julie ville's HiMt. III, 305 und IV, 191.
») Gesch., S. 245.
*) Gesch., S. 362.
*) Hist. du th. in, 396 u. 425.
•; La com.y S. llo.
^ La com., S. 576.
*) Le 16* 8., S. 179.
— 59 —
kommen auch G. Wenzel*), Morf*), Birch-Hirschfeld •) und
Toldo.*)
Larivey'8 Verdienst liegt darin, den Franzosen das Ver-
ständnis der italienischen Lustspiele erleichtert und sie mit
einer Menge neuer Gestalten und Ideen, mit einer Fülle von
echt komischen Szenen und mit einer Reihe stereotyper
Charaktere bekannt gemacht zu haben, welche von nun an
in den französischen Lustspielen immer, wenn auch in ver-
änderter Gestalt, wiederkehren.
Die EseolUers P e r r i n ' s 1589 werden von Chasles *)
und Darmesteter und Hatzfeld*) als ein Originallustspiel
angesehen. Doch findet Toldo einige auffallende Ähnlich-
keiten mit den Siippositi des Ariost, der 3£tksia des Gia-
notto, und er bemerkt, daß der in den Escdliers behandelt«
Stoff auch bei einer Reihe italienischer Novellisten vor-
handen sei.^ Die Tasse des Cl. Bonet geht in ihrem Stoffe
auf eine Erzählung in Sacchetti's NovelUno zurück.^) Die
Dff^uisex TrottereFs, welche übrigens in keinem Zusammenhang
mit dem gleichnamigen Stücke Godard's stehen, sind ganz in
der Manier der italienischen Stegreifkomödie geschrieben.*)
Die Coniedie des praverbes erinnert durch die Dreizahl der
Akte an die scenarii des Fl. Scala^^); das Auftreten der
BoMmieiu in diesem Stücke geht ohne Zweifel auf die Cingana
des Giancarli (1695) zurück. ^^) Der Stoff zu Mairet's Duc
*) Larivey'H Komödien u. ihr Einfl. auf. Moliere {Herr, Arch., Bd. 82^
S, 6.H--80).
«) Gesch., S. :i4o.
») Such, und ß.-H., Gesch., S. Hti2.
*) La com. fr. {Rev. d^Hist litt. 189H, S. 582 ff.). — Holl {Taidenz-
drarnttj S, 211) glaubt, daß Larivey seinen Komödien vielfach die Ereig-
nisse der Zeit zugrunde legt.
») La Com., S. 116.
«) Le 16e 8., S. 180.
') Rev. d'Hist. litt 1899, S. 580.
») Ibd., 8. 590 ff.
ö) Toldo, iM, S. 605; Morf {Gesch., S. 2n) sagt: „Die Diener-
rollen »ind ganz italienischen Geistes.^
»•) Toldo, ibd., 1900, S. 270.
") Toldo, ibd., S, 270.
— 60 —
d'Ossone endlich (1627) findet sich in der 41. Novelle des
Massuccio; eine ähnliche Erzählung lesen wir in den Diparti
des Parahosco (giom. I, nov. 2), welche in die Joyeux Devis
überging, woraus sie später Scarron für sein Lustspiel jFVe-
caution inutile nahm.^) Rotrou's Quellen sind bereits eingehend
Ton Stiefel untersucht worden, welcher für Ciarice, CiHe und
La Scßur italienische Stücke als Vorbilder gefunden hat.*)
Wir kommen nun zu Moli^re, von dessen Beziehungen
zu den Italienern wir bereits gelegentlich des Abschnittes
über die italienischen Schauspieler in Frankreich gesprochen
haben. Eine beträchtliche Anzahl von Abhandlungen über
diese Beziehungen ist bereits vorhanden, und wir werden im
folgenden die wichtigsten derselben in Betracht ziehen.
Grundlegend ist vor allem Moland's Moliere et la eom4die
italienne (1867), worin Moliöre's Verhältnis zu den Comici
italiani gründlich dargelegt wird, während Foumel die Stellung
des großen Dichters zur zeitgenössischen Komödie betrachtet^)
Den Einfluß des plautinischen Lustspiels schildert Reinhard-
stöttner's bekanntes Werk.^) Die gründlichste, umfangreichste
wissenschaftliche Arbeit aber bildet die von Despois und Mes-
nard veranstaltete Ausgabe von des Dichters Werken in der
Sammlung der Grands ßcrivains.^) Die neueste Arbeit über
Moliere, welche die bisherigen Moli^reforschungen gewissenhaft
berücksichtigt, bildet Schneegans' Moliere,^)
Was des Dichters Verhältnis zur italienischen Schau-
spielertruppe betrifft, so wissen wir, daß er schon in früher
Jugend ihre Stücke sah, daß er später, als seine Truppe ab-
wechselnd mit den Italienern im Palais Bourbon spielte, mit
») Unbek. it Quellen Rotrou's (ZfSp. 189 J, Suppl. o), woselbst retch-
haltige bibliogr. Angaben zu finden sind. Der Stoff der Amelie ist nach
Stiefel {ibd.f S, 27) zwei spanischen Stücken und einem ital. Pastoral-
drama entlehnt^ s. auch Vianey, De%tx sources inconnues de Rotrou^
pass., und Fest, Der mil, S. 77 f.
*) Les contemporains de Moliere, Recueil de comedies, s, Introductiofh.
') Spätere Bearbeitungen plautinischer Lustspiele,
*) Doch fehlt es dem Werke an einer übersichtlichen Zusammen^
Stellung der Quellen,
*) Geisteshelden, Bd. 42 {1902).
— 61 — .
diesem stets auf gutem Fuße stand, mit einigen Mitgliedern
sogar freundschaftlich verkehrte.^) Da Molidre ein ebenso
guter Schauspieler wie Lustspieldichter war, darf man an-
nehmen, daß er die mimische Kunst bei den Italienern gelernt
hat. Despois deutet sogar die Möglichkeit an, daß er sich
in seinen großen Stücken von der Schauspielkunst eines
Oharakterdarstellers wie Scaramouche beeinflussen ließ, wenn
auch zu bemerken ist, daß die Comici italiani schließlich
doch nur immer tpersontiages de Convention» auf der Bühne
darstellten.^)
Ihr Personal bestand so ziemlich für alle Stücke aus
zwei Liebhabern, drei weiblichen Personen, zwei für die
ernsten, eine für die komische Rolle, ferner aus Scaramouche,
Pantalon, dem Docteur, einem Mezzetin und einem Arlequin ^),
so daß im ganzen nur 10 Personen für eine Aufführung
nötig waren ; dabei war nicht ausgeschlossen, daß bei manchen
Stücken diese Zahl nicht einmal erreicht wurde. Moli^re,
und darauf wurde bis jetzt nicht hingewiesen, braucht für
seine Lustspiele gewöhnlich dieselbe Anzahl. Gewiß schwebten
ihm daher bei der Abfassung seiner Komödien die italienischen
Schauspieler und ihre canevus vor, und sicherlich bildete er
seine eigene Truppe nach dem Muster jener. Freilich scheint
nicht ein Mitglied von der Moli^rcschen Truppe annähernd so
berühmt und beliebt geworden zu sein wie Scaramouche,
Trivelin und Aurelie, mit ihren wahren Namen Tiberio Fiorelli,
Domenico Locatelli und Brigida Bianchi.
Jedenfalls lernte Moliere viel mehr bei den Italienern als
bei den französischen Lustspieldichtern des 16. Jahrhunderts,
bei Jodelle, de la Taille u. a., deren Stücke schwerfallig in
1) Voll hart, Die Quelle van Molibre's Tartuffe {Herr: 8 Arch.
Bd, XCIf S. 91 f.). Siehe auch die Kritik von Toldo (Giom. stör.
XXIV. 297)j wo derselbe darauf fünweistj da/J Moliere die Aufführungen
italienischer Künstler besuchte^ und dajl er auch später, als «* in
den Schauspielerstand trat, in intimem Verhehr mit seinen Kunstge-
nüssen blieb,
») Despois, Le th., S. 59.
«) Despois, ibd., S. 61,
der HaudluDg, mangelhaft in der Charakterzeichnung, un^
künstlerisch in der ganzen Komposition sind, während er
an den Stegreifkomödien dramatische Lebendigkeit, scharfe
Charakterisierung und genialen Aufbau eines Stückes studieren
konnte.^)
Untersuchen wir nun kurz, in welchen Stücken sich h'ni-
sichtlich des Stoffes Einflüsse sowohl der Stegreifkomödie, vde
der tcomtnedia entdita.» bemerkbar machen.
Wir wissen, daß Moliöre während seiner Wanderjahre
Farcen nach dem Muster der Possen der commedia deW arte
entwarf und aufführen ließ ^) ; wir kennen nur die Titel von
drei derartigen Stücken: Le docteur amo^iretix, Les trois
docteurs und Le maUre d'^colCy von denen das letztere wjüir-
scheinlich sich an die Stegreif komödie tArUquin ('colier> an-
schließt. Schneegans hält es nicht für ausgeschlossen, daß
die drei Titel sich auf ein Stück beziehen.*)
Von den erhaltenen Stücken gehören hierher:
1) La Jalousie du liarhouiUe. Nach Despois findet sich
der Stoff zur Handlung dieser Posse im Decamerone (VII,
4)*); doch lag Moliöre ein bis jetzt nicht aufgefundener
italienischer caneras vor. Schnoegans gibt als Stoffquelle
Decam. IV, 3 an.*)
2) Le Medeein volant ist die Nachahmung eines Des-
pois®) und Schneegans '^) unbekannten Medico rolanie, den
*) Ähnlich Wenzel, La com. de Larivey {Herr. Arch. Bd. LXXlly
80), und Fest, Der mil., S. 06, welcher Wenzel zitiert ] fei-neriloland,
La com. it, S. ;>, uml A. d. Breton {beiJulleville, Hist.f Bd, V, 15).
welche beide den Einfi. der ital. Stegreifkomödie auf Molihre in hezuy
auf die Lebendigkeit der Handlung betonen.
*) Schneegans, Mol., S. 29; über MoVs Stegreifkom. hat
Young in der ZfSp., Bd. XXII, 190 ff. ausführlich gehandelt.
^) Moli er e, S. 32; Young, i6d., S. 192, der sieh über diese
Frage nicht öii/krtj nennt noch die Titel von 9 weiteren, Mol. zuge-
schriebenen Farcen.
*) Despois, Les asucres de Mol. 7, 11; ebenso Young , l. c, S. 198,
») Moliere, S. 3L
•; (Euvres de Mol. l 47.
') Moliere, S. 32.
— 63 —
Young unter den Scenarii inediii della Comm, deW arte gefunden
zu haben glaubt.^)
3) UiJtourdi geht nach Despois^) und Schneegans*)
auf den Innaveriiio des B a r b i e r i , genannt Beltrame
(1629/1630) zurück; in Akt IV, Sz. 2 übersetzt er geradezu
aus Em. Groto*) und L. de Fornaris. Rigal sucht zu
beweisen, daß neben dem Innavertiio des N. Barbieri besonders
der ParaSite des Tristan TErmite in Betracht komme.*^) Ab-
weichungen von Barbieri's Stück finden sich insofern, als
Moli^re den tCapUano BeUerofoniej> wegläßt und dafür den
alten Amelme mit seinen Eigenschaften, wenigstens zum Teil
ausstattet.^) Nach Schneegans ist das „Gepräge dieses Lust-
spiels durchaus italienisch ''.'')
4) Der erste Teil des Df'pit amoureux, hat Ähnlichkeit
mit der Komödie Secchi's: Vinieresse,^)
5) Don Garde beruht auf den Gelosie del principe Rodrigo
Cigognini's (1654)®); die Heldin des Stückes, ein kriege-
risches Mädchen, erinnert außerdem an die Frauengestalten
bei Ariost und Tasso.
6) In der &oh des maris sind einige Szenen den Esprits
Larivey's, welche selbst eine ital. Übersetzung sind, entlehnt.^®)
7) Le Fdcheux wurde nach einem Canevas Italien gedichtet,
welcher den Titel führt; Pantakom amante sfortunato ^^) ; übri-
gens behandelt die 8. Satire B^gnier's denselben Gegenstand.
8) Den Stoff zu seiner iJcole des femmes fand Moliöre
entweder im Pecorone des Ser Giovanni Fiorentino, oder in
*) L, c, S. 207. — Scenarj ined.^ S. lOö—llO, Diese Sammlung
wird auch hei Klingler {La Com.-TtaL etc., S. 21) erwähnt.
») (Euvres d. M. /, 79.
») Molih-e, S. SH.
*) Ibd., S. 38.
*) Les com. d. Mol. {Recue universitairCy lo fevr. 1903).
•) Fest, l. c, S. 121.
') Molüre, S. 40.
•) Despois, Mol.' Ausg. J, 381, wo ausfuhrl. darüber gehandelt wird.
») iW., l. c. II, 217. Ebenso Schneegans, i. c, S. 74.
*®) Despois, l c. II, 340, bei Schneegans nicht erwcUmt,
") Despois, l c. III, ß.
— 64 —
den Notti facexiose Straparola's ^), oder endlich in der ersten
der nouvelles tragiqiies Scarron's.*)
9) Von dem Stücke Le Mariage force sagt Schneegans:
^Die Komik darin beruht sehr häufig nur auf technischen
Kniffen, die Moli^re namentlich in seinen schnell entworfenen
Possen immer wieder zu verwenden weiß, die er vielleicht
auch der italienischen Stegreifkomödie abge-
lauscht hatte."') £in bestimmtes Vorbild läßt sich jedoch
nicht anführen. Despois gibt mehrere Canevas an, die Ähnlich-
keiten mit Moli^re's Lustspiel haben. ^) Jedenfalls liegt eine
italienische Quelle zugrunde.
10) Bezüglich der Quelle des Tartuffe ^) haben die neuesten
Forschungen ergeben, daß der französische Dichter ihn nach
dem Muster der italienischen Stegreifkomödie // Pedanie
schrieb.") Moland gibt als Vorbilder den Finto Ipocnto und
den canevas <Dottore Bacchettone* an, welcher in der erhaltenen
Fassung allerdings erst nach dem Tartuffe erschien; auch
Decameron lU, 8 erinnert an die Fabel des Stückes.
11) Für den Avare hat Moliöre eine Reihe von italieni-
schen Lustspielen benutzt, nämlich die Sporta Gelli's, die
Oase svalligiaie, den Cameriere mobile^ den Ämante iradito, alle
drei Stegreifkomödien von unbekannten Verfassern, endlich
die Suppositi des Aiiost. Knörich hat 1886 diese Quellen
des Avare einer eingehenden Untersuchung unterzogen.^
12) Der Don Juan geht allerdings auf den Burlador di
Sevilla zurück ^), allein dieses Stück wurde bereits in den 30er
^) Schneegans, Moliere, S. 91.
*) DespoiB, l c, 111, 144.
•) Molilre, S. 112.
*) (Exivr. de Mol, S. IV, 8.
*)Vollhardt, Die Quelle des Tartxiffe (Herr. 's Arch., Bd. XCI,
öoff). Vollhardt berücksichtigt die vorausgehenden Forschungen, bes. die
von Mahrenholtz. — Schneegans {Mol., S. IIT) kommt zu demselben
Resultate.
®) In den ZfSp. VIII, 51—68; doch ist die Arbeit keinestcegs als
eine abschli^iende zu betrachten.
') Lucas, Eist. J, 73; Lotheiasen, Gesch. IV, 40; Mesnard,
(Euvres de Mol, Bd. F, Iff.; Schneegans, /. c, S. ISOff. Eine Zk-
sammenstellung über die neuesten Forschungen in der Don Juan-Sage
~ 6B —
Jahren des 17. Jahrhmiderts Ton dem Stegreifkomödiendichter
Giliberto am italienischen Theater in Paris gespielt, so daß
der Stoff dem Theaterpublikum schon vor Moli^re bekannt
war. Zudem wurde das italienische Stück II Convüato di
pietra des Giliberto von zwei Franzosen, Dorimond und De
YiUers, bearbeitet Die Bearbeitung des letzteren, le FesUn
de Pierre, diente Molidre als Grundlage seines Don Juan.
13. In dem Schwanke Le bourgeois gentUhomme (1671) ist
die türkische Zeremonie (Akt IV, Szene 6 — 13) dem Steg-
reiflustspiel Le disgraxie d^ Arlecchino entnommen.^)
14. Le Malade imaginatre verdankt mehrere Züge, wie
Moland behauptet, der Gestalt des Mamfurio im (Jandeiaio des
Giord. Bruno. ^
15. In den Fourberies de Scapin, welche sich ganz der Manier
der italienischen Komödie nähern, ist die Szene mit dem Sack
den Notti facexiose Straparola's entnommen.^)
Diese Übersicht der stofflichen Entlehnungen, die Moli^re
bei den Italienern machte, beweist, wie tiefgehend der lite-
rarische Einfluß Italiens damals war. Wiese ^) sagt daher
ganz richtig, daß Moli^re's Lustspiele die herrlichsten Früchte
der italienischen Stegreifkomödie seien.
Von den zeitgenössischen, komischen Dichtem kommt
vor allem Tristan l'Hermite in Betracht, dessen Parnsite, wie
Stiefel bewiesen hat, eine Nachahmung von Fomarie's Angelica
(1584) ist, welche selbst als ein Plagiat der Olimpia des della
Porta angesehen werden kann.^) Der Amant discret Quinault's
gibt Stiefel in deni Jahresbericht für neue detUsche Literaturgesch, krag,
V. E, Schmidt 1899. Bd. X, /. Abteilung, 7. Abhandl
») Mesnard, (Euvres de Momre, Bd. VIII, Iff, 35.
•) Moliere et la comedie it., S. 105—111.
•) Mesnard, (Euvres de Molih-e VIII, 390. Vgl. Schneeganä,
Mol, S. 212.
*) Wiese-P^rc, Gesch., S, 435. Auch Schneegans bezeichnet
diesen Einfl. d. Ital als „nur vorteilhaft** {Mol. S. 30). Siehe femer
Toldo (Kritik v. VollharVs „Quellen des Tartuffe" Giom. stör. XXIV,
301): *Negli albori del Rinascimento la commedia deW arte fu scuola
alle nazioni d'Europa, alla Francia sopratutto, di vera e Sana comicita.»
*) Tristan VHermite^s Le Parasite u. s. Quelle, in: HerrJs Arch.
Bd. 86, S. ^ff.
Münchener Beiträge z. romanisclieu n. engl. Philologie. XXX IV. 5
— 66 —
geht ebenfalls auf eine italienische Quelle zurück. Corneille
lehnt sich in seinen ersten Lustspielen an die italienische
Stegreif komödie an. Der imiamore in der Illusion comique ist
nicht ein Abklatsch des Gapitano der commedia dell' arte,
sondern, wie Fest beweist, und wie Corneille in seinem
tExanien* selber sagt, ein Phantasiegebilde. ^) Begnard,
der würdigste Erbe von Molidre's Kunst, arbeitete in seiner
Jugend für die Comedie italienne.^ Sein Stück La Sirdnade
ist ganz im Stile der ital. Farce. ^) Le Bai und die Folies
ammireuses, deren Gegenstand der Finta paxza von Strozzi ent-
lehnt ist, sind ebenfalls Nachahmungen der italienischen Steg-
reifkomödien/) Auch in der Komödie Le diwrce finden sieb
einige der ital. Bühne entlehnte Szenen.^)
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts nahm der
vielseitige La Motte-Houdar den Stoff seiner Komödien zum
großen Teil aus Boccaccio; drei dieser Novellen des ital.
Dichters hatte bereits Lafontaine in seinen Ckmtes bearbeitet
doch geht aus verschiedenen Einzelheiten hervor, daß La Motte
direkt die italienische Quelle benutzte.^) Es kommen folgende
Komödien in Frage:
1. La Venitimne, cotmdie'baüet, 1705, läßt all die Masken
der ital. Komödie wieder an uns vorüberziehen.
2. Le Talisman =» Bocc, Dec. II, 10.
3. Le Magnifique = Bocc, Dec. III, 5.
4. Minutolo = Bocc, Dec III, 6.
5. Le Calendrier des Vieillards 5= Bocc, Dec II, 9.
So sehen wir, wie der Altmeister der Erzählung, Boccaccio,
noch im 18. Jahrhundert, im Zeitalter der nüchternen Auf-
klärung, seinen Zauber auf die Franzosen ausübte.
Fast alle Komödiendichter des 18. Jahrhunderts bilden
^) Der mil. glor., S. 97.
«) Lucas, Hi9t., i, i^83f.; III, 140 f. Nach L. schrieb er 10 Stücke
für die ital Bühne. Nach Fournel (Le th., S. 343) verfafiU er für
diese auch seine letzten Stücke.
») Lenient, La Comedie /, 25 w. 2S,
*) Ibd., S. 29.
*) Lucas, Bist, phil III, 141.
«) Vgl. Toldo, Quelques sources, in: BtUl. it. I, 200 ff.
— 67 —
sich in ihren Werken an dem italienischen Theater zu Paris.
Florion arbeitet ganz nach den canevas der italienischen Ko-
mödie. Dufresnyi Piron, Delisle und Marivaux verkehren in
ihren Lehrjahren vorzüglich bei den Italienern und studieren
deren Technik, die sich durch eine größere Freiheit aus-
zeichnete als diejenige der Comedie fran^uise.^) Mit Beginn
der Revolution wurde das Theater der Italiener endgültig ge-
schlossen und damit endete der 200 Jahre andauernde £influß
desselben.
Ein Lustspieldichter, des 19. Jahrhunderts, welcher ganz
besondere Vorliebe für Italien und für die italienische Lite-
ratur besaß, darf hier nicht unerwähnt bleiben. Es ist dies der
geniale Alfred de Musset, von dessen künstlerisch so wundeiv
bar gebauten Komödien einige auf italienische Chroniken
zurückgehen. Seinen Lorenxaccio entlehnt er, wie Lafoscade *)
nachweist, der Chronik Varchi's, die ^iQuenouilh de Barberine*
ist aus einer Novelle fiandello's, die ^Cannosine» aus einer
Erzählung im Decamerone entstanden; sein Andr6 del Sario
endlich kann als eine Frucht seiner italienischen Reisen an-
gesehen werden.
IV. Die Pastorale.
Die Pastorale nimmt einen so wichtigen Platz in der
Geschichte des französischen Theaters ein, und der Einfluß
Italiens auf dieselbe ist so bedeutend, daß wir ihr einen
eigenen Abschnitt widmen wollen.
Der Ursprung der italienischen Pastorale geht nach
Wiese') zurück auf die griechischen dramatischen Eklogen,
und es war kein Geringerer als Boccaccio^), der sie zuerst
nachahmte, bis sie sich dann im Laufe des 15. Jahrhunderts
zum Schäferdrama weiter entwickelte, mit welchem Namen
wir als erstes die Flavia 1528 bezeichnen dürfen.*) Den
^) Lanson, Hist, S. 646.
«) Theätre d'Alf. de Müsset, S. 1S6, Vgl. auch E, Bouyy in der
Chronique des Buü. ital 1902, II, 248.
"*) Oesch. der it. Lit, J, 316.
*) Lotheissen, Gesch., /, 137.
s) Wiese o. Pörc, Gesch., S. 316.
5*
— 68 —
Gipfelpunkt in ihrer Entwicklung erreichte die Pastorale in
Tasso's Aminia 1581 und in Guarini's PtiMor fido 1590.*)
Die Elemente dieses dramatischen Genres sind nach Weinberg
folgende: die spröde Geliebte, der liebedtirftige Schäfer, der
weltkluge Vertraute, die Entstehungsgeschichte der Liebe,
der erste Kuß und die schließliche Vereinigung der Liebes-
paare; dazu kommt meist noch ein Wahrsager und ein Satyr.')
Was die Entstehung der französischen Pastorale betrifft,
so sind so ziemlich alle modernen Forscher darin einig, daß
Prankreich diese Literaturgattung der apenninischen Halbinsel
verdankt. Allerdings erwähnt Goujet bei der Pastorale nur
die Nachahmung der alten Griechen und Lateiner.*) Ra-
thery*) jedoch führt als die hauptsächlichsten Vorbilder der
französischen Pastorale Sannazaro, Tasso und Guarini an.
Amould bezeichnet Tasso, Guarini und Marino als die wahren
Leiter des französischen Geschmackes in der ersten Hälfte des
17. Jahrhunderts und bezeichnet den italienischen Einfluß auf
die Pastorale als vorherrschend*) : „Sie (d. ital. Past.) verlieh
der franz. Literatur einen feinen, zarten Ausdruck für subtile
Gedanken und innige Gefühle ; doch wäre ihr Einfluß auf die
Dauer unheilvoll geworden, wenn nicht mit der Princesse de
Cleve eine neue Periode auf dem Gebiete der Erzählung ein-
geleitet worden wäre.'^ Morf glaubt in der französischen
Pastorale einen dreifachen Einfluß zu finden.^) Nach ihm ist
sie entstanden unter der Einwirkung des Altertums, der Bibel
und Italiens. Wie Rigal weist er auf das comSdü betitelte
Hirten- und Satyrspiel Les ombres hin, welches unabhängig
vom italienischen Einfluß zu sein scheint. Rigal, der dasselbe
ins Jahr 1666 verlegt, findet darin bereits einige der Haupt-
oharakterzüge der Pastorale, einen Wahrsager, einen Satyr
und eine spröde Schäferin.') Weinberg®), der sich be-
') Rigal, in: Julleville, Hist III, 316.
«j Das frz. Schäferspiel, S. 5 ff.
3) Bihl fr., III, 247,
*) Infi., S. 110 ff.
*) Essais, S. 4d3.
^) Gesch., S. 224,
') La Pastorale, in: Juller., Hist., Bd. III, 816. \
®) Das frz. Schäfersp., S. 4.
— 69 —
sonders eingehend mit dem französischen Schäferdrama be-
schäftigt, hebt hervor, daß während der Blütezeit des fran-
zösischen Scbäferspiels gerade der italienische Einfluß dem
spanischen weichen mußtCi daß jedoch die italienischen Pasto-
ralen eines Tasso mid Guarini zu bedeutend gewesen wären,
um nicht beachtet zu werden. Auch Dannheisser führt
den Ursprung der französischen Pastorale auf italienischen
Einfluß zurück; nur die Einführung eines neuen Elementes,
der Zauberei, sei spanischer Herkunft.^) Seiner Ansicht
schließt sich Birch-Hirschfeld ^) an, während Lanson sich
hierüber nicht äußert. Stiefel betont ganz besonders den
Einfluß Italieus und die große Anzahl von Übersetzungen
italienischer Pastoraleu.')
Groto's Dieromena ist das erste italienische Schäfer-
drama, welches von Brisset 1692 ins Französische über-
tragen wurde.*) Während der erste französische Pastoral-
dichter Montreux, den wir später noch kennen lernen
werden, ganz in den Fußstapfen Montemayor's wandelt,
ahmt Hardy den Pastar fido Guarini's nach*); ebenso ist die
Theorcis des P. Trotterei, 1610, eine Nachbildung des „treuen
Hirten".') In den Bergeries Racan's finden sich stellenweise
Anklänge an die nämliche italienische Pastorale, nur ist
in der letzteren die Intrigue viel feiner.') Nach Arnould
sind sie in Inhalt und Stil Nachahmungen Boccaccio's und
>) Zur Gesch. des Schäfersp.'s in Fr,, in: Zßp, 1889, II, 68: „Schon
im 16. Jahrh, drängte sich die it. Fastorale der Beachtung und Nach-
ahmung der Franzosen auf.^
*) Such. u. Birch-H., Gesch,, S. 383.
») ZfSp.. Bd. XX VL Ref. u. Bez. 1 u. 2, S. 38: „Von 1094-1630
befassen sich einige 40 Dichter mit der Pastorale. Zahlreiche Über-
setzuttgen tourdeti den ital. Past. von Grotto, Ongaro, Bracciolinij Bonarelli,
IsabeÜa Ändreini zuteil.
*) Blanc, Bibl. 11, 1305. Dagegen gibt Goujet (Bibl fr., XIII,
373) 1595 als Erscheinungsjahr an.
*) Riga], Hardy, S. ol3ff.; Weinberg, Das frz. Schäfersp.,
S. 36: Weinberg geht leider nur selten auf die Quellenfrage ein.
«) Weinberg, ibd., S. 53; Parfaict, Hist, IV, 151.
') Weinberg, ibd., S. 53: „Bacan bezeichnet sich als Nachfolger
GuarinVs.'' Vgl Dannheisser (ZfSp. XI, 75).
— 70 —
Sannazaro's.^) Mairet hat den Stoff, nicht aber die Form
seiner Pastoralen den Italienern abgelauscht.^) Wichtig ist
die bereits erwähnte Übersetzung der Filis de Sciro (1607) *),
1629 von Du Gros, 1630 von Pichou übersetzt.*) Richelieu
hielt sie für die richtigste und am besten komponierte
Pastorale.*) Eine Reihe von französischen Dichtern, die sich
dieser Literaturgattung widmen, halten streng an den italieni-
schen Vorbildern fest. Zu dieser italianisierenden Richtung
gehören besonders d'UrfS mit seiner Süvanire (1627), Rays-
siguier, der Übersetzer des <iAniinta* Marechal, der bereits
erwähnte du Gros und Baro.*)
Auch der besser bekannte Rotrou schöpft gerne die
Stoffe zu seinen Tragikomödien und Schäferspielen aus italieni-
schen Quellen, wie Stiefel eingehend bewiesen hat.') Die
Pelerine ammireuse 1634 ist nachgebildet der Peüegrina des
G. Bargagli®); Rotrou's ganz in der Manier der Pastorale
sich bewegende Tragikomödie Cdlie hat als Vorbild OH duoi
fratelli rivali des della Porta ®) ; auch in seinen anderen Stücken
Füandre, Clorinde, Amäie und Florismonde ist der italienische
Einfluß unverkennbar.^®)
Von 1638—1650 erscheinen, wie Weinberg*^) bemerkt,
keine Schäferspiele mehr ; was dann folgt, ist schon als Über-
») Essais, S. 452.
«j Dannheisser, Z. Gesch. d. drei Einh. (ZfSp. XIV, S. S);
ferner Birch-H. {Suchiei' u. Birch-H., Gesch., S. 384): „Mairets Sü-
vanire wird gedichtet in all der Strenge, die in dieser Dichtungsart bei
den Italienern beobachtet wurde^.
>) Wiese-Pörc, S. 336.
*) Rig:al (JuUev., Hist, Bd. IV, 34S): Dannh., Z. Gesch. d. dr. Einh.
(Zßp., Bd. XIV, 66): Übers, v. Du Gros 1628(9). Lucas gibt als Jahres-
zahl für die Abfassung v. Du Cros* •La Fillis» 1629 an. Auch Wein-
berg nimmt als Abfassungszeit 1029, als Druckjahr 1647 an.
*) Birch-H. {Such. u. B.-H., Gesch., S. 383).
«)Dannheisser, Z. Gesch. d. Seh. {ZfSjh, Bd. XI, 85).
') Unbekannte Quellen Rotrou's [ZfSp. 1891, Suppl V, Iff'.}.
«) Ibd, S. 4ff.
») Ibd., S. 49ff.
>ö) Rigal, in: JuUev,, Hist IV, 348.
»») Das frz. Schäfersp., S, 136.
— 71 —
gaog zur Oper zu betrachten, von welcher wir im folgenden
Abschnitte sprechen werden.
V. Die Oper.
Die Oper im modernen Sinne hat ihren Ursprung in den
Residenzen der italienischen Fürsten des 16. Jahrhunderts,
in den prunkliebenden Kreisen der florentiner und lombardi-
sehen Aristokratie, an den Höfen der Medici und Sforza.^)
Gegen Ende dieses Jahrhunderts* tritt nämlich die Musik in
Verbindung mit der Lyrik, indem Gedichte Sannazaro's,
lyrische Stellen aus Ariosto's Orlando furioso und aus Tasso
in Musik gesetzt werden.^ Tragödien und Schäferspiele werden
mit Chören ausgestattet, die gesungen wurden, Konzerte,
Ballette und allegorische Darstellung unter musikalischer Be-
gleitung bildeten die Zwischenakte. So entstanden die Opern
eines Pen und Monteverde, welche bald über die Grenzen
des Landes hinaus bekannt wurden.^)
In Frankreich erfolgte die Einführung der italienischen
Oper durch Mazarin, der selber ein Italiener war, und welcher
1642 italienische Schauspieler und Tänzer nach Paris kommen
ließ. Diese spielten hier zum erstenmal (1645) eine Oper vor
dem französischen Publikum, welche teils gesungen, teils vor-
getragen wurde und einige Ähnlichkeit mit dem bereits seit dem
14. Jahrhundert existierenden Ballett {ballet de cmtr) hatte.*).
Es war dies Strozzi's Festa teairale della finta paxxa,
zu der Sacrati die Musik geschrieben hatte. Zwei Jahre
später ging eine zweite nicht minder berühmte Oper, der
Orfeo Monteverde's, über die Bühne, ohne jedoch einen großen
Erfolg beim französischen Publikum zu erringen.^)
») Schure, Eist, 8. 284,
«) Wiese-Perc, Gesch., S. 437.
») Schure, Hist, S. 234.
*) Chonquet, Eist, S. 90: vgl La Porte u. Chamf, Dict,
J, 161; Nuitter, Les orig., 8. 33; Vapereau, S. 1515,
*) Chouquet, /. c, 8, 92ff,; La Harpe, Cours de litt. I, 6*54;
«Ce speetacle ennuyait tout Paris. Tr^peu degens entendaient V Italien,
et presque personne ne savait la m\mq\ie.* Dagegen behauptet £ouTy
— 72 —
Schon 1646, also ein Jahr nach der Erstanffiihning der
Finta paxxa^ traten die Franzosen mit regelmäBigen eonUdüs
de mimque, die sich im Geleise der italienischen Oper be-
wegten, hervor, konnten aber mit der italienischen Oper nicht
konkurrieren, auch nicht als diese neue französische Gattung
in Cambert einen genialen Schöpfer und in Lully und Bameau
talentvolle Fortsetzer fand.^)
Das erste französische musikalische Drama, das mit der
italienischen Oper annähernd verglichen werden kann, ist
Cambert's Muse ingraie, 1669, deren Text von dem geschickten
Perrin verfaßt war und ein Pastoralthema behandelte.^) Musik
und Text stehen so vollständig unter italienischem Einfluß^
daß von einem selbständigen Erstehen der franz. Oper nicht
gesprochen werden kann.^) Daher gibt auch La Porte-Cham-
fort bereits im 18. Jahrhundert zu, daß die Franzosen keine
eigene Oper geschaffen haben. ^) Arnould^) und Birch-
Hirschfeld') bezeichnen die italienische Oper als eine
„italienische Erfindung". Proelss dagegen nimmt eine
WeiterentwickluDg des französischen Balletts und der fran-
zösischen Ballettmusik an, deren Ergebnis, unter Hinzutritt
italienischen Einflusses, die franz. Oper wäre.'') Demgegenüber
muß aber behauptet werden, daß das französische Ballett,
wie es seit dem 14. Jahrhundert bestand, unter Katharina
von Medici durch das nach Frankreich gebrachte italienische
Ballett verdrängt wurde, wie Doumic nachgewiesen hat.^)
(BiM, it, I, 263\ da^i sich der Einfluß des Orfeo in Frankreich bes. auf
dem Theater f durch das Erstehen mehrerer lyrischer Tragödien unmittelbar
bemerkbar machte.
^) Chouquet, Hlst.j S. 90 u. 91.
*) Nuitter, Les arig.y S. 34 f., wo er das Entstehen der franz. Oper
ausführlich schildert
») Koestlin, Gesch., S. 222.
*) Dict. dram. II, 332.
ö) Essais, S. 481.
•) Suchier u. B.-H., Gesch., 479; Lanson, ä»1, S. 331, Atm i,
berührt das Äbhängigkeitsverh. d. frz. Oper nicht.
') Gesch., Bd. II, Halbband 2, S. 238.
") Kritik v. RoUand's Gesch. d. Oper, Rev. des 2 Mtmdes, juiUet,
1896. S. 447,
— 73 —
Zehn Jahre nach Cambert's erster Oper erfolgte, wiederum
nach dem Beispiele Italiens, die Gründung einer Mnaikakademie,
tpour y reprisenter et chanter en public des operas et reprisentaiwne
en musique et en vera franste pareüles et sembUtbke ä ceUe (Pltalie:^.^)
Lully brachte diese neugeschaflfene und staatlich anerkannte
Oper bald auf eine hohe Stufe, wenn er auch die italienische
Oper zu Paris nicht verdrängen konnte. So sehr Lully in
seinem späteren Leben seine eigenen Wege ging, verdankte
er doch seine ganze musikalische Ausbildung den Italienern,
besonders dem beriihmten Caletti, genannt Cavalli, dessen
Serse er in seiner Jugend aufführen sah.^ Bameau, der
zweite Hauptvertreter der französischen Oper, ist ei9 B^
wunderer Fergolese's, welcher mit seiner Serva padrona 1746
einen ungeheuren Erfolg in Paris errang.')
Die Oper nahm überhaupt im 18. Jahrhundert eine so
bedeutende Stellung unter den dramatischen Genres ein, daß
das Publikum, wie zur Zeit der Erstaufführung des Cid, für
dieses oder jenes Stück leidenschaftlich Partei ergriff, und
daß literarisch hervorragende Männer in diesen Streitigkeiten
die Führerrollen übernahmen.^) Fast durchgehends handelte
es sich hier um die Rivalität der sogenannten französischen
und der italienischen Oper. Bereits 1702 begann der Streit
mit Baguenet's Parallele des Italiens et des Fran^ais, worin er
den Italienern den Vorzug gibt.^) Mit dem Auftreten Gluck's
und Piccini's, den damals berühmtesten italienischen Opem-
komponisten, brach der Kampf der beiden Sichtungen heißer
aus denn je. Bekanntlich endete derselbe mit dem Siege der
Gluckisten, der jedoch nur ein vorübergehender war. Denn
0 Chouquet, Eist, S. 102; ebenso Koestlin, Gesch., S. 224.
-) Koestlin, Gesch., 8. 222.
*) ProeUs, Gesch., Bd. IT, Hbd. 2, S, 252-, Chouquet, ibd.,
S. 134 f., bezeichnet als Datum der Erstaufführung dieser Oper in Paris
1746, durch die Truppe Riccoboni's-, 1752 erschien eifie neue Truppe aus
Italien, welche einen dwchschlagcfiden Erfolg errang,
*) LauBon, Hist, S. 643, sagt hierüber: tL'Opera deoient au
18* sUcle noire premÜhre seine, La pompe du spectacle, ks fnachines,
les costumes, tout Veclat de la mise en scene flatte les yeux et amuse la
frivolitS du public mondain.»
») Koestlin, Gesch., S. 229,
— 74 —
neben ihm und besonders nach seinem Weggange wurden mit
Vorliebe italienische Komponisten zur Bühne zugelassen:
Salieri, Sacchini, Paisiello, Guglielmi, Cimarosa, Bianchi, Frid-
zeri, Prati, Cambini, Bmni und Mengozzi.*) Im 19. Jahr-
hundert treten die Namen eines Spontini, Kossini, Bellini,
Donizetti und Verdi in den Vordergrund *), und sie bezeichnen
ebensoviele Siege der italienischen Oper, die schon längst ihr
eigenes Theater in Paris hatte und stets über vorzügliche
Kräfte verfügte. Noch zur Zeit des zweiten Kaiserreiches
stand die italienische Oper in voller Blüte, besonders weil
Napoleon III. große Liebe zur Musik hatte. Cimarosa und
Paisiello waren seine Lieblingskomponisten. ^) In neuester
Zeit brachte es Mascagni allerdings nur zu einem leichten Er-
folge, während dagegen den Franzosen eine Reihe einlieimischer
Opemdichter in Meyerbeer, Halev}', A. Thomas, Gounod und
Bizet erstand.*)
In einer Geschichte der französischen Oper darf die
komische Oper {opera houffe, op6ra comique) nicht vergess^i
werden. Lenient nennt sie ein „nationales Produkt**, doch
konstatiert er eine gewisse Verwandtschaft mit der italieni-
schen Stegreif komödie. ^) Koestlin sieht die Keime der
komischen Oper (com4die ä ariettes) in den Voix de viüe.*)
Besonders aber war es der italienische Opemkomponist Duni,
welcher mehrere französische Singspiele schrieb und der tat-
sächliche Begründer des französischen Singspiels ist. Als den
bedeutendsten Franzosen in diesem Genre nennt Koestlin Gretry,
welcher sich an italienische Vorbilder hält. Proelss läßt die
komische Oper aus dem Jahrmarkttheater hervorgehen, gibt
aber zu, daß ihre Komponisten die Italiener als Vorbilder
hatten.'') Vapereau endlich weist darauf hin, daß die italieni-
schen Schauspieler eine Truppe von cofmdicns chwitants in ihrem
') Cbouquet, Hist, 8. 177f.
*) Proelss, GtBch., Bd. II, 2, S. 260.
») Chouqnet, Hist 211, 212.
*) Proelss, QtBch. II, 2, S. 261: Chouquet, /. c, S. 184.
») La Com. IT, 163 u. 166.
•) Gesch., S. 23S.
') Gesch. II 2, S. 247 u. 252.
— 7B —
Saale spielen ließen.^) Diese eomSdiens chantants müssen jedoch
Italiener gewesen sein, da sie sonst schwerlich von den Schau-
spielern diese Erlaubnis erhalten hätten. Aus diesen Anfangen
entwickelte sich die Op^a comique zu einem bedeutenden
Faktor im literarischen Leben der französischen Hauptstadt.^)
Mit Panard, welcher neben Grßtry als ihr hervorragendster
Librettist anzusehen ist, macht sie sich vom italienischen
Einfluß YÖllig unabhängig und bildet sich zu einer vor-
herrschend moralischen Bühnengattung aus, während sie vorher,
hauptsächlich mit italienischen Kräften, Parodien und Vau-
devilles aufführte.*)
Nachdem wir im vorausgehenden eine kurze Übersicht
des italienischen Einflusses auf die Literatur der Franzosen
zu geben versucht haben, kommen wir nun zum Hauptteile
unserer Abhandlung, nämlich zur Untersuchung des Ver-
hältnisses, in welchem Ariosto's unsterbliches Epos zur
französischen Literatur, insbesondere zum französischen Thea-
ter steht.
Ariost in Frankreich.
L Übersetzungen.
So beliebt auch die italienische Sprache im 16. und
17. Jahrhundert in Frankreich war, so blieb ihre gründliche
Kenntnis immerhin nur auf kleine Kreise beschränkt. Um
daher eine Einsicht in die Meisterwerke der italienischen
Literatur zu gewinnen, mußten sich die weiteren E^reise des
gebildeten Publikums mit Übersetzungen aus dem Italienischen
behelfen, von denen die hauptsächlichsten bereits eingangs
erwähnt wurden. Was die Übersetzungen betrifft, welche
Ariost's Orlando furioso und seine minder bedeutenden Dich-
tungen erfuhren, so haben wir im Anhange dieser 'Ab-
handlung zum erstenmal versucht, ein vollständiges Verzeichnis
») Dict, S. 1507.
*) Claris (t. e. Claretie), Le Th. de la foire Saint-Laurent Kap,
111, S. 95.
«) Lenient, La Com., Bd. IT, 171.
— 76 —
der französischen Ariost-Übersetzungea anfzusteUen. Für die
älteren ÜbersetzuDgen stehen uns du Yerdier ^) und Goujet ^)
zur Verfügung, für die neueren machten Ferrazzi^, Blanc^)
und Quidi '^) Zusammenstellungen, von denen jedoch keine auch
nur annähernd yoUständig ist. Am lückenhaftesten ist die
Yon Ferrazzi, relativ am yollständigsten die von Guidi.
II. Äriost in der französischen Lyrik.
Obwohl Ariost in erster Linie Epiker war, übte er doch,
einen ganz bedeutenden Einfluß auf die französische Lyrik,
insbesondere des 16. Jahrhunderts aus. Wir werden sehen,
auf welche Weise die französischen Lyriker es yerstanden
haben, einzelne Stanzen des Orlando auszusuchen und sie in
geschmeidige Sonette zu verwandeln, oder seine Satiren oft
nahezu wörtlich nachzubilden.
Nachdem der Orlando furioso durch die erste Lyoner
Übersetzung von 1543 weiteren Kreisen des gebildeten
Publikums zugänglich gemacht worden war, gewann er bald
einen allgemeinen Ruf, und die zahlreichen Übersetzungen be-
zeugen, daß er schon damals eines der meist verlangten Bücher
war. Besonders schnell muß er sich in Lyoo, dem Er-
scheinuDgsorte der ersten Übersetzung und dem Sitze einer
reichen, blühenden Kolonie eingebürgert haben. Wir hören
bereits von der schöoen Seilerin Louise Lab6 (1526 — 1566),
daß sie den „Rasenden Roland^ gelesen, und sich mit den
beiden Heldinnen des Epos Marfisa und Bradamante verglichen
habe.^) Taillemont, gleichfalls ein Lyoner und ein bedeutendes
') La Bibl. de Du Verdier, pass.
*) Bibl frati^, VII, 345 ff, — Weder du Verdier's noch Goujefs
Verzeichnis kann Amp^iß-ch auf Vollständigkeit erheben, wie aus U7iserer
Zusammeyistellung (s. Anhang) hervorgeht.
•) Bibliogr. Ariostesca, S. 172'-176.
*) Bibl it-fr. II, 1271- 127 ry.
^) Annali, S. 177 ff. — Rathery, Infi., S. 95, erwähni nur, daß
zaJUr. Übersetzungen des Ariost erschienen seien.
«) Birch-Hirschf., Oesch. d. frz. Lit. d. 16. Jahrh., 8. 176;
ebenso Laur, Louise Labi, S. S.
— 77 —
Mitglied der dortigen Dichterschule, in welcher eine „Haupt-
quelle der preziösen Literatur zu erkennen ist**, bearbeitet,
wie wir später sehen werden, eine Episode aus Ariost.
Auch am Hofe der schöngeistigen Königin von Nayarra
findet der Divino Ariosto schnell Anhangt); wir wissen zwar
nicht, ob der Orl. fiir. sich unter den Lieblingsbüchem Mar^
garetens befand, aber wir wissen, daß ihr Sekretär Quill.
Belliard ein Buch lyrischer Gedichte verfaßte, unter denen
sich Nachahmungen aus Ariost befinden.^) Vielleicht wählte
er gerade diesen Dichter als Vorbild, um einen Wunsch seiner
königlichen G-ebieterin zu erfüllen.
Bedeutend aber wird Ariost's Einfluß erst, als die Dichter
der Pleiade ihre Tätigkeit beginnen, und die lyrische Poesie
unter ihnen eine Blütenperiode, wie kaum ein zweites Mal
wieder, erlebt. Diese Dichter der Ronsard'schen Schule,
einschließlich ihres Hauptes, waren keine genialen Schöpfer,
die aus eigenem Herzensbronnen ihre Lieder hätten quellen
lassen und, unbekümmert um die Regel und Autorität, sagen
können, was ihre Brust bewegte ; diese Schüler der Renaissance
brauchten vor allem Vorbilder, an die sie sich klammem,
auf die sie sich berufen konnten, sie brauchten StoflF, der ihnen
würdig genug schien, um in antike Verse gekleidet zu werden ;
und selbst da, wo ihr Herz spricht, wo die Liebe ihnen eine
beredte Zunge verleiht, wagen sie es nicht, einen Schritt allein
zu tun, selbst da füllen sie ihre Verse mit fremden Worten
und Ideen aus.
Die glühende Begeisterung für Petrarca und den Petrarkis-
mus war bald verraucht ; man merkte bald, daß der Stoff, der
jenen Dichtem zugmnde lag, einer Entwicklung nicht fähig
war; er mochte die lyrischen Geister in ihren Jugendjahren
begeistern, ihnen den rechten Ausdmck für die Form ihrer
Lieder geben, den zum Manne heraogereiften Dichter jedoch
konnte Petrarca's monotoner Piatonismus nicht befriedigen.
Welche Fülle von Ideen und Idealen bot dagegen der
*) F 1 a m i n i , Varietä, S. 265, bemerkt, daß ihn Franz I. in seineyi
lyrischen Versuchen nachahmte; doch erfahren triV nichts Näheres darüber,
*) La Croix, Bibl I, 311.
— 78 —
wunderbar vielseitige Dichter des Orl. für. ! Mit welch' zartem
Empfinden schildert er nicht die Liebe, die im Herzen seiner
Mädchengestalten glüht; und wie lebendig weiß er nicht uns
diese selbst zu schildern! Wie blaß und verschwommen,
wie seelenlos mußte da im Vergleiche zu diesen Heldinnen
Petrarca's Laura erscheinen!
So sehen wir denn, wie die Pleiade und ihre Epigonen
erfüllt sind von dem Geiste, der aus dem Orlando weht, wie
sie alle, die antik sein wollenden Jünger Ronsard's, halben
Wegs stehen bleiben, um die Schätze aufzulesen, die ihnen
eine erst kurz verflossene Epoche anbot, und die das Alter-
tum niemals geben konnte.
Als einen Vorläufer der Pleiade können wir den eifrigsten
Schüler Petrarca's auf französischem Boden, Meli in de
Saint-Gelais betrachten; aber man findet bereits bei ihm
Spuren Ariost'scher Nachahmung. Hören wir zuerst, was
einzelne Kritiker hierüber sagen.
Rathery begnügt sich mit der Bemerkung, daß er dem
Ariost „einige Stücke^ entlehnt habe^), während Flamini die
6. Elegie des italienischen Dichters erwähnt, die St-Gelais
nachgeahmt habe.^) Wagner dagegen, welcher hauptsächlich
den Epiker St-Gelais studiert 3), zählt zu diesen Nach-
ahmungen das Gedicht, welches I^un Eslmigement betitelt ist %
und jenes, welches beginnt mit den Versen:
<iEt toy doulx vent faisant donlx bruit en l'air
Qui Varreie pour entendre vies dicts.>
Vianey endlich bezeichnet die 6. und 7. Elegie des Ariost
als Vorbilder von St-Gelais.*)
Allgemein drückt sich Morf aus, indem er sagt, St-Gelais
schreibe Terzinen auf der Spur Bembo's und Ariost's.^)
1) Influence, S. 107.
*) SUidi, S. 265.
3) Melin de St-Gelays, S. 127.
*) (Euvres de Meilin J, 210; die Quelle ist dort (S. 212) mit folgefiden
Worten angegeben: *Cecy, pris d^AriostOy est pour reciter sur U lutk
ou guiterre avcc le chant qu^on appeüe Romaneaquc.»
») Ärioste et la FUiade, Buü. ital. /, 295 ff.
^) Gesch., S. 53.
— 79 —
Ebenso erwähnen Birch-Hirschfeld ^) und Bourciez^) den
Lyriker Mellin nur allgemein als Nachahmer der Italiener
und der alten Klassiker.
Es scheint auch in der Tat, daß, außer den eben ge-
nannten Stellen, sich keine nachweisbaren Entlehnungen oder
Anklänge an das italienische Epos bei Mellin de Saint-Gelais
finden; wenigstens führte uns unsere Untersuchung über den
lyrischen Teil Saint*Gelais' zu diesem Schlüsse; der Epiker
Saint-Qelais dagegen ist, wie wir später sehen werden, ein
eifriger Nachahmer Ariost's.
Weit bedeutender jedoch ist die Einwirkung Ariost's auf
Joachim Du Bellay, neben Bonsard das fähigste Mitglied
der Plejade.
Pflänzel, welcher eine eingehende Studie über dessen
Sonett^nsammlung Olive (1549) yeröffentlicht hat, findet in
derselben folgende Einflüsse: Petrarca, die blasoneurs,
Ariost, die neuplatonische Lehre, einen gewissen christiani-
sierenden Zug,")
Von Ariost erwähnt er nur eine Nachahmung ; allgemein
sagt er, daß Du Bellay ihn besonders in der Schilderung der
sinnlichen Beize nachgeahmt habe. Pflänzel kennt augen-
scheinlich den italienischen Dichter yiel zu wenig, sonst hätte
er finden müssen, daß Sonette 7, 8, 10, 11, 18, 30, 35 in der
Olive den Sonetten 23, 7, 17, 12, 8, 10, 2 bei Ariost ent-
sprechen, d. h. mehr oder minder frei übersetzt sind. Aber nicht
genug : die schönsten Beden, welche Ariost den Helden seines
Epos in den Mund legt, yerwendet Du Bellay für seine Sonette,
oder vielmehr, er gießt sie in die Sonettenform, die er in
Italien kennen gelernt hatte. Jene berühmten Klagen, welche
Bradamante um ihren geliebten Eoger anstimmt^), teilt Du
0 Gesch. der frz. Lit des 16. Jhr., S, 151.
') Les mcsurs polies^ S. 282, wo besonders der ital. Einfl. auf die
Sprache des Dichters hervorgehoben wird.
") Über die Sonette des J. Du Bellay S. 28 ff. — An Ariost
(C. JX, 67) erinnert Sonett 14: die Beize Olivens sind ähnlich geschildert
wie die Schönheit der Ariosf sehen Olimpia.
*) Orl für. C. XXXII, st. 18—26, C. XLIV, st. 41-48 u. 61—65;
C. XLV, St. 26—40.
— 80 —
Bellay für seine Zwecke in drei Teile ein, d. h. er bildet
daraus drei Sonette. Roland's Klagen bei der Nachricht,
daß Angelika mit Medor Liebesschwüre getauscht, werden
bei Da Bellay in zwei Sonetten wiedergegeben^); ein Sonett
behandelt Sacripant's Klage über die untreue Angelika's.*)
Die Schönheiten seiner Geliebten Olive weiß der französische
Dichter mit keinen anderen Worten besser zu preisen, als mit
denen, welche Ariost gebraucht, um Alcinens Reize zu schildern,
mit denen sie Ruggiero zu betören sucht.*) Wir können hier
auf eine nähere Yergleichung der beiden Dichter nicht ein-
gehen, doch wollen wir nach Yianey eine Zusammenstellung
derjenigen Sonette der Olive geben, welche unverkennbar ihren
Ursprung in Ariost's Baseftdem Roland haben*):
Olive: Son. 25«^) = Orl für.: C. XLIV, 61—62
S. 39 = „ „ C. XLIV, 63—64
S. 29 = „ „ C. II, 65—66
*) Orl. für., a XXIII, st 108-109; st. 128—129.
«) Son. 25; dessen 1. Strophe lautet:
*Ie ne croy point, veu le dtieil que ie meine
Pour Vapre ardeiir d^une flamme subHlej
Que mon cell feust en larmes si fertüe,
Si n^eusse au chef d^eau vive une fontaine» etc.
■) Orl für., C. VII, 12 ff. Daneben wird auch Ariosfs prächtige
Schilderung von OUmpia^s köfperlichen Reizen gerne nachgeahmt; s. Orl.
für., C. XI, 57 ff.
*) Bull. ital. L 293.
'') Die ersten vier Verse des Sonetts 25 lauten:
•Me soit amour ou rüde, ou favorable,
Ou fuiult, ou bas me pousse la fortune^
Tout ce qu'au coeur ie sens pour Vamour d^me
Jusq^ä la mort, et plus, sera durahle.»
Vgl. Orl. f., C. XLIV, 61, 2—5:
• 0 siami Amor benigno, o m'usi orgoglio,
0 me Fortuna in alto o in bmso ruote;
Immobil son di ve^'a fedes coglio.»
Oder, um ein anderes Beispiel zu wählen, Sonett 97:
• Qui a peu voir la matinale rose
Dune liqueur Celeste emmieUee
Quand sa rougeur de blanc entremeslie
Sur le naif de sa branche repose* etc.
Vgl Orl f., C. I, St. 42, 43.
— 81 —
Olive: 8. 47 = Orl für.: C. XXXIII, 63—64
S. 31 = „ „ C. XLV, 37—39
S. 37 — „ „ C. XXXII, 20—21
S. 25 = „ „ C. XXni, 125—126
8. 42 = „ „ C. XXIII, 127
S. 97 — „ „ C. I, 42—43
S. 91 = „ „ C. VII, 11—14.
Ziehen wir außerdem in Betracht, daß der Dichter der
Olive außer Ariost noch dreißig andere italienische Lyriker
ausplündert^), dann bleibt nicht mehr viel für Fetrarca's
Nachahmung übrig. Wir müssen daher die Meinung einer
Anzahl yon Forschern, welche in der Olive ausschließlich eine
Nachahmung Petrarca's sehen, entschieden als irrtümlich zu-
rückweisen.
Während nämlich Sainte-Beuye von einem italienischen
Einfluß bei Du Bellay überhaupt nichts zu wissen scheint^,
erwähnen St. Marc-Girardin*), Lanson*), Pellissier*),
ja selbst noch Morf •) und Birch-Hirschfeld ') nur Petrarka als
Vorbild für die Olive. Auch in den Antiquitez de Rmne und
in den Begrets, die gewöhnlich als Ausfluß persönlichster Ge-
fühle betrachtet werden, finden sich Anklänge an Ariost,
xmd zwar an dessen Satiren, wie Vianey nachgewiesen hat;
Alcina und Ruggiero werden in den Begrets in den So-
netten LXXXVII — XC genannt^); in dem berühmten Sonett
^) Vianey, Les sourcea itcU. de V Olive {Annales internationales
d/Hist, Congrss de Baris, 1900. P. 1901. S, 73 ff.)
*) Le 16* siecle, S. 70-80.
») Tableau, S. 70.
*) Hist, S. 281 ff.
*) B(ynsard et la PUiade {Eist., p. p. Jullev. Bd. III, 192): *Tous
{ses sonnets) s'inspirent, fond et forme, du chantre de Laure.»
*) Oesch., S, 163. „Olive, eine Sonettdichtung nach dem Muster
Petrarkas.''
') Suchier u. B.-Hirschf., Gesch., S. 347: Die Sonette in der
Olive sind freie Übertragungen aus Petrarca^ s •Canzoniere» und Nach'
ahmungen des Meisters.
^) Vgl. die letzten drei Verse von Sonett LXXXVII:
•Bref, ie ne suis plus rien qu^un vieil tronc anime,
Mänchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIY. ^ «
— 82 —
CXXTX, wo er das Ende seiner Verbannung begröBt, bedient
er sich jener zwei Stanzen, in denen Ariost das Ende seines
Epos ankündigt; wir wollen beide Stellen zum Vergleiche
anführen :
Du Bellay:
«Je voy (Dilliers) je voy sei'ener la tempeste,
Je voy le t^ieil Prote son troj^)eau renfej-nier,
Je voy le verd Triion a^lgäier sur la mer,
Et voy PAsire jumeau fla^nhoier sur ma teste:
Ja le vent favorable d mon retour s'appreste,
Ja vers le front du port je commence d ramer.
Et voy ja tatU d'amis, que ne les puis nomnier,
Tendant les hras veis nioy, sur le bord faire feste:
Je voy nion grand Ronsard, je le eognais d^iei,
Je voy mon eher Morel, et mon Dorat atissi,
Je voy mon Delahaie, et mon Paaohal encore:
Et voy un peu plus hin (si je ne suis deeeu)
Mon divin Mauleon, duquel sans Pavotr veu,
La grace, le s^avoir^ et la vevtu j'adore.
Ariost, Orl. für., C. XLVI, st. 2 u. 3:
<cSento venir per allegrexxa un tuono,
Che freyner Varia e rimbombar fa Vonde,
Odo di squiüe, odo di trombe un suono,
Che Palto populär grido confonde,
Or comineio a discemere cki sono
Questij dCempion del porto ambe le sponde.
Par die tuiti s^allegritio, cVio sia
Venuto a fin di cosi lunga via.
Qui 8€ plaint de se voir ä ce bord transformi^
Comme le myrte Anglois au riuage d^Älcitie,»
Ebemo San. LXXXVIIl Vers 4—8:
•Qui ni'estreindra le doigt de l'anneau de Melisse,
Pour me desenchanter comme un autre Roger?» etc.
Ferner Son, XC Vers 8, wo die alten Zauberinnen u. die bösen
Sieben „Alcinea"* genannt werden.
-- 83 ^
Oh de che beüe, e sagge donne veggio,
Oh de che CavcUieri il liio aäomo!
Oh de ch*amiei, a chi in eierno deggio,
Per la letixia, ch^han del mio retomof
Mamma, e Oinevra, e Valtre da Coreggio
Veggo del molo in miW oftremo carno,
Veronica da Oambera e con loro,
Si grata a Feto, e al santo Aonio coro.*
Wir sehen hier, wie Du Bellay nahezu Vers für Vers
seinem Vorbilde folgt, wir bemerken zugleich den häufigen
Gebrauch mythologischer Anspielung bei dem französischen
Dichter, den wir als eine charakteristische Eigentümlichkeit
der Pleiade ansehen können*^)
In den Aniiquitez de Bome^ deren Quellen neben einigen
lateinischen Dichtem besonders Castiglione, Guidiccioni und
Ariost sind, kommt für unsere Untersuchung namentlich Sonett
14 in Betracht, das eme Nachbildung Ton Orl für, 0. XXXVII,
80 und 110 ist.«)
/ Da Du Bellay bereits die schönsten lyrischen Stellen aus
dem „Basenden Roland^ in seine Sonette herübergenommen
hatte, konnten die nachfolgenden Dichter nicht mehr viel
Neues in ihm entdecken; doch gehen auch sie noch oft auf
^) Morf, Gesch., 8, 16.% bezeichnet als Vorbilder Du BeUay's in
diesen beiden Sammlungen Navagero, Sannazar und Castiglione, dagegen
nicht Ariost Suchier-Birch-H., Oesch. 352, scheint sie für unab-
hängig von ital, Einfluß zu halten. — Von der Art, wie Du Bellay den
ferraresischen Dichter in den Eegrets nachahmt j sagt Vianey in dem
Bulletin Italien {t IV, fasc. 1, S, 47) : •ll ne copie jamais VArioste, sans
doute: mais ü a sa malice, et son äpreti, sa ligne precise et son coloris
discrety son art d^enfermer un grand sujet dam un petit cadre.»
*) *Comme on passe en este le torrent sans danger ^
Qui souloit en hyver estre roy de la plaine,
Et ravir par les champs d^utie fuite hautaine
L'espoir du laboureur, et Vespoir du berger» etc.
Vgl. Orl. /•., C. 37, st. 110:
*Come torrente che superbo faccia
Lunga pioggia talvolta o nievi sdoltej», etc.
6*
-^ 84 ~
diese Quelle zurück, so Eonsard im I. Teile dar Amaurs de
Cassandre, Sonette 183^) und 192.«)
Wo Ronsard die Reize seiner Kassandra schildert^ schwebt
ihm Ariost's Beschreibung von Alcina und Olympia Tor.
Manchmal ist es unmöglich, festzustellen, ob Ronsard Du
Bellay oder Ariost unmittelbar nachgeahmt hat, so beim Liede
welches beginnt mit den Worten:
tLasf je n^eusse jamais pense>,
welches sich bereits bei Du Bellay ganz ähnlich vorfindet
(Sonett 35), und welches auf Orl. für. C. XLIV, 61—62 zu-
rückgeht.*)
ßai'f, der in seinen epischen Versuchen einer der glück-
lichsten Ariostnachahmer ist, greift auch in seinen lyrischen
Gedichten auf den Orl. für, zurück. Gerade so wie Ronsard
seine Cassandre, so besingt Baif seine Miline und später
seine Francinej indem er sie mit der Schönheit einer Alcina
und Olympia ausstattet. Das Gedicht Dieu garde le hois^)
enthält z. B. eine besonders lange Beschreibung Mßline's,
die der Hauptsache nach Ariost's „Rasendem Roland'* ent-
lehnt ist; wenn er sagt, seine Geliebte habe eine Nase, €oü
*) *Son chef est d'or, son front est un tableau
Qu je voy peint le gain de mon domniage;
Belle est sa mainy qui me fait devant öge
Changer de teint^ de cheveux et de peau» etc.
Vgl. O. für., C. VIJ, 12.
•) *Q^iand le grand etil dans les Jumeaux arrive,
Un jour plus doux serena Vunivers,
D^espies crestez ondoyent les champs vers,
Et de coideurs se peinture In rive» etc.
Vgl. 0. für., C. XVI, 68.
*) Das Lied ist nach jenem Briefe, dai Bradamante an Boger
sendet j gedichtet. Die erste Strophe lautet:
•Las je n'eusse jamais pensS,
Dame qui caxises ma languenr^
De voir ainsi ricompensi
Mon Service d'une riguenrj
Et quen Heu de me secourir
Ta a-iuiiite m^eust fait mourir.» {(Euvr. de Rons., S. 81.)
*) (Eueres de Baxf {p. p. Marty-Lav.) t. I, S. 6S.
— 85 —
Venvie ne irotae rien ä reprendre^, so entlehnt er diesen Vorzug
der Alcina des Ariost:
tQuindi ü naso per mexxo il viso scende,
Che nori trova rinvidia ove Vemende^ ^).
Von den Hüften M^line's rühmt er, sie seien faits au toutj
wobei er sicherlich an Olympia denkt, yon deren fianchi . . . e
coscie Ariost sagt: tPareano fatti Da Fidia a iomo.^)
In den Diverses Amours übersetzt er jene schlüpfrige
Elegie 6, wo Ariost der Nacht dankt, daß sie seiner Liebe
günstig gewesen, und Elegie 7, wo die Nacht vom Dichter
verwünscht wird, weil sie zu hell geblieben sei.*)
Die erstere der beiden Elegien Ariost's findet sich auch
bei Bemy Belleau*), der ebenfalls als ein Nachahmer des
Italieners zu bezeichnen ist, wenn er auch in erster Linie
sich yon den bemesken Dichtem beeinflussen läßt. In der
premiere jouniee de Ja Bergerie zitiert Vianey eine Stelle,
welche die bereits erwähnten Klagen Bradamante's para-
phrasiert ^) ; allerdings könnte auch Du ßellay's Olive (Son. 27)
ihm als Quelle gedient haben, die aber selber wieder auf
Ariost zurückgeht.
Zu den Jüngern der Fleiade, und zu den ersten französi-
schen Sonettisten dieser Schule gehört Olivier deMagny,
dessen Muster und Vorbild in Sannazar zu suchen ist.^) In
seinen Sot^pirs machen sich auch Spuren Ariost'scher Lyrik
bemerkbar. Die Sonette 35 und 91 ') sind freie ÜbiBrsetzungen
der Sonette 10 und 12 Ariost's. Sonett 17, welches das Lob
>) Orl für. 0. YIl, 12.
») Ihd. C. XI, 69.
»I Ed. Marty-Laveaux /, SSO.
*) Ed. Marty-Lav. /, ISO.
») Buü. ital 2901, 1, 274. Die Stelle findet sich in B. Beüeau's (Euvres,
{p. p. Mart.-Lav. J, 256); sie entspricht Orl. für. XXX IT, 21.
•) Favre geht in seinem Olivier de Magny auf eine Quelleti-
ttnter stichung nicht ein.
') Siehe Vianey, L'Arioste et la FlHade. Bullet, ital. 1901, t. i,
295 ff, — Eine ausführliche Beschreibung V07i Magny's Aufenthalt in
Italien findet sich in der Vorrede von Courbet's Ausgabe der Oden
V. Ol. d. Magny, S. XXIV ff.
— 86 —
der Treue singt, ist dem Anfang des XXI. Gesanges (St. 1
u. 2) im „Roland" entlehnt.^)
Der galante Abbfi und Hofdichter Ph. Desportes, be-
kannt als Verfasser eines Roland furieux, eines 3£ort de Bodo-
7no7it etc., hat sich den Ruf eines großen Plagiators erworben,
unter den ausnahmslos italienischen Nachahmungen befindet
sich* sein oft zitiertes Gedicht Contre une nuid trop daire *), das
eine Übersetzung der* bereits mehrfach behandelten siebenten
Elegie Ariost's ist.
Als einer der letzten Vertreter der Ronsard'schen Schule
ist der Satiriker J. Vauquelin de la Fresnaye zu be-
zeichnen, der erst in neuester Zeit eine gebührende Wür-
digung erfahren hat. Ste.-Beuve erwähnt ihn nur vorüber-
gehend.^) St. Marc-Girardin und Nisard übergehen ihn mit
Stillschweigen, während Darmesteter und Hatzfeld ihn nur als
Nachahmer von Horaz kennen.*)
Erst Lemercier unterzieht seine Satiren einer eingehenden
Quellenuntersuchung, die ein sehr überraschendes Resultat
ergibt.^) Seine Satiren sind nämlich zum großen Teile nur
Übertragungen aus Sansovino's Sammlung Seite libri di Satire
(1560), in welcher Vauquelin auch Ariost's Satiren fand; in
der Vorrede sagt er aDerdings: €VÄrioste qne fay pareWevient
*) Ne fune intorto credero che stringa
Soma cosij nl co^ legno chiodo, -
Come la fe ch'una beUa alma cinga
Del 8U0 tenace indisaolvhil nodo.
K^ dagli aniiqui par che 8% dipinga
La Santa Fh vestita in altro modo^
Che (i'wn vel hianco che la cuopra tutta;
CKun 8ol punto, un 8ol neo la pm far brutto.
*) S. Flamini, Studio S. 431—441. Neben Desportes erwähnt er
Gilles Durand, der denselben Gegenstand nachahmte. Im 2, Buche
der »Diane» {Son. 63) schildert er die Beize seiner Geliebten nach Anosfs
Beschr. v. Olympia u. Alcina (p. p. Michiels, S. lOS).
') La poeMe fr. du 16^ siecle, S. 112.
*) Le 16 f stiele, S. 143. Auch Lanson, Rist, S. 340, encähnt
nichts von einem ital. Einfl. auf den Satiriker, Suchier «. Birch-Hirschf.
erwähnen ihn zwar im Index., wo auf Seite 357 verwiesen wird, doch
ist er dort nicht genannt.
*) Etudes sur Vauqtielin etc., S. 189 ff.
— 87 —
9uwi en quelques unes de mes Saures»; doch geht daraus nicht
herror, daß er, wie es tatsächlich der Fall ist, fünf yod den
sieben Satiren des Ariost gans oder teilweise übersetzt hat:
1) Sat. II, 3, an d'Anberrüle gerichtet = Ariost: Sat. 3.
Teilweise ist sie fast wörtlich übersetzt.
2) Sat. III, 2, an J. de Morel = Ar., Sat. 4, an Sig. Malag.
3) Sat. II, 8, an M. Le BJanc = Ar., Sat. 6 (über die
Frauen u. d. Ehe), an Ant. Malag.
4) Sat. II, 3, an M. de Perron = Anfitng ▼. Ar., Sat. 6
(gegen die Humanisten), an P. Bembo.
5) Sat I, 3, an M. de Piron = Ar., Sat. 7. Vauquelin
(Satire I, 3) ftLrchtet sich nach Paris zu gehen und gibt dafür
nahezu dieselben Gründe an, wie Ariost für seine Weigerung,
sich nach Born zu begeben.^)
Die Faresteries, eine Jugendarbeit nach dem Muster der
Arcadia Sannaxaro^s, weist eine Stelle auf, die uuTerkennbar
den Stempel der farbenglühenden Sprache Ariost's trägt ^) ; es
ist dies die Idylle, welche Ä sa Ninfe betitelt ist.*) Die Be-
schreibung der Schönheit dieser Nymphe ist eine Nachbildung
der schon mehrmals erwähnten Schilderung Alcina's und
Olympia's.*)
Endlich spendet Yauquelin in dem Art poeiique dem
Dichter des „Rasenden Roland" ein hohes Lob:
Pitts hardiment a pris les gestes hasard&ux
De tios vieux paladins eannus par taut le monde,
Ei des preux Chevaliers de nostre Table Ronde.^)
Auch der bedeut^adste Satiriker dieser Zeit, Math.
Signier, schöpft ebenso gerne aus den Italienem wie aus
Horaz. Lanson bezeichnet Bemi, Caporali und Aretino als
*) Fl amini, Shtdi 311—316 erwähnt einen gewissen in Paris
lebenden Simeoni, welcher die Satiren Arioifs nachahmte; doch sind
nur einige seiner Schriften bis jetzt gedruckt worden. — Nach Le-
meroier's ürteü (/. c, S. 267) gelang es Vauqy/slin nichts den feinen
Spott des Italieners zu erreichen.
«) 31orf, Gesch., S. 176.
3) IL Teil, 2. San.
*) Orl für., C. VII, 12 f. u. C. XI, 76f.
») Kap. II, Vers 902—904.
— 88 —
seine itaUenischen Vorbilder^); Birch-Hirschfeld flibrt eben-
falls nur Berni und Aretino an ^) ; Petit de JuUeville dagegen
erwähnt außerdem noch Mauro.^) Keiner von ihnen scheint
von den zwei Stellen in BSgnier's Satiren zu wissen, die
aus Ariost übersetzt sind; sie zeigen, daß der französische
Dichter die Satiren Ariost's zum mindesten kannte. Die
beiden fraglichen Stellen sind:
1) R6gnier, Sat. III, 173—180 = Ariost, Sat I, 154
— 165 (an Galasso Ariosto).
2) R6gnier, Sat. II, 40—42 = Ariosto Sat. II, 88—90
(an Aless. Ariosto u. an S. Bagno). Als Beispiel geben wir
diese letztere Entlehnung R6gnier's:
R6gnier, Sat. II, 40—42:
« Cest qiie la pauirete conime moy les affole.
Et que grace ä DieUf Phcßinis et son troupeau,
Nous n'evsmes sur le dos iamais un hon mantean,^
Ariost, Sat. n, 88—90:
€ Apollo, tua nwccy ttm merce, santo
CoUegio della Muse, io non possiedo
Tanto per roi, ch!w possa farmi un manto,^
Mit dem Erbleichen des Pleiadengestirnes endete auch
die kurze Blütezeit der französischen Renaissancelyrik. Ver-
gebens suchte Malherbe ihr neues Leben einzuhauchen, ver-
gebens wies er auf Rom und Griechenland hin; es waren
falsche Wege, die er seinen Landsleuten zeigte. So sehen
wir auch, wie Ariost nicht weiter mehr mit dem Zauber seiner
Sprache, mit der Farbenpracht seiner Bilder und der Innig-
keit seiner Gefühle den Geist der jugendlichen Lyriker Frank-
reichs fesselt und ihnen nicht mehr die zahlreichen Liebes-
sonette einflößt, durch die ihre Namen unsterblich wurden«
III. Ariost im französischen Epos.
Wir behandeln in diesem Abschnitte zugleich auch das
Epos in ungebundener Sprache, der Erzählung, und beginnen
>) Hist, S. 341.
«) Such. a. Birch-H., Gesch., S. 378.
') Eist. IV, 32.
— 89 —
mit dem originellsten Erzähler des 16, Jahrhunderts, mit
Rabelais, welcher, wie wir bereits gehört haben, eine um-
fassende Kenntnis der italienischen Literatur besaß, und der
auch Ariost's OrL für. gelesen und in seinen Oargantua und
Pantagruä mehrmals verwertet hatte. Vor allem ist es die
berühmte Sturmscene (Pantagruel, livre IV, chap. XVIII ff.) ^)j
zu der eine Episode im Orl. für. Anlaß gegeben hat (Orl.
für, C. XI, st. 37, 38). Ferner, wie Ariost, so yerwünscht auch
Rabelais die Erfindung des Pulvers.*) Panurge's Gestalt er-
innert an den Brunei des III. G-esanges im „Rasenden
Roland". Für seine Reise in den Mond ist das Vorbild in
AstolPs Mondreise zu suchen. Endlich geht die Beschreibung
der Abtei Th^l^me auf die unvergleichliche Schilderung, der
Zauberinsel Alcinen's zurück. Auch Rabelais' Ansichten über
die Ehe enthalten Andeutungen an die Satiren Ariost's.
Bald nach der ersten Übersetzung des OrL für. ins Fran-
zösische, versuchte Berengerde laTour eine der schönsten
Episoden daraus frei nachzuahmen (24. Gesang : Isabelle und
Zerbin), die 1558 unter dem Titel PAmie des Amies erschien.^
Goujet, von dem wir allein ein Urteil über diese Nachahmung
haben, stellt sie über Desportes' ' Boland furifux.^)
Das Jahr 1572 ist für die französische Epik bedeutungs-
voll, weil damals Ronsard's Frandade erschien. Von den meisten
Forschem wird Vergil oder Ovid als Hauptquelle und Vorbild
des französischen Epikers angegeben. Mit Unrecht; denn Ronsard
ahmt mit Vorliebe einen obskuren alexandrinischen Dichter,
Apollonius, der eine Argonautica verfaßte, nach und
übersetzt ihn, weil dieser in der Beschreibung ganz besonders
glänzende Partien aufzuweisen hatte.*) Seine Bewunderung für
*) Kap. 18: Coniment Pantagruel evada une forte tempeste en mer.
') Pantagruel^ Livre IV. eh. LXII: *Comment Gaster inventoyt
art et moycn de non estre hless4. ni touchS par conpz de canon.»
') Vollst Titel: L'amie des amieSj imitation de VArioste, divis6e en
4livres par Berenger de la Tour., Lyoti. 15oS^ 8^. — Vgl. La CroiXj
Bibl J, TT.
*) Bibl. fr. Vlfj 359: "Les vers ont un totir plus aisi et plus
naturel que ceux de . . , Ph. Desportes.» — Das Gedicht ist in Zehn-
Mlbern abgefafit.
•) Vian6y, L'ArionU et la Pleiade, Bull. ital. I, 305.
— 90 —
den sp&tgriecbischen Dichter war jedoch nicht so einseitig,
daß er nicht anch nach anderen Quellen sich umgesehen
hätte. Die wichtigste dieser sekundären Quellen ist der
OrL für., den er bereits in drei kleineren, vor der Fran-
ciade erschienenen, epischen Erzählungen stofflich benützt
hatte, nämlich
1) In V Hymne de la Lau et de Zethes, wo die Senapes*
Episode zweifellos einen Einfluß der HarpyenerzähluDg im
Sri. für. (C. XXXm, 108 ff.) aufweist.*)
2) Im Poenis d'OrpMe^), in welchem die Geschichte von
EIeurd6pine und Richarde (Fiordiligi und Ricciardetto) teil-
weise nachgeahmt ist^); teilweise übersetzt ist sie in der Er-
zählung von Iphi9,
3) Im Hymne de Pollttx et de Caaior, insofern der Zwei-
kampf zwischen PoUux und Amycus ao verschiedeDe Episoden
im Orl. für, erinnern, in denen Ariost mit einer etwas er-
müdenden Monotonie Zweikämpfe seiner Helden schildert^)
») (Euvres de Ronsard (p. p. Blanchem,) V, 19-^2. Vgl. z. B. dae
Erscheinen der Harpyen an der Tafel des Senapes bei beiden Dichtem:
Rons., ibd., S. 40 u. Orl für, C. XXXIU, st. 119 «. 120.
•) (Euvr. de Ronsard {p. p. Blanchem.) III, 425.
«) Orl. für., C. XXV, st. S5ff. Vgl Rons, ibd., 429:
• Tu exerces, amour, sur mon cceur ta malice:
On ne voit qü'une vache aime une autre genisse,
La jument, la jument, la br^is^ la brebis;
La biche n'aitne point Vautre biche; et je s^tis
Seide pucelle an monde aimant une p^iceüe,
For^ant la majesti de la loi naturelle.»
Vgl Orl f, C. XXV, st. 35:
•Se pur volevi, Amor, danni tormento,
Che fincrescesse il nUo felice siato,
Ualcun niartir dovevi star contento.
Che fosse ancor negli altri amanti usato.
Ne tra gli uomini mai ne tra Varmento,
Che fe^nmina ami femmina ho trovato:
Non par la donna alV altre donne bella,
M a cetTic cervia, ne aW agnelle agnella.*
*) Giluvres de Ronsard {p. p. Blanchem.) F, 2 ff.; vgl 8. 65; femer
8. 59, wo die Mädchen mit Frühlingsblumen verglicheti werden. Vgl,
die bekannte Stanze im Orl f., C. I, st. 4S.
— 91 —
In der Franciade sind es vor allem zwei Schilderangen
die den unverkennbaren Stempel der deskripÜTen Manier des
italienischen Epikers tragen: die Schilderung eines Turniers^)
und eines Schiffbruches^); einige Gleichnisse sind sogar
wörtlich ins Französische herübergenommen worden.
In demselben Jahre, wo Ronsard den Franzosen das
erste moderne Epos gab, erschienen zwei weitere Nach-
ahmungen aus dem OrL für. Die erste besteht in einer
Sammlung von Gedichten') verschiedener Autoren, welche
in bunter Reihenfolge die verschiedensten Episoden des
„Rasenden Roland^ behandeln:
1) Roland furieux PK Desportes
2) Bodomant „
*) (Euvrea de Rofisard {p. p. Blanchem. III^ 12f^).
Vgl.: *I)u coup donne le rivage tremhla,
La nier fremity le fleuve se trouhla;
En mille esdats les pointes aHrles
Furent toucker les voüters etheries», etc.
Vgl, damit Orl.y für, C. XL F, st. 6ü, wo der Angriff der Gegner
im Zweikampf dem Sturme auf der hohen See verglichen vird.
*) Franciade {III, 94 ff.):
« Tantost pendus ils voisinent les cie^ix,
Tantost ils sont aux enfers stygieux.»
Vgl. OrL für., C. X. st. 106:
'fSi forte ella nel mar hatte la coda.
Che fa vicino al ciel Vacqua innalzare», etc.
Vgl femer t. III, 96 u. 97 , wo das Eindringefi der Wogen auf
das Schiff geschildert wird, u. Orl. für. C. XL, st. 29^30:
*Ainsi, de mÜle et miUe flots vouth
Qui r'assailloient la nef de tous costez», etc.
Ferner :
*0u les filles, sans chois, florissent tout ainsi
En gräces et beautez es maisons de le^tr mere,
Qite les fleurs des jardins en la saison 2^'emier€.>
Orl für., l c:
•Come nel mar che per tempesta freme,
Assaglion Vacque ü temerario legno,
CK'or deUa prora^ or daüe parti estreme
Cercano entrar con rahbia e con isdegno*, etc.
*) Titel: Imitations de qwlques chans de VArioste, par divers poetes
fran^oiSj nommez en la quatrieme page suyvante. P. XDLXXIL 8^.»
3) De^ix complaintes de Bradamant Ph. Despories
4) Le premier livre d^Ängelique „
5) Oenevre le eommeneent Samgelais
6) La Suyie J. A. de Baif
7) Fieurdepine „
8) Benaud J^oys <P Orleans
Von Despories' Nachahmnngen sagt Goujet, daß sie
dessen erste poetische Versuche gewesen seien: tu les croyoU
peu dignes de voir le joun^.^) Den ersten Teil, Roland
furieux, welcher im Vergleich zum Original sehr abgekürzt
ist, schrieb der Dichter zu seiner Unterhaltung ^) ; vom zweiten
Teile, der Geschichte des Rodomont ^), behandelt die Einleitung
Hodomont's Kampf mit Roger und seinen Tod von der Hand
des letzteren, wie Ariost ihn im 46. Gesänge darstellt.^) Der
weitere Teil dieser Episode jedoch und «Le premier livre
d^Angelique» sind nicht, wie Goujet meint, €de tinvention du
Poete frangois^ *), sondern freie ^Nachahmungen Yon Aretino^s
Marfisa und Le lagrime dt Jngelica.^) Die beiden Ellagen Bra-
damante's behandeln endlich jenen Schmerzensausbruch des
ritterlichen Mädchens, der mit der bekannten Strophe beginnt :
tMisera! a cid mai piü creder debU io?
TV dir cKognuno e perfido e crudele,
Se perfido e crudel sei, Buggier mio,
Che si pieioso tenni, e si fedeU,
^) Bihl. fr, Vri, 362. Faguet, Despories (R, d, c. et c, 1894, mars,
S, 41?) fiennt sie •adaptations» aiis seinen Jugendjahren und nach seiner
Rückkehr aus Italien; ihr literarischer Wert ist, nach Faguel, sehr mittel-
mä^iig. Doch erhielt er nach Goujet {Bihl fr, Bd. XIV, 68) für seineti
„Roland"* 800 Taler.
*) Der vollst. Titel lautet: 'La mort de^Rodomont et sa descente
aux enfers.M Vgl Orl. für. C. XLVI, st. 101 ff.
') Such. u. Birch-fl. , Gesch., 8. 365, gehen den ungenauen Titel
•Angelique et Midor» an.
*) Bibl fr. Bd. VII, 352.
•) Vgl. Darmest. et Hatzf., Le 16* s., S. 137; Morillot,
in: Hisi., p.p. Jullerille III, 250 f. erwähnt nichts von einer Nachahmung
Ariosfs: Lanson, Bist, S. 290; iiorf {Gesch., S. 177) «ndBirch-
Hirsch f. {Such. n. B.-H., Gesch., S. 365) bezeichnen Ariost nur im
allgem. als Vorbild. — Über Aretin^s Marfisa, Le Lagrime di Angelica
etc., 8. Gaspary, Gesch. der it. LH. Bd. II, 522.
— 93 —
Qual crudelid, quäl iradimento rio
Unqua s*udi per tragiche querele,
Che non trom minor, se pensar mal
AI mio merio, e al Uw debito vorrai?* ^)
und der sicli im 33. Gesänge ^) nach ihrer seltsamen Vision
Yon den Ruhmestaten ihrer franzosischen Landslente in Italien
erneuert.
Wichtiger als Desportes' Versuche sind Saint-Gelais'
und Baif's Behandlungen der GhinevrorEpisode. St-Gelais* An-
teil beginnt bei Stanze 2 des 4. Gesanges und geht nicht
über die neunte Stanze des fünften Gesanges hinaus, während
Ba'if den Rest der Episode nicht ganz bis zur Mitte des 6. Ge-
sanges (Stanze 18) paraphrasiert.
Nach Wagner ist Mellin de St-Gelais dem Originale
großenteils treu gefolgt, hat aber die ottava rima durch den
paarweis gereimten Zehnsilbner ersetzt.') Die Abweichungen,
die ab und zu vorkommen, sind im ganzen unglücklich zu
nennen, indem er öfter das Original abschwächt oder unnötig
ausmalt. Wenn aber Wagner daraus dem französischen
Dichter einen Vorwurf macht, daß er die vier ersten Stanzen
des fünften Gesanges übergangen hat^), so ist ihm entgegen
zu halten, daß dieselben überhaupt nicht in den Zusammen-
hang der epischen Erzählung gehören.
Mit Ba'if s Anteil an der Oeneme und mit seiner Fleurde-
pine haben sich die Forscher bis jetzt nicht beschäftigt. Weder
Darmesteter u. Hatzfeid, noch PeUissier, Morf oder Birch-
Hirschfeld erwähnen diese Nachdichtungen, nicht einmal
H. Nagel, der doch Ba'ifs Leben und Werke eingehend
bearbeitet hat, liefert uns mehr als eine Angabe ihrer Titel. '^)
Was endlich den letzten Teil der erwähnten Sammlung be-
trifft, 80 gehört er nicht in den Rahmen dieser Arbeit, da
') Orl. für, C. XXXII, 37,
•) Ibd., C. XXXIIl 62.
») MtUin de St-GelaU, 8. 145 ff.
*) Mellin de St-Q., S. 148.
*) BaKf, Werke, in: Herr. Arch. Bd. LX, 241 ff. u. Bd. LXI,
55/r, 64 ff
— 94 —
Louis d' Orleans' Bmaud auf den Rinaldo Tasso's zurückgeht.^)
Eenaud erschien 1572 auch als besondere Schrift.^)
Aus demselben Jahre stammt eine Nachdichtung der
Joconde^Episode (Orl, für. C. XXVJH) von dem als Mitvetfasser
der SeUire Menippee bekannten Nicolas Bapin^), über die
eine Untersuchung noch nicht angestellt worden ist.
Ein sehr wenig bekanntes episches Gedicht ist Fumee's
Mirroir de LoyaiU6 (1576), welcher das rührende Geschick ha-
beUas und Zerbinosj wie es uns Ariosto im 24. Gesänge darstellt,
frei nacherzählt ^) ; allerdings werden seine Verse als schlecht
und seine Ausdrucksweise als ungemein roh bezeichnet.^)
Vielleicht war es dieser Mißerfolg FumSe's, welcher de
Laval®) yeranlaßte, dieselbe Geschichte im nächsten Jahre
noch einmal zu behandeln. Er wählte die Erzählungsform
und brachte das Ganze in den Bahmen eines Dialogs zwischen
Isabella und Zerbino, ohne die Sache jedoch besser zu machen.
Es scheint um diese Zeit Mode gewesen zu sein, einzelne
Teile aus dem „Basenden Boland^ nachzudichten. Denn be-
reits zwei Jahre später haben wir zwei weitere Nachdichtungen
dieser Art zu verzeichnen, die allerdings literarisch sehr ge-
ringwertig und längst in Vergessenheit geraten sind. Das
erste Gedicht sind die Plaintes de Roger pour Bradamante von
Hesteau, sieur de Nuysemenf) Es ist im Versmaß
») Goujet, Bibl fr. VIT, 357; La Croix 1,^9, nennt den «Äc-
tiatid» irrtümlich eine Nachahmung Äriosfa,
-) Eenaud, imiti de rArioste(!), P. {L. Breyer) 1572, S, 5^ 8. femer
Goujet, Bibl fr. VII, 358.
*) Le 28* chant du Rol. für. par X. R, [Nicolas Rapin], P. 1572,
12^. ^ci Goujet, t. XIV, 131 und t VII, 358 erwähnt. Das Gedicht
ist im Versmaß des Originals geschrieben.
*) Miroir de Loyaute imite du XXIV« chant de VArioste p. Criües
Fumee. P. 1575, 8^, - La Croix du Maine (Bibl I, 289) ertcähnt das
Werk nicht, dagegen Qoujet, Bihl fr. VII, 360, Von neueren Forschem
wird die Dichtutig nicht erwähnt,
'^) Goujet, l c, VII, 360.
•) IsabeUe, Imitation de VArioste, p. Ant. Martineu de Larnl P, 1576.
8<»; Guidi {Ann. S. 193) schreibt de La Vaüe.
^} Nur bei Goujet (l c, t XIII, 205) haben wir die Dichtung
erwähnt gefimden. — Hesteau, sieur de N., (Euvres poitiques, P, 1578. 4\
SieJie daselbst Buch III.
^ 95 —
des Orl. für. abgefaßt und paraphrasiert Roger's Klagen nach
dem Kampf mit Bradamante (Orl. für,, C. XLV, st. 87flF.).
Die zweite Nachahmung ist von Guill. Belliard^), dem
bereitserwähnten Sekretär der Königin von Navarra, welcher
die Klagen Bradamante's im 46. Gesang des „Basenden Ro-
land" behandelt«)
Von der O/^pto-Episode, die bei Äriost im elften Ge-
sang (st 5l£F.) sich findet, gab Pierre du Brach, sieur de
la Motte eine Nachahmung (1584).^) Dieselbe Geschichte
wurde 1598 von Guill. Bemard de Vervese behandelt und
zwar im zweiten Teile seiner Gedichte unter dem Titel: Les
Amours ei les JRegreis d'Olympe,^)
1599 erschienen die Amoura de Chridan et de Marphise
des Sieur de la Boque, von dem Goiget boshaft sagt: tLe
choix qti^il a faü des endroüs d^Arioste et de eeux d^Ovide sont
une preuve qu*ü aüoii partout ehercker du feii pour augmenter
Pembraaement qui le tourmentoii.f^)
Für die im folgenden Jahre gedichtete Angelique delwree
gibt Guidi als Verfasser einen gewissen de Bazire an^),
während Barbier das Gedicht in sein Didionnaiire des Anonymes
aufnimmt und den Namen Bazire in Klammem setzt. '')
^) G. Belliard, Poemts. Livre 1^ contetiant les delicieuses amours
de MarcAntoine et de Cleopatre: Les triomphes d'Amour de la mort et
autres imitations d'Ovide, de Petrarque^ et de VArioste. P. 1578^ 4^
Angeführt bei Parfaict, Beauchamps und du Verdier, Bibl, i, 22^ f.
•) O. f, C. XLV, st, 28 f,
») Du Verdier, Bibl. S. 1219. P, du Brach icird hier *C<mtroüeur
pour le Roy en sa chanceüerie de Bordeaux» genannt.
*) Goujet, Bibl fr. XIV, 228; Guidi (Ann. 180) kennt diese Aus-
gabe nicht, dagegen erwähnt er {S. 194) eine solche von 1605 mit dem ver-
änderten Titel: •Les Amours d^Olimpie et de Birene ä Vimitation de
VArioste par de Vervese. Lyon. 1606, 12^,
*) G o u j e t , Bibl. fr. XIII, 430 ff. / da bei Ariost Marfisa u. Cloridano
in keiner Beziehung zueinander stehefi {vgl. C. XVIII, st. 154 ff.), sc?ieint
das Gedicht eine ziemlich freie Nachahmung zu sein.
«) Blftnc, l. c, II, 1274, gibt folgenden Titel: AngSlique dilivrie,
trad. ou imitation par de Bazire, P. 1600. 12^.
') Dict. des auteurs anon. Bd. VI, 190: Ang. d^livrieä Vimitaium
de VArioste (Par de Bazire) P, 1600, W, — Auch der edle La Boetie ver-
suchte sich an einer Paraphrasierung der Klagen Bradamante's. 8. CEuvres
compl. de la Boetie, p. p. Feugere P, 1846, S. 473 ff. Der Titel derselben
— 96 —
Das 17. Jahrhundert ist dem Epos in Frankreich nicht
günstig; die Literatur dieser Zeit steht im Zeichen des Dramas.
Wir werden daher verhältnismäßig wenige Dichter finden, die
sich im Orl. für. ihre Stoffe holen, und wir müssen nahezu
die erste Hälfte des Jahrhunderts übergehen, bis wir auf eine
Ariost'sche I^achahmung stoßen.
Nach Goujet veröffentlichte Guill. du Peyrat 1646 die
Begreis de Bradamante et de Boger tires de PAriosUj wo, wie
jener sagt, der Geist ebensowenig auf seine Rechnung kommt^
wie das Herz.^) Elf Jahre später eröffnet Chapelain's
Pucelle (1556) die Eeihe jener heroischen Epen, die irgend einen
Helden aus femer Zeit und seine Taten in stolzen und prunk-
vollen Alexandrinern besingen, und besonders reich an ße-
Schreibungen und Vergleichen sind.
Scud6ry's Alarir, Desmaret's Clovis und Le Moine's
St. Louis begeistern sich alle, wie Arnaud behauptet, an Ariost
und Tasso^); allerdings bleibt er uns den Beweis für diese Be-
hauptung schuldig.^) Schönherr, der auf einige ähnliche
heroische Epen zu sprechen kommt, erwähnt unter den
italienischen Quellen derselben das Epos des Ariost überhaupt
nicht.*)
In Boileau's heroisch-komischem Epos Le Luirin geht,
lautet : A Marffuerite de Carle sur la traduction des plaintes de Brodel
nuinte au 32 *: chant de Loys Arioste. Weder hei Guidi^ noch bei Blanc^
noch in iryend einer der in dieser Arbeit genannten Kompilationen ist
diese Schrift aufgeführt worden.
*) Bibl XVy 42. — Die von Goujet erwähnte Ausgabe ist jedoch
nicht die erstCj da diese bereits 1593 zu Tours erschien; vgl. Pasquier,
Becherches de la France VII, 7.
*) Essays, S. 442.
*) Zwar versucht et* einige Entlehnungen anzuführen, doch besteht
kein zwingender Grund, die betr. Stellen auf den Orl. für. zuriidczu führen,
da Vergil u. Tasso ganz ähnliche Begebenheiten, tüie Beisen, Schku:hten,
Stürme, Schiffbrüclie, Heldentaten von Amazonen erzählen. So behauptet
Amould ferner, ohne es zu beweisen, der Held des Le Moyne'schen Epos^
St. Louis, habe nach dem Muster der Ariosti'schen Helden eine Anz<ihl
von Abenteuern zu bestehen; Chapelain dagegen habe seine •Pucelle» nach
Ariosfs Bradamante gezeichnet, mit dem Bewufitsein, die Heldin des itai»
Dichters in den Schatten gestellt zu haben.
*) St.'Amant, in: Zßp. XI, IIB ff. Vgl 147, 153, 158.
— 97 —
wie Trfiverret glaubt^), die Idee und Schilderung der Discordia^
auf ebendieselbe allegorische Gestalt im „Basenden Roland '^ ')
zurück, wo sie ebenfalls in einem Kloster ihre unheilvolle
Tätigkeit ausübt. Ein eifriger Verehrer und Leser des OrL
für. war Lafontaine ; von seinen Contes et NouveUes suchen die
schönsten ihr Vorbild in diesem Epos. Gleich die erste der-
selben, die Erzählung der Jocotids, ist dem 28. Gesänge des
Orl entlehnt; von allen Nachdichtungen des Orl. für. kann
sie als die gelungenste betrachtet werden. Bekanntlich gab
Boileau der französischen Bearbeitung den Vorzug vor der
italienischen*), während Voltaire Ariost's Jown^e-Episode höher
stellte.*) Der wesentliche Unterschied liegt nach Regnier
darin, daß Lafontaine die anstößigsten Stellen wegließ.
Außerdem aber ergibt, nach unserer Meinung, eine sorg-
'fältige Vergleichung der beiden Bearbeitungen, daß Lafontaine
viel ärmer an Bildern, daher auch weniger anschaulich ist,
und daß seiner Sprache der Eluß und der Wohllaut der
Verse Ariost's fehlen.
Hans CarveTs Ring*), eine Erzählung, die sich be-
reits in Poggio's „Facexie^ (Nr. 133) und in den Cent NmiveUes
Nonvelle^ (Nr. 11) findet, und die Ariost am Schlüsse der
fünften Satire in Reim gesetzt hat, wird von Lafontaine in
der zwölften Erzählung des ersten Buches behandelt, wobei
sein direktes Vorbild allerdings Rabelais war. Auch hier
behauptet Voltaire Ariost's Überlegenheit '), während Regnier
*) L'Itdlie au XVI* siecle, II, 147, S. 120.
«) Le Lutrin, Ch. /, v. 25.
>) C. XIV, 8t. 78-96: C. XXVII, $t. 37—39.
*) S. hierüber Cotronei, Lafontaine et VArioste {Boss, della lett.
ital. e Siran., S. 29), dessen Arbeit sich mit der Vergleichung der beiden
Dichtet und mit der Wertschätzung von Boileau' s Urteil beschäftigt. Cotr.
gibt im Gegensatz zu Boileau dem Dichter des Orl. für. den Vorzug.
*) (Euvres de Lafontaitie, p. p. Regnier IV, 376, wo über diesen lii,
iStreit ausführlich gehandelt wird.
«) (Euvres de Lafont., p. p. Begnier IV, 376 ff.
'*) Discours aux Welches t XLI, 561. S. auch Carducoi,
L^Ariosto ed il Voltaire {Fanfulla deüa Dom., 5. Juni 1881), wo sämtliche
Urteile Voltaire^ s über Anost zusammengestellt sind. Ebenso Donati,
L'Ariosto ed il Tasso giudicati dal Voltaire, pass.
Mtochener Beiträge z. romanischen n. engl. Philologie. XXXIV. 7
— 98 —
sie wegen der höheren Eofnik, die in der Erzählung des fran-
zösischen Dichters liege, bestreitet. Die Erzählung vom Zauber-
becher ist von Lafontaine ^) bedeutend verkürzt worden (lU.Teil,
4. Erz.) aus dem Orl. für. (C. XLII, st. 70 bis C. XLIII
st. 67) ; oft drückt er in einem einzigen Verse das aus, wofür
Ariost eine ganze Stanze nötig hat; daß bei einem solchen
Verfahren die epische Kleinmalerei zu kurz kommt, ist klar.
Während z. B. Ariost*^) sagt:
tE le piü rieche gemme avea con lei,
Che mai maudassin gflndi agli EritreUf
läßt der französische Dichter das Bild vollständig fallen und
gibt uur den trockenen Sinn wieder: proj)osa de Vargcni,^)
Die 13. Erzählung desselben Teiles: Le petit chien qui
secoiie de Vargent et des pierreries*), gleichfalls eine Nachahmung,
aus dem „Rasenden Koland^, leidet an der nämlichen Bilder-
armut, und steht deshalb dem Originale ohne Zweifel nach;
damit soll jedoch den berühmten Fabeldichter kein Vorwurf
treffen, dieser fällt vielmehr auf die französische Sprache über-
haupt, die niemals jene Geschmeidigkeit erreichte, wie sie
die italienische Schwestersprache schon längst besaß.')
Nahezu gleichzeitig^) mit der Joconde-Erzähhmg La-
fontaine's erschien eine Übersetzung derselben Episode von
^) (Kuures V, SHff.
^) Orl für., 0, XLIII, st. 3ö.
■*) Vers aiO; vgl. auf kr dem:
Litfont. V. 95 = Orl, C. XLIIT, st. 13.
„ V. 114, llo = Orl, C. XLIII, ßt, 14.
V. ■2H4 = Orl, C. XLIII, st. H4.
*) (Ihivres y, 'M2ff.
*) Dieser Mangel der Sprache war es auch, der nach Arnould
(E99., S. 446) verhinderte, doli in Frankreich ein wirkliches Kunstepos gC"
scJuiffen wurde: *0n n^ouhliait qu'une chose, c'est que ces ouvrages (die
italienischen Epen) s'Haient soutenus par le style admirable de facilite,
de mouvement, de gräcc, deUgance, dans le Roland, moins pur, moin9
flexible, moins pleine de coulcur, diclat et souventde force dans le Jirusalem^
affecte, recherchS et fanx, mais du moins ingenueux et brillant, dans
VAdone . . . et que le style n*est pas seulement un resultat du talent in^
dividuel, mais la fleur mime du genie et de la langue de VltcUie.»
*) (Euvres de Bouillon^ contenant Vhistoire de Joconde, le Mari
- 99 —
Bouillon. Eine YerglerchuDg der Arbeiten lag nahe, und so
unternahm es Boileau, die Vorzüge und die Mängel der beiden
Joconde zu prüfen und ein entscheidendes Urteil abzugeben,
das zugunsten des ersteren ausfiel.
Die epische Dichtung des 18. Jahrhunderts wird be-
sonders vertreten durch Voltaire's Henriade und La Pucdle,
welche beide Spuren Ariostischen Einflusses tragen. Bouvy,
welcher sich in neuester Zeit mit der Frage der Abhängigkeit
des großen Philosophen von der italienischen Literatur be-
schäftigt hat, zitiert eine Reihe von Stellen aus seiner
Korrespondenz, aus denen hervorgeht, daß Voltaire zur Zeit
der Abfassung seiner epischen Gedichte sich mit der Lektüre
des OrL für, befaßte.^) Wir wissen auch, daß Voltaire das
Epos Ariost's mit Unrecht für eine Parodie des Bittertums
ansah und daß er es deshalb in seinem Essai sur la poesie
epique nicht unter die epischen Dichtungen einreihte, sondern
in eine Anmerkung verwies.*) Trotzdem war der OrL für. eines
seiner Lieblingsbücher, von dem er sagte: tSi an lit Homere
par une sspece de devoir, on lii ei relit Ärioste pour son plaisir,»^)
Er nimmt das Buch mit auf seine Reisen, sein erstes Wort,
das er bei seiner Ankunft in Berlin an Collini richtet, ist eine
Frage betreffend Ariost,*) Alt und fast blind geworden, läßt
er sich von Wagniöre täglich ein oder zwei Gesänge daraus
vorlesen^) ; ja ganze Absätze konnte er aus dem Gedächtnisse
vortragen. Wiederholt äußerte sich Voltaire in den Aus-
drücken des höchsten Lobes über den italienischen Dichter •) ;
commode . . . P. 1663. 1^. Bouillon icar Sekretär des Herzogs Gaston
von OrUans.
») Voltaire et VItalie, chap. III, S. 70—129. Bouvy sagt von
Voltaire's VerMltnis zu Ariost {S. 79) : « Voltaire a eprouve pour Arioste
plus que de la Sympathie. II Va aime jusqu-ä l'appeler son *dieu» et U
prendre j)lusieur8 fois pour modele.» An einer anderen Stelle heifU es:
*Des 17S0 le Roland furieux est dejä Vun de ses livres de chevet.»
«} Bouvy, ibd., S. 101.
»} Ibd., S. 101.
*) Ibd., S. 103.
^) Casanova, Memoires Ulf 197.
•*) Siede de Louis XI Vj chap. 32; Essai sur les mcsurs, chap. 28 u.
7*
— 100 —
als Mirabeau's Übersetzung seinen Beifall nicht finden konnte,
Tersuchte er selber, einige Stanzen aus der italienischen
Dichtung allerdings mit der größten Freiheit zu übersetzen.
Als er die Ihnriade schrieb (vor 1723), war er noch besser
mit Tasso als mit Ariost bekannt; doch glauben wir in der
Einführung der JJLscordia in die Henriade ^) eine Entlehnung
aus Ariost zu sehen'); einzelne Kampfesschilderangen er-
innern lebhaft an die Art und Weise, wie der italienische
Epiker Zweikämpfe und Schlachten zu beschreiben pflegte.
Zahlreicher sind die Nachahmungen in Voltaire's komischem
Epos La Pucelhy von dem die ersten fünfzehn Gesänge be-
reits 1753 erschienen, während das Ganze zwei Jahre später
gedruckt wurde. Nach seinem eigenen Geständnisse schwebte
ihm bei der Dichtung besonders der Orl. für. vor.*) Die
Versuchung der Pucelle durch den Barfüßermönch Grisbour-
don ^) erinnert an Angelika, wie ihr im Schafe vom lüsternen
Eremiten Gefahr droht (C. VIII, st. 48 u. 49) ; die Beschreibung
des Esels, beginnend mit den Worten*):
< Ce beau grison denx ailes possedait
Sur son eckine H sonvcnt s*en setrait* , . ,y
erinnert lebhaft an den Ippogriffo des OrL fm\ (C. IV,
St. 5). In beiden Epen wird eine Reise in den Mond ge-
schildert*) und im 13. Gesang widmet der französische Dichter
Astolfs Mondreise einige Verse. '^) Die Schilderung von
121: Candide, chap. Vo; s. weitere Urteile hei ßouvy, Voltaire, S. 106 j
107 u. im.
»j La Hennade I. 5:iff.
«) (hl für., C. XIV, 78 ff.
') ßouvy, Volt., S. 117, wo eine Bcihe von Briefstelkn Volt, zitiert
werden, a\is daxen dies hervorgeht; so schreibt Volt. z. B. an ddeviUe
\^8. Mai 1734): ^( 'est plutöt dans le gout de VArioste que dans celui du
Tasse que fai travaille.*
*) La PuceJle, eh. V, v. IS ff.
») Ibd., eh. IL V. l'äoff.
«) Ort. für., C. XXXIV, Iff.: La Pucelle, Chant HI^, v. 46ff.
■) La Pucelle, ibd., II, v. 13 ff.:
*Un autre Jean eut In bonne fortune
De voyuger au pays de la lune
Avec Astolphe, et 7'endit la raison,
— 101 —
Dnnois' Reise nach Mailand und seine dortigen Heldentaten
(Cbant VU) haben eine auffällige Ähnlichkeit mit der Olhupiar
Episode (C. XI, st. 55 fr.), teilweise auch niit der Ginevra-
Episode (C. V); der im 11. Gesänge der Pucelle erwähnte
Wunder felsen von Sainte-Beaume ist eine Nachahmung der
Wunderquellen im Ariost'schen Epos (C. I, st. 78); das
Palais de V Imagination (Chantlll, V. 1 ff.) mit seinen verzauberten
Bewohnern ist das getreue Abbild des Zauberschlosses des
Atlante (C. IV, st. 11 f.). Während des Zweikampfes
zwischen Trimouüle und Arondel ^) fliehen ihre Geliebten, um
derentwillen sie sich schlagen; auch diese Episode ist dem
italienischen Dichter abgelauscht (C. 1, st. 17 f.).^) Endlich
sind die Einleitungen zu den einzelnen Gesängen in beiden
Epen durchwegs ähnlich, so z. B. spricht die Einleitung zum
21. Gesang der Piicdle von den Wunden, die der lose Amor
schlägt, im Orl. für. wird derselbe Gegenstand im Eingang
zum 2. Gesang behandelt. Die ersten zwei Verse des 17. Ge-
sanges der Pucelle sind nahezu eine wörtliche t'bersetzung
der zwei einleitenden Verse des 8. Gesanges im Ariost'schen
Epos. Man vergleiche die beiden Stellen:
La Pucelle: tOh que cf mofule est rempli d'enchantettrs!
Je ne dirai rien des enchanteresses,^
Orl. für. : « Oh quante sono incantatrici, oh quanti
Incafttaior ira noi, che non si sanno^ !
Zia Harpe stellt den Orl. für. weit über die Pucelle Voltaire's,
welche ihn weder durch das Interesse des Stoffes noch durch
die Zeichnung der Charaktere anziehen kann.^)
Von den Erzählungen in Prosa, die Voltaire geschrieben
hat, kommt für unsere Untersuchung Zadig oti la Destime
Si Von en croit un auteiir veridique.
Au paladin amoureux d'Ang^lique.»
') La Pucelle, chant VIII u. IX,
*) Auch die schmutzige Geschichte der männlichen Nonne Besogne
am Schhisse des 10. Gesanges dürfte auf die Bicciardetio-Episode im
Orl. für. (C. XXVf Iff.) zurückgehen. Femer erinnert der Umstand, da/i
der Erzbischof St. Denis eine reine Jungfrau suchen toiU, an JocondCj
(Orl. f., C. XXVIII )j der auf der Suche nach einer treueti Ehefrau ist.
') Cours de litt. /, 872.
— 102 —
(1747) in Betracht. Der Hauptsache nach ist diese Geschichte
dem Engländer Pamell entlehnt, welcher sie in den Homilien
des Albert von Padua gefunden hat.') Seele gibt noch einige
weitere Quellen an, darunter den Ol, für, für das 19. Kapitel,
Les cmnhats betitelt, die jedoch nur ganz allgemein die
Kampfesschilderungen im italienischen Epos nachahmen.
Damit endet der Einfluß Ariost's auf das französische
Epos; wir dürfen ihn durchaus als einen fruchtbringenden
bezeichnen, wenn er auch nicht bewirken konnte, den Fran-
zosen zu einem wirklichen Kunstepos zu verhelfen.^)
IV. Ariost im französischen Theater.
Ein Versuch, die Beziehuogen Ariost's zum französischen
Theater zu untersuchen, wurde bis jetzt noch nicht gemacht.
Vianey's Arbeit über Ariost's Einfluß auf das Drama
der Pleiade umfaßt kaum drei Seiten und behandelt nur
Montchrestien und Garnier in ganz allgemeiner Weise ; andere
Beeinflussungen scheint er überhaupt nicht zu kennen.^)
Eicke sagt zwar von Ariost's Orlando, er sei von den franzö-
sischen Dramatikern geradezu ausgeplündert worden, zumal
für Textbücher zu Opern, doch erwähnt er nur Mairet's und
Quinault's Roland furieux,^) Von den vielen Theaterstücken,
die in Betracht kommen, wurden bislang nur zwei, die Brada-
mante von Garnier und der lioland furieiix von Mairet, ein-
gehend behandelt. Bezüglich der Verlässigkeit der Urteile
der Brüder Parfaict, von Leris, Beauchamps, Mouhy, La
Valliöre und Rigal verweisen wir auf die vortreffliche Kritik
Böhm's, der wir in allen Punkten beistimmen.^) Einige
^) Bengesco. Bibliogr. Volt. /, 4So : ähnlich Seele, der in «einem
*Zadig ou la Destinee* diese Queüe eingehend behandelt hat.
•) Tr//. Dejob, Müdes., S. '2H8: •Notre vive ei seculaire admiration
poiir VArioste et pour U Tasse n'a pas pu impirer ä «o« po^tes une
seule epopee vraime^it vivante.»
») L'Tnfl. de VArioste sur la Pleiade {Bull ital 1901. I, SIS SIS);
die Brad. Garniers wird nur kurz erwähnt.
*) Zur neueren Gesch. d. Bol. Sage in Deutschi. u. Frankr.. S. 12.
*) Der Einfl. Seneca's, S. 27 ff.
— 103 —
Urteile dieser Autoren^ welche bei Böhm sich nicht finden,
seien hier noch angeführt. Von Parfaict's Geschichte des fran-
zösischen Theaters sagt der Verfasser der Trois siecUa Uüeradres ^),
sie sei eine Kompilation ohne Geschmack und Methode; das
Dictionnaire des tlieairea de Paris wimmle von Ungenauigkeiten.
MorSri bezeichnet ihre „Geschichte" als ein konfuses Mach-
werk, voll Fehler und Widersprüche *) ; diese kämen daher, daß
die Brüder Parfaict sich eine Reihe von Mitarbeitern hielten.
Mouhy's Ahrigi genießt nach Rigal einen schlechten Ruf.')
Über LSris' Dictionnaire möchten wir bemerken, daß es nicht
nnr eine Kompilation von untergeordneter Bedeutung ist,
wie Böhm sagt, sondern geradezu ein Plagiat von Beau-
champs' Becherchesj sowohl in bezug auf Daten, als auch hin-
sichtlich der kritischen Bemerkungen, die oft wörtlich her-
übergenommen sind.
Nic6ron's Memoires werden von dem Verfasser der Trois
siecles littSraires ein €chaos etemeh genannt, das nur Fehler
und Irrtümer aufweise.*) La Harpe unterzieht die Anecdotes
dramatiques einer scharfen Kritik und weist nach, daß eine
große Anzahl derselben erlogen sind.*) Betreffs Goujet's Bib-
liotheqve fran^aise, über deren Wert wir bei Böhm eine Kritik
vermissen, Nicfiron's Memoires und Maupoint's M)liotheque du
Theäire frangois ist Steffens zu vergleichen.^ Vapereau
schätzt Goujet's Werk als eines der nützlichsten, die wir
haben.')
Außer den hier angeführten Autoren benützten wir be-
sonders Maupoint, der allerdings aus dem unzuverlässigen
Niceron schöpft, und das I>ictionnaire des tJietUres de Paris von
La Porte et Chamfort, welches von dem Verfasser der < Troif*
>) Bd. III 458.
•) Dict hist., III, 373: •Les mensongeSy les erreurs, les contra-
dictions y fourmillent.»
») Alex. Hardy, S. 688.
*) Bd. II Ij 405: *U se contenta de copier les Joumalistes et les
Biographes, vrai moyen de perp^tuer les fantes et les erreurs.»
») LitUrature et Cntique, IV, 273.
«) EotroH'Studim, S. 13.
') Dict., S. 914: •Vun des plus utiles que nous ayons».
— 104 —
Stieles liüeraires^ als eine gewissenhafte Kompilation bezeichnet
wird.*)
Was die Einteilung der in Frage kommenden Stücke be-
trifft, so scheint es nns praktischer und besonders übersicht-
licher zu sein, dieselben nach dem Stoffe zu ordnen, als sie
in chronologischer Reihenfolge zu behandeln, da ja das Epos
Ariost's sich leicht in eine Reihe von Episoden zerlegen läßt,
und da die französischen Dramatiker immer nur einzelne
solche Episoden, die oft gar nicht mit der Haupterzählung
verknüpft sind, für ihre Zwecke auswählten.
1. Die Bradamante-Episode.
Die Bradamanteepisode im OrL für. umfaßt den 44. Ge*
sang von Stanze 36 an, den ganzen 45. und den 46. bis
Stanze 65 ^), und erzählt den Zweikampf Roger's mit der
von ihm geliebten Bradamante, zu dem ihn sein um ihre
Hand werbender Freund Leon auffordert. Kein geringerer
als Hob. Garnier versuchte es diesen Stoff dramatisch zu
bearbeiten und bühnengerecht zu machen. Seine Bradamatüe
nimmt eine wichtige Stellung im französischen Theater des
16. Jahrhunderts ein; bereits Ebert beschäftigt sich daher
eingehend mit ihr; die Inhaltsangabe, die er von dem
Stücke gibt, kann heute noch als Muster gelten.') Trost's
£tmle analyiique et critique sur le theätre de Bob, Garnier*)
>) Bd. III, 77.
2) Förster ^i in seimm Neudnick (Bd. IV, S. XXXV) als
Quelle den 43. Gesang an^ ivahrscheinlich der Angabe Garnierte in der
Vorrede zur Brad. folgend. Der Irrtum des Dichters u. des Heraus'
gebers beruht darin, dafl sie die ursprüngliche Ausgabe des Ort. für. in
44 Gesängen im Auge hatten, während die später von Ariost vervoll'
ständigte Ausg. 40 Gesänge aufweist; diese letzttre ist allein noch ge*
bräuchlich. Eine Ausg. mit 44 Ges. wurde noch von Giovachino Avesani
{Firenze. 18^6, S vol. S^) veranstaltet.
3j Entw., S. 169ff.
*) Programm einer Bielefelder Schule, 20 Seiten umfassend. Haupt'
sächlich icird der Einflu/J Seneca^s u. Horaz^ afigedeutet; von Ariost
spricht er nicht.
— 105 —
ist ein Plagiat von Ebert's Entwicklangageschichte, in franzö-
sicher Sprache geschrieben und mit einigen, wertlosen Zu-
sätzen versehen. Faguet widmet dem Stücke in seiner
tTragidie franoaise du 16* sieden einige Seiten 0, istjedoch, was
den historischen Teil betri£Ft, mit Vorsicht zu benutzen, da
seine Daten sich auf das <tJoui'nal du Thiuire fran^is> stützen.^)
W. Förster's mustergültiger Neudruck von ßamier's Stücken,
der sich hauptsächlich auf die Ausgabe von 1586 stützt'), ist
mit einer wertvollen biographischen und bibliographischen Ein-
leitung versehen, die sämtliche Ausgaben der Werke Gamier's
bis in die Gegenwart aufzählt.^) Ferner besitzen wir eine
Pariser Dissertation von Bernage, die das Hauptgewicht auf
die ästhetische Betrachtung legt, im übrigen aber sich eng
an Faguet anschließt.^) Endlich gab uns F. Pasini im siebenten
Jahrgange (1900 — 1901) des Annuario degK Studenti Trentini
(S. 122 ff.) eine eingehende, wenn auch nicht fehlerfreie Ver-
gleichung der Garnier'schen Bradamante und ihrer italienischen
Quelle, auf die wir noch öfters zurückkommen werden. Die
erste Ausgabe der Bradamante ist nach Porst er's Unter-
suchungen wohl zweifellos im Jahre 1582 erschienen^), da
ein Exemplar der von Faguet^ angeführten Ausgabe vom
Jahre 1580 bis jetzt nicht gefunden werden konnte.®)
>) S. 212ff.
*) Sieht darüber Böhm, S. SO {daselbst weitere Lit.-Ang.).
») Nach Förster (s. Vorrede, Bd. 7, S. XIV) die beste Ausgabe.
*) Ibd /, S. XII.
*) itiide sur Bob. Garnier. P. ISSO. 8^.
•) Ibd,, Vorrede, Bd. J, S. XII
') La trag, fr., S. 212.
^) Als Datum der Erstausg. geben 1580 an: M o u h y (Abr. II, 164,
während er im I. Bd. S. 69 und in den Tablettes, S. SS das Datum
1582 angibt); Didot {Biogr. univ. Bd. XIX, 509); Vapereau (Dict,
8. 856); Darm, et Hatzf., {Le 16* s., S. 172): Lintilhac (Hist^
8. 214): Brunei (Manuel II, 1490) drückt sich vorsichtiger aus: „Eine
Ausg. von 1580 ist vorhanden, doch enthält sie weder die Juives noch die
Bradamante. Es ist entweder anzunehmen, daß diese beiden in einem se-
paraten Exemplar veröffentlicht wurden, oder dafi die Ausgabe von 1582
dieselben zum erstenmal enthielt.
Das Jahr 1582 nehmen an: Beauchamps {Rech., Bd. II, 40);
Leris [Dict, S. 88); Mouhy {Tabl, S. 38, Abr. I, 69); Ebert {Entw.,
— 106 —
Eine Anfführaog des Stückes im 16. Jahrhundert ist Ins
jetzt geschichtlich nicht nachgewiesen worden. Zwar behauptet
das Journal du TJiedire franoais, daß eine erfolgreiche Auf-
führung der Bradamante im Jahre 1680 im Hotel de Bour-
gogne stattgefunden hahe^); doch haben Bigal^) und im
letzten Jahre noch Lanson^) es als unzweifelhaft hingestellt,
daß die Benaissancetragödien, und speziell Gamier's Stücke
im 16. Jahrhundert nicht auf einer öffentlichen Pariser Bühne
aufgeführt wurden.^) Da es jedoch neben dieser ständigen
S. 143); Lucas {Hist, Bd. Hl 270); 3Ioland'(3foKcr(5 ttc, S, 12(S):
Proelss {Gesch., Bd. II, Halhh. L S. 2o); Morf (Gesch. S. 211);
Rigal {Ri8t.,p.p.Jnllev.,Bd.IIl293); Suchier u. Birch-Hirschf
{Gesch., S. .95/?) «. Pasini (/. c, S. 122).
>) Ebenso L6ri8 (Dict., S. 88); Mouhy {Abr. II, 161), der Ver-
f asser der Trois siecles litteraires (Bd. II, 375: "Avec un succks prodi-
gieux»); Michaud (Biogr. gen. Bd. XVj 587); Faguet (La trag
fr., S. 212), welcher sich auf das J&um. du th. fr. beruß.
•) Le Thfätre fran^. avant la pei-iode classiqtie., S. 117 — 128.
') i^tudes sur les origines de la Trag, clnss. en France (Rev. d^Hist.
litt 1903, Bd. X, S. 177 ff. u. S. 413 ff.).
*) Rigal, Alex. Hardy, S. 93, sagt über die ^ Bradamante» Fol-
gendes: *ll est vrai que Garnier, en ecrivant sa Brad., a pense qu^elle
pourrait etre representee, et que cette tragi-comedie a ^te representee en
effet tout au comniencetnent du 17* sih^le. Quai d'Honnant, puisqtie la
Bradamante est la plus dramatique — je devrais dire la seule dramatiqne —
despihcesde Garnier? Mais les expressions memes de Vauteiir montrent
que, s'il prSvoit une representation possible, lui-meme w'a pas faxt et ne
songepas a faire representer son teuvre.» In seiner Hist du Th. fr. dvant
la pcriode classique (S. 116 ff.) hält derselbe Forscher diese Behauptung
aufrecht und sagt weiterhin, die Tragödien aus dem letzten Drittel des
16. Jahrh. seieti überhaupt nur für die Lektüre geschrieben worden, eine
Annahme, die bereits Ebert (Entiv., S. 149) geäufkrt hatte, und die
Stiefel in seiner Kritik des RigaV sehen Werkes (ZfSp. Bd. XX Vif
S. 28 der Bez. u. Ref.) für Hchtig erklärt, wenn er auch zugibt, daß
derartige Stücke von Wandertrupjicn sicherlich aufgeführt tmirde».
Allerdings läfit uns Stiefel im unklaren, ob er von Paris oder vof^
der Provinz spricht. Dafl solche Stücke in der Provinz gespielt wurden,
hat Lanson (Rev. d'Hist. litt. 1903, S. 192 ff.) bewiesen; eine grofie An-
zahl von Stücken zählt diesei' Forscher auf, die in der zweiten HälfU
des 16. Jahrh. in der Provinz gespielt wurdest, dai-nnter mehrere Tra^
gödien. Von Garnier sagt er {ibd., S. 416). er scheine seine Stüdu
nur zum Lesen geschrieben zu haben, doch Jiabe er a die Möglichkeit
einer Aufführung seiner Bradamante gedacht
— 107 —
Sühne aach sogenanDte „fliegende Bühnen" gab, auf denen die
Wandertruppen ihre Stücke Tor das Publikum brachten, so
ist es immerhin nicht ausgeschlossen, daß eine dieser Be-
naissancetragödien auch in Paris gespielt wurde, besonders
weil, wie Stiefel sagt, die Tragödie damals im Geschmacke des
Publikums lag.^)
Wenn wir auch keine schriftliche Aufzeichnung über eine
BradamanteaufführuDg aus dem 16. Jahrhundert haben, so
besitzen wir dagegen zwei ausfuhrliche Schilderungen einer
solchen aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts. In H^roard's *
Journal siir Venfance de Lcniis XIII findet sich für den 29. Juli
1611 folgender Eintrag: A six lieures il va cJiex la Beine oii il voit
achever la Bradamanie represeniee par Madame (unter t Madame* ist
die Königin zu verstehen) et autres,^) Einen zweiten Eintrag
macht Heroard am 2. August desselben Jahres: *Ä trois
heures mene en carosse au rieux cMleaUy en la salle du halj aüj en
sa prisence (i, e, des Dauphin)^ ccUe de la Beine, des princes^
princesses et seigneurs, de M, le chancelier et prSsident Jeannin. a
4te represeniee sur le thidtre tont accommode la tragi-comedie de
Bradamanie, par ces personnages.**) Es folgt nun das Rollen Ver-
zeichnis, welches sich jedoch nicht genau mit den entsprechenden
Personen bei Garnier deckt, ein Zeichen, daß einige Ab-
änderungen am Stücke gemacht worden waren. So tritt hier
eine L6onor*), Tochter Kari's des Großen auf, ferner ein
griechischer Gesandter •), Personen welche sich bei Garnier
nicht finden. Interessant ist auch, daß ein großer Teil der
Männerrollen durch Frauen gespielt wird, so z. B. wird der
alte Aymon durch ein Fräulein de Renel dargestellt, Benaud
durch Fräulein d'flarambure gespielt, ein Umstand, der uns
') ZfSp. Bd. XXVI, 29.
') Nach Heroard (Bd. /, 392) fand eine Bradamanteauffülmtng
bereits am 27. April 1609 am kgl Hofe statt, hei welcher der Dauphin
{der spätere Louis XIV) sieben Verse sagen sollte, aber plötzlich erklärte:
«Tai ouhlie man rolet.»
») Bd. II, 71.
*) Bd. II, 72.
*) Gespielt von 3f'*« Christienne.
•j Dargestellt von M"* de Vernueil.
— 108 —
jedoch Dicht besonders auffallen darf, wenn wir bedenken,
daß in unserer Zeit sogar Rollen wie Hamlet von Frauen,
allerdings Berufsschauspielerinnen, wiedergegeben werden. Yon
eben dieser Vorstellung haben wir einen Bericht aus der
maßgebenden Feder Malherbes ^), welcher sie in zwei
Briefen (s. u. 4. August 1611) erwähnt und welcher die
Durchfuhrung der Rolle der Marphise durch die Königin,
welche als Amazone gekleidet war, rühmt. ^) Malherbe nennt
das Stück eine „comSdie^ und zitiert einige Verse aus der-
selben, welche der Herzog yon Vendöme, ein Sohn des Königs,
zu sprechen hatte; dieselben lauten :
aCharfemagne, IJo7i, Boger et Bradamante
Sont de gaxe et carton ä Ja comcdiante,
Des lis farhorerai les h'aves eiendards ;
Du Gange jusqu^ au Bhin et vers les bords cPAfriqtie
Potir nion tpetü papa» donray des caitps de pique,^
Die Worte finden sich indes nicht in dem uns vorliegenden
Texte der Tragikomödie; es bestätigt sich hier die oben aus
der Hinzufügung neuer Rollen geschlossene Behauptung, daß
das Stück mit einiger Veränderung über die Bühne ging;
wir dürfen jedoch annehmen, daß diese Einschiebungen nicht
wesentlicher Natur waren, sondern aus eingestreuten Be-
merkungen aktueller Art sich zusammensetzten, die dem an-
wesenden königlichen Hofe gelten sollten.
Auch Scarron läßt in seinem Roman comique die
Schauspielerin La CaTerne von einer Bradamanteaufführung
erzählen, die diese in ihrer frühesten Jugendzeit gesehen hat.^)
^) (Kuvres, p. p. L(dann€, t. III, p. 247—248.
*) Auch La Caverne trägt als Bradamante ein Atnazonenkostnm
{Scarron, Born, com., i, 273).
^) Boman comique, 2. Teil, S, Kap. {Bd. /, 273), La Caverne nennt
das Stück <f Boger et Bradamante»; das Theater des perigordischen Edel-
Sitzes war, wie sie sagt, höchst bequem und die Dekoration der Handlung
angepafä. Auch bei dieser Aufführung wurden Abstriche gemacht, we-
nigstens für die Bolle La Boques. Die Barone und Edelleute fanden
solches Vergnügen an dem Stücke, da/J die Truppe noch längere Zeit dort
spielen durfte.
— 109 —
Da nun der Boman comique zwischen 1651 nnd 1657 erschien
und La CaTeme damals bereits ziemlich bejahrt war, können
wir jene Aufführung mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit in
das erste oder zweite Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts setzen.
Die Tatsache nun, daß Garnier's Brmlamante in den
ersten zwei Dezennien des 17. Jahrhunderts Aufführungen
erlebte, und zwar auf einer öffentlichen und auf einer
privaten Bühne , berechtigt uns zu dem Schlüsse , daß
ähnliche Inszenierungen dieses Stückes schon früher statt-
fanden, höchst wahrscheinlich bereits im 16. Jahrhundert ; ob
nun an Frivattheatern, oder auf Wanderbühnen» oder vielleicht
auch im Hotel de Bourgogne, das kann allerdings heute noch
nicht festgesteUt werden.^) Deon es ist kaum anzunehmen,
daß unsere Bradamante 20 oder 30 Jahre hindurch das be«
scheidene Dasein eines Buchdramas fristete, dann aber, durch
irgend einen Zufall, plötzlich bühnenfahig wurde. Betrachten
wir endlich auch jene sich in keinem anderen Stücke
Garnier 's findende Stelle in der Vorrede des Dichters
zum Drama: tCeluy qui voudroit faire repreifenter ce(te Biada-
matiie* ^), so ergibt sich daraus unzweifelhaft, daß er, ersteus,
das Stück für die Bühne geschrieben und zweitens an die
Möglichkeit, wahrscheinlich sogar au die Gewißheit einer
Auffuhrung gedacht hat; und wenn er sich etwas vorsichtig
') K. Saar, der Übersetzer des Roman comique, und ein guter
Kenner des frz. Theaters jener Zeit, sagt von Garnier (der Komö-
diantenroman, Teil III, 198): „Bei Garnier zeigt das Üenaissanredrama
schon ein nationaleres Gesicht. In patriotischer Absicht icählfe er Stoffe,
in denen er die Zeitereignisse spiegeln, seineti Schmerz über die Zustände
seines vom Bürgerkriege zerfleischten Vaterlandes ausdrücken konnte . . .
Die anderen Trag, aus der Schule Ronsard' s blieben ewig Schulkomödien,
sie gingefi niemals auf der lebendigen volkstümlichen Bühne in Fleisch und
Blut der Natian über. G amier* s Dramen hingegen bildeten den Übergang
zu den Stücken Hardy^s, und zur Zeit der Festsetzung der Wanderschau-
spieler im Hotel de Bourgogne den Grundstock des ersten Repertoires.»
•) Die ganze Stelle lautet: 'Et par-ce qu'il n'y a point de ChceurSf
comme aux TragSdies precedenfes, pour la distinctian des Actes: Celuy
qui voudroit faire representer cette Bradamante, so'a s'il hnj piaist,
aduerty d'vser d'eniremets, et les interposer entre les Actes pour ne les
confondre, et 7ie mettre en co7itinuation de propos ce qui requiert quelque
distance de temps.» (Les Tragedies de Garn., ed. Förster, IV, 5.)
— HO —
nnd bescbeideD ausdrückt, so bringt das eben der ganze Ton
einer Vorrede mit sich. Endlich möchten wir noch auf einen
weiteren, von den Forschem bis jetzt ebenfalls unbeachteten,
sehr wesentlichen Grund hinweisen, der eine Aufführung
unseres Stückes noch im Laufe des 16. Jahrhunderts wahr-
scheinlich macht. Garnier hat bis zur Abfassung der Brada«
mante antike Stoffe nach dem Muster Seneca's dramatisiert
oder er schöpft, wie in den luifres, aus der Bibel ^), — plötzlich
greift er zu einem diametral entgegengesetzten Stoffe, dessen
Handlung in dem Ton den Männern der Renaissance so sehr
geschmähten Mittelalter sich abspielt. Was mochte wohl den
Dichter zu dieser Wahl bewogen haben ? Wir wissen, daß be-
reits um 1575 J. de Fum^e ^) eine Episode aus dem „Rasenden
Roland^, von dem uns allerdings weiter nichts bekannt ist, für
die Bühne bearbeitete^), daß ferner ein ähnliches, später zu
besprechendes Stück ^) 1564 zu Blois am königlichen Hofe, end-
lich 1581 auf dem Theater von Le Havre ein tEolatid furieux*
aufgeführt wurde ^), der vielleicht schon seit mehreren Jahren
auf den fraozösischen Bühnen gespielt worden war ; wir wissen
endlich aus Lanson's Verzeichnis der in der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts außerhalb Paris aufgeführten Stücke, daß
Stoffe romantischen Inhaltes zu jener Zeit überaus gerne auf
der Bühne gesehen wurden und großen Erfolg hatten.^) Alle
diese Umstände lassen es uns als geradezu gewiß erscheinen,
daß Garnier diesen Stoff wählte, zunächst weil er ein Bühnen-
stück schreiben wollte, und ferner daß das Stück, wie die
beiden vorher zitierten, bei seinem großen dramatischen Ge-
halte noch im Laufe des 16. Jahrhunderts eine oder mehrere
Aufführungen erlebte.
») S. Goujet, Bibl. fr., Bd. VII, 360: •II avoit 6te tenti de mettre
le meme sujet [Orl. für., C. XXIV, Cloridan und Medor) en Tragedic».
Da Finnee's *Mirroir de Loyaute» 1575 erschien, dürfte dieses Stück um
dieselbe Zeit, jedenfalls vor Garnier s Bradamante, anzusetzen sein,
*j Der Ginevra-Episode (Orl. für., C. V, VI) entnomtnen,
^} Lanson (Hev, d'Hist. litt, 1903, Bd, X, 207).
^) Ibd., S. 413 ff. Lanson findet eine grolle Anzahl von Stücken,
welche zwischen 1552 und 1600 nach beglaubigten Zeugnissen gespielt
icurden. *Tout etait jouable entre 1550 — 1630,*
— 111 —
Da eine mehr oder weniger ausführliche Analyse der
BradamanU bereits öfters gegeben worden ist^), setzen wir
die Bekanntschaft des Inhaltes unseres Stückes Yoraus und
beschäftigen uns sofort mit der Untersuchung des Verhält«
nisses Gamier's zu dem Orl fiar.^ welches Ton den genannten
Forschem entweder überhaupt nicht, oder nur sehr ober-
flächlich in das Auge gefaßt worden ist^)
Folgende Personen {Enirepatlevrs), welche sich in der betr.
Episode des italienischen Epos nicht finden, sind yon Garnier
hinzugefügt worden: Nymes, Duc de Bameres, Basüe, Diic d^Athenes,
La Montagne, Hippalque und La Boque, Der Dichter hat die
beiden ersteren und Hippalque eingeführt, um die allzu langen
Monologe im italienischen Epos durch Dialoge wiedergeben
zu können. La Montagne vertritt die Rolle des „antiken^
Boten, wohl eine Reminiszenz an Seneca. La Roque endlich,
der unverschämte Diener des alten Aymon, scheint uns eine
Entlehnung aus der (xnnmedia deW arte zu sein, die damals
bereits seit einem Jahrzehnt in Paris blühte. Denn weder
bei Ariost, noch in den früheren Stücken Garnier's läßt sich
eine derartige komische Dienergestalt nachweisen, dagegen
war sie eine beständige Figur in der italienischen Stegreif-
komödie. ^)
^) 2. B, von £bert, Entiv.j S. 169 ff.; Faguet, La trag, frang.,
S. 212ff.; Trost, Etüde anal, S.Uff.; Darmesteter et Hatzfeld,
Le 16* 8.J S, 172ff.; Bernage, Roh, Garnier, S. 145; Kigal, Le th.
de la Ben, {Eist, litt., p.p. JulleviUe, Bd. III, 312); Pasini, La Brad,
di B. Garn., Annuario VII, 125.
*) z. B. Ebert (Entw., S. 172) sagt nur von Szene 2 des S. Aktes,
dafS dieselbe „ganz "nach Ariost^ geschrieben sei. Weitaus die eingehendste
Abhandlung hierüber ist die von Pasini, der leider die früheren
Forschungen über diesen Gegenstand unberücksichtigt läflt, weshalb seine
Arbeit sehr an ivissetischaftlicliem Wert verliert; nur RigaVs Kapitel
über die Renaissancetragödie in Julleville's Lit.-Gesch. wird von ihn
berücksichtigt. Fasini zitiert aufkrdem nicht nach Verszahl, sondern blofi
imch Akten und Szenen.
^) Pasini, l. c, S. 129, unterschätzt dagegen nach unserer Ansicht
die Wichtigkeit dieser komischen Rolle, wenji er sie cds eine Statisten--
rolle bezeichnet: *ll paggio La Roqt^ {A. II sc. II) . . . serve piü da
— 112 —
Weder Ort noch Zeit der Handlung ist im Stücke an-
gegeben; als ersteren haben wir ans den Hof Karl's des
Großen zu Paris zu denken. Für die Zeit lassen sich
natürlich keine bestimmten Angaben machen. Interessant ist
die Ton den Forschern bisher nicht erwähnte Erscheinung,
daß Garnier innerhalb des Stückes alle bei Ariost vor-
kommenden Zeitbestimmungen wegließ, um die Einheit der
Zeit zu bewahren. Während femer im italienischen Epos
eine Reihe von Schauplätzen für die Bradamante-Episode
(Wald, Zelt vor der Stadt, Palast, Zimmer der Bradamante
etc.) besteht; fehlen bei Garnier alle Bühnenanweisungen, wahr-
scheinlich um die Einheit des Ortes zu retten ; auch im Stücke
selbst sind Angaben über die Örtlichkeit der einzelnen Szenen
vermieden ; es ist daher auch anzunehmen, daß daselbe ohne
jeden Kulissenwechsel gespielt wurde.
Der erste Akt, welcher die Exposition der Tragikomödie
bildet, besteht nur aus zwei Szenen ^) und ist vom französischen
Dichter frei erfunden.*) Auffallig sind die vielen mytholo-
gischen Anspielungen, welche beweisen, daß Garnier sich von
der Seneca'schen Tradition nicht ganz frei machen konnte;
so wird Roland als unverwundbar wie Achilles geschildert
(I, 1, V. 21):
«.4 lioland VirnibicihlBy ä qui Dieti fauorahh
Xaissant a compose le corj)s imidnerabk?*
Renaud wird vom Kaiser ^tiostre Hector* genannt (I, 1,
V. 107); daneben aber nehmen Anrufungen des Christen-
gottes ^), Schilderungen seiner Macht und seines Zornes
einen breiten Platz ein*); mehrmals wird hervorgehoben, daß
comparsa che da attore». Indes hält er sie für wichtiger als die BoUe
der Hippalqm,
') Monolog Karls und sein Zwiegespräch mit dem Het^zog von Bayern.
') Nur die Afikündigung, dafl der Krieg ein Ende habe {V. Hoff.)
uyid doli die Hochzeit Roger^s uyid Bradamante^s in aller Pracht gefeiert
werden solle, falls Leon itn Zweikampf unterliege y ist aus Ariost ge-
nommen {C, 43, St. 150-^103; C. 44, st. 12-13 u. st, 27 SS).
') Vgl. I, i, V. 29 ff; f, i, v. 49 ff
*) Vgl. besonders /, i, v. 95 ff.
— 113 —
Karl der Beschützer der Kirche sei und daß Gott ihm die
Macht verliehen ^), dieselbe za yerteidigen :
« Qu^ils fies Mahometans) veulent par le fer Mahumeiique
rendre,* (I, 1, 34.)
Es ist ganz gut möglich, daß Garnier dabei an die reli-
giösen Wirren seiner Zeit dachte and als treuer Legitimist
des „allerchristlichsten" Königs Herrschergewalt über die
Beligion seines Landes betonen wollte, wenn auch Holl, der
allerdings diese Stelle nicht herbeizieht, behauptet, solcherlei
Anspielungen hätten dem Dichter fem gelegen.*) Besonders
die ersten Verse, welche Garnier dem großen Kaiser in den
Mund legt, scheinen uns geradezu eine Apologie des König-
tums von Gottes Gnaden gegenüber den Angriffen der Liguisten
zu sein (I, 1, v. 1 — 4):
€Les sceptres des gratids Rois viennent du Dieu supreme,
Ceat luy qui ceini nos chefs dhm royal diademe,
Qui tious faü qiiand ü veut regner sur Ptmivers
Et quand il veut fait choir nostre emprre ä Ventters.j
Erst gegen Schluß des ersten Aktes beginnt die Expo-
sition des Stückes, indem der Kaiser erklärt, er wolle dem
ritterlichen Helden Roger die Hand Bradamante's als Lohn
für seine treuen Dienste geben; als ihn der Herzog von
Bayern darauf aufmerksam macht, daß der alte, starrköpfige
Aymon seine Tochter nur an Leon, den zukünftigen Kaiser
von Byzanz, verheiraten werde, drückt Karl die Hoffnung
aus, Leon würde im Zweikampfe mit dem kriegerischen
Mädchen sicherlich unterliegen. Hier liegt offenbar ein
Widerspruch vor; denn will der Kaiser seinem Paladine die
Tochter Aymon's wirklich geben, dann braucht er den Byzan-
tiner überhaupt nicht zum Zweikampfe zuzulassen.') Noch
M J, i, r. 9 ff.:
•II a mis sur man chef la Francoise couronne^
Tl a fait que ma voix taute la teure esfonne» etc.
«) Tendenzdrama, S. 209.
*) Die beiden sich mdersprechenden Stellen lauten:
a) tBradamante et Roger sous vn amour 6gal
Conioindre ensemhUment d^vn lien coniugaL»
{Akt 7, ;?. V. 167 ff,)
Mttnchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIV. 8
— 114 —
unklarer aber wird diese Sache^ wenn wir später aus Brada-
manten's Mande vernehmen, daß sie selbst die Zweikampfs-
bedingang festgesetzt habe. In der ersten Szene des 2. Aktes
(V. 218 ff.) sagt nämlich der Dichter von ihr:
tEUe a faict iotä expres par le monde sQavair,
Que quiconque voudra pour espouse Vavoir,
Doii la combatre artnee,*
Im Cht für. (C. XLV, st. 22) läßt Karl der Große
auf Bitten des ritterUchen Mädchens die Kampfesbedingung
ergehen.
Pasini hält den ganzen ersten Akt für eine recht un-
glückliche Erfindung des französischen Dichters und deutet
an, daß dieser besser getan hätte, den Einzug der Paladine
in Paris nach dem siegreichen Kampfe gegen die Sarazenen
im 1. Akt darzustellen (cfr. Orl. für. C. XLIV, st. 27—34).
Dem ist aber entgegenzuhalten, daß dann zwischen dem I. und
dem 2. Akte ein langer Zeitraum liegen müßte, währenddessen
Roger seine Heldentaten in Bulgarien und die darauffolgenden
Abenteuer zu bestehen hätte. Nun aber hat Garnier, wie wir
bereits bemerkten, alles getan, um die Einheit der Zeit zu
bewahren; er hätte also mit der Einführung der von Pasini
Yorgeschlagenen Szene ein ihm so teures Prinzip preisgeben
müssen. Außerdem, — und das wäre viel schlimmer — y
stünde diese Szene in noch geringerem Zusammenhange mit
der Handlung des Stückes, als die von Garnier gewählte
Exposition. Wir können daher den 1. Akt Gamier's keines-
wegs als verfehlt, sondern vielmehr als ziemlich glücklich er-
funden bezeichnen, wenn wir von den oben aufgedeckten
Widersprüchen absehen. Denn in dieser Exposition hat
Garnier einen überaus prächtigen Charakter geschaffen, der
bei Ariost so verunstaltet und verschwommen uns entgegen-
tritt, wir meinen die ideal gezeichnete, königliche Figur des
großen Kaisers.
b) *Mai8 81 de la combatre il n'auoit le pouuoirf
Selon won ordom^Jice il ne s^auroii Vauoir,*'
{Akt J, 2, 170.)
— 115 --
Von der ersten Szene des 2. Aktes an hält Garnier sich
mehr an sein Vorbild. Das Zwiegespräch der beiden Gatten,
Aymon und Beatrix ^) (Akt I, 1)^ der Streit zwischen Vater
und Sohn^) (U, 2) und Beatrix' Zwiegespräch mit ihrer un«
glücklichen Tochter*) (11, 3) entwickehi sich aus dem OrL
für, (C. XLIV, 8t. 35 — 47). Doch nur das Gerippe zu diesen
prächtigsten Szenen des ganzen Stückes gab Ariost dem
französischen Dichter. Nur eine Stanze widmet der italienische
Dichter dem Unwillen Aymon's über die Widerspenstigkeit
seiner Kinder (C. XLIV, st. 36)*):
tOde Amone il figlhiol con qtmlque sdegfio.
Che, senza conferirlo seco, gli osa
La figlia maritar, cKcsso ha disegno,
Che del figliuol di Cosiantin sia sposa,
Xon di JRuggieTy il quäl non ch^ahM regno,
Ma non puö al Mondo dir: Questa e mia cosa;
Xe sa die fwbiltä poco si prexza,
E men virtü^ se non v'e ancor ricehezxa,*
Wie unbestimmt und schwach drückt sich Ariost aus,
wie wenig plastisch ist doch hier der alte polternde Kriegs-
mann gezeichnet! *Con qualque sdegnoi^, „etwas zornig" tritt
hier der Vater dem Sohne entgegen, der ihm zu widersprechen
wagt! Wie ganz anders läßt Garnier den alten Aymon reden!
Eine Flut von Schmähworten schleudert dieser dem undank-
baren Sohne ins Gesicht (Akt II, 2, v. 397):
Aym^ tAirogantf plein d'audace,
') Ort. für. C. 44, st 36-37.
») Orl für. C. 44, 8t 36 u. st 75. Bei Ariost {C. 44, st 37) zankt
auch Beatrix, und zwar iioch scMrfer als ihr GemafU, den unfolgsamen
Sohn ans:
•Ma pii^ d'Amon la moylie Beatrice
Biasina il figliuolo e chiamalo aiTogante.»
») Orl. für. C. 44, st 3S-47.
*) Pasini, l c, S. 139, läfit diese Streitszene sich aus Orl für.
C. 44, st. 75 v.4—8 entwickeln. Doch ist jene Stelle ganz allgemei7i
gehalten^ während die von uns zitierten Verse das Wesentliche der
Garnier' sehen Szene enthalten: Aymon's Vorwurf über die Armut Roger* s;
die Verse 191—195 spielen sogar auf diese Szene an.
8*
— 116 —
OstS'tn proferei* ces mota deuant ma face ?
Que tu Vas accordee? impudeniy eshonUf*
Je entschiedener fienaud anf seiner Meinung besteht,
daß Roger und Bradamante nicht mehr getrennt werden
dürften, desto mehr gerät Aymon in Wut, bis ihm Worte
nicht mehr genug erscheinen, bis er seinem Diener die
Küstung zu bringen befiehlt, um seine Widersacher zu be-
kämpfen. So schuf Garnier aus einigen schwachen An-
deutungen bei Ariost eine höchst dramatische Szene, vielleicht
die beste des ganzen Stückes.^)
Andererseits verkürzt und streicht der französische Dichter,
wenn er irgend eine Stelle im italienischen Epos nicht dra-
matisch genug findet. So sagt Ariost von Aymon's Qattin
(0. XLIV, 37):
*Ma piü cCAmon Ja moglie Beatrice
Biasnia il figliuolo, e chiamalo arrogante,*
Mit ganz richtigem Gefühle ließ Garnier diese Szene
zwischen Mutter und Sohn weg und legte die Worte der
ersteren dem Vater in den Mund, für den sie auch geeigneter
erscheinen.
Für die dritte Szene des 2. Aktes war die Grundlage
bei Ariost allerdings gegeben; dort sucht Beatrix vergebens,
ihr geliebtes Kind von der Heirat mit dem „armen Bitter^
abzubringen, Bradamante jedoch gibt ihr auf alles Zureden
keine Antwort; nur Tränen hat sie statt eines Wortes der
Entgegnung. Im französischen Stücke malt Beatrix ihrer
Tochter eine Zukunft an der Seite Leon's mit den glänzendsten
Farben aus (Akt 11, 3, v. 631 £):
<cLa femme vaus serex dlvn puissant Empereur,
De Charles le conipaing: encores Ckarletnagne
Äuec la France n'a qu^un quartier d^Alemagne,
Et les champs MilanoiSy <m c*est que Constantin
Tient viille regions de V Empire Latin,
^) Mit Unrecht sagt Pasini, l, c, S. 135 ^ Aymon sei ein getreue
Abbild des AriosV sehen Helden {*A. e riprodotto tale e quäle daW
Ario8teaco>). Gerade die sttifenioeise Steigerung des Zornes im Herzen
des alten Aymon ist Garnier's selbsteigenes Werk.
— 117 —
// a la Macedone et la Thrace suiette,
II commande au Dahnate, au Gregeois, et au Oeie:
Vitale, La Sidk et les isles qui sont
Depuis nostre Ocean iusqu^ä la mer du Pont
Reuerent sa puissanee ...»
Bradamante bleibt nicht stumm, wie bei Ariost; sie hält
der Mutter die weite Entfernung entgegen, die sie vom Eltem-
hause trennen würde ; sie macht die Mutter auf die Gefahren
aufmerksam, . die ihr bei den unsicheren Rechtszuständen im
byzantinischen Reiche drohen würden; doch Beatrix erklärt
sich bereit, mit ihr nach Eonstantinopel zu gehen; alles ver-
gebens; schließlich versichert das arme Mädchen, lieber ins
Kloster sich flüchten zu wollen, als Leon zum Gemahl zu
nehmen, und nun siegt auch im Mutterherzen die Liebe zum
Kinde über den Kitzel des Ehrgeizes und des Größenwahnes ;
Beatrix verspricht, für ßradamante Fürbitte beim Vater ein-
zulegen.
Von all dem findet sich nichts im „Rasenden Roland"
sondern Gamier's dramatisches Genie allein hat auch diese
Szene geschaffen.^)
Der 3. Akt unseres Stückes beginnt mit einer Unter-
redung Leon's mit seinem Freunde Roger;') die Andeutung
zu derselben hatte Garnier im OrL fur. (C. XLV, st. 65 f.)
gefunden, wo Ariost von Leon sagt:
tE pregal poi con efficad detti,
Ch'egli ^ia quel, cKa questa pugna regna
Col nome alind, sotto mentita insegna,*
Diese €effUnci deüü und Roger's Einwendungen und Aus-
flüchte, über die sich der italienische Epiker nicht näher
äußert, bilden die erste Szene dieses Aktes, und sind durch-
weg freie Erfindung des französischen Dichters.*)
') Pasini sagt von dieser prächtigen Szene weiter nichts, als daß
sie dem Ariost entlehnt sei.
■j Bei Ariost spielt diese Szene noch in Konstantinopel^ hei Oamier^s
^ Stück sind loir über die Örtlichkeit der Szene vollständig im unklaren
gelassen.
•) Pasini tadelt, daß Garnier die beiden Helden erst vorführe, als
-. 118 —
Dagegen ist die nächste Szene, der Monolog Bradamante's,
mit Ausnahme der ersten acht Verse und des Schlusses, ge-
radezu eine Nachdichtung der betreffenden Stelle bei Ariost
(C. XLV, St. 26 — 40) ; so drückt Bradamante ihre Befürchtung,
Roger möchte ihrer Liebe untreu werden, bei Ariost in folgen-
den Versen aus (C. XLV, st. 28 v. 3 ff.):
€ Oh come sopra ogni timor k j/remef
Clie per porla in ohhlio ae ne sia güof
Che vistosi Amon contra^ et ogni speme
Perduta mal piü cPesserle fnarito,
Si sia faiio da lei lontano, forse
Ck)si sperando dal suo amcr diaeiorse.i^
Dasselbe sagt Garnier's Bradamante (v. 819 — 826)
<iQuelqus noutielle amour (oe que Dieu ne permeile)
Vous eschauferait point d'une flamme secretle ?
Quelque face angelique auroit point engraiic
Ses iraits dans vostre cceur de ses yenx e^daui?
He Dieu ! que sgay^ie ? helas ! si d^Aymon la rudesse
Vmis a desespere de m^auoir pour maisiresse,
Que pour vous arracher cet amour ennuyeux
Vous soyex pour iamais esloign6 de mes yeux.>
Wir sehen hier, daß derselbe Qedanke bei beiden Dichtem
mit nahezu den nämlichen Worten ausgedrückt wird, nur daß
der französische Dichter etwas weitschweifiger ist. Die Gleich-
nisse in Stanze 34, 36 und 38 des 46. Gesanges finden sich
auch bei Garnier nahezu wörtlich übersetzt, so z. B. OrL für.
(C. XLV, 34):
tSon simüe aW avar^ ch^ha il cor si intejito
AI suo tesoro, e si ve fha sepoÜOj
Roger das Versprechen ^ für Leon iii die Schranken zu treten^ bereits ge-
geben habe; Garnier Jiabe augenscheinlich vermieden, den inneren Kampf
Leon's vor der Einwilligung zu schilde^-n, den Arioat so wunderbar er-
zählt habe. Wir müssen gestehen, daß Ariost Roger' s Seelenqualen gerade
nach der Abgabe des Versprechens in mehreren Stanzen darstellt (0. f.,
C. 44, st 57 — 60), während jenem Teil 7iur eine Stanze {ibd. $t. S6)
gewidmet ist.
— 119 —
Che non ne pud lontan vivp- cantenio,
Ni non aempre temer che gli sia tolto.*
Garnier, Brad. v. 831—835:
tJe ressemble d celuy qui de son or auare
Ke Veshigne de peur qu'in larron sVn empare:
Tousiours le vondroil voir, Vavmr ä son cosUl,
Craignant tncessammeni qu^il ne luy soit oste», etc.
Die nächste Szene (Sp. 3), ist der 62. und 63. Stanze
des 46. Gesanges entnommen, wo Leon, der eben vor Paris
angekommen ist, sich bei Karl dem Großen zum Zweikampfe
mit Bradamante anmeldet; während aber bei Ariost der
Griechenfurst in Tier Zeilen seine Bitte yorträgt und von
Karl nur gesagt wird, daß er dieselbe gewähren wolle, bildet
Garnier daraus eine Szene von 25 Versen (V. 859 — 885),
ohne einen neuen Gedanken hinzuzufügen.^) Ganz frei er*
funden ist Szene 4 des 3. Aktes, in welcher Bradamante mit
Karl und ihrer Dienerin Hippalque die Vorbereitungen zum
Kampfe bespricht und ihrem Abscheu gegen den „Gregeois^
Ausdruck verleiht. Mit epischer Breite erzählt uns Ariost,
wie Roger Stück für Stück seiner Kampfesrüstung anlegt.
Garnier ahmte diese Schilderung zum Kachteil seiner Tragi-
komödie in der 5. Szene nach, nur daß Roger bereits in
voller Rüstung auf die Bühne tritt. Aber erst von Vers 973
an hält er sich an sein Vorbild, wobei er auch viel weit-
schweifiger ist als jenes (cfr. Orl, fur.^ C. XLV, st, 69 und
70). Ein weiterer Monolog folgt bei Garnier in der nächsten
Szene, indem Bradamante ebenfalls in Kampfesrüstung er-
scheint und nach Art der Helden vor Troja Drohungen
gegen ihren byzantinischen Partner im bevorstehenden Kampfe
ausstößt.*) Ariost dagegen läßt seine Amazone wortlos sich
in den Kampf stürzen, und erzielt dadurch zweifelsohne eine
größere Wirkung.
*) Dagegen läßt Garnier hier sorg faltigst die hei Ariost befind-
lichen Zeitbestimmungen Hl medesmo di» und 'Valtro dU ((X f. C. 45,
st. 62 u. 63) weg,
•) Auch Pasini bezeichnet (l. c, 8. 131) diese Schmährede Brad'
gegen Leon als eine unglückliche Erfindung des franz. Dichtens.
— 120 —
Zwischen dem 3. und 4. Akt ist eine gewisse Zwischen-
zeit zu denken, in welcher der Kampf sich abspielt; der-
selbe dauert bei Ariost den ganzen Tag hindurch, bei Garnier
fehlt eine Zeitangabe. Die 1. Szene des 4. Aktes ist
von dem französischen Dichter frei erfunden: die Eltern
Bradamante's erfahren von La Montagne den Verlauf und
Ausgang des Kampfes, von dem das Schicksal ihrer Tochter
abhängt. La Montagne's Schilderung hält sich eng, oft
sogar wörtlich, besonders bei den Gleichnissen, an das Ori-
ginal {Orl. für., C. XLV, 8t 71—82), nur der Schluß ist bei
Garnier anders gestaltet; hier bedrängt Roger €comme en
ayant piti6> (v. 1109), nachdem er sich zuvor immer in
Defensive gehalten, seine Gegnerin derart, daß sie kampfes-
müde sich ergibt, im Orl. für. macht erst der Einbruch der
Nacht und der Befehl des Kaisers (cfr. Orl. für., C. XLIV, st. 82)
dem Kampfe ein Ende^); Roger hält sich bis zum Schlüsse
in Defensive und das Motiv, warum er überhaupt Wieder-
stand leistet, liegt in dem Versprechen, das er seinem Freund
und Lebensretter gegeben hat. Für die folgenden 2 Szenen
war die Situation allerdings im „Rasenden Roland^ gegeben,
allein Garnier arbeitete dieselbe ganz selbständig aus. Die
Monologe Roger's und Bradamante's sind im französischen
viel lyrischer, exklamativer als bei Ariost, wo z. B. Roger
in ganz logischer "Weise die Folgen seines Sieges überdenkt
und, als er keinen anderen Ausweg als den Tod sieht, von
seinem Schlachtroß und Schwerte Abschied nimmt (0. XLV,
st. 86—95).
Wie schon früher bemerkt, liebt es der französische
Dichter, mythologische Anspielungen da und dort einzu-
schalten. Hier haben wir ein weiteres Beispiel (Akt IV,
Sz. 2, V. 1127 flF.):
tGouffres des cretix enfers, Tenariens riiiages,
Oynhres, Larues, Fiirevrs, Mojisires, Demons, et EagcSy
Anachex moy (Tici pour me roucr lä bas» etc.,
*) Pasiui, ihd.f S. 127 findet in den beiden Erzählungen des Zwei-
kampfes keinen Unterschied,
— 121 —
später noch in demselben Monolog wird Mars, Hector und
der trojanische E[rieg erwähnt.
Bradamante's Klagen nach ihrer Niederlage sind bei
Ariost (C. XLV, st. 98 — 103) einfach, aber rührend, sie
enden in dem erneuten Versprechen, ihrem vermeintlich
fernen Geliebten treu zu bleiben, wenn auch hinter den
stillen Mauern eines EUosters. Bei Garnier bricht sie zuerst
in heftige Vorwürfe gegen sich selbst aus, erst von v. 1292
beklagt sie ähnlich wie im „Basenden Boland^ das Femsein
des Geliebten. Wir wollen den Anfang der Klagen Brada-
mante's in den beiden Dichtungen gegenüberstellen, um zu
zeigen, wie verschieden ein und dasselbe Grandmotiv behandelt
worden ist Ariost (C. XLV, st. 97):
€Dehj Ruggier mio (dieea) dove sei giio?
Puote esser che tu sm tarUo discosto,
Que tu non abbi quesio bando uditOj
A nessun dUro^ fuor cKa te, nascosio?*
Garnier, Brad. (Akt IV, 3, v. 1173 ff.):
Brad,: tHa fiüe miserable et regorgeant de mavxl
0 du sort ouiragetix trop ovtrageiix assauis!
0 fnalheureuse t^ie en mise/res plongee!
0 mon ame, 6 mon ame d iamais affligee!^ ^)
Wieviel würdiger weiß doch Ariost den Schmerz auszu-
drücken! Szene 4 des 4. Aktes ist wiederum freie Erfindung
Gainier's; sie ist als ein sehr glücklicher Griff des Dichters
zu bezeichnen, da sie sehr dramatisch wirkt imd uns eine der
interessantesten Gestalten des Ariost'schen Epos, Marphise,
die .edle Schwester Boger's und die treue Freundin Brada-
mante's vorführt.*) Szene 5 hingegen geht auf C. XLV,
st. 103 — 116)*) des Orl. für. zurück; jedoch folgt Garnier
*) Paaini (l. c, S. 127) geht stillschweigend über diese Unterschiede
hinweg.
*) Irrtümli<;herweise läßt P&aini {l. c. S. 127) diese Szene aus dem
Orl. f., C. 45^ st. 103 sich entwickeln, wahrend doch dort nur gesagt
toird^ daß Marphise zu Karl d. Grofkn geht und für Roger und Brada-
mante Fürbitte einlegt. Sz. 4 des 4. Aktes dagegen spielt zwischen Mar..,
Brad. u. Hippalque und ist vom franz. Dichter eingefügt.
*) Bei Pasini, ibd., ist fälschlich st. 104 u. 103 desselben Gesanges
angegeben.
— 128 -
keineswegs sklavisch diesem Vorbilde. Während bei Ariost,
Marphise die Szene eröfinet und trotzig vom Kaiser verlangt,
Leon müsse noch mit ihrem Bruder auf Leben und Tod
kämpfen, wenn er Bradamante, die doch mit Roger bereits
verlobt sei, als Gattin haben wolle, worauf Karl dem ,,GriecheQ*
fursten^ diese Aufforderung mitteilen läßt — , ist es in Ghimier's
Stück Leon, welcher zuerst das Wort ergreift und den Kaiser
um seinen Siegespreis bittet. Auch hier ist Aymon ganz
verschieden von dem Amon des OrL fwr.\ zwar weigert er
sich in beiden Fällen Marphise nachzugeben, allein bei Garnier
tritt er viel entschiedener und lärmender auf als bei Ariost;
er führt einen höchst komischen Wortwechsel mit dem furchtlosen
Mädchen, er wird sogar von seiner Frau unterstützt, die dort
überhaupt nicht auftritt.^) Doch nimmt er ab und zu einen
Vers wörtlich aus dem Epos herüber, so z. B. v. 1381:
Ay. : « Cesi vne pure fraude ourdie encontre moy. >
Ariost sagt (C XLV, st. 108, 6) :
tQuesto e (diceva Amcm) questo e un inganno
Contra 7ne ordito ...»
Karl der Große endlich, welcher im Epos an dieser
Stelle ganz in den Hintergrund tritt, nimmt in der Tragi-
komödie lebhaften Anteil an dem Gespräche und sucht die
streitenden Parteien zu versöhnen. Die letzte Szene (6) des
4. Aktes gehört ganz Garnier an, die Person des Herzogs
von Athen ist von Garnier erfunden, um die Szene zu er-
möglichen; im Orlando heißt es bloß von Leon (C. XLV.
St. 117):
tPer cütadi mandö, ville e casteUa^
Uappresso e da lontan, per rürovarh.*
Im 5. Akt mehren sich die Abweichungen von der
Quelle. Das Zwiegespräch zwischen Leon und Boger findet
bei Ariost im Walde statt, wo Roger den Tod suchen wollte;
Garnier unterläßt wiederum jede Ortsangabe, die Szene be-
ginnt erst, nachdem Roger seinen wahren Namen geoffenbart.*)
*) Auch diese Unterschiede sind von Pasini nicht bemerkt w&rden
{vgl 0. c, S, 127).
3) Pasini, S. 133, tadelt es, daß, wie hiefr, Garnier uns oft vor ei$u
— 123 ^
Charakteristisch für Garnier sind die zwei letzten Verse
dieser Szene (v. 1639 f.):
tBeiournons au logis pour vn peu i^<m8 re faire,
Puis irom au chasteau pour vos nopcts par faire,*
Im OrL für. bleiben die beiden im ganzen drei Tage im
Walde, bis Boger, der Ton der Aufregung der letzten Zeit
ganz entkräftet war, seine frühere Kraft wiederfindet.^) Auf
diese Weise wird im Drama die Orts- und Zeiteinheit ohne
Schwierigkeit beobachtet.^) In der 2. Szene erscheint die bul-
garische Gesandtschaft vor dem Kaiser des Abendlandes und
erzählt von Boger's Heldentaten in der Schlacht bei Horen-
garde; bei Ariost ist die Gesandtschaft nur in der ^Cittä
Jieahf nicht aber vor dem Kaiser (C. XLVI, st. 48). Der
Schlachtbericht ist im Vergleich zur nämlichen Schilderung
bei dem italienischen Dichter (C. XLIV, st. 79 ff.) farblos
und nüchtern.
So wird die wunderbare Stanze 87 durch den einfachen
Vers (1664) wiedergegeben:
<icEi des Grecs ennemü fit vn sanglant camage.* *)
Die nächste Szene hat Garnier wahrscheinlich eingeschoben^
um Aymon und Beatrix, die beiden komischen Bollen, noch
einmal auftreten zu lassen, aus dem „armen Bitter" Boger
ist ja nun ein mächtiger König geworden und diese Verände-
rung konnte nicht ohne Wirkung auf das EUtempaar bleiben.
Karl teilt ihnen mit, daß die Bulgaren den tapferen Boger
zum Könige haben wollen; daraufhin ändern sie sofort ihre
Gesinnung gegen den vorher so arg geschmähten Bitter, gerne
möchten sie ihn nun zum Schwiegersohne haben:
vollendete Tatsache stelle ^ ohne dieselbe wie hei Ariost zu eyitwickeln.
Doch können wir nicht einse)ien, was diese Szene gewonnen hätte dxtreh
fine Schilderung der Art und Weise^ wie Leon seinem Freunde das Ge-
ständnis abrvigt.
») Cfr, Orl für. (C. XLVI, st. 48):
Ove posaro il resto di quel gionWy
E Valtro appresso^ e Valtro tntto intei'o
Tanfo che 7 Cavalier dal liocomo
Tornato fu nel suo vigor primiero.*
*) Pasini scheint diese Zeitvet^schiebungen übersehen zu haben.
*) Pasini, S. IIU, gibt ein ähnliches Beispiel aus dieser Szene an.
— 124 —
€Puis qu'il est maintenani Roy de la Bfdgarie,»
(v. 1624.)
Szene 4 bringt die Auflösung des dramatischen Knotens :
Von Roger begleitet, tritt Leon vor den Kaiser hin und er-
zählt, wie er seines Freundes Bekanntschaft gemacht, dessen
Tapferkeit in der Schlacht bei Hovengarde bewundert, und
wie er ihn für sich in den Zweikampf gesandt habe. All dies
ist jedoch viel ausführlicher geschildert als im Orlando, doch
folgt der französische Dichter der Hauptsache nach seiner
Quelle. Der Anfang von Leon's Erzählung (Brad. v. Garnier,
Akt V, 4, V. 1629; vgl. Ort. für. C. XL VI, st. 54) weicht
insofern ab, als auch hier Garnier die bei Ariost sich findende
Angabe der Dauer des Kampfes fallen läßt. Die Fragen, die
Karl an den Byzantiner stellt, sind von Garnier erfunden.
Auch Aymon's Zwischenreden, die plötzliche Umwandlung
seiner Gesinnung, als er hört, daß Roger der Sieger im Zwei-
kampfe gewesen ist, die Worte der Beatrix, die bei Ariost
an dieser Stelle überhaupt nicht erwähnt wird, sind Ein-
schiebungen des französischen Dramatikers.^)
Wir sehen, daß Garnier das Elternpaar Bradamanten's
bei jeder Gelegenheit in den Vordergrund stellt, während
es im Epos eine sehr unbedeutende Rolle spielt. Szene 6 des
5. Aktes geht auf Stanzen 65 und 66 (C. XLVI) zurück,
doch zeigt uds in diesen der Dichter die glückliche Braut
allein, in der Kammer weinend vor Freude
<Piangea i suol casi in camera segrüat ;
bald stürzen mehrere Boten herein und verkünden ihr die
Wendung. Der Dramatiker vereinfachte diese Szene, indem
er Hippalque allein ihrer Freundin die Botschaft übermitteln
läßt. Die letzten zwei Szenen, welche aus dem unmotivierten
Erscheinen Melisse's und aus der Entschädigung Leon's durch
die Hand Leonoren's bestehen, der Tochter Karl des Großen,
wären besser fortgeblieben, da sie in keiner Weise zum
Stücke gehören.^) Weder von Melisse noch von Leonore
*^ Pasini {S. 128) erwähnt auch hier keine Verschiedenheiten
zwischeti dem ital. Poem und dem Theaterstücke,
*) Atich Pasini ist hier unserer Ansicht, Er sagt hierüber {l. c,
— 125 —
wurde einmal im Stücke gesprochen, vielleicht glaubte Garnier^
ein derartiger, romantischer Stoff müßte notwendigerweise von
Geistererscheinungen u. dgl. begleitet sein, und in einer Tragi-
komödie dürfte am Schlüsse des letzten Aktes auch nicht
eine Person Grund zur Traurigkeit haben.
Wenn wir das Resultat unserer Untersuchung noch kurz
zusammenfassen, so ergibt sich, daß yon den 23 Szenen, aus
denen das Stück besteht, 15, also mehr als die Hälfte durch
den französischen Dichter teilweise oder ganz geschaffen
werden mußten, während die übrigen bei Ariost sich bereits
vorfinden. Mit der freien Behandlung des Stoffes geht eine
ebenso freie Gestaltung der Charaktere Hand in Hand.
Am wenigsten verändert ist die Person Boger's, welcher
ebenso entsagungsvoll und edelmütig im Gamier'schen Stück
ist, wie im Epos Ariost's. In beiden Dichtungen tritt uns
besonders die Gefühlsseite dieses Helden entgegen, seine
Klagen um die Geliebte, um sein eigenes Glück, nehmen einen
breiten Raum ein; was aber im Epos sich gut durchführen
läßt, ist nicht immer für die Bühne vom Vorteil; so dürfen
wir sagen, daß Roger's Gestalt im Stück verfehlt zu nennen
ist, weil sie zuviel spricht, immer spricht, nie aber auf
offener Szene handelt.^) Von Ariost'schen Helden möchten
w^ir Taten sehen und Abenteuer, nicht aber endlose Klagen
hören. Erscheint uns Roger's Charakter zu schwächlich und
weiblich, so finden wir Garnier's Bradamante etwas allzu
männlich, ganz verschieden von jener echten Jungfrauenge-
stalt in der Panzerrüstung bei Ariost. Wie hätte ihr der
italienische Epiker so unweibliche Worte in den Mund gelegt
wie Garnier in Akt III, 6, v. 989 ff.:
S. 130) : •L'unica vera novitä inseriiaj anzi posta in coda dal francesCj
voglio dire la combinazione improvista del matrimonio di Leonora con
Leone^ non poteva essere piü infelic'e.* Ähnlich äußert er sich über
Melissas Auftreten. Pasini glaubt, daß Garnier sie eingeführt habe,
weil sie sich auch bei Ariost finde. Er wirft daher dem franz. Dichter
Mangel an Selbständigkeit vor. Warum hat aber der Dichter so selb-
ständigerweise die Leonore eingeführt? Auch sonst geht der franz.
Tragiker sehr selbständig vor; wir glauben daher nicht, daß PJs Moti-
vierung richtig ist.
*) Dasselbe sagt Pasini, Ä 137.
— 186 —
€<S** ie U puis atkindre anec le couUlas^
Je renuoiroy chercher vne femme Id bas:
Ce mignon, oe beau filSf qui n*a boiig^ de Grece,
Et qui ne feit iamais preuue de sa prouesse
X^a cou7ni la foriune et ne s^est hasardH etc,^)
Leon ist wie bei Ariost der zaghafte und feige ^heau /i/.s»,
der verweichlichste Orientale, der nur auf den starken Arm
seines Freundes vertraut, dessen Liebe zu Bradamante nur
eine Laune ist, da er so leicht auf sie verzichten kann. Als
er zum Schlüsse die ihm angebotene Hand Leonoren's ohne
Zögern annimmt, müssen wir überhaupt zweifeln, ob sein
Charakter ernst zu nehmen ist. Viel elirenvoller verläßt er
im Epos den Schauplatz, da er dort sich stillschweigend ent-
fernt, nachdem Eoger und Bradamante sich wiedergefunden
haben. ^)
Auf die Umwandlung, die Garnier mit den Eltern
Bradamante's vornimmt, haben wir bereits mehrmals hinge-
wiesen. Ihre vorzügliche Charakterzeichnung beweist, daß
der französische Dichter auch über eine glückliche komische
Ader verfügt. Der tostinato* Aymon im Orl. für, wird zum
habsüchtigen Kleinbürger, dem vor allem darum zu tun ist,
seine einzige Tochter möglichst vorteilhaft, vor allem tsans cfo/»,
an den Mann zu bringen (v. 176 flF.):
€ Ce que ie prise plus en si belle alliatice,
Ccst qti'il ne faiidra point desboiirser de finance»
II ne demande rien,^ [!J
worauf seine würdige Gattin erwidert:
<ll est trop grand seigneur.
Qu'a besoing de nos biens le fUs dhii E?nperew'?i
Aymon ist der geizige Alte der italienischen Komödie, der
Damonio der Suppositi, welcher seine Tochter dem reichen
. ») Vgl Akt IV, .% V. 1077 f. — Pas in i (S. 136) berührt dieien
Charakterzuy nicht, dagegen findet er, daji die Brad. Gamier'a eine
gröfkre *deUcatezza» zeige, wenn sie nicht dem Vater, Bondem der Mutter,
und zwar in schonendster Weise mitteile, daß sie Roger allein liebe,
*) Ähnlich Paaini, S. 137,
^ 127 —
Doktor der Rechte, Cleaudro, anbietet. Levrault glaubt^
daß kein geringerer als Moli^re eine Reihe dieser komischen
Szenen (Akt IT, 1, 2, 3), in denen die beiden Gatten auf*
treten, in seinem Avare verwertet hat.^) Neben dem G^ize
macht sich bei dem alten Aymon eine gewisse Prahlerei^
geltend, von der wir bei Ariost nicht das Mindeste hören.
Ebert glaubt daher, in Aymon den Matamoros der Komödie zu
sehen. ^) Besonders glücklich gelang dem französischen Dichter
die Charakterzeichnung der Beatrix; ganz unter dem JSinfluB
ihres rauhen Gemahles stehend, schätzt sie wie dieser das
gleißende Gold und den kaiserlichen Purpur höher als alle
anderen irdischen Güter ; aber noch höher steht ihrem Mutter-
herzen das Glück ihrer geliebten Tochter, der sie alles opfert
(vgl. A. II, Sz. 3 V. 510):
€vn iour m^est ennuye^ix
Quafid vn iour ie me treuue absente de vos yeux!^
Als sie sieht, daß Bradamante lieber ins Kloster gehen
will, als Leon nach Byzanz zu folgen, gibt sie ihre Heirats-
pläne auf und verspricht sogar beim Vater Fürbitte einlegen
zu wollen.*)
An die italienische Komödie erinnert auch die Gestalt
des Dieners La Roque, eine ganz selbständige Schöpfung des
französischen Dramatikers. Zwar tritt er nur in einer Szene
(11, 1) auf, aber die wenigen Worte, die er spricht, könnten
ihn nicht besser charakterisieren. Als der alte Aymon voll
Wut über ßenault's Ungehorsam nach Waffen ruft und die
lächerlich schreckliche Drohung ausstößt (v. 457):
^Je i^eray dans le sang iusqites d la ceinturel»
unterbricht ihn der Diener mit unverschämtem Spotte:
^Monsieur, enirons dedanSj ie crains que vous iombiex,
Yous n'estes pas trop bien asseure sur vos pieds.-i
Da die übrigen auftretenden Personen eine sehr unter-
») Les genre» litt La ConUdie, S. 27(9).
*) Vgl. AM II 2, V. U9, 461 u. 473.
•) Ähnlich nentU Rigal den Aymon einen Rodomont oder einen
Taillehran {Le Th. de la Ren., in Julleville's Lit-Oes., Bd. III, 313).
*) Fasini bespricht diesen Cliarakter nicht.
— 128 —
geordnete Bedeutung im Stück haben, wollen wir sie nicht
in das Bereich unserer Untersuchung ziehen. Im ganzen
können wir sagen, daß die Änderungen, die Gramier in der
Behandlung des Stoffes vornahm, nachteilig für den Wert
der Bradamante, die Änderungen und Neugestaltung der
Charaktere dagegen vorteilhaft zu nennen sind. ^)
Wie wir bereits bemerkt haben, nimmt Garnier ganz be-
sonders die Gleichnisse aus Ariost herüber, indem er sie
meist wörtlich übersetzt. Selbst, da wo die Szene ganz frei
erfunden ist, werden Vergleiche aus dem Epos eingestreut.
Im folgenden stellen wir eine Liste dieser meist wörtlichen
Entlehnungen auf.
Vergleich :
Akt I, 1, V. 87—90 = Orl. fiir.
Akt III, 2, V. 815—818 = „ „
V. 831-834 = „ „
V. 837-842 = „ „
V. 843-849 = „ „
Akt IV, 1, V. 1046—1050 = „ „
V. 1051-1054 = , ,
„ V. 1059—1669 = „ „
V. 1083—1089 = „
Akt IV, 2, V. 1160—1154 = „ „
Akt V, 2, V. 1567—1568 = „ „
Neben dem Orl. für. bildeten auch die Dichtungen von
Vergil und Seneca, teilweise auch von Horaz eine Quelle
für die vielen Vergleiche, die Garnier in seine Tragikomödie
eingeschoben hat, und welche die an und für sich schon zu
langen Monologe noch mehr ausdehnen.')
Aus der von uns angestellten Untersuchung ergibt sich für
0. XLIV,
St.
92
C. XLV,
r>
26
C. XTiV,
»1
34
0. XTiV,
n
36
C. XLV,
»
38
0. XLV,
n
71
C. XLV,
n
72
C. XLV,
»
73
C. XLV,
n
75
C. XLIV,
n
46
C. XLIV,
t>
87.»)
») Ähnlich Rigal (^ c, S. 312) wnd Pasini, I. c, S. 13S,
•) Über diese Entlehnungen siehe bes. in Pasini 's Arbeit {S. 139
— 164) das Kapitel »La forma» ^ welches der beste Teil der ganzen Ab-
handlung ist Der Rahmen unserer Arbeit erlaubt uns nicht, näher
auf diese entlehnten Stellen einzugehen. Pasin i's Zusammenstellung
ist außerdem so genau, dafi kautn etwas nachztitragen wäre,
*) Vgl. Tr 08 1, iltude, S. 20 ff., wo diese Quellen untersucht nnd.
— 129 —
das VerhältaiiB Garnier's zu Ariost folgendes Resultat; die
HandluDg in der französischen Tragikomödie beruht in der
Hauptsache auf den letzten zwei Gesängen des Orl, für.
Ausgenommen den 1. Akt und die beiden letzten Szenen
des 5. Aktes, folgt der französische Dichter seinem Vorbilde
in allen wesentlichen Punkten, ist aber stets bestrebt, den
epischen Stoff dramatisch zu gestalten und schiebt ein bei
Ariost nicht vorkommendes komisches Element ein. Wörtliche
Entlehnungen finden sich meist nur in den Vergleichungen.
Was den Bau des Stückes betrifft, so ist Garnier darauf be-
dacht, die Einheiten der Zeit und des Ortes, im Gegensatze
zu seiner Quelle, zu bewahren, d. h. in den Fußstapfen Seneca's
zu bleiben, wodurch jedoch der Stoff viel von seinem ur-
sprünglichen Beize verliert.
Von einer großen Anzahl von Forschern besitzen wir Urteile
über den historischen und ästhetischen Wert unseres Stückes.
Als sehr wichtig scheint uns vor allem das von Vau-
quelin de la Fresnaie in seinem Art poäique gefällte
Urteil, das von keinem der von uns angeführten Autoren an-
gedeutet oder zitiert wird. Im 1. Bd. seiner poesi^ diverses
(hrgs. z. Caen 1869, 3 Bde.) findet sich auf S. 86 u. 87
eine kurze Inhaltsang, der Brad. in Versen, und zum Schlüsse
wird das Stück als das Master eines Dramas in bezug auf die
VViedererkennung („reconnoissance^') und auf die Vermischung
des Tragischen mit dem Komischen genannt.
Die Brüder Parfaict zählen es zu den schwächsten
unter den Dramen Gamier's ^), bezeichnen es aber irrtümlicher-
weise als die erste Tragikomödie.^) La Harpe, der große
Kritiker des 18. Jahrhunderts, erwähnt die Bradamante nicht. ^)
Dagegen lobt Sainte-Beuve den Dichter, daß er nicht den
Chor und die allzu große Einfachheit der klassischen Tragödie
verwandt habe.^) Ebert nennt die Bradamante neben den
») Bist du Th. fr., Bd. lU, 454 f
•) Dasselbe ^m^ Maupoint (S. 58), welcher sagt^ doli das Stück
y^Ariost" ganz nachgeahmt sei. — Über die erste Tragikomödie s. Böhm,
Seneca^ S. 4, Anm. 2.
») C(mrs de litt, Bd. i, 460,
*) Lt Iße «., S. 274,
Mttnchener Beiträge z. romanischen n. engl. Philologie. XXXIV. 9
— 130 —
Jüdinnen das bedeutendste Drama unseres Dichters, hebt be-
sonders den Keichtum der Handlang hervor, tadelt aber das
Vorherrschen des Monologes und die lockere Szenen Verbindung.*)
Moland konstatiert die Beliebtheit unseres Stückes, das
noch zur Zeit Scarron's populär gewesen sei.*) Darmesteter
und Hatzfeld bezeichnen es als das beste von allen
Stücken Garnier's, nur finden sie die Mischung zwischen
Komischem und Tragischem nicht immer gelungen.^) Nach
Wenzel ist die Exposition des Stückes kurz, die Hand-
lung einheitlich, während die Verwicklung durch die entgegen-
gesetzten Ansichten der Hauptpersonen ungemein interessiere.^)
Ganz besonders eingehend kritisiert Faguet Garnier's Brada-
mante. Er tadelt vor allem, daß Roger und Bradamante
sich während des ganzen Stückes nicht sehen und daß nicht
letztere anstatt Marphisens den Leon zum Kampfe heraus-
fordert. Roger's Klagen, sagt er, würden mehr wirken, wenn
sie in einem weniger geschraubten Tone gehalten wären;
auch Karl's Sprache findet er schwülstig (boursouflS). *)
Bernage, welcher sich speziell mit Garnier befaßt, urteilt
sehr günstig über die Entwicklung der Handlung und der
Charaktere und über die Sprache, welche manchmal an
„Corneille** erinnere.*) Rigal ist voll des Lobes für unsere
Tragikomödie, doch sei es dem französischen Dichter nicht
gelungen, die feinen, zarten Nuancen des italienischen Epos
wiederzugeben, da er bald die tragische, bald die komische
Seite des Stoffes übertreibe. Dagegen ist die Handlung,
nach Rigal, leicht entwickelt und natüriich; bestreiten müssen
wir aber seine Behauptung, daß die Szene zwischen Aymon,
Renaud und Beatrix bloße Entlehnungen aus Ariost seien. ^)
Levrault®) endlich sagt von Garnier's Stück: tBien eoni'
*) S, 169. — Weiterhin tadelt er, daß dU Mischung zwischen Ko-
mischem und Tragischem nicht überall durchgeführt sei.
«) Moliere et la Com. it., S. 126.
•) Das Urteil stimmt geyvau mit dem Eherfs uberein!
*) Montchrestien, S. IS.
») La Tr. fr., 216-236.
•) Etüde, S. 235.
') Le thiätre de la Ren. {Bist, in: Jullev., Bd. HI, 293 ff.).
') Drame et Trag., S. 25. Die Behauptung LevraulVs, daß die
- 131 —
posee et fort ingenieuse, eile renfemie ä cöt4 d'ipisodes chevaleres-
qiies et touchmits des scenes (Tun haut cotnique. ... Ce fut le
premier exemplaire de cette tragicmnidie qui devait vispirer plus
tard ä des novateurs Videe du drame romantique,^
Erst 22 Jahre nach dem Erscheinen von Gamier's Brada-
mante macht wieder ein Dichter den Versuch, dieselbe Epi-
sode dramatisch zu bearbeiten. 1605 nämlich veröffentlichte
Charles Baut er seine beiden Tragödien tLaEodamontade» und
€La mort de Bodotnontj^) Irrtümlicherweise findet sich bei
einigen Autoren die Jahreszahl 1603.*) über den Verfasser
wissen wir kaum mehr, als daß er von 1580 — 1630 lebte
und ein Pariser war.*) Aus dem Datum seiner Geburt geht
hervor, daß die beiden Tragödien Jugendarbeiten waren, und
wir werden sehen, wie ihnen alle die Fehler und Schwächen
solcher Jugendsünden anhängen.
Brad. die Urquelle des romantischen Dramas sei, ist mit Vorsicht auf-
zunehmen. Jedenfalls wirken noch eine Reihe anderer Faktoren mit zur
Entstehung des »drame romantique».
^) Das benutzte Exemplar befindet sich in der Bibl. Nat. von Paris
{YS 6680) und trägt den Titel: »La Rodomontade. Mart de Boger. Tra-
gedies et Amours de Catherine. A Monsieur le Lieutenant CiviL Paris.
MDCV». Darunter ist bemerkt: *De Meliglossej Clarus vates orbis»,
worauf noch ein Vierzeiler folgt:
•Je chante Bodomont, ses fureurs, ses boutades^
Et comme un grand Roger Vesclava sous les fers
Des Parques vaillamment, et comme les enfers
Tremblerent de fraieur par ses Rodomontades.»
Den Tragödien selbst gehen dreizehn Sonette voraus^ die dem Ver-
fasser desselben die Unsterblichkeit versprechen; unter den Sonetten be-
findet sich ein lateinisches^ das sein Bruder gedichtet und mit der Unter-
schrift: J. B. Par.[isien] versehen hat. Daraus und aus dem Anagramm
Melighsse sowie aus dem Clarus vates orbis [= Carolus Baster ius] fand
man seinen wahren Namen Charles Bauter oder Bautier.
«) Leris, Dict port, S. 387; Mouhy, Abr^i, Bd. II, 23;
Maupoint Eist, S. 273.
») Goujet, Bibl. fr., Bd. XV, 104—108. Weitere Einzelheiten
bieten noch: Parfaict, Hist, Bd. IV, 38; Beauchamps, Rech. 2. T.,
S. 73; Mouhy, TabL 204 u. Ah\, Bd. J, 419; Michaud, Biogr. univ.,
Bd. III, 317 {am ausführlichsten); Didot, Nouv. B. g., Bd. IV, 836;
Vapereau, Dict. univ., S. 213; Qr. Enc, Bd. V, 910.
9*
— 132 —
Über die Qaellen der beiden Stücke findea sich bei allen
Ton uns zu Rate gezogenen Forschem irrtümliche Angaben.
Parfaict's Hisioire du Th, fr. erwähnt für das erste der beiden
Stücke keine Quelle, das zweite cLa mort de Roger > nennt
er «tme grassiere traductioti* de TArioste^); er scheint also
nicht zu wissen, daß der jugendliche Roger am Schlüsse des
OrL für. heil und gesund aus dem Kampfe mit Rodomont
hervorgeht. Beauchamps bezeichnet das zweite Stück als
eine „Nachahmung aus Ariost", während er vom ersten be-
hauptet, es sei aus Ariost genommen (prise de rAriaste),-)
Andere Literarhistoriker geben als Quellen beider Stücke den
€ Roland furieux-^ an.^)
Von dem zweiten Stücke erwähnten wir bereits, daB es
nicht aus dem Orl, für. entnommen sein kann, da das Epos
mit der Heirat, keineswegs aber mit dem Tode Rogers endet.
Das erste Stück dagegen geht nur teilweise auf das Epos
Ariost's zurück, nämlich bis zur zweiten Szene des dritten
Aktes (inklusive), von wo an uns Bauter Rodomont's Helden-
taten in der Unterwelt vorführt.
Der Inhalt des dem Orl. für. entlehnten Teiles ist
folgender. Akt I: Umgeben von seinen getreuen Roland.
Regnaut, Olivier, Roger, Aymon, Marphise, Bradamante und
LeoD, rühmt Karl der Große die Tapferkeit seiner Paladine,
die Paris von den Sarazenen befreit, und die ganze Welt mit
ihrem Ruhm erfüllt haben. Nur das Schicksal Bradamante's
macht ihm einige Sorgen; wohl weiß er, daß sie den Roger
herzlich liebt, aber er hofft, daß sie ihn doch allmählich
vergessen und dem Leon, der sie im Zweikampf soeben be-
siegt hat, die Hand zum ewigen Bunde reichen werde,
tÄinsi que le crayon trace p'emierement
Sur la ioik iefface apres fort aisetnent
') Bd. IV, 77; ebenso Goujet, Bihl XV, 104,
*} Rech., 2. Teil, S. 73; ebenso Vapereau, Dict, 8. 21B.
•) La Vall., Bibl I, 365; Mouhy, Tabl, S. 204; Maupoint,
Bibl, S. 272. — In 31 ich aud 's Biogr. univ. Bd. IV, 853 wird am
Ende des Artikels aw/'Moreri, Dict. hist, hingewiesen^ doch fanden
wir dort Bauter nicht verzeichnet.
— 133 —
Par une autre Couleur^ ainsi Vamour p-emiere
Dune fiUe souveni sc ekange en la demiere»*
Aymon dagegen ist voller Freude über den Ausgang des
Kampfes und er gerät in maßlose Wut, als Roland, MarpUse
und sein eigener Sohn Regnaut gegen eine Heirat zwischen
Leon und Bradamante sich erklären, da diese bereits mit
Rog0r verlobt sei. Von seinem Vater bekommt Regnaut
die härtesten Schmähungen zu hören:
c Voicy mon impudent qui sans cesse gromelkj . . ,
Qui te fait si hardy de paraistre d nies yeux, . . .
Si fempoigne un baston, je te feray plus sage
Respecter cest endroit, et changer de langage.^
Der Kaiser ist auf Seite des alten Aymon, während die
übrigen Regnaut's Partei ergreifen und den rücksichtslosen
Ehrgeiz des Vaters scharf tadeln. Schon will der jähzornige
Alte zum Schwerte greifen, als Roger und Leon erscheinen:
so wird durch die Erzählung des Grieebenfürsten vom wirk-
lichen Sieger ein glückliches Ende des Streites herbeigeführt.
Aymon fügt sich sofort, ohne jede Motivierung, in die neue
Situation und nimmt Roger mit Vergnügen als Schwieger-
sohn an. Karl, der kurz vorher erklärt hat, er kenne Roger
kaum, überhäuft ihn nun mit Lobreden, so daß dieser ge-
rührt dankt und dem Kaiser seine Dienste anbietet. Leon
tröstet sich augenscheinlich schnell über seinen Verlust, denn
nun will er Doralice, von der wir jedoch weiter nichts hören,
zur Frau nehmen. Gerne gewährt ihm der Kaiser die Ein-
willigung dazu.
Akt II : Rodomont zählt die Heldentaten auf, die er vor
Paris vollführt hat, erklärt, daß selbst Pluto in der Unterwelt
sich ängstige, es möchte die Erde unter seinen wuchtigen
Tritten zusammenstürzen. Trotz alledem aber muß er edeh
schämen, da ihn vor nicht gar langer Zeit Bradamante aus
dem Sattel geworfen hat; seine Ehre wieder herzustellen, ist er
nun gekommen; als er aber von seinem begleitenden Schild-
knappen vernimmt, daß auch der von seinem heidnischen
Glauben abgefallene Roger anwesend sei, beschließt er vor*
•fst, diesem die Schärfe seines Schwertes fühlen zu lassen.
— 134 —
In der nächsten Szene bittet Aymon seinen neuen Schwieger-
sohn um Verzeihung, daß er ihm früher so feindlich gesinnt
gewesen sei, was Roger ihm gerne vergessen will. Die dritte
Szene zeigt uns die Hochzeitsgäste, die unter den Klängen
der Musik sich an die festliche Tafel setzen, ehe das große
Turnier seinen Anfang nimmt. Wir hören, wie Olivier seinen
Freund Boland wegen] seiner tollen Liebe zu Angelica ver-
spottet :
. . . «fe regard (TAiigelique,
Cousin, cofnme je croiSj le courage votts picque
Non Vkonneur de Hoger-^^
worauf Roland erwidert:
... € Oliver fay franchy
Heureusement ce saut ei je tis affranchy
De ses cruelles lois, cognoissant sa vialice
Et le hautain refus de inon hiimhle serriee,*
Karl verkündet nunmehr das Festprogramm für die nächsten
acht Tage, und eröffnet das Hochzeitsmahl, während Chöre
lyrische Weisen zu Ehren der Venus und anderer Gottheiten
anstimmen. Da tritt plötzlich Rodomont herein und fordert
unter schrecklichen Drohungen nicht nur den abtrünnigen
Bräutigam Bradamante's zum Kampfe heraus, sondern alle
die Ritter der Tafelrunde. Doch flößt er diesen nicht den
geringsten Schrecken ein, vielmehr verspottet ihn Roland
wegen seiner Niederlage durch den Arm Bradamante's und
Roger macht sich sofort zum Zweikampf fertig, ohne sich
von den Befürchtungen seiner Braut abhalten zu lassen.
Akt III: Als Roger nicht sofort auf dem Kampfplatze
erscheint, bezichtigt ihn der prahlerische Rodomont der
Schwäche und der Furcht, da es doch ehrenvoll für ihn
sein müße, von Rodomont's Hand zu fallen. Endlich findet
sich jener am Platze ein (2. Sz.), begleitet von den Hoch-
zeitsgästen und der weinenden Braut, die er vergebens
zu trösten sucht. Ehe die beiden Gegner aufeinander los-
stürzen, schleudern sie sich, nach Art der Helden vor Ilion,
Drohungen und Schimpfworte ins Gesicht. Der Kampf
dauert nicht lange; Rodomont's Rüstung wird durchbohrt.
— 136 —
sein Degen bricht entzwei, er stürzt sich ohne Wafife auf
den Gegner, der ihm jedoch den Todesstoß versetzt; so stirbt
er mit den Worten:
<Je renie Malion^ fenrage, je d€spite,i^
Mit dieser Szene endet bei Ariost der 46. und letzte
Gesang seines Epos. Für den folgenden Teil istChapuys'
Roland furieiix^ die Quelle, die keiner der oben genannten
Forscher zu kennen scheint, und die sich am Ende der
Chapuys'schen Übersetzung des BoL für. von Ariost be-
findet, ohne durch eine besondere Angabe von dieser getrennt
zu sein.^)
über das Verhältnis des ersten Teiles zum Orl. für. ist
folgendes zu bemerken:
Der erste Akt des Stückes zeigt einige Ähnlichkeit mit
Garnier's Bradamante, besonders die Rede KarUs des Großen
bewegt sich großenteils in demselben Ideengeleise. Ch. Bauter
kannte ohne Zweifel die Tragikomödie ; eine Stelle derselben
entnimmt er sogar nahezu wörtlich dem Stücke Garnier's ^) ;
außerdem deutet eines der erwähnten Sonette^) darauf hin,
daß man ihn bei Lebzeiten schon für einen Nachahmer des
Dichters der Bradamante hielt. Bauter setzt mit seiner
Handlung da ein, wo Garnier die Lösung des dramatischen
Knotens herbeiführt (Akt Y, 4), nur daß bei diesem die
*) G. Chapuys, Roland furieux, contenant la mort de Roger . ,
mise dHtalien de J, B. Pescatore, Lyon. 1553, 8^,
«) Garnier, Brad., Akt IV, 2, v. 1151:
•Ainsi pour ro««, taureaux^ vou8 n^escorchez la plaine,
Ainsi pour votis^ moutona^ vo^is ne portez la laine^
Ainsij mousches, pour vou8 aux champs vous ne ruchez,
Ainsi pour vous, oiseaux, aux bois vohs ne nichez».
Vgl. damit Bauter, La Rad. (I. Akt):
iAinai mouches pour vous ne sont pas vos ruchees,
Ainsi oyaeaux pour votu ne 807it point vos nichees,
Ainsi moutons pour vous la laine ne portez
Ainsi taureaux pour votM la terre n'escartez.»
') Die letzten Verse desselben lauten:
•Sil est ainsi tu as, comme je crois,
Lame, Vesprit, d'Euripide Gregeois
Ou de Garnier Vespt^it dans toy reposi.*
— 136 —
Szene mit der EothüllaDg Leon's beginnt^), während bei
Baater dies erst in der Mitte des ersten Aktes geschieht, als
Aymon noch im heftigen Streite mit Roland, Marphise und
Regnaut liegt. Der Verfasser der Rodomontade hält sich
hier jedoch mehr an Ariost; er führt Roland und Olivier
redend ein, wie es dieser tut (C. XLIV, st. 60), läßt, wie der
italienische Dichter, (C. XLV, st. 104), Bradamante an dem
Streite Aymon's mit seinen Widersachern teilnehmen, wogegen
sie bei Garnier nicht anwesend ist (Akt IV, 5). Wie bei
Ariost (C. XL VI, st. 64), so bittet Aymon in der Rodo-
montade seinen Schwiegersohn Roger um Verzeihung wegen
seines früheren Verhaltens ^) ; bei Garnier ist die Stelle aus-
gelassen.^) Dagegen ahmt er den letzteren darin nach, daß
er Bradamante am Ende des Streites auf der Bühne erscheinen
läßt, während sie bei Ariost in ihrer Kemmenate bleibt, und
daß er Leon mit Doralice sich yermählen läßt (bei Garnier
mit Leonore).
Vom 2. Akte an hat Bauter kein anderes Vorbild mehr
als den Orl. fur^) Rodomont's erstes Auftreten^) ist eigene
Zutat des dramatischen Dichters, wobei er sich allerdings
auf die beiden Stanzen 102 u. 103 des 46. Gesanges stützt;
eigene Erfindung des französischen Tragikers ist auch die
Schilderung des Hochzeitsmahles®), die Einführung von
Chören^), augenscheinlich eine Nachahmung der klassischen
Tragödie, endlich die Worte Karl's und das Gespräch zwischen
Olivier und Roland vor dem zweiten Auftreten Rodomont's.^)
1) Akt F, 4, V. 1630:
• Voicy le Chevalier dHncroyable vertu» etc.
«) Akt l Sz. 3,
») Vgl Akt 7, 8z. 7.
*) Orl. /•., C. XLYl, 8t 101-ldO.
^) Im Epos erscheint Rodomont am letzten j d. h. neunten Tage der
Hochzeitsfestlichkeiten (C, XLVI, st 74 u. 101), bei Bauter kommt
Rodomont zwei Tage vor der Hochzeit an {Akt IT, 1),
•) Vgl. Orl für., C. XL VI, st 73, 74 und 75, wo nur ein paar
Verse dasselbe schildern. — Ariost gibt dagegen eine lange Beschreibung
elftes von Melisse gewirkten Teppichs {ibd., st 76—101).
") Die Verse des Chores werden hier gesungen {•ChanAr des Musiciens»).
') Karl setzt in einer langen Rede das Programm für die Festiich'
— 137 —
Auch Rodomont's Aufschneidereien bei diesem letzten
Auftreten finden sich nicht bei Ariost, der dem Helden
nur wenige Worte bei dieser Gelegenheit in den Mund legt.^)
Dagegen ist der rührende Abschied Koger's von seiner ge-
liebten Braut ganz nach der Quelle geschildert und ist als
der schönste Teil des Stückes anzusehen. Wie besorgt fragt
Aoger nicht seine Braut, warum sie denn so furchtsam sei:
tEt qxi^cst ceq/j mon cceur, ma ehei-e Bradamante,
Je vous vois toute pash et oaintifve et tremhlante ?y
(Akt III, 2).
Und wie rührend ist deren Antwort:
tPiiis je avoir du plaisir vous voyant ä mes yeux
Marteller et Messer par cet aitdacieuz ?
Xofif nortj autant de coups qui ioucheront ros nrmesy
Me seront tont autant de fleches et d'alannes^
Qui viendront m^assaillir . . ,i (ibd.)
Der Zweikampf der beiden Helden mußte natürlich im
Drama anders dargestellt sein, als im Epos; hier*) wird
Rodomont am Schenkel verwundet, so daß er zu Boden
sinkt, worauf sich BrOger auf ihn stürzt und ihm nach kurzem
Bingen den Todesstoß versetzt. In der Tragödie bricht
Bodomont's Degen entzwei, und Boger tötet mit Leichtigkeit
den waffenlosen Gegner. Das Gespräch, das während des
Kampfes zwischen Boger und Bodomont geführt wird, ebenso
die Beglückwünschung des Siegers durch die Zuschauer und
die Anordnung Earl's, daß die Leiche des Bodomont den
Baben zum Fräße vorgeworfen werde, sind Zutaten Bauter's.
Bei Ariost flieht bekanntlich die Seele Bodomont' s aus dem
Leibe und eilt hinab in das düstere Beich der Unterwelt:
tAüe squallide ripe d^AcJwrontej
Sciolta dal cmyo piü freddo die ghiarcioy
keiten fest und fordert die Bitter zur eifrigen Teibiahme an den Turnieren
auf. Olivier'8 und Roland's Gespräch ist bereits erwähnt worden.
>) Orl. f., C. XL VI, 105 u. 106. Nur der vorUtzU Yers von st. 106
enthält eine gewisse Prahlerei:
*Se non hasta uno, e quattro e sei n*accetto.y
«) Orl für., a XLVI, st. 130 ff.
— 138 —
Bestemmiando fuggl VAlma sdegnosay
Che fu s^i altiera al Mondo e si orgogliosa,^)^
Von den Veränderungen, die in der Kodomontade an
einzelnen. Charakteren gemacht wurden, heben wir be-
sonders diejenigen hervor, welche an dem Charakter der
Hauptperson, an Eodomont, zu bemerken sind. Ariost
charakterisiert, wie soeben bemerkt wurde, seinen Helden:
cCAe (pAlma sdegnosa) fu si altera al Mondo e si orgogliosa.y
Stolz und hochmütig ist er auch bei Bauter, aber dieser
stolze Hochmut wird zum Spott durch die ungeheuerlichen
Aufschneidereien, die sich nahezu in jedem Gedanken finden,
den er ausspricht Führen wir einige seiner „Rodomontaden"
an. Von seinen Heldentaten bei der Belagerung von Paris
erzählt er u. a. folgendes:
€ Quand je frappois du piedj le carreau offenste
Sur lequel je frappois estoit tout embraxe
Le feu de ce carreau croissoit en teile sorte
De carrmux en carreaux, que sotidain une porte
Se trouvoit embrases, et ses ranieaux ardans
Älloyent de coup sur caup telkfnent s^estendans
Dedans ceste maison qu^auasi tost sa voisine
Arse m^ estoit aj/res sa voisine en ruine,^ (Akt II, 1.)
Pluto zittert in seinem Reiche, wenn des Helden Tritt
auf der Erde erdröhnt, Nereus beschwichtigt die Wogen auf
Bodomont's Befehl. Bei Ariost will dieser mit vier oder
sechs Rittern den Kampf aufnehmen ^), bei Bauter fordert er
alle Anwesenden in die Schranken (II, 3):
c Un de teß pallad ifus n^esire pas suffixant
Pour s^attaquer d moy, qtCHs viennent totts ensemble.y
Als er bereits den tödlichen Streich empfangen hat, ruft
er noch prahlend und drohend seinem Sieger zu:
<. . . Ah je s^iis assex fort
Pour ores te domjjter et te donnei' la mortfy
(Akt III, 2)
*) Letzte Stanze des Epos.
») (h'l für., C. XL VI, 8t 106.
— 139 —
Wie kommt Bauter zu dieser fundamentalen Verände-
rung eines bei Ariost ganz ernst zu nehmenden Charakters?
Zwei Möglichkeiten einer Erklärung sind* vorhanden. Dem
Dichter konnte die Gestalt Ajmon's in Garnier's Brada-
mante yorgeschwebt haben, die ja ganz lebhaft an Rodo-
mont erinnert, oder — und das ist das Wahrscheinlichere —
Bauter dachte an den tmiles ghriostis* der französischen
und der italienischen Komödie.^) Dort fand er nicht nur einen
derartigen Charakter fertig gescha£fen vor, sondern er fand
sogar schon einen Rodomont in der französischen Komödie,
der mit denselben Eigenschaften ausgestattet war, wie er ihn
dann in seiner Bodomontade schuf. ^) Natürlich wollte Bauter
mit seinem Rodomont nicht einen Lustspielhelden, sondern
eine echt tragische Bühnengestalt schaffen.
Neben dieser Hauptperson des Stückes treten die übrigen
Rollen nur wenig hervor. Auch fehlt ihnen jede psycholo-
gische Grundlage; so will Aymon zuerst nur Leon, den Thron-
folger des byzantinischen Reiches, zum Schwiegersohn, nimmt
aber dann mit Roger ebensogut vorlieb, ohne daß dieser, wie
bei Garnier, die Königskrone von Bulgarien erhalteu hat ; die
Sinnesänderung Aymon's ist also nicht motiviert. Leon's
plötzliche Verlobung mit Doralice ist ebensowenig begründet.
Nur Rolandes Charakter weist eine Eigentümlichkeit auf,
die wir bei Ariost an dieser Stelle nicht bemerken. Olivier
neckt ihn wegen seiner Liebe zu Angelica, indem er seines
Freundes brennende Begierde, im Turniere aufzutreten, dahin
Auslegt, daß dieser dort von Angelika gesehen zu werden
wünsche. Roland entgegnet ihm aber, seine törichte Liebe
zu dieser spröden Schönen sei längst schon gestorben. Später
(Akt II, 3) heißt es, daß Thetis ihn unverwundbar gemacht
habe. Diese beiden neu hinzugefügten Bemerkungen über
Roland wären sicherlich besser weggeblieben, da sie uns diese
bei Ariost so menschlich sympathische Figur etwas entfremden,
und unnatürlich erscheinen lassen.
*) S. Fest, Dermil.glor.f S. 58 ff., tco diese Gestalt in einer Reihe
von Komödien des 16. Jahrh. nachgewiesen wird,
*) In Remy Belleau's Reconnue findet sich der Cap. Rodomont;
M. darüber Fest, l c, S. 34ff.
— 140 —
Bradamante und Boger, das glückliche Brautpaar, sind
entschieden am besten gezeichnet, doch treten sie nur in der
rührenden Abschiedsszene hervor, auch ist nicht eine Spar
psychologischer Entwicklung in ihrer Liebe vorhanden, die
uns die beiden Gestalten interessant machen könnte.
Wörtliche Entlehnungen, wie sie bei Gamier's Tragi-
komödie zu finden sind, haben wir hier nicht entdeckt; die
bereits zitierten zwei Gleichnisse sind die einzigen in der
Eodomontade.
Fassen wir die vorstehende Untersuchung kurz zusammen^
so müssen wir sagen, daß das Stück, soweit es seinen Stoff
Ariost's Epos entlehnte, wohl eine lebendige Handlung auf-
zuweisen hat, daß ihm dagegen jede psychologische Entwicklung
sowohl im Aufbau der Handlung wie in der Zeichnung der
Charaktere fehlt. Da der Eindruck, den die Rodomontade
macht, ein durchaus komischer ist, verdient sie überhaupt
nicht den Namen Tragödie. Eher wäre man versucht, sie
für die Parodie einiger der Ariost'schen Heldengestalten
anzusehen.
Nur wenige Forscher haben sich mit diesem Stücke be-
schäftigt. Die Brüder Parfaict tadeln vor allem die
Rodomontade.^) Goujet nennt La Eodomontade und La
mort de Roger Stücke, welche die Aufmerksamkeit des Lesers
nur in geringem Maße verdienten.*) Nach Mouhy ist die
erstgenannte «wwc tragidie on ne peiit pas plus fotble».^) Bei
Michaud endlich heißt es von Ch. Bauter: <Il prend knom
de M^liglosse — c'esi ä dire langn^ de niiel, qui ne hii convenaii
guere ; rar sa versification est ires dure,y^) Wir können den
absprechenden Urteilen, welche wir soeben angeführt haben^
nur beistimmen.
Trotz ihrer Minderwertigkeit erlebte die Rodomontade
mehrere Auflagen. Bereits 1613'^) erschien die zweite zu
') Hist. d. Th. fr., Bd. IV, 75.
») Bibl, Bd. XV, 104.
') Tablettes, S. JS04.
*) Biogr. univ., Bd. III, 317.
^) Leris, Dlct, S. 387: »fort rare et peu connue». Dasselbe sagt
— 141 —
Ronen, welche nach Brunet einige Veränderung aufweist und
Ton der nur mehr wenige Exemplare existieren ; zwei weitere
Auflagen erschienen 1619 und 1620 zu Troyes.^)
Das nächste Stück, welches uns beschäftigt, ist die Bra-
damante La Calprenede's, welche 1637, also ein Jahr
nach Corneille's „Cid", im Drucke erschien^), nicht 1636,
wie Goujet fälschlicherweise angibt.^) La Calpren^de ist
eigentlich nur als Romanschriftsteller in der Literatur be-
kannt, doch ist seine Tätigkeit als Dramatiker nahezu ebenso
umfangreich.
Geboren in der Gascogne, trat er frühzeitig in ein Pariser
Garderegiment ein mit dem Manuskript des Mithridate in der
Tasche, welcher im nämlichen Jahre wie die BradamaDte ge-
druckt und aufgeführt wurde. Auf diese beiden Stücke folgen
Moahy, Ahr.y Bd. J, 419] Anecd. dram., Bd. 11^ 141 \ Brunet, Man. du
Libr., Bd. III, 1690.
») Parfaict, Eist, Bd. IV, S8; La Valliöre, Bihl d. Th. fr.,
Bd. 7, 365; Beauchamps, Beck., 2. Teil, S. 73; Brunet, Man.,
Bd. IIL 1590.
•) Wie beliebt die Fortsetzungen des Orl. für., in denen die Schick-
sale der Ariosf sehen Helden meist in grotesker Weise weiter erzählt
werden, in Frankreich waren, beweist der Umstand, doji noch zwei Tra-
gödien diesen Stoff behandeln. Wir haben aus dem JaJire 1625 *La mort
de Roger» und *La mort de Bradamante, trägstes tiries de la suite de
VArioste» {s. Parf., Eist, Bd. IV, 77; Beauchamps, Rech., 2. Teil^
S. 97; La Vallifere, Mbl, Bd. I, 365: L6ris, Biet, S. 88). Beide
Stücke erschienen in der Sammlung «Le Thiätre frangois», Paris, G. Loyson,
1623 f bzw. 1625. 5®. Von der »Mort de Bradamante» erschien übrigens,
nach Parfaict, Eist, (ibd.), bereits 1622 eine Sonderausgabe {s. auch
Leris, Dict., S. 88).
») Bibl. fr. XVIII, 226, ebenso Löris {Dict. 88); Lucas, Eist.,
Bd. III, 280. — Das Datum 1637 geben an: Beauchamps {Rech.,
2. Teil, S. 171); Parfaict {Eist, Bd. V, 217); Mouhy {Tahl. h 30-,
Abr., Bd. I, 70); Niceron {Mem., Bd. XXXVIl, 235 u. 243); La
Porte et Chamfort {Dict, Bd. III, 562); Michaud {Biogr. univ.,
Bd. IV, 428); Didot {Biogr. gSn., Bd. XXVIII, 447); Vapereau
{Dict. univ., S. 1151); La Grande Encycl, Bd. XXI, 705, woselbst Aus-
führlicheres über sein Leben nachzulesen ist. Auch sei hier noch auf
Xörting {Gesch. d. frz. Romans, I. 245) hingewiesen, der aus den oft
höchst dramatisch geschriebenen Romanen schliefit, daß La Calpr.^s Dramen
„relativ wertvoll** seien.
— 142 —
noch sieben weitere, meist historischen Inhalts, welche sich
bei Beauchamps verzeichnet finden.^)
Folgendes ist kurz der Inhalt der Bradamante. *)
Akt I: Roger wird von Leon gebeten, den Zweikampf
mit Bradamante für ihn und in seiner Eüstung auszufechten ;
vergebens sträubt sich der unglückliche Held dagegen, doch
die Bitten des Griechen sind so eindringlich, die Dankesschuld
dünkt Roger so groß, daß er schließlich zusagt, nicht ohne
seine eigene Tapferkeit zu verwünschen, die ihm ein so ver-
hängnisvolles Geschenk geworden sei. Bradamante, welche
ihren geliebten Roger weit in der Ferne glaubt, wünscht
seine Ankunft dringend herbei, um sie aus der drohenden
Gefahr zu befreien, im Kampfe gegen den Griechenjüngling
zu unterliegen. Denn die Stunde des Kampfes ist bereits
nahe, und Karl läßt sich trotz der Bitten Marphise's und
Leon's, welch' letzterer aus aufrichtiger Liebe zu Bradamante
vom Kampfe zurückschreckt, nicht bewegen, im letzten Augen-
blick den Zweikampf zu verbieten. Der Akt schließt mit
einem Dialoge zwischen Aymon und Marphise, in dessen Ver-
laufe der Vater Bradamante's das kühne Amazonenmädchen
wegen ihrer Parteinahme für Roger mit scharfen Worten tadelt.
Akt II: Zwei Monologe eröffnen diesen Akt; in dem
einen sucht Leon seinen Betrug, Roger an seiner Statt in
%den Kampf zu schicken, zu rechtfertigen, indem er darauf
hinweist, daß seine Liebe zur Gegnerin während desselben
ihn verwirren möchte; in dem anderen Monologe überlegt
Roger vergeblich, wie er seiner ihn nicht kennenden Geliebten
im Kampfe gegenübertreten solle; die Bradamante besiegen,
heißt für ihn, sie verlieren, sich von ihr besiegen lassen, ist
gleichbedeutend mit Treubruch an dem Freunde. Nachdem
Aymon noch einmal den Versuch gemacht hat, seine Tochter
vom Kampfe abzuhalten und Leon's Hand ohne Kampfes-
bedingung anzunehmen, beginnt der Zweikampf; lange hält
1) Recherches, 2. Teil, S, 125 f.
*) Benutztes Exemplar: La Bradamante^ Tragicomediey A Part»,
1637, 4^, Das Friv. ist ausgestellt am 7. Febr.'1637, während das des
Mithridate bereits das Datum des SO, Sept 1636 trägt
— 143 —
sich Roger in der Verteidigung; als aber Bradamante einen
Augenblick zurückweicht, drängt er ihr nach, entreißt ihr den
Degen, so daß sie sich für besiegt erklären muß.
Akt III : Während Bradamante trostlos über ihre Nieder-
läge ist und sich weder von ihrem Bruder Renaud noch von
ihrer Freundin Marphise freudig stimmen läßt, wird auch
Roger seines Sieges nicht einen Augenblick froh, sondern
klagt laut das Schicksal an. Schon will Karl dem Gnechen-
fürsten, der ja als Sieger gilt, den köstlichen Preis, die Hand
Bradamante's, zuerkennen, als Renaud und Marphise, zum
größten Arger des alten Aymon, den königlichen Richter
bewegen, Leon nur dann den Preis zu gewähren, wenn er
noch mit Roger, dem heimlichen Verlobten Bradamante's,
kämpfe.
Akt IV: Leon, der feige Orientale, welcher auch dies-
mal nicht in die Schranken des Kampfplatzes zu treten wagt,
sucht seinen Helfer auf; er findet ihn in tiefster Traurigkeit,
deren Grund zu erfahren ihm auch gelingt. Nun will
Leon zeigen, daß auch er edel sein kann und verzichtet auf
weitere Bewerbung um die schöne Tochter Aymon's.
Akt V : Beide gehen nun an den Hof, an welchem man
schon glaubt, der Grieche habe die Flucht ergriffen. Sie
enthüllen nun, wer der eigentliche Sieger im Kampfe gewesen
ist; da gleichzeitig bulgarische Gesandte dem Roger, der
ihr Volk so ritterlich in der Schlacht von Noyengardes unter-
stützt hatte, die königliche Krone anbieten, steht einer end-
gültigen Verlobung der beiden Liebenden auch von Seite des
ehrgeizigen Aymon kein Hindernis mehr im Wege.
Der Gang der Handlung ist nahezu ganz derselbe wie
bei Ariost. Die wenigen Punkte, in denen er von seiner
Quelle abweicht, sind folgende: Der französische Dichter
drängt die ganze Handlung in den Zeitraum eines Tages zu-
sammen, um die Einheit der Zeit zu retten, während bei Ariost,
wie wir früher gesehen haben, eine viel längere Zeit ange-
geben ist. Auch die Beobachtung der Ortseinheit zwingt den
dramatischen Dichter, vom Epos abzuweichen, wo verschiedene
Schauplätze (Leon's Heimat, Bradamante's Wohnung, die
Kaiserpfalz, die Wildnis etc.) anzunehmen sind. Von den
— 144 —
PersoneD, die im OrL für. auftreten, Termissen wir bei La
Calpren^de Aymon's Frau, Beatrix, wogegen La Calprendde
eine neue Rolle in Zenon, dem „Freunde" (Vertrauten!)
Leon's, schafft.
Femer ließ der französische Dichter mit richtigem Ge-
fühle die Zauberin Melisse aus seiner Tragödie fort, indem
er Leon nicht durch die Führung Melisse's, sondern auf
eigenen Antrieb den Ort besuchen läßt, wo Roger sich
aufhält:
«Je me sens inspire de visiter ce boü*
(Akt IV, Sz. 3, S. 85).
Endlich erscheint bei La Calpren^de in der Schlußszene
die glückliche Bradamante auf der Bühne, während sie bei
Ariost in der stillen Kammer Freudentränen vergießt {Orl
für., C. XLVI, St. 65).
Was die Charaktere der einzelnen Personen betrifft, so
leiden sie an demselben Fehler, wie die Gamier's ; sie sprechen
zu viel, und handeln zu wenig; entweder sind sie ohne jede
Elntwicklung, oder, wenn sie ihren Sinn ändern, gibt der
Dichter kein hinreichendes Motiv an (z. B. im Falle Leon's);
während Gamier's Helden immer noch eine gewisse Rau-
heit und unbeholfene Naivität an sich haben, fehlt den Ge-
stalten im Stücke La Calprendde's auch diese, bei Ariost
so scharf hervortretende Eigenschaft. Roger und Leon denken
zu viel, sprechen zu viel in Antithesen, als hätten sie die
Logik des Aristoteles im Kopfe. Man merkt, daß der
Verfasser des Stückes den Cid kannte, wo ähnliche innere
Konflikte auf der Bühne analysiert werden. La Calpren^de
scheint überhaupt nicht die Absicht gehabt zu haben, einiger-
maßen historisch getreue Charaktere zu schaffen, sondern
er wollte ein ganz modernes Stück schreiben mit Franzosen
des 17. Jahrhunderts auf der Bühne. Darum macht er Kaiser
Karl zum „König". Roger ist bei ihm das Vorbild eines ga-
lanten Hofmannes; gleich bei seinem ersten Auftreten am
Hofe sagt er dem Könige und seinem Gefolge die plattesten
Schmeicheleien (Akt I, Sz. 6, S. 24). Die Bradamante La
Calprendde's ergeht sich in herben Vorwürfen gegen ihren
Geliebten den sie wiederholt des Treubruchs beschuldigt;
— 146 —
trotzdem erklärt sie, ihn noch zu lieben; wir sehen in ihr
das leidenschaftliche Weib, leidenschaftlich im Zorne und in
der Liebe. Vgl. z. B. Akt I, 3, S. 27 :
€M(m cceur ne retient plus la douleur qm te presse
II est vray ee perfide a f misse sa protnesse,
Uingrai a viole sa foy.
11 7i*a paint de regret de tavoir dilaisseey
Et ne se souvient plus de toy
Qiwiqu*il vive dans ta pens6e.
Quel esprit prevayant eust recoynu la faute
Des sermenis qiüÜ nie fit d'tine amitU si sainele,
Et de tant de fidelitS ?
Que feiisse creu faillir contre mcm grand eourage,
De saupconner de UwhetSy
Ses discours et son beau visage.>
In diesem Tone schmäht sie den abwesenden Koger den
ganzen ersten Teil des Stückes hindurch. Wieviel edler
spricht doch die Bradamante des Ariost von ihrem fernen
Geliebten ! Zwar fürchtet auch sie dann und wann, er könnte
sie vergessen haben, aber gleich fassen wieder Hoffnung und
Zuversicht in ihrem Herzen Platz:
tNuovo pensier cKa qwesto poi succede,
he dipinge Ruggier pie?io di fede,*
(C. XLV, st 29.)
Wie bei Grarnier, so hat auch in diesem Stücke der alte
Aymon einen Stich ins Derbkomische. So sagt er z. B. in
der 3. Szene des 2. Aktes (S. 29) zu seiner «igenen Tochter :
«Fa, iygresse, va monstre, horreur de la nature,
VeuiUe le Oiel sur toy venger ta propre injure
Et pour te faire voir son pouvoir absolu,
Te perdre en ce combat, puüque tu Vas votdu.y ^)
Doch als er seine Tochter am Kampfplatze erscheinen
sieht, vergißt er seinen Groll und ruft in gerechtem Vater-
stolze aus:
*) Vgl Akt J, 7, 8. 19, die Worte, welche er an Marphise richtet,
femer Akt II, 5, S. 32, wo Aymon seinen Sohn Benaud zurechtweist
Httncbener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIV. 10
— 146 —
€ Cetie ßrocüe pleine de tant d'andace,
Qui mesme sous Varmtt se remarque en sa face,
Ce pori majeatueux et doux egakment
Paroist en mesme temps redoutable et charmant, f>
(Akt n, 4, S. 31.)
Im Stile und im sprachlichen Ausdrucke ist das Stück La
CalpreD^de's yoUständig unabhängig von seiner stofflichen
QueUe ; die vielen bei Ariost und bei G-amier vorkommenden
Vergleiche sind hier verschwunden bis auf einen, der dem
Orl. für. entlehnt zu sein scheint:
tEt le sang qui ruisseUe en miUe et miUe lieux.*
(Akt V, 2, S. 92.)
Vergleiche damit OrL für. (C. XLIV, st, 87):
tE ü sangue, come un rio^ corre aUa volle. t^
Die Frdres Parfaict meinen, daß der Verfasser seinen
Vorgänger Garnier nachgeahmt habe ^) ; es kann das höchstens
für die Charakterzeichnung Aymon's gelten ; im übrigen schließt
er sich, wie wir gesehen haben, ausschließlich an die italienische
Quelle an.
Wollen wir ein kurzes Urteil über die Bradamante La
Calprenöde's fällen, so müssen wir vor allem von einer Ver-
gleichung mit der Bradamante-Episode im ital. Epos absehen;
wir dürfen die Ariost'schen Helden nicht mit den höfischen
Gestalten La Calpren^de's in Zusammenhang bringen. Unter
dieser Bedingung aber ist dem Stücke ein gewisser Wert nicht
abzusprechen : psychologische Vertiefung einzelner Charaktere,
spannender Gang der Handlung und leicht dahinfließende
Sprache sind die Hauptvorzüge des Stückes.
Die wenigen Kritiker, welche das Werk erwähnen, scheinen
unsere Meinung über dessen Wert nicht zu teilen. So nennen
es die Fröres Parfaict das schwächste Stück des Dichters
in bezug auf den Aufbau, die Versifikation und die Charaktere.-)
^) Hist., Bd. y, 217.
') Hist., Bd. Vj 217: «De toutes les pieces de M. de la CatprenMe,
voici la plus faible pour la conduite^ et la versification, et niUle noblesse
dans la peinture des caractlres de ses personnagea, On y trouve meme des
8ccn4^8 qui frisent les discours des petits bourgeois.»
— 147 —
Mouhy gibt ihm die Epitheta tmediocte et mal dialogide>.^)
Ahnlich arteilt Fifteau darüber, wenn er sagt: tBradamanie
est une des plus faibles pieces de PAuteur ä tous les points de
nie, n'ayant rien de r6uss%: ni VintrigtAej ni les vers, ni les carac-
teresj ni le ton qui rCest celui d'une comedie bourgeaise,*^)
Es scheint, als ob die Bradamante La CalpreD^de's
eine Zeitlang dem bekannten Festarrangeur Ludwig XIY.,
dem Herzog von Saint-Aignan zugeschrieben worden sei;
wenigstens finden sich diesbezügliche Bemerkungen bei Be au-
ch am ps^) und Groujet;^) der Irrtum kam wohl daher,
daß La Calpren^de's Tragödie anonym erschien und daß
Saint-Aignan, allerdings 27 Jahre später (1664), eine
Bradamanie ridicule schrieb, die jedoch nicht gedruckt wurde.
Zu den Stücken, welche ebenfalls die Bradamante-Episode
behandeln, gehören auch <Les amaurs d^Angelique et de Medory
von Gabriel Gilbert '^), obwohl der Titel eher eine Nach-
ahmung der später zu besprechenden Roland-Episode ver-
muten ließe. Das Stück erschien im Drucke 1664.®) In der
*) Tablettes, Bd. i, 30.
-) Hist, S. 139. Pifteau^s Urteil scheint ein Plagiat dei' Er,
Farfaict zu sein,
*) Beck., 2. Teil, S. l')3: •Ceite piece, suivant M. d. C, est dauteuse
entre lui et le duc de Saint-Aignan.*
*) Bihl fr., Bd. XVIII, 226: *LAhU de Maroües, dans son De-
nombrefnent d^ Auteurs, attrihue ä Fr. de Beauvilliers, duc de Saint-Aignan,
une pUce de Theätre intitulee Bradamante, et M. VAhbe d-Qlivet dit qu'il
y eut en effet une Tragi-Comedie sous ce titre, imprimie sans nom d^Auteur
en 1637. Les Ecrivains de VHist. du Tk. fr. (Parfaict) ne la nomment
point; ils ne parlent que de la Tragi-Comedie de Bradamante, du Sieur
de la Calprenede qui est de 1636.» Die beiden Stücke von 1637 u. 1636
sind identisch, da ja, ioie wir bereits bemerkt, La Calprenede^s »Brada^
mantei 1637 erschien.
*j Das benützte Exemplar [s. Bibliogr.) befindet sich in der Bibl.
nat. zu Paris (Y. Th. 806).
•) Alle von uns zu Rate gezogenen Forsclier führen dieses Datum
an: Fr. Parfaict (Eist IX, 247); Beauch. {Rech., 2. Teil, S. 169);
Leris (Dict, S.33); ha W fiUiere {Bibl, Bd, IIL 17); Anecd. dram.
{Bd. I, 65); La Porte et Chamfort (Dict. I, 87), die auch eine
kurze Inhaltsangabe des Stückes bringen; Didot (Biogr. gen., Bd. XX,
495); Brunei [Man., Bd. II, 1591); Vapereau {Dict un., S. 8S4);
Lucas, Bist III, 295. Nur Mouhy {Abr. I, 36; II, 170) gibt
10*
— 148 —
Vorrede sagt der Verfasser, daß es sein 16. Drama sei. Von
Gilbert wissen wir, daß er der reformierten Kirche angehörte
und im Dienste der Königin Christine ron Schweden stand;
nachGoujet nahm er (vor 1657) einen längeren Aufenthalt
in Italien^); trotz seiner hohen Stellung als «iSecretaire des
co}mnatidement8T> bei der •Königin Christine und trotz seiner
fruchtbaren Schriftstellerei ^) waren seine Vermögensverhält-
nisse stets zerrüttet; er starb um 1680 in großer Armut in
einem fremden Hause.*)
Wir wollen nunmehr versuchen, die etwas verwickelte
Handlung der tAmours d'Angelique et de Medor» in kurzen
Zügen zu schildern.
Akt I: Arimand (mit seinem wahren Namen Medor),
erzählt seinem Vertrauten, daß er aus Liebe zu Angelika
ihres Vaters Reich vor Aufruhr geschützt habe und nun-
mehr schon seit sechs Monaten am französischen Hofe weile,
um stets in ihrer Nähe zu sein. Ein bevorstehendes Turnier,
für welches jede der Damen am Hofe einen ihr sympathischen
Ritter als Kämpen auszuwählen hat, soll dem verliebten
Arimand zeigen, ob seine Geliebte ihm wirklich zugetan
ist. Zu diesem Zwecke streut Alidor, der Vertraute Ari-
mand's, das Gerücht aus, Medor sei aus Spanien zurück-
gekehrt, und wolle sich als Ritter für Angelika anbieten und
so, laut Beschluß des Kaisers, deren Hand gewinnen. Da
das Datum 1644 an, was zxceifellos auf einen Druckfehler zurückzu-
führen ist.
») Bihl fr., Bd. XYIII, 87. — ö. Hartroann scheint Gottjef»
Angaben nicht zu berücksichtigen («. Hartm.^ Mirope, 8. 15); vgl.
Kntik d, Arbeit v. Stiefel {Zßp. 1893, Bd. XV, S. 43 ff.). - Auf
Goujet stützen sich Haag, La Fr. prot, Bd. 7, 266^267; La Gr.
Enc, Bd. XVIIl 930.
«) Nach Goujet {Bibl. fr, Bd. XVIIT, 86) ist er der Verfasser
von 5 Tragödien, 4 Tragikomödien, 2 Schäferdramen n. 1 Komödie;
aufierdem schrieb er noch einige lyrische Sachen, Goujefs Angaben
können nicht richtig sein, da ja Gilbert seine Tragikomödie AngSlique
et Medor bereits das 16. Stück nennt. Beauchaxnps behauptet, die
anderen Stücke seien unbekannt {Rech. II, 168). Auch Brunei {Man.,
Bd. II, 1591) führt nur die von Goujet erwähnten Stücke an. Detnnach
scheinen die fehlenden bis jetzt nicht bekannt zu sein.
') Beauchamps, Rech. II, 170.
^ 149 —
aber Angelika befürchtet, Medor möchte zu spät erscheinen,
bittet sie Arimand, den eie wegen seines opferwilligen DieDst*
eifers heimlich liebt, an Stelle jenes Ritters fUr eie in die
Schranken zu treten.
Akt II : Nachdem Angelika erzählt hat, daß sie Medot
Liebe schulde, weil er sie von den verderbbringenden Klaueu
einer Bärin gerettet habe, erhält sie den Besuch dreier
„Freundinnen^^ deren Namen uns gut bekannt sind, nämlich
von Marphise, Isabelle und Bradamante; dank ihrem weibn
liehen Scharfsinne entdecken sie bald, daß Angelika eine
stille Neigung für den schönen Arimand hegt, die dieser
nicht unerwidert läßt und da nun jede von ihnen gleichfalls
in Liebe zu dem Jüngling entbrannt ist und den Wunsch hegt,
er möchte ihr Kämpfer im Turniere sein, so verleumden
sie ihre „Freundin^ in ganz schändlicher Weise und bieten
sich gegenseitig deren Verehrer als „Tnmierdamen^ an; alf
Arimand zum Kaiser befohlen wird, fallen die drei Frauen
über Angelika her und schleudern ihr die unsinnigsten Ver-
dächtigungen ins Gesicht.
Akt ni: Boland, Eenaud und Roger versuchen von
Arimand zu erfahren, ob er Angelika's Liebe sicher sei und
ob er für sie im Turniere kämpfen werde. Da aber ihr Be-
mühen fruchtlos bleibt, bietet sich jeder von ihnen dem
Mädchen als Ritter im Zweikampfe an und erzählt dabei mit
den größten Übertreibungen seine Heldentaten ^ während
jeder den Medor, der ja als Verlobter Angelika's gilt, ver-
leumdet.
Akt IV : Nun bringen Marphise, Bradamante und Isabellä
der Angelika die Nachricht von Medor's Ankunft am Hofe,
nicht ohne ihr dabei einige grobe Beleidigungen zu sagen;
Angelika ist jedoch keineswegs über diese Nachricht erfreut,
da sie bereits Arimand mehr zu lieben glaubt als Medor,
und als ersterer, um sie auf die Probe zu stellen, ihr die
Mitteilung macht, daß Medor schon seit einem halben Jahre
am Hofe weile, da erschrickt sie so sehr, daß Arimand nun-
mehr der Liebe Angelikas sicher ist.
Akt V: Nachdem Angelika in einigen Stanzen ihr
Liebesleid geklagt hat, das eigentlich nur in der Ungewißheit
— 150 —
besteht, ob sie ihr Herz Arimand oder Medor zuwenden soll,
will sie durch Melinde, ihre Vertraute, die Gewißheit er-
langen, ob Medor zum eben begonnenen Kampfe erschienen
sei ; man teilt ihr statt dessen mit, daß er im letzten Jahre
in ihres Vaters Reiche die Dynastie gerettet und sie in
ihrer Abwesenheit auf den Thron erhoben habe. Schon hat
sie den Entschluß gefaßt, dorthin zurückzukehren und mit
Medor den Thron zu teilen, als Arimand, der eben im
Turniere an Stelle Medor's siegreich kämpft, vor seine Gre-
liebte tritt und sich ihr als Medor zu erkennen gibt. Als
Beweis, daß er wirklich Medor ist, zeigt er ihr die Schärpe,
die sie einst beim Angri£F des Bären hat fallen lassen. Angelika
bietet ihm als Lohn seiner treuen Liebe Herz und Thron an.
Das Stück endet mit einer Lobrede Medor's auf Karl den
Großen, welche wohl als eine Verherrlichung Ludwigs XIV.
angesehen werden muß:
*Maü allons rendre gräce au Hiros des Fran^ois
Le plus sage morkl et le plus grand des Rois
Qui se fait renommer en paix, aussi quCen guerre,
Qui vient de partaget' fempire de la terre,
Dont la rare vertu brille de iotäes partSj
Et mesle nvec les L/ys PAigle en ses etendarts.r
(Akt V. 8, S. 70). 1)
Dieser Gang der Handlung zeigt, wie frei der Dichter
seine Quelle benützt hat. Er entlehnt der Bradamante-Epi-
sode die Idee des Zweikampfes, der Verkleidung des einen
der beiden Kämpfenden, der als Sieger aus dem Turnier
hervorgeht und die Hand der Geliebten erhält. Um diese
Grundidee des Stückes gruppieren sich Szenen von sekundärer
Bedeutung, welche teils auf den OrL für. zurückgehen, teils
eigene Erfindung des firanzösischen Dichters sind. Wenn
Angelika sich um den abwesenden Medor härmt, so hat Gilbert
offenbar Bradamante's Klagen um den fernen Boger im Auge;
ebenso, wenn Karl bei Gilbert bestimmt, daß Angelika den-
jenigen zum Gatten wählen müsse, der von ihr als Kämpe
im Turnier aufgestellt werde, falls er als Sieger aus dem
*) Da» Stück ist ohne Verszäklung.
— 151 —
Kampfe herrorgehe. Aber diese Szenen, in welchen die drei
Helden Roland, Benaud und Boger, und die drei Frauen-
gestalten Marphise, Isabelle und Bradamante auftreten, sind
nicht aus dem italienischen Epos genommen.
Zeugt schon die Art und Weise, wie Gilbert die Hand-
lung seines Stückes ummodelt, von einer großen Unabhängigkeit
des Dichters von der ital. Quelle, so tritt diese Freiheit noch
mehr herror, wenn wir uns die Charaktere näher ansehen.
Angelika (Bradamante bei Ariost) ist eine vollendete Intri-
gantin vom Anfang bis zum Schluß der Tragikomödie. Sie
kann Medor nicht vergessen, hängt aber auch an Arimand,
in dem sie ja nicht im entferntesten den Medor vermutet;
sie versucht nicht, diese aufkeimende Liebe zu ihrem Dienst-
knappen zu unterdrücken, sondern bedauert fast, daß Medor
immer noch in ihrer Seele lebendig ist:
tEt »i Medor rCestoit le Maistre de mon caur,
Arimant pourrait seid en esire le vainqueur.^
(Akt II, 1, S. 17).
Als sie dann erfährt, daß Medor am Hofe weilt, jubelt
sie nicht laut auf vor Glück, sondern seufzt und denkt, wie
herrlich doch Arimand sei, und gesteht es ihm offen:
< Ouy, je trouve dans vous un charme qui m^attirej
Je crains d^en dire trop, et n'en puls assex dire;
Vous pariagex 7non coeur avee voire rival:
Cest luy setU qui vous nuity luy seid votis est faial,
Apres ce quUl a fait, le sort veut que je tatpne;
Mais m^arracJiant ä vous je ni'arrache ä moy niesme
Pour finir nies ennuis et mon cruel tourmeni;
Que fixestes vous Medor,*
(Akt IV, 4, S. 53.)
Daß am Schlüsse des Stückes dieser im letzten Verse
geäußerte Wunsch ihr erfüllt wird, steht daher im krassesten
Widerspruch zur Gerechtigkeit, während dagegen die Brada-
mante Ariost's ihr Glück vollauf verdient. Medor (Bog er
im Orlando) hat mit diesem keine andere Ähnlichkeit, als
daß er für seine Geliebte den Zweikampf, allerdings nicht
auf Leben und Tod, wagt; ganz unverständlich an Medor ist
— 158 —
uns, daß er sich überhaupt verkleidet, nachdem er sich be*
reits von Angelika geliebt weiß. Die drei Helden Roland,
Kenaud, floger sind vom französischen Dichter frei erfund^i^);
sie sind das Abbild der Mehrzahl jener Bofleute zur Zeit
Gilbert's, die ihr Leben in galanten Abenteuern vertändeln.
Zuerst werben sie um Angelika; als diese sie zurückweist,
nehmen sie mit Bradamänte, Isabelle und Marphise vorlieb,
die geradezu Karikaturen der entsprechenden Gestalten bei
Ariost sind.
Direkte Anklänge an den italienischen Dichter lassen
sidi nur an zwei Stellen nachweisen, nämlich Akt I, 1 :
Apres le grand combat dont tu viens de parier ^
Des Sarrazins vainqueurs poursuivant la vicioire,
Tentre avec les fuyards dans une forest novre^
Je rn'tgare parini les pins et les q/prez;
Et seid dans un vallon delidevx et frais,
Je vois une Amazone au bord d'une foniaine
■ La visiere levee ei qui prenoii haieine.*
Man vergleiche damit die wundervolle Beschreibung dieser
Quelle bei Ariost (C. I, st. 37 und 38).
Die zweite Stelle lautet:
«De ces adroits Guerriers les deux lan^s rompues
Chi en voit les eclats voler jusques aux nues,
Et chaciin fi'en a que le troncon,
Vun et Vautre pourtant est fenne sur Pardon,*
(Akt V, 7.)
Das Vorbild hierzu ist im Orl. für. zu finden (C. XL VI,
St. 115):
<Le lance alV incontrar parver di geh,
I tronchi, augelli a salir vei^so il cielo.9
*) Roland's Charakter erinnert auffällig an den typischen Mtitf
oriosns. Vgl. Akt /V, o, S. 55:
*Fh\ist au Ciel qWil etist fait un si hardi deesein
La peur en me voyant lui glaceroit le sein.»
Ferner Akt K, 7, S. 68:
*Il (= Rot) murmure, il eclate, il devient furieux,
Et 8ort en m€nai!ant et la terre et les Cieux.»
— 153 —
Im ganzen betrachtet scheinen uns Les amours d^Ange».
lique ei de Medor die Übergangsstafe zu den Parodien Ariosti^
scher Gestalten und Episoden zu sein; einen künstlerischen
oder ästhetischen Wert können wir dem Stück nicht zusprechen.
Die Brüder Parfaict geben von Gilberts Werken eine
kurze Oharakteristik, welche neben den vielen Fehlem zwei
Vorzüge hervorhebt, nämlich glückliche Situationen und einen
leichten Versbau.^) Doch können wir ihnen nicht beistimmen,
wenn sie behaupten, daß, mit Ausnahme der Mamen, Gilbert
der Erfinder des Stoffes und der Charaktere sei. ^) L^ris
nennt die Amours d^Angelique et de Medor ein sehr schlechtes
Stück ^); dasselbe Urteil fallt Mo uhy^): Medor ist nach ihm
ein Geck, Angelika eine Preziöse, Roland endlich ein roher
Mensch. In der Grande Encyclopedie wird ein Urteil
Chapelain's über unseren Dichter zitiert, welches wir hier
wieder geben: <C*est un esprit däicat, duquel on a des odesy
de petits poemes et plwfi&itrs picces de tkSäire pleines de con*
lersation*.^) Chapelains lobende Oharakteristik hält uns nicht
ab, unserem Stücke jeden Wert abzuerkennen.
In demselben Jahre, in dem Gilb er t^s Angelique ei Medor
erschien, wurde im Palais Royal eine Bradamante ridimik^)
aufgeführt, deren Verfasserschaft, wie schon oben erwähnt,
dem Herzog von Saint- Aign an zugeschrieben wird. Leider
ist das Stück nicht im Drucke erschienen, doch läßt sich aus
seinem Titel der Schluß ziehen, daß wir es mit einer Parodie zu
tun haben. Da Gilbert's Tragikomödie nahezu eine Parodie
') Hist.^ Bd. Vy 119: *L€S pi^cte ipke cet auieur donna au theätre
ne 8ont pas bonnes] mais ä travers les defauts ellee 8<mt remplies de
sittiotions heureuses et, dans toutes, la versification est aisee.»
' *) Hist., Bd, IX, 247 : »A Vexception des noms des Acteurs, qui aont
dans le Foeme de VArioste, if. Gilbert est absolument inveiiteur de la
fable^ de la conduite et des caracteres de ses Fersontiages.*
») Biet, S. 26,
*) Tabl, Bd, /, :^0 u. Abr., Bd. /, 36. — M. kopiert wörtlich diese
Stelle atis der Gesch. der Brüder Parfaict.
>) Bd. XVIIl 93(ß.
•) Erwähnt bei Beauchamps, Rech., 2. Teil, S. 153; Lerie,
Dict, S. 88; Lucas, Bist, Bd. III, 295, welcher das Stück einem
unbekannten Verfasser zuschreibt.
— 154 —
genannt werden kann, ist es naheliegend anzunehmen, daß eines
der beiden Werke das andere veranlaßt oder beeinflußt hat.
Der Versuch, die Bradamauteepisode in ein ernstes Drama
umzuarbeiten, wurde auch Ton Thomas Corneille ge-
macht.^) Seine Bradamanie wurde 1696 gedruckt^), ruhte
aber bereits seit mehr denn 15 Jahren als Manuskript unter
den Papieren des Dichters.^) Nach Reynier erlebte das
Stück zwölf Aufführungen.^) Da Beynier, der sonst die
meisten Dramen Corneille's analysiert und bespricht, für
dieses Stück nur ein paar Zeilen vernichtender Kritik hat,
wollen wir hier zum erstenmal eine kurze Analyse desselben
geben.*)
Akt I : Leon, der schon lange am Hofe Karl's um Brada-
mante's Hand geworben hat, will von ihr endlich eine definitive
Antwort haben. Doralice, die Vertraute Bradamante's, welche
die Bewerbung des Griechenfürsten begünstigt, sucht Boger
bei ihrer Herrin zu verdächtigen, weil er sich jetzt, wo alle
Welt weiß, daß Leon um Bradamante wirbt, verborgen halte.
Obwohl nun diese dem unangenehmen Freier die Bitte abschlägt,
ihm ohne vorausgegangenen Kampf die Hand zu reichen, glaubt
Boger's Schwester Marphise dennoch, daß Bradamante im
^) Eine äußerst reichhaltige Biographie des Dichters findet sich in
Reynier's Th, Corneille (S. Iff,), Siehe femer Michaod, Biogr. geti.,
Bd. IX, 233: Didot, Biogr. univ., Bd. XI, 876; La Gr. Enc., Bd. XII,
997). Unser Baum erlaubt U7is nicht^ eine Schilderung seines Lebensganges
zu geben.
■) Siehe unsere Bibliographie ^ S. X.
*) Der Dichtet' selbst sagt hierüber in der Vorrede: *Ily aplus de
quinze ans que cette pi^ce auroit jfxiru au Theatre^ si je n'eusse pas ap-
preliendi que la reputation de VArioste, tout fameux quHl est, n^eustpas
este d^un assez grand poids, pour autoriser Vincident sur lequel tonte
Vecanomie en est fondie», eic.
*) Thomas Com., S. 367. — Die erste Aufführung fand 1695 statt. —
Doch scheinen die Aufführungen enttäuscht zu haben, da Beauch.
(Rech., 2. Teil, S. 199) sagt, das Stück fiabe nicht den Erfolg gehabt, den
es verdiente.
*) L. Geiger (Xation, X, 769) sagt von Reynier's Arbeit, Bie sei
sehr gelehrt und fleifiig, aber der Dichter werde darin sehr nüchtern
und kühl beurteilt; wir können uns dieser Kritik von L. Geiger nur an-
schliefkn.
— 155 —
Grunde ihren Verlobten längst vergessen habe und sich des-
halb im Zweikampfe freiwillig von Leon besiegen lassen werde.
Akt II: Inzwischen ist aber Roger aus der Fremde
zurückgekehrt; er erzählt seiner Schwester all die Abenteuer, die
er bei dem Bulgarenyolke bestanden hat, seine Rettung, dann
das edelmütige Eintreten Leons und seine weiteren Irrfahrten.
Er läßt sich von Marphise nichtirre machen in seinem Glauben,
daß Bradamante den unkriegerischen Griechen besiegen werde.
Bevor jedoch der Zweikampf stattfindet, eilt Leon zu seinem
Freunde Roger, dessen wahren Namen er nicht kennt, und bittet
ihn, an seiner Stelle in die Schranken des Kampfplatzes zu
treten, was jener auch nach einigem Sträuben zu tun sich
bereit erklärt.
Akt UI: Der Kampf hat eben zugunsten Leon's ge-
endet. Bradamante beschönigt Roger gegenüber ihre Nieder-
lage nicht, erklärt aber, als dieser Mißtrauen zu hegen scheint,
voll Zorn, daß sie Leon's stürmischer Bewerbung nachgeben
werde, wenn Roger an ihrer Liebe zweifle. Marphise glaubt
natürlich fest, daß Bradamante sich freiwillig besiegen ließ
und überredet ihren Bruder, dagegen Einspruch zu erheben.
Akt IV: Roger macht sich inzwischen auf, Leon zu
suchen, entdeckt ihm seinen wahren Namen und erzählt ihm,
wie er mit Aymon's Tochter schon lange heimlich verlobt
sei; während die kriegerische Marphise den Zerstörer des
Glückes ihres Bruders zum Zweikampfe herausfordert, falls
er noch Ansprüche auf Bradamante mache.
Akt V: Auch Bradamante tut das Äußerste, um Leon
zu bewegen, nicht von seinem durch den Sieg erlangten Rechte
Gebrauch zu machen, so daß dieser, nachdem er noch eine
Zeitlang hartnäckig darauf bestanden hat, plötzlich auf Brada-
mante's Hand verzichtet, welche nun der glückliche Roger
erhält. Letzterer erklärt noch zum Schlüsse seiner Geliebten,
daß auch er der Braut eine Krone ^) anbieten könne:
tSi V0U8 dautez encor de man amour eocireme,
MadaniCj venez voir avec eombien d'ardeur
Je joins um Couronne ä Voffre de mon cosur.>
(Akt V, 5, S. 74).
') Er meint natürlich die Krone Bulgariens.
— 166 —
Die Handlung schlieBt sich der Hauptsache nach an die
betreffende Episode im Orl,,fur. an; Aoger wird tob Leon,
der seinen wahren Namen nicht kennt, aufgefordert, gegen
seine eigene Geliebte zu kämpfen, die er durch seinen Sieg ver-
liert, wenn nicht Leon im letzten Augenblick auf sie Verzicht
leistet, um diese Grundidee jedoch gruppieren sich mehrere
Nebenhandlungen untergeordneter Bedeutung, die eigene Zu-
taten des französischen Dichters sind ; andererseits läßt er eine
Reihe von Personen, die sich in seiner Quelle finden, ganz fort,
so z. B. das Elternpaar Bradamante's, und ihren Bruder
Benaud, was sehr zu bedauern ist; femer die Person des
Kaisers, endlich die bulgarische Gesandtschaft. Durch diese
Vereinfachung war es dem Dramatiker leichter, das Interesse
aussclüießlich auf die Hauptpersonen Roger und Bradamante
zu legen. Was Faguet bei Garnier tadelt, daß nämlich die
beiden Liebenden sich nie im Stücke treffen ^), hat Corneille
vermieden, dadurch aber die Wahrscheinlichkeit der ganzen
Handlung vermindert, da bei der mehrmaligen Zusammen-
kunft der Liebenden leicht ein Mittel hätte gefunden werden
können, um den Zweikampf überhaupt zu vermeiden. Außer:
dem tritt nicht klar hervor, warum denn Bradamante den
Geliebten nicht offen als ihren Bräutigam und zukünftigen
Gemahl bezeichnet. Die unglücklichste Änderung in der Tra-
gödie jedoch ist die Rolle Marphise's, welche die Intrigantin
zu spielen hat und Bradamante mit den niedrigsten Ver«
dächtigungen überhäuft. Auch hier fehlt das Motiv, welches
Marphise zu ihrem Argwohn veranlaßt, da diese ja von Brada-
mante in keiner Weise beleidigt wird.
Da der Schauplatz der Handlung nach den damals
geltenden Regeln ein einheitlicher sein muß, werden die in
Konstantinopel etc. spielenden Handlungen nach Paris an den
Hof des großen Karl verlegt ; die Zeit für dieselben ist eben-
falls, wie bei Garnier, auf 24 Stunden zusammengedrängt.
Die Charaktere sind alle von der idealen Höhe, auf die
sie die luftige Phantasie des italienischen Dichters stellte,
herabgesunken zum gewöhnlichen Niveau von Bühnenintri-
^) La trag, frang.^ S. 218,
— 1B7 —
ganten. Das Liebespaar ist von gegenseitigem MiBtraaen
erfüllt (vgl. Akt III, S. 2 u. 3), Marphise mißtraut der
Verlobten ihres Bruders^), Doralice verleumdet Roger,
den Bräntigam ihrer Herrin^); nur Leon wird uns vom
Dichter als ein Held geschildert, für den wir Bewunderung
hegen können. So legt er ihm gleich am Anfange des
Stückes (2. 8z. des 1. Aktes, S. 6) folgende stolze Worte in
den Mund:
« Vünnent tous ces Guerriers, dont la haute vaillance
A remply V Univers du renom de la France,
QiiHls m^osent dispiäer le nom de vostre Eponx,
Ferm€ et saus m^etonner^ je les aiiendray tous P>
Später (Akt II, 1, S. 22) schildert Th. Corneille diesen
Helden mit folgenden Worten :
cLeon est un Guerrier, qui fameux, redoutablef
Avant que de ceder sera de taut capahle.
Son amour sans espoir^ s^il ne triompfie pasy
En depit de luy-mesme aniinera son bras,>
Als endlich Leon am Schlüsse des Stückes Bradamante
die Mitteilung macht, daß nicht er, sondern Roger im Kampfe,
gesiegt habe, schließt er mit dem stolzen Verse :
*(7est ainsi que Leon se venge d^un Rwah,
(Akt V, 3, S. 70).
Stil und Sprechweise sind völlig unabhängig vom italieni-
schen Vorbild ; Comeille's Sprache ist die in den Dramen der
Bachklassizistischen Zeit übliche: ihr Vorbild sind Pierre
Corneille und Racine.
Nach dem eben Gesagten kann unser urteil über das
Stück nur ein ungünstiges sein: Die Veränderungen, die
Th. Corneille an seinem dem Ariost entlehnten Stoffe macht,
sind durchgehends als Verschlechterungen anzusehen; die
Charaktere aber, ob nun im Vergleiche zu denen im Orl, für.
oder für sich betrachtet, sind uninteressant, weil ihnen allen
>) Vgl. Akt 7, 4; A. IL 2; A. III, 4.
») Vgl. Akt I, 1.
— 158 —
der heldenhafte Zug fehlt, und weil wir von einer inneren
Entwicklung derselben nichts sehen könneD.
Nicht viel besser lauten die urteile anderer Forscher.
Die Brüder Parfaict, die den Dichter im allgemeinen sehr
günstig beurteilen ^), bezeichnen das Stück als verfehlt, haupt-
sächlich deswegen, weil der Stoff nicht interessant genug
sei.^) Dieser Grund mag gelten für die Zeit des nüchternen
18. Jahrhunderts, in welchem die Brüder Parfaict schreiben,
nicht aber für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts,
wo derlei romantische Stoffe immer noch als anziehend
erschienen. Leris meint, daß das Stück mehr Erfolg gehabt
hätte, wenn Th. Corneille sich nicht so eng an Ariost an-
gelehnt hätte, da Kämpfe zwischen Frauen und Männern
nicht mehr nach dem Geschmacke seien.') La Porte et
Cham fort werfen ihm vor, daß er Garnier benützt habe; das
Stück sei verfehlt wie alle anderen.*) Der erstere Vorwurf,
daß Garnier ein Vorbild Comeille's gewesen sei, ist entschieden
zurückzuweisen. Keine Spur vom Einflüsse dieses Dichters ist
in Corneille's Bradamante zu finden. Als das schwächste von
allen Stücken des Dichters bezeichnet es Mouhy in seinen
Tablettes. ^) La Harpe erwähnt zwar die Bradamante nicht,
charakterisiert aber Corneille's Tragödien ganz allgemein:
f On troure dans ses trag6die^ des heautis de- senthtientSy des situations
qui entratnent, un pathetique attendrissant, La ver»ificaiion en est
lache et sovient incorrecte,y>^) Michaud's Urteil schließt sich
nahezu wörtlich an die Kritik Beauchamps' und der Brüder
Parfaict an. Die Grande EncyclopSdie lobt die
Stücke Th. Corneille's wegen ihres kunstvollen Aufbaues,
tadelt aber den gekünstelten Stil; die „Bradamante" wird
') Hist, Bd. VIIl 344 ff.
*) Hist, Bd. XIII, 429 : ^La principale actian , . . est fondee sur
une yenh'osite romanesque^ qui ne peut interesser wi le cosur ni Vesprit
des gens senses.*
') IXct.y 8. 65. — Leris schreibt hier wörtlich das Urteil BeauchSs
aus [8. Rech,, 2. Teil, S. 199 \ •On reprocha ä Vauteur de s^etre trop
assujetti ä suivre VArioste»).
*) Dict, Bd. /, 183.
*) Tablettes, S. 39.
*: K'ours ie litt. I, 605.
— 169 —
direkt schlecht genannt. ^) Bernage, welcher in seiner Studie
über Garnier auch auf das Corneille'sche Stück zu sprechen
kommt, stellt es weit unter Garnier's Bradamante.^) Beynier
glaubt, daß Th. Corneille besser getan hätte, wenn er dieses
elende Machwerk überhaupt nicht veröffentlicht hätte, und er
fertigt dasselbe mit ein paar Zeilen ab.') Geiger end-
lich übt die denkbar schärfste Kritik an den Stücken des
jüngeren Corneille, indem er sagt: „Voll von Unmöglich-
keiten, angefüllt mit erlogenen Gefühlen, mit hochtrabenden
Bedensarten, ohne eine Spur von Charakterentwicklung; die
Mache ist fast in allen Stücken dieselbe ; der Held ein kühner
Kriegsmann, Verwandlung des Helden, Empörung und Stillung
des Aufstandes. Außer dem Helden die edelmütige Fürstin
der Inbegriff der Zärtlichkeit nach den Begeln des Pre-
ziosentums." *)
Vielleicht angeregt durch die Bradamante Comeille's,
schrieb der zu seinerzeit sehr berühmte Librettist Charles
Boy 1707 eine lyrische Tragödie Bradamante'^), welche von
dem weniger bekannten Komponisten Lacoste in Musik ge-
setzt wurde.*) Wir haben bereits weiter oben gesehen, daß
die französische Oper italienischen Ursi)rungs ist, daß jedoch
das französische Ballett eine gewisse Ähnlichkeit mit jener
hatte, indem beide mehr oder minder dekorative Zwecke ver-
folgten. Allmählich verbanden sich diese beiden Gattungen,
die ganz verschiedener Herkunft sind, und erfüllten vor allem
») Bd. XII. U97.
*) Etüde 8. R. Garnier, S. 184: *Ce n' est plus la Bradamante de
VArioBte, c'est une composition de faniaisie oü les noms seuh et quelques
incidents rappellent Vauteur original. Ce n'est plus Vaccent heroique, ou
les peintures de moeurs si comiques qui fönt le merite de Garnier. CPest
14» pele-mele de situatiotis forcles, de froides conversations qui otent ä
cette histoire tout son inttret et toute sa veriti. La piece de Garnier
est de beaueoup preferable.>>
») Th. Corneille, S. 297.
*) Th. Corneille, Nation, X, 770.
") ßoy lebte von 16S3 — 1764. Nähere Angaben über sein Leben
finden sich bei Mich au d {Biogr. univ., Bd. XXXVI, €66); Didot,
Nouv. Biogr. gen., Bd. XLII, 805 f.; La Or. Enc, Bd. XXYIII, 1100.
*) Clemeot u. Larousse {Dict. lyrique, S. 168) geben der Musik
von La Coste die Schuld an dem Mißerfolge der Bradamante,
— 160 ~
die Aufgabe, Auge und Ohr des Zuschauers zugleich zu er-
götzeu. Für den Librettisten erstand daher romehmlich die
Pflicht, einen Stoff zu finden und zu bearbeiten^ dem deko-
rative Seiten abzugewinnen waren, oder der biihnendekoratiTe
Einlagen gestattete, wie großartige Landschaftsbilder, über-
natüriiche Wesen, z. B. Geister, Kobolde, verzauberte Per*
sonen; femer Kämpfe und Tänze, Hochzeits- und Leichen-
züge. Götter und Helden, Fürsten und Schäfer, 2iauberer
und Feen waren unumgänglich notwendige Requisiten des
musikalischen Dramas. Der Schauplatz des letzteren durfte
nicht, wie in der klassizistischen Tragödie, das prunklose Ge-
mach eines königlichen Palastes oder, wie in der Komödie,
ein einfaches Familienhaus sein, sondern mitten in der Er-
habenheit und Majestät der jungfräulichen Natur; eine tiefe
Waldschlucht mit emporragenden Baumriesen und sprudelnden
Quellen, umschlossen von moosbehängten Felsenwänden, ein
malerisch lebendiger Seehafen mit der Musik des rauschenden
Wassers und dem Mastenwald im Hintergrund, ein Baum im
finstern, freudelosen Hades mit all seinen Schrecknissen, mit
Blitz und Donner und höllischen Spukgestalten — , das waren
die Szenen, in welche der Operndichter seine Handlung ver-
legte, und welche der Regisseur mit bewunderungswürdiger
Kunst vor den entzückten Augen des Publikums aufbaute. ^)
So wurde hier der Schwerpunkt, der in der Tragödie
auf Handlung und Charakteren beruhte, auf die Musik
und Dekoration hin verschoben^; wir dürfen deshalb bei
*) Vgl. Chouquet (Hist. de la mtuique dratnatique, S. 113) definiert
die Oper jener Zeit als eiiie *tragidie reposant sur une donnie de la
fahle ou fo^idee 9ur le merveilleux^ jeu des machineSj eclat pompettx du
spectacle et datiaeg introduites dans cMqtie acte». Eine ähnliche De-
finition der damaligen Oper gibt N ui 1 1 er (Les origines de Vop., S.XIIIf.\
wetm er sagt: « mele^' ä Vaction les divinith de la fable ou les fies
de VArioste; revetir les diciix et les heros^ les princes et les hergers
de panaches^ de broderies &e8t ce qu^on a appeli Vceuvrepar exceUence:
V Opera!»
*) Ähnlich M^fGodefroy {FoHes du ISe sUcle, S, 312 ff.): tVimr
portante questimi dans les opiras du 18 ^ siecle, c^etaient la musique^ les
danses, les chantSj la mise en scene^ les decorationSj les costumes^ les ma-
chines de tous genres qu'ils necessitent.»
— 161 —
der Beurteilung des Libretto nicht den Maßstab der Tra-
gödie anlegen^ da ja der Textdichter in erster Linie den An-
forderungen jener beiden Faktoren entgegenkommen mußte
Eine kurze Inhaltsangabe der Bradamante wird uns einen
Begriff von dem Gesagten geben.
Die Oper eröffnet mit einem Prolog, oder vielmehr einem
Yorspiel^ das vor dem in einem Walde gelegenen Z^auber-
schlösse Atblante's seinen Schauplatz hat. Der alte Zauberer
ist gerade im Begriffe, für seinen Liebling Roger unzerstörbare
Waffen zu schmieden, als Melisse ihn dabei überrascht imd
sein Vorhaben für unnötig erklärt, da sie selber Roger ihren
Schutz angedeihen lassen wolle. Auf einen Wink der beiden
Zaubergestalten verschwindet der Palast und Roger's Bild,
das auf der Bühne sichtbar ist, wird von vier Genien fort-
getragen.
Akt I: Bradamante wünscht sehnlichst ihren Geliebten
Boger herbei, da ihr „ehrgeiziger" Vater sie zur Ehe mit
Leon zwingen will; vergebens sucht Hippalque, ihre Ver-
traute, sie zu trösten. Plötzlich jedoch kommt Melisse im
Zauberwagen, von ihrem Spukgefolge begleitet, und ruft dem
unglücklichen Mädchen folgende Worte zu:
Bradamante, ce jour finira tes ahrmes,
A Vamant que tu crains, tu devras ton honheiir.
Pour un combat famenx prepare ta valeur ;
Le guetTi'er qiii pourra te vaincre par Ics armes.
Est le seid digne de ton ccnur . . .
(Akt I, 4, 8. 18.)
Dieses Orakel versetzt die so Angeredete in große Be-
stürzung, da sie weiß, daß heute noch ihr Zweikampf mit
Leon stattfinden wird.
Akt II und III: Leon und Roger haben ihre Fahrt von Kon-
stantinopel beendet und betreten eben den Hafen von Marseille,
der erstere voll Zuversicht auf den nahen Sieg, den Roger
an seiner Statt über Bradamante erringen und der ihm dieses
schöne Mädchen für immer sichern soll, der letztere in trost-
lose Betrachtungen über sein eigenes Schicksal versunken.
Leon beeilt sich, seine zukünftige Gattin zu begrüßen und
ihre Liebe zu gewinnen, doch diese weist ihn stolz ab, und
Itnnchener Beiträge z. romanischen n. engl. Philologie. XXXIV. H
— 162 —
erklärt, nur der Qewalt der Waffen weichen zn wollen.
Herzlich willkommen dagegen heißt sie ihren Geliebteo, dem
sie erzählt, welch' sonderbares Orakel ihr Ton MeUsaea mit-
geteilt worden sei. Aber auch Leon erhalt davon Kimde
und ist sehr bestürzt darüber, da er nun eigenhändig gegen
Bradamante kämpfen muß. Da eilt sein Freund in den Wald,
um dort seinem Leben ein Ende zu machen, da Bradamante
ihm nun völlig verloren zu sein scheint. In seiner Ver-
zweitlung erscheint Melisse, überbringt ihm eine Rüstung,
welche Leon's Waffengewand vollständig ähnlich sieht, and
fordert ihn auf, Leon im Kampfe mit Bradamante zuvor-
zukommen; denn
.... €tro7n])€7' les Rivavx dont on est alarniCj
Cesi un dottx mfjsin-e
Que VAmour rclaire
Avec son flambeau,
Et qu'il Cache ä kiirs yeux avec son haudeau,^
(Akt III, 4, S. 39.)
Akt IV : Roger, welcher seinem Freunde zuvorgekommen
ist, hat den Sieg über die Geliebte errungen ; als nun Leon auf
dem Kampfplatz erscheint, hört er bereits den Siegesjubel
der Menge und fragt vergebens, wer der Sieger sei. Dieser
jedoch, der kein anderer als Roger ist, wird sich jetzt bewußt,
daß er den Freund getäuscht hat und wartet mit Unruhe auf
dessen Kommeo. Leon wird nun von Melissen benachrichtigt,
daß er sich nur dann Hoffnung auf Bradamantens Hand
machen köune, wenn er den ihm zuvorgekommenen Gregner
besiege.
Akt V : Roger's Schmerz über seinen Verrat steigert sich
immer mehr. Er will nicht läuger mehr leben ; schon legt er
Hand an sich selbst, als Bradamante naht und bald nach
ihr Leon, der nunmehr in seinem Freunde den Rivalen er-
kennt, welcher ihn verraten hat. Im ersten, aufwallenden
Zorne will er ihn töten, aber plötzlich besinnt er sich anders:
^NoHj je veux oublier que tu m^as pü traJür,
Roger ^ je Vaimay trop pour te pouvair hair.*
(Akt V, 4, S. 6.)
— IM —
Naeh diesen edlen Worten yerwandelt sich plötzlich anf
das Gebeiß Melisse's die Binöde in einen herrlichen Garten ;
die Chöre nnd Genien bringen dem glücklichen Brautpaare
Roger-Bradamante ihre Wünsche dar.
In diese Haupthandlang sind zahlreiche lyrische Einlagen
verflochten, die Ton den verschiedenartigsten Chören vorge-
tragen werden ; außerdem treten zwischen den einzelnen Akten
noch besondere Chöre auf. ^)
Fragen wir nun nach dem Verhältnis der Oper zur italieni-
schen Quelle, so sehen wir auf den ersten Blick, daß tief
einschneidende YeränderuDgen in der ersteren vor sich ge*
gangen sind, indem nicht bloß die Bradamante-, sondern
auch die Athlante-Episode benützt worden ist.-) Der ersteren
sind entlehnt Bradamante's Klage um den fernen Geliebten
(Aktl, 1 = Orl fxir., C. XLV, st. 96 ff.), Leon's Bitte an
seinen Freund, an seiner Statt zu kämpfen (II, 1 = Orl, für,,
C. XLV, st. 57), Roger's Kllagen in der folgenden Szene
*) Damit nian sidi einen Begriff bilden könne von dem Personen-
apparat^ den eine französisclie Oper erfordert^ wollen wir ein Verzeichnis
all dieser Nebenpersonen in Roy's Bradafuante geben. Anjkr den in
der Analyse genannten Rollen treten noch auf:
Une suivante de Melisse^
TJn suivant de Melisse^
La Statue de Merlin {wird im Verzeichnis bei Boy aufgeführt),
Troupe d'Amants et d^Amantes Enchantes^
Troupe de Grecs et de Suivants du Frince de Gh'^j
Troupe de Fies et d'Esprits sous la Figure de GhuerrierSj
de Guerrihres et de Cyclopes apportant des armes ä Roger,
Un guerrierj
Üne guerriere,
Troupe de Peuples de Marseille, de Bergers et de Bergeres,
Deux MarseüloiseSf
ün MarseiUoiSf
TJn autre MarseilloiSj
Troupe de Genies^ sous des formes agredbles,
Un Genie,
Deux Heros,
Bemerkenswert unter den einzelnen Gruppen sind die Amants et
Amantes enchantSs, da sie eine Naclvahmung der verzauberten Verliebten
auf Alcinens Insel (C. VI, st, 33 ff.) zu sein scheinen.
•) Orl. für. C. IV, st. 1^51.
11*
— 164 —
(= O. f., C. XLV, 8t. öR— 61), seine erneuten Klagen nach
dem Zweikampfe mit Bradamante (Akt III, 3 u. Akt Y,
1 = 0. f., C. XLV, Bt. 86 flf,), endlich das Wiedersehen der
beiden Freunde und Leon's Verzicht auf Bradamante (Akt V,
4 u, 5 = Orl für., C. XLV, st. 117 u. C. XL VI, st 21 ff.).
Der Athlante-Episode ist der Prolog entnommen, in welchem
der alte Zauberer sich als Freund Koger's bekundet (Prolog
= O. f., C. IV, 1 ff., wo allerdings Athlante's Liebe zu Roger
80 weit geht, daß er ihn in sein Zauberschloß sperrt, um ihn
vor den Versuchungen der Welt zu bewahren.); die Orakel-
szene (Akt I, 4) geht zurück auf den 3. Gesang im Orl. für.,
wo Bradamante, gleichfalls durch den Mund der Statue
Merlin's eine, allerdings verschiedene Prophezeiung erhält
(O/. für., C. III, St. 11 ff.) Das Orakel selbst, und die Art
und Weise, wie es sich erfüllt, ist eigene Erfindung der
Librettisten.
Die Charaktere der Oper haben eine auffällige Ähnlich-
keit mit den Helden, wie Ariost sie uns vorführt. Ihre stete
Verbindung mit übernatürlichen Wesen, das fortwährende
Sichbewegen in großen Gedanken, die lyrische Stimmung, die
in ihnen vorherrscht, ohne jedoch dem Tatendrang Abbruch
zu tun, endlich der Mangel jeglicher psychologischen Ent-
wicklung dieser Charaktere — , alle diese Eigenschaften sind
bereits in der italienischen Quelle Roy's enthalten. Nur Roger's
Charakter ist in der französischen Oper ganz unwürdig ent-
stellt; der Betrug an dem Freunde, wenn auch durch ein
höheres Wesen (Melisse, s. Akt III, 4) gebilligt und ver-
anlaßt, ist ein zu großes Schandmal an Roger's Ehrenschild,
als daß wir diesem Helden noch dieselbe Sympathie schenken
könnten wie dem Ruggiero des Ariost. Im großen und ganzen
aber hat Roy jenen wunderbaren lyrischen Ton getroffen, der
über den OrL für, ausgegossen, und der so schwer nachzuahmen
ist; seine Bradamante kann neben Garnier's gleichnamiger
Tragödie als die gelungendste Dramatisierung der Bradamaute-
Episode betrachtet werden.
Der Wert des Stückes ist bisher von den Forschern ver-
schieden beurteilt worden; dagegen wird Roy's dichterisches
Talent nahezu übereinstimmend anerkannt. Palissot rühmt
— 166 —
seine außerordeDtliche Befähigung für die Oper, und sagt, daB
man einzelne Stellen aus seinen Operntexten allgemein aus-
wendig lerne. ') LaPorte etChamfort dagegen bezeichnen
die Oper Roy's, wie alle seine übrigen lyrischen Tragödien
als verfehlt.-) Weniger günstig urteilt über Boy La Harpe,
der ihn unbegabt nennt und besonders seine Verskunst tadelt.^)
Der Verfasser der Trois si/'cles Htieraires lobt Roy besonders
als gefürchteten Satiriker seiner Zeit, der sich sogar mit seinem
beißenden Spotte an Voltaire und an die Mitglieder der
Academie frangaise wagte.*) InMichaud's Biograpkveuni'
lerseUe^ welche auch eine ausführliche Lebensbeschreibung
unseres Dichters enthält, werden, wie bei La Harpe, die
Verse als schwerfällig beanstandet, dagegen des Dichters
Gestaltungskraft und Vornehmheit, die manchmal bis ins Er-
habene sich steigere, willig anerkannt. '^) Chouquet^) hält
dagegen wenig von unserem Dichter; seine Bradamante nennt
er tun autre ouvrage malhetireiix*^ während andererseits in der
Grande Encyclop6die behauptet wird, daß diese Oper zu den
besten lyrisch-dramatischen Erzeugnissen der frz. Bühne ge-
höre.^ Clement endlich betrachtet Roy's Bradamante als
verfehlt, scheint aber, wie bereits bemerkt, die Schuld z. Teil
auf die Musik zu schieben.^)
*) M^nwireSj Bd. 11, 272 — 275: •11 avait des talents Ms disünguU
pour le genre de VOpei-a.»
«) Dict, Bd. l 184.
') Cours de litt, Bd. II, 385: *0n s'aperi^oit que cet ecrivain dont
les productions sont tres nombreuseSj ent besain de beaucoup de travail
pour vaincre la nature qui ne Favait pas fort heureusement Organist. Sa
versification est d^ordinaire penible et dure, quelquefois meme etrangement.»
♦) Bd. 77, 158.
*) Bd. XXXVI, S. 6&): «La rersification est presque toujours
dipourvue de gräce et de facilite, mais eile ne manque ni de force^ ni de
noblesse et quelquefois le poefc s'est eleve jusqu^au sublime.^
•) Histoire de la nius. dr., S. 33 1.
•) Bd. XXVIIly IKXj: '11 avait peu de facilite et sa versificaiion
est penible; mais il ne manquait «i de talent, ni d^esprit, peu vif Wailleurs
et porte ä Vepigramme.^
*) Biet, lyr., S. 199: '^L' illustre niJtce de Charlemagne ne reussit
pas mieux ä V Opera quau Thcntre-Fran^ais. Elle n'eut pas d^ailleurs,
pour se faire accepter, une musique digne d^elle.»
— 166 —
2. Die Roland-Episode.
Unter Boland-Episode verstehen wir hier jenen Teü des
Orl. für., in welchem die Ursachen der Raserei Roland's,
diese selbst, und die unmittelbaren Folgen derselben erzählt
werden; diese Episode wird behandelt in C. XIX, st. 17 — 43,
C. XXIII, st. 67—136, C. XXIX, st. 40—74, C. XXX,
«t 1—16.
Als erstes französisches Stück, welches diese Episode
dramatisch behandelt, ist ein Roland furieux zu nennen,
welcher 1581 zu Le Ha vre aufgeführt wurde; die Vorstellung
dauerte zwei Tage, die Schauspieler setzten sich aus Schülern
zusammen, welche nach der Vorstellung die Stadt wieder
verließen, um anderwärts zu spielen. Das Stück scheint
niemals gedruckt worden zu sein ; jedenfalls haben wir keine
weitere Nachricht von ihm. Es ist nur im Tagebuch des
Michelle Riebe ^) und neuerdings von Lanson erwähnt worden.*)
Ein weiteres Stück, das wahrscheinlich auch die Roland-
episode behandelt, wird von Lepage in seinem ThSatre en
Lorraine erwähnt.*) Der Titel desselben, Zerbin et Midor,
kann nicht ganz richtig sein, da diese beiden Personen im
Ariost'schen Epos nichts miteinander zu tun haben, oder man
tiküBte annehmen, daß der Verfasser des Stückes seine Quelle
bedeutend umänderte. Es wurde am Karneval 1614 zu
Remiremont in Lothringen von einem gewissen Vichard
und seiner Truppe aufgeführt, wofür sie „8 Francs" von der
Stadt erhielten. Weitere Nachrichten über diese Tragödie
besitzen wir nicht.
In Brunet's Manuel *) und in der Grande Encyclop^die *)
wird in dem Artikel über Ch, Bauter gesagt, daß diesem
Dichter auch eine 1614 erschienene Tragödie zugeschrieben
») Journal de Micktl le Biche, S, 344.
*) J^tude» 8ur les orig. d. l trag, claw. {Bev. d'HUt. litt, d, I. Fr.,
1903, S. 207).
») Le Theätre en Larrame, S. 246.
*) Manuel du libr., Bd. III, 1590.
«*) La Gr. Enc, Bd. 7, 910.
— 167 —
werde, welche betitelt sei ^Les ammirs d'Angdique et de
Medcn-j.^) Wir koDsten weder die Qaelle der Gr. Encycl.,
noch das Stück selbst unter Banter's Werken entdecken.
Dieser Behauptung der Gr. Encycl. scheint auch Beau-
champe' Angabe über das Leben Bauter's zu widersprechen;
er sagt nämlich von diesem: Bauter j^romet de jyasser de
timiiation des Italiens (nach dem von ihm verfaßten Stücke
La mort de Roger) ä des pieces de sa projyre invmtion; on crmt
qu'il s*en est tenu d la pramesse,* Nun besitzen wir aus dem
Jahre 1620 eine Tragödie, die denselben umfangreichen Titel
hat und in dem nämlichen Verlage und Verlagsorte erschienen
ist. Diese Amours d*Angeliqu6 et de M6dor sind aber von
Coignee de Bourron, einem ziemlich unbedeutenden
Dichter, von dem wir noch eine Pastorale Iris besitzen.')
Wir werd^i also nicht fehlgehen, wenn wir das von
Brunet und in der Gr. £nc. erwähnte Stück mit der Tragödie
des Coignee de Bourron für identisch und für eine erste
Ausgabe dieses Stückes halten.
Wir lassen zunächst eine Analyse von Coignee de
Bourron's Tragödie folgen.
Akt I : Angelika sitzt am Krankenlager des verwundeten
Medof und zählt, während dieser in sanftem Schlafe ruht,
alle seit ihrer Ankunft in Frankreich erduldeten Leiden
anf, schildert dann ihre Flucht aus dem Christenlager, ihr
*) Der vollständige Titel lautet: Tragedie fran^oise des Amours
SAngelique et de Medor avecques Its furies de Roland et la mort de
Sacripantf le roy de Sei'cacye et plusieurs heaux effeis contenus en ladite
tragedie tirSe de la Bioste (sicf), Troges, Nie. Oudot^ 1614, 8® (8. Brunet,
Manuel, ihd.).
*) TJher den Sieur H. Z>. Coignee de Bourron fehlen genaue bio-
graphische Angaben. Beauchamps {Rech. II, 91), die Br. Parfaict
{Hist., Bd. IV, S3t), und die Änecd. dram. {Bd. H 300, Nachtrag)
erwähnen zirar unser Stück, geben aber keine Nachricht Ober den Autor.
Die neueren biographischen und bibliographischen Werke führen Coignee
de Bourron überhaupt nicht mehr an. Vgl. ^ichaud, Didot, LaGr.
Enc, Querard, Brunei und Vapereau, wo sein Name nicht zu
finden ist. Weinberg (Das franz. Schäferspiel, S. 89) neymt die Iris
des Coignee de Bourron ein unbedeuteyides Machwerk^ scheint aber über
den Verfasser nichts zu wissen.
— 168 —
erstes Zusammentreffen mit Medor^ bis sie durch dessen
Klagen in ihrer Erzählung unterbrochen wird. Durch die
rasenden Schmerzen seiner Wunde bis zur Verzweiflung ge-
trieben, bittet Medor seine Pflegerin, ihn zu töten, doch diese
sucht ihn zu beruhigen und führt ihn an eine Quelle. In-
zwischen trägt ein Schäfer philosophische Tiraden über das
Elend in der Welt uud über die Gottlosigkeit der Menschen
und besonders der Frauen vor; doch scheint er nicht so
grimmig zu sein, wie man aus seinen Reden schließen könnte,
denn, als Angelika und Medor wiederkommen, bietet er ihnen
gastfreundlich seine Hütte als Wohnung an.
Akt II : Medor ist wieder völlig genesen, und seine treue
Pflegerin ist seine Geliebte geworden ; glückselig durchwandeln
sie die prächtige Gartenlandschaft, schneiden ihre Namen in
die Rinden der Bäume ein und entwerfen tausend Pläne für
ihre Zukunft. Weniger glücklich ist Sakripant, da auch er
Angelika glühend verehrt, aber kein Gehör bei seiner Ge-
liebten findet.
Akt III : Roland hat das nämliche Unglück zu beklagen
wie Sakripant ; er muß sich selber vorwerfen, daß er das Glück
aus den Händen entschlüpfen ließ, als er vor der großen
Maurenschlacht Angelika dem alten Naymes übergab ; um sein
Unglück voll zu machen, will es das Verhängnis, daß Roland's
Blick sich auf die verräterischen Schriftzeichen, welche die
Liebenden in die Bäume eingeschnitten haben, richtet, und
nun fällt es wie Schuppen von seinen Augen, und er erkennt,
daß Angelika ihn betrogen hat. Wütend stürzt er sich in
das Haus des Schäfers.
Akt IV : Dieser kann aber nur berichten, daß die beiden
Liebenden das Zimmer und das Lager in größter Unordnung
für immer verlassen haben:
^Et au lieu de (luvet, c*estolrnt charbons dedans>.
Roland wütet und rast auf der Bühne, während der Schäfer
jammernd zur Seite steht.
Akt V; Sakripant ist immer noch auf der Suche nach
Angelika; durch einen Boten erfährt er. daß Roland in
Raserei verfallen, und daß seine Angebetete mit Medor ver-
schwunden ist. Der Bote hatte nämlich von der schaden-
— 169 —
frohen ADgelika den Auftrag erhalten, ihr und Medor's Bild
überall vorzuzeigen. Sakripant will den Anblick desselben
nicht überleben, sondern tötet sich aus Verzweiflung. Der
Bote verläßt den Platz mit den Worten:
<Heureux qui ti'est atteini de Vamoureux sotici*.
Damit endet das Stück.
Der Verfasser der Tragödie folgt ziemlich genau der
Handlung im Orl. für. Im I. Akt (Orl. für., C. XIX, st. 26
u. 27) finden sich folgende Abweichungen: die Erzählung
Angelika's von ihren früheren Erlebnissen findet sich bei
Ariost nicht an dieser Stelle; Anhaltspunkte dazu gibt Orl.
für. C. I, st. öfi'. ; doch ist es dort nicht Angelika's Bruder,
der sie von Cathay nach Frankreich bringt, sondern Roland.
Der Schäfer ist bei Ariost {Chi. für., C. XIX, st. 27) ver-
heiratet und Familienvater, während er in unserem Stücke
unverheiratet ist; seine philosophische Rede ist Zutat des
französischen Dichters.
Im II. und in den folgenden Akten schiebt Coignee de
Bourron unbegreiflicherweise die Rolle des Sakripant ein, der
hier bei Ariost nicht auftritt. Die Liebesszene im II. Akt
baut sich auf st 36 des 19. Gesanges. Im III. Akte be-
ruhen die Klagen Roland's um die entflohene Angelika auf
freier Erfindung, das übrige ist geschildert nach Orl. für.
C. XXIII, St. 101—115. Der nächste Akt dagegen folgt
fast ganz dem italienischen Epos; nur fallt in der Tragödie
Roland sofort nach dem Verlassen der Hütte in Raserei,
während er bei Ariost noch eine Nacht umherirrt, ehe der
Wahnsinn seinen Geist umdunkelt (Or/./wr.,C. XXIII, st. 16ff.);
auch sieht im Epos nicht der Schäfer allein, sondern es sehen
mehrere Hirten den Wutausbrüchen Roland's zu {Orl. für.,
C. XXIII, St. 136). Der V. Akt ist völlig frei erdichtet.
Zeigt schon die Analyse des Stückes, daß dem Dichter
jeder Sinn für den richtigen Aufbau einer Handlung fehlt, so
tritt Coignee's Schwäche noch mehr in der Zeichnung der
Charaktere hervor. Nirgends eine Entwicklung derselben, nir-
gends eine Beziehung zwischen Charakter und Handlung,
keine Gegenüberstellung einzelner Personen. So trägt z. B.
— 170 —
Sakripant in anderen Worten genau dasselbe yor wie Roland ;
beide lieben Angelika, sind also Rivalen; aber der Dichter
denkt nicht daran, sie einmal einander gegenübertreten zu
lassen, was das Interesse ungranein erhobt hätte. Geradezu
komisch wirkt die Rolle des Schäfers, durch dessen Mund,
wie es scheint, Coignee de Bourron seine eigene Weltan-
schauung yerkünden will. So nimmt sich folgende Stelle
über die ErschaflFung der Frau im Munde des Schäfers höchst
sonderbar aus:
c. . . Quand la flamme divine
Put desrohe au Ciel par la main inhumaine
Du latroti I^omeihre, Jupiter confessant,
Ke rouliä euvayer s7ir iceluy ä Pinstant
ün foudre foudroiant^ ains une vive flamme,
LdcMe dans les yeitx d^une maligne femme^
Les omrages mignards de Minerve elVapprit^
Puis de Vemis la helle une grace eile print.
Et pour V komme pu7Ür notis envoya la femme,^
Die einzige, poetische Stelle, die sich in unserer Tragödie
findet (Akt II, S. 13), ist eine freie Nachahmung des ita-
lienischen Vorbildes. Es ist dies die von Medor gedichtete
Inschrift an der Grotte, wo Angelika und Medor ihr erstes
Liebesglück genossen haben:
« Vou8 preZf vous arhriceaux qui eMes en la plaitte^
Ou lä vous ombragex la coulante fontaijie
Chi je trotivay m^nmour que jamais les troupeaux
Des ckhres et des houcs 7ie hrmitent tvs rameaux
Que jamais le vent froid de vos feuilles si rertes
Ne vous rendent en hiver chenu£8 et decouvertes^
Que jamais le hestial de vous, ö ondelettes
Ou lä je vy premier mes douces amourettes
iVJ? trouhlent votre cours, vos replis totanoyans
Mais saus flu vous alliex vos couleurs ondoyaus,>
Man vergleiche damit die berühmte Schilderung im OrL
für,, C. XXIU, St. 108 und 109:
^Lktf piantCf rerdi herhe, limpide acque,
Spelunca opaca, e di fredde ombre grala^
— 171 —
Dave la bella Änffdica, elie nacqne
Di Galafron, da molti invaiw atnafa,
Spesso neue mie bracoia nuda giacque;
Della eommodüä che qui m'^e dataj
lo povero Medor ricompensarm
D'altro non posso, die d^ogtior lodarvi:
E di pregare ogni Signote amante^
E Cavalieri e Damigelle, e ognuna
Persona o paesana o viandani€j
Che qui »ua voUmtd meni o Fortuna;
Ch' aW herbe, altwnbra, «/f aniro, al lio, alle jmnte
Dica: Benigno ahbiate e Sole, e Lima,
E delle Ninfe il coro, che proveggia,
Che non conduca a voi pastor mal greggia.*
Mit richtigem Gefühl hat der französische Dramatiker
die breite epische SchildeniDg kürzer zusammengefaßt; freilich'
müßte dabei auch manch schönes Bild, das die Phantasie
Ariost's in sein Epos gezaubert hat, verschwinden.
Coignee de Bourron's Les amonrs d^AngvHque ei de Medor
sind, um zum Schlüsse zu kommen, ein äußerst schwaches
Theaterstück, das wohl nicht wieder der Vergessenheit ent-
rissen werden wird; es ist entschieden die am wenigsten ge-
lungene Dramatisierung einer Episode aus dem Orh fur.
Die einzigen Kritiker, die sich über den Wert des Stückes
äußern, sind La Valli^re^) und Mouhy-), und zwar be-
zeichnen beide es als sehr mittelmäßig.
Bekannter als das yorausgehende Stück ist Mairet's
^Roland furienx<i , welcher 1640 im Drucke erschien , jedoch
bereits mehrere Jahr vorher vollendet und aufgeführt wurde.
Da das Privileg bereits am 23. Februar 1639 gegeben wurde,
müssen wir annehmen, daß unser Stück entweder im Jahre 1638
oder noch früher entstanden ist. Während Beauchamps^)
die Frage der Entstehungszeit nicht aufrollt, geben die Brüder
») Bibliotheque I, 527,
«) Abrege, Bd. J, 36 u. II, 51.
«) Rech., 2, Teü, S. 113.
— 172 —
Parfaict als Datum der Vollendung und Aufführung des
Mand fvrieux 1636 an. ^) La Valliöre*), Goujet*),
und Niceron*), Baillet*) und Menage*) führen nur das
Druckjahr an, während La Harpe das Stück überhaupt
übergeht) Michaud erwähnt die Jahreszahl 1636 als Datum
der Vollendung und Aufführung ®) ; Lucas*) Vapereau*®)
und Lotheissen^^) nehmen 1635 an. Vorsichtiger drückt
sich Dannheißer aus, der als bester Kenner von Mairet^s
Leben gilt; er legt die Abfassung in die Jahre 1636 — 1638.**)
Auf die Brüder Parfaict geht wieder die Grande Ency-
eJopnUe zurück, welche 1635 annimmt.*^) Rigal endlich glaubt
daß 1638 das richtige Datum für die Vollendung und Auf-
führung des Roland furieux sei.**) Dieses Datum scheint auch
uns der Wirklichkeit am nächsten zu kommen, zumal kein Grund
vorliegt, weshalb der Dichter eine yerhältnismäßig so große
Zwischenzeit zwischen Vollendung und Drucklegung hätte
vergehen lassen sollen.
In der Vorrede macht Mairet darauf aufmerksam,
daß neben der Raserei Eoland's noch eine weitere Episode
sich im Stücke finde, der Tod Zerbin's und Isabellens,
tde faron fju'il est rentable de dire quHl cofiiient wie Tragedie ei
une Tnigkomcdie tont ememhle,^ Zugleich erklärt er, daß er
wohl die Einheit des Ortes, nicht aber die der Zeit be-
obachtet habe.
') Hist. du Th. fr., Bd. IV, 344.
») Bibl du Th. fr., Bd. II, R9.
3) Bihl. fr., Bd. XVIII, 179 f.
*) Memoires, Bd. XXV, 244.
*; Bd, IV, 4. Teil, -S. 253.
«) Aftti-Baillet, Bd. I, 359.
•) Cours de litt, Bd. I, 461.
«) Bihl univ., Bd. XXVI, 163ff.
•) Hist., Bd. III, 279.
JO) Dict. unix)., S. 1309.
»>) Gesch., Bd. I, 334.
") Studien, S. HO. — Später («. Zur Gesch. d. Einheiten, Zßp.,
Bd. XIV, S. 66) setzt er das Datum nciscJien 1637 und 1638,
'») Bd. XXII, 1010.
") Eist, de la litt. fr. {p. p. Julleville), Bd. IV, 258.
— 173 —
Die nachfolgende Analyse soll uns zeigen, inwieweit der
französische Dichter seiner Quelle gefolgt ist.
Akt I: Roland erzählt, wie er Angelika nach der Mauren-
schlacht (Ort, fur. C. I, 5 ff,) verloren habe und wie er nun
fürchte, sie könnte in die Hände eines ihrer Verehrer gefallen
sein. Plötzlich richtet sich sein Blick auf die von Medor in
die Rinde der Bäume eingeschnittenen Namen der beiden
Liebenden. Zwar ahnt schon jetzt der arme Betrogene, daß
Angelika ihre Liebe einem anderen geschenkt hat, aber erst
durch die Erzählung des Hirten, in dessen Hütte Angelika
und Medor die glücklichen Tage ihrer ersten Liebe verlebten,
erfährt er sein Unglück.
Akt II: Nachdem Roland im tiefsten Schmerze die
Wohnung des Hirten verlassen hat, wagt sich das Liebespaar
aus seinem Versteck, in das es sich bei der Ankunft jenes
Helden geflüchtet hatte. In seligem Glücke lustwandeln
sie in dem Hain; als Medor einen Augenblick forteilt, um
ein Messer zu holen, mit dem er sinnreiche Verse in die
Bäume einschneiden will, begegnet Angelika Isabellen, der
Geliebten Zerbin's, und beide erzählen sich ihre Erlebnisse.
Akt III: Als dann Angelika und Medor wieder in die
Hütte zurückgekehrt, und Isabella mit Zerbin allein im Haine
zurückbleibt, sehen die beiden an einem Baume Rolandes
Waffenrüstung hängen, die gleich darauf der zufällig hier
vorbeikommende Rodomont unter Schmähredeu gegen ihren
Besitzer sich aneignen will. Zerbin, dem Roland einst das
Leben gerettet hat, tritt dem prahlerischen Rodomont kühn
entgegen ; es kommt zum Kampfe, in dem der edle Zerbin nach
kurzer Gegenwehr fällt; mit einem Schnierzensschrei stürzt
sich Isabella auf den geliebten Leichnam, und kann erst durch
das Erscheinen eines Eremiten von demselben entfernt werden.
Der Einsiedler bindet den toten Zerbin auf sein Reittier und
verläßt mit der trauernden Isabella die Unglücksstätte.
Akt IV: Kaum hat Angelika ihr Schlafgemach verlassen,
so findet sie, daß Medor sich bereits entfernt hat. Schon fangt
sie an unruhig zu werden, als Berenice, die Gattin des Schäfers,
die Nachricht bringt, ein Mann habe entsetzliche Verheerungen
— 174 —
im Walde angerichtet; Angelika ahnt, wer der Unheilstifter
ist; sie bangt um ihren geliebten Medor, den sie bereits
für yerloreD hält, während dagegen der Schäfer und seine
Frau sich in komisch -zärtlicher Weise liebkosen. Von einem
Pfeile an der Schulter verwundet, kommt Medor inzwischen
zurück, und beschließt mit seiner Geliebten die sofortige Ab-
reise. Weitere Nachrichten über das tolle Beginnen Boland's
treffen in der Hütte des Schäfers ein, so u. a. daß ein fiitter
auf einem Pferde vom Himmel gestiegen sei mit der Er-
klärung, Roland habe seinen Verstand verloren, und wenn ihm
etwas Leides geschehe, so seien die Schäfer (!) dafür ver-
antwortlich. Rodomont, der bei seinem ersten Auftreten
über die Untreue Doralice's trostlos war, hat sich nun sterblich
in Isabella verliebt, deren Bräutigam er soeben getötet hat;
vergebens sucht ihn Aronthe, sein Diener, durch ein paar
Flaschen Wein, die Rodomont, dem Koran zutrotze, bis auf
den Grund leert, zum Weiterritt nach Paris zu bewegen,
wohin ihn ein Brief des Maureukönigs Agramant, der eben
diese Stadt belagert, einlädt.
Akt V: Bald gelingt es Rodomont, seine neue Geliebte
einzuholen , und sie mit seinen Liebes beteuerungen zu er-
belästigen. Isabella will jedoch lieber sterben als sich diesem
schrecklichen Menschen ergeben ; sie erklärt daher dem Ritter,
sie besäße eine Salbe, die jedermann unverwundbar mache,
und fordert ihn auf, die Wunderkraft derselben an ihrem
eigenen Leibe zu erproben. Rodomont, der bereits vom Weine
sinnlos betrunken ist, geht in die Falle ; zu spät sieht er, wie
nach seinem Schwerthiebe Isabellens Haupt vom schönen
Leibe sich löst und wie er so zum Mörder seiner eigenen
Geliebten wird; zu spät verflucht er seine Trunkenheit, die
ihm den Verstand geraubt hat. Am Ende des Stückes sehen
wir noch Roland, wie er eben in seiner Raserei einen Hirten
ergreift und ihn weithin schleudert (Bühnenweisung: Le
jdant par-dessus la nwjüagnc ^)). Plötzlich überfallt ihn eine
große Müdigkeit, er sinkt zu Boden und schläft ein. Da
kommt ihm Heilung von seinem Freunde Astolf, der ihm vom
Akt 7, 4, 5. lOL
— 175 —
Himmel seinen Yerlorenen Verstand wiederbringt und der ihn
sodann auf seinem geflügelten Rosse gen Paris fahrt.
Unsere Inhaltsangabe zeigt, daß wir es mit zwei Haupt-
handlungen zu tun haben, die nur lose durch das einmalige
Zusammentreffen von Angelika und Isabella verknüpft sind.
Beide Handlungen finden sich allerdings auch bei Ariost vor,
doch folgt dort alles nicht so rasch aufeinander, auch erlaubt
sich Mairet eine Anzahl von Änderungen und Zusätzen, die
wir im folgenden kurz vorführen werden.
ßoland's Monolog am Eingang des Stückes ist freie Er-
findung des französischen Dichters. Nachdem Roland die
verhängnisvollen Namen gelesen hat, bricht er bei Mairet in
laute, endlose Klagen aus (Akt I, 1, S. 6); bei Ariost
findet der Schmerz keine Worte (Cfr. Orl. für., 0. XXIII,
St. 112):
*Ne potc aver (cheH duol Voccupo tanto)
Alle querele voce o umore al pianto.>
Als Roland das Haus des Hirten betritt, sind im italieni-
schen Epos die Liebenden längst schon in der Ferne (vgl. O/.
fur.^ C. XIX, st. 40, 41), in der Tragödie dagegen haben sie
sich nur versteckt und kommen nach dem Weggang Roland's
noch mehrmals auf die Bühne; sie sind Zeugen der Ver-
heerungen des rasenden Helden, Medor wird sogar durch
einen Pfeüschuß von ihm verwundet, endlich treffen *sie noch
mit dem zweiten Liebespaare des Stückes zusammen — ,
lauter Zutaten des französischen Dichters. Dasselbe ist der
Fall mit der komischen Szene des Hirtenehepaares (Akt IV,
3, S. 72). Die Erzählung von dem Ritter, der vom
Himmel auf die Erde steigt, sollte wohl eine Anspielung auf
Ast^lf s „Himmelsreise" sein ^), findet sich aber bei Ariost an
dieser Stelle nicht Eine gewaltige Änderung vollzieht Mairet
in der Episode Isabella-Zerbin-Rodomont , indem er Zerbin
nicht von Mandricard, wie im Epos (cfr. C. XXIX, st. 58),
sondern von Rodomont töten läßt; allerdings hat Mairet da*
durch den Vorteil erreicht, den Tod des Liebespaare» ohne
Einführung einer neuen Person (Mandricard) darstellen aui.
») Orl für., C. XXXIII, st Iff.
— 176 —
können. Wie die vorhin erwähnte komische Einlage, so ist auch
die possenhafte Szene zwischen Rodomont und seinem Diener
Erfindung des Dramatikers.
Der Tod Isabellens ist bei Ariost zeitlich und räumlich
weit getrennt sowohl von dem Ausbruch der Raserei Roland's
als auch von dem Tode Zerbin's^); der französische Dichter
läßt uns bezüglich der Zeit im unklaren, der Ort der Handlung
bleibt unverändert, wie Mairet selber in der Vorrede sagt.
In der Schilderung dieser zweiten Episode hält er sich jedoch
mit Ausnahme der Einführung Rodomont's an Stelle des
Mandricard an die italienische Quelle.
Das letzte Auftreten Roland's und seine endgültige Heilung
sind je einer Stelle im Orl. für, nachgeahmt. Die Art und
Weise, wie der rasende Held einen Hirten tötet'), ist nach
Qrl. für., C. XXIV, St. 5 geschildert:
c Uno ne piglia, e del capo lo scema
Con la facilitd che torria alcuno
DaWarbor po7ne, o vago fior dal pruno,*
Ariost läßt seinen Helden im Zustande der Raserei eine
lange Reihe von Taten ausführen; Frankreich, Spanien, ja
das Mittelmeer durchquert der Wahnsinnige (cfr. OrL für.,
C. XXIX, st. 40 ff., C. XXX, St. 4—14) und erst auf afri-
kanischem Boden bringt ihm sein Freund endgültige Heilung
(cfr. Orl.* für. C, XXXIX, st. 45 ff.). Der nachfolgende Ritt
der beiden Freunde auf dem Griffen, der sie nach dem schwer
bedrängten Paris führen soll, ist wiederum von Mairet frei
erfunden.
Das Schwächste an der Tragödie ist die Zeichnung der
Charaktere; in der Regel erzählen die einzelnen Hauptper-
sonen beim ersten Auftreten ihre Lebensgeschichte, so Roland
(Akt I, 1), Angelika, Medor und Isabella (Akt II, 2 u. 3,
S. 24), dann folgen entweder Klagen über ein persönliches
Unglück, oder es wird, wie von Seiten Roland's und Rodomont's.
irgend eine rohe Tat vollbracht.
Die Liebesszenen zwischen Angelika und Medor wirken
') Cfr. a XXIX, 8t 8—32.
«) Akt F, Sz. 3 [S. 101).
— 177 —
durch ihre Länge und Monotonie ermüdend. Medor's erste
Worte, die den Prahlereien Rodomont's nicht nachstehen,
kommen uns um so befremdender vor als wir aus Ariost wissen,
daß Tapferkeit nicht seine stärkste Seite und daß er alles
eher als ein Aufschneider ist:
tNy Roland, ny Begnard, ny de plus dangerettx,
FussenUils preservez par la force des chaimes,
N^auront point de valeur qui ne cede d mes arjnes. »
Akt II, 1, S. 25,
Und wenn er dann mitten im süßesten Liebesgeflüster
forteilt, um sein Messer zu suchen, das ihm aus der Tasche
gefallen ist, so wirkt das einfach komisch auf Leser und
Zuschauer.^) Geradezu zotenhaft ist eine Stelle in der bereits
erwähnten Szene der Schäferfamilie, in welcher nämlich die
Frau zu ihrem etwas bejahrten Manne sagt:
uiMon plaiidr nie suffit, si je le scay bomer
Aux forces de celuy qui me le peut donnet-,
En pouvant plns avoir fen roudrois davantage, >
Bemerkenswert ist der Charakter Rodomont's.®) Wir haben
gesehen, daß bereits Bauter diesen Helden, höchst wahr-
scheinlich unter dem Einfluß der französischen und ita-
lienischen Komödie, zu einem mües glorioms der Tragödie
umformte. Ganz dasselbe geschieht in Mairet's Roland furieux,
Bodomont ist derselbe Aufschneider wie in Bauter's Rodo-
montade^); er weist aber noch einen anderen Zug auf, den er
mit dem Rodomont der Komödie gemeinsam hat, seine Yer-
») Akt II, i, S. 25, Medor:
* je n^ay sur moy ny poin^on ny cmiteau
En venant mon estuy m^eat tombi de la po8che.[!]
') Es acheint uns wahrscheinlich, daß Mairet den Bodomont deshalb
an Stelle des Mandricard einführte, weil jener längst schon eine bekannte
Figur auf der französischen Bühne und bei den Franzosen überhaupt
war, während Mandricard niemals diese Popularität erlangte.
») Vgl Bol. für. Akt III, 4, S. 56:
tApprens que Bodomont dans Paris si vante
N'a jamais rieft connu qui Vait epouvantS.»
Femer die Schilderung seiner „Heldentaten"^ vor Paris {Akt IV,
5, S. 84).
Mäachener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIV. 12
— 178 —
liebtheit und sein angebliches Q\ü<k bei den Franen.') Ntfch-
dem er Yon Doralice einen Korb erhalten, verliebt er sich
sogleich in Isabeila, die er noch kanm gesehen hat (vgl. Akt
lY, 5, S. 80). Als er von meinen Heldentatenft bei der Be-
lagerung von Paris erzählt, sagt er n. a., daß hundert Frauen
ans Schrecken vor seinem Erscheinen in der Seinestadt, vor
der Zeit entbanden:
< Cent femmes sur la place, aoani tenne aecotichereni,»
(Akt IV, 6, S. 84.)
Eine reine Possenszene ist Rodomont's Gesprach mit
seinem Diener Aronte. Als dieser ihm ein paar Flasohen
Wein anbietet, weist er sie keineswegs zurück, da doch sein
Glaube ihm verwehrt, dieses Gretränk zu nehmen, sondern er
sagt ruhig:
*ye croyani de tna loy que ce qü'ü en faut craire,
Surtout quand il s^agit de manger et de baire» etc.
(Akt IV, 6, S. 82.)
Werfen wir noch einen Blick zurück auf das Gesagte^ so
müssen wir uns folgendes Urteil über Mairet's Tragödie bilden :
Was der Dichter in der Vorrede als Vorzug ansieht, die
gleichzeitige Dramatisierung zweier Episoden, ist als verfehlt
zu erklären, da der Zuschauer beiden Handlungen nicht mit
dem gleichen Interesse folgen kann. Es fehlt dem Stücke
ferner eine Motivierung der einzelnen Szenen, die Personen
treten auf und verschwinden, ohne daß ein Grund dafür er-
sichtlich ist; auch leidet es an der allzugroßen Anzahl von
MohQologen. Die Mischung des Komischen und Tragischen ist
als mißlungen anzusehen. Was das Verhältnis der Tragödie
zur Quelle betrifft, so hat der Dichter diese mit größter
Freiheit benützt, wie wir gesehen haben. Die Kritik, welche
einzelne Forscher an dem Roland furieux geübt haben, ist im
allgemeinen nicht günstig. Beauchamps') sagt von ihm:
« Foland est romanesque et hrigidier pour la fable ; mais il a qucl-
*) Siehe Fest, Der miles, S. 66 ff.^ wo der milee in Toumebu'e ^Can-
tents» geschildert mrd. Mit der Verliebtheit paart sieh eine ebenso große
Tülpelhaftigheitj indem Rod. in die van IsabeUa gestellte FaUe gekt
«} Recherches, 2. Teil, S. 113 f.
— 179 —
qti€8 agremens, Les vers en sont foibles, et pourtami ^ ont une
eertaine tendresse en leurs passions qui les faii aimer.^ Die Brüder
Farfaict nennen das Stück geschmacklos und kaaBtlos tmd
zählen es zu den schwächsten Leistungen des Diditers. ^)
NicSron fuhrt, ohne Quellenangabe, das urteil Be auch am ps'
wörtlich an. ^) Mouhy tadelt den romantischen Stoff und den
Versbau, findet dagegen einige ziemlich gute Stellen.') La
Porte und Chamfort verurteilen besonders die etwas
sinnliche Liebesszene zwischen Angelika und Medor und die
nuMangene Mischung von Komischem und Tragischem.*)
Aus neuerer Zeit sei das Urteil Michaud's erwähnt,
welches mit dem der Brüder Farfaict übereinstimmt.^) Dann-
heißer bezeichnet das Stück als recht unbedeutend, nur seine
Entstehungsgeschichte könne als Entschuldigubg dafür dienen,
daß Mairet es überhaupt schrieb. Der romantische Zug, der
vor allem in dieser Tragödie liege, sei zum Teil auf die Ein-
wirkung des Gkafen B61in, seines Göimers, zurückzuführen.^
Während Eicke nur den Namen unseres Stückes erwähnt*^,
Weinberg dagegen es gänzlich übergeht®), besitzen wir
französischerseits noch Urteile von Bizos*) und Rigal.**^)
Der erstere yerurteilt das Stück in jeder Hinsicht und kann
nicht begreifen, wie Mairet ein so elendes Machwerk schreiben
konnte.'^) Der letztere tadelt die Ungeschicktheit, mit der
*) Hist., Bd, r, 116: •Sans goüt et sans art.»
•) M^iaires, Bd. XXV, 249.
») Tablettes, S. 204; Abr., Bd. II, 213.
*) DictUmnaire, Bd. III 70.
*) Bibl tmiv., Bd. XXVI, 166: *Bohind fwritux .... traite
sans goüt.»
•) Studien zu Mairefs Lehen und Werken, 8. 27.
') Zur Rolandsage, S. 14.
*) Schäferspiel, S. 90 ff., wo eine ebenso kurze wie mangelhafte
Lebensgeschichte des Dichters zu finden ist.
») J^tude, S. 195. — Dannheißer (l. c, S. 2, Anm. 3) wirft dem.
Werke Bizos^ Mangel an Selbständigkeit vor, ein Urteil, das wir vollauf
bestätigen.
»») Le Theätrefr. au XVII^ s., in: Jullev., IV, 258.
") j^tude, 8. 194: *Cette pi^ce re^t le plus froid accueil du public
itonni dune si triste et si prompte dicadence; on se denuimdait comment
le cil^re icrivain avait pu sacrifier les nobles et fiers sentiments dant
12*
— 180 —
Mairet diesen Stoff behandelt und nennt die Ausdrucksweise
des Dichters prosaisch, schleppend, schwer verständlich und
geschmacklos.^)
Wenige Jahre nach Mairet trat GuillaumedeRiche-)
mit einem neuen Stücke hervor unter dem Titel Les amours
(TAngelique et de Medor etc. 1648. Der Verfasser bezeichnet
es auf dem Titel als eine Tragödie in 8 Akten [!] mit
Chören, aber ohne Szeneneinteilung. Mouhy meint, ea habe
auf den Theatern der Provinz vielleicht Beifall gefunden.')
Nähere Angaben über den Inhalt zu machen, sind wir leider
nicht in der Lage, da das Stück verschollen zu sein scheint.^)
Um so bedeutender dagegen ist das folgende die Roland-
Episode behandelnde Stück, welches im Januar ^) 1685 zum ersten
Male aufgeführt und noch in demselben Jahre gedruckt wurde.^
il avait su animer Sophonisbe et Maasinissa paur les galanteries et fa-
deurs de son nouvel ouvrage; on ne pouvait croire que le style bizaire
et dameret, qui n'avait rien de dramatique, sortit de la plume qui avait
icrit les beaux vers de la Sophonisbe^ du Marc Antoine et du Soliman:
ü donna un midiocre canevas d'opSra sous le nom de tragi-comidie.*
') Hist. de la litt. {p. p. JuUev.) Bd. IV, 258: *Le B. f. nnit, avec
une rare maladressej la tragidie que Montreux avait dSjä traitee sous U
titre dUsabelle ä une tragi-comedie pleine, aussi bien quUine aticienne
pastoraUj de bizarrer ies, d^effets scSniques et dHndScences Son style est
presque constamment prosaiqtie, tramant, obscur, plein de mauvaia gout.»
•) Über O. de Biches'' Leben unssen wir nichts; keines der in
unserer Arbeit zitierten Literaturwerke führt seinen Namen an. Von
Mouhy, Abrege /, 36, wird es einem Desroches zugeschrieben^ unt^'
welchem Namen wohl de Biche gemeint war. Dieselbe Behauptung findet
sich auch in d. Anecd. dr. IIl, 152.
*) Abr6gS J, 36: *Cette piece a pu riussir en province,»
*) Wenigstens besitzt keine der drei großen Pariser Bibliotheken ein
Exemplar des genatinten Stückes.
*) Chouquet, Hist, S. 321, Clement, Dict. lyr., S. 587 «.
Leris, S. 291, bezeichnen den 8. {18.) Januar, bzw. 8. Febr, als den Tag
der ersten Aufführung.
•) Quinfiulfs zwölf Oper^i finden sich in den drei ersten Bänden des
Becueil des operas, Amsterdam 1684 und 1690, 12^, Eine ausführliche
Lebensbeschreibung des Dichttrs kann nachgelesen werden bei Goojet,
Bibl. fr., Bd. XVIII, 242ff.: La Gr. Encycl, Bd. XXVII, 1160. -
La Porte et Chamfort geben irrtümlicherweise 1689 als Datum der
Aufführung und des Druckes an. Lucas [Hist, lII, 307) erwähnt das
Stück nicht.
— 181 —
Es ist dies die Oper Roland von Ph. Quinaolt ^), neben seiner
Armide die bekannteste Schöpfung dieses Librettisten.
Folgendes ist der Inhalt von Qoinanlt's Oper.
Prolog : Demo[go]rgon, der Feenkönig und das Haupt der
Erdgeister (le premier des Genies de la Terre). sitzt, umgeben
▼on Feen und Erdgeistern, auf seinem Throne und preist die
Wohltaten des Friedens und die Regierung des französischen
Königs; sodann deutet er den Gregenstand an, welcher nun
zu Ehren des Königs aufgeführt werden soll:
tDu celebve Holand renouvellons VHisioire,
La France Iny donna le jour»
Montrons les erreurs ou VAmour
PeiU engager un cceur qui niglige la gloiref^
Akt I : Angelika, die Königin von Cathay, hat zu Medor,
einem jungen Gefolgsmann des afrikanischen Königs Agra-
mant, eine tiefe Zuneigung gefaßt, doch schwankt sie noch,
ob sie dieser Neigung folgen, oder dem ruhmbedeckten Roland
ihre Hand geben soll. Thömire, ihre Vertraute, erteilt An-
gelika den Rat, den ersteren aus ihren Augen zu verbannen.
Dieser aber gesteht ihr in einer der folgenden Szenen seine
unwandelbare Liebe, wird aber mit seinem Antrage für dieses
Mal abgewiesen. Gleich darauf überbringen Abgesandte Roland's
ein kostbares Armband, welches für Angelika bestimmt ist.
Akt II : Angelika steht an jenen zwei berühmten Zauber-
quellen, aus denen man Liebe oder Haß trinken kann; sie
zögert noch, aus welcher sie das Wasser schöpfen soll, als
Roland auf sie zukommt. Schnell steckt das Mädchen seinen
unsichtbar machenden Ring in den Mund und entfernt ihn erst
wieder, als Roland fort ist, und Medor, voll Verzweiflung über
die Härte der Geliebten, des Weges kommt und sich töten will.
Angelika, in deren Herzen der Stolz nunmehr zurücktritt vor
der Allgewalt der Liebe, ruft dem unglücklichen Jüngling zu,
er solle weiter leben und sein Glück mit ihr teilen. So finden
sich ihre Herzen, und unter dem lieblichen Gesänge von Liebes-
göttern und verzauberten Liebespaaren feiern sie ihre Verlobung.
Akt III: Die beiden Liebenden können ihres Glückes
*) Quinault gab ihm den Titel •tragedie-oph-a»
— 182 —
nicht 80 recht froh werdeD, da sie Roland's EÜferaucht
fürchten müssen. Um diesen zu bemhigen, verspricht ihm
Angelika ein Stelldichein an der Grotte, wo sie gewöhnlich
mit ihrem Liebsten spazieren geht; den dadurch eifersüchtig
gewordenen Medor beruhigt sie mit einschmeichelnden Worten.
Akt IV: Roland eilt indessen yoU Freude zur Grotte
und achtet nicht auf die Bitten seines Freundes Astolf, der
ihn zur Hilfeleistung für das yon den Mauren schwer be-
drängte Reich bewegen will. An dem yerabredeten Orte an-
gekommen, findet Roland keine Angelika, dafür aber entdeckt
er jene Inschriften, welche von Medor's Hand herrühren und
vom Glücke der beiden Liebenden in unzweideutiger Sprache
reden. Noch kann er an die Wahrheit seiner Entdeckung
nicht recht glauben, als ein ländlicher Hochzeitszug heran-
naht und ihm die Kunde bringt, daß die Fürstin von Catbay
mit ihrem jugendlichen Liebhaber eben den Hafen verlassen
habe. Das Armband des Hirten Thersandre, in dem Roland
sein eigenes Geschenk wieder erkennt, und das Angelika
jenem treuen Hirten vor ihrer Abreise gegeben hat, spricht
deutlich genug, wie schwer Roland von dem Mädchen ge-
täuscht wurde. Der Schmerz macht ihn tobsüchtig ; in seiner
Raserei zerstört er alles, was ihm in die Hände fallt
Akt V: Dieser Akt versetzt uns in den Zauberpalast
der Fee LogisstiUa. Astolf, Roland's treuer Freund, erhält
von dieser gütigen Zauberin einen Zaubertrank, der den in
festen Schlaf versunkenen Helden zu neuem, gesunden Leben
wieder erweckt. Gloire, Renommee und Terreur begrüßen den
Erwachenden und wollen ihn zu neuen Taten geleiten, Logis-
stiila aber ruft ihm warnend zu :
<La Gloire iviis appelle,
Ne soujnrez plus qtie pour tue ;
j\on, li'ouhliex jamais
Les maux qtte VAmour vous a faiis*
(Akt V, 4, S, 45).
Die vorstehende Analyse zeigt auf den ersten Blick, daß
Quinault's Oper eine ganze Anzahl von Veränderungen gegen-
über ihrer Quelle aufzuweisen hat. Der Prolog ist von An-
fang bis zu Ende das Werk des Franzosen und soll eine
— 183 —
BhruDg des Roi-Soleil seiD, welcher die erste Anregung zu
dem Stücke gegeben h&ben soll.
In der Oper selbst finden wir sehr viele Personen,
die bei Ariost nicht vorkommen. ^yZüiante, prince des Isles
Orientales ; Coridon, Berger, Amant de Belise ; Belise, Amante
de Coridon, femer Confidents und Confidentes, Suivants, Sui-
vantes, troupes d'Amours, de Sirenes, de Dieuz, de Fleuves,
de Silvaius, d'Amants enchantös, d'Amantes enchant^es, de
peuples de Cathay, de Bergers et de Berg^res, de Fees,
d'Ombres d'anciens Heros^ ; endlich treten am Schlüsse die
allegorischen Gestalten Gloire, Terreur, La Benomm§e auf.
Auf freier Erfindung des librettisten beruht der ganze
erste Akt; die Tatsache von dem Geschenk Roland's ist zwar
bei Ariost erwähnt (C. XXIII, st. 120), aber die Art und
Weise des Überbringens ist von Qu^nault erdichtet. Vom
zweiten Akt ist dasselbe wie vom ersten zu sagen. Nur die
Erwähnung der beiden Zauberquellen geht auf Ariost {Orl.
für. C. I, st. 78) zurück. Der Schauplatz des dritten Aktes
ist der nämliche wie beim italienischen Dichter, sonst eriimert
jedoch nichts an das Epos Ariost's. Vom vierten Akt ist
nur Tbersandre's ^) Bericht von der Abreise der beiden
Liebeaden und das Vorzeigen seines von Angelika erhaltenen
Binges, endlich auch der Ausbruch der Raserei Boland's, der
italienischen Quelle entnommen. Die Heilung Boland's durch
Logisstilla vollzieht sich bei Ariost in den Sandwüsten Afrikas ^),
bei Quinault im Palaste der Logisstilla unter deren Beisein.
Die drei erwähnten allegorischen Gestalten fehlen bei ersterem,
vrie überhaupt der ganze, echt opemhafte Abschluß des Stückes.
Wenig ist von den Charakteren zu sagen, da bei einem
so ausgesprochen lyrischen Stücke, wie der Bol, für., natur-
gemäß wenig Gewicht auf deren richtige Zeichnung und Ent-
wicklung gelegt wird. Die Person des Roland der Quinault-
schen Oper kann nicht den Anspruch erheben, daß man sie
ernst nehme, wie das doch beim Orlando des Ariost der Fall
ist; denn es wirkt gerade komisch, wenn wir sehen, wie er
in blinder Liebe sich von Angelika zum Stelldichein verleiten
^) Cfr. Orl für., C. XXIII, st 118 ff.
«) IM., C. XXXIX, 8t 45/f.
— 184 —
läßt, während welcher Zeit diese mit ihrem Liebhaber ver-
schwindet. Komisch wirkt femer die Szene, in der Boland
in Raserei gerät (Akt IV, 4). Nach der Bühnenweisung
bricht er die Inschriften, die auf Holztafelo angebracht sind (!),
in Stücke, reißt Zweige und Äste von den Bäumen und zer-
schlägt Felsenstücke, schließlich glaubt er eine Furie zu sehen
und beginnt zu ihr zu sprechen. So stehen wir den Titel-
helden fortwährend in komischen Situationen und als diejenige
Person, die getäuscht wird. Man könnte überhaupt versucht
sein, die ganze Oper als Parodie des OrL für, zu betrachten,
wenn die Charaktere Angelika's und Medor's nicht so ernst
und tiefsinnig vom französischen Dichter gezeichnet worden
wären. Lange sträubt sich Angelika, den Regungen ihres
Herzens Folge zu leisten, sie weist Medor's Antrag zurück,
aber in demselben Augenblicke bereut sie ihr hartes Wort;
und als sie dann den Geliebten ihretwillen leiden sieht
(Akt II, 4), stürzt sie in seine Arme und flüstert ihm leise
zu, wie sehr sie ihn liebe, und bietet dem einfachen Knappen
eines Königs Krone und Thron von Cathay an. Diese beiden
Szenen zwischen Angelika und Medor sind zweifellos die
schönsten des ganzen Stückes.^) Überhaupt tritt Roland im
Vergleiche zu diesem Liebespaar viel zu sehr in den Hinter-
grund, abgesehen davon, daß er auch weit weniger sympathisch
erscheint als Angelika und Medor.
*) Das Duo in der 4. Szetie des I. Aktes wurde bald sehr populär
und war jahrzehntelang in aller Munde {Cleme7itj Dict lyr., S, 972):
Ang.: *. . . Fartez Medot! Med.: 0 Cielt
Ang.: Partez sans di/firer.
Med. : Helas ! Ay je pü vous diplaire ? *
Ang, : Xon, non je n'ay point de colere
Laissons les discours super flu^,
Partez
Med. : Je )he vous verray plus» etc.
Dieselbe Berühmtheit erlangte Sz. 4, Akt III, S. 25:
Vivez pour moy, qu^ü vous souvienne
Que votre Destince est unie ä la mienne,
Ma mort suivroit votre tripas:
ivitons un destin tragique;
Medor ne veut4l pas
Vivre pour Angelique?*
— 185 —
Um Quinault's Dichtung gerecht zu beurteilen, muß man
berücksichtigen, daß der Verfasser nicht eine Tragödie in
den strengen Formen der Klassizität schreiben wollte, sondern
daß es ihm vor allem darum zu tun war, einen Operntext zu
liefern, d. h. einen möglichst romantischen Stoff zu dramati-
sieren und ihn mit lyrischen, für Arien, Duos und Chöre
passenden Einsätzen zu durchwirken.
Dieser Zweck rechtfertigt Quinault's Abweichungen von
der Quelle zur Genüge, und er erklärt auch, daß wir eine
logische Entwicklung der Handlung und teilweise auch der
Charaktere des Stückes schlechterdings in Abrede stellen
müssen. Als Oper des ausgehenden 17. Jahrhunderts jedoch
betrachtet, ist der Roland Quinault's zu den besten da-
maligen Erzeugnissen dieses Genres zu zählen. Auch in
musikalischer Hinsicht gehört der Roland zu den erstklassigen
Opern jener Zeit, und Lully, der Komponist des Stückes, er-
klärt es für die beste seiner Tonschöpfungen. ^)
Bald nach der Aufführung des Stückes ließen sich
kritische Stimmen vernehmen, welche das tolle Gebärden des
rasenden Roland's auf der Bühne und das etwas süßliche
Liebesgesäusel Angelika's und Medor's lächerlich machten,
und irgend ein versgewandter Kritiker, dessen Namen wir
nicht kennen, faßte diese vernichtenden Äußerungen des
Theaterpublikums in folgendem Gedichte zusammen:
tDans un bois, Angelique errante ä la venture,
Voit Metlor etendu, blessc, sans nul espoir\
Le tronve heaUj le pause avec VempiUre noir,
Lui fait des houillons frais et gu6rit sa blessure.
Son amoureux RoUxtid fait piteuse figui-e,
Jone ä Cdin-maülard, lui parle sans la voir,
Feste en vain, car la Beine oubliant son devoir,
De son convalescani veut etre la monture.
Theniire a benu chantcr, beau dire et beau crier,
Qti'il est peut-Hre issu de quelque cnisinier :
Angpliqne le veut et /'a gueri pour eile.
*) Clement, Dict lyr., S. flW^.
— 186 —
Elle etileve Medor et platite Id Bolandj
Qui va dans les Hameaux faire le Capitan;
Puis un doux mennei lui remet la cervelie.* ^)
In L6ris' Dictionnaire portatif *) wird der Oper Quinaulfs
ein unbedingtes Lob zuteil. Während Nic6ron'), Mau-
point ^) nur den Namen des Stückes anführen, wird es bei
Goujef^), der doch Quinault ausfuhrlich behandelt, nicht
einmal dem Namen nach erwähnt. La Porte und Cbam-
fort geben zwar zu, daß der vierte Akt große Schönheiten
aufzuweisen hat, beanstanden aber, daß Angelika und Medor
zu oft auf der Bühne erscheinen, und daß Roland's Käserei
sich im Abreißen von Baumzweigen u. dgl. äußert.*) Auch
Voltaire bezeichnet den vierten Akt als ein Meisterwerk
Quinaulfs.') Voltaire's Schüler La Harpe findet, daß das
Stück nicht so sehr eine iragcdie lyrique als eine 2)a^iorale
Mrdüiue ist, wo eine Königin einem Schäfer (sie!) den
Vorzug gebe vor einem berühmten Helden. Stoff und
Verwicklung sind nach ihm etwas unbedeutend^}; doch
reicht Quinault manchmal bis zum Erhabenen. Chou-
quet bespricht zwar den Koland Quinaulfs nicht näher*),
fällt aber über die lyrischen Dramen dieses Dichters insge-
samt ein sehr günstiges Urteil.^®) Als besonderes Verdienst
1) Zitiei't bei La Porte et Chamfort, Dict, III, 70.
«) S. 391 f.
») MemoircB XXVIII, 210.
*) Bibl. fr., S. 273.
») Bibl. fr., XVIIl 248.
•) Dict. dram., III, 70: «. . . . Angilique et Midor paraissent
trop souvent sur la scene. Les fureurs de Roland surtout devroitnt U
pm'ter ä quelque chose de plus q\i'ä ibrancher des arbf*es et ä combattre
des etres inanimes.»
') Dict. phil. (Art. Art dramatiqtie) VII, 189.
*) Cours de litt, I, 605: * . . . Le fmid est \m peti faible^ Vintrigue
est peu de chose.»
^) Hist. du drame mnsical, S. 321.
^^) Ibd,, S, 112: »Le Premier, il comprit qiie, ä cause de sa desti-
nation speciale, Vopera ejÄge une autre coupe gue ceüe des pieces oü il
n^enti'e que du dialogue. Versificateur ha^inonieux, ilegant et faciit,
auteur verse dans la science et dans la pratique du theätre . . ., PA. Quinault
— 187 —
rechnet er ihm an, daß er die MischuDg des komischen
und des tragischen Elementes, die dem französischen Ge-
scbmacke nicht behage, vermieden habe.^) Wir haben jedoch
gesehen, daß gerade der Roland furieux sehr oft das Komische
streift.
Eicke beschränkt sich auf die Betonung des szenischen
Apparates, mit dem Quinault seine Oper ausstattete.^) Dou-
mic nennt die Szene, in der Boland durch den Hochzeits-
zug die untreue Angelika's erfährt (Akt IV, 4), geradezu ein
Wunder der Kunst.*)
Ahnlich wie Chouquet hält Proelss unseren Dichter
ganz besonders geeignet fiir die Oper, da er ein zartes,
lyrisches Talent besitze und sich der Musik unterzuordnen
wisse. Allerdings vernachlässige er dadurch die eigentlichen
dramatischen Forderungen, die folgerichtige Entwicklung der
Charaktere und der Handlung.^) Julleville bezeichnet den
iRoland als eine bemerkenswerte Leistung, hebt aber zugleich
den Mangel jeglichen dramatischen Interesses hervor, der dem
Stücke anhafte.*) Birch-Hirschfeld*) endlich erkennt
Quinault's Unerreichbarkeit in der Handhabung des Stiles
risolut d€ consacrer ses brillantes facuUes ä un gtnre qui^ de son temps,
nianqwiit encore ä noire litt^ature.»
') Ibd., S. 112: •II commeni'a par imiter les Italiens et par com-
biner Velement comique avec VeUment tragique; mais il s^aperi^t vite
que le goüt frangais repausse ce müange, et il y renonga pour toujours
apreu la representation d^Alceste,»
") Z. Rolandsage, S. 14. ■— Eicke beschäftigt sich nur mit Prolog
und Persortenverzeichnis des Stückes.
') Kritik von Rolandes Histoire de VOpira, die sich mit dem
Einfiufi der Oper auf die Tragödie beschäftigt (Revm des 2 m(yndes,
1896, S. 451).
*) Gesch. d. Dramas, Bd. II, Halbbd. 2, 247.
*) Le Theätre en France, S. 247.
•) Gesch. d. frz. Litt. (Suohier und Birch- Hirschfeld)
8. 479: tQuinaiilt verstand es, in geschickter Weise Ludwig* s XIV. Lob
vn sinnreichen Prologen zu verkünden und in seinen Opemtexten dem
Komponisten wirkutigsvolle theatralische Unterlagen zu schaffen. Wahr-
heit und Kraft verlangte man in derartigen Dichtungen nicht, es genügte,
wenn die Sit^uition oberflächlich, aber doch mit Pathos gekennzeichnet
war; das Übrige war Aufgabe der Musik. In der flüssigen Geschmeidig-
— 188 —
und des Verses an, spricht ihm aber jede tiefere dramatische
Begabung ab.
Unter den Theaterstücken, die dem bekannten, äußerst
fruchtbaren Komödiendichter Dancourt zugeschrieben
werden, befindet sich eine Parodie der Quinault'schen Oper,
betitelt Angelique et Medor. Sonderbarerweise wird sie von
nur wenigen Forschern erwähnt.^) Gespielt wurde das Stück
zum ersten Male am 1. August des Jahres 1685 nach der
Aufführung von Racine's Berenice ^) ; der £rfolg, den es er-
zielte, scheint nicht bedeutend gewesen zu sein, da es nur 14
Aufführungen erlebte.^)
Der Inhalt des kurzen Einakters ist in wenigen Worten
folgender: Ein junger Mann vom Lande will ein Mädchen
der Hauptstadt heiraten, das jedoch nur von ihrer Mutter zu
diesem Bunde gezwungen wird. Ein vornehmer Edelmann,
der eine tiefe Zuneigung zu der Dame gefaßt hat und sich
von dieser wieder geliebt weiß, beschließt den unbequemen
Freier vom Lande zu überlisten. Da nämlich der letztere
ein leidenschaftlicher Freund der Musik ist, führt er sich
keit und natürlichen Anmut des StilSj im Wohlklang des Verses hat
Quinanlt niemand en-eicht.'^
*) Beauchamps, Recherches, 2. Teil^ S. 269 f.; Dictionnaire d.
Th., IT, 242; Mouhy, Tablettes 7, 20 und Abrfgi J, 36; Qu6rard,
La France litt, Bd. 17, 381; dagegen fehlt eine Erwähnung dieser
Komödie hei: Palissot, Mem. d. litt.j II, 91 ff.; Lemaznrier, Grolerie
des auteurs, 7, 195 ff.; 31ichaud, Bibl. univ., Bd. X, 89 (die Haupts.
Werke werden aufgezählt und zum Schlüsse heißt es: mll a compose
heaucoup d'autres comMies cpi'il a faxt reprisenter sur les ihiätres de
province auxqucls il Hait attachh); Jal, Dict. crit, S. 466; Lucas,
Hist., III, 3(J8; La Gr. Encycl, XIII, 827 {bringt eine kurze Lebens-
beschreibung des Dichters): Lemaitre, La comidie aprhs Moliere,
S. 233 u. 234; Lion, La com. apres Mol {Hist d. l litt., p. p.
Julleville, T7, 567 ff.). Die vollständigste Ausgabe der Werke DaD-
court's ist nach Vapereau {Dict. univ., S. 572) die von 1760;
doch findet sich dort unser Lustspiel nicht; dasselbe ist gedruckt in
einem «Recuvil de Pieces de Theätre», welcJier unter Dancourfs Namen
erschien.
*) Mouhy, Tablettes, Bd. I, 20, nennt die Komödie „sehr schwach^;
ebenso Leris, Dict. portatif.^ S. 43. Er bezeichnet sie als eine Art Pa-
rodie des Eol. V. Qninault.
— 189 —
verkleidet als OpernsäDger in das Haas der Geliebten ein, wo
eben der zukünftige Bräutigam weilt. Man macht den Vor-
schlag, den Roland von Quinault auf der Hausbühne zu spielen.
Das Mädchen übernimmt die Bolle Angelika's, der Edelmann
die des Medor; nach einigen Szenen, in welchen Quinault's
Oper parodiert werden soll, verschwinden die beiden Spieler
hinter den Kulissen, ein Diener aber tritt auf die Bühne und
meldet, daß das Liebespaar verschwunden sei:
tAngSlique est partie, et Medor avec eile,* ^)
Mutter und Bräutigam sind in Verzweiflung ; denn laach
einem solchen Skandal bleibt den beiden kein anderer Aus-
weg übrig als auf ihren Heiratsplan zu verzichten.
Da weiter nichts als der Titel dieses Einakters dem Orl.
für. entlehnt ist, gehen wir sogleich zu einigen anderen Stücken
über, die gleichfalls Parodien der Quinault'schen Oper sind.
Strenggenommen gehören sie nicht zu unserer Abhandlung,
aber sie dürfen nicht übergangen werden, da sie ein glänzender
Beweis sind, wie tief und lebendig noch in der ersten Hälfte
des 18. Jahrhunderts die Kenntnis des Ariost'schen Epos
war, und wie beliebt und bekannt die unsterblichen Helden
und Heldinnen desselben in allen Kreisen des Volkes waren.
Im Jahre 1717 wurde ein Pierrot furieux ou Pierrot
lioland *) von F u z e 1 i e r aufgeführt ^) ; leider wurde diese Paro-
1) Sz. 8, S. 232.
*) Das Stück ist erwähnt hei folgenden Autorefn: Beauch., Beck,
(nur im alphabetischen Verzeichnis der Theaterstücke); Leris, Dict.
dram.^ S. 263; Mouhy, Tablettes I, 13 (M. gibt irrtümlich als Datum
d. Auff. 1731 an); Maupoint, Bibl, S.340; La Porte et Gh., Dict.
dram. III, 455.
^) F uze Her (1672—1752) war ein sehr fi-uchtbarer Theaterdichter
und schrieb hauptsächlich für die Bühne des Theätre de la Foire de St.
Germain. Ein scharfes Urteil fällt über ihn La Harpe (Cours d. litt,
Ilf 439) : *. , . k plus froid, et le plus plat rimeur, le bei esprit le plus
gla^Qant et le plus glace, qui ait fait chanter ä V Opera des fariboles dia-
loguees.» Lucas (Hist. II, 50} bedauert, daß er nur für das TJieater
gearbeitet habe. Weite^-e Urteile finden sich fteiMichaud (Biogr. univ.,
XV, 309, wo auch La Harpe's Kritik zitiert ist); Didot (Biogr.
giner, XIX, 77ff,\ La Gr. Encycl, XVIII, 316.
— liJO —
die der Quinault'schen Oper nicht gedruckt. La Porte und
Chamfort ^) nennen dieselbe recht „gewöhnlich", während Des
Bonlmiers behauptet, das Stück habe einen großen Brfolg
errungen.^)
Außer diesem Einakter Fuzeiier'« Teröffentlichten Domi-
nique und Romagnesi*) im Jahre 1727*) eine Parodie
der Oper Quinault's unter dem Titel Arleqtidn Boland, die
nun kurz besprochen werden soll.
Der Inhalt des Stückes ist folgender: Harlekin kann
Angelika's Liebe trotz reichlicher Geschenke nicht gewinnen,
da deren Herz für Medor schlägt. Um Harlekin's zudring-
lichen Bewerbungen za entgehen, bewilligt sie ihm ein Stell-
dichein auf einem Balle, der in der großen Oper abgehalten
wird, flieht aber, anstatt dorthin zu gehen, mit ihrem Ge-
liebten nach Poissy und von da zu Schiff nach Ronen. Als
Harlekin unterdessen auf dem Balle vergebens das trenkwe
Mädchen sacht und dabei noch von zahlreichen Masken über
sein Unglück verspottet wird, gerät er in grenzenlose Wut,
er wirft die Kleider bis aufs Hemd von sidi, prügelt einen
Theaterdiener durch, der ihm Limonade anbietet, zeiliricht
seine Gläser und demoliert schließlich die sämtlichen neuen
Dekorationen des Ballsaales.
Man muß zugeben, daß die beiden Verfasser dieser
niedrigen komischen Parodie die schwächste Seite von Quinault's
Oper, die Darstellung von Roland's Raserei, herausge&ades
und mit Erfolg lächerlich gemacht haben.
Eine ähnliche Handlung weist jene im Jahre 1744 er-
') Biet, dram.y 111, 455: ^Parodie grossürement faite.»
*) Hist. dt Vopira com., II, 457.
*) Beide waren Schampieler am italienischen Theater zu Paris.
Eine ausführliche Liste ihrer zum Teil nicht gedruckten Theaterstücke
(meist Einakter) findet sich bei Beanchamps, Becherches, 3. Teil,
S. 130 ff. ; über Bomagnesi, der gewöhnlich den Schweizer, den Deutschen
oder den Betrunkenen [sic.^ spielte, siehe Vapereau, Dict. univ., 8. 1755:
eine Liste seiner Werke findet sich auch 6ciQn6rard, La ^. litt. Till,
131, wo mehr als 20 Stücke dieses Autors erwähnt werden.
♦) iVao/i Beauchamps, Eech., 3. Teil, 8. 133 wurde es am 31. Bez.
1727 aufgeführt; ebenso Maupoint, Bibl. d. Th. fr., S. JS32; La
Porte et Chamfort, Dict, Bd. I, 126 u. III, 66.
— 191 —
schieDene Parodie auf, welche Panard^) und Sticotti')
zu VerfasseTii hat und die unter dem Titel Roland bekannt
»t*) Wie bei Dominique, so hat auch hier die listige An-
gelika den aufdringlichen Roland zu einem Stelldichein be-
stellt, und zwar diesmal zum Jahrmarkt von Saint-Germain.
Vergebens sucht Astolf, sein Freund, ihn über die Unta*eue
seiner Angebeteten zu trösten. Als Roland auf einem Brette
die Namen von Angelika und Medor liest und von einem
erben vortiberziebenden iHochzeitszuge die Flucht der beiden
Liebenden erfährt, da fällt er in Raserei und zerschlägt die
Dekorationen des Theatersaales von Saint- Germain. Wir
zitieren, um eine Probe von dem Stücke zu geben, die Scblufi-
verae in der letzten (8.) Szene:
Rol. seul : . . . Air : Les Trembleurs (bei Quinault) :
tJ^ay donc dicouverl leur irame:
Uingrate trahit ma flamme,
Cc trait dechire man dme.
Dans quel etat je me vois !
Que tout senie id ma rage:
Faisofis un affrevx ravage
Durandal, sers mon eourage,
AUons abaitre du bois.^
*) P&nard, mehr bdcannt als Dichter von Trink- und GesedsehafU-
liedern, schrieb etliche 80 ThcaicrntOdte {%. Qu^rard, La Fr. litt.,
Bd, TT, 581; Vaperean, Diet., S. 1529); Didot {Biogr.gln. XXXIX,
125) schätzt die Zahl derselben sogar auf mehr als achtzig, La Harpe,
Cours de litt II, 446, nennt Panard^s theatralische Erzeugnisse wertlos
und bettreitet ihm den von Marmontel gegebenen Titel *Le La Fontaine
du Vaudevitle.* Ebenso ungünstig lauten die Urteile von Desessart
(Bibl. d^un komme de goüt F, 166) und in Michaud's {Biogr. univ.,
XXXII, 61); nach der Kritik des letzUn Werkes sind die Stücke
Panard^s arm an Erfindung und dramatischer Wirkung. Dagegen wird
Panard t?on Lenient {La Com., II, 1711172) gelobt und als Schöpfer des
'vaudeüille moral» bezeichnet.
*) Nach Des BoulmierB {Eist de Vop. com., Bd. 11,432) wissen
wir von diesem Autor nur, daß er Schauspieler am „neuen italienischen
Theater'' zu Paris war und mit Fagan, Panard und Dominique eine
Anzahl von Parodien und VaudeviUes schrieb.
») Nach LeriB, Dict., S. 292, wurde der „Roland'' am 20. Januar
1744 aufgeführt. Ebenso La Porte et Chamfort, Dict. III, 71.
— 192 —
Mit diesen Worten beginnt er sein Zerstörungswerk. ^)
Von einem dauernden, künstlerischen Erfolge kann bei
diesen Parodien natürlich nicht gesprochen werden. Sie wurden
für den Augenblick geschaffen! einzig zu dem Zwecke, die
Lachmuskeln des Theaterpublikums für eine Stunde lang zu
reizen, und sie verschwanden schon nach einigen Aufführungen
für immer von der Bühne..
Die große Beliebtheit der Quinault'schen Oper yeran-
laßte den gewaltigen Nebenbuhler Glucks Piccini, sich eben-
falls an die Tonsetzung dieses Stoffes zu machen. Mar-
montel, der yielgewandte Schöngeist der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts, sollte zu diesem Zwecke den Text Quinault's
an einzelnen Stellen umarbeiten.^) So verschwindet denn der
Prolog aus dem Stücke, die Szene, in der Roland's Raserei
ausbricht (IV, 4), wird wesentlich verkürzt, die allegorischen
Gestalten in der letzten Szene der Oper bleiben ebenfalls
weg. Im großen und ganzen ist der Text und die Inszenie-
rung einfacher geworden und nähert sich mehr der klassi-
zistischen Tragödie Racine's. Trotzdem scheint der Stoff
noch zu romantisch für die vornehm einfache Musik Piccini's ')
gewesen zu sein. Wenigstens sagt La Harpe, der im übrigen
^) Leria, Dict. porty S. 388 bezeichnet als Parodie der Oper von
Quinault aitch den Einakter Polichinelle Gros Jean^ der jedoch nicht
gedruckt tmirde tmd dessen Verfasser nicht bekannt zu sein scheint. Das
Datum der Auffassung ist bei lAris nicht angegeben. Dasselbe sagt der
Verfasser der Anecd. dram., 11^ 84. — Barbier {Dict. des Ana-
nymeSj VII^ 377) gibt noch den Titel einer anderen Parodie ^ betitelt
Roland, parodie nouvelle (Par Bailly) s. l n. d. 8^, 48 Seiten. Leider
gelang es uns nicht, in den drei großen Bibliotheken von Paris das
Stück ausfindig zu machen. HöcJist wahrscheinlich ist das derselbe Roland,
den d'Estree {Rev. d'Hist litt. 1901, S. 26S) im Auge hat, wmn er
sagt: Arlequin Roland fait son entrSe «d cJteval stir un äne». Cest le
frhre de Vlle de la Folie, il demande un picot en pUUre pour sa mon-
tiire, mais il semble etre venu plutöt pour se quereüer avec sa sceur.»
*) Lenient, La. comedie du 18* s., II, 232, sagt, Martnontel sei
bereit gewesen, alles zu machen, Tragödien, Opern, Episteln,
') Nach Chouquet, Hist. du dr. m., S. 165, ist der Roland Piccinis
erste Oper mit französischem Texte. Derselbe Forscher lobt besonders ver-
schiedene Szenen, die Rolandes Verzweiflung behandeln, und das Duo
zwischen Angelika und Medor.
._ 193 —
diesen zweiten Roland für ein Meisterwerk des musikalischen
Dramas hält ^)y von der Raserei Roland's im 4. Akte (4. Sz.),
sie hätte nur einen lächerlichen Eindruck auf die Zuschauer
ausgeübt.^)
Auch aus dem 19. Jahrhundert besitzen wir eine Operette,
deren Titel auf die Rolandepisode in Ariost's Epos Bezug
nimmt. Es ist dies Sauvage's Angelique et MidoTj zu der
kein Geringerer als der Komponist Ambroise Thomas die
Musik schrieb. Die Operette wurde zum erstenmal am
10. Mai 1843 aufgeführt, geriet aber bald in Vergessenheit.')
Doch wurde sie durch Druck der weiteren Öffentlichkeit zu-
gänglich gemacht.
Der Inhalt der Operette ist kurz folgender : Ein Theater-
direktor will Piccini's Oper Roland aufführen, aber es fehlen
ihm noch die Rollen von Medor und Roland. Zu denselben
werden zwei Verehrer der Sängerin erwählt, welche die An-
gelika zu spielen hat. Schließlich einigen sich die beiden
männlichen Rollen dahin, daß der begünstigte Verehrer der
Angelika den Medor, der abgewiesene dagegen den Roland
zu spielen habe.
Wenn auch die Operette weiter keine Beziehungen zum
Ariost'schen Epos hat als einige Namen, so ist das Stück
immerhin interessant als Beweis, daß auch im 19. Jahrhundert
die Gestalten des Ori für. den Franzosen wohlbekannte Er-
scheinungen waren, und daß besonders die Roland-Episode
eine unvertilgbare Popularität erlangt hat.
') Cötirs de litt.j II, dlS^ Anm. L Doch ist er mit dem absoluten
Lohtj das Voltaire dem Stücke spendet ^ nicht einverstanden.
*) Ibd. /, 6'65. — Aulier Roland schrieb Marmontel die Opern
Amadis^ Armide, Atys, Isis, Per sie ^ Fhaeton utul Thisee {sämtliche von
Quinault) um. Von diesen Umarbeitungen sagt die Biogr. univ.
XXVlIf 84: *Les chayigements, ayant fait disparaitre les taches et non
les beautes des anciennes po^sieSj ont ajoute ä leur interet et les ont
surtout rendues susceptibles d'admettre toutes les formes dhme musique
qui semblait devoir nous etre etrangere.r> AhnL Didot, Biogr, gen.,
XXXIll 899 ff.
») Clement, Dict. lyr., S. 40.
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIY. 13
--- 194 —
S. Die Isabella-Epiflode.
Diese Episode, welche bekaDntlich den Tod Zerbin's durch
die Hand Mandricard's und das tragische Ende seiner Ge-
liebten Isabella durch einen Schwerthieb Bodomont's be-
handelt, um£Etßt im italienischen Epos einen Teil des 24. 6e*
sanges (Tod des Zerbin st. 46—94), des 88. Gesanges (st. 95—109)
und des 29. Gesanges (Tod Isabellens, st. 3—31).
Wir haben bereits gesehen, daß Mairet diese Episode in
seinen Boland verflocht und wir verurteilten diese Dramati-
sierung zweier Episoden in einer Tragödie aufs schärfste.
Lange Zeit^) vor Mairet versuchte bereits ein in der
frz. Literaturgeschichte des 16. Jahrhunderts ziemlich be-
kannter Dichter, Nicolas de Montreux (auch bekannt
unter dem Namen Olenix du Mont Sacra), diese Episode zu
dramatisieren.^ Nicolas de Montreux, von dem uns nichts
bekannt ist, als daß er wegen Beteiligung an den Unruhen
von 1601, die gegen HeiQrich IV. gerichtet waren, längere
Zeit im Gefäugnis saß^), daß er ferner ein 16. Buch zum
*) Nach Parfaict, Hint III^ ^78 f. ^ erschien die 1, Ausgabe am
25, Aug. 1594; eine andere Ausgabe stammt aus dem J. 1595, das Privileg
vom 18, Dezember 1594; ferner La Croix, Bibl. II, 171; Beau-
champs, Rech., IL Teil, S. 52; La Valliere 1, 260; Leris. Dict,
dram., S. 195, 496: La Porte et Chamfort, Dict, III, 478;
Haureau, Hist. du Maine, II, 421— 4S9; Körting, Gesch. d. frz.
Korn., I, 67; Rigal (Thiätre fr. av. la periode class., S. 114).
Mouhy, AbrSgi, II, 243; Didot, Biogr. gen., XXXVI, 397 und
Joh. Bolte, Moliereiibersetzungen, Herr. Arch., Bd. 82, S. 108, bezeich-
nen dagegen irrtümlicherweise 1594 als das Jahr der Veröffentlichung
der yTsahella'*.
*) Beauchamps, Rech., U, 46, bezeichnet Math, de Laval*s clsa-
belle» {1576) als Tragödie; Mouhy, Abr., I, 270 und Tablette», II, 45,
ICO er LavaVs Isahelle eine Fa^torale nennt, und Prölsa, Gesch. d.
Dramas, IIi, 31. Eine vorgenommene Prüfung hat uns jedoch gezeigt,
daß LavaVs Bearbeitung dieser Episode kein Drama, sondern «nc Er-
zählung in Stanzen ist, welche die Klagen Isabellens um den toten Zerbin
und ihr eigenes unglückseliges Ende besingt.
») La Croix, Bibl, II, 171; ferner La Vallidre, l c, I, 261;
Haureau, Hist. du Maine II, 421—439: «..«« en 1561; on fnanque
— 196 —
Amadifl de Gaule, Tier Bücher der „Schäfereien der schönen
Julia", drei Pastoralen^ ebensoviele Tragödien und eine Komödie
schrieb. ^) Er war ein eifriger Verehrer und Nachahmer der
italienischen Literatur, besonders der ital. Schäferpoesie % die
er in seinem Schäferroman geradezu sklavisch nachahmt ').
Die dramatische Bearbeitung einer £pisode aus dem OrL für.
ist daher als ein Ausfluß tou Montreux' Begeisterung für den
italiffiQischen Epiker su betrachten. ^) Ob das Stück eine Auf-
führung erlebte, ist uns nicht überliefert Doch scheint es
uns aus zwei Gründen wahrscheinlich : erstens wissen wir, daB
ein anderes Stück Montreux', die Komödie La Joyeuse 1661
in Poitiers gespielt wurde % und zweitens hatte das Stück im
Ausgange des 16. und Anfange des 17. Jahrh. eine solche Be-
rühmtheit erlangt, daß es 1607 sogar ins Deutsche übersetzt
wurde. ^) Allerdings wird uns eine nähere Untersuchung des
Stückes zeigen, daß es nichts weniger als dramatisch ist.
Wir geben zunächst eine Inhaltsangabe der Isabeüa.
Akt I ^) : In einem mehrere Seiten umfassenden Monologe
gibt sich der Geist Zeobin's (sie !) den Zuschauem zu erkennen,
erzählt Ton seiner Liebe zu Isabella, von seinem tragischen
Ende, und hofft, mit seiner Geliebten nach deren Tode in der
de remeigmments 8ur m vie^'; Nouv. Biogr. gen. XXXVT, 397 f,; Holl,
Tendenzdrama, S. 208.
') Nouv. Biogr., 36, 397.
«) flaureau, l. c, 433: *ll semble priferer VÄrioste ä Virgile,
Sannazar ä Theocrite, et Garnier ä Sophocle.»
*) Körting, Oeach. des frz. Rom., I, 67.
*) La Croix du Maine, l. c, II, 171, glaubt sogar, Montreux
habe eine ^Sitite de VArioete» {soll wohl heiften du Roland furieux) gt-
nchrieben, worin die Taten der Bourbonen besungen werden; doch sei
das ^yerk nicht gedruckt worden.
*) Rigal , Irc Theätre frani\, S. 114; h&nson, La trag, class. {Rev.
de VHist. litt. 1903, S. 207); Faguet, Trag, fr., 6. 315, behauptet, dap
auch die Tragödie Cleopätre 1594 aufgeführt wurde; da jedoch Faguet
sich auf d/is unzuverlässige Journal du Th. fr. stützt, ist die Richtigkeit
dieser Behauptung zu bezweifeln.
•) Näheres darüber: J. holte, Moliereübersetzungen in Deutschland
{Herr. Arch., LXXXIL lOS) und Trautmann, Frz. Schausp. {JaJir-
buch f Miinch. Gesch. IL 294).
') Das Stück ist ohne Szeneneinteilung und Verszählung.
16*
— 196 —
Unterwelt weiterzuleben; weiß er doch, daß Isabelle bald ihre
Treue mit dem Tode büßen muß, den sie von Rodomont's
Hand erleiden wird. Nachdem Zeobin's Geist wieder Ter-
schwunden ist, erscheint Rodomont, und prahlt mit seinen
Heldentaten vor Paris; seinem Vertrauten Sicambras teilt er
mit, daß er in Isabellen verliebt sei und daß er dieselbe, falls
sie nicht freiwillig ihm folge, mit Gewalt sich erobern würde.
Vergebens stellt ihm Sicambras vor, daß Liebe sich nicht er-
zwingen lasse, vergebens mahnt er den Helden an seine Hitter-
pflicht. Das Gespräch über diesen Gegenstand wird mehrere
Seiten lang zwischen den beiden weitergeführt. Ein Chor
verherrlicht zum Schlüsse die Macht der Liebe, der Keusch-
heit und der Treue.
Akt U : Auch dieser Akt wird durch einen langen Mono-
log eröffnet, in dem Isabelle den Tod ihres Zeobin's erzählt
und den Entschluß äußert, sich das Leben nehmen zu wollen.
Fleurdelys, ihre Vertraute, sucht sie in einem langen Zwie-
gespräche davon abzubringen, worauf der Chor mit einer aber-
maligen Verherrlichung der Liebe und Treue schließt.
Akt III : Renault, der so unglücklich in die leichtsinnige
Angelika verliebt war, jetzt aber vollständig von seiner Liebe
geheilt ist, teilt uns die ganze Geschichte dieser Leidenschaft
mit, während firandimart, Renault's Freund und Fleurdelys'
Verehrer, das Schicksal Roland's, besonders den Ausbruch
seiner Raserei erzählt, worauf zwischen den beiden ein langer
Dialog über die Frage geführt wird, ob die Liebe glücklich
oder unglücklich mache. Zum Schlüsse kommt Isabelle auf
die Bühne und schildert zum zweitenmal in einem langen
Einzelgespräch den Tod Zeobin's. Wie die folgenden, so
wird auch dieser Akt durch einen Chorgesang beendet.
Akt IV: Rodomont, de fils des Titanes>, beschließt, nach-
dem er sich mit Sicambras noch einmal beraten hat, IsabeUa
in seine Gewalt zu bringen, weil er ein Verbrechen aus Liebe
für statthaft hält. Gleich darauf trägt er seine Bewerbungen
Isabellen vor, die zuerst mit Bitten den immer zudringlicher
werdenden Freier abzuwehren versucht, dann aber ihre Zu-
flucht zu einer List nimmt. Sie erzählt Rodomont von wunder-
baren Kräutern, die den Körper unverwundbar machen, und
— 197 —
lädt ihn ein, sie mit ihr zu pflücken. Rodomont leistet der
Einladung Folge.
Akt V: Fleurdelys erfahrt durch den langen Bericht
eines Boten die Einzelheiten des Todes ihrer Herrin nnd
bricht darauf in endlose Klagen aus, mit denen die Tragödie
schließt.
Von einer Handlung in der Isabella können wir, streng
genommen, nicht sprechen. Monologe und Dialoge wechseln
miteinander ab; nirgends ist das Auftreten einer Person moti-
viert, nirgends der Umschlag einer Gesinnung dargestellt.
Alles ist Erzählung, und, was noch schlimmer ist, die Er-
zählungen wiederholen sich ; so wird Zeobin's Tod nicht weniger
als dreimal geschildert (Akt I von Zeobin's Geist, Akt II von
Isabelle, Akt V vom Boten).
Diese Schilderung und der Bericht über Isabellens Tod
sind die einzigen größeren Entlehnungen aus der entsprechen-
den Episode des OL für. Ferner geht Rodomont's Meinung
(Akt IV, S. 66), ein Verbrechen aus Liebe sei statthaft, auf
Ariost zurück, der {OrL fur.^ C. XXIV, 38) sagt:
€E faeümente ogni srusa s^ammette,
Quando in Amor Ja colpa si riflefte.^ ,
Weder Rodomont's Prahlereien, noch sein Zwiegespräch
mit dem im Epos überhaupt nicht erwähnten Sicambras, noch
Renault's, ßrandimart's und Fleurdelys' Auftreten sind vom
französischen Dichter aus der italienischen Quelle entlehnt.
Benault steht bei Ariost ebensowenig in Verbindung mit der
Isabella-Episode wie das rührende Liebespaar Brandimart und
Fleurdelys (cf. Orl. fiir., C. XLI, st. 101 u. C. XLIII, st.
154 ff.). Eigentümlich ist das Erscheinen von Zeobin's
Geist am Anfange des Stückes ; vielleicht gehen wir nicht irre,
wenn wir die Einführung des Geistes durch Montreux als eine
Reminiszenz seiner Ariostlektüre betrachten, wo gleich im 1.
Gesänge (st. 25) der Geist Argaglia's aus dem Flusse auf-
taucht. Vielleicht auch fand Montreux das Vorbild der
<Ontbrej> in Garnier 's Ilippohjie, einem Stücke, welches mit dem
Auftreten des Geistes von Egee beginnt. Der Botenbericht
am Schlüsse der Tragödie ist eine Nachahmung Gamier's,
— 198 —
bei dem solche Berichte, ebenso wie bei Montreoz, die dra-
matische Handlung ersetzen.^)
Von den auftretenden Personen interessiert uns nur !Bodo-
mont, insofern er hier zum erstenmal in einer aus Ariost
entlehnten Tragödie auftritt ^) Offenbar schwebte dem Dichter
der Rodomont der Komödie vor, da der Rodomont des Ariost,
wie wir bereits bemerkt haben, keineswegs der Prahlhans und
Weiberfreund ist, wie ihn Montreux darstellt.
Die Schilderung seiner Heldentaten ist voll Ton Über-
treibungen; er hält sich für einen Nachkommen der Titanen
(Akt IV, S. 60); keiner der Paladine des großen Karl ist
ihm gewachsen. Um Isabellens Liebe zu gewinnen, lügt er
ihr vor, daß zahllose Könige imd Fürsten ihm Untertan seien :
tCent Roys ä me seiinr et ndüe riches IMnees
Me venant faire ioug et offrir leurs provmces,^
(Akt IV, S. 67).
Als dann Isabella sich trotzdem ablehnend gegen ihn
verhält, sagt er ganz erstaunt:
tMaia eelle ne doü pas penser estre en malheur
Qui tieni de Rodomont esclave la valeur
Qui cmnmande sur luy comme vous Isabelle,*
(Akt IV, S. 67).
Alle Frauen, selbst die Göttinnen, begehren, wie er sich
rühmt, seine Liebe:
€Car quand bien amoureux de la fiere Palhsy
De JunoTiy de Venus, et Dianey la helle,
Chacune paroistroit ä mes desirs eruelle ?
Rodomont peut assex pour en despit des Dieux
Ravir d'elles le hien dont il est ennuyeux {eniHeuj' ?),>
(Akt 1, S. 13.)
Dagegen vermissen wir eine Hauptschwäche Rodomont's,
die bei Ariost (0. f., C. XXIX, 20-23) so prächtig geschildert
ist, nämlich die allzu große Liebe dieses Mohamedaners für
.den Wein.
^) Vgl. Morf, Gesch., S. 213; Suchier u. Birch-Hirschf..
Gesch., S. 359.
■) BtkMter' s Bodomontade fällt erst in das Jahr 1605; s. ob, S. 13t
— 199 —
Einige Stellen in Montreux' Tragödie sind nahezu Über-
eetsongen des Originals, nur daß der franzosische Dichter
alles mit größerer Ansfllhrlichkeit und Schwerf&Uigkeit wieder-
gibt So sagt Rodomont zu dem Vorschlage Isabeliens, die
Wunderkräuter zu suchen:
cJe le veuXf il nie piaist, ensemhhmmt allons
Chercher toiäes ces fleurs au'^kssmis des Vdlbjis^
Allons enseniblement sur les costeanx süperbes
Ces racmes eueiüir et af nasser ees herbes,*
(Akt IV, S. 80.)
Man vergleiche damit Orl. für., C. XXIX, st. 19:
^Ella per balxe e per valloni oscuri
Dalle cittä lontana e dalle vüle
Ricoglie di molf erbe; e il Saracino
Non Pabbandona, e Fe sempre vieiru).^
Im nämlichen Akte finden sich folgende Worte Isabellens :
tJe veux bien lous aymer, hien qu'en ayez pmivoir
Plus belle que je suis, mitte beantez aioir
Mais je vous veiix avani une recepte apprtndre,^
(Akt IV, S. 82.)
Die entsprechende Stelle bei Ariost (O. f., G. XXIX,
at 14) lautet:
^Polrete iuttavia ritrovar cenlo
E miile donne di viso giooondo:
Ma cht vi possa dar questo mic dono,
Nessuno aH mondo, o poeki aUri ci sono,>
Eine weitere Nachahmung findet sich noch im 5. Akte,
wo es heißt:
4LDecouvre son beau col, monsire son chaste sein,
Dit au More cruel: Or mainienant espreuve,
Si rien phis dur que moy ä ton avis se treuve.i^
(Akt V, S. 98.)
Ahnlich hieß es schon im Orl. für., C. XXIX, st 26:
^Baffnossi, conie disse, e lieta porse
AW incauto Pagano il collo ignudo.9
— 200 —
Man vergleiche hier die wirkuDgavolle Kürze bei Ariost
gegenüber der Schwerfälligkeit der Montreuz'schen Schilderang!
Endlich gehört noch eine andere Stelle in demselben Akte
(S. 99) hierher: •
tRodomont enyvre tire son fer alors,
En frappe sur le col qu^ü separe du corps
De la chaste Isabeüe, et mourani vincrable
Pronon^ son Zeobin (sie!) (tww vaix lamentable,^
Fast geradeso lautet die betreffende Stelle im Original
(Orl, für,, C. XXIX, St. 25, 26):
<. . . c scorse
Si coüa rnano et si col ferro crtido.
Che del bei capo, giä d'Amore albergo,
Fe tronco rimamre il petto e ü tergo.
Quel fe tre balzi; e funne udiia chiara
VocCf cWiLscendo nominö Zerbino.^
Sollen wir ein Gesamturteil über habelle fallen, so kann
dies nur ein in jeder Beziehung ungünstiges sein. Mon-
treux hat in diesem Stücke bewiesen, daß ihm alles Zeug zu
einem Dramatiker fehlt, daß er keine Ahnung von drama-
tischer Handlung, von Entwicklung oder von der Zeich-
nung von Charakteren hat. Jeder der Akte beginnt mit einem
oder zwei langen Monologen, geht dann über auf ein langes
Zwiegespräch und endet wiederum mit einem Monologe. Am
glücklichsten ist er immer noch da, wo er sich an seine
Quelle hält.
Es kann uns daher nicht wundernehmen, wenn die Kri-
tiken über Montreux und speziell über seine Isabeüe gerade
nicht voll des Lobes sind.
Die Brüder Parfaict^) bezeichnen die dramatischen Lei-
stungen Montreux' als ungenießbar, von seiner Isabelle ^ sagen
*) Eist, du Th. fr. 11 T, 479: *A notre Igard, trop contens de la
lecture de ses Foemes Draniatiques, nous nowi promett&ns bien de n'y
jamais retonrner.*
*) Ibd.^ 8. 496: •VAuteur n^a fait que mettre ce sujct en «wm-
vois vers Franrois et lui donner nne forme Dramatique ä la fnanUrt
de son tems . , .*
— 201 —
sie nur, daß der Dichter den bei Ariost vorgefandenen Stoff
in schlechte französische Verse gebracht und nach Art der
Zeit dramatisiert habe. Nach Goujet sind der Stil und die
Ausdrucksweise unseres Stückes sehr hart, die Verse dagegen
unter der Mittehnäßigkeit.^) Mouhy nennt das Stück schlecht
und tadelt besonders den Versbau.^) Haur6au meint, die
Isabelle sei einfach eine Paraphrasierung der Ariost'scher.
Episode, die aus einer Reihe von Reden bestehe und deren
größter Fehler sei, daß sie äußerst langweilig wirke. ^) Gün-
stiger ist die Eoitik über unseren Dichter in der Nour, Biogr.
gin,*)j welche die warme Sprache und die stellenweise sehr
schönen Verse des Stückes besonders hervorhebt. Faguet,
•nach welchem Montreux ein Schüler Gamier's ist, bezeichnet
dessen Tragödie als zu langweilig und als veraltet für ihre
Zeit; die Isabelle nennt er nach dem Journal du Th. fr.
tromapiesque et bixarre,:» ^)
Die Grande Encyclopedie charakterisiert Montreux' Stücke
als „ungleichwertig, meist mittelmäßig", schweigt aber über die
Isabelle. ^) Rigal endlich scheint dieselbe überhaupt nicht zu
den regelrechten Tragödien* rechnen zu wollen "^j denn er sagt
von ihr: <iAvec son appariiion d'ornbre ati dvhut ei, d la fin, son
suicide heraique raconU par un messager, eile a la prdtention d'etre
une tragedie regulieren, ^)
») Bihl fr., Bd. XV, 104.
') Tabletten, S. 134: *niauüaise et nial versifiee*.
'j Hist du Maine, S. 424: *La tragedie de Montr. est simplement
une Paraphrase du recit de VAHosie et toute rette paraphrase consiste en
de longs diseours ricites successivenunt par Vonibre de Zeobin, par Ro-
domont, par Sicanibras, son ecuyer, par Isabelle, par Fleurdelys, par
Brandimart et par le preux Renaud etc.»
*) Nouv. Biogr. gen., XXX VI, 397,
^) La Trag, fr., S. 315: ^Montreux est en retard sur son temps.*
Fag. erklärt, ein Exemplar der Isabelle nicht gefunden zu haben, und beruft
»ich desJialb auf das Journal du Th. fr.
«) Bd. 24, 278.
') Le thlatre de la Ren., in: JulleviUe, III, 315.
*) Alex. Hardy, von dem bekanntlich 12 Stücke nur dem Titel nach
durch das Stück MaheloVs {s, darüber Rigal, A. Hardy, 8. 72 u. 176 u. bes.
Rigal, Le Th. fr. avant Corneille, S. 310 ff., wo das * Memoire» von Mahelot
genau beschrieben ist) erhalten sind, schrieb auch eine Tragödie »La folie
— 202 —
Aufier Montreux' IsäbeUe besitzen wir noch eine zweite
Tragödie, in welcher die Isabella-Episode behandelt wird,
welche jedoch, wie aus dem Titel derselben herrorgeht, Zerbin's
Abenteuer mit seinen treulosen Freunden Choret und Odoric
(Orl. für., C. XVIU) umfaBt. ^) Da ein Verfasser Ton den
Forschem^), die das Stück erwähnen, nieht angegeben ist,
sind wir auf Vermutungeo angewiesen, oder müssen auf eine
Lösung der Yerfasserfrage yerzicbten. Unseres Erachtens
käme in erster Linie Cfa. Bauter in Betracht, der ja, wie wir
bereits sagten, außer den beiden schon erwähnten Tragödien
noch andere ähnliche, uns aber nicht bekannte Stücke schrieb ') ;
als zweiter vermutlicher Verfasser wäre Coignee de Bourron
zu nennen, der 7 Jahre früher auch die Rolandepisode dra-.
matisch behandelt hatte. Da es uns bisher nicht möglich
war, das Stück in einer der Pariser Bibliotheken auafind^ za
machen, können wir unsere Hypothesen nicht näher begründen.
Wir möchten nur darauf hinweisen, daß Bourron's Stücke
dysabeüe» (= La folie d'IsabeUe), von der La Valli^re {Bibl l 551)
sagt, $%€ scheine dem Ariost entlehnt zu -sein. Doch läßt die dem Stücke
hinziigefiigte Bühnenweisung Mahelofs einigen Zweifel über die Richtig-
keit von La Vaüth-e^s Vermutung erstehen. Denn jener sagt in der
Bühnenweisung u. a.: »11 faut que le thiätre sott beau, et ä nn des
cötes une belle chambre ou il y ait un beau lit, des si^es pour s^asseoir.
La dite chambre s'ouvi-e et se ferme plusieurs fois. Vous la pouvti
mettre au milieu du theatre, si vous voulez.» Diese Angabe des Schau-
platzes würde absolut nicht stimmen zur Isabeüaepisode bei Ariost. Auch
eine Tragödie, in welcher Renault eine bedeutende RoÜe spidt, scheint
Hardy geschrid>en xu haben {siehe Ki^s^X^ AI, Hardy, S.72); Steng^el
{Neudruck des AI. Hardy, S. IV) meinte dieselbe sei identisch mit dem
wm uns bereits erwähnten Stücke La mort de Bradamante (1622; siehe
Farfaict, Hist. IV, 365 u. La Vall. /, 549); doch spidt RenauU
in dieser Tragödie eine so untergeordnete Roüe, daß tctr Steng^s Ver-
mutung zurückweisen müssen. Weitere Untersuchungen sind hierüber
noch nicht angestellt
^] Les Amours de Zerbin et d'Isabdky princesse fugitvoe, ok il est
remarqui les pSrils et grandes fortunes passies par ledit Zerbin, recher-
chant son Isabelle par le monde, et comme il est ddivri de la mort par
Roland. Troyes. 1621. 8^,
») Beauch., Rech., 2. TeU, S. 92; La Vallidre, BtW. /, 5^;
Mouhy, Abr^i /, 50L
>) Vgl. auch Beauch,, l c, S. 72.
— 203 —
Angeüque et Medor und der anonjmen Tragödie ein auffällig
langer Titel gemeineam ist, wie ihn andere zeitgettosaieche
Stücke nicht an&uweiaen haben.
Eine Inhaltsangabe der Tragödie findet sich bei La
Vallidre.^) Das Stück ist außerdem bei Beauchamps^ und
Mouhy') erwähnt, welch' letzterer es zu seiner Zeit sdion zu
den tPiices Anonymes et Tris dif fidles ä irouver> zählt.
4. Die Ginevra-Episade. ^)
Diese Episode gehört zu den in Frankreich am meisten
gelesenen. Schon Mellin de Saint-Gelais und Desportes ver-
suchten sie in ihrer Muttersprache nachzuerzählen; auch in
England war sie, wie wir gesehen haben, schon frühzeitig be-
kannt, und beliebt, wohl deshalb, weil der Schauplatz derselben
Schottland ist. Die Episode umfaßt im italienischen Epos
drei Gesänge (C. IV, st. 56—72, C. V ganz, C. VI, st. 2—16).
Von allen Episoden des Orl. für. wird die Geschichte
der unglücklichen schottischen Königstochter zuerst dramatisch
behandelt.
Am Faschingsdienstag des Jahres 1564 ^) nämlich wurde
eine Tragikomödie Genievre im Schlosse zuFontainebleau
vor dem königlichen Hofe aufgeführt, wobei die Rollen von
den einzelnen Mitgliedern des Hofes gespielt wurden.®)
>) Bibl L 536 ff. In dem Bull ital (77, 60-6t) gibt Toldo
eine Inhaltsangabe des Stückes genau nach La Valliere, ohne jedoch
seine Quelle zu nennen. Über die Verfasserfrage äußert er sich nicht,
wie es überhaupt dem ganzeri Artikel an Crründliehkeit mangelt.
•) Rech., 2. Teil, S. 92.
») Abr^e /, 501.
*) Über die Quelle ders. (Bandello, Novelle. I» parte, nov, 22) sieht
Jtajna, Le fonti deW Orl. /"., 8. 128ff.
*) M adele ine, Foetes fr. ä FontaineUeau, S. 359 und Lanson,
Les orig. de la trag, class. {Rev. d'Hist litt. 1903. Z, 418).
*) Nach Brantome's Erzählung, die wir nachfolgen lassen, getcinnt
es den Anschein, als ob nur weibliche Personen spielten. Doch glauben
wir, daß Brantome's Schilderung in diesem Falle nicht ganz genau ist,
sunud ufir wissen, daß z, B. der Epilog von Castelnau, also von einem
Manne vorgetragen irurde.
— 204 —
Das Stück scheint verschollen zu sein; doch haben wir
einen ziemlich eingehenden Bericht des französischen Chronisten
Castelnau^), welcher selber an der Anffahmng der Oenievre
tätigen Anteil nahm. Dem Lokalhistoriker Madeleine aus
Eontainebleau gebührt das Verdienst, auf das Stück neuer-
dings aufmerksam gemacht zu haben.
Wir wollen auf diese merkwürdige Aufführung näher ein-
gehen und Madeleine's Bericht darüber durch Hinzuziehung
neuer Quellen ergänzen.
Außer von Castelnau wird nämlich unsere Tragödie auch
von Brant6me-)in den Dames iüiistres erwähnt, wobei er die
Vorliebe Katharina's von Medici, der damaligen französischen
Königin, für Turniere und andere Arten von Waffenspielen
hervorhebt und erzählt, wie „eine Komödie von der schönen
Ginevra aus Ariost" von aimadame (VÄngouleme et par ses plus
fionnestes et heiles princesses et dames ei fUles de sa caur» so vor-
trefflich, wie noch keine andere aufgeführt wurde.*) Dan
Michel erwähnt die Aufführung einer Komödie am Abend
des Faschingssonntags, so daß wir es hier entweder mit
einer kleinen Zeitverwechslung zu tun haben, oder wir müßten
annehmen, Dan spreche von einem anderen Stücke.^)
Aus der Korrespondenz der Königin selbst geht hervor,
daß sie Anfangs Februar 1564 in Fontainebleau war, wo sie
ihren Gemahl erwartete, doch erwähnt sie sonderbarerweise
nichts von den Festlichkeiten.'^)
Auch Castelnau nennt den Titel unseres Stückes nicht,
sondern berichtet®) nur über den Epilog, den er „nach der
Komödie, die von einem jeden bewundert wurde", vorzutragen
hatte und dessen Verfasser kein Geringerer war als Kons ard.
^) Memoires sur les regnes de Fran^ois II y Charles IX, Henri ITl,
et de Catherine de Medicis. F. 1621, 4^ S. 2S4ff,
'^) (Euvres de Br. {Ausg. Lalayme, II, 346).
*) Ihd., S. S47: « Vnt comedie sur le sujet de la belle Gefievre de
VArioste.»
* ) Le Tresor des M&rv^eiUes de Ui Maison royale de Fontainebleau, S. 5S.
^) Lettres de Cath. d. Medicis, Bd. II, 145 {in der Sammlung der
Dovuments inedits de VHist. de France).
"^j MemoireSy S. 234: »Et apres la Comedie qui fut admiree d'un
chascun ...»
— 205 —
In seinem Boccage Royal spielt Ronsard sogar auf die
Genieire an, als er sich an Katharina von Medici wendet und
die Erinnerung an die Fontainebleauer Festlichkeiten auf-
frischt; die betreflfenden Verse lauten*):
iiQuaml voirrons-nous sur le haut d^une scene
()uelque Janni ayant la joue pleim
Ou de farine ou dienere qui dira
Quelque hon mot qui raus rejouira r'
Qiiand voinons-rwus un autre Folynesse
Tr&mpei' Dcdinde ?,..,>
Ein Kommentator des Boccage Ihyal, Pierre de Mar-
cassus, nahezu ein Zeitgenosse Ronsard's, bemerkt zu den
beiden letzten Versen, daß sie auf ein Stück anspielen, welches
1664 zu Fontainebleau gespielt wurde. ^)
Endlich wird inVauquelin's Art poeiique^) ein Stück,
welches die Ginevra-Episode behandelt, als Muster einer Tragi-
komödie zitiert:
KPuis qu'cst il rien plus beau qu'vn nigreur adoiici,
Par le contraire euent de la PeHpetie'^
Polincsse crogoit la niort dWriodanty
Esperant roir ietter dans vn hrasier ardant
Vinnocenie Geneure, alors que jniserabk
All contraire il se void mmirir comme coujjable.*
Diese Verse beziehen sich sicherlich auf die in Fontaine-
bleau aufgeführte Geni^vre, es müßte denn sein, daß später
noch ein anderes, uns unbekanntes, ähnliches Stück ver-
öflfentlicht wurde.
Über den Verfasser der Genievre sind wir vollständig im
Dunkeln. Es ist indes anzuoehmen, daß derselbe in dem
damals in Fontainebleau weilenden Dichterkreis zu suchen
ist. Sehr wichtig scheint uns die Tatsache, daß bereits 1556
eine französische Bearbeitung unserer Episode Ton Claude
') Boccage royal (j). p. Blanchemain) III^ S. .HH4.
*) Bei Madeleine, l. c, S. 359 angeführt
') Les diverses Poesies de VaHfpierin /, SS: im 2. Buch des Art
poitiqxie.
— 206 —
Taillemont geliefert wurde, welche jener Tragödie als
Quelle dienen konnte.^) Oder sollte CL Taillemont später
seine Bearbeitang zu einem Drama umgeändert haben? Vor-
erst können wir jedoch über diese Frage keine genügende
Antwort geben.
Sind wir über die Genieire Ton Fontainebleau nur auf
Vermutungen angewiesen, so besitzen wir dagegen die Genhre
des Claude Billard, welche dieser Dichter im Jahre 1610
veröffentlichte und die noch im nämlichen Jahre über die
Bühne ging. Billard, in seiner Jagend Page der Her-
zogin von Retz, später ein tatenloses Leben auf seinem Schlosse
Courgenay verbringend, hinterließ sieben Tragödien und die
Tragikomödie Genövre, einige kleinere französische und
lateinische Gedichte und ein religiöses Epos, VJßglise triom-
phanie, das jedoch nicht veröffentlicht wurde.
Wir lassen zunächst eine Inhaltsangabe seiner Tragi-
komödie folgen.
Ariodan erzählt in einem neun Seiten langen Monologe, wie
er von seiner Geliebten Ginevra und dem Herzoge Polj-nesso
verraten worden ist, und sein Schmerz hierüber ist so groß,
daß er sich zu töten beschließt. Nachdem der Chor ein
Klagelied über die verhängnisvollen Folgen der Eifersucht
angestimmt hat, deutet er an, daß Ariodan vielleicht falsch
gesehen habe und daß der Verleumder von Ginevra's Ehre
bestraft werden würde.
Akt II : Ariodan's Bruder, Lurquain, verflucht die treu-
lose Ginevra, weil sie seinen Bruder in den Tod getrieben
habe ; er will ihren Frevel blutig rächen, indem er den König,
Ginevra's Vater, zur Anordnung eines ,. Gottesurteils'' drängt,
das die Schuld oder Unschuld des Mädchens ans Tageslicht
bringen soll. Der Chor nimmt am Schlüsse des Aktes für
die Königstochter Partei, da er von deren Unschuld fest
überzeugt ist.
') Le contt de Vinfante Genevre figle du Roy d^Eecosse pris du
Furieiix et fet Fran^oes. — Die Erzählung befit^t sich in der Tricarite
des CL Taillemont^ Lyonoes, Lyon, J. Temporalj lö56j 8®. Nur hei Du
Verdierj S. 964^ envähnt.
— 207 — I
Akt ni: Ginevra beweint in einem fiinf Seiten lasgen
Monologe ihren tot geglaubten Ariodan, um so mehr, als sie
den Qmnd seines Selbstmordes nicht ahnen kann, worauf
schliefilich der Chor ein Loblied auf die lindernde Wirkung
der Tränen anstimmt.
Akt IV : Nachdem Lorqain mit harten Worten Ginevra
des Verrates an Ariodan beschuldigt hat, bricht diese wiederum
in laute Klagen aus und bedauert ganz besonders, daB
ihr in der Feme weilender Bruder Zerbin für ihre Ehre
nicht eintreten kann. Die königlichen Eltern suchen ihr Kind
zu trösten, und rufen Gott und die Heiligen in langen Bitten
zum Beistande an, damit der bevorstehende Zweikampf ein
gutes Ende für Ginevra nehme. In solcher Bedrängnis weiß
auch der Chor keinen andern Trost als das unerschütterliche
Vertrauen zu Gott, der die Unschuld rette.
Akt V: Noch ehe der Zweikampf zwischen Lurquain
und dem unbekannten Ritter, der sich in letzter Stunde für
Ginevra gemeldet hat, zum Austrag kommt, erscheint Renault
am Hofe. Nachdem er mit ausführlichen Worten seine Her-
kunft und seine Heldentaten berichtet hat, erzählt er, daß er
Dalinde, die Vertraute Ginevra's und verstoßene Geliebte
Polynesso's, getroffen habe ; von ihr sei ihm mitgeteilt worden,
daß sie in der Kleidung ihrer Herrin mit Polynesso das
nächtliche Stelldichein am Balkon gehabt habe. Aus Dalinden's
weiterem Berichte ergibt sich, daß Polynesso seinem Freunde
Ariodan den Glauben an die Treue Ginevra's rauben und
deren Liebe dann selber gewinnen wollte.
Auf diese Erzählung Renault's hin wird der Zweikampf
sofort aufgehoben, und Polynesso auf königliche Verfügung
hin dem Feuertode überliefert, der unbekannte Ritter aber,
der in letzter Stunde für die Königstochter eintreten wollte,
ist kein anderer als Ariodan, welcher sich allerdings ins Meer
geworfen hatte, aber durch das kalte Wasser bald wieder
zur besseren Einsicht gebracht wurde. Bereitwillig belohnt
der König den tapferen Ariodan mit der Hand seiner Tochter.
Was das Verhältnis dieser „Handlung" zu Ariost betrifft,
so findet sich nur eine Abweichung von der italienischen
Quelle; während nämlich Polinesso in der Tragikomödie den
— 208 —
Feuertod stirbt, scheint dieser Verräter bei Ariost ohne Be-
strafung davoDgekommen zu sein (cf. Ort. fur.^ 0. VI, st. 15).
Trotz dieser engen Anlehnung an den Epiker lassen sich
keine wörtlichen Nachahmungen oder Übersetzungen einzehier
Szenen nachweisen. Billard ist viel weitschweifiger als sein
Vorbild; wo Ariost mit einem oder ein paar Versen eine
Situation zeichnet oder eine Gemütsstimmung schildert, da
malt der französische Dichter breit aus, wobei er besonders
die Rumpelkammer der griechischen und römischen Mytho-
logie ausplündert, wie es eben damals in der Schule Garnier s
Sitte war. So beruht Ariodan's langer Monolog (Akt I, 1)
auf den zwei Versen bei Ariost (Orl, für., C. V, 52);
tCadde in tanto dolor j che si dispone
ÄUora^ allora di voler mwho
Ebenso ist Lurquain's Monolog (Akt II, 1) eine Aus-
malung der 4 Verse im OrL für, (C. V, 61):
tDi tidii ü suo fratel mosirö pm lutto,
E si sonw ferse riel dolqi' si forte j
CWad esempio di lui contra se stesso
Voliö quasi la man^ per irgli apjyresso,* ^)
Endlich sind Ginevra's Klagen um den totgeglaubten
Geliebten eine breit angelegte Paraphrase der 60. Stanze des
5. Gesanges.
Von einer Charakterisierung der Personen des Stückes
kann streng genommen nicht gesprochen werden, da sie
immer nur auftreten, um irgend eine Begebenheit zu er-
zählen ; natürlich sind die männlichen Charaktere nicht mehr
die tatendurstigen Helden Ariost's, die lieber wuchtige Streiche
austeilen als lange Reden halten. Eine bemerkenswerte Ände-
rung hat im französischen Drama besonders Renault erfahren ;
er spricht ungemein viel, und zwar in den hochmütigsten Aus-
drücken, von sich und seinen Heldentaten, so daß er auffallig
an den Rodomont der früher von uns behandelten Stücke
erinnert. So tritt er gleich anfangs mit folgenden Worten auf:
*) Im Unterschiede von Ariost geht hie^' {Akt /T" 2) Lurquain rw
Oitievra seihst, während er im Epos 7iur vor den König tritt und das
Gottesurteil verlangt.
— 209 —
ttPadore ce grand DieUj je Urne miUe fais
Le grand Dieu qui nia faxt ei Chretün et Frati^ois
Et du sang de Clairmont ...» j
(Akt V, 1, S. 76). I
Von seiDen Taten spricht er sodann in höchst prahle- '
rischer Weise: j
tj^ay brave P Orient et parte siir le front ,
Plus de palmss de prix, trophees de victoires I
QiiUl ne court dans la mer d'ean flottante de Loyre, i
Que le Tage n^iclot en ses flots ecumeus
De sablons ä grains düor^ ny qu>e le Nil fatneu^
Ne voit d'arbres touffus aux grands monts de la Lune^
(Akt V, 1, 77).
In diesem Tone geht es mehrere Seiten hindurch.
Den Chorgesängen jedoch kann man einen gewissen !
poetischen Wert nicht absprechen. Meist in bilderreicher
Sprache sich bewegend, beschäftigen sie sich mit einem dem j
Inhalt des vorausgehenden Aktes entsprechenden Thema.
So widmet der Chor am Schlüsse des II. Aktes der „Wahr-
heit" folgende Zeilen: i
€ Verite, fille imjyolud i
A pour son pere k iemps, .
Pour mere la plaine bleue
Des Cieux au tour inconstans: \
Le temps muable, et les Dieux, \
Descouirant tout ä nos yeux,> i
Besonders poetisch ist der Chorgesang am Ende des j
3. Aktes; da vernehmen wir das Lob der Tränen in folgen- i
dem Sechszeiler:
< Natur e donne aux oyseaux !
Le bec et Vaih pour armes ; I
Le courage aux lyonceaux^
Aux dames Pceil et les lartnes: \
Bei ceil le Boy de nos ccrursy j
Lärmes vengeance aux langueurs,^
In demselben Chore ist darauf hingewiesen, daß Ginevra's
Schmerz der Freude Platz machen wird, wie nach langer
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIV. 14 !
— 210 —
Dürre die Blume durch erquickenden Regen neubelebt und er-
frischt wird:
tComme un orage cCestS
Commence par le tonnere,
Finit par VhumidiU,
De pluie abreuvant ses pleurs
Farcle Vemail de nos fleurs,^
Das Gleichnis stammt übrigens aus dem OrL fur.j wo
ebenfalls die glückliche Wendung früherer Betrübnis mit der
Tom Regen erquickten Blume verglichen wurde (C. 32, 108).
Abgesehen von diesen einzelnen lyrischen Schönheiten
ist die Genevre Billard' s ein schlechtes Machwerk, das
den Namen Tragikomödie überhaupt nicht verdient, da es
keine Handlung, sondern nur eine lange Reihe von Monologen
und ein paar Dialoge enthält.
Nicht besser lautet das Urteil der Forscher, die das Stück
gelesen und kritisiert haben. Beauchamps macht dem Dichter
der Oenevre den Vorwurf unberechtigter Eitelkeit, die aus
seiner Widmung des Werkes an den König hervorgehe ^) ; aller-
dings scheinen Billard's Zeitgenossen eine ebenso hohe
Meinung wie dieser selbst von der Oenevre und seinen anderen
Stücken gehabt zu haben. ^
Der Verfasser der Änecdotes dramutiques^) spricht ihm
*) Rech,, 2. Teil, S. 84,
^ In dem von uns benutzten Sammelbande von BUlard^s Tragödien
findet sich ein Sonett des Lyrikers Hahert, welches Billard an die Spitze
der tragischen Dichter stellt; man vergleiche Nr. 2 u. 3:
ti Billard sent de Hesse emouvoir ses esprits
De se voir le vainqueur des Poetes Tragiques:
Fhoebiis ome son chef de fueillages Delphiques,
A VArt de Melpomene estant le mieux appris.
A Sophocle, Euripide et Seneque il fait honte,
Jodele, la Penise et Garnier ü surmonte,
Deplorant les malheurs des Princes et des Roys,»
') Bd, III, 46: •. . , ,des pensies naives, exprimies d'un style am-
poule et hyperboliqtie, forment un melange rejouissant, mais ce phisir
est celui que donne une Farce.» — Parfaict (Hist, FV, 129), die nur
den Titel des Stückes anführen, behaupten irrtümlicherweise, der Stoff
der Genevre sei der nämliche, den Nicolas Chritien bereits unter gleichem
— 211 —
die Kunst ab „Intrigen zu knüpfen" und Dialoge zu schaffen,
und stellt seine Stücke auf das gleiche Niveau wie die Farcen.
Nach Goujet ist die Qenevre so langweilig , daß man sie
kaum lesen kann; ähnlich ist das Urteil Mouby's, der den
Dichter der Geneyre als eingebildet, diese selbst als „schlecht
in jeder Beziehung" bezeichnet^). Sainte-Beuve kon-
statiert in Billard's Tragödien einen oft grotesken Gegen-
satz zwischen Form und Inhalt.^ Eingehend mit dem Dichter
der Geneyre, nicht aber mit dieser selbst, beschäftigt sich
Faguet, dessen Urteil mit dem unserigen im großen und
ganzen übereinstimmt.^ Nach ihm hat Billard's Theater nur
historischen Wert, weil alle seine Stücke den großen Fehler
haben, nahezu ganz arm an Handlung und in einer schwer-
falligen, kalten Sprache geschrieben zu sein; Faguet nennt
sie darum nur dialogisierte Elegien, die alle Fehler der Gar-
nier'schen Schule im höchsten Grade, dagegen nur wenige yon
deren Vorzügen besäßen.^) G.Wenzel findet, daß Billard's
Monologe einen elegischen Zug aufweisen, welcher sich bereits
in den antiken klassischen Stücken finde. ^) Kigal endlich
glaubt, der Verfasser der Geneyre sei von Alex. Hardy
beeinflußt worden; mit Ausnahme der fünften Akte seien
seine Stücke geistlos und veraltet.*)
Titel behandelt habe, und der in ihrem Werke gelegentlich der Erwähnung
Chritiens bereits analysiert worden sei Eine vorgenommene Untersuchung
ergab, daß es sich nicht um die Genevre, sondern um eine Tragödie ^^Alboin»
handelt, deren Stoff von beiden Dichtem dramatisch bearbeitet wurde.
*) Tablettes, L Teü, S. 110, Abrege J, 219.
«) U 16' sücle, S. 314.
») La Trag, fr., S. 325 ff.
*) Ibd., S. 330: •Pen d'invention, une composition exacte et monO'
tone, avec un peu de mouvement parfois au dinouement, beaucoup de
diclamation et quelquefois un peu d'üoquence; tous les difauts de Vicole
de Garnier poussis ä leur perfection, quelques-unes des qualites de cette
ecole ä un degre estimable, voilä Videe d'ensemble que Von garde de
Claude Billard.»
*) Die Trag. Montchrestien% S. 11.
•) Le Thiätre au 17* sücle (Jullev. IV, 190): «. . . il lui est arrivi
de mettre quelque mouvement dans ses cinquihmes actes; mais comme
taut le reste est vide et demodeh
14*
— 212 —
Ein weiteres der Ginevra-Episode entnommenes, funfaktiges
Stück wurde 1631 von dem ziemlich unbekannten Dichter
Du Rocher unter dem Titel Vlndienne amoureuse ou Vheu-
reux Naufrage veröflFentlicht. *) Zwei Jahre später ließ er die
Pastoralkomödie Mdixe erscheinen, welche Weinberg ein
mittelmäßiges Stück nennt.*) Weitere Stücke sind yon dem
Dichter nicht bekannt.
Der ziemlich verwickelte Inhalt unserer Tragikomödie ist
folgender :
Akt I: Cleraste, Prinz von Peru, erzählt wie ein grau-
sames Geschick ihn, seinen Bruder Bodomare und seinen Rat-
geber und Admiral Melidor durch einen Sturm an die Küste
von Florida geworfen hat. Diese drei Schiffbrüchigen kommen
gerade zur rechten Zeit, um Axiane, die Tochter des Königs
Syname aus den Händen Meander's zu befreien, welcher ihr
Gewalt antun will. Auf Bitten Cleraste's erhält der scheinbar
reuige Meander von Axiane Vergebung. Rosemonde, Prin-
zessin von Cusko, erklärt sogar, trotz dieses Vorfalls, Meander
weiter lieben zu wollen.
Akt II: Cleraste hat gleich zu Axiane beim ersten An-
blick eine tiefe Neigung gefaßt, welche diese nicht uner-
widert läßt. Beide gestehen sich ihre Liebe und widmen sich
gegenseitig Liebesverse, die sie auf ein Stück Papier nieder-
schreiben. Dann ruhen sie bei Einbruch der Nacht am Fuße
eines Baumes aus. Inzwischen entwendet jedoch Meander
dem schlafenden Gieraste die Verse, die ihm soeben Axiane
gewidmet hat.
Akt UI: Meander, der Axiane leidenschaftlich liebt, be-
schließt, seinen Nebenbuhler Cleraste dadurch zu beseitigen,
daß er dessen Glauben an Axianens Treue erschüttert. Er
übergibt ihm zu diesem Zwecke jene Verse mit der Behaup-
tung, Axiane habe sie an ihn, den Meander, gerichtet. Außer-
^) Siehe Bibliographie, S. XL M o u h y , Abrege II, 143, gibt ah Ihitck-
jähr 1611 an; Maupoint, Bibl, S. 175, 1632, ßrunet encUich 1636;
das uns vorliegende Exemplar ist von 1631. Eine andere Ausgabe er-
schien 1635.
") Das franz. Schäferspiel, S. 134.
— 213 —
dem versichert er, daß er ihm abends eine deutlichere Probe
von deren untreue auf dem Balkon des Palastes geben wolle.
Cleraste glaubt in der Tat an Axiane's Verrat, nachdem er
Meander mit einem weiblichen Wesen an dem besagten Platze
gesehen hat. Doch war jene Gestalt nicht seine Geliebte,
sondern Kosemonde, welche auf Geheiß Meander's sich mit
Axiane's Kleidern angetan hatte. Der getäuschte Cleraste will
die vermeintliche Untreue Axiane's nicht überleben, sondern
stürzt sich ins Meer.
Akt ly : Nachdem Bosemonde in einem langen Monologe
ihrer Reue über die Freveltat Ausdruck gegeben hat, kommt
Cleraste heil und gesund von der Meeresküste zurück und
erzählt, daß er im kalten Wasser plötzlich wieder neue Lust
am Leben bekommen habe, und daher wieder ans Land ge-
schwommen sei. Unterdessen treffen sich Rosemonde und
Cleraste zufallig noch einmal in einer Grotte, wo letzterer
die Yerräterei Meander's aus Rosemonde's Munde erfahrt.
Akt V: Axiane war von ihrem eigenen Vater ins Ge-
fängnis geworfen worden, da Rodomare uüd Melidor, die
beiden Augenzeugen der nächtlichen Balkonszene, als ihre
Ankläger aufgetreten waren. Dort muß sie so lange
bleiben, bis das vom König angeordnete Gottesurteil ihre
Schuld oder Unschuld bewiesen hat. Als jedoch Meander's
Verrat offenbar wird, läßt der König auch ihn in Ketten
legen, aber selbst im Kerker hört der Elende nicht auf,
Axiane durch die Mauer hindurch mit Liebesbeteuerungen
zu bestürmen. Endlich soll das Gottesurteil in Form eines
Kampfes zwischen den Vertretern der Anklage und den Ver-
tretern der Angeklagten vollzogen werden. Melidor und Rodo-
mare treten als erstere, Cleraste und Rosemonde als letztere
in die Schranken. Nachdem aber Rosemonde im Kampfe
den Helm verloren hat und daher erkannt wird, muß sie alles
erzählen. Die Folge davon ist, daß Cleraste mit der Hand
Axiane's, Rodomare mit der Hand Rosemonde's belohnt
wird, während Meander seine Strafe in den Flammen findet.
Wie aus dieser Analyse zu ersehen ist, hat Du Rocher
eine Reihe von Veränderungen und Zusätzen gegenüber der
italienischen Quelle vorgenommen.
— 214 —
Der Schauplatz der Handlang wird von ihm nach Fem
und nach Florida verlegt. Die entsprechenden Personen sind
im Drama anders benannt und gehören anderen Ständen an;
außerdem werden auch neue Rollen eingeführt; nämlich
Erastrote, Gleraste's Vater, die beiden Gesandten Clidamonr
und Rosemonde ; endlich wird die Rolle des Lurcanio bei Ariost,
im Drama auf Melidor und Rodomare zugleich verteilt. Die
Personen entsprechen sich im Stücke und in der Quelle folgen-
dermaßen :
Cleraste Ariodante
Aziane Ginevra
Rosemonde Dalinda
Meander Polinesso
Melidor u. Rodomare Lurcanio
Sycame König v. Schottland.
Im Gange der Handlung finden sich folgende Verände-
rungen: Der Schiffbruch des Cleraste, die Begegnung mit
Axiane und Meander, die Liebesszene zwischen dem Prinzen
von Peru und der Königstochter von Florida, das Entwenden
der Verse durch Meander, also der ganze erste Teil des
Stückes bis Akt III, 5 ist eigene Erfindung des französischen
Dichters. Femer treffen sich Dalinda und Ariodante bei Ariost
nicht, während bei Du Rocher Gieraste und Rosemonde in
der Grotte und später noch einmal (V, 2) im Zwiegespräch
sind ; Zutaten des franz. Dichters sind auch die Kerkerszenen
(V, 1 u. 4), die Beteiligung Dalinda-Rosemonde's am Eitmpfe,
endlich die Art und Weise, wie die Aufdeckung von Poli-
nesso-Meander's Verrat vor sich geht. Unverändert von der
Quelle herübergenommen sind nur die Balkonszene, der Selbst-
mord y ersuch Ariodante-Cleraste's und die Anordnung des
Gottesurteils durch den König auf Veranlassung von Clerastens
Bruder.
Von den Charakteren haben besonders die beiden Haupt-
helden des Stückes eine Umgestaltung erfahren. Gieraste, der dem
edlen Ariodante bei Ariost entspricht, wird zwar bei Du Rocher
ebenfalls als edier, hilfsbereiter Mensch geschildert; aber seine
Sprache ist zu geziert, als daß wir ihn mit einem Helden des
— 215 —
Orl. für. vergleichen könnten. So schildert er z. B. die Reize
seiner Geliebten mit folgenden Worten:
tSes yeux ne sont-ils pas deux soleils dont la flammt
Sert d'un phare nouveau pour iclairer mon äme ?
Son insage Ort-il pas des attraits ravissans
Qui dirobent au corps la liberte des sens?
La Jone est un parterre oü dans les fleurs ecloseSj
Ses lys en se mourant fönt renaistre les roses?
La bouehe rCest-eUe pas le plus charmant sijour
Oü se puissent donner les orades d^Amour?
(I, 3, S. 36).
An einer anderen Stelle (I, 2, S. 13) nennt er Axiane
*r abrege des chefs d'(xuvre>, und die Verse, die er ihr wid-
met, könnten ebensogut im Hotel Rambouillet geschrieben
worden sein (Akt 11, 5, S. 45).
Meander ist durch seinen Versuch, Axiane mit Gewalt
sich zu erobern, durch die Entwendung der Verse und durch
sein niedriges Verb alten im Kerker gegenüber der Königs-
tochter weit schlimmer und abstoßender geworden, als ihn
Ariost unter dem Namen Polinesso darstellt. Rosemonde ist
zwar im ersten Teile des Stückes ganz die schwache Dalinda
des italienischen Dichters, erinnert aber später durch ihre
unerschrockene Teilnahme am Kampfe eher an Bradamante
oder an Marphisa.
Du Rocher 's Ulndienne Ämoureuse ist nach unserer
Ansicht viel höher zu stellen als die Oenevre Billard's. Das
Stück ist reich an Handlung, hat einen lebhaften Gang, und
beinahe jede Szene ist motiviert. Zu tadeln ist jedoch die
gezierte mit Concetti überhäufte Sprache, die allerdings in
der damaligen Zeit der „Pastoralmanie^ Mode war.
Der Verfasser der Anecdotes dramatiques^) scheint daher
*) Bd. III, 175: •II paroit giic du tempa de cet Auteur le gaüt
misirable des Romans regnoit de ja sur le thiätre. Les deux Fieces (de
Du Rocher) en sont infesties; des plaintes lameyitxibles sur la perte des
mattresses, de fades expressions sur la fideliti, des incidents puSriles qui
rSvoltent le bon aens, un enchainement continuel de jeux de mots et
d'antithlsea pitoyablea, faisoient alora tout le aucchs des pihea de thiatre^
et voilä ce qu'on trouve dans du Rocher, La poesie pi^nible et fati-
— 216 —
nach unserer Ansicht zu streng zu urteilen, wenn er sagt,
Du Rocher sei einer der Vertreter jener schlechten Ge-
schmacksrichtung, die ihr Vorbild in dem preziösen Roman
der Zeit suchte.
Wir haben bereits früher erwähnt, daß der Orl. für. eine
Lieblingslektüre des Philosophen von Ferney war, daß in
seinen Epen und in einer seiner Erzählungen nachweisbar
Spuren Ariost'schen Einflusses sich finden. Von seinen zahl-
reichen dramatischen Erzeugnissen kommt für unsere Arbeit
nur sein Trauerspiel Tancrede in Betracht.
Die Quellenfrage des Tancrede ist indessen eine sehr
schwierige, die vielleicht überhaupt nicht gelöst werden kann.
La Harpe ist der Ansicht, daß die Ginevra-Episode im
OrL für. den Anlaß zu Voltaire's Tragödie gegeben habe.*)
Beuchot^) dagegen weist darauf hin, daß bereit« 1713 eine
gewisse M™® Desfontaines einen Roman « La Comtesse
de Savoie* veröffentlichte, der nichts anderes als eine Be-
arbeitung der Ginevra-Episode ist und 1726 in Druck gelegt
wurde. ^) Voltaire begrüßte das Erscheinen dieses Werkes mit
einigen Verszeilen, die er an die ihm bekannte Verfasserin
richtete. Desnoisterres^), der Biograph Voltaire's, der
augenscheinlich auf La Harpe zurückgeht, bezeichnet den
Stoff des Taftcrede als eine direkte Entlehnung der Ginevra-
Episode bei Ariost. Birch-Hirschfeld drückt sich hin-
gante trebuche ä cJiaque pas et ses vers mal con^us sont quelquefois trh
äifficiles ä entendre.»
*) Cours de litt. 11^ 639: «ic combat d^Äriodant pour Genhjre^ qui
dana V Orlando est utie mite des loia de la chevalerie, indiquaitä Voltüire
un Chevalier pour son Mros, Cest une Obligation de pltia ä FArioste,
de Uli avoir donne Voccasion de mettre la chevakrie sur la 8chie.»
*J (Eiivres de Volt, JF, 489 : « Voltaire n'eut meme pas besoin de
puiser cette idee dans VOrl. für . . . H la tronva dans un petit roman
de M^* De Fontaine dont il avait saluS Vapparition par unepiice de vers
quand il n' avait que dix-neuf ans.*
3) Über Jf«« Desfontaines s. Biogr. univ., X/F, 326. — M'^ Desf
starb 1730 arm und verlassen. Neugedr. wurde der Roman in den (Euvres
de Mesdames de la Fayette et de Tencin. F. 1804. 5 Bde. 8^.
*) Vie de Volt, IV, Iff.: •Cette fable d'ailleurs n'est pa» de hti,
cest un emprunt ä VArioste qui lui-mime Vavait empruntS ä notrc ancien
thiätre.»
— 217 —
sichtlich der Quellenfrage etwas. unbestimmt aus; er sagt, der
romantischen Fabel des Tancr^de liege die Geschichte von
Ariodante und Ginevra im rasenden Koland zugrunde.^)
Bouvy, ein gründlicher Kenner Voltaire's und seiner Be-
ziehungen zum italienischen Theater, streift nur diese Frage,
hält aber den Eoman der M°^^ Desfontaines für die
direkte Quelle des Voltaire'schen Trauerspiels.^) Toldo,
der sich erst in der allerjüngsten Zeit damit beschäftigt hat,
behauptet, der französische Dichter habe sehr wenig dem
Ariost, viel dagegen der Comtesse de Savoie entlehnt. *)
Wir wollen nun, was die hier zitierten Autoren unter-
lassen haben, den Inhalt des Tancrede in kurzen Worten
wiedergeben und die Vergleichungspunkte mit der Ginevra-
episode feststellen.
Almenaide, die Tochter des Argire, ist angeklagt, ihre
Vaterstadt Syrakus den Mohammedanern überliefern zu wollen.
Das Todesurteil ist bereits über sie gesprochen, als ein un-
bekannter Ritter sich anbietet, im ritterlichen Zweikampfe für
ihre Unschuld einzutreten. Dieser edle Unbekannte ist kein
anderer als Tancröde, der aus Syrakus verbannt worden ist. Er
kämpft und bleibt Sieger gegen Orbassan, dessen Gattin Al-
menaide werden soll. Almenaide ist nun gerettet; sie hatte früher
ihren Retter in Byzanz kennen gelernt, sie liebt ihn seitdem und
findet auch Gegenliebe. Tancr^de dagegen hält sie für treulos,
da er glaubt, sie wolle in kurzem aus Neigung mit Orbassan sich
vermählen; er entfernt sich nach einer kurzen Unterredung,
ohne sich mit Almenaide auszusöhnen, und sucht den Tod
im Kampfe gegen die die Stadt belagernden Mohammedaner.
Almenaide stirbt vor Schmerz beim Anblick des sterbenden
*) Suchier und Birch-H., Gesch. d. frz. Lit, S. 533.
*) Voltaire et VItalie, S. 115.
^) Quelques notes pour servir ä Vhist. de Vinfl. du Furioso (Bull,
ital. 1904, IVj 50): *Il y a dans la tragM,ie de Voltaire fort peu de
VArioste et beaucoup de la Comtesse de Savoie .... Toujours est-il qu^on
a quelque peine ä d^meler dans cette tragedie Vhistoire des malheura
de Genevre et que Vinspiration parait, en maints endroits, flottante et
ineertaine.»
— 218 —
TancrSde^ der tödlich verwundet nach Syrakus zurückgebracht
wird.
Dies ist in großen Zügen die Handlung in Voltaire's
Trauerspiel.
Eine Ähnlichkeit mit der Ginevra- Episode im Furioso
springt sofort in die Augen: Der Zweikampf, welcher die
Schuld oder Unschuld eines ungerecht angeklagten Mädchens
an den Tag bringen soll; ferner ist der Ritter, welcher in
diesem Kampfe für die Beschuldigte eintritt, in beiden
Fassungen zugleich der Geliebte derselben, er kämpft für sie,
ohne von ihrer Unschuld überzeugt zu sein, und ist Sieger
in dem Kampfe. Die Lösung ist bei Ariost eine glückliche,
bei Voltaire eine tragische. Andere Vergleichsmomente sind
jedoch nicht vorhanden. Schauplatz, Exposition, Lösung,
Nebenpersonen stehen in keiner Beziehung zu Ariost's Er-
zählung. Der Zweikampf jedoch, die Veranlassung dazu und
der Ausgang desselben können unmöglich als zufallige Ähnlich-
keiten mit der Ginevra-Episode angesehen werden; hier war
ofifenbar der Orl. für. die Vorlage, oder es liegt eine auf dem
Epos beruhende Quelle vor.
Wie verhält es sich nun mit der Comtesse de Savoie, dem
Romane der M™® Desfontaines ? Voltaire liat ihn sicher ge-
lesen, ebensogut wie den Furioso. Welche von den beiden
Quellen schwebte ihm bei der Abfassung seines Tancrede vor?
Die Handlung in der Comtesse de Savoie spielt, wie bei
Voltaire, in Sizilien; gewiß ist das keine zufallige Ähnlich-
keit. Mendoce, der Hauptheld des Desfontaines'schen Romans,
gehört einer altadeligen, französischen Familie an, die zur
Normannenzeit nach Sizilien auswanderte, genau so wie die
Familie des Tancrede, und Mendoce macht seinen Namen
auf dieser Insel ebenso berühmt, wie Tancrede j^anz Sizilien
mit seinem Ruhm erfüllt. Diese auffalligen Ähnlichkeiten
im Schauplatz und in der Hauptperson — der Zweikampf
und die ihn begleitenden Nebenumstände sind mit Ausnahme
der Namen und des Schauplatzes beiM™® Desfontaines dieselben
wie bei Ariost — lassen es uns nahezu als gewiß erscheinen,
daß dem französischen Tragiker der Roman der von ihm
hochverehrten M°^® Desfontaines vorschwebte, als er 1760
— 219 —
seinen Tancrede niederschrieb.^) Somit wäre Ariost's Erzählung
im 5. Gesänge nur die indirekte Vorlage zu dieser Tragödie
gewesen.') Außer den oben bezeichneten Entlehnungen
haben wir jedoch Voltaire's Stück als ein Originalwerk im
besten Sinne des Wortes anzusehen.^)
Am Ende des 18. Jahrhunderts, 1798, bzw. 1799*),
erschien M^huTs Ariodant, die Lieblingsoper des Meisters,
zu welcher ¥. B. Hoffmann den Text geschrieben hatte. '^)
Da der letztere nichts weiter als eine freie Übertragung des
1796 erschienenen Tonstückes Oinevra^) von Pindemonte
ist, wie eine Vergleichung der beiden Libretti ergeben hat,
so beschäftigen wir uns nicht weiter mit diesem Operntexte,
welcher die letzte dramatische Bearbeitung der Ginevra-Episode
ist, die wir ausfindig machen konnten.
*) ßengesco, Bibl Volt J, 58; das Stück wurde zum erstenmale
am 3. Sept. 1760 aufgeführt und erlebte 12 aufeinander folgende Auf-
führungen; gedruckt wurde es erst im nächsten Jahre,
■) Mehrere italienische Operntexte behandeln übrigens die Ginevra-
Episode {s. darüber Clement, Dict. lyr.j S. 49 u. S. 318; ebenso Rie-
mann, Opemhandbuch, S. 188). Die wichtigsten italienischen Openif die
diesen Gegenstand behandeln, sind die nachher zu erwähnende Ginevra
Findomonte's {1796) und Rossi di Yerona's Ginevra di Scozia
(1799). Beide Opern wurden in Paris aufgeführt (s. CUment^ ibd.); von
letzterer erschien sogar eine französische Übersetzung unter dem Titel
Genihvre d'icossey oplra en quatre actes, reprisenti pour la premiere
fois ä Paris sur le Thiätre de VlmpSratrice, rue de Louvois^ le . . . plu-
viöse, an YIIL
•) Ähnlich sagt auch Beuchot, (Euvres de Voltaire IV j 489: »Du
restCj toute la trame est de Vinvention de VoUaire, et il n^a emprunte ä
ses devanciers que le fond du sujet.»
*) Clement, Dict. lyr., S.49; ebenso Chouqu et , Hist. d. drame
mus., S. 185; Riemann, Opemhandb., S. 26.
*) Hoff mann war berühmt als Kritiker und Polemiker y dabei ein
vielseitiges Genie, das auf dem Gebiete der Naturwissenschaften ebenso
zuhause war, une auf dem Gebiete der schönen Literatur; über sein
Leben s. Michaud, Biogr. univ.^ XIX, 499; La Ghr. Encycl, XX,
173. — Nach Chouquet, ibd., S. 185, hatte die Oper keinen dauernden
Erfolg und ist nunmehr ganz der Vergessenheit anheimgefallen; ebenso
Clement, l. c, S. 49.
«) Wiesa-Percopo, Gesch. d. ital. Lit, S. 495.
— 220 —
5. Die ÄIcina-Episode.
Diese Episode, welche besonders berühmt ist wegen der
herrlichen Schilderung Alcinens und ihrer Gärten, reicht bei
Ariost von 0. VI, st. 23 bis C. VII, st. 21 und schildert
Roger's Aufenthalt bei der Zauberin Alcina. Wie wir schon
an früherer Stelle bemerkten, entnahmen bereits die Schüler
Konsard's, und ihr Meister selbst, Ariost's Schilderung der Reize
Alcinen's (C. VII, st. 11 — 15), um Worte zu finden für die
Schönheit ihrer Geliebten.
Dagegen dauerte es in Frankreich lange, ehe ein dra-
matischer Dichter sich an diesen Stoff wagte. Der erste
Versuch, der in dieser Richtung gemacht wurde, ging von
keinem geringeren aus als von Ludwig XIV., welcher im Jahre
1664^) seinem schon früher erwähnten Zeremonienmeister,
dem Herzog von Saint-Aignan, den Auftrag erteilte, im Ver-
sailler Schloßpark ein Fest aufzuführen, dessen Schauplatz die
Gärten Alcinens vorstellen sollte. Dieses Fest, welches vom
7. — 13. Mai 1664 gefeiert wurde, ist bekannt unter dem
Namen Les plaisirs de Vlle enclmniee. ^) Es hat auch seinen
Platz in der französischen Literaturgeschichte, weil während
der Feier desselben Moliöre's Pi-incesse d^Elide und die drei
ersten Akte seines Tartuffe aufgeführt wurden.^) Die Grund-
idee des ganzen Festes ist die, daß Roger und mehrere
andere Ritter, die im Banne der unechten Reize Alcinens
liegen, durch den Zauberring, welchen Athalant im Auftrage
*) Bemerkenswert scheint es uns zu sein, dafi im nämlicfien Jahre
Gilbert seine Ämours d^Angelique et de Medor, also eine weitere JBe-
arbeitnny einer AriosVschen Episode veröffentlichte.
*) IJher dieses Fest haben wir folgende Berichte:
a) den offiziellen Bericht der GazeUe, 21. Mai 1664. fi9 60;
' h) einen sehr ausführlichen Bericht bei Marigny, Les fetes de
Versailles. P. 1664. 8^;
c) Siecle de Louis XIV, chap. 25 [Ausg. i\ B e u c h o t, Bd, XX, 146-160),
^] Despois, (Euvres de Mol. IV, 89—268, woselbst noch weitere
Literaturnngaben sich finden. Eine kurze Erwähnung des Festes findet
sich auch bei Goujet, Bibl. XVIII, 226., wo die vom Herzog von
St'Aignan gesprochenen Worte zitiert sind^ Maupoint, Bibl., 8. 252;
endlich auch Lotheissen, Gesch. IV, 33.
— 221 -
Melissens dem Boger an den Finger steckt, befreit werden
sollen ; der Alcina-Episode im 07. für, liegt dieselbe Idee zu-
grunde« nur daß Boger als alleiniger Sterblicher im Beiche
der Zauberin weilt, und daß Bradamante ihm den rettenden
Bing überreicht (vgl. Orl für., C. VI, VII u. VIII); neu
eingeführt ist außerdem die Person des Oger le Danois,
dessen Bolle vom Herzog von Noailles gespielt wurde. Nach
dem Berichte der Oaxetie (officieUe) fand der Hauptteil des
Festes am 3. Tage statt ; an diesem Tage nämlich sollen die
Bitter ihre Befreiung erhalten. Als Alcine, welche in einem
von reißenden Tieren bewachten Felsenschloß haust, merkt,
daß ihr Zauber bald nicht mehr wirksam sein wird, teilt sie
diese Befürchtung ihrer Vertrauten Celie mit. Es folgt sodann
ein Ballet, welches jedoch durch Melisse's Erscheinen unter-
brochen wird; diese übergibt dem Boger durch die Hand
Athalant's ihren Zauberring; in demselben Augenblicke erfolgt
ein Donnerschlag und gleichzeitig stürzt das ganze Schloß in
Trümmer, die Gärten verschwinden, und die Helden steigen
aus den rauchenden Trünomerhaufen hervor. Diese Darstellung
der Alcina-Episode ist vielleicht die großartigste Inszenierung,
die je eine Erzählung des Orl. für. erfahren hat. Der Schau-
platz ist hier nicht mehr der enge Baum der Bühne mit den
leinwandbemalten Kulissen zur Seite und im Hintergrunde;
als Darsteller sehen wir nicht mehr arme, verachtete Schau-
spieler, sondern Fürsten und Herzöge; wirkliche Bäume,
Wälder und Quellen beleben die Landschaft und an Stelle
des spärlichen Lampenlichtes strahlt die goldene Maiensonne
auf das ganze Bild hernieder.
Eine großartigere Huldigung hätte Frankreich dem
italienischen Dichter nicht bringen können!
Erst 1705^) wurde die Alcina-Episode dramatisch be-
handelt, und zwar von dem Librettisten Dan che t^), in der
Oper Alcinttj zu der Campra die Musik schrieb.
*) Parf., Dict 7, 42 u. Chouquet, Rist, S. 330, gehen ah
Datum der Aufführung den 15. Januar 1705 an. Eine zweite Auf-
führung fand nach Parf., Dict. du 77i., Bd. I, 43, Glicht statt.
«) ifba- sein Lehen s. Biogr. univ., Bd. X, 87; La Gr. Enc, Bd. XIII,
826; in beiden Werken wird von seiner Tätigkeit als Librettist nicht
gesprochen.
— 222 —
Der Verfasser des Textes ist, nach La Harpe, ein
keineswegs glücklicher Nachahmer Qainault's, der weniger
durch Dichtungen als durch den Spottvers, den J. B. Rousseau
auf ihn schrieb, bekannt geworden sei ; doch sei er nicht ohne
Talent. 1)
Eine kurze Analyse der Oper wird zeigen, ob das Urteil
des französischen Kritikers gerechtfertigt ist.
Prolog: Die beiden allegorischen Gestalten Gloire und
Temps streiten sich, wessen Herrschaft am Dauerhaftesten sei;
zugleich wird die Handlung des Stückes mit folgenden Worten
angedeutet :
tDans un spectade magnifique,
Reiracex les Heros que par son art magique^
Alcine retenoit sur des bords irop charmants:
Faites vair par quel art Melisse^
CJouronnant la vertu^ punissant rinjustice,
Les fit enfin sortir de leurs enchantements,:^
Akt I: An einer abgelegenen Stelle mitten im Gebirge
erzählt Alcine ihrer Vertrauten, daß sie zu dem Tom Sturme
ans Ufer geworfenen, und von ihr geretteten Astolf eine tiefe
Zuneigung gefaßt habe, und daß sie ihn zu ihrem Gemahl
erküren möchte. In einem darauffolgenden Zwiegespräch er-
klärt dieser jedoch, er könne nur Melanie lieben, worauf die
wütende Zauberin durch Eachedrohungen Astolf s Liebe sich
erzwingen will.
Akt IT: Alcinens Gemahl Athlant hat bald von deren
sträflicher Neigung erfahren, und obwohl er behauptet, daß
seine Liebe für die Gattin längst schon erkaltet sei, will er
diese doch für ihre Untreue bestrafen. Während er noch
beschäftigt ist, eine angemessene Strafe ausfindig zu machen,
erscheint Melanie, Astolfs Geliebte, die von Melissa nach
einem Schiffbruch ans Ufer gerettet wurde und nun auf der
Suche nach Astolf ist; Athlant entbrennt sofort in Liebe zu
dem schönen Mädchen, und als dieselbe nicht erwidert wird,
*) Cours de litt., 11, 375: «J2 s'cn faut de tout que Vauteur
d'Hisiode (Danchet) lui (d Quinault) aoit comparable II n^ Statt pa$
dipourvii, de talent» Seine Alcine wird von La Harpe nicht erwähnt.
— 223 —
beschließt er mit Alcine, die mittlerweile mit ihm zusammen-
getroffen ist, die beiden Liebenden voneinander fernzuhalten.
Gerne willigt die Zauberin ein, da sie ja den ritterlichen
Astolf mit ihren Beizen bestricken will.
Akt III: In der Verkleidung einer Nereide nähert sich
Alcina der Geliebten Astolf s und lügt ihr vor, dieser habe
sie vergessen und schmachte in Liebe zur schönen Alcina.
Als das Mädchen in Klagen gegen den Treulosen ausbricht,
sucht Athlant sie zu trösten, indem er ihr seine Liebe an-
bietet. Als jedoch seine Beteuerungen zurückgewiesen werden,
denkt er nur noch daran, Astolf, seinen Nebenbuhler, von
der Insel zu entfernen und so seiner Gemahlin einen bösen
Streich zu spielen.
Akt IV: Astolf will eben auf Athlant's Geheiß die
Insel verlassen, als er seiner Geliebten, die er weit von hier
glaubt, begegnet. Schnell stellt sich nun Melanie's Irrtum
von Astolf s angeblicher untreue heraus, und beide schwören
sich Liebe und Treue. Da kommen unter Blitz und Donner
die beiden Gatten, und mit ihnen eine ganze Schar höllischer
Geister.
Akt V : Während Athlant darauf besteht, daß sein Neben-
buhler getötet werde, kann Alcine sich nicht entscheiden, ihre
Einwilligung dazu zu geben ; liebt sie doch den Astolf auch
jetzt noch und so will sie sein Leben erhalten. Als aber
Athlant vorschlägt, daß sich die beiden Liebenden heiraten
sollen, glaubt die Zauberin auch dazu ihre Genehmigung
nicht erteilen zu können. In diesem Augenblicke steigt Melisse
auf einem goldenen Wagen vom Himmel hernieder und ver-
scheucht die böse Zauberin mit ihrem Spuk. Mit gütigem
Feenlächeln schließt sie den Bund der beiden Liebenden.
Die Handlung der Oper Danchet's beschäftigt sich nicht
mit dem Schicksale Roger's, wie es im Orl. für. der Fall ist,
sondern mit Astolf s Abenteuern auf der verzauberten Insel,
die sich allerdings auf das italienische Epos (C. VI, st. 33 — 53)
stützen, aber größtenteils vom französischen Dichter erfunden
sind. Bei Ariost erzählt der in eine Myrte verwandelte Astolf
seinem Freunde Boger nur, daß Alcina ihn mit ihren Reizen
bestrickt, nach einiger Zeit aber von sich gewiesen habe,
worauf er, wie alle ehemaligen Liebhaber der Zauberin, in
einen Baum yerwandelt worden sei. Die Liebesgeschichte
zwischen Astolf und Melanie, welch' letztere überhaupt im
Ariost'schen Epos nicht vorkommt, ist also von Danchet frei
erfunden, oder, was wahrscheinlicher ist, sie ist eine Reminis-
zenz an Roger's Verhältnis mit Bradamante, welche ihren Ge-
liebten durch Melissa {Orl. für., C. VII, st. 39flf.) aus Alcine's
Umgarnung entreißen läßt. Athlant, bei Ariost der Beschützer
Eoger's, ist hier der würdige Gatte der Zauberin. Ihre EÜfer-
süchteleien und Betrügereien sind Danchet's Zutaten. Auch
die Lösung des dramatischen Knotens ist yon ihm erfunden.
Von den Charakteren kommt nur Alcina in Betracht^ die
uns der französische Dichter dadurch menschlich näher bringt,
als Ariost, daß er sie, die verheiratete Frau, von einer
tiefen Neigung zu dem bereits verlobten Astolf entbrennen
läßt, während dieselbe Zauberin bei Ariost überhaupt nur
kurze Zeit ein und denselben Mann lieben kann; man vgl.
Orl. für., C. VI, St. 50:
tConobbi tardi il suo mobil inge^nOf
Usato amare e disamare a un pu7ito,
Non era stato oltre a duo mesi in regno,
CJi'un nuovo amante al loco mio fu assunto.
Da se cacciommi la Fata con sdegno,
E dalla grnxia sua rrC ebbe dügiunto :
E sejypi poi, che tratti a simil porto
Avea miW altri ajnanti, et tutti a torto,>
In diesem Charakterunterschiede liegt gerade der Haupt-
reiz der Oper Danchet's : ein mit übernatürlichen Gaben aus-
gestattetes Weib liebt einen gewöhnlichen Sterblichen und muß
trotz ihrer Kunst auf ihn verzichten. Die Schwäche de^
Stückes liegt hauptsächlich in dem nahezu komischen Ver-
hältnisse des Ehepaares Alcina und Athlant, das sich fort-
während gegenseitig zu betrügen sucht; dieser allzu sehr an
das Alltagsleben erinnernde Teil der Oper stimmt nicht zu
dem Grundtone, in dem diese sich bewegt
Anklänge an die italienische Quelle in bezug auf sprach-
lichen Ausdruck finden sich nicht; der französische Dichter
— 225 —
begnügte sich, die Orandidee und den Schauplatz aus Ariost
zu entlehnen.
Das Stück scheint vollständig der Vergessenheit anheim-
gefallen zu sein; wenigstens fanden wir bei den von uns zu
Rate gezogenen Forschern kein Wort der Kritik über Dan-
chet's Alcine.^)
Zwei weitere Opern, die uns jedoch nicht erhalten sind,
beschäftigen sich noch mit demselben Stoffe. Die eine ist
Ton dem G-rafen Laville de LacSp^de komponiert und
1786 fiir die Pariser * Opera* zur Aufführung angenommen,
aber nicht aufgeführt worden. Sie ist unseres Wissens nur
bei Clement erwähnt.^) Der Verfasser des Libretto ist nicht
genannt, und das ungedruckte Manuskript schlummert in der
Theaterbibliothek der Pariser Oper. Querard erwähnt eine
dreiaktige Oper in Prosa Alcine, deren Verfasser Sedaine
de Sarcey ist, ein Neffe des bekannten Lustspieldichters
J. Sedaine.*) Die Oper wurde nach Querard zum ersten Male
i. J. 1789, später dann noch einmal i. J. 1795 am Feydeau-
theater aufgeführt; die Musik ist von Bruni; leider ist das
Stück ebenso wie das vorausgehende nicht gedruckt worden.
6. Die Joconde-Episode. ^)
Wir kommen nun zu der berüchtigtsten aller Episoden im
Orl. fw\y zur Joconde-Episode *) , einer echten Renaissance-
1) Beauchamps, Bech., 3. Teil, 8. 105; Parfaict, Biet I, 42;
Leris, Dict, S. 11; Maupoint, Bihl.^ S. 9, ei-wähnen das Stück tno-j
ohne €8 zu beurteilen. Auch neuere Werke übergehen es in ähnlicher
Weise: La Harpe, Cours de litt., II, 375; Michaud, Biogr., X, 87;
Chouquet, Hist, 330; La gr. Enc. XIII, 826 und Clement, Biet
lyr,, S. 27.
*) Dict. lyr., S. 18: «i Alcine, opera, musique du comte Laville de
Lacipede. Be^u ä V Opera en 1786, mais non represente.»
') La France litt. IX, 11; Q^ierard gibt dem Stücke den Titel
VIsle enchayitce, während Clement, Dict. lyr. Suppl, S. 1182, den Titel
Alcine gebraucht; beide bezeichnen die Oper als ujigedruckt.
*) Orl für. a XXVIII, st. 1-75.
*) Fonti dell Orl. f., S. 383.
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIV. 15
— 226 —
Srzählung, welche Rajna auf die Erzählaogin der 446. Nacht
in 1001 Nacht zurückführt und die das alte Thema von der
Treulosigkeit und List der Frauen in originelier Weise be-
handelt. Die betrogenen Ehegatten Astolfo und Giooondo
wollen sich aus Raehe über die ihnen angetane Schmach an
dem ganzen weiblichen Geschlechte rächön, weräen aber
schließlich ron einem einfachen Landmädcheti ein zweitesmal
betrogen und kehren dann zu ihren G-attinnen zurück.
Die erste dramatische Bearbeitung auf franzosischem
Boden erfuhr die Joconde-Episode i. J. 1628 durch zwei
provengalische Dichter Claude Brueys und Charles Peau^);
da dieses Stück jedoch in provengalischer Sprache geschrieben
ist^ gehört es nicht in den Rahmen dieser Arbeit.
Eine weitere dramatische Behandlung des Stoffes begegnet
uns erst wieder i. J. 1740, wo Fagan einen Einakter in
Prosa Joconde veröffentlichte.^) Ob das Stück mehr als eine
Aufführung erlebte, ist uns nicht berichtet. Der Verfasser
selbst war ein sehr fruchtbarer Theaterdichter und erlangte
besonders im Yaudeville eine gewisse Berühmtheit, so daß
man ihn sogar den Lafontaine des Yaudevilles zu
nennen pflegte. P a 1 i s s o t ^), ein Zeitgenosse unseres Dichters,
hebt seine Natürlichkeit und Ungezwungenheit hervor, tadelt
aber die übermäßige Fruchtbarkeit des Schriftstellers, die un-
fehlbar zur Oberflächlichkeit führen mußte. Vapereau*)
^) Das Stück erschien im «Jardin des Musos Frovengalos^ {3 Bde,
12^) und hat keinen besondren Titel, wenn man nicht die Überschrift
^Comedie de onze personnages» , die sich bei La Valli^rCj Bibl. II, 19
findet, als Titel bezeichnen ivill. ToMo encähnt das Stück in der Cotn.
d. l Benaiss, [Rev. d'Hist, litt., 1900, S. 279), ist sich aber über die
Quelle des Stückes nicht klar.
*) Les trois siecles litt. III, 255, woselbst der Joconde als relativ
bestes Stück Fagan^s genannt wird; doch, so heifit es weiter, kann man es
nicht ein gutes Stück nennen. Leris, Dict., 253 nennt es «fort bien icrite^.
») Memoires II, 108.
*) Dict. univ., S. 762. Weitere Urteile über den Dichter, dem all-
gemeine Oberflächlichkeit vorgeworfen wird, finden sich bei La Harpe,
Cours de litt. II, 4ti«? ; M i c h a u d XIII, 441 : La gr. Enc. X VII, 73; in diesen
di'ei Werken wird Joconde jedoch nicht erwähnt — Joconde steht im
1. Bande der Gesamtausg. der Werke Fagan^s vom Jahre 1760,
— 227 —
dagegen bezeichnet Fagan 's Stil als nachlässig und den Auf-
bau der Stücke als unnatürlich.
Betrachten wir zunächst die Handlung in .dem Stücke
Joconde. Astolf und Jooonde haben die yerscbiedensten
Gegenden Europas besucht, und überall gefoiiden, daß Frauen-
treue ein leerer Wahn sei. Ein ganzes Buch war bereits
-vollgeschrieben mit den Namen derjenigen Frauen, welche
ihren Männem die Treue brachen und sich den beiden Aben-
teurern hingaben; nur für drei Namen ist noch Raum. Das
Gasthaus, in dem sie eben abgestiegen sind, beherbergt drei
Schwestern, welche im Rufe der Unnahbarkeit stehen. Astolf
glaubt jedoch, in dreißig Minuten ihre Tugend zuschanden
machen zu können, und in der Tat gelingt es ihm auch auf
folgende Weise: Der ältesten Schwester Marcelle, welche
Witwe ist, bietet er seine Reichtümer an, falls sie ihm nur den
Titel eines Gemahls ohne dessen Rechte gewähren wolle ; mit
Freuden willigt sie selbst ohne diese Klausel ein. Suson, die
Zweitälteste, ein zänkisches Mädchen, wird von ihm durch
Heiratsversprechungen und dadurch, daß er ihr in Aussicht
stellt, sie an den Hof zu führen, gewonnen. Die dritte der
Schwestern endlich, Clorinde, eine Philosophin, wird verführt
durch das Geschenk eines Diamantringes, nachdem zuvor
ihr treuer Wächter und Lehrer Matasio von Astolf mit einer
wertvollen Tabaksdose bestochen worden ist. So glänzen auch
die Namen dieser drei Tugendengel in dem verhängnisvollen
Buche, welches ihnen der schlaue Verführer nunmehr zeigt.
Nur unter der Bedingung, daß die drei Schwestern ihre früher
abgewiesenen Freier heiraten, will er von einer Veröflfentlichung
ihres Fehltrittes absehen.
Im Gegensatz zu dem Lustspiel der beiden proven^alischen
Dichter ist Fagan's Stück sehr dezent, sogar viel dezenter als
die Erzählung bei Ariost. Dieser letzteren sind folgende
Punkte entlehnt: der Schauplatz des Stückes (cf. Orl. für,,
C. XXVIII, St. 52), die Erzählung von Astolf über die Er-
folge seiner Reisen (O. f,, C. XXVIII, st 48—52), die Ver-
führung durch Geld und Preziosen (cf. Chi. für,, C. XXVIII,
et. 48 u. st. 53), endlich die Schlußszene, welche mit einer
dreifachen Verlobung endet (cf. Orl für., C. XXVIII, st. 74,
15*
— 228 —
wo Astolf und Giocondo FiammeUa mit dem tOreco» yer-
heiraten. Alles übrige in Fagan's Einakter ist entweder eigene
Erfindung des Dichters, oder beruht auf anderen Quellen.
Die Hauptänderung an dem Stoffe, nämlich die Einführung
von drei Schwestern an Stelle eines einzigen Mädchens, ist
keine glückliche zu nennen. Die Art und Weise, wie die drei
verführt werden, ist nahezu dieselbe, und die Wahrschein-
lichkeit, daß sie in so kurzer Zeit und mit so plumpen Mitteln
überhaupt in ihren Grundsätzen wankend gemacht werden
können, ist nichts weniger als groß.
Stil und Dialog des Stückes sind frisch und lebendig;
Bede und Gegenrede folgen rasch aufeinander; Witz und
Ironie kommen reichlich zum Ausdruck, besonders in den RoUen
Joconde's und Astolf s (vgl. Sz. 1, 4 und 6); am gelungensten
scheint uns Szene 6 zu sein, in welcher die beiden Don
Juans Olorinde und den Philosophen Matasio sich ihren Ab-
sichten gefügig machen. Astolf erklärt, ohne Clorinde nicht
leben zu können und fragt, nachdem er die leidenschaftlichsten
Liebesschwüre getan hat:
Ast. Hif bien? Cela ne fait-il aueun effet sur votis'f
Clor. Aiwun.
Matas. Ni sur moi,
Ast. Je 7ie me rebuterai point, R rCy aura poiiä de res-
source que je n^eniploye pour vous attendrir. Je deviendrai galant
et magnifique, Void, par exemple, un Diamant (Laissex^mai
siiivre ma demonstration ; et pretez voits d iout ceci, je vous eti
conjure) . . . Voici im diammU d^un prix considerable, Imaginex'
voii^ qtie je Vai lause sur votre Toilette, sans que vous vous en
soyex appercue. Vous Vessayez; et quoique vous soyez datis k
dessein de faire d^exartes recherches pour le retidre^ vous h recevex
en attendant.
Clor, (en recevant In Bague) Je le re^ois?
Ast. Ouf\
Matas. Badinage I
Ast. Ce n'est jms tont. Je scais que vous avex aupres de
vous nn komme de Leitres, qui est wtre conseil, votre ami, ntai
ais6 dans les affaires^ cotnme la plifpart le sont; je lui dis: Mon-
sieur j ma flamme est honncte, le mariage est mon objety votre
— 229 —
honneur ne sera pas blesse en mt servant; dltennintx Vaimable
Clorindey däerminex celle que fadare; je vom promeis miüe
dncats si Vaffaire rSussit^ et voici (Tavance une Tabatiere extreme"
ment riche que je vous prie d'accepter,
(ä Maiasio).
Acceptex, je vous prie, Monsieur.
Mat., prenant la Tabatiere et la regardant.
Out, oui; speeulation que tont cela.
Diese kurze Antwort des Philosophen zeigt uns dessen
Charakter besser als eine lange Schilderung; das zweifache
Oui sagt uns, wie gierig er nach der Tabaksdose greift, wie
zugänglich er der Bestechung ist; doch daß er wenigstens
den Schein der Unbestechlichkeit bewahren will, geht aus den
folgenden Worten: speeulation que tout cela hervor. So sehen
wir in Matasio den falschen Philosophen, den <faux savant^^
der hinter der Maske der Philosophie die Laster des Geizes
und der Verstellung geschickt zu verbergen weiß.
Fagan's Joconde scheint den ihm geistig verwandten,
ebenfalls äußerst fruchtbaren Theaterdichter Charles Colle^)
veranlaßt zu haben, 16 Jahre später denselben Gregenstand
wieder aufzugreifen und auf die Bühne zu bringen. Sein
Joconde erschien 1768 in der tTfieätre de societe^ betitelten
Sammlung seiner besten Stücke und wird als topcra corniqu^e
en deux actes et en vaiidevilles^ bezeichnet.^) Aufgeführt wurde
*) Über C o 11 6 ' 8 vielbewegtes Leben «. D i d o t , XI, 151; M i c h a u d ,
YIII, 587, wo dem Dichter der Vorwurf gemacht wird, in seinen Stücken
allzusehr der Obszönität die Zügel schießen zu lassen; deytselben Vorwurf
macht ihm auch Vapereau {Dict., S. 488): *. . . Comedies en ghdral
fort licencieuses, avec ces sous-entendus et ces gravelures gazies qui
plaisaient au grand monde du XVIII ^ sieden ; La gr. Encl., XZ, 936,
wo besonders die Vielseitigkeit und Fruchtbarkeit des Dichters hervor^
gehoben wird: ^tColU composa pour le theätre du duc d'OrUans des opSras
comiqueSf des comedies, des proverbes et des parades d'une gaiete osee,
mais franche et bien originale.y>
*) Das Theätre de sociStS erschien 1768 in zwei, und 1777 in drei
Bäfiden; diese zweite Ausgabe ist nur ein Neudruck der von 1768. Das
Stück wird nur &« Querard, La Fr, litt, II, 244—245, und in der
gr, Enc, XI, 936 erwähnt
— 230 —
diese komische Oper bereits 1756 ^), wahrscheiDÜch erlebte das
Stück nur eine einzige Auffuhrung.
Wir gehen sofort zu einer Analyse des Joconde von
CoUe über. Die in dem Stücke auftretenden Personen sind
folgende :
Astolphe, Eoy de Lombardie, Joconde, Seigneor de sa
Cour, M™® Dutour, Concierge d'une maison sitn^e k St. Cloud,
et möre de Theröse. Th6röse, fille de M™« Dutour, et amou-
reux de Blaise. Blaise, jardinier de la maison dont M°^'
Dutour est la Concierge.
Akt I: Blaise, der eben im Garten der Frau Dutour
beschäftigt ist, drückt dieser seine Beunruhigung über die
Anwesenheit zweier junger Reisenden im Hause aus, welche
seiner geliebten Therese etwas zu aufdringlich den Hof
machen ; vergebens sucht die Dame den eifersüchtigen Gärtner
zu beruhigen ; ahnt sie doch ebensowenig wie Blaise, daß die
beiden Reisenden niemand anders sind als Astolf und Joconde,
welche den letzten Platz in ihrem Buche mit Theresen's
Namen auszufüllen gedenken. Beide bestellen das junge
Mädchen zu einem nächtlichen Stelldichein in den Garten, wozu
sich Therese auch bereit erklärt, nachdem die Verführer sie
mit einem wertToUen Ringe beschenkt und ihr außerdem 100
Dukaten versprochen haben, falls sie zur rechten Zeit am
verabredeten Orte erscheine.
Akt II : Therese, welche ihre Absicht wohl durchschaut,
macht dem Geliebten von ihrem Vorhaben Mitteilung und
gibt ihm den Auftrag, das nächtliche Stelldichein aus der
Nähe zu belauschen. Als die Dunkelheit hereinbricht, finden
sich Blaise und Therese zuerst an dem Platze ein und sezten
sich plaudernd auf eine Steinbank. Bald darauf erscheint
Astolf und sieht Therese bei einem jungen Manne sitzen; er
glaubt natürlich, sein Freund sei der GlücUiche auf der
Bank, und entfernt sich stillschweigend; nicht lange hernach
tritt Joconde hervor, hält den ahnungslosen Blaise für seinen
Freund Astolf, und entfernt sich ebenfalls. Beide treffen sich
und beglückwünschen sich über den Erfolg, bis es sich heraa»*
^) La gr, Enc, S. 936,
— 231 —
stellt, daß Tliwese sie zum besten gehabt hat. Sie machen
jedoch gute Miene zum bösen ^iele, und schenken dem
listigen Mädchen anstatt 100 sogar 200 Dukaten. Sodann
besehließen sie, zu ihren Frauen zurückzukehren, ohne den
leeren Platz in ihrem Buche auszufüllen:
tReiaumons dennain avec nos femmes, hien cotwaincns qu^elles
soni Us ^nemes dans Ums les pays.* (Akt II, Sz. 8),
Die Handlung schließt sich eng an die Joconde-Episode
im OrL für. au. Nur wird das Obszöne, das Ariost so un-
verhüllt erzählt, gänzlich fallen gelassen und durch ein harm-
loses Stelldichein im Garten ersetzt. An Stelle des Gast-
hauses zu Cattiva {Orl. für., C. XXVIXI, st. 54) führt uns
der Dichter in den Garten eines Mietshauses der Pariser
Vorstadt Poissy. Die Person der M"^® Dutour ist Erfindung
des fritnzösischen Dichters; ihre Tochter Tberese ist die
Fiammetta, Blaise der Greco des OrL für.
CoUe ist es gelungen, die Joconde-Episode so umzuge-
stalten, daß der Grundgedanke derselben erhalten bleibt^ daß
aber aUes Obszöne vollständig daraus verschwunden ist. D^r
Vorwurf der Indeoenz kann da^er dem Dichter in dies^em
Stücke keineswegs gemacht werden; vielmehr dürfen wir es
ihm als ein Verdienst anrechnen, den goldenen Kern, den
djßse Episode in sich schließt, von der schmutzigen Um-
hüllung, in die ihn Ariost kleidet, befreit zu haben.
Der Gang der Handlung schreitet rasch dahin und die
Spannung dauert bis zur letzten Szene an, der Dialog ist
lebhaft und wechselt ab mit lyrischen Strophen, deren Inhalt
sich meist um das Glück der Liebe dreht.
Sogar noch im 19. Jahrb. findet sich ein Dichter, welcher
die Joconde-Episode einem Lustspiele zugrunde legt. Es ist
dies M. iJtienne's^) Lustspiel Joconde oii les Coureurs d'Aven^
*) ilüenne war besonders erfolgreich in der Anfertigung von Opern-
texten; auch die uns vorliegende Prosa ausgäbe der Joconde wurde als
Libretto verwendet^ zu dem Nicolo die Musik schrieb («. Clement, Dict.,
S. 38). über ^tienyie s. mhei-es bei Michaud^ XIll, 146, wo der Joconde
das 16, Stück des Dichters genannt wird ;Didot, XYI,633ff.; Vapereau, Dict
univ.j 74öy nach dem das Stück einen große^i Erfolg errang; la gr. Enc.
X7h 660, wo der Joconde als das beste Stück ktienne^s belohnet wird.
iure3f welches zum ersten Male am 28. Februar 1814 aufge-
führt wurde, und von dem 1821 bereits die 9. Ausgabe
erschien.
Die überaus yerwickelte Handlung der Komödie ist in
ihren Hauptzügen kurz folgende:
Akt I: Graf Eobert und sein Ereund Joconde wollen
ihre Bräute Mathilde und Edile bezüglich ihrer Treue auf
die Probe stellen, indem der eine von ihnen der Verlobten
des anderen den Hof macht. Da Mathilde und Edile das
gleiche zu tun beschlossen haben, bestehen die beiden Mädchen
scheinbar die Probe nicht, und Robert faßt daher mit seinem
Freund den Entschluß, aus Eache dafür alle Frauen, die sie
träfen, zu verführen.
Akt U: Auf einem ländlichen Balle in der Nähe des
gräflichen Schlosses wählen sich die beiden ihr erstes Opfer
aus in der Person der hübschen Jeannette, die mit Lucas,
einem jungen Manne, verlobt ist. Wie in dem vorausgehenden
Stücke von Celle hält jedoch die schlaue Jeannette die beiden
Verführer bei einem nächtlichen Stelldichein zum besten, so
daß die Betrogenen sich schließlich wieder nach ihren ver-
lassenen Bräuten zurücksehnen.
Akt III: unterdessen hat sich das Gerücht verbreitet,
die beiden Abenteurer wollten Jeannette verführen; es wird
deshalb ein Haftbefehl gegen sie erlassen, und schon sollen
sich die Türen des Gefängnisses für sie öffnen, als Mathilde
und Edile, die ihren ehemaligen Verlobten in der Verkleidung
als Zigeunerinnen auf den Ball gefolgt waren, die wahren
Namen der vermeintlichen Abenteurer verraten und diesen
so die Schmach des Gefängnisses ersparen. Reumütig bitten
sie um Verzeihung und versprechen treue und vertrauende
Gatten zu werden.
Etienne's Lustspiel steht unleugbar unter dem Einflüsse
von Colle's gleichnamigen Stücke, nur Anfang und E2nde
gehen teils auf Ariost zurück, teils sind auch sie vom französi-
schen Dichter hinzugefügt. Wie C o 1 1 e, so sucht auch E t i e n n e
alles Unanständige fern zu halten imd aus der durch und
durch derb lasziven Erzählung des Ariost eine harmlos komische
Handlung mit einer, wenn auch nicht aufdringlichen, lehrhaften
— 233 —
Pointe zu bilden. Wie bei Colle endlich, sind adch hier
lyrische Strophen erotischen Inhaltes eingestreut, welche
dem Ganzen oft einen ernsthaften, sentimentalen Ton ver-
leihen.^) Was fJtienne dem Ariost entlehnt, ist besonders
die Exposition des Stückes; aber wie zart weiß er nicht
seine Quelle umzugestalten! Während bei Ariost Astolfo
und Giocondo ihre Frauen in flagranti ertappen, denken bei
lUtienne die beiden Bräute überhaupt nicht ernstlich daran,
ihren Verlobten untreu zu werden; und die simulierte Un-
treue besteht nur darin, daß sie kleine Geschenke von dem
Verführer annehmen. Etienne ist sogar noch moralischer
als OoUe, bei dem Astolf und Joconde bereits am Ende ihrer
abenteuerlichen verbrecherischen Reise stehen, während sie
Etienne uns vorführt, wie sie dieselbe erst anfangen, und wie
sie den Namen des ersten Opfers in ihrem Buche einzutragen
im Begriffe sind.
Freie Erfindung des französischen Dichters ist das länd-
liche Ballfest, die Verhaftung der beiden tCbureurs cPAvenitiresi
und ihre Befreiung durch Mathilde und Edile. Diese Zu-
taten sind durchwegs als glücklich zu bezeichnen. Das Tanz-
fest gibt zu einer Reihe von gelungenen dramatisch wirkungs-
vollen Szenen (vgl. Akt II, Sz. 1 — 5) Anlaß ; die Verhaftungs-
szene durch den Bailli des Ortes und die Ankunft der beiden
^) Vgl. Akt III, Sz. i, wo Robert bereut , seine Braut verlassen zu
haben:
Str. 1. «Dans un delire extreme
On peut fuir ce qu'on aime:
On pr^tend se venger^
On jure de changer^
On dement infidele,
On cowrt de belle en belle;
Mais on revient toujours ä ses premiers amours.»
Str. 2. Ah! d'une ardeur siticere
Le temps ne peut distraire^
Et nos plus doux plaisirs
Sont dans nos Souvenirs.
On pense, on pense encore
A Celle qu'on adore,
Et Von revient toujours ä ses premiers amours.»
^ 224 -
Dluoaen bilden einen höchst dramatischen SchloS. Fügen wir
noch hinzu, daß der Ort der Handlang unter dem. sonnigen
Himmel der Provence liegt, und daß sanges- und lebensfrohe
ProTen^en die Träger der Handlung sind, so haben wir die
charakteristischen Seiten des Stückes heryorgeboben.
Es ist schade, daß dieser so glücklich entworfene Sehwank
der völligen Vergessenheit anheimgefallen ist, und daß den
Dichter desselben das gleiche Los ereilt zu haben scheintb^)
Etienne's Joconde ou les Coureura dCAveniurea wurde
später von Aumer zu einem Ballett verarbeitet und von
dem Komponisten Herold in Musik gesetzt. Die Auf*
führung des unter dem Titel Asiolphe et Joconde bekannten
Balletts erfolgte am 29. Januar 1827 ^) und hatte, dank der
Musik Herold's, einen bedeutenden Erfolg.')
7. Die Erzählung vom Zauberbecher.
Wir kommen nun zu der Erzählung vom Zauberbecher,
welcher Ariost den ersten Teil des 43. Gesanges (st. 1 — 70)
widmet. Welche Bewandtnis es mit diesem Becher bat, er-
fahren wir aus Strophe 28 des genannten Gesanges, wo
Ariost sagt:
tDisst Melissa: lo ti darb un fxxstüo
Fatto da her, di rirtü rara e strana,
Qual gidf per fare accorio ü suo frateUo
Dell fallo di Ginevraj ß Morgana.
Chi la moglie ha pudica, bee con quello:
Ma non vi ptiö giä her cht Vha puttana;
') Michaud XIII, 146^ nennt das StUck •fcuneux». Vapereau,
Dict univ., 745, lobt besonders die CharakterzeMnfmg dm Joconde, der
unbeständig, frivol ivnd aUetUeicht verliebt, aber immer Uebenswürdig und
niemals hassetiswert {odieux) sei. ^ der gr, Enc, XVI, 660 wird Jo-
conde, wie bereits erwähnt, das beste Stück d. Dichters genannt* Clement,
Dict, lyr. 014 endlich hält das Stück für eine der voükommenstefi komi-
schen Opern.
«) Chouquet, Hist., S. 392.
*) Ibd. ; Chouquet führt auch die Schauspieler an, welche die Haupt-
rollen des Balletts zu spielen hatten.
— 235 —
Che 7 vifi, quando lo crede in bocca porre,
Tutto $i sjmrge, e fuor nel petto scorre,*
Der erste franzÖBische Dichter, welcher diese Episode
dramatisch behandelte, war kein geringerer als Lafontaine,
der gemeinschaftlich mit seinem Freunde, dem berühmten
Schauspieler Champmeslg den lastigen Einakter tLacoupe
encftantie^ verfaßte. Als Abfassungsjahr wird von Lema-
zuri^r^) und Regnier^ 1688 angegeben. Welches der
Anteil eines jeden der beiden Verfasser an dem Stücke ist,
läßt sich jedoch nicht bestimmen.
Maupoint^) und La Porte et Ohamfort^) geben
die beiden Dichter als Verfasser an, ohne den Anteil des
einaelnen präzisieren zu wollen. Mouhy^) meint, das Stück
sei von Lafontaine allein verfaßt, später aber in Cham p -
mesle's Gesamtausgabe eingereiht worden, obgleich dieser
nur seinen Namen hergegeben habe; außerdem behauptet
er irrtümlicherweise, die Coupe enchantee sei dem Boc-
caccio entlehnt.^) In Michaud's Biogr. wird jedoch
in Abrede gestellt, daß ChampmeslS an dem Stücke über-
haupt mitgearbeitet habe ; die Vermutung einer Mitarbeit des
letzteren sei aus der intimen Freundschaft der beiden Männer
hervorgegangen.'^ Bruneti^re scheint der Ansicht zuzuneigen,
d»ß Champmeslö die Hauptarbeit an der Komödie geleistet
hflbe.^) Reg nie r endlich verzichtet darauf, ein urteil über
<iiese Frage abzugeben, indem er sagt : <0n ne saura jamais
la pari que Lafontaine a prise ä la composition de cette petiie
c€m6die.>^) Dieser letzteren Ansicht schließen auch wir uns
4(D, denli nirgends in dem Stücke läßt sich eine Stelle nach-
1) GaUrie, J. 184.
«) (Exivren de Laf, {Ätisg. der Ch\ ta\) VIl, 4S9.
») Bibl, S. 85.
*) Dict. ^am. 1, S24,
*) Tabl, S. 60, 61.
•) Ihd., 8. 61.
") Biogr. univ., YII, 465: *0n p^^Hend que Ch. a eu U7ie tre$ gfxmde
pari... et ä la coupe enchantSe . . . Cette aesei'tion n'a d'autre fondement
qae hs relations d'amitU q^ü existh-ent entre Lafontaine et Champmeeli.»
») La gr. Enc., XXI, 756.
•) (Euvres de Laf {A%iag. der Gr. Ecr.\ VII, 442.
weisen, die aus dem Rahmen der Einheitlichkeit, in dem das-
selbe geschrieben ist, herausträte.
La coupe enchanUe wurde zum erstenmale im Jahre 1710
gedruckt und als Verfasser M. Chammelay (sie!) bezeichnet
Später, 1735, wurde die Komödie in die Gesamtausgabe der
Dichtungen Champmesl6's aufgenommen, wo sie sich im
2. Bande derselben befindet.^) H. Regnier endlich gab dem
Stücke einen Platz im 7. Bande seiner Ausgabe Lafon-
taine's.^)
Über die Veranlassung zur Abfassung unserer Komödie
erzählt Maupoint folgende Anekdote: ^UeduceUion que
M, G,, arcküede, vaulut donner ä sa fiUe en la tenani etifermie et
privee de la connaissance des hommesy foumit k sujet de cette
peiite piec^». Die Behauptung Maupoint's*), daß diese Be-
gebenheit den Stoff zu Lafontaine's Stücke geliefert habe, ist
in dieser Form keinesfalls richtig, denn wir sehen nicht ein, was
das sonderbare Erziehungssystem des Architekten G. mit der
Geschichte vom Zauberbecher zu tun haben könnte. Maupoint
wurde vielleicht dadurch zu seiner Behauptung verleitet, daß
im Stücke unter anderen ein ähnliches Erziehungssystem
geschildert wird. Aber dieselbe Schilderung findet sich auch
im Orl. fiir.] da Lafontaine außerdem schon früher diese
Episode aus dem italienischen Epos ins Französische über-
setzt hat^), ist es als sicher anzunehmen, daß der große
Fabeldichter und Ariostverehrer den Stoff zu dieser Komödie
direkt dem Orl. für. entlehnte.
Wir gehen nun auf die Analyse unseres Stückes über.
Lucinde, Tochter des Normannen Tobin, flüchtet mit
Perette, Frau des Thibaud, welche im Dienste des Tobin
steht, zum Bauer Bertrand, weil sie den Neffen ihrer Stief-
») (Euvres de M, ChampmesU, P. 1735, 2 vol., 12, Das Stück findet
sich in II 673—620,
*) (Euvres d, Laf. {Amg, der Grands 6cr, de la France), Bd YU,
439—495.
») BibL S. 85.
*) Unter d. Titel: La coupe enchantee ; auch die berühmte Erzählung
Lafontaine's *Les oies de frere Philippe», eine Satire auf die aüzustrenge
Erziehung, ist der Episode im 43. Ges. des Orl, für. entnommen.
— 237 —
mutter heiraten soll, während sie dagegen den jungen Leiie,
den Sohn des reichen Anselm, liebt. Thiband, auf der Suche
nach seiner flüchtig gegangenen Frau, kommt mit Lelie und
dessen Lehrer Josselin zusammen und yertraut ihnen sein
eheliches Unglück an; furchtet er doch, daß ihm seine Frau
bereits die Treue gebrochen habe. Josselin empfiehlt ihm,
sich mit dem Zauberbecher Anselm's in diesem Funkte Ge-
wißheit zu verschaffen. Anselm habe den Becher von einem
Araber erstanden und stelle ihn jedermann zur Verfugung.
Thibaud aber will aus den nämlichen G-rnnden wie sie bei
Ariost (C. XLIII, st. 65 u. 66) angegeben sind, das gefähr-
liche Experiment nicht wagen, sucht jedoch einen Verwandten
des Tobin, der sich ebenfalls gern Gewißheit über die Treue
seiner Gemahlin verschaffen möchte, zu dieser Frohe zubewegen.
Anselm fängt indessen an, sich über seinen von ihm in
aller Sorgfalt und Abgeschlosseuheit erzogenen Sohn LeKe zu
beunruhigen, da er ihm verliebt zu sein scheint. In der Tat
sehen wir bald nachher den Jüngling am Arme Lucindens.
Nun erscheinen auch Lucindens Vater Tobin und sein
Vetter Griffand, welch beide ihre Ehehälften im Verdachte
der Untreue haben. Als sie von der seltsamen Eigenschaft
des Bechers hören, verlangen sie daraus zu trinken ; der Becher
wird ihnen gereicht, aber Beide verschütten beim Trinken
Flüssigkeit und haben daher für den Spott der Umstehenden
nicht zu sorgen. Anselm hat inzwischen von der Liebe seines
Sohnes zu Lucinden erfahren; nach einigem Widerstreben
willigt er in die Heirat des jungen Paares ein; den Zauber-
becher aber verspricht er zu brechen, da derselbe so manchen
Mann schon unglücklich gemacht habe.
Wie uns der Inhalt des Stückes gezeigt hat, ist der
Stoff, wie ihn der Ol, für. bietet, im wesentlichen beibe-
halten worden. Nur der Schauplatz und der Stand der Per-
sonen wurde verändert; außerdem aber sind eine Beihe von
Personen neu eingeführt worden, da ja bekanntlich in der
Ariost'schen Erzählung nur vier Personen erwähnt werden.
Das Anstößige im italienischen Original wurde soweit wie
möglich beseitigt. Das Tragische und Bittere, das bei Ariost's
Erzählung sich findet, ist ebenfalls fortgeblieben; selbst als
— 238 —
Tobin und Griffand von der Untreue ihrer Fnaiieo wissen,
versagt ihnen der gute Humor nicht; sie wissen sich mit
Anstand ins UnTermeidliche zu fugen. -Vollständig frei .er-
funden dagegen ist die Flucht Lucinden's, das Liebasfer-
hältnis zwischen ihr und Lelie und der anfängliche .Wider-
stand der beiderseitigen Eltern, diese Verbindung gut . w
heißen. Französische Zutat ist es endlich auch, daß An^elm
am Schlüsse des Stückes den Becher zu zerbrechen verspdcht.
Der literarische Wert der Komödie ist nach unsecier
Ansicht Jcein hoher. Es fehlt in derselben yor allem an
Motivierung und Entwicklung; so werden wir im unklaren
gelassen über die Gründe, die Perette zur Flucht von ihreim
Gemahl Thibaud bestimmen, wir erfahren nicht, ob und mit
wem sie Ehebruch getrieben; das gleiche vermissen wir .b«i
den ehebrecherischen Frauen des Tobin und Griffand. .Auch
die plötzliche Einwilligung der Eltern Lucindens und Lelie's
in deren Heirat ist unmotiviert. Endlich suchen wir in dem
Stücke vergebens eine Hauptperson oder auch Hauptper-
sonen, um die sich die ganze Handlung gruppiert; ajles ist
zu kurz und zu skizzenhaft behandelt, so daß das Stück eher
den Namen Posse oder Schwank als den einer „Komödie'' ver-
dient. Vielleicht sollte es auch als eine Parodie der Ariost'schen
Erzählung gelten, obwohl dem entgegenzuhalten ist, daß als
Parodie betrachtet, dasselbe sich enger an das Original ao-
schließen müßte.
Fast möchten wir aus dem Unwert der Coupe enüumtee
den Schluß ziehen, daß Lafontaine zum mindesten die Haupt-
arbeit an der Abfassung derselben nicht getan habe, da wir
diesem großen Geiste ein solches Machwerk unmöglich auf
die Rechnung setzen können.
Anderer Ansicht scheinen allerdings Petitot^) und
Regnier^)zu sein, welche die Coupe enchaniee ziemlich günstig
beurteilen. Doch deutet Begnier an, daß sie vor ihm in der
Regel eine abfällige Kritik erfahren habe ^).
') Repertoire du TJt, fr,, XVI, 250—251.
«) (Euvres VII, 442.
') Ibd. : «. . . . Cet ouvrage n'est pas aussi mauvais qu^on Va pri-
tendu.»
-^ 239 —
AlsNacbabmangen der Coupe enckantee bezeichnet 'Regnier
die beiden Einakter Saint-Poix' L' Oracle und Les Oräees,
Ton denen der erste am ä2. Mutz 1740, der zweite am 23. Juli
am UiMtre fran^is aufgeführt wurden.^) Saint- Foix be-
hauptet jeldoch in der Vorrede zu Les Oräces, da^ß er den
IStoff zu seinen beiden St&cken «eiber erfunden habe.^)
Wir werden uns daher mit denselben nicht weiter beschäf-
tigen, sondern sofort auf eine zweite dramatische Behandlung
nnseres Stoffes, zu der einaktigen komischen Oper La c(mpe
eneliantee von Bochon de Chabannes übergehen. Dieses
kleine Stück ging am 19. Jnli 1753 über die Bühne* und errang
einen ehrenvollen Erfolg.^) Gredruckt wurde das Stück erst
im Jahre 1765, und zwar im zweiten Bande des Nouveau
TMätre de la Foire. Ein Neudruck desselben wird vermutlich
innächsterZeiterscheinen, wenigstens beabsichtigt J.-J. Olivier,
der Herausgeber von Heureusement ^ nach und nach sämÜiche
Btüoke von Rochen de Chabannes in einer Ausgabe dem
Publikum zugänglich zu machen.
Bochon de Chabannes gehört heute zweifelsehne
zu den < Dublier:» , während er bei Lebzeiten zu den erfolg-
reichsten Theaterdichtem zählte. Bereits LaHarpe jedoch
rüttelte an seinem Rühme, indem er den Erfolg des Dichters
nicht dessen Werken, sondern der Tüchtigkeit der Schauspieler
und Schauspielerinnen zuschreibt.^) J.-J. 011 vi er wirft
ihm Armut in der Erfindung und Nachlässigkeit im Stil vor,
») J6d., S. US,
*) Mercure de France 21janvier 1769; dort werden die Handlungen
in beiden Stücken als ^situations si connues» bezeichnet,
*) J.-J. OH vi er, Heureusement. Comedie p. Roch. d. Chab, P.
1903 j '8, IVy woselbst auch zum erstenmal eingehende Studien über
Boch. d. Chab. Leben und Wirken gemacht werden, La Coupe enehantie
wird leider nur erwähnt.
*) Covrs d, litt. II, 373: mBochon ne laissa pas iüetre fort loue
comme versificateur, quoiquHl soit reste dans la demih-e classe de ceux
ä ^ü les acteurs ont fait au thSätre une petite fortune sans eonsiquence
et qui ne dorme point de rang dans Vopinion , . . . E n^y a peut^etre pas
une page de son thintre oü Von ne rencontre des fautes grossihres, -des
fautes de sens, d^expression, de canvenance, taut ce qui prouve ä la fois
le defaut d'esprit et de jugement»
— 240 —
hebt dagegen die Natürlichkeit , den Witz, den kunstvollen
Aufbau und den Dialog als rühmenswert in Kochon's
Komödien hervor^). Als Gresandtschaftssekretär in Dresden
(1770—1772) hatte er Gelegenheit die deutsche Literatur
kennen zu lernen , und so brachte er eine französische Bear-
beitung der Minna Ton Barnhelm unter dem Titel Les Aniants
gemreux mit nach Frankreich zurück. Da er Minna^s Liebe zu
Teilheim für zu stürmisch erachtete, änderte er ihren Charakter,
indem er aus dem herrlichen deutschen Mädchen eine Witwe (!;
machte, die mit ihrer Leidenschaft zum Major etwas vor-
sichtiger zurückhält^).
Die Handlung der Coupe mchantee ist kurz folgende:
Ein Liebender will durch die Eee Melisse erfahren, ob
sein Mädchen ihn auch wirklich nur allein liebe. Die Fee
gibt ihm aus dem Zauberbecher zu trinken, und als der
Jüngling die Flüssigkeit beim Trinken yerschüttet, erklart
sie ihm, daß er die Liebe des jungen Mädchens nicht allein
besäße. Drei Ehemänner kommen während dieser Probe
dazu und wollen ebenfalls die Treue ihrer Frauen ergründen ;
vergebens warnt sie die Fee, den verhängnisvollen Trunk zu
tun; nur einer der drei Ehemänner hatte Ursache, mit der
Treue seiner Ehehälfte zufrieden zu sein.
Rochon de Chabannes entlehnt nur die Idee des
Zauberbechers und die Person der Fee Melisse dem italienischen
Stücke (cf. Orh für,, C. XLIII, st. 28), alles andere ist
selbständige Bearbeitung des französischen Dichters. Wie bei
Lafontaine wird auch hier die Probe mit dem Zauberbecher
alles Tragischen entkleidet : Die beiden gehörnten Ehemänner
*) Op. cit, S. XVII: «... 81 Bochon manquait d'invetition, sil
negligeait trop son style, il avait du 7iaturely de Vesprit, Bavait bätir une
piece et entendait fort bien Vart du dialogue.T»
') Olivier sagt hierüber {Op. cit, 8. XII): tNon content d'alUger
la piece aüetnande de se$ langueurs, il avait modifii le caractere de
VlUroxne, dont Vamour expansif eüt sans doute itonni un public habitni
ä la riserve dScente des Henriettes et des Sylvias, Rochon fit de Minna
une jeune veuve et rendit plus discrete sa passion pour le beau Teil-
heim.» Die Aufführung des Stückes {13. Okt. 1774) bedeutete einen großen
Erfolg für den Dichter,
— 241 —
lachen nach dem bedeatnngsYollen Tranke über ihr eheliches
Mißgeschick, und das Stück endet wie eine mittelalterliche
Farce.
8. Die Terzanberten Quellen.
Die Erzählung vom Zauberbecher erinnert unwillkürlich
an die Geschichte jener zwei Wunderquellen im Ardennen-
walde, welche die Kraft haben, unauslöschliche Liebe oder
Abneigung dem einzuflößen, der von ihrem Wasser trinkt.^)
Ariost sagt von ihnen (C. I, st 78):
<üE qtiesto hanno causaio due fontane,
Che di diverso effeio hanno liqtwrej
Ambe in Ardenna, e non sono lontane:
D'amoroso desto Vuna empie ü core;
Chi bee deWaUray senza amor rimane,
E volge tuUo in gktacdo il primo ardore.
Rincddo gtistö d*una, e Amor lo strugge;
Angelica delV aUra^ e Vodia e fugger^.
Diese Quellen bilden auch den Mittelpunkt einer ein-
aktigen komischen Oper von Le Sage, Les eaux de Merlin
betitelt, welche am 25. Juli 1715 aufgeführt wurde und
deren Handlung im Ardennenwalde spielt.^) Wir geben eine
kurze Inhaltsangabe unseres Stückes:
Harlekin, welcher eben von der spröden Colombine ab-
gewiesen worden ist, will sich erhängen, wird aber von seinem
Freund Mezzetin daran verhiodert; bald darauf kommen beide
an die zwei Wunderquellen im Ardennenwalde. Merlin, der
gütige Zauberer, stellt ihnen einen Teil des wundervollen
Wassers zur Verfugung, welcher die beiden in Paris auf dem
Jahrmarkt zu verkaufen beabsichtigen. Eine Reihe von un-
glücklich liebenden Jünglingen, Mädchen und Frauen suchen
^) über das Alter dieser Sage 8. P. Kajna, Le fonti delV 0, /".,
S. fiO. Rajna verlegt die Heimat derselben ins alte Griechenland,
*) Des Boulraiers, Hist J, 25. Nach Löris, Dictport, S. 155,
wurde das Stück am 11. Sept. 17 35 von neuem aufgeführt, — Ebenso
LaPorteetChamfort, Dict. J, 41L Das Stück findet sich im 2. Bande
des Thiatre de la Foire.
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIV. 1^
— 24S —
and finden Heilung bei den Waseerrerkäofeni. Anch Marinette,
die spröde Geliebte Mezzetin'e, nnd Oolomfaine stellen adi
ein und drücken den beiden, die sie nicht kennen, ihre Reue
ans über die ungerechte Behandlung, welche sie Harlekin und
Mezzetin widerfahren ließen. Diese geben den Mädchen be-
reitwillig Wasser von der Quelle der Liebe zu trinken, worauf
sie sich ihnen zu erkennen geben. Colombine und Marinette
▼erspüren alsbald die Wirkung des Trunkes und Tersuehen
ihre Liebhaber zu Tersöhnen; als die liebeentbrannten Mädchen
cfies im guten nicht fertig bringen, zwingen sie den Harlekin
und den Mezzetin durch Anwendung Ton Gewalt, vom Wasser
der Liebe zu trinken, worauf dann eine allgemeine Versöhnung
erfolgt.
Diese kurze Analyse zeigt, daß Le Sage dem Ariost
nur die Idee der Zauberquellen und den Schauplatz im Ar-
dennenwald entnimmt, die übrigen Teile des Stückes dagegen
selbständig erfindet und dramatisch behandelt.
Wie in den vorausgehenden Stücken wird auch hier der
Episode das Ernsthafte, Tragische genommen, auch wird alles
^rmieden, was an das italienische Original direkt erinnern
könnte, so daß wir streng genommen von einer Parodie der
betreffenden Erzählung im Original nicht q)recben können.
9. Die Erzählung vom AmazoneiiBtaate.
Als eine Parodie der drei Heldinnen Ariost's, Brada-
mante , Angelika und Marfisa, darf wohl der Ideine Schwank
Utk des Aniazones gelten, welcher von D'Orneval und Le
Sage 1718 gemeinschaftlich verfaßt wurde ^) und zwei Jahre
später mit ziemlich großem Erfolge Aber die Bühne ging.^
DH3meval, welcher den Hauptanteil an der Arbeit hst, ist
nach Des Boulmiers <un autmr f6€ond et ittgSnieux^ *\
') Das Stück fifidei sich im dritten Bande des ThMre de la Foire
P. 17^7. ^: ioegen der Jahreszahl vgl L^rii, Diet. dr^ 8. 256; Aneedotes
dram. 7, 464^ wo überall 171R, hzvc. 1720 angegeben toird.
») Des Boulmiers, l c, II, S7L
') Ibd. II, 432: La Harpe, Cours de litt, II, 439 und Bernardin,
La com., S. 153 ertvähnen D'Orneval nur als Vielschreiber.
- W3 =
d#r dJya meiste seiner Sföcdce gei^eimehafiUeh mit Le Sage
mi^ Pir^n achrieb.
Die Bf^ivdlwg fieser eiw^s derl^en Parodie Aiioefscher
Gestalten ist folgea4e :
Pierrot, Harlekin und Scaramouche werden auf die
Amazoneninsel versclilagen und müssen sich den drei Amazonen
Atalide, Marphise und Bradamante, welche ihnen mit Pistolen
auf den Leib rücken, ergeben und sich außerdem depi Gesetze
des Lan4es unterwerfen, welches yerlangt, daß jeder mäpn-
liehe Ankömmling drei Monate lang der Gemahl einer Ama-
zone sein muß. Eben werden drei MänQer, die diesen Dienst
getan, verabschiedet ; ein Schweizer, dem der AJbschied schwer
fallt, weil er während jener Zeit nach Herzenslust zu essen
und trinken bekam/ ein Spfinier, welcher in sohmachtender
I4ebe zu Brada^ante entbrannt ist und gerne noch länger
bleiben möchte, endlich ein Franzose, welcher frohgemut voq
Atalide scheidet, die ihn aber nur ungern ziehen läßt. ^)
Das Stück ist eine recht einfältige Posse ohne Witz und
Humor, ohne Verwicklung oder Spannung und ohne Charakter-
zeichnung. Daß es eine Parodie der drei genannten weiblichen Ge-
stalten aus dem OrL für. sein soll, sagen schon die beiden Namen
Marphise und Bradamante, welche sich in der hie des Amor
xf/ms finden. So ist hier Marphisa ein zänkisches Weib, das
seinem Gemahl, der dem Trünke ergeben ist, die heftigsten
Szenen macht. ^) Die Sprache wechselt zwischen Vers und
') Für das sonderbare Latidesgeseiz Juit ofenbar eine Stelle im Orl.
für, als Quelle gedient (C. XX, SO), wo Ormtea an der Spitze der Kre-
tetiserinneti eine Amazonenherrschaft gründet Eine SteHe scheint nahezu
wörtlich herübergenommen zu sein; fiämlich Sz. 4 sagt Br(^d.: »Plusieurs
I$les .... de venir jjrendre nos enfants mäleSj et de nous donner deux
filles pour un gargon. Vgl. damit Orl. für, C, XX, st. 33:
^Accio il sesso viril non le soggioghi,
Uno ogni madre vuol la legge orrenda etc.n
*) Wir geben hier eine kleine Probe aus Szene 6. Marphisa ist im
Begriffe sich von dem Schweizer Baron, der drei Monate lang ihr Oemahl
tvar, zu vei-abschieden :
Marphise chante: En honne foi, pouvez-vous croire
Que pour voiis mes pleurs vont couler,
16*
— 244 —
Prosa und bewegt sich oft in den niedrigsten Ausdrücken.
Das Stück sollte 1718 über die Bühne gehen, da aber gerade
um diese Zeit die komische Oper geschlossen wurde, mußte
die Aufführung auf unbestimmte Zeit verschoben werden.^)
10. Die Ring-Episode.
Die Geschichte des unsichtbar machenden Zauberrings,
welcher ursprünglich im Besitze Angelikas war, ihr aber
später vom listigen Brunello entwendet wurde, findet sich im
3. Gesang des Of'L fw\ (st. 68 ff.). Sie hat den Anlaß zu
einer kleinen französischen Komödie gegeben, welche in eine
andere größere Komödie verwoben ist. Der Titel dieser
Doppelkomödie von Thomas-Simon Gueullette lautet: Les
eomediens jyar haxard et l'anneau de Brunei, Das Stück wurde
am 15. März 1718 gegeben, ist aber nicht gedruckt.*)
Vous qui passiez le jour ä boire,
Et taute la nuit ä ronfler?
Le baron: Moi, m-y riveUler quelquefois.
Marph.: Ot«, pour chanter ä pleine voix:
Bon, bon, Bon
Que le vin est bon!
Par ma foiy fen veüx baire.
Heu le vilmn Yvrognc!
Le baron c kante: Oh! point de fächetnentj mon Belle!
Si chel trinquerai touV le jour;
Cest dans le vin quie sti VAmotir
R'allume son cJiandeüe,
Marph. Je crois quHl y iteint encore 2>lt*s souvefit Fussiez vous
dSjä aux Treize-Cantons.
Le bar.: L'y etre ein petif critelle, ein petif VIngrate. Moipour-
tantf Vy aimer vous toujours beaucoup grandement»^ etc.
Mit derlei billigen Witzen suchten die Verfasser die Lachlust des
Theaterpublikums rege zu halten.
*) Parfaict, Bist. XIII, 169.
*) Beauchamps, Nouv. theätre italien 111^ 291, P a r f., Dict. du
Th. fr., VII, 445. Eine ausführliche Inhaltsangabe dts Stückes findet
sich bei Farf., Bist, du Th. fr. XIII, 169.
— 245 —
11. Die Atlante-Episode.
AÜante's Zauberschloß ^ in welchem der alte Zauberer
seinen Schützling Rüdiger vor den Stürmen des Lebens be-
wahren will, wird von Ariost im 4. Ghesange (st. 12 ff.) ge-
schildert. Die sich darin anknüpfende Befreiung des Helden
durch Bradamante liefert dem Lustspieldichter La Orange
den Stoff zu seinem Einakter Le palais enchante, der 1761
aufgeführt wurde, jedoch nicht im Drucke erschienen ist. ^)
Wir geben nach den Brüdern Parfaict eine kurze Inhalts-
angabe des Stückes. ^)
Clorinde, die Greliebte Boger's, wird von der Zauberin
Urgande in dem verzauberten Schlosse gefangen gehalten.
Roger jedoch befreit mittels eines von Merlin erhaltenen
Zauberstabes die Geliebte aus den Händen der sich vergebens
wehrenden ürgande. Das Zauberschloß verschwindet, Roger
findet seine Clorinde wieder und gibt den zahlreichen Ge-
fangenen der bösen Fee die Freiheit wieder.
Diese kurze Handlung ist von Anfang bis zu Ende der
Atlante-Episode des Chi. fui\ nachgebildet. Nur ist Atlante
durch die aus Tasso's Befreitem Jerusalem bekannte Zauberin
Urgande ersetzt, bei Ariost wird außerdem umgekehrt Roger
durch Bradamante - Clorinde befreit. Nach den Brüdern
Parfaict hatte das Stück auf der Bühne keinen Erfolg.®)
12. Einzelne Entlehnungen ans dem Orlando forioso.
Es erübrigt noch einige Werke anzuführen, in denen sich
stellenweise der Einfluß des Ariost'schen Epos geltend macht.
Auch diese legen Zeugnis davon ab, wie verbreitet die Be-
kanntschaft mit dem gefeierten italienischen Epos war, und es
ist anzunehmen, daß auch dort, wo sich ein unmittelbarer
Einfluß nicht wahrnehmen läßt, es dennoch vielfach auf die
Schaffungskraft der französischen Theaterdichter eingewirkt hat.
») P. Parfaict, Dict. IV, 55f.
^) Ibd., Dict, IV, öof.
^) Ibd., Dict. IV, üöf.
— i*ß —
Wie bereits von B.. Köhler^) hervorgehoben worden
ist, enthält die von Jacques de la Taille verfaßte Tra-
gödie IMrB (1569^—1662) eine dem Ariost nachgebildete Stelle!
Im 5. Akte dieser Tragödie wird Alelcander dem QroBeb
mitgeteilt, daß Darius mit folgenden Worten aus dem Leben
verschieden sei:
< O Alexandre, adieu, qudqtie pari ou tu 8oi4f,
Ma mere et ses enfants aye en recommanda -^
// ne peuat achever, cor la mort l'en fforda*.
Die totsprochende Stelle im Orl. für. (C. XLU, 14)
lautet :
<rE dirgli: Orlando, fa che ii raccordi
Di me ndt orazion tue grate a Dio;
Ne men ti raccommando la mia Fiordi —
Ma dir non potd tligi*, e qui finiöt.
Diese poetische Lizenz findet sich unseres Wissens nur
bei Ariost. Daß Jaques de la Taille Ariost im Urtext kannte,
dürfen wir wohl annehmen, besonders wenn wir bedenken, daß
sein Bruder Jean ein gründlicher Ariostkenner war, der sogar
den Negromant des italienischen Dichters ins Französische
übertrug. Bei Garnier finden sich, abgesehen von seiner
Bradamante, in einigen Stücken Reminiszenzen, wenn auch
nur sehr unbestimmter Art, an die Lektüre des Ariost'schen
Epos. So erinnert die Schilderung des Zweikampfes zwischen
]6t§ocle und Polynice in der Antigene (Akt III, s. V. 113 ff.)
an den Kampf Roger's und Rodomoot's am Schlüsse des 46.
Gesanges (st. 100 ff.). Bei beiden Dichtem prallen die
stampfenden mit solcher Gewalt aufeinander, daß die Rosse
rücklings zu Fall kommen ; in beiden wird dalin der Kampf
zu Fuß ausgefochten, und zwar nicht bloß mit Schwert und
Degen, sondern auch mit Faust und Ftd3 ; weite)r jödoch geht
die Ähnlichkeit nicht.
Auch Montchrestien scheint die Kampfesschilderungeti
im Orl für, zu kennen und sie sogar an einer Stelle in Seinem
Hector nachzuahmen.
') Arch, f, Lit.'Gesch. V, JS43.
«; Cfr. Böhm, Einfl. Senecas, S. 55 f.
— 247 —
Im 5. Akte wird der sich auf die Argolier stürzeude
Hektor mit einem Falken verglichen, welcher auf eine sorg-
los nach Atzung suchende Vogelschar jählings herabschießt
Dieser Vergleich findet sich nahezu wörtlich im 26. Gesänge
(st. 12) des italienischen Epos.^) Der Zweikampf zwischen
Hektor und Achilles in der nämlichen Tragödie erinnert lebhaft
an die Zweikämpfe, wie sie Ariost in seinem Epos so gerne
und so unübertrefflich schildert. ^) Doch ist es möglich, daß
Montchrestien's Schilderung von Ariost unabhängig ist, da
direkte Entlehnungen an dieser Stelle nicht nachweisbar sind.
>) S. Vianey, Ariaate et la Pliiade, BuU. iL III, S, S19. — Die
Stelle findet sich auf S. 63 der JuUeville'schen Ausg, v. Montchrestien
tDid lautet:
Comme quand un faucon soustenu de sea aisles
Deacouvre le voler des faihles cohmbfUes,
Qui retoument des champs et coupent seurement
La vague remuant du venteux SUmentt
n se laisse tomber sur la bände timide;
La plupart fuit legere oÄ la crainte la guide,
Et de bec et de mains sur terre il les abat;
Hector fondant de mesme en VArgoliqxte armee,
On la void sur k chatnp de (a de lä semSe,
Mais ceux la qu'il rencontre au milieu de ses pas
De irenchant ou d^estoc regoivent le trespas.
Die entsprechende Stelle im JFurioso lautet:
Come 8to7'7no d''augei, chHn ripa a un stagno
Vola sicuro, e a 9ua pastura attende,
S'improvviao dal ciel fakon grifagno
GH da nel mezeo, ed un ne hatte o prende:
Si sparge in fuga^ ognun lascia ü compagno,
E dello scampo auo cura si prende:
Cosl veduto avreste far coatoro,
Tosto cheH buon Ruggier diede fra loro.
•) (Euvres de Montchr. {A%iSg. v. P. de Julltvüle\ 8. 53 f.
Ergebnisse.
Am Schiasse unserer UntersuchuDgen angelangt, wollen
wir noch kurz die Resultate derselben zusammenfassen. Der
Einfluß der italienischen Literatur auf die französische ist
größer, als man nach dem allgemeinen Urteil über die Be-
deutung dieses Einflusses anzunehmen geneigt ist. Nur ganz
allmählich macht sich die Überzeugung geltend, daß Italiens
Anteil an der Entwicklung der neufranzösischen Literatur ein
ebenso wichtiger, manchmal sogar, wie bei den Dichtem der
Pleiade, ein wichtigerer Faktor war als der antike Einfloß.
Oft auch hatte Italien die Vermittlerrolle zu spielen
zwischen antikem und französischem Schrifttum, d. h. griechischer
und römischer Geist drangen über Italien in Frankreich ein,
teils durch italienische Gelehrte und Künstler, die ihren
dauernden oder vorübergehenden Wohnsitz auf französischem
Boden nahmen, teils durch italienische Übersetzungen klassischer
Schriftsteller oder durch italienische Originalwerke, in denen
der Hauch hellenischen und römischen Geistes zu ver-
spüren war.
Mit der Einführung der terxa rima durch J. Lemaire
de Beiges beginnt der italienische Einfluß auf die franzö-
sische Lyrik in Form und Inhalt. Die Sonettdichtung,
die in Frankreich geradezu die regelmäßige Form der lyrischen
Poesie wurde, hat ihre Heimat in Italien. Die Ode, die
bisher stets als eine direkte Entlehnung aus dem klassischen
Altertum gegolten hat, wird dem Fürsten des poetischen
Siebengestirns durch den Italiener AI am an ni näher g6-
— 249 —
bracht Nicht miDder bedeutend ist Italiens Einfluß auf den
Inhalt der lyrischen Poesie Frankreichs gewesen, wenigstens
in der ersten Blütenperiode der Lyrik von Marot bis zum
Tode Malherbe's. Die Lyrik dieser ganzen Periode ist nahezu
ausnahmslos erotisch, bald im üppigsten Sinnengenusse schwel-
gend, bald auf den reinen Höhen platonischer Liebe wandelnd.
In beiden Richtungen war Italien das stete Vorbild der
französischen Sänger: von Petrarca lernten sie jene zarten,
keuschen Liebeslieder, wie sie der Sänger der Laura seiner
Geliebten in nahezu religiöser liebe geweiht hatte; von Bembo
und Ariost entnahmen sie die Schilderungeo glühend schöner
Frauenleiber, balsamisch duftender Gärten, wie sie die Menschen
des Renaissancezeitalters erdachten und schufen, und nach
ihrem Vorbilde malten sie die Genüsse aus, die sinnliche
Liebe allein zu geben vermag. Mit Malherbe trat diese
heitere Lebensanschauung, wie die Renaissance sie hervorge-
rufen hatte, zurück; für Frankreich kam die Blütezeit des
Theaters, und die Lyrik fristete ein klägliches Dasein fort,
bis sie im 19. Jahrhundert eine neue Auferstehung feierte,
zu der das schwer damiederliegende Italien allerdings so viel
wie gar nicht beigetragen hat.
Das moderne französische Epos des 16. und 17. Jahr-
hunderts geht zwar in erster Linie auf antike Vorbilder zu-
rück, aber wir haben gesehen, daß Ronsard 's Frandadey
welche die Reihe der französischen epischen Dichtungen er-
öffnet, eine große Anzahl Entlehnungen aus dem Furioso
des Ariost aufzuweisen hat; die romantischen Epen des
Saint-Amant, Desmarest, Le Meine verdanken ihr
Dasein den italienischen Vorbildern des Orlando und der
Gerusalemme liberata; die ganze burleske Poesie endlich,
die vorzugsweise beschreibend ist, geht, wie wir eingehend
dargelegt haben, auf die italienische hurla zurück. Selbst das
Epos des 18. Jahrhunderts, mit Voltaire's La Henriade und
La PueelU d' Orleans an der Spitze, atmet noch den Hauch
italienischer Ependichtung, und der große Epiker des 19. Jahrh/s,
VictorHugo, nennt den Dichter der Divina Comrtiedia seinen
tDivin maUre>, Wir erinnern uns femer daran, daß die
französische Novelle nicht ihren Ursprung in den Fableaux
— SSO —
des Mittdalten, sonder]] in der Hauptsache in der italieni*
sehen tNoveüa^ hat, daB die Yerserzähinngen eines La-
fontaine nahezu zur Hälfte auf italienische Quellen zurück-
gehen, daß endlich noch im 18. Jahrh. Montesquieu und
Yoltairoi der erstere in Beiueai Leiires penanetj der letstere
in seinem Zadtgj sich an italienische Vorbilder anlehnen.
Was das französische Theater betrifft, so ist der italienische
Einfluß dem antiken zum mindesten gleichzustellen. Wir
haben von neuem darauf hingewiesen, daß mit dem Einsug
gewerbsmäßiger, italienischer Schauspieler in Frankreich
und mit der Eröffnung des Theaters der oonmedia ddt
arte in Paris eine neue Epoche f&r das französische Theater
heianbricht Nach dem Muster der italienischen Schauspieler
bildet sich ein fester Schauspielerstand in der französischen
Hauptstadt, zu dem auch bald, ¥riederum nach dem Beispiele
der Italiener, weibliche V^ixeter der Mimik gehörten. Die
Komödianten des Stegreifspieles waren Meister in der Dar-
stellung YOn OharakterroUen; dementsprechend waren auch
ihre Stücke zugeschnitten, d. h. sie waren größtenteils Charakter-
komödien. Diese letzteren hatten alsbald einen so durch-
schlagenden Einfluß auf die französische Bühne, daß die
mittelalterliche Farce fast ganz verschwand, und sich ein neues
Lustspiel, die französische Charakterkomödie bildete, die
ihre Vollendung in Molidre erhielt, dessen Abhängigkeit
Tom italienischen Theater eingehend von uns behandelt worden
ist. Einzelne Lnstspieldichter des 18. Jahrb., ja selbst ein
ganz modemer Dichter, der zartbesaitete A. de Müsset,
stehen unter italienischem Einflüsse.
Weniger abhängig von diesem Einflüsse ist das franzö-
sische Trauerspiel. Die ersten Tragödien stehen insbesondeie
in Abhängigkeit von Seneca, später wird Spanien auf lite-
rarischem Grebiete dominierend, bis dann die Franzosen ein
selbständiges Trauerspiel in Corneille 's (M bekommen.
Doch hat unsere Untersuchung gezeigt, daß zwischen 1550—
1636 eine Menge italienischer Tragödien teils nachgeahmt
und übersetzt werden, teils ihren Stoff italienischen ERäh-
lungen und Epen entlehnen. Noch im 18. Jahrb., als ItaUen
nach langer, geistiger Verödung ein zweites RisorginmUo
.^ 851 --
feiert, macht idch def tlinfltifi dieses LAadee aaf die frat»&-
eisehe Tt^gödie geltend, indem mehrere Tragiker zweiten
Banges Stücke von Metastasio und Alfieri, diesen
beiden genialen Vertretern der italienischen klasBiEistiaehtti
Tragödie, nachahmen. Die Pastorale und die Oper dagegen
sind spezifisch italienische Produkte, die nach Frankreich
Verpflanzt werden; die italienische Pastorale in Frankreich
wird, wie wir gesehen haben, zeitweilig durch die spanische,
welche jedoch ebenfalls ein Ableger der italienischen ist, ver-
drängt; doch kann sie sich in einigen von uns erwähnten
Yertretem bis zum Ende der Blütezeit dieses Genres be-
haupten.
Unumschränkte Herrschaft jedoch führt in Frankreich
die italienische Oper, die der Kardinal Mazarin, ein
Sizilianer Ton Geburt, den Franzosen 2um ersten Male bekannt
macht» Wir haben von den heißen Kämpfen gesprochen, die
noch zu Ende des 18. Jahrhunderts ausgefochten werden
BWischen den Anhängern der rein italienischen Oper und
denen der firaneösischen, welch' letztere sich aus der italieni-
schen Oper und aus dem seit Ausgang des Mittelalters am
französischen Hofe aufgeführten fiallette entwickelt hatte.
Wir nannten eine namhafte Zahl italienischer Komponisten
bis auf Verdi herab, die in Frankreich beliebt und ton-
angebend waren.
Was das Schicksal Ariost's in Frankreich betrifft, so können
wit dasselbe naöh den Ergebnissen unserer Untersuchung ge-
iradezu ein glänzendes nennen.
Nicht weniger als 97 Übersetzungen und Ausgäben^)
dieses Epos ins Französische haben wir aufgezählt; davon
fallen 23 in das 16., 14 in das 17., 21 in das 18. und 34
in das 19. Jahrhundert. Fünf Übersetzungen sind ohne An-
gabe der Jahressahl erschienen. Obwohl Ariost in erster
Linie epischer Dichter ist, finden sich manche lyrische Stellen
in seinem Orlando furioso und in seinen Satiren; diese Stellen
Wurden wiederholt von französischen -Lyrikern, beeonders von
') In diese Zahl sind auch die unvollständigen Übersetzungen so*
Wie die Neuauflagen mit eingeschlossen.
einigen Hauptvertretern der PUiude, ihren unmittelbaren Vor-
gängern und Nachfolgern nachgeahmt. Frühzeitig begann man
auch einzelne Episoden nachzuahmen oder zu parapbrasieren;
sogar Lafontaine verschmähte es nicht, zwei dieser Episoden
frei zu übersetzen und in seine Contes aufzunehmen.
Eingehend haben wir ferner untersucht, wie groß der
Einfluß der OH, für. auf das französische Theater gewesen
ist. Dieser Einfluß besteht darin, daß die französischen
Dramatiker einzelne Episoden aus dem ,,Kasenden Boland'^
dramatisch bearbeiten. Seit 1564 finden wir solche drama-
tische Bearbeitungen, wenn wir a*uch zum Teil nur ihre Titel
kennen.
Die Bradamante-Episode findet eine Anzahl talent-
voller und dichterisch begabter Bearbeiter. Grarnier, La
Calprenöde und Thomas Corneille sind die hervor-
ragendsten unter ihnen ; alle drei bearbeiten den Stoff in ganz
ähnlicher Weise und halten sich ziemlich genau an die
italienische Quelle. Am besten bearbeitet ihn Garnier; seine
Gestalten haben noch das Meiste von dem Hauche Ariost-
scher Poesie behalten. In den Tragödien der beiden letzteren
treten uns nicht mehr Ariost'sche Wesen entgegen, sondern
Franzosen des 17. Jahrh.'s, Gestalten, wie wir sie auf der
klassizistischen Bühne des Frankreich des 17. Jahrhunderts
sehen. Roy 's Versuch, die Bradamante-Episode zu einem
Opemtexte zu verwenden, kann als gelungen angesehen werden.
Die Boland-Episode scheint in Frankreich beliebter
und bekannter gewesen zu sein; trotzdem gelang es weder
Mairet noch Quinault, den beiden bedeutendsten unter
den dramatischen Dichtern, die sich mit dieser Episode be-
schäftigten, ein erfolgreiches Stück auf die Bühne zu bringen.
Die Ursache des Mißerfolges lag in der Episode selbst, in
der es an einem Mittelpunkt fehlt, um den sich alle Neben-
episoden, wie die Liebesgeschichte Angelica's und Medor's,
der Tod Zerbin's und das Auftreten B;odomont's, gruppieren
könnten. Dieser Mittelpunkt, den natürlich Boland's Raserei
bilden sollte, konnte für die Bühne nur schwer geschaffen
werden. Nur ein genialer Dichter wie Shakspere ver-
mochte den Wahnsinn durch ein ganzes Stück hindurch auf
— 253 —
die Bühne zu bringen, und die Nerven der Zuschauer in höchster
Spannung zu erhalten. M a i r e t und Quinault, zwei Geister,
die nicht über das Mittelmaß hinausragen, wußten nicht, was
sie mit dem rasenden Helden auf offener Szene anfangen
sollten ; sie dachten nicht daran, diesen im Grunde so tragischen
Helden psychologisch ernst zu nehmen, ihn in seinen Seelen-
kämpfen, in seinem Ringen und allmählichen geistigen Dahin-
sterben darzustellen ; statt dessen brachten sie die äußerlichste
Seite des Wahnsinns zur Darstellung, ließen den Helden Bäume
ausreißen u. dgl. Die Wirkung war beim Publikum eine
komische ; so folgten denn bald Parodien auf Parodien, welche
alle diesen Hauptmangel an der dramatischen Darstellung
der Rolands-Episode unbarmherzig geißelten.
Die Isabella- und die Ginerra-Episode wurden
schon frühzeitig dramatisiert. Montreux schuf ein Zerrbild
aus der rührend schönen Isabella-Episode, während Billard
die Geschichte von Ariodant und Ginevra in endlos
langen Monologen und Dialogen ohne jedes dramatische In-
teresse und in bombastischer Sprache auf der Bühne vor-
tragen ließ. Nicht besser machten es die Nachfolger der
beiden Dichter, wenn wir etwa von Voltaire absehen, dessen
Tancrede auf die Erzählung von der schottischen Königs-
tochter zurückgeht. Ihr Fehler lag darin, daß sie allzu
peinlich dem mit epischer Breite erzählten Gange der
Handlung bei Ariost folgten, statt sich die Erzählung
dramatisch zurecht zumachen, und die einzelnen Personen
derselben zu lebendigen, wahrheitsgetreuen Charakteren zu
gestalten.
Diesen Versuch, eine Ariost'sche Episode wirklich dra-
matisch zu behandeln, und die Charaktere psychologisch zu
vertiefen, macht« D auch et. In seiner -4fcma sehen wir, wie
-der Kampf in Alcine's liebeglühendem Herzen sich abspielt.
Die Handlung in den einzelnen Szenen wird zum großen Teil
motiviert; die Charaktere sind in kurzen, markigen Zügen
dargestellt. Leider nimmt das Wunderbare, ein unerläßliches
Requisit der damaligen Oper, in dem Stücke einen allzu-
großen Raum ein und vermindert so bedeutend den Wert
desselben.
Etoe grüDdUcbo V^räaderung earfohr^n ^ia Joconde-
und die Zauberbach er*Episode auf dem franwaiacben
Theater. Bei Ariost liegt denselben etwas Tragiechea, Fessi*
nistiiohea iuue ; ein bitterer Zwdfel an dea ideajaten Gütern
d«9 Menschen, an FrauenUebe und Treue spricht sich darin
aas; dabei sind die obssönsten Situationan eiogaflochten,
welche selbst fujr die sittlich so tief rerdorbene Zeit des
Dichters das Maß des Erlaubten überschreiten, weshalb dieser
seine weibUchen Leser vor der ]>ktüre des 98. Gesanges
warnen zu «süssen glaubt. Diese charakt^ristischeo Merk*
male der beiden Erzählungen verschwinden nuu aus den
frafissösifli^en dramatischen Bearbeitungen derselben. Harm-
lose, meist einaktige Komödien, -^ Possen oder Schwanke
möditen wir sie eher nennen -^, werden aus dei^ ^ei £]pisoden
gebildet, Stücke von durchwegs heiterem Tone, ohne jede
obszöne Anspielung*
Auch einige kleinere Episoden, wie die Erzählung vom
Schlosse des slten Zauberers und von dem Amazoneostaat
auf Kreta, wurden ihrer Ernsthaftigkeit oder ihrer Obszönität
entkleidet und für die komische Bühne zurecht gemacht;
frdlich verschwand bei einer solchen Umwandlung die zarte
Poesie dee Originals, und die unnachahmliche Mischung
zwischen Tragischem und Komischem, wie sie sich duroh den
Orl. für, zieht, geht in diesen für den Tageserfolg geschriebenen
Einaktern völlig verloren; nur die Namen der in ihnen auf^
tretenden Personen und die einzelnen Situationen eriuneru
noch an die Quelle, welcher die Verfasser dieser KomödieB
ihre Stoffe entlehnten.
So sehen wir also, daß im 16. und 17. Jahrhundert die
Episoden aus dem Furioso nahezu ausnahmslos in ihrer vollen
Tragik von den französischen Dichtern angefaßt und in
diesem Sinne dramatisiert werden; der Grund davon liegt
wohl darin, daß man in jener Zeit die Poesie des Ritt^epos
noch versteht. Das 18. Jahrhundert, das Zeitalter der Auf-
klärung, das nur die Vernunft gelten läßti glaubt nicht mehr
an diese Poesie, sondern spottet darüber, und so entstebep
die zahlreichen Parodien Ariost'scher Heldeng^statten , bs-
sonders des Koland, dann auch der Marphise, der BradamaDte»
— 265 —
der Augelica und anderer. Daneben aber darf der Glanz
der Ritterepen noch erstrahlen auf der prankhaften Bühne
der Oper, wohin sich die Welt des schönen Scheins während
dieses Jahrh/s vorzugsweise geflüchtet hat. Im 19. Jahr-
hundert endlich hören die dramatischen Bearbeitungen des
OL für. in Frankreich gänzlich auf, obwohl man glauben
sollte, daß die romantische Schule den romantischsten aller
Dichter wieder zu Ehren hätte bringen müssen. Doch scheinen
die Zeiten endgültig vorüber zu sein, in denen man mit Vor-
liebe Bitter in glänzender Sitatong vad Bitterfräulein in Panzer
und Harnisch auf der Bühne ihre Waffen führen sieht. Das
heutige Theater folgt eben dem Zuge der modernen Zeit, die
sich immer mehr von dem Verstäedisse jener mittelalter-
lichen Welt entfernt.
Anhang.
Ariost-Überseteungen.
1) Roland furieux cmnpose premierefinent en ryme thuscane
par Messire Loya Ärioste, noble Ferrarois et maintenant traduict
en prose frangoyse: pariie siiyvant la phrase de Pauteurj partim
aussi le style de ceste nostre langue, Lyon, 1543. foU
Von dem Übersetzer wissen wir nichts Bestimmtes. Du
Verdier schreibt die Übersetzung dem J. des Gouttes zu*);
doch verfaßte dieser nur die Vorrede und erklärte darin aus-
drücklich, nicht der Verfasser derselben zu sein. Goujet
gibt jene Stelle in der Vorrede wieder und behauptet J. des
Gouttes scheine nicht der Verfasser der Übersetzung zu sein.*)
Niceron's Behauptung, Jean Martin sei der Übersetzer '), wird
von Guidi angeführt.^) Nach Nostradamus ist der Stil der
Übersetzung tsuranne, devenu barbare pour nous>,^^ Jeder Ge-
sang wird allegorisch gedeutet.
') La Bibl, S. 709.
2) Goujet, Bibl fr., Bd. IT/, 345f. -^ In der Widmung des
Werkes an Card. Hippolyte von Este sagt J. des Gouttes: tTeÜe fut
Vopinian du translateur du Futieux, quand premieretnent ä m a requete,
il mit la main ä la plume: assavoir qtt'il ne doubtoit point que VAriostc
tourni en prose Frangoise ne perdit beaucoup de sa nayvete etc.» Da-
nach kann J. des Gouttes der Übersetzer nicht sein^ wenn toir nicht an-
nehmeil. daß er seine Autorschaft vei'bergen wollte.
»j Memoires, Bd. IV, 5H9.
*) Annali, S. 177.
*) Vie des Poetes prov. Vorrede, S, VIL
— 257 —
2. Dieselbe — , Lyon. 1544. in fol. ^)
3. Rol. für . . . en prose (Seit. Ausg.) Paris. 1546. 8^
4. Dieselbe — , Lyon. 1545. 8^^)
5. Dieselbe — , (seltene AusgO P. 1552. Q^.
6. Dieselbe — , P. 1552. 8^
7. Le Premier volnme du Rol. für. . . . par Jean Fornier
de Montauban. P. 1555. 4^. (Nur die ersten 15 Gesänge,
ziemlich selten.) *).
8. Derselbe — , AnTcrs. 1555. 8^ (Nachdruck).
9. Derselbe, Anvers. 1555. 4® (Nachdruck).
10. Rol. für., comp, premierement etc. (Neudruck d.
J. d. Gouttes zugeschr. Übers.) P. 1555. 8^
11. Derselbe — P. 1571. 8» (Nachdr. der J. des Gouttes
zugeschr. Übers.*)
12. Derselbe. Par. 1575. 8^
13. Rol. für., trad. p. G. Landr6 P. 1571. 8«.*)
14. D^amour furieux, Kolaod für., compose en rithme
tuscane p. M. Lovys Arioste, P. 1572. 8^. *)
15. Rol. für., trad. en prose . . . p. Gabr. Chappuys,
Lyon. io76. S^.')
16. Derselbe — , Neudruck, Lyon. 1577, 8«.»)
17. Arioste Fran^ois de J. D. B. Les XII premiers
chants de TArioste traduit en vers avec les Arguments ^t
Allegories sur chacun chant. Lyon. 1580. 8^*)
') Brunet, Man., Bd. /, 167; Guidi, Ann. 177.
') Guidi, ihä..; ebenso die unter 5 u. 6 angeführten.
3) Du Verdier, l c, S. 691: Goujet, /. c, Bd. VII, 347:
Fo(u)rnier übersetzte den Orl. fur. ^surtout pour des heros qui vou-
droierit unir ä la valeur les qualites, qui fönt estimer Vhonneur dans le
heros^. Die Vl>ers. ist so buchstäblich tcie möglich, entbehrt aber der
Kotrektheit und Vornehmheit. Ebert, Entwicklungsgesch., S. 169, er-
xcähnt diese Übersetzung.
*) Guidi, Ann., S. 179.
*j Nur 6ci G u i d i erwähnt; vgl. Q u a d r i o , Stör, e rag., Bd. 1 V, 558,
^) Nur bei Guidi erw.
') Goujet, l. c, Bd. VIL 362 sagt von dieser Lbers.j sie sei so
schlecht, dafi es unmöglich sei^ sie zu lesen.
*) Guidi, Ann., 179: Goujet, ib. VIT, 362 gibt an: Lyon 1676.
•j .7. D. B. = Jean de Boessihre de Montfer en Auvergne; siehe
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXIV. 17
— 258 —
18. Rol. für. (Neudruck d. Au8g. von 1543). P. 1580. 8^
19. L'Ar. fr. p. J. D. B[oe88iöre] Lyon. 1580. 8^
20. Le Rol. für., trad. p. O. Chappnys, nou?« ed. augm. de
figures en bois et de dnq Chants ajoutös au susdit Podme. —
La Suite de Rol. für., contenant la mort du raillant Roger
(du G. B. Pescatore) et de quelques stances du ineme Arioste^
trad. de Tit. par le meme Chap. Lyon. 1582. 8^,^)
21. Rol. für. (Neudr. der Übers, von 1543). P. 1582. 8«.
22. Rol. für. . . . p. Gabr. Chappuys. Lyon. 1582. 8®.
23. Rol. für. (Neudruck der Übersetzung v. Chappuys
V. 1582). P. 1683. 8<>.«)
24. Derselbe — , Lyon. 1604. 8^«)
25. Derselbe — , Lyon. 1608. 8^
26. Derselbe — , Ronen. 1610 u. 1618. 8^
27. Le Divin Arioste ou Rol. le Für. trad. nouvellement
en Fran^ois par Fr. de Rosset d6di6 ä. la grande Marie
de Medicis reine de France et de Navarre. Paris. 1615.
2 vol., 4«.*)
Barbier, Dict des Anon.j Bd. 7, 272; Que.rard, Superch. litt,
Bd. II, 826 d. Nach Goujet (B, fr. VII, 351) übersetzte J. de
Boessi^re diese 12 Ges. nicht allein. Wir haben es vielmehr mit
einer Kompilation der Teilühersetzungen von Meüin de St-GMais. J, Ä.
Batf und Cl. BeUiard zu tun, die unr noch ketinen lernen werden.
Boessi^res* Anteil ist nach Goujet nicht besser und nicht schlechter als der
der übrigai. In der Vorrede sagt er, Äriost sei ihm im Traum erschienen
und habe ihn aufgefordert, den Orl. für. zu übersetzen. Boessi^res hat
später noch den ganzen OrL für. übersetzt, doch erschienen nur die ersten
zwölf Bücher im Druck.
*) Goujet, Ä fr., Bd. VII, 363: «A Vegard de la miU du poeme
de Bot, traduite encore par le meme, c^est Vouvrage d^un autre Poftt
Italien, J.-B. Pescatore.»
•) Nur 6ci (iuidi, Ann., S. 181.
») Nur &ei Blanc, Bibl. II, 1271.
*) Nach Blanc enthält «Le divin Arioste* auch eine *8uite con-
tinuie iusques ä la mort du Faladin Roland»; nach Guidi findet sich
diese Fortsetzung erst in der Ausgabe von 1644, Goujet (B. f.,
Bd. VII 337) hält die BosseVsche Übers, für eine Fortsetzung einer
andenen, die zum Verf. einen Grafen Scandiano habe. Da Rosset Pro-
venzale war, beherrschte er die franz. Sprache nicht mit der nötigeti Leich-
tigkeit.
— 269 ^
28. Rol. für., trad. p. G. Chappuys (Nachdruck), ßouen
1617. 8^1)
29. Derselbe, Roueo. 1618. 8«.
30. Le Diyin Arioste (Neudruck der Übers, v. Rosset).
P. 1625. 4«.
31. Rol. für., trad., ou imit§ des vers Ital. de rArioste
(erster Gesang). Reuen. 1638. 8^
32. Le DWin Ariost (Neudruck von Rosset). P. 1644. 8 <*.
33. Arioste travesty, en vers burlesques (sans nom de
l'auteur). P. 1650. 4».*)
34. L'Arioste moderne (ohne Namen des Verf.'s), P. 1685,
2 vol., 12 ^ Nach Brunet ist die Übersetzung von einer Dame :
Louise Geneviöve Goraez de Vasconcelle.*)
35. Derselbe — (mit Angabe der Verfasserin). P. 1685.
2 vol., 12».
36. Derselbe — Lyon. 1685. 2 vol., 12 ^*)
37. Derselbe — Lyon. 1686. 2 vol., 12 <>.'^)
38. Derselbe — P. 1720. 2 vol., 12 ^
39. Rol. für., potoe heroique d'aprös la trad. nouv. p. M.
(J. B. de Mirabeau). La Haye, 1741. 4 vol., 12«.«)
») iVMr Ouidi, Ann., S. 181. Ebenso die unter 29, 30 u. 31 ver-
zeichneten Übers.
*) Nach Goujet (ibd. VII, 375) nur ein Gesang; der anonyme
Übersetzer widmet ihn Scarron, dessen Nachahmer er ist.
') Die Übersetzung ist abgekürzt; die anstößigen Stellen sind ent-
fernt. AnUlli zu einer solchen Übertragung gab ihr, wie sie in der Vor-
rede sagt, (iuinault*8 Oper: *Puisque V Opera va faire entrer Arioste
dans le commerce du grand nombre, il ne faut pas qu^il y paroisse en
oieux libertin; il effarouclieroit les Dames plutot que de les divertir»
(». Goujet VII, 368; Barbier, Dict. d. an. 7, 272).
*) Diese u. d. vorausgeh. Übers, erwähnt nur Guidi, ibd. S. 183.
*) Nur bei BUnc, Bibl. II, 1172, ebenso die folgende.
•) Goujet {VII, 369) lobt die Übers, von Mirabeau: «. . . to plus
elegante et la mieux ecrite que Von pouvoit esperer de ce poeme si fa-
meux.9 Ähnlich Moreri {Dict.hist., Bd. I, 314): •La seule traduction
que Von puisse estimer, est ceUe qui a ite faite par Mirabaud.»
Wesentlich anders dagegen tiWci^i Voltaire {Dict.phil, Bd. VII, 516); er
tadelt Mirab., weil er das IroniscJie, das Scherzliafte de» ganzen Gedichtes
17*
— 260 —
40. Derselbe — La Haye. P. 1741. 4 vol., 12 ^
41. Derselbe — Amsterdam. 1756, 4 vol., 12 ^
42. Derselbe — P. 1758, 4 vol., 12«.
43. Rol. für., poeme de M. Loujs Arioste trad. en fran^ois,
Amstd. 1766. 3 vol., 12« (ohne Namen des Verfassers). i)
44. Derselbe (Neudr. der vorigen Übersetzung). P. 1771.
3 vol., 12«.
45. Rol. für., poeme heroique, trad. p. d'üssieux. P. 1775
—1783. 4 vol., 8 0.2)
46. Rol. für. (Neudruck von Mirabeau's Übers.). P. 1775.
4 vol., 8^
47. Derselbe — P. 1776. 4 vol. 4».
48. Rol. für., trad. p. de Cavailhon. P. 1776—1777.
3 vol., 18«.
49. Rol. für. (Neudruck v. Mirabeau's Übers.). La Haye.
1778. 4 vol., 12«.
50. Rol. für., trad. p. E. de la Vergne, comte de Tressan.^)
P. 1780. 5 vol. 12«.
51. Essai de traduction en vers du Rol.-le-Fur. de T Arioste
par Dupont de Nemours. P. 1781. 8«.*)
52. Rol. für. (Neudr. v. Tressan's Übers.). P. 1781 (ohne
Angabe der Zahl der Bände und des Formats).^)
53. Derselbe — P. 1786. 5 vol. 18«.«)
54. Rol. für., avec Titalien k cöte, nouv. trad. p. Pan-
ckoucke') et Framery. P. 1787. 10 vol. 18 ^
nicht nachzuahmen verstehe; dann gibt er selbst eine Übersetzung der ersten
drei Strophen des 35. Ges.
») Nur Guidi, Ann., S. ISA.
•) Brunei [Man. J, 442) bezeichnet sie ah literarisch unbedeutend.
®) Brunet (Man. J, 44): «^La traduction de Tressan a eu jadis
du succesj quoiqü'elle manque tout ä fait de fid^lite.* Ähnlich La gr.
Encycl, Bd. XXXT, 363.
*) Nach Guidi, S. 185, in 4 vol.
^) Barbier, Dict. d^s anon, Nr. 5505.
*) jyiese und die vorhergehenden Übers, eno. nur Guidi, ibd.
') Panckoucke's Übers, tcird von Brunet {Man. 7, 443) ah
ziemlich genau bezeichnet; da' ital. Text ist der Übers, beigefügt. Siehe
auch La grande Encycl, Bd. XXV, 933.
— 261 —
o5. Rol. für., trad. p. Tressan. P. 1787. 4 vol. 12 ^.i)
66. Derselbe — trad. p. Tressan. Par. 1788. 3 vol. 8^
57. Derselbe — trad. p. Tressan. Par. 1792. 8 vol. 16^
68. Derselbe — trad. p. Tressan. Par. 1793. 6 vol. 8®.
69. Derselbe — P. 1797. 6 vol. 8^2)
60. Derselbe — trad. p. Tressan. Par. 1800. 4 vol. 8^.
61. Derselbe — trad. p. Laborde. Perp. 1802. 8^
62. Rol. für. (Neudr. v. Tressan's Übersetzung). P. 1804.
4 vol. 8».
63. Derselbe — tr. en prose. P. 1810. 6 vol. 12^
64. Derselbe — Par. 1810. 6 vol. 16^
66. Essai de trad. en vers ... [p. Dupont de Nemours].
P. 1812. 8^.
66. Derselbe (Neudr. d. Ausg. v. 1812). P. 1813. 8^
67. Rol. für. (Neudr. v. Tressan). P. 1818. 6 vol. 8 ^
68. Rol. für. (Neudr. v. Tressan). P. 1822. 7 vol. 12*'.
69. Rol. für., poeme hSroique (Chants I — XXIII, nach
Blanc, p. XIII), P. 1822. 8« (der Übersetzer ist unbek.).«)
70. Rol. für. (Neudr. v. Tressan). P. 1823. 4 vol. 32 ^
71. Rol. für. (Neudr. v. Tressan), suivi du Rol. amoureux,
de Bojardo. P. 1824. 7 vol. 8^
72. Derselbe — P. 1824. 4 vol. 32 '^.
73. Derselbe — P. 1826. 6 vol. 18«.*)
74. Rol. für., trad. en vers frangais p. Ch. Duvau de
Chavagne.*) Angers 1829, 3 vol., 8^
75. Rol. für., trad. p. le baron de Frenilly. P. 1834.
4 vol. 8 «.
76. Rol. für. (Neudr. v. Tressan), P. 1836. 3 vol. 18 «.
77. Rol. für. (Neudr. v. Chavagne's Übers.; Verbesserte
Auflage). P. 1838. 3 vol. 8^
78. Rol. für., nouvelle traduction en Prose avec la vie de
l'Arioste . . . p. A. Mazuy, P. 1839—1840. 3 vol. 8^«)
1) Xur Guidi, ibd.
') Kur Blanc, l. c: ebenso die folgenden drei.
') Guidi, Ann., S. 1H7.
*) Xur Blanc, Bibl. II, 1272, In dasselbe Jahr fallt auch die
Übersetzung der Satiren des Äriost von Trelis. Lyon. IHJf). f^.
'') S. auch Brunei, Man., Bd. i, 443.
*) In diesem Jahre tcerden auch die Satiren vowDelecluze übers.
— 262 —
79. Rol. für. (Neudr. v. Panckoucke). P. 1842. 2 yoL 18 ^.
80. Rol. für. Paris. 1842. 2 vol. 12 o.
81. Rol. für., P. 1844. S^ (ohne Angabe des Über-
setzers; die Ausg. ist mit 350 Vignetten versehen).^)
82. Rol. fiir. (Neudr. v. Tressan). P. 1846. 4 toI. 16 \
83. Rol. für. (Neudr. der Übers, von 1844. P. 1863.
4 Yol. 8».
84. Rol. für. (20 chants) trad. en yers p. F. Detserteaux.
P. 1864. 12^
85. Rol. für., imitfi en vers p. P. Ragon. P. 1869.
2 vol. 12 ö.
86. Rol. für., trad. pour la Bibliothdque Nationale. P. 1876.
6 vol., 12 ^
87. Rol. für., trad. p. Hippeau. P. 1876. 2 vol. 12 ^
88. Le Rol. de TAr. racontfe . . . p. Marc-Monnier. P.
1878. 12 ^«)
89. Rol. für., trad. p. Du Pays, P. 1878. in-fol. .
90. Rol. für., trad. litt. p. Bonneau. P. 1879—1883.
3 vol., 18 « (Canü I— XV).
91. Rol. für., trad. p.Reynard. P. 1880—1883. 4 vol. 18<>.
92. Rol. für., trad. p. Ch. Simond. P. 1890. 8«.
Übersetzungen ohne Angabe des Datums der
Veröffentlichung.*)
93. Rol. für., trad. en fr., P., 4 vol., 8 ^. Die Übersetzung
wird angeführt im 2. Bande der Bibliotheque des RomanSj und
u. mit Kommentar versehen [Satires, tr. p. D. F. 1839 ^ 8^). — Mazuy^f
Übers, ist mit zahlreichen Anfnerkungen vers., die meistens der engl,
Ausg. d. Orl. für. von Fanizzi entlehnt sind,
^) Nach Blanc {Bihl. IL 1274) ist Victor Fhilipon de la Madelaine
der Übersetzer {ebenso Brunet, ifan., Bd. /, 443),
«) Ang. Degubernatis {Nuov. Ant. 1878, 2<^ Serie, S. 380) sagt
von Marc-Monnier, er übersetze zwar nicht mit gewissenhafter Treue^
aber seine Übersetzung entspreche franz. Geschmacke. M.'M. läßt alle
Episoden beiseitCj wekJie sich nicht direkt auf den Gang der Handlung
im Orl. für. beziehen.
^) Die nun folgenden Übersetzimgen sind bei Blanc, II, 1273 er-
wähnt.
— 263 —
68 wird dort zugleich bemerkt, daß es sich um eine abge-
kürzte Übersetzung handle.
94. Rol. für,, poöme heroique, P., 4 vol., 4^.
95. Rol, für., trad. en Fr. p. J. Mart. P., S^.
96. Rol. für., trad. p. Panckoucke et Tramery arec une
notice sur TArioste par A. Latour, P., 2 vol., 12 ^
97. Rol. für., trad. p. Maruy, P., 1 vol. 4^ (Illustrierte
Ausgabe).
Lippert & Co. (O. Pätz'sche Bucbdr.), Naumbarg a. S.
MÜNCHENER BEITRÄGE
zus
eOMiNISClNDiiGLISCmLOLOeiE.
HERAUSGEGEBEN
VON
E BßEYMANN und J. SCHICK.
XXXV.
DIE FIGUR DES GEISTES IM DRAMA DER ENGLISCHEN
RENAISSANCE.
—^
LEIPZIG.
A. DEICHERT'SCHE VERLAGSBÜCHHANDLUNG NACHF.
(GEORG BÖHME).
1906.
DIE
FIGUR DES GEISTES IM DRAMA
DER
ENGLISCHEN RENAISSANCE.
VON
Dr. HANS ANKENBRAND,
-C^_
LEIPZIG.
A. DEICH ERT'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG NACHT.
(GEORG BÖHME).
1906.
Alle Rechte yorbehalten.
Meinem lieben Onkel
Herrn Pfarrer Ankenbrand in Geldersheim
ans Dankbarkeit
gewidmet.
Benutzte Literatur.
Alexander, William, Earl of Stirling: Poetical Works,
Glasgow. 1872. 3 vols.
Anonymus, Shakespeare^ s Ghosts, Fairies and Witehes. Quarterly
Review, vol. 171. 1890.
Beaumont, Francis, and Fletcher, John: Works.
Ed. Darley. London and New York. 1872. 2 vols.
Brand, John: Observations on Populär Antiquities. London.
1813. 2 vols.
Brandl, Alois: Mittelenglische Literatur (in PauFs Grundriß
der germanischen Philologie 11, 1).
Brooke, Pulke Greville, Lord: Works. Ed. Grosart. Black-
burn. 1870. 4 vols.
Chapman, George: Coinedies and Tragedies, London (John
Pearson). 1873. 3 vols.
Churchill, George B. : Richard the Thirdup to Shakespeare,
Palaestra X. Berlin. 1900.
Churchill, George B., und Keller, Wolfgang: Die
lateinischen Universitätsdramen in der Zeit der Königin Elisa-
beth, Shakespeare-Jahrbuch Bd. 34. Weimar. 1898.
Collier, J. P. : Histanj of English Dranmiic Poetry, London.
1879. 3 vols.
Courthope, W. J. : History of English Poetry. London. 1897.
Cunliffe, J. W. : The Influence of Seneca on Elizabethan
Tragedy. London. 1893.
Dyer, T. F. Thiselton: Folk Lore of SJiakspere. London. 1883.
Fischer, Rudolf: Zur Kunstentwicklung der englischen Tra-
gödie. Straß bürg. 1893.
— vm —
Ford, John: Dramaiic Works. Ed. Weber. Edinburgh and
London. 1811. 2 yols.
Freytagy Gustav: Die Technik des Dramas. Leipzig. 1863.
Glapthorne, Henry: Plays and Poems, London (John
Pearson). 1874. 2 vols.
Hazlitt, W. Carew: Ä Select Coüeetion of Old EngUsk Plays.
Originaüy published by Robert Dodsley 1744. London.
1874—76. 15 vols.
: Shakespeare^ s Library. A Collection of the Plays,
Bomances, Novels, Poems and Histories employed by
Shakespeare in the composition of bis works. London.
1875. 6 vols.
Heywood, Thomas: Dramaiie Works. London (John
Pearson). 1874. 6 vols.
Hughes, Thomas: The Misfortunes of Arthur. Ed. Gnim-
bine. L. F. XIV. Berlin. 1900.
Jonson,Ben: Works. Ed. Gifford and Cunningham. London.
1875. 9 vols.
Klein, Julius Leopold: Geschichte des Dramas. Leipzig.
1865—86. 13 Bde.
Kyd, Thomas: Works. Ed. Boas. Oxford. 1901.
: The Spanish Tragedy. Ed. Schick. L. F. XIX.
Berlin. 1901.
Laehr, Hans: Die Darstellung kraiikhafter Oeistesxtistände in
Shakspere^s Dramen, Stuttgart. 1898.
M ars ton, John: TforA:«. Ed. Bullen. London. 1887. 3 vols.
Massinger, Philip: Plays. Ed. Cunningham. London. 1872.
Middleton, Thomas: Works. Ed. Bullen. London. 1885/86.
8 vols.
Parfaict, Frangois, etParfaict, Claude: Eistoire du
theätre fran^ais. Paris. 1735 — 49. 15 vols.
Peele, George: Works. Ed. Bullen. London. 1888, 2 vols.
Prölss, Karl Robert: Geschichte des neuereti Dramas.
Leipzig. 1881—83. 3 Bde.
Richard II. Erster Teil. Ein Drama aus Shakespeare's Zeit.
Ed. Keller. Shakespeare-Jahrbuch 35. Berlin. 1899.
Schaeffer, Adolf: Geschichte des spanischen Nationaldramas.
Leipzig. 1890. 2 Bde.
- IX -
Schelling, Felix E.: The English Clironick Play. New
York. 1902.
Scot, Keginald: Discovet-y of Witcheraft. London. 1651
(written and published in 1584).
Seneca, L. A. : Tragoediae, Ed. Peiper et Richter. Leip-
zig. 1902.
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1869.
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Simrock, Karl: Der gute Gerhard und die dankbaren Toten.
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Symonds, John Addington: Shakspere^s Predecessors in the
English Dravia. London. 1884.
Tourneur, Cyril: Plays and Poems. Ed. Collins. London.
1878. 2 vols.
Ward, Adolphus William: A History of English Dramatie
Liierature. London 1899. 3 vols.
Webster, John: Dramatie Works. Ed. Hazlitt. London.
1857. 4 vols.
Wurth, DramaiurgiscJie BenierJcungen xu den Geistersxenen in
Shakspere*s Tragödien, in: Festschrift für Schipper. Wien
und Leipzig. 1902.
Würz b ach, Wolfang von: John Marston. Shakeapeare-
Jahrbuch. Bd. 33. Weimar. 1897.
Inhalt.
Seite
Benützte Literatur VII
Allgemeines 1
Der Geisterglaube in England .* • • ^
Das Wunderbare im Drama 3
Die verschiedenen Gattungen von Geistern 4
Welche Rolle spielt der Geist im Drama 4
Seneca, Vorbild der Engländer 6
Der Geist im französischen, italienischen und spanischen Drama . 7
I. Der Geist in den lateinischen Universitätsdramen 9
1. Goldingham, Herodes 9
2. Solymannidae 10
3. Alabaster, Boxana 10
4. Gwinne, Nero 10
5. Antoninu8 Bassianus Caracalla 11
6. Fatum Vortigemi 12
7. Perfidus Hetruscus - 13
8. Gager, Meleager 14
9. „ Dido 14
II. Der Geist in den englischen Dramen 14
1. Hughes, Misfortunes of Arthur 15
2. Kyd, Spanish Tragedy 17
3. True Tragedy of Richard III 21
4. Lord Brooke, Alaham 22
ö. Sir W. Alexander, Alexandrcean Tragedy 24
6. Ben Jonson, Catiline 26
7. Dr. J. Fisher, Fuimus Troes 28
8. Grim the Collier of Croydon 90
9. Shakspere, Hamlet 31
10. Ghapman, Revenge of Bussy d^Amhoia 46
11. Shakspere, Macbeth 49
12. Second MaideWs Tragedy 52
- XI —
Seite
13. MarstoDy Antonio and Mellida , . 53
14. Webster, The White Devü 58
15. Locrine 62
16. Richard IJ. 1. Teil 66
17. Shakspere, Richard III 67
18. Th. Heywood, Second Part of King Edtoard JF .... 69
19. Shakspere, Jtdius Caesar 71
20. MarstoD, Sophonisba 72
21. Tourneur, The Atheisfs Tragedy 74
22. Massinger, ünnatural Combat 78
23. MiddletoD, The Changeling 80
24. Glapthorne, Tragedy of Albertus Wallenstein 81
25. Ford, Witch of Edmonton 82
26. Peele, The Old Wives' Tale 83
27. Th. Heywood, Second Part of the Iron Age 84
2S. Lady Alimony 85
Kurze Übersicht über die Aufgaben, die der Geist zu erfüllen hat 85
Einige Charakteristika der Geister 86
Chronologisches Verzeichnis der behandelten Dramen 87
Übersicht über die einzelnen Dichter 88
Einleitung.
Allgemeines. Der Geisterglaube in England. Das Wunderbare im Drama.
Die verschiedenen Gattungen von Geistern. Welche Rolle spielt der
Geist im Drama? Seneca, Vorbild der Engländer. Der Geist im
französischen, italienischen, spanischen Drama.
Zu allen Zeiten spielte in ctor Poesie das Wunderbare,
das Geheimnisvolle, mit einem Wort, das Übernatürliche eine
bedeutsame Bolle, gleichviel ob wir es mit Heroenliedem,
Götterepen oder dramatischen Darstellungen zu tun haben.
Natürlich fällt in dieses Gebiet auch die poetische Behandlung
von Geistererscheinungen.
Es ist das durchaus nichts Auffallendes, sondern voll-
kommen in der menschlichen Natur begründet. Wie der
physische Organismus sich eine Beihe der verschiedenartigsten
Beize zuzuführen sucht, die mit der Steigerung der Zivilisation
sich verfeinern und erhöhen, so strebt auch die psychische
Veranlagung des Menschen nach Sensationen, welche je nach
ihrer Intensität einen mehr oder weniger hohen Grad von
Befriedigung zu gewähren versprechen.
Geistererscheinungen, seien es nun tatsächliche oder bloß
auf Einbildung oder Naivität beruhende (über ihre reale
Eidstenz wollen wir uns hier in keinen Streit :einlassen), ver-
mögen infolge ihrer Unerklärlichkeit und des sie begleitenden
Grauens psychische Erschütterungen hervorzurufen, die zu-
weilen die schlimmsten Folgen nach sich ziehen können. In
der poetischen Vorführung derartiger Dinge aber, wo die
leibliche Sicherheit des Hörers nicht im mindesten gefährdet
Münohener Beiträge z. romanischen n. engl. Philologie XXXV. 1
— 2 —
wird, bleibt das Grauen in bedeutend abgeschwächter Weise
wirksam und übt seinen Reiz aus, indem es bei dem Hörer
bzw. Zuschauer ein angenehm-schauriges Gefühl zurückläßt.
In dramatischen Vorführungen mußte daher das Auf-
treten von Geistern zu gewissen Zeiten eine ganz besondere
Anziehungskraft ausüben, und selbst heute noch, trotz der
sogenannten Aufgeklärtheit unserer Tage, hat dieser Umstand
noch nicht völlig seine Berechtigung verloren.
Die Einführung des Geistes in die Tragödie bildet ferner
für den Dichter einen Kunstgrifif, den sich die Dramatiker der
elisabethanischen Zeit um so weniger entgehen ließen, als sie
die große Empfänglichkeit ihrer Zeitgenossen hierfür kannten.
Wenn wir bedenken, daß der Glaube an das Umgehen
von Geistern heute noch in England verbreitet ist, können
wir einen Rückschluß auf das 16. und 17. Jahrhundert ziehen,
eine Zeit, in der die kulturellen Verhältnisse Englands diesen
Glauben noch begreiflicher erscheinen lassen. Wenige von
der großen Masse des englischen Volkes waren imstande zu
lesen, noch weniger konnten schreiben. Es ist eben eine alte
Erfahrungstatsache, daß der menschliche Geist, wird er nicht
durch Bildung und Unterricht veredelt, für alle Schrecken
des Aberglaubens empfanglich ist.^)
Man würde jedoch irre gehen, anzunehmen, daß der
Glaube an das Umgehen von Geistern nur in den unteren
Volksschichten verbreitet gewesen wäre; auch die Gebildeten
hatten sich noch nicht ganz von der volkstümlichen Tradition
emanzipiert.
Wenn die Familie abends am Herdfeuer versammelt saß,
dann lieferten Geistergeschichten sehr häufig den Gesprächs-
stoff. Ja, die Phantasie des Volkes bildete sich bezüglich
der Geister geradezu ein „mythologisches System", welches
uns Reginald Scot und John Brand in ihren Werken ver-
anschaulichen:
Da hatte man sich ein vollständiges Verzeichnis der
Namen der Geister, bzw. Teufel gebildet'), welche sich in
^) Brand, Observations on Pojndar Antiquititi II, S. 419.
") Scot, Discovery of Witchcraft, S. 266 ff.
— 3 —
einer Art militärischer RaDgordDUDg voueiDander unter-
schieden ; man wußte, in welcher Gestalt die Teufel erschienen,
wenn sie beschworen wurden ; man wußte, welche Macht ihnen
innewohnte ; man kannte die Zahl der Legionen, über welche
die einzelnen Führer verfugten. £s gab gewisse Stunden, in
welchen man einen Teufel beschwören konnte, ohne daß dieser
imstcmde war, einem etwas zuleide zu tun. Es war genau
vorgeschrieben, wie man einen Teufel, wie man den Geist
eines Verstorbenen zu beschwören hatte. Man wußte, wie
man einen Geist zwingen konnte, in einem Krystall einge-
schlossen zu erscheinen etc. etc.
Allgemein bekannt war die Stunde, um welche die Geister
der Verstorbenen zu erscheinen pflegten ^), ebenso die Um-
stände, welche das Nahen eines Geistes verkündeten; es war
genau vorgeschrieben, wie man sich während einer Geister-
erscheinung zu verhalten hatte, was man tun mußte, um einen
Geist zum Sprechen zu bringen, wie man einen Geist an-
reden mußte; es war strenge verboten, den Geist während
des Sprechens durch Fragen irgendwelcher Art zu unter-
brechen etc. etc.
So oft die Dichter aus diesem reichen Schatz der Volks-
sage geschöpft haben, werde ich die Gelegenheit ergreifen,
darauf noch besonders hinzuweisen.
Im Gegensatz zu ihren Schwestern, Lyrik und Epos, ist
die dramatische Poesie einer gewissen Beschränkung unter«
worfen: sie kann nur Menschen darstellen. Es entsteht des-
halb die Frage, ob der Dramatiker überhaupt berechtigt ist,
das Wunderbare im Drama zu verwerten. Nach Gustav
Frey tag vermag die dramatische Poesie nur insofern das
Überirdische zu verkörpern, als ^^dasselbe bereits durch die
Pliantasie des Volkes poetisch zugerichtet^ mit einer dem Menschen
entsprechenden Persönlichkeit verseilen^ durch cliar akter istische Züge
bis ins Detail hinein verbildlicht ist^.^) Wenn je, so ist diese
Forderung Freytag's hier erfüllt.
Was nun die Geister im allgemeinen betriflFt, so gibt es
>) Brand, Observations II, S. 422 ff.
») Freytag, Technik des Dramas, S. 49.
— 4 —
verschiedene Gattungen, wie die Geister von Verstorbenen,
Dämonen, Teufel etc. Doch wir wollen uns hier auf die Er-
scheinungen der Geister von Verstorbenen beschränken.
Es handelt sich nun darum, sich klar zu werden, welche
Zwecke die Dichter verfolgten, indem sie dem Geist eine Rolle
im Drama zuwiesen, und welcher Gestalt diese Rollen sind.
Eine Hauptrolle sehen wir nirgends den Geist vertreten, und
das mit gutem Grund. Denn die dramatische Poesie hat sich,
wie schon erwähnt, nur mit Menschen zu befassen, sie soll
nach Gustav Frey tag „die inneren Prozesse darsteBen, welche
der Mensch vom Außeuchten einer Empfindung bis %u IddenschafU
lichem Begehren und Handeln dm-chmacht, sowie die Einunrhingen^
welche eigenes und fremdes Handeln in der Seele hervorbringt^,^)
Nun aber sind Geister keiner inneren Kämpfe fähig, sie haben
nicht y^die Freiheit, zu prüfen und zu wählen j s^ie stehen außer^
halb Sitte j Gesetz, Becht^.^) Also können sie auch nicht als
Hauptcharaktere in einem Drama auftreten. Wohl aber mag
sie der Dichter, wie Frey tag an einer anderen Stelle sagt,
zu gelegentlicher Verstärkung seiner Wirkungen benutzen.
Für wichtige Nebenrollen konnte also der Geist sehr gut
Verwendung finden. So ist der Geist entweder sogenannte
„Stimmungsfigur". Wie der Komponist die eigentüm-
liche Stimmung einer Oper dem Zuhörer in kurzer Ouvertüre
andeutet, so pflegt auch der Dichter eines Schauspiels in der
Einleitung seines Dramas dem Leser, bzw. Zuhörer ein Vor-
gefühl der Ereignisse zu geben, die er im Verlauf des Dramas
darstellen will. Diesen Stimmungsakkord zu veranschaulichen,
ist der Geist sehr oft ausersehen. In dieser Eigenschaft als
Stimmungsfigur spricht er gewöhnlich den Prolog des Stückes,
worin er uns zugleich die Exposition der Handlung mitteilt.
Oder der Geist repräsentiert das „erregendeMoment"
der Handlung, d. h. durch die Enthüllung eines Geheimnisses
oder durch eine Bitte oder Aufforderung ruft der Geist in
dem Helden einen Entschluß hervor, von dem die ganze
Handlung abhängt.
^) Frcytanr, 1. c, S. 16.
2j Freytag:. 1. c., S. 50.
— h — .
Oder die Geisteserscheinung dient dazu, den Höhe-
punkt des Dramas, d. h. die Stelle des Stückes, an der „das
Hßsidtat des aufsteigenden Kampfes stark und entschieden heraiiS"
trüt'^ ^), besonders hervorzuheben.
Oder der Geist veranlaßt den Beginn der fallenden
Handlung.
Endlich bereitet uns der Geist in einer Anzahl von
Stücken auf die Katastrophe vor. Die Katastrophe, das
Endresultat in der Entwicklung der dramatischen Handlung,
darf nicht unerwartet eintreten, „Je mächtiger der HöJiepunkt
herausgekobeHy je Iieftiger der Ahsturx, des Helden war^ desto lei>-
kafter mvß das E^ide vorausempfunden werden,'* ^ Uns auf
dieses Endresultat vorzubereiten, verwendet der Dichter, wie
gesagt, nicht selten den Geist.
Aber der Geist dient nicht nur zur Her?orbringung
dramatischer Effekte, auch in psychologischer
Hinsicht ist sein Erscheinen oft von größter Bedeutung, in-
dem er die Gewissensqualen des schuldbewußten Mörders
symbolisiert. Ich sage symbolisieren vom Standpunkt des
modernen Menschen. Denn wir denken uns die Gewissens-
kämpfe eines Menschen als einen rein seelischen Vorgang.
Die damaligen Engländer aber betrachteten den Geist nicht
als bloßes Symbol der inneren Kämpfe eines mit schwerer
Schuld belasteten Menschen; der Geist veranschaulicht uns,
wie man 9ich damals einen derartigen psychologischen Vor*
gang überhaupt dachte. Die Phantasie stellte sich nämlich
das qualvolle Bingen der schuldbeladenen Seele als äußeres
Bild vor: der Mörder sieht sich überall vom Geist des Er-
schlagenen verfolgt, er sieht den Dolch, womit er ihn durch-'
bohrt, er hört die gellenden Hilferufe seines Opfers. Den
damaligen Engländern war also der Geist in dieser Gestalt, wie
Frey tag treffend sagt, „nicht eine kluge Erfindung des Dichter»,
der mit dem gespenstigen Trödel seine Wirkungen unterstützte,
sondern noch die notwendige landesübliche Weise, in welclier sie
selbst und ihre Vorfahren die Geuissenskämpfe durchkämpften^.^)
>) Freytag, ). c, S. 111.
•) Freytag, 1. c, S. 116.
») Freytag, 1. c, S. 52ff.
— 6 —
Es gilt nun, noch eine Frage zu «riedigen, bevor wir an
die englischen Dramen selbst herantreten. Es ist diese:
Haben die Engländer Vorbilder für ihre Geisterdramen ge-
habt, und welches war deren Einfluß auf dieselben?
Die überaus eifrige Beschäftigung der elisabethanischen
Dichter und Gelehrten, die beides so häufig in einer Person
waren, mit den klassischen Dichtungen mochte dazu bei-
getragen haben, den antiken Dramen die Erscheinungen von
Geistern zu entlehnen. Es hat ja bereits Aeschylus sich
dieses Hilfsmittels bedient, indem er in den „Persae^ den
Geist des Darius als Propheten und Ratgeber auftreten läßt.
Ebenso bringt Euripidesdie Erscheinung eines Verstorbenen
zur Darstellung und zwar in seiner Tragödie „Hecuba'% die
durch den Geist des Polydorus eröiFnet wird. Trotzdem haben
wir nicht den geringsten Anhaltspunkt, zu glauben, daß die
englischen Dichter die Griechen in dieser Hinsicht zum Vor-
bild gehabt hätten. Wohl aber haben wir den klarsten Beweis
dafür, daß Seneca der Lehrmeister der Engländer gewesen
ist, und es ist von größter Wichtigkeit, darauf hinzuweisen,
daß die englischen Dichter nicht nur dieses technische Mittel
von Seneca entlehnt haben: der römische Tragödiendichter
hat auch sonst auf die Entwicklung des englischen Dramas
einen nicht zu unterschätzenden Einfluß ausgeübt. Leitet ja
von ihm das klassizistische Drama seinen Ursprung ab, eine
Richtung, die eine Zeitlang unabhängig neben dem nationalen
Drama einherging, bis die beiden Richtungen, nachdem sie
in einer Übergangsperiode vermischt aufgetreten sind, wie
z. B. in der ^^Spanish Tragedy^ und in „lAxrim^, in voll*
kommener Verschmelzung beiMarlowe, in hervorragendem
Maße aber bei Shakspere vereinigt erscheinen.
Seneca genoß zur Zeit der Renaissance nicht nur in
England, sondern in allen Ländern des Kontinents die größte
Achtung. Es möge gestattet sein, die Urteile zweier be-
rühmter Humanisten anzuführen, welche Cunliffe in seinem
Werk " The luflurnce of Seneca on Elixabethan Tragedtf^ ^), zitiert.
Muretus sagt von Seneca: „Est piofecto poeta ille praeclanor
>) Cunliffe, 1. c, S. 7.
— 7 —
et vetuati sermonis diligentior quam quidxim inepie fastidiosi sti-
spicaniur.^ Und Scaliger: ^Senecam nuUo Graecorum maü"
State inferiorem existimOj cultu vero ae nitore, etiam Euripide
mniorem.^ Und um wieder auf England zurückzukommen, so
zählt Skelton in der ^Qarlande of LaureV^ (1523) Seneca
unter die berühmtesten klassischen Schriftsteller. Seneca
war ein beliebter Autor auf den englischen Lateinschulen.
So z. B. erzählt uns Cunliffe: ""The aftemoon kssons of
the hoys at Eotherham School in, SJiakspere^s time were two daya
m Horace, and two days in Seneca's Tragedies; hoth which
they iranslated into English,^) Aber nicht nur dies: Fünf eng-
lische Dichter übersetzten zwischen 1559 und 1666 seine
Tragödien ins Englische. Und im Jahre 1581 veröflfentlichte
Thomas N ewton die bis dahin übersetzten Stücke in einem
Gesamtwerke, das er selbst durch die Übersetzung der ^Thebais*^
vervollständigte.
Daß die Dramatiker diese Übersetzang eingehend studier-
ten, beweisen am besten ihre Werke selbst, worauf ich bei
Besprechung der Dramen zurückkommen werde.
Seneca verwendet den Geist in den meisten seiner
Dramen: ^Thyestes^^ wird eröflfnet durch den Geist des Tan-
talus in Begleitung der Raohegöttin ; ^ Agamemivon^^ durch den
Geist des Thjestes; in ^Octavia^^ erscheint der Geist Agrip-
pinas; die Geister von Achilles und Hektor erscheinen in
^Troas'^; der Geist des Laius erscheint in ^Thebais^^ und
^ Oedipus'\
Bei den innigen literarischen Beziehungen, welche damals
zwischen England einerseits und Frankreich, Italien
und Spanien andererseits herrschten, dürfte es von In-
teresse sein, hier darauf hinzuweisen, daß auch die französi-
schen, italienischen und spanischen Dichter den Geist in ihren
Dramen verwertet haben.
Der Geist im französischen Drama:
Jodelle's ^Cleopdtre capiive^^ (1552), das erste nationale
Drama der Franzosen, wird eröffnet durch den Geist des An-
*) Cunliffe, 1. c, S. 12.
— 8 —
t(miii9; Garnier' 8 ^Hippoljfte" (1673) durch den 6e»t des
Aegeug; ^Didanf' (1576) von Guillaume deLaGrange wird
eröffnet dnrch den Geist des Sichaeus; ^Isabeüe^' (1594) von
Nicolas de Montrenz dnrch den Geist des Zerbin; ^La
Fran&iade^^ (1594) von Jean Godard durch den Geist de»
Ganlas; *^Les Lacenes ou Uz Constanee" (1599) von Antoine de
Monchritien eröffnet der Geist von Th6ricion; ^La Mort
d'Achtü^' (1607) von Alexandre Hardy eröffnet der Geist
des PatroUtts ; ^^Rhodes subfugiUe'^ (1626) von Bor ee eröffnet
der Geist von Gerard; in ^^PryanC' (1600) von Fran^ois
Bertrand erscheint der Geist des Hektor; in "Les Amours
de DalcnUon et de Fhre^^ (1600) von i^tienne Bei Ion e erscheint
der Geist des Vaters von Atamente und der Geist der Ge-
mahlin des Atamente; in ^^Len dhastes ei loyales amours de
Thiagene et CharieUe (1601) von Alexandre Hardy erscheint
der Geist von Calasire.
Der Geist im italienischen Drama:
Cintio's ^^Orbeeehe^* (1541) wird eröffnet dnrch den
Geist der Seiina; Groto's '<La jDa/M^a'' (Entstehnogszeit fallt
zwischen 1550 und 1655) durch den Geist des Moleonte, der
in Begleitung von Morte erscheint; Manfredi's ^^Semiramide^
(1593 im Druck erschienen) wird eröffnet durch die Geister
des Nino titid Mennone; in Martelli's **Ttdlia" erscheint
der Geist des Servio; in Rucellai's '^Bosmonda^^ erscheint
Bosmonda im Traum der Geist ihres Vaters; in Dolce's
^^Marianna^^ erscheint Marianna im Traum der Geist ihres
Bruders Aristobulus ; in der *^Didone^^ des gleichen Verfassers
erscheint der Geist des Sicfaeo.
Der Geist im spanischen Drama:
In'^DonJuan de Castro'' von Lope de Vega (1662— 1635)
erscheint der Geist des Tibaldo; in ^^Dineros son Calidad^ des
gleichen Verfassers steigt ein steinerner König von Neapel
von seinem Sockel herab; in ^^El Marquis de las Navas^ er-
scheint der Geist des Leonardo ; in "Ixr Porßa Hasta el Ternor"
erscheint dem Infanten Don Fernando der Geist eines von
ihm ermordeten Caballeros; in *^El Duque de Viseo*^ erscheint
— 9 —
dem Herzog ?oii Viseo der Greist des Herzogs yon Guimaräes ;
in "^ Burlador dt SevüW'^ von Tirso de Molina (Pseudonym
für Gabriel Tellez 1570—1648) tritt die BUdsäule des
Comthurs auf; in Calderon's "^i principe eonstaiUe^^ er-
scheint der Geist Don Femando's.
Gehen wir jetzt zu den englischen Dramen selbst über,
um im Rahmen der oben gegebenen Disposition die Bedeutung
der betreffenden Geistervorführungen für den Gang der Hand-
lung festzustellen.
I. Die lateinischen Uniyersitfttsdramen.
Unter den Dramen der englischen Renaissance nimmt
eine Gruppe eine besondere Stellung ein, das sind die lateini-
schen Universitätsdramen. Diese sollen zuerst behandelt
werden. Denn „m dieser Periode der Hochrenaissance hot^\ wie
B ran dl sagt, „rfo.? gelehrte Drama dem volkstümlichen die
wesentUclie Änregtmg und Hebung, Waren doch die Dramenschreiber
und die adligen Oönner der VolkstJieater meistens akademisch ge-
bildete Männer, deren Bühneninteresse während ihrer Studentenzeit
in Oxford oder Cambridge durch die festlichen Aufführungen solcher
Laieinstücke, wie sie regelmäßig stattfanden, geweckt und gelenkt
worden war,^^^)
Die uns aus Seneca's ^^Thgestes*^ und ^' Agamemnon^* be-
kannte Stimmungsfigur begegnet uns in den Dramen ^^Herodes*^,
*^ Solgniannidae^* , ^^Roxafia"^ **Kero^\
1. ^'Herodes'* ^) von William G oldingh am wird eröffnet
durch den rachefordemden Geist der Mariemma. Der Geist
verflucht Herodes : diesem soll das Leben zur Qual werden,
aber trotzdem soll er den ersehnten Tod nicht finden können.
^) Shakespeare-Jahrbuch 34, S. 221.
•) Ibd., S. 241.
— 10 —
2. ^^ Sohpnannidae^^ ^) wird eröffnet durch den Geist des
Selymus (I., des Vaters Solymans 11.). Derselbe prophezeit
den Untergaog seines Hauses durch das Verbrechen der
Königin gegen ihre Stiefkinder.
3. "i?oxana" 2) von William Alabaster. Moleontis urabra
spricht den Prolog. Darauf tritt der Geist mit Mors auf,
der er seine Geschichte erzählt. Der Geist fordert Rache
an seinem Neffen Gromasdes, der ihn des Landes und Lebens
beraubt, er fordert Rache an seiner Tochter Roxana, weil sie
sich seinem Mörder ergeben habe. Mors verspricht dem Geist
ihre Hilfe. In einer weiteren Szene fordert der Geist auch
Suspicio auf, ihm beizustehen.
Dieses Stück ist eine getreue Nachahmung der oben er-
wähnten "Dnlida^^ von Luigi Groto. Um seine sklavische Ab-
hängigkeit vom Original zu verbergen, hat Alabaster zum
Teil die Namen geändert, wie Wolfgang Keller durch Gegen-
überstellung des Personenverzeichnisses beweist. Daß aber
in letzter Linie Seneca das Vorbild gewesen ist, darauf
weist nichts eindringlicher hin als die Wahl eines an Greuel-
szenen und unnatürlichen Verbrechen so reichen Stoffes : Oro-
masdes setzt seiner Gattin den Kopf des Bessus vor, während
diese ihm Roxana und deren Kinder als Speise anbietet. —
Wenn der Geist in Begleitung allegorischer Figuren, Mors
und Suspicio, auftritt, ist hierin wieder Seneca 's Einfluß
zu erkennen. Denn '^Tkyestes*^ wird eröffnet durch den Geist
des Tantalus in Begleitung der Rachegöttin.
Bemerkt sei noch, daß der Geist dem Vollzug der Rache
beiwohnt, ein Verhalten, das wir bei sogenannten Rachegeistem
noch öfter beobachten werden.
4. "AVo''^) von Dr. Math. Gwinne. Dieses Stück
beginnt mit einem stummen Vorspiel: Nemesis und die drei
Furien führen mit den Geistern der Messalina und des Silius
einen nächtlichen Reigen auf. Claudius und seine Freige-
') Shakespeare-Jahrbuch 34, S. 245.
«) Ibd., S. 252 ff.
») Ibd., S. 267 ff.
— 11 —
lassenen sehen schaudernd zu. Dann spricht Nemesis einen
Prolog.
^^Nero^^ nimmt unter den Geisterdramen eine eigenartige
Stellung ein. Es wird nämlich jeder Akt von einem Geist
eröffnet, und zwar erscheint jedesmal der Geist desjenigen,
der während des vorhergehenden Aktes ermordet worden ist.
Der Zuschauer wird so gleichsam immer wieder Ton neuem
in Stimmung versetzt.
I, 1. Dmbra Messalinae et Silii. Messalina verspricht
ihrem Buhlen Rache.
n, 1. ümbra Claudii warnt die Könige, denen auch ihrer
Diener Frevel angerechnet werden, und fordert Britanniens
auf, zu fliehen.
III, 1. Kurzer Dialog zwischen umbra Britannici und
Charon.
IV, 1. Umbra Agrippinae prophezeit dem Muttermörder,
er werde, von allen gehaßt, zugrunde gehen. Nero kann nun
keine Buhe mehr finden. Der Geist der Agrippina verfolgt
ihn wie eine Furie und treibt ihn schließlich zum Selbstmord.
Nero nimmt das Gift, das ihm der Schatten reicht. Da
der Geist der Agrippina die Vollziehung der Rache be-
schleunigen will, bedeutet sein wiederholtes Auftreten für den
Gang der Handlung ein accelerierendes Moment.
V, 1. ümbra Octaviae beklagt ihre schändliche Er-
mordung.
5. Den Beginn der fallenden Handlung bezeichnet
der Geist in ^^ Antonmus Ik^sianus Caracalla' ^)
Der Kaiser Antoninus, Mitschuldiger an dem Tode seines
Vaters, ermordet seinen Bruder und Mitkaiser Geta, um
Alleinherrscher zu sein. Seine Verbrechen krönt er durch
die Heirat mit seiner Mutter. In der ersten Nacht seiner Ehe
erscheint ihm der Geist Geta's : dieses letzte Verbrechen werde
ihm nie verziehen. Ein Platz im Orcus erwarte ihn.
Die Geistererscheinung bezeichnet unzweifelhaft einen
Wendepunkt im Gang der Handlung, nämlich den Beginn der
>) Shakespeare-Jahrbuch 34, S. 264 flf.
— 12 —
fallenden Handlung. Denn Antoninus' selbstbewußtes und
skrupelloses Auftreten ist jetzt einer sklavischen Furcht wegen
seines künftigen Schicksals gewichen. Von jetzt an lebt er
der festen Überzeugung, daß sein Leben in beständiger Gefiihr
schwebe, und er ist ängstlich bemüht, d^ herauszufinden, der
ihm nach dem Leben trachte. Rufus beschwört die Geister
des Commodus und Severus. Diese warnen yor dem nahen
Tod, nennen aber den Mörder nicht. Antoninus läßt durch
Matemianus das Ammonsorakel befragen. Die Briefe des
Materuianus kommen an, aber der Kaiser befindet sich in
einer so zerrütteten GemütsTerfassung, daß er unfähig ist,
die Briefe selbst zu lesen. Als Macrinus, der den wahren
Inhalt der Briefe verheimlicht, dem Kaiser verkündet, Amnun
habe sich gegen menschliche Gebete taub gezeigt, ist Antoninus
der Verzweiflung nahe. Antoninus wird schließlich auf Ver-
anlassung von Macrinus durch Martialis erdolcht.
6, In ^Fainm Vorügemi^^) bereitet der Geist auf dxQ
Katastrophe vor.
Dem Vortigernus erscheinen kurz vor seinem Tod, von
Mors begleitet, die Geister derjenigen, die er ermordet hat.
V, 18. Jeder Geist hält ihm vor, daß er durch ihn^
Vortigernus, ums Leben gekommen sei und schließt mit dem
Fluch "despera et peri".
V, 19. Vortigernus fährt erschreckt aus dem Schlaf,
Das ^'despera et peri" klingt ihm noch in den Ohren.
V, 20. Die Geister erscheinen wieder, von Mors begleitet.
Jeder Schatten verkündet Vortigernus schreckliche Strafen.
Indem so die Geister dem Vortigernus kundtun, daß sein
Ende nahe ist, bereiten sie auf die Katastrophe vor.
Die auffallende Ähnlichkeit dieser drei Szenen mit V, S
in Shakspere's ^Richard Iir legt die Frage nahe, welcher
von den beiden Dichtem dem anderen zum Vorbild gedient
hat. Nach Wolfgang Keller^) hat der Dichter des '^Fatum
Vortigerni** Shakspere's ^^Ridiard IIV^ benutzt.
^) Shakeaptare-Jdhrhuch 34, S. 258.
>) Ibd., S. 259.
— 13 —
Außerdem b^egnen uns noch Geister in Akt I tind IV.
In I, 12 wird der durch Vortigemus bedrohte Oonstans im
Schlaf durch den Geist seines Vaters gewarnt.
IV, 1 u. 2.
Der Geist des durch Ronixra vorgifteten Vortumerus ver-
folgt seine Mörderin durch beständige Erscheinungen, bis
diese sich entschließt, den Geist durch ihren Tod zu ver-
söhnen. Die Bemühungen des Geistes schließen also, da sie
auf eine Beschlextnigimg der Rache hinzielen, für den Gang
der Handlung, bzw. Nebenhandlung ein accelerierendes
Moment in sich.
7. Ein den Gang der Handlung retardierendes
Moment kann man das Auftreten des Geistos in '^Perftdus
Helru8cus'^ ^) nennen«
Nach dem Tode seines Bruders Sorastanus, Herzogs von
Etnirien, führt Pandolphus für seine beiden unmündigen
Neffen Lampranus und Columbus die Regierung. Pandolphus
will aber nicht nur den Schein der Macht haben ; deshalb be-
schließt er die Ermordung seiner Neffen.
Diese Absicht des Pandolphus sucht der Geist des So-
rastanus zu vereiteln. Sein wiederholtes Erscheinen bedeutet
also für den Verlauf der Handlung ein retardierendes
Moment.
Der Geist des Sorastanus erschlägt das Werkzeug seines
Bruders Pandolphus, den Jesuiten Grimalfi, als dieser im
Begriff ist, Lampranus und Columbus zu ermorden. Dann
ermahnt der Geist seine Söhne, so zu leben, daß sie sich vor
dem Tod nicht fürchten. Zugleich prophezeit er, daß sie der
Treulosigkeit zum Opfer fallen würden. Pandolphus will
jetzt zunächst den Columbus beseitigen, um sich dann gegen
Lampranus zu richten. Columbus wird auf Anstiften seines
Onkels von seinem Bruder Lampranus verbannt. Dem Colum-
bus erscheint der Geist des Sorastanus in der Verbannung
und fordert ihn auf, heimzukehren und Pandolphus zu töten.
Wenn der Geist dem Lampranus erscheint und ihn fragt:
') Shakespeare-Jahrbuch 34, S. 230
— 14 —
,,Wo ist dein Bruder?'^, so bezweckt er mit dieser Frage, ia
Lampranus wegen des Verhaltens gegen seinen Bruder Reue
zu erwecken und ihn für den Zurückkehrenden günstig zu
stimmen, kurz die beiden Brüder gegen Pandolphus zu
einigen. Dem zurückgekehrten Colambus trägt der Geist
nochmals auf, Pandolphus zu töten. Columbus fordert den
Pandolphus zum Zweikampf heraus, der aber resultatlos ver-
läuft. Pandolphus gelingt es 'neuerdings, Columbus bei
Lampranus zu verdächtigen. Columbus soll eben auf Befehl
seines Bruders sterben, als sich plötzlich ein heftiger Sturm
erhebt, und der Geist des Sorastanus ruft, Columbus solle
nicht sterben.
Die beiden Brüder fallen endlich den Nachstellungen des
Pandolphus zum Opfer. Dieser stirbt durch eigenen Verrat,
im Todeskampf von den Geistern derjenigen geschmäht, die
er gemordet hat.
Zweier Geister von untergeordneter Bedeutung sei noch
Erwähnung getan.
8. In "J/e/m^er^' II, 2 erzählt Althaea, es sei ihr nachts
der Geist ihrer verstorbenen Mutter erschienen und habe ihr,
ihren Brüdern, sowie Oeneus und Meleager ein schreckliches
Ende prophezeit.
9. In dem Fragment "Z>w/o" III, I warnt der Geist des
Sichaeus die Königin Dido vor Aeneas.^)
II. Die englischen Dramen.
Der Geist tritt als „Stimmungsfigur*' auf in den
Dramen ^^Misfortuncs of Arthur'^ ^^Spanish Tragedt/*\ ^^Tnte
Tragcdy of Richard Iir\ ^^Alaham'\ ^^ Älexandraan Tragedy'\
'HMiUnc'^ ^'Fuhnns D'oes*', ''Grim the Collier of Croydon" und
''Harnler.
») "" Meleager'' und ''IHd&' haben Dr. Wilhelm Gag er zum Ver-
fasser. Cf. Shakeapeare-Jahrbuch 34, S. 233 und 237—38.
— 16 —
1. ^^The Müfortunes of Arthur'* von Thomas Hughes.
Diese Tragödie eröflfnet der Geist des Herzogs Gorlois von
CorDwall; klagend und Bache fordernd für den Schimpf, den
ihm Uther Pendragon zagefügt, indem er ihn der Gemahlin ,
des Herzogtums und des Lebens beraubte. Zwar lastet Pen-
dragon's Ehebruch wie ein Fluch auf dem ganzen Geschlecht.
Aber das ist des Unheils noch nicht genug: der schnöde
Mord, der Raub des Herzogtums rufen noch lauter zum
Himmel um Rache. Der Söhne Frevel sollen wachsen bis
zu gigantischer Höhe. Jedoch der Geist verflucht nicht nur
Uther Pendragon's ganzes Geschlecht, er verflucht selbst
Britannien, das durch Bürgerkriege und innere Zwietracht'
zerrüttet eine Beute fremder Eroberer werden soll. Sodann
prophezeit der Geist das kommende Mißgeschick, Mordred's
Untergang, Arthur's tödliche Verwundung.
Die Klage und Racheforderung des Geistes enthält zu-
gleich die Exposition der Handlung. Der Umstand, daß der
Geist des Ermordeten und Betrogenen selbst erscheint, Rache
heischend und Unheil verkündend, soll uns in die Stimmung
versetzen, die dem Inhalt des Stückes angepaßt ist.
Uther Pendragon's Verbrechen gegen Gorlois stürzen sein
ganzes Geschlecht ins Verderben. Der rachedürstende Geist
wohnt daher dem Strafgericht bei, das an Pendragon's Nach-
kommen vollzogen wird, und am Schluß des Stückes erscheint
er wieder, frohlockend, denn alles ist gesühnt. Arthur und
Mordred haben auf dem nämlichen Boden ihr Blut vergossen,
auf dem er, Gorlois, hingemordet wurde. Eine solche innere
Genugtuung empfindet der Geist, daß er den Rachefluch, den
er auf Britannien geschleudert hat, zurücknimmt und auf das so
schwer heimgesuchte Land allen Segen des Himmels herabruft :
das goldene Zeitalter soll nach Britannien zurückkehren und mit
ihm Wohlstand, Glück und Zufriedenheit. Dann steigt der
Geist ^^blood'surfcitedj appeased^^ wieder in die Unterwelt hinab.
Über den Geist des Herzogs Gorlois äußert sich Klein
derselbe sei y^hei Licht besehen stets nur das Eevenant- Gespenst
von S e n e c a ' 8 Atriden-Bachehausgeist/* ^) Und C u n 1 i f f e sagt
») Geschichte des Dramas XUJ, S. 276.
— 16 —
▼on ihm: ^^Goflois is a ghost after Seneca's owti heaiiJ^^) Um
die Nachahmang dentlicber zu veranschaulichen, zitiert der
Geist eine Anzahl Verse aus der Eröffnungsszene von Sene-
ca's ^'Thyestes'':
Der Greist von Gorlois (die Nachkommen Uther Pen-
dragon's verfluchend):
Lei mischte fes know no meane, nor jAagues an end:
Lei th'ofsjmngs sinne exceede tJie former stocke:
Lei none haue Urne to hate his former fault,
But siiÜ wiih fresh sttppUe let punisht crt/me
Inarase, tili tyme it make a com2)let sinne.
(Grumbine I, 1 Z. 22—27).
Furie (das Geschlecht des Tantalus verfluchend):
. . . . 7IC sit irarum modus
pudorre, vinües caecus instigei furor,
rahics parentum duret et longum yiefas
eai in nepotes ; nee racet cuiquam retns
odisse crimen: semper oriatur uovum^
ncc nnnm in unoj dunique punilur scelus,
nescaL (Peiper et Richter, S. 282, V. 26—32).
Aber Hughes hat für sein Drama nicht nur diese
Stimmuugsfigur aus Seneca entlehnt, er ist seinem Vorbild
noch weit mehr verpflichtet. Die ^'Misfortunes of Arthur^^ be-
zeichnet man nebst ^HJarbodnc^^ (1560) und ^^tancied and Ois-
munda'^ (1568) als Kopien Seneca's, d. h. als Dramen,
welche, um mit Fischer zu reden, in allen wesentlichen
Punkten der Diktion, «Konstruktion wie Komposition nach
dem Vorbild Seneca 's geschaffen sind.*) In der Tat, in der
Sprache unseres Dramas lebt die Bhetorik Seneca' s wieder
auf, in der äußeren Form zeigt es Seneca's Einteilung in
5 Akte, die durch Chorlieder voneinander getrennt sind.
Unser Dichter vereinigt in diesem Drama, wie Seneca mit
Vorliebe zu tun pflegt, ein politisches und ein familiäres
Thema, er verwendet wie Seneca das Motiv von der
verbrecherischen Liebe, vom Ehebruch. Am besten hat
*) The Influence of Senecay S. 52.
'] Zur Kunstentwicklung dw englischen Tragödie, S 42.
— 17 —
Symonds in wenigen Worten den hier behandelten Stoff
charakterisiert: '^The Artimrian legend, hete presented to us, is
a iruly Thyestean hisiory of a royal house devoted for iis crimes of
insohnce io ruinj^ *)
Besonders augenfällig ist die Nachahmung Seneca's in
den ersten zwei Akten. Cunliffe zeigt in einer ausführ-
lichen Textstudie, daß die ersten zwei Akte fast nichts anderes
sind als wörtliche Übersetzungen des römischen Dichters. Von
sämtlichen Dramen Seneca's hat Hughes nahezu an 300
Verse entlehnt. Und für den ersten Akt weist Fischer^)
nach, daß Hughes nicht nur die Figuren, sondern auch die
Situation von Seneca's ^^Agamemnon^^ entlehnt hat.
2. Die ^Spanish Tragedy" des Thomas Kyd wird eröffnet
von Don Andrea's Geist, der mit der Göttin der BÄche auf-
tritt. Der Geist erzählt uns seine Vorgeschichte. Demnach
war Don Andrea spanischer Edelmann und verlor im Krieg
mit Portugal durch den portugiesischen Königssohn Balthazar
sein Leben. Des weiteren berichtet der Geist ausführlich
über seinen Eintritt in die Unterwelt und über die Schwierig-
keiten, die er zu überwinden hatte, bis er endlich den drei
HöUenrichtem Minos, Aeacus und Rhadamanthus gegenüber-
stand. Diese konnten sich nicht einigen, ob sie ihm die Ge-
filde der Liebenden oder die Wohnung der Kriegshelden als
Aufenthaltsort anweisen sollten. Um den Streit zu beendigen,
machte Minos den Vorschlag, den Geist zum König der
Unterwelt zu schicken, damit er aus dessen Mund sein Urteil
vernehme. Zu dem Zweck stellten ihm die Richter einen
Reisepaß aus. Drei Wege, fährt der Geist in seiner Erzählung
fort, waren vor ihm: der zur rechten Hand führte in die
Gefilde der Krieger und der Liebenden, der zur linken Hand
endigte in der Hölle, wo die Wucherer, die Wollüstigen, die
Mörder, die Meineidigen etc. entsetzliche Qualen erdulden.
Der Weg in der Mitte endlich brachte den Geist vor den
Thron Pluto's und Proserpina's. Gräßliche Schatten, die zu
^) Shakspere^s Frcdecessors in the English Ih^ama, S. 237.
«) Fischer, 1. c, S. 66.
Mänchener Beiträge z. romaniachen u. engl. Philologie. XXXV. 2
— 18 —
schildern keine menschliche Zunge imstande wäre, hatten be-
ständig seinen Weg gekreuzt.
Die Fällung des Urteilsspruches erbat sich Proserpina
als besondere Grünst von ihrem königlichen Gemahl, der die
Erlaubnis mit einem Kuß besiegelte. Alsbald raunte nun die
Königin der ßachegöttin den Befehl ins Ohr, den Geist durch
das für gewisse Träume bestimmte Horntor auf die Oberwelt
zurückzuführen. Jetzt teilt die Rachegöttin Andrea's Geist
den Zweck seines Hierseins mit: er solle sehen, wie der Ur-
heber seines Todes, Don Balthazar, von Bellimperia, Andrea's
ehemaliger Braut, vom Leben zum Tode befördert werde.
Das Erscheinen von Geist und Bachegöttin zielt natürlich
in erster Linie darauf ab, die Zuschauer in Stimmung zu
versetzen. Zugleich geben beide die Exposition der Handlung.
Die Rolle, welche den beiden Figuren im Verlauf der Hand-
lung zufällt, teilt uns die Rachegöttin in den Worten mit:
Hea^e sit we downe to see ihe misierie,
And serue for Choi-us in this tragcdie,
(Schick I, 1, Z. 90—91.)
Geist und Rachegöttin lassen also, wie Fischer^) sagt,
als unsichtbare Beobachter das Stück an sich vorüberspielen,
um bei jedem Aktschluß eine kurze Kritik über das Geschaute
zu geben.
So ist der Geist am Schluß des ersten Aktes höchst
ungehalten darüber, daß der König von Spanien zu Ehren
des portugiesischen Kriegsgefangenen Don Balthazar ein
Bankett gibt, und er wendet sich an seine Begleiterin mit
der Frage, ob sie deswegen aus der Unterwelt gekommen
seien, um einen Mörder bankettieren zu sehen. Revenge be-
ruhigt den ungeduldigen Geist mit der Versicherung, daß sie
vor ihrem Weggang den Frieden der da festlich Versammelten
in Krieg, ihre Liebe in tödlichen Haß verwandeln werde.
Es ist bekannt, daß Shakspere fast bei seinen sämt-
lichen Stücken Muster vor Augen gehabt hat. Aber ebenso
bekannt ist, daß er seine Vorbilder mit so unglaublicher und
vollendeter Meisterschaft verwertete, daß die Nachahmung
») Fischer, 1. c, S. 94.
— 19 —
kaum noch Spuren von dem Original an sich trägt. Diese
Tatsache läßt Klein ^) in seiner „Geschichte des Dramas'-^ die
Frage aufwerfen, ob diese Gegenwart des Geistes und der
Rachegöttin bei einem Bankett dem großen Dramatiker nicht
Veranlassung gab, die Figur von Banquo's Geist in ^MacheM*
zu schaffen. Klein hält diese Möglichkeit nicht für aus-
geschlossen, j^kraft der Wtinderwirkung der wie die Natur all-
^nächtigen Schöpferkraft des Genius^^, Allerdings gibt Klein
auch zu, daß diese Annahme etwas gewagt ist und fügt bei,
„daß ihm diese Hypothese nur du hriHsch-menschliche Rücksictit
an die Hand gab, einem de)' berufensten Torshakspere'schen
Stücke irgendwelche literarhistoriscJie Würdigkeit beizulegen,^''
Die Erwartung des Geistes, seinen Mörder bestraft zu
sehen, erfüllt sich auch im zweiten Akt nicht. Im Gegenteil,
vor seinen Augen hängt man seinen treuesten Freund Ho-
ratio auf:
Broughtst ihou me hether to increase my paine ?
(II, 6, Z. 1.)
fragt er deshalb die Eachegöttin. Doch diese erwidert ihm,
daß die Zeit noch nicht gekommen sei, seinen Wunsch zu
erfüllen. Man könne das Korn nicht schneiden, bevor es
reif sei.
Des Geistes Geduld wird auch weiter auf eine harte
Probe gestellt. Die ganze Zeit wartet er mit fieberhafter
Spannung, bis die ruchlosen Verbrecher endlich von der wohl-
verdienten Strafe ereilt würden, und nun sieht er am Schluß
des dritten Aktes Freund und Feind im schönsten Frieden ver-
einigt. Bellimperia hat scheinbar ihren Widerstand gegen
die Bewerbungen Balthazar's aufgegeben und in ihre baldige
Vermählung mit ihm eingewilligt. Lorenzo hat sich scheinbar
mit Hieronimo versöhnt. ^Awake, Reuenge !^^ ruft der Geist in
Verzweiflung seiner Begleiterin zu :
Hieronimo with Lorenxo is ioynde in kague,
And iniercepts our passage to reuenge.
(III, 16, Z. 13 u. 14.)
1) Klein, 1. c, XIII, S. 341.
2*
— 22 —
Geist mit diesen Worten deutlich seine Verwandtschaft mit
den Seneca'schen Eachegeistern.
Ferner tritt uns der Geist am Schluß des Stückes als
Symbol der Gewissensqualen entgegen.
Die Mahnungen des Gewissens werden so ungestüm, daß
Kichard bei Tag und bei Nacht, mag er schlafen oder wachen,
die rachefordernden Geister seiner Opfer zu sehen glaubt:
The hell of life that hange i^on the Oro^mie,
TJie daily cares, the nighUy dreamesj
Tlie toreiched crewes, the ireason of the focy
And horror of my hloodie practise past,
Strikes such a terror to my wounded consdence,
That sleep /, wake I, or whatsoetier I do^
Meethinkes their ghoasts comes gaping for reuenge,
Whom I haue slaine in reaching for a Crowne.
(1. c, S. 117.)
Im Vergleich zu der Art und Weise, mit der die Dichter
bisher den Geist im Drama zu verwenden pflegten, liegt hier
zweifelsohne ein großer Fortschritt, über den sich Churchill
wie folgt verbreitet : " The ghosts of the murderedy crying revenge,
do not aetiuxUy appear, Thcy are irp-esefited as the erentures of
Richard^ s imaginathn, diseased in consequence of his guilty con-
science, The ghosts have ceased to he mere extei^ial machinery used
to awaken the spectaim^s sense of hoiror ; they have hecome a means
of revealing the tormenis of a guilty so?//." ^)
4. Lord Brooke's Tragödie ^Alaham^* wird eröffnet
durch den Geist eines ehemaligen Königs von Ormus, der
eine erschöpfende Exposition zu dem Drama spricht und uns
so vom ersten Augenblick an auf die Blut- und Greuelszenen
sowie auf die unnatürlichen Verbrechen vorbereitet, welche
wir im Lauf der Tragödie schauen werden. Vornehmlich aber
entwirft der Geist eine gedrängte Schilderung der Haupt-
charaktere und des Geschickes, das ihrer harrt.
Der Geist weist zuerst hin auf jenen tiefen Abgrund der
Hölle, den er soeben verlassen hat. Sein Strafort ist nicht
») Richard the Third up to Shakespeare, S. 403.
— 23 —
Acherou gewesen, sondern ein tiefgelegenes, dunkles Land
von unendlicher Ausdehnung, ein Ort der Entbehrung, des
Grauens und der Gewissensbisse. In dieses schreckliche Ge-
biet sind die Seelen derjenigen verbannt, welche Todsünden
begangen haben, wie Gottlosigkeit, Hochmut, Heuchelei.
Könige, welche auf Erden tyrannisch herrschten, werden hier
in Furien verwandelt, um die schwächeren Geister zu quälen.
Schwache Könige, welche sorglos zuschauten, wie ihre
Reiche von unwürdigen Günstlingen schlecht regiert wurden,
werden verurteilt, eine bestimmte Strafzeit in diesem Teil der
Unterwelt zuzubringen. Ein solcher König ist der Geist ge-
wesen: sein Eeich war Ormus, dessen wirkliche Beherrscher
die Basshas waren, welche ihren königlichen Wohltäter er-
mordeten.
Der erste Auftrag, den der Geist zu erfüllen hat, ist der,
seine eigene Nachkommenschaft zugrunde zu richten, der
zweite, das verweichlichte Zeitalter durch Ränke zu züchtigen.
Hierauf prophezeit der Geist das Geschick der Haupt-
personen des Dramas : der gegenwärtige schwachsinnige König
wird durch die Hand seines verruchten Sohnes Alaham sterben,
dessen Pläne zu vereiteln er nicht genug Willenskraft hat;
der ehrgeizige Alaham wird zu spät inne werden, daß das
Schicksal alle geheimen Fehler aufdecken kann; er wird
seinen Untergang finden durch seine eigene uimatürliche Ver-
schlagenheit. Die lüsterne Hala, Alaham's Gattin, soll die
Frucht ihrer schamlosen Ränke ernten und an den Qualen
verletzten Stolzes sterben. Der schwachsinnige Zophi, der
älteste Sohn des Königs, ist bestimmt, eine Beute von Partei-
intrigen zu werden. Der unbeständige Caine, dessen Tugenden
und Laster noch unentwickelt sind, wird das Opfer seiner
eigenen Freunde. Mahomet möchte gern das Rechte tun und
Mißbräuche abstellen, aber in seiner Hand soll sich Ehre als
Knechtschaft, Gerechtigkeit als Ärgernis erweisen. Caelica,
des Königs Tochter, muß, geleitet von ihrer zu großen Liebe
zu ihrem Vater, dessen Schicksal teilen.
Der Prolog schließt mit der dringenden Aufforderung
an die Furien — Graft, Malice, Fear, Wrong, Wit — die Welt
zu verwirren und alles der Hölle als Beute auszuliefern.
— 24 —
Das düstere Bild, welches der Geist hier von einem Teil
der Unterwelt entwirft, ebenso wie seine Schilderung des
Charakters der Hauptpersonen werden der Absicht des Dichters
entsprechend nicht verfehlen, den Leser in Stimmung und
Spannung zugleich zu versetzen.
Wenn der Geist des ehemaligen Königs von Ormus sagt,
er habe in erster Linie den Auftrag, sein eigenes Geschlecht
zugrunde zu richten, so spielt er die nämliche Rolle wie der
Geist des Tantalus, welcher von der Rachegöttin auf die
Erde zurückgeführt wird, um seine Enkel zu unnatürlichen
Verbrechen aufzustacheln. Überhaupt können wir aus der
reichhaltigen Exposition, noch mehr aber aus den Blut- und
Greuelszenen unseres Stückes dessen klassizistischen
Charakter unschwer erkennen. Ebenso erinnert die Bei-
behaltung des Chores an Sencca: Ein Chor von guten und
bösen Geistern, Furien und personifizierten Lastern begleitet
erklärend die Handlung. Indes zeigt schon diese Zusammen-
stellung des Chores, wie wenig er mit dem Wesen des
Seneca'schen noch gemein hat.
Geradeso wie der Dichter der ^^Spanish TmgedfJ^ ver-
wendet Lord Brooke allegorische Figuren im Chor. Eine
andere Reminiszenz an die ^^Spanish Tfagedt/^ wird in uns er-
weckt, wenn der Geist von dem schauerlichen Ort erzählt,
der den Gottlosen, Hochmütigen und Heuchlern zum Aufent-
halt angewiesen sei. Denn unwillkürlich denken wir dabei
an die Schilderung, die uns Ändrea's Geist von der Wohnung
der Meineidigen, Wucherer, Wollüstigen etc. gibt.
5. Alexandraan Tragedy.
Die furchtbaren Ereignisse, die auf den Tod Alexander's
des Großen folgten, wurden von Sir William Alexander,
Earl of Stirling, zum Gegenstand einer Tragödie erwählt,
welche nach seiner Ansicht nicht besser eröffnet werden
konnte als durch den Geist Alexander's selbst, des Mannes,
dessen erstaunliche Siege und Waffentaten die indirekte Ur-
sache all der "übel waren, die auf seinen Tod folgten. Die
Erscheinung des mächtigen Alexander und die ebenso ge-
waltigen wie ergreifenden Worte, mit denen er das Schicksal
— 25 —
seines Reiches und seiner Nachkommen beklagt, zielen in der
Tat darauf ab, unser Interesse an der Alexnndrrran Tragedy in
ungewöhnlichem Grade zu erhöhen, mit anderen Worten, uns
in Stimmung zu versetzen. Der Grundton dieses Dramas
wird angeschlagen in dem Verse:
"TF/io hare forgot all love^ sarc hve io raigrie" ;
denn der maßlose Ehrgeiz von Alexander's Generalen, d. h.
ihre Herrschbegierde war es, welche den Untergang seines
Hauses herbeiführte.
Der Geist Alexander's beginnt damit, die Verzögerung
seiner Leichenfeierlichkeiten zu beklagen, welche ihn zwinge,
ziellos an den Ufern des Styx umherzuschweifen. Der Geist
betrachtet dieses Unglück zum Teil als eine gerechte Ver-
geltung für das Blutvergießen, das er zu seinen Lebzeiten
verursacht habe. Er würde gerne in die Fußstapfen von
Alcmena's Sohn treten und Pluto Qualen auferlegen wegen
seiner Weigerung, ihn in den Hades aufzunehmen. Dann
weist der Geist in bitteren Worten auf die Undankbarbeit
der mazedonischen Generale hin, welche in ihrem gierigen
Verlangen, von den Eroberungen ihres Herrn Besitz zu er-
greifen, vergaßen, seinem Leichnam die letzten Ehren zu er-
weisen.
Dann spricht der Geist von dem blinden Ehrgeiz, der
Alexander's Verderben gewesen sei, er erkennt die rächende
Hand Jupiter's in den schmachvollen Kriegen, welche des
Königs Ruhm geschmälert und ihn selbst gelehrt hätten, daß
er schließlich doch nur ein Sterblicher und kein Gott war.
Der Geist erinnert an die Tatsache, daß Alexander^s Hochmut
ihn sogar das Andenken an seines Vaters Heldentaten hassen
ließ und seine besten Freunde zu seinen schlimmsten Feinden
machte. Eitel und wertlos sei sein ganzes Leben gewesen,
obwohl er sein Reich von Athen bis Indien ausgedehnt hätte,
obgleich das Glück sein Sklave und Könige seine Untertanen
gewesen wären. Er habe jedermann besiegt, nur nicht sich
selbst, und gerade die Größe seines Reiches hätte anderen
den Wunsch eingegeben, sich dessen zu bemächtigen. Und
so habe es sich ereignet, daß der Monarch, der niemals von
einem Feind besiegt, von seinen Freunden hingemordet wurde.
— 26 —
Der Geist sagt ferner die Schrecken vorher, welche die
Uneinigkeit unter den Generalen über die Welt im allgemeinen
und über seine Familie im besonderen bringen würde. Weit
besser wäre es gewesen, wenn Alexander seine Laufbahn als
Eroberer niemals begonnen, sondern sich mit dem bescheidenen
väterlichen Eeich begnügt hätte. — Aber da die lange
hinausgeschobenen Leichenfeierlichkeiten nun endlich statt-
finden sollten, müsse er, der Geist, an den Hof des Höllen-
königs zurückkehren, um Aug' in Auge den feindlichen
Bichtern gegenüberzutreten, von welchen die Geister der von
Alexander Erschlagenen Bache heischten.
Auch die ^^Alexaridremn Tragedy'^ hat durch ihre er-
schöpfende Exposition wie durch die Beibehaltung des Chores
unzweifelhaft ein klassizistisches Gepräge, wie ja sowohl dieses
Drama als auch das eben behandelte "-4/aÄam" in ihrer Eigen-
schaft als Buch- oder Deklamationsdramen ihre Verwandt-
schaft mit Seneca ohne weiteres dokumentieren.
6. Ben Jonson's "Ca///mc" wird eröflEhet durch
SuUa's Geist, der aus der Unterwelt emporsteigt und Ca-
tilina zu den schrecklichsten Taten auffordert. Finstere Pläne
in der Brust, sitzt der letztere nachdenklich in seinem Studier-
zimmer. Wie um seine Beratungen zu fördern, erscheint
Sulla's Geist:
Philo he at thy counselSy and into
Thy darker bosom entcr SyUa^s spiriil
All Ihat was 7mne and badj thy breast inJierü,
(Cunningham, Bd. 4, I, 1, S. 190.)
Sodann zählt Sulla's Geist alle Abscheulicbkeiten auf,
welche Catilina bereits begangen hat und fordert ihn schließ-
lich auf, seinen Verbrechen durch den Ruin seiner Vaterstadt
die Krone aufzusetzen.
Ben Jonsou konnte in der Tat seinen ^Catiiifie" nicht
slimmungSYoUer eröffnen als durch Sulla's Geist. Denn
der ehemalige Diktator hat durch seine furchtbaren Pro-
skriptionen unaussprechliches Unheil über Born gebracht und
kann daher in gewissem Sinn als Vorgänger Gatilina's gelten.
Sowohl die Figur des Geistes als auch die Situation der
— 27 —
Eingangsszene sind Seneca's ^Thyestes^^ entlehnt. Diese Tra-
gödie wird eröffnet durch den Geist des Tantalus in Begleitung
der Rachegöttin. Wie die Furie einmal bemerkt, hat sie den
Geist des Tantalus auf die Oberwelt zurückgeftlhrt, damit er
durch seine bloße Anwesenheit im Palast des Atreus seine
Nachkommen zu unnatürlichen Verbrechen aufstachele. Auch
der Geist SuUa's soll durch seine bloße Anwesenheit Catilina
zu dem unnatürlichen Verbrechen aufreizen, den Untergang
seiner Vaterstadt Bom herbeizuführen. Denn Catilina sieht
den Geist nicht, noch hört er ihn. Einige Stellen hat Jen-
son fast wörtlich aus ^Thyestes" herübergenommen. SuUa's
Geist (bevor er sich an Catilina wendet):
^^ Behold j I come, sent from the Stygian sound,
As a dire vapour ihat had cleft ilie ground,
Or lihe a pestilence iliat should display
Infeciiov through the world "
(1. c. I, 1 S. 190.)
Der Geist des Tantalus:
Mittor ut dirus lapor
TeUure i'upta vel gravem jtopidis luem
Sparsura pesiis. (1. c. S. 284, Z. 87—89.)
Sulla's Geist (zu Catilina sprechend):
Nor let thy thought find any vacant time
To hate an cid, hut still a fresher crime
Drown the remernbrance ; let not mischief cease,
But whih it is in punishing, increase:
Consdence and care die in thee; ajid he free
Not heaven itself frwn thy impiety:
Let night grow blacker with thy plots, and day,
At sliewing but thy head forth, start away
From ihis half-sphere; and leave Ronies blinded walls
To embroce liists, hatreds, shmghtei's, fnnerals,
(1. c. I, 1, S. 191 und 92.)
Furie (das Geschlecht des Tantalus verfluchend):
Nee vacet cuiquam vetus
Odisse mmen: sefuper oriatur novum,
— 28 —
Xec unnm in nnOf dnynque punütir scelus,
Crescat
et fas et fides
Jusque omne pereat. Non sit a vestris maus
Immune caelmn. Cnr micant stellae polo
Flammaeque sei-vant debitum mundo decus?
Nox alia fiat, exeidat caelo die^,
Misce penates, odia caedes funera
Accerse et imple Tanialo totam domnm,
(I. c. S. 282 und 283, Z. 29—32 und 47—64.)
Auch im III. Akt finden sich Entlehnungen aus "7%-
fstes^y ferner aus ^ IIippohjtufi'\ ^^Oeiavia^\ ^^Hermles furens".^)
Endlich zeigt sich Jonson seinem Vorbild Seneca in
der Anwendung des Chores verpflichtet. Dieser schließt
jeden der fünf Akte und verläßt, wie bei Seneca, während
der Aufführung des Stückes die Bühne, so daß er nichts über
den Verlauf der Handlung erfährt. Denn am Ende des
IV. Aktes erklärt der Chor, über Catilina's Pläne im un-
klaren zu sein, was nicht der fall sein könnte, wenn er
während der Vorstellung auf der Bühne bliebe.-) '
7. Fnimus Trors: The Trne Trojans (von Dr. Jasper Pisher).
Das Stück behandelt die beiden Einfälle Cäsars in Bri-
tannien in den Jahren 56 und 54 vor Christus. Das Stück
wird eröffnet durch die Geister des Camillus und Brennus,
welche in vollständiger Rüstung und mit gezücktem Schwert
in der Begleitung des Mercur erscheinen. Mercur bringt die
Geister nach dem Willen Jupiters auf die Oberwelt zurück
"as sticklers in their nadon^s €nmiUj\ Wenn die Nacht sich
auf die müden Augenlider gesenkt hat, dann sollen sie ihre
Landsleute ^um Kampf anspornen, dann sollen sie zu Rache-
geistern in ihrer Brust werden :
Lmla ijour conntrymcnj when night and skep
») Cunliffe, 1. c, S. 94.
«) Ibd., S. 90.
— 29 —
Conquer tJie eyes: tvhen weary bodies restf
Änd senses cease, he furies in iheir breast,
(Dodsley-Hazlitt XII, S. 451.)
Daß gerade die Geister des Oamillus und Brennas er-
scheinen; ist natürlich von Seiten des Dichters wohlberechnet.
Durch diesen Rückblick auf die Kämpfe zwischen Römern
und Galliern im Jahre 390 vor Christus, sowie durch die
wilde Kampfeslust atmenden Wechselreden der Geister be-
reitet der Dichter stimmungsvoll auf die kömmenden Ereig-
nisse vor. Mit den Worten:
Fhj io your parties, and enrage their minds:
Till, at the period of tliese broila, I call
And back reduce you io grim Pluto's hau.
(1. c. S. 452)
entläßt Merkur die Geister.
Ihrem Auftrag gemäß erscheinen die Geister den An-
führern der zwei feindlichen Heere, Nennius und Cäsar, und
zwar in II, 7.
Der Geist des Brennus fordert Nennius auf, des über
die ganze Welt verbreiteten Ruhmes seiner Vorfahren ein-
gedenk zu bleiben. Er möge ein zweiter Brennus sein. Seine
Lanze müsse, wie eine Herkuleskeule, zwei Ungeheuer zähmen,
Roms Habsucht und Stolz. Die Ehre möge sein Leitstern
sein im Leben wie im Tod. Nach dieser Ermahnung ver-
schwindet der Geist.
Nennius versichert, daß der Geist über seine Taten nicht
erröten solle. Ruhm, sei er noch so gering, ist selbst um
den Preis des Todes billig erkauft. Obwohl diese Überzeugung
in ihm lebendig ist, versichert Nennius, daß die Worte des
Geistes ihm neue Kraft verliehen hätten. Was nur immer
die Zukunft bringen möge, Tod oder Sieg, Nennius weiht
sein Leben dem Andenken von Brennus' Geist.
In der gleichen Szene erscheint der Geist des Camillus
dem Cäsar und fordert ihn auf, Rache an der Nation zu
nehmen, deren Verwandte einst Rom geplündert hätten.
Camillus wünscht, sein Geist, der Geist eines Scipio, eines
Marius, eines Sulla möge in Cäsar wieder aufleben, damit
diese stolze Nation unter das römische Joch gebeugt würde.
— 30 —
Cäsar erwidert, er werde in des Camillus FußstÄpfen
treten. Er sei entschlossen, nicht länger zu leben, sollte er
hinter diesem erhabenen Beispiel zurückbleiben.
In der nun folgenden Schlacht (III, 2) zeigen sich die
beiden Führer dessen würdig, was sie den Geistern Tersprochen
haben.
Das Erscheinen der Geister in II, 7 bezweckt, wie wir
gesehen haben, Nennius und Cäsar zum Kampf anzufeuern^
bedeutet also für den Verlauf der Handlung ein accele-
rierendes Moment. — Die gleiche Bedeutung ist dem Er-
scheinen der Geister in IV und V beizumessen.
In IV, 4 beklagt sich Cäsar, daß der Geist des Camillus
ihn nachts im Traume ängstige und nach Rache rufe. Beim
zweiten Einfall Cäsar's in Britannien kämpfen die Römer an-
fangs unglückhch gegen die Briten. Der Geist des Camillus
will demnach Cäsar Teranlassen, seine Tapferkeit gegen die
Briten zu verdoppeln.
In V, 2 erzählt Cassibellanus, der König der Briten, in
einer Ansprache an seine Soldaten, der Geist des Brennus
sei ihm erschienen und habe ihn aufgefordert, das Unrecht
zurückzuweisen und dem Ruhm seiner Ahnen Ehre zu machen.
Das Stück schließt Mercur, der die beiden Geister in
die Unterwelt zurückführt, während sie die Frage erörtern,
ob der endgültige Sieg auf selten der Römer oder der Briten
sein werde.
8. Gnm ihe Collier of Oroydon^)
Die 1. Szene des 1. Aktes zeigt uns folgendes Stimmungs-
bild : Malbecco's Geist in der Unterwelt vor Pluto und den
Höllenrichtern Minos, Aeacus und Rhadamanthus. Aufge-
fordert, sich wegen seiner Selbstentleibung zu rechtfertigen,
erzählt der Geist seinen Richtern, wie er durch die Bosheit
seines Weibes zum Selbstmord getrieben wurde.
Auf dieser Erzählung des Geistes basiert, wie sich zeigen
^) Sehr wahrscheinlich identisch mit Haughton's TktDtvü and
his Dame, ein Stück, welches unter März 1600 in Henslowe's Diary
eingetragen ist. Cf. Ward, Bd. 2, S. 606.
— 31 —
wird, die folgende Handlang in ihren Grundziigen ; der Geist
repräsentiert also das erregende Moment der Handlung.
Nach kurzer Beratung mit den Höllenrichtern beschließt
der Beherrscher der Unterwelt, einen seiner Lieblingsteufel,
Belphegor, auf die Erde zu senden mit dem Auftrag, mensch»
liehe Gestalt anzunehmen, zu heiraten und nach einem Jahr
und einem Tag in die Unterwelt zurückzukehren, um über
den Charakter des weiblichen Geschlechts Bericht zu erstatten.
Belphegor begibt sich, Ton seinem Diener Akercock be-
gleitet, auf die Oberwelt; er selbst geht unter dem Namen
Castiliano, Akercock unter dem Namen Robin Goodfellow.
Castiliano verheiratet sich. Seine Ehe ist aber eine höchst
unglückliche. Nicht nur daß er zusehen muß, wie Marian
anderen Männern ihre Liebe erweist, wird er schließlich noch
von ihr vergiftet. Und falls das Gift seine Wirkung verfehlen
sollte, unternimmt es ein Liebhaber Marianus, Castiliano zu
ermorden. Castiliano ist im Begriff, den tödlichen Stoß zu
empfangen, als er von der Erde verschlungen wird.
Robin Goodfellow verhilft Grim, dem Köhler von Croy-
don, zum Sieg über seine Nebenbuhler im Kampf um seine
Geliebte Johanna.
Belphegor erzählt nach seiner Rückkehr in die Unterwelt
Pluto und den Höllenrichtem die schlimmen Erfahrungen,
die er mit seiner treulosen Frau gemacht hat. Pluto fallt
daraufhin über Malbecco's Geist folgendes Urteil: er solle
von nun an als Geist der Eifersucht in der Welt umher*
schweifen, um Argwohn zwischen Mann und Frau zu er-
wecken. Mit den Worten:
Oo, Jealoiisy, hegone^ thou hast thy charge ;
ÖOy ränge abont the world that is so large,
(Dodsley-Hazlitt, Bd. 8, V, 1 8. 470)
wird der Geist von Pluto entlassen.
9. Hamlet.
In dramatisch wirkungsvollster Weise hat Shakspere
den Geist als Stimmungsfigur in ^IlamleV^ verwendet, denn
hier tritt der Geist nicht plötzlich auf die Bühne, sondern
— 32 —
der Dichter versteht es meisterhaft, auf sein Kommen vor-
zubereiten.
Versetzen wir uns vor die Schloßterrasse in Elsiuore. Es
ist eine bitterkalte Septembernacht. Eben hat es 12 Uhrge-
schlageu, und es erfolgt die Ablösung der Schloßwache:
Francisco verläßt seinen Posten, Bernardo und Marcellus
treten an seine Stelle. Mit letzteren tritt sogleich Horatio
auf aus einem Grund, den wir gleich nachher erfahren werden.
Zweimal ist nämlich schon den beiden Wachoffizieren Ber-
nardo und Marcellus gerade um Mitternacht ein Geist er-
schienen. Von diesem Ereignis haben sie ihrem Freund
Horatio Mitteilung gemacht. Doch dieser erklärt die Wahr-
nehmung? der beiden Freunde für Einbildung. Deswegen sagt
Marcellus :
/ have entreated him alonfj
WiÜi US io watch ilie minutes of thvs night;
Thai, if agaiu this apparition come,
Hc matj approre our etjes, and speak to it.
(Dyce, Bd. 7, I, 1 S. 300.)
Horatio indes versichert, daß die Erscheinung sich nicht
wiederholen werde. Bernardo hat eben begonnen, den Her-
gang jenes geheimnisvollen Ereignisses nochmals zu erzählen,
da wird er plötzlich von Marcellus mit den Worten unter-
brochen :
Peace, break thec off; look where ii comes again!
(1. c, S. 300.)
Entsetzen bemächtigt sich der Freunde. Selbst der
furchtlose Horatio ist für den Augenblick starr vor Furcht
und Staunen. Endlich aber faßt er sich ein Herz und spricht
den Geist an:
What art thou, ihat uarnp'st ihis time of night,
Together with ihat fair and tvarlike fainn
hl which the majcsiy of huried Denmark
Did sometimes march ? by heaven I charge ihee, speak.
(1. c. S. 301.)
Doch der Geist des verstorbenen Königs von Dänemark
— denn dieser ist es, wie die eben erwähnten Worte Ho-
— 33 —
ratio's zeigen — bleibt stumm. Nochmals beschwört Horatio
den schon wieder Wegschreitenden, zu sprechen, aber ver-
geben s. Der Geist verschwindet. Nicht minder mächtig als
seine Freunde ist Horatio von der Geisteserscheinung ergriffen.
Er würde nach seinen eigenen Worten immer noch nicht an
die Erscheinung glauben, hätte er nicht die sichere, fühlbare
Gewähr der eigenen Augen.
Was will nun der Geist. des yerstorbenen Königs? Das
fragen sich die Freunde. Horatio hält die Erscheinung für
den Vorboten schicksaJsBchwerer Ereignisse, die Dänemaric
bevorstünden. Geradeso seien auch dem Tod des großen
Julius Cäsar in Kom bedeutungsvolle Zeichen vorangegangen.
Daß der Geist des Königs in Waffen erschienen sei, kündige
dem Lande Krieg an. Denn der junge Fortinbras habe ein
Heer landloser Abenteurer um sich gesammelt und sei ent-
schlossen, die von seinem Vater an den verstorbenen König
verlorenen Länder wiederzugewinnen. Die Gefahr eines Über-
falles, den Fortinbras von der Seeseite aus unternehmen |
könnte, sei auch der Grund ihrer beständigen Wachen. Da auf j
einmal unterbricht sich Horatio selbst mitten in seiner Rede r
Butf softj behold! lo, nhere it comes again!
Mutig will Horatio diesmal zu Werke gehen: j
rU cross itj though ü blast vie.
Siaij, illimon, spricht er den Geist an,
If Üiou Jiast any sound, or use of voice,
Speak to nie:
If tliere be any good (hing to be done^
Tliat mag to thee do ease, and grace to me^
Speak to me.
Or if ihou Jiast uphoarded in thy life
Extorted ireasure in tlie uomb of rarth,
Für ivhich, they ,say, you spiriU oft walk in deatk,
Speak of it: — stay, and s])enk!
(1. c. I, 1 S. 304.)
In diesem Augenblick kräht der Hahn, und der Geist
ist im Begriff, sich wieder zu entfernen. ^Stop it, Marcellus/*^
Manchener Beiträge z. romanischen n. engl. Philologie. XXXV. 3
— 34 —
ruft Horatio diesem zu. Marcellus will in seiner Aufregung
nach ihm mit der Hellebarde schlagen. Vergebens. Der Geist
verschwindet. Also auch diesmal ist der Greist stumm ge-
blieben.
^n was about to speak when the cock crew — ,"
meint Bemardo.
^ÄTid tJien ü started like a guilty thing
Upon a fearful siimmon^ — ," bekräftigt Horatio.
Horatio findet das durch seine Erfahrung. bestätigt. Denn
er habe gehört, daß, sobald der Hahn den Morgen verkünde,
jeder umherschweifende Geist an seinen Aufenthaltsort zu-
rückkehren müsse. — Mittlerweile ist die Zeit vorgerückt,
der Morgen bricht an. Die Freunde brechen die Wache ab
und beschließen auf Horatio's Rat das, was sie diese Xacht
gesehen, dem jungen Hamlet anzuvertrauen ; denn so stumm
der Geist auch ihnen gegenüber gewesen sei, mit Hamlet
werde er sprechen.
Mit Künstlerhand hat Shakspere das erste Kräuseln
der Wellen angedeutet, das den nahenden Sturm verkündet.
Der Natur der Sache gemäß ist die KoUe des Geistes nicht
erschöpft; er hat eine noch viel wichtigere Aufgabe zu er-
füllen. Nachdem wir durch sein Erscheinen in einen Zustand
zweifelvoller Erregtheit und höchster Spannung versetzt sind,
führt uns der Dichter in der folgenden Szene die Exposition
der Tragödie vor Augen.
König Claudius von Dänemark hat nach dem kürzlich
erfolgten, plötzlichen Tod seines Bruders mit Einwilligung der
Stände des Landes den Thron bestiegen und seine verwitwete
Schwägerin geheiratet, dadurch aber die Anwartschaft seines
Neffen Hamlet auf den dänischen Königsthron in Frage gestellt.
Aber das ist der geringste Grund des schweren Kummers,
der auf Hamlet's Seele lastet. Kaum hatte er die Universität
Wittenberg bezogen, mußte er schon wieder heimeilen, um dem
geliebten Vater die letzte Ehre zn erweisen. Ein rätselhaftes
Geschick hatte den noch in der Vollkraft der Jahre stehen-
den Mann hinweggerafft. Aber nicht nur die merkwürdigen
Umstände bei seines Vaters Tod geben Hamlet zu denken.
Die geradezu überstürzte Heirat seiner Mutter hat seine ideale
— 35 —
Weltanschauung auf das schwerste erschüttert. Daß seine
Mutter, nachdem sie kaum die Tränen um den ersten Gatten
getrocknet, so bald einem zweiten die Hand zum ehelichen
Bunde reichen konnte, vermag Hamlet nicht zu fassen, umso-
weniger, als seine Eltern in zärtlicher Liebe einander zugetan
waren. Die Tatsache, daß das Unbegreifliche eingetreten ist,
drückt ihn unsagbar nieder, macht ihn namenlos traurig und
unglücklich.
Der Geist soll Licht in dieses Dunkel bringen. Horatio,
Bernardo und Marcellus berichten dem Prinzen, wie ihnen
bereits in drei Nächten der Geist seines Vaters auf der
Wache erschienen sei. Hamlet's Entschluß ist bald gefaßt.
Er will diese Nacht wachen, und kommt das Gespenst wieder,
es ansprechen. Indem er die Gefährten bittet, über das Ge-
sehene zu schweigen, verabschiedet er sich von ihnen mit
dem Versprechen, daß er sie auf der Terrasse zwischen 11 und
12 Uhr nachts besuchen werde.
Seltsame Gedanken drängen sich Hamlet jetzt auf, wenn
er an den plötzlichen Tod seines Vaters denkt. In fieber-
hafter Erregung sieht er der verhängnisvollen Stunde ent-
gegen :
'^Wouhl the night were comcl
Till then mt still my souV (1. c. I, 2 S. 314.)
Zugleich mit Horatio und Marcellus findet sich Hamlet
auf der Wache ein. Es hat schon 12 Uhr geschlagen:
"^Then it draws nenr the seaaon
W herein the spirit held his ivont to ivalkJ'
(1. c. I, 4 S. 320.)
Eine eisig kalte Luft weht. Während Hamlet bangen
Herzens der Enthüllung eines schrecklichen Geheimnisses ge-
wärtig ist, hält der König im Schlosse, umgeben von seinem
Gefolge, ein fröhliches Zechgelage ab. Kanonendonner und
Trompetenstoß verkünden jeden Trunk, den der König aus-
bringt. Hamlet tadelt dieses lärmende Gelage ; seiner
Neigung gemäß, über alles tiefsinnige Betrachtungen anzu-
stellen, philosophiert er, geradeso wie die Dänen durch diese
nächtlichen Gelage bei den anderen Völkern in Verruf kämen.
— 86 —
ebenso würden oft einzelne Menschen, obwohl ausgestattet mit
den trefflichsten Tugenden, infolge eines kleinen Charakter-
fehlers in der öffentlichen Meinung geringgeschätzt.
^ An geh and minister s of grace defcnd ««/" ruft der Prinz
sich unterbrechend, überwältigt von dem ersten Schrecken,
als er plötzlich den Geist vor sich sieht. Doch bald hat er
sich gefaßt:
Ik Ihou a spirit of healih or gohlin damn^d,
Bring tviih ihee airs from heaven or bhsts from hell,
Ik thy infcnts ivicked or chari table,
Thou conCst in such a quesiionahle sliapc,
Thai I will sprnk io thrr : Fll call ihee Hamlet,
King, father, rogaJ Dane: 0 ansircr me!
. . . What mag this mean,
Thai thou, dcad ansc, again, in completc steelj
Bevisifst thus the glijnpsrs of the moon,
Making night hidcons ; . , .
*Sa/y, u'hg is this'f ivhcrcfore? what shonld we do?
(1. c. I, 4 S. 322.)
Doch der Geist antwortet nicht, sondern winkt Hamlet
an einen weiter entfernten Ort, wie um anzudeuten, daß die
Mitteilung nur für ihn allein bestinamt sei. Hamlet ist auch
willens, dem Geist zu folgen, trotz des gegenteiligen Rates
von Horatio und Marcellus.
Whg, what shonld he the fear? erwidert ihnen der Prinz.
/ do not sei nnj life ai a pin^s fec ;
And for mg sonl, what can ü do to ihat,
Bcing a thing immortal as itself?
(1. c. I, 4 S. 323.)
Wieder winkt der Geist. Nochmals warnt Horatio den
Prinzen dringend, denn das Gespenst könne ihn bis zum
Gipfel jenes Felsens locken, der sich von der See zu grausiger
Höhe erhebe, dort eine andere Gestalt annehmen und ihn
zum Wahnsinn treiben. Der Geist winkt wieder, und mit den
Worten "J/^ fate rries ont" reißt sich Hamlet von den be-
— 37 —
sorgten Freunden los und folgt dem Geist. Bestürzt bleiben
Horatio und Marcellus zurück.
Jetzt, da der Geist mit Hamlet allein ist, spricht er und
gibt sich zu erkennen. Hamlet hört die niederschmetternde
Kunde, die sein prophetisches Gemüt indes dunkel geahnt,
daß sein Oheim hinterlistigerweise den Bruder gemordet, in-
dem er, während dieser mittags im Garten schlief, sich
heranschlich und ihm tödliches Gift in die Ohren träufelte,
80 daß der Unglückliche in kurzem eine Leiche war. Aber
nicht nur dies. Durch süße Schmeichelw^orte habe der Mörder
die scheinbar tugendhafte Königin verleitet, mit ihm in die
Ehe zu treten. Den feigen Brudermord soll Hamlet dem
Gebot des Geistes zufolge rächen, seine Mutter aber, die
zwar leichtsinnig, aber schuldlos ist an der blutigen Tat, möge
er schonen:
^Biity howsoeier ihou pursHst this ad,
Taini fiot ihfi mindj nor let thtf soid roHtrire
A<jftinst ihij mother auijhl: leare her to heaven,
And to those thoms that in her hosom iodge
To prick and siing hfr^ (1. c. I, 5 S. 327.)
Doch der Morgen naht und mit dem Scheidegruß ^Adini!
revmnher we^^ verschwindet der Geist.
Der junge Held sinkt unter der Last der wuchtigen
Eröffnung beinahe zusammen :
'^YoN, ituß stncirs, f/row not instant old,
Ihtt hmr wr sfi/J'h/ vp^ (I, 5 S. 328.)
Ja, gedenken will Hamlet des erhaltenen Auftrages,
tilgen will er aus seinem Gedächtnis jegliche Erinnerung an
seine Jugendzeit, und das Gebot des Geistes soll allein seine
Seele erfüllen.
Hamlet hat, wie wir gesehen, den Entschluß gefaßt, den
Mord seines Vaters zu rächen. x\uf diesem Entschluß aber
beruht die ganzt» folgende Handlung. Dieser Entschluß wird
nun durch die Oftenliarung des Geistes in die Seele Hamlet's
gesenkt. Die Offenbarung des Geistes repräsentiert also da.s
erregende Moment der Handlung.
Wie nun die folgende Handlung in allen Hauptzügen in
— 38 —
letzter Linie auf die Geisteserscheinung zurückgeht, warum
der Geist auch fernerhin in den Gang der Handlung einzu-
greifen für gut befindet, soll im folgenden dargestellt werden.
Hamlet steht noch unter den gewaltigen Eindrücken, die
er eben empfangen hat, als wiederholt und laut sein Name
an sein Ohr tönt. Horatio und Marcellus sind es, welche die
Rufe ausstoßen, denn sie empfinden allmählich Besorgnis über
das Schicksal des Prinzen. Hamlet ermuntert sie, näher zu
kommen, und nun bestürmen sie den Prinzen mit Fragen nach
dem, was zwischen ihm und dem Geist vorgefallen ist. Doch
Hamlet hält es einstweilen für das Beste, zu schweigen. Ob-
wohl seine Aufregung begreiflicherweise eine ungeheure ist,
weiß er doch in richtiger Erkenntnis seiner Lage, daß ein
verfrühtes Bekanntwerden dieser nächtlichen Vorgänge seinem
Racheplan nur schaden kann. Denn der König, ohnehin
argwöhnisch, — ein schuldiges Gewissen sieht ja überall
Verrat — wird sicherlich auch das geringste Anzeichen von
Gefahr bemerken und sich zu schützen wissen. Deshalb bittet
er die Freunde, niemals etwas von dem, was sie diese Nacht
gesehen, zu veröffentlichen. Horatio und Marcellus ver-
sprechen es. Aber Hamlet will das Versprechen noch durch
einen Eid bekräftigt wissen und ersucht die Freunde, auf sein
Schwert zu schwören. Wie um sein Verlangen zu unter-
stützen, ertönt aus der Tiefe eine schauerliche Grabesstimme:
^Sirear^ Hamlet überkommt eine wilde Lustigkeit:
"J/^, hn^ hoy! sa?/st thoxi so? art iJiou tliere, true-peunj/?
Cüinc on/^ — fährt er fort,
'''you hmr ihis felloic in tlie ccUaragc, —
Consent io swearr (I, 5 S. 330.)
Hamlet ist, wie wir sehen, durch seine Unterredung mit
dem Geist an das Überirdische gewöhnt, während seine Ge-
fährten fast sprachlos vor Schrecken sind. Horatio bringt
nur die Worte hervor: ^^ Propose the oath, my lorcW Aber als
der Prinz die Eidesformel gesprochen hat, macht die Stimme
des Geistes abermals die Freunde erbeben, denn unter ihren
Füßen vernehmen sie zum zweiten Mal die Aufforderung:
^Swfar'\ — ^^Hic ei nhiqne?^^ ruft Hamlet erstaunt aus. Um
— 39 —
das Entsetzen der Freunde zu mildern, läßt er den Platz
wechseln, was er, nach den eben erwähnten Worten zu ur-
teilen, schon das erste Mal getan hat, als die Stimme aus der
Tiefe kam. Wieder spricht Hamlet die Eidesformel vor, und
zum dritten Mal ertönt aus der Tiefe die Stimme: ^Swear"
Hamlet läßt die Freunde nochmals den Platz wechseln und
bittet sie neuerdings, feierlich zu schwören, niemals durch
Gebärde oder. Wort etwas von ihm zu verraten, so fremd und
seltsam er sich auch benehmen möge, da es ihm vielleicht
in Zukunft dienlich scheine, ein wunderliches Wesen zur
Schau zu tragen. Zum vierten Mal läßt sich der Geist ver-
nehmen: ^Sivear" — Nachdem die Freunde den Schwur ge-
leistet, entläßt sie Hamlet.
Betrachten wir nun, wie die Geisteserscheinung auf den
Helden, sowie auf die Gegenspieler wirkt.
Hamlet ist zwar infolge der Offenbarung des Geistes vom
tödlichsten Haß gegen seinen Oheim beseelt, aber trotzdem
äußert sich dieses Gefühl nicht in einer entscheidenden Tat,
wenigstens nicht für den Augenblick. Die Enthüllung des
schrecklichen Geheimnisses hat bei Hamlet zunächst eine voll-
ständige Erschlaffung der physischen und geistigen Kräfte
zur Folge. Die Tatsache, daß es überhaupt solche Schurken
gibt, erfüllt ihn mit namenloser Traurigkeit. Als Hamlet
sich von den Aufregungen der Entsetzensnacht einigermaßen
erholt hat, quält er sich vergebens ab, einen brauchbaren
Kacheplan zu finden. Denn immer steigen in ihm Zweifel
auf, welche die Durchführung eines Entschlusses vereiteln.
Die Hamlet beständig quälenden Zweifel hatten schließ-
lich sogar die Person des Geistes in Frage gestellt. Das
Schauspiel beseitigt auch dieses stärkste Bedenken. Hamlet
sieht mit absoluter Gewißheit in seinem Oheim den schuld-
bewußten Mörder seines Vaters. Zugleich aber ist für Hamlet
die Schwierigkeit, die ihm vom Geist übertragene Aufgabe
zu lösen, bedeutend gewachsen. Denn der König sieht sich
von seinem Neffen ausspioniert, er wird also voraussichtlich
Mittel anwenden^ um sich des lästigen Spions zu entledigen.
Da gibt der Zufall Hamlet die schönste Gelegenheit an die
Hand, dem König zuvorzukommen: er trifft seinen Oheim in
— 40 —
Gebet yersunkeD. Hamlet ist wieder untätig, der Moment
scheint ihm nicht richtig gewählt zu sein.
Durch die Herausforderung des Königs infolge des Schau-
spiels einerseits, durch seine Untätigkeit andererseits ist der
Held in eine verhängnisvolle Situation geraten. Die Möglich-
keit, das Gebot des Geistes zu vollführen, ist durch Ver-
säumen der günstigen Gelegenheit eine ziemlich unwahrschein-
liche geworden. Ist so schon das zweite Erscheinen des Geistes
hinreichend begründet, so werden wir durch die folgende Szene
von der Notwendigkeit eines nochmaligen Eingreifens des
Geistes in die Handlung geradezu durchdrungen.
Ungeduldig harrt die Königin ihres Sohnes. Sie soll ihm
nach dem Willen ihres Gatten ernstlich Vorhalt machen über
sein Benehmen und womöglich die Ursache dessen, was seine
Seele bedrückt, zu erfahren suchen. Die Königin erreicht
aber ihre Absicht nicht. Im Gegenteil, Hamlet ist entschlossen,
seiner Mutter wegen ihrer zweiten Heirat ernstlich ins Ge-
wissen zu reden. Seine Gereiztheit gegen seine Mutter äußert
sich zunächst in spitzigen Antworten auf ihre Fragen. Die
Königin will daraufhin ihre Bekehrungsversuche ohne weiteres
als unnütz aufgeben: "A^/y^ thai, TU sei ihose to you ihat ran
speak'' Aber jetzt gibt Hamlet der Mutter Klarheit über
seine Absichten.
*^Conip, coNie/^ sagt er zu ihr,
*^fnid sä yoH down; you shall not budye:
You go nof Uli I set you np a gla.<is
Wherc you uiay sce the himo.st part of you,^^
(HI, 4 S. 380.)
Die Königin, aufs höchste erschrocken, glaubt nicht anders,
als ihr Sohn wolle sie in einem Wahnsinnsanfall umbringen
und ruft um Hilfe. Polonius, der verabredetermaßen hinter
einem als Vorhang dienenden Teppich versteckt ist, stimmt,
da er die Königin in Gefahr wähnt, in den Hilferuf ein.
Hamlet, einem Impuls des Zornes gegen den Lauscher folgend,
zieht den Dolch, stößt durch den Teppich und ersticht den
Polonius. Hamlet meint, er habe den König getötet; die
Erkenntnis seines Irrtums beunruhigt ihn nicht im geringsten,
— 41 —
ein Benehmen, das durch seine hochgradige Erregung leicht
erklärlich ist. Denn er hat jetzt Wichtigeres zu tun. Und nun
macht Hamlet wahr, was er seiner Mutter angekündigt hatte, als
er ihr sagte, er wolle ihr einen Spiegel vorhalten, worin sie ihr
Innerstes erblicken werde. In der Tat, schwer ist die An-
klage, maßlos sind die Vorwürfe, die Hamlet gegen seine
Mutter erhebt. Wie Dolchstiche dringen der Königin die
harten Worte ihres Sohnes ins Herz. Als sich aber Hamlet
von seiner Aufregung und seinem Haß gegen den Oheim so
weit hinreißen läßt, den König einen Mörder zu nennen,
^A cutpurse of tJie empire and the rnlc,
Thai from a shelf the jytecious diadem atolcj
And put it in his pocket,'^
da erscheint der Geist seines Vaters von neuem. Hamlet ahnt
teilweise den Grund seines Kommens, wenn er ihn fragt:
^Do you not cofne tjotir tardy son to chide,
Thaty laps^d in iime and pa.ssion, kts go by
TK imporiant acting of yoiir dread command?^^
"^This risitati(jn^\ antwortet der Geist,
"/s hut to uhet thy ahnost blunied purpose,^^ —
""Bat höh'' fährt er fort,
^amaiement on thy mother sits:
0, Step betweni her and her fighting soulj —
Concett in weakest bodies strängest worksj —
Speak to her, Ilamlctr (III, 4 S. 382 und 83.)
Die Königin, die den Geist weder sieht noch hört, ist
allerdings entsetzt über ihren Sohn, da er die Augen auf
das Leere heftet und mit der körperlosen Luft redet. Ihr
Grauen mildert sich aber, als Hamlet sich wieder zu ihr
wendet.
Hamlet selbst ist nach der Erscheinung des Geistes
ruhiger geworden, der Sturm seiner Gefühle hat sich gelegt.
Er ist nachdrücklich wieder an seine heilige Aufgabe erinnert
worden, er überhäuft die Mutter nicht mehr mit heftigen Vor-
würfen, er berührt auch nicht mehr die unrechtmäßige Be-
sitzergreifung der Krone seitens des Königs. Um zu erreichen,
daß seine mahnenden Worte auf fruchtbaren Boden fallen,
sucht er die Mutter von seiner gesunden Vernunft zu über-
— 42 —
zeugen. Er warnt sie, sich selbst zu betrügen mit dem
Glauben, seine Worte seien nur die Ausgeburt des Wahn-
sinns; sie solle bereuen, nicht das Unkraut düngen und da-
durch dessen Wachstum vermehren. Hamlet will sich schon
von seiner Mutter verabschieden, als ihm ein Gedanke durch
den Kopf schießt: Soll nicht eine ernstliche Gefahr für ihn
und seine Rachepflicht heraufbeschworen werden, so darf der
König den Inhalt des Gesprächs mit der Mutter nicht er-
fahren. Deshalb gibt Hamlet seiner Mutter den sarkastischen
Rat, ihrem teuren Gatten diesen ganzen Handel aufzudecken,
daß er in keiner wahren Tollheit sei, nur toll aus List. Aber
die Königin erwidert ihm:
^Be (hon assur\i, if words he made of hrathj
And hrenth of Hfe, I have no Ufe to breafhc
What thou hast said to mf,'' (III, 4 S. 386.)
Auf die zweite Geisteserscheinung noch einen kurzen
Rückblick zu werfen, halte ich für notwendig. Wie Hamlet
durch seine Untätigkeit immer weiter von dem erstrebten
Ziel abkommt und so die Möglichkeit der Rache gefährdet,
ist vor der zweiten Geisteserscheinung ausführlich erörtert
worden. Die Gefahr aber wächst noch durch die Ermordung
des Polonius. Denn ein scharfsinniger Kopf wie der König
mußte, sobald er Kenntnis von der Tat bekam, in dem toten
Polonius nur das Opfer eines unglückseligen Irrtums erblicken.
Die Rache Hamlet's ist also stumpf geworden, nicht träge;
denn Hamlet sagt ja selbst, daß er neben der Kraft auch
den Willen habe, zu rächen. Da erscheint der Geist, um den
abgestumpften Vorsatz zu schärfen. Ferner war Hamlet über
den Auftrag des Geeistes hinausgegangen, als er die Mutter
mit so maßlosen Vorwürfen überhäufte. Er sollte die Mutter
dem Himmel und den Dornen überlassen, „die im Busen ihr
stechend wohnen". Und schließlich nennt' Hamlet, seiner
Leidenschaft nicht mehr Herr, den König einen Mörder, einen
ßeutelschneider von Gewalt und Reich, ist also im Begriff,
der Mutter das Geheimnis zu verraten, das ihm der Geist
anvertraute, und zu dessen Schutz ja einst die Stimme aus der
Tiefe ertönte. Ob aber die Königin ein solches Wissen vor
ihrem Mann hätte verbergen können, mag bezweifelt werden.
— 43 —
Was wäre die Folge gewesen? Der König wäre, sobald er
sich entdeckt gesehen, gegen Hamlet mit offener Gewalt vor-
gegangen, und die Rache wäre für immer vereitelt worden.
Das Erscheinen des Geistes aber beseitigt diese Gefahr und
ruft Hamlet nachdrücklich seine Pflichten ins Gedächtnis zurück.
Das wiederholte Eingreifen des Geistes in die Handlung
bedeutet, in kurzen Worten charakterisiert, ein den Verlauf
der Rachehandlung accelerierendes Moment. Denn
erstens unterstützt der Geist den Helden aus der Tiefe, als
dieser sich der Verschwiegenheit seiner Freunde versichern
will, um im Interesse der zu erfüllenden Aufgabe das Be-
kanntwerden der Geisteserscheinung zu verhindern. Zweitens
will der Geist den abgestumpften Vorsatz des Helden schärfen
und die die Vollstreckung der Rache hemmenden Umstände
beseitigen.
Wenden wir uns jetzt den Gegenspielern zu. Der König
hielt schon nach dem von ihm belauschten Gespräch Hamlet's
mit Ophelia seines Neffen Anwesenheit am Hofe für gefährlich
und beschloß infolgedessen, Hamlet zur Einforderung des
schuldigen Tributes nach England zu schicken. Das Schau-
spiel, der Tod des Polonius zeigen ihm aber, wessen er sich
von Hamlet zu versehen hat, und er ist gewillt, dem drohenden
Schlag vorzubeugen. Der König übergibt den Begleitern
seines Neffen ein Schreiben an den König von England, das
ihn, wie er hofft, für immer einer schweren Sorge überheben
soll. Zugleich verlangt er Hamlet's sofortige Abreise.
Wie Hamlet auf der Fahrt nach England entkommt,
wie er zurückkehrt, ist hier überflüssig, des genaueren zu er-
örtern. Der König, der seinen Anschlag mißlungen sieht,
ersinnt einen neuen, der wohl Hamlet's Tod, aber auch sein
eigenes Verderben herbeiführt. Denn in dem fingierten Wett-
kampf mit Laertes ersticht Hamlet den König mit dem ver-
gifteten Rapier. So erfüllt der Held endlich das Gebot des
Geistes.
Die Bedeutung des Geistes in ^IlamM^ liegt darin,
daß er im Gegensatz zu den bisherigen Geistern hervor-
ragenden Anteil an der Handlung nimmt: der Geist veran-
laßt durch seine Offenbarung den Entschluß des Helden, von
— 44 —
dem der ganze Verlauf der HaDdlung abbäugt und greift, als
der Held durch seine Untätigkeit und Unbedachtsamkeit die
Möglichkeit der Rache gefährdet, von neuem fördernd in den
Gang der Handlung ein. Aus der ^^theatralischen Puppe''' ist
eine organische Kerugestalt geworden. In markanten Worten
kennzeichnet Symonds^) den Unterschied zwischen Shak*
s p e r e ' s Geistern und denen seiner Vorgänger : "/» his hands
the Ohost was no longer a phanto^n roaminy in tJie cold, evoked
froni Erebus to hovcr round the aciors in a tragedy, but a spirit
of like iniellectual subsiance with those aciors^ a jmrcel of the uni-
verse, in ivhich all live and move aml have their being.^^
Der Geist in ''^ HamleC^ ist endlich eine echt volkstümliche
Figur, denn er illustriert viele von den Vorstellungen, welche
sich der Volksglaube von diesen überirdischen Wesen gebildet
hatte: so hielt man allgemein die Mittemachtsstunde für die
Zeit, in der Geister umzugehen pflegen. Wiederholt wird in
unserem Drama betont, daß der Geist des alten Hamlet in
der Mitternachtsstunde erscheint. Ferner glaubte man, daß
Geister in der nämlichen Kleidung erscheinen, die sie zu
Lebzeiten gewöhnlich trugen. Als Horatio dem Hamlet er-
zählt, wie der Geist dem Marcellus und Bernardo auf der
Wache erschienen sei, sagt er:
".4 lifjure likr your father^
Ar med nt pointy cxarily^ cap-a-pe,
Ajtprars hrfore thcnif and witk solcmn march
Goes slow and statrly by thenir (I, 2 S. 312.)
Und als der Geist wieder erscheint, spricht ihn Hamlet
folgendermaßen an:
'^JVhat niay ihis ntran,
That thoUy drad cnrse, aytiin, in cumphte s(ecl,
7iV r/,v/r.s7 tJiffs the fjlinfp.sps of ihe nioon,
Mnkiwj niyUi hhhousr (I, 4 S. 322.)
Bei Shakspere finden sich wiederholt Anspielungen
auf den alten Aberglauben, der besagt, daß gewisse Personen
die Macht hätten, Geister zu beschwören. Gelehrsamkeit
J; Symonds, I. c, S. 240.
— 46 —
wurde als die coud'äio sine qua non für den Beschwörer be-
trachtet. So sagt Marcellus zu Horatio mit Beziehung auf
den Geist:
^^Thou ari a scholar ; speak io it, Iloi'atio,^^
(1, 1 S. 300.)
Geister sind selten mehr als einer Person sichtbar, auch
wenn mehrere anwesend sind. Wir erinnern uns, daß im
IIL Akt, als der Geist dem jungen Hamlet in Gegenwart der
Königin erscheint, diese den Geist weder sieht noch hört.
Geister, hieß es, beobachten ein hartnäckiges Schweigen,
bis sie von der Person angesprochen werden, der ihr Er-
scheinen gilt. Daher fragt Hamlet den Horatio mit Beziehung
auf den Geist: ^^Did you not speak to it?^\ worauf Horatio
erwidert :
"J/// lord, I did;
But answer made it nouc ; yrd oncc, methought,
It Uff cd up its head and did address
Itself to viotion, like as it wonld speak.^^
(I, 2 S. 312.)
Allgemein war man überzeugt, daß die Geister besondere
Beweggründe haben, wenn sie das Reich der Toten verlassen,
so z. B. um einen Mörder der verdienten Strafe zu überliefern
usw. Daher beschwört Horatio den Geist:
''If there he any good ihing to he done,
That may to Üiee do ease, and grace to wie,
S2)eak io mr."
Aus einer Stelle in unserem Drama kann man entnehmen,
daß das Umgehen von Geistern oft auf dem Weg der Strafe
Terhängt wurde. Denn der Geist sagt zu Hamlet:
"/ am thy father^s spint ;
Doom'd for a cerfain ferm to walk ihe night,
And for (he day confin^d io fast in fires,
Till ihe foul crimes done in ¥ny days of nature
Are hurnt and purg^d atvay.^' (I, 5 S. 324 u. 325.)
Geister, sagte man, können das Tageslicht nicht vertragen
und verschwinden, sobald der Hahn den nahenden Morgen
rerktindet. Der Geist Ton Hamlet's Vater sagt:
— 46
^^But soft! meihinks I sce.nt ifie morning air ;
Brief let mc /ic." (I. 5 S. 326.)
Viel Geltung hatte endlich die Ansicht, daß jemand, der
über den Platz ging, auf dem ein Geist gesehen wurde, dem
bösartigen Einfluß dieses Geistes unterworfen war. Deshalb
sagt Horatio mit Beziehung auf den Geist:
"7^///, sofif hehold! lo, whei'c ü comes again!
ril ci'oss ü, though it hlast'tm:' (I, 1 S. 304.)
Wie in '^Grim the Collier of Croydon^^ und ^^Ilamler, so
bedeutet in Chapman's ^^Bnrnge of Bussy d^Amhois'^ die
Geisteserscheinung das erregendeMoment der Handlung.
10. Urvenge of Bussy d\Amhois,
Die Vorgeschichte unseres Dramas hatChapman unter
dem Titel ^^ Bussy d'Amhois'^ ebenfalls dramatisiert. Dieselbe
soll zur Erleichterung des Verständnisses in Kürze wieder-
gegeben werden.
Bussy d'Ambois wird von Monsieur an den Hof des
französischen Königs Henri gezogen. Monsieur, der Bruder
des Königs, trachtet nach der Krone und glaubt in Bussy
einen Mann gefunden zu haben, der ihn in seinem Vorhaben
unterstützen würde. -^ Er sieht sich aber bald in seinen
Voraussetzungen getäuscht. Dieser Umstand und der weitere,
daß Bussy die Gräfin Montsurry, um deren Gunst Monsieur
vergeblich sich beworben hat, zu seiner Geliebten macht, ver-
wandelt die beiden Freunde in tödliche Feinde.
Das rücksichtslose Benehmen Bussy's am Hofe den
Damen wie den hohen Aristokraten gegenüber ruft überall
Feindschaft hervor, insbesondere auch bei dem Herzog von
Guise. In Verbindung mit dem Herzog von Guise und
Monsieur beschließt nun der betrogene Graf Montsurry Bussy's
Tod. Von ^loutsurry in Sicherheit eingewiegt, geht Bussy
in sein Verderben und unterliegt den Dolchen der Mörder.
In ''Rcvenge of Bussy dWmhois*^ erscheint nun der Geist
des ermordeten Bussy seinem Bruder Clermont d'Ambois und
fordert ihn auf, seine Rache zu betreiben. Zugleich wünscht
der Geist die Rache durch Clermont allein vollstreckt zu
— 47 —
sehen. Bemerkenswert ist hier, daß der Dichter die Geistes-
erscheinung dem Zuschauer nicht vor Augen führt, sondern
in einem Dialog zu Beginn des Stückes von ihr berichten
läßt. Da der Geist durch seine Racheforderung einerseits
in dem Helden den Entschluß zur Rache hervorruft, andrer-
seits den Beginn der steigenden Handlung verursacht, kann
man sagen, daß er das erregende Moment der Handlung
repräsentiert.
Clermont indes beschließt, die Rache nicht in feiger,
hinterlistiger Weise zu üben, sondern schickt Montsurry eine
schriftliche Herausforderung, welche diesem mit List, unter
Beihilfe des Grafen Renel, eines Getreuen des d'Ämbois,
eingehändigt wird. Aber allmählich gerät das Rachewerk
ins Stocken, die dramatische Handlung wird bis zur Vn-
verständlichkeit kompliziert, die Charaktere entwickeln sich
nicht in konsequenter Weise. Denn Clermont und sein
Schwager Baligny geraten in Feindschaft, Clermont tritt mit
Guise, trotzdem dieser ein Mitverschworener gegen Bussy
war, in das freundschaftlichste Verhältnis. Guise entzweit
sich mit dem Bruder des Königs, der König selbst sinnt auf
Guise^s Verderben.
Endlich erträgt es Bussy's Geist nicht länger und er-
scheint dem Clermont in Gegenwart des Herzogs von Guise,
für den er unsichtbar bleibt, und fordert dringend Rache.
Er erklärt zugleich, daß er an Monsieur gerächt sei, indem
dieser während seines Aufenthaltes in seiner niederländischen
Provinz zugrunde ging.
Bussy's Geist erscheint in einer weiteren Szene dem
Grafen Renel sowie den Damen Charlotte, Baligny's Gattin,
und Tamyra, der Gräfin von Montsurry. Tamyra, seine ehe-
mahge Geliebte, will ihn küssen, was aber der Geist mit fol-
genden Worten abwehrt:
^^Fbrhfnrc, The. (njrr, in ichirli
My figures llhicsse i.s imprcst, will hhtst,
Lef my renentje for all loucs saiisße.
In which (damc) fiarc not, Clermont shnll not dye\
No icord diqmtc inorCj r/?, and see iKcncnty
(Pearson, V, 1 S. 172.)
- 48 —
Daon wendet sich der Geist an Renel und fordert ihn
auf, die Türen zu schließen, wenn Montsurry eingetreten sei,
damit er nicht entwischen könne.
Das Wiederholen der Racheforderung von Seiten des
Geistes, welches hezweckt, das ins Stocken geratene Rache-
werk wieder in Fluß zu hringen, sowie die Anweisung, welche
der Geist hier gibt, um den Mörder möglichst bald und sicher
zur Rechenschaft zu ziehen, enthalten für das Fortschreiten
der Handlung ein accelerierendes Moment.
In einem kurzen Monolog endlich, den der Geist nach
dem Weggang der Damen und des Grafen Renel spricht, be-
reitet er uns auf die Katastrophe vor:
^^The blacke soß-fooied houre is now on iving,
Wh ich for my just wreake, Ghosts shall celcbi'atef
With dnnces dire^ and of inferuall siedet
(V, 1 S. 172.)
Bevor aber die Rache an Montsurry vollzogen wird, fallt
Guise durch die Mörder des Königs, der ihn wegen seiner
Macht schon längst dem Tode geweiht hatte. Erst nach
dessen Untergang kommt die Reihe an Montsurry, der von
Clermont zum Zweikampf gezwungen wird und darin fallt
Die Rache ist damit vollstreckt, und jetzt treten die Geister
aller im Stück Erschlagenen nebst Bussy d'Ambois* Geist
auf und tanzen unter Musik um den Leichnam des Montsuny
herum.
Auch der Geist Bussy's illustriert einige von den Tor-
stellungen, welche der Volksglaube von den Geistern hatte.
So dachte man sich die Geister in der Regel als schatten-
hafte, wesenlose Gestalten. Als die Gräfin Montsurry den Geist
Bussy's küssen will, verwehrt es dieser mit den Worten:
*'Forbearc. Tfie aip-e^ in which
My figures Uknesse is imjyrest, will blast"
(V, 1 S. 172.)
Wie schon erwähnt, war man der Meinung, daß ein
Geist selten mehr als einer Pereon sichtbar sei, auch wenn
mehrere Personen anwesend seien. Als der Geist Bussy's
— 49 —
seinem Bruder Clermont in Gegenwart des Herzogs von Guise
erscheint^ bleibt er für letzteren unsichtbar.
Seneca's Einfluß bekundet sich vor allem in der
Charakteranlage des Haupthelden Clermont^ von dem Ward
folgende prägnante Schilderung entwirft: ^^He is a ^Seneoal
man'y a philosopher who contemns the minions by whom he is
sunoufuled. Yet he is not the less bravey because he can ^contain^
his *fire, as hid in emb€rs\ He adheres with loyal fidüity to his
patron Giiise, after wliose death he cofnmits suicide in the spirU
of a true Stoic.''^^) — Ganz besonders aber läßt die Sprache
Chapman's auf ein eingehendes Studium des römischen
Tragödiendichters schließen. Seneca's rhetorische Weit-
schweifigkeit, seine Neigung zu philosophischen Eeflezion^d,
Bildern und Gleichnissen, das alles findet sich in unserem
Drama in reicher Fülle.
11. Macbeth.
Das einzige Drama, in dem der Geist dazu di^t, den
höchsten Punkt der steigenden Handlung mächtig herauszu-
heben, ist Shakspere's ^Mad>eth'\ Zugleich symbolisiert
der Geist die Gewissensqualen des Mörders.
Die Tor dem Höhepunkt liegenden Ereignisse werden als
bekannt vorausgesetzt.
Macbeth hat dasi Ziel seiner Wünsche erreicht: in Scone
wird er zum König gekrönt. Aber jetzt beängstigt ihn jene
Weissagung, welche die drei Schicksalsschwestern Banquo
gegeben haben, und alsbald ist sein Entschluß gefaßt. Für
Banquo's Stamm will er sein Herz nicht befleckt haben.
Mit heuchlerischer Freundlichkeit bittet er Banquo, am Abend
bei dem festlichen Krönungsmahle sein Gast zu sein. Der
Arglose ahnt nicht, daß seine letzte Stunde nahe ist.
Der gesamte Adel des Landes hat sich im Prunksaale des
Schlosses versammelt, um die Krönung des Königs festlich
zu begehen. Bevor Macbeth seine Gäste willkommen heißt,
bringt ihm einer der gedungenen Mörder die Nachricht, daß
Banquo sein Leben ausgehaucht habe. Dagegen sei dessen
») Ward II, S. 420.
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXV. 4
— 50 —
Sohn Fleance entkommen. Der letztere Umstand ist zwar ein
Wermutstropfen in seinen Freudenbecher, aber Macbeth ist
einstweilen mit dem Erreichten zufrieden. Als liebenswürdiger
Wirt begrüßt er seine Gäste, bedauert, daß Banquo noch
nicht eingetroffen ist, indem er zugleich die heuchlerische
Versicherung gibt, daß er lieber Unhöf lichkeit von dem Freund
voraussetzen als wegen eines Unfalles ihn bedauern möchte.
Eben will sich Macbeth selbst an der Tafel niederlassen, da
erblickt er etwas, was ihm das Blut in den Adern erstarren
macht: sein Stuhl ist von Banquo's Geist besetzt. Das Be-
nehmen des Königs, der bleichen und verstörten Antlitzes
auf seinen Platz stiert, erregt bei seinen Gästen das größte
Befremden. Ross, ein Höfling, fordert diese auf, sich zu
erheben, da dem König nicht wohl sei. Doch dem wider-
spricht Lady Macbeth. Sie sollten den König nicht beachten,
das sei nur ein augenblicklicher Anfall, der schnell wieder
vorübergehe. Lady Macbeth glaubt ihrerseits den König von
plötzlichen Gewissensbissen gepeinigt und ergießt ob dieser
unmännlichen Furcht die ganze Schale ihres Spottes über den
Gemahl. Endlich wird Macbeth von seinem Peiniger erlöst;
der Geist verschwindet. Daß Verstorbene von den Gräbern
erstehen **with iwcniij mortal murders on Hieir erowns", düukt
dem König seltsam und unerhört. In seinem Selbstgespräch
wird er von Lady Macbeth unterbrochen, welche ihn an seine
Pflicht als Gastgeber erinnert:
^My worthy lord,
Your noble friends do lack you.^^ (IH? 4? 83 f.)
Indem der König den Gästen gegenüber sein Benehmen
mit einem alten Leiden entschuldigt, ergreift er den vollen
Becher, um auf das Wohl aller Anwesenden, sowie seines
Freundes Banquo zu trinken. Aber gleichsam als hätte
Macbeth den Geist des Erschlagenen beschworen, erscheint
derselbe zum zweiten Mal inmitten der Versammlung.
^^Avauni! and quit my sight! let the earth hide theel^^
ruft Macbeth voll Entsetzen dem Gespenst zu. Wie nieder-
schmetternd der Eindruck ist, den der Anblick dieses gräß-
lichen Schattens bei dem sonst so unerschrockenen König
— 51 —
hervorbrmgt, zeigen am besten die Worte, die er an den Geist
richtet :
" What man dare, I dare :
Approach ihou like the rugged Russian bear,
The arm'd rhbioceros, or the Hyrcan tiger;
Take nny shape bul thaf, and my firm nerres
Shall mvef' trembkr (III, 4, 99flF.)
Mit der Krönung Macbeth's zum König sind wir auf
dem Höhepunkt der dramatischen Entwicklung angelangt,
der in dem festlichen Krönungsmahle lebendig veranschaulicht
wird. Dem Dichter aber genügt diese Hervorhebung des
Höhepunktes noch nicht. Jetzt, nachdem Macbeth das heiß-
erstrebte Ziel erreicht hat, ringt sich das mit Verbrechen be-
lastete Gewissen zu einem qualvollen Aufschrei durch, was in
der durch den Anblick des Geistes verursachten Gemütd-
erschütterung seinen ergreifenden Ausdruck findet. Die dra-
matische Wirkung dieser Szene charakterisiert Frey tag
treffend: „Do« Ringen mit dem Geist und die fürchterlichen Ge-
wissenskämpfe des Mörders sind in der unruhigen Szene, xu welcher
die festliclie Geseilscfiaft und der Königsglanz den wirksamsten
Kontrast bilden^ mit eitier Wahrheit und wilden Poesie geschildert,
bei der das Herz des Hörers erbebt.*'
Aber die Geisteserscheinung dient nicht nur dazu, die
dramatische Wirkung der Höhepunktszene zu verstärken, sie
bedeutet auch ein den weiteren Verlauf der Handlung ac-
celerierendes Moment. Denn abgesehen davim, daß
der leidende Gemütszustand des Königs die sofortige Auf-
hebung des Krönungsmables erheischt, eilt Macbeth, durch
die Geisteserscheinuug in hohem Grad über seine Zukunft
beunruhigt, am nächsten Morgen wiederum zu den Schicksals-
schwestern, wo er die zweite verhängnisvolle Weissagung er-
hält, die ihn auch fernerhin den blutigen Pfad des Verbrechens
verfolgen heißt, bis ihn eben dieser Weissagung zufolge in
Macduff die rächende Nemesis erreicht.
Die Kaltblütigkeit, die verzweifelte Tapferkeit, mit der
Macbeth dem Tod ins Auge schaut, erinnert natürlich an die
») ITreytag, 1. c, S. 112.
— 52 —
Todesverachtung, welche die Senec ansehen Charaktere aus-
zeichnet.
Der „Geist" verursacht den Beginn der fallenden
Handlung in ^^Second Maiden* s T)agedj/\ ^^ Antonio and Mel-
lida'% ''The White DeviV\
12. ''The Sccond Maiden' s Tragedy:'
Ein Tyrann hat den rechtmäßigen König Grovianus des
Thrones beraubt. Überdies sucht der Tyrann noch die Braut
von Govianus zu seinem Weibe zu machen. Allein die "Lad^'"
erklärt auf das Bestimmteste, daß sie nie einen anderen lieben
werde als Govianus. Da der Tyrann die "L<m^" nicht zur
Heirat mit ihm bestimmen kann, will er sie wenigstens zu
seiner Geliebten machen. Er schickt schließlich einen Edel-
mann, Sophonirus, zu ihr mit dem Auftrag, sie mit Gewalt
ztl ihm zu bringen, wenn sie nicht gutwillig auf diesen Plan
des Tyrannen eingehen sollte. Sophonirus wird von Govianus
erschlagen. Aber angesichts des gewalttätigen Vorgehens des
Tyrannen glaubt die "iMd^f ihre Ehre nur durch den Tod retten
zu können und begeht Selbstmord.
Als der Tyrann hiervon Kenntnis erhält, ist er außer
sich vor Kummer und Wut. Er läßt das Grab der "Ladif
öffnen und den Leichnam in seinen Palast bringen. Hier
schmückt er die Tote mit den kostbarsten Kleidern und
Juwelen und gibt ihr die Beweise der zärtlichsten Liebe.
Mittlerweile besucht Govianus das Grab der "Lady'\ Da
erscheint ihr Geist und erzählt Govianus, daß der Tyrann
die Ruhe der Toten gestört habe und daß er dem Leichnam
die überschwänglichsten Zärtlichkeiten erweise. Ja, um auf
dem bleichen Antlitz wieder den Anschein des Lebens hervor-
zurufen, wolle er es von kunstvoller Hand bemalen lassen.
Mit der Bitte, der Toten die Ruhe wiederzugeben, verschwindet
der Geist. Govianus ist entschlossen, dieser Bitte zu will-
fahren und den unerhörten Frevel an dem Tyrannen zu rächen.
Die Grabesschäudung der "Lady'* von selten des Ty-
rannen ist der Höhepunkt des Dramas, zugleich der Höhe-
punkt in der verbrecherischen Laufbahn des Tyrannen. Jetzt
beginnt der Umschwung oder die fallende Handlung,
— 53 —
welche durch die Geisteserscheinung in Bewegung gesetzt
wird. Denn die Worte des Geistes bewirken in Govianus
den Entschluß zur Rache, von welchem die folgende Handlung
abhängt.
Govianus gelingt es, in einer Verkleidung vor den Ty-
rannen zu gelangen, angeblich um das Gesicht der "Larf?/" zu
bemalen. Er bemalt es wirklich, aber mit tödlichem Gift.
Seiner Gewohnheit gemäß küßt der Tyrann das Gesicht der
verstorbenen *^La(hf\ Da wirft Govianus seine Verkleidung
ab und eröffnet dem Tyrannen, daß er vergiftet sei und daß
der Geist der ^^Lady*^ ihm die Rache anbefohlen habe. Jetzt
erscheint dieser zum zweiten Male und lobt Govianus für
seine Tat.
Govianus wird wieder zum König ausgerufen. In feier-
licher Prozession, welcher auch der Geist folgt, läßt Govianus
den Leichnam der "Lar///" an seine Ruhestätte zurückbringen.
Wie ein alter Volksglaube besagte, wurde das Kommen
eines Geistes durch gewaltiges Getöse angekündigt: ^The
Coming of a Spirit is annoKticed sofiie time hefore its appearance
hy a vmneiy of loud and dreadfid noises.^^ ^) Hören wir, wie die
Ankunft des Geistes in unserem Drama gemeldet wird: ^On
a sudden, in a kind of noisr like a wind, thc doors claitering, fke
iomhstone flies open^ and a great light appears in thc midst of ihe
tomb ; his lady as ivent out, stand ing befare him all in white,
stuck with jciidsj and a great nucißj' on her bieasf,^^
(Dodsley-Hazlitt, Bd. X, IV, 4.)
13. Antonio and 2[eUida von Mars ton.
Die Herzöge von Venedig und Genua, Piero Sforza und
Andrugio, hegen tiefen, unaussprechlichen Haß gegeneinander.
Im Gegensatz zu ihren Vätern sind Antonio und Mellida in
herzlicher Liebe einander zugetan. Xach vielen Wechsel-
fällen gelingt es Andrugio und seinem Sohn Antonio, mit
Hilfe einer List von Sforza die Einwilligung in die Heirat
seiner Tochter ilellida mit Antonio zu erzwingen. Die Ver-
») Brand, J. c. II, S. 423.
— 54 —
mählung der beiden Liebenden wird gefeiert. — Das ist in
kurzen Worten der Inhalt des 1. Teiles von ^Antonio and
MelUda'\ dessen Kenntnis notwendig ist zum Verständnis des
2. Teiles, auch betitelt: ^Antonid's Bevnige^'.
Schon der nächste Morgen soll Zeuge schauerlicher Ver-
brechen sein. Am Abend des Hochzeitstages hat nämlich
Piero Sforza dem Becher Andrugio's Gift beigemischt, das
in der Nacht Andrugio's Tod herbeiführt. In der gleichen
Nacht hat Sforza's Helfershelfer, Strotzo, den Venetianer
Feliche, Antonio's Freund, erdolcht. Mit schmählicher Lüge
sucht der Herzog diese dunkle Tat zu rechtfertigen. Er selbst,
Sforza, habe diesem ehebrecherischen Buben das Leben ge-
nommen, da er mit seiner Tochter Mellida auf offener Tat
ertappt worden sei. Während der Herzog noch spricht,
kommt Strotzo und bringt die Nachricht, daß die Freude über
den unerwarteten Glücksumschwung Andrugio getötet habe.
Auf die Meldung von der Versöhnung der beiden Her-
zöge ist Andrugio's Gemahlin, Maria von Ferrara, an Sforza's
Hof gekommen, um ihren Gatten nach langer Trennung
wiederzusehen. In Anbetracht der politischen Vorteile, auch
infolge der alten, wiedererwachten Liebe trägt sich Sforza
mit dem Gedanken, die schöne Witwe zu heiraten, um deren
Gunst er sich einst vergeblich beworben hatte, was ja als
die Wurzel der Feindschaft zwischen Sforza und Andrugio
anzusehen ist. Um aber diesen Plan verwirklichen zu können,
muß Antonio vernichtet werden. Mellida wird wegen des an-
geblichen Ehebruchs von ihrem Vater vor ein Gericht gestellt.
Als Hauptbelastungszeuge soll Strotzo auftreten und aussagen,
er habe, von Antonio bestochen, Mellida bei ihrem Vater
verleumdet, geradeso wie er den alten Andrugio auf Betreiben
Antonio's umgebracht habe.
Doch über Piero's Haupt zieht sich ein drohendes Ge-
witter zusammen. Als Antonio zu nächtlicher Stunde am
Grabe seines Vaters betet, erscheint ihm der Geist Andrugio's,
enthüllt ihm, daß er durch Sforza vergiftet worden sei, und
fordert ihn zur Rache auf:
"/ was empoisond hy Püro^s hand,
hWenrje my hloodr (Bullen, Bd. 1, lU, 1. S. 144.)
— 65 —
Auch bestärkt der Geist Antonio in seiner Überzeugung
von der Unschuld Mellida's. Endlich macht der Geist die
betrübende Mitteilung, daß Antonio's Mutter Maria gesonnen
sei; mit' dem Herzog Sforza in die Ehe zu treten, einem
Manne, der sie des Gatten beraubt habe und danach trachte,
sie auch ihres Sohnes zu berauben. Der Geist kündigt des-
halb seinen Besuch bei seiner ehemaligen Gattin an. Indenoi
er seinem Sohne nochmals die Bachepflicht auf die Seele
bindet {Inrent sonie siraiagem of vengeance) und ihn mit einem
Sene ca 'sehen Verse ^) zur Energie aufmuntert, verschwindet er.
Die Geisteserscheinung bezeichnet einen Wendepunkt im
Gang der Handlung. Das Spiel oder die Aktion, deren Seele
Sforza ist, treibt die Handlung l.is zu einer gewissen Höhe
(Ermordung Andrugio's und Peliche's, Sforza's Plan zur Ver-
nichtung Antonio's). Antonio, der Repräsentant des Gegen-
spieles oder der Reaktion, scheint jdurch Sforza's Pläne dem
Untergang geweiht. Da erscheint der Geist und ruft durch
seine Mitteilung in Antonio den Entschluß zur Rache hervor,
von dem die ganze folgende Handlung abhängt. Die Offen-
barung des Geistes verursacht also den Beginn der fallenden
Handlung.
Der Geist greift aber auch fernerhin in den Gang der
Handlung ein, geht umher „wie ein TJieaterregisseur, der nach'
sieht, ob alles in Ordnung ist^* -) und bereitet uns endlich auf
die Katastrophe vor.
Dem Gebot des Geistes gemäß beginnt Antonio die Rache,
indem er Piero's Söhnlein Julio am Grabe seines Vaters hin-
schlachtet. Rührend ist die Bitte des unschuldigen Kindes,
es um seiner Schwester willen zu schonen. Und fast scheint
es, als ob Antonio der Regung eines edleren Gefühles nach-
geben wolle. Wenigstens seine Worte: **0, for thy sisier's
sake, I flog revenge^^ (lU, 1 S. 150) lassen dies vermuten.
Aber da ertönt aus der Tiefe die Stimme des Geistes: ^^Jie-
%'€nge^\ gleich als ob Andrugio seinen Sohn hätte warnen wollen,
einer plötzlichen Anwandlung von Mitleid zu unterliegen. In
*) ^Scele^-a non ulcisceris, nisi innm" (Thyeitea 196 — 96).
«) Cf. Shakespeare-Jahrbuch 33, S. 99.
— 56 —
der Tat, Antonio bleibt bei seinem ursprünglichen Entschlüsse,
und der bedauernswerte Julio muß sterben, weil Piero's Blut
in seinen Adern fließt.
Wie Andrugio's Geist vorhergesagt hat, erscheint er auch
seiner einstigen G-emahlin Maria. Diese, im Begriff sich zur
Ruhe zu begeben, findet den Geist ihres Mannes auf ihrem
Bette sitzend. Mit strengen Worten macht der erzürnte Geist
der Erstaunten Vorhalt wegen ihres lieblosen Entschlusses,
Sforza zu heiraten. Doch ruft er ihr zu:
"i pardon iheey poor soul ! 0 sfied no iears ;
Thy sex is weakJ' (III, 2 S. 164 und 165.)
Des weiteren unterrichtet er sie von dem gewaltsamen
Ende, das er durch Sforza gefunden hat, und bittet sie, sich mit
ihrem Sohn gegen den Herzog zu verbinden. Des letzteren
Liebeswerben solle sie scheinbar begünstigen, bis der richtige
Zeitpunkt für die Rache gekommen sei. Kaum hat der Geist
ausgesprochen, als Antonio hereintritt, den von Julio's Blut
befleckten Dolch in der Hand. An Antonio richtet nun
der Geist die Mahnung, eine Verkleidung anzulegen, um so
besser an Sforza's Hofe eine Gelegenheit zur Rache wahrzu-
nehmen.
Wie wir sehen, begnügt sich der Geist nicht, in dem
Helden den Entschluß zur Rache wachzurufen, er hält noch
ein weiteres Eingreifen in die Handlung für notwendig. Denn
erstens läßt er aus der Tiefe den Ruf "7?-ßrcn^e" ertönen,
um Antonio zur Grausamkeit gegen die Familie seines
Mörders aufzustacheln und ihn so in dem Entschlüsse zur
Rache zu bestärken. Zweitens fordert er seine Gemahlin
Maria auf, sich mit ihrem Sohne gegen Sforza zu verbinden.
Endlich gibt er seinem Sohne Anweisungen, welche die Voll-
führung der Rache erleichtern sollen. Alle diese Bemühungen
des Geistes zielen natürlich auf eine Förderung, bzw. Be-
schleunigung der Rache ab, mit anderen Worten, in dem wieder-
holten Erscheinen des Geistes haben wir ein accele-
rierendes Moment zu erblicken.
Eingedenk der Worte des Geistes verkleidet sich Antonio
als Narr, um besser dem Rachewerk dienen zu können.
An dem nun folgenden Gerichtstage wird Strotzo nach
— 67 —
seiner lügenhaften Aussage von Piero Sforza selbst erwürgt.
Gleich darauf eilt Alberto mit der Nachricht herbei, Antonio
habe sich in einem Anfalle geistiger Störung von einem Turme
in die hochgehende See gestürzt. In Wirklichkeit wohnt
Antonio, mit dessen Einverständnis Alberto obiges Gerücht
verbreitet hat, als Narr verkleidet der Gerichtssitzung bei.
Der unglücklichen Meilida bricht diese fingierte Schreckens-
kunde das Herz ; sie wird ohnmächtig hinausgetragen und stirbt.
Den letzten Akt eröffnet Andrugio's Geist mit einem
Monologe, den er mit zwei Versen aus Seneca's ^Octavia"
(629—30) einleitet:
^Venit dies Umpusque quo reddai suis
Animam nocentem scderibits,^^
Mit unwiderstehlicher Gewalt drängt es den Geist, sein
überströmendes Gefühl der Freude dem Publikum mitzuteilen :
Endlich werde sein Todfeind Piero von der gerechten Strafe
ereilt werden. Eine Verschwörung habe sich gegen den Herzog
gebildet. Die Stände Venedigs, von dem verbrecherischen
Treiben des Tyrannen Sforza in Kenntnis gesetzt, wären in
Haß gegen ihn entbrannt und könnten kaum noch zurück-
gehalten werden, in offenen Aufstand auszubrechen:
•'O, Piow triumphs my glwst,
Exclahning, Ikaven^s jiist^ for I shall see
The scourge of murdei' and impieiyy
(V, 1, S. 178.)
Indem Andrugio's Geist uns von der gegen Sforza ge-
bildeten Verschwörung, sowie von dem drohenden Aufruhr
der Stände Venedigs unterrichtet, weckt er in uns die Ahnung
von Piero's nahem Ende, bereitet uns also auf die Kata-
strophe vor.
rngeachtet des Todes seiner Tochter, will Sforza seine
Hochzeit mit Maria von Perrara nicht länger hinausschieben,
sondern noch an demselben Tage feiern. Das ist aber die
Gelegenheit, welche die Verschworenen Antonio, Pandulfo
und Alberto zur Durchführung ihres Racheplanes ausersehen
haben. Sie besuchen maskiert das Fest. Auf ihre Bitten
befiehlt Herzog Sforza allen Anwesenden, den Saal zu ver-
— 58 —
lassen. Nun da sie mit Piero allein sind, überfallen die Ver-
schworenen den Herzog, fesseln ihn und reißen ihm die Zange
aus. Unter beißenden Spottreden zeigen sie ihm sodann die
Leiche seines ermordeten Sohnes und stoßen ihn schließlich
mit ihren Schwertern nieder.
Selbstredend hat sich Andrugio*s Geist diesen herz-
erquickenden Anblick nicht entgehen lassen, sondern wohnt
diesem Schauspiel von Anfang bis zu Ende bei und weidet
sich an den Qualen seines Opfers.
Die Ähnlichkeit, welche der Geist Andrugio's mit dem
Geist im ^Hamlet" aufweist, ist geradezu auffallend. In beiden
Dramen erscheint der Geist des durch Gift ermordeten Vaters
dem Sohne, bewirkt in ihm den Entschluß zur Rache, von dem
die ganze folgende Handlung abhängt, und greift auch weiter-
hin fördernd in den Gang der Handlung ein. Interessant ist,
daß in beiden Dramen der Geist einmal aus der Tiefe herauf-
spricht. Ferner erscheint der Geist einmal Mutter und Sohn,
allerdings in beiden Dramen unter ganz verschiedenen Um-
ständen.
Die zahlreichen lateinischen Zitate, denen man beim
Lesen der Tragödie begegnet, stammen natürlich von Seneca.
Als gelehriger Schüler des römischen Meisters und seiner
Nachahmer — außer ^Havikf* denke man namentlich an die
^Spa?n'sh Tragedtf^ und den ^Titns Andronicus*^ — zeigt sich der
Dichter besonders in V, 5; indem er uns hier ein Bild voll
entsetzlicher Greuel vor Augen führt. Die Rächer reißen dem
Herzog Sforza die Zunge aus und zeigen ihm die zerstückelte
Leiche seines* Sohnes in einer Schüssel. Endlich gemahnt
die Sprache Marston 's in dem rednerischen Bombast und
in den philosophischen Reflexionen an Seneca.
14. " The White Deril, or Vittorm Cormnbona'^ von Webster.
Paulo Giordano Ursini, Herzog von Brachiano, ist mit
Isabella, der Schwester des Herzogs Franzisco de Medicis,
verheiratet. Doch die Neigung zu seiner Gemahlin erkaltet
immer mehr, nachdem Brachiano die schöne Venetianerin
Vittoria Corombona, die Gattin des Camillo, kennen gelernt
hat. Der Wunsch, den Gegenstand seiner glühenden Liebe
— 69 —
ungestört besitzen zu können, bringt in Brachiano den ruch-
losen Plan zur Reife, seine Gemahlin sowohl wie Vittoria's
Mann aus dem Wege zu räumen. Mit der Ermordung Isabella's
beauftragt Brachiano einen gewissenlosen Arzt. Camillo zu
beseitigen, erbietet sich der Bruder Vittoria's, Flamineo, eine
in jeder Hinsicht dem Herzog Brachiano ergebene Kreatur.
Kurz nachdem diese Verbrechen geschehen sind, wird
Vittoria vor einen geistlichen Gerichtshof gestellt, um sich
wegen Ehebruchs zu verantworten. Das Urteil des Gerichts
geht dahin, Vittoria in eine Besserungsanstalt zu überführen.
Auf die Nachricht von dem Tod seiner Schwester Isa-
bella richtet sich Pranzisco's Verdacht ganz natürlich gegen
Brachiano und er sinnt auf Rache an seinem Schwager und
dessen Spießgesellen. Wie um einen inneren Antrieb zu
energischer Rachetat zu erhalten, will Franzisco das Ange-
sicht seiner toten Schwester gleichsam vor sein geistiges Auge
zaubern :
"Tb fashion my revenge inore sei'ioysh/,
Let me remember my dead ^ister^s face:
ril dose mine eyes,
And in a melancholie tkouyht Pll frame
Her figiire 'fore me"
(Hazlitt, Bd. 2, III, 3 S. 78 u. 79.)
Doch was ist das ? Hat ihm seine Einbildungskraft dieses
Trugbild geschaffen, oder steht wirklich Isabella's Geist vor
ihm ? An die Existenz von Geistern glaubt der Herzog nicht,
er hält die Erscheinung für eine Ausgeburt seiner überreizten
Phantasie: der Gedanke bewirke, gleich einem geschickten
Gaukelkünstler, daß wir Dinge für übernatürlich hielten, die,
wie eine Krankheit, ihre gewöhnliche Ursache hätten:
^^How strong
Imagination worksf how she can frame
Things irhich are not! . . .
Thought as a subile juggler, makes ?/ä deem
Things »upernaUiral, whirh hare cause
Common as sickness.'' (HI, 3, S. 79.)
♦ — 62 —
Endresultat der dramatischen Entwicklung irgend einen der
Spieler oder Gegenspieler erwartet.
fiald darauf erscheinen Lodovico und Gasparo, um an
Vittoria und Flamineo die Rache zu vollziehen. Mutig und
unerschrocken, wie Seneca's vom Geist der stoischen Philo-
sophie erfüllte Männer, gehen beide in den Tod. Vittoria
bewillkommnet den Tod "cw princes do some great ambofisadors-'
(V, 2 S. 139). Ihrem Mörder bietet sie freiwillig die Brust
zum tödlichen Stoß: "77/ meet ihy weapon half way" Und
Flamineo stirbt mit der Betrachtung:
"ire cease to grieve^ cease to he fortune^s slaveSf
Nay, cease to die hy dying" (V, 2, S. 140.)
Durch die Natur der Sache war ich genötigt, schon früher
einige Geister zu behandeln, die auf die Katastrophe vor-
zubereiten hatten. Es waren dies der Geist des Bnssy
d'Ambois, der Geist Andrugio's und der Geist des Brachiano.
In dieser Eigenschaft wird uns der Geist noch in einer
ganzen Reihe von Dramen begegnen, nämlich in ^Locnne^\
''Riehard //", ''Richard Iir\ ''Second Pari of King Edward IV",
"Julius Caesar^\ '' Sophonisba'', ''The Ätlmsts Tragedtf\ "The ün-
natural Combat", "The Changeling'' und "The Tragedy of Albertus
Wallenstein".
15. Loa-ine (Verfasser unbekannt).
Streng genommen zerfallt "Locrine" in zwei Teile. Die
eigentliche Haupthandlung beginnt erst mit dem IV. Akt,
während die drei ersten Akte als Vorgeschichte betrachtet
werden können. In dieser Vorgeschichte sehen wir ebenfalls
einen Geist auftreten, dessen Erscheinen nicht auf eine ein-
zelne dramatische Wirkung hinzielt, sondern der fordernd,
bzw. beschleunigend in den Gang der Handlung eingreift
Der sterbende Brutus, König von Britannien, verteilt
sein Reich unter seine drei Söhne Locrine, Camber und
Albanact. Des letzteren Provinzen überzieht der Scythenkönig
Humber mit Krieg. Albanact zieht gegen den Eroberer zu
Felde, wird aber in der Schlacht von Humber besiegt. Schwer
verwundet hat Albanact nur einen Ausweg, zu fliehen oder
— 63 —
zu sterben. £r zieht einen ehrenvollen Tod schimpflicher
Flucht vor und ermordet sich selbst.
Um den Tod seines Bruders zu rächen, rüstet Locrine
zum Kriege gegen Humber. Vor der Schlacht erscheint nun
dem Humber der Geist des Albanact und kündigt ihm ein
gewaltiges Blutbad an. Des Geistes Prophezeiung trifft ein.
Humber erleidet durch Locrine eine große Niederlage. Auf
der Flucht vor seinen Feinden hält Humber inne und macht
in einem langen Monologe seinem gepreßten Herzen Luft. Er
verflucht Himmel und Erde, die Götter und die Sterne, er
verflucht die Wogen des Meeres, weil sie seine Schiffe nicht
an den Felsen und Klippen zerschellten, ehe er Britanniens
Gestade erreichen konnte. Mitten in diesem Schmerzenserguß
steht plötzlich des Albanactus Geist vor dem Scythenkönig.
^But why comes Albanactus^ hloody f/host,
To bring a cor'sive to our miaerks?^^
(Tauchnitz, III, 6, S. 168.)
fragt Humber. ^^Ikvenge^ rerenge for blood" schallt es ihm aus
des Geistes Munde entgegen. Welchen Eindruck die Er-
scheinung des Geistes auf Humber macht, zeigt zur Genüge
die schreckliche, aber auch ergötzliche Drohung, die der
Barbarenfürst dem Geist entgegenschleudert :
" When as I die, Fll drag thy ntrM ghost
Through all the rivers of foul Erebus,
Through btirning suiphur of the limbo-lake,
To allay the burnhig fury of that heat,
That rageih in mine everlasting soul"
(III, 6, S. 168.)
Seinen Feinden in der Schlacht ist Humber entronnen,
aber jetzt stellt sich ihm ein noch furchtbarerer Feind ent-
gegen: der Hunger. Überall umherschweifend kann der
Scythenkönig keine Nahrung finden und ist deshalb am Rande
der Verzweiflung. In der höchsten Not trifl't er Strumbo,
einen Soldaten aus Locrine's Heere. Diesen fordert er auf,
ihm sofort einige Nahrung zu verabreichen, widrigenfalls er
ihn am nächsten Felsen zerschmettern werde. Strumbo tut,
als wolle er Humber's Wunsch willfahren, aber als er seine
Hand ausstreckt, erscheint der Geist des Albanact und schlägt
— 64 —
ihn auf dieselbe. Über alle Maßen entsetzt gibt Strumbo
Fersengeld, Humber hinter ihm drein. Der blutgierige Geist
des Albanact will also dem Humber angesichts des nahen
Hungertodes das letzte Rettungsmittel Tor den Augen entreißen.
Der Geist des Albanact verfolgt seinen Feind wie ein«
Furie und sucht ihn zur Verzweiflung zu treiben. Sein
wiederholtes Erscheinen bezweckt demnach nichts anderes ak
eine Beschleunigung der Rache herbeizuführen, kann also ein
den Verlauf der Handlung accelerierendes Moment
genannt werden.
Humber ist seines jammerrollen Daseins müde geworden.
Hunger und Furcht vor Entdeckung seitens seiner Feinde
haben ihm das Leben verleidet ; er sucht und findet den Tod
in den Wellen. Seines Feindes Untergang ist aber Lab-
sal und Wonne für des Albanactus Geist, der jetzt erscheint
und über das Geschehene eine wilde Freude bekimdet. Für
den Aufenthalt in der Unterwelt hat der Geist dem Scythen-
könig ein interessantes Vergnügen zugedacht, indem er den
Rhadamanthus bittet, den Ixion zu begnadigen und dessen
Martern dem stolzen Humber aufzuerlegen.
Wir haben hier also einen ähnlichen Vorgang wie in der
^^Spanish TragediJ\ wo Andreas' Geist ebenfalls nicht mit dem
Tode seiner Feinde zufrieden ist, sondern sie noch durch aus-
gesuchte Qualen in der Unterwelt gezüchtigt wissen will.
Jetzt erst beginnt die eigentliche Haupthandlung. Locrine
lebt nach der Niederwerfung Humber's mit dessen Gemahlin
Estrilda heimlich zusammen. Die Furcht vor seinem Onkel
Corineus hält ihn einstweilen noch ab, seine Gemahlin Guen-
dolena, des Corineus Tochter, zu verstoßen und Estrilda zur
Königin von Albion zu erheben. Sieben Jahre hat nun schon
der greise Corineus zum größten Verdruß Locrine's gelebt.
Des ewigen Wartens müde läßt Locrine den unbequemen
Oheim beiseite schaffen, um seinen Herzenswunsch erfüllen
zu können. Aber das Verhängnis naht mit Riesenschritten.
Guendoleua ist zu dem Herzog von Cornubien geflohen, und
mit dessen sowie ihres Bruders Thrasimachus Hilfe sammelt
sie ein Heer, um für ihres Vaters Tod und den ihr zuge^
fügten Schimpf von Locrine blutige Sühne zu fordern.
— 66 —
Vor der Schlacht tritt der Geist des hingemordeten und
80 schwer gekränkten Corinens auf, nm Zeuge der Züchtigung
seines Feindes zu sein und sich an seinem Fall zu weiden«
Die ganze Natur weist nach den Worten des Geistes auf
die schreckliche Katastrophe hin, welche über Locrine herein-
brechen soll:
^^Beholdj the circuit of the axure sky
Throws forth sad throbs, and grievously »fispires,
Prejudicaiing Locrin^s overthrow,
The fire easieth forth sharp darts of flames ;
The great foundcUion of the triple world
Trernhleth and quaketh with a mighty noise,
Presaging bloody massacres at hand,
The Wanderin g Mrds that flutter in tJie dark
(Wfien hellish Night in chudy chariot seated,
CaMeth her mists on shady Telhis^ face^
With sohle manües covering all the earth),
Now fly abroad amid the cheerfnl day,
ForetelUng some unwonted misery, (V, 4 S. 186.)
Die Schilderung, die der Geist Yon der Natur entwirft,
bezweckt natürlich nichts anderes, als uns auf die Kata-
strophe vorzubereiten.
Locrine wird in der Schlacht besiegt und gibt sich, um
<Jer Gefangenschaft zu entgehen, selbst den Tod.
"Lomwe" gehört bekanntlich ebenso wie die ^Spanish
Tragedy^^ zu den Dramen, welche eine Mischung der Eigen-
tümlichkeiten des klassizistischen und des nationalen Dramas
aufweisen. Zwei Charakteristika des klassizistischen Dramas
sind nun in ^Lorrine^^ ohne weiteres zu erkennen : die Mischung
des Themas aus politischen und familiären Elementen, das
Motiv von der verbrecherischen Liebe, vom Ehebruch. Auch
ein Überrest des Chores hat sich noch erhalten : vor Beginn eines
jeden Aktes tritt Ate auf und erklärt das jedem Akt voran-
gehende dumb'shüWy bzw. dessen dunkle Anspielungen auf die
kommenden Ereignisse. Am Ende des Stückes erscheint Ate
noch einmal, moralisierend im Anschluß an die eben erlebten
Vorgänge.
Münchener Beiträge z. romauischeu n. engl. Philologie. XXXV. 5
— 66 —
16. Richard II, 1. Teil (Verfasser unbekannt).^)
Die GüDstÜDge Richard's II. erreichen es, daß dieser
endlich die Ermordung seines Oheims, des Lord Protektors
und Herzogs von Gloucester, Thomas Woodstock, beschließt.
Diesem erscheinen in der Nacht vor seinem Tod (V, 1) nach-
einander die Geister seines Bruders und seines Vaters^ be-
nachrichtigen ihn, daß er von Mördern umgeben sei und
fordern ihn auf, sich durch Flucht zu retten:
^Thomas of Woodstocke^ wakCj thy broiher calls theeT
ruft ihm der Geist des schwarzen Prinzen zu und fahrt fort:
^Thou royall issue of hing Edward's loynes,
Thou art be-sett toith murder: rise arid flyf
If heere thou stay, death eomes, and Üiou must dye^
Und der Geist seines Vaters fragt ihn:
'^Sleepst thou so sowidly, a7id pale death so nye?"
und fahrt fort:
^Thmnas of Woodstocke, wake, my sone, and flyf
Thou fift of Edward' s sonns, gut vp and fly!
The murder ers are at hand: awake, my sonne j
This hoime foretells thy sad distructione.^
Woodstock erwacht wie aus einem schweren Traum.
Noch schlaftrunken bittet er den Geist seines Vaters, zurück-
zukehren, ihn zu trösten und die Furcht aus seinem zitternden
Herzen zu verscheuchen. Plötzlich wird er gewahr, daß alle
Türen verschlossen sind. Nun ist er überzeugt, daß die
Geistererscheinung nur das Erzeugnis seiner erregten Phan-
tasie ist. Denn die Geister haben ihn doch aufgefordert, zu
fliehen. Aber wie soll er fliehen bei verschlossenen Türen?
Die Geister setzen Woodstock von seiner gefähriichen Lage
in Kenntnis und raten ihm zur Flucht. Woodstock kann
aber die Flucht nicht ausführen. Wir ahnen infolgedessen,
daß er rettungslos verloren sein dürfte, und werden so auf
auf die Katastrophe vorbereitet.
*) Herausgegeben von W. Keller im SJiakespeare- Jahrbuch 36, S. 42 ff.
— 67 —
Gleich darauf treten die Mörder ein, um ihren Auftrag
zu erfüllen.
17. Birhard III. von Shakspere.
Richard, Herzog von Glostef, bahnt sich durch eine un-
unterbrochene Kette von Verbrechen den Weg zum eng-
lischen Thron. Aber nicht lange soll er sich des ungestörten
Besitzes der Krone erfreuen. Die Vergeltung naht in der
Person des Grafen ßichmond, der mit einem Heere gegen
London marschiert. In der Ebene von ßosworth treifen sich
Richard's und Kichmond^s Truppen. Am nächsten Morgen
soll der Entscheidungskampf stattfinden. In der Nacht vor
der Schlacht haben nun die beiden Feldherrn sonderbare
Träume. Dem König Richard erscheinen die Geister von
allen denen, die er hingemordet hat: zuerst erscheint der
Geist des Prinzen Eduard, des Sohnes Heinrich's VI., dann
der Geist Heinrich's VI., hierauf der Geist des Olarence,
dann die Geister von Rivers, Grey und Vaughan, dann der
Geist von Hastings, hernach die Geister der beiden jungen
Prinzen, endlich der Geist der Prinzessin Anna und schließlich
der Geist des Buckingham. Jeder Geist verflucht den ver-
brecherischen König und kündigt ihm blutige Vergeltung an.
Jeder Geist schließt seine Verwünschung mit den Worten:
^DespaiVj and dieP'^
Aber auch dem Grafen von Richmond erscheinen die
nämlichen Geister, ermutigen ihn und verheißen ihm Sieg.
Die Wirkung des Traumes ist selbstredend bei beiden
Männern eine verschiedene. König Richard Tährt entsetzt aus
dem Schlafe empor, am ganzen Körper mit kaltem Schweiß
bedeckt. Ihm ist, als ob er in der Schlacht und verwundet
wäre: '*Öive me anothtt' horse, — bind np my wounda" Zum
Bewußtsein der Wirklichkeit gekommen ruft er aus : " O coward
rojiscknce, hoiv dost ihou afflui me /" Ein unerklärliches Angst-
gefühl bemächtigt sich seiner, er fürchtet sich sozusagen vor
sich selbst. König Richard wird jetzt inne, daß es eine innere
Stimme gibt, die sich wohl für eine Zeitlang zum Schweigen
bringen, aber nicht ertöten läßt, sondern welche sich schließ-
lich mit einer Gewalt vernehmbar macht, die dem Rasen eines
5*
— 68 —
Orkans vergleichbar ist. Jetzt fühlt er sie in seiner Seele
toben, jetzt klagt sie ihn an, und zwar „mit tätigend Zungen^^*,
wie Richard selbst sagt:
^^My conscience hath a thousand several tongiies,
And every tongtie brings in a several tale,
And every tale condemns me for a villain,
Perjury j pe7-jury, in ihe higWst degree;
Murder, stem inurder, in ihe dir^st degree;
All several sins, all us'd in eaeh degree,
Throng to ihe bar^ erging all ^guiÜy! gttiltyP
I shall despairr (V, 3, 193 ff.)
Freudig bewegt dagegen und siegesgewiß ist der Graf
von Richmond. Denn er erwidert den Lords auf die Frage,
wie er geschlafen habe:
"T/ze sweetest skep, and fairest-boding dreams
That erer enternd in a drowsy head,
Have I suice your departure had, my lards,
Methought tluir souls, whose bodies Bicliard murder'^d,
Game to my ient, and aied on vicfory,'^^ (V, 3, 227 ff.)
Indem die Geister König Richard Rache androhen und
ihm seine Niederlage prophezeien, andererseits aber den Grafen
von Richmond mit Siegesahnungen erfüllen, bereiten sie uns
auf die Katastrophe vor; zugleich sind sie Symbol der
Gewissensqualen.
Ein alter Volksglaube besagte: wenn während der An-
wesenheit eines Geistes eine brennende Kerze im Zimmer
ist, so wurd deren Lichtglanz ein ungewöhnlich bläulicher
gein. — Als der König nach der Geisteserscheinung erwacht,
ruft er aus:
"r/w. lights burn blue, — 21 is now dead midnight,
Cold fearfid drops stand on my trembling fle^h,
Methought the souls of all tfiai I had murder'd
Came to my tentr (V, 3, 180 ff.)
Das klassizistische Gepräge unseres Dramas hat C u nlif f e
unübertrefflich geschildert, wenn er sagt: **/» ^Richard IIP Ute
persormges of the drama move in the sanie aimosphere of blood^
^ 69 -^
and Richard above aü sustains to the füll his diaracter of fitndish
cruelty. He hos Ihe vindictiveneas, the irUellecttial force^ the ur^
daunted spirity the rutkless cruelty^ the absolute lack of nioral feelitig
of Sefieca^s Medea, eoupled with the haughtiness of Eteocles and the
bloody hypocrisy of Atreusf as with Seneca^s heroic crimitialSy his
passions know no bonnds — he is not human, but pretematural" ^)
Daß Köuig Richard im Angesicht des Todes kaltblütige
Entschlossenheit und verzweifelte Tapferkeit zeigt, bedarf
nach obigen Ausführungen Cunliffe's eigentlich keiner Er*
wähnung mehr.
18. Second Part of King Edward IV,
Stofflich nahe verwandt mit ^Richard III" ist eine Neben-
handlung in Thomas Hey wood 's ^Second Part of King
Edward /F/'
König Eduard IV. von England hatte eine Weissagung
erhalten, nach welcher G. seine, Eduard's Kinder, beseitigen
und sich selbst auf den Thron Englands setzen werde. Der
alte Klosterbruder Anselm, ein gelehrter Mann, hatte die er-
wähnte Prophezeiung dem Beichtvater des Königs, Dr. Shaw,
geoffenbart, damit dieser seinen königlichen Herrn auf die
seitens des Herzogs Gloster drohende Gefahr aufmerksam
mache. Statt dessen bringt aber Dr. Shaw, ein gefügiges
Werkzeug des Herzogs Gloster, dem König die Überzeugung bei|
besagte Prophezeiung warne ihn vor seinem Bruder George
Clarence. Die Folge davon ist, daß Eduard IV. seinen un-
schuldigen Bruder Clarence verhaften und im Tow^er einkerkern
läßt. Jetzt da der Herzog von Gloster sein Opfer in der Gewalt
hat, sorgt er für die Unmöglichkeit eines Entrinnens : er läßt
seinen Bruder Clarence umbringen. Der Öffentlichkeit gegen-
über läßt er das Gerücht verbreiten, Clarence sei plötzlich
schwer erkrankt und von einem jähen Tod dahingerafft worden.
Nachdem auch König Eduard, seit einiger Zeit kränklich,
unerwartet schnell gestorben ist, wird der Herzog von Gloster
in Anbetracht der Minderjährigkeit des Thronfolgers zum
Protektor des Königreichs ernannt.
»^ Cunliffe, 1. c, S. 73.
— 70 —
Durch die verworfensten Ränke gelingt es schließlich
Gloster, sich die Krone aufs Haupt zu setzen. Nachdem er
seine beiden Neffen für illegitim hat erklären lassen, setzen
es seine Anhänger im Parlament durch, daß man ihm die
Eönigskrone anbietet. Mittlerweile mußten die beiden jungen
Prinzen im Tower ihr Leben durch Mörderhand beschließen.
Dr. Shaw, der stets bereit gewesen ist, der Lüge und Heuchelei
Gloster's seine hilfsbereite Hand zu reichen, hat auch den
letzten Akt der niederträchtigsten Verleumdung unterstützt,
indem er sich erkühnte, die angeblich illegitime Abstammung
der zwei ermordeten Prinzen öffentlich von der Kanzel herab
beweisen zu wollen.
Allmählich scheint sich aber eine Wandlung in seinem
Innern zu vollziehen, er sieht ein, daß er gefehlt hat. In
seinem Studierzimmer sitzend macht er sich bittere Vorwürfe.
Da erscheint ihm der Geist des Klosterbruders Anselm und
fragt ihn, warum er wider besseres Wissen seine Prophezeiung
entstellt habe. "/ was inforced hy the Duke of Gloster^\ ant-
wortet Dr. Shaw. Aber der Geist erwidert:
"JVb; thou wast not enforci;
Bui gaine and hope of high profnotion
Hired thee theretoj' (Pearson, Bd. I, S. 163.)
Der Geist erinnert nun Dr. Shaw an das Unheil, das
aus der Verdrehung oben erwähnter Weissagung entstanden
sei und noch entstehen werde; endlich prophezeit der Geist.
Shaw und alle, die bei diesen Schandtaten ihre Hand mit im
Spiele hatten, seien bestimmt, eines jämmerlichen Todes zu
sterben. Er selbst, Dr. Shaw, solle in seinem Studierzimmer
verhungern und von dieser Stunde an keinen Bissen Nahrung
mehr zu sich nehmen:
^^Here in thy study shalt thou sterue thyself,
And from this houre fiot taste one hit of food"
(1. c, S. 164.)
Jetzt tritt ein Bote ein und meldet, König Kichard
wünsche zu beichten. Als Dr. Shaw zögert, zu gehen, fordert
ihn der Geist auf, sich zum Könige zu begeben und ihm zu
sagen, er habe noch drei Jahre zu leben. Hernach solle er
eines schmachvollen Todes sterben.
— 71 —
^^Shaw, go vjüh him; and teil that tyrant Richard
He hath but three yexxrs limited for life;
And then a shamefull death takes hold on hi^n^^
' (1. c, S. 164.)
Wenn Dr. Shaw diesen Auftrag erfüllt habe, solle er
zurtickkehreü und in seinem Studierzimmer sein verhaßtes
Leben enden.
Indem der Geist des Klosterbruders ankündigt, daß die
Schuldigen von der verdienten Strafe ereilt würden, bereitet
er uns auf die Katastrophe vor.
19. Jidius Caesar von Shakspere.
Versetzen wir uns in das Lager des Brutus bei Sardes.
Es ist bereits tief in der Nacht. Brutus hat sich eben von
Cassius "und einigen Freunden verabschiedet und will sich zur
Ruhe begeben. Da aber der Schlaf noch seine Augen flieht,
bittet er seinen Diener Lucius, ihm einige Weisen auf der
Laute vorzuspielen. Doch Lucius hat kaum begonnen, als
er von Müdigkeit übermannt einschläft. Sein Gebieter will
ihn im Schlummer nicht stören und nimmt ein Buch, um sich
die Zeit durch Lesen zu verkürzen. Auf einmal sieht er eine
Gestalt vor sich. Brutus glaubt anfangs, sich zu täuschen
und meint, es sei die Schwäche seiner Augen. Doch als der
Geist Cäsar's näher auf ihn zukommt, spricht er ihn an:
^^Art thou some god, some angel, or some devil,
That mak^st my hlood coldj and my hair to siare?
Speak io nie what thou art:' (IV, 3, 279 flf.)
"T% evil spirit, Brutics" antwortet ihm äer Geist. ^^Why
combat thou?^^ fragt Brutus weiter. — "To teil thee thou shalt see
me at Philippi^
Der im Grunde doch edle und vornehme Brutus fühlt
tief das Niederdrückende seiner treulosen Undankbarkeit, die
Stimme des Gewissens macht sich geltend, Reue beschleicht
ihn, und die heftige Erregung seines Innero, welche die
Geisteserscheinung verursacht, gibt sich kund in einer nervösen
Unruhe. Mit lauter Stimme rufend weckt Brutus seine Diener
und fragt sie, warum sie im Schlaf so geschrien, ob sie im
— 72 —
Traum etwas gesehen hätten. Doch die Diener Temeinen
beides.
An Schlaf kann Bratas nicht mehr denken. Um seinem
erregten Gemüte in Tätigkeit Luft zu machen, will er sofort
zum Entscheidungskampf aufbrechen. Er schickt zwei seiner
Diener an Cassius mit dem Auftrage, derselbe möge mit seinem
Heere voranziehen, er, Brutus, werde unmittelbar folgen.
Cäsar's Geist prophezeit also dem verräterischen Freunde
Rache für seine lieblose Tat, indem er als sein böser Dämon
in der Schlacht bei Philipp! anwesend sein werde. Da der
Geist uns so den Ausgang der Schlacht vorausahnen läßt
bereitet er auf die Katastrophe vor.
In der Geringschätzung dieses Lebens und der Ver-
achtung des Todes erweist sich Brutus, wie ja alle Helden
im elizabethanischen Drama als echter Stoiker.
Auch hier spielt Shakspere auf den schon bei
^^Rickard IIV^ erwähnten Volksglauben an, daß nämlich die
Anwesenheit eines Geistes im Lichtglanz einer brennenden
Kerze eine Veränderung hervorbringe. Ais Brutus den Geist
Cäsar's erblickt, ruft er aus:
^IIow ill this iaper bums! — Hai who conies here?^^
(IV, 4, 275.)
20. Sophonisba von Mars ton.
Massinissa hat Sophonisba, die Tochter des Karthagers
Asdrubal, geheiratet. Auf Befehl des karthagischen Senates
muß er aber an seinem Hochzeitstage an der Spitze eines
Heeres gegen die Kömer und den mit ihnen verbündeten
Syphax zu Felde ziehen. Während Massinissa für die Sache
der Karthager kämpft, fassen diese den treulosen Entschluät
Massinissa zu vergiften und Syphax auf ihre Seite zu ziehen,
indem sie ihm Sophonisba zur Frau versprechen. Dem Ge-
danken soll die Tat folgen. Doch das Komplott gegen
Massinissa wird vereitelt.
Sophonisba muß sich auf Anordnung des Senats in des
Syphax' Palast nach Cirta begeben. Syphax, kaum von dieser
Sinnesänderung der Karthager benachrichtigt, eilt mit Zurück*
lassung seiner Truppen nach seiner Residenz. Aber weder
— 73 —
mit Bitten noch mit Gewalt kann der lüsteroe König Sopfao-
nisba bewegen, ihm zu Willen zu sein. Jetzt will er es mit
übernatürlichen Mitteln Tersuchen. Die Zauberin Erichto
stellt ihm die Erfüllung seines Wunsches in Aussicht. Mit
Entsetzen merkt aber Syphax, jedoch zu spät, daß er statt
an Sophonisba's an Erichto's Brust geruht hat. In seiner
Empörung will Syphax die Betrügerin mit dem Schwert durch*
bohren, aber diese verschwindet in der Erde.
Syphax ist tief unglücklich ; denn io die Erbitteruug über
den schändlichen Betrug, dem er zum Opfer gefallen, mischt
sich wohl auch die betrübende Erkenntnis, daß sein heißes
Liebessehnen nach Sophonisba nie befriedigt werden wird.
In seiner Verzweiflung ruft der liebeskranke König die Grötter
an, sie möchten jegliches Unheil über ihn kommen lassen,
denn empfindlicher könne ihn das Schicksal nicht treffen,
tiefer könne er nicht fallen:
"0 ihou whose hlasiting flames
Huri Imrrtn droughts upon ihe pafient earthj
And thoUj gay god of riddles a?id stränge taleSj
Hot'bramed Phoehus, all add if you can
Someihing tmio niy mkery !
Heap curse on ciirse, ive can no lower fall"
(Bullen, Bd. 2, V, 1, S. 298—99.)
Da ertönt plötzlich eine Stimme: Lower — lower! Der
Geist AsdrubaFs ist es, der diese Worte gesprochen hat,
und der damit zweifelsohne dem Syphsx bedeuten will, daß er
noch tiefer fallen, noch größeres Leid erleben werde als diese
Enttäuschung, die er eben erfahren habe. Während der Geist
Syphax auseinandersetzt, wie unglücklich er, Asdrubal, durch
seinen Treubruch an Massinissa geworden sei, und wie er da-
durch sein Leben verloren habe, läßt er die Mitteilung ein*
Hießen, daß des Syphax Truppen sowie die karthagischen
Streitkräfte von den Kömern und dem mit ihnen verbündeten
Massinissa geschlagen worden seien. Indem nun der Geist
dem Syphax einerseits andeutet, daß er noch schwerer vom
Unglück heimgesucht werden würde, und ihn andererseits von
— 74 —
der erlittenen Niederlage unterrichtet, bereitet er auf die
Katastrophe vor.
Der Geist ist kaum verschwunden, als ein Bote dem |
Könige die Nachricht bringt, daß Scipio und Massinissa gegen i
seine Hauptstadt Cirta heranrücken. In dem darauf statt- i
findenden Zweikampfe zwischen Massinissa und Syphax unter-
liegt der letztere. Massinissa schenkt ihm großmütig das
Leben, überantwortet ihn aber seinem Verbündeten Scipio
als Gefangenen.
Seneca's Einfluß tritt in ^ Sopftonüba^^ nicht in dem
Grade hervor wie in ^Antonio and Mellidd'\ Immerhin aber
weisen die Beschreibungen entsetzenerregender Greuel, philo-
sophische Reflexionen und der rhetorische Bombast der Sprache
noch deutlich genug auf den römischen Tragödiendichter hin.
21. The ÄtheisCs Tragedy von Tourneu r.
Lord d'Amville, in der Überzeugung, daß der Besitz
irdischer Güter der Inbegrifif des Glückes sei, trachtet nach
dem ansehnlichen Vermögen seines Bruders Montferrers.
Außerdem möchte er Castabella, eine reiche Erbin, die
bereits mit seinem Neffen Charlemont im geheimen verlobt
ist, mit seinem ältesten Sohn Ronsard verheiraten. Der
gewissenlose Mann beschließt deshalb, seinen Bruder Mont-
ferrers und dessen Sohn Charlemont zu beseitigen. Der Zu-
fall scheint d'Amville in seinen Plänen begünstigen zu wollen :
der junge Chariemont fühlt einen unwiderstehlichen Drang
in sich, durch Heldentaten auf dem Schlachtfelde sich aus-
zuzeichnen. Er wünscht deshalb, sich an den kriegerischen
Ereignissen im Orient zu beteiligen. Allein der treubesorgte
Vater will seinen einzigen Sohn nicht den Gefahren einer
ungewissen Zukunft aussetzen und verweigert ihm die Ein-
willigung zu seinem Vorhaben. D'Amville kommt aber die
Absicht seines Neffen sehr zu statten. In der Hoffnung, daß
Charlemont im Kriege etwas Menschliches zustoßen werde,
unterstützt er scheinbar selbstlos Charlemont's Plan bei dem
alten Montferrers, der endlich widerstrebend seine Zustimmung
erteilt.
Nachdem Chariemont in den Krieg gezogen ist, beginnt
— 75 —
d'Amville seine yerworfenen Intrigen spielen zu lassen. Zu
nächst gelingt es ihm, Castabella's Vater, Belferest, zu be-
stimmen, daß dieser seine Tochter zur Heirat mit d'Amyille's
Sohn Ronsard zwingt. Während des Hochzeitsmahles tritt
Borachio ein, d'Amville's Kreatur, und überbringt die Nach-
richt, Charlemont habe während der Belagerung yon Ostende
bei der Zurückweisung eines feindlichen Sturmangriffes den
Tod gefunden. Diese fingierte Schreckenskunde bricht dem
greisen Montferrers fast das Herz. Voll trüber Ahnungen tritt
er, Ton d'Amville, Belferest und einigen Dienern des letzteren
begleitet, spät in der Nacht den Heimweg an. Diese Gelegen-
heit benützt nun d'Amville, seinen Bruder zu ermorden.
Durch letztwillige Verfügung seines Bruders Montferrers
wurde d'Amyille zum Erben yon Montferrers' Vermögen ein-
gesetzt.
Jetzt aber erscheint dem jungen Charlemont im Felde
der Geist seines Vaters und fordert ihn auf, nach Frankreich
zurückzukehren, da sein alter Vater gestorben, und er, Charle-
mont, durch Mord enterbt sei:
^Retume to France, for thy old Fathet^s dead,
Jnd thou hy murther disinheritedr
(Collins, Bd. 1, II, 6, S. 72.)
Doch solle Charlemont mit Geduld den Verlauf der
Dinge abwarten und die Bache dem König der Könige über-
lassen :
^Attend wiih patiencc ihe successe of things,
But leane reuenge unio the hing of hingst
Der Aufforderung des Geistes gemäß kehrt Charlemont
in sein Vaterland zurück. Sein erster Gang gilt natürlich
dem Grabe seines Vaters. Als er die Stätte des Friedens
betritt, wer beschreibt sein Erstaunen, als er auf einem Grab-
male die Worte liest: "in memory of CharleynonC und über
dem Grabe des yermeintlichen Toten seine Braut Castabella
betend erblickt? Castabella fällt bei Charlemont's Anblick,
in der Meinung, einen Geist yor sich zu haben, in Ohnmacht.
Nachdem sie wieder zu sich gekommen ist, erhält Charlemont
durch sie die Bestätigung dessen, was ihm der Geist mitgeteilt
— 76 —
bat, daß er nämlich durch seinen Onkel enterbt worden
ist. Als er gar noch erfährt, daß Oastabella auf Betreiben
d'Amyilles zur Ehe mit Rousard gezwungen wurde, vermutet er
mit Bestimmtheit in seinem Oheim den Mörder seines Vaters
und den Urheber all des Leides, das ihn, Charlemont, be-
troffen hat.
Als Charlemont bei seinem Oheim d'Amville eintritt*
stellt sich dieser, als ob er ihn für einen Geist halte. D'Am-
ville's jüngerer Sohn Sebastian will versuchen, ob man es
wirklich mit einem Geist zu tun hat und schlägt nach Gharle"'
mont. In dem sich nun entspinnenden Zweikampfe unterliegt
Sebastian. Um zu verhindern, daß Charlemont sich jetzt
möglicherweise vom Zorn hinreißen lassen und das erlittene
Unrecht an d'Amville rächen könnte, erscheint der Geist des
Montferrers abermals und gebietet seinem Sohn^ Einhalt mit
den Worten:
^Ilold, Charlemont,
. Lei htm reuenge my murder and thy tvrongs
To whom the Jtistice of Reuenge belongs"
(III, 2, S. 86.)
Charlemont befolgt, wenn auch widerstrebend, die Weisung
des Geistes.
Da der Geist erstens Charlemont auffordert, geduldig den
Verlauf der Dinge abzuwarten und die Rache dem Könige der
Könige zu überlassen, zweitens als Gefahr besteht, daß
Charlemont trotzdem, hingerissen von einer plötzlichen Auf-
wallung des Zornes, Rache nehmen könnte, wiederum erscheint
und dem unüberlegten Vorhaben Charlemont's Einhalt ge-
bietet, bedeutet sein Auftreten für den Gang der Handlung
ein retardierendes Moment.
D'Amville kann sich durch Charlemont's Rückkehr nicht
des ungestörten Besitzes des ererbten Vermögens erfreuen und
beschließt deshalb den Tod seines Neffen. Borachio erhält
den Auftrag, Charlemont aus dem Hinterhalt niederzuschießen,
wenn derselbe am Grabe seines Vaters bete. Der Anschlag
gegen Charlemont mißlingt aber, und Borachio findet dabei
selbst den Tod. D'Amville selbst wird in kurzem von der
rächenden Nemesis erreicht«
— 77 —
Schon tief in der Nacht sitzt d'Amville in seinem Zimmer
und betrachtet mit Entzücken das vor ihm liegende stattliche
Einkommen, das er seit dem Tod seines Bruders bezieht. In
überschwänglichen Worten preist er die Macht des Goldes:
^Tliese are the Starres whose Operations make
The fortunes and the deaiinies of men^
und- das Glück, das man durch seinen Besitz genieße :
^A musicke whose melodious touch
Like ÄngeW voices rauishes the senceT
(V, 1, S. 132 und 133.)
Von Ermüdung übermannt schläft d'Amville endlich ein.
Da erscheint ihm der Geist seines Bruders Montferrers und
nennt ihn einen Narren, einen höchst unglücklichen und be-
dauernswerten Narren, was er zum Schaden seiner Pläne so-
gleich inne werden solle:
^UAmvüle! Wüh all ihy wüedome tKart a foole.
Not like tliose fooles that we terme innocents
Biii a most' wretcJied miserable foole
Which instantlyy to Ute coiifusion of
Thy projects, with despaire ihou shalt heholdy
(V, 1, S. 133 und 134.)
D'Amville fährt entsetzt aus dem Schlafe empor. Er
glaubt nicht anders, als daß ein Traum ihn genarrt habe.
Denn seine Pläne sind bis jetzt vom schönsten Erfolg getragen
worden, und der einzige Mann, der ihm noch schaden könnte,
Gharlemont, ist auf seine Veranlassung des Mordes an Bo*
rachio angeklagt und wird sein Leben auf dem Schafott be-
schließen.
Trotz seiner Gelehrsamkeit wähnt d'Amville, der Besitz
des Geldes bedeute für den Menschen das höchste Glück.
Deswegen verfolgen seine Pläne, wie wir wissen, den Zweck,
seinen beiden Söhnen durch Hinterlassung eines großen Ver-
mögens dieses Glück zu erringen. Wenn nun der Geist
d'Amville trotz seiner Weisheit einen Narren nennt und ihm
ankündigt, daß seine Pläne in nichts zerrinnen würden, ahnen
wir das Unheil, das über d'Amville heraufzieht und werden
80 auf die Katastrophe vorbereitet.
— 78 —
In der Tat, das Unglück läßt nicht lange auf sich warten.
D'Amville's jüngerer Sohn Sebastian hatte mit Lady Belforest
ein ehebrecherisches Verhältnis unterhalten und wurde von
deren Gatten im Zweikampf erschlageo. D'Amville will das
Fürchterliche kaum glauben, als man ihm jetzt den Leichnam
seines Sohnes hereinträgt. Aber ein Unglück kommt selten
allein. Auch sein älterer Sohn Ronsard, seit langem kränklich,
ist seiner Auflösung nahe. Der rasch herbeigerufene Arzt
muß konstatieren, daß menschliche Kunst hier nichts mehr
vermag: Ronsard stirbt zum namenlosen Schmerz seines yer-
zweifelten Vaters.
So hat sich die Prophezeiung des Geistes in schrecklicher
Weise bewahrheitet. D'Amville selbst gibt sich an dem Tage,
an dem Charlemont hingerichtet werden sollte, in Verzweiflung
den Tod.
22. The Unnatural Combat von Massinger.
Malefort, Admiral von Marseilles, wird von einer sünd-
haften Liebe zu seiner eigenen Tochter verzehrt. Diese un-
natürliche Leidenschaft hat ihn dermaßen verblendet, daß er.
als der Priester im Begriffe ist, Theocrine mit dem jungen
Beaufort für das Leben zu verbinden, jede Selbstbeherrschung
verliert, auf seine Tochter stürzt und sie zwingt, mit ihm nach
Hause zu gehen. Als Malefort zur Besinnung kommt, ergeht
er sich in heftigen Selbstanklagen. Um das Übel mit der
Wurzel auszurotten, faßt er den verhängnisvollen Entschluß,
Theocrine seinem Freunde Montreville anzuvertrauen, den er
durch einen Eid bindet, ihm unter keiner Bedingung je mehr
den Anblick seiner Tochter zu gestatten. Aber bald bereut
Malefort diesen Schritt, die alte Leidenschaft übermannt ihn.
Ohne Verzug eilt er zu Montreville und bittet ihn, seine
Tochter auszuliefern. Nach vielen Bitten erhält Malefort
seine Tochter zurück, aber als ein unglückliches, innerlich
gebrochenes Wesen. Das unschuldige Mädchen ist das Opfer
der schauerlichen Rache geworden, welche Montreville dem
Malefort für den Schimpf geschworen hatte, den ihm letzterer
einstens zugefügt, indem er ihm die Braut, Theocrine's Mutter,
abwendig machte und unmittelbar nach dem Tod seiner ersten
— 79 —
Erau heiratete. Nach dem erschütternden Bekenntnis ihrer
Entehrung durch Montreville stirbt Theocrine, ihren Vater
in qualvoller Verzweiflung zurücklassend.
Selbst der Himmel hat sein Antlitz verhüllt, gleich als
wolle er trauern über das tragische Geschick einer edlen
Jungfrau. Ein mächtiger Sturm bricht los, grelle Blitze
durchzucken die pechschwarzen Wolken, unaufhörlich grollt
der Donner. Aber auch in der Seele Malefort's rast ein
Sturm, an elementarer Gewalt noch furchtbarer; denn der
von den Furien der Gewissensangst Gepeinigte sagt selbst:
^Each guilty thought to me is a dreadful hurricano,^^ Mit er-
schreckender Deutlichkeit steigen Bilder aus seinem ver-
gangenen Leben auf, Bilder des Entsetzens und der Furcht.
Doch was bedeutet das? Hat die Hölle Rachegeister ent-
sandt, um ihn zu züchtigen? Ha! Jetzt erkennt er sie, die
Geister seines Sohnes und seiner ersten Gattin, die er hin-
gemordet hat, um die Braut seines Freundes Montreville
heiraten zu können. Ja, da stehen sie vor ihm, sein Sohn,
halbnackt, den ganzen Leib voll Wunden, so wie er ihn im
Zweikampf getötet, in dem der Arme den Tod seiner Mutter
rächen wollte, und neben ihm die Gattin, von einem ver-
heerenden Aussatz ergriffen, die Wirkung des tödlichen Giftes,
das er ihr eingegeben hatte. O Grausen! Ja, sie sind ge-
kommen, um sein verhärtetes Gewissen zu rühren, um ihm zu
sagen, daß die Donnerkeile, die ihn von der Höhe seines
Glückes und Ruhmes geschleudert, auf dem Ambos der
Grausamkeit und des Unrechts geschmiedet wurden, das er
ihnen angetan:
" You come io laiice rny sear^d-up consciencf : yes,
And to imtmct me, that iho.se thmiderbolts,
That hurPd me headlong from the height of glonj,
WeaÜh, honours, worldlg kappiness, were forged
Upon the anvil of mu impious ivrongs,
And cruelttj to yoii!
(Cunningham, V, 2, S. 63.)
Angsterfüllt fragt Malefort die Geister:
— 80 —
Can any penanee expiaie my guiü,
Or can repentance save weP"
Aber keine Antwort erfolgt. Die Geister yerschwinden.
Die Geisteserscheinung ist zunächst der lebendige und
packende Ausdruck der entsetzlichen Gewissensqualen Male-
fort's. Außerdem aber bezweckt das Auftreten der Geister
offenbar, Malefort anzudeuten, daß die Stunde der Vergeltung
nicht mehr fem ist. Denn auf die Frage, ob irgend eine
Strafe seine Schuld sühnen oder Reue ihn retten könne, geben
die Geister keine Antwort. Wir werden also gleichzeitig auf
die Katastrophe vorbereitet.
Die quälende Ungewißheit Malefort's verwandelt sich in
Verzweiflung, er klagt sein Schicksal an, er klagt die Sterne
an, dßren unglückliche Konstellation bei seiner Geburt sein
Leben so verhängnisvoll gestaltet habe, er verflucht die Ur-
sache seines Daseins. Doch als wollte der Himmel den Frevler
ohne weiteres zur Verantwortung ziehen, föhrt ein Blitzstrahl
hernieder und tötet Malefort.
Der Einfluß Seneca's ist auf den ersten Blick zu er-
kennen. In der Tat, in der Darstellung unnatürlicher Ver-
brechen und blutiger Greuel zeigt sich Massinger als
würdiger Schüler seines Meisters.
23. The Changeling von Thomas Middleton.
Beatrice-Joanna, die Tochter Vermandero's, ist mit Alonzo
de Piraquo verlobt. Als sie aber Alsemero kennen lernt,
entbrennt sie in heißer Liebe zu ihm. Um ihn besitzen zu
können, läßt sie Alonzo durch de Flores, einen Diener ihres
Vaters, ermorden.
In V, 1 erscheint nun de Flores und Beatrice der Geist
Alonzo's, als sie eben im Begriffe stehen, ein neues Ver-
brechen auszuführen, um Beatrice'a gefährdete Ehre zu retten.
Der Geist bleibt zwar stumm; doch erscheint es mir klar,
daß er durch sein Erscheinen seinen Mördern das schändliche
Verbrechen ins Gedächtnis zurückrufen und ihnen bedeuten
will, daß jene ruchlose Tat noch nicht gesühnt sei. Unwill-
kürlich steigt in uns die Ahnung auf, daß die Vergeltung
nahe ist. Der Geist bereitet also auf die Katastrophe vor.
— 81 —
Beatrice und de Flores geben sich, als Ehebrecher uod
Mörder entlarvt, selbst den Tod.
Bei dem Anblick des Geistes ruft de Flores aus:
^Ha! wfiat art ihou (hat tak'st away the light
Betwixt that star and me? I dread thee not :
'Tivas hui a mist of eonsdence ; alPs clear again"
(Bullen, Bd. 6, V, 1, S. 95.)
Die letzten Worte des de Flores ^*Twas hut a mist of
conscicnce^^ lassen aber noch eioe andere Auslegung zu. Diesen
Worten gemäß bedeutet die öeisteserscheinung eine plötzliche
Regung des Gewissens, die de Flores sofort wieder niederkämpft,
was aus dem folgenden "aWs clear agaM'' zu schließen ist.
Auch bei Beatrice bewirkt die Geisteserscheinung ein
Erwachen der inneren Stimme. Kach dem Verschwinden des
Geistes erklärt sie:
^ Sonic Hl thing haunts the house; H has left hehind it
A shivering sweat upon nie; Vni afraid nowT
Der Angstschweiß — eine Folge der inneren Beklemmung !
24. The Tragedg of Albertus Wallenstein von Henry
Glapthorne.
Was für uns von dem Inhalt des Stückes in Betracht
kommt, ist als Episode in die Haupthandlung verflochten.
Albertus, ein Sohn Wallenstein's, liebt Isabella, das
Kammermädchen seiner Mutter. Der beabsichtigten Heirat
widersetzt sich jedoch der Herzog energisch. Während des
heftigen Zwiegesprächs zwischen Vater und Sohn kommt die
Herzogin und beschuldigt Isabella des Diebstahls. Daraufhin
ordnet Wallenstein ohne weitere Untersuchung die Hinrichtung
Isabella's an. Bei dem Versuch, den Tod seiner geliebten
Isabella zu verhindern, wird Albertus von der Wache auf
Befehl seines Vaters getötet.
Empfindet Wallenstein über sein voreiliges Handeln ohne-
hin schon Reue, so ist das noch umsomehr der Fall, als
sich die Unschuld Isabella's erweist. Wallenstein ist, wie er
selbst sagt, ^dürased in mirnl", er sieht immer die Geister der
Ermordeten, er glaubt sich beständig von ihnen verfolgt.
MÜDchener Beitrage z. romauiächen u. engl. Philologie. XXXV. B
— 82 —
Beweis hierfür ist die Ermordung seines Pagen. In IV, 3
beschlieBt Wallenstein etwas za rohen und verbietet seinem
Pagen strenge, ihn aus irgend einem Grund im Schlafe zu
stören. Bald darauf erscheint die Herzogin nnd besteht da-
rauf, daß ihr Gemahl geweckt werde. Der Page vollführt
diesen Befehl, aber Wallenstein, in der Meinung, ein Geist
störe seine Ruhe, ersticht den Pagen.
Besonders aber zeigt uns der Monolog, den Wallenstein
kurz vor seinem Tode hält, wie schwer er unter den Ge-
wissensqualen leidet. Wallenstein hat seinen Sohn und dessen
Braut gesehen. So bleich und mager waren sie, als hätten
sie ein Jahr Leichenluft geatmet:
"Pak and as meager^ as they had convers^l
Ä yeere with the inhabitanis of Die eartk.
And drunk the dew of charnell hcmses"
(Pearson, Bd. 2, V, 2.)
Sie haben ihm mit ihren geisterhaften Händen zugewinkt,
als wollten sie ihn in dieser stummen Sprache einladen, zu
ihnen zu kommen.
Diese Worte lassen in uns die Ahnung von Wallenstein's
bevorstehendem Ende aufsteigen; die Geisteserscheinung bereitet
uns also auf die Katastrophe vor; außerdem aber ist der
Geist, wie wir gesehen haben, Symbol der Gewissenskämpfe.
Wallenstein selbst betrachtet die Geisteserscheinung als
Vorboten seines nahen Todes. Dieser an sich erschreckt ihn
nicht, da er ja eine Forderung der Natur sei. Aber daß er
sterben müsse, die Seele mit Todsünden befleckt, das bereitet
ihm unendliche Qual. — Gleich darauf wird Wallenstein von
Gordon, Lesle und Butler ermordet,
25. The Witch of Edmonton von John Ford.
Wie in dem eben behandelten Drama veranschaulicht
auch hier der Geist die Seelen schmerzen eines von Beue ge-
peinigten Mörders.
Um seinem Vater zu gefallen, hat sich Frank Thomey
mit Carter's Tochter, Susan, verheiratet, obgleich er bereits
— ohne Wissen seines Vaters — der Gatte von Winnefrede
— 83 —
ist Von der Liebe zu Winnefrede gequält fühlt sich Frank
höchst unglücklich. Schließlich ermordet er Susan. Um den
Verdacht des Mordes von sich abzulenken, verwundet er sich
selbst und ruft um Hilfe. Als sein Vater und der alte Carter
herbeieilen, beschuldigt er diesen gegenüber zwei ehemalige
Freier Susan's, Somerton und Warbeck, des Mordes. Frank
wird zur Heilung seiner Wunden in Carter's Haus gebracht.
Die Stimme des Gewissens, die so lange geschwiegen hat,
pocht lauter und lauter. Frank wird von schrecklichen Phan-
tasien geängstigt. Um uns seine Seelenqualen recht deutlich
vor Augen zu führen, läßt der Dichter den Geist Susanns an
seinem Krankenlager erscheinen. Um diesem grausigen An-
blick zu entgehen, legt sich Frank auf die andere Seite des
Settes. Aber auch jetzt starrt der Geist dem Unglücklichen
in das entsetzte Antlitz. Gleich darauf verschwindet der Geist.
Lange kämpft der Selbsterhaltungstrieb mit der inneren
Stimme. Frank versucht seine falsche Behauptung von
Susan's Ermordung durch Somerton und Warbeck aufrecht
zu halten. Doch endlich bricht er zusammen und gesteht
Winnefrede die Wahrheit.
26. The Old Wives' Tale von George Peele.
In diesem Drama bedeutet das Auftreten des Geistes
für den Verlauf der Handlung ein accelerierendes
Moment. Eumenides hat, um Jack's Leiche ein ehrliches
Begräbnis zu verschaffen, fast seine ganze Barschaft ge-
opfert. Aus Dankbarkeit erscheint ihm später der Geist
des Jack und hilft ihm, Venelia, Delia und die beiden
Brüder der letzteren aus der Gewalt des Zauberers Sacrapant
zu befreien.
Die „dankbaren Toten^ sind ein bekanntes Motiv der
Weltliteratur. So kauft in Sir Amadas ^), einer mittelenglischen
Bomanze, Sir Amadas die Leiche eines bankerotten Kauf-
manns los und läßt sie begraben. Dafür hilft ihm der dank-
bare Tote bei einem Turnier zu Sieg und Königstochter.
Ahnliche Beispiele finden wir nicht weniger als 15 in Sim-
>) Siehe Paars Grundriß, Bd. 2, S. 666.
6»
- 84 —
rock's Buch: „Der gute Gerliard und die dankbaren Toten^
(S. 46—106).
27. The Sewnd Part of tke Iron Age von Thomas Hey-
wood.
Das Stück ist die Fortsetzung von The Iron Age und be-
schreibt in Akt I — III die letzten Kämpfe der Griechen vor
Troja, seine Einnahme und Zerstörung, in Akt IV — V die
Eückkehr des Agamemnon nach Griechenland^ seinen Tod,
den Tod des Aegisthus, der Clytaemnestra etc.
In diesem Drama treten zwei Geister auf; deren Er-
scheinen ein retardierendes, bzw. accelerierendes
Moment genannt werden kann.
Am Ende des II. Aktes erscheint der Geist des Hektor
dem Aeneas, der entschlossen ist, sein Leben zu opfern, aber
zuvor möglichst viele Griechen erschlagen will. Der Geist
weist ihn auf das Nutzlose dieses Vorhabens hin und fordert
ihn auf, mit den Göttern Trojans zu fliehen und ein König-
reich zu gründen, welches dazu dienen soll, das Andenken
seiner Ahnen zu verherrlichen. Aeneas befolgt den fiat des
Geistes und verläBt Troja, seinen alten Vater auf dem Bücken
und die Schutzgötter Troja's in seiner Begleitung.
Die Geisteserscheinung hält Aeneas zurück, sich an dem
Verzweiflungskampf der Trojaner zu beteiligen, bedeutet also
vielleicht für den Verlauf der Handlung ein retardierendes
Moment.
In V, 1 erschlägt Orestes den Geliebten seiner Mutter,
Aegisthus, zögert aber, ein Gleiches mit seiner Mutter za
tun, da er im Zweifel über ihre Schuld ist. Da erscheint
der Geist des Agamemnon und zeigt auf seine Wunden, dann
auf den toten Aegisthus sowie auf die lebende Clytaemnestra,
wie um anzudeuten, daß sie beide seine Mörder seien. Da*
rauf verschwindet der Geist. Jetzt tötet Orestes auch seine
Mutter.
Das Erscheinen des Geistes veranlaßt den zögernden
Orestes zu entschlossener Tat, bedeutet also für den Verlauf
der Handlung ein accelerierendes Moment. Bemerkens-
wert ist, daß der Geist Clytaemnestra unsichtbar bleibt, was
— 85 —
uns wieder an den alten Volksglauben erinnert, demzufolge
ein Geist selten mehr als einer Person sichtbar ist, auch
wenn mehrere anwesend sind.
28. In Lady Ähmony (III, 6) tritt der Geist des Gallerius
auf, der aber zur Handlung des Stückes in wenig oder keiner
Beziehung steht, yon einem EinBuß auf den Gang der Er-
eignisse gar nicht zu reden. Siehe Dodsley-Hazlitt XIV.
Schlufserörterung.
Am Schluß der Abhandlung mögen in aller Kürze die
Hollen noch einmal Revue passieren, welche die Dichter dem
"Geist" im Drama zugeteilt haben:
Der "Geist" ist entweder Stimmungsfigur, wie der Geist
I. der Mariemma, 2. des Selymus, 3. des Moleonte, 4. der
Messalina und des Silius, 5. des Herzogs Gorlois, 6. des
Andrea, 7. des Clarence, 8. deP^alten Köoigs von Ormus,
9. des Alexander, 10. des Sulla, 11. des Camillus und Brennus,
12. des Malbecco, 13. des alten Hamlet.
Oder der "Geist" veranlaßt den Beginn der steigen-
den Handlung, wie der Geist 1. des Malbecco, 2. des alten
Hamlet, 3. des Bussy d'Ambois; oder den Beginn der
fallenden Handlung, wie der Geist 1. des Geta, 2. der
Lady, 3. des Andrugio, 4. der Isabella.
Oder der "Geist" dient zur Hervorhebung des Höhe-
punktes, wie der Geist des Banquo.
Endlich bereitet der "Geist" auf die Katastrophe vor,
wie der Geist 1. des Bussy d'Ambois, 2. des Andrugio, 3. des
Brachiano, 4. des Corineus, 5. des Klosterbruders Anselm,
6. "des Caesar, 7. des Asdrubal, 8. des Montferrers, 9. des
Alonzo, 10. die Geister in ''RicJmrd ir und ''Richard Iir\
II. in "r/z« Unnaiural ComhaC^ 12. in ''Albertus Walleustein'\
13. in "Faium Voriiyernr.
— 86 —
Kurz gesagt, die Dichter lassen den Geist willkürlich
auftreten, d. h. in jeder Entwicklungsstufe des Dramas, um
Sensation zu machen.
Außerdem zielt sein Erscheinen manchmal nicht auf eine
bestimmte dramatische Wirkung ab, sondern bezweckt, den
Verlauf der Handlung zu beschleunigen oder zu hemmen,
repräsentiert also ein accelerierendes Moment, wie der
Geist 1. der Agrippina, 2. des Yortumerus, 3. des Camillus
und des Brennus, 4. des alten Hamlet, 5. des Bussy, 6. des
Andrugio, 7. des Albanact, 8. des Jack, 9. des Agamemnoa,
oder ein retardierendes Moment, wie der Geist des
Sorastanus u^d der Geist des Montferrers.
Endlich ist der '^Geisf' Symbol der Gewissensqualen:
1. in ''The Ti-ue Tragedy of RicJiard Iir\ 2. in ''MacbM\
3. in ''Richard IIV\ 4. in "Julius Caesar'\ 5. in "The Unnatural
Comhaf\ 6. in "The Changeling*\ 7. in "The Tragedy of Albertus
Wallenstein'', 8. in "The Witch of Edmonton''.
Die gewöhnliche Triebfeder, die das Auftreten des Greistes
veranlaßt, ist der Rachedurst. Daher wohnt der *'G^ist" sehr
oft der Bestrafung der Schuldigen bei und erscheint am
Schluß des Stückes wieder^ frohlockend über den Vollzug der
Bache, wie der Geist 1. des Herzogs Gorlois, 2. des Andrea,
3. des Bussy, 4. des Andrugio, 5. des Albanact, 6. des Co-
rinens, 7. des Moleonte.
Schließlich will ich es nicht unterlassen, auf ein paar
interessante Charakteristika der Geister hinzuweisen. Es
kommt gelegentlich vor, daß der ^^Geist" von seinem Auf-
enthaltsort spricht. So berichten uns der Geist Andrea's wie
der Geist des alten Königs von Ormus ausfuhrlich über die
Vorgänge in der klassischen Hölle. Der Geist des Bussy
d'Ambois spricht von dem Chaos ewiger Kacht, aus dem er
emporgestiegen sei. Wahrhaft erschütternd ist aber die
Schilderung der christlichen Hölle, die wir aus des Geeistes
Mund in "Hamlet" vernehmen, und die umso ergreifender ist,
als sie keine detaillierte Beschreibung enthält^ sondern die
Wirkung kennzeichnet, die eine solche Kunde auf den Sterb-
lichen hervorbringen würde:
— 87 —
^^But thai I am forbid
To teil the secrets of my prison-house,
1 could a iah unfoldf tvhose lightest woi'd
Would harrow up thy soul; freexe^ thy young blood;
Make thy two eyes, like stars, start frofn their spJteres;
Thy knotted and combined loeks to pari.
And each particular hair to stand on e^id,
Like quiUs upon the fretful porpentine:
But this eiemal hlaxon must not he
To ears of flesh and bloodr (I, 5, 13 ff.)
Nicht selten spricht der Geist moralische Sentenzen aus:
der Geist des Bussy d'Ambois läßt in einem Monolog eine
Aufforderung an die Menschheit ergehen, ihr Leben zu bessern.
Er warnt davor, den Weg des Glückes, die Religion, zu ver-
lassen. Die Strafe folge jedem Vergehen auf dem Fuße nach,
geradeso wie der Donner dem Blitz. — Der Geist des As-
drubal warnt vor der Verletzung der Treue:
^^Mortals, fear to slight your gods and vowes;
Jove*s arm is of dread mighty
Wenn Alexander's Geist wehmütig von sich sagt, er
habe jedermann, nur nicht sich selbst besiegt, so erkennt er
damit an, daß der größte Sieg des Menschen der ist, den er
über sich selbst erficht. — Der Geist des Montferrers ermahnt
seinen Sohn, die Rache dem König der Könige zu überlassen,
ist also ein Repräsentant christlicher Moral.
Chronologisches Verzeichnis der behandelten Dramen.
1. Meleager (1680 entstanden).
2. Dido (1583 aufgeführt).
3. Herodes (zwischen 1567 und 1588 verfaßt).
4. Misforiimes of Arthur (am 28. Februar 1587/88 auf-
geführt).
5. Spanish Tragedy (ca. 1587/88? entstanden).
6. Tr^te Tragedy of Riehard III (zwischen 1589 und 1591
▼erfaßt).
13. Solymannidae
14. Perfidus Hetruscus
15. Antaninus Bassianus
Caracalla
- 88 -
7. Boxana (zwischen 1583 und 1592 aufgeführt),
8. Richard II (verfaßt ca. 1695/96).
9. Locrine (1595 anooym veröflFentlicht).
10. The Old Wives' Tale (1595 gedruckt).
11. Bicliard III (1597 veröflFentlicht).
12. Fatum Voriigemi (Ende des 16. Jahrh. verfaßt).
Eine genaue Zeitangabe zu
machen, ist unmöglich; doch
sind diese Dramen jedenfalls
spätestens Ende des 16. bzw.
Aufaug des 17. Jahrh. entstanden.
16. Second Part of King Edward IV (1600 gedruckt).
17. Grim the Collier of Oroydon (unter März 1600 in
Henslowe's Diary eingetragen).
18. Antonio and Mellida (1601 zum ersten Mal aufgeführt).
19. Julitts Caesar (ca. 1599/1600? entstanden).
20. Hamlet (1602 in Stationers' Register eingetragen).
21. h'cro (1603 gedruckt).
22. Alexandrcpan Tragedy (1605 gedruckt).
23. Macbeth (verfaßt zwischen 1605 und 1607).
24. Soj)h<mi^ba (1606 gedruckt).
25. Cutiline (1611 zum ersten Mal aufgeführt).
26. The Atheisfs Tragedy (1611 gedruckt).
27. Tlie Second Maiden's Tragedy (erhielt 1611 die Erlaub-
nis zur Aufführung).
28. The White Deril (1612 gedruckt).
29. Bevenge of Bussy d^Amhois (1613 gedruckt).
30. The Witrh of Edmonton (1658 gedruckt, aber wahr-
scheinlich schon 1621 verfaßt).
31. The Changcling (aufgeführt am 4, Januar 1623).
32. Alaham (1633 gedruckt, aber sicher zu viel früherer
Zeit verfaßt).
33. Second Part of the Iron Age (1632 gedruckt).
34. Fuimns Troes (1633 gedruckt).
35. The Unnntural Combat (1639 gedruckt),
36. The Tragedy of Albertus Wallenstein (1639 gedruckt).
37. Lady Alimony (ca. 1639 entstanden).
— 89 —
Übersicht über die einzelnen Dicliter.
Goldingham, Alabaster, der Dichter von ^^Soly-
viannidae^\ Hughes, Kyd, Lord Brooke, Sir Williana
Alexander und Ben Jonson verwenden den Geist als
Stimmungsfigur; bei Dr. Gwinne und Dr. Fish er finden
wir ihn als Stimmungsfigur und accelerierendes Moment; dem
Verfasser der "7ri/e Tragedi/^ dient der Geist als Stimmungs-
figur und Symbol der Gewissensqualen; der Dichter von
^^Qrim tke Collier of OroydorC' verwendet den Geist als Stim-
mungsfigur ; ferner wird durch ihn der Beginn der steigenden
Handlung verursacht.
Bei Shakspere tritt der Geist nahezu in jeder Ent-
wicklungsstufe des Dramas auf. Der Dichter läßt durch den
Geist in Stimmung versetzen, den Beginn der bewegten
Handlung veranlassen, den Höhepunkt hervorheben, auf die
Katastrophe vorbereiten, den Gang der Handlung beschleunigen ;
•endlich ist der Geist bei Shakspere Symbol der Gewissens-
qualen.
Hier mögen einige Urteile über Shakspere 's Geister
Platz finden.
Ausgehend von dem Gesichtspunkt, daß es eine der
schwierigsten und gefährlichsten Aufgaben des Dramatikers
sei, Erscheinungen der übersinnlichen Welt in einem Drama
so darzustellen, daß sie auch in aufgeklärten Zeiten nicht
grotesk wirken, untersucht Wurth die Fragen: 1. Was
mag Shakspere bewogen haben, den Geist überhaupt in
das Drama einzuführen? 2. Wie ist es ihm gelungen, ihn
so zu verwenden, daß auch moderne Menschen in das Zauber-
reich der Geister hineingetäuscht werden?^)
Bei Beantwortung der Frage 1 kommt Wurth zu dem
Schluß: Shakspere verwendet den Geist, um Seelenvor-
') Draniaturgisclie Bemerkungen zu den Geisterszenen in Shakspere'B
Tragödien, in der Festschrift für Schipper, S. 286 fiF. Vergleiche zu
diesem Artikel Sarrazin 's Rezension in „Studien zur vergleichenden
Literaturgeschichte^^ herausgegeben von Koch, ö. Bd. 8. Heft. Berlin
1905. S. 381.
— 90 —
gänge, die das treibende Moment der Handlang bilden, dem
Zuschauer dramatisch wirksam, also sichtbar Yorzufahren.
Denn, sagt der Verfasser, dramatisch wirksam ist nur das,
was der Zuschauer wirklich miterlebt und hört und sieht.
Wurth's Erörterungen der 2. Frage basieren auf der
schon von Tieck ausgesprochenen Ansicht, daß der Dichter
für das Wunderbare fast immer eine natürliche Erklärung
übrig läßt, und decken sich ungeföhr mit den Ausführungen
in der Quarterhj Rernew vol. 171 (1890) S. 91fr.i)
Der Verfasser dieses Artikels wirft die Frage auf: Ist
Shakspere naturgetreu, wenn er Hamlet oder Macbeth oder
Brutus Geister sehen und mit ihnen sprechen läßt?
Shakspere 's Zeitgenossen glaubten an Geister, weil
sie welche gesehen hatten. Auch wir sehen im wirklichen
Leben manchmal Geister und glauben trotzdem nicht an sie.
Denn wir wissen jetzt, daß Geister, geradeso wie viele andere
geheimnisvolle Erscheinungen den Naturgesetzen unterworfen
sind. Nur fallen sie nicht unter die Gesetze der Optik,
sondern unter diejenigen der Phantasie. Wenn wir also im
wirklichen Leben Geister sehen, so wissen wir, daß sie ihre
Ursache in dem abnormen, ungesunden oder überreizten Zu-
stand unserer Phantasie haben. Der Verfasser kommt des-
halb zu dem Schluß: ^ Shake^^ipeare is tme to nature in his
(jhosfs, if those of Jm characiers who see ghosts might have scen
them in adual lifr ; and if ihe gliosts so seeti ad and speak as
such ghosts would have done, with onhj Üie same differefice betteten
them and the ghosts of adual life as coiresponds with iJie differenct
hetween art and nature which we find throughout Shakespec^e^s
Plays (1. c. S. 100).
Bei Chapman dient der Geist dazu, den Beginn der
steigenden Handlung zu verursachen, auf die Katastrophe
vorzubereiten, endlich den Gang der Handlung zu beschleu-
nigen. — Die Verfasser von ^^AntonimLS ßassianus CaracaUa^^
und ^*Srrond Maiden^s Tragcdif lassen durch den Geist den
Beginn der fallenden Handlung hervorrufen; desgleichen
Mars ton. Letzterer überträgt dem Geist außerdem noch
Shakespeare^s Ghosts, Fairies arid Witches.
— 91 —
die Aufgabe, auf die Katastrophe Yorzubereiten und den Gang
der Handlung zu beschleunigen. Auch Webster läßt durch
den Geist den Beginn der fallenden. Handlung verursachen
und auf die Katastrophe vorbereiten .
Die Verfasser von ^^Fatum Vortigeitii" und ^'Richard //"
führen den Geist in das Drama ein, um auf die Katastrophe
vorzubereiten. Das Gleiche tun Hey wo od und der Dichter
des ^^Locrine'*; bei diesen letzteren muß der Geist ferner den
Gang der Handlung beschleunigen. Das entgegengesetzte
Ziel verfolgt der Geist bei Tourneur: er hemmt durch
wiederholtes Eingreifen den Gang der Handlung; außerdem
bereitet er auf die Katastrophe vor.
Den nämlichen Auftrag, d. h. auf die Katastrophe vor-
zubereiten, hat der Geist bei Massinger, Middleton und
Glapthorne; zugleich veranschaulicht er uns die Gewissens-
qualen des reuigen Mörders. Diesen Zweck, d. h. die Seelen-
schmerzen zu versinnbildlichen hat auch das Auftreten des
Geistes bei Ford. — Der Verfasser von '^Perfidm Ileiriisms'^
läßt durch den Geist den Gang der Handlung verzögern,
Peele beschleunigen.
Eine Art Stimmungsfigur ist der Geist auch in Peele 's
^^Baitle of Alcaxar^\ einem Drama, in welchem zu Beginn des
2. Aktes während der Bede des Presenter drei Geister, die
im Verlauf des 1. Aktes ermordet wurden, ^^VindiM* rufen.
Andere Dramatiker, wie Greene, Marlowe, Beau-
mont und Fletcher wenden den "Geist*' nie an. We-
nigstens kann man der beiden letzteren Komödie ^^The Knight
of the Burning Pestlc*^ kaum zu den eigentlichen Geisterdramen
rechnen: Venterwels will die beabsichtigte Heirat zwischen
seiner Tochter Luce und Jasper nicht zugeben; einer seiner
Freunde, Humphrey, soll Luce heiraten. Um sich zu rächen,
erscheint Jasper als Geist verkleidet seinem Meister Venter-
wels und erklärt ihm, selbst durch den Tod könnten treue
Herzen nicht getrennt werden; seine Tochter Luce sei von
Engeln entführt worden, um mit ihm (Jasper) in einer
anderen Welt vereinigt zu werden; sein (Jasper's) Geist werde
nicht aufhören, ihn (Venterwels) zu verfolgen. Der auf den
Tod erschrockene Venterwels fragt den vermeintlichen Geist,
— 92 —
was er tun müsse, um Verzeihung zu eriangen. Der Geist
erwidert zunächst, die Reue käme zu spät, dann aber er-
mahnt er Yenterwels zur Reue und fordert ihn auf, das
seinem (Jasper*s) Vater zugefügte Unrecht wieder gut zu
machen, sowie Humphrey aus dem Hause zu jagen. Yenter-
wels führt schleunigst die ihm erteilten Aufträge aus. Dem-
gemäß würde also der yermeintliche Geist ein den Gang der
Handlung accelerierendes Moment darstellen. — Er-
wähnt sei noch Sir William Barclay's ^Lost Ladtf^ ^), eine
Tragikomödie, in der ebenfalls ein falscher oder yermeint-
licher Geist auftritt.
1) In Dodsley-Hazlitt, vol. Xn.
Lippert & Co. (0. Pätz'sche Bnchdr.) Naumbiurfc a. 8.
MÜNCHENER BEITRÄGE
ZUR
ROIANIS(lNDNDEN6LISmPIIILOL06E
HERAUSGEGEBEN
VON
E BREYMANN und J. SCHICK.
XXXVI.
DAS TIER IN DER DICHTUNG MAROTS.
-^-
LEIPZIÖ.
A. DEICH ERT'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG NACHF.
(GEORG BÖHME).
1906.
DAS TIER
IN DER
DICHTUNG MAR0T8.
VON
»»• JOS. MENSCH.
"-C^>—
LEIPZIG.
A. DEICHE RT'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG NACHF.
(GEORG BÖHME).
1906.
Alle Rechte vorbelialteD.
Inhalt.
Seite
Einleitung: Gegenstand der Arbeit; Begründung der Einteilung;
das Erscheinen des Tieres in der Dichtung 1
I. Teil: Äußere Anlässe.
1. Wirkliche Begebenheiten 6
2. Anekdotenhafte Begebenheiten 16
U. Teil: Innere Anlässe.
1. Spott und Neckerei 18
2. Ausschmückung und Belebung 19
3. Erotica 22
4. Ausfälle gegen Feinde 26
5. Krieg und Frieden 29
III. Teil: Tier-Gleichnisse 31
IV. Teil: Tier- Vergleiche.
I. Längere Vergleiche 37
II. Kürzere Vergleiche. (Einfache Sätze mit Ver-
gleichungspartikeln 46
III. Einwortige Vergleiche. (Metaphern.) 61
IV. Metaphorische Wendungen 62
Übergang zur Allegorie 68
V. Teil: Tier- Allegorie.
I. Anfänge der Allegorie 69
II. Allegorische Darstellung der Kechtshändel ... 72
III. Allegorisches Liebesgedicht 73
IV. Allegorisches Hirtengedicht 75
V. Allegorische Darstellung christlicher Lehren ... 83
VI. Allegorische Darstellung eines Zeitereignisses . . 85
Anbang 85
VI. Teil: Vermenschlichung des Tieres 87
VU. Teil: Animalisierung des Menschen 90
Alphabetisches Verzeichnis 92
Einleitung.
In der vorliegenden Arbeit^) habe ich mir die Au%abe
gestellt, einen Überblick zu bieten über Umfang, Grund, Be-
dingungen und Art des Erscheinens und der Verwendung
des Tieres in der Dichtung Marot's. Als Frucht der hier-
durch notwendig werdenden möglichst durchsichtigen Anord-
nung und G-ruppierung der einschlägigen Äußerungen des
Dichters möchte ich einen genauen Einblick bieten in sein
inneres Verhältnis zu den Tieren und in die technischen Be-
sonderheiten seines Verfahrens bei Heranziehung und Ver-
wertung von Stoffen und Motiven aus der Tierwelt.
Ich beabsichtige in einem ersten Teile von dem Auf-
treten des Tieres aus äußerem Anlasse zu handeln und dabei
diejenigen Gedichte und Einzelstellen aufzuführen, die ihre
Entstehung wirklichen oder anekdotenhaften Begeh' iten
und Vorkommnissen verdanken, bei welchen das eine otl p
andere Tier eine mehr oder weniger hervorragende Rolle ge-
spielt hat. Es kommen also hier für die Einführung des
Tieres in die Dichtung meist solche äußere Einflüsse in Be-
tracht, denen sich der Dichter in keiner Weise entziehen kann
und die ihn z. B. zwingen, gerade so wie jeder andere Be-
richterstatter auch ein Wort zu sagen über das Pferdematerial,
*) Meinen herelichsten Dank sage ich hier Herrn Profewor ßrey-
mann för die Stellung des Themas und für mannigfache ünterttüUung
bei der Ausarbeitung und der schließliehen Drucklegfung. Auch Herrn
Professor Schick bin ich für die so bereitwillig gewährte Hilfe bei der
Korrektur der Arbeit zu aufrioblagem Danke Tsrpfltchtet.
Münohener Beiträge z. romanischen n. engl. Philologie XXXYI. 1
— 2 —
das den Truppen zur Verfügung steht, wenn er etwa mit
ähnlichen Aufträgen ins Feldlager geschickt wird, um die
Zurückgebliebenen von den dortigen Vorgängen in Kenntnis
zu setzen. Allerdings kann man sich hierbei von vornherein
darauf gefaßt machen, ihn nicht so sehr nach Art eines ge-
wöhnlichen prosaischen Menschen das eigentlich Zweckent-
sprechende im Baue und in den Bewegungen der Streitrosse
betonen zu sehen, als vielmehr die Schönheit ihrer Körper-
formen und den mächtigen Rhythmus ihrer dröhnenden Huf-
schläge. Es handelt sich hier für ihn eben darum, sich au
das rein Tatsächliche zu halten, nichts hinwegzunehmen und
nichts hinzuzutun, seine eigene Persönlichkeit so viel wie
möglich auszuschalten.
Schickt sich hingegen der Dichter an, das Lob eines
Waldes oder eines Frühlingstages zu singen, so braucht er,
streng genommen, obwohl er auch in diesem Falle seine Ein-
drücke von außen her empfängt, nicht alle Elemente und
Faktoren, die, wie z. B. der Vogelgesang, für uns den Begriff
des Waldes und des Frühlingstages ausmachen können, auf
sich wirken zu lassen. Der Auffassung seiner Zeit, seiner
besonderen Eigenart oder der augenblicklichen Stimmung
nachgebend mag er den einen oder den anderen Faktor über-
sehen, ihn für unwesentlich oder aber für ausschlaggebend
erachten und wird ihn demnach in seine Dichtung aufnehmen
oder beiseite lassen. Räumt also der Dichter unter solchen
Umständen dem Tiere wirklich einen Platz in poetischen Er-
güssen beschreibender Natur und frei gewählten Schilderungen
ein, so liegt der Grund zur Aufnahme — und darauf kommt
es ja schließlich an — trotz des von außen gekommenen
Eindrucks doch nur in dieser oder jener Beschaffenheit seines
Seelenlebens oder in einer subjektiven Wertschätzung des
äußerlich Wahrgenommenen und demzufolge im Innern des
Dichters.') Dasselbe gilt auch von denjenigen Fällen, in
^) Einige allbekannte Beispiele mögen zur weiteren Erhärtung des
(resagten dienen. Man vergleiche z. B. Uhland's Gedicht: Die linden
Lüfte sind erwacht . . ,, in welchem mit keinem Worte irgend eine»
Tieres Erwähnung geschieht, mit der Schilderung des Frühlings in
Hey 's Gedicht Die Jahreszeiten^ die, nebenbei bemerkt, mannigfache
— 3 —
welchen der Dichter das Tier im Zusammenhaage mit Liebes-
beteuerungen, Ausfällen gegen seine Feinde u. dgL auftreten
läßt, wobei er sogar oft erst durch die natürliche Aufeinander-
folge der Gedanken dazu gebracht wird, dieser oder jener
Tatsache Erwähnung zu tun, zu welcher das eine oder andere
Tier in engster Beziehung stand. Ich glaube also im Rechte
zu sein, wenn ich den zweiten Teil dieser Arbeit dem Er-
scheinen des Tieres aus innerem Anlasse widme.
Ich gehe dann zu den Redefiguren über und führe in
einem dritten und vierten Teile die Gleichnisse und Ver-
gleiche Marot's auf, in welchen dieses oder jenes Tier oder
Gruppen von Tieren oder Vorkommnisse aus dem Tier-
leben zu Trägern der Vergleichung mit Menschen oder Vor-
kommnissen im Menschenleben werden. Dabei werde ich
unter dem Titel „Gleichnisse^ diejenigen Stellen zusammen-
fassen, in denen zwischen etwas Bekanntem oder allgemein
Gültigem und etwas Unbekanntem oder nicht schon Ton selbst
Einleuchtendem mit Hilfe des Vergleichs eine Beziehung her-
gestellt wird, um durch den Hinweis auf ganz ähnliche Ver-
liältnisse in der Tierwelt die eine oder andere Handlungsweise,
die befürwortet wird, oder diese oder jene Behauptung, die
vorgebracht wird, zu rechtfertigen. Dieser besondere Zweck fällt
bei den bloßen Vergleichen des vierten Teiles, die lediglich
zur sinnlichen Belebung oder Ausschmückung der Rede dienen,
natürlich fort. Von letzteren bringe ich zuerst die breiter
Ankläoge an Marot's Chant de May (vgl. S. 19) aufweist. Von den
acht Versen, welche dem Frühling gewidmet sind, beschäftigen sich
drei mit der l^erwelt. Es heißt dort von Gott: Weckt die Blümlein
ati9 der Erde^ Gras und Kräuter für die Herde ^ Läßt die jungen Lämmer
springen^ Läßt die liehen Vögel singen (Hey: Noch fünfzig Fabeln für
Kinder. Gotha. Schulausgabe IT, Anhang S. 18). Ahnlich findet sich
in Eichendorf f's Gedicht: Wer Jiat dich^ du schöner Wald, Auf-
gebaut . . . der V^ers : Oben einsam Rehe grasen, während im Gedichte
Geibel's „Aus dem Walde'* der Singvogel gedacht wird: Vöglein sangen
Gottes Ehre (G ei bei: Junius-Lieder, 31. Aufl. Stuttgart. 1893. S.70ff.).
Wenn es also auch ganz dem Ermessen des Dichters überlassen bleibt,
welchen besonderen Tieren er Aufnahme in ein doch beschreibendes
Gedicht gewähren will, so liegt der Grund der Aufnahme wohl nur in
ihm selbst.
— 4 —
ausgeführten und dann die kürzeren, indem ich sie nach den
Eigenschaften und Tätigkeiten zusanunenstelley bei denen be-
stimmte Tiere den Maßstab der Vergleichung bilden. Daran
reihen sich einwertige Vergleiche (Metaphern), d. h. Sub-
stantiva oder Verba, welche Tiere oder tierische Handlangen
bezeichnen, aber ohne weiteres, ohne daß die natürlich vor-
liegende Vergleichung auch nur angedeutet mtd, für Menschen,
denen die herYorstechendste Eigenschaft des Tieres, Uut dem
sie identifiziert erscheinen, anhaften soll, oder für menschliche
Handlungen gesetzt werden. Als Fortsetzung dazu lasse ich
metaphorische Wendungen folgen, die den Übergang zur
Allegorie, dem fünften Teile dieser Arbeit, vermitteln, da
die Allegorie im Grunde eben nur durch das Überhandnehmen
und die breitere Ausführung der Metapher entsteht. Von
den Anfängen der Allegorie ausgehend, in denen unter dem
buchstäblichen Sinne, den die Erwähnung des Tieres zunächst
herYorruft, ein anderer Sinn, der sich auf den Menschen be-
zieht, verborgen liegt, gelange ich zu den großen allegori-
schen Gedichten Marot's, in welchen ganze Beschreibungen
aus der Tierwelt nur zu dem Zwecke abgefaßt erscheinen,
um unter dem Schleier der Allegorie menschliche Verhältnisse
in einer nach Ansicht des Dichters reizvolleren Weise schildern
zu können.
In einem sechsten Teile handle ich sodann von der Ver-
menschlichung des Tieres, die mit der Übertragung mensch-
licher Gefühle auf das Tier beginnt, bis zur Beilegung der
Sprache fortschreitet und in der Fabel ihren Abschluß findet.
In einem letzten Teile endlich werde ich von der Anitaalisierung
des Menschen sprechen, die bei der Beteuerung zur Strafe
ein Tier werden zu wollen, wenn eine Aussage, die gemacht
wird, nicht wahr sein sollte, und bei dem Wunsche mit doo
Tiere tauschen zu können, da es diesem unter Umständen
besser ergeht, ihren Anfang nimmt und mit einem vollst&bdigen
Aufgehen des Menschen im Tiere endigt.
Auf die hier dargelegte Weise glaube ich die über-
nommene Aufgabe wenigstens so weit ihrer Lösung entgegen-
führen zu können, als es ohne vergleichende üntersuchnng
einer Reihe von Schriftstellern überhaupt wohl möglich ist;
— 5 —
denn erst mit Hilfe der Resultate, die auf dieser breiteren
Grundlage gewonnen würden, könnte auf dem G-ebiete der
literarischen Verwendung des Tieres an eine reinliche Scheidung
zwischen allgemeinen Erscheinungen und besonderen Eigen-
heiten einer Zeit oder eines Dichters (in unserem Falle
Marot's) herangetreten werden.^)
') Die vorliegende Untersuchung erBtreckt sich nor auf die Ori-
ginaldichtung Marot's. Seine jSjpigrammes ä Vimitation de Martial und
seine an den Boman de la beü» MagueUmne sich anlehnende Epiatle de
Maguelonne ä son amy Pierre de Provence sind unberücksichtigt ge-
blieben. Ab Eigentum MairoVa kommen aus letaterer nur die Anrufung
des Vogels der Venus: Mesaa^er de VenuSy prena ta haulte volle , . .
(Cr. III, ö. Vgl. über die Zitierungsweise S. 6) und die Verse : Bepoaons
nous 8ur VJierbe qui fieuronne^ M escoutons du rouignol le chant
(G. ni, 9, "**'• mit der Variante: Reposons nou8 oyant la voix mignonne
Du messaigier du grant dieu damourettes) hier in Betracht. Bemerkt sei
noch, daß die vorliegende Arbeit eine Aufführung der etwaigen (Quellen
Marot's zu geban nicht beabsichtigt. Dies möge nicht vergessen werden,
wann sogar bei dem auf S. 16 besprochenen Gedichte über den Tod
des Sperlings der jungen Maupas sich kein Hinweis auf OatuU (ed.
Kiese, 3) findet, obwohl Marot seibat, indem er den Vers des Martial
(rec. Gilbert I, 109): Isea est passere nequior Catulli mit: Mignonne est
trop plus afettee, Plus fretiüant^ moins arrestSe Que le passeron de
Maupas (R. II, 486. Vgl. über die Zitierungsweise S. 7) übersetzt, seine
Abhängigkeit von dem römischen Dichter andeutet. (Vgl. noch Toldo,
in: Z. f . rom. Phil. 1901. XXV, 383 ff.) Für die Zwecke dieser Arbeit
(vgl. den Anfang der Einleitung) erscheint es gleicbgültig, ob Marot,
soweit er noch original bleibt, einen Vorgänger benützt hat. Wenn
nicht die junge Maapas einen Sperling durch den Tod verloren hätte,
wäre es trotz CatuU Marot wohl nie in den Sinn gekommen, ein der-
artiges Gedicht zu schreiben. Es handelt sich hier eben nicht um die
teilweise dem CatuU entlehnte Form, sondern um den Anlaü der Dichtung.
Erster TeiL
Äußere Anlässe für das Erscheinen des Tieres
in der Dichtung.
1. Wirkliche Begebenheiten.
Für das Auftreten des Tieres in der Dichtung Marot's
ist der bei weitem wichtigste äußere Anlaß der Mangel eines
guten Reittiers. Dieser war natürlich zu einer Zeit, die für
längere Wege kein besseres Transportmittel als den Sattel
kannte, besonders empfindlich. Da er zuweilen auch an
Marot selbst oder einen Freund herantrat, wenn gerade eine
Veränderung des Aufenthaltsortes notwendig wurde, hat er
den Poeten zur Schöpfung zweier*) wirklich formvollendeter
Erzeugnisse seiner Muse angeregt, die (mit gelegentlicher
Hereinziehung des Maultieres) in ihrer ganzen Ausdehnung
vom Pferde handeln. Alle, welche damals mit einem fürst-
lichen Hofe in Verbindung standen, hatten für den Fall, daß
die Not an den Mann kam, das vortrefifliche Auskunftsmittel
ersonnen, einfach die großen Herren zur Übung der Frei-
gebigkeit aufzufordern.*) So sucht denn auch Marot, der am
Vorabend einer weiten Reise seine alte haquenee^) mit
^) ^^g^- jedoch weiter unten S. 11.
') Vgl. Bd. III, S. 179. Anmerkung der M a r o t - Ausgabe von
G. Guiffrey (Paris 1875 u. 1881. ßd. II u. III). Weiterhin wird der
Anfangsbuchstabe G. auf diese Ausgabe hinweisen, also kuns: G. HI.
179, Anm.
?) Haqucnee = Paßgänga; Zelter, nannte man ein Pferd, da?«
wegen seiner angenehmen Gangart (Paßgang) gewöhnlich von den
prüfenden Blicken auf ihre Trag- und Marschfähigkeit unter-
sucht und leider nur mehr eine sehr kurz gemessene Strecke
mit ihr zurückzulegen hoffen kann, seinen „zweiten König"
Heinrich von Navarra (in erster Linie war er Untertan Franz I.
von Frankreich) durch ein launiges Dimin, dessen scherzhafter
Ton erheiternd und gewinnend wirken soll, zur Überlassung
eines kräftigeren und jüngeren Tieres zu bewegen, welches er
gewiß — dies will er ja gerne versprechen — ebenso freudig
annehmen wird, wie er das seinige dem ersten besten „Schlau-
berger", der es verlangt, abzutreten gedenkt:
Mon second roy, fay une haquenee
Uassez hon poil, mais vieille comme moy.
A tout le moins : long tenips a qti^elle est nee:
Dont eile est foihlvy et son maistre en esmoy:
La povre beste, aux signes qve je voij,
DU, qxCä grand' peine ira jnsqne ä Nar})onne :
St vou.s voidez en do7iner tine honne,
S^avex comment Marot l^fxccepfera ?
Haussi hon cueur comme la sienne il donne
An fln premier qui la demandera,^)
Ein bei weitem längeres Gedicht ähnlichen Inhalts ver-
danken wir Marot*s freundschaftlichem Eingehen auf die Bitte
eines guten Kameraden von ihm, namens Pierre Vuyart.-)
Diesem war einmal von der Herzogin von Lothringen ein
ausgezeichnetes Pferd zum Geschenke gemacht worden. Leider
aber hat der Tod auch dieses herrliche Tier nicht verschont;
dessen unglücklicher Herr muß seitdem einen elenden Klepper
Frauen geritten wurde. Vgl. G. III, 181, Anm. Marot legt seinem
jedenfalls nicht allzu edlen Tiere, auf dessen Rücken es ihm vielleicht schon
so manches Mal ziemlich unbehaglich geworden war, wohl nur mit
Bcbalkhafter Ironie diese Bezeichnung bei. Ahnlich steht ja auch das
ausdrucksvollere haquenee statt des farbloseren cJieval in der Redensart :
Aller 8ur la haquenee des cordelierSy wofür im Deutschen ohne jede
spöttische Nebenbedeutung, aber durchaus nicht weniger treffend, auf
Schusters Rappen reiteti gesagt wird.
') Marot-Ausgabe von Rapilly (Paris 1824. 3 Bde.). Bd. II,
S. 356 f.: Au Roy de Navarre. Weiterhin wird der Anfangsbuchstabe
R. auf diese Ausgabe hinweisen, also kurz: R. II, 356 f.
») Vgl. G. III, 179, Anm.
— 8 —
reiten, so daß ihn die Erinnerang an sein früheres prächtiges
RoB und an die freandlicbe Geberia nimmer YsrläBt Da
faßt er sioh ein Herz; seiner edlen Wohltäterin will er die
mißliche Lage schildern, in der er sich befindet In richtiger
Erkenntnis der eigenen Unfähigkeit, weiß er das Ein-
schmeichelnde und Aussichtsvollere eines in Versen abgefaßten
Bittgesuches nur um so besser zu würdigen und versichert
sich also der Hilfe des besten Dichters der Zeit^) Dieser
entledigt sich seines Auftrages wirklich auf eine so geschickte
Art, daß die gute Herzogin sicherlich keinen Augenblick an
eine abschlägige Antwort auch nur denken konnte.
Ein Schmerzensschrei über seinen herben Verlust entringt
sich gleich anfangs der Brust des Bittstellers, als er die frei-
gebige Fürstin von dem Tode des Pferdes in Kenntnis setzen
will. Diese muß es natürlich seinem argen Herzeleid zugute
halten, wenn ihm schon jetzt der für sie nur allzu verständ-
liche fragende Ausruf entfährt, ob sich denn gar kein Tier
dieser Rasse mehr auftreiben lasse:
Jt ne Vay phis, Uberalle Princesse,
Je ne Vay plus : par mürt ü a prina eesse
Le bon cheml que feuz de voatre grace,
N'en s^uroit on recouvrer de la raee?^)
Doch rasch besinnt er sich. Mit dem vollen Bewußtsein,
die Gunst der hohen Frau nicht leichter gewinnen zu können,
als wenn er ihr Geschenk in nachdrucksvoller Weise rühmt,,
beginnt er in anmutiger Übertreibung die wahrhaft wunder-
baren Eigenschaften des Bosses, das nun nicht mehr ist, za
schildern. Wenn er auf dessen Rücken einherritt, so teilten
sich die Zweige des Waldes; Berge und Täler erschienen
wie Ebenen, reißende Flüsse wie Bächlein, und nie waren auf
dem Wege lästige Steine zu sehen. Wie hätte das Glück da
nicht auch mit ihm reiten sollen?
Certainement iandis que je Vavoye,
Je ne trouvoys rien nuysani en la voye:
') G. III, 179, Anm.
*) G. III, 178 ff.: Four Picfre Vuyart ä Madame de Xorratne.
— 9 —
En le menant par boys et par iaiUis,
Mes yeulx tCtstoyent de branchta assaiUis:
En luy faisant gra/i;ir rocy ou montaigiu^
AtUtant m'estoü que trotier en campaigne:
Äultant m^esUnt torrents et grandes eaux
Passer sur luy^ cotnme petits ruysseaulXy
Cor ü sembloü que les pierres s'ostassent
De tmits les lieux, oü ses piedx se houtassent,
Que diray pius ? Oncq tfoyage ne feit
Avecques moy doni ü ne vifit prouffit.
Jetzt aber — der Gegensatz rückt die angeführten Vor-
züge erst in das rechte Licht — habe er ein Pferd, welches
auf ebenem Boden strauchle und das kleinste Wässerlein für
einen gewaltigen Strom ansehe. Dazu scheine jeder Wald
dichter, jeder Weg steiniger zu werden und das Mißgeschick
ihn auf seinen Reisen zu verfolgen:
Mais maintenant toutes choses me' grevent:
Brandies au boys les yeulx quasi me crevent:
Car le ckeval que je pourmeine et meine
Est malheureuXf et bronche en pUine piaine:
Petits ruysseaulx grandz Hvieres luy semblent:
Pierres, cailloux en son ehemin s^assemblent :
Et ne me donne en voyages bon heur.
Woher aber kam wohl jenes heimliche Glück, das von
seinem früheren Pferde unzertrennlich war? Natürlich nur
von ihrj die es ihm gab:
0 Dame illustre, o parangon d^honneur,
Dont proceda le grand bon heur secret
Du cheval mort, oü fay tant de regret ?
11 ne vint poinct de cJieval ny de seile :
J^ay ceste foy qu'il proceda de celle
Par qui je Veux,
Nach dieser Schmeichelei naht endlich auf reizfollem
Umwege die Bitte. Das Pferd sei ja tot, meint der gewandte
Bittsteller, doch die angeborene Güte seiner Qönnerin habe
ein so kraftvolles Leben, daß sie es zwar nicht vom Tode er-
wecken, aber ihm dafür ein ebensogutes wiederverschaffen könne ;
— 10 —
Or en suy desmonti:
La mort Va jwins, la mort Va surmonie:
Mais c'est tont un, vostre honte ndifve
Morie n^esi pas : ain^oys est si tresvifve,
Qu'elle pourroit non le resusciter^
Mais dhm pareil bien me faire heriter.
Die Bescheidenheit würde jetzt freilich yerlangen, es dem
Ermessen der Herzogin zu überlassen, in welcher Weise sie
dem Gesuche willfahren wolle. Ein recht feuriger Renner
wäre am zweckmäßigsten für den Supplikanten, aber wie soll
sie es denn wissen, wenn er es ihr nicht zu sagen wagt? In
angenehmem Plaudertone, welcher der gebotenen Zurück-
haltung auch wirklich keinen Eintrag tut, muß er daher diesen
Punkt ganz besonders zu betonen suchen. Mit Nachdruck
weist er also auf seine robuste Natur hin, die eines allzu-
sanften Sitzes nicht bedürfe. Fromme Pferde, Maultiere,
weiße Zelter seien darum nichts für ihn, einen Mann in den
kräftigsten Jahren. (Wir erfahren hier zugleich, von welchen
Personen das Maultier und der Zelter für gewöhnlich geritten
wurden.) Aber ein wilder, unhäudigev coitrtand ^) — , das wäre
so recht seine Sache. Da könnte er sich als guten Reiter
erweisen und er und sein Roß würden glorreich daherkommen :
S^il advient doncq qnc par la honte vostre
Monscigneur face un de ses chevaulx vostre,
Trcslmmhkment le siipphj qii^il hry plaise
Ne me monier doukejuent et ä Vaise,
Je ne veulr poinci de ces doulcets chevaulx,
Tant quo pourray cndurcr ks iravaulx:
Je ne renlx poinct de muk, 7ie mutet,
Tant quc je soys vieillard blanc comme laict:^)
Je ne icidx poinct de blanche hacquenee,
Tant que je soys damoysclle aitournee.
*) In engerem Sinne: Pferd mit gestutzten Ohren und gestutztem
Schwanz; in weiterem Sinne : Vorzüglicher Renner. Vgl. G. III, 181, Anm.
^) Wegen seines regelmäüigen Ganges und seines gemessenen
Schrittes wurde das Maultier gerne von älteren Leuten geritten. Vgl.
G. III, 181, Anm.
— 11 —
Que veulx je doncq ? Un courtault fiirietix,
Un courtault brave, un courtault glorieuXj
Qui ait en Vaer ruade furieuse,
Glorieux trot^ la hride glorietise.
Si je Vay tel, fort furieusement
Le picqueray et glorieusement,
Conclusion: si vous me voulex croire,
Uhmnme ei cheval ce ne sera que gloire.
Marot hat allerdings noch ein drittes poetisches Gesuch
der gleichen Art geschrieben, eine Epistel an den königlichen
Oberstallmeister Herrn de la Roque.^) Angeblich leiht er
freilich nur einem capitaine Bourgeon seine Feder, in Wirk-
lichkeit will er sich jedoch selbst beritten machen.*) In
diesem Gedichte — und dadurch unterscheidet es sich von
den vorhergehenden *) — bietet dem Dichter nicht schon der
Gegenstand seiner Bitte zugleich den Stoff zu den aus-
schmückenden Gedanken und Wendungen, durch .die er sich
ein geneigtes Ohr zu verschaffen hofft. Deshalb ist der größte
Teil der Epistel ein für die Zwecke der vorliegenden Arbeit
ganz belangloses Beiwerk, so daß nur die wenigen Verse an-
zuführen bleiben, welche den Wunsch des Bittstellers in aller
Kürze zum Ausdruck bringen. Er müsse von Paris fort, klagt
der Dichter, und er habe auch den festen Willen dazu; aber
mit diesem allein komme er nicht weiter; denn ihm gebreche
es am Allernütigsten, an irgend einem Tiere zum Reiten.
Vielleicht wisse dies der Herr de la Roque nicht. Er
wolle es ihm also melden, damit er ihm aus der Verlegenheit
helfe:
Mais je ne scay si vous scavex commeni
Je rCay cheval, ne mule, ne jiivient.
Parqiiüt/, mon^ienr, je le vous fay s^avoir,
Ä Celle ßn que wüen faciex avoir.^)
>) Vgl. G. 111, 36 f., Anm.
*) Capitaine Bourgeon ist nur ein Spitzname des Dichters. Vgl.
G. UI, 38, Anm.
») Vgl. oben, S. 6.
*) G. III, 37, ^'^^•: Epistre pour le capitahit Bourgeon ämonsieur
de la Rocque.
— 13 —
Eine Abweisung hat Marot von dein soeben genannten
Herrn de la Eocque nicht erfahren. Es wurde ihm ein Pferd
zugestellt, ?on dem wir in einem ^u Beims verfaßten Ron-
deau an den König noch eiumal hören werdend) Der Dichter
bittet darin um eine Geldunterstützung, damit er seinen Wirt,
bei dem er mit leerem Beutel abgestiegen sei, befriedigen
könne; denn dieser habe gedroht, Pferd und Zaumzeug an
Zahlungsstatt zurückzubehalten:
Car mon cheval tient mieulx que par Its crains,
Puis V hoste est rüde et plein de gros refrains :
J^y laüseray niorsy hossettes, et frains,
Ce m'a il dit,^)
Sehr schlimm wird dem Dichter ein anderes Mai mit-
gespielt. Da ist er das Opfer eines Pferdediebstahla, den ein
ungetreuer Diener, während er im tiefsten Schlafe liegt, an
ihm verübt. Dieser raubt ihm zuerst all sein Geld, geht dann
in den Stall, nimmt das beste Roß und reitet davon:
Finahlementj de ma ehambre ü ä*en va
Droici d l'establej oü deux chevaulx irouva:
Lause le pire et sur U meilleur moniej
Pieque et s^en ta.*)
Da war er denn, fahrt Marot in seiner Epistel an den
König fort, so gut beritten wie der hl. Georg auf den Bildern:
monte comme im sainct George^), ich selbst aber bin über den
Verlust meines Reittieres nicht wenig ärgerlich gewesen: fort
faschd de perdre ma monture,^) Diese Erzählung dürfte übrigens
etwas stark übertrieben sein, da es denn doch nicht recht
begreiflich ist, wie ein Mann, der weder ein Pferd noch Geld
sein eigen nennt, wenn es gerade am notwendigsten wäre, auf
einmal dazu kommt, sich des glücklichen Besitzes gleich zweier
Pferde zu erfreuen. Später, auf seiner Flucht aus Frankreich,
werden ihm jene leichten Rößlein, denen er sein Entkommen
») Vgl. G. lU, 37, Arnn.
«) R. II, 112.
») ö. III, 186, »^-".
*) ö. III, 186, ".
») G. III, 187, **.
— IS —
▼erdanktei als ihm zu Fuß und zu Pferde die Häscher nach-
«etkte&y wohl auch nur Torübergehend tiberlassen worden sein:
tTavays chascun jour d ma suyte
Oens de pied et gern de ckevaL
Mais je feis tant par mon trafmlj
Et 9wr peUix ckevaulx Ugiers,
Que me mis hors de Unäa dangiets.^)
Da Marot zu dieser Zeit in Bordeaux war und so schnell
als möglich von dannen mußte, so sind hier die kleinen, aus-
dauernden Pferde der dortigen Gegend gemeint.")
Ganz kurz kommt das Pferd bei dem Dichter weg, wenn
er Ton militärischen Vorgängen reden soll und dabei auf die
berittenen Truppen doch irgendwie Bezug nehmen muß. Da
sieht et in dem Tiere nur das willenlose Werkzeug des
Reiters und erwähnt es daher kaum. Im Lager habe er,
erzählt Marot in seiner Eigenschaft als Berichterstatter der
damaligen Herzogin Ton Alen^on, gewaltige Eecken ange-
troffen, die so aussahen, als ob sie auf ihren Streitrossen und
spanischen Pferden die Welt erobern wollten.*) Nur ange-
spielt wird auf die treuen Kampfgenossen der Krieger in
einem für die Ankunft des Oberbefehlshabers verfaßten Ge-
dichte, das die Bitter unter anderem auffordert, die Feiode
wacker aus dem Sattel zu stoßen:
Vox ennemys poiäsez hors de Parson *),
sowie auch in der anläßlich eioes Toumiers vom Dichter ge-
lieferten Aufschrift für das Standquartier des Dauphin, wo
es, wie er sich ausdrückt, manchen Sporenhieb absetze:
Ou niaint coup d'esperon . , . se donrie.^)
unter ganz gleichen Umständen hat Marot übrigens
auch für das Maultier^) nicht viel mehr Worte, obwohl ein
Titel wie:
*) ö. HI. 444, »*-iw.
*) Qr, III, 444, Anm.
•) G. III, 43, *•: Sur coursierSj ou genetz.
*) R. II, 15.
») H. II, 346.
*) Vgl. hinsichtlich der Benennang dieses Ereuzttngsprodnktes Bull,
— 14 —
„De ceulx qui alhient siir muUe au camp cfAUigny^
an der Spitze eines auf Amateur-Kombattanten gemünzten
Kondeau's, die auf Maultieren ins Lager gezogen kamen, eine
größere Ausführlichkeit zu versprechen scheint. Allein der
Dichter begnügt sich nach einer allgemeinen Auslassung über
die Strapazen des Feldes mit der bloßen Feststellung der
Tatsache und dem Hinweis auf die unangenehmen Folgen:
En cestuy camp, oii la guerre est si dotdce,
Allez sur mulle avecques tme houssey
Aus&i touxez qu^un rtioyne ou capellen:
Mais vous vouldriex estre en Hierusalem,
Quand ce viendra ä donner la secotisse
Aux champs})
Des Maultieres durfte Marot auch sicher in dem Ab-
schiedsgedichte nicht vergessen, das er bei Gelegenheit des
Abganges vieler junger Leute zum Kriegsschauplatze (im
Jahre 1537) geschrieben hat. Da er darin allen guten und
schönen Dingen, welche die Scheidenden leider hinter sich
lassen müssen, Lebewohl sagt, so war natürlich der Vers:
Adieu la torche et le mulet^)
nicht zu umgehen. Fällt auch für einen Zurückbleibenden
ein letzter Gruß ab, von dem jedermann weiß, wie schlecht
es mit seinen Erfolgen bei den Mädchen bestellt ist, denen
er nur von anderen gerne übersehene Aufmerksamkeiten er-
weisen darf, wie z. B. das Warten bei den Maultieren, bis
Die französischen Xamen der Haustiere in alter und neuer Zeit unter
Berücksichtigung der Mundarten. Diss. Berlin 1903. 8^. — Das Epi-
taphium, welches Marot auf den Tod des wunderbaren Rossea seines
Freundes Vuyart geschrieben hat, findet sich, weil darin das Pferd
selbst seine Taten feiert, im sechsten Teile dieser Arbeit, welcher von
der Vermenschlichung des Tieres handelt. Vgl. S. 88. Schließlich sei
hier noch der alten ehernen Pferde der Venediger gedacht, De leurs
chevaulx de hronzc trejiantiques (G. III, 423, ^^% von denen Marot in
seiner Epistel aus der Lagunenstadt nicht weiter sprechen zu wollen
erklärt, da seine Adressatin sie schon besser gesehen habe, als er sie
beschreiben könne.
') R. II, 113.
«) G. III, 603, ".
— 15 —
deren schöne Reiterinnen sich wieder einfinden, so kann der
Dichter auch das nicht gut unerwähnt lassen:
Adieu qui n^est ayme de nulle,
Et ne sert que tenir la mtUe.^)
Ahnlich verhält es sich mit der notwendigerweise auf das
kindliche Gemüt der kleinen Prinzessin von Navarra
eingehenden Bezugnahme auf deren drei Lieblingstiere in
einer Epistel, welche diese unter Anleitung Marot's an ihre
Base Marguerite de France über eine Wasserfahrt
schreibt, auf der sie ihre Mutter samt ihrem grünen Papagei,
ihrem lohfarbigen Eichhörnchen und ihrem albern drein-
schauenden Hündchen (?) -) Bure begleitet habe :
Or, sehn que favoys envie,
Par eau jusque iey Vay suyvie,
Arecques mon hon peiroquet
Vestu de verty comme un houquet
De marjolaine. Et nudict li^u
yVa suyrie mon escurieUy
Lequel iout le long de Vannee
Ne porte que robbe tanee,
J^ay au8&i poiir faire le Heys
Afnene Bure en ces quarfiers,
Qui monsire bien d son risage
Que des troys n^esi jms la plus sage,^)
Sucht sich hier der Dichter der noch sehr engen Ge-
dankenwelt der jugendlichen Schreiberin anzupassen, so weiß
er ein anderes Mal einen Tröstungsversuch, durch den er
einem schon älteren Mädchen über den Tod seines geliebten
') U. III, 604, *^^' — Wenn sich dagegen in den berüchtigten
Ädieux aux dames de Paris, die Guiffrey für das Werk Marot's halten
möchte, nur in einer Variante der Vers findet: Adieu vous dicts desstis
ma mulk (G. III, 122, ** Var.), so ist schon daraus allein die Erwähnung
des den Dichter allerdings unmittelbar berührenden ümstandes, daß er
seine Abreise auf einem Maultiere ausführte, als ganz ihm selbst über-
lassen zu erkennen. £s liegt demnach hier bereits ein innerer Anlaß
vor. (Vgl. weiter unten Teil II.)
•) G. III, 611, Anm.
») G. III, 610 f.
— 16 —
Sperlings hinweghelfen will, auf dessen zufällig für Schmei-
cheleien und Liebeleien recht unzugänglichen Oharakter zu
gründen. Er behauptet| Amor habe das Tiw aus Sache ge-
tötet, weil ihm die kleine Spröde jeden Eingang in ihr Herz
▼erwehrei und gibt sich der Ho£fnung hin, daß der Zorn über
den Liebesgott, den sie ohnehin nicht leiden mag, sie von
ihrem Schmerze ablenken werde:
Zf(M il eai mort (pleurez k damoywUes)
Le passereau de la jeune Maupas:
Un autre oyeeau qui fi'a plutnes qu^aux aeslßs^
Va devore; le congnoissex voua pas?
Ceai ce fascheux Amour^ qui^ sane compaSf
Avecqttes luy se jedaü au §iran
De la pucelle, et voüoü environ,
Pour VenflamheTy et ienir en destreese:
Mais 2>ar despii tua le paseeron^
Quand il ne s^ut rie^i faire d la niaistresse.^)
2. Anekdotenhafte Begebenheiten.
Die vier Anekdoten, auf welche ich wegen ihres Inhalts
teilweise Bezug nehmen muß, enthalten zur Hälfte Liebes-
Szenen von krassem Naturalismus; die beiden anderen sind
weiter nichts als Ausfalle gegen die bei Marot in sehr ge-
ringem Ansehen stehenden Mönche. In der ersten, die ein
*) R. II, 465. — Von einer sehr mäßigen Freude am Landleben
zeugt eine Äaßerung, die sich in einer an die Frauen von Ohateandon
gerichteten und vom Dichter für einen Hofkaralier verfafiten Bptetel
findet. Letzterer, der mit dem König reisen muß und in yielen Dörfern
Aufenthalt nimmt, beklagt sich darin über die Bäuerinnen, die immer-
fort von ihren Kühen und Schweinen reden:
Ces grosses vilUigeoises
La nous trontons: les unes sont vacheres
En gros estat^ et les aultres porchtrcB,
Qui nous diront^ sHl nous ennuye ou fast^,
Quelqut propos de leur pays de vaeht. (G. III, 274 f.)
Diese Worte dürften wohl zugleich aus Atv Seel^ Harot's g«fl(prooheli
sein, dessen Schäferpoesie nichts als Allegorie ist. Vgl weiter unten,
S. 76 ff.
— 17 —
abenteuerliches Geschehuis zwischen einem Hirten und einer
Hirtin erzählt, wird ganz kurz auch der Schafe gedacht, die
der Obhut letzterer anvertraut sind: Marion lors gardant ses
brebis.^) Die zweite berichtet von einem Bauer und einer
Bäuerin, denen ein Schwein, das sie auf den Markt führen,
viel zu schaffen macht:
Martin menoü son pourceau au marche
Ävec AliXj qui en la peine grande
Pria Martin luy faire le peehe
De Vun sus Vautre, et Martin luy demande:
Mais qui tiendroit nostre pourceau^ friande ?
Qui ? dit Älix : hon remede il y a:
Lors le pourceau ä sa jambe lia:
Puis Martin jusche, et lourdement engaine :
Le porc eusi paour, et Alix s^escria:
Serre Marti7i, nostre pourceau m^entraine.^)
Die dritte gewährt einen Einblick in die häuslichen Ver-
hältnisse eines Priors zur Morgenzeit. Wenn er aufsteht, so
dreht sich schon ein Rebhuhn am Spieße, das er hierauf mit
vollendeter Meisterschaft verzehrt:
Un gros prieur son peiit filz baisoitj
Et mignardoit au matin en sa cou^he,
Tandis rostir sa perdrix on faisoit:
Se levCf crache^ esmeutit et se niouche:
La perdrix vire: au sei de broc en houclie
La devora, bien s^avoit la science,^)
Die vierte enthüllt das schlaue Gebaren eines frere
Thibaut, der sich in der Fastenzeit alle Tage eine Lamprete
braten läßt*), von der Kanzel herab aber Abtötung predigt
und mit einer Art reservatio mentalis laut verkündet, er ge-
nieße am Abend nur eine rötie, (Thibaut denkt dabei an
eine lamproie rötie, das Volk versteht unter rötie nur eine ge-
röstete Brotschnitte.)
1) R. II, 540.
•) ß. II, 541.
») ß. II, 454.
*) R. n, 455: *Faict tous les jours sa lamproye rostir.*
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXVI.
18
Zweiter Teil.
Innere Anlässe für das Erscheinen des Tieres
in der Dichtung.
1. Spott und Neckerei.
Einen ineeren Anlaß für das Erscheinen des Tieres in
der Dichtung nehme ich überall da an, wo etn unmittelbarer
äußerer Anlaß fiir dieses Erscheinen entweder überhaupt nicht
vorgelegen hat oder wenigstens für sich allein ohne eine noch
hinzutretende innere Absicht des Dichters wirkungslos ge-
blieben wäre. Letzteres ist der Fall, wenn Marot, wie schon
aus der Überschrift < Sur quelques tnauUxiises manierts de parier*
des folgenden Gedichtchens heryorgeht, von einem auf dem
Jahrmarkt verübten Fferdediebstahl lediglich aus dem Grunde
erzählt ^)y um die gezierte Sprache des Hofes zu ▼erhöhoeny
wo diese drollige Geschichte jedenfalls oft zum besten ge-
geben wurde:
Collin s^en allit au lendit
Oll n'achetU, ni ne vendit^
Mais seulemcnt, ä ee qv!on diet,
Derobit une jument noire.
La raison qu*o?i ne le penda
Fui que soudain il responda,
Que jaynais autre il n^entenda,
Sinon que de la mener boire.^
Wenn der Dichter nun gar einem Fräulein als Neujahrs-
geschenk ein niedliches Hündchen in Aussicht stellt, das wegen
seiner Kleinheit so überaus reizend sei, welches er aber, wie
er am Schlüsse plötzlich gesteht, leider nicht besitze, so hat
ihn dazu wohl der Wunsch bewogen, der Armen einen Streich
*) Durch die Ausrede, sich nur eines durstigen Tieres erbarmt zo
haben, weiß übrigens der Dieb seinen Kopf aus der Sohlinge ea ziehen.
«) R. II, 461.
-^ 19 —
Ett Spieles, ifideiii er sie zuerst in recht aDgenehme ErwartaDgen
▼ersetzt, um sie nachher um so grausamer zu enttäuscheu:
Damoyselle que fayme hien^
Je te donne^ pour la pareiüe,
Tes estrenes (Tun petit chien,
Qui füest pas pltts grand que Voreüh :
II jappe, il mordf il faict merveUlej
Et va desja UnU seul irois pas:
Cesi pour toy que je VappareiUe,
Excepte que je ne tay pas,^)
2. AuBBchmückung tind Belebung.
Von einer Verwendung des Tieres zur Ausschmückung
und Belebung darf wohl dann die Bede sein, wenn es ge-
legentlich in Naturbeschreibungen auftritt oder als Anteil
nehmend an freudigen oder traurigen Ereignissen des mensch-
lichen Lebens hingestellt wird. Über die Art des Anlasses,
der den Dichter zur Einführung des Tieres in Schilderungen
des Frühlings, des Waldes u. dgl. bewegt, habe ich schon in
der Einleitung das Nötige gesagt, so daß ich die wenigen
hierher gehörigen Stellen Marot's sofort folgen lassen kann.
Im Mai fordert er alles, was sprießt und grünt, auf, den
Schoß der Erde zu verlassen, um den Herden des größten
Hirten, der den Frühling gemacht hat, zur Nahrung zu dienen :
ArhreSj fletwsj et agricuHure, . . .
Sortez pour servir de pasture
Aux trouppeaulx du plus grand pasteur.^)
») R. U, 239 f.
*) R. n, 21. — Gott und die wilden Tiere des Feldes als Hirt und
Herde zu betrachten ist eigentlich schon Allegorie, in der Marot's
Schäferdichtung fast ganz aufgeht. Marot läßt Hirten in Weihnachts-
liedem auftreten (R. II, 33f. u. R. II, 213 f.); fordert selbst den flirten-
gott Pan auf, während der Fastenzeit der Freude zu entsagen (R. li, 36);
erklärt die lange Abwesenheit eines Flötenspielers durch dessen Teil-
nahme an einem von Pan angekündigten Wettblasen (R. II, 32); be-
merkt in seiner Einleitung zu den Psalmen, Gott habe den Schäfer David
zum König erhoben und seinen Hirtenstab in ein Zepter verwandelt:
Weiterhin lädt er die treuen und wahren Liebenden
ein, auf den Fluren dem vollendeten Gesänge der Vögel zu
lauschen :
Allex aux champs sur la verdure
Ouyr Voyseau parfaid chanieur,^)
Einen unglücklich Liebenden yermögen freilich auch die
Nachtigallenlieder des Mai nicht zu trösten. *)
Von Waldtieren erwähnt Marot nur die Vögel und auch
diese nur in einem Verse. 5) Ausführlicher ist der Dichter
bei der Beschreibung eines Gartens, der als fester Platz dar-
gestellt und zum großen Vergnügen der holden Herrin dieses
schönen Ortes von den Vögeln belagert wird. Girlitz, Häher,
Braunellen-Flühvogel und Kalander-Lerche tun sich in dem
Kampfe besonders hervor:
Maintx ennemys le viennent assieger,
Dont le plus mde est le serin leger,
Vautre le geay, la passe, et la eallatide:
Ainsi la dame (a qui me recommande)
S^esbat ä veoir la guerre en son verger
Plus beau que fort,*)
Andere Naturschilderungen finden sich bei Marot nicht.
Entsprechend der eigentümlichen Anlage des Menschen, dem
De herger en grand roy Veiigea, Et »a houlette en sceptre luy ehangea
(R. III, 190); schätzt denjenigen glücklich, der Hirt and Hirtin anf den
Fluren, den Landmann hinter dem Pflage und den Fahrmann auf der
Straße die Psalmen singen hören wird (R. III, 195 f.); endlich schwört
er in einem Panegyrikus an einen Kriegshelden, unter anderem auch
keine Hirtenlieder mehr schreiben zu wollen (G. III, 646, '*). Auch sei
noch hervorgehoben, daß Marot seine allegorischen Hirtengedichte zur
Zeit seiner Verfolgung verfaßt hat, als ihm der Sinn für ein ruhiges
Leben auf dem Lande freilich nicht mehr abging. Fem vom Hofe,
schreibt er da an einen Freund, würde ich mich jetzt wohl fühlen, Hund
und Vogel würden mir Zeitvertreib genug bieten: lA me plairoit mieidx
qu'avec 2>riw(?eÄ vivre: Le chien^ Voyseau . . . seroit tont nostre saing (G.
III, 632, «»^•).
M R. II, 21.
•) R. II, 425: «ne rossignolz ouyr.*
*) R. II, 375: *En ce bosquet, qu^oyseaulx fönt resonner.*
*) R. II, 153.
— .21 —
alles voll Freude erscheint, wenn er selbst freudig gestimmt
ist, und der sich in düsterer Umgebung am wohlsten fühlt,
wenn er gerade traurig ist, läßt Marot bei der lange er-
warteten Ankunft der Königin nicht bloß das Volk ihr zu-
jubeln, sondern auch die Vögel sie begrüßen:
Chantres oyseaulxj de leurs voix resonnantes,
Touts d Venvy maintenant te saltient,^)
In der Fastenzeit jedoch sollen sie den Hort ihrer hellen
Lieder verschließen und den dumpfen schrecklichen Stimmen
der wilden Tiere es überlassen, die Erde mit Furcht und
Entsetzen zu erfüllen:
Ne ckaniez plus, refrenez vos gorgettes
Taus oyselletz:
. , , et (Tajigoüse profonde
Bestes des champs par cris espoventables
Faictes trembler taute la teure ronde,^)
Handelt es sich nicht nur wie hier um eine rein imaginäre
und fingierte Anteilnahme der Tiere an menschlicher Lust
und menschlichem Schmerze, sondern um jenes wirkliche zer-
störende Eingreifen gewisser Tiere, dem jedes organische
Wesen nach seinem Tode preisgegeben ist, so läßt der Dichter
natürlich noch viel weniger die Gelegenheit vorübergehen,
durch einen Hinweis auf diesen Umstand, wenn es sich ge-
rade schickt, seine ßede ergreifender und eindrucksvoller zu
machen. So vergißt er nicht, einem zum Galgen verurteilten
Finanzmanne die Worte in den Mund zu legen :
Mes yeulx jadis vigüans ds nature,
Des vieulx corbeaux sont devenux pasttire,^)
Desgleichen wird in einigen von Marot verfaßten Grab-
inschriften der Würmer gedacht. Da wird entweder der
arme Leib von dem Gewürme zerfressen % eine Frau erfährt,
daß man den Leib ihres Gemahls den Würmern zur Speise
') G. III, 163.
») E. II, 36.
») R. I, 294.
*) R. II, 250: ttpovre corps tout mortj Lequel par tout vermine
mint et mord.»
gegeben habe^), oder der Tote selbst, der früher ein Alen-
fonnoj9 war, ist jetzt Sx>eise und Labung des Gtewünns in
der Erde^) und die Würmer tun sich gütlich an dem ange-
nehmen Greise, den jeder geliebt hat.*) Selbst der Liebhaber,
der aus Verdruß sterben will, gebraucht die pathetische
Wendung, er werde seinen gramerfiillten Leib den Würmern
hingeben.^) Ein bei weitem größeres Pathos wird jedoch
von dem Hirten Robin entfaltet, der Pan die dankbare Ver-
sicherung gibt, es werde alles andere eher geschehen, eher
auch die Schwäne schwarz und die Krähen weiß werden, als
daß er ihn je vergesse und seinen Namen zu preisen auf-
höre.*) Nicht weniger eindringlich ist des Dichters Hinweis
auf die seltsame Folgerung, die sich ergeben würde, wenn
seine Geliebte inmitten der Unbilden, denen sie seinetwegen
ausgesetzt ist, unter der force, welche er ihr als die geeignetste
Tugend empfiehlt, die körperliche Stärke verstehen wollte. Da
müßten ja in ihren Augen die weit stärkeren Stiere, Löwen
und Elefanten viel tugendhafter als die Menschen erscheinen:
La vertu propre en cestiiy caSf c'est force . . .
Je ne dy point force de corps, et bras:
S^ainst estoit, les toreaux gros ei gras,
Lyons ptiissansj elephans 7nonstruetix
Seroient bcüucoup plus que noiis, vertueux:
Ce que fentens, c^est force de courage . . .•)
3. Erotica.
Bereits in der Einleitung ist dargelegt worden, daß das
Auftreten des Tieres in der Dichtung mitunter durch den
*) K. II, 272; *qu'aux vers U corps [qu']on faisait paistre De 8on
espoux.»
•) H. n, 258: «Jadis Älen^onnoys, orea pasture et gowt De terrestre
vermine.»
*) R. II, 271: ^Cest le tumbeau, Ul ou les vers s'appastent Du hon
vieillard agreable ...»
*J R. II, 156: *Je donne aux vers mon corps plein de tristesse.»
*) ü. II, 298, **"'•: €Plus tost seront , , . Les cygnes noirSj et les
eorneilles blanches^ Que je t^oiiblie ...»
•) R. I, 278 f.
— 23 ^
GedaDkenzusaDunenhang bedingt sein kann. Das ist z. B.
der Fall, wenn der Dichter^ während sich seine Gedanken
mit der Liebe im weitesten Sinne beschäftigen, auf das eine
oder andere Tier zu sprechen kommt. Der fern im Lager
weilende Marot beteuert z. B., seine Geliebte niobt vergessen
au haben, obwohl, wie er ihr mitteilt, seit seiner Abreise ihn
Tiel Unglück getroffen habe und in seiner Umgebung von
Liebe und Frauen nie die Bede sei, sondern nur von Streif-
Bügen, Pferden ^) und anderen Dingen, die der Krieg mit sich
bringe. Ahnlich läßt der Dichter einen Hof kavalier sich den
Frauen von Chateaudun gegenüber äußern. Meine Sehn-
sucht nach euch, sagt er in einem Briefe an sie, ist so groß,
daß ich nicht bloß auf meinem Zuge durch lauter langweilige
Dörfer im Gefolge des Königs immer an euch denken muß,
sondern daß es mich selbst in Paris, wo ich mich doch mit
Pferderennen und jeder Art von Jagd und Sport vergnügen
könnte, immer zu euch hinziehen würde :
Encor pose qtie fussions airestez
Dedans Paris, et totutjours bien traictex,
Si qu^d sotibhait eussions plumeurs delkes,
Comme en ckevaulx courir en pleines Ikes,
Chasser aux boys, voler aux grandx prairks^
Ouyr des chiens les abboys et brairies^ . . .
Si nie vient il iausjours en cueur, ou teste,
Un grand re^et de vous per-dre de reue , .^)
Ein anderes Mal schreibt der Dichter an eine Dame von
hoher Geburt, der er seine Liebe zu gestehen wagt und
*) R. I, 237: «Jfais seulement de cotiraes et chevaulx.*
*) ö. III, 275, '•''' — Gleichfalls von großer Sehnsucht getrieben,
ermahnen einige junge Leute durch den Mund Marot's ein Mädchen,
das sie in Paris zurücklassen mußten, recht bald zu ihnen ins Lager zu
kommen und "wünschen ihm zur schnelleren und leichteren Durcheilung
der Entfernung den Pegasus oder das Zauberpferd des Zwerges PacoUet :
. . . notis voiddnona . . .
qu^eusses or le cheval Pegasus^
Q\ii tt poriast volant par les provinces :
Ou qu*ä present ä ton vouloir tu tinses
Par le licolf par queue ou par coüet^
Le bon cheval du gentil PacoUet (G. III, 52, ""•)
— 24 —
welcher er zur Verteidigung seines kühnen Unterfangens Bei-
spiele anführt, wie hochstehende Personen aus Liebe oft zu
niedrig geborenen herabgestiegen seien, er könne zwar auch
wegen seiner Armut weder Kriegsleute noch Pferde unter-
halten ^)y sein Ruhm aber sei so groß wie der eines Königs.
Freilich gibt sich Marot gelegentlich auch, wohl um das süße
Geheimnis, das er nicht für sich behalten kann, doch Tor
profanen Blicken zu schützen, das Ansehen eines großen Herrn,
der am Hofe die Liebe einer Perle unter den Frauen ge-
funden hat, sich aber bitter beklagt, wegen des dort zahllosen
Späherheeres kein trauliches Beisammensein mit ihr ermög-
lichen zu können. Wie zufrieden wäre er da, wenn die Ge-
liebte eine Schäferin würde; alles wollte er aufgeben, zu ihr
eilen und Schaf lein statt Armeen ins Feld führen:
Que pleust d Dieu, que la fortune advint,
Quand je vouldrois, que hergere devint,
S^aitwi estoit, pour Valier veoir seulette,
Sotiveni ferois de ma lance hauiette,
Et cotiduirois, en lieu de gratis armeeSj
Brebii aux cliamps. costoyez de ramees ....
Si me vouldroü Vestat de hergerie
Plus, que ma grande^ et noble seigneurie,^
Und später, als ein geschwätziger Alter die beiden bei einer
zärtlichen Zusammenkunft belauscht und das Gehörte und
Gesehene unter die Leute gebracht hat, läßt der Dichter die
Geliebte in einem ihr in den Mund gelegten Gedichte sich
gleichfalls der Hirten erinnern, die besser als ihre Stiere treue
Verschwiegenheit zu bewahren wüßten, während in Schlössern
und Palästen messerscharfe Zungen beständig in Bewegung
seien :
Certes on voit aux champs les pasionreaux
Lew foy gardn- mifulx, que leurs gras ioreaux
Sans nul mal dire»
^) G. III, 600, *•'•: *Souldoier ne puys Qens et cheDatdx,»
^) R. I, 272 f. — Ein anderer Schwerenöter kommt bei Marot auf
einen viel besseren Einfall. Um die Frau allein zu haben, lockt er den
Ehemann hinaus zu fröhlichem Jagen (R. U. 211).
— 26 —
Mais en palais, grans vüles^ et chasteaux
Foy rüy est rien, langues y sont causteaux
Par trop mesdire^)
Bei der Wahl seiner Liebhaberinnen sieht Marot natürlich
auch auf das Alter; allgemein höre man ja nur, so meint er,
junges Fleisch und alte Fische loben. ^ Eine viel innigere
Beziehung zur Liebe muß jedoch den Weinbergsschnecken
und den spanischen Fliegen innewohnen. Von ersteren sagt
Marot, um den gegen ihn eifernden und ihm den Scheiter-
haufen androhenden Mönchen und Geistlichen') einen Hieb
zu versetzen, zwischen ihnen und den Scheinheiligen, Ignoranten,
Beisigbündeln und Dirnen gäbe es manch warmes Zusammen-
treffen :
Hz sont de chaude rencontree
Cagotz, bigotz, gotz et viagotz,
FagotZy escargotz et Margotz.^)
») ß. I, 275 f.
') R. II, 543: tVon n^oyt hieti estimer Que jeune chatTf et vieil
poisson.» — Fische scheint Marot übrigens für kein gesundes Essen zu
halten. Wenigstens schreibt er einem Arzte, den er während einer
Krankheit um Hilfe bittet, er getraue sich weder Fische noch Speck zu
kosten: Je ne mange poisson ne lardy Non que craigne le papelart: Mais
mon mal me faict trop d'assaulx (R. II, 116 f.). Den bei armen Leuten
vorkommenden Genuß von Krähen hält er geradezu für gesundheits-
schädlich; unter anderem führe er fahle Blässe im Gesichte herbei:
C^est un hon manger que comeiUes
A gens qui n^ont aultre viande:
Ma foyt eile en est bien friande:
Elle enala pasle couleur, (G. il, 461, »«-^O
') Es ist hier natürlich nur die Anschauung des Dichters wieder-
gegeben.
*) G. III, 500. — Den Verfechtern der damals allein geduldeten
Staatsreligion wird damit ein ungeordneter Lebenswandel und der (ge-
brauch geschlechtlicher Reizmittel vorgeworfen. An einer anderen
Stelle, wo es sich um eine Anklage wegen bestialischen Mißbrauches
von Mauleselinnen handelt, will Marot wohl feststellen, welchen schänd-
lichen Verleumdungen die Anhänger des neuen Glaubens ihrerseits aus-
gesetzt waren. Nach der in nächster Zeit erfolgenden Verlesung des
öffentlichen Aufrufes, meint er da, werden viele Kälber (die Protestanten,
die dumm genug sind, sich erwischen zu lassen) unfehlbar verbrannt
werden, denn sie haben (so lautet die gegen sie erhobene Anschuldigung)
— 26 —
Letztere werden direkt als eines yon den Mitteln angepriesen,
die der Schwäche des Mannes wieder aufhelfen sollen.^) In
beiden Fällen handelt es sich demnach um jene seltsamen stimiäi
amorisj zu denen sich Tiere hergeben mußten.^) Noch wunder-
licher ist aber Marot's.Neid auf die freie Liebe der Tiere.
Mitten in einem Gebete vor dem Kreuzesbilde wagt er in
Auflehnung gegen das Ehesakrament wider Gott den Vorwurf
zu erheben, dieser zeige gegen die Tiere eine größere Huld
und Nachsicht als gegen die Menschen, da er ihren Liebes-
verkehr keinen einschränkenden Gesetzen unterworfen habe:
Certes plus doulx tu €$ aux bestes ioiäes,
Quand saiilz ielz loix ne les contraincts et bautes.^)
4. Ausfälle gegen Feinde.
Der vorige Abschnitt hat bereits Gelegenheit geboten,
die Feindschaft Marot's gegen Mönchtum und Geistlichkeit
zu streifen. Hat er bisher die Sittlichkeit ihrer Vertreter in
Mauleaelinnen geritten und reiten sie noch alle Tage: Cor üz ont che-
vauchi la mulle, Et la chevauchent touts les jours (Cr. III, 284 f.; vgl
ibd. III, 226, Anm.). Hier darf ich wohl gleich beifügen, daß die Maul-
tiertreiber zu dieser Zeit sich in geschlechtlicher Beziehung keines be-
sonders giiten Rufes erfreut zu haben scheinen. Wenigstens sagt Marol
an einer Stelle, die von dem 3Ia0e des Ldebesgenusses handelt, das bei
den Liebhabern der verschiedenen Stände eingehalten wird, beim Maul-
tiertreiber beginne die Ausschweifung in diesem Punkte (R. II, 537).
*) G. III, 498 f.: «A qui n'aura les ccuiUons ckaulx- Des cantha-
rides ...»
') Als Anregungsmittel au wackerem Trinken nennt Marot Schinken
und gesalzenes Ochscnfleisch. Mit Schilden aus diesem Material {panoyM
de jamhons, Et beuf sali, G. III, 63, *•'•) will er den Kampf gegen die
Flaschen des Bacchus aufnehmen. Gegen die Pest empfiehlt er als
Hauptwaffe eine höchst angenehme Diät:
Beuf, 9ie wouton ne manger ex ^
Car ce sont trop dures maiieres.
ConnÜz, perdrix sous les paupieres
Fasserez, aussi perderea%ix,
Fuycz vitux oiseaulx de rimeres,
Et mangez force faisandeaux. (R, II, 446 f.)
») G. II, 58, »»'.
— 27 —
Zweifel gezogen^), so richtet er im folgenden seine Angriffe
gegen ihre Üppigkeit in der Lebensführung, trotz der Ton
ihnen gepredigten Abtötung des Fleisches durch Fasten und
Abstinenz. So heißt es z. B., daß man einem frere Lubin,
von dem der Dichter nicht das geringste Gute anzuführen
weiß, ja kein Wasser zu trinken geben dürfe, denn das sei
in dessen Meinung doch nur gut genug für die Hunde:
Mais pour boire de belle eau daire,
Faictes la boire d votre chien,
Frere Lubin ne le peuU faire.^)
Übrigens scheint Marot ganz genau zu wissen, daß es mit
der Enthaltsamkeit selbst in Rom nicht besser stand. Die
Abstinenz, die während der Fastenzeit für die gemeine
Christenheit. Yorgeschrieben sei, werde in der Umgebung des
Papstes durch Dispensation aufgehoben und man lasse sich
dort Zicklein mit wilden Artischocken ^) vortrefflich munden :
Mais Rmntne tandis bouffera
Des ehevreaulx ä la chardannetie.*)
Die Männer von der Rechtspflege mit ihren tciiappcrons
fourrex d^ermines> kommen bei dem Dichter nicht viel glimpf-
licher weg.*) Diese werden natürlich der Bestechlichkeit ge-
ziehen und einer von ihnen w^ird von Marot noch obendrein
der Treulosigkeit gegenüber denen beschuldigt, deren Ge-
schenke er angenommen hat. Schon zwei Wochen sitze
') Vgl. S. 26, Anm. 3.
«) K. II, 31.
') Es handelt sich wohl um ein Lieblingsgericht der römischen
Kurie. Vgl. G. IIL 351, Anm.
*) G. III, 351. — Auch das schmutzige Auüere der Mönche, welches
Zeugnis von ihrer strengen Armut und Demut ablegen sollte, scheint
Marot mit seinem Spotte treffen zu- wollen; denn die folgenden Verse
über die besondere Güte des ron Milben bedeckten Käses : Le fromaige
couvert de myttes Et d^ordure est toiisjours meiUeur (G. III, 472) dürften
wohl nicht nur buchstäblich zu fassen sein, da sie m einem seiner sa-
tirischen CQq-ä-Väne erscheinen. Vgl. G. III, 473, Anm.
*) G. III, 220, **. — Das Tier selbst, das schwarze Hermelin, er-
scheint in einer Totenklage : Sur ce fina par mwt qui tout termine, Le
lya fffut blanCj la tonte noire hermine: Noire d^enntty, et blancJie dHnnocence
(R. II, 249).
— 28 —
ich im Gefängnis, so schreibt Marot an den König, wohin
mich drei große Kerle trotz aller Widerreden geführt haben.
Doch will ich diesen in blindem Eifer handelnden Gesellen
noch lieber verzeihen, als meinem Sachwalter, der mich aus
dem Gefängnis zu befreien versprochen und eine Schnepfe,
ein Bebhuhn und ein Häslein nicht verschmäht hat, während
ich selber noch immer der Freiheit beraubt bin:
II a bien prins de nwy une becasse,
Uhe perdrix et un levrault auasi:
Et toutesfoys je suyz encor icy.^)
Weit wirkungsvoller ist jedoch in folgenden Fällen die
Bezugnahme auf das Tier im Gedankenzusammenhange. So
meint Marot einmal mit höhnischer Bosheit, daß die Mäuse
dem Sargschreine seines wegen allzugroßer Yerfolgungssucbt
gegen die religiösen Neuerer auf eine Felseninsel verbannten,
dort gestorbenen und daselbst zur Ruhe gebetteten Feindes
Natalis Beda ^) wohl nicht würden beikommen können. *) Einer
armen Näherin, die mit ihrer Zunge nicht vorsichtig genug
gewesen war, wünscht er, daß die Läuse sie fressen möchten.*)
Seinem Gegner Sagou, den er brieflich und im Geiste weidlich
durchgebleut hat, droht er mit dem Hofhunde, wenn er etwa
kommen wollte, um sich für die Prügel, die er als empfangen an-
nehmen soll, zu bedanken. '^) Den Namen desselben Mannes bringt
Marot mit dem Worte sagouin zusammen und um ja keinem
Zweifel Raum iu geben, wo er hinaus wolle, fügt er noch
bei, sagofidjn sei eine Bezeichnung für einen kleinen AflFen.^)
1) G. III, 83, "ff.
«) Vgl. ö. If, 446, Anm.
2) G. II, 446, *^^': *Au88i 8<m corps fut enchasae: Les aouris nont
garde d^y mordre.*
*) tt. n, 632 : «Lc« pouldz . . , Te puissent ranger soubz la coiU,* —
Den Fehlern des Nächsten gegenüber soll man es ebenso machen wie
der Gänsebrater mit den Gänsen •Comme im rotiaseur qui lave oye»
(R. II, 329); dieser sagt natürlich Ton keiner Gans, sie sei gut oder
schlecht, es fehle ihr dieses oder jenes, bevor er sie selbst gesehen hat.
*) G. in, 589, "'»'f-: ^Hou le mastin, Pleust ä Dieu gue quelqw
matin Tu vinsses ä te revenger.*
«) G. III, Ö74, »»'•: •Combieti que Sagon sogt un mot. Et k »w»
dun petit marmot.*
— 29 —
Eine ähnliche „naturw^issenschaftliche" Erläuterung legt der
Dichter Leuten in den Mund, die einem Fräulein die Gunst
des Königs, der sie seine €grenouiUe» genannt hat, mißgönnen
und daher diesen Kosenamen als schlecht gewählt hinstellen
wollen. Der Frosch, sagen sie, sei ein Fisch, der das Wasser
besudelt und eine wenig klangschöne Stimme hat.^)
5. Krieg und Frieden.
Marot kommt auf das Unglück zn sprechen, das die
Franzosen im italienischen Feldzuge unter den Mauern der
Stadt Pavia getroffen hatte. Doch sei es besser, fahrt er
fort, nicht daran zu denken. Jetzt gelte es, sich die Freude
an der Jagd und am heiteren Naturgenuß nicht yerderben zu
lassen, solange der wiedererkaufte Friede noch dauere. Den
Falken fliegen lassen, in den Forsten jagen, Hunde loskoppeln,
Netze spannen, den Stimmen der buntfarbigen Vögel, der
Wildenten, der Amseln, der Rotdrosseln, der Meisen, der
Finken, der Grünspechte, der Braunellen-Flühvögel und der
Sperlinge zu lauschen — , das sei unter anderem geeignet über
das drückende Gefühl der erlittenen Niederlage hinwegzu-
helfen :
Voller en plaine, et chasser en forestz *),
Descoupler chiens, tendre toiües, et reiz: . . .
Ou escouter la musiqtie, et le brnici
*) R, II, 355: «C'e»^ «n poisson qui Veau souille, Et qui chantant
a la voix mal seraine.*
') Auf die Jagd haben noch folgende Stellen Bezug. In einem
coq-ä'Väne findet sich eine Anspielung auf ein Jagdverbot, das den Keb-
hühnerfang mit Hilfe von Tonnennetzen untersagte: *Si tu chasses ä la
tonneüe, Tu feras contre V ordonnance» (G. II, 455, ^*'')- Ebenfalls in
einem coq-ä'Väne^ also ganz unvermittelt, steht die Frage: «Voulez vous
preferer la chasse Äu vol du milan smpendu?» (G. III, 386, **•'•). Auf
dem nämlichen Wege gewollter Zusammenhanglosigkeit erfahren wir
noch, daß der König oft auf die Jagd ging: *Le Boy va souvent ä la
chasse* (G. III, 241, "'), und daß eine Schleuder ein guter Stock sei,
um einen Kranich in der Luft zu töten: »Oest un bon baston qu^une
fände Four tuer une grue en Vair» (G. n, 472, «^^'^ Var.). Zur Jagd
bedarf man natürlich der Gesundheit; nur diese macht die jungen Leute
— 30 —
Des oifseüeiz painctz de cottktirs edranges^
Comme mcdlars, merles, maulviSf mesanges^),
Pmsons, jnvers, passes, et passerons. ^)
Wenn dann der Krieg wieder beginnt, so müsse man
freilich von Jagd, Hunden und Vögeln lassen*), mit neuem
Mute aber und mit frischen Kräften werde man dann den
Kampf wieder aufoehmen können.
Noch ein anderes Mal w^ist der Dichter darauf hin, daß
den Leuten auf dem Schlachtfelde draußen der Sinn für alles,
was nicht mit dem Kriege zusammenhängt, abhanden komme.
In dem Zimmer des Feldherm, wo so yiel« dem Führer ihre
Aufwartung machen, so erzahlt Marot in einem Briefe ao
die Herzogin Ton Älen^ou, werden allerlei Reden imd Ge-
spräche gehalten, aber nicht etwa über Vögel, Hunde und
Hundegekläff^), sondern über Waffen und Feldzei(dien und
es sehe aus, als ob alle diese Menschen nie ans Tanzen ge-
dacht hätten.«^)
<A chasBt^ ä vol, ä tournoys ententives» (R. II, 82). Schließlich vergißt
der Dichter nicht, als er gerade vom Bogen der Diana spricht, hinzu-
zufügen : tDont eile alloit aux champs faire les questes» (R. II, 409).
') Man beachte die Alliteration der Yogelnamen in diesem vmi
dem folgenden Verse. Diese Spielerei hat yielieicht doch auok den
Zweck, recht deutlich zu veranschaulichen, welch eine Unmenge von
Vögeln der Dichter aufzählen könnte, die alle nur dazu da seien, den
Menschen zu erheitern.
*) R. I, 240.
*) R. I, 241: «Laisser fauldra ckasse^ chiens, et oyseaux.^
*) G, III, 48, ^'"i *Non pas d^ayseaulx, de chienSj ne lewrs ahoys.*
•) Außer in den bisher besprochenen Ideenkreiien, bei welchen die
Einführung des Tieres häufiger statthat, tritt das Tier noch vereinzelt
in den verschiedensten gedanklichen Zasammenhängen auf. So erklärt
i^[arot, der einen *cri du jeu* für die Schauspielertruppe der EmpvrieMS
von Orleans verfaßt hat, man dürfe nur auf die Worte und dma Spiel
dieser Leute sehen; mit reichen Kleidern, Pferden u. dgL wollen sie
nicht prunken (R. II, 29). Ein anderes Mal meint er, daß ein gewisser
Montejean, der mit seinem Gefährten Boisy in engem Gewahrsam ge-
halten wurde, wohl schimmelig werden müsse, wenn nicht das Roß des
Pacollet sie durch die Luft entführe: ^Montejan tieni il tOMSJours serre^
Xay grand paour qu'il ne «oit maysi Avec son compaignan Boysi^ SofMS
le cheval de Pacollet* (G, III, 473 f.). Dann betont er wieder, daß aeäse
Stimme oder vielmehr diejenige seiner Begrüß nngsepistel an die Königin
— 31 —
Dritter Teil.
Tier-Gleichnissö.
Zwölf wirkliche Gleichnisse finden sich bei Marot, in
denen auf Tiere od<5r auf das Leben und Treiben von Tieren^
mitunter auch auf das Verhältnis zwischen M^sch und Haus*
tier Bezug genommen wird. Wegen ihres allzusehr ausein-
andergehenden Inhaltes wird es nötig sein, jedes einzeln für
sich aufzuführen.
Der nach dem Tode seines Vaters zum wirklichen Kammer-
diener des Königs ernannte Dichter war durch ein eigen»
tiimliches Versehen nicht in die Listen der Angestellten des
Hofstaates aufgenommra worden, hatte also keine Besoldung
zu erwarten. Damit er unter diesen Umständen für seine
dringendsten Bedürfnisse aufkommen könne, schickt ihn nun
der König mit einer Zahlungsanweisung, die nur mehr des
Siegels bedarf, an seinen Kanzler du Prat. Der Dichter
findet es für angezeigt, sich erst bei diesem hohen Herrn mit
zwar nicht so laut sei wie die der Kanonen, aber auch nicht sterblich
wie die der Trompeten, Vögel und Menschen (G. III, 164, ^^^'). Freilich
wünscht er dafür ein anderes Mal in einer Anwandlung von Frömmigkeit^
daß Gott ihm, wenn er etwa demütige Gebete von ihm verlangen sollte,
zu ihrer nachhaltigeren Verrichtung eine wiederhallendere Stimme geben
möchte als die der versteinerten Nymphe, die, gleichsam lebendig,
Menschen und Tieren antwortet: *qni semble vive E/^spondre aux gens et
anx bestes farouches» (G. II, 56, '°'"). In einer ähnlichen Stimmung
stellt er an sich die Frage, ob es, um sich von Sünden zu reinigen,
nicht eine kostbare Salbe, irgend einen künstlichen Balsam oder etwas
anderes gäbe, das vielleicht die Honigbienen bereiten: <0u autre cos
faict de mouches ä niieh (R. I, 173); nein, muU er anworten, nur das
Blut Christi kann uns abwaschen. — Seine Schreibfeder nennt der
Dichter einmal «pltime d^oye, ou de jars^ (G. III, 241, ^*'); nur mit
einer Gänsefeder, meint er ferner, könne man ein Protokoll aufnehmen:
•Encor n'est il que plume d^oy^[e] Pour escripre nn proces verbah (G. II,
457, 108^.); in der Grabschrift eines Spaßmachers kommt er endlich auf
dessen Mütze zu sprechen, die mit •plumes de chappons» geschmückt
gewesen sei (R. 11, 513).
— 32 —
einer poetischen Gabe einzuführen, in welcher er zugleich das
ziemlich auffällige Verfahren des Königs zugunsten eines
brotlosen Dichters zu erklären und zu rechtfertigen sucht.
Wenn ein Hirt, so meint er, bei Nacht weit vom geschlossenen
Pferche ein verirrtes Schaf findet, so muß er es bis zum
Anbruch des Tages irgendwo unterzubringen suchen und ihm
dort Futter vorlegen. Nicht anders habe der König gegen
ihn gehandelt, wenn er ihn in Erwartung einer Neuauf-
stellung der Listen des Hofstaates an seinen Kanzler sende
und ihn einstweilen also (und der Name du Prat =
du pre, d. i. von der Wiese, gibt dem Dichter Gelegen-
heit, sich ganz in die Kolle des wiedergefundenen Schafes
hineinzudenken) auf der besten Wiese seines Reiches weiden
lasse, bis seine Aufnahme in den Hofstaat bewirkt werden
könne :
(Je croij que non, et dy, pour ma deffense:)
Si im pasteur qui a fertne son parc
Trouve de nuyct, hing cinq ou six traiciz cTarc,
Urie brebis des siennes esgaröe,
Tant qu^il soit jour et la nuyct separee,
En qudcque Heu la doibt Joger et paistre,
Aiusi a faict nostre hon Roy et inaistre,
Me voyant hing de Vestat ja fermSy
Jusques au jour quHl sera defferme,
Ce temps pendant ä pasturer 7n'ordo7ine,
Et x>our trouver plus d'lia'be franche et bonne,
M^a adresse au pro mkulx fleurissant
De son royaume ample, hrge et puissant, *)
Mit dem Hinweise auf die Notwendigkeit, ein räudiges
Schaf zur Vermeidung der Ansteckungsgefahr von der Herde
getrennt zu halten, fordert Marot, der jedoch seine Worte
der verratenen Geliebten in den Mund legt, den Liebesgott
auf, einen klatschsüchtigen Menschen, der sie beide belauscht
hat, aus den Reiben seiner Getreuen zu entfernen, damit
nicht auch in diese die gleiche schlechte Gewohnheit Eingang
finde:
>) G. III, 94 ff.
— 33 —
(La mauUnme herbe ü fault qu*eUB perisse,)
' Et la brebis mal saine fault qu^elle ysse
Hora des irouppeauix.
Jectes donc hora de Vamoureux service
Ce mesdisantf qu!ü n'apprenne son vice
A voz featäx,^)
Aus dem Bechte, über die Eigenscbaften eines ge-
kauften Pferdes, das man bar bezahlt und versucht hat, alles
Wissenswerte sagen zu dürfen, sucht der Dichter für sich
ein gleiches Recht gegenüber einer Frau abzuleiten, die
sich ihm nach Entrichtung der verlangten Geldsumme über-
lassen hat:
Si fay eofnptant un beau cheval payi,
II m'est permis de dire quHl est mien:
QiiHl a beau trot, que je fay essayS:
En ce faisant cela me faid grand bien.
Doncques si fay pay6 comptant et bien
Celle, qui iant soubz moy le cid leva,
11 m'est permis de vous dire combien
Elle me eouste, et quel emble eile va,^
Eine Frau, die in den ehelichen Banden eines aller
feineren Gefühle baren Mannes schmachtet, kommt sich wie
ein Vogel im Käfig vor. Wenn nun, so läßt sie sich ver-
nehmen, nach dem Zeugnisse des Eosenromans der Vogel in
seiner Sprache den verflucht, der ihn gefangen hält, warum
soll sie sich nicht über ihren Gemahl beklagen dürfen, der
die Qualen, welche er sie erdulden läßt, von Tag zu Tag zu
überbieten sucht:
Or si toyseau rjianldict en son langage
(Comine dit MeungJ eil qui le tieni en eage :
Pourquoy üyy doncques 7ie me phindray je
De ce cruelf qui chascun jour r^engrege
Mes longs ennuys ? ^)
») R. I, 275.
•) R. II, 538 f.
«) R. I, 284 f.
Mttnchener Beiträge z. romanischen n. engl. Philoloi^ie. XXXVI.
— 34 —
Als Entschaldignng für seine EühDheit, aaf dem Wege
durch Ferrara dessen Herzogin zu grüßen^ führt Marot unter
anderem das Beispiel der lieben kleinen Vögel an, die in
ihrer Sprache jedes Gebüsch und jedes Gehölz grüßen, aQ
dem sie auf ihrem Fluge vorbeikommen:
Mais quel besoing est il de nCexeuser?
Les oysdleix des cltamps en leurs langages
Vont saluatä les buyssons et boscages
Par oü Uz vont: ...
Ma Muse doncq, passant ceste court cy,
Fait eile mul saluant toy, Princesse?^)
Nach des Dichters Worten können Lob- oder Schmäh*
reden den einmal feststehenden guten oder schlimmen Ruf
einer Frau in keiner Weise mehr beeinflussen. Als Beweis
dieser Behauptung läßt er die allerdings von niemand be-
strittene Unmöglichkeit gelteo, die weiße Taube durch das
bloße Ableugnen ihrer Unschnldsfarbe schwarz und dafür den
Raben weiß zu machen:
Aussi n^est il blasoriy tant soit infame,
Qui sceust changer le bruyi d^lionnesie femme:
Et n*est blason, tant soit plein de huange,
Qid le renom de folle femme change,
On a beaii dire utie colombe est noire,
Un corbeau blanc: poiir Vavoir dit^ fault croire
Que la colombe en rien ne noircira,
Et le corbeau de rien ne blancJiira,*)
Ein Hirte, der sich in Spiel und Gesang seinem Gefährten
nicht gewachsen fühlt, erinnert an den Grünspecht, welcher
der Nachtigall nachstehe und welcher daher zu schweigen
habe, wenn sie singe. Damit begründet er zugleich seine
Weigerung, an einem Orte seine Kunst zu zeigen, an dem
die Anwesenheit seines geschickteren Mitbruders in Pan ihm
selbst den schönsten Ohrenschmaus bescheren könne:
Le rossignol de chanter est le maistre,
Taire conment devant luy les pivers:
») G. lU, 283, ^^"'
*) G. m, 160, *^^'''
— 35 —
Äussi estant Id ou tu pourras estre,
Taire feray mes chcUumeaux divers,^)
Ein Wassergott, der seinen Gefährten die Gefahr klar-
zumachen Yersucht, welche für ihre Frauen die anmutigeu
Lieder eines Sängers in sich bergen, der auf einem Nachen
im Strome seine liebliche Stimme erschallen läßt, erinnert an
den Arion, durch dessen Gesang sich die Delphine aus den
Fluten locken ließen, und spricht die Befürchtung aus, ihre
Frauen könnten ebenfalls zum Verlassen ihrer feuchten Heimat
verleitet werden:
Le 8on mdodieux
De ce Chauvin, frereSj nous pourroit nuyre
Par traict de temps, et noz fetnmes seduyre,
Jusqu^d les faire yssir de la daire unde,
Paur habiter la terre large et ronde.
Ne feit au chant de son psalterion
Sortir des eaux les daulphins Arion ? , . .*)
Inmitten der Verfolgungen, denen er ausgesetzt ist,
kommt der Dichter auf den Gedanken, Gott habe ihn, den
Unwürdigen, zu seiner größeren Ehre und Verherrlichung
Yorausbestimmt, da er ja auch die Schlangen und Ungeheuer
zu seiner Ehre geschaffen habe:
0 seigneur Dieu, pertnetiez moy de croire
Que reserve nCavex ä vosire gloire:
Serpents tortuz et monstres contrefaictz
Certes sotit bien d vostre gloire faicix.^)
Nur zu erklärlich sei es, meint der Dichter ein anderes
Mal, wenn er als Antwort auf die Verfolgungen, die er in
Paris erleiden mußte, ein satirisches Gedicht auf das Wappen
dieser Stadt verfaßt habe, denn selbst ein Wurm beiße, wenn
man ihn zu stark drücke:
Paris, tu rn!as faict mainetz alarmea,
Jusque d me poursuyvre d la mort:
») R. II, 277.
«) R. I, 298.
•) ö. in, 297, !»»''•
3*
— 36 —
Je vCay que biasanrU tes armes:
ün ver, quand on le presse ü mord^)
Seiner Geliebten, die sich von ihm abgewandt hat, teilt
er mit; er könne jetzt in seinem Schmerze nichts anderes tan
als ganz allein auf seinem Zimmer still weinend ihr zu
schreiben. Denn an Kegentagen, an denen am Himmel keine
Sonne leuchtet, fühle sich jeder Mensch unbehaglich und
jedes Tier ziehe sich einsam in seine Höhle zurück. Auch
seine Sonne, ihr schönes Augenpaar nämlich, halte sich ver-
borgen, ein Tränenregen entstürze seinen Augen und so
müsse auch er sich freudlos in seine häusliche fJinsamkeit
zurückziehen :
Sefid en sa chambre il va ses pleurs escrire,
Et n'est possible ä luy de faire mieubc,
Car qiiand il pleut et le soleü des cieulx
Ne reluyt point, tout honime est soueieux:
El toute beste en son creux se reiire
Tout ä pari soy.
Or maintenani pleut larmes de ses yeulx,
Et toy qui es son soleü gracwux,
Vas delaiss6 en Vumbre de martyre:
Pour ces raisons, hing des autres se tire . . .')
Es sei nicht zu verwundern, meint der in der Verbannung
von unüberwindlichem Heimweh nach Frankreich geplagte
Dichter, wenn die menschliche Natur uns mit Gewalt an den
Ort hinziehe, wo sie zum Leben geboren wurde; selbst die
Tiere mögen sich ja nicht allzulange außerhalb ihrer Höhlen
aufhalten, sondern kehren nach einiger Zeit immer wieder in
sie zurück:
Nainre a prins sur nous cette puissanoe
De nous tirer au Heti de sa naissance:
Mesmcs long tentps les bestes ne sejoument
Ilors de leurs creux, wjaw tousjours y retotmient.^)
') R. II, 449 f.
») R. U, 160.
») G. III, 545, "''•
— 37 —
Noch ein Gleichnis ist zu erwähoen, das im Gegensatze
za den vorhergehenden vielleicht ein nneigentliches genannt
werden darf, weil der Dichter es unterlassen hat; die aus
dem Hinweise auf die Tierwelt sich ergebende Folgerung für
den ihm vorliegenden Fall im Menschenleben zu ziehen. Eine
von ihrem Manne hart behandelte Frau klagt, sie habe ge-
hofft, diesen durch ihr sanftes Nachgeben und durch Unter-
würfigkeit zu besänftigen und zu gewinnen; denn auch der
stolze Löwe erbarme sich des Hundes, wenn dieser seine
Ohnmacht eingestehe; alles benge sich überhaupt vor de-
mütiger Unterwerfung (und das habe sie auch von ihrem
ehelichen Tyrannen darum wohl erwarten dürfen) ; doch diesen
bewege nicht einmal die anmutige Freundlichkeit des Weibes,
die alle Süßigkeit der Welt übertreffe; er tue es also an
Grausamkeit den Löwen und allem, was als grausam bekannt
sei, zuvor:
Le fier lyon dessus le chien ne met
Patte ne dent, quand ä luy se si/bmet . . .
Tout s'amoüit par doulceur tresbenigne :
Et toutesfoys la doulceur femenine,
Qui les doulceurs de ce monde surpasse,
Devant les yeulx de nion dur mary passe . . .
Par ainsi passe en cruautez inique^
Lyons . . .*)
Vierter Teil.
Tier-Vergleiche.
I. Längere Vergleiche.
Wie der Wolf, um seinen Raub ungehört von den Hirten
ausführen zu können, dem Lamme die Kehle durchbeiße,
klagt Marot am Anfange seines Gebetes vor dem Kreuze, so
*) R. I, 283 f. — Vgl. weiter unten, S. öl, Anm. ö.
— 38 —
wolle auch ihn der Teufel am Sprechen verhindern, wenn er
vor Gott hintrete um Verzeihung seiner Sünden zu erlangen :
Quand le hup veult (sotis h sceu du bergerj
JRavir Vaigneau, et fuyr sans danger^
De peur du cry le gosier il luy couppe:
Äinsi, quand suis au remors de ma coulpe,
Le faulx Satan fait mon parier refraindre,
Affin qu'ä ioy je ne nie puisse plaindre . . . ^)
Eine Frau, die durch gleisnerische Reden und trügerische
Versprechungen zur Ehe mit einem Manne bewogen wurde,
von dem sie nachher jede schlechte Behandlung zu erdulden
hat, muß sich, wenn sie im Geiste die vorher in Aussicht
gestellte glänzende Zukunft mit der traurigen Gegenwart
vergleicht, an das falsche Gebahren des Vogelfangers erinnern,
der die arglosen Vögelein durch das Nachahmen ihrer lieb-
lichen Stimmen in seine Netze lockt und, wenn er sie nicht
gar des Lebens beraubt, sie der Marter einer immerwährenden
Gefangenschaft im engen Räume eines Käfigs überantwortet.
Da sieht sie nun, daß ihr ein gleiches Los beschieden ist,
daß man sie mit ähnlichen Mitteln zur Ehe eingefangen hat
und sie jetzt in ebenso grausamen Banden schmachten läßt:
Certes quand bien je pense ä mon malheur,
II rne sourient du champestre oyseleur^
Lequel apres que Voy seilet des charnps
II a sceu prendre avec fainctx, et doulx chants,
Le tue, et plume^ ou sl vif le retient,
Le met en enge, et en Inngueur le fient:
Ainsi (pour vraif), fuz pi'hise et arrestee,
Et tont ainsi (helas) je suis traictee. ^)
An den Vogelfang mit Hilfe der Lockpfeife erinnern den
Dichter auch die einschmeichelnden Worte, welche der Unter-
suchungsrichter an den Angeklagten richtet '^), um aus ihm
durch das Versprechen seiner Freilassung die Namen seiner
Mitschuldigen herauszubringen. Folgt der Vogel dem Tone
*) G. li, 54, "'f-
«) R. I, 284.
^) Eigentlich der Höllenrichter an die vor ihn geführte Seele.
— 39 —
•der Lockpfeife, so gerät er zu seinem Verderben in die grau-
-samen Hände seines Bänbers, und macht der Angeklagte auf
das freundliche Zureden des Richters hin irgend ein Ge-
ständnis, so wird er gehängt oder gepeitscht; läßt er sich
jedoch nicht zum Sprechen bewegen, so entgeht er oft der
Strafe und dem Tode:
Touts ces mots alleschants
Font Souvenir de Voyseleur des champs,
Qui doulcement faii chanter son suhlet
Pour prendre au hric l'oyseau nice et foiblet,
Lequel languit ou meuri ä la pippie:
Ainsi en est la paoire Arne grippee,
Si tcl doiiheur luy fait rien confcsser,
Rhadamantus la fait j)€ndre ou fesser:
Mais si la langiie eile refraind et mord,
Souveiitesfoys escJiappe ])eine et niort, ^)
Marot mag sich in keine Plauderei mit jungen Mädchen
«inlassen, ohne ihre Liebe als Frucht der Unterhaltung zu
gewinnen. Ein Geplauder, das nicht mit diesem Erfolge ab-
schließt, ist ihm wie der Wind und das Wasser, die keinen
Aufenthalt auf ihrem Wege kennen. Aber die Liebe bleibt
bei ihm ganz wie ein zahmer Vogel, der lustig um ihn herum-
fliegt, sich ihm auf die Hand setzt und ihn mit seinem Ge-
sänge erfreut. Also möge der Liebesgott, der ja selbst durch
seine Flügel einem Vogel gleiche, ihm als Frucht seines
Plaudems Liebe bescheren oder sich allein mit der Unter-
haltung der Mädchen befassen:
Je 7ic sgaurais d^entrctien appeller
Le deviser qui aucun fruict n^apportCj
C^est le iray vent qui tost se perd en Vair,
Ou Veau qui roide en aval se transporte,
Voysfau qentilj sur le poing je le porte.
Apres luy crie, u luy souvent fentens^
Car de son vol rend mes espritz contens.
AdoHc Arnour hei oyseau par les aesles,
') G. II, 176, ••»'^-
— 40 —
Appotie proye, et danne passeiemps,
Oii, enirtiien (taut seulj tes damoy9eüe.s, ^)
Ein Dichterling, der seine nächtlichen Schöpfungen an
den wegen seiner poetischen Versuche pflichtschuldigst ge-
priesenen König zu richten wagte, um Marot in dessen Augen
herabzusetzen, kommt einem angeblichen Diener Marot's, d. h.
natürlich ihm selbst, wie eine Eule vor, die vor der Nachtigall
singt, oder wie ein Gänschen, das sich mit seinem Gesänge
vor dem Schwane Gehör verschaffen möchte:
Et quafid tes escriptx adressas
Au Roy, tant excellent poeie,
II 7ne souhvint dhme choueite
Devant le rossignol chaniant^
Ou d'mi oyson se presentant
Devant le cygne pour chanter, •)
Wie der Hahnenschrei nicht die Nacht, sondern die
Wiederkehr des Tages verkündigt, so hast auch du mir,
schreibt er an einen Arzt, der ihm Genesung von seiner
Krankheit versprochen hatte und dessen Name, 1 e C o q , diesen
Vergleich besonders naheliegend erscheinen lassen mußte,
keine finsteren Aussichten eröffnet, sondern heitere Tage der
Gesundheit erhoffen lassen und dich dadurch als wahren
Hahn gezeigt:
Le chant du coq la nuict poiiü ne pronofice,
Ams le retour de la lumiere absconse:
Dont sa nature il fault que noble on tienne.
Or fes monstrc iray coq en ta responce:
Car ton hault chant rien obscur ne m^annonce
Mais sante r/rf, en quoy Dicu te maintienne.^
Den Tod läßt Marot an alle Menschen die Worte
richten, man brauche nur auf das Kreuz des sterbenden
Erlösers zu blicken um zu neuem Leben zu gelangen, wenn
er das irdische Leben hin weggenommen habe; auch die Juden
^) K. II, 468 f.
2) G. III, 582, "«'^•
^) R. U, 336.
— 41 —
in der Wüste hatten nur auf die eherne Schlange des Moses
zu schauen, um von dem Bisse einer wirklichen Schlange zu
genesen :
Jadis celhiy, que Moyse Von nomme, »
Vn grand serpent iout (Verain eslevoit,
Qtii (pour le veoir) pouvoii guerir un komme,
Qiiand un serpetit naiurtl mors l'avoii.
Ahisi celluy, qui par vive foy veoii,
La mort de Christ, guerit de ma blessure,
Et veit ailleurs plus qu^iey ne vivoit,^)
Eine Frau, die von ihrem Manne viel Schlimmes zu er-
dulden hat, hält sich für das einzige Weib, dem eine so
schlechte Behandlung widerfährt, und fühlt sich daher dem
Vogel Phönix ebenbürtig, der auch unter der Sonne nicht
seinesgleichen findet. Sie sei also der Phönix ^ der unglück-
lichen Frauen und ihr Peiniger deshalb der Phönix der
wahnwitzigen Männer:
Dessoubz la grand* lumiere du soleil
Ne troure point le phenix son pareil:
Et aiissi j)eu je troiive ma pareiUe
En jusie dueil, qui la mort m*appareille,
Le phenix suis des dames langoureuses
A trop grand fort, voyre des malheureuses :
Et eil qui m*a tous ces maulx avancex,
Est le phenix des hovimes insensex.^)
Eine für Verliebte höchst verletzende Parallele*) zieht
Marot zwischen diesen und brünstigen Hirschen. Hier der
*) R. II, 320.
') Vgl. weiter unten 8. 68, Anm. 5.
») H. I, 282.
*) Eine ähnliche üegenüberstellung findet sich noch in folgenden
Fällen. Marot, der den völligen Untergang der römischen Kirche, die
er Symcnme benennt und die, wie er meint, durch die liebliche Stimme,
mit der Chrintine^ d. h. die KcformÄtion oder die wiedererstandene Ur-
kirche, zu den Menschen spricht, schon die Hälfte ihrer Anhänger ver-
loren habe, natürlich mit ganzer Seele herbeisehnt, ist der Ansicht, sie
werde an dieser lieblichen Stimme zugrunde gehen, während der Basilisk
die Leute mit dem Blicke töte: «Le basilic occist les gens des yeulx^
— 42 —
Kampf um die HindiDoeD, dort der Kampf um die Mädchen ;
doch die UrBache des Zwistes ist ganz gleicher Natur. Hier
ein Röhren und Schreien, dort ein Seufzen, Weinen und
Bitten. Zusammen gäbe das wahrhaftig ein schönes IConzert.
Auch die Liebhaber sind also Hirsche, allerdings zweibeinige ;
hätten sie jedoch Geweih und Sprossen auf dem Kopfe, so
würden auch sie schon äußerlich die ganze Dummheit, die
sie mit den Hirschen verbindet, zur Schau tragen:
Les cei'fx en rui pour les biches se haitenty
Les amoureux pour les danies combattent,
Un mesme effect engendre les discordx:
Les cerfx en rut d'amonrs hrament ei crienty
Les amoureux gemisscnt, pleurent, prient,
Eulx et les cerfx feroient de beaux accordx,
Amans sont cerfx ä deux piedx soubx un, corps,
Ceuh cy d quatre: et pour venir aux iesies,
II ne s^en fault que rarnure.^ et cors,
Que vous amans ne soyex aussi bestes ^)
Einer französischen Prinzessin, die dem Herzog von
Perrara in sein Land gefolgt ist, will ihr mit Karl V. ver-
bündeter Gemahl sogar die auf fremdem Boden um so teurer
gewordene französische Dienerschaft nehmen, um sie ganz mit
schleichenden, von ihm allein abhängigen Italienern zu um-
geben. Der bei ihr als Verbannter weilende Marot meint bei
dieser Gelegenheit, sie sei die Henne, der man ihre Küchlein
rauben und Skorpione unter die Flügel stecken wolle, oder,
da die Italiener nur die Aufgabe hätten, sie von jeder Ver-
bindung mit ihrem Heimatlande abzuschneiden und sie ganz
dem Willen ihres Gemahls gefügig zu machen, sie sei das
Rebhuhn, welches man in das Tonnennetz fallen lassen wolle:
De France ?i*a nul grand qui la sequeure,
Et des petis qui sont en sa dcmeure,
Mais ceste cy d^un parier gracieux La deffera* (R. I, 129). Schärfer ist
der Gegensatz in nachstehenden an einen schlechten Dichter gerichteten
Versen: -«De toutes tailles Ixnis Uvriers, Et dt touts arts tnaulvaisouvriers:
Son epistre asnez Ic t^smoigyie* (U. III, 193, *'^-)-
») R. II, Ö39. — Vgl. weiter unten, S. 53.
— 43 —
Son mary veult sans qu'un seul y demeure,
La rebouter,
Car rien qu^elle ayme, il ne s^uroit gousier:
Cfest la geline j ä qui Pon veult oster
Toiis ses poussins; et scorpions houster
Dessoubz son aisle,
C*est la perdrix qv*on veult en la tonnelle
Faire iomher, ^)
In derben Worten brandmarkt der Dichter die uner-
sättliche Habgier einer üdaitresse des Königs, der ihr die
Gunstbezeigungen, die sie ihm gewährt, mit horrenden Summen
entgelten muß. Dies bringt Marot auf den Gedanken, das
Organ des Weibes eine Katze zu nennen, die ihre Bewegungen
nur allzugut einzurichten weiß, um eine Maus sicher zu er-
haschen. In einer anderen Lesart nennt er es ein Pferd, das
einen hübschen Trab geht (natürlich um von seinem Reiter,
den Geschenken des Königs an seine Maitresse entsprechend,
das besonders erwünschte Futter zu erhalten):
Un con n^est pas tout ce qn^on pense:
Tel n'en a pohit qui en a trop. *)
C^est vn chat qiii ra hien le troi
Pour hien gripper u}ie soury ....
Oder: Un con ri'est pas tont ce qu^on pense:
Tel n^en a point qui en a trop,
Un ch^t^al qui ra hien le trot.
As tu point ru la peronnelle P , . . ')
Wenn sein Vater, den er uns als Schäfer darstellt, ihn
>) R. II, 64.
') Gemeint ist der König, der zwar kein Weib sei, dem aber doch
viele Weiber gefällig seien. Darum heißt es auch vorhßr, ein Weib sei
nicht gar so viel wert.
') G. II, 454, ^^- — Ähnlich ist die Form des Vergleichs in: *Car
d'un komme hien empesche Seroit un regnard escorche» (G. III, 441 **^'-)t
womit wohl gesagt sein soll, der erwähnte, vielleicht etwas dickleibige
Mann würde durch die ihm eingegebene Pulverladung viel von seinem
Umfang verlieren, und in: *Quel quHl soifj il n'est poinct poete^ Mais
fih aisne d^une chouctte» (G. III, 194, '*^). Wegen chouette vgl. oben,
S. 40.
— 44 —
abends immer in die Kunst des Hirtenliedes und d^r Hirten-
pfeife eingeführt habe, so sei diesem, erzählt Marot, zumute
gewesen, als ob er seinem liebsten Lamme die Milch des
Mutterschafes gereicht hätte:
, , , en ce faisant^ sembloit au hon berger . . .
que teier faisaii
Vaigneau qui plus en son parc luy plaisoiL^)
Ein Dichter namens Grenouille ist für Marot einem
Frosche sehr ähnlich, weil er im ßeiche der Dichtkunst ebenso
herumquatsche wie der Frosch im Wasser:
Bien ressembles ä la p'enouille,
Non pas que tu sois aquaUque:
Maü comme en Veau eile harbouülej
Si fais tu en fort poetique.^)
Zwei schlechte Eeimschmiede, die Marot nicht zu seinen
Freunden zählt und die sich gegenseitig mit Lobsprücben auf
ihre vermeintlichen Fähigkeiten überhäufen, machen auf ihn
den Eindruck zweier alter Esel, die einander an ihrer krätzigen
Haut herumscharren:
Ce Iluet et Sagon se joueni^
Par escn'pt Vun Vaulire se louenty
Et semble, tant üx s'entreflattent,
Deuz vieulx asncs qui s'entregrattent.^)
Von sich selber meint der Dichter, wenn er an seine
Jugend zurückdenkt:
Sur le pnntemps de ma jeunesse folle,
Je resseynhloys Varondellef qui vole
Puis c^, puls /«.*)
*) G. II, 289, ^'''
«) K. II, 458.
») G. III, 573 f.
*) G. II, 286, **'^- — Auch folgende Stelle möchte ich nicht un-
erwähnt lassen: *Luy semhle quHl escoute, En plein marchS six ordes
harengeres Jeder le feu de leurs langues legeres» (G. ILI, 155, *""^)- ^
einem Vergleiche mit einem Wanderer, der sich während ein«s Gewitters
unterstellt, ist der Wanderer ähnlich als Reiter geschildert (G. III>
544, "^'"•), wie die Schandmäuler als Heringsweiber.
— 45 —
Den Übergang zu den Vergleichen des zweiten Abschnittes
mag folgende boshafte Bemerkung über die Ähnlichkeit der
Pärbung gewisser Vögel mit den Farben der Mönchskleider
bilden :
Uun en corbeau se vest pour triste signe:
L'aultre s^habiUe d la foQon cCun eigne i
VauUre^ grand aermoneuTj
Porte 8U/r soy les couleurs cCune pie.^)
II. Kürzere Vergleiche. (Einfache Sätze mit
Vergleichungspartikeln.)
Im folgenden finden sich diejenigen Tiervergleiche Marot's
zusammengestellt , welche bloß mit Vergleichungspartikeln
gebildet sind und für gewöhnlich den Raum eines einzigen
Satzes nicht überschreiten. Ihnen schließen sich als weitere
Verkürzung des Vergleiches die einwertigen Vergleiche (Meta-
phern) an.
Beweglichkeit und Schwerfälligkeit.
Mais eile s'enfuyoit plus visie
Que lievres, qua7id Hz sont cJiassez.^)
. . . ceitlx de nostre village
Sailloient phis dru, plus legier et plus visie,
Que ne faict pas h He vre de son giste,
Quand par veneurs et coura?ites leirieres,
Est poia'suyvy en ces larges hruyeres,^)
.. . . que ton pied fust aussi leger doncquee
Que hielte ou cerf que le roy clmssa oncques.^)
Außerdem findet sich: tplus tost que l^aronde>^), oder:
^plustost que vol d^ arondeit ^); auch: tMon cueur wie comme
') G. II, 137, ^''f-
«) G. II, 117, >"'•
») R. I, 201 f.
*) G. in, 52, w'.
») R. II, 288.
•) R. U, 12.
— 46 —
l* aronde,*^) Von einem Freunde wird gesagt: «Owt satdie
en Chat et gravit en belette.»*) Sich selbst nennt der Dichter :
tPlus leger . . . que volucres ccdi,^^)
Dagegen werden die Soldaten mit dem Prädikate : trotfdes
conime elephants> belegt.*) Als besonders schwerfallig wird
ein Bruder Andreas hingestellt. Dieser soll nach der Grab-
inschrift, die Marot für ihn verfaßt hat, den Frauen oft in
Liebe genaht sein und sich dabei wie ein großer abgesattelter
Lastesel benommen haben: <cles ehevaulchoü, Comme un grand
asne desbatä,»^)
Gesangskundig, bzw. gesangsunkundig.
Den Verfasser einer für ihn beleidigenden Epistel, der
sich jedenfalls auf seine dichterische Begabung etwas ein-
bildete und wie eine Nachtigall in den Zweigen gesungen zu
haben glaubte, stellt Marot, was Sangeskunst betrifft, hinter
den schwarzgefiederten Raben und den Buhm Arkadiens, den
Esel:
Toutesfoys tu auydes avoir
Chanie en rossignol ramage:
Mais un corbeau de noir plumagej
Chi un gratid asne d'Ärcadie^
Feroit plus doulce tntlodie.'^
Der Dichter sagt sogar von Vögeln, deren Gesang Be-
wunderung verdient, sie sängen wie die Nachtigallen: tUais
ce pendant qu*en ramage musique Oiantent aux boys comme
rossignolletx.%^) Einem Hirten macht ein anderer das
Kompliment, daß er mit seinem Gesänge mehr Lust bereite
als der Hänfling:
») R. II, 159.
«) G. III, 636, ".
») ö. IIJ, 98, ".
*) G. III, 44, ••.
*) R. II, Ö18f.
•) Vgl. G. III, 271, Anm.
') G. III, 270 f.
•) R. II, 37.
— 47 —
Berger Thenot, je suis esmerveiU6
De tes chansons : et plus fort je m*y baigne
Qu^ä escouter le linot esveille^)
Wenn Marot dagegen in seinen berüchtigten Adteiix von
sich selbst sagt: tAdieu vous dis coinme ufig corbeau»^^ so
war er sich wenigstens der Häßlichkeit dieses Machwerkes
bewußt.
Unwert
Ein Kopfhänger, meint Marot, der an keiner Freude
teilnehmen mag und dessen Augen im Vergleich mit dem
leuchtenden Blicke fröhlicher Menschen ganz schläfrig aus-
sehen, ist auch zu frischer Tätigkeit nicht zu gebrauchen.
Er leistet genau soviel Arbeit wie ein Ochse, der sich im
Schatten eines Gebüsches zum Schlafe hingestreckt hat:
Mais dequoy sert wie teste endonnie?
Autant qu^un boßuf dormant pres d^un buysson. *)
Ohne Siegel, sagt der Dichter ein anderes Mal, als er
den Kanzler bittet, eine ihm vom König ausgehändigte
Zahlungsanweisung mit dem Staatssiegel zu yersehen, nütze
eine jede Bescheinigung noch viel weniger als (unter anderem)
ein Pferd ohne Sattel: <Car vous s^avex que tout acquict sans
seel Sert beaucoup moins . . . qu^uti ckeval sans seile,**")
Sanftmut.
Das Schaf gilt dem Dichter für das sanftmütigste und
nachgiebigste aller Tiere. Darum sagt er auch von einem
Mädchen, es sei so liebenswürdig imd gut wie ein Schaf:
«0» m'a did qu'elle est amyable Comme un mouton,*^)
Furcht.
Mehr als das schwache Schaf seinen Kachen, fürchtet
der grausame Wolf den bloßen Anblick des Todes, den er
auf einem Wagen über die Fluren fahren sieht:
*) R. II, 276.
«) Ö. III, 119, !•.
«) R. II, 3 f.
*) a. III, 98, »'«f-
») G. II, 113, "•'•
— 48 —
Lt hup cruel crainet plus sa face seukj
Que la brebis du loup ne crainet la gueuie.^)
Flucht aus Furcht.
Die drückende Sorge um die Mittel zur Lebensfuhrang
macht den Dichter unfähig zur Arbeit; denn vor der Sorge
ergreifen die beiden Musen der Hirten- und Heldendichtung
eiligst die Flucht wie schwache Schafe vor dem scheußlichen
Wolfe :
Et devant luy vont fuyant ioutes deux,
Comme brebis devani un loup hydeuxJ)
Reizbarkeit.
tPlns nwrdant qiCune louvei^ heißt es von einer Schlange.'}
Und an einer anderen Stelle sagt Marot, daß man vor Gericht
die streitenden Parteien, da sie sich gegenseitig immer die
Zähne zeigten, genau so durch Schranken auseinanderhalten
müsse, wie man im Stalle mit bissigen Pferden verfahre:
Encor (pour vray) mettre on rCy peuU id ordre^
Que iousjours Vun Vaultre ne vusiüe mordre:
Doni raison veult qü'ainsi on les embarre^
Et qu^entre deux soit mys distance et barre,
Comme aux chevaulx en VesidbU hargneux,^)
Müdigkeit.
Gegen das Ende einer langen Epistel hält es der Dichter
für geboten rasch dem Schlüsse zuzueilen, denn seiner Feder
tue jetzt das Kreuz schon weher als dem großen alten Paß-
gänger*) seines Freundes:
Et ma plume d'oye, ou de jars •),
^) R. n, 323.
•) G. II, 296, *'^f-
») G. II, 170, *•».
*) G. II, 160, "'^•
») Vgl. oben, S. 6, Anm. 3. — Ob hier wirklich das Tier gemeint
ist, sclieint nicht sicher. Vgl. die Variante zu dieser Stelle (G. HI»
241, »«'•) und G. III, 225, Anm.
•) Vgl. oben, S. 31, Anm.
-: 49 —
Se seni desja plus errenie
Que ta grand vieilte hacquenee.^)
Gefährlichkeit.
Der reißende Wolf, der sich abends dem Weideplatze
nähert, so läßt sich eine ältere Hirtin vernehmen, könne unter
den schwachen Schafen kein so großes Unheil anrichten wie
der Müßiggang unter jungen Schäferinnen :
Oysiveti n^aUex point naurrissani:
Cor eile est pire entre jeunes bergeres,
Qu'entre hrebis ee grand loup raviasant,
Qui vieni au soir iousjours en ces fougeres,^)
Trennungsschmerz.
Die Hirten sind wegen der durch den Tod bewirkten
Abwesenheit ihrer Herrin mehr von Schmerz betroflfen^ als
die Lämmer, wenn sie das Mutterschaf, das sie säugt, nicht
in ihrer Nähe finden:
O ßommes nous maintenani malheureux,
Plus estonnex de sa morteUe absence^
Que les aigneaulx d Vheure qu'entour eulx
Ne trouvent pas la mere qui les pense,^)
Eine Sprache entstellen (6corcher).
Ein für gelehrt geltender Gegnet Marot's brauehe sich,
nach Fripelippes-Marot wenigstens, nicht gar so yiel auf seine
Kenntnisse im Lateinischen einzubilden ; er tue dieser Sprache
ja doch nur Gewalt an ; wie ein großer Hofhund zetschinde er
ihr bloß das Fell, welches er sich nur allzugern umhängen
möchte :
Uun est un vieulx resveur normandy
Si gotUuj friant et gourmand
De la peau du paavre latin,
Qu'il Fescorche camme un viastin,^)
») G. III, 241, "»''•
«) K. II, 279.
«) R. n, 278.
*) ü. m, 671 f.
Münehener Beitifige z. romaniBchen o. engl. Philologie. ZXXYI. 4
— so-
ff AnstrenguDgeD.
Folgendes gilt von den Strapazen des Schlachtfeldes:
On 8^y bat et courrousse
Plus qu^d chasser d quelque beste rousse,
Oü d voller la pye ou le millan,'^)
Stärke und Schwäche.
Der Löwe wird tplas fort quiun vieü verrat* genannt.')
Dagegen gelten dem Dichter die Tier Gründe eines Gegners
nur für €Ati88i fortea que quaire oyaons,^^)
Schreien und Schimpfen.
€Je cnray plus hault qu'tine pie» sagt Marot von sich
selbst.^) Auch die Marktweiber lassen ihre Zunge schießen
cComme une pie en cage injurieuse».^)
Lustigkeit — Dummheit — Herbheit
tUoeil gay en esmer%llom> heißt es von einem Mädchen.^)
Von einem schlechten Kritiker dagegen : ^De sens a bien moins
qu'une 6«««.»') Femer findet sich: tTemperance aspre eomme
vipere,*^)
Unterricht.
Sein Vater habe ihm am Abend das Dichten und Singen
') R. II, 113. — Vom Kriege heißt es noch; mEUe picque aimi
qu^un herisson» (R. II, 5). Von den Zangen dreschem wird dasselbe
gesagt: ^Languards picqiians plus fort qu'un herieeon» (R. II, 4).
Diese sollen auch ^plus recluz qu'un vieü corbeau en eage* sein (ibd.)-
Auch der Kranke auf seinem Zimmer ist ^Mieulx enfemU qu^en ea cagt
lynotte» (R. 11, 336).
«) ö. III, 76, »•. — Ähnlich sagt Marot von den Predigern : -ite
escument comme un verrat, En pleine chaire» (G. III, 333, *^^').
») G. III, Ö87, "».
*) R. II, 10.
^) G. m, 155, "•.
•) G. IL 111.
7) R. n, 459.
») R. II, 129.
— 51 —
beigebracht und ilttt lange wach gehalten ^Ains^i que fönt Uurs
sansonnetx ou pies Jupres du feu bergeres accroupies,'»^)
Weiße Farbe — Erfolglosigkeit — Über-
legenheit
«Sow chef blanCj comme un cigno^) — ^Mes souhaüz voni
cofnme Vescrevice, Tout au rebours,*^) — tPar sus luy voU
nosire poeie, Comme feroit Vaigle aur Valou^ite.^^)
Grausamkeit — Stehlsucht — Vergänglichkeit.
«^Avex vous doncq les cueurs moins damoyseaux Qu*a$picz,
ne loups et telx gentilx oys6aux?>^\ fragt Marot sechs
verleumderische Weiber. Ein schlechter Dichter ist ihm ^filx
aisne d*une choueite, Ou aussi larrorij pour le moins,^^) Der
Schall seiner Stimme, meint er ein anderes Mal, sei nicht
umoriel en terre, comme Voix . . . d^oy seiet,*'')
III. Einwertige Vergleiche (Metaphern).
Tiere = dumme Menschen, Dummköpfe.
Veau.
In <Tant de veau Ix qui vont par viUe Seront bmslex sana
fauüe nulle*^) verspottet Marot die verfolgten Anhänger der
') U. n, 289, •»'•
«) R. II, 89.
•) R. n, 167.
*) R. ni, 192.
*) O. m, 147, **'• — Vgl. dazu oben, S. 37: *Par ainsi passe en
cruautez iniques Lyons ., .»
•) G. III, 194, ". ~ Wegen ^fih d'une chouette» vgl. oben, S. 43, Anm. 3.
') G. III, 164, **'• — Der bekannte Vergleich vom Hirsch, der
sich nach den Wasserquellen sehnt, wird bei Marot auf eine unglück-
liche Frau bezogen, die sich bei ihrer Mutter Erleichterung holen
will : *Devers vous s^envoüent mes pensies . . . Pour y chercher allegeance
certaine. Comme le cerf, qui court ä la fontaine, Querant remede ä la
swf, qui U presse* (R. I, 286. — Psalm 41 (42), 2). — Bei seiner absichtlich
widrig häÜlichen Darstellung einer Frauenbrust kommt dem Dichter der
Gedanke, sie könne doch weiter nichts sein als ein Enter, das man einer
toten Ziege entnommen habe: •Tetin, ce cuyde je, emprunti, Ou deS'
robS en quelque sorte. De quelque vieiüe chevre morte» (R. II, Ö28).
•) G. III, 223.
4*
Reform, die sich erwischen lassen.^) Gegen schlechte Dichter
sind folgende Verse gerichtet: tClemeni Marot aux gtuMx
veaux Qui ont faict les adieux nouveatdx,*^) Ebenso: <Z7n tas
de jeunes veaulx.*^) Einen Feind, der <vedel et ignonmt*^)
ist, von dessen Oenossen es heißt: <En rythme ce n'esi qu*un
veam^), redet Marot also an: ^Vadvisant, veau, Que tu ne
te veis recepvoir Oncques iant d'honneur ..,»•)
Äne.
Maret beklagt sich darüber, daß ihm alle mögUchen
Schandschriften, wenn sie auch noch so erbärmlich sind, zu-
geschrieben werden: Ainsi soidstiens des asnes tout le faix.f'^
Anes, veaux.
Von schlechten Dichtern:
La couri en sera advertie
D^un taa de gros aanes, ou yvreSf
Qui fönt imprimer leurs sots livres,
Poxir acf^uerir hruyt d*esire veaulx,^)
Gegen diejenigen, welche die Lehre der reformierten
Kirche als Neuerung hinstellen:
Si elk parkf un tas d^asnes ou veau Ix
Iront disans, Voycy propos nouveanlxj)
') V'gl. oben, S. 25, Anm. 4. — Ebenso von einem ertappten
Finanzmann: Ce president gentil et veau {Ct. II, 472, •**).
•) a. III, 128.
») ö. III, 568.
*) O. III, 578, •». — Dazu: Da grlaubteat, der König habe kein
Erbarmen, Et le paingnoya, en tan cerveau^ Atissi tigre que tu es vtau
(G. m, 681, "•'•).
») R. II, 124.
•) G. III, 591, «*'''•
^ G. ni, 155, »". — Verfehlt ist e«, Sagon Vasne de Balaan
<G. Ill, 589, **") zn nennen. Das ist ja eher ein Lob, kein SeUsipf.
Vgl. G. ibd., Anm.
») G. III, 386, 192^* — Statt Esel gebraucht Marot aaeh BmI-
treiber; für die Sorbonnisten : «ce« gros aeniers* (G. III, 467, '*), för
seinen Feind Beda: ce fnalhewreux asnier (G. III, 4S6, *).
•) E. I, 121.
— 63 —
Marot fordert seine Schüler, daruater LyoQ, auf, ihm
gegen Sagen unÜ dessen Genossen beizustehen:
Lavßz iauts deux aux veaulx las test$9:
Lyonj qid rCes pas roy d$s beatss ^),
Cor Sagon Pest, sus^ hcuiU la pate:^
Que du Premier coup on tabbate.
Sus Oaüopiny qv?an le gaUope, ')
Bedressons cest asne qui choppe:
Qu'ü sente de touts la poincture:
Et notts aurons Bonadveniurej
A mon advisj assex s^fovant
Paur le faire tirer avant*^)
Bestes.
Fripelippes-Marot beginnt folgendermaßen seine Streit-
schrift gegen Sagon und dessen Anhänger:
Fat mon ame ii est grand fof^an. . .
De bestes qu'on deust mener pai$tre^)f
Qui regimbent eontre mon maisire,^)
Weiterhin heißt es von ihnen (oder von Sagon allein)!
De lä vient que les paovres bestes,
Apres s^estre rompu les testest
Pour le bon bruyt d^aultruy briser,
Euho mesmes se foni despi'iser,^)
Or des bestes que fay susdictes,
Sagon, tu n'es des plus peiiks :
Combim que Sagon soyi un mot^
Et le nom d'un peHt mamnot,^)
Que je donne au diable la beste:
H me fait rompre icy la teste
') Siehe unten/
«) Vgl. weiter unten, S. 58, Anm. 2 und S. 59 ff.
») G. 111, 583 f.
*) G. ni, 565f.
») G. m, 671, w'^-
•) G. III, 574, *'''• — Marot ändert den Namen 8agOl^ in sf^louin:
Zon dessus Voeilf zon sur le groin, Zon 9ur le dos du Sagouyn (G. III, 588).
— 54 —
A ses merües coUauder,
Et les hras ä le pdander,^)
Sonst findet sich noch: Qub tu es beste! ^ Du mal par-
lani qui trop se monstra beste;^) En effect^ (festoyent de gran^
bestes Que les regents du temps jadis,*)
Jument.
Ih cuydent qu^en jugement Le monde comme eulx est ju-
ment.^) Jument hat hier den Sinn des lateinischen jumenium.^
Grue.
Je ne suis plus si grue,'') Oomment vieiUe grue tu decHnes
Oultre les metes de raison! ^) Ce lAon (qui jatnais ne fut
grue). •)
Goquard.
Ein Dritter ist bei der Liebe notwendig; wer aber einen
Vierten nehmen wollte, wäre arg dumm : Et seroii Vhomme bien
coquart Qui vovldroit appeUer un qucart,^^) Von Bfida, seinem
Feinde : Mais le coquart nese contente.^^) Von einem schlechten
Dichter: Qu^on meine aux champs ce coquardeau Lequel gaste
quand il compose. . . **)
») ö. DI, 690 f.
•) G. n, 105, «.
») R. I, 269.
*) G. lil, 5:63, "•'• — Einen ähnlichen Sinn scheint bete eu haben
in: Je voy qu'Amour chas$e souvent aux besteif Et qWelk {== Diane)
attainet les hommes de vertu (K. II, 409), wodurch er den von ihm be-
haupteten Bogentaosch zwischen Amor und Diana (=5 seine Geliebte,
Diane de Poitiers) begründen will.
*) G. III, 670, "'• — L'un est d^esprit^ lautre est gros animal
(R. I, 276).
•) Vgl. G. m, 670, Anm.
7) R. n, 7.
*) G. n, 446, ••'•
•) G. III, 77, «^
w) G. n, 106, •*'•
") G. m, 432, " Var
") R. U, 124,
— 56 —
Mfttin, mfttine (= widerliche Personen).
Die Anhänger der Sorbonne gegen die Neuerer: Sire^ . . .
8i VOU8 ne hrmlez ees masiinsy Vaus serez . . . Sans ttibui . . . ^)
Gegen die Sorbonne oder eine ihm am Hofe abgeneigte Frau:
A tou8 les diables la maatine! Elle rr!a chasse de la court^)
Loops == gierige Menschen (in bez. auf die Bichter).
Ämy^ voylä quekque peu des menees
Qui aux faulxbaurgs d^Enfer sont dementes
Par noz grandz loups ravissants et famys^
Qui ayment plus cent sotUz que leurs amys,^
. . . Du seigneur Dieu la main
Ma preservS de ces grandz loups rabis
Qui m'espioyent dessoubz peaulx de brebis.*')
Moache = schlaue Person; chattemite = sftfttuende
Heuchlerin.
Eine Frau nennt der Dichter: Isabeau, ceste fine
mouehe^) Die Sorbonne ist ihm la sainde chatemite.^)
») ö. in, 346.
«) G. U, 444, "'• — Dazu: mort, la faulse lisse (G. UI, 639, •").
») G. II, 168, ""'• — Gleichfalls gegen die Richter: Oardez vom
des tirans aspicqz, Qui pour Vhyver sont ja fcmrez (G. DI, 487).
{Chaperons fowrrisl)
*) G. m, 297, ^^' — Vgl. wegen peaux de hrehis S. 62. — Über
die falschen Prediger sagt Marot:
Ce sont renardz, qui soubz simples habitz
Vont devorant les plus tendres brebis.
Ce sont des loups ^ qui les trouppeaulx seduisent
Du droiet c^emtn, et ä mal les induisent (H. I, 197 f.).
•) EL II, 412. — Vom Liebesgott heißt es: Au payer (fest une
aautte beste (G. ID, 621, »*).
*) G. in, 452, \ — Von der Kirche handeln folgende, an ein bald
erwartetes Kind gerichtete Verse:
Yiens veoir viens veoir la beste sans raison
Orand ennemye de ta noble maison
Viens tost la veoir atout sa triple creste
Non cheute encor mais de tumber bien preste
(G. U, 278, »»^- Var.).
— B€ —
Mais fofibliois h ckaiie mHi^^ Qui n^ßn veuU p(^t «'•/« f^
sont braves.^)
HaFmotte = häfiliehe Fersen; yeniiliilire = nnsclieiiibare»
Wesen.
Eine zungenfertige Wäschenäherin wird also angeredet:
LynoUe, Ißigatte, Marmotte, Qui couldzt . .*) — 0 paovre ver-
miniere^ sagt der Löwe zur Batte.
Bestianx «== rohsinnliehe Mensehen (gegen sinnliche
Liebhaber).
JRetirex vouSy bestiaulx eshantez,
Qui pour la faim de Pappetii des bestes
Et non d^amour, entreprenex voz questes,
Eetirez vous par VaveugU domptex.*)
Femelle, mnle, montare (yerilehtlich fUr Weib).
Quand marys gardent leurs femelles.^) Jncantinent^ des-
loyalle fem eile ^ Quefauratf faict, et escHpt ton liMle.^) Espouser
une teile fem eile.'')
Gegen die dekolletierten Weiber:
Ont iU tou^jgurs le baa eollet,
Monaircms les tetasses ricUesp
Nox vieües muH es desbridSes,
Qui sont par ckevaulcher ^ souvani^
Fendu(es) du cul jusqu(es} au devant ? •)
») G. II, m, **♦'•
^ R. JI, 582, — Aach die Mönche icheinea Affe» (»agotz G.
Uli MP) gemmnt 9« werden. Vgl. oben» SL 26u Sein J^eind a«?on ist:
8% couard et si babouyn De n'oser parier queicMn§{ß. HI, 872» *''').
•) ü. III, 78^ *•.
*) R. I, 134.
») R. II, 4Ö6.
•) R. I, 251.
') R. II, 456.
«) Vgl. s. 5a
•) ö. ui, 474 «f.
— 87 —
An eine Fran beim Abaohied: Adieu vcms dis, mulle
des muH 68.^) Von einem anderen Weibe sagt der Dichter:
Mais quand je feix de ma bourse auveriure,
Je ne vei% ono plim paisüle igioniure,
Ne plus aisee d se renger au poincU^
Etalons, pigeons, conlens (yerächtUcli fttr Männer).
An die Frauen: Adieu rous et voz estallons;^) Adieu vox
pigeons*) et coulons,^)
Colombelle (= schönes Weib).
Von der Geliebten:
La blanche columhelle helle
Souvent je tx^yia priaai eriasU:
Mais iesscfKbx la cordeUe d'eiie
Me jecte un cdl friant, riant . , . •)
La cliaste columbelW) wird auch t Fenne Amour»
genannt.
Coq und gelinotte (für Mann und Weib).
Seinen Arzt le Coq lädt er in launiger Weise 2un>
Besuche ein:
Si k fraihc eoq liberal de nature
Nest empesche avec sa gelinoie^
0 G. III, laa. Für Qondeln findet sich m^le9 de. hoifa (ü.
«J, 424).
*) R. JLI, 631, — Für da« weibliche Orgtn ut 4er Autdruck faueon
(ssf^ux Gon, weaigsteos ursprÜQgliQh) gebraucht: Maie fy receu H
^a/nd eoup de faule an (U. III, 61, "), im Kriege mt den Weibern.
An die Frauen, welche ihn verspottet hatteo, weil er ohqe Geld Liebe
erla»g«A wollte : Ha {dy je lors) ü fault que chascun oroye Qu.^^ io^
(iyM0U ü wwüHnt de aaproye. VoagrandzfaulconSf quifurmtfanl'
Qonneauxj Voknt touejoura pour ckatmiea et anneau9 (ü. lU, Iböl),
•) ö. III, in, »* V«.
«) Goifirey erklart pigeon » Gimpel (G. III, 122^, Anm.). Gouloa
« Tauber (G. in, ihd.).
») G. m, 122.
•) R. n, 204 f.
') G. U, 72, ".
— 58 —
hay plaüe eniendre au ehant gue je luy noUj
Et visiter la triste creature . . • ^)
Calandre (fttr die Geliebte).
An seine zurückgekehrte Geliebte:
Dieu te gardy doulce, amyäble calandre,
Dont le chant faict joyeux les ennuyez :
Ton dur depart me feit larmes espandre,
Ton dotäx revoir nia les yeulx essuyex, . . ^)
Cheyaacher, Mre montä, coavrir, jacher (fOr den
Geschlechtsverkehr).
Ein Pferd rühmt von seinem Reiter: Plus eher Mayma
chevaulcher^ Que fiüe, ne femme,*) Die Frauen beklagen
den Tod des fröre Andr6; qui les chevaulckoit Comme un
>) R. n, 336.
*) R. II, 439. — Auch statt menschlicher Körperteile werden die
entsprechenden tierischen gesetzt: Laissez ä part voz vineuaes tovemes,
Museaulx ardans^ de rouge erduminez (R. II, 28); Ores ni'eatpas temps
de dorre le hec, Chantons . . . (R. II. 33); Si tue tust {pour la paindre
mieulx) Au hec une prune sauvage (R. 11» 464); Prince royal, je ne
toumay le hec Pour vous prier (ür. UI, 392, *'•); v^'**' eonseiUe Que
desormais vostre hec teniez coy (G. III, 158, *••'•); quand plus n'eust
dent en gueule (R. 11, 521); Ce grand criard, qui täntla gueule fort
(O. n, 167, >o*); Et faites may mines de groings et d'yeulx Tant
que vouldrez (G. lU, 154, *"'•)• — Femer: Mais vois tu ees patte
pdlus, Ils tiennent Dieu dedans leur manche (G. 11, 467, *•*'•) von
heuchlerischen Priestern ; un Griff on (» G^richtssohreiber) fadoisay, Qui
de sa croche et ravissante patte Escripvoit lä Van ... (G. II, 187, *»*«^);
et m^a on ddct Qu'on joue tousjours des gigoteaux (G. Ul, 612) = man
rergifit der Liebe nicht, nach Guiffrey. Selbst einen Schwanz bekommt
der Mensch in Anlehnung an einen Spielausdrnck : Vous m^avez finement
Coupp^ la queuCf etraise (queue = Summe, welche der Meistgewinnende,
abgesehen vom Einsätze, erhält). Mais seriez wus hien aise, Qui vou$
la coupperoit? So klagt die verlierende Dame. Ihr galanter Partner
aber antwortet: Si la queue ay couppee Au jeu ai neitementf so habe
ich Sie nicht betrogen, ich habe ehrlich gespielt, doch Pour jouer fine-
ment Je vous preste la mienne (R. II, 525 f.).
«) R. n, 518.
— 59 —
grand ame desbcUS.^) SchlieBlich schreibt Marot an eine ver-
heiratete Frau: Vostre mary a foriune Opportune: Si de jour
ne veuU marcher^ II awra fteaw") ehevauicher Sur la brtme.^)
Über seine Geliebte sagt der Dichter: Si d'eüefavois jauyssance,
One komme ne fut mietUx monte^ Cesi bien la plus belle de
Franee.^) An die Frauen, welche in ihm den Urheber der
berüchtigten Adieux vermateten: seulement je vouldroys Qu'il
(d. h. der Verfasser dieser Schmähschrift) eust couvert de
vous six la plus saine ^), dann würde man ihn leicht erkennen.
Endlich wird in diesem Sinne noch jucher gebraucht: Puis
Martin jus che y et lourdement engaine.^
Jacher = (sitien im allgemeinen oder setien).
Doch wird jucher auch von dem Befinden an einem
erhöhten Orte angewandt: porterons nous envie A ceulx qxion
voit si haultement jucher ^ JPour mieulx apres lourdetnent tre-
bucher? "^ Der Gedanke, daß die sinnliche Liebe vom Herzen
eines Mannes Besitz ergreift, ist einmal folgendermaßen aus-
gedrückt: Et lors Amour le jucha sur sa perche,^)
Voler (für schnelle Bewegung, Bewegung in die Höhe,
weithin).
Von Leuten, die auf dem goldenen Mittelwege wandeln
wollen :
>) R. U, 619. Vgl. S. 46.
') Hier hat avoir beau den gleichen Sinn wie in: Abeautnentir
qui vient de Unn.
») R. II, 238.
*) R. U, 25.
») ö. III, 167, iwf.
•) R. II, 641. Vgl. oben, S. 17. — Dazu: Der Dichter meint ein-
mal, wenn er mit einer Frau verkehrt und sie bezahlt habe, könne er
wohl sagen •quel emble eile va» (R. II, 639. Vgl. S. 33). Liebes-
genaß heißt einmal: amoureuse paature (Q. U, 73, ^^), und eine Fran
verlangt gar vom Geliebten: Son beau petit picotin Non pas d^orge
ne d*aveine (R. II, 212).
7) G. UI, 687, w'^-
•) G. II, 97, *•'. Vgl. auch: tant au soir qu^au deejuc (^^ÜLorgeu
mit Beziehung auf das Abfliegen der Hühner von den Sitzstangen (R. II, 34).
— 60 —
Nostre voller^ qui hauU ne ias ne imif
De Peniredeux mtoü toa^ours eonteni:
Cor eestuy lä qui kault ne bas ne volle
Va eeuremetä^)
Von dem Verbanntes, wenn ihm die Rückkehr in die
Heimat gestattet würde : Jambes ne (4^ il »'« 8% empeHree *)«
Qu'il n'y volaaL*) Der Liebhaber fühlt skah leicht m% ein
Vogel, nachdem die Qeliebte ihm ihr Hers geschenkt bat 3
l\m m^a donni son noble eutuTj Doni il m^eei cukns que je vole.^}
Der Liebesgott versetzt den Liebenden in seine HöUe, wenn
er ihm zum guten Willen, seine Gesetze befolgen zu woUeii,
nicht auch die Kraft und das Vermögen gibt: Son enfer, e^est
ä Vheiire qi/Cü donn/e Le voler bas, ei le vouloir hauOain.^)
Von der Feder des Dichters: Jadis ma plume on veii son
vof estendre Au grS d^amour.^) Vom Ruhme: Ton renom volani
du domicHe Palladial vers la terrestre gent.^ Mais de son bruü, . .
par taut le monde il vole,^) D*ouyr le brütet j qui de Tauire
volloit,^) Ähnlich: Aussi par taut en vole la nouvelle.^^}
Les louanges Du pere tien par nations estranges Iront volant,^^}
Devers vous s'envollent mes pensees,^^
Grlngotter, gaaonlller, eaqvet (für das Sprechen).
Envie en gasouille.^^) Ta note Tont sote Oringote De
ntyus}*) Von den Zuschauem bMm Spiel : qui hra enireprindrent
') G. III, 637, •» ^' — Dazu : Par sualuyvole nostrepoeU (R. III, 192).
*) Empetrer: eigentlich von Pferden s» die Füfie festeln (aof
der Weide).
») G. in, 393, "'•
*) R. II, 184.
*) R. II, 366.
•) R. U, 303.
') R. II, 134.
») R. n, 299.
») R. I, 123.
>o) R. II, 177.
") ö. II, 4©, *»'f-
»«) R. I, 286.
") R. ir, 355.
^*) R. II, 632. — Daxa: Le fetn ä qui en grongne (Orohimg)!
R. U, 306.
— 61 —
De hauUement leurs eaquets redoubler Durant le jeu, affin de
me trouhler^)
Paitre von der Nahrangseinnabme im allgemeinen.
Von einem Verbannten : Va t'en <m hing eereher paature^
Va paistre en qudqite hkd fourmenU*) Vom Liebesgott:
Paiatre nos cueurs iun espoir ineertadn.^ Fy durepas, qui en
pa'kcj et repas Ne Sfmt Vesprü avec le corps repaistre.^)
Hncher = melden ; ^entir = seine Notdnrft yerricliten.
Von einem Prior: Se leve, crache, esmeuiit et se moucJie,^)
Vom unangemeldeten Tode: Voicy advenir La mort satis
hucher.^)
Enrager (rage) = reif zur Liebe werden.
Ein Liebhaber wird gefragt, wie alt seine Erkorene sei.
Er antwortet: De quatarze ans, — ßa, voylä rage: Elle commejice
de banne heure ''), bemerkt der andere. Ebenso : une pucelle De
quatorxe ans, sur le pomct d^ enrager,^)
^) G. lU, 262. CaqueUr findet sich sosst noch öfter.
«) G. II, 439 f.
•) R. II, 366.
*) R. II, 366. — Vom König, der Künste und Wissenschaften
pflegt: 0 Roy heureux, 90i*bt lequel aont entrez Bin tes pa$tiz lea lectres
tt Uetrez (G. II, 183, •'*'• Vw).
*) R. U, 464. — Derselbe Prior „verschlingt" sein Rebhuhn: La
devora (ibd.).
•) R. II, 518.
') G. II, 122, ••«''•
8) R. II, 176. — Vom Tode: le aceut hien kapp er (R. II, 608).
Die Mönche sind ausgegangen: Touts en propoa de Cupido happer
{G. II, 142, "). Die streitenden Parteien vor Gericht heifien: ces
mordanta (G. II, 165, ••); ein Sachwalter: ce mordant (G. II,
166, ^^); die Gegner wollen sich anfallen wie did Tiere: tauf(four$ Vun
ratUtre ne vuäUe mordre (G. U, 166, *^ Vgl. S. 48). — Pel6 von
Menschen: quelque caffart peli (G. UI, 394, "); Un uiurier ä la teste
pelee (R. II, 461). Letzterer wollte einen Strick, den er gekauft hatte,
nicht niitelos werden lassen: $^est pendu Pour mettre mieulx $on licol
d, proufict (ibd.).
IV. Metaphorische Wendungen.
Den Ehemann oder den. Geliebten hintergehen: Non
marU, de pamir (comme je croy) D^esire cocu (= coucou ^J) *) ;
faire mon amy coquu^)\ Si veistes onc tant fcwre de cocux.^)
Eine Frau droht ihrem Liebhaber: Viüainj tu en seras mouton^
Je fen feray p ort er la corne,^) Die Tragleine eines Messers,
das ihm ein Freund geliehen hat und welches er ihm dankend
zurückgibt, bringt Marot zuerst auf den neckischen Einfall,
diesem eine baldige Bindung und Verheiratung in Aussicht
zu stellen. Zufallig hat dieses Messer ein hörnernes Heft und
was ist nun naheliegender als dem Armen auch noch das
Wachsen von Hörnern, d. h. eine schöne Hahnreischaft zu
prophezeihen, da ihn seine Frau so leicht werde hintergehen
können, als ob er Hörner trüge wie ein Schaf:
Quant ä la corde d quoy ü est liSf
Cest qu^attachS seras, et mari6.
All manche atisst de corne, congnoist an
Que tu seras cornu comme un moiUon,^)
Die Geliebte zu sich rufen (Anspielung auf die Falknerei) :
Jusqiie ä la mort, dame (eusse clamee,
Mais un nouveau fa si bien reclamee,
Que tu ne veulx qu^d son leurre venir,'')
Der Dichter nennt sich le reclamant amant ^) und glaubt
im Tempel des Cupido vergebens nach Ferme Amour zu
rufen: Et croy qu^en vain je la vay reclamant,^)
') Vgl. weiter unten, S. 69. Das Weibchen des Kackacks geht in
die Nester anderer Vögel!
«) R. n, 610.
») G. III, 67, »•.
*) R. II, 636.
^) G. III, 68, •*'•
•) R. II, Ö31.
') R. IL 163 f.
*) R. II, 205.
») G. II, 96, **'. — Vgl. dazu : Tauchant 8on cueur, je Vay en ma
cordelle (R. H, 176).
— 63 —
Das Liebeswerbeo als Jagd dargestellt:
Or si poursuyvray je pouriant
La chasse que fay entreprise :
Cor tont plus on tarde d la prinae^
lant plus daulx en est Is repos,^)
Tel bim
Vault hien
Qulon face
La chasse
Du plaisant gibier amoureux:
Qui prend leih pi'oye est heureux.'^)
Festgehalten oder ergriffen werden (Jagdansdrücke) : Von
den Liebhabern heißt es: attrapez es laqs^); ebenso von den
Gefangenen vor dem Dntersnchnngsrichter: saisy deteslacqs*)\
vom Tode : c^est mort qui fa mise enseslaqs^)\ von der Fröhlich-
keit: toute geniilesse Et gay vouloir^ qui nous tient en ses laqs,^)
Freien Lauf lassen: votäu n*ay la hride lascher Ä mes
propos'')] A unpoete, d qui on doibt lascher La hride longue^);
je laschay d mes souspirs la resrhe,^) Das Gegenteil: HeUis^
mon Dieu, reffrain Par ta honte de ma bouche le frain,^^)
Die Meinung ändern: Wenn der Dichter die Schriften
der Königin von Navarra liest, ist er erstaunt darüber, daß
») G. II, 125, »»•''•
*) R. II, 199. — Chasser und poorchasser finden sich öfters
in diesem Sinne.
•) G. II, 88, »^».
*) G. II, 180, »*•.
*) Ä. II, 282.
*) JEl. II, 3. — Von den Richtern: üz ont tant de glus Dedans
leurs mainSy cea faiseurs depipie^ Que toute chose oii touchent estgrippie
(G. III, 84, *®*^')- ^io anderer Jagfdausdrnck findet sich in: des Enfera
sartiras les bri8^.e8 (G. JII, 176, "•) und in: en noz champs Elisees . . .
par les droictes hrisees Est devere nous un esprit arrive (R. ILy 290).
Merke noch: AT ont appeU monsieur ä cry et cor (R. U, 387).
') G. III, 407, **'•
•) G. III, 300. »"'• — Der den Konig um die Erlaubnis bittende
Dichter, auf ein halbes Jahr aus der Verbannung zurückkehren zu
dürfen, sagt ebenso: que la hride me lasche (G. III, 394, ").
») R. II, 285.
'•) G. II, 59, "»'•
— 64 —
die Leute ihr nickt mehr Bewunderung sollen; wenn 6r die
Königin aber sprechen hört und sohreiben sieht, dann wird
er anderer Meinung. J« iourne bride^), sagt er; dann findet
er, daß die bewunderten Schriften ganz leicht zustande kommen
und das Erstaunen völlig unangebracht ist.
Am Gängelbande fuhren: Doubie me meine en laisse.^
Den Ehrgeiz in Schranken halten:
Qui vouldra mettre Vordre ei resne
Au grand cheval d^ambiiion,
Poinct n'y aura sedition,^
Mit reichen und vornehmen Leuten verkehren und trotz-
dem arm und gering bleiben: Dond vient eela que je me froite
Aux coursiers et suy tottsjours rat?*)
Im Kriege mit den Weibern (Geschlechtsverkehr) erging
es manchem schlecht: Maint bon couriault y fui mis hors
d^aleine, Et maint mouton y laissa de sa laine,^)
Eine zwecklose Arbeit verrichten: Puis d^avoir tmU de
peine prise, J^ay pamtr quHl me soii rep'ocM Qu^un asne mori
j^ay escorchS,*)
Kurze Zeit: Inmitten der politischen und religiösen
Unruhen um ihn herum, die alle Augenblicke einen gewaltigen
^) K. II, 382. — Dazu: Die HoffnuDg wird dich, YenweifluDg, in
die Flucht schlagen: te donnera carriere (ö. III, 38,*'); lassen wir
das: A cheval^ qu'on n^en parle plus (G. II, 469, ^**); macht, daU
ihr fortkommt: ä la chaaae (G. III, 67, *'); zn allem ja sagen und also
knechtisch unterwürfig sein : Yous dites vray de cda, Syre £= Sie haben
recht, sagt der Kriecher, denn er richtet sich nach dem Sprichwort: Une
estrille, une faulx, un veau, Cestädire: estrille Fautjeau (= Name.
eines Pferdes, i^triller Fauyeau » sich su niedrigen Handlungen
eines Vorteils wegen hergeben. Vgl. ih III, 365, Anm.) En ban rdm$
de Ficardie (G. III, 366, "•«•). Vgl. engl: to curry fawur.
") G. III, 29, •". — Merke: porter le faix et somme I^une veriu
(R. II, 237).
') G. III, 456 f. -- Bin Weib, das ihrem Geliebten nicht untreu
werden will, sagt: Dieu me gard de mal Et de morturt de cheval
(G. III, 67, ^^'•). Der Dichter schreibt an d«n Konig: avecqi$eB aucuns
graina BeeBUseitez ceste pereonne marte (R. II, 112).
*) G. III, 382 f.
») G. in, 60, "'•
ö) G. in, 592, ^^"-
— 66 —
Brand im Lande zu entfachen drohten, meint Marot, man
brauche nur mehr das Alter eines Kalbes zu leben und man
sehe doch viele Ereignisse an sich vorüberziehen: Mon Dieu!
que nous roirrons de choses Si nous rivons Vaage d^un
veau! ^)
Schutzbefohlener: Der Dichter schreibt an den König,
als er nicht in die Listen des Hofstaates eingetragen worden
war:
Uestat est faicty les personnes rengies,
Le jiarc est dos et les brebis log^esj
Toutes^ fors moy, le moindre du trouppeau,
Qui n^ a toyson ne laine sur la peau,^
Die neue Kirche, dargestellt durch Christine, lädt
Marot mit folgenden Worten zum Beitritt ein:
Mon cueur s*est resjouy
De ma brebis esgaree en la plaine
De la trouver: or oste ceste laine ^
Et la toyson que dessiis toy je freuve,
11 tc conrient vestir de robbe nenfve,^)
Der Dichter hebt Herz und Augen zum Himmel, um den
gütigen Hirten zu preisen, der das arme Schaf, das man in
die Bitterkeit des Elends hinausgestoßen hatte, gleichwohl in
seinem großen Pferche treulich bewahrt habe. Gott hat ihn
also auch dann nicht verlassen, als er vom Hofe und vom
König, dem Landeshirten, Abschied nehmen mußte.
Or stis avant, mon cueur, et rouSy mes yeuLcj
Touts d'un accord dressez vous vers les cimlx,
Pour glolre rendre au pasteur dehonnaire
D'avoir tenu en so7i jjarc ordinaire
Ceste brebis esloingnee en souffrayice.^)
>) G. III, 329 f.
«) G. in, 89f. Vgl. oben, S. 31 f.
») R. I, 132.
*) G. ni, 660, "''• Dazu: Eine Versammlung zerstreut sich A grandz
trouppeaux (G. II, 136, "). Anspornen: Faulte d'amour Vesguil-
lonne ä ce /iaire (R. II, 65) ; Sentans d'amour les aiguillons extresmes
(R. I, 130); Or, quand de vous se soubviendra^ L'aiguillon d'honneur
Münchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXVI. 5
— 66 —
Alle Kräfte zusammennehmen: C^est paurquoy les cornes
dressas,^) Sein Gegner, meint Marot, habe ihm mit dem
größten Kraftaufwand einen letzten Sturm liefern wollen ; er
habe an jene Tiere denken müssen, die, bevor sie auf ihren
Feind losstürzen, die Hörner aufrichten und einen gewaltigen
Anlauf nehmen.
Die klatschsüchtigen Menschen in liebesangelegenheiten
zum Schweigen bringen: Telx dorn . . . foni . . . taire ks
chiens qui aboyent,^)
Unzusammenbängende Beden führen : Je ie mpply tn'exeu^er
si Du Coq ä V asne vay sauliant,^)
Ohne Mühe erreicht man nichts : On ne prend poinct en
court telx chats sans moufle (vielleicht auch =-k ohne Pro-
tektion gelangt man am Hofe zu nichts).*)
Nicht viel Bedürfnisse haben, nicht viel brauchen können :
Je ne suis paint des excessifx Importuns, cor j^ay la pepie,^)
(Eigentlich ist avoir la pepie = nicht trinken können, also
sehr durstig sein).
Ids Gefängnis werfen: On te pourroit bien mettre en cage
Pour te faire parier plus bas,^)
£inen Dichter mit Übertreibung loben: Endroit moi tu
fais eignes les oues,'')
Zur Eile nötigen: Lora que la paour aux talona mei
des aesles^)
Sich gut verstellen können: Der Dichter meint, da»
Äußere der Frauen, zu denen er spricht, lasse ihn nur Engel
Vespoindra Aux armes et vertueux faxet (G. III, 605, •*"^); Oultrt son
vueil contrainet y seroit ores Par Vaiguillon d'une mort quile poinct
(R. II, 304). Aiguillon = Treibstachel!
») G. III, 582, 1".
«) G. II, 121, »""•.
•) G. III, 242 f. — Die Dümmsten = Ceulx qui avoient les plu»
grandes oreilles (R. 11, 322).
*) G. III, 104, »».
») R. II, 10.
•) G. II, 465, "®'- — Zu merken: Venfant au povrt nie {nid) vom
Jesaskiode (R. II, 34).
') R. II, 137.
8) R. II, 351.
— 67 —
in ihnen fermuten uAd fährt dann fort: Si trompS suy, je
cfy que la eouleuvre En voz jardins soubx- doulees fieurs
se cceuvre.^y
Alles wird darunter und darüber gehen (oder: eher ge-
schieht alles andere als . . .):
Si ee malheureux Dmpereur
Prend alliance avec PÄnglais,
Les anguilles deviendront oya
Et hroehets deviendront mautons,*)
Der Dauphin wird den Krieg beendigen'): Avec une
petite Offne La hallaine sera tost prise,*)
Großer Mut; Amiti4 prend courage de lion.^)
Geschenk von weißer Farbe: Present de couleur de co-
lombe,^)
Gräßliche Wut: // fuyoU la fureur Serpentine Des
ennemys de la belle Christine (d. h. der Sorbonne).'^
Falsche Zungen : Von der den Liebenden günstigen Nacht
sagt Marot: Plus tost endort les langues serpentines.^
Verschlagene List: Les fravdes vulpines de Venus,^)
Dünnes Bein : Von der Krankheit : . . . m'a faiet la cuysse
heronniere^^)] la cuisse heroniere einer Frau*^); einer
anderen Frau mit der gleichen Eigenschaft ruft der Dichter
zu: Adieu la belle Heronniere^^
Blöde Augen : II avoit bien tes yeuh derane (=« grenouille),^^)
») G. III, 148, "'•
») G. II, 476.
») G. III, 490, Anm.
*) G. III, 490, "»'•
») R. II, 110.
•) BL II, 240.
'^ G. in, 427, »»'•
^ E. I, 866. — Zu merken: Ton ordure etpuante have Contre may
a$ e$t6 orachmt (G. Hl, 270, «'•). Basilies i:^ Kftnonen (R. I, 126).
Loups ^ Geschwäre (R. II, 682).
•) R. I, 296.
w) G. III, 188, «>.
") R. n, 544.
»») G. III, 120.
") G. III, 578, •K
5*
— 68 —
Häßlicher Mund: Mit den Worten Quant ä Vesprüj pain^
gnex moy une saticke, Et (Tun taureau le mufle, pour la
bouche^) fordert Marot seine Freunde auf, dem schon vor-
handenen lobenden hlasoti auf den Mund des Weibes ein
herabsetzendes Gegenstück folgen zu lassen.
Kleinlaut werden^ sich ducken: // me faüui soubdain
faire la poulle, Et m^enfuyr {de paour) hora de la fouile.*)
Sich dumm stellen, fade sein: Puis que vous portex le
7iom ö^AnnCy 11 ne fault point faire la beste: Des aujaurtThity
je vous condamne Ä solennizer vostre feste,^)
Schwenkungen ausführen : Von Soldaten : Marchent en ordre
ei fönt le lima<;on,^)
Der für die Menschen geopferte Jesuchrist j V aigneau
iout pur et imoide.^)
Schwungvollster Dichter der Neuzeit: dont as le tiltre gcni
D^algle moderne j ä suyvre difftcile,^)
Übergang zur Allegorie.
Marot stellt dem König Franz, dessen Wappenbild ein
Salamander in den Flammen war, und dem Kaiser Karl, der
den Adler im Wappen führte, unter dem Bilde dieser Tiere
den Himmel in Aussicht, wenn sie friedliebend sein wollen:
Paix, qui fcra la live salamandre.
Apres son faict mortel estainct en ceridre,
Kourrir au fett d^une vie immortelle :
A Vaigle aussi, quand le rol de son aesle
') G. III, 408, '^f-
«) G. III, 61, «ff-
') K. II, 436. Ahnlich fordert am Schlüsse der Fabel Du Hon et
du rat Marot seinen Freund Lyon §uf, ihn aus der Gefangenschaft zu
befreien, wofür er sich später vielleicht erkenntlich zeigen könne: Or
vien me veoir pour faire le lyon^ Et je mettray peine, 8«w, et estude
D'estre le rat, exempt dHnyratitude (R. I, 341. — G. III, 80, '*''•)•
*) G. UI, 46, ".
*) H. II, 35. — Vgl. auch: Le p he nix suis des dames langou^
reu8€8 . . . S. 41.
«) R. II, 134. Vgl. S. 41 ff. Es findet sich auch: Jean de VAigle
(R. I, 124).
— 69 —
Plus ne paurra sur lu terre s^estendre
Pour voler plus oultre, si fera fendre
Tous les neuf cieulx jusqtie au lieu angdique,
Promis d ceulx qui ayment paix publique,^)
Vom Kaiser, der sich vor den kleioen italienischen Fürsten
nicht fürchtet, heißt es an einer anderen Stelle noch: L^ aigle
ne craint la Myrandolle (Versammlungsplatz der gegen Karl
verbündeten Fürsten).*)
Die nachstehenden Verse:
Mais commeni se porte V asnesse
Que tu s^'ais de Jerusalem?
Stelle veult mordre^ garde Pen:
Elle parle comme de. cyre *)
beziehen sich auf die Kirche von Rom, die ja, wie die Eselin
in der Bibel den Erlöser, nun die wahre Religion zu tragen
sich rühmt.
Wenn Marot in seinem Enfer dem Untersuchungsrichter
die Antwort gibt: Cogneu je suis . . . Du gentil Pari, qui les
flustes manie Jusqu'ä Tityre et ses brebis catnu^es*'), so will er
damit wohl nur sagen, daß er als Hirtendichter bekannt sei.
Fünfter Teil.
Tier-Allegorie.
I. Anfänge der Allegorie.
Les veaux ne sont taus au marchey Ni les coquuz au verd
boccage.^) Verspottung der Doktoren der Sorbonne und der
betrogenen Ehemänner. Erstere erhalten noch einen Hieb in :
') R. II, 94 f.
*) G. III, 459. Zu merken: Der Kaiser kommt friedlich, Nonpoint
au vent Vaigle noir couronne (R. II, 91).
») G. III, 364 f.
*) G. 11, 179, "•''•
*) G. n, 465, "« '•
— 70 —
Les lienx publies devise tous nouveaiuixy
Entre Usqueix au ntilieu de Sorbonne
Doibt, ee dkt on, fsUre la place aitm veauix,^)
In den Worten : Noch andere Tiere als die Ziegen tragen
einen grauen Bart am Kinn, Ei d^atdtres bestes qtie hs ehevres
Porient barbe grise au mefiton^)j die sidi in einem Ckfq ä fäne
ohne allen Zusammenhang mit dem Nebenstehenden finden,
wie es das Wesen dieser versteckt satirischen Dichtaagsait
eben erheischte, erblicke ich nicht nur eine boshafte An-
spielung auf eine damals erfolgte Verordnung des Pariser
Parlaments über das Tragen von Barten, wie Guiffrey ganz
allgemein annehmen möchte ^, sondern, da es sich ja um graue
Barte handelt, einen direkten Hieb auf die jedenfalls schon
bejahrten Männer der weltlichen und der geistlichen Bechts*
pflege, mit denen Marot wegen seiner früheren Einkerkerung
und wegen seiner Verbannung (er schrieb diese Zeilen in
Ferrara 1535) nicht auf dem besten Fuße stand.
Ne donnex jamais Vesperon Ä cheval qui voluntiers trotte.^)
Wie man ein Pferd, das von selber geht, nicht anzutreiben
braucht, so soll man auch gutwillige Menschen nicht unnütz
zur Arbeit auffordern.
Lob der Stadt Lyon:
On dira ce qtie Von vouldra
Du Lyon et sa oruatä^:
Tousjours, ou le sens me fauUlra,
J^estimeray sa privaute:
J^ay trouve plus d'honnesteie,
Et de noblesse en ce Lyon,
Que tiay pour avoir frequente
Lfausires bestes un miUion,^)
Abschied ron der Stadt Lyon :
Adieu^ Lyon qui ne mords pomd,
Lyon plus doulx que cent puceües,
') R. U, 457.
«) G. III, 367 f.
») ö. III, 367, Anm. 2.
*) G. III, 332, "'•
») B. II, 450.
— 71 —
Sinon quamd Vennemy U poind:
Ahi'8 ta fureur ptAnet ne celes.^)
Va Lyon, que Dieu te gouveme:
Ässez lang temps s'est esbcUu
Le petit chien.^) en ta oaveme,
Que devarU tay on a batu,^)
Schließlich noch ein Lebewohl dem Gouverneur de ce grand
Lyon.^)
Ein Fräulein, das einen langweiligen Verehrer anbringen
wiU, fragt ihn: La phus grosse beste qui sott Monsieur, comme
est ce qiCon Vappdle? Der harmlose Mensch antwortet: Un
elephant, madamoyselle, Me semble qu^on la nomine ainsi : Pour
dieu, elephant {ce dit eile), Va fen donc, laisse moy icy,^)
May fs*] ü est cheu tont de nuees, Que devindrent les allou-
ettes?^ ist vielleicht eine Anspielung auf den politischen
Himmel, dessen Wolken gesunken waren und Kriege herbei-
geführt hatten, in denen so viele arme Teufel ums Leben
kamen. Der darauf folgende Satz: // ne fut ancques tant de
chouettes: Nuit et jour on les voyt voller, II est deffendu de
voller Qui n^aura au coste des aeles ^ ist gegen die Finanzmänner
gerichtet.
Gedicht Marot's an den König für ein Fräulein, dem
letzterer den Beinamen grenouiUe gegeben hatte:
Uanwur entiere, et tout ä horme fin,
Sbrey ü ie piaist trois poissons bien aymer:
Premierement, le bien hcureux Daulphin^)
Et le Chabot^) qui noue en ta grandü mer:
Puis ta grenouiUe . . .^^)
») ö. ni, 661, »'^•
') Der Hund ist ULarot, der bei seiner Abschwörang des protestan-
tischen Glaubens zu Lyon die gewohnten Butenstreiche erhielt.
») G. III, 654, «'^•
*) G. ni, 665, *•.
») R. II, 462.
•) G. III, 482.
') G. UI, 482f.
•) Der Dauphin Franz, gestorben 1636 (R. II, 355).
«) Chabot (= Kaulkopf, ein Fisoh) war Admiral (R. II, 365).
w) R. n, 354f.
— 72 — •
Der Dichter bittet den König um Hilfe für einen kranken
Freund, den Poeten Fapillon:
Me pourmenant dedans le pare des Muses
(Prince sans qui elks seroieni confuses)
Je rencontray sus un pre abbatu
Ton Papillon, sans force fie vertu:
Je Vay trouve encor avec ses aeslesy
Mais safis voller ^ comme s^il fast sans eües:
Luy qui tendant d son roy consoler^
Pour ton plaisir souloü si bien voüer,
QuHl surpassait le vol des aiouettes.
Eoy des Francs, c^est Fun de ies poetes • . .^)
IL Allegorische Darstellimg der Rechtshändel.
Über den Pfortner des GeßLngnisses :
Si rencontray Cerberus ä la porte:
Lequel dressa ses troys testes en hault,
A tout le moinSj tine qui troys en vauli,
Lors de travers me voyt ce chien poussif,
Puis vi^a ouvert un huys gros et massif.^
Über die Prozesse:
Or sgaches, Arny, doncques
Qii'en cestuy parc, ou ton regard espandsy
Une maniere il y a de Serpents
Qui de petits liennent grandz et felons:
Non poinct Volants^ mais trainants et bien longs:
Et ne so7it pas pourtant Couleuvres froides,
Ne lerdz Lezardz, ne Dragons forls et roides:
FA ne sont pas Cocodrilles infaictx^
ye Scorpibns tortuz et contrefaictz :
Ce ne sont pas Vipereaux furieuXy
Ne Bas i lies itiants Ies gens des yeux:
Ce ne sont jxis mortiferes AspicSj
Mais ce sont bien Serpents qui valent pis,
») R. II, 434 f. (G. III, 615 f.).
«) G. II, 162, ••'^.
— 73 —
Ce 8oni Serpents enflezy envenimex,
Mordanis, mauldictZj ardents et anime»,
Jectants un feu qu^ä peine on peuU estaindre,
Et en piquant dangeretix d Vaüaindre.
Car qui en est piqui ou offanse
En fin demeure cheiif ou insense:
C^est la naiure au Serpent plein d^exces
Qui par son nom est appele Proces.^)
Es folgt dann eine Beschreibung der verschiedenen Brechts-
händel unter dem Bilde großer und kleiner, junger und alter
Schlangen, deren mannigfache Tätigkeiten allegorisch gedeutet
werden. Das lange Leben dieser Schlangen findet schließlich
in den nachstehenden Versen seine Erklärung:
Donrques, Ämy, ne teshahys eomment
Serpents Proces vivcnt si lonjuement:
Car hien nourrys sont du laict de la lysse
Qui nommcc est du Monde la malice:
Tousjours les a la louve entretenux^
Et pres du cueur de son venire tenux»^)
ni. Allegorisches Liebesgedicht.
Auf der Suche nach Ferme Amour gelangt der Dichter
schließlich zum Tempel des Cupido. Er beschreibt dessen
Umgebung und sagt unter anderem:
Et y chantoit le gaillard Tityrus:
Le grand Dieu Fan, avec ses pastoureaulx
Qardant brebiSy beufz, vaches et iaureaulx,
Faisoit sonner chalumeauhcy comemuses
Ei fUxgeoletx . . .«)
Les oyseletx, par grand joye ei deduyt,
De leurs gosiers respondent ä tel bruyi,*')
0 G. U, 168flr.
*) G. II, 172, «0»''.
») G. n, 74, »»''•
*) G. n, 74, "»'•
— 74 —
Damit will Marot wohl andeuten, daß die Hirten es am
leichtesten haben, wenn sie sich der Liebe hingeben wollen;
sie brauchen nur in den Tempel einsutreteot sie stehen jeder-
zeit schon am Tore. Die Erwähnung der Vögel geschieht
vielleicht nur der Ausschmückung wegen« Was Marot mit
dem Tempel des Cupido meint, läfit sich nicht eindeutig be-
antworten; ein obszöner Sinn kann nicht immer abgelehnt
werden. Daher sind auch die Dinge, welche unter dem Bilde
von Tieren und deren Tätigkeiten dargestellt werden sollen,
nicht immer mit Sicherheit zu ermitteln. Wenn der Dichter
z. B. auf den beiden Zypressen, welche vor dem Altäre^)
stehen, Vögel singen läßt, so mag er damit wohl auf den
Sirenengesang der Leidenschaft hinweisen:
LoTB müle oyseaulXj d^une longue ramie,
Vindrent voUr sur ces vertes courtines,
Prestz de ctiunter chansonnettes divines,
Si demanday pourquoy Id sont venus:
Mais on me du: Amy, ce sont nuUines,
QuHlx viennent dire en Vhonneur de Venus J^
Auch Heilige sind natürlich in dem Tempel, wie Beau
parier, Bon rapport. Bim servir etc., d. h. also die Liebes-
künste, zu denen man seine 2krflucht nehmen muß:
Cor sans ceulx Id Von ne prent poinct les bestes
Qu*on va chassani en la forest d'amows.^)
Beim Gottesdienste rbenützen die Pilger BoeinarinstriMiBe
als Kerzen; Sänger sind die Vögel:
Les Chantres: lynotz et eerine^
Et rossignolx au gay courage,
Qui sur buyssons de verd boscage
Ou brancJies, en Heu de pulpüres,
^) Auch das Diadem des Capido, der von Venus «rbaltene Eosen-
kränz um den Kopf, wird erwähnt. Dann heißt es weiter: Pvtis donna
{pour ces roses helles) Ä sa mere un char triumphant, Conduict par
douze columhelles (G. IL 81, "®^). £ine Anspielnng amf die Mytho-
logie ist auch in Egeon monte sur la balaine (R. II, 72) enthaiteiL
») G. n, 82, •"''•
») G. n, 83, ">'•
— 76 —
Chanteni le joly chant ramage,
Pcur versetz, respondx et qnstres.^)
Mit den Vögeln sind hier wohl Liebesworte gemeint, die
der Liebhaber der Geliebten beim Überbringen eines Biumen-
stranßes sagt. Nach dem Gottesdienste wohnt der Dichter
anch einer Jagd bei, die natürlich nur das Liebeswerben rer-
sinnbildlicht :
Voyant chasser de Oujndo les serfx,
Vun ä connilx, VauUre ä lievres et cerfXy
Lascher faulcons, levriers courir au boys,
Corner, souffler en irompes et haaUboys:
On criey on prent: Fun ekasse et Vaultre hc^ppe,
Vun a ja pris, la beste hty eschappe,
II court apres: VauUre rien Wy pourchasse:
On ne veit anoq un tel deduyt de ekasse
Comme cestuy.^)
Der Himmel des Altares, auf dem geopfert wird, ist
eine Zeder, auf der ein Vogel singt, der jedenfalls auf die
Leidenschaft und ihre Lockungen hinweist:
Le ciel ou poisle est un cedre embasniant
Les cueurs humains sur qui ung oysellet
Jargonne tant que son chant nouvellet
Endort les gens et souvent si bien chante
Que de son bruyt plus kauU que ung flajeoUet
Les puissans dieux il endort et enchante.^)
lY. Allegorisches Hirtengedicht.
Vom Papste, der zur Zeit Marot's seine Herde gegen
iKe Irrtehrer zu beschützen hatte, sagt der Dichter: II a wi
iroupeau de brebys Qui est en grand danger du loup,*) Als
1) G. n, 84, «"''•
«) G. n, 95f.
■) G. II, 80, **"^- Var. Ebenfalls in einer Variante sind die Galerien
des Tempels blumige Pfade Ou pasteura et bergieres §enteB S'esbattent
en gardant moutons {i}. U, 87, »»»'• Var.).
*) G. n, 449, M'-
— 76 —
Hirtin ist auch die neu erstandene Urkirche, Christine ge*
nannty dargestellt : Et par ainsi fut frappee (Penconibre La ber^
gerette et ses trouppeaulx espars.^) In Marot's Sermoth du bon
Pasteur et du maulvais ^) ist der gute Hirt ein Anhänger der
Reformation, die Wölfe sind Teufel und Ketzer, die schlechten
Hirten sind natürlich die katholischen Geistlichen. Von ihnen
heißt es:
Ils tiourrissoiefU lettre grans trouppeaulx de songes
D'ergo, d^utrum^ de quare, de fnensongee.
Et de cela ilv faisoiettt du pain bis,
Que bien amoient leurs seduicies brebis:
Mais de maigreur estoünt e^ilangorees :
Plus en beuvoierttj plus estoient aUerees:
Plus en mangeoient, plus en voulaient manger . . .*)
Ahnliche Gedanken finden sich in seinem Gedichte: La
Complaincte d'un Pastoureau chrestien.^) Ein Hirt schildert
darin dem Pan (= Gott) seine traurige Lage. Er hat vor
feindlichen Hirten weichen, in die Verbannung gehen und
ihnen seine Herde überlassen müssen. Damit meint der
Dichter nur sich selbst, dessen Weib und Kinder sich ver-
gebens nach ihm sehnten, nachdem ihn der Ausbruch der
Verfolgung aus dem Lande getrieben hatte:
Car fay laissS Marion esploree
Dedans son parc, ou Vhumble pastourelle
Faict (fen suis aeur) lamentable querelle,
J^ay deslaisse jmr les herbeux pastis
Beufx et brebis et leurs aigneaux petis:
J^ag deslaisse par les ckamps, davantage
Mes douze beufx serva?is au labourage,^)
Wahrscheinlich will Marot damit auch andeuten, daß er
ohne irgendwelche Subsistenzmittel in die Fremde fliehen
mußte. Fan möge das Elehen seiner Angehörigen erhören,
^) H. L 127. Vgl. S.-65.
«) K. I, 165 ff.
«) R. I, 186 f.
*) R. J, 191 ff.
») H. I, 196.
— 77 —
«agt der Dichter weiterhiD, und alles wird sich darüber freuen
und ihn preisen:
0 puissant Pan, de ton Jmvlt lieu regarde
Ces ccis piiaiXy et ä venir ne tarde
Donner seconrs ä tes mnples brebis
Et tes trouppeaulx errafis jmr ks lierbis
De CCS bas lieux, qui safis cesse fifivocquent,
Et d pitie et mercy te provocqvent.
Si tu entens par grace singulüre
Mon oraison et treshumble priere, . . .
gras beufx en brameront,
Et par plai»ir brebis en besleront,
Oyseaulz du ciel de differens plumages
Te rendront los en leurs beauJx chantz raniages.^)
Marot's Klagegedicht auf den Tod der Königin-Mutter
hat gleichfalls die Form des Hirtengedichtes. Sie selbst ist
als Schäferin dargestellt, auf deren Worte jedermann hört;
der König erscheint als der oberste Hirte. Nicht alles, was
in dem Gedichte von Tieren gesagt wird, läßt allegorische
Deutung zu; vieles dient nur zur Ausschmückung und Be-
lebung. So sagt gleich anfangs der eine von den redend ein-
geführten Hirten zum anderen, bloß weil es gut zur Situation
paßt :
Or je te pry, tandis que mon mastin
Fem bon guet, et que je feray paistre
Xox deux trouppeaulXj chante un peu de Cntin,
En deschiffrant son bei habit cliampctitre,^)
Der Angeredete geht darauf aber nicht ein, sondern ver-
spricht seinem Mithirten eine Schalmei, von welcher er an-
gibt: Lequel d peine ay eu pour un chevreau^), wenn dieser
die verstorbene Schäferin in einem Liede beweinte. Der hebt
alsdann zu singen an, schildert unter anderem, wie sehr die
Oberhirtin die Mädchen zur Arbeit anhielt, so daß keines
müßig war : Uune plantoü herbes en un vergcr, Vautre paissoit
») R, I, 202 f.
») R. 11, 277.
») R. II, 277.
— 78 —
eoulombx, et tourierellea.^) Er beschreibt dann den fün-
druck, den der Todesfall auf Volk und König gemacht hatte :
Le grand pasleur sa musette fendit,
Ne voulant plus que de plettrs se ruesler^
Dont son trouppeau, qui plaindre Ventendü^
Laissa le paistre et se print d besler,*)
Die Natur und die Tiere in Wald und Flur nehmen An-
teil an der Trauer:
La mer en fut trottblee et mal tranquüle,
Et les daulphins^) bien jeunes y plorerent,
Biehes et cerfx estannez s'arresterent:
Bestes de proye, et bestes de pasture^
Tous anitnaulx Loyse regretterentf
Exceptex loupa de maulvaise nature . • .
les trouppeaulx^) en portent naire laine.
Sur Varbre sec s'en complainct Philomenef
L^aronde en faici crix piteux ei tranchansj
La tourterelle en gemit et en meine
Semblable dueil . , .*)
La povre Touvre arrousant AngoiUesme,
A son pave de truites tont desti-uict.
Et sur son eau chantent de jour et nuict
Les eignes blancs, dont toute eUe est cotiverte,
Pronostiqu/ans en leur chant qui leur nuyct,
Que mort par mort leur iient sa parte ouverte,^)
Auch die Zeichen, welche ihren Tod ankündigten, werden
aufgeführt:
Zfo, quand fouy Vautrehier (ü me souvient)
8i fort crier la Corneille en un chesne:
Cest un grand cos (dy je lors) s'ü n^advient
>) R. n. 279.
») R. II, 280.
') Die Kinder des Königs.
*) Das Volk in Trauerkleidern.
») R. II, 281.
•) R. n, 283.
— 79 —
Qiielque meaehef hien tost en eestuy regne,
Atäant m^en du le eorbeau snr tm fresne:^)
Die Sorgfalt, welche sie dem Volke widmete:
Tant bien s^avoü en seurte conformer
Tont k hestail de iouie la contree:
Tant bien s^avoü son parc dorre et femier^
Qu^on via point veu les loups y faire eniree^),
die Rolle der Friedenstifterin, die sie übernommen hatte, um
den blutigen Kriegen ein Ende zu machen'), haben ihr
aicherlich den Eintritt in die Gefilde des Elysiums verdieut,
wo sie ewige Freude genießen wird, wo auch alle schönen
und anmutigen Tiere versammelt sind:
Tcms animaulx plaisans y sont comprü,
Et miüe oyseaulx y fönt joye immortelley
Entre lesquelz voU paar le paurprü^
Son papeguay*), qui partit avant elle.^)
Am Schlüsse des Gedichtes ruft der andere Hirt die
Herde heim, da die Nacht schon anbricht: Sus grans toreauxj
et V0U8 brebis petites, Allez au iect, assez <xvez broustS.^)
Die Form der Ekloge wählt der aus der Verbannung
zurückgekehrte alternde Marot auch, als er in großer Be-
drängnis und Armut den König um Hilfe für sich und die
Seinigen bittet. '') Pan ist darin der König, von den auf-
tretenden Hirten ist Janot der Vater des Dichters, ßobin er
selbst, Jacquet ein Freund seines Vaters, namens Jacques
Colin. Inhalt: Der Hirte Robin zog sich, so erzählt Marot,
kürzlich in den Wald zurück und richtete dort seinen Ge-
sang an Pan:
») Ä. II, 284.
«) K. II, 282.
») R. n, 287 f.
*) Vgl. S. 16.
») R. II, 286.
•) R. n, 289.
') Eglogue au Roy soubz les noma de Pan et Bobin (ö. II, 286 ff.,
R. I, 107 ff.).
— 80 —
O Pan, dien aouverain^
Qui de garder ne fuz onc paresseux
Parcz, et brebis, et les maistres d^iceulr,
Et remetz su^ tous gentilz pastoureaux
Quand ilx rCovii prex, ne loges, ne toreaux,
Je ie supply (si onc en ces bas estres
Daignas ouyr chansonnettes chanvpestres)
Escoute un peu, de fon vert cabinet^
Le chani rural du petit Robinet,^)
Damit wird gesagt, Marot habe sich hingesetzt und fol-
gende Klage an den König begonnen : O König, der du deine
treuen Diener beschützest und dich um alles kümmerst, was
sie brauchen, und ihnen gibst, was ihnen nötig ist, höre meine
Klage. Robin-Marot beginnt mit der Erzählung seines Lebens.
Es ist nicht sicher, ob der Dichter hier seine eigene Jugend
erzählt, oder nur eine Jugend, wie sie ein Hirtenknabe wohl
zubringen mag; jedenfalls aber ist Marot's jugendliche ün-
gebundenheit in der Schilderung, die ergibt, versinnbildlicht:
Sur le printemps de ma jeiimsse folle,
Je resseviblais V arondelle qui vole,
Puis fo, puls lu: Paage me conduisoii
Sans paouVf ne soing, ou le cueur me disoit:
En la forest (sans la craincie des loups)
Je ni^en allois souvent cueülir le houx,
Pour faire glux ä prendre oyseaulx ramages,
Tous diffei'ens. de chantz, et de plutnages :
Ou me soulois [pour les prendre) eniremettre
A faire bricx, ou cages pour ks mettre,'^)
Ou transnoiiois les rivieres profondes,
Ou renfoTfois sur le getioil les fondes,
Puis d^en tirer droict et hing faprenois
Potir chasser loups, et abbatre des noix,
0 quantesfoys aux arbres grimpe fay,
Pour desnicher ou la pye, ou le geay , . . .
») Vers 6-14.
«) Vgl. oben, S. 33 u. 38 f.
— 81 --
Atieunesfcys avx moniaignes aüaye,
Aueunesfoys waat fosses demlhye,
Pour trotcver Id Us gktes des fouynes,
Des herissons, ou des hhmches hermines,
Ou pas d pas le long des buyssonneix
Allois eherchant les nidx des chardonnetx
Ou des serins, des pinsons, ou lynottes,^)
Schon früh habe er die Schalmei blascD, d. h. dichten,
gelernt und sein Vater Voulut gager ä Jaquet son txmpere Cantre
un veau gras deux aigneletz bessons (Vers 60f. ; vielleicht
handelte es sich zwischen den beiden Dichtern um eine Wette
mit der Verpflichtung, daß jeder ein besonderes Oedicht liefern
müsse), daß er eines Tages das Lob Paus, d. h. des Königs,
singed werde. Sein Vater gab ihm Unterricht in der Kunst
des G-esanges und zwar mit einer Liebe sondergleichen.')
I^atürlich lehrte er seinen Sohn das ^gen nur, damit er Fan,
der ihm immer geholfen hatte, preisen, d. h. dem König für
seine Wohltaten danken könne : Pan qui augmentas son dos, . . .
M qui gardas son trouppeau de froidure.^) Pan (d. h. der
König), hat der Vater dem Sohne gesagt, wird dir einen
schönen Wohnsitz geben:
La, d^un eostS, auras la grand dosture
De saulx espez : ou pour prendre pasture
Mouches ä miel la flettr succer ironlj
Et d'un dofilx bruict souvemi fendürmiront: . . .
Puis tost apres sur le prochain hosqttet
TesveiUcra la pye en son caquet:
Tesv^illera aussi la eolombelle . , .^)
Doch Robin-Marot habe sich damals um nichts gekümmert :
Car soucy lors n'avois en man courage Uaucun hestail, ne
d^au^cun pasturage.^) Später habe er allerdings auch nützliche
Arbeiten gelernt, wie A proprement entrelasser les clayeSf Pour
») Vers 15-39.
«) Siehe S. 43 f.
») Vers 76 ff.
*) Vers 93ff:
») Vers 105 f.
Hünchener Beiträge z. romanischen u. engl. Philologie. XXXVI.
— 82 -^
les parquetx des ouaüka fermer ^), d. h. er habe Geld und Gut
besser zu schätzen verstanden. Er habe viele Erfahrungen
gesammelt, fährt er fort, und drückt dies folgendermaßen aus :
Taprins les noms des ventz, gut de Id sortentj
Leurs qualiteZj ei quel temps ilz apporteni:
Dont les oyseaulx sages devins des champs
^radvertissoient par leurs volx et leurs chaniz.
J'aprins aussi allant aux pasturages
A eviier les dangerevx herbages,
Et ä congnoistre, et gtierir plimeurs maidz
Qui quelqtiesfoys gastoient les animaulx
De nos pastiz,^
Seine brotlose Kunst, das Spielen und Singen und Dichten,
sei ihm aber das Liebste gewesen; in einem Liede habe er
auch den Tod der Schäferin Loysette (der Königin-Mutter)
beklagt, die jetzt vom Himmel auf ihre Herde herabblickt,
Qui inaintefnant au eiel prend ses esbatz A veoir encor ses troup^
peaulx icy bas^). Daß Pan, d. h. der König, an seinen
Gedichten Wohlgefallen gefunden habe, sei ihm lieber ge*
wesen als Geld und Gut, eigentlich lieber Qu^atmr auUant de
moutons que Tityre% Qiis veoir chez nous troys cenis beufz
heberger.^) Denn auch als Mann habe er sich um nichts ge-
kümmert: Car soulcy lors-n^avoys^ en mon couragej Uaidciin
bestall, ne d^aulcun pasiurage,^) Jetzt aber sei der Herbst
seines Lebens mit vielen Sorgen über ihn gekommen, die ihn
am Singen und Dichten hindern. Ja, der Winter, das Älter,
sei schon nahe; er erkenne es an vielen Zeichen; er drückt
dies aus wie folgt:
J^ay d^autre pari le pyvert jargonner,
Siffler V escouffle, et le buior tonner,
Voy V estourneau, k heron, et Varonde
Estrangement voller tout ä la ronde^
1) Vers 118 f.
«) Vers 125 ff.
') Vera 147 f.
^) Vers 193.
») Vers 196.
«) Vers 197 f.
— 83 —
Wadvertissant de la fraide vertue
Du triste yver, qui la terre desnue,
UaiUre cosU foy la hise arriver,
Qui en soufflant nie prononce Vyver:
Dont mes trouppeaulx cekt craignansj et pis,
Tous en un tos se tiennent accroupis:
Et disoit on; d les ouyr heller,
Qu^aveequea moy. te veulent appeller
A leur secours, et qu^ilx ont congnoissancef
Que tu les OS nourrix^ des leur naissance.^)
In den letzten Versen weist Robin-Marot auf seine Kinder
hin, die jetzt in Not geraten sind, da der Vater alt geworden
ist. Für sie bittet er um die notwendigste Hilfe ; viel braucht
er ja nicht. Er drückt sich folgendermaßen aus :
Je ne quiers pas (o bonte souveraine)
Deux miUe arpentz de pastix en Touraine,
Ne mille heufz errans par les herbis
Des montx d^Auvergne, ou autant de brebis,
II me SU f fit, que mon trouppeau preserves
Des loups, des ours, des lyons, des loucerves...^
Wenn Pan (der König) ihm seine Bitte gewähre, dann
werde die Sorge von ihm weichen; im Winter seines Lebens
werde er sein Lob dann besser singen können als im Sommer.
Er fühlt es aber schon, daß er Erhörung finden werde und
er fordert seine Kinder auf sich mit ihm zu freuen : Sus mes
brebis y trouppeau petii et maigre, Autour de moy saultez de cueur
allaigre, Car desja Pan, de sa verte maison, Afa faid ce bien
d'ouyr mon oraüon.^)
V. Allegorische Darstellung christlicher Lehren.
In dem Chant royal de la Conceptton ^), in welchem Anna
das Zelt, Maria das Lager des Herrn ist, weisen folgende
Verse auf die Unschuld und Reinheit Marias hin:
») Vers 217 ff.
«) Ver3 231 ff.
») Vers 257 ff
*) K. IL 41 ff.
6*
— 84 —
au coussin phtme iresbkmche et pure
D^un blanc eaulomb le grand ouvriar a nUs,^)
ün grand pasteur Ptxvoit atrui permis,
Lequel jadis par grae$ ooncordee,
De ses aigneaulx la tcyson bien gardee
Tranatnit au do» de Naittre subiile
Qui une en feit la plus blanche^ ei uHle (<c. coui}erture)
Qu^oncques sa main tysaut, ou compoea.^)
In das vom Dichter beschriebene Lager (Leib Mariens)
durfte der Teufel nicht eindringen: veu que Vaspic hostile,
Pour y dormir, c^)proeher n^en oea '), d. h. Maria blieb TOa der
Erbsünde rerschont.
In einem Weihnachtsgedichte hat ein Hirte einen Traum
von einem Kinde (Erlöser), das mit einer Schlange (Teafei)
kämpft :
Un jeune enfant se combatoü avec
ün grand serpent, et dangereux aspic:
Mais Venfanteau en moina de dire pie^
D\ine gra/nd^ croix luy donna si grand choe
Qu^il Vabbatüj et luy cassa le sue.^)
In dem Gedichte: De la Passion de Nostre Seigneur Jesu-
dirist ^) schafft der Pelikan des Himmels kleine Vögel, acheiikt
ihnen das Paradies und Terläßt sie ; ein Vogelfänger erscheint,
der sie in seine Netze zieht; der Pelikan kommt wieder, wird
aber von Baben zerfleischt; sein Tod gibt den kleinen Vögeln
Leben und Freiheit zurück. Marot selbst erklärt, was alle
diese Bilder zu bedeuten haben:
Les corbeaulx sont ces Juifs exilex
Qui ont ä tort les membres mutilez
Du pelliean, c^est du seul dieu, et maistre,
Les oyselletx sont humains, qu^ü feit naistre,
Et Voyseleur, la serpente ioriue,
»} R. n, 42.
•) R. II, 43.
») R. n, 43.
*) R. n, 34.
*) R. II, 37 f.
— 85 —
Qui lea deoeut, kw faisant metoangtmeire
Le pellieaHf qvi pofur les mens se tue,
VI. Allegorische Darstellung eines Zeitereignisses.
Harot will äie Gebmi; des Dauphin, die mit emem
FriedenflschlaB zasammenfiel, feiem.^) Er verlegt die Szene
liiftaus auf das Meer. Dort laßt Neptun eine Windstille
(Frieden) eintreten und den Dauphin, der sie ankündigt, tot
den Schiffen der Seefahrer einherachwimmen : £X pour oster
mathehtz de- souffranccj Faire nager en ceste eau claire ei aame
Le beau daulphin tarU desirS en Dranee, Alle Eische (das
Volk) freuen sich über seine Ankunft:
Les grans poissons ftmomit saultx ei huüees,
Et les peUs, d^une vokc fort seradne,
DouceOemeni aveoques la seraine,
Ckantoient au jour de sa noble naüsance,
Bien soü venu en la mer soiuveraine
Le beau daulphin tani desiri en Franee,
Der Meeresgott möge nun jedem Streite ein Ende machen,
dann werde man den ersehnten Dauphin recht lieben:
Prince marin fuyant ceuvre vHaine^
Je te supply garde que la balaine
Au celerin plus ne face nuysance,
Afin qu!on ayme en ceste tner mondaine
Le beau daulphin iant desiri en France.
Anhang.
In der Deploration de messire Florimond Robertet steht der
Tod mit einem Spieße, de plumes empenne D^un vidi cor b eau ^
de qui le chant damni Predü tout mal^\ auf dem Leichen-
wagen, den ein Pferd zieht : debout sur le char se tenoit, Qu^un
eheval pasle en hennissant irainoit.*) Eine Fee geht dem
>) K. II, 8 f.
«) R. n, 305.
») R. n, 306.
— 86 —
Wagen voran, auf deren Kleid alles mögliche eingestickt
ist, auch chiens et oiseaux^), d. h. die Kirche, die alles,
selbst die Vergnügungen für sich in Anspnich genommen
habe, schickt ihre Diener Yorans. Die Landleute begleiten
den Wagen: Le hon hommeau LabeuVf qui en la plaine Avoii
laissi beufz, charrue, et cuUure,^) Das Wappen des Toten
enthält einen Flügel; der Dichter trauert über den Unter-
gang der vortrefflichen Feder, welche dieser Flügel dem
Lande beschert hatte.') Beim Vorüberfahren des Wagens
mit dem Tode darauf geht alles zugrunde, was nicht fliehen
kann:
Taulpea, et vers, qui dedans terre fiantent,
Tremblent de paxmr, et hien passer le senient • . •
de sa froide et pestifere cUaifie
Vair d^entour eile a mis en iel mescJtef,
Que les oyseaulx volans par sus s<m chef,
Tomhent d^enhault, et mortz en terre gisent:
Excepti ceulx qui les malheurs predisent,
Beufz et jumens eourent par le pays,
De veoir la Mort g^-andement esbahiz.
Le loup cniel crainct plus sa face seule,
Que la brebis du loup ne crainct la gueule.
Tous animaulx de quelconques manieres,
A sa venue entrent en leurs tesnieres,
Quand eile approclie au fleuves ou estangs,
Poulles, canardz, et eignes la estans,
Au fond de Veau se plongent et se cachent^
Tant que la Mort Unng de leurs rives s^achent . . .
Tant faict la Mort, qu^aupres de Bloys arrive
Et costoyoü ja de Loyre la rive,
Quand des poissons grans, moyens, et peiis
Le kault de Veau laisserent tous craintifz,
Et vont trouver au plus profond et bas
Loyre leur Dieu, qui prenoit ses esbatz . . .
») R. U, 306.
■) R. II, 308.
») E. U 309.
^ 87 —
Jifais bien ä eaup sea eshcUx se perdirent,
Gar ks poissons en leur langtie luy dirent,
Comment la Mort, qu^ilz avoierU rencontreey
Ävoii oocis quelqu^un de sa eontree,^)
Sechster Teil.
Vermenschlichung des Tieres.
Die Allegorie, welche hinter den Tieren, von denen die
Rede ist, Menschen erblicken läßt, kommt bei Marot oft in
die Lage, die Tiere zu vennenschlichen.') Außerdem finden
sich noch folgende Stellen, in denen die Tiere als Anteil
nehmend an dem Treiben der Menschen und mit Qefiihl be-
gabt erscheinen. So heißt es von dem Aufenthalt, den die
Herrin eines Wäldchens daselbst nimmt:
De ce sejour le Pau taut fier se treuve,
Les rosaignolx s^en tiennent angeliques:
Et trouverez pour en faire la preuve,
Qu^au departir seront melancoliques,^)
Ahnlich werden auch die Tiere des Feldes aufgefordert,
an der Trauer der Fastenzeit teilzunehmen : Ne chantex plus,
refrenex vos gorgettes Tous oyselletx • . •^) Von den Tieren
wird auch in einer Weise gesprochen, als ob sie die Bede
des Menschen verstehen könnten:
Si n*est ü loupj louve^ ne louveton,
Tigre, n^aspic, ne serpentj ne luihony
Qui Jamals eust stir moy kt dent bouteef
Si mon excuse ü eust bien escoutee.^)
1) R. II, 323 f.
s) Vgl. z. ß. oben, S. 77.
3) K. II, 374.
*) Vgl. oben, S. 21.
»J G, III, 147, *•«.
~ 88 --
Den Tieren wird aber selbst eine Sprache beigelegt, sogar
den Fischen.^) Doch letzteres hängt mit der Allegorie zu-
sammen. AI3 aprechendes Tier tiitt nur das Pferd auf. Sagt
Marot bloß Ton seiner eigenen haquen6e: Lapovre beste, aux
signes que je voy, DU ...*), so läßt er das Pferd des Vuyart in
einer Orabinschrift selbst seine Verdienste und Vorzüge feiern :
Qrison fux Hedard
Qui garrot et dart
Passay de tn^tesse:
En servant Vuyart
Aux champs fux criart,
Vostant de trüte^se . • .
J^allay curieux
En chocs furieux,
Sans craindre estrapade:
Mal rabotex lieux
Passay ä clox yeulx
Sans faire chopade.
La visie virade
Pompante pennade,
Le sault sotihxlevant,
La rolde ruadtj
Prompte petarrade
Je mis en avant . . .')
Nur ein Beispiel yollkommener VermenscUichung des
Tieres, nur eine Fabel, findet sich bei Marot, la fable du Hon
et du rat. Sie steht in einer Epistel, durch welche er seinen
Freund Lyon auf seine Einkerkerung aufmerksam macht und
ihn ersucht, sich für seine Befreiung zu verwenden; sein
Freund, meint er, möge an ihm handeln wie der Löwe an
der Maus ; yielleicht könne er es ihm einst vergelten, wie die
Maus es dem Löwen vergalt:
je te veulx dire uns helle fahle:
C*est ä s^avoir du lyon, et du rat.
») Vgl. oben, S. 86 u. 87.
• R. II, 357.
') R. II, 616 fil
— w —
Cestuy lyon phis fort^ qy!un vidi verrat,
Veit une foys, que h rat m ^^avoit
Sorür äun Heu, pour auUant qu^il avoit
Meng6 le (ard^), et la chair taute crue:
Mais ce lyon (qui jamais ne fut grue)
Trouva moyen, et maniere, ei nwtiere
D^onglea et dentx, de rompre la rotiere:
Dont maistre rat eschappe vistemeni: '
Puis meü d terre un genouil gentement^
Et en ostant aon bonnet de la teste^
Ä merde mille foys la grand^beste:
Jurant le dieu des souris, et des rat9^,
Qu\l luy rendroit.
Als dana später der Löwe sieh in eisieai Netee ^gt^
Mit die Maus schnell herbei und spricht zu ihm:
Tais toy lyon lii,
Par moy seras maintenant deslii: . . .
Lors le lyon ses deux grans yeulx vestit,
Et vers le rat les iouma un peiit
En luy disani, 0 povre verminiere , . .
Tu n'as sur toy instrument ne maniere . . .
Pour me jeder de ceste etroide voye :
Va te codier j que le chai ne te voye,
Syre lyon (dit le filz de souris) . . .
J'ay des cousteaux assex, ne te soucie,
De hei os blanc plus irenchans, qu^une sde . . ,
Lors sire rat va commencer d mordre
Ce gros lien . . .
d la parfin tout rompt,
Et le lyon de s*en aller fut prompt,
Disant en sog : Nul plaisir (en effed)
Ne se perd point quelquc pari ou soit faid.*)
^) Marot hatte in der Fastenzeit Speck gegessen und war deahalb in
Untersachnngshaft.
«) R. I, 339 ff. (G. III, 76 ff.).
— 90 —
Siebenter Teil.
Animalisierung des Menschen.
Beteuerung oder Wunsch ein Tier werden zu wollen oder
zu sein: Je puisse devenir singe, st . , .^)\ Taymerois cadUmt
estre veau Qui' va droict d la boucherie Qu{e d)^aüer d teile
iuerie^); Et mieulx vauldroit tirer d la charrue Qu*avoir tet
peine^)\ Les paovres vouldroient estre ehiens J^erUends d Vluvxt
qvüon repaist.^)
Der Liebesgott wird als Vogel behandelt. Vom Sperling
der jungen Maupas heißt es: Un autre oyseau qui n'a phtmes
qyiaux aesleSj Va devore: le congnoissex vous pas? (Test et
fascheux Amour,^) Amor wird kurzweg mit: „Schöner Vogel
deinen Flügeln nach!" angesprochen : Adone Amour hei oyseau
par les aesles Apporte proye . . /) Er bebrütet die Herzen der
Mädchen: Doncques Amour , qui couves soubz tes aesles Jour-
nellement les cueurs des dafnoyseües.'^
G-ar nicht wundernehmen kann es, wenn Personen, die
einen 17amen tragen, der in erster Linie einem Tiere zukommt
oder auf tierische Tätigkeiten hinweist, sich mit tierischen
Attributen versehen lassen oder sonstige Anspielungen hin-
nehmen müssen. Ich yerweise auf das Gedicht: Si le frone
' coq liberal de nature N^est empesche avec sa gelinote . . .*) und
») ß. n, 233.
«) G. UI, 449, ^w''-
») K II, 6.
^) G. III, 467 f. — £in vom König mit dem Beinamen grenouiUe
ausgezeichnetes Mädchen sieht darin keine Beleidigung; sie sagt: J^aynkc
mieulx du roy estre grenouiUe Qu' estre (en effect) (firn autre la Se*
raine (R. II, 35ö). Der Wunach, fliegen zu können wie ein Vogel,
findet sich in: Je la desire, et souhaite voler Pour Valier veoir (R. tt
157); Brief, nous vouldrions qu'aussi haut voler peusses Que le ha^
tnont d'Olympe ou Pamassus (G. III, 52, »"•).
») R. II, 465.
•) R. II, 469.
') R. I, 247.
*) Vgl. oben, S. 57.
— 91 —
auf die Stelle: Lyon, qui ries pas ray des bestes^ Car Sagon
Vest, sitSj hault la pate: Que du premier coup on VabhaU. Sus
GdUopirij qu^on le gallope . . .^)
Nur einmal tritt die Seele eines verstorbenen Menschen
bei Marot unter Tiergestalt auf. Der Hofnarr Viscontin er-
scheint nach seinem Tode wieder in der Kalanderlerche, welche
der König irgendwie erworben hatte und die dem Dichter
den Gedanken eingab, in ihr die Wiederverkörperung des
großen ,,Nachahmung8kün8tlers" Viscontin zu sehen^ da die
Lerche die Stimmen der anderen Vögel nachzuahmen verstehe :
Incontinent que Viscontin mourut,
Son ante entra au oorps d^une calandre:
Puis de plein vol vers le roy s^eneourut:
Encor un coup son service reprendre:
Et pour mieulx faire d son maistre comprendre,
Que c'est luy mesme, ei quHl est revenu,
Comme on Vouyt parier gros, et fnenu,
Conirefaisant d^hormnes geste ei faconde^
Ores qu^il est calandre devenUj
II contrefaict tous les oyseaulx du monder)
1) Vgl. S. 53.
■) ß. II, 362
Alphabetisehes Verzeichnis
der bei Marot vorkommendeii Beseimiugeii aus der
Tierwelt.
Die Zahlen beziehen ^ich auf die Seiten. Steht vor einer Zahl keine
nähere Bestimmang, so ist die Benennung aus der Tierwelt an der be-
zeichneten Stelle im gewöhnlichen Sinne gebraucht.
Äboi 23; 30 A. 4.
agneau (im Vergleich : mit Beziehang
auf Marot) 38, 44 ; (mit Bezng auf
das Mutterschaf — Trennnngs-
schmerz) 49; (Metapher für Jesus
Christus) 68; (in der Allegorie)
76, 84.
agnelet (in der Allegorie) 81.
aigle (im Vergleich: Überlegenheit
eines Dichters) 51; (Metapher für
einen Dichter) 68 ; (Jean de 1' Aigle)
68 A. 6 ; (in der Allegorie für den
Kaiser) 68 f. ; (Feldzeichen) 69 A. 2.
aiguülon (= Treibstachel, mit Be-
zng auf die Liebe, die Ehre, den
Tod) 65 A. 4.
aiguUlonner (von der Abneigung) 65
A. 4.
alle 16; 39; 43; (Metapher für Ge-
schwindigkeit) 66; 68; (in Ver-
bindung mit voler = stehlen u.
fliegen) 71; 72; 90.
alouette (im Gegensatz zum Adler
bei einem Vergleich zwischen zwei
Diditem) 51; (ähnlich) 72; (=
kleine Leute) 71.
amble (Geschlechtsverkehr) 33, 59
A. 6.
äne (im Vergleich: mit Besiehung
auf schlechte Dichter) 44; (im
Vergleich: Schwerfälligkeit) 46;
(gesangsunkundig) 46 ; (Dummkopf)
52 f.; (äne de Balaam) 52 A. 7;
(6corcher un äne mort = zweck-
lose Arbeit) 64; (sauter du coq
ä Päne = unzusammenhängende
Reden führen) 66.
anesse (in der Allegorie für die rö-
mische Kirche) 69.
anguiUe (im Gegensatz zur Gans —
Unmöglichkeit oder Umwälzung)
67.
änier (= Dummkopf) 52 A. 8.
animäl (Dummkopf) 54 A. 5; 78;
79; 82; 86.
ar^on 13.
aronde (im Vergleich — Beweglich-
keit) 45f.; 78; 82.
at-anddU (un Yergkietiz mit Besag
auf Mftrot) 44, 80.
4upiö (OrmuBBmkeit) 51 ; (» Bichter)
56 A. 3; 72; (= Teufel) 84; (^er-
meBtchlioht) 87.
Baboum (Fdgheit) öB A. 2.
hakme (la baieine sera tot prise s=
der Kriege ^^ ^^^ beendigt sein)
67; (Mythologie) 74 A. 1; (in
Verbindung mit c^lerin in der Alle-
gorie = Friede soll herrachen) 85.
basilie (im Vergleich: mit Besag anf
Christine) 41 A. 4; (Kanone) 67
A. 8; 72.
bave (Lästerreden) 67 A. 8.
bec (fdr Mund) 58 A. 2.
beeoBBe 28.
beler 77; 78; 83.
bektte (Beweglichkeit) 46.
berger 20 A.; 38; 44.
berghx 24; 49; 61; 76 A. 3.
bergerette (=» Christine) 76.
bergerie 24.
begÜaux (rohsinnliche Mensohen) 66.
bitail (in der Allegorie för Volk)
79; 81 f.
bete (fnr haquende) 7; (betes des
champ8)21;26;31A.;(im Gleichnis:
mit Bezug auf einen Liebhaber,
Heimweh) 36; (Dummkopf) 42, 63
(zweideutig), 63 f. ; (für den Liebes-
gott) 65 A. 6; (für die römische
Kirche) 66 A. 6; 56; (faire la
bete) 68; (zweideutig) 70, 71; 70;
(Jagdtier) 74, 76; (betes de proie,
betes de pature) 78; (vermensoh-
licht) 88; (für den Löwen) 89;
(zweideutig) 91.
biche (im Vergleich: mit Bezug auf
die Weiber) 42; (Beweglichkeit)
46; 78.
bcmf (Fleisch) 26 A. 2; (boeuf dor-
mant — Unwert) 47; 73; 76f.;
82; (in der Allegorie für Besitz-
tum) 88; 86.
bvMe^ 12.
brairie 23.
bramer 42; 77.
brebis 17; 24; (im Gleichnis: mit
Bezug auf Marot) 32; (im Gleich-
nis vom kranken Schafe mit Be-
zug auf einen klatsohstiehttgen
Uenscheu) 33; (Furcht) 48; (Flueht
aus Furcht) 48 ; (im Vergleich : mit
Bezug auf die Schälerinnen) 49;
(peaux de brebis :£= Schafskleider)
66; (Metapher für Untergebene)
66; 69; 73; (die Gläubigen) 76,
76; 76 f.; 79; (in der Allegorie
für Besitztum) 80, 83; (in der
Allegorie für Kinder) 83; 86.
bric 39; 80.
bride 11 ; (lächer la bride) 63; (tour-
ner bride) 64.
brisecB (Weg) 63 A. 6.
brocket (in Verbindung mit mouton
— Unmöglichkeit oder Umwäl-
zung) 67.
broncher 9.
brouter 79.
buse (Dummheit) 60.
butor 82.
Cage 33; 38; 60; (Gefängnis) 66; 80.
calandre 20; (Bezeichnung für die
Geliebte) 68; (Wiederverkörperung
eines Hofnarren) 91.
oanard 86.
cantharide (gegen lüinnesschwäohe)
26 A. 1.
caquety caqueter (für das Sprechen)
60f.; 81.
carrüre (donner carri^re) 64 A. 1.
cÜerin (in Verbindung mit baieine
— Aufhören des Streites) 86.
cerf (im Vergleich: mit Bezug auf
die Liebhaber) 42; (Beweglichkeit)
45; (Sehnsucht) 61 A. 7; (in der
Allegorie: bei der Liebeqagd) 75;
78.
— 94 —
chahot (in der Allegorie: für den
Admiral Chabot) 71.
chapon 31 A.
chardonneret 81.
charrue (il Taut mieux tirer i la
Charme que . . . = es ist besser
ein Stück Kind zu sein, als . . .)
90.
chasae, chasser 23; 29; 29 A. 2;
30 A. 3; 45; (chasser i quelque
bete rousse verglichen mit den
Anstrengungen des Krieges) 50;
54 A. 4 ; (vertreiben) 55 ; (Liebes-
werben) 63, 74 f.; (i la chasse =
macht, daß ihr fortkommt) 64 A. 1.
cJuit (im Vergleich: mit Bezug auf
das weibliche Organ) 43; (Beweg-
lichkeit) 46; (on ne prend point
tels Chats sans moufle = ohne
Mühe oder ohne Protektion er-
reicht man nichts) 66; 89.
chattemite (von der Sorbonne) 55 f.
chevalSS,; 11; 12; 13; (chevaux de
bronze) 14 A.; 23; (Pegasus) 23
A. 2; (le cheval de Pacollet) 23
A. 2, 30 A. 5; 24 A. 1; (im Gleich-
nis: mit Bezug auf das Weib)
33 ; (im Vergleich : mit Bezug auf
das weibliche Organ) 43; (cheval
sans seile — Unwert) 47; (cheval
hargneux — Reizbarkeit) 48; (le
cheval d^ambition) 64; (& cheval
e= lassen wir das) 64 A. 1 ; (cheval
= ein anderer Mann als der Ge-
liebte) 64 A. 3; (dem willigen
Pferde gibt man die Sporen nicht)
70 ; (Pferd am Leichenwagen) 85 ;
(redendes Pferd) 88.
chevauclier (doppelsinnig) 26 A. ; (für
den Geschlechtsverkehr) 66, 58 f.
cJievre (Ziegeneuter, Vergleich) 51
^' ^J (gegen die graubärtigen
Richter: andere Tiere als die
Ziegen tragen graue Barte) 70.
chevreau (als Speise) 27; 77.
chien (das Hündchen (?) Bure) 15;
(als Nenjahrsgeschenk) 19; (als
Mittel zum Zeitvertreib) 20 A.,
23, 29, 30; 27; (im Gleichnis —
Unterwerfung) 37; (chiens qoi
aboient = Tugendwächter) 66;
(in der Allegorie: für Marot) 71;
(in der Allegorie: für den Ge-
fängnispförtuer, w^^en GerberoB)
72 ; 86 ; ( Wunsch der Armen, Hunde
zu sein, da es diesen besser er-
geht) 90.
chopper, choppade 53; 88.
ckouette (gesangsunkundig) 40, 43
A. 3; (Stehlsucht) 51; (doppel-
sinnig: gegen die Finanzmänner)
71.
claie (beim Schafpferch) 81.
cocu (= coucou. Vgl. S. 62, A. 1. —
Hintergangener Ehemann oder
Geliebter) 62; (doppelsinnig) 69.
colombe (im Gleichnis: mit Bezug
auf eine unbescholtene Frau) 34;
(couleur de colombe =5 weiße
Farbe) 67.
colombeüe (= schönes Weib) 57;
(Mythologie , Venuswagen) 74
A. 1; 81.
connil (als Speise) 26 A. 2; (in der
Allegorie : bei der Liebesjagd) 75.
coq (im Vergleich: der Hahn als
Verkündiger des Tages wird mit
einem Genesung versprechenden
Arzt, namens le Coq, in Beziehung
gesetzt) 40; (derselbe Arzt wird
als coq hingestellt im Gegensatze
zu seiner Frau, die gelinotte ge-
nannt wird) 57, 90; (sauter du
coq ä räne) 66.
coquardj coquardeau (Dummkopf) 54.
cor (& cri et cor) 63 A. 6.
corbeau (Galgenvogel) 21; (im Gleich-
nis: mit Bezug auf eine Frau
von schlechtem Rufe) 34; (im Ver-
gleich — Mönchskleidung) 45;
(gesangsunkundig) 46 f.; (zurück-
gezogen) 50 A. 1 ; (UnglücksYOgel)
— 95 —
79, 85; (in der Allegorie — die
Jaden) 84.
c&rdelle (ein Herz an der Leine
fähren) 62 A. 9.
come (porter la corne) 62; (dresser
les cornes = alle Kraft zusammen-
nehmen) 66.
comeüle (Betenening: Eher werden
die Krähen weiß) 22 A. 5; (an-
gesunde Speise) 2ö A. 2; (Un-
glücksbote) 78.
comu (= betrogen in der Liebe) 62.
cors 42.
couleuvre (die Natter verbirgt sich
bei heachlerischen Frauen anter
lieblichen ßlamen) 67; 72.
coulon (= Tauber, verächtlich für
den Mann) 57; 78; (in der Alle-
gorie — hl. Geist) 84.
coursier 13 ; (se frotler auz coursiers
= mit vornehmen Leuten ver-
kehren) 64.
courtaud 10 f. ; (Metapher für „Mann"
in der Beschreibung des Krieges
mit den Weibern, d. h. Geschlechts-
verkehr) 64.
couver (der Liebesgott bebrütet die
Mädchenherzen) 90.
cauvrir (für den Geschlechtsverkehr)
dijuc (= Morgen) 69 A. 8.
dSvorer (vom Menschen gesagt) 61
A. 5; (ähnlich vom Liebesgott,
' der jedoch als Vogel dargestellt
; wird) 90.
. dragon 72.
! £crevi88e (Grfolglosigkeit) 51.
' icureuil 15.
elephant 22; (Schwerfälligkeit) 46;
I (Dummkopf, auf dem Wege über
1 la plus grosse bete) 71.
I emeriUon (Lästigkeit) 50.
imeutir (= seine Notdurft ver-
richten) 17, 61.
enipetrer (vom Menschen gesagt) 60.
enrager (= reif zur Liebe werden) 61.
envoler {von den Gedanken) 51 A.7, 60.
eperan' 13; 70.
escargot (geschlechtliches B^zmittel)
25.
escoufle 82.
etahU 12; 48.
I etalon (verächtlich für Mann) 57.
etounieau 82.
etrüle, etriller (e tri Her Fauveau =
sich zu niedrigen Handlungen
hergeben) 64 A. 1.
Faisandeau (als Speise) 26 A. 2.
faucoHj fauconneau (weibliches Or-
gan) 57 A. 2; (in der Allegorie:
bei der Liebesjagd) 75.
femeUe (verächtlich für Weib) 56.
crete (triple crete = Tiara) 55 A. 6.
crin 12.
crocodile 72.
cygne (Beteuerung: Eher werden
die Schwäne schwarz) 22 A. 5 ; j '
(gesangskundig) 40; (im Vergleich fouine 81.
— Mönchskleidang) 45; (weiße /'''«i'* ^2; (refrener le frein de la
Farbe) 51; (faire cygnes les oies) , bouche = der Rede Einhalt tun)
66; 78; 86.
Dauphin (im Gleichnis: mit Bezug
auf die Frauen der Wsssergötter)
36; (in der Allegorie: für die
Kinder des Königs) 71, 78, 85.
dibäter (äne debäte) 46.
difnonte (ohne Pferd) 10.
63.
Galoper (= galoppieren lassen, vom
Menschen gesagt in Anlehnung an
den Eigennamen Galopin) 53, 91.
gazouiUer (= sprechen) 60.
geai 20; 80.
^ geline (im Vergleich zusammen mit
— 96 —
poussin : von einer Frau und ihren
Untergebenen) 4B.
gehnatte (för Weib^ weil der Kann
Leeoq heißt) 57, 90.
genet 13 A. 3.
gibier (in der Liebesjagd) 63.
gigoteau (joaer des gigoteaux, doppel-
sinnig, Tom Menschen gosagt) 66
A. 2.
Sfite 45; 81.
glu (avoir de la gla dans les mains)
63 A. 6j 80.
grains (= Eömerfutter, für Geld)
64 A. 3.
grenouüle 29 A. 1; (im Vergleich:
mit Bezug auf einen schlechten
Dichter, namens Grenouille) 44;
(in der Allegorie : für ein Mädchen,
welches diesen Beinamen erhalten
hat) 71; (Wunsch, lieber des
Königs Frosch als eines anderen
Sirene zu sein) 90.
gringotter (= sprechen) 60.
grogner (= murren) 60 A. 14.
groin 63 A 6; (= Mund) 58 A. 2.
grue 29 A. 2; (dumm) 54, 89.
gueule 48; (Mund) 58 A. 2.
Happer (yom Tode und den Mönchen
gesagt) 61 A. 8; (vom Jager ge-
sagt) 75.
haqumSe 6 f.; 10; (vieille haquenSe,
Müdigkeit) 49.
harenghre (im Vergleich : fiir Schand-
maul) 44 A. 4.
hennir 85.
hMsson (im Vergleich: Krieg und
Zungendrescher stechen wie ein
Igel) 50 A. 1; 81.
hermine 27 A. 5; 81.
h6r(m 82.
hirownier (=» mager) 67.
houlette 20 A.; 24.
housae 14.
hucher (= melden) 61.
japper 19.
jars 31 A.; 48.
jueher (für den G^eeckleobtarerkebr
17, 59; (sitzen oder selzen) 89.
jtmmi 11; 18; (dmnm) 54; 86.
Lacs (in Verbindung mit verschie-
denen Verben = festgehalten oder
ergriffen werden) 63.
laine (laisseT de sa lune) 64; (Kleid
der unter dem Bilde Ton Schafen
dargestellten Glttabigen) 66, 78.
laisse (mener en laisse) 64.
lamproie (Speise) 17.
leurre (Schmeiohelreden de« Lieb-
habers) 62.
kvraut 28.
ISwierj Uvri^e (Windhunde aller
Größen — sehleohte Arbeiter in
jedem Handwerk) 42 A.; 46; (in
der Allegorie : bei der Liebeejagdj
75.
Utard 72.
Kce (widerlich) 55 A. 2; (in der
Allegorie » maMce da monde) 73.
Ikol 23 A. 2; (Strick zam Auf-
hängen) 61 A. 8.
likvre (Bewegliehkeit) 45; (in der
Allegorie: bei der Liebeejagd) 75.
ligne (Angelschnur, avec une peilte
ligne =3 in kurzer Zeit) 67.
limagon (faire le limagon) 68.
linotf linotte (gesangskundig) 47;
(eingesperrt) 50 A. 1; 74; 81.
Hon 22; (großmütig) 37; (gransam)
51 A. 5; 54; (courage de lion) 67;
(faire le lion, es maehen wie der
Löwe der Fabel) 68 A. 3; (in der
Allegorie: für die Stadt Ljon)
70 f.; (in der Allegorie: feindUche
Menschen) 88; (Fabel du lion et
du rat) 88 f. ; (Animaüiierung «nes
Mensehen in Anlehnung an seinen
Namen Lyon) 91.
loupf louve, louveteam (im Vergleieh:
mit Bezug auf den Teufel) 38; 48;
97 —
(Heizbarkeit) 48; (Gefährlichkeit)
49; (anra«uDkeit)51; (gieriflr)66;
(Geeohwiir) 67 A. 8; (in der Alle-
gorie =s Schlechtigkeit der Welt)
73; (Irrlehrer) 75; 78; (Landee-
feind) 79; .80; (in der Allegorie
SS feindlich gesinnte Menschen)
88; 86; (Vermemchlichong dorch
die diesen Tier«n beigelegte Fähig-
keit, den Menschen «a Tersteheo)
87,
loupiiervier (in der Allegorie = feind-
lich gesinnte Menschen) 83.
Magot (Mönche) 66 A. a
nuilart 30.
marmot, marmotte 28; 53; (häßliche
Person) 56.
mäHn,'mätine 28 A. 5; (eine Sprache
entstellen — Pßcorcher comme un
mätin) 49; (widerliche Personen)
55; 77.
ffiafitns 30.
merk 30.
mSsange 30.
fnesBoger de Vinus (Taabe), messager
dn grand dieu d'amourettes 5 A. 1.
miloti 29 A. 2; 50.
mite 27 A. 4.
monter (beritten machen) 10, 12;
(far den Geschlechtsverkehr) 59.
wumiure 12; (yerachtlich für Weib)
57.
mordre (von Tieren) 19, 21 A. 4,
36, 41, 48, 69; (von Mensehen)
«1 A. 8.
mors 12.
mormire de cheval (Verkehr mit
einem anderen Manne als dem
GeUebten) 64 A. 3.
mouche (& miel) 31 A., 81; (schlaue
Person) 55.
mauhn (als Speise) 26 A. 2;
(Sanftmut) 47; (betrogener Ge-
Uebter) 62; (Metapher für „Mann''
in der Beschreibung des Krieges
Münchener Beiträge z. romanischen u.
mit den Weibern, d. i. Geschlechts-
verkehr) 64; (in Verbindung mit
brechet — Unmöglichkeit oder
Umwälzung) 67; 75 A. 3; (in der
Allegorie: für Besitztum im all-
gemeinen) 82.
mufle (Mund) 68.
mu2e 10; 11; 14; 15; 15A. 1;26A.;
(verächtlich für Weib) 56 f. ; (mules
de bois = Gondeln) 57 A. 1.
muUi 10; 14.
muieau (Mund) 58 A. 2.
Oie 28 A. 4; 31 A.; 48; {hvce cygnes
les oies) 66; (in Verbindung mit
anguiUe — Unmöglichkeit oder
Umwälzung) 67.
oiseau {= Liebesgott) 16; 20; 20 A. ;
21 ; (oiseaux des rividres als Speise)
56 A. 2; 30 A. 3 n. 4; (im
Gleichnis : Vogel im Käfig — ver-
heiratete Frau) 33; (im Vergleich :
der vom Vogelfänger gefangene
Vogel — der vom Richter ver-
urteilte Angeklagte) 39; (im Ver-
gleich: zahmer Vogel — Unter-
haltung mit Mädchen) 39; (=
Liebesgott) 39; (Grausamkeit, tels
gentils oiseaux) 51 ; (im Vergleich:
mit Bezug auf die Frauen) 57
A. 2; (in der Allegorie a Leiden-
schaften) 74 ; 77 ; 79 ; 80 ; 82 ; 86 ; 91 .
oiselet 21; SO; (Gleichnis zwischen
Vogel und Dichter) 34 ; (Vergleich
zwischen dem Vogel im Käfig und
einer verheirateten Frau) 38 ; (voiz
d'oiselet, Vergänglichkeit) 51; 73;
(in der Allegorie = Leidenschaft)
75; (in der Allegorie = Menschen)
84; (mit menschlichen Gefühlen
begabt) 87.
oiseleur (Vergleich zwischen einem
Vogelfänger und einem tyranni-
schen Gemahl) 38; (Vergleich
zwischen dem Vogelfilnger und
engl. Philologie. XXXVI. 7
dem Untersuchungsrichter) 39; (in
der Allegorie = Tenfel) 84.
oison (gesangsankundig) 40;
(Schwäche) 50.
creiüe (Eselsohr, ceoz qai ont les
plus grandes oreiUes = die Dümm-
sten) 66 A. 3.
ouaiUe 82.
0W8 (in der Allegorie = feindlich
gesinnte M.enschen) 83.
Fattre (von den Würmern) 22 A. 1 ;
32 ; 53; (vom Menschen) 61 ; 77 ; 78.
Fan (als Hirtengott) 73; (= Gott)
77; (= König) 80flF.
papegai (= perroquet) 79.
paptüon (in der. Allegorie := der
Dichter Papillon) 72.
parc (Schafpfercb)32; 44; (Hofstaat)
65; (in der Allegorie = Familie)
76; (in der Allegorie = Eeich)
79; 80.
parquet (Schafpferoh) 82.
passe 20; 30.
passereau 16; 30.
pasteur (= Gott) 19; 32; (== Gott)
66; 76 A. 3; (= Seelenhirt) 76;
(= König) 78; (== Gott) 84.
pastoureau2A; 78; (in der Allegorie
=* Familienvater) 76; 80.
pastourelle (in der Allegorie == Frau
des Hauses) 76.
paus (= Reich) 61 A. 4 ; (= Heimat,
in der Allegorie) 76; 82; (= Be-
sitztum, in der Allegorie) 83.
patie 37; (doppelsinnig) 53, 91; (=
Hand) 58 A. 2.
päturage 81 f.
päiure 19; 21; (von den Würmern)
22 A. 2; (LiebesgenuD) 59 A. 6;
(vom Menschen) 61; (betes de
päture im Gegensatz zu betes de
proie) 78; 81.
paturer (vom Dichter selbst) 32.
pele (von Menschen) 61 A. 8.
päicah (» Gott) 84 f.
pmmde (Hufschlag) 88.
pipie (avoir la p6pie im Sinne von:
nicht viel brauchen) 66.
perdreau (als Speise) 26 A. 2.
perdrix (als Speise>17, 26 A. 2, 28;
ßm Vergleieh zusammen mit ton-
neile: mit Bezog «nf eine Frau,
die man isolieren will) 43.
perroquet 15.
pitarade 88.
phSnix (im Vergleich: mit Bezug
auf eine Frau, die sich von ihrem
Manne ganz einzig gequält glaubt)
41, 68 A. 5.
Fhilomek (Plulomdne) 78.
picotin (ein Quantum Pferdefutter,
vom Liebesgenuß gesagt) 59 A. 6.
pie (Mönchskleider, im Vergleiche)
45; 50; (Schreien und Schimpfen)
50; (Unterricht) 51; 80; 81.
pigeon (= Gimpel) 57.
pinson 30; 81.
pipie 39; (= Betrug) 63 A. 6.
piquer (= die Sporen geben) 11, 12;
(von Schlangen) 73.
pivert30\ (gesangsunkundig) 34; 82.
plumage 46; 80.
plume 16; 48; 84; 85; 90.
plumer 38.
poisson (als Speiae) 25 A. 2; 89
A. 1; (in der Allegorie: für Per-
sonen mit Eigennamen, die den
Namen von Fischen gleich sind)
71; (in" der Allegorie = Volk)
85; 86f.
porc 17.
porchere 16 A. 1.
pou 28 A. 4. .
pouU (faire la poole) 68; 86.
pourceau 17.
pourchasser (von der Liebesja^d) 75.
poussin (im Vergleich zuaammen
mit geline: von den Untei^6benen
einer Frau) 43.
— 99 —
Quite (von der Jagd) 30 A. ; (Liebes-
jagd) 06.
qtteue 23 A. 2; (Tom Mensohen in
- Anlehnung an einen Spielaiudrnck )
68 A. 2.
.Bö^e (Ldebesreife) 6L
ra$imite 42.
rane (yeox de rane) 67.
rat (s niedrig stehender Mensch)
64; (etre le rat de la fable) 68
A. 3; (fable du Hon et du rat) 88 f.
ratüre.9».
rielamer (in Anlehnung an den
Falknereiansdruck von der Ge-
liebten gesagt) 62.
renard 43 A. 3; (falsche Prediger)
55 A. 4.
regimber (doppelsinnig) 53.
rene (lächer la rene) 63; (mettre la
rene) 64.
repattre (von der Nahrungseinnahme
überhaupt) 61; 90.
reis 29.
ronger 28 A. 4.
rossignol 5 A. 1; 20 A. 2; (gesangs-
kundig) 34, 40, 46; 74; (mit
menschlichen Gefühlen begabt) 87.
rossignoki (gesangskundig) 46.
ruade 11; 80.
rut 42.
Sagouin 28; 53 A. 6.
salainandre (= Franz I. wegen des
Wappenbildes) 68.
sanwnnet (Unterricht) 51.
Bcorpion (im Vergleich: mit Bezug
auf feindlich gesinnte Untergebene)
43; 72.
seUe 9; 47.
serin 20; 74; 81.
serpent (im Gleichnis: mit Bezug
auf den sich vor Gott unwürdig
fühlenden Dichter) 35; (eherne
Schlange und Kreuzesbild) 41;
(in der Allegorie === Fjoae8se).72 f. ;
(= Teufel) 84; (mit menschlichen
Eigenschaften begabt) 87.
serpente (=^ Teufel) 84 .
Serpentin (fureur Serpentine) 67;
(langues serpentines) 67.
singe (Beteuei^ng, ein Affe werden
zu wollen) 90.
somme (Last) jß4 A. 2.
sotim 28 A. 3; 89.
sublet (Lockpfeife) 39.
Tanihre 86.
taupe 86.
tawreau 22; 24; (mufle d'un taoreau
für Mund) 68; 73; 79; (in der
Allegorie: für Besitztum im all-
gemeinen) 80.
teter (im Vergleich: faire teter un
agneau und „ein Kind unter-
richten*') 44.
Hgre (grausam) 52 A. 4 ; (mit mensch-
lichen Eigenschaften begabt) 87.
toiUs 29.
tois<m (= Kleid, wenn der Gläubige
brebis genannt wird) 65; 84.
tonneile (Tonnennetz) 29 A. 2; 43
tourterdle 78.
trot, trotter 9; 11; 33; 43; 70.
troupeau 19; 33; (Gläubige) 55 A. 4;
(Hofstaat) 65; (eine Versammlung
Verstreut sich ä grands tronpeaux)
65 A. 4; (Gläubige) 75, 76; 77;
(= Volk) 78; 81; (= Volk) 82;
(= Kinder des Dichters) 83.
truite 78.
Vache (pays de vache) 16 A. 1; 73.
vachere 16 A. 1.
veau {= Dummkopf) 51 ff. ; 64 A. 1 ;
(Page d'un veau = kurze Zeit) 65 ;
(doppelsinnig) 69 f.; 81; (Wunsch,
lieber ein Kalb vor der Schlacht-
bank zu sein, als in den Krieg
zu ziehen) 90.
veneur 45.
ver 22 A. 1, 3 u. 4; (im Gleichnis:
1*
— 100 —
der Wurm wehrt sich, also darf
sich aaeh Harot wehren) 86; 86.
vermine 21 A. 4; 22 ▲. 2.
verminiire (noscheiDbarea Wesea)
56, 89.
vemU (St&rke) 60, 89; (wütea) 60
A. 2.
vipbre (Herbheit) 60.
fnpereau 72.
vol (= Fliegenlasaen des JagdTOgfelt)
29 A 2, 30 A.; 39; 45; (Flog der
Feder des Dichters) 69; 68; 78;
82; 91.
«otfe6.
iwfer 16; (fliegen lassen) 23; 85 A. 8;
(fliegen lassen) 29; 44; (Tom
Henen) 45; (Toler k {de o« k
milan Tei^gtiehen mit den An-
strengungen des Kriege«) 60; (vom
Dichter) 51; (for schnelle Be-
wegung, Bewegung 'in die Hohe,
' weithin) 69 f.; 69; (doppelniiug)
71; 72;.%; 79; 80; 92; 86;
(Wnnseh, fliegen n können) 90
A. L
votuotei (Bewegüohkeit) 46.
vulpin (fraudes Tulpines) 07.
tippen * Co. (G. MtE'solie Bachdr.), Nammbai« a. 8.
MÜNCHENER BEITBÄGE
ZUB
ROMANISmuHDENGUSUNMOLOKIE.
HERAUSGEGEBEN
VON
H. BREYMANN und J. SCHICK.
xxxvn.
DIE FABEL VON ATREÜS UND THYESTES
IN DEN WICHTIGSTEN TRAGÖDIEN DER ENGLISCHEN,
FRANZÖSISCHEN UND ITALIENISCHEN LITERATUR.
-<«>-
LEIPZIG.
A. DEICHERT'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG NACHF.
(GEORG BÖHME).
1907.
DIE
FABEL VON ATREUS UND THYESTES
IN DEN
WICHTIGSTEN TRAGÖDIEN DER ENGUSCHEN, FRANZÖSISCHEN
UND ITALIENISCHEN LITERATUR
VON
De. FRANZ JAKOB.
-<«3-
LEIPZIG.
A. DEICHERT'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG NACHF.
(GEORG BÖHME).
1907.
Alle Rechte vorbehalten.
Dem K. Universitätsprofessor
Herrn Dr. Hermann Breymann
in Dankbarkeit und Verehrung
gewidmet
vom Verfasser.
Vorwort.
Die Anregung zu vorliegender Abhandlung verdanke ich
meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Her-
mannBreymann, der mich auch während der Ausarbeitung
meines Themas des öfteren mit Bat und Tat unter-
stützte. Für alle seine freundlichen Bemühungen spreche ich
ihm an dieser Stelle meinen aufrichtigen Dank aus. Auch
Herrn Professor Dr. Schick bin ich für seine so liebens-
würdig gewährte Unterstützung bei der Korrektur dieser
Arbeit zu herzlichem Danke verpflichtet.
Desgleichen ist es mir eine angenehme Pflicht, den Herren
Beamten der Münchener Staats- und Universitätsbibliothek,
der Berliner kgl. Bibliothek, der Leidener Universitätsbibliothek,
sowie den Herren Bibliothekaren des britischen Museums und
der Pariser und Madrider Nationalbibliothek für ihr wohl-
wollendes Entgegenkommen verbindlichst zu danken.
Der Verfasser.
Inhalt.
Seite
Benützte Literatur XI
EiDleitung.
I. Moderne Atreus- und Thyestesdramen 1
IT. Die Übersetzungen des Thyestes Seneca's.
A. In den romanischen Literaturen 12
B. In den germanischen Literaturen 17
in. Inhaltsangabe des Thyestes Seneca^s 20
IV. Inhaltsangabe der 88. Fabel Hygin's 24
Nachahmungen und Bearbeitungen.
A. Gesamtäbersicht der Atreus- und Thyestestragödien in den
romanischen und germanischen Literaturen 25
B. Englische Literatur: Growne: Thyestes (1681) 27
C. Komanische Literaturen.
1. Monleon: Le Thyeste (1633) 61
2. Crebillon; Atree et Thyeste (1707) 62
3. Seguineau und Pralard: .£gyste (1721) 95
4. Pellegrin: P61op§e (1733) 100
5. Anonymus: Atree, tragedie lyrique (zw. 1733 n. 1758) . 119
6. Voltaire: Les.Pelopides (1772) 122
7. Foscolo: Tieste (1797) 136
Ergebnisse in Form einer Tabelle 146
Anhaog.
1. Die 88. Fabel Hygin's 147
2. Der .Egyste Ton Seguineau und Pralard 148
3. Pellegrin's Pelopee (Preface) 151
Benützte Literatur.
Adams, W. DaTenport: A Dictionary of the Drama.
London. 1904. 8^
D'Alembert, J.: (Euvres philosophiques, historiques et
littfiraires. Paris. An 13 (1805). 18 Bde. 8^
AlIacci,Lione: Drammaturgia accresciata e oontinuata fino
aU'anno 1755. Venezia. 1755. 4^
Amador de los Bios, Jose: Historia critica de la Ute«
ratura espaüola. Madrid 1861—65. 7 Bde. 8^.
Aneedotes dramatiques. Paris. 1775. 3 Bde. 8^
Annales dramatiques ou Dictionnaire gen^ral des Th^&tres.
Paris. 1808—12. 9 Bde. 80.
Annales po^tiques ou Almanach des Muses. Paris. 1778—81.
18 Bde. 120.
Atr^Oy trag6die lyrique. Handschrift der Pariser Biblioth^que
nationale mit der Signatur: fr. 24, 352.
Baker, B^ed and Jones: Biograpbia Dramatica. London.
1812. 3 Bde. 8^
Barrera y Leirado: Catfilogo bibliogr&fico y biogräfico
del Teatro antiguo espaüolo. Madrid. 1860. 4^.
Beauchamps, P.-Fr. : Recherches sur les Th^ätres de
France. Paris. 1735. 4^
Bengesco, 6.: Bibliographie des CEuvres de Voltaire.
Paris. 1882—90. 4 Bde. 8^
BernhardyyG.: Grundriß der griechischen Litteratur. Halle.
1861—72. 2 Teile in 3 Bänden. 8^
— XII —
BetZy Louis P. : La Litterature compar6e. Strasbourg.
2. Aufl. 1904. 8^
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Birch-Hirschfeld, A. : Geschichte der franz, Litteratur
seit Anfang d. 16. Jahrh. Stuttgart. 1889. 8^
Böhm, K. : Beiträge zur Kenntnis des Einflusses Seneca's.
[Münchener Beitr. Nr. XXIV.] Erlangen u. Leipzig.
1902. 8^
Brisset, Roland: Le premier livre du theätre tragique
de , gentilhomme tourangeau. Tours. 1590. 4®.
Cafiete, M.: Teatro Espafiol del Siglo XVL Estudios
Histörico-Literarios. Madrid. 1886. 8®.
Catalogus van de Bibliothek der Maatschappij van Neder-
landsche Letterkunde te Leiden. Leiden. 1847. 2 Teile
u. Indexband. 8^
Chambers, R.: Cyclopaedia of English Literature, (New
Edition by D. Patrick.) London u. Edinburgh. 1901—
1903. 3 Bde. 8^
Christ, W. : Geschichte der griechischen Literatur bis auf
die Zeit Justinians. 4. rev. Aufl. München. 1905. 8^
Cloetta, W. : Beiträge zur Litteraturgeschichte des Mittel-
alters u. der Renaissance. Halle. 1890—92. 2 Bde. 8^
Cr6billon: Chefs-d'CEuvre , in: Petite Bibliothöque des
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Greiz enach, W. : Geschichte des neueren Dramas. Halle.
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Crowne, John: Thyestes, London. 1681. 4®.
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of the English Restoration by J. Maidment and W. H. Logan.
London. 1872 ff. 8®. (Vol. II enthält den Thyestes und
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Delandine, A. F.: Bibliographie dramatique. Paris et
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Dutrait, M. : Etüde sur la yie et le th^ätre de Cr6biIloD.
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- xin —
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Fernbach, L.: Der Theaterfreund. Berlin. 1860. 8^
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Freron, E.-0. : L'Annee litteraire. Amsterdam u. Paris.
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Genest, J. : Some Account of the English Stage from the
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Girardin, Saint-Marc: Cours de littfirature dramatique.
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Goujet, Cl.-P. : Bibliothöque frangaise ou Histoire de la
Litterature frangsise. La Haye et Paris. 1740 — 1756.
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Halliwell, J. 0.: A Dictionary of Old English Plays.
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Hygini Fabulae, siehe Schmidt.
Jacob, P. L.: Bibliothöque dramatique de M. de Soleinne
Paris. 1843—45. 9 Teile in 5 Bänden. 8<>.
Klein, J. L. : Geschichte des Dramas. Leipzig. 1865 — 76.
13 Bde. 8^
Klotz, Ch. A. : Deutsche Bibliothek der schönen Wissen-
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— XIV —
LaCroix du Maine: Bibliotb^ne frangaise de
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Lust, H.: Monl^on in seinem Thyeste als Nachahmer Se-
neca's. [Studienanstalt Münnerstadt 1887.] Scbweiofuit
1887. 8«.
Marolles, Abbe de Villeloin: Les Trag6dies d« Se-
neque. En Latin et en frangois, de la Traduction de
M. de Mar., Abb6 d. V. Paris. 1664. 3 vds. 8«.
Monleon: Le Thyeste. Paris. 1633. 4<^.
Moreri, L.: Supplement au grand Dictionnaire historique.
Paris. 1736. 2 Bde. fol.
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1740—1759. 10 Bde. fol.
Mouhy. Gh.: Tablettes dramatiques. Paris. 1752. 8^
: Abregt de l'Histoire du Theätre fran^ais. Paris.
1780. 2 Bde. 8*.
Müller, J. W.: ^rope. Ein Trauerspiel in drey Aufeügen.
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Niceron, J.-P.: M6moires. Paris. 1729—45. 43 Bde. 8«.
-^ XV -
Niflardy D.: Histoire de la Litt^rature fraD^ise. 18« M.
Pari«. 1896. 4 Bde. 8o.
ParfaictylesFr^res: Histoire du Th6ätre fran^aiB. Paris.
1734/35—1749. 16 Bde. 8«.
: Dictionnaire des Thfiatreg de Paris. Paris. 1766 —
1767. 7 Bde. 8«.
Pellegrin, S.-J.: P61op6e. Paris. 1733 u. Utrecht. 1734. 8^^)
Quadrio, Fr. Sav.: Della storia e della ragione d'ogoi
poesia. Milano. 1739 — 1752. 4 vol. mit Indice universale
= 7 Bde. 4^
Racine y P.: QSuvres. Nouv. Ed. par P. Mesnard. Tome L
Paris. 1885. 8«.
Ranke, L. von: Die Tragödien Seneca's (1882 verf.). In
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Ribbeck, O. : Gedchichte der römischen Dichtung. Stutt-
gart. 1887—92. 3 Bde. 8^
RiccobonijL.: Histoire du Th6&tre Italien. Paris. 1730. 8®.
Rubio y Lluch: £1 renacimiento cläsico en la literatura
catalana. Barcelona. 1889. 8^
Salvioli^Giov. e Carlo: Bibliografia universale del Teatro
drammatico italiano. Venezia. 1894 — 1901. (A-C). 4^.
Seh äff er, Ad.: Greschichte des spanischen Nationaldramas»
Leipzig. 1890. 2 Bde. 8^
Schanz, M.: Geschichte der römischen Litteratur. 8 Teile.
2 Hälften. 2. Aufl. München. 1899—1901. 8^
Schmidt, M.: Hygini Fabulae. Jena. 1872. 8^.
Schröter, F. u. Thiele, R.: Lessings Hamburgische
Dramaturgie. Halle. 1877. 8^.
Schweiger, F. L. A.: Handbuch der klassischen Biblio-
graphie. Leipzig. 1830—34. 2 Teile (der 2. Teil hat
2 AbteU.). 8^
Seneca bis Tenne Tragedies Translated into English. London.
1681. 4^ Neu herausgegeben von der Spencer Soc.
1887. 8^
Senecae Tragoediae, siehe Leo!
^) Ich zitiere Dach der Utrechter Ausgabe des Jahres 1734.
- XVI —
SerTÜ Grammatici qui feruntur in Vergüii Carmina Com-
mentarii recensuit Georgius Thilo et Hermannus Hagen.
Lipsiae. 1881—87. 3 Bde. 8«,
SuidaeLexicon post Ludolphum Kusterum ad Codices Ha-
nuscriptos recensuit Thomas Gaisford S. T. P. Oxonii.
1834. 3 Bde. fol.
Yigen^re, Blaise de: Les Images oa Tableaux de Platte-
Peinture de Philostrate Lemnien Sophiste Grec. Mis en
FranQois par . . . Atcc des Arguments et Annotations
sur chacun diceux. Paris. 1578. 4^.
Yillemain, A.-Fr.: Cours de littfirature fran^aise. Nout.
Äd. Paris. 1846. 2 Bde. 8^
Voltaire, Ar. de: QEuvres complMes. Nout. Ed. Paris.
1877. 8^ Tome VI des Thöatre enthält die Pelopides.
Ward, A. W.: A History of English Dramatic Literature.
2. Aufl. London. 1899. 3 Bde. 8^.
Weiße, F. Chr.: Trauerspiele. Carlsruhe. 1778. 8^ (Der
2. Band enthält den Atreus u. Thyest.)
Welcker, F. G. : Die griechischen Tragödien mit Bücksicht
auf den epischen Cyklus. Bonn. 1839—41. 3 Bde. 8^
Wiese, B. undP^rcopo, E.: Geschichte der italienischen
Litteratur. Leipzig u. Wien. 1899. 8^
Worp, J. A. ; De Invloed van Seneca's Treurspelen op ous
Tooneel. Amst. 1892. 8«.
Wright, J.: Thyestes. A Tragedy Translated out ofSeneca
to which is added Mock-Thyestes, in Burlesque. London.
1774. 8».
Unerreichbar blieben mir folgende Werke:
Fierlinger, E.: Voltaire als Tragiker. Olmütz. 1882. 8^
Zambra, V.: I caratteri nell'Electra di Sofode. Confronto
con Eschilo, Euripide, Crebillon, Voltaire, ed Alfieri.
Trient. 1876. Q\
Einleitung.
I. Moderne Atreus- und Thyestesdramen.
Die Fabel von Atreus und Thyestes war im Alter-
tum häufig auf die Bühne gebracht worden. In Griechen-
land hatten Agathon, Kleophon aus Athen, Chaeremon,
Apollodoros von Tarsos, Diogenes Oinomaos, Lykophron,
Theodektes, ja sogar Sophokles und Euripides diese Sage,
allerdings unter verschiedenen Titeln, dramatisch bearbeitet.
Auch in der römischen Literatur fehlte es nicht an zahl-
reichen Pelopidendramen : Ennius, Junius Gracchus, Lucius
Varius, Attius, Pomponius Secundus, Mamercus iEmilius
Scaurus, Bubrenus Lappa, Curiatius Maternus und endlich
Lucius Annaeus Seneca schrieben Atreus- und Thyestes-
tragödien.*)
Von all diesen griechischen und römischen Dramen ist
jedoch nur ein einziges, nämlich das von Seneca, vollständig
auf uns gekommen ; von den anderen sind uns nur noch mehr
oder weniger unbedeutende Bruchstücke erhalten geblieben.')
*) Vgl. über die oben genannten Autoren und ihre Stücke:
Suidas I, 491 u. 1004/05; II, 2114; Welcker, Die ffnech. Trag. Itl,
1069ff.; Bernhardy, Grundrift der griech. Litt, II. Tl. II. Abt., 6Ö/8B
u. 717; Ribbeck, Gesch. der röm. Dicht II, 89/90 u. III, 5 u. 62 ff.;
Schanz, Gesch. der röm. Litt., II. Abt. I. H., 248; ferner II. Abt.
II. H., 49, 62/63 o. 119; Christ, Gesch. der griech. Lit, S. 286. A. 5.
«) Klein, Gesch. des Dram. II, 414/15. Sehr zu beklagen ist
natürlich der Verlust der Pelopideniragädien des Sophokles; denn „wie
Münchener Beiträge z. rom. u. engl. Philologie. XXXVII. 1
Ja, fio wenig ist uns von älteren Atreusdramen überliefert^
daß sieb nur der Thyestes dos L. Varias mit Bestimmtheit
als Quelle des Seneca'scben Stückes nachweisen läßt, während
wir über die Frage, ob Seneca auch ältere griechische Tra-
gödien benutzt hat, uns keinen befriedigenden Aufschluß zu
geben vermögen.^ «Wir müssen daher schon die Vorzüge,
bemerkt Klein ganz richtig, ja die großen Schönheiten, die
in diesem von allen allein erhaltenen Thyestes uns über-
raschen, dem angeblichen Verfasser, unserem Seneca, gut-
schreiben. Zu den Vorzügen rechnen wir eine gewisse Maß-
haltung, die, in Anbetracht des kannibalischen Stoffes und
mit Bezug auf diesen Dichter, trotz allen Ausschweifungen^
der größte Schönheitskünstlerj kü Sophokles in seinem Atreiis, seinem
Thyestes in Sikyon, seinem zweiten Thyestes, diesen Stoff mag behandelt^
mit welcher kunstvollen Weisheit die Honigbiene der griechischen Tragik
selbst aus solchem Ekelgrausen schmerzenstrunkene Süßigkeit mag ge-^
sogen und ein goldenes Kunstgewirk' daraus gebildet haben: das läßt
sich aus dem bloßen Fabelinhalt und den Argumenten bei Hygin nicht
erraten,"*
^) Böhm, Beiträge, p. 11, glaubt, es ließe sich mit Sicherheit an-
nehmeD, daß Seoeca für seinen Thyestes den Atrens oder einen der
beiden Thyestes des Sophokles, femer den Thyestes des Euripides oder
die Trachinerinnen des Sophokles als Vorlagen gehabt habe. Böhm be-
ruft sich auf Kanke, Ribbeck und ScbaDz.
Ranke, Die Trag. Seneca' s, S. 36, sagt aber: „Ob nun Seneca bei
seinem Thyestes eine römische Bearbeitung Tor Augen hatte, oder TieK
leicht ein griechisches Original, läßt sich nicht ermitteln.** In der Fuß-
note 5 fügt Ranke zu seiner Behauptung folgendes hinzu: „Man bat
wohl angenommen, daß das Stück Seneca's eine Nachahmung des
gleichnamigen, nur in Fragmenten erhaltenen euripideischen Dramas ist,
aber durch ein wirkliches Argument kann diese Ansicht nicht gestützt
werden." Ribbeck, Oesch. d. röm. Dicht. III, 62, dagegen äußert
sich in bezug auf unsere Frage also : „Er [Seneca] hat die sophokleische
wie die euripideische Tragödie gekannt, denn noch jetzt läßt sich bei
einzelnen Bruchstücken der letzteren Übereinstimmung mit gewissen
Stellen nachweisen.^ Die neueste Ansicht jedoch, die Schanz in seiner
Gesch, der röm. Litt. II. Abt. II. H. 49, vertritt, geht dahin, daß ^über
die Quelle der lateinischen Tragödie nicht ins reine zu kommen sei, da
uns kein zweites Stück, welches diesen Stojf behandelt, aus dem Alter-
tum überliefert ist". Aber daß der Thyestes des L. Varias „von Seneca
positiv oder negativ berücksichtigt werden mußte'', stellt Seh ans als
unzweifelhaft hin.
— 3 —
denen er sich auch hier überläßt, höchlich anzuerkennen und
zu preisen iflt." ^)
In der Tat erfreute sich diese Tragödie Seneca's einer
großen Beliebtheit bei späteren Dramatikern, wurde sie doch
tficht nur in mehrere Sprachen übersetzt, sondern von einer
Reihe moderner Dichter mehr oder weniger sklavisch nach-
geahmt. Denn wie in der antiken, so wurde auch in der
romanischen und germanischen Literatur die Sage von Atreus
und Thyestes öfters dramatisch bearbeitet; wenigstens zu
den ersten modernen Pelopidentragödien gab der Thyestes
Seneca's den direkten Anlaß. ^)
^) Gesch. des Dram. II, 415.
*) Interessaüt ist es auch, zu beobachteu, wie viele Dramen außer
den Atreustragödien gerade von dem Thyestes Seneca^s beeinflußt sind.
In der romanischen Literatur kommt da hauptsächlich Italien in
Betracht. Dort wurden die folgenden lateinischen Trauerspiele unter
der Einwirkung des Seneca'schen Thyestes gedichtet iMussato's Ecerinis
(1314), Loschi's Achilleis (um 1390) und Corraro's Proyne (ca. 1428).
(Cf. Cloetta, Beiträge II, 26ff., 122ff. u. 164flF.; Creizenach, Gesch.
d. n. Dram. I, 501 u. 520 ff.; Ebner, Beitrag, S. 88 ff.). Ferner sind
in Italien üriraldi's Orbecche, Dolce's Marianna, Groto's Dalida,
dann auch der Anfang von Speroni's Canace, und in Frankreich ins-
besondere Jod eile 's Cleopätre unter dem Einflüsse des lateinischen
Thyestes entstanden. (Cf. Wiese u. Percopo, Ital. Litt., S. 298 ff.,
Creizenach, Gesch. d. n. Dram. U, 493 u. Ebner, Beitrag, S. 121).
Sehr stark ist die Einwirkung dieser lateinischen Tragödie in der
germanischen Literatur auf die englische und niederländische Bühne,
("unliffe, The Infliience of Sen. on Eliz. Trag., entdeckte Spuren des
lateinischen Thyestes in einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Stücken;
es sind die folgenden: Tancred and Gistnunda (Cunl. p. 51/52); The
Misfortunes of Arthur (Cunl. p. 53 u. 130—155); Cambyses (Cunl.
p. 56); Greene's King Selimus (Cunl. p. 64); Shakspere's Titas
Andronicus (Cunl. p. 69 ff.); Shakspere's Henry VI. (Cunl. p. 74,
76/77); Shakspere's Richard III. (Cunl. p. 77/78); Shakspere's
Macbeth (Cunl. p. 83) ; J o n s o n ' s Sejanus (Cunl. p. 92 ff.) ; J o n s o n ' s
Catiline (Cunl. p. 94/95); Mars ton 's Atitonio and Mellida (Cunl.
p. 101 ff. u. 128/29); Marlowe's JEdicard 2/. (Cunl. p. 128); Marston's
The Malcontent (Cunl. p. 129); The Fawn (Cunl. p. 129); Kyd's Sp.
Tragedy, Induction.
Auch das niederländische Theater verspürte denselben Einfluß in
nicht geringem Grade. Nach Worp, De Invloed van Seneca's Treur-
speien op ons Tooneel, p. 118/19 u. p. 240, sind Samuel Coster'a Itys
(1615) und Aran en Titas (1641) von Jan Vos direkt auf den lateini-
1*
— 4 —
Was nau diese moderneD Bearbeitungen betrifft, so wurde
schon öfters der Versuch gemacht^ sie in Verzeichnissen zu-
sammenzufassen ; allerdings beschränken sich einige toq diesen
Listen nur auf die französische Bühne. Es wird ako zunächst
unsere Aufgabe sein, einen Überblick über jene Zusammen-
stellungen zu geben.
Die ersten Zusammenstellungen von mehreren modemsD
Pelopidentragödien werden uns wohl im Jahre 1754 gegeben;
es sind ihrer zwei. Die eine stammt von Lfiris, die andere
Ton Lessing ^), der sich dabei auf die Angaben yod L6ris
stützt.
Der Erstgenannte äußert sich folgendermaßen: tThieste:
lunis ai'ons trois Tra, soiis ce titre, hnitees de Sineque, indepen-
damment de edle sotis celui d^Atree *), ou k meme sujei est traue.
La jrremiere, avec de^ Choßurs, est de Hol, Brisset, et fui iniprimh
en loSff: la seconde, de Mcmtleon, parut en 1683; et la iroisieme,
attrihuee a Montatihan , mais peu ronnite.y ■)
Vergleichen wir damit Lessing's Zusammenstellung.
„ Auf dem italiäniscJien Theater stößt uns hier . . . Lud. Dolee
auf, welcher den lateinischen Thyest nach seiner Art in Verseti
übersetzt hat. Delrio sagt von ihm: Italice tragcediam Thyestem
non ineleganter Ludovicns Dulds composnit utid scheint also dk
Arbeit des lialiäners mehr für etwas ihm eignes, als für eine Über-
setxung zu halten. Als eine solche mag sie auch wohl seJir untreu
sehen Thyestes zurückzufubren. Worp fand außerdem, daß yon dem
Stücke Seneca's noch ziemlich viele andere niederländische Tragödien
beeinflußt worden sind, nämlich: D. Heinsius' Avriacus swe Liberias
saucia (Worp p. 55/56); D. Heinsius' Herodes infanticida (Ibd.);
Princeps Avriactis sive Liberias defensa von Casparus Casparius;
der Verfasser dieses lateinischen Stückes wird wohl auch D. Heintius
sein (Worp p. 56); Hooft's Ariadne (1602) (Worp p.99fiF.); Hooft's
Geeraerdt van Velsen (1612/13) (Worp. p. 105 ff.); Hooft^sÄi^to (1626)
(Worp p. 109); C ost er ' s Polt/xcwa (1619) (Worp p. 125 ff.); Vondel'»
Falamcdes (1625) (Worp p. 202); Vondel's Peter eti Fautcels (1641)
(Worp p. 218); L. ^leyer's Verloofde Koningbruidt (1668) (Worp
p. 265 ff.).
») Theatr. Bibl. IL St. {Sämmtl Sehr. IV, 291 ff.).
') Leris meint damit Crebillon'i AtrSe et Ihgeate^ den er aw'
p. 46 zitiert.
*} Dict. porL p. 322.
gerathcn seipi, indem ihm, wie Brumoy anmerkt, so gar das oben
gerühmte agnosco fratrem^) fntunscht ist; dessen Kachdruck
er entweder nicht eingesefien, ode?' in seine Sjyrache nicht über-
zutragen gewußt hat, Von der französischen Bühne Jiaben
vnr schon bey Gelegenheit des Herkules^) auch den Thyest des
Roland Brisset angeführt \ er ist mit Chören, und unrd also schwerlich
etwas anderes seyn, als eine schlechte Übersetzung, wie sie es zu
seiner Zeit alle waren. Außer diesem Juit auch ein gewisser
Montleon 1633 einen Thyest dnicken lassen, Deßgleichen will man
von einem Thyest des Pousset de Montauban wissen, der sich aber
nicht in der Sammlung seiner Schausjnele {t:on 1654 in 12 nio)
beßyulet .... Doch alle diese drey französischen Schriftsteller
halfen des Ruhmes rerfehlt, den ein neuer Dichter aus ihrem Volke
in diesen Schranken erwerben sollte. Ich würde mir daher' einen
großen Fehler der J^nteHassung vorzuwerfen hohen, wenn ich nicht
Von dem Atreus und Thyest des älteren Hrn.
Ton Crebillon etwas umständlicher handelte,^
Hierauf gibt Lessing eine genaue Analyse von Crebillon's
Atrif et Thyeste, um dieses Stück mit dem lateinischen Ori-
ginale zu vergleichen, dessen Inhalt er an einer anderen Stelle
sehr eingehend besprochen hat.^) Wir werden hierauf noch
genauer zurückkommen.
Zweifellos benutzte Lessing zu seiner Zusammenstellung
das Dictionnaire portaiif von Leris; denn er macht dieselben
französischen Stücke namhaft wie jener Franzose und über-
sieht dabei ganz wie Leris jene Tragödien, die, ohne gerade
den Titel Airee ei Thyeste oder ThyeRie zu führen, gleichwohl
Atreus- und Thyestestragödien sind, sich aber als solche nur
dem oflFenbaren, der sie gelesen oder mindestens näher an-
geschaut hat. Leris führt sie nämlich in seinem Dictionnaire
auf, wird sie aber wohl nicht studiert haben.
^) Bei Seneca (v. 1(X)6) spricht Thyestes dieses Wort aus, als ihm
Atreus nach der entsetzlichen Mahlzeit die blutigen Köpfe seiner
Söhne mit der höhnischen Frage zeigt: {v. 1CK)5) natos ecquid
agnoscls tuos?
*) Auf p. 288 if. handelt L3S9ing daTon, daß der rasende Herkules
und der Thyest einen und denselben Verfasser haben. *
2) p. 260fr.
— 6 —
Das dritte wichtige Verzeichnis von Atreus- und Thjestes-
dramen, sozusagen eine Ergänzungsliste zu der von Lessing,
wurde von Christian Felix Weiße aufgestellt*):
yfMan weißf xu wie viel Tranersp^ieleti die schreckliche Feifid-
Hchaft wid grausame Hache, des Atreus und Thyest GeUgenhett ge-
geben. Wer davon ein Verzeichnis xu lesen umnschet, darf nut
die vortrefflidie Abhandlung des Herrn Lessing in dessen tfieoiraii-
scher Bibliothek nachschlagen. Man kann noch im Ettglischeu
einen Thyestes des Jasper Heywood ^ vom Jalire 1560, einen andern
von John Wrighi, von JO'74, und noch einen von John LVourn von
1681 hinxuthuju Aber alle diese sirui bloße Übersetzungen oder
Nachahmungen der Nachahmung des Seneca aus defi älteren
griechiscJien SvltrifisteUern. Desto mehr ist es xu verwuiuier^K daß
niemand die Fabel des Hygin vom Tode des Atreus, die an schreck -
lidtcn Situationen nicht weniger voll ist als die erstere, von der
Ermordung der Kinder des Thyest, bearbeitet hat. Der einzige Abt
Pelerin hat im Jahre 17 31 eine Pelopia geliefert ^): aber sie ist mit
solchen Erdichtungen angefüllt, daß man schwerlich die Erxälüuny
des Hygin darunter wieder fbuien tcird,^
Wenn nun auch diese Angaben Weißens auf weitere neue
und interessante Stücke hinweisen, so sind doch seine Mit-
teilungen weder genau noch vollständig; er sagt nicht ein-
mal; ob die genannten Tragödien Übersetzungen oder Nach-
ahmungen sind.
Eine nicht zu unterschätzende Liste, also die vierte, wird
in der Petite Bibliotheque des Thedtrcs gegeben und zwar in dem
1789 erschienenen, mit Chefs-d'CEuvre de Crehillon überschrie-
benen Bändchen. Dort heißt es'^): <ll avait ete faii plusieurs
*) Im Vorworte zu seinem Atreus und Thyest, einem Trauerspiel
in 5 Aufzögen, das er im Jahre 1766 veröffentlichte; die Liste wurde
dann 1769 im 4. Teile der Beiträge zum deutschen Theater
wieder herausgegeben.
«) Er meint damit den Abbe Pellegrin, dessen PHopie (1733)
bereits von Leris auf p. 256 des Dictiofinaire zitiert wird. Leris
hatte eben an dem bloßen Titel nicht erkannt, daß es sich hier um eine
Atreus- und Thyestestragödie handelt.
*) Siehe die JugemetUs et Anecdotes sur Atree et Thyeste, welche
die Herausgeber dem Drama C r e b i 1 1 o n ' s vorausgeschickt haben, p. X ff.
— 7 —
Tragedies sur es svjet avajii OrebiUon, En 1584, Roland Brissei
€w dontia une, sous le iure de Thyesie. avec des ckoeurs, imüee de
Seneq^Wj et imprime^ en 1589, Monleon en a donne une autre^
sous le meme türe, qui fut representSe et imprimde en 1633, On
en attribue aussi une de ce iure d Montanhan^ et qui seroü, ä peu
jw*e.s", du meme tems, mais qu^an ne sait point avoir ete represenUe
ni impriffiee, Linage et VAhhe de Maroües o«/, tous les d&ua>,
traduit Je Thyeste de Seneqtce, avec les aiäres Tragedies de cet
Autevr latin, Lew iradtiction, ä cJiacun, est eti prose, et eile n^est
point faite pour h representation, mais ils Votd imprimee, le premier
en 1651 y et le serond en 1659. Depui^ UAtree de Orebillofi^ S^
guineau et Prahnd firent ensemhle une Tragedie sur ce sujet, et
■qu'ils intitulerent JKgysthe *) ou La Mort d^Airee, Elle fut re^
pieseniee en 1721, avec peu de Sucres, et n'a point ete imprimee,
Voltaire a aussi traite ce meme sujet dans une Tragedie qu^il a
intitulee Les Pehpides, II Va fait imprimer en 1772, et eile sc
irauve dans toutes les editions qui ont ete faites de son Theätre,
depuis cetie epoque; mais eile 7i'a point ete represeniee, Dans une
Lettre adressee d J.-J. Rousseau, d'Alemhert dit avoir vu, en manu-
scrit, une Tragedie- Lyrique, sous le tilre d^Airee, et dont il fie fait
point connaUre VAuteur, On ne sait si eile a ete müe en mu^ue.
mais eile n^a ete ni repre.senfee, ni imprimee,^
Diese Zusammenstellung enthält bereits eine ziemlich
genaue Angabe der franxösischen Atreus- und Thyestesdramen,
aber die Herausgeber kennen die deutschen und die englischen
Tragödien offenbar nicht, obwohl der Atreus und Thyest von
Weiße schon 1780 in französischer Übersetzung im Tkcdtrc
Oermani^jue ' ehchienen war!^) Die oben erwähnte Hand-
schrift einer Tragedie-Lyrique, sous le titre d'Atreej existiert tat-
sächlich und befindet sich in der Pariser Nationalbibliothek.
^) Leris zitiert ebenfalls diese Tragödie ia seinem Dictionnaire
(p. 182) and zwar schreibt er Egiete.
■) In den Ammles dramatiqries (L 399) ist sie folgendermaßen erwähnt :
Atree et Thyeste, trag, en cinq acte», de Weiss, Theätre-Germaniquef
1780. Nach der Aussage von Jacob, Bibl. dram. de M. de Soleinne
IV, 213, erschien diese Tragödie von "Weiße nochmals in franz. Über-
setzung als 5. Tragödie in dem Nouveau Tkeätre aUemand [traduit en
prose par M. Friedet .... jyour les 6 premiers volumes et avec M. de
Bonnemile pour les six derniers), Paris, 1782—85, 12 vol. in-8*.
— 8 —
Eioen sehr geringen Aufschluß bieten die Noiixit stortco-
erUiehe stU Tieste, die in dem 1797 zu Venedig erschienenen
10. Bande des TecUro Modemo Applaudito als Kommentar zum
Tieste von Ludovico Foscolo — übrigens wieder einer
neuen Thyestestragödie — herausgegeben wurden. Dort lesen
wir^ wie folgt: •Perduta essendosi con aUre iragedie di quesio
sMime atUore [sc, Euripide] anche ü Tieste, non che varie altrt
seriiU sul medesimo argomenio da diversi scriilori [sc. Diogene
JBnomao, Cleofone e ApoUodoro di Tarso ira i Greci : Äxio^ Grocco
t Vario tra i Laiini], non parkremo qui die di tre sole die godon
fmna, nuUa poiendo valere ü iraiienersi aopra nanü affailo oseuri
e, cid ch'e peggio, sopra iristi composixioni [sc. Brisset, Monleoti,
Montauhan\. Seneca, Orehillon e Voltaire perciö sono i sali Iragiti
di cui faremo qui una qualche menxione.^ ^)
Man erkennt sofort, daß diese Angaben auf denen der
Petite Bibliothöque des Thfeätres beruhen.') Besonderen Wert
haben diese Notizen nicht; denn sie bringen uns um keinen
Schritt unserem Ziele näher. Interessanter dagegen sind die
gleich darauf folgenden kurzen Inhaltsangaben der Atreus-
tragödien von Seneca, Cr^billon und Voltaire. Wir werden
hierauf später zurückkommen.
Ein sechstes, aber ebenfalls ziemlich minderwertiges Ver-
zeichnis von modernen Atreus- und Thyestestragödien wird
im IX. Bande der Annales dramatiques im Jahre 1812 auf-
gestellt. Dort wird zuerst der Thyestes Seneca's sehr genau
analysiert*); hierauf wird bemerkt, daß auch noch Varius
und Gracchus Atreustragödien gedichtet hätten, die aber ver-
loren gegangen seien; sodann heißt es weiter*): tParmi les
modernes, CWbillmi, auieur vhitablcnieni nS pour le trngique, a os^
se rharger de ce sNJet torible Voltaire, qid avait la manir
de re faire les pikes de Cribillon, a donnc les Pelopides, pwir faire
') p. Ö8.
') Tatsächlich berufen sich die Autoren dieses Artikels gleich
nachher (p. ö9, Anm.) auf die Picciola Biblioteca dei Teatri di Parigi
und *war auf die Giudizj ed Aneddoti sulVAtreo t Tieste.
*) p. 114 ff.
*) p. 121.
-- 9 ^
(mblirr VAtree ei Thyeste de son rival; mais mtügre son grand
ginie, il a succombe dans ceiie lutte.
Bien avant ces deux auteurs, un mauvais poeie^ Rolmid Brisaeiy
avaii iraduU le thyeste de Stmque. (Me iradueiion est fiddUy
mais dttestable, En voici les quatre premiers vers; c'est Tantale
qui parle:
Qui nCarraehe d'en bas de ce siege, oü en vain
Je poursiiy la tnaride eschapant de ma viain ?
Quel des Dieux de lä haut ou de Vombre infeniale
Les Vivantes maisons fait revoir TankUe ?
Je rrois qu^fm nous pardonnera de tCen rien euer de plus.>
Die Annales dramatiqiies führen also nicht einmal alle
französischen Atreusdramen auf!
Im Jahre 1877 kommen Schroeter und Thiele auf
unser Thema mit folgenden Worten zu sprechen^):
„7/i der Neuzeit ist derselbe Stoff [nämlich die Fabel von
Atretis und Thyestes] . . . vielfach behandelt worden^ so unter den
Italienern von Ludovico Dolce • unter den Ftanxosen von Roland
Brissei, Montleon {Id. 10), Poussei de Montalban, von dem älteren
Crehillon . . . und sogar von Voltaire in seinen freilich nie auf-
geführten „Belopides^^ ; unter den Engländern endlich von Jasper
Heywood (1560), John Wright (1674) und John Crown (1681),
Sie alle folgen mehr oder weniger Seneca, Der einzige Abt Pellegrin,
der 1731 in seiner Pelopia gleichfalls jene Sage behandelte, macht
eine Ausnahme, indem er sich mehr an Hygin anschloß, von
welchem in der S8. Fabel die Handlung als eine viel verwickeitere
dargestellt wird. — Erst Christian Felix Weiße stellt sicli ganz
auf den Boden der IJygin' sehen Erzählung und diciäete aus dem
zweiten Theile derselben ein Trauerspiel „Thyestes^' in fünf Akten
und fünffüßigen Jamben, welches er 1766 im „Beitrag zum
deutschen Theater^^ Bd. IV, S. 1—110 veröffentlichte,'^
Ein achtes und letztes Verzeichnis von modernen Atreus-
und Thyestesdramen, das aher viel lückenhafter ist als das
^) Auf p. 237 (Anm. 14) ihrer Ausgabe Ton Lessing's „Äaw-
burgischer Dramaturg"'. Ad jener Stelle kommentieren Schroeter
und Thiele die Behauptung Les sing 's: „Herr Weiße hat den Stoff
£U seinem Thyest aus dieser Grube [d. h. Hygin's Fabeln] geholt/
— 10 —
Yorige, wird von Dutrait im Jahre 1895 aufgestellt.*) Er
erwähnt nur den Tiesie von Dolce, femer den Thyeste von
Roland Brisset, MontlSon und Montauban, dann
einen tAtre^j iragedie lyrique anonyme^ sans daie {aucun rapport au
mjet)>, endlich noch den Atrie et Thyeste von Weiße und
die Pelapides von Voltaire. Dutrait's Bemerkung, daß die
Tragedie lyrique nichts mit unserem Thema zu tun habe, ist
unrichtig, wie weiter unten bewiesen werden soll.
Die von Schroeter und Thiele aufgestellte Liste ist
die wertvollste von allen. Trotzdem läßt sie noch manches
zu wünschen übrig, da sie weder die Übersetzungen und die
Nachahmungen auseinanderhält, noch auch auf Vollständigkeit
Anspruch machen kann. Also noch nicht einmal eine genaue
Zusammenstellung der romanischen und germanischen Atreus-
tragödien ist bis jetzt vorhanden; noch viel schlimmer steht
es mit den Quellenuntersuchungen der einzelnen Stücke. So
interessant und wichtig auch die Frage ist, in welchem Ver-
hältnis diese modernen Tragödien zum lateinischen Original
oder zueinander stehen, so herrscht hierüber doch noch eine
große Unklarheit. Denn von allen Atreus- und Thyestes-
dramen ist nur ein einziges genau auf seine Quelle untersucht
worden, nämlich der Thyeste von Monleon.*)
Wenn auch die vorliegende Arbeit noch keine Antwort
auf alle Fragen, die dieses weite Thema stellt, geben wird
noch kann, so hoffen wir doch, eine vollständigere Liste der
Atreus- und Thyestesdramen der romanischen und germani-
schen Literatur aufstellen zu können und daran eine ge-
naue Quellenuntersuchung der wichtigsten Atreustragödien
in der englischen, französischen und italienischen Literatur
zu schließen.
Zunächst wird es zweckmäßig, ja notwendig sein, die
romanischen und germanischen Übersetzungen des lateini-
schen Thyestes zusammenzustellen. Von einigen derselben war
schon im Zusammenhange mit den Atreustragödien die Rede,
») Etude sur la Vie et le Theätre de CrebiUon, p. 544.
*} Lü8t, H., Monleon in seinem Thyeste als Nachahmer Seneea^s,
Schweinf. 1887. 8^
— 11 —
wobei wir sahen, daß die Übertragungen von den Nach-
ahmungen nicht unterschieden wurden. Es ist daher unsere
Aufgabe, diese verwirrenden Angaben zu berichtigen. Auch
hängen die Übersetzungen des lateinischen Originals insofern
sehr enge mit unserem Thema zusammen, als sie von Seneca's
Nachahmern benutzt werden konnten und auch teilweise be-
nutzt worden sind.^) Was Brisset 's Thyeste anlangt, so ist
es fraglich, ob dies eine Übersetzung oder eine mehr oder
weniger freie Nachahmung ist. Wir haben oben bereits ge-
sehen, daß Lesaing in Brisset's Stück eher eine Übersetzung
als eine Nachahmung vermutet ^j, während dieselbe Tragödie
in der Petiir Biblioiheqae des Thedires als imiicc de Senique be-
zeichnet wird.^) Gouj et meint, die vier Tragödien Brisset's *),
darunter auch der Thyeste, seien fchnities et souvent traduites de
Seneque>^), und Jacob nennt diese Tragödien einmal Über-
setzungen % an einer anderen Stelle aber glaubt er, sie seien
eher Nachahmungen als IJbersetzungen.^) Lust endlich hält
den Thyeste Brisset' s für eine getreue Kopie S e n e c a ' s *),
und Dutrait für eine <kimdnction libre de i6meque>.^) Auf
uns macht das betreffende Stück ganz und gar den Eindruck
einer freien Übersetzung; auf keinen Eall kann es als eine
Nachahmung bezeichnet werden. Ebert sagt einmal, daß
wir zur Zeit Garnier's und Jodelle's „mehr oder weniger freie
Übersetzungen aus den Alten, hauptsächlich aus dem Seneca
^) So läßt sich z. B. von Crebillon nachweisen, daß er neben
dem latein. Orij^ioal auch die Übersetzung des Mar olles benützt hat
(S. p. 76 ff.).
*) Derselben Ansicht sind Parf aict, Hist, IJI, 473; La Valliere,
Biblioth^que III, 235; Anecd. dratn. III, 72/73 j Ann, dramat. IX, 121:
• Traduction fidelle, mais detestahlt.»
*j Dieselbe Meinung wird vertreten von den folgenden Autoren:
La Croix du Maine u. Du Verdier, Bibl II, 395; Mouhy, Tobt,
dram, p. 224 u. Abrege de Vhist. du th, fr. I, 464; Ann. poet, X, 234.
*) Die drei übrigen sind: Hercule furieux, Agamemnon u. Octavie.
») Bibl. fr. XIII, 373.
•j Bibl. dram. I, 24.
') Bibl. dram. I, 171.
*) ManUon in seinem Thyeste, p. 28.
») 6tude, p. 544.
— 18 —
fänden, die aber meist mit der PrätenBioD, Origioale zu seia
auftreten".^) Diese Bemerkung könnte auf kein Drama beuer
passen als auf den Thyesie Brisset's, und so dürfen wir
ihn also ganz getrost in die Übersetzangsliste eintragen, die
jetzt folgen soll.*)
n. Die Übersetzungen des Thyestes Seneca's.
A. In den romanischen Literaturen.
In das Katalanische wurden die Stücke Seneca's von
Antonio Vilaragut übertragen, der im Jahre 1388 urkundlich
nachgewiesen ist. Er übersetzte die Medea, den Thyestes und
die 'Pfojtrmrinncn vollständig, die anderen Tragödien Seneca's
dagegen nur bruchstückweise ins Katalanische.*) Creizenach
bemerkt dazu : „Ich weiß nicht, ob die Catalanen schon dar-
auf aufmerksam geworden sind, daß sie in dieser Arbeit
Vilaragut's die älteste Übersetzung eines antiken Dramas in
eine neuere Sprache besitzen." *)
Zu verhältnismäßig früher Zeit, nämlich im Laufe des
15. Jahrhunderts wurde Seneca bereits ins Spanische über-
tragen. Zehn seiner Stücke in spanischer Übersetzung sind
') Entwicklnngsgesfh. der fr. Trag., p. 127.
^) Zur ZusammenstellaDg der Übersetzungen sind insbesondere be-
nutzt worden: Schweiger, Handbuch der klasBWchen Bibliographie
(2. Teiles zweit« Abteilung, p. 945 ff.); Brunet, Manuel du Libraire
V, 287/88: Engelmann, Bibliotheca Scriptorum classieorum If, &84ff.
und Böhm, Beiträge zur Kenntnis des Einflusses Seneca^s^ p. 16 ff.
Hennebert's Hist des traduct. frani: (Vauteurs grecs et latins pendant
le XVI* et le XVII* si^'cles war ziemlich belanglos. Es sei noch bemerkt,
daß sich die Thye^tesübersetzungen fast immer zusammen mit noch
anderen übertragenen Seneca'schen Stücken, sehr oft auch in Gesamt-
übersetzungen des Seneca tragicus finden.
^) Cf. Kubiü y Lluch, El renacimienlOy p. 22 u. Creizenscb,
Oesch. des n. Dr. I, 517.
*) Gesch. des n. Dr. I, 517.
— 13 —
enthalten in einer Handschrift der Escorialbibliothek. ^) Außer-
dem befinden sich Auszüge Ton Seneca'schen Dramen und
sogar auch Übersetzungen verschiedener Tragödien in drei
Haudschriften der Biblioteca Nacional zu Madrid.*) Die
älteste von den dreien mit der Signatur X 88, die aus dem
Ende des XIY. Jahrhunderts datiert, und eine andere mit der
Signatur T 131, die der Sprache nach aus der Zeit Juan's II.
und nach Schrift und Papier aus dem letzten Drittel des
XV. Jahrhunderts stammt, sind in kastiiianischer Sprache ab-
gefaßt und enthalten nur Inhaltsangaben des Thyestes. In
dem dritten Codex mit der Signatur M 25 jedoch, der der
Schrift nach dem 15. Jahrhundert angehört, steht auf 30
Folioseiten eine Übersetzung des Thyestes, aber keine spanische,
sondern eine limousinische oder, was dasselbe ist, eine
altproven^alische.') Ferner soll es noch eine andere
Handschrift geben, die eine kastilianische Übersetzung
von acht Seneca'schen Tragödien enthält.*) Da der Thyestes
das achte Drama ist, so dürfte er sich ebenfalls unter jenen
Stücken befinden. Außerdem existiert noch eine moderne
spanische Übersetzung aller Seneca'schen Dramen, die Lasso
de la Vega im Jahre 1883 veröflfentlichte.*)
Weit zahlreicher als in den genannten Literaturen sind
die französischen Thyestesübertragungen, deren es nicht weniger
als zehn gibt. Es sind die folgenden:
1. Les tragedies de Seneque .... par Maistre
Pierre Grosnet, Paris 1534.®)
^) Amador de lo» Kio», Hisi. alt. VII, 479, 1; Klein, Geseh,
d, Dr. IX, 126; Rubio y Lluch, El renacimxento, p. 22.
«) CaÄete, Teatro Esp., p. 43 44. ö. auch Klein. Gesch. d. Dr.,
IX, 126, 1, der sich auf Canete beruft.
') Obige AufecblÜBse verdanken wir der Zuvorkommenheit der
Beamten der Biblioteca Nacional. Die Hfl. X 88 enthält nur eine sehr
knappe Inhaltsangabe des Thyestes auf einem Folioblatt, und T 131 eine
längere auf 6 Folioseiten mit einem kurzen Dialoge der Tragödie.
*) Caiiete, Teatro Esp., p. 44. Leider ist mir das Registrum
W)roTUfn von D. Fernando Colon, auf das sich Canete beruft, un-
erreichbar geblieben.
•) Biblioteca Universale, tom. 87.
*) Siehe den Titel bei Böhm, Beiträge, p.l6ff. — Birch-Hirsch-
— 14 —
Es ist jedoch zweifelhaft, ob diese Ausgabe eine Übersetzang sämt-
licher Tragödien bietet. Denn über diese Frage gehen die Ueinungen
sehr auseinander.') Der Übersetzer Pierre Grosnet oder Grognet starb
ungefähr um 1540. Er war Priester und Dichter.')
2. Thyeste, Tragödie de Brisset (Roland),
Sieur du Sauvage, 1584.
Diese Tragödie wurde zusammen mit den schon erwähnten drei
anderen Übersetzungen') und noch einem Stücke in einem ßande heraus-
gegeben und zwar im Premier Livre des (Euvres poetiques de K. B. G.
T. Tours 1589 et 1590, in-4^
Nach den Fr. Parfaic^, Mouhy und Lucas wurde die Thyestef-
übersetzung ßrisset's 1Ö84 aufgeführt.*)
3. Les dix Tragedies, traduites en vers fran-
(^ois par Benoit Baudouyn d'Amiens, Principal
du College de Troyes, Bachelier en Theologie,
feld, Gesch. der franz. Litt. I, Anro. p. 10, verzeichnet noch folgende
Übersetzung: Seneca, (Euvres, Paris [1500— 1503]; dies ist jedoch eine
Übertragung der philosophischen Werke Seneca's.
^) Vgl. hierüber Böhm, Beiträge^ p. 17/18, der die verschiedenen
Ansichten angibt.
«) Nouv. Biogr. XXII, 139;40.
') Siehe p. 11, Anm. 4.
*) Parfaict, Dict. V, 4aS; Mouhy, Tabl dram., p. 224 u.
Lucas, Hist. phil. III, 270. Über Brisset gehen die Meinungen sehr
weil auseinander. Die Fr, Parfaict, Hist. Illy 474, und Mouhy,
Tabl. dram.j p. 36 nennen ihn avocat; Beauchamps, Rech. II, 62,
schreibt: "La Croix du Maine qui connaissait Brisset ne dit point qt*il
füt de Tours, ou gentilhomme ; il lui donjie Bimplement la qualiie d'atocat
au parlement de Paris. > Goujet, Bihl. fr. VI, 188, nennt ihn gar
Tresorier des Ouerres, und La Va liiere, Bibl du Th. III, 235, gibt
ihm den Titel Öentilhotnme Tourangeau. Sicher ist, daß Brisset in
Tours geboren wurde und in der 2. Hälfte dos 16. Jahrhundert« lebte.
Seine sämtlichen Werke sind: das oben erwähnte Premier Lirre des
(Euvres poetiques, welches Hercule furieux, Thyeste, Agamemnon, Octavie
und Baptiste enthält; La Dierom^ne ou le Repentir d^Amour; Alcee.
eine Komödie. Les etranges et mcrTeilleuses traveraes d^Amour. (^f-
Nouv. Biogr. VII, 434;'35. Jacob, Bibl dram. IV, 26 u. 69, schreibt
Brisset noch folgende zwei Übersetzungen zu: 1. Les Aveagle?.
Tragicomedie d'EpicureMapolitain (Caracciolo) d'Italienne faite fran^^*
Par B. d. J. (Rol. du Jardin), Tours. 1592, in-12. 2. Le Berger fidelle,
pastorale de Titalien du seigneur Baptiste Guarini, Chevalier. Trad. ^n
prose et en vers p. R. Brisset, sieor du Jardin, Tour, Tours. 1593, in-l^.
— 15 —
d6diees k Louis Largentier, Baron de Chape«
laines et imprimees ä Troyes, chezNoelMoreau,
dit le Coq, en 1629.^)
Über das Leben des Übersetzers gibt uns nur Moreri genaueren
Aufschluß: «Baudoin ou Baodouin (Benoit), ne a Amiens, etait bachelier
en th§ologie et habile dans les belies leitres. Son traite de la chaussure
des aneiens ... lui acquit beauooup de r^putation. La ville de Troyes
le demanda pour etre principal de son College, et pendant tout le temps
qu*il y demeura, il y fut considere. De retour ä Amiens, il acheta la
Charge de maitre de l'hotel-Dieu de cette ville oü il est mort
[La Morli^re] nous apprend que Benoit Baudouin avait iraduit et.fait
jmprimer les tragedies de Seneque.»*)
4. Le Thyeste, T. de Seneque, traduite en prose,
dSdiee k M. le marquis de Lenoncourt; arec un
argument par P. Linage, Paris. 1651, in-12.
Vgl. Beauchamps, Rech. Th. II, 184, der uns den Titel so zitiert.
Goujet, Bibl. fr. III, 190, behauptet: «Linage fit sa tradnction ä la
•soUicitation de M. de TEtoile .... Sa version des dix tragedies parut
dans les annees 1650 et 1651 en dix parties. Cependant le privil^ge du
Koi pour Timpression avait ete accorde d^s le 25 de Juin 1647 et il
parait que Touvrage fut acheve la meme annee.» Tatsächlich geben
auch La Vallifere, Bibl. du Th. fr. III, 234, und Mouhy, Abrege II, 206,
das Jahr 1647 für diese Übersctzurg an. Jacob, Bibl. dram. I, 23, ver-
zeichnet hiervon eine 2. Ausgabe aus dem Jahre 1668. Auch Schweiger,
Handbuch, p. 945, nennt diese Übersetzung der 10 Tragödien. — Über
den Übersetzer selbst wird uns von den oben zitierten Quellen nur mit-
geteilt, daß er ein Jesnitenpater war.
5. Les tragedies de Sendque en latin et en
fran<;ai8, de la traduction de M. de Marolles, abbe
de Villeloin. Paris. 1659. 2 tomes en Ivol. in-8^
Vgl. La Vallifere, Bibl. d. Th. fr. III, 235; Beauchamps,
Rech, du Th. II, 216; Goujet, Bihl. fr. VI, 191; Schweiger, Hand-
6mcä, p. 945 u. Jacob, Bibl. dram. I, 23. Schweiger verzeichnet noch
zwei Ausgaben vom Jahre 1660 und 1664. Letztere wird auch von
Niceron, Mem. XXXII, 224, zitiert. — Marolles lebte von 1600—1681.
Wir besitzen von ihm eine Menge Übersetzungen.')
») Cf. Goujet, Bibl. fr. VI, 189; Hist. univ. des th. VI (P. I),
244; Schweiger, Handbuch, 945 u. Moreri, Dict, Suppl I, 244.
*) Biet, Suppl. I, 100.
•) Cf. Qu^rard, La fr. litt, V, 553; Michaud, Biogr. univ.
XXVII, 40ff.; Moreri, Dict. V, 172 u. Xouv. Biogr. XXXIII, 914.
— 16 —
6. Eine vollständige französische Prosaüber*
Setzung des lateinischen Thyesies findet sich
auch im VI. Bande der Histore universelle des
Th^ätresdetouteslesNationSyder 1779 erschien.^)
7. Th6ätre de S6nöque. Traduction nourelle
(prose), enrichie de notes ^istoriques, litteraires
et critiques, et suivie du texte latin, corrige
d'aprds les meilleurs manuscrits, par M. L. Coupe.
Paris, Honnert, 1795, 2 vol. in-8^
So wird uns diese Übersetzung von Jacob, Bibl. dram. I, 23,
zitiert. — Vgl. auch Schweiger, Handbuch^ p. 945 und Brunet V,
287. — Jean-Marie-Louis Coup^ lebte von 1732—1818. Er war Priester
und 'Conservateur des Htres de gSnSalagie ä la BibHothique royctle»^}
8. Thßätre de L. A. S6n6que, traduit (pr.)
par J.-B. Levee (texte en regard), augment6 d'uu
examen de piöces et de notes, par Amaury Duval
et Alexandre Duval. Paris, A. Chasserian, 1822,
3 Tol. in-8«.
Cf. Schweiger, Handbuch, p. 945; Jacob, Bibl. dram, I,
u. fingelmann, Bibl 11,585. Brunet, V, 287, zitiert das Jahr 182S.
9. Tragedies de L. A. S6n^que (Texte en re-
gard), traduction nouv. (pr.), par M. E. Greslou.
Paris, Panchouke, 1834. 3 vol. in-8«.
Vgl. Jacob, BibL dram. I, 24; Brunet V, 287 und Engel-
mann. Bibl. II, 584, welch letzterer noch eine 2. Ausgabe vom Jahre
1863 verzeichnet, besorgt von Cabaret-Dapaty, Paris, 12®.
10. Traduction de Senöque par Th. Savalöte
et Desforges (Collect. Nisard) 1844.
Cf. Engelmann, Bibl. II, 584.
In der italienischen Literatur finden sich folgende
Übersetzungen :
1. Tieste. Tragedia di Seneca tradotta (in
versi sciolti) — in Venezia, per il Giolito 1643
1) Part. I, 297 fr. Die Bände VI— VIU enthalten eine Gesamt.
Übersetzung des Seneca tragicus.
«) Nouv. Biogr. XII, 173/74.
— 17 —
in-B e 1560 in-lS; con altre cinque^) dello stesso
Autore.
2. ivi, per Giambatista e Marchiö Sessa. 1560
in-12.
3. ivi, per Domenico Farri. 1666 iö-8, con
altre cinque di Lodovico Dolce, Veneziano.
So werden uns die drei Ausgaben jener Übersetzung in der
Drammaturgia di Lione Allacci, p. 763, zitiert. Schweiger, Handbuch,
p. 946, gibt drei Ausgaben von 1543, 1547 und 1560 an. Finzi e
Valmaggi, Tav. star.-bibl., p. 72, Brunet V, 287 und ßöhm, Bei-
irägcy p. 20, erwähnen nur die Ausgabe von 1560; fliccoboni, Hist.
4, 2%. it. I, 102, nennt eine von 1545, Jacob, Bibl, dram, IV, 41, die
von 1547, und endlich Klein, Gesch, d. Dr, V, 408, die von 1566.
iiuadrio, Della Staria etc., t. IV = Vol. III (1. T.), 106, gibt fälsch-
licherweise an, daß die Ausgabe von lö60 eine Übersetzung aller Tra-
gödien Seneca's enthalte.
4. Le tragedie di Seneca trasportate in verso
sciolto da] sig. Hettore Nini academico filomato.
Venetia, 1622 in-8.
Vgl. Jacob, Bibl. dram, I, 25, der diese Ausgabe so zitiert; ef.
ferner Riccoboni, HUt. d. Th. it I, 108; Allacci, Lh'amm., p. 763;
Schweiger, Handh., p. 946; Brunet V, 287 und Engelmann,
^td^ II, 585. Letzterer gibt noch eine 2. Auflage vom Jahre 1822 an. —
Über das Leben des Übersetzers berichtet Quadrio kurz: ^Fu questo
Tradutiore Sanese di Fatrij Academico Filomato, e grand^Amico di
Alessa^idro VII.^ ')
B. In den germanischen Literaturen:
In das Englische wurde der Thyestes Seneca's bis
jetzt viermal übertragen:
1. Thyestes, Translated by Jasper Heywood.
•1661. 12^ 1581. 4^
Cf. Biogr. Dram. III, 337.
Dieses »Stück wurde 1581 in der ersten englischen Gesamtübersetzung
Seneca's herausgegeben, die den Titel führt : Seneca bis Tenne Tra-
gedies Translated into £nglish. London. 1581. 4^ Diese
, Übertragung Seneca' s scheint teilweise für Auffährungen bestimmt ge-
') Die 5 anderen sind: Giocatia, Mtdea, Didone^ Ifigenia, Hecuba.
•) Della Storia etc. t. IV = vol. lU (1. T.); 106.
Xünchener Beiträge z. rom. a. engl. Philologie. XXXVII. 2
— 18 —
-wesen zu sein.^) Für die Übertragung de» Thyestes wird von Schweiger,
Cunliffe, dem Diction. of Nation. Biogr. und von Fischer das Jahr 1560
angegeben.*) Die Gesamtübersetzung von 1581 wurde 1887 von der
Spenser Society neu veröffentlicht. — Jasper fleywood, Dichter und
Jesuit, lebte von 1535-1598.»)
2. Thyestes. A Tragedy Translated out of
Seneca to which is added Mock-Thyestes, in
Burleaque. By John W. Gent (Wright). London.
1674. 8^
Cf. The Dram. Works of J. Crowne 11, Pref., p. 8/9, ferner die
Biogr. i>ram. lU, 337 und Schweiger, Handb., p. 944. Die Heraus-
geber Crowne'a sagen in dem oben zitierten Vorwort: "0/" Wright we
have no further account than that he wm a barrister"
3. The Ten Tragedies of Seneca by Watson
Bradshaw, M, D., R. N. London. 1902. 8^
4. The Tragedies of Seneca, rendered into
English Verse by Ella Isabel Harris, Ph. D. (Yale).
London. 1904.*)
Öfter als in die englische Sprache wurde der Thyeste»
ins Deutsche übertragen:
1. Tragische Bühne der Kömer. Aus dem
Latein. (Übersetzt Ton J. W. Rose.) Ansbach
1771 — 81, 3 Bde. 8^ enthaltend die Übersetzungen
der Tragödien des Seneca. Der IL Band bringt
den Thtfcstes.
Cf. Schweiger, Hatidb., p. 943 und Engelmann, BibLJI,b&i.
2. Thyestes, ein Trauerspiel; übers, (in Prosa),
mit einer Einleitung über das Wesen der römi-
schen Tragödie, u. krit. Anmerkgn. begleitet Ton
Frz. Hörn. Nebst dem lat. Texte. Penig. 1802. 8^
Cf. Schweiger, Handb., p. 943 und Engelmann, ^tM. II, 584«
») Vgl. über ihre Entstehung und Treue Cunliffe, 17^ Infi, of
Seneca, p. 3/4; Fischer, Zur KunstentioickL, p. 24 und C reiz enach,
Gesch. d. n. Dr. n, 464/65.
«) Schweiger, JöTandt., p. 944; Cunliffe, The Infi, of Sen., p. S;
Dict. of N. Biogr. XXYl, 329 und Fischer, Zur Kunstentwidd., p. 24.
») Cf. Dict. of N. Biogr. XXVI. 329 ff.
^) In der Einl. spricht Miss Harris auch noch von einer Über*
Setzung aus dem Jahre 1702.
— 19 —
3. Eine Jugendarbeit Uhland's, wahrschein-
lich aus dem Jahre 1802, ist eine Übersetzung des
ThyesieSf welche A. v. Keller (XJhland als Drama-
tiker) publizierte, und zu welcher Düntzer im
Jahre 1893 Nachträge gab.
Cf. Schanz, Gesch. d, röm. Litt II T. II. Hälfte, S. 49.
4. Tragödien der Römer, metr. übersetzt (von
K. Ad. Menzel). Teil 1 (Seneca's Hercules furens,
Thyestes, Agamemnon). Berlin. 1809. 8^
Cf. Schweiger, Handb., p. 943 und Engelmann, BiR II, 584.
5. L. A. Seneca's Tragödien nebst den Frag-
menten der übrigen röm. Tragiker übersetzt und
mit Einleitungen Yersehen von W. A. Swoboda.
Wien u. Prag. 1825. 3 Bde. 8«.
Cf. Schweiger, Handb., p. 944. ßrunet V, 288, u. Engel-
mann, Bihl. 11, 584, geben fdr diese Ausgabe 1821—25 an; letzterer
verzeichnet noch eine Btneuerung des Titels: 1828—30.
6. Seneca, metrisch übersetzt und mit erklär.
Anmerkgn. von Ed. Sommer. 7 Lieferungen.
Dresden. 1834. 12^ Die 2. Lieferung enthält die
Übersetzung des Thyestes,
Cf. Engelmann, Bibl II, 584.
In der niederländischen Literatur gibt es nach den
Angaben von Worp keine vollständige Thyestesübersetzung,
sondern nur ein Bruckstück.*) Spieghel (Heinrich Laurenszon),
der von 1549 — 1612 lebte *), versuchte nämlich, dieses lateini-
sche Stück in seine Muttersprache zu übersetzen, vollendete
aber seine Übertragung nicht oder scheinbar nicht; denn in
seinen Werken befindet sich nur eine Übersetzung des Chors
des II. Aktes der lateinischen Tragödie unter dem Titel
„May-lied" mit der Jahreszahl 1588.^)
Der Thyestes Seneca's ist also in die romanischen und
germanischen Sprachen 27 mal übertragen worden, voraus-
gesetzt, daß die von uns auf S. 13 zitierte kastilianische
*) De Invloed etc, p. 56.
«) Vgl. über Spieghel das Biograph. Woordenboek XVII (2), 903 flf.
') H. L. Spieghel'« Hertspieghel en andere Zedeschriften, Amst.
1694, p. 221.
2*
— 20 —
Handschrift und die UbersetzuBg GrosDefs den Thyestes
enthalten.^) Bevor wir uns nun den modernen Thyestesdramen
zuwenden, müssen wir uns zunächst mit deren Hauptqaelleo,
nämlich mit der Tragödie Seneca's und der 88. Fabel
Hygin's bekannt machen.
III, Inhaltsangabe des Thyestes von
L. A. Seneca.
I. Akt.
(Ort der Handlung ist während des ganzen Stückes der Palast
des Atreus in Argos.)
Noch vor Tagesanbruch wird der Geist dee Tantalus von
einer Furie aus der Unterwelt in den Palast des Atreus ge-
trieben, um diesen seinen Enkel zur Rache gegen Th^'estes
aufzureizen. Als Tantalus erfährt, daß Atreus die Kinder
des Thyestes schlachten und ihrem Vater als Speise vorsetzen
soll, da kommen ihm die Qualen der Hölle gegen solche
Greuel gering vor, und lieber möchte er sofort wieder in die
Unterwelt hinabsteigen als solche Frevel veranlassen. Doch
die Furie zwingt ihn mit einer Peitsche, zu bleiben. Der
') In der romanischen und germanischen Literatur wurde auch die
Fabel von Atreus und Thyest viermal parodiert. In der französischen
Literatur haben wir folgende zwei Parodien:
1. Ätrie et Thyeste^ eine von einem anonymen Verfasser herrfihreode
Parodie des Crebillon 'sehen Stückes. Im J. 1709 wurde sie von der
Troupe de Seiles aufgeführt, aber nie gedruckt.
Cf Parfaict, I>ict du Th. I, 322.
2. £ine Parodie des jEgyste von Seguineau und Pralard
wurde im Marionettentheater zum Besten gegeben; ihre Verfasser
nannten sich Sagouineau und Braillard.
Cf. Anecd. dram. I, 292,
Den Mock'Thyestea von J. Wright haben wir scibon auf S. IH
zitiert. Vgl. über diese Parodie Genest, Some Account etc. X, 143.
Im Jahre 1768 ließ Bodmer in seinen neuen tAie«tr. Werken
eine Parodie des WeÜlc'solien Stückes unter dem Titel Atrm» u. Thyest
erscheinen, die von Klotz in der Deutioh. Bibl d. »Mn. Wimmgeh, U
(ö. St.), 104 ff., gerechterweise gebrandmarkt wird.
— 21 -
Palast erbebt bei der Berührung mit dem höllischen Geiste,
und die gesamte Natur entsetzt sich über die Gegenwart des
yerbrecherischen Schattens. Erst als dieser das Haus mit
seiner ansteckenden Wut erfüllt hat, kehrt die Furie wieder
mit ihm in die Unterwelt zurück.
Der Chor bittet die Gottheiten des Pelopouneses, doch
dem Zorne und den Verbrechen der Pelopiden Einhalt zu
gebieten und malt die Greueltaten des Tantalus.
IL Akt
Aufs tiefste empört über den ehebrecherischen Verkehr
seines Weibes mit Thyestes, faßt Atreus den furchtbaren
Plan, sich an seinem Bruder zu rächen und ihm die eigenen
im Ehebruch erzeugten Söhne als Speise vorzusetzen. Zu
diesem Zwecke will der Pelopide den Thyestes durch seine
Söhne Agamemnon und Menelaus, die ihm seine Gemahlin
^rope TOr ihrer Untreue geboren, von der Verbannung zu-
rückrufen lassen und mit der trügerischen Nachricht anlocken,
er wolle mit ihm gemeinsam und friedlich das Reich regieren
und ihm für immer seine Schandtaten verzeihen. Der Ver-
traute sucht den Atreus milder zu stimmen und hält ihm die
Unmoral seiner Absichten vor Augen. Der Sohn des Pelops
aber bleibt bei seinem Vorhaben und fordert schließlich den
Vertrauten zu strengster Verschwiegenheit auf.
Der Chor, der den Ehrgeiz der Herrscher tadelt, meint,
daß das wahre Glück nicht in den Königspalästen wohne,
sondern in der Zufriedenheit und Zurückgezogenheit liege.
IIL Akt.
Dem Rufe seines Bruders Folge leistend, trifft Thyestes
mit seinen drei Söhnen : Plisthenes, Tantalus und einem noch
unmündigen am Palaste des Atreus ein. Beim Anblick seiner
Vaterstadt mit ihren altehrwürdigen Cyklopentürmen wird er
freudig bewegt; bald wird ganz Argos ihm entgegenkommen,
aber — wehe! auch Atreus wird dabei sein. Bei der Er-
innerung an seinen Bruder möchte er wieder in die Wälder
zurückkehren, wo er sich, obwohl verbannt, dennoch glücklicher,
weil freier von Schuld, gefühlt hat, als auf dem mit falschem
— 22 —
Glänze umgebenen Königsthrone. Doch durch die Bitten
des Plisthenes ^) läßt er sich dazu bewegen, sich dem Palaste
zu nähern.
Von Atreus aufs freundlichste empfangen, bietet ihm
Thyestes kniefällig seine Söhne als Geiseln an (2. Sz.). Der
gleisnerische Atreus fordert seinen Bruder und dessen Söhne
auf, ihn zu umarmen, und bittet den Thyestes, sein ab-
getragenes Bettlergewand mit dem königlichen Purpur zu
vertauschen und die Regierung mit ihm zu teilen — alles
soll vergessen sein! Thyestes weigert sich anfangs, das An-
erbieten anzunehmen, läßt sich aber schließlich doch dazu
überreden.
Der Chor preist die Wohltaten des so heiß und lang er-
sehnten Friedens, der für Argos außerordentlich schnell ge-
kommen sei, gerade wie bisweilen das heiterste Wetter sehr
rasch auf einen entsetzlich tobenden Sturm folge : Nichts unter
der Sonne bleibt ewig in demselben Zustande. Auf Glück
folgt Unglück und umgekehrt: 7tdv%a gel,
IV. Akt.
Ein Bote erzählt dem Chore, daß Atreus in dem hinter
dem Palaste gelegenen, in ewige Nacht getauchten und von
Gespenstern häufig heimgesuchten, heiligen Haine grausamer-
weise die Söhne seines Bruders unter Beobachtung der Opfer-
zeremonien geschlachtet, gebraten und ihr Fleisch seinem
Bruder, also ihrem eigenen Vater, zur Speise und ihr Blut
zum Tranke vorgesetzt habe. Die Sonne habe sich, obgleich
zu spät, aus Abscheu abgewendet.
Durch den allzu frühen Untergang der Sonne geängstigt,
fürchtet der Chor, daß das ganze Gebäude des Weltalls ein-
stürzen könnte. Dabei wird der Untergang der Himmels-
körper des Tierkreises beschrieben.
V. Akt.
Atreus tritt allein auf und gibt seiner Freude über das
teilweise Gelingen seines Kacheplanes Ausdruck. Thyestes
*) Diese Worte werden bei Leo dem Tantalus zugewiesen; die
späteren Nachahmungen stimmen mit den älteren Ausgaben überein.
— 23 —
hat zwar schon vom Fleische seiner Söhne gegessen, aber noch
nicht von ihrem Blute getrunken. Auch das soll ihm nicht
«rspart bleiben. Schon freut sich Atreus auf den Augenblick,
wo seinem Bruder die Entsetzlichkeit der Bache zum Bewußt-
sein kommen werde; er läßt die Tore des Palastes öffnen:
In halbtrunkenem Zustande kommt Thyestes singend herbei,
doch kann er sich eigentümlicher, unheilvoller Gedanken nicht
erwehren; seine Haare stehen ihm zu Berge. Atreus lädt
ihn ein, zur Bekräftigung der Versöhnung aus dem Tan-
talidenpokale zu trinken. Thyestes setzt den mit dem Blute
seiner Söhne gefüllten Becher zum Trünke an die Lippen — ,
als plötzlich die Lichter erlöschen, die Sonne sich verfinstert,
der Donner rollt, und die Tafel in Trümmern auf den
zitternden Boden stürzt. Thyestes wird von furchtbarem
Entsetzen ergriffen: der Wein weicht von seinen Lippen
zurück, seine Hand vermag den schwerer und schwerer werden-
den Pokal kaum noch zu halten. Etwas Grauenhaftes muß
sich ereignet haben. Thyestes gedenkt seiner Söhne und ver-
langt nach ihnen. Da zeigt ihm Atreus deren blutige Über-
reste. Auf die höhnische Frage des Atreus, ob er in ihnen
nicht seine Söhne erkenne, antwoilet Thyestes: „Ich erkenne
in dir meinen Bruder." In zynischer Weise gibt ihm Atreus
zu verstehen, daß er alles Übrige Ton seinen Söhnen in seinem
Leibe habe, daß er also mit seinen Kindern, nach denen es
ihn so heiß verlange, unzertrennlich vereint sei. In furcht-
barem Schmerze bittet Thyestes den Wüterich, doch auch
ihn zu töten, nimmt aber sofort wieder seine Bitte zurück,
um seine Kinder in seinem Leibe zu schonen. Dann ruft
der Unglückliche die Blitze der Götter auf sie beide oder
doch wenigstens auf sich selber herab ; aber auch diese Bitte
bleibt unerhört. Atreus spricht den Verdacht %us, daß
Thyestes ihn ganz sicher auch mit Menelaus und Agamemnon
auf dieselbe Weise regaliert haben würde, wenn er nicht hätte
fürchten müssen, sie seien am Ende seine eigenen Söhne.
In seiner Hilflosigkeit ruft Thyestes die Strafe der Götter
auf das Haupt seines Bruders herab.
— 24 —
IV. Inhaltsangabe der 88. Fabel Hygin's.')
Thyestes, der nach dem entsetzlichen Bacheakte des Atreas
zum Könige Thesprotus geflohen ist, kommt nach Sikyon
und vergewaltigt dort zur Nachtzeit seine eigene Tochter
Pelopia, eine Priesterin der Minerva, ohne sie zu erkennen.
Diese entreißt ihm bei der Freveltat das Schwert und verbirgt
es behutsam. Am nächsten Tage nimmt Thyestes Abschied
von Thesprotus.
Inzwischen ist in ArgosPest und Hungersnot ausgebrochen;
auf einen Orakelspruch hin, der die Zurückberufung des
Thyestes verlangt, kommt Atreus zum König Thesprotus, bei
djem er seinen Bruder vermutet, mit dem Vorhaben, diesen
in sein Reich zurückzufuhren. Bei Thesprotus verliebt sich
Atreus in Pelopia, die er fiir des Königs Tochter ansieht,
und nimmt sie als sein Weib mit nach Argos. Dort gebiert
Pelopia den jEgisthus, den sie von ihrem Vergewaltiger
empfangen hatte, den aber Atreus für seinen eigenen Sohn hält.
Als ^gisthus zum Jüngling herangewachsen ist, treffen
Agamemnon und Menelaus in Delphi zufallig den Thyestes,
nehmen ihn gefangen und bringen ihn zu ihrem Vater Atreas.
Dieser befiehlt dem iEgisthus, den Thyestes zu ermorden.
Als nun der Jüngling das Geheiß seines vermeintlichen Vaters
ausfuhren will, erblickt Thyestes sein altes Schwert wieder,
wodurch die Erkennung zustande kommt, und die gräßliche
Blutschande offenbar wird. Pelopia tötet sich selbst. jEgisthus
ermordet den Atreus am Flußufer und wird mit seinem Vater
Erbe des Thrones.
*) Siehe den lateinischen Text dieser Fabel im Anhange.
Nachahmungen und Bearbeitungen.
A. Gesamtflbersicht der wichtigsten Atreus- und
Thyestestragodien in den romanischen und germanischem
Literaturen.
Titel
Verfasser
1. Ausgabe
bzw. Abfassungszeit
Le Thyeste
Monleon
Paris. 1633. 4».
Thyestes
Crowne (John)
London. 1681. 4^
Atree et Thyeste
Crebillon
Paris. 1707. 12».
JEgyBte
Seguineau u.Pralard
1721 (nicht gedr.).
Pelopee
Pellegrin
Paris. 1733. 8^
Atree, tragedie
p
zw. 1733 u. 1758 (nicht
lyrique
gedr.).
Atreus und Thyest
Weiße (Chr. F.)
Leipzig. 1766. 8«
Les Pelopides'
Voltaire
Lausanne. 1772. 8^
Tieste
Foscolö
Venezia. 1797. 8«.
.E r 0 p e
Müller (Joh. W.)
Heidelberg. 1824. S«.
Atreo
Viriani
Lucca. 18a3. 8».
In den romanischen und germanischen Literaturen gibt
es also 11 namhafte Atreus- und Thyestestragödien und zwar
6 französische, 2 italienische, 1 englische und 2 deutsche.^).
*) Wir sahen ans gezwungen, den von versefaiedenen Autoren ge-
nannten Thyeste von Pousset de Montauban von unserer Liste
MMZuschalten, da es äufierst zweifelhaft ist, ob dieses Stück je existiert
hat (Tgl. hierüber S. 4, ö, 7—10 dieser Arbeit, ferner La ValH^re, BiM.
an Th. fr. III, 40; Anecä. dram. II, 222 u. III, 366 u. Annale« dram.
VI, 364). Der von La Barrera y Leirado, Catdlogo Bibl, p. 529,
— 26 —
Hinsichtlich der TragMie lyrique d'Atree ist zu bemerken,
daß deren Verfasser die Pelopee Peilegrin's gekannt haben
muß.*) Da nun D'Alembert seinen Brief, in dem er die lyrische
Tragödie erwähnt^), wahrscheinlich im Jahre 1758 schrieb'),
so liegt die Entstehungszeit dieses Stückes zwischen 1733
und 1758.
Was die Pelopides von Voltaire betrifft, so wurde dieses
Stück in den letzten Monaten des Jahres 1771 gedruckt*],
wenn es auch erst zu Anfang 1772 zur Ausgabe gelangte.^]
zitierte Atreo desdichado hat mit unserem Thema nichts gemein, da der
Held jenes Schauspiels nicht etwa Atreus der Felopide. sondern ein
armenischer Prinz dieses Namens ist (cf. Schaeffer, Oeftch, des Span.
Natmidr, I, 460). Das im Dict. of Old Engl. Plays, p. 192, verzeichnete
Stück Pelopidarum 8ecu7ida kann kein Atreus- und Thyestesdrama ge-
nannt werden, da die ganze Nachkommenschaft und Verwandtschaft des
Pelops, nämlich Atreus, Thyestes, Clytemnestra, ^gisthus, Agamemnon,
Electra, Orestes, Pylades, Hipparchos, Eurybates, Cassandra etc. daria
als handelnde Personen vorkommen. Es gibt außerdem noch im Eng-
lischen einen Atreus and Thyestes. An unacted tragedy (1S21) adapted
by Sinnett from the French of Crehillon (cf. Genest, Some Account etc.
X, 235/36 und Adams, Dict. of the Ih'ama I, 90j. Aber dies ist
natürlich nur eine freie Übersetzung der Crebillon'schen Tragödie.
Genau dasselbe gilt auch von den auf p. 176;77 des ersten Teiles des
Catalogus van de Bibliothek der Maatschappij van Nederlandsche Letter-
künde namhaft gemachten Atreusdramen von F. Hyk, der „vervaardigde
en vertaalde een aantal tooneelspielen uit het fransch zoo als . . . Atreus
en Thyestes" (cf. Biogi: Woordenboek XVI, 606).
*) Cf. S. 100 ff.
«) Cf. (Euvres philos., histor. et littSr, V, 329.
■J Der Brief D'Alembert's trägt zwar kein Datum. Da er jedocli
ein vom 20. März 1758 datiertes Schreiben Kousseau's beantwortet, so
dürfen wir wohl annehmen, daß er noch in demselben Jahre geschrie-
ben wurde. Cf. D'Alembert, (Euvres philos, etc. V, 301 ff., 309 ftl
und 329.
*) Ed. 1877 {Avcrt des Ed. de Ved. de K.) p. 102 A. 1: •Voltairt
corrigea les Pelopides et Us fit imprimer ä la fin de 1771. La Corre-
spondance de Grimm en parle dis janvier 1772. Les Pilopides avaient ete
imprimes dans le tome XII des Nouveaux MelangeSf qui portent le mU-
lesime 1772.»
») Freron, Annee litt. (1772) II, 3; Anecd. dram. II, 447; FetiU
Bibl. d. Th.: Cliefs-dCEum-e de Creh.: Jug. et Anecd., p. XI; A^n. dram.
VIII, 274; Delandine, Bibl. dramat., p. 434; Querard, La France-
litt. X, 320 und Bengesco, Bibliographie IV, 83.
— 27 —
B. Englische Literatur.
Der Thyestes von John Crowne^) (1681).
Die Quelle von Crowne's Tragödie ist der Thyestes
Seneca's. Darauf haben schon Langbaine, die Biographia
Dramatica und Genest hingewiesen.-) Letzterer beschäftigt
sich ziemlich eingehend mit Crowne's Tragödie, gibt eine
Inhaltsangabe des lateinischen Originals und der englischen
Nachbildung und meint zum Schluß, Crowne habe einige
Stellen aus Seneca sehr gut übersetzt. Die Herausgeber
Crowne's vom Jahre 1874 sagen sogar, die englische Tragödie
sei bis zu einem gewissen Grade eine Übertragung des lateini-
schen Stückes.^) Chambers endlich bemerkt nur ganz kurz,
*) Vgl. über das Leben des Dichters das Biet of Xat. Biogr.
Xin, 243—45.
•) Langbaine, Account ^ S. 97: "TÄc plot of this Play is founded
on Seneca' 8 TJiyestes, and seems to he an Imitation of that Flay. I know
not ichether our Author ever saio the Italian play on this aubject, written
by Ludovicus Ducis, wJiich ia commended by Delrio, or the French Tra-
gexlies of Boland Brisset, and Benoist Bauduyn: but I doubt not biit
this Play may vie icith either of thtm: at hast the French Plays , which
in the opinion of some, are very mean." Wir wissen, dal{ die von
Langbaine zitierten Stücke nur Übersetzungen des lateinischen Originals
sind. Die Biogi: Dram. III, 337 sagt von dem englischen Thyestes-,
**Tlie foundation of it is laid in Seneca^s tragedy, and Crowne hos in
some tneasnre imitated that autJtor in the superstructure. Tliere are,
howeverj tico plays 07i the sarhe subject, the one in French, the other in
Spanish; but how far our author hos been obliged to either of them we
know not, neither of them having fallen in our toayJ^ Das französische und
das spanische Stück sind natürlich nur Übertragungen der Tragödie
Seneca's; der Thyeste Monleon's wird hierbei wohl nicht in Betracht
kommen, da er nur wenig bekannt war. Genest teilt uns in seinem
Account of the English Stage I, 292^/93 folgendes mit: ". . . The Thyestes
of Seneca^ on which Crown has founded this T. — , a stranger subject
was surely never chosen for a modern play; Crown has however managed
the story much better than couM Juive been expected, and vastly better
than Seneca. . . Crown lias translated some passages from Seneca very weil.''
*) jHie Dram. Works of J. Crowne II, 7: "7^ is partly founded on
the Thyestes of Seneca; indeed to a certain extent is a translation, uith
alterations and modifications made with a rieir to render it more adopted
for representation o?i the English Stage.''
— 28 —
daß Crowne's Thyesks auf die Tragödie Seneca's zurück-
gehe.^)
Da also das VerhältoiB des englischen Dichters zu seinem
Vorbilde noch nicht völlig geklärt ist, so wollen wir uns der
Aufgabe unterziehen, eine genaue Untersuchung über die von
Crowne benutzten Quellen anzustellen. Wir schicken die Be-
merkung voraus, daß die erste Quartausgabe von 1681, deren
Text und Orthographie wir folgen werden, eine sehr ver-
worrene Szeneneinteilung aufweist, welche in der Ausgabe
von 1874 ' in mancher Hinsicht gebessert worden ist. Wir
werden deshalb die Szeneneinteilung der neueren Ausgabe zu-
grunde legen, dabei aber zur größeren Übersicht in den
einzelnen Szenen noch verschiedene Teile unterscheiden.
Eine kurze Inhaltsangabe mache uns zunächst mit der
Tragödie näher bekannt.
Atreus, dessen Zorn gegen Thyestes von dem durch
JMegara aus der Hölle in den Palast getriebenen Geist des
Tantalus entfacht worden ist, will sich endlich an seinem
Bruder rächen, der seine Gemahlin ^rope verfahrt hat, wie
Atreus glaubt. In Wirklichkeit hat Thyestes die JErope ver-
gewaltigt, und als Frucht dieser Tat war Philistbenes ent-
sprossen. Dieser Jüngling, der mit seinem Vater Thyeste» ver-
trieben worden war, hält sich in einer nahen Höhle auf, wo ihn
Antigone, die Tochter des Atreus und der JErope, also seine
Halbschwester, öfters besucht, da sie ihn leidenschaftlich liebt.
Beide haben eine Flucht von einem versteckten Hafen aus
geplant und wollen dieselbe gerade ins Werk setzen^ als
Philistbenes von den Wachen des Atreus ergriffen und zu
dem wütenden Pelopiden geschleppt wird. Dieser jedoch ver-
stellt sich, heuchelt, ihm gegenüber Versöhnung, verspricht
ihm die Hand der Antigone und läßt den Thyestes zurück-
rufen. Der gleisnerische Atreus empfängt seinen Srudef in
liebenswürdiger Weise, bietet ihm die Hälfte seines Eeiches
an und nimmt die ^Erope, die lange Zeit im Kerker ge-
schmachtet bat, als sein Weib wieder auf; heute noch soll
die Vermählung zwischen Philistbenes und Antigone statt-
') Cyrl of Engl Lit II, 89.
— 29 —
finden! Nach den Hochzeiiszeremonien ermordet jedoch
Atreus *den Jüngling und regaliert mit dessen Fleisch und Blut
den Thyestes. Beim Trii^ken merkt letzterer die abscheuliche
Bache, ^rope tötet den verhaßten Thyestes, dann sich selbst.
Auch Antigoue macht ihrem Leben ein jähes Ende.
I. Akt.
1. Szene.
Ort der Handlung: Der Palast des Atreus in Argos.
1. Teil. 3Iegara hat den Geist des Tantalus von der Unterwelt
mit einer Peitsche in den Palast des Atreas getrieben, damit er das
fiaus seiner Nachkommen mit Mord erfülle. £s sind zwar schon große
Verbrechen geschehen; denn
""Brother whar'd Brother'g Wife, . . .
Brother depos'd hi» Broiher from his Thrane^
aber noch ist kein Blut geflossen. Tantalns soll nun eine solche Mordtat
in seinem Palaste verursachen, daH die Schlanf^en der Furie Beifall
zischen. Es soll: **The FatJier tat the Ncphcw he hegot:' Der Geist des
Tantalus will lieber in die Hölle zurückkehren als solche Scheußlich-
keiten veranlassen. Doch die Furie zwingt ihn mit ihrer Peitsche zum
Gehorsam. Sie zeigt ihm den in unruhigem Schlafe daliegenden Atreus.
Der zitternde Schatten des Tantalus entfernt sich, um den Palast mit
seinem Atem zu erfüllen. Während seiner Abwesenheit schildert die
Furie die schreckliche Wirkung des Tantalus auf die Natur. Nach dessen
Rückkehr beginnt Atreus, sich vom Schlafe zu erheben, und die beiden
Geister steigen in die Hölle hinab.
Crown e hat hier den ersten Akt des lateinischen Originals
genau nachgeahmt ; denn hier wie dort wird der sich sträubende
Geist des Tantalus von einer Furie, die mit Schlangenhaaren
und einer Peitsche bewaffnet ist, gezwungen, den Palast seines
Enkels mit Verbrechen zu füllen. Dabei hat sich Crowne
auch sehr genau an den lateinischen Text gehalten, ja ihn
teilweise direkt übersetzt. Wir wollen die betreffenden Stellen
vergleichshalber hierhersetzen.
Tant. : To what new Colonies of mocking Fruits,
And vaoishing false Stroms, dost thou transplant
The Hungry, Thirsty Shade of Tantalus?
Sen. V. 1 ff. Tant. :
Quis inferorum sede ab infanata extrahit
avido fugaces ore captantem cibos,
— 30 —
qnia male deorum Tantalo visas domos
ostendit iterum? peius inFentum est siti
arente in nndis aliquid et peius fame
hiante sempet'?
Mag. : The Bastard Nephew go out of the World
A way more horrid than he came into it.
Sen. V. 41/42 für.: . . . liberi pereant male,
peius tarnen nascantur.
Meg. : Let the vast Villany of thy damn'd Race
Reach, aud confound the Heavens, make the Night
Engender with the Day; the groaning Day
Bring forth Gygantick darkness at füll Nood,
Such as for hours may pluck the Sun from HeaTen.
At this black Peast, I'le let thee be a Guest,
Devour thy fiU in quiet, when thy Cup
Flowes with the Blood of thy incestuous Race,
Nothing shall dare to snatch it from thy Lips.
Sen. V. 48 £F. Für.: non sit a yestris malis
immune caelum . . .
Nox alia fiat, excidat caelo dies.
Sen. V. 62 S, Für. : ... non novi sceleris tibi
conviva venies. liberum dedimus diem
tuamque ad istas solvimus mensas famem:
ieiunia exple, mixtus in Bacchum cruor
spectante te potetur. . . .
Tant.: Return me to my dark dire Prison in Hell,
And all you tortur'd Spirits hug your pains.
Sen. V. 70fr. Tant:
abire in atrum carceris liceat mei
cubile . . .
quicumque poenas lege fatorum datas
pati iuberis, . . .
credite experto mihi,
amate poenas.
— 31 —
Tant.: Oh! Hold thy gnawing Whip,
I will obey.
Sen. V. 96 Tant, :
quid ora terres verbere . . .?
V. 100 Tant. :
seqaor.
Megara sagt yon Atreus:
He rowls bis time, as Sisiphus bis stone.
Sen. Y. 6/7 Taut. : ... Sisypbi numquid lapis
gestandus . . .
Meg. : Tbe trembling Sbade obeys, and pours bimself
Into tbe palace, wbicb sbakes more tban be.
Nature's diseas'd and scar'd at bis approacb;
Trees sbed tbeir Leaves, as poyson'd men tbeir Hair ;
Streams crowd into their Motber-Fountain's Womb;
Tbe Seas tbat bung on tbe Corintbian Neck,
Like Rival Queens in endless interview,
Sweird witb Convulsion Fits, run foaming back,
And in tbeir frigbt miscarry of new Isles.
Winds scowre tbe Air like Midnigbt Keyellers,
Mad witb strong Spirits tbey ne're drunk before.
Sen. y. 101 ff. Für. :
Hunc, bunc furorem diyide in totam domum! . . .
sentit introitus tuos
domus et nefando tota contactu borruit . . .
iam tuum maestae pedem
terrae grayantur: cemis ut fontes liquor
introrsus actus linquat, ut ripae vacent
yentusque raras igneus nubes {erat?
pallescit omnis arbor ac nudus stetit
fugiente pomo ramus, et qua ßuetibus
illinc propinquis Istbmos atque illinc fremit
yicina gracili dividens terra vada,
longe remotos litus exaudit sonos.
Meg.: Nigbt . . .
. . . calls tbe Moming up, Morn dares not risc^
But like a timerous Virgin lower creeps.
— 32 —
Sen. V. 120/21 Für. :
en ipse Titan dabitat an iabeat Bequi
cogatque habenis ire periturum diem.
Meg. : Descend to Hell.
Sen. V. 105 Für. : gradere ad infemos specus.
Namentlich die zaletzt angeführten Verse der Megan
zeigen, wie geschickt der Dichter den lateinischen Text
wiederzugeben versieht.
2. Teil. Atreas steht von seinem Lager auf und flucht den ForieiL
die ihm den Schlummer geraubt haben; dann nepnt er sich «elbst einen
Terachtungswürdigen, entnervten, mutlosen Schurken, da er an seinem
Bruder noch keine Rache genommen habe.
Dieser Teil ist eine Nachahmung der Einleitung des
II. Aktes des lateinischen Originals, wo auch Atreus (aller-
dings seinem Vertrauten gegenüber) in langem Monologe seine
Wut über die noch nicht vollzogene Rache an Thyestes aus-
drückt. Bei Crowne sagt Atreus:
"Want of revenge is pain enough for me.
Till revenge crowns me, I am still depos'd,
A Contemn'd, Artless, Nerveless, Spiritless Slave,
A loaded emptyness, on which my Brother
Like a God, hangs an üniverse of wrongs."
Sen. V. 176 ff. Atr.:
Ignave, iners, enervis, et (quod maximum
probrum tyranno rebus in summis reor)
inulte, post tot scelera, post fratris dolos
fasque omne ruptum questibus vanis agis
iratus Atreus?
Nach diesen Worten befiehlt Atreus einem Diener, den Thyesta
in Stücke zerrissen herbeizubringen; sonst werde er ihn und alle seine
Diener aufhängen.
Dabei erinnern die frevleriscben Worte des Pelopiden:
'<By Tantalus, my wicked Grrandfather
Who fear'd no Gods, by my more wicked seif,
Who have no fear of Gods, or Men, or Devils,
Bring me Thyestes . . /'
an den Atreus Seneca's, der auch im V. Akte sagt: (v. 888)
dimitto superos . . .
— 33 —
Ein zweiter Diener, Tereus, der über Thyestes keine Nachrieht
geben kann, wird hierauf mit noch einem anderen Sklaven Ton dem
wütenden Pelopiden kurzerhand erstochen.
Die hierbei von Atreus gesprochenen Worte:
"Brib'd by Thyestes, you are all his Slaves,
He governs here in Argos and not I;
I am his Slave, poor Slave, I have not Wealth
Enongh, to purchase from his Head one Hair;
Yet he oan buy my Peace, my Throne, my Wife"
gleichen den folgenden, die der Pelopide bei Seneca (II. Akt)
vor seinem Vertrauten ausruft (v. 237 ff.):
per regna trepidus exul erravi mea,
pars nuUa generis tuta ab insidiis vacat,
corrupta conianx, imperi quassa est Gdes.
3. Teil. Antigone kommt mit ihren beiden kieioeB Brüdern Aga-
memnon und Henelaoa au ihrem Vater, der sie allerdings in einer jeg-
lichem Sittengesetze Hohn sprechenden Weise empfängt. Der Wüterich
■eheut sich nicht, seiner Tochter ins Gesicht lu sagen, er zweifle an
ihrer und ihrer Brüder Legitimität.
Seine Worte:
^By Heavens, thy Mother was so rank a Whore,
Tbat it is more thaa all the Gods can teil
Wbat share of thee is mine"
Bind eine Umschreibung von dubius sanguis est (Atr. bei
Sen. n. 240).
Die beiden unmündigen Einder nennt er ^eruptiops of a bunung
Whore, more hot than ^tna". Antigone sucht ihn mit dem Hinweis
zu beschwichtigen, daß doch ihre Mutter erst nach ihrer (der Antigone)
und ihrer Brüder Geburt das Antlitz des Thyestes gesehen habe. Er
aber nimmt an, sein Weib habe sich auch anderen Männern hingegeben.
Da kommt mit einem Maie seine Liebe zu ^Crope zum Ausbruch; er
glaubt, mit einer Furie hätte er nicht die Hölle gefunden, die ihm sein
Weib bereitet habe. Und als dann Antigone ihn bittet, lieber seine
Gemahlin zu strafen als den Thyestes, wenn sie wirklich so schuld-
befleckt sei, wird Atreus zu Tränen gerührt. Doch diese milde Stimmung
schlägt bald wieder um, und der Pelopide bricht hierauf nur in eine
um so größere Wut aus, fordert seine Tochter auf, sich mit ihren Bastard-
brüdem schleunigst au entfernen, sonst werde er ihnen das Gehirn zer-
schmettern. Peneus^) gibt der Antigone den Rat, sich in den Willen
*) Der Erzieher des Atreus.
Mttnchener Beiträge z. rom. u. engl. Philologie. XXXVII. 3
— 34 —
ihres Vaters zu fügen. Zugleich bedeutet er ihr, daß die Sterne ihr
wohl Unheil, den Kindern jedoch Heil verkündet hätten; denn sie
würden einst, so sagten die Orakel, ein berühmtes Reich zerstören —
aber erst nach vorausgegangenem Unglück. Daraufhin entfernt sich
Antigone mit ihren kleinen Brüdern.
In dieser Szene spricht also Atreus den Verdacht, welchen
er bezüglich der Geburt seiner Kinder hegt, auch diesen gegen-
über aus, während er bei Seneca nur vor seinem Vertrauten
und seinem Bruder darüber redet.*) Der lateinische Dichter
ist also in dieser Beziehung dezenter als Crowne.
Zum Unterschied von Seneca läßt dieser den Atreus za
Tränen gerührt werden, was sich eigentlich mit einem solchen
Charakter nicht leicht vertragen dürfte.
4. Teil. Nachdem der Felopide seinen ehemaligen Lehrer mit
dem wenig herzlichen Gruße ,,alter Narr!" empfangen hat, beginnt
Peneus, den hohen Wert der Tugend zu preisen. Dann fleht er seinen
König um Mitleid mit seinen Untertanen an, die doch das Verbrechen
des Thyestes keineswegs verschuldet hatten. Doch Atreos will weder
von Tugend noch von 31ilde etwas wissen. Sein Volk halt den Thyestes
verborgen, darum wird es bestraft. Von neuem regt sich in dem Felo-
piden die Wut gegen seinen Bruder. Er will sich an Thyestes auf eine
das Tantalidengeschlecht ehrende Weise rächen, ohne sich auch nur im
geringsten an das Urteil der Menge zu kehren. Mit seinen Heeren
will er ganz Griechenland überschwemmen und seine Städte den Furien
überlassen. Wutschnaubend und nach Waffen schreiend eilt er davon.
Dieser 4. Teil ist eine Nachahmung des IL Aktes der
lateinischen Tragödie, wo auch Atreus vor seinem Vertrauten,
der wie hier Peneus des Pelopiden Wut kühlen möchte, die*
^) Zum satelles sagt er:
V. 240 . . . dubius sanguis est; femer
V. 327 ff. prolis incertae fides
ex hoc petatur scelere: si bella abnuunt
et gerere nolunt odia, si patraum vocant,
pater est.
Zu Thyestes spricht er im V. Akte:
V. 1106 ff. ... f aerat hie animus tibi
instruere similes inscio fratri cibos
et adiuvante liberos matre aggredi
similique leto sternere — hoc unum obstitit:
tuos putasti.
— 35 —
selben Rachegedanken ausspricht, nur daß er dort schon jenen
gräßlichen Plan faßt, den er zum Schlüsse ausführen wird.
Ferner dürfen wir in Peneus nicht den Vertrauten des Atreus
erblicken. Der Verdacht des Königs, seine Untertanen würden
Thyestes verbergen, und sein Befehl:
"Ho! there! bid Mycenae get in Arms,
I will pour all my Kingdom upon Greece"
sind von Crowne den folgenden Worten des Atreus bei Seneca
entnommen :
V. 185 ff. non silvae tegant
hostem nee altis montium structae iugis
arces; relictis bellicum totus canat
populus Mycenis, quisquis invisum caput
tegit ac tuetur, clade funesta occidat.
Außerdem finden sich in diesem Auftritte noch einige
aus Seneca direkt übersetzte Stellen:
Atr.: let our fara'd
Great House Pelops tumble on my head.
Sen. II, 190/91 Atr.:
haec ipsa pollens incliti Pelopis domus
ruat vel in me.
Atr.: I wou'd do all that Villany to him
That he can only wish were done to me.
Sen. II, 193 ff. Atr.: aliquod audendum est nefas
atrox, cruentum, tale quod frater mens
suum esse mallet.
Pen.: What will your People say?
Atr. : I'le make them say
What I command.
Pen.: Falshoods perhaps you raay.
Atr. : That is the great Prerogative of Power
To tax the World for Praise as well as Coin,
I'le make 'em praise my actions good or bad.
Sen. II, 204 ff. Sat.: Fama te populi nihil
adversa terret?
3*
— 36 —
Atr.: Maximum hoc regni boaum est,
quod facta domini cogitur popohis soi
tarn ferre quam laudare.
Pen.: What will you do?
Atr.: I know not what,
Se mething that all the Gods shall tremble at.
Sen. II, 265/66 Atr. : ... fiat hoc, fiat nefas
quod, di, timetis.
5. Teil. Feaeos bleibt eine Weile zurück und preist das itilk
Glück, das er in seiner Bescbeidenlieit genießt, und bedauert die
Mächtigen, deren Leben voll von Sorgen sei.
Dieser Monolog ist eine freie Übersetzung der letzten
Verse des Chorgesanges, welcher bei Seneca den II. Akt ab-
schließt. Überhaupt hat Crowne seinen Peneus zum Träger
jener Gedanken gemacht, welche er einesteils dem VerirauteiL
andemteils dem Chore des lateinischen Originals entnahm.
Schon dem Atreus gegenüber ließ Peneus einige hierher ge-
hörige Worte fallen, deren Zitierung wir uns jedoch ersparen
dürfen, da sie stark an den Sinn dieses Monologs anklingen,
den wir mit den betreffenden lateinischen Versen yergleichen
wollen :
How miserable a thxng is a great man?
Take noysie vexing greatnese they that please,
G^ve me obscure, and safe, and siient ease:
Acquaintance and Commerce let me have none,
With any powerful thing, but time alone:
My rest let time be fearful to offend,
And creep by me, as by a slumb^ring Fiend;
Till with ease glutted, to my Giave I steal,
As men to sleep after a pleatious Meal.
Oh! wretched he! who call'd abroad by power,
To know one seif can nerer find an hour.
Strange to himaelf, but to all others known,
Lends every one bis Life, and uses none.
So e're he tasted Life, to Death he goes,
And himself loses, e're himself he knowa.
-^ 37 —
Sen.v. 391 ff. Chor: Stet quicumque rolet potens
aulae culmine lubrico:
me dttlcis saturet qaks;
obscuro positoB loco
leni perfmar otio, i
Dullis Dota Quiritibus '
aetas per tacitum fluat.
sie cum traneierint mei
nuUo cum stxepita dies,
plebeins moriar seoez.
illi mors gravis incubat
qui, Dotus nimis omoibus,
igDOtas moritur sibi.
IL Akt.
1. Szene.
Ort der Handlang: Der Eingang einer in einem Haine gelegenen
Höhle, welche dem Philisthenes als Versteck dient.
1. Teil. Antigone besucht ihren geliebten Philisthenes in seiner
Einsamkeit tmd macht ihm, da Atrens immer noch Raebegedanken gegen
Thyestes hegt, den Vorschlag, mit ihr von einer versteckt liegenden
Bucht aus ZQ entfliehen, wo ein zuverlässiger Fischer mit einem Boote
schon warte. Der Jüngling ist mit ihrem Plane einverstanden, doch
leider können sie ihr Vorhaben nicht sofort ausführen, da Antigone ihre
Juwelen mitEobringen vergessen hat, ihren einzigen Reichtum neben
ihrer Liebe, und nun nochmals in den verhaßten Palast zurückkehren
muß, um diesen Schatz zu holen. Mit rührenden Worten fleht sie ihren
Bräutigam an, während ihrer Abwesenheit sich zu verstedcen, und ver-
traut der H(ikhle ihren Geliebten an:
"Oh! Cave, be faithful to thy precious tmst,
And all the youthful Lovers in the World,
With flowry Wreaths shall crown thy rocky brow,
Shall make a Temple of thee, and adore
Night's litÜe Pictnre that adoms thy Walls,
Night Lover^s Goddess, and Etemal Friend.
Fare well my Love!^*
2. Teil. Philisthenes kann sich nicht versagen, der scheidenden
Antigone nachzusehen; — aber nach diesem so kurzen Glücke bricht
das Unglück über ihn herein. Ein von Atreus nach ihm ansgesandter
Hauptmann, der das ganze Gespräch der Liebenden belauscht hat, läfit
ihn festnehmen, um ihn dem Könige zu überliefern. Da jedoch der
— 38 —
Diener des so grausamen Herrschers selbst Mitleid mit diesem un-
glücklichen Paare hat, will er ihre Liebe dem Atreas wenigstens ver-
schweigen. Kaum ist Philisthenes abgeführt, so erscheint Antigene uod
fällt ohnmächtig zu Boden, als sie sich der furchtbaren Sachlage be-
wußt wird. In diesem Zustande wird sie von Peneas aufgefunden. Er
würde sie für eine zum Hofe gehörige Dame halten, wenn sie nicht in
so süßem Schlummer läge. Da erwacht Antigene; sie erkennt ihren
guten alten Peneus und teilt ihm die schreckliche Vermutung mit, da£
Philisthenes jedenfalls gefangen zu Atreus gebracht worden sei. Aus
Gram hierüber zerzaust sie sich das Haar und fällt ein zweites Mal iu
Ohnmacht. Nach ihrem Erwachen verspricht ihr Peneus seine Hilfe,
worauf er ihr seinen Arm liebevoll anbietet, der trotz seines Alters noch
stärker sei als der ihre.
Dieser 2. Teil der 1. Szene ist nicht ganz frei vom Ein-
flüsse Seneca's ; denn die folgenden Worte, welche hier Peneus
ausspricht :
"All Birds of Night build in this Court, but Sleep,
And sleep is here mad with loud Complaints,
And flies away from all"
klingen an die Äußerungen an, welche der heimkehrende
Thyestes im III. Akte des lateinischen Originals macht:
V. 458 somnosque non defendit excubitor meos.
v. 466/67 nee somno dies
Bacchoque nox iungenda pervigili datur.
Außerdem sind auch die Gedanken, welche Peneus zum
Schlüsse ausspricht,
"Then come, dear Daughter, lean upon my arm,
Which old and weak is strenger yet than thine,
Thy Youth has known more sorrow than my age.
I never hear of grief, but when Pm here.
But one days diet here of Sight and Tears,
Retums me eider home by many years"
aus derselben Szene des lateinischen Stückes genommen, in
welcher Thyestes in langen Ausführungen (r. 446 flf.) eigent-
lich nichts anderes sagt, als daß die Sorge am Hofe, das
Glück aber in den Hütten und in den Herzen der Niedrigen
wohne.
— 39 —
2. Szene.
Ort der Handlung: Der Hof des Atreus.
Atreus ist auOer sich vor Wonne, daß Philisthenes, des Thyestes
Sohn, sich in seiner Gewalt befindet.
Dies erinnert an den 2. Teil des III. Aktes bei Seneca,
wo Atreus in einem Monologe (v. 491 — 507) seine Freude
darüber ausdrückt, daß Thyestes und seine Söhne endlich in
seiner Gewalt seien. Crowne läßt hier nur den Sohn kommen.
Der König fragt den Philisthenes, welch wichtiger Grnnd ihn ver-
anlaßt habe, sich in eine so gefährliche Gegend zu wagen. Der Jüngling
antwortet, die Liebe zu seinem heimatlichen Palaste habe ihn dazu be-
wogen. Auch sei ihm zu Ohren gekommen, daß Atreus seinem Bruder
verziehen habe. Da schilt ihn der Wüterich einen Lügner. Kein Tier,
kein Gott, meint der König, kann einem solchen Frevler vergeben, der
selbst der äußersten Frechheit fähig sei. ^Nein, schreit der Pelopide,
du kamst, um mich zu ermorden.** £in solcher Gedanke ist aber dem
Philisthenes, wie er versichert, nie in den Sinn gekommen. Atreus fühlt,
wie die Furien die Wut in seinem Busen schüren. Er faßt den Kache-
plan, dem Thyestes seinen eigenen Sohn als Mahl vorzusetzen, und be-
schreibt, zu sich selbst sprechend, das gräßliche Bankett. £r will des
Jünglings Liebe zu Antigone dazu benutzen, ihn für sich zu gewinnen
und ihn dann zu bewegen, den Thyestes zur Annahme der Königskrone
zu verleiten. Und Thyestes wird sicher in die Falle gehen!
Dieser Teil ist eine Nachbildung des IL Aktes des
lateinischen Originals, wo Atreus, allerdings seinem Vertrauten
gegenüber, von seinem Bacheplane spricht, den er gerade jetzt,
von den Furien aufgestachelt, faßt. Die Worte, mit denen
hier Atreus das entsetzliche Mahl beschreibt, sind teilweise
aus dem I., teilweise aber auch aus dem II. Akte der lateini-
schen Tragödie genommen. Man vergleiche:
Atr.: My SouVs a Theatre with Puries fill'd.
The Ghastly throng fling all their eager looks
Upon a Table spread with mangled Limbs,
And Smoking bowls ore-gorged with reeking blood;
Sen. I, 59 ff. Für. : ... ignibus iam subditis
spument aena, membra per partes eant
discerpta, patrios polluat sanguis focos.
Atr. : And the deluded Guest, who eats his Sod,
Stamps all their Cheeks with a malicious smile.
— 40 —
The Vision takes! the Story is great and braye,
rie give it my Revenge to copy out.
ScD, n, 277 fF. Atr. : , . . liberos avidus pater
gaudensque laceret et suo« arttts edat.
bene est, abimde est. hie placet poeoae modus
tantisper.
Wie fenv^ im II. Akte bei Seneca Atrevs den Thyesles
durch Meuelaus und Agamemnon herbeiholen lasten will,
80 hat er auch hier die Absicht, den Philisthenes, den
Sohn des Thyestes, nach seinem verbannten Brader ab-
zuschicken. Bei Seneca wie bei Crowne glaubt Atrens,
Thyestes werde seinem Rufe folgen. Die Form, in welche
der englische Dichter die sichere Hoffnung des Königs auf die
Rü<^kehr des Thyestes kleidet, ist dem lateinischen Original
entlehnt :
Atr.: To meet a Crown, he'd rush on thundring Jove,
Pl«nge in the Sea when Winds and BiUows fight,
Or on deep quicksands, that wou'd swallow hills;
Nay, worse thän all these joyn'd, — he wouM meet me.
Sen. It, 289 ff. Atr. : ... regna nunc sperat mea:
hac spe minanti fulmen occurret lovi,
bac spe subibit gurgitis tumidi minas
dubiumque Libycae Syrtis intrabit fretum,
hac spe, quod esse maximum retur malum,
fratrem videbit.
Nachdem sich der Feloplde seinen Bacheplan überlegt hat. beginnt
er, sich zu verstellen. Er verspricht dem Jüngling Liebe und Vergebong;
dieser jedoch kann sich die so plötzliche Sinnesänderung des Königs
nicht erklären; er wirft sich vor seinem Herrn nieder und bricht in
wehmutsvolle Tränen aus. Atreus aber bittet ihn, sich su eirheben, und
drückt ihn an sein Herz.
Wir haben hier eine Nachahmung deijenigen Szene des
lateinischen Stückes (III. Akt 2. Sz.), wo Thyestes mit seinen
Söhnen vor Atreus erscheint. Dort verstellt sich dieser auf
die gleiche Weise; allerdings ist hier nur Philistbenes zu-
gegen. Auch dort fordert Atreus die Söhne des Thyestes
aufy ihn zn umarmen:
— 41 —
T. 523/24 r<T8 quoque, seuHfitt praesidia, tot itiT^iieB, meo
peodete collo,
ganz ähnlich wie er hier sagt:
"Come to me, neär tny fieart, trithin my Heart."
Hierauf äußert Atreus den Wunsch, den Aufenthaltsort des Thyestes
kennen zu lernen, actf daß er auch seinen Bruder in seine Arme schließen
und ihm seine Freandsohaft, ja seine Krone a«ttragen könne. Da wird
es dem Philisthenes eigentüfftilich zumute, und «nwillkürhch fragt er:
"And do you mean it, Sir?"
Hier läßt iilso Crowne deB Philisthenes an der Wahrheit
der Worte dM Atretw zweifeln; er hat demnach die Mut-
maßung, die im II. Akte bei Seneca der Vertraute mit den
Worten ausspricht:
T. 316/17 . . . ha&c fraudem scient
nati parari?
zur Tatsache werden lassen, nur daß bei Seneca mit „nati^' die
Söhne des Atreus gemeint sind.
Der Jüngling gibt auf die Frage des Atreus, ob er denn an seiner
Aufrichtigkeit zweifle, zur Antwort, er wisse gar nicht, was er in seinem
Freudenräusche sage, und läßt sich tatsächlich überlisten. Er verrät
sogaf dem Könige, daß Peneus das Versteck des Thyestes kenne. Da
schwört der Pelopide dem Alt^ heimlich furchtbare Rache. Dieser
kommt nun gerade in dem für ihn so verhängnisvollen Augenblick zu
seinem Herrn. Der heuchlerische Konig dankt ihm sofoit fiir alle seinem
Bruder erwiesenen Wohltaten aufs herzlichste. Als hierauf Atfeus er-
klärt, sein Rachedunrt sei durch den einnehmenden Anblick des PhilisTthenes
in Liebe zu diesem, zu Thyestes und Jfcrope umgewandelt worden, als
er dann dem Jüngling die Hand der Antigone verspricht und schließlicli
den IPeneus bittet, den Thyestes herbeizuholen, da merkt der Alte das
ganze Spiel und bedauert den armen Philisthenes, der, ganz außer sich
vor Fremde, den Worten des Königs so leicht traut-. Um nun aber den
Greis dooh von der Ehirlichkeit seiner Absicht zu überzeugen, faßt Atreus
den Plan, den Peneus mit dem goldwolligen Widder als dem Pfände der
Treue zu Thyestes zu schicken.
Die Worte, mit denen der Pelopide von dem Widder
spricht, sind dem II. Akte des lateinischen Originals ent-
nommen :
Behind the Palace, in a sacred Field,
Secar'd by twenty Walls, and watch'd by Gnards,
Rests all ihe Fortune of our Royal Home.
— 42 —
A shiniDg Ram whose yellow Fleece is Gold;
The Sands of Tagus are not half so rieh;
Whoever has posaession of this Beast,
Has all the Fortune of our House in pawn.
Sen. 11,225 ff. Atr.:
est Pelopis altis nobile in stabulis pecus,
arcanus aries, ductor opulent! gregis.
huius per omne corpus effuso coma
dependet auro, cuius e tergo novi
aurata reges sceptra Tantalici gerunt;
possessor huius regnat, hunc tantae domus
fortuna sequitur. tuta seposita sacer
in parte carpit prata, quae claudit lapis
fatale saxeo pascuum muro tegens.
Ferner Sen. II, 353 ff. Chor.:
non quidquid . . .
. . . unda Tagus aurea
claro devehit alveo. . . .
Hierauf gibt Atreus sofort den Befehl, man solle den Widder
herbeibringen. welcher auf dem an den Palast angrenzenden Felde an
der Spitze einer von einem Hirten bewachten Schafherde sichtbar wird.
Atreus befiehlt dem Peneus, diesen Schatz seinem Bruder zu über-
bringen, auf daß dieser komme und die Regierung mit ihm teile. Dies
ist zu viel für Peneus. £r zwingt sich, seine Zweifel zu zerstreuen, und
gibt dem Drängen des Königs und Jünglings nach. So begeben sich
denn Peneus und Pbilisthenes auf den Weg zu Thyestes. Atreus freut
sich über seine gute Verstellungskunst und meint, der Beherrscher einer
so schlechten Welt müsse selbst den Teufel und die Hölle betrugen
können.
In dieser Szene hat Crowne sogar den goldenen Widder
auf die Bühne gebracht. Zum Unterschied von Seneca werden
hier der Sohn des Thyestes und Peneus zu dem unglücklichen
Bruder des Atreus gesandt.
III. Akt.
1. Szene.
1. Teil. Ort der Handlung: Der Eingang eines Gefängnisses.
Auf Befehl des Atreus kommt die immer noch um ihren Philistbenes
trauernde Antigone, von zwei Frauen begleitet, zum Gefängnisse ihrer
— 43 —
Mutter, mit der sie glaubt, sterben zu müssen,* nach Vorzeigen des
königlichen Siegels wird ihr yom (jefangniswärter der £inlai{ gewährt.
2. Teil. Ort der Handlung: Das Innere des Gefängnisses.
Antigone sieht ihre in Fesseln geschlagene Mutter auf dem kahlen
Boden des nur von einem armseligen Lichte durchschimmerten Kerkers
liegen. .£rope drückt ihr Kind, das sie mehr liebt als ihr Leben, unter
Tränen ans Herz. Dabei erinnert sich die Gemahlin des Atreus ihres
früheren Glückes, das in gegenseitiger ehelicher Liebe bestand, welches
aber ron dem gräßlichen Thyestes in so schamloser Weise zerstört wurde.
Abscheu erfüllt ihre Seele gegen diesen Menschen, der sie, wie sie ihrer
Tochter gesteht, vergewaltigte und dann das goldene Vließ zu stehlen
versuchte, um sich die Herrschaft zu sichern. Bei ihrem edlen Charakter
hält .Erope den Verlust ihrer Ehre und der Liebe ihres Gemahls für
viel schmachvoller und unerträglicher als die körperlichen Leiden, die
sie zu erdulden hat. Sie, das treue Weib, wird, wie sie der Antigone
sagt, von ihrem Gemahl für eine Hure gehalten — ein entsetzlicher
Gedanke, bei dem ihr die Sinne schwinden. Nachdem sie im Delirium
Worte von der abscheulichsten Art ') ausgestoßen hat, sinkt sie in tiefe
Ohnmacht. Bei ihrem Erwachen bringen ihr einige Frauen herrliche
Kleider auf Befehl des Königs und melden ihr zu ihrem größten Er-
staunen dessen sofortigen Besuch.
3. Teil. Atreus kommt zu seinem Weibe ins Gefängnis. Erduldet
nicht, daß sie sich vor ihm niederwerfe, verzeiht ihr alles Unrecht und
nimmt sie wiederum als seine geliebte Gemahlin auf — alles zum
Scheine. iErope ist glücklich über diese Lösung; doch wie sehr wird
ihre kurze Freude getrübt, als sie erfahrt, daß Thyestes wiederum an
den Hof kommen werde! Zu gleicher Zeit teilt Atreus der nicht wenig
erstaunten Antigone mit, daß noch an diesem Tage nach der Rückkehr
des Thyestes ihr Hochzeitsfest mit Philistheues gefeiert werden solle.
lü dieser Szene hat Crowne deo III. Akt (2. Sz.) Seneca's
¥riederum nachgeahmt. Wie dort Atreus seinem Bruder
schöne Gewänder und seine Freundschaft anbietet und ihn
großmütig auffordert, nicht niederzuknieen, so läßt auch hier
') "Ayl help me from a Whore '
That comes to get my Husband from my Arms:
Oh! this is right the Picture of the Age,
A Shilling Strumpet, and a tatter*d Wife.
Indeed! and I am thus abus'd for thee?
Some Water therel I'm burnt out o' my ßed,
Ky Husbands Arms, by a hot flaming whore.'*
— 44 —
der König seiner Gemahlin prächtige Kleider bringen und
bittet sie, sich zu erheben.
2. Szene.
Ort der Handlnüg: ISnie Höhle in einer Wüste.
Thyestes ist ftus seinem Verstecke herausgetreten und macht sidi
über sein lasterhaftes Leben bittere Vorwürfe. Er hört Schritte nahen
und zieht sich sofort in das Innere seiner armseligen Behausung zurück.
Die Herankommenden sind Feneus und Philisthenes. Auf den Ruf
seines alten Freundes hin erscheint Thyestes wiederum am Eingange seiner
Höhle. Als er die Nachricht von der so plötzlichen Sinnesändemng
seines Bruders erfährt, wird es auch ihm anfangs schwer, ihr Glauben
zu schenken. Atreus will ihm verzeihen und noch dazu Anteil an der
Kegierung gewähren? Zugleich kommt ihm das Glück der Einsamkeit
im Gegensatz zu dem sorgenschweren Leben am Hofe zum BewuHtseia.
£r will deshalb auf die Königskrone lieber tausendmal Yerzichten alt
auf den Frieden in seinem Herzen. Aber auf das Zureden des Peneos
und das Drangen seines Sohnes hin läßt er sich doch bestimmen, mit-
zugehen. Er ist ja jetzt moralisch geläutert und wird deshalb die Ge-
fahren des Lebens leichter überwinden können.
Crowne läßt also hier iin Gegensatz zu Seneca den
Thyestes in einer Wüste sich versteckt halten, nicht m
Wäldern. Ferner «teilt er zum Unterschied Tom lateiniacheB
Original das Abholen des Thyefirtes auf der Bühne dar, ahmt
jedoch zu gleicher Zeit in diesem Auftritte den 1. Teil des
in. Aktes der lateinischen Tragödie nach, wo Thyestes,
schon ganz nahe am Palaste seines Bruders angelangt, gerne
dem Hofe den Rücken kehren möchte, da er sich in »einer
Einsamkeit glücklicher fühlte als in dem pmnkyollen Leben,
und auch nur durch flehentliches Bitten zu bewegen ist, weh
seinem Bruder zu nähern. Ja, Crowne's Thyestes spricht
dabei Worte aus, die im Grunde nur eine Übersetzung aus
Seneca (III. Akt) sind. Wir wollen die betreifenden Verse
der englischen und antiken Tragödie folgen lassen:
Things are miscall'd, I ne're was blest tili now:
When I was great, I had not one delight:
Who needs a Guard for safety, ne're are safe:
And who needs watching, has but little rest.
— 45 —
Sen. III, 446 ff. Thy.:
Mihi crede, fialais magna nominibna placent,
fmstra timentur dura, dum exoelsus steti,
numquam pavere destiti atqne ipsum mei
ferrum timere lateris.
Ben. III, 458 Thy. :
somnosqae non defendit excubitor meos;
What dwelling so uneasy as is bis,
Wbo in a thousand Booms can take no rest,
Till bis proud Palace has beat back a Sea,
And lifted np a Fomst cm its hrow?
Sen. III, 459/60 Thy. : ... et retro mare
iacta fagamus mole.
Sen. in, 464/65 Thy.: . . . nulla culminibus meis
imposita nntat sil?a.
Say Poyaon come not in a Frinces Cup,
Care will, and that's as bad ; say Gare shou'd not,
Intemperance may, which is as bad as both,
A lingering Poyson that consumes our time,
Our Nighta in dronkenness, our Days in sleep.
Sen. UI, 453 Thy.:
venenum in auro bibitui • . .
Sen. in, 466/67 Thy. : ... nee somno dies
Bacchoque nox iungenda pervigili datur.
Thy. zu Phil.:
For thy dear sake alone I fear to go. *
Sen. III, 485/86 Thy. zu seinen Söhnen:
Pro me nihil iam metuo: vos facitis mihi
Atrea timendum.
IT. Akt.
1. Szene.
Ort der HandluDsr: J^ykeate.
Mit Philisthenes und Peneus kommt ThyeBtes in seiner Vat^ntadt
I. Überaus, grofi^ Freude beseßlt sein Her;? beim Wiedersehen seines
— 46 —
Geburtsortes mit seinen altehrwürdigen Riesentürmen. Alle Einwohner
bringen ihm ihre Huldigung entgegen, doch wehe I — mit ihnen komnil
auch Atreus. Bei der Erinnerung an seinen Bruder Terzögert er seine
Schritte; er möchte wieder zurück in die Wüste, die ihm mehr Sicher-
heit gewährte als der Königsthron. Doch um seines Sohnes willen zieht
er weiter im Vertrauen auf die Götter. Beim Anblicke seines Bruders
ergreift den Atreus die alte Wut, und er vergleicht seine ungeduldige
Blutgier mit der eines Ebers. Doch jetzt gilt es, durch Verstellung den
Thyestes in die Falle zu locken! Atreus begrüßt seinen Bruder in der
herzlichsten Weise, und als dieser vor ihm auf die Xniee niedersinkt,
bittet er ihn inständig, sich doch zu erheben und ihn zu umarmen.
Philisthenes wird ebenso liebevoll empfangen. Hierauf bietet der
gleisnerische Pelopide seinem in Bettlerkleider gehüllten Bruder feine
Gewänder und seine Eönigskrone an, die er sich vom Haupte nimmt
Doch Thyestes weigert sich, das königliche Abzeichen anzunehmen, da
er ein bescheidenes Leben dem eines Herrschers vorzieht.
.Erope kommt mit ihrem Hofgefolge dazu. Kaum hat sie ihren
Entehrer erblickt, so kann sie nicht umhin, ihrem Abscheu vor ihm
Ausdruck zu verleihen und von ihm zu verlangen, er solle ihre Unschuld
vor dem Könige bezeugen. Reumütig gesteht Thyestes ein, er habe
die -Erope vergewaltigt. Atreus jedoch will allen verzeihen. Seinem
Bruder bietet er die Krone, der Königin sein Hei-z und dem Philisthenes
seine Tochter an. Frieden mit all seinen segensreichen Folgen soll über
das Land herrschen! Alle entfernen sich hierauf mit Ausnahme des
Philisthenes, dem sich Antigone in die Arme wirft. Beide drücken ihre
unaussprechliche Freude über ihr so großes, unerhofftes Glück aus.
Diese 1. Szene des IV. Aktes ist eine genaue Nach-
ahmung des III. Aktes der lateinischen Tragödie ; nur kommt
bei Crowne noch JErope hinzu, wie auch am Schlüsse die
Liebesgeschichte zwischen Philisthenes und Antigone noch
hereinspielt. Doch sind die Heimkehr des Thyestes mit
seinem Sohne (und allerdings auch mit Peneus), ferner
die Begegnung mit dem heuchlerischen Atreus (wenn auch
bei Seneca der Ort ganz unmittelbar am Palaste gedacht
werden muß), dann auch die Worte, welche dabei gewechselt
werden, und die Art und Weise der gegenseitigen Begrüßung
genau dem lU. Akte des lateinischen Originals nachgeahmt,
wobei sich der englische Dichter teils Erweiterungen gestattet,
teils aber auch den Text seines Vorbildes ziemlich wörtlich
übersetzt. Man sehe sich folgende Stellen an:
Thy.: I feel my lov'd, long look'd for Native Soyl
— 47
And oh! my weary Eyes
Now rest themselves upon the Royal Towers.
Oh! sacred Towers, sacred in your height,
Sacred, because you are the work of Gods;
Your lofty looks boast your Divine descent.
Sen. in,406flf. Thy.:
tractum soll natalis . . .
. . . cernOy Cyclopum sacras
turres, labore maius humano decus.
Thy.: And see all Argos meets me with loud shouts.
Phil.: Oh! joyful sound.
Thy.: But with them Atreus too.
Sen. III, 411/12 Thy.:
occurret Argos, populus occurret frequens —
sed nempe et Atreus«
Phil.: What ails my Father, that he stops and shakes.
And now retires?
Sen. III, 429/30 Plisth. :
Quae causa cogit^ genitor, a patria gradum
referre yisa?
Thy.: Return with me, my Son,
And old Friend Peneus, to the honest beasts,
And faithful desart, and well seated Caves.
Sen. III, 412 flf. Thy.: . . . repete silvestres fugas
saltusque densos potius et mixtam feris
similemque vitam.
Atr. : The beast is snar'd ! — and Pm. as fierce for prey,
As the big Spartan Dog, when the feil Bore
Laggs within reach of bis long stretching neck.
He breaks the Couples, from the Huntsman gets,
And knows no master but bis love to bloud.. I
My love to bloud will from my Fraud get loose:
But what a thing he is? £xi]e and Grief j
I
— 48 ^
ServQ hixD so glovenly Hp to »y Board,
It palls my Stomacb; but I'Ie garuieji tum
With Prineely Robea. — Oh! Brother! to mj Arms-
My Arm», dear Brothcir; reuder me your long
Deur'd Embrace.
Sen. IQ, 494 ff. Air.: . . . je^xt in aoatras manus
tandem Thyestes ...
rix tempero animo, vix do)or freno« eapit.
sie, cum feras veetigat et loisgo $a|^
loro tenetur ümber . . .
cervice tota pugnat et gemitu vocat
doootinum moürantem seque retinenti eripit:
cnm sperat ira sanguinem, oescit tegi;
tarnen tegatur. a^pioe, ut multo grayis
squalore vultus obruat maestos coma,
quam foeda iaceat barba . . .
. . .. complextts nahi
redde expetitos.
Atr. : Away to everlasting baniahment
The odious memory of all momenta past,
And all their Progeny.
Thy. : I had prepar'd
Excuses for iny Crimes, and what were truth;
But this amazing Piety and Love
Bender me past excuse, the worst of men.
Sen. III, 509 ff, Atr. : ... quidquid irarum fuit
transierit; ex hoc sanguis ac pietas die
colantur, animis odia damnata e^cidant.
Thy.: Diluere possem cuncta, nisi talis fores.
sed fateor, Atreu, fateor, admisi onmia
quae credidi^ti. pessimam causam meam
hodierna pietas fecit.
Atr.: And rise! oh, rise to my embr^oel wbat means
This low unfittiog poature?
Thy. : It meaus mor«
ThaD wordt apeak ; I never kneel'd before,
Theu gueM the bonour I woii'd pay to yom«
— 49 —
SeD. III, 521/22 Atr.: . . . a genibus manum
aufer meosque potius amplexus pete.
Sen. III, 617/18 Thy. : . . . supplicem primus vides;
hae te precantur pedibus intactae manus.
Atr.: Now dear Philisthenes ! Thy arms, sweet Youth.
No, hang upon my Neck, thou art my Son.
Sen. III, 623:24 Atr. :
vos quoque, senum praesidia, tot iuyenes, meo
pendete coUo.
Atr.: Still there are Clouds that darken my Dolight,
My Brothers Garments, — Brother spare my Eyes,
And with these Royal Ornaments conceal
These Reliques of deceas'd unhappiness.
With these Ornaments receive my Crown.
Thy.: If my more fitting Garb offend your Eyes,
Let me lye hid among th'attending Crowd.
Sen. m, 524 ff. Atr.: . . . squalidam vestem exue
oculisque nostris parce et ornatus cape
pares meis laetusque fratemi imperi
capesse partem.
III, 631 ff. Thy. : ... regiam capitis notam
squalor recusat noster . . .
. . . liceat in media mihi
latere turba.
Thy.: In lessening your own seif, you lessen me.
Sen. III, 538 Atr. :
Fratem potiri gloria ingenti vetas?
Atr.: It is more great to giye, than wear a Crown.
Thy.: And to refuse more glorious than to gire;
That is the share of greatness I will chuse;
And you invited me to take my share.
iCflnchener Beiträge z. rom. u. engl. Philologie. XXXYII.
— 50 —
Sen. 111,529 Thy.:
habere regnum casus est, virtus dare.
Sen. in, 639/40 Thy.:
Tua iam peracta gloria est, restat xnea:
respuere certum est fegna consilium mihi.
Atr. : Now let the Trumpets reparation make,
For frightniog Argos with the sounds of War,
And set hearts dancing to the soands of Peace.
Sen.v. 574flF. Chor:
iam silet murmur grave classicorum,
iam tacet Stridor litui strepentis:
alta pax urbi revocata laetae est.
Atr.: Let the pale Mothers trembling for their Babes,
Now dandle 'em in their Arms with smilhig Cheeks.
Retum the Husbands back to their young Wires,
And let not Armoor hinder their embrace.
Let Swords wear Rust, the Livery of Peace,
Sen. T. 563 flF. Chor:
pallidae natos tenuere matres;
uxor armato timuit marito,
cum manum invitus sequeretur ensis,
sordidus pacis vitio quietae.
2. Szene.
Ort der Handlung: Ein Tempel.
Atreus, ^rope, Tbyestes, PhilistheneSi Antigone und Peneus be«
treten in zahlreicher Begleitung den Tempel, um die Hochztitszereinoiuea
der beiden Stiefgeschwister zu feiern. Als nach der Vermählang die
Anwesenden das Heiligtum Terlassen wollen, vertraut Atreus die Antigone
der Königin an und bittet Philisthenes, im Tempel auf ihn zu warten;
er werde gleich wiederkommen. Alle entfernen sich hierauf; Philisthenes
folgt dem König; er will ihm nämlich das Oeleite geben. Kurs darauf
wird jedoch der Jüngling gebunden von Priestern in den Tempel ge-
schleppt. Der nichts Gutes ahnende Philisthenes schleudert seinen
Peinigern grobe Schmähworte ins Gesicht, nennt sie Schelme und Lügner
und macht ihnen und all ihren Genossen arge Vorwürfe über ihre ge-
— 61* —
meinen Absichten. Kaum hat der Jüsgling die Schreckensnachridit
vernommen, da£ er geopfert werden solle, da erscheint Atreus und gibt
auf die Frage des Philisthenes, warum er ihn denn habe binden* lassen,
zur Antwort, er wolle ihn als den Sohn des Thyestes ermorden und
dann seinem Vater als Speise vorsetzen — eine entsetzliche Offenbarung
für den Jüngling. Zitternd beschwört er Atreos, Mitleid mit ihm zu
haben, um so mehr als doch das Beben des Palastes ein deutliches Zeichen
für den Zorn der Götter über eine solche Tat sei, aber umsonst. Da
nimmt der beherzte Sohn des Thyestes in Gedanken Abschied von
Antigone. Der grause Pelopide befiehlt hierauf den Priestern, die nötigen
Vorbereitungen zum Opfer zu treffen, und erdolcht dann den Jüngling,
der ihm mit männlichem Mute die Brust zum tödlichen Streiche dar-
bietet.
Zum Unterschied von Seneca wird in dieser Szene Phi-
listhenes auf der Bühne ermordet. Die Art und Weise jedoch,
wie der Jüngling getötet wird, stimmt mit dem Berichte des
Nuntius im IV. Akte des lateinischen Originals überein; denn
hier wie dort wird das Opfer im Heiligtume (bei Seneca ist
es ein Hain) von Atreus seihst vollzogen, wobei seine Priester
ihm behilflich sind. Ferner werden hier dem Unglücklichen
ebenfalls die Augen verbunden, und das Opfer geht auch in
allen Förmlichkeiten ganz analog dem Botenberichte vor sich,
und dabei erbebt bei Crowne wie beim römischen Dichter
der Tempel. Man sehe sich folgende analogen Stellen an:
Phil.: Your Palace nods . . .
The Temple Columns bend . . .
Sen. IV, 696/97 Nunt. : ... tota succusso solo
nutavit aula, . . .
Atr. : Bind with a purple band the Victims head;
Prepare the Incense, Fire, Knife, Wine and Meal.
Sen. IV, 686fr. Nunt.:
et maesta vitta capita purpurea ligat:
^non tura desunt, non sacer Bacchi liquor
tangensqne salsa victimam culter mola.
Im englischen Drama erfahrt Philisthenes von dem
Wüterich, daß er seinem Vater als Mahl aufgetischt werden
soll, während bei Seneca Atreus im V. Akte bedauert, daB
lue Kinder des Thyestes ihr Los nicht wußten:
4*
— -62 —
T. 1066 ff. : ... omnia haec melius pater
fecisse potuit, cecidit in cassum dolor:
scidit ore natos impio, sed nesciens,
sed nescientes.
Der römische Dichter ist also in diesem Punkte dezenter
als Crowne.
V. Akt.
Ort der Handlung: Der Hof des Atreos.
Der V. Akt enthält das entsetzliche Bankett. Atreos und Thyestei
sitzen bei dem scheußlichen Mahle. Thyestes bemerkt mit Grauen, daß
alles, was er genossen hat, in ihm zu seufzen beginnt. Die Haare stehen
ihm vor Schreck zu Berge. Doch Atreus sucht ihn zu beruhigen und
lädt ihn zum Trinken ein. Thyestes hat schon einige Male Ton dem
unheilvollen Getränke genossen. Als er dann noch einmal einen Schluck
aus dem Pokale tun will, erlöschen alle Lichter, die Tafel zerfiült in
Stücke, und das Bollen des Donners yerkündet den Groll der Götter:
Jetzt ^ird alles offenbar. Mit höhnischen Worten teilt Atreus dem
Schlimmes ahnenden Thyestes mit, daß er von seinem eigenen Sohne
gegessen und von seinem Blute getrunken habe. Thyestes ist entsetzt
über eine solch abscheuliche Bache. Doch sein Bruder geht noch
weiter: Er läßt die Tore des Tempels öffnen, wo nun der unglückselige
Vater die blutigen Überreste seines Sohnes erblickt.
Zu dieser gräßlichen Szene kommt Antigone hinzu, und als sie die
Wahrheit der unglaublichen Bluttat, von der man ihr schon berichtet
hat, vor ihren Augen klar bewiesen sieht, fällt sie neben der Leiche
ihres Geliebten zu Boden und bricht in einen herzzerreißenden Jammer
aus. Sie nimmt einen ganz verstörten Blick an und erdolcht sich, ohne
sich von Atreus zurückhalten zu lassen, dem, wie er gesteht, nichts in
der Welt ihren Verlust ersetzen könne.
Auch xErope erscheint mit Agamemnon und Menelans, um Zeugin
des Vorgefallenen zu werden. Ihr Schmerz wird noch dadurch erhöht,
daß Atreus immer noch nicht an ihre Unschuld glaubt. So viel Schmach
und Unglück vermag sie nicht zu ertragen: Zuerst tötet sie den Thyestes,
ihren Schänder, dann sich selbst.
Zum Schlüsse macht Atreus den Peneus für alles Blutvergießen
verantwortlich und jagt ihn davon. £r glaubt, zu dieser Handlungsweise
berechtigt zu sein ; denn die Götter treiben ja auch, meint er, ganz nach
ihrem Belieben ihr grausames Spiel mit den Menschen.
Der 1. Teil dieses V. Aktes ist der Schlußszene des
lateinischen Thyestes genau nachgeahmt. Auch bei Crowne
singt Thyestes ein — allerdings nicht wiederzugebendes —
— 53 —
Lied^) bei dem Bankett. Der englische Dichter hat dabei
wiederum sehr yiele Stellen aus Seneca übersetzt, die wir mit
den entsprechenden lateinischen Versen vergleichshalber hier-
hersetzen wollen:
Thy.: This to the Gods for this most joyful day.
(Thy. pours sorae wine on the ground.)
Sen. V, 984 Thy. :
. . . paternis vina libentur deis.
Thy. : See ! from my Head my Crown of Roses falls.
My Hair, though almost drown'd beneath sweet Oyls,
With Strange and sudden horrours starts upright.
Something, I know not what, bids me not eat;
And what I have . devour'd, within me groans,
I fain wou'd tear my breast to set it free.
Sen. V, 947 ff. Thy.:
vernae capiti fluxere rosae,
pingui madidus crinis amomo
inter subitos stetit horrores.
Sen. V, 1000/01 Thy.:
quid tremuit intus? sentio impatiens onus
meumque gemitu non meo pectus gemit.
Sen. V, 1044 Thy. : ... ferro liberis detur via.
Thy. : And I have catch'd the eager thirst of tears,
Which all weak Spirits have in misery.
Sen. V, 953 Thy.:
flendi miseris dira cupido est.
Sen. V, 966/67 Thy. : ... subitos fundunt
oculi fletus.
Thy.: What ails me? I cannot heave it to my Lips.
The Wine will not come near my Lips.
Sen. V, 985 ff. Thy.: . . . sed quid hoc? nolunt manus
^) Der "^Sotig at Atreus his BanqueV^ ist an den Anfang der Tra-
gödie gedruckt worden.
— 64 —
parere . . .
admotas ipsis Bacchus a labris fugit.
Bühnenanweisungen : A clap of Thunder, the Table over-
sets, and falls into pieces ; all the lights go out.
Sen. V, 989ff. Thy.:
et ipsa trepido mensa subsiluit solo,
vix lucet ignis; ...
quid hoc? magis magisque concussi labant
convexa caeli.
Thy.: Nature is choak'd with some vast Villany,
And all her Eace is black.
Sen. V, 995 Thy.:
fugit omne sidus.
Thy. : The Sky is stun'd, and reels 'tween Night and Day.
Sen. V, 990/91 Thy. : ... ipse quin aether gravis
inter diem noctemque desertus stupet.
Thy.: Old Chaos is return'd.
Sen. V, 831/32 Chor: . . . iterumque deos
hominesque premat deforme chaos.
Atr.: ... he and all the Gods may flye for shame;
Sen. Y, 1035 Thy.:
Hoc est deos quod puduit . . .
Atr.: Nature cou'd see that sight, and not be sick.
Sen. V, 1006/07 Thy. : ... sustines tantum nefas
gestare, Tellus?
Thy.: For Hell has bounds, thy wickedness has none.
Atr. : My just rewards of wickedness have none.
Sen. V, 1052/53 Atr.:
Sceleri modus debetur ubi faciaa scelus,
non ubi reponas.
Thy. : Eevenge the Heavens plunder'd of their light :
Compose of lightning a false dreadful day,
— 65 —
And take no aim, but dart it at us both ;
Hit one of us, and i'is no matter whicb,
You strike tbe wickedst man that liyes on Earth.
You will be merciful in burning me,
Make me become my dear Son's Faneral pile.
Sen. V, 1085 ff. Thy.: . . . vindica amissum diem,
iaculare flammas, lumen ereptum poIo
fulminibus exple. causa, ne dubites diu,
utriusque mala sit; si minus, mala sit mea:
me pete, trisuico flammeam telo facem
per pectus hoc transmitte — si natos pater
humare et igni tradere extremo volo,
ego sum cremandus.
Thy. : All Gods have left us . . .
Sen. V, 1021 Thy.:
fugere superi ...
Thy.: And with a Sword I fear to end my grief.
Lest I in my own bosom stab my Son.
Sen. V, 1046/47 Thy. : ... sustine, infelix, manum,
parcamus umbris. .
Atr.: But now these Tears confess I have thy Soul,
And now I'm well rewarded for my pains.
Sen. V, 1097/98 Atr. : ... perdideram scelus,
nisi sie doleres.
Thy.: What was my poor Sons fault?
Atr.: That he was thine.
Sen. V, 1100 Thy.:
Quid liberi meruere? Atr.: Quod fuerant tui.
Thy.: Bear witness Gods! ...
Atr.: What Gods? the Guardians of Nuptial Beds?
Sen. V, 1102 03 Thy.: Piorum praesides testor deos.
Atr.: Quin coniugales?
Thy.: Must sin with sin be punish'd?
— 66 —
Sen. V, 1103 Thy.:
Scelere quis pensat scelus?
Atr.: All these are tears of rage,
'Cause I'm aforehand with thee in this sin.
Thou with my Children wou'dst have treated me^
But that thou wert afraid they were thy own
Incestuous Bastards all.
Sen. V, 1104 flF. Atr.:
Scio quid queraris: scelere praerepto doles,
. . . fuerat hie animus tibi
instruere similes inscio fratri cibos
et adiuyante liberos matre aggredi
similique leto sternere — hoc unum obstitit:
tuos putasti.
Thy.: I've done with thee,
And leave thee to the Gods for punishment.
Sen. V, 1110/11 Thy.: Vindices aderunt dei;
bis puniendum vota te tradunt mea.
Atr.: Open the Temple Gates . . .
Sen. V, 901/02 Atr. : ... turba famularis, fores
templi relaxa . . .
Das Ergebnis der angestellten Vergleichung ist folgendes :
Crowne
Seneca
Derl.T. des 1. Aktes i
entspricht dem I. Akte
n 2.„ „ I.
7»
n
dem Beginn des 11. Aktes
» 4.„ „I.
n
n
dem 2. T. des U. Aktes
» 5,„ ,1.
n
n
den letzten Versen d. Chors (II.)
die 2. Sz. „ II.
n
n
teils dem H., teils dem ITT. Akte
derS.T.derl.Sz. „ UI.
n
n
dem in. Akte (2. Sz.)
die 2. Sz. „ UI.
»
n
dem m. Akte (1. Sz.)
die 1. Sz. „ IV.
»
»
dem III. Akte
der 1. T. „ V.
n
n
dem V. Akte.
Crowne hat sich also insbesondere yom II. und III. Akte
des lateinischen Originals beeinflussen lassen.
Was die Hauptfabel anlangt, so hat der englische
Dramatiker mit seinem römischen Vorbilde folgendes ge-
meinsam :
— 57 —
Der von der Unterwelt durch eine Furie in den Palast
des Atreus getriebene Geist des Tantalus entfacht die Wut
des Atreus. Dieser ruft seinen wegen des begangenen Ehe-
bruches vertriebenen Bruder zurück, heuchelt ihm gegenüber
Versöhnung, bietet ihm die Hälfte seines Reiches an und
regaliert ihn mit dem Fleisch und Blut seines mit >£rope
erzeugten Sohnes (d. h. bei Seneca sind es drei Söhne).
Dabei spielt auch der goldene Widder eine Rolle. In allen
anderen Einzelheiten der Haupthandlung aber weicht Crowne
von Seneca ab.
Die Vergewaltigung der .^Erope durch Thyestes erinnert
nicht wenig an die 88. Fabel Hygin's ; denn wie dort Thyestes
die Pelopia vergewaltigt, und diese sich aus Schande später
den Tod gibt, so hegt auch hier ^^rope gegen Thyestes, ihren
Entehrer, eine überaus große Abneigung. Ob der englische
Dichter tatsächlich an jene Erzählung Hygin's gedacht hat,
läßt sich nicht nachweisen.
Die Liebesepisode zwischen Philisthenes und Antigone
wird wohl die eigene Erfindung Crowne's sein.
Auf die Vermutung der Herausgeber Crowne's vom Jahre
1874, daß der englische Thyestes bis zu einem gewissen Grade
vielleicht eine Übersetzung sei, können wir jetzt die Antwort
geben, daß der englische Dichter rund 200 Verse aus dem
lateinischen Originale herübergenommen hat.^) Dabei verdient
aber die Tatsache hervorgehoben zu werden, daß Crowne mit
der Verteilung der einzelnen Szenen und Aussprüche sehr
frei verfahren ist, und daß er es verstanden hat, den Ge-
danken Seneca's oft in sehr schönem, ausdrucksvollem Englisch
wiederzugeben.
Vergleichen wir den Text der englischen Thyestestragödie
mit den beiden englischen Übersetzungen des Originals, so
müssen wir zu dem für Crowne rühmlichen Schlüsse kommen,
daß er die lateinische Quelle selbst benutzt hat.
^) Ganz genau läßt sich die Anzahl der übersetzten Verse nicht
angeben, da Crowne sehr viele kleine Versstücke verwendet hat; auf
keinen Fall aber beträgt die Gesamtzahl mehr als 200.
— 58 —
Die Charaktere schildert uns Crowne in derselben Weise
wie Seneca. Nur ist zu bemerken, daß Aireus in einer
Szene ^) zu Tränen gerührt wird und im letzten Akte eine
flo ideale Vaterliebe seiner Tochter gegenüber bekundet,
daß man darüber staunen muß. Crowne hat sich hier
einer starken Verzeichnung des Charakters jenes Pelopideo
schuldig gemacht; denn diese beiden Züge können nie und
nimmer zu dem Bilde eines Mannes stimmen, der wut-
schnaubend und rachesinnend, heuchlerisch und spitzfindig,
frevlerisch und kein Mittel scheuend, auf die Bestrafung
seines Bruders ausgeht und die denkbar scheußlichste Art der
£ache anwendet.
Thyestes dagegen erscheint in der englischen Tragödie
als derselbe reumütige Sünder wie der allen verführerischen
Glanz meidende Philosoph bei Seneca; nur ist sein Ver-
brechen im englischen Drama größer als im lateinischen
Original, da er ja hier die -^rope vergewaltigt hat.
Dadurch wird aber das Bild der jErope bei Crowne
reiner; sie ist ihrem Gemahle treu ergeben, leidet furchtbare
Qualen unter dem Verdachte des Atreus, hängt mit inniger
Liebe an ihrer Antigene, verabscheut aber ihren Schänder
und tötet ihn aus Rache und zuletzt sich selbst aus Gram
über ihr unverschuldetes Leid.
In Antigene und Philisthenes sehen wir zwei treue Lieb-
haber, denen ihre Leidenschaft über alles geht. Der Jüngling
ist gerade so leichtgläubig und unvorsichtig wie der Philisthenes
Seneca's.
Der Charakter des Peneus ist aus dem des Thyestes, des
satelles und des Chors bei Seneca zusammengesetzt; denn er
ist der Vertreter ihrer Ansichten. Er ist dem Thyestes treu
ergeben und hält es nicht für unrecht, den Bruder des Königs
in seinem Unglücke gegen den Befehl des Atreus zu unter-
stützen.
Es bleibt noch die Frage zu beantworten, ob Crowne die
Schrecklichkeit des Stoffes gemildert hat. Genest meint, das
Bankett sei im Englischen Drama bei weitem nicht so furchtbar
') I, 1. Sz.. 3. T.
_ 59 -w
wie in der lateinischen Tragödie.^) Wie Ward-), so können
auch wir dieser Ansicht nicht beipflichten. Wir haben ge-
sehen, daß bei Crowne sowohl als bei Seneca Atreus und
Thyestes bei der entsetzlicheu Mahlzeit sitzen, und daß Atreus
seinen unglücklichen Bruder in derselben Weise verhöhnt
wie in der römischen Tragödie. Warum sollte also das
Bankett im englischen Stücke weniger grauenhaft sein? Es
lassen sich höchsteos zwei Tatsachen linden, die man bei
Crowne als eine Milderung der Greuel betrachten könnte.
Erstens tötet in der englischen Tragödie Atreus nur einen
Sohn, zweitens fällt auch der zu sehr ins einzelne gehende
nnd uns ganz mit Grausen erfüllende Bericht über die Hin-
schlachtung der Opfer weg. Aber wenn wir bedenken, daß bei
Crowne Atreus den Philisthenes auf der Bühne erdolcht und
ihm sogar vorher noch sein schreckliches Los mitteilt; wenn
wir uns daran erinnern, daß Antigone und ^-Erope Selbstmord
begehen, daß die Königin ihren Vergewaltiger tötet, und daß
die Liebe zwischen Antigone und Philisthenes doch eigentlich
blutschänderisch ist und uns infolgedessen anekelt; wenn wir
uns schließlich noch jene Szenen ins Gedächtnis zurückrufen,
wo Atreus seine Gemahlin eine Hure nennt und ihre Kinder
die ^eruptions of a buniing whore more hol than ^itia'\ und
wo jErope ihrer Tochter gesteht, sie sei von Thyestes ver-
gewaltigt worden — , dann kann für uns doch sicher kein
Zweifel mehr darüber bestehen, daß das lateinische Original
viel dezenter genannt werden muß als seine englische Nach-
bildung, welche die Atmosphäre der berüchtigten englischen
Restaurationszeit nicht verleugnen kann.
Wollen wir gerecht sein, so werden wir anerkennen
müssen, daß sich dem Crowne'schen Stücke auch manche
Schönheiten nachrühmen lassen. Wie die Aussprüche Seneca's
oft in markiger Sprache wiedergegeben sind^), so hat der
*) Account of the Engl St I, 292,'93: "77ie busincss of the banquet
is connderably aoftened."
*) Engl. Dram. Lit. 111,402: ""The spectator is spared none of the
horrors of the gt'uesome myth^
') Einen Beweis dafür hat bereits Chambers geliefert, der den
— 60 —
englische Dichter auch öfters seinen eigenen Gedanken einen
echt poetischen Ausdruck verliehen. Mau erinnere sich der
prächtigen Liebesszene zwischen Philisthenes und Antigone
und insbesondere der Abschiedsworte des Mädchens (II, 1)!
Am Schlüsse des III. Aktes legt Crowne dem Thyestes
die eines Shakspere würdigen Worte in den Mund:
"Por who will Virtue foUow, and obey,
If when she is their Guide, men lose their way?"
Und in der 1. Szene des IV. Aktes spricht Thyestes die
wirklich schönen Worte:
"Trees shelter man, by whom they often dye.
And never seek revenge."
Dort findet sich auch jene Stelle, die ein glücklich er-
fundenes Bild entwickelt:
Phil.: Oh! look upon the Splendour of a crown,
See from the rising King it dawns this way ;
Oh! look upon it Father!
Thy.: Yes, I do,
As I have often looked upon the Sud,
When I have seen him heave a thousand Waves
In brimming Spouts, up to his Lips to drink,
To spit 'em all in the Seas Face again,
Or on some Desart, where they only serv'd
To cool a while the thirst of burning Sands.
So are we all by Royal splendour suck'd
Up to the Clouds, to be let fall again
Upon some dreadfui unexpected Fate.
Pen. : True Race of Tantalus ! who Parent like
Are doom'd in midst of plenty to be starv'd.
His Hell and yours diflfer alone in this;
When he wou'd catch at joys, they flye from him,
Whea Glories catch at you, you fly from them.
Die langen Reden, die wir in der englischen Tragödie
finden, erinnern sehr an das lateinische Original, bei dem es
SchlußmoDolog des 1. Aktes und die Eingangsworte des IV. Aktes der
Aufnahme in seine Cyclop. of Engl. Lit, (II, 89) für würdig erachtet hat.
— 61 —
bisweilen schwer ist, zwischen Monologen und langen Dialogen
zu unterscheiden. Bei genauer Prüfung kann man im Seneca-
schen Drama, von den Chören abgesehen, 7 tatsächliche Mo-
nologe herausfinden, von denen 2 auf den I., 1 auf den II.,
dann noch je 2 auf den III. und IV. Akt treffen. Bei Crowne
haben wir an wirklichen Monologen im I. Akte 4, im II. 3,
im III. und IT. Akte je 6 und im V. Akte nur 1, also im
ganzen 20. Interessant dürfte noch die Tatsache sein, daß,
wenn wir von Kyd absehen, von allen anderen Nachahmern des
lateinischen Thyestes nur Crowne die Stimmungsfiguren, nämlich
den Geist des Tantalus und die Megara, beibehalten hat.
C. Bomanlsche Literaturen.
1. Der Thyeste von Monleon (1633).
Der Inhalt dieser Tragödie ist kurz folgender:
Atree läßt den fern von ihm weilenden Thyeste, der im Ehebruche
mit seines Bruders Gemahlin Merope zwei £inder, namens Theandre
und Lysis, gezeugt hatte, ins Reich zurückrufen, angeblich, um sich
mit ihm wieder auszusöhnen. Thyeste geht in die Falle und schickt
sogar seine beiden Kinder als Geiseln zu Atree, noch bevor er sich
selbst zu ihm begibt. Nachdem dieser zuerst den Theandre und Lysis
durch Meünthe, die von ihm bestochene Vertraute der Merope, hat ver-
giften lassen, stellt er seine unglückliche Gemahlin vor die Wahl, sich
zu erdolchen oder zu vergiften. Sie greift nach dem Becher. Kaum
hat sie ihr Leben ausgehaucht, so langt der von traurigen Ahnungen
erfüllte Thyeste an, wird von Atree mit seinen eigenen Kindern Theandre
and Lysis bewirtet und soll nun nach Beendigung des schrecklichen
Mahles mit seinem Bruder noch den Versöhnungstrunk tun. Thyeste
«etzt den mit dem Blute seiner Kinder gefüllten Pokal an die Lippen«
wird jedoch in demselben Augenblicke von schrecklicher Angst befallen,
ruft nach seinen Kindern, — wird aber von Atree mit der entsetzlichen
Nachricht überrascht, daß er sie gegessen habe. Zum Beweise hierfür
werden ihm die blutigen Überreste seiner Söhne gezeigt.
Diese Tragödie wurde bereits sehr eingehend auf ihre
Quelle hin untersucht.^) Lust weist im einzelnen nach, daß
„Yor allem der zweite, dritte und vierte Akt, und außerdem
einige unbedeutende Nebenumstände aus dem Stücke des
*) Lust, Monleon in seinem Thyeste als Nachahmer Seneca'Sj 1887.
— 62 —
Seneca Id das des Monleon übergegangen sind, und daß die
Entlehnungen aus dem alten Dichter zunächst eine Stelle im
ersten, vierten und fünften Akte des modernen Dichters ge-
funden haben". Im übrigen verweise ich auf die Arbeit
Lüst'Sy der das Thema, das er sich gestellt, erschöpfend
behandelt hat.
2. Der Atree et Thyeste Crebillon's (1707).
Schon öfters ist der Versuch gemacht worden, einen
Vergleich zwischen dieser Tragödie und dem Thyesies Seneca's
anzustellen.
Crebillon selber hat es unterlassen, genauere Angaben
über das Verhältnis seines Stückes zu dem lateinischen Original
zu machen. Er bemerkt nur im allgemeinen ^) : tPournc jmut
offrir Airve saus une figure desagrtable, je fais etile ver uEropr aux
Autels mimes . . , J^ai altert jmr-tout la Fable paur rendrt m
rengeance moins nffrettse; ei il s^en fatit hkn que moti Atrie soü
aussi cruel que cehii de Snieqne, II nCa cntssi sttffi de fairf
cravidre ponr Thyesie toules les hofreurs de la Coupe que i^on
fröre lui pn'pare; et il iCy porle pas sculcmeni les Itvres.»
Im Jahre 1722 wurde Cr6billon's Stück einer Kritik
unterzogen, die unter dem Namen einer M«^i® Barbier er-
schien^), in Wirklichkeit aber Pelle grin zum Verfesserhat,
wie von den Brüdern Parfaict behauptet wird. In seiner
Besprechung der Tragödie hebt Pellegrin hervor, daß Crebillon .
dem lateinischen Original viele Züge entlehnt habe, und er fahrt
dann fort: «7/ en a meme imie Vaction principale, mais ü $'e»i
rendu original hd-mime dans les episodes : fatvue qite la fable, moins
simple que rellr de &'ucque, a quelque chose de plus graml et de
plus terrible, > ^) Was den Ausgang anlange, so meint Pellegrin,
Atreus erreiche bei dem lateinischen Dichter seine Absicht
während sein Racheplan bei Crebillon zweimal zerstört werde.
^) S. das Vorwort zur 2. Aufl. seines Stückes.
•) Dissertation critique 8ur la Tragedie d'Atrie et Thyeste, im lU-
cueil des Saisons liitCr. (Rouen), p. 1—142. Einen Auszug aus dieser
Kritik geben die Brüder Parfaict, Hist XIV, 427 fF.
») Parfaict, Hist XIV, 428.
— 63 —
Lessing hat sich damit begnügt, im wesentlichen nur
eine Inhaltsangabe der beiden Stücke zu geben und darauf
hinzuweisen, daß die 3. Szene des I. Aktes ,,zum Teil eine
Nachahmung des lateinischen Dichters^ sei.^) Am Schlüsse
seiner Analyse fügt er dann noch die folgende Bemerkung
hinzu : ,,Nach meinem Urtheile kann man dem Hrn. Crebillon
wohl weiter nichts vorwerfen, als daß er seinen Atreus und
Thyest ein wenig zu neumodisch gemacht; daß er die Haupt-
handlung mit einer unnötigen Episode geschwächt, und das
Ganze durch die Einführung so vieler Vertrauten . . . matt
gemacht habe. Wie weit er aber überhaupt unter dem
Schrecklichen des lateinischen Dichters geblieben sey, wird
man schon von sich selbst abgenommen haben. Er hat die
stärksten Züge in seinem Muster unberührt gelassen, und
außer dem so gelinderten Hauptinhalte, kaum hier und da
einige glänzende Gedanken von demselben geborgt. Doch
aoch diese hat er oft ziemlich gewässert, und die Stärke gar
nicht gezeigt, mit welcher der ältere Corneille die schönsten
und prächtigsten Gedanken der römischen Trauerspiele in
seine überzutragen wußte. Einigemal ist es ihm so ziemlich
gelungen, besonders bey dem agnosco fratrem, welches er
durch folgende Zeile ausgedrückt hat:
A. Meconnais'iu ce sang? Th. Je reconnais mon frere.
Auch noch eine Stelle hat er sehr wohl anzuwenden
gewußt, und zwar eine solche, welche manchem Ausleger des
alten Dichters selbst nicht recht verständlich gewesen ist
Ich meine die 1052 te Zeile:
Sceleri modus debctitr, tibi fackis sccbcs^
Non übt reponas — —
welche er sehr kurz und schön so übersetzt hat:
II faut un terme au crime, et non ä In vengeance" ^)
Wie Lessing, so ist auch die Histoire universelle des
Thidires de toutes ks Nations (1779 — 81) weit davon entfernt,
über das Abhängigkeitsverhältnis der beiden Dramen be-
friedigende Aufschlüsse zu bieten. Wir werden mit der
') Theatr. Bihl, II, St. 1754 [LJs sämmtL Sehr. IV, 292 flf.).
«) L:» sämmtl Sehr, IV, 3(J^.
— 64 —
kurzen, ebenso oberfläcblichen wie nichtssagenden Bemerkung
abgefunden, daß Crebillon *. . .a , . , imite PAuieur latin dan<
plusieurs e.ndroits, ei en parii/ndier davs la Scene II du premitr
AcUf dan^ la premüre et septievie du iroisihnej dans la quatrilmf,
cinquieme et sixieme du derniei*.*^)
Im Jahre 1789 äußert sich die PetUe Biblioiheqne dfs
Thedtres folgendermaßen: <cCrebillofi n'a pu imiier que cetu
derniere [la piece de Sineque], et il Ca fait, en plusieurs endrmti
de son Atree^ en tnchant d''en rendre la catasirophe un peu mohis
horrible que celle du Thyesie de Seneque, Dans eette Piece, Thyfsk
holt reellement le sang de trois de ses fds. Dans celle de Crebillon,
il voit la Coupe que lui fait 2)r€sefiter son frere, Atree^ remplie de
sang. B la rejeite avec hmreur . . ,» ^)
La Harpe^) bringt allerdings (1779—1805) eine ein-
gehende Besprechung des Crebillon'schen Stückes, hebt auch*),
wie Lessing, die dem Seneca entlehnten Verse : A. Meconnai^-
tu re sang? Thy. Je reconnais ?non frere hervor, geht aber
ebenfalls der eigentlichen Quellenfrage aus dem Wege.
Aus den Annales dramatiques (1808 flf.) erfahren wir fol-
gendes über Crebillon: «Quoiqu'ü n*entendH ni le gree ni le
latin, quoiqtCil n^eut que la mauvaise traduction- de fabbe de J/a-
volles 2^our se petu'trer des beautes de Sineque^ il s'est quelquefoii
i'leve jusqu\i sa hauteury comme on peut s^en eonvaincre par la
lecture de quelques seines de difßrens acies,7> ^) Die Behauptung,
daß der Dichter kein Latein und kein Griechisch verstanden
habe, wird durch die Tatsache widerlegt, daß er ein Jesuiten-
kollegium absolvierte, die Kechte studierte und schließlich
tavocat au parlernent de Paris» wurde.*) Wenn also Crebülon
auch imstande war, den Seneca im Original zu lesen, so hat
er sich trotzdem die Übersetzung von MaroUes angesehen;
denn obgleich der französische Tragiker den lateinischen Text
sehr oft nach seiner eigenen Weise verwendet und wieder-
») Bd, VI, Teil I, 360.
•) Chef8-d'(Euvre de Crib.: Jug, et Anecd., p. VIII/IX.
») Cours de Litt XI (P. I), 12 ff.
*) Cours de Litt. XI (P. I), p. 27/28.
») Ann, dramat. IX, 121.
•) Cf. Dutrait, Etüde, p. 6ff.
— 65 —
^bt, kliogen doch einige Verse des Atrce ei Thyesie an den
Text von MaroUes an.^)
Was Yillemain betrifft, so handelt er (1846) allerdings im
allgemeinen über das Verhältnis des Cr^billon'schen Stückes
zum lateinischen Original. Aber auch er dringt durchaus
nicht tiefer in diese Frage ein, sondern bespricht vor allem
den Thyestes Seneca's.^)
Auch Saint-Marc Girardin handelt (1852) über die beiden
Autoren, bespricht das lateinische Original ziemlich eingehend,
sucht zu beweisen, daß der Charakter des Atree besser von
Crebillon als von Seneca geschildert worden sei, gibt eine
Inhaltsangabe des französischen Stückes und sagt zum Schlüsse
in bezog auf die bekannte Stelle: tMecomiais-tu ee $ang?> tJe
reconnais mon frere» : < (Vebillon a eu le hon esprit de ne traduire
de Seneque que ce mot sublime^ et de laisser de coli les antitkeses
raffinees du Thyesie de Setfeqtie,*^)
Außerdem ist noch Lucas zu erwähnen, der (1862) den
Verfasser des französischen Stückes für einen poeie ä Veau rose
erklärt^) und in bezug auf die im lateinischen Original sich
findenden Schreckensszenen sich folgendermaßen äußert:
^ Weiter unten (S. 76 tf.) werden wir die von Crebillon benutzten
Stellen der Übersetzung namhaft machen.
*) Cours de Litt, fr. I, 53 ff. Über Crebillon heben wir folgende
Bemerkungen heraus: ^Dans une pariie du theätre de CrebiUorif vom
retrouvez, ä la correction preSj cette enflure, cette pompe monotone des
tragedies de Seneque .... c^est le meme vidcj le mime defaut de verite,
On peut comparer VAtr^e et Thyesie de Vun et Vauti-ej et dans la diversite
des plans, on retrouvera cette ressemblance» .... (ibd., p. 57): *Crebiüon
n'en est pas moins tragique dans quelques intentions [que Seneque] et dans
quelques vers de sa piece toute moderne. LHnterrogatoire de Thyesie
est d^un grand effet: la coupe sanglante^ imitee de Seneque, rend possible
sur la scene un dmoument affreux que le poete latin avait surcharge de
degoutants detalls mtles ä ce trait cnergique:
Natos et quidem noscis tttos? — Agnosco fratrem,
si bien rendu par Crebillon:
ReconnaiS'tu ce sang? — Je reconnais mon frere.»
») Cours de litt, dramat. II, 194 ff.
*) Hist. philos. et litt. I, 304/05; *Quand on compare son Atree et
Thyesie avec la piece que Seneque a composee sur le meme Sujet, Cre-
billon n^est plus qu^tn poete ä Veau rose.»
Münchener Beiträge z. rom. u. engl. Philologie. XXXVII. o
— 6H —
tCribiUon timt hien gafdt^ dUmployer tt'jt unagta ^ti-uAii
ä tn a aikhmi teffet m^me dan$ m vtrs
Mironnaif*-iu ce sanf^'f — Je freonna^s umtt fr*
Li vcrs int in cM pliw rxprcsanf cncotr:
Afr^ Venere : nfitns €ctfitid (ufnom^s Hms Y
Thy, Atjnoitm ftairem.
CvtbiUon a iaw>it} aussi de coti bcüucoup de mujrimtn lemisi
tjtft' Iti corrupiion de In vour des eNt^terfur^ impirnU nans äuute
h mitsc hardtr de i^nn/uf» Tflle rst ctik-ci : Qnmnd jKrmnm
napptrndi^aU a hteji en/hnts ions kff drOmrs dr ta n*än fi du rrtm€^
ir Inme k kur enseigncra, i'rains^iu f/ioln /w? d^rkanfni j*ri»[
niifcfiantsf Ih sont tiv^s poitr feire,» Lucas beBodet sich hier'
iß einem bedauerlicheD Irrtümer denn wir werden sehen, daß
Crebillon gertidp «I lesen tSeiicca'schen (tedanki-u sehr schün
wiedergegeben hat.
Den eipgeheiidsten Vergleich /wischen dem Jtnc tl
Thif€iti4^ und dem lateinischen Origiiirtl hut Dutrait angesiellt
(18^5).^) Er macht ?or allem darauf aufmerksam, dali Cp^
hillon durch die Liebe dos Plisthene zu Th^odaniie uod
durch die zweimalige Versöhnuug den StotV kümph/-iener ge-
staltet habe als Seneca. daß aber dafür durch WegkssuD^
der Seneca'schen deklamatorischen Tiraden und durch eine
ebenso kur7.e wie feine Wiedergabe dos Sinnes jener laugen
Reden seiu Drama im Vergleich zu seinem Vorbild bedeutend
Tereinfacht worden sei. Sodauu gibt Dutrait den Inhalt ilt^f
antiken Tragödie, wobei er darauf hinweist, daß die uDglü<^k-
iichen Vorahnungen, die bei Seneca (IIL Äktl iu der Seelr
des Thyestea aufsteigen^ auch im französischen Drama ton
Plistheue (1269—1296, 13U7-'10, 1321 — 24) und tou Thyesto
(1423—32, 1460—68) ausgesprocheu werden, und daß Or^biilon
die bei Seneca <III) sich findende Versöhnuog der feindlichea
Brüder in der 4. Szene des IV. Aktes seiner Tragödie cbec-
falls darstellt. Außerdem erfahren wir von Dutrait, daß d^^
französische Tragiker sein Vorbild im V. Akte nur bis ^
der Stelle nachgeahmt habe, wo Thyeste den verhänguifi^'^'l'*^
Pokal ergreift und seine Söhne zurückverlangt* und daß ^t
1) ttxidt nur la Vk et k ThMtre iU CrB,, p. ZiOSt.
— 67 —
die bei Seneca am Schlüsse sich anhäufeüden zynischeu Reden
des Atreus abgeschwächt und die <(raifs de mauvfns goul-^ der
antiken Tragödie weggelassen habe.
An einer anderen Stelle kommt Dutrait auf den Inhalt
des V. Aktes des Atrtc et Thfjcstc zu sprechen und macht
bei den von Crebillon dem Seneca entlehnten Stellen die ent-
sprechenden lateinischen Verse namhaft.^)
Wenn auch diese von Dutrait angestellte Quellenunter-
suchung der Sache mehr als alle anderen auf den Grund
geht, so kann sie doch nicht den Anspruch auf Vollständigkeit
machen, da sie die vier ersten Akte des Atn'n d Thf/este durch-
aus nicht hinreichend mit dem lateinischen Originale vergleicht.
Es wird demnach unsere Aufgabe sein, die Grebillon'scho
Tragödie genau auf ihr Verhältnis zur lateinischen Quelle
und zur Übersetzung des Abbe de Marolles hin zu prüfen.
Der Inhalt des Afne et Thf/estc^ dessen Handlung in
Chalcys auf Euböa und zwar im Paläste des Atree spielt, ist
kurz folgender:
Atree gibt einem riottenoflizier den Befehl. Doch am selben Tage
mit seinen Schiffen jjegen Athen abzusej^^eln, wohin Thyeste vor zwanzig
Jaliren die Gemahlin des Atree, .Erope, am Tage ihrer Vermählung
entführt hatte. Ihn soll jetzt endlich die Rache seines Bruders treffen.
Bereits ein Jahr nach dieser Entiührung hatte Atree sich seiner
Gemahlin wieder bemächtigt, die bald darauf einem von Thyeste ge-
zeugten Sohne, Piisthtne, das Leben gegeben hatte. Da sie dem Thyeste
noch immer mit leidenschaftllclier Liebe zugetan war, machte Atree
ihrem Leben durch Gift ein jähes Ende. Zugleich legte er heimlich
ihren Sohn statt ein»s ihm von einer zweiten Gemahlin inzwischen ge-
borenen Kindes in die AViege, um ihn eines Tages zur Ermordung des
Thyeste, seines eigenen Vaters, zu verleiten. Nur der Vertraute des
Atree kennt dies (teheimnis. Plisthene selber hält sich für Atree's
Sohn. Thyeste hatte mittlerweile Anhang in Athen gefunden, wo er
mit seiner ihm von einer anderen (temahlin geschenkten Tochter Theo-
damie lebt.
Die Flotte soll also gegen Athen auslaufen. Atree läßt den Plisthene
kommen und schwriren, im Kriege gegen Athen seinen Todfeind zu er-
morden. Als der Jüngling aber erfährt, daO Thyeste das Opfer werden
soll, da weigert er sich auf Grund eines in ihm wach werdenden un-
erklärlichen Gefühls, sein Versprechen einzulösen.
') Ktude, p. 3Gyff.
5*
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Inzwischen hat Thyeste von dem geplanten Zuge gegen die Athener
Kunde erhalten. Damit seine Bundesgenossen vom Kriege verschont
bleiben, segelt er mit seiner Flotte nach Mykenä, wird an die Küste
von Euböa verschlagen und gerät mit seiner Tochter Theodamie in die
Gewalt des Atree, der nun die Ausführung seines Racheplanes betreibt
und den Plisth&ne mit der Ermordung des Thyeste betraut. Diesem
Ansinnen setzt der Jüngling jedoch eine entschiedene AVeigerung ent-
gegen. Ja, er dringt sogar in Atree, sich mit seinem Bruder auf-
zusöhnen. Der hinterlistige König scheint in seinem Entschlüsse
schw^ankend zu werden, um gleich darauf die Ermordung des Thyeste
von neuem zu verlangen, indem er zugleich die Drohung hinzufügt, d&L
seine Geliebte, Theodamie, dem Tode verfallen sei, falls er nicht ge-
horche. Da Plisthene auf seiner Weigerung beharrt, heuchelt Atree
Versöhnung mit seinem Bruder und enthüllt ihm das Geheimnis, daii
Plisthene sein (des Thyeste) Sohn sei. Der Jüngling ist entsetzt bei
dem Gedanken, daß ihm Blutschande und Yatemiord bevorstanden.
Nachdem Atree seinem Bruder angeboten hat, sich mit ihm in die He-
gierung des Landes zu teilen, lädt er ihn zum VersÖhnungstmnke ein.
Da jedoch Plisth&ne dem Atree nicht traut, sucht er die Seinigen zur
Flucht zu bewegen. Dieses Vorhaben w^ird aber von Atree entdeckt,
der den Jüngling abführen und töten läßt. Bei dem Versöhnungsfeste
tnerkt Thyeste, noch bevor er den mit dem Blute seines Sohnes gefüllten
Becher an den Mund setzt, den gräßlichen Betrug und tötet sieb.
I. Akt.
Der Schauplatz ist während des ganzen Stückes der Palast des Atree
in Chalcys auf Euböa.
Bei Crebillon beginnt die Tragödie mit Tagesanbruch, während bei
Seneca erst nach dem Verschwinden des Tantalus und der Furie die
Sonne aufgeht.^) In der ersten Szene gibt Atr6e seiner Freude darüb*^r
Ausdruck, daß endlich ein für seine Rache günstiger Wind sich erhoben
habe, der seiner Flotte die Abfahrt von Euböa gestatte. Er gibt den.
Offizier Alcymedop Befehl, den Hafen der Insel zu verlassen. Hierauf
schickt er (2. Sz.) seine AVache nach Plisth&he aus und behält seinen
Vertrauten Euristh^ne zurück.
3. Szene. Atree ist glücklich darüber, daß jetzt endlich der so heilt
ersehnte Tag gekommen sei, an dem der Rachezug gegen Athen, das
Asyl seines verhaßten Bruders, ins Werk gesetzt werden könne. £r
teilt seinem Vertrauten mit, sein Sohn sei bereit, jene Stadt mit Feuer
und Schwert zu verwüsten. Euristhone bittet den Pelopiden, doch nicht
den letzten Zufluchtsort des Thyeste zu zerstören, und meint, Atree solle
') V. 120/21 : cn ipse Titan dubitat an lübeat sequi
cogatque habenis ire periturum diem.
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überhaupt seioen Brader leben lasseD, damit dieser auch sein Unglück
und die über ihn verhängte Rache fühle.
Der gleiche Gedanke findet sich bei Seneca im II. Akte ;
nur spricht ihn dort nicht der satelles, sondern Atreus selber
aus ; denn als ihn sein Vertrauter fragt, ob er seinen Bruder
mit dem Schwerte umbringen wolle, gibt ihm Atreus zur
Antwort :
V. 246 De fine poenae loqueris; ego poenam volo.
Der wütende Pelöpide entgegnet, daß er seinen Brnder, den Ehe-
brecher, töten, ihm nur die HrJlle als Asyl lassen, ja, wenn möglich, ihn
dort noch verfolgen wolle.
Die Worte des Atree:
«Mon coDur qui sans pitie lui declare la guerre,
Ne cherche ä le punir qu'au defaut du tonnerre»
erinnern stark an Seneca, der oft Ton Donner und Blitz
spricht. Insbesondere kommen uns dabei die folgenden Worte
ins Gedächtnis, die Thyestes im V. Akte ausruft:
V. 1089/90 me pete, trisulco fiammeam telo facem
per pectus hoc transmitte.
Euristh^ne erwidert, er habe geglaubt, daß die lange Keibe von
zwanzig Jahren des Königs Zorn gemildert hätte, so daß er des Thyeste
jetzt nicht mehr gedenke. Atree jedoch teilt ihm mit, er habe im
Gegenteile während dieser Zeit auf eine schreckliche Rache gesonnen,
und weiht ihn hierauf in das uns bereits bekannte Geheimnis ein, daß
Plisthfene der Sohn des Thyeste sei. Die Vaterschaft seines Bruders
stehe vollständig fest. Denn nach der Vergiftucg der ^Erope habe er
(Atree) von ihren Vertrauten einen Brief aufgefangen, in dem .Erope
vor ihrem Tode dem Thyeste von der Geburt des Plisth^ne habe Mit-
teilung machen und ihren Sohn der Obhut seines Vaters habe anver-
trauen wollen. Der Pelöpide klärt femer den Kuristh^ne darüber auf,
daß sein ihm von seiner zweiten Gemahlin geschenktes Kind bald nach
jener Vertauschung gestorben sei. Den Sohn des Thyeste und der
.Erope aber habe er erzogen, um ihn als Werkzeug gegen seinen eigenen
V^ater zu gebrauchen und ihn dann selbst zu ermorden. Ja! Thyeste
soll von der Hand seines Sohnes fallen, und vor seinem Tode soll ihm
diese Rache noch rechtzeitig zum Bewußtsein gebracht werden j denn,
sagt Atree:
«Contre Thyeste enfin tout parait legitime. >
Ahnlich drückt sich auch Atreus bei Seneca im II. Akte
dem satelles gegenüber aus mit den Worten;
V. 220 Fas est in illo quidquid in fratre est nefas.
— 70 —
Da bittet Euristhene den grausamen König:
fEh bien! sur votre fröre 6puisez votre haine;
Mais du moins eparguez les vertus de Plisthene.>
Atree aber antwortet:
«Plisthöne ne d'un sang au crime accoutume,
Ne dementira point le sang qui Ta forme ;
Et comme il a dejili tous les traits de sa mere,
II aura quelque jour les vices de son pere.>
Ähnlich heißt es bei Seueca:
V. 313/14 Atr.: . . . ne mali fiant times?
nascuntur.*)
Atree meint hierauf, er wolle das Leben des Plistheue
nicht verschonen, da er ja sonst auf Kosten seiner eigenen
Söhne Agamemnon und Menelaus dem Nachkommen des
Thyeste seine Krone vererben müsse, und fügt hinzu:
«Que Ton approuve, ou non, un dessein si fatal.
II m'est doux de verser tout le sang d'un rival.»
Diese Worte erinnern an den Ausspruch des Atreus bei
Seneca (II. Akt). Auf die Frage seines satelles:
V. 204 ff. : Fama te populi nihil
adversa terret?
erwidert er:
Maximum hoc regni bonum est,
quod facta domini cogitur populus sui
tam ferre quam laudare.
Hier wie bei Crebillon setzt sich Atreus über den Willen
und das Urteil seines Volkes stolz hinweg und tut, was ihm
beliebt.
Die ganze 3. Szene ist überhaupt eine ziemlich genaue
Nachahmung des II. Aktes der lateinischen Tragödie. Denn
bei Seneca wie bei Crebillon teilt Atreus seinem Vertrauten
den Racheplan mit und läßt sich durch keinerlei Einwände
von seinem schrecklichen Vorhaben abbringen. Der Unter-
schied zwischen diesen beiden Szenen liegt darin, daß bei
*) Lucas ist dies entgangen, s. p. 66.
— 71 —
Cr^billon Atree noch Dicht den endgültigen Beschluß gefaßt
bat; seinem Bruder das Blut seines Sohnes zu trinken zu
geben, während doch bei Seneca Atreus sich schon über seinen
teuflischen Racheplan einig ist, den er zum Schlüsse zur
Ausführung bringen wird.
Als zu Beginn der 4. Szene Atree den eintretenden
Plisthene bemerkt, sagt er zu seinem Vertrauten:
«Songe que ma vengeance
Renferme des secrets consacres au silence.»
Auch bei Seneca fordert Atreus am Ende des II. Aktes
seinen satelles zum Stillschweigen auf mit den Worten:
V. 333 : nostra tu coepta occules.
Hierauf läßt Atree den Sohn des Thyeste eidlich versprechen, seinen
Todfeind zu ermorden ; doch als ihm der König schließlich den Thyeste
als diesen verhaßten Gegfner bezeichnet, der fallen soll, erschrickt
Plisthene. Im offenen Felde will er den Thyeste bekämpfen, aber ihn
nicht meuchlings ermorden. Atree fordert jedoch den Jüngling auf, sein
Mitleid zu unterdrücken, mit der Flotte abzusegeln und die Pflicht zu
tun, die ihm sein Eid vorschreibe. In der 5. Szene sträubt sich Plistht»ne
energisch gegen die Ausführung der ihm zugemuteten Bluttat. Um
dieser Schmach zu entgehen und sich zugleich von seiner unglücklichen
Liebe zu jener Unbekannten, die er mit ihrem Vater aus den Wogen
errettet hat, für immer zu heilen, will er auf dem Schlachtfelde eines
rühmlichen Todes sterben. In der 6. Szene bittet Theodamie, ohne
ihren Namen zu verraten, den Plisthene um ein Schiff, und nachdem
dieser sich entfenit hat, um bei seinem Vater ein Boot für die Fremden
zu erflehen, weiht sie ihre Vertraute Leonide in das Geheimnis ihrer
tiefen Liebe zu Plisthene ein (7. Sz.).
IL Akt.
Thyeste verlangt, den Plisthene zu sprechen. Hierauf (2. Sz.) bittet
er Theodamie, den Atree um ein Boot anzugehen; denn er wolle un-
bedingt so schnell wie möglich nach Athen zurückkehren, um diese Stadt
nicht ihrem Unglück zu überlassen. Theodamie aber sieht große Gefahr
darin, sich direkt an Atree zu wenden; sie rät daher ihrem Vater, sich
vor der Abfahrt des Tyrannen versteckt zu halten. Doch Thyeste ent-
gegnet ihr:
«Voycz donc le Tyran; quel que soit son courroux,
Cest assez que mon coeur n'en craigne rien pour vous,
Ma fille.''
— 72 — .
Diese Worte haben große Ähnlichkeit mit denen, die
Thyestes bei Seneca (III. Akt, 1. Sz.) zu seinen Söhnen spricht,
als sie ihm seine Furcht vor Atreus benehmen wollen:
V. 485/86 Pro me nihil iam metuo : vos facitis mihi
Atrea timendum.
Nur hat Crebillon die Rollen hier vertauscht; denn
während im lateinischen Original Thyestes für seine Söhne
fürchtet, die ihm jedoch Mut einsprechen, sieht hier um-
gekehrt die Tochter eine Gefahr in der Annäherung an Atree
und rät deshalb ihrem Vater, sich vor ihm zu verbergen.
Jedoch treten hier wie im lateioischen Stücke die väterliche
Liebe und Fürsorge des Thyestes gleich stark hervor.
Thyeste läßt sich also von seinem Vorhaben nicht abbringen, zumal
er in der vorausgehenden Nacht ein Traumbild geschaut hat, das ihn
aus der Nahe des Atree treibt. £r erzählt:
«Pr^s de ces noirs detours, que la rive infernale
Forme a replis divers dans cette Isle fatale,
J*ai cru longtemps errer parmi des cris affreux
Que des Planes plaintifs poussaient jusques aux Oieux.^»
iErope kam ihm entgegen und schleppte ihn mit sich zu ihrem Grabe.
Dort sah er, wie Atree, von Furien umgeben, mit einem rauchenden
Schwerte einen Unglücklichen hinmordete. Dann habe der Grausame
ihm (dem Thyeste) mit der einen Hand seine Seite durchstoßen und mit
der anderen ihn mit seinem Blute getränkt. Dieser schreckliche Traum
habe mit einem Donnerschlag geendet.
In geschickter Weise hat Crebillon die Erzählung des
Boten im IV. Akte des lateinischen Originals in diesem Traume
zu verwerten gewußt. Bei Seneca sehen wir den Atreus in
einem dunkeln, hinter dem Palaste liegenden, heiligen Haine
seine Blutopfer hinschlachten, und von dem in jenem Haine
befindlichen Sumpfe heißt es;
V. 666 fiF. : talis est dirae Stygis
deformis unda . . .
hinc nocte caeca gemere ferales deos
fama est, . . .
ululantque manes.
Wie man sieht, haben die oben zitierten französischen
Verse Ähnlichkeit mit den lateinischen. Übrigens ist es ein
sehr glücklicher Kunstgriff Crebillon's, daß er jenen den Ufern
— 73 —
des Styx so sehr ähnelnden Hain ganz zur Unterwelt gemacht
hat. Statt nun gleich eine zahlreiche Schar von Gespenstern
erscheinen zu lassen wie Seneca:
V. 671/72 errat antiquis vetus
emissa bustis turba,
begnügt sich der französische Dramatiker damit, nur die
-^rope aus ihrem Grabe auferstehen zu lassen. Auch der
Schluß:
«Et le songe a fini par un coup de tonnerre»
klingt sehr stark an Seneca an, in dessen Stück Donner und
Blitz keine geringe Rolle spielen.
Nachdem Thyeste seinen Traum erzählt hat, meint er, er fürchte
viel mehr von Atree als von diesem nächtlichen Phantaaiebilde ; denn,
sagt er in bezug auf seinen Bruder:
«Je ne connais que trop la farenr qui Tentraiuo
Ahnlich kleidet auch Thye'stes bei Seneca seine Furcht
vor Atreus in die Worte:
V. 484 Tantum potest quantum odit.
Als hierauf Theodamie ihn an die Hilfe erinnert, die sie doch von
Plisth^ue erhalten könnten, erwidert ihr Thyeste, er fühle wohl große
Zuneigung, ja sogar Liebe zu diesem Jünglinge, jedoch dürfe und wolle
er nicht die Hilfe des Sohnes seines Feindes in Ansprach nehmen. Als
er Atree herankommen sieht, entfernt er sich, nachdem er seiner Tochter
nochmals nahegelegt hat, Atree um ein ßoot zu bitten. Nachdem Atree
den Alcymedon (3. Sz.) nach Plisth^ne ausgesandt hat, trägt Theodamie
ihr Anliegen vor (4. Sz). Der Pelopide zeigt sich sehr willfährig,
wundert sich aber, daß sich ihr Vater von ihm fernhalte, und gibt seinen
Wachen Befehl, den unbekannten herbeizuführen.
5. Szene. Atree fragt den eingetretenen Thyeste nach seinem
Namen, seiner Heimat usw. Thyeste erwidert, er heiße Philoctöte, sei
Thrakier und wolle nach Asien fahren, um dort sein unglückliches Da-
sein zu beenden. Plötzlich fällt es dem Atree wie Schuppen von den
Augen: er erkennt seinen verhaßten Bruder. Dieser ist viel zu stolz,
als daß er leugnen sollte. Mit mutigem Trotz, ja mit Hohn tritt er
dem Atree gegenüber und scheut sich nicht, ihm zu gestehen:
«Quand merae tes soupQons, et ta haine funeste,
N'eussent point decouvert Pinfortune Thyeste,
Peut-etre quo la mienne, esclave malgre moi,
Aux depens de tes jours m'eüt decouvert a toi!
-^ 74 —
Si j'ai pu quelque temps te deguiser mon nom,
Le soin de me venger en fat seul la raison.»
Im lateinischen Original sagt Atreus von seinem Bruder:
II, 201 flf. proinde antequam se firmat aut vires parat,
petatur nitro, ne quiescentem petat.
aut perdet aut peribit.
Crebillon hat also den Verdacht, den bei Seneca Atreus aus-
spricht, zur Wirklichkeit werden lassen; denn sein Thyeste
wollte ja tatsächlich gegen Atree vorgehen.
Der grausame Pelopide gibt seinen AVachen den Auftrag, Thyestf
zu töten; als ihm jedoch einfällt, daß ein anderer dessen Blut vergielieL
soll, zieht er seinen Befehl zurück und läßt Plisth^ne kommen, üauni
hat dieser edelmütifjc Jüngling erfahren (6. Sz.), daß der UnbekanntP
Thyeste sei und getötet werden solle, da sucht er sofort den Groll de«
Atree zu dämpfen. Plisth^ne will lieber hundertmal sterben ab dem
Kachewerk seines Vaters die Hand leihen. Scheinbar läßt sich Atre»*
von den Bitten des Plisthene erweichen und schwört bei den Göttern,
von diesem Tage an alle seine Feindseligkeiten zu vergessen. Er spricht
dabei die trügerischen Worte:
«Je veux bien oublier une sanglante injure:
Thyeste, sur ma foi que ton copur se rassure:
De mon inimitie ne crains point les retours,
Ce jour meme en verra finir le triste cours.*
Diese Szene ist dem 2. Teile des III. Aktes der lateini-
schen Tragödie nachgebildet, wo auch Atreus dem Thyestes
gegenüber Versöhnung heuchelt, und zwar erkennen wir in
den oben zitierten Worten die folgenden Verse wieder, die
Atreus bei Seneca spricht:
III, 507 ff. Praestetur fides —
. . . quidquid irarum fuit
transierit; ex hoc sanguis ac pietas die
colantur, animis odia damnata excidant.
Mit den Worten:
fj'en jure par les Dieux, j'en jure par Plisthene.
C'est le sceau d'une paix qui doit finir ma haine.
Je n'en demande point de garant plus sincero
stellt Atree den Plisthene, also eigentlich den Sohn des Tbjeste,
— 75 —
als Bürgen des Friedens auf, genau wie bei Seneca Thyestes
seine Söhne dem Atreus als Geiseln anbietet:
III, 520/21 obsides fidei accipe
hos innocentes, frater.
Nachdem nun Atree auf diese Weise seine Fallstricke um Thyeste,
geworfen hat, befiehlt er (7. Sz.) dem Euristhfene, die seinem Sohne am
meisten ergebenen Soldaten zu zerstreuen und bald zurückzukehren. "
III. Akt.
Atree drückt in der 1. Szene vor seinem Vertrauten seine Freude
darüber aus, dal] er endlich seinen Bruder in seiner Gewalt habe. So-
bald wie möglich soll den Thyeste die Rache ereilen!
In dieser Szene erinnern uns die Worte des Atree an
den ersten Teil des IIL Aktes bei Seneca, wo Atreus glücklich
darüber ist, daß sein Bruder in die Falle gegangen ist. Man
sehe sich folgende analogen Stellen an:
Atr. bei Creb.:
Enfiu, griices aux Dieux, je tiens en ma puissance
Le perfide ennemi que poursuit ma vengeance
Vengeous-nous ! il est temps que ma colere eclate.
Atr. bei Sen. III, 494 ff.:
venit in nostras mauus
tandem Thyestes, , . .
vix tempero animo, vix dolor frenos capit.
In der 3. Szene mahnt Atree den Plisth&ne aufs neue, seinen
Eid zn halten, widrigenfalls er seine geliebte Theodamie töten werde.
Flisth^ne aber will nimmer seine Hand mit einer solchen Mordtat be-
flecken, sondern vielmehr das Leben des Thyeste schützen (4. Sz.). Bei einer
nun folgenden Begegnung (5, Sz.) teilen sich Thyeste und Plisthene
gegenseitig mit, daß sie eine ganz unerklärliche Liebe von Anfang an
zueinander gefühlt hätten. Der Jüngling gibt hierauf dem unglücklichen
Bruder des Atree zu verstehen, dali seine Tochter Theodamie in großer
Gefahr schwebe, und rat ihm zur Flucht. Die Unterredung der beiden
wird von Atree gestört, der wutentbrannt dem Pli^th^ne befiehlt, sich
schleunigst zu entfernen (0. Sz.). Thyesle ist nicht wenig erstaunt über
das Verhalten des Atree seinem Sohne gegenüber (7. Sz.). doch der
rachesüchtige König zeiht den Plisthene der Undankbarkeit, fertigt die
— 76 —
Fragen seines Bruders Fehr kurz ab und jagt ihn geradezu davon. Als
dann Atree allein ist (8. Sz.), faßt er den Plan, seinen Bruder nicht
töten zu lassen, sondern sich an ihm durch eine Tat zu rächen, die den
Tod als eine firanz gelinde Strafe erscheinen ließe.
Diese Szene erinnert an den Beginn des IL Aktes des
lateinischen Originals, wo Atreus in einem längeren Monologe
dieselben Gedanken ausspricht. Crebillon hat mehrere Vene
aus jener Szene Seneca's an dieser Stelle wiedergegeben und
hat sich dabei offenbar auch an die Übersetzung von Marolles
angelehnt. Mau vergleiche:
Atr. bei Creb, :
Je ne punirais point vos forfaits diiferents
Si je ne m'en vengeais par des forfaits plus granda.
... Et par un coup funeste
Surpassons, s'il se peut, les crimes de Thyeste.
Atr. bei Sen. II, 195 flf.:
scelera non ulcisceris,
nisi vincis. et quid esse tarn saevum potest,
quod superet illum?
Marolles übersetzt :
Tu ne vangeras point ses crimes, si tu n'en fais toy
mesme de plus grands pour les vaincre: mais quel
crime pourroit-estre assez execrable pour surpasser
le sien ? ^)
Atr. bei Creb.:
Qu'il vive, ce n'est plus la mort que je medite;
La mort n'est que la fin des tourments qu'il merite:
Que le perfide, en proie aux horreurs de son sort,
Implore, comme un bien, la plus aflFreuse mort;
Atr. bei Sen. II, 246 flf.:
De fine poenae loqueris; ego poenam volo.
perimat tyrannus lenis: in regno meo
mors impetratur.
^) Les Trag, de Sen. II, 78.
— 77 —
Marolles achreibt :
Tu parles de la fiu du tourmeut qu*il merite: mais
non pas de la peine que je veux qu'il souffre. Qu'un
Prince doux fasse mourir ses ennemia tout d'un coup.
Pour mov, je veux que sous mon Regne la mort
s^impetre pour ceux-li\. comme une grace.^)
Atr. bei Creb. :
Que ma triste veugeance, k tous les deux cruelle^
Etonne jusqu^aux Dieux qui n'ont rien fait pour eile.
Atr. bei Sen. II, 265/66:
fiat hoc, fiat nefas,
quod, di, timetis.
In diesen Versen ist Crebillon unabhängig von Marolles.
Atr. bei Creb. :
Yengeons tous nos affronts; mais par un tel forfait
Que Thyeste lui-meme eüt voulu Tavoir fait.
Atr. bei Sen. IL 193 flF.:
aliquod audendum est nefas
atrox, cruentum, tale quod frater mens
suum esse mallet.
Marolles gibt diese lateinischen Verse folgendermaßeu
wieder :
Enfin, il faut attenter quelque action barbare et
sanglante, et teile que mon fr^re seroit rauy de Tauoir
faite contre moy . . . ^)
IV. Akt.
In der 1. Szene teilt Plisth^ne seinem Vertrauten mit, er wolle
Theodamie und ihrem Vater in einem Boote zur geheimen Flucht ver-
helfen, um lie ihrem harten Schicksal zu entreißen. £r wird ungeduldig
über das Ausbleiben seiner Geliebten und will gerade zurück, um nach
ihnen zu sehen, als Theodamie zu ihm kommt und ihn inständig bittet,
ihren Vater von dem Vorhaben, den Atree zu töten, abzubringen (2. Sz.).
') Les Trag, de Sen. II, 81.
■) Les Trag, de Sin. U, 78.
— 78 —
Plisthfene teilt ihr seine Vorbereitung zu ihrer Flucht mit. Da erscheiDt
auch Thyeste und wundert sich, daß Plisthene, den er schon au AtKe
habe rächen wollen, noch am Leben sei (3. Sz.). Als ihm hierauf oer
Jüngling den Vorsehlag zur Fhichfc macht, weigert sich Thyeste, sich
eines solchen Büttels zu bedienen. Er will als König sterben, wenn er
nicht mehr als solcher leben kann. Er bietet dem Plisthene seir.tn
Schutz an, da eine un])ekannte Macht sein Herz mit Bangigkeit um dn
Jünglings Leben erfüllt:
•<De noirs pressentiments viennent m'epouvanter :
.le combats vainemcnt de si vives douleurs:
Vn pouvoir inconnu me fait verser des pleurs.s
Diese Stelle erinnert au die Anfangsszene des IlL Aktes
der lateinischen Tragödie, wo Thyestes ebenfalls für seine
Söhne fürclitet. Allerdings kennt im französischen Stücke
der Vater seinen Sohn nicht, sondern ein unwiderstehlich'T
Drang, eben die Stimme der Natur, zieht ihn. zu dem Jüng-
linge hin. Crebillon verstand es, in geschickter Weise die
oben zitierten Worte nicht aus der analogen Szene des lateini-
schen Originals zu entlehnen, sondern aus dem V. Akte, wo
Atreus nach dem Mahle seine starken Befürchtungen in die
Worte kleidet:
V. 957/58 mittit luctus signa futuri
mens, ante sui praesaga mali.
V. 965 ff. nolo infelix, sed vagus intra
terror oberrat, subitos fundunt
oculi tletus, nee causa subest.
Der nun lierl)eikommende Atree (4. Sz.) teilt ihnen mit, er halt?
auf Grund göttlicher Eingebungen sich seiner Rachegedanken entschlagf.c.
befiehlt den Wachen, sich zu entfernen, und (5. Sz.) sucht alle von dtr
Wahrheit seiner ehrlichen Absichten zu überzeugen, indem er erklärt,
er habe tatsächlich Plisthene zur Erniordung des Thyeste zwingen wolle».,
aber das allzu große Unglück seines Bruders habe ihn doch endlich zur
Ver'iöhnung geneigt. Plisthene hätte einen Vaternoord begangen, wena
er den Befehl aufgeführt hätte. Zur Bestätigung seiner Aussage fordert
Atree den Thyeste auf, den Brief der .Erope zu lesen. Nun kann Mcb
der Vater endlich den Grund der innigen Gefühle erklären, die ihn an
Plisthene von Anfang an fesselten. Der Jüngling denkt mit Schrecken
daran, wie leicht er zum Mörder seines Vaters und zum Blutschänder
hätte werden können; doch will er es mit Atree nicht verderben, er
ist ja immerliin sein Neffe, wenn er auch nicht mehr sein Sohn heißen
— 79 —
kann. Atree übergribt den Plisthfene als Bürgen des ewigen Friedens
seinem Bruder, macht diesem dag Anerbieten, sich mit ihm in die Re-
gierung des Landes zu teilen, und ladt ihn ein, mit ihm aus dem Tan-
talidenpokale zu trinken. Thyeste nimmt mit Freuden alles an, fühlt
sich glücklich im Besitze seines Sohnes und in der Freundschaft mit
seinem Bruder, dessen Wahrhaftigkeit er keinen Augenblick bezweifelt.
Atree will dem Versöhnungs feste ein Opfer vorausgehen lassen.
Crebillon folgt in dieser Szene dem III. Akte seines
Vorbildes, weicht von ihm aber in einzelnen Punkten ab. Bei
Seneca wie bei Crebillon ist Plisthene Bürge des Friedens,
nur daß im lateinischen Stücke nicht Atreus. sondern Thyestes
seine Söhne ('er hat deren mehrere) als Geiseln anbietet. Bei
beiden Dichtern soll Thyestes die Hälfte der Regierung über-
nehmen. Jedoch zeigt sich ein Uuterschied in dem Charakter
des Thyestes insofern, als dieser im französischen Stücke sofort
die angebotene Krone freudig annimmt, während er im la-
teinischen Drama sicli nur mit Mühe dazu überreden läßt.
Im Original wie in der Nachahmung wird Thyestes von Atreus
zum Versöhnungstrunke aus dem Tantalidenpokale eingeladen,
und ein Opfer soll diesem Feste vorausgehen. Auch erinnern
einige Worte des Atree an die betreifenden Stelleu bei Seneca:
Atr. bei Creb. :
De nion sceptre aujourd'hui je detache le tien
Atr. bei Sen. III, 526.27:
fraterni imperi
capesse partem.
Atr. bei Creb., den Pli^thene als Bürgen des Friedens
anbietend :
Rerois-le de ma main pour garant d'une paix
Que mes soupcons jaloux ne troubleront jamais.
Thy. bei Sen. III, 519 ff.:
ponatur omnis ira et ex auimo tumor
erasus abeat. obsides fidei accipe
hos innocentes, frater.
Endlich ähneln auch die Worte des Atree:
Je pretends que ce jour . . .
Aclieve de baunir les souprons de ton cceur
— 80 —
den Versen, die Seneca im V. Akte den Atreus sprechen
läßt:
V. 971/72 : hie [sc. dies] est . . . qui . . •
solidam . . . pacis alliget certae fidem.
Zum Schlüsse des IV. Aktes befiehlt Plisthene (6. Sz.) seinem Ver-
trauten, das SchifiT am Hafen bereit zu halten und seine Freunde, f.:
die er immer noch sehr fürchtet, auf ihn warten zu lassen.
V. Akt.
Ungeduldig über das lange Ausbleiben des Thessandre il. Si.
spricht Plisthdne sein Mißtrauen gegen Atree aus, das noch durch da
lange Verweilen seines Vertrauten gesteigert wird. Endlich (2. Sz
kommt dieser zurück. Er möchte Plisthene von der beabsichtigten
Flucht dadurch abbringen, daß er auf die in einer etwaigen Entdeckunj:
der Flüchtigen liegende Gefahr hinweist; auch teilt er ihm mit, dtü
Atree den Thyeste nicht verlasse, sondern ihn immer wieder von neueu
umarme, und daß das Fest bereits in Vorbereitung sei.
Auch bei Seneca fordert Atreus seinen Bruder im
lU. Akte ein paarmal auf, ihn zu umarmen:
7. 608/9 . . . coraplexus mihi
redde expetitos . . . und wiederum
V. 522 . . . meosque potius ampicxus pete.
Plisthene hat jedoch alles Vertrauen zu Atree verloren ; er schickt
seinen Vertrauten von neuem nach seiner Schwester ab, während er
selbst den Thyeste herbeiholen will. £aum hat sich Thessandre ent-
fernt (3. Sz.), da tritt dem Plisthene Atree mit seinen Wachen entgeger.
(4. Sz.), wirft ihm seine Treulosigkeit vor — er hat nämlich von der
geplanten Flucht Kunde erhalten — und droht ihm mit dem Tode.
Zuerst will Plisthene gegen de'n Pelopiden losziehen. — Doch er erinnert
sich daran, daß er so lange Zeit hindurch in ilim seinen Vater sah, haJt
ein in seinem Zorne und drückt sein Bedauern darüber aaa, daß sich
Thyeste in einem so großen und verhängnisvollen Irrtume befinde. D<?r
beherzte Jüngling will gerne den Tod erleiden in der Hoffnung, daß
sein Vater dann verschont bleibe. Um das Leben der Theodamie glaubt
er den Atreus gar nicht bitten zu müssen, da dieser ja doch keinen Nutzen
von einer so scheußlichen Tat haben würde. Ohne ihn über das Lo:
seines Vaters und seiner Schw^ester aufzuklären, läßt der "Wüterich itn
sterben. Er gibt seinen Wachen Befehl, den Plisthene an einem ihnti
bereits vorgeschriebenen Orte zu ermorden. Hierauf drückt Atree in
einem langen Monologe seine rohe Freude über das Gelingen seines
Racheplanes aus (5. Sz.).
— 81 —
Dieser Monolog ist zum größten Teile aus verscliiedenen
Versen Seneca's zusammengesetzt; bei einigen Stellen läßt
sich auch hier wiederum der Einfluß der Übersetzung von
Marolles konstatieren.
Atr6e bei Creb.:
Que je suis satisfait!
Atr, bei Sen. v.'889:
. . . iam sat est etiam mihi.
Atr. bei Marolles:
je suis pleinement satisfait.^)
Atr. bei Cr6b.:
Je ne te Tai rendu que pour te le reprendre,
Et ne te le ravis que pour mieux te le rendre.
Atr. bei Sen. v. 998:
Keddam, et tibi illos nullus eripiet dies.-)
Atr. bei Creb.:
Oui, je voudrais pouvoir, au gre de nia fureur,
Le porter tout sanglant jusqu'au fond de ton coeur.
De son fils tout sanglant, de sou malheureux fils^
Je veux que dans son sein, il entende les cris.
C'est en toi-meme, ingrat, qu'il faut que ma victime,
Ce fruit de ton amour, aille expier ton crime.
Atr. bei Sen. v. 890»>/91V
pergam et implebo patrem Funere suorum.*)
Sicherlich haben in den obigen französischen Versen auch
noch die folgenden, von Dutrait übersehenen Worte des Thyestes
l)ei Seneca nachgewirkt:
V. 999 flf. Quis hie tumultus viscera exagitat mea?
Quid tremuit intus? sentio impatiens onus
meumque gemitu non meo pectus gemit.
») Le Trag, de Sen. II, 111.
*) Schon von Dutrait, Etude^ p. 369 gefunden.
*) Bereits von Dutrait, Etiide, p. 370 konstatiert.
Münchener Beiträge z. rom. u. engl. Philologie. XXXVII.
-- 82 —
Atr. bei 06b. :
Qaelqa^en soit le forfait, un dessein 8i funeste
S'il n'est digoe d'AtrSe, est digne de ThyeBte.
Atr. bei Sen. II, 271 :
dignuDi est Thyeste facinns et dignum Atreo.^)
Atr. bei MaroUes:
Certainement, il est digne de Thyeste, et il est digne
aussi d'Atr6e.*)
Atr. bei Cr6b.:
II faut UD terme au crime, et non k la yengeance.
Atr. bei Sen. v. 1052/53:
Sceleri modus debetur ubi facias scelus,
non ubi reponas.^)
Atr. bei MaroUes:
II doit y auoir des boroes au crime, quand on le fait»
il n'y en doit point auoir pour se vanger.')
Atr. bei Creb.:
Tout est pret, et dejä dans mon c(Bur furieux
Je goüte le plaisir le plus parfait des Dieux.
Atr. bei Sen. v. 911/12:
. . . o me caelitum excelsissimum,
regum atque regem!
Atr. bei Creb.:
II faut, pour bien jouir de son sort deplorable,
Le voir dans le moment qu'il devient miserable.
Atr. bei Sen. v. 907:
miserum videre noio, sed dum fit miser.
Atr. bei MaroUes:
Je ne me soucie pas de le yoir miserable : mais, de I&
considerer au moment qu'il le deuiendra.^)
^) Schon von Datrait, itude, p. 370 nachgewiesen.
«) Les Trag, de SSn. II, 82.
•'») Les Trag, de Sen. U, 11819.
*) Les Trag, de Sen. II, 112.
— 83 —
Während dieses Monologes hat Atrße bei CrfebilloD einen
kurzen Augenblick des Schauderns vor seiner Grausamkeit
genau so wie der Seneoa'sche Atreus im III. Akte beim Aus-
sinnen seiner furchtbaren Bache. Atree spricht dabei die
Worte aus:
Je frissonne, et je sens mon äme se troubler.
Bei Sen. ruft Atreus aus:
V. 260/61 Fateor. tumultus pectora attonitus quatit
penitusque volvit.
Crebillon hat sich offenbar zur Wiedergabe dieses la-
teinischen Textes an die Übersetzung von Marolles angelehnt^
der den Atree also sprechen läßt:
Je Tauoue, et je sens uo trouble en mon coeur . • . ^)
6. Szene. Als Atree seinen Bruder kommen sieht, verstellt er sich,
sucht die Zweifel des Thyeste zu zerstreuen und weist ihn auf den
baldigen VersöhnungstruDk hin. Thyeste fleht seinen Bruder an, seine
Kinder an dem Feste teilnehmen zu lassen. Mit schrecklicher Ironie
▼erspricht ihm darauf Atree, daß er ihn mit seinem Sohne für immer
unzertrennlich vereinigen werde.
Cröbillon hat hier den ersten Teil des V. Aktes der
lateinischen Tragödie ziemlich getreu nachgeahmt. Kur wird
Thyeste schon argwöhnisch, bevor er den Pokal gesehen liat,
während Thyestes bei Seneca bereits vom Fleische seiner
Söhne gegessen hat und am Wein trinken ist. Es fehlt nicht
an beinahe wörtlichen Übereinstimmungen mit dem Texte
öeneca's :
Thy. bei Creb. :
Ne vous offensez point d'une vaine terreur,
Qui semble, malgre moi, s'emparer de mon coeur;
Je le sens agite d'une douleur mortelle:
Ma constance succombe, en vain je la rappelle.
Thy. bei Sen. v. 965 flF.:
nolo infelix, sed yagus intra
terror oberrat . . .
. . . nee causa subest.
*) Les Trag, de Sen. II, 81.
6»
— 84 —
Thy. bei Creb.:
Pour rassurer encor mes timides esprits,
Rendez-moi mes enfants, faites venir mon fils;
Qu'il puisse etre temoin d'uDe nnion si ch^re^
Et partager, SeigDeur, les bont^s de mon frere.
Thy. bei Sen. v. 974/75:
augere cumulus hie Toluptatem potest^
si cum meis gaudere felici datur.
Atr. bei Cr6b.:
Vous serez satisfait, Thyeste, et votre fils
Pour jamais, en ces lieux, va vous etre remis;
Oui, mon fröre, il n'est plus que la Parque inhumaine
Qui puisse separer Thyeste de Plisthene.
Atr. bei Sen. v. 998:
Reddam, et tibi illos duUus eripiet dies.
7. Szene. Euristh^ne bringt den Pokal herbei. Airee ergreift den
Becher zuerst. Aber um sein volles Vertrauen zu Atree zu bekunden,
besteht Thyeste darauf, den ersten Schluck zu tun. Kaum hat er die
coupe sacree in der Hand, als er wiederum nach seinem Sohne fra^r^
Atree vertröstet ihn in derselben tragisch- ironischen Weise wie in der
Torigen Szene. Plötzlich bemerkt Thyeste, daß der Pokal statt mit
Wein mit Blut gefüllt ist; die Sonne verfinstert sich, der Becher
droht seiner Hand zu entsinken. Grausen erfaßt seine bange Seele und
entsetzt fragt er, was aus seinem Sohne geworden sei.
In dieser Szene weicht Cr^billon insofern von dem Ori-
ginale ab, als er dem Thyeste nicht das Fleisch des Plistheoe
vorsetzt, ja nicht einmal das Blut seines Sohnes an seine
Lippen kommen läßt. Man sehe sich folgende Überein-
stimmungen an:
Atr. bei Creb. :
Vous reverrez bientot une tete si obere.
Atr. bei Sen. v. 978:
. . . ora: quae exoptas dabo.
Atr. bei Marolles:
... et vous verrez bien-tost leurs visages.*)
*) Les Trag, de Sen. II, 115.
— 85 —
Thy. bei Creb. :
Le soleil s'obscurcit . . .
Thy. bei Sen. v. 995:
fugit omne sidus . . . ^
Thy. bei Cr6b.:
. . . et la Coupe sanglante
Semble fuir, d'ellememe, ä cette main tremblante.
Thy. bei Sen. v. 985/86:
. . . noiunt manus
parere, crescit pondus, et dextram gravat.-)
Thy. bei Creb. :
Je me meurs! Ah mon fils! Qu'etes-vous devenu?
Thy. bei Sen. v. 1002:
adeste, nati, genitor infelix vocat.
8. Szene. Außer sich vor Schrecken meldet Theodamie den Tod
des Plisthäne. Nun kann Thyeste nicht länger über das Entsetzliche
der Rache im Zweifel sein. Er ruft Blitz und Donner an, ihn zu rächen,
und bittet Atree, auch ihn zu töten. Dieser jedoch will ihn in seinem
Unglück leben lassen. Da tötet sich Thyeste selbst. Bevor er stirbt,
bittet er seine Tochter, zu fliehen, und flucht seinem Feinde, der über
das Gelingen seines Racheplanes hochbeglückt ist.
Wir sehen, wie genau sich hier Crebillon dem Seneca
anschließt. Aber der französische Dichter weicht von seinem
Vorbilde darin ab, daß Thyeste sich selber tötet. Man ver-
gleiche folgende analogen Stellen:
Thy. bei Creb.:
O terre! en ce moment peux-tu nous soutenir?
Thy. bei Sen. v. 1006/07:
. . . sustines tautum nefas
gestare, Tellus?
Atr. bei Creb.:
Meconnais-tu ce saug?
Thy.; Je reconnais mon fröre.
*) Vgl. auch Dutrait, Etitcle, p. 372.
*) Darauf macht schon Dutrait, tltudc^ p. 372, aufmerksam.
— 86 —
Atr. bei Sen. v. 1005/06:
. . . natos ecquid agnoscis tnos?
Thy. Agnosco fratrem.^)
Atr. bei MaroUes:
. . . Ne reconnaissez-vous pas vos Enfants?
Thy. Je reconnoia mon frere.^)
Thy. bei Creb.:
Grands Dieux, pour quels forfaits lancez-vous le ton-
nerre?
Thy. bei Sen. v. 1077/80:
tu, summe coeli rector, . . .
. . . omni parte violentum intona.
Thy. bei Marolles:
Souuerain Eoy du Ciel . . . lan^ant vos foudreSj . . . -^j
Thy. bei Creb.:
Barbare, peux-tu bien m'gpargner en des lieux
Dont tu viens de chasaer et le jour et les Dieux?
Thy. bei Sen. v. 1021:
fugere superi . . . und v. 1035/36:
. . . hoc egit diem
aversum in ortus.
Atr. bei Creb. :
Et mon c(ißur qui perdait Tespoir de la vengeance,
Eetrouve dans tes pleurs son unique espßrance.
Atr. bei Sen. v. 1097/98:
perdideram scelus,
nisi sie doleres.
Thy. bei Creb. zu Theodamie:
. . . reraettez votre vengeance aux Dieux.
>) Vgl. auch Dutrait, Etüde, p. 373.
«) Les Trag, de Sen. II, 116/17.
«) Les Trag, de Sen. II, 120.
-^ 87 —
Contente par vos pleurs d'implorer leur justice,
AUez loin de ce traitre attendre son supplice.
Thy. bei Seo. y. 1110/11:
Vindices aderunt dei;
bis puDiendom vota te tradunt mea.
Thy. bei Cr*b.:
Les Dieux que ce parjure a fait palir d'effroi
Thy. bei Sen. v. 1035:
Hoc est deos quod puduit.
Atr. bei Creb.:
Je jouia enfin du fruit de mon forfait.
Atr. bei Sen. v. 1096:
. . . Nunc meas laudo manus.
Aus unserer Untersuchung ergibt sich folgendes Gesamt-
resultat :
Crebillon Seneca
Die 3. Sz. des I. Aktes entspricht dem II. Akte
6.
n
f>
11.
1.
n
n
III.
8.
n
p
III.
3.
n
n
IV.
5.
11
»♦
IV.
5.
V
»»
V.
7.
n
>i
V.
III.
n
(2. Sz.)
m.
n
(1. S^.)
II.
n
III.
n
(1. Sz.)
III.
>»
{2. Sz.)
V.
11
(1. T.)
V.
1»
i2. T.)
Crebillon ließ sich also insbesondere yona II., III. uqd
V. Akte beeinflussen; es war femet interessant für uns, zu
«eben, daß der französische Dichter auch den IV. Akt der
lateinischen Tragödie in der 2. Szene des II. Aktes seines
Stückes zu verwerten wußte und sich öfters an die Über-
setzung von Marolles anlehnte.
Was die Haupthandlung betrifft, so hat Crebillon dem
lateinischen Original nur die Fabel entnommen, daß Atreus
dem Thyestes, dem Verführer seines Weibes, gegenüber Ver*
•öhnung heuchelt und ihm das Blut seines eigenen Sohnes
(bei Seneca sind es drei Söhne) zum Trünke anbietet. Auch
— 88 —
stimmt der französische Tragiker mit dem römischen dario
überein, daß Atreus von ^rope zwei legitime Söhne, nämlich
Menelaus and Agamemnoo, hat. In allen anderen EiDzel-
heiten entfernt sich Crfibillon von seiner Quelle.
Hat nun, so werden wir fragen, Crebillon die abweichen-
den Einzelheiten selber erfunden?
Zunächst ist auf eine merkwürdige Übereinstimmung
zwischen Cr§bilIon und Crowne hinzuweisen, bei welch letz-
terem sich bereits das Motiv der blutschänderischen Liebe
zwischen den beiden Geschwistern findet. Auch fn der eng-
lischen Tragödie sind Philisthenes, der illegitime Sohn des
Thyestes und der ^rope, und Antigone, die Tochter des
Atreus und der ^Erope, in heißer Liebe zueinander entbrannt
und wollen zusammen entfliehen. Der Jüngling wird jedoch
von den Wachen des Atreus gefangen genommen, und die
Flucht so vereitelt, die von einem Hafen aus in Szene hätte
gesetzt werden sollen. Um den Philisthenes seinen Zwecken
dienstbar zu machen, verspricht ihm der gleisnerische Atreus
die Hand der Antigone. Aber kaum hat die Hochzeits-
feierlichkeit stattgefunden, so wird Philisthenes von Atreus
ermordet.
Gemeinsam ist also dem englischen und französischen
Dramatiker das Motiv der verbrecherischen Liebe zwischen
Bruder und Schwester. Doch unterscheidet sich die englische
Tragödie dadurch von der französischen, daß die Liebenden
ein und dieselbe Mutter und einen andern Vater haben, wäh-
rend sie bei dem Franzosen einen gemeinsamen Vater, dagegen
eine andere Mutter haben! Ein weiterer Unterschied liegt
darin, daß bei Crebillon Theodamie und Plisth^ne ihr nahes
verwandtschaftliches Verhältnis zuerst nicht kennen, dann aber
darüber aufgeklärt werden und ihrer Leidenschaft entsagen.
Bei Crowne dagegen sind sich Antigone und Philisthenes ihrer
nahen Blutsverwandtschaft wohl bewußt und lassen sich trotz-
dem ohne alles Bedenken trauen. Plisth^ne mußte nach
französischer Anschauung seine Liebe aufgeben, sobald er in
seiner Angebeteten seine Schwester erkannte, während das
englische Theaterpublikum der Restaurationszeit über einen
incest noch nicht in Nervenzuckungen geriet. Als weitere
— 89 —
ÜbereinstimmuDg der englischen und der französischen Dar-»
Stellung ist ferner hervorzuheben, daß Atreus die Liebe des
Plisth^ue dazu benutzen will, den Jüngling in seine Netze
zu ziehen, und daß dieser mit seiner Geliebten (bei Cr^billon
auch mit seinem Vater) eine Flucht von einem Hafen aus
bewerkstelligen will, die jedoch vereitelt wird.
Daß die Liebe zwischen ßruder und Schwester ein im
Ältertume oft und gern verwendetes Motiv war, ist bekannt.
Dem Seneca konnte Crebillon diesen Zug nicht entlehnen, da
in dessen Stücke weder Thyestes noch Atreus eine Tochter
hat. Dagegen hat bei Hygin (88. F.) Thyestes eine Tochter
Pelopia. Aber von dieser ist nie in Verbindung mit einem
Bruder die Rede ; sie wird nur als Tochter und Gattin, aber
nicht als Schwester betrachtet. Also auch dem Hygin konnte
Crebillon jenes Motiv nicht entnehmen. Wir würden demnach
zu der Vermutung gedrängt werden, daß Crebillon das ältere
englische Stück Crowne's gekannt und benutzt hätte, wenn
wir nicht wüßten, daß die französische Literatur am Anfange
des 18. Jahrhunderts noch nicht unter dem Einflüsse der
englischen Dramatik stand.
Dem Thyeste Monlßon's scheint Crebillon einen Zug ent-
lehnt zu haben, nämlich die Vergiftuog der ^-Erope durch
den eifersüchtigen Atree, ein Motiv, das bei Seneca nicht
vorkommt.
Außerdem hat Cr6billon noch eine Quelle verwertet —
die 88. Fabel Hygin's — , in der uns, gerade wie in der fran-
zösischen Tragödie, erzählt wird, daß Atreus den Sohn des
Thyeste zur Ermordung seines Vaters zu zwingen sucht;
allerdings hält bei Hygin Atreus den Sohn seines Bruders
für seinen eigenen, während bei Crebillon Atree einen wirk-
lichen Vatermord im Auge hat. Crebillon braucht den Hygin
nicht direkt benutzt zu haben, sondern kann jene Erzählung
auch in einer freien französischen Übersetzung gelesen haben,
die Blaise de Vigen^re im Jahre 1578 von der 88. Fabel
Hygin's veranstaltet hatte. ^) Es fehlen leider alle Anhalts-
*) In: Les hnaijes ou Tahleaux de Flaue- Peinturt de Philostrate
Lemnien, Mis en franrais par Blaise de Vigenere, p. 368 a/b.
— 90 —
punkte zu einem Nachweise, ob Crebilloo den lateinischeii
Originaltext oder die französische Übersetzimg in Bandeo
gehabt hat.
Was die Schilderung der Charaktere anlangt, so sprechen
sich Pellegrin ^) und La Harpe -) lobend über die Zeichnung
des Ätree aus. Saint-Marc Girardin ist sogar der Meinang.
daß Crebillon den Charakter des Atreua mit mehr Kunst g^
zeichnet habe als Seneca*): *Son Atree est erziel ^ terriitU.
implacahle; mau au moins^ ü Vesi comme un komme, et non
camvie un anthropophage ou coinme un ogre , . . La harbarie d
r Atree fran^ais . . . est une passion profonde et reftediiej plu'-'t
qii^wi imtinct de fvrocite brutale,* Dutrait kommt auf den
Charakter des Atree mit folgenden Worten zu reden: <!'
caractere du roi chez Atree est completemeut absorbe par sa haim : H
semble 7ie tenir, dans le pouvoir royaU qu''au phmr d^une vetigeari"^
aisee : e'est en roi qu'il ecrase son frere et Plisihene. > *)
Der Ansicht Girardin's können wir nicht beipflichten.
Denn die Hauptzüge im Charakter des Atr§e, nämlich seio
unersättlicher Bachedurst; seine Yerstellungskunst und sein
verletzender Hohn im Augenblick der Bache treten im fran-
zösischen Drama fast ebenso stark hervor wie bei Seneca.
Warum sollte beim Atree Crebillon's die Grausamkeit gegen
Thyeste eine tiefere und überlegtere Leidenschaft sein ab
beim Atreus der lateinischen Tragödie ? Man vergegenwärtige
sich den II. Akt des Seneca'schen Stückes, wo Atreus über
die Art und Weise des Bacheaktes ebenfalls ziemlich lange
nachdenkt, ehe er zu einem endgültigen Entschluß kommt!
In bezug auf den Charakter des Thyeste meint Dutrait
daß in ihm mehr der Vater als der König zum Ausdruck
komme ^)j wie er auch den Hauptnachdruck auf die Liebe des
Thyeste zu Plisthöne legt. Für uns dürfte der gewaltige
Unterschied, der zwischen dem Seneca'schen und dem Cre-
billon-schen Thyestes besteht, von größerem Interesse sein als
') Parfaict, Hist, XIV, 429/30.
2) Cours de Litt, XI (P. I), 12.
*) Cours de Litt. II, 205.
*) Etnde, p. 331.
*) J^tude, i>. 331,32.
— 91 —
die von Datrait angegebenen Züge. Während uds im Thjestes
Seoeca's ein für sein Verbrechen büßender, durch das Unglück
geläuterter Mensch entgegentritt, der ein zurückgezogenes
Leben der Königskrone vorzieht, sehen wir in dem Thyeste
Cr^billon's einen ehrgeizigen, stolzen, furchtlosen Helden, der
seinem Bruder trotzig die Stime bietet. Welche Kühnheit
spricht nicht aus den Worten, die er dem Atree entgegen-
tchleudert, als dieser ihn erkannt hat (II, 5) :
Eh bien reconnais-moi, je suis ce que tu veux,
Ce Thyeste ennemi, ce fr^re malheureux.
Quand meme tes 80up<;ons, et ta haine funeste,
N'eussent point decouvert TinfortunS Thyeste,
Peut-etre que la mienne, esclave ma1gr6 moi,
Aux depens de tes jours m'efit decouvert k toi.
Dabei beseelt ihn — und dies ist der schönste Zug in
seinem Charakter — ein wahres, aufrichtiges Ehrgefühl ; dieses
veranlaßt ihn, alles zu wagen, um den bedrängten Athenern
zu Hilfe zu kommen, jeden Gedanken an Flucht abzuweisen
und lieber als König zu sterben, wenn das Leben ihm ver-
sagt sei.
Der Charakter des Plisthene ist von Crebillon viel
schärfer gezeichnet als von Seneca, bei dem er nur ein ein-
ziges Mal auftritt und seinem heimkehrenden Vater Mut einflößt
(III. Akt). An diesem Jüngling interessiert uns am meisten
der Kampf zwischen seinem Pflichtbewußtsein seinem ver-
meintlichen Vater Atree gegenüber und seiner Zuneigung zu
Thyeste, den er dem König opfern soll.^) Ein schöner Zug
an Plisthöne ist ferner darin zu erblicken, daß er den Thyeste,
noch bevor er in ihm seinen Vater vermutet, nicht ermorden,
sondern höchstens im Felde wie einen anderen Feind be-
kämpfen will. Er zeigt sich als feuriger, idealer Liebhaber -),
und als er die Theodamie als seine Schwester und den Thyeste
*) Dutrait, ^tudCj p. 348ff.. bebandelt den Seelenkampf des
Plisthene ziemlich eingebend. Für uns p^enügt es, nur daraaf hinzuweisen,
da uns während der genauen Analyse des Stückes der ganze Verlauf
jenes inneren Ringens im Herzen des Plisthfene hinreichend bekannt ge-
worden ist.
*) Cf. auch hierüber Dutrait, Etüde, p. 401.
— 92 —
als seinen Vater erkennt, ist er der liebende Brnder und
Sohn, der seine Freunde aus der Gefahr erretten möchte.^)
Daß Crebillon in seinem Atree et Thyeste die Greuel der
Seneca'schea Fabel bedeutend gemildert hat, darüber stimmen
alle größeren Literarhistoriker überein. Allerdinga sagt
Leris : t Ce cruel sujet traite par Scneque n^a pas iie adooei pnr
M, de Crebillon y> ^)f und die Verfasser der Histoire univerbdk
des TheiUres de totäcs les Xations geben der Meinung Ausdruck,
daß Crebillon's Stück dasjenige Seneca's an schrecklicher
Wirkung übertreffe *) ; aber schon Lessing % und nach ihm
Lucas ^) und Nisard®) haben hervor^^oben, daß in dem
französischen Stücke die Grausamkeit der Fabel bedeutend
abgeschwächt sei. Es ist dies übrigens selbstycrständhch.
ÜJan vergegenwärtige sich nur die eingehende Schilderung
d(^r Hinschlachtung der drei Söhne im IV. Akte Seneca's
und die gräßliche Mahlzeit im V. Akte des lateinischen
Originals. Derartige unmenschliche Greueltaten waren in
einem modernen Stücke unmöglich. Daher setzt denn auch
der Thyeste Cr6billon*s den unheilvollen Pokal nicht einmal
an die Lippen.
Was die Form des Atree ei Thyeste anlangt, so kann gar
kein Zweifel darüber aufkommen, daß die Einheiten des Ortes
und der Zeit von Crebillon streng und geradezu mit Meister-
schaft gewahrt siod. Aber gegen die Einheit der Handlung
will Pellegrin einen Verstoß in dem neuen Entschluß des
Atree erblicken, seinen Bruder mit seinem Sohne zu regalieren.')
Wie Dutrait % so müssen auch wir diesen Vorwurf als falsch
und ungerechtfertigt auffassen; denn die Absicht, eine Tat
auszuführen, ist noch nicht die Tat selbst. Atree könnte
noch öfters seinen Racheplan ändern und immer eine furcht-
^) Wie Dutrait, ^ttide, p. 351, so halten auch wir den Charakter
der Thöodamie für zu unbedeutend, als daß er einer Erörterung bedürfte.
*) Dict. port,, p. 46.
3) VI, 360.
*) SämmtL Sehr. IV, 293.
») Hist, phil. et litt. I, 304 05.
•) Eist. d. l Litt. fr. IV. 165.
'j Parfaict, Hist. XIV, 434.
») i:tude, p. 233/34.
— 93 —
barere Strafe gegen seinen Bruder ersinnen, wenn ihm sein
früheres Vorhaben mißlangen ist, ohne daß dadurch die Regel
von der Einheit der Handlung verletzt würde. Denn tTunitfe
du drame est dans sa vengeance.)»^)
Fellegrin übt ferner scharfe Kritik am Aufbau des
Stückes. So tadelt er insbesondere den Umstand, daß Atr6e
seine Rache zu lange (20 Jahre) hinausschiebe ^) und sie dann
auf eine so schwache Basis wie den dem Plisth^ne entrissenen
Eid begründen wolle. ^) Außerdem rügt Fellegrin die zwei-
malige Aussöhnung.*) Der erste Vorwurf erscheint auch uns
wohl am Platze; doch dünkt uns die tdoübk reconcüiation»
durchaus nicht fehlerhaft; hebt sie doch die Verstellungskunst
des Atree nur um so stärker hervor!
Voltaire hat am Airee et Thyestc auszusetzen^ daß Atr^e
<qniy au p'emier adCf mediie nne action dHestahle^ . . . sann aueune
intrigiie^ sans ohstadCy et saus danger Vexicute au cinquieme.* *)
Diese Kritik Voltaire's ist natürlich auf den ersten Blick
hin unrichtig, wie auch schon Preron nachgewiesen hat.*)
Denn Atree faßt ja im I. Akte noch gar nicht den endgültigen
Plan, den er im V. Akte zur Ausführung zu bringen sucht.
Ferner scheitert die erste Absicht des Atree, seinen Bruder
durch Plisth^ne ermorden zu lassen, an einem tatsächlichen
Hindernis, nämlich an der hartnäckigen Weigerung des
Plisthöne; und abgesehen davoo, daß dieser Jüngling eine
Plucht vorhat, die Atr6e verhindern muß, gelingt dem Pelo-
piden im letzten Akte sein Racheplan gar nicht, den Thyeste
mit dem Blute seines Sohnes zu tränken. Dagegen müssen
wir Voltaire Recht geben, wenn er behauptet, daß die Liebe
zwischen Theodamie und Plisthöne unnütz sei und nur dazu
diene, in dem Stück eine gewisse Leere auszufüllen.^)
*) Dutrait, £tude, p. 234.
') Dieser Vorwurf wird auch von Voltaire geltend gemacht;
vgl. Theatre VI, 103 (AV/. de 1877).
») Parfaict, Eist. XIV, 431.
*) Parfaict, Eist. XIV, 436.
») rhedtre VI, 103 {i:d. de 1877).
•) Annee litt. 1772, II, 22/23.
') Theatre VI, 104 [Ed. de 1877).
— 94 -^
An dem Aufbau de« Stückes ist außerdem noch die
plötzliche SinnesäcderuDg des Atree vor Tbyeste und Theo-
damie (11^ 6) zu rügen, die dramatisch ziemlich unwah^
scheinlich ist. Crebillon hätte diesen Fehler leicht Yermeide«
können, wenn er den Atree bei der Erkennung sofort hätte
Versöhnung heucheln lassen.
Nur kurz sei darauf hingewiesen, daß wir bei CrebllloB
auch den Vertrauten des Atreus bei Seneca wiederfinden und
durch sechs Monologe nicht wenig an den lateinischen Tht/esie^
erinnert werden.
Der Stil des Alrec et Thyeste wurde zuerst von Voltaire ^\
dann auch von La Harpe scharf getadelt, welch letzterer
eine ziemliche Anzahl Yon Fehlern und Ungenauigkeiten io
der Diktion der Tragödie nachweist.^) Dagegen machen schoo
Pellegrin ^), La Harpe ^) und Dutrait ^) auf die echt poetische,
kraftvolle Sprache der Traumschilderung aufmerksam.
Als dichterisches Erzeugnis wird der Äirre ei Thyeste in
den Annales dramatiques sehr hochgepriesen: <Le ton tndk ei
soutenu qui y regne, sa marehe ferme et rapide, la nouveaiäi da
pensees, la force de Vexpiession, tont concourt d placer celk iror
gedie au rang des chefs-d^icmre dramaiiqu^s. Elle prauve qu^un
ouvrage de genie peut quehpiefois ne reussir que mediocrement au
ihmtre.^^) Auch unserer Meinung nach ist diese Tragödie
Crebillon's trotz aller ihr anhaftenden Mangel durchaus nicht
zu unterschätzen, wenn wir an die Schwierigkeiten denken,
mit denen der Bearbeiter eines solch abscheulichen Stoffes
zu kämpfen hat. Crebillon ist dem modernen ästhetischen
Geschmacke viel mehr gerecht geworden als die beiden anderen
bisher besprochenen Autoren und hat zuerst die richtigen
Grenzen angegeben, die der moderne Tragiker bei jenem
grausigen Stoffe einhalten muß, ohne dabei der antiken Fabel
einen wesentlichen Eintrag zu tun. Hierin liegt unseres Er-
') TheiUre VI, 104 {Ed. de 1877).
«) Cours de Litt XI (P. I), 41 ff.
3) Parfaict, Hist XIV, 432.
*) Cours de Litt. XI (P. 1), 39/40.
») Etüde, p. 259/60.
«) 1, 399.
— 95 —
achtens das größte literarische Verdienst, das sich Cr6billon
durch seinen Atree et Thye.ste erworben hat.
3. Der ^Egyste von Seguineau und PralarJ (1721);
Diese Tragödie ist niemals gedruckt worden.^) Wenn
wir gleichwohl imstande sind, uns einen Begriff von diesem
am 18. November 1721 aufgeführten Stücke zu machen, so
verdanken wir dies der im Mercure (1721, Nov.) veröffent-
lichten, ziemlich genauen Inhaltsangabe.^) Ehe wir hierauf
näher eingehen, sei daran erinnert, daß Seguineau 1677 ge-
boren wurde '), eine gute Erziehung erhielt, infolge großer
Geldverluste eine Stellung in einer Bank annehmen mußte
und bereits im September 1722 starb.*) Mit seinem Freunde
Pralard verfaßte er gemeinschaftlich den ^JJgf/ste, ein Stück,
das fünf Aufführungen erlebte.^) Auch soll Seguineau außer-
dem noch eine Oper Pin'thoüs geschrieben haben.*)
Pralard war der Sohn eines reichen Buchhändlers. Er
verfügte über ein so großes Vermögen, daß er seinen Ad-
vokatenberuf nicht auszuüben brauchte und sich ganz seinen
Lieblingsbeschäftigungen hingeben konnte. Er soll insbesondere
ein leidenschaftlicher Spieler gewesen sein. Im Jahre 1781
ereilte ihn ein frühzeitiger Tod.')
Der Inhalt des uEyyde ist kurz folgender:
') Leider war es mir bis jetzt sogar unmöglich, zu ermitteln, ob
das Manuskript noch existiert.
*) Abgedruckt bei Parf., Hist, XV, 454 ff. und von uns im Anhang
reproduziert.
") Ann, dramat VIII, 288.
*) Parf., Hist, XV, 463 ff. Mit diesen Angaben stimmen überein
Mouhy, Tahl dramat,: Tahl d. Auf., S. 28, die Antcd. dramat III, 465
und die Ann. dramat. VIII, 288.
») Parfaict,Ä'w^XV, 454; Leris, Dicf-i^orf., p. 122 u. Mouhy,
Ahrige de Vhist. II, 327.
«) Anecd. dramat III, 465; Ann. dramat VIII, 288.
'') Parf., Hist. XV, 465; ziemlich dasselbe berichten auch Mouhy,
Tabl. dramat : Tahl. des Aut peu conn., p. 50, ferner die Anecd. dramat
in, 410 und die Ann. dramat. VII, 459. Die Anecd. dramat. sagen, Pra-
lard sei ungefähr 50 Jahre alt geworden.
— 96 —
I. Akt.
Tyndare, der König Ton Sparta, bei dem Thieste Schutz gefuDd^Q
hat, hegt den Wunsch, die beiden feindlichen Pelopiden zu Teriöbceo.
Zu diesem Zwecke lädt er den Atree an seinen Hof ein, wo sich die
Brüder trefifen und Frieden schließen sollen. Atree folgt auch dem Ruf-
des Königs, der im Falle der Versöhnung seine Tochter Clitemnestre
dem Atriden Agamemnon zur Frau geben will, kann aber seinen alte:
Groll gegen Thieste im Augenblicke des AViedersehens nicht zurück-
halten. Auf die Ermahnungen des Tyndare hin verspricht Atree heucb-
lerischerweise den Frieden, faßt jedoch im Innern den Plan, seinet
Bruder durch dessen eigenen Sohn ermorden zn lassen.
II. Akt.
Agamemnon kommt als Sieger über die Argier mit einer Geisel /a
Atree und Tyndare. Die Geisel wird ftir die Tochter des Gouverneur«
von Argos gehalten, gibt sich aber ihrer Vertrauten heimlich als Pelopee
zu erkennen und erzählt ihr ihre Lebensgeschichte: Thieste, der sie in-
folge einer fatalen Weissagung zur Priesterin der Minerva bestimn.t
hatte, vergewaltigt sie eines Tages im Tempel, ohne in ihr seine Tochter
zu erkennen. Sie aber sieht am Schwerte, das sie jenem Unbekannten
entrissen hat, daß der Schänder ihrer Unschuld ihr Vater ist. Als Frucht
jenes Gewaltaktes gebiert sie den *Egyste, den sie aussetzt, der aber vn
Hirten erzogen und ihr wieder zurückgebracht wird. Sie bewaiJnet
ihren Sohn mit dem Schwerte ihres Vaters und begibt sich an den Hof
des Tyndare, wo sie einem Orakelspruche gemäß das Ende ihres Loses
zu finden glaubt.
III. Akt.
Agamemnon liebt Pelopee, jedoch ohne bei ihr Erhörung /"
finden. — Atree verspricht dem .Egyste für den Fall, daß er seinec
Todfeind ermorde, die Hand der Clitemnestre, den Thron von Argoj
und die Enthüllung seiner geheimnisvollen Abkunft, von der Atree
allein unterrichtet ist. .Egyste erklärt sich zur Tat bereit ; als er jedoci
erfährt, daß Thieste das Opfer werden solle, gerät sein Entschluß iß*
Schwanken; schließlich verspricht er aber Gehorsam.
IV. Akt.
.Kgyste holt zum tödlichen Streiche gegen Thieste aus. läßt jedoch,
einer inneren Stimme folgend, den Arm wieder sinken. Durch das
Schwert wird die Erkennung herbeigeführt.
V. Akt.
Atree wird von .Egyste inmitten seiner Wache ermordet
~ 97 —
Die obige Inbaltsangabe genügt, um die Quellen des
jEgyste festzustellen, denen bisher noch nicht nachgespürt
worden ist.
Der Stoff dieser Tragödie stimmt der Hauptsache nach
überein mit der 88. Fabel Hygin's. Aber Seguineau und
Pralard schöpften nicht direkt aus der lateinischen Quelle,
sondern bedienten sich der freien französischen Übersetzung,
die Vigenöre von jener Fabel gegeben hatte.^) £s geht
dies mit Sicherheit daraus hervor, daß bei Vigen6re sowohl
als auch in dieser Tragödie P61op6e sofort nach der Ver-
gewaltigung an dem Schwerte erkennt, daß der Verbrecher ihr
Vater war, während sie nach Hygin jene gräßliche Tatsache
erst ganz zum Schlüsse erfährt.
Die beiden Autoren des ^gyste entlehnten dem Vigenöre
außer dem bereits erwähnten Punkte noch folgende Einzel-
heiten in leicht veränderter Form:
Pelop^ ist eine Priesterin der Minerva. Nach Hygin
wird sie in Sikyon ausgesetzt ; Vigendre schreibt nur : < Thiestes
. . . sen fvit . . . a Sicf/on, Id oii aioit sa fille Pelopie,» ^) In der
französischen Tragödie wird sie von Thieste zu diesem keuschen
Leben bestimmt.
Ohne Pelopee zu kennen, trifft sie ihr Vater am Fluß-
ufer und tut ihr Gewalt an. Nach Vigenöre wird dieses Ver-
brechen am Flusse, in unserem Drama im Tempel begangen,
wohin sich die Jungfrau geflüchtet hat.
Pelopee setzt den JEgyste, den sie von ihrem Vergewaltiger
empfangen hat, aus; das Kind wird jedoch von Hirten ge-
rettet und kommt an den Hof des Atr^e, ohne seine Eltern
zu kennen. Zum Jüngling herangewachsen, wird ^gyste von
Atr6e beauftragt, den Thyeste zu töten. Bei Vigendre hat
Atr6e noch vor der Geburt des -^gyste die P61op6e ge-
heiratet, ohne über ihre Herkunft unterrichtet zu sein, und
hält den Jüngling für seinen eigenen Sohn; in der französi-
schen Tragödie weiß der Pelopide, daß JBgyste der Sohn
des Thyeste und seiner Tochter P61opee ist.
*) Les Images ... de FhUostrate Lemnien, S. 368 a/b.
*) Vigenfere hat jedenfalls das ,ydep08ita*^ Hygin's übersehen.
Münchener Beiträge z. rom. u. engl. Philologie. XXXVII. 7
— 98 —
^gyste nimmt sich ror, den Thieste zu emorden, es
kommt jedoch nicht zur Tat. Tkieste erkennt das Schwert
in den Händen des Jünglings als das seine und erinnert
sich^ daß es ihm einet von der Priesterin, die er Tei^e-
w^tigte, entrissen worden ist. Dabei lernen sich jEgyste
und Thieste als Sohn und Vater kennen. In den ersten Vor-
stellangen ermordete rieh auch in der französischen Tragödie
P61op*e.i)
Jggyste tötet den Atrfie. Bei Vigen^re ToUzieht der
Jüngling diesen Racheakt nur aus eigenem Antriebe; bei
S6guineau und Pralard gebietet ihm noch dazu P61opee diese
Tat.^) Femer ist als Unterschied herrorzuheben, daB nach
Vigen^re Mgyste den Bruder des Thieste am Ufer während
des Opfems ermordet, während in unserem franzörischen
Drama den Atr^e inmitten seiner Wachen die rächende Hand
des JEgyste erreicht.')
Vigenöre berichtet auch die Fabel von ^CiylemneMre fUlf
de Tyndani^ ei fenvm^ (f Agamemnon» ^)j aber davon, daß Tyn-
dareus den Frieden zwischen Atreus und Thyestes habe her-
stellen wollen, erzählt weder er noch die griecfaieche Sage.
Es wird diese Geschichte wohl die eigene Erfindmig von
S^guineau und Pralard sein.
Im JEgysH lassen sich außerdem noch die Sparen von
Grebillon's Ätrve et Thyeste wiederfinden. Denn wie in
jenem Drama Atree allein (d. h. außer seinem Vertrauten)
die Abkunft des Plisth^ne kennt, so ist auch hier nur er
darüber unterrichtet, daß jfEgyste der Sohn des Thieste ist
In beiden Tragödien bestimmt Atree den Sohn seines Bruders
zur Ermordung seines Vaters und will die Liebe des Jünglings
zu einem Mädchen dazu benutzen, ihn zur schrecklichen Tat
zu bewegen. Bei Cr§billon läßt erst Atr6e den Plisthöue
») Cf. Anhang, S. 150.
«) Cf. Anhang, S. löO.
■) Die Meinung von Weiße, Vww, zh »einem Atreut w. Thye^,
und Schröter u. Thiele, Hamh. Dranmt, S. 237, daß Pellegrin
zuerst die 88. Fabel Hygin's dramatisch bearbeitet habe, ist durch obige
Ausführungen als hinfällig erwiesen,
*) Les Images, S. 366 b.
- 99 —
eidlich Tersprecben, deinea Feind zu töten; als aber der
JüngliDg erfährt, daß er den Thyeste ermorden soll, hält ihn
sein inneres Gefühl — die Stimme der Natur — van der
Ausfühning dieser Tat zurück (I, 4). Später will sogar Atrfe
die Th6odamie töten, wenn PHsihdne sich seinem Willen
nicht füge (III, 3).
In ähnlicher Weise terspricbt der Atr6e des JEgyste
dem Jüngling die Hand der Clitemnestfe, im Falle er ihn
an seinem Feinde räche. ^Egyste ist bereit, den Wunsch des
Königs zu erfüllen; aber kaum hat er erfahren, daß Thieste
fallen soll, als er von entsetzlichem Grausen ergriffen wird,
das wie bei Plisth^ne in einem unüberwindlichen Gefühle —
in der Stimme der Natur — seinen Grund hat. Allerdings
läßt sich JSgyste zum Unterschied von Plisthöne zur Tat über-
reden, die aber schließlich ebensowenig ^r Ausführung gelangt
wie bei Crfibillon.
Femer ist noch darauf aufmerksam zu machen, daß, wie
Plisthöne dem Atrfie die Versöhnung mit Thyeste ans Herz
legt (II, 6), so auch Agamemnon (V) den Thieste anfleht,
doch mit seinem Bruder Frieden zu schließen.*) Auch er-
innert der Umstand, daß sich die Bewohner ton Argos zu;
gunsten des Thieste erheben*), stark an Crßbillon's Atree et
Thyeste, wo Thyeste ebenfalls einen großen Anhang gefunden
hat. Daß auch ^Egyste, wie Thyeste bei Cr§billon, einen
unheilvollen Traum hat, sei nebenbei bemerkt, da uns leider
der Inhalt des Traumes nicht berichtet wird.
Das den Thyeste bewegende Mißtrauen — tTIiieste timoigne
becmcoup de defiance d l'approche cfAtreef heißt es in der Inhalts-
angabe^) — erinnert unwillkürlich an den III. Akt des la-
teinischen Originals, wo es dem seinem Bruder sich nähernden
Thyestes ebenfalls bange ums Herz wird. Wenn femer Atree
(I) zu der ihm eigenen Verstellungskunst Zuflucht nimmt und
in Thieste die Hoffnung zu erwecken sucht, daß er den Frieden
nicht wieder brechen werde, um dann unmittelbar darauf in
») Of. Anhang, S. 150.
«) Cf. Anhaogp, S. 148.
«) Cf. Anhang, S. 148.
— 100 —
einem Monologe sich zu gestehen, daß diese Versöhnung nur
eine scheinbare, bloß eine Falle für seinen Bruder sein soUe ^)j
80 ist hierin entweder eine Nachahmung des III. Aktes des
Seneca'schen Stückes zu erblicken, wo Atreus den Thyestes
durch dieselbe Heuchelei betört, oder auch eine Nachahmung
der 5. Szene des IV. Aktes des Airee ei Thyeste, die allerdings
selber wieder auf den römischen Tragiker zurückgeht. Wenn
Seguineau'und Pralard die beiden erwähnten Züge dem Seneca
entnahmen, so gibt uns die Tatsache, daß sie nicht den Hjgio
direkt, sondern Vigenöre benutzten, allen Anlaß zu der Ver-
mutung, daß sie sicherlich nicht den lateinischen Text Seueca's
vor Augen hatten, sondern eine der französischen Über-
setzungen.
Die hier aufgeführten Übereinstimmungen lassen erkennen,
daß S^guineau und Pralard zu ihrem JEgyste den Vigen^re
und den Airee et Ihyesie Cr6billon's, bzw. eine Übersetzung
des lateinischen Thyestes benutzt haben.
So viel wir dem Berichte des Mercure für die Charaktere
des Stückes entnehmen können, scheint der Atree des ^gy^tte
ganz der Cr6billon's zu sein, während der Thieste des ^gyste
mehr an den Seneca'schen Thyestes erinnert, der seinem
Bruder auch stets mißtraut. In ^gyste endlich finden wir
den Plisthene wieder; denn beide unglücklichen Jünglinge
lassen sich auf gleiche Weise von der ihnen innewohnenden,
für sie unerklärlichen Stimme der Natur leiten.
4. Die Pelopee des Abb6 Pellegrin (1733).
Mit dem Leben des Abb6 Simon-Joseph Pellegrin
brauchen wir uns hier nicht zu beschäftigen.^
Wir können unsere Aufmerksamkeit sofort dem Inhalte
der von ihm verfaßten Pelopee zuwenden.
Der Ort der Handlung ist während des ganzen Stückes
das Lager des Atr§e in der Nähe von Argos.
») Cf. Anhang, S. 148/49.
*) Nähere Aufschlüsse finden sich in: Moreri, Dict VIII, 168/69;
Michaud, Biogr, univers. XXXII, 393/94; Nouv, Biogr. XXXIX, 489 ff.
und Orande Encycl XXVI, 272.
— 101 —
Thyeste bat seine Tochter Pelopee sofort nach ihrer G-eburt seinem
Vertrauten Arbate zur Ermordung übergeben, um die Erfüllung des
ihm gewordenen Orakelspruchet zu yerhüten:
«Argos rentrera sous ta loi,
Par un Fils qui naitra de ta Fille et de toi.»
Statt das Mädchen zu töten, übergibt es Arbate dem Atree, der
«s an Stelle eines ihm gestorbenen Kindes heimlich annimmt und er-
zieht, um es dereinst mit seinem Vater zu vermählen. In der Tat ver-
liebt sich Thyeste in die herangewachsene Jungfrau, entführt sie mit
ihrer Zustimmung und erzeugt mit ihr einen Sohn, namens iEgiste.
Atree, der von dieser heimlichen Ehe nichts erfahren hat, möchte seinem
Bruder die Hand der Pelopee um so eher geben, als Thyeste sich hier-
durch mit seinem Bundesgenossen Tyndare, dem König von Sparta,
entzweien würde, der auf die Verbindung seiner Tochter Clitemnestre
mit Thyeste gehofft hatte; Atr6e beabsichtigt nämlich, diese Prinzessin
mit seinem Sohne zu verheiraten, und bietet daher seinem Bruder den
Frieden an, wenn er sich mit Pelopee vermähle; — aber Thyeste geht
auf den Vorschlag des Atree nicht ein, weil er eine schlimme Absicht
hinter solch ungewohnter Freigebigkeit vermutet, hält seine Ehe mit
Pelopee geheim, da er seinem Bruder nicht traut, und gibt sich den
Anschein, als ob er die Pelopee nur als Kriegsgefangene betrachte.
Inzwischen ist ^Egiste, den seine Mutter infolge eines unheilvollen
Orakelspruches durch ihren Vertrauten Sostrate für immer von sich hat
entfernen lassen, an den Hof des Atree gekommen, ohne von diesem er-
kannt zu werden, ^giste, der von seiner eigenen Abkunft nichts weiß,
entreißt die Pelopee dem Thyeste, bringt sie zu Atr§e zurück und ver-
liebt sich in sie.
Durch einen Zufall erfährt Atr6e, daß iEgiste der Sohn des Thyeste
sei. Sofort beschließt der auf Rache sinnende König, den Sohn zur
Ermordung seines Vaters zu bewegen; er verspricht dem Jüngling die
Hand der Pelopee, wenn er den Thyeste töte. Daß sie die Mutter des
iEgyste ist, ahnt AtrSe nicht. Der Jüngling sträubt sich anfangs da-
gegen, den Mord zu begehen. Als er aber erfahrt, daß Pelopee den
Thyeste liebt, in welchem er nun seinen Bivalen erblickt, willigt er ein.
die blutige Tat auszuführen.
Inzwischen hat Atr6e der Pelopee das Geheimnis ihrer Ehe mit
Thyeste entlockt. Nun weiß er auch, daß ^Egiste ihr Kind ist. Er faßt
den teuflischen Plan, jetzt erst recht den ^giste mit Pelop6e, also seiner
eigenen Mutter, zu verheiraten. Doch zuvor muß erst der Jüngling
seinen Vater töten ! Thyeste und iEgiste wollen gerade auf dem Kampf-
platze einander gegenübertreten, als Sostrate herbeieilt und ihnen ihre
nahen verwandtschaftlichen Beziehungen entdeckt, um den Vatermord
noch rechtzeitig zu verhüten. Zugleich erföhrt der Jüngling, daß Pelopee
seine Mutter ist. Jetzt wird Vater und Sohn der furchtbare Bacheplan
des Atr^e offenbar, und sie beschließen den Tod dieses Scheusals. Es
— 102 —
((•lingt ihiieo, den Atree dnreh eia fulsches Geroolit vocd Tode de»
Thyeste zu täuschen, und in dem gleich darauf stattfindenden EampCe
zwischen iEg^iste und Atr^e bringt jener dem yerhaßten Feinde eine
tödliche Wunde bei. Doch bevor der Pelopide stirbt, enthüllt er noch
das schreckliche Geheimnis, daß Pelop^e die Tochter und zugleich die
Gattin des Thyeste ist.
Pellegrin selber hat flls seine Quellen Tier Autoreo^
nämlich Servius, Laetantius, Vigen^re and besoiMlerB
Hygin angegeben.^) Serrius erzählt in seinem Kommentar
zu Vergirs Aeneide*) den Inhalt des 1. Teiles der 87. Fabel
Hygin's, die folgendermaßen lautet: ThyesH Pdopis ei H^ipo-
damiae ßio responsum futt^ quem ex filia saa Pelopia proeretMaei
eum fratris fore ultorem, qtwd cum atidissei jmer eet natus quem
Pelopia expostiit, quem inventum pastores caprae suhdiderufU ad
nutriendmn, Äegisthus est appellatus ideo quod graece capra atga
appellaiw\^)
Bei Lactantiu9 konnte ich keine Stelle wies diesbezög*
liehen Inhalts entdecken.^) Daß Vigendre die 86. Fabel
Hygin's frei übersetzt hat, ist uns bereits hinlänglich bekannt
^) Prif. zur Pelopie, S. 9 ff.: « . . . pliwteiir« d« SpectaUur» . . .
m'ayant deniande dans quelle aouree fa^^oie puise un 8ujet quHls n'avmiMt
point trouvi dans quelques Dictionnaire» ; fax cru ^tejedeoais saüsfain
un si juste desir. — ServiuSy Lactance, Vigen^re, et sunriout Hygmus
racontent que Thyeste, frere d'Airie^ ayant CMsuUe T Grade sur ta ven-
geance quHl votUoit tirer de la cruaut4 d'Atrie, ü lui fut Hpondu qu^U
seroit venge par un Fils qui naUrait de lui et de sa FiUe PÜopU, et
que.fai exprime par ces vers . . .:
Argos rentrera sous ta loi,
Par un Fils qui nattra de ta Fiüe et de toi,»
*) IX, 609 : . . . eum Thyestes post eagnitum faeinius requireret «2«
tumem^ ei Apollo respondit, posse alio scelere iUius faci$%oris vindieem
naseij scilicet cum Pelopia^ ßia sua, coneumberet, quo facto natus eü
Äegisthus, fatalis in Atrei geminam suboUm. Dafi Senrins den fly^
wohl gekannt hat, geht daraus hervor, dafi er ihn in seinem CommeiUar
öfters zitiert, so z. 6. L, 216 o. 487, femer II, 282.
<) Gf. Schmidt, Syg. Fab., S. 8i.
*•) In den ,,Lactantii PI Narrationes Fabularum^^ ist onaerea Wimsos
nur zweimal die Hede vom Hause des Tantalns, einmal in der 6. Fabal
des VI. Buches (p. 880/31), wo der Aator von dem beröohiigten Mahls
spricht, das Tantalns den Göttern vorgesetzt hat, nnd dann in der 1. ond
2. Fabel des XII. Buches (p. 869), wo Lactantias von .^Agamemnon, Atni
— 103 —
Pellegrin geht also im Grunde nur auf Hygin zurück;
da die obengenannten Autoren ja auch sicherlich aus Hygin
schöpften.^) In derselben Prifaoe spricht Pellegrin von einem
wichtigen Unterschiede, der zwischen der 87. und 88. Fabel
flygin's besteht^), was für uns ein Beweis mehr dafür ist, daß
er Hygin selbst benutzt hat. Ferner sind die Verse:
«Arges rentrera sous ta loi, '
Par un Fils qui naitra de ta Fille et de toi>
eine beinahe wörtliche Übersetzung des Beginns der 87. Fabel
Hygin's. Pellegrin hat sich auch genau an die ganze 87. Fabel
gehalten, nur daß er den Thyeste nicht freiwillig zum Blut-
schänder werden und den ^giste eigentlich nicht direkt aus-
setzen ließ. Aber daß der Sohn der Pelop^e in dieser
Tragödie auch wie in der 87. Fabel Hygin's von einer Zi^e
gesäugt wurde, darauf macht Pellegrin selbst in seiner Vor-
rede aufmerksam.^)
Der 88. Fabel Hygin's entnahm der Dichter folgende
Einzelheiten :
Atree will den Sohn des Thyeste und der Pelop^ zur
Ermordung seines Vaters zwingen. Jedoch hält bei Hygin
Atreus den Aegisthus für seinen eigenen Sohn, während bei
Pellegrin Atr6e nur anfangs nicht weiß, daß jEgiste der
Sohn des Thyeste und der P^lop^e ist, sondern es erst nach*
träglich erfährt.
et Aeropes /J/iiw" berichtet (cf. Auetores Mythographi Latinif p. 830/31
n. p. 869).
^) Auch Weiße, sowie Schröter und Thiele geben als Quelle
die 88. Fabel Hygin's an. Cf. p. 98 Anm. 8.
^) »La plüpart des Scholiastes ont cru que IHncestc fut commis
volontairement par Thyeste, et que Vardeur de se venger, le fit passer par
dessus tonte autre cotisidiration ; Hyginus mcme est de ce sentiment dans
le chap, 87, mais il se retracte dam le 88 et dit que Thyeste devint in"
cestueux sans le s^avoir.r^
') 'Tous les Auteurs qui ont rappwte ce fait conviennent qu^JBjg%»t€
q^i naquit dt cet inceste, fut expose par sa mlre aussi tot aprls sa
naissancef et que des PasieurSy Vayant trouve le firent nourrir par une
ckevre sauvage; cest lä ce qui «t'a donne lieu de faire dire ä JEgiste dans
mon Premier Acte:
Au fond dhme foret, par un ynonstre allaite,
De lui je tiens mon notn et ma firocite.»
— 104 —
jEgyste will auch wirklich den Thyeste töten ; doch wird
dieser Vatermord dadurch verhindert, daß sich Vater und
Sohn noch rechtzeitig kennen lernen. Hygin's Darstellung
unterscheidet sich von derjenigen Pellegrin's dadurch, daß
der Jüngling in der lateinischen Fahel einen Meuchelmord
beabsichtigt, während er in unserem Drama den Thyeste in
ehrlichem Kampfe töten will,
JEgiste ermordet den Atr§e, der, durch eine falsche
Nachricht getäuscht, seinen Bruder für tot wähnt. Thyeste er-
föhrt die entsetzliche Tatsache, daß er iBgiste mit seiner
Tochter gezeugt hat.
Außer diesen beiden Fabeln hat aber Pellegrin (was er
verschweigt!) ohne Zweifel auch noch den ^jgyste von S^
guineau und Pralard benutzt und ihm folgende Einzelheiten
entnommen :
Die Erzählung von Tyndare und dessen Tochter Clitem-
nestre. Hierzu muß jedoch bemerkt werden, daß Pellegrio
diese beiden Personen nicht auftreten läßt^) und den König
Von Sparta zum Bundesgenossen des Thyeste macht, während
Tyndare im ^gyste nur eine vermittelnde, wenn auch za
Thyeste hinneigende Stellung einnimmt. Ja, selbst im Mgysk
Sagt schon im I. Akte Tyndare zu Atree, daß er gegen ihn
Partei ergreifen werde, wenn er (Atrfie) in seiner Ungerechtig-
keit beharre*), und im IV. Akte schwört er, sich an Atree
bitter rächen zu wollen, wenn dieser eine unehrliche Handlung
im Sinne habe.^ Und zum Schlüsse steht Tyndare tatsächlich
auf Seite des Thieste.*)
Atr6e will die Clytemnestre mit seiner Familie verbinden,
wie auch bei S6guineau und Pralard Tyndare seine Tochter
dem Agamemnon verspricht.
^giste und Pölopfee treffen sich bei Atrfe, ohne ihr
gegenseitiges Verhältnis zu kennen. Der erstere hat keine
Ahnung von seiner Abkunft, wohl aber ist diese dem Atr^e
bekannt, der den Jüngling zur Ermordung seines Vaters zu
^) £s kommt nämlich nur einige Male im Drama die Rede auf sie.
«) Cf. Anhang, S. 148.
») Cf. Anhang, S. 150.
*) Cf. Anhang, S. 150.
~ 105 ^
bewegen sucht und ihm als Preis für den Kopf des Thyeste
die Hand seiner Geliebten in Aussicht stellt; bei Pellegrin
ist dies FSlopSe^ die eigene Mutter, bei Seguineau und Pralard
dagegen Clitemnestre.
Der Jüngling weigert sich anfangs, die Tat auszuführen,
läßt sich aber doch dazu bestimmen ; das Motiv ist allerdings
bei Pellegrin ein anderes als bei Seguineau und Pralard. Es
ist femer zu beachten, daß bei Pellegrin's wtEgiste das Gefühl
der Liebe zu PSlopSe viel stärker, hervortritt, als dies im
Drama SSguineau's und Pralard's der Fall zu sein scheint.
Wie bei Pellegrin iEgiste in einem erfolgreichen Kampfe
dem Thyeste die Pelopee entreißt und sich in sie verliebt,
so besiegt im anderen Drama Agamemnon die Bewohner von
Argos und bringt die P61opöe, zu welcher er in Liebe ent-
brannt ist, zu Atree. Was diese Liebe des iEgiste zu P£lop6e
anlangt, so erinnert sie uns nur insofern an die Liebe des
Agamemnon zu ihr, als ^Egiste wie Agamemnon von ihr
nicht erhört wird. Aber die Leidenschaft des JEgiste bei
Pellegrin ist doch ganz anderer Art als die des Agamemnon
bei Seguineau und Pralard ; sie hat viel mehr Verwandtschaft
mit der Liebe des Plisthöne zu Theodamie bei Cröbillon ; denn
wir haben hier wie dort eine blutschänderische Leidenschaft,
die auch bei beiden Dichtern ungefähr dasselbe Ende nimmt.
Überhaupt hat Pellegrin sein Stück, wenn er auch jene
Fabelbruchstücke aus dem ^gisfe genommen, vielmehr auf
dem Afrde et Thyeste Crebillon's aufgebaut, dem er sehr viele
Züge entlehnt hat. Daß Pellegrin jene Tragödie genau
kannte, beweisen seine oben bereits angeführten Bemerkungen
darüber.^) Daß er den Jb^gyste, sei es im Manuskripte oder
im Druck, eingesehen habe, ist kaum anzunehmen. Er wird
sich aus der vom Mercure mitgeteilten Inhaltsangabe alle die
Einzelheiten herausgesucht haben, die ihm für seyie Pelopce
paßten. Und wie genau er sich der Cr6billon'schen Dar-
stellung angeschlossen hat, das wird die nachfolgende Ver-
gleichung klarlegen.
») S. 62, 90 u. 9394.
— 106 —
I. Akt.
Ort der Handlang ist durchweg das Ldiger des Atree in der Nähe tod
Argos.
1. Szene. Sostrate, der ehemalige Erzieher des JEgiste, und Areas,
der frühere Diener des Tbyeste, sind in einem interessanten Zwie-
gespräche begriffen: Thyeste ist dem Sostrate schon seit 20 Jahren
feindlich gesinnt, da er glaubt, Sostrate habe ihm seinen Soho gleich
nach seiner Gebart entrissen und getötet. Sostrate gibt sich jedoch ab
treuen Diener des Thyeste ans. Als ihm Areas erzählt, daß ein junger
unbekannter Held, namens JBgiste, durch seine Tapferkeit far Afcree,
der gegen Thyeste und dessen Bundesgenossen Tyndare Krieg führe,
den Sieg entschieden habe, schrickt Sostrate heftig zusammen. £tn
Geheimnis verbietet ihm, zu reden. Nachdem er sich von der Treue
des Areas zu Thyeste überzeugt hat, bittet er ihn, seinem früheren
Herrn einen Brief sehr wichtigen Inhalts zu überbringen und sich da-
bei zu beeilen, da der Tag schon anbreche.
Fellegrin gibt seinem ^giste ein Aller von 20 Jahren,
wie auch Crebillon's Plistb^ne 20 Jahre alt ist. Das Stück
beginnt mit Anbrach des Tages wie Crfibillon's Atree et Thyeste.
2. Szene. Atree drückt seine Wut gegen Thyeste vor seinem Ver-
trauten Eurymedon aus, der seinen König mit dem Gedanken des
baldigen Todes seines Feindes zu trösten sucht. Aber Atree denkt ganz
anders: Thyeste soll nicht sterben und so seinen Leiden entgeheu,
sondern die rächende Hand seines Bruders fühlen! Hierauf rerrat
Atr6e seinem Vertrauten, dafi P^op^e die Tochter des Thyeste sei.
Dieser habe sein Kind seinem Vertrauten Arbate zur firmordong über»
geben. Der habe jedoch das Töchterchen zu Eurymedon gebracht, von
dem es wiederum der Obhut des Atr6e anvertraut worden sei. Zur
selben Zeit sei ihm (dem Atree) sein eigenes Kind geraubt worden, und
da habe er nun heimlich das Töchterehen des Thyeste dafür in die
Wiege gelegt nnd ihm denselben Namen wie seinem eigenen Kinde ge-
geben. Während seiner (des Thyeste) Abwesenheit von Argo« habe
Thyeste die Felopee entführt und dann bei ihm (Atr^) um ihre
Hand angehalten. Gerne wäre er dem Wunsche seines Bruders ent-
gegengekommen ; denn eine blutschänderische Ehe zwischen Thyeste nnd
P^lop^e sei ja sein eigentlicher Racheplan. Dann erzählt Atree die
Geschichte von Tyndare nnd der Clytemnestre, mit denen er l^iyette
hätte entzweien wollen ; doch dieser habe aus MÜltranen gegen seinen
Bruder die Heirat mit Pelopee plötzlich verweigert und letztere — so
glaubt Atree — als seine Gefangene zurückbehalten, bis sie ihm endlich
durch die Tapferkeit des ^Egiste entrissen worden sei. Auch befürchtet
der König, daß jener Jüngling ihm einst gefahrlich werden könne.
— 107 —
Diese 2. Szene ist eine getreue Nachahmung der 3. Szene
des 1. Aktes tod Crtöillon's Atrie et Thyeste, Hier wie dort
teilt Atrfe seinem Yertraoten die Bache mit, die er für
Thyeste ersannen, und ein Geheimnis, das damit innig m«
sammenhängt. Bei Cr^billon hat Atr6e seinen Sohn mit dem
des Thyeste Tertauscht und dann den PUsthtoe zur Bache
erzogen; bei Pellegrin hat At^ße die Tochter des Thyeste
heimlich adoptiert, um durch sie ebenfalls sieh an seinem
Bruder zu rächen. Auch ist die Art und Weise^ wie die
Yertauschung des richtigen mit dem fremden Kinde geschildert
wird, Cr£billon genau nachgeahmt Atr6e erzählt in folgenden
Worten :
cD'abord sans nul dessein je pris soin de sa vie.
Mais ma fiUe au berceau m'ayant et6 ravie,
La sienne en meme tems prit sa place et son nouL»
(Pellegrin.)
Bei Cröbillon (I, 3) sagt Atree:
<Un fils venait de naitre h la nouvelle Beine.
Pour rempiir mes projets, je le nommai Plisth^ne,
Et mis le fils d^Aerope au berceau de ce fils,
Dont depuis m'ont privg les Destins ennemis.»
Der Unterschied besteht darin, daß bei CrSbillon Atr£e
sein eigenes Kind erst nach der Yertauachung yerliert, während
dies bei Pellegrin schon vorher der Fall ist
Femer klingen die Einleitongsworte, die bei Pellegrin
Eurym^don zu Atr^e spricht, deutlich an jene an, die bei
Cr6billon der Pelopide seinem Vertrauten zuruft
Bei Pellegrin sagt Eurymedon :
«Quoi! Seigneur^ dans un jour si propice k yos voeux,
Vous n'etes pas encor parfaitement heureux!»
Bei Crftbillon (I, 3) sagt Atr6e:
«Enfin ce jour heureux, ce jour tant souhaitfi
Banime dans mon coeur Tespoir et la fiert^.»
Also die Anspielung auf den glücklichen Tag ist bei
beiden Dichtem die gleiche, nur daß bei Cr^billon Atrie
sich wirklich darüber freut, während er bei Pellegrin noch
— 108 —
nicht recht an das Glück des Tages glaubt. Im Atrie ff
ThyesU ist der Tag schon glücklich, in der Pelopee noch nicht
Während ferner bei Cr6billon Atr6e den Tod des Thyeste
wünscht, und sein Vertrauter ihm rät, zur Strafe seinen Bruder
lieber leben zu lassen, als ihn zu töten, stellt Pellegrin die
Sache umgekehrt dar; denn auf die Worte des Eurym6doa:
« Tkyeste va p6rir^ läßt er seineu Atr6e antworten :
«Thyeste va pfirir! Et crois-tu que sa mort
Soit le bien oü j'aspire avec plus de transport?
Je cherche k prolonger, non ä finir sa peine,
II m'enl^ve, en mourant, le plaisir de ma haine.>
Diese Verse schrieb Pellegrin entweder unter dem Ein-
flüsse des schon zitierten Ausspruches Seneca's (v. 246):
De fine poenae loqueris, ego poenam volo,
oder, was viel näher liegt, in Anlehnung an die Worte, welche
bei Crebillon Atr6e in der 8. Szene des III. Aktes spricht:
«Qu'il vive! Ce n'est plus la mort que je mßdite,
La mort n'est que la iin des tourments qu'il merite,>
und welche allerdings ihrerseits auf den obigen Gedanken
Seneca's zurückgehen.
In ähnlicher Weise äußert ferner Atr6e sowohl bei
Pellegrin als auch bei Crebillon sein RachegefUhl gegen
Thyeste und seinen gotteslästerlichen Hochmut.
Atree bei Pellegrin:
«De mon cceur irrite les transports furieux,
Plus que mon tröne encor me rapprochent des Dieux.
C'est peu d'etre au-dessus des Rois les plus puissans,
Montrons k l'univers de quel Dieu je dessen«;
Son Empire comprend et le Ciel et la Terre;
Au gr6 de sa vengeance, il lance le tonnerre;
Et moi, j'aime ä porter de si terribles coups,
Que Jupiter lui-meme en puisse etre jaloux.?»
Atr6e bei Crßbillon (I, 3):
«Rien ne peut arreter mes transports furieux.
Je voudrois me Tenger, füt-ce meme des Dieux.
— 109 —
Du plus puissant de tous, j'ai regu la naissance,
Je le sens au plaisir que me fait la vengeance:
Eofin moD cceur se platt dans cette iDimiti^y
Mon coeur qui sans pitiS lui declare la guerre
Ne cherche ä le punir qu'au d^faut du tounerre.»
Derartige ÜbereiDstimmuDgeD sowohl in Gedauken als
auch in der sprachlichen Form nötigen zu dem Schlüsse, daß
Pellegrin unter dem direkten Einflüsse Cröbillon's sein Stück
verfaßt hat.
In der 3. Szeue bringt £urilas, ein Wächter, dem Atree einen
Brief, den man dem Areas entrissen hat, als dieser sich zu Thyeste hat
begeben wollen. Der König liest den Brief and schickt sofort Eorilas
nach ^giste aus. Hierauf (4. Sz.) liest Atree den Brief vor, der Thyeste
die Nachricht hätte bringen sollen» daß .Egiste sein Sohn sei. Sofort
gibt Atree den Befehl, Sostrate zn suchen. Dieser hatte nämlich seinen
Namen unter jene Zeilen gesetzt. Zu gleicher Zeit faßt der grausame
Pelopide den Kacheplan, .Egiste^s Liebe zu Pelopee dazu zu benutzen,
ihn zum Morde an Thyeste, also an seinem eigenen Vater, zu verleiten.
Auch diese EpisodiB ist Crebillon nachgeahmt; denn wie
im Atree et Thi/este, so wird auch bei Pellegrin der Brief,
welcher Thyeste über die Existenz seines Sohnes aufklären
soll, abgefangen und dem Atree eingehändigt.
5. Szene. Dem eintretenden ^Egiste teilt Atree mit, daß er ihm
nur unter der Bedingung seine Tochter geben werde, wenn er Thyeste
in der Schlacht töte. Der edle Jüngling kann sich dazu nicht verstehen
— so gerne er auch die Hand der Pölopee gewinnen möchte — , das
Blut eines Königs und noch dazu das von Atree*s Bruder zu vergießen.
Diese Szene gleicht der 4. Szene des I. Aktes, der
6. Szene des II. und der 3. Szene des III. Aktes des Atree
et Thyeste, also denjenigen Szenen, in denen Plisthöne sich
weigert; Thyeste zu töten, da er der Bruder seines Vaters
sei. Die Ähnlichkeit tritt in folgenden Versen klar zutage:
Bei Pellegrin sagt ^giste zu Atr6e:
Je ne puis me cacher que ce sang est le votre;
N'en est-ce pas assez pour retenir mes coups?
En per^ant votre fröre, ils iraient jusqu'Ä vous.
— 110 —
Bei Crfibillon (I, 4) sagt Plisth^iie zu AtrSe:
Songez-Tous bien qnel fioead voas unit Tun et Tautre?
Ed rfipaadaiit son sang^ je r^pandrais le Totre.
Femer meint ^giste bei Pellegrin;
La nature a ses droits ; mais le tröne a les siens, ^)
Et du sang entre nous, il rompt tous les liens.
Bei Crebillon (II, 6) sagt Atree zu Thyeste:
Quand je t'ai vu souilier par tes coupablea feux
Les autels oü Thymen allait combler mes ¥<Bai^
Que peux-tu m'opposer qui parle en ta defense?
Les droits de la nature, ou bien de Tinnocence?
Außerdem eriDiiert diese Szene ganz besonders an die
3. Szene des III. Aktes des Airie et Tktfeste. Denn wie dort
Atr6e die Liebe des Plisth^ne zu Thßodamie benutzen will,
um den Jüngling zur Ermordung des Thyeste zu treiben,
jedoch seinen Zweck nicht erreicht, so möchte hier der
grausame Pelopide den jEgiste auf Grund seiner Liebe za
PSlop^e zwingen, seinen Vater zu ermorden, aber auch seine
Mühe ist vergebens.
Man könnte hier vielleicht einwenden, daß auch im ^gifsU
der Jüngling darüber erzittert, daß er Thyeste töten soll
{III. Akt); und sich nicht gleich dazu entschließen kann, ob-
wohl er dadurch die Hand seiner Geliebten verliM^n könnte.
Pellegrin würde also in diesem Falle nicht auf Orfebilloo, wo
Atr§e die Theodamie im Falle der Weigerung des Plisth^ne
ermorden will, sondern auf die betrefifende Szene bei Seguinesu
und Pralard zurückgehen. Hierzu ist zu bemerken, daß
Pellegrin hier beide Dramen nachahmt, daß er sich aber doch
mehr an den Atrve et Thyeste als an den JEgyste anlehnt. Denn
die Liebe des .Sgyste ist, nach der Inhaltsangabe zu schließen,
bei S^guineau und Pralard nicht so leidenschaftlich wie die
des ^giste zn P6Iop§e oder die des Plisth^ne zu Theodamie.
Und es ist doch zweifellos gerade die blutschänderische Liebe
*) Dieser Vers hat, was die Form anlangt, große Ähnlichkeit mit
dem folgenden, den bei C r e b i 1 1 o n Plisthene im III. Akte (3. S«.) spricht:
*Mon devoir a »es droits^ mais ma glokr a la $ien9.»
— 111 —
des Sohnes zu seiner — allerdings von ihm noch nicht ge-
kannten — Mutter eine Nachahmung der blutschänderischen
Liebe des Bruders zu seiner — ebenfalls von ihm nicht ge-
kannten — Schwester, wie wir sie bei CrSbillon finden. Daß
dieses Verhältnis Crebillon entnommen ist, geht auch daraus
hervor, daß bei beiden Dichtern der Jüngling sofort seine
Leidenschaft verabscheut, als er seine so nahe verwandtschaft-
liche Beziehung zu seiner Geliebten kennen lernt. Femer
ist noch hervorzuheben, daß in dieser Szene bei Pellegrin
und in der 3. Szene des III. Aktes bei Crebillon der J&ngling
sich entschieden weigert, den Mord auszuführen, während er
doch bei S^guineau und Pndard am £nde der betreffenden
Szene, wo Atr6e dieses Ansuchen an ihn stellt^ verspricht,
den Tbjeste zu töten.
Endlich wäre zu dieser Szene noch zu bemerken, daß
die Worte des ^giste:
An fond d'une foret par un monstre allaitS,
De lui je tiens mon nom et ma f£rocit6.
Je vous Tai d^jä dit, je suis n6 pour le crime,
Par lä, de mes parens je devins la victime
etwas an den Seneca'schen Gedanken anklingen:
V. 313/14 ne mali fiant times?
nascuntur.
Wir erinnern uns, daß auch bei Crßbillon (I, 3) Atree
einmal die Meinung äußert, daß Plisth^ne die Schlechtigkeit
seiner Eltern ererbt habe.
6. Szene. Als der Wütericli sich entfernt hat, teilt ^Egiste dem
herankommenden Antenor seine leidenschaftliche Liebe za Felopee mit.
die er schon beim ersten Anblick im Lager des Thyeste in sein Herz
geschlossen habe. Sein Vertrauter gibt ihm den Rat, von diesem Orte
zu fliehen, auf daß er nicht den Lehren des Sostrate zuwiderhandle, der
ihm doch besonders die Achtung vor Königen eingepflanzt habe. In
jEgiste kämpfen eine Zeitlang seine ihm anerzogenen Grundsätze und
seine leidenschaftliche Liebe. Zum Schlüsse gibt er alles Nachdenken
auf und stürzt davon mit den Worten:
N'en d^liberons plus; aHons; cherchons le Bei;
£t qa'au gre de sa haine, il dispose de moi!
Wie Plisthöne bei Crebilloo, so verliebt »ch auch ^giste
bei Pellegrin in P^lopee schon beim erstmaligen Sehen.
— 112 —
n. Akt.
1. Szene. Pelopee teilt ihrer Vertranten mit, daß sie mit Thyeste
heimlich verheiratet sei und von ihm einen Sohn habe, den sie jedocL
nm sein Los niemals zn erfahren, durch Sostrate habe entfernen lassen.
Sie sei durch einen Orakelsprach, der ihrem Kinde Vatermord and Blot-
schande geweissagt, zu jener Tat bewogen worden. Zor Befragong des
Orakels sei sie durch einen schrecklichen Tranm veranlaßt worden. Ihre
geheime Ehe mit Thyeste dürfe nicht offenbar werden, da sonst ihr qd-
glücklicher Gemahl seinen Bundesgenossen verlieren könne.
Wie bei CrSbillon Thyeste einen Unheil verkündeadeD
Traum hat, so auch hier bei Pellegrin PSlop^e. Und zwar
entnimmt Pellegrin wie CrSbillon den Inhalt des Traumes
teilweise aus Seneca, aber nicht aus dem IV., sondern aus
dem I. Akte. Wie schön und kurz uns der Dichter jene
Eingangsszene des lateinischen Dramas zu schildern weiß,
ersehen wir am besten aus der Beschreibung des Traumes
selbst. Doch zuvor sei noch bemerkt, daß die Einleitungs-
und Schlußverse dieser Schilderung dem Traume des Thyeste
bei Crebillon nachgeahmt sind. Pelopee erzählt mit folgenden
Worten :
Jour affreux! jour suivi d'une nuit plus terrible!
Bei Cr6billon (II, 2) sagt Thyeste:
Tout ä de tristes nuits Joint de plus tristes jours.
Pel. : De spectres entasses un assemblage horrible,
Dans un songe funeste effrayant mes regards,
Pret ä fondre sur moi, vole de toutes parts;
Thy. bei Creb (II, 2):
Et j'ai cru le barbare entoure de Furies.
Pel. : Je vois une Furie, et mon Ayeul Tantale,
Qu'elle force k sortir de la nuit infernale,
La Barbare sur lui versant son noir poison,
Lui fait un autre enfer de sa propre maison;
Cette ombre infortunSe apres soi traine encore
Et la faim et la soif dont Tardeur la d^vore!
Diese Verse geben kurz den Inhalt des I. Aktes der Thyestes-
tragödie Seneca's.
— 113 —
P§I. : Elle approche. Le frnit de mon malheureax flaue
La Donrrit de camage et Tabreuve de sang.
Ganz ähnlich schließt bei Crebillon (11^ 2) Thyeste seine
Traupischilderong :
Le cruel d'une main, semblait m'ouvrir le flanc
Et de Tautre, ä longs traits, m'abreuver de moo sang.
2. Szene, .^giate teilt der Pölopee mit, daß er ihre fland durch
den Sieg über Thyeste zu erringen hoffe, tchwört ihr aber ichließlioh
auf ihre Bitten hin, das Blut dei Thyeste nicht zu vergießen. In der
3. Szene fleht der Jüngling den ihn wegen seiner Saumseligkeit tadeln-
den Atr6e an, doch mit seinem Bruder Frieden zu schließen. Der
Pelopide will aber von Milde nichts wissen, so sehr ihm auch Pelopee
vor Augen stellt, daß doch die Bande des Blutes ihn an Thyeste fesseln.
Ja, der Grausame will selber den Racheakt vollziehen; da kommt ihm
uEgiste zuvor mit der Erklärung, er werde an diesem Tage sowohl seinem
Ruhme als auch seiner Liebe Rechnung tragen.
Auch diese 3. Szene zeigt den Einfluß Crßbillon^s. Denn
die Bitte des ^giste an Atree, sich mit seinem Bruder aus-
zusöhnen, erinnert an die 6. Szene des II. Aktes des Atrie
et Thyeste, wo Plisth^ne ebenfalls den Atree zu einem Bündnisse
mit Thyeste bewegen möchte. Ferner klingen die Worte der
Pelop6e:
Songez qu'un meme sein vous a port6s tous deux
an jene an, die Euristh^ne zu Atr§e bei Crebillon (I, 3) spricht:
Ah! Seigneur, si le sang qui tous unit tous deux
N'est plus qu'un titre vain pour ce roi malbeureux.
4. und ö. Szene. Pelopee gerät über das dem Thyeste drohende
Unglück in Verzweiflung, was dem Atree zur Vermutung AnlaO gibt,
daß Pelopee heimlich mit Thyeste verheiratet sei.
III. Akt.
Thyeste ist als Gefangener im Lager des Atree. Er wütet gegen
die Ungerechtigkeit der Götter, die sich seinem Bruder geneigt zeigen,
ihm selber jedoch den Orakelspruch haben zuteil werden lassen, daß er
durch den mit seiner Tochter erzeugten Sohn Argos gewinnen werde.
Um solche Blutschande zu verhüten, habe er seine Tochter von Arbate
erdrosseln lassen. Pelopee mscht ihrem Gemable (3. Sz.) den Vorschlag,
seine Ehe mit ihr dem Atree kundzutun, doch die Vorsicht bestimmt
ihn, ihr die Bitte abzuschlagen. In der 5. Szene verspricht Mgist^ dem
Thyesta seine Hilfe gegen Atr6e. Denn er muß dem Gefangenen ge-
Münchener Beiträge z. rom. u. engl. Philologie. XXXVII. 8
— 114 —
stehen, er habe bei der ersten Begegnung innige Zoneigung zo ihm
gefaßt. Aach Thyeste kann sich eines ähnlichen Gefühls dem ^£giste
gegenüber nicht erwehren. Da hört der Jüngling Atree kommen und
rät dem Thjeste, sich schleunigst zu entfernen.
Diese 5. Szene ist zum Teil eine Nachahmung der 5. Szene
des in. Aktes des Atree et Thyeste. Denn hier wie dort teilen
sich Vater und Sohn, die ihre nahen verwandtschaftlichen
Beziehungen noch nicht kennen, die Liebe mit, die sie eigen-
tümlicherweise zueinander fühlen. Dabei hält sich Pellegrin
ziemlich genau an die Worte, die Thyeste und Plisthöne mit-
einander wechseln:
JEg, bei Pellegr.:
Je ne s^ais d'oü me vient le transport qui me presse,
Mais pour vous, dans mon coeur, qnelqueDieu s'interesse?
Plisth. bei Orfeb. (lU, 5):
Ce n'est point la piti6 qui m'attendrit, Seigneur;
Je sens des mouTements inconnus ä mon cceur.
Thy. bei Pellegr.:
Quel transport ä ces mots dans le mien vieat de naitre!
Dans ce tendre moment je n'en suis plus le maftre;
Et je sens que les Dieux, par ce trait de bontS
Me rendent, en vous seul, tout ce qu'ils m'ont 6t6.
Thy. bei Crfeb. (III, 6):
Prince qu'un tendre soin dans mon cceur int6resse,
Qu'il m'est doux de ponvoir embrasser aujourd'hui
De mes jours malheureux l'unique et s&r appui.
6. Szene. Atree ist erzürnt darüber, daß man ihm sein Opfer vor-
enthält. Da bittet ihn ^Egiste zum zweiten Male, sich mit seinem Brader
zu versöhnen. Atr^e ist dazu bereit unter der Bedingung, dafi Thyeste
sich mit Pelopee verheirate. Dieser werde hoffentlich darauf eingehen,
da er ebensosehr Pelopee liebe, wie er von ihr geliebt werde. Weil
PSlop^e schweigt, glaubt sich ^Egiste von ihr und Thyeste verraten und
erklärt ihr (7. Sz.), er wolle seinen Rivalen töten. Pelopee kann aller-
dings ihre Liebe zu Thyeste nicht verleugnen.
IV. Akt.
.£giste bleibt bei seinem Vorhaben, den Thyeste zu ermorden oder
selbst zu sterben; er will seinen Rivalen unter der Begleitung von za-
— 115 —
verläsaigen Soldaten anf freien FdÜ setzen lassen, um so einen ehrlichen
Zweikampf mit ihm za ermöglichen. Thyeste, den der Jüngling durch
Arbate hat herbeiholen lassen, will den .Egiste (6. Sz.) znm Abfall von
4>tree bewegen, da er ihn noch als seinen Freund betrachtet. Doch
iEgiste erklärt ihm, er sei sein Feind; denn er kenne seine geheime
Liebe zu Pelopee. Thyeste leugnet vergebens. Da teilt ihm der Jüngling
mit, er werde ihn nach Sonnenuntergang ins Lager des Tyndare
bringen lassen und ihn dann zum Kampfe herausfordern. Daraufhin
bietet ihm Thyeste seine offene Brust zum Streiche dar:
«Frappez! Voila mon cceur!»
JSgiste aber will ehrlich siegen.
£s zeigt sich hier deutlich, wie genau der Charakter des
jEgiste dem des Plisth^ne nachgebildet worden ist; denn wie
Plisth^ne auf die erste Aufforderung des AtrSe hin (I, 4\
den Thyeste zu töten, erklärt:
Je serai son vainqueur, et non pas son bourreau,
so will auch hier ^giste seine Hand nicht durch einen Mord
beflecken, sondern einen rühmlichen Kampf wagen.
7. Szene. Sostrate erscheint gerade noch rechtzeitig. Kaum hat
Thyeste ihn erblickt, so will er ihn töten, da er in ihm den Mörder
seines Sohnes sieht. Doch Sostrate eröffnet ihm, daß .Egiste sein Sohn
sei, daß Atree hiervon durch einen aufgefangenen Brief Kunde erhalten
habe und JSgiste ermorden wolle. Da will .Egiste, der auch erfährt, daß
Pelopee seine Mutter ist, die falsche Nachricht vom Tode des Thyeste
Ter breiten und auf diese Weise Atree, ja selbst Pelopee täuschen. Dann
wollen sie sich mit Hilfe des Tyndare gemeinsam an Atree rächen, der
^Egiste zum Yatermord zu yerleiten beabsichtigte.
Diese 7. Szene ähnelt der 5. Szene des lY. Aktes des
Atree et Thyeste j wo auch Vater und Sohn über ihr Verhältnis
aufgeklärt werden. Wie bei Cr6billon Plisthöne, so erschrickt
hier JSgiste heftig über das Unheil, das ihm in seiner Un-
wissenheit unmittelbar bevorstand, und so verabscheut auch
hier ^giste seine blutschänderische Liebe. Daher klingen
denn auch die folgenden Worte des Sostrate sehr an jene
an, mit denen Plisth^ne bei Crebillon sein(9n Schrecken aus-
drückt :
Sostr. : Les Dieux le raenagaient du sort le plus f uneste^
Seigneur, le parricide ausai bien que Tinceste,
De ce fils malheureux devait fletrir les jours.
8*
— 116 —
PUsth, bei Cr6b. (IV, 5):
Tout semblait rSserver, dans un jour si funeste,
Ma main au parricidey et mon coeur ä Tinceste.
Grands Dieux! qui m'^pargnez tant d'horrears en ce
jonr.
. . V. Akt.
Atree teilt der Pelopee die Ermordung des Thyeste mit, worauf
die Unglückliche in ihrer Verzweiflung das Geheimnis ihrer Ehe verrat
Nun weiß Atrde, daß ^giste ihr Kind ist, und droht ihr, er wolle sie
mit diesem Jünglinge, der ihren Gemahl getötet habe, verheirmten. In
der Abwesenheit des Atree entdeckt sich ihr .Cgiste als ihr Sohn und
bringt ihr die Trostesnachricht, das Thyeste noch am Leben sei. Hierauf
begibt er sich sofort auf den Kampfplatz, und kurz darauf bringt man
den Ton ^Egiste verwundeten Atrde herbei. Doch bevor der grause
Felopide stirbt, hat er noch die teuflische Genugtuung, dem Thyeste
und der Pelopee mitzuteilen, daß sie Vater und Tochter sind.
Aus obiger Vergleichung geht hervor, daß Pellegrin sich
von Crfibillon's Ätrie et Thyeste so stark hat beeinflussen
lassen, daß ihm, wenn wir noch dazu an die dem Hygin ent-
nommenen und diQm. ^gyste 86guineau's und Pralard's
entlehnten Einzelheiten denken, von eigenen Erdichtungen nur
sehr wenig übrig bleibt. Zur genauen Übersicht wollen wir
die analogen Szenen der Thyestestragödien von Crebillon uod
Pellegrin hier kurz zusammenstellen:
Pellegrin Crebillon
I, 2 der Felopie entspricht I, 3 des Atree et Thyeste
I, ö „ „ „ 1,4/11.6/111,3 „
■l-l-i 1- »» »» ?» AI, 2 ,, ,.
II, 3 „ „ ,, II. 6 „ ,,
III, 6 „ „ „ m, 5
I V^» ■ M " J) I * t ö „ „
Nur der V. Akt der Pelopee ist frei vom Einflüsse des
Atree et Thyeste,
Über die Charakterschilderung bei Pellegrin ist folgendes
zu sagen.
jEgiste erinnert sehr stark an den Plisthöne Crftbillon^s,
Beide sind tapfere Jünglinge und dabei fearige Liebhaber.
Wie Plisth^ne beim ersten Anblick die ThSodamie in sein
Herz schließt, so verliebt sich auch jEgiste in P61opee, als
— 117 —
er sie zum ersten Male erblickt. Und beide entsetzen sich
über ihre Leidenschaft, als sie in ihren Angebeteten ihre so
nahen Blutsverwandten erkennen. Der Charakter des jEgiste
hatte anfangs eine nachteilige Beurteilung von seiten des
Publikums erfahren, da er sich verändert. Zu seiner Becht-
fertigung ergriff Pellegrin das Wort und setzte auseinander,
wie jener Jüngling aufzufassen und zu beurteilen sei.^)
Atree erscheint bei Pellegrin ganz richtig in der ihm von
der Sage verliehenen Grausamkeit. Bache ist sein ganzes
Sinnen und Trachten; ja selbst angesichts des Todes ist es
ihm noch eine Wonne, seinem Bruder durch die Enthüllung
jenes gräßlichen Geheimnisses den bittersten Seelenschmerz
bereiten zu können.
Thyeste erinnert durch den hartnäckigen Krieg, den er
mit Atr§e führt, nicht wenig an den Thyeste Crfebillon's.
Aber durch den Verrat, den er an seinem Bundesgenossen
Tyndare übt, und durch jene kleinmütigen Worte, mit denen
er den JEgiste auffordert, ihn zu töten, weicht er von dem
Charakter seines Vorbildes bei Cr6billon ab, das seinen Stolz,
sein Selbstbewußtsein und sein stark ausgeprägtes Ehrgefühl
selbst im Unglücke bewahrt.
P61opee wird uns als das treue, liebende Weib des
Thyeste geschildert Im Lager des Atr6e windet sie sich
sehr gut durch die ihr in den Weg tretenden Schwierigkeiten
hindurch, und erst, als sie bei der Nachricht vom Tode des
Thyeste vom Schmerz überwältigt wird, entfahrt das Geheimnis
ihrer Brust Ihre Liebe zu Thyeste geht am besten aus der
2. Szene des V. Aktes hervor, wo sie schwört, daß sie lieber
sterben und sich im Tode mit ihrem Gemahle vereinigen
wolle, als daß sie den Mörder ihres Thyeste heirate. Ihn,
dem sie vorher nicht gleichgültig gegenüberstand, haßt sie
jetzt aus vollem Herzen, da er ihr den teuersten aller Menschen
geraubt hat (V, 4). Ein besonders schöner" Zug ist darin zu
erblicken, daß sie ihrem vermeintlichen Vater Atr6e trotz
seiner Grausamkeit noch ergeben ist. Von den schreck-
*) Prif. zur Pelopee, p. 12—16. Die betr. Stelle ist im Anhang,
S. 151 wiedergegeben.
— 118 —
liebsten Qualen wird ihr Herz gepeinigt, als sie daran denkt^
daß ihr Gemahl und ihr Sohn gegen ihren Vater kämpfen.
In ihrem Schmerze ruft sie aus:
Que n'a-t-on yu perir le jour oü je suis n6e,
Mon fils ote la vie k qui me Ta donnfie. (V, 8.)
An dem Stücke ist noch besonders hervorzuheben, daß
die Handlung nie stockt und nicht durch viele oder lange
Monologe verzögert i^ird; iu geschickter Weise ist sie an
einen Ort und auf einen Tag zusammengedrängt. Auch die
Einheit der Handlung ist durchweg gewahrt.
Über den inneren Wert der Tragödie als dichterisches
Erzeugnis sind die Meinungen geteilt. Über den Verfasser
und sein Werk hat man sich weidlich lustig gemacht.^) Es
hat aber auch nicht an Stimmen gefehlt, die in der Pelopee
das beste Stück des Abb6 Pellegrin erblicken ^) und die be-
haupten, daß dem Dichter dieses Drama erst einen Platz auf
dem französischen Parnaß gesichert habe.^)
Unseres Erachtens hat Pellegrin mit dieser Thyestes-
tragödie ein nicht zu unterschätzendes Stück geschaffen ; denn
er hat jenen, allem menschlichen Gefühl zuwiderlaufenden
Stoff in sehr dezenter Form auf die Bühne gebracht. Ja —
zum Lobe des Dichters sei es gesagt! — in der Pelojyee sind
die Greuel der Fabel mehr gemildert als in irgend einem der
*) Vgl. z. B, die Anecd. dramat II, 45: tL'Abbe Peüegrin, se pro-
tnenant au Luxembourg avec im dt ses amiSf vit devant lui une feuüU
de papier qui contenait un modele d'icriture, mt Uquel il n'y amit qtte
des PF. L^ami ramassa cette feuUUj et dit ä Vdbbi: Devinez ce que veuknt
dire toutes ce8 lettre»? *Ce8tj ripondit VAbM^ la legen qu\in M(ntt*e ä
^crire a donnie ä son Eleve, et que le vent a fait voler ä nas pieds,'
tiVoua vous trompez, dit son ami: Voici le sens de^ cette hngue abrhnation.
Tous ces P sig7iifient: Pilopie, Piece Pitoyable, Par Pellegrin^ Poett,
Pauvre Pretre Praveni'aly> Auch die Ann, dram. VII, 273/74 und
Jacob, Bibl. dramat 11, öS, erwähnen diesen Scherz. Letzterer dehnt
das Wortspiel noch breiter ans, indem er sagt: ^Pilopie ou Polydore^
püce plate par Paticrace Pellegrin , pauwe pretre, pitoyable poete, puant
provengaL*
•) Leri8, Dkt, port., p. 256; Mouhy, TabL p. 179 u. Abr. L364
n. Michaud, Biogi\ miiv. XXXII, 393/94.
») Anecd. dramat. III, 386 u. Ann. dramat. VII. 27a
— 119 —
bisher besprochenen Atreusdramen. Es ist ferner an der
Tragödie hervorzuheben, daß die Verwicklang der Handlung
sehr interessant ist, und daß der ziemlich verwirrte Knoten
der Intrigue von Pellegrin mit großer Kunst gelöst wird.
Wir sind deshalb geneigt, der Versicherung des Dichters
daß seine Tragödie sich einer günstigen Aufnahme erfreute *),
vollen Glauben zu schenken.
5. Die lyrische Tragödie Aträe.
Diese fün faktige Tragödie lyrique, deren Datum und Autor
nicht zu ermitteln sind, wird uns nicht lange beschäftigen, da
sie eigentlich nichts anderes ist, als eine Umarbeitung des
Crgbillon'schen Stückes. Sehen wir uns nur den Inhalt dieses
lyrischen Dramas kurz an! Es spielt, abgesehen von einem
Prologe, dessen Schauplatz Athen ist, auf der Insel Euböa,
jedoch an verschiedenen Orten, so zum großen Teil auch in
der Hauptstadt Chalcys.
Thieste hat seinem Bruder die Erope am Hochzeitstage geraubt
Atree aber hat seine Gemahlin wieder in seine Gewalt gebracht, aus
Eifersucht getötet und ihren — von Thieste erzeugten — Sohn heimlich
erzogen, um ihn eines Tages zur Ermordung seines Vaters zu verleiten.
Der Sohn des Thieste, Iphis mit Namen, hält sich für einen Prince de
Gr^te. Eine Prinzessin von Greta hatte nämlich seinerzeit am Hofe
des Atree gegen einen Tyrannen Schutz gefunden und ein Kind ge-
boren, das bald starb, und an dessen Stelle Atrde den Sohn des Thieste
unterschob. Iphis ist in heißer Liebe zu Erixdne, der Tochter des Atree,
entbrannt
Thieste wi\\ gerade mit seiner Kriegsflotte auf Euböa landen, als
ein wütender Sturm losbricht und seine Schiffe mit der Besatzung in
die Tiefe des Meeres vergräbt. Thieste allein rettet sich auf das Land.
Vor Ermattung versinkt er in einen tiefen Schlaf. Es träumt ihm, sein um
Hilfe schreiender Sohn Iphis werde von Atree hingemordet, obwohl sich
der Schatten der Erope zwischen den unglücklichen Jüngling und seinen
Peiniger wirft Bei seinem Erwachen sieht Thieste den Atrde vor sich,
der ihn erkennt und gefangen abführen läßt Atree verlangt von Iphis
die Ermordung des Thieste und stellt ihm als Preis dieser Tat die Hand
der Erix^ne in Aussicht. Des Königs Gardenoffizier Alcimedon bewaffnet
den Jüngling mit einem für jene Bluttat bestimmten Dolche. Doch ein
unüberwindliches inneres Gefühl — die Stimme der Natur — hält den
*) Beginn der Freface zur FHopee.
— ^ 120 —
Iphis davoD zurück, an das Leben de« Thieate Hand ansnkgOD, so f^trm
er sich auch die ihm versprocliene Jungfrau gewinnen möchte. £rboil
über die Weigerung des Iphis heuchelt Atree Yersöhnung seinem Bruder
gegenüber, enthüllt ihm das Geheimnis, daß Iphis sein Sohn sei, und
lädt ihn zum Versohnangstrunke aus dem Tantalidenkelohe und zum
Hochzeitsfeste des Iphis und der £nxtoe ein. ThiMte läßt sich über-
listen. Als ihm die coupe saoree von Alcimedon angeboten wird, merkt
er unter dem Bollen des Donners, daß sie das Blut seines Sohnes ent-
hält, und bereitet seinem unglücklichen Leben ein jähes Ende. Der
freyelhafte Atree wird vom Blitze erschlagen.
Obige InhaltsaDgabe wird wohl genügen, am zu beweisen,
wie genau der Verfasser dieser Tragidie lyrique dem Drama
Cr6billon's gefolgt ist. Nur in unwesentlichen Einzelheiten weicht
die Fabel ?on dem Atree et Thyeste des letzteren ab. Während
bei Cr^billon ThSodamie den Thyeste zum Vater hat, ist
Snx^ne hier die Tochter des Atr6e. Femer geben in der
Dragidie lyrique die beiden Halbgeschwister ihre Liebe zu-
eiaander nicht auf, sondern wollen sich ehelich Ferbinden.
Daß diese beiden Züge mit dem Thyestes Growne's überein«
stimmen, wird wohl sicherlich Zofall sein. Zu erwähnen ist
ferner noch, daß in der lyrischen Tragödie Atr6e zum Unter-
schiede von Cr6billon vom Blitze getroffen wird.
Ganz bestimmt hat der Verfasser des Ätrie der Pik/j^t
Pellegrin's den Zug entlehnt, daß Atr6e dem Iphis die Hand
seiner Greliebten als Preis für die Ermordung des Thieste
verspricht. Man vergleiche nur die Ähnlichkeit folgender
Verse :
Iphis in der Trag. lyr. III, 2:
faut*il que la main d'Erix^ne
Paye le priz du crime et non de la vertu!
P61op6e bei Pellegrin (II, 2) zu ^giste:
Seigneur, un c<Bur si magnanime,
Voudroit-il que ma main devint le prix d'un (»ime;
Faites votre devoir . . .
Ah! Seigneur, croyez que P61op6e...
l^'est pas de vos vertus un assez digne piix.
Abgesehen von diesen unwesentlichen Verschiedenheiten,
ist die Fabel dieser Tragedie lyriqiie ganz die Cribillon's, so
— 121 —
daß TOD einer Belfoständigen Leistung hier keine Bede sein
kann. Wir brauchen daher auf dieses Stück weder näher
einzugehen noch die vielen wörtlichen Anklänge an den Atrde
et Thyesie zu zitieren. Ein Beispiel wird genügen! Es ist
ein Teil der Erkennungsszene zwischen Atr6e und Thieste:
Trag. lyr. II, 6:
Atr. Ce son de voix rappelle un souvenir funeste . . .
Ces traits . . . qui malgrS moy fönt frissonner mon
coeur . . .
Ah! si je n'en doute plus ouy, c'est lui, c'est Thieste,
Et je le reconnois ä ma juste fureur.
Thi. Moy, Thieste, seigneor! . . .
-Atr. ouy, toy-meme, perfide.
Atrfie et Thyeste von Crfib. 11, 5:
Atr. Quel son de voix a frapp6 mon oreille! . . .
Je ne me trompe point, j'ai reconnu sa voix;
Voilä aes traits encor. Ah! c'est lui que je vois . . .
Je le reconnoitrois seuiemeot ä ma haine . . •
C'est Thyeste lui-m6me et je n'en donte plus.
Thy. Moiy Thyeste, Seigneur!
Atr. Oui, toi-mSme, perfide!
Der Verfasser hätte seinem Stücke keinen besseren Titel
geben können als VAiree et Thyeste de Crebillon, sous forme
(Uune tragedie lyrique. Die Umarbeitung in eine lyrische Tra-
gödie ist nicht gerade schlecht gelungen, obwohl sich dieser
grauenhafte Stoff an und für sich für ein Musikstück schwer-
lich eignen dürfte und jedenfalls auch deshalb nicht in Musik
gesetzt worden ist. Echt lyrischen Charakter tragen darin
die Liebesszenen zwischen Erixdne und Iphis (I, 2 u. Y, 1),
der Meeresstnrm und die Landung des Thieste, dessen Traum
(II, 1 — 6) und der Tanz der Furien vor Atree in einem ge-
weihten Walde (IV. Akt). D'Alembert ist voll von Be-
geisterung für die Schlußszene, wo Atr£e stirbt mit den
Worten: <Tonnez, Dieux impuissans^ frappex, je suis vengL*
D'Alembert bemerkt hierzu: tCktte sütiation vraiment ihediraley
secondee par nne musique effrayante, ent produit, ce me semblf,
— 122 —
un des plus heureux denouements qn^on puisse imaginer au tlteJüre
lyrHque,* ^)
6. Die Pßlopides von Voltaire (1772).
Bei der folgenden Untersuchung werden wir den Text
zugrunde legen, den die Ausgabe der Pilopides von 1877 auf-
weist.^) Dieselbe gibt auch die Varianten an, auf die wir
aber nur dann Bezug nehmen, wenn sie von Interesse fiir
die Quellenfrage der Tragödie sind.')
I. Akt.
Ort der Handlaog ist während des ganzen Stückes der Vorhof des
Tempels zu Ars^os.
1. Szene. Hippodamie beklagt sich bei Pollmon, dem ehemaÜgen
Erzieher von Atr4e und Thyeste, über das ihrem Leben zusetzende Leid,
das ihre Söhne durch gegenseitigen Haß über sie gebracht haben.
Wie sich hier die Mutter über die Feindseligkeit ihrer
Söhne bei Pol6mon wehmutsvoll ausspricht, so drückt auch
in der 1. Szene des I. Aktes der Thebdide von Racine Jo*
caste vor ihrem Vertrauten ihren Schmerz über ihre sich be-
kriegenden Söhne aus. Ob Voltaire hierin das Racine'sche
Stück hat nachahmen wollen, läßt sich wohl schwerlich fest-
stellen.
Polemon sucht der Hippodamie Trost einzusprechen mit dem Hin-
weise darauf, daß die feindlichen Brüder sich schließUch wieder rer-
>) (Ehivres philos. V, 329.
*) Voltaire hat sein Stück einige Male umgearbeitet. Dies ist auch
der Grund, weshalb wir nicht wie bisher zuerst eine kurze Inhalts-
angabe der Tragödie geben.
•) In der Frage, ob denn Voltaire bei der Bearbeitung dieses
Stoffes selbständig zu Werke gegangen ist oder sich an frühere Dramen
angelehnt hat, scheint man bisher gar nicht tiefer eingedrungen zu sein.
Ich habe nur drei Aussagen gefunden, die sich hierauf beziehen. Die
AnnaUs dramatiqueSj VIII, 274, meinen: ^Cest rinimitU d'Atrie et de
Thytste, qui en a foumi le fond,* Frdron, Annie litt, 1772 II, 8, sagt:
«Le Premier Acte ressemble aux Freres Ennemis,» Sehr irrig werden
wir im Avertissemetit zur Ausgabe des Jahres 1877 belehrt, wo es
heißt: •Le sujei de cette tragidie est dans la quatre-rnngt-huitUme fable
d'Hygin.»
— 123 ^
sölmen würden, und daß die des Krieges überdrÜMigen Archonten im
Sinne hätten, die beiden Peiopiden zum Frieden zu zwingen. Aber die
Koniginmntter bezweifelt, daß Atree und Thyeste sich ao leicht wieder
miteinander aussöhnen, da Thyeste die Erope sofort nach ihrer Ver>
xnählung mit Atree vom Traualtare weg entführt habe.
Es ist dies eine Nachahmung CrShillon's, in dessen Atree
et Thyeste ^rope ebenfalls von Thyeste sofort nach ihrer
Trauung mit Atree vom Altare weg geraubt wird.
Daher habe sie, die Mutter dieser entzweiten Brüder, sich in den
Tempel zurückgezogen, um den Best ihrer kummerrollen Tage im Gebete
für ihre von Schuld beladenen Söhne zu verbringen. Folemon sucht sie
mit dem Gedanken zu beruhigen, daß ihr der Tempel sicheren Schutz
gewähre; denn ihre beiden Söhne hätten geschworen, dieses Heiligtum
nicht zu entweihen.')
Ihr zum Tröste fügt Folemon hinzu, daß der Senat eine Teilung
des Reiches beabsichtige und zwar so, daß die beiden Brüder getrennt
regieren könnten; Atree solle in Argos, Thyeste aber in Mykena
herrschen; Erope werde noch heute ihrem rechtmäßigen Gemahle zurück-
gegeben werden ; auf diese Weise hoffe man, dem schon seit einem Jahre
wütenden Kriege ein schnelles Ende bereiten zu können.^
Hippodamie will sich der HofEhung auf eine bessere Zukunft nicht
verschließen; sie hat genug Trauriges erlebt und fürchtet, daß ihr ganzes
Haus von vornherein zur Schlechtigkeit geboren sei:
C'est le sort de mon sang . • .
II est donc en naissant des races condamnees,
Par un triste ascendant vers le crime entrainees,
Que formdrent des dieux les decrets eternels
Pour etre en epouvante aux malheureux mortels!
La maison de Tantale eut ce noir caractöre:
II s'etendit sur moi.
Diese Verse sind sicherlich unter dem Einflüsse des
Seneca'schen Gedankens :
y. 313/14 Ne mali fiant times ?
Nascuntur
niedergeschriebeD.
*) Eigentümlicherweise gilt auch in Weiße's Stück (IV, 2) der
Tempel als ein unverletzliches Heiligtum, in das sich Thyestes flüchten
kann, um vor Atreus sicher zu sein.
•) In Weiße's Tragödie (III, 3) ist von einer ganz ähnlichen Teilung
des Reiches die Rede.
— 124 —
FolemOD, der den Thyeste zwar för schuldiger, aber auch för i
giebiger als den Atr^e hält, will jetzt gleich zum Senate eilen, um die
Lösung des Zwistes zu beschleunigen. Als sieh nun Pol^mon entfernt
hat, und Hippodamie (2. Sz.) im Geiste zu ihren Söhnen fleht, aie modiCea
doch wenigstens die letzten Tage ihres Lebens versfißen, da tritt (3. 8e.)
Erope, in Tränen aufgelöst, mit ihrer Amme M6gare in den Vorhof des
Tempels ein und befiehlt ihrer Begleiterin heimlich, ihr kleines Kind
in den unterirdischen Gewölben des Tempels zu verbergen. Hippo-
damie ist nicht wenig erstaunt über das so plötzliche £ncheiiien der
Erope. Letztere bittet sie, ihr doch dieses einzige Asyl zn gönnen.
Die Königinmntter kann ihr das Mitleid nicht yersagen, wenn sie anck
als die Ursache des Bruderzwistes das Unglück heranfbeschworen hat.
Die Gemahlin des Pelops fragt Erope, ob sie sich ihren Befehlen Ingen
WjoUe. Die Unglückliche erklärt ihr^ daß sie ihr dieselbe Yerehmng
zollen und denselben Gehorsam leisten werde wie einer üntter, und
bedauert, daß sie an jenem Tage nicht gestorben sei, an dem Thyeste
sie geraubt habe. Hippodamie klagt darüber, daß trotz des Trostes,
den Pol6mon ihr einzusprechen bemüht sei, ihr Herz immer noch Ton
jenen blutigen Schreckensbildern, die sogar während des Tagee in ihrer
Phantasie aufstiegen, und von ihren gräßlichen nächtlichen Traumen ge-
ängstigt werde.
Die SchildeniDg des Traumes ist ohne Zweifel der Er-
zählung des Traumes in Cr6billon's AMe ei Thye$te (II, t)
nachgebildet. Hippodamie erzählt:
Je crains ^gajqment la nuit .et .la lumiere.
Tont präsente ä mes yeux les sanglantes Images
De mes malheurs passes et des plus noirs prteages . . .
D'Onomaüs mon p^re on d6chire le flaue.
Le glaive est sur ma tete; ou m'abreuve de sang;
Je vois les noirs d6tours de la rive infernale,
L'ex6crable festin que prSpara Tantale.
Man vergleiche hiermit die Traumschilderung des Thyesle
bei Cr6billon (II, 2):
Les songes de la nuit
Ne se dissipent poiut par le jour qui les suit
Malgr§ ma fermete, d'iDfortun6s prSsages
Asservissent mon äme ä ces vaines images;
Prds de ces noirs d^tours, que la rive infernale
— 125 —
Forme h replis dirers dans cette Isle fatale^
Le cruel, d'une main, semblait m^ouvrir le flanc.
Et de Tautre, k longa traits, m'abreuyer de mou sang.
Darauf meint Erope, ein noch yiel schlimmeres Los yerbittere ihr
das Leben; denn sie (£rope) habe ihr Leid selber verursacht, während
sie (Hippodamie) doch schuldlos sei. Da stürzt plötzlich (4. Sz.) Megäre
herbei mit der Meldung, dal{ die feindlichen Brüder aufs neue mit-
einander im Kampfe stünden. Kaum hat £rope diese Nachricht ver-
nommen, so fordert sie Hippodamie auf, sich mit ihr den Streitenden
zu zeigen. Erope glaubt nämlich, sie werde dabei als Opfer fallen und
80 dem Zwiste ein £nde bereiten.
Diese 4. Szene bat Ähnlichkeit mit der 2. Szene des
L Aktes der Thehaide von Racine, wo sich auch Mutter und
Tochter (bei Voltaire sind es allerdings Schwiegermutter und
Schwiegertochter) den sich bekriegenden Brüdern zeigen
wollen^ um ihre Wut zu zügeln.
II. Akt.
Hippodamie und £rope werden in der 1. Szene am Verlassen des
Tempels durch Polemon gehindert, der ihnen die Nachricht bringt, dafi
soeben ein Zweikampf zwischen Atree und Thyeste stattgefunden hsbe,
daß jedoch der Frieden schon wiederhergestellt sei.
Am Anfang des Auftrittes sagt Polemon:
Les forfaits ont leur terme . . .;
hier schimmert natürlich^ wenn auch schwach^ der Seneca'scbe
Gedanke durch:
T. 1052 Sceleri modus debetur ubi facias scelus.
Femer meint Polemon ron Atr§e et Thyeste:
Le sang et la nature . . .
A leurs ca^urs amoUis parleront de plus pres.
Ahnlich drückt sich auch bei Seneca der Chor am Ende
des III. Aktes aus:
V. 549 flf. nuUa vis maior pietate vera est:
iurgia externis inimica durant,
quos araor verus tenuit, tenebit.
Seneca nüeint an jener Stelle mit pietas vera und amor
vei-us auch nichts anderes als le sang et la 7iature.
— 126 —
Nachdem sich Erope zariickgezogen hat, bittet Pol^mon (2. Sz.)
den inzwischen eingetretenen Thyeste, die Erope seinem Bruder nicht
länger zu verweigern und so die endgültige VersÖhnuDg herbeizufohreo.
Da enthüllt Thyeste das Geheimnis, daß er Erope schon vor ihrer Ter-
mähluDg mit Atr6e geliebt, daß also sein Bruder sie ihm geraubt habe:
Je vous dirai pourtant qn^avant Thymen fatal
Que dans ces lieux sacrSs c§ldbra mon rival
J'aimais, j'idolätrais la ülle d^Eurysthle.
Qu'enün ce fat ä moi qu^on osa la ravir;
Que si le d^sespoir fut jamais ezcusable . . .^)
Hippodamie, die diese Entschuldigung nicht gelten läßt, will noch
am selben Tage die Erope ihrem rechtmäßigen Gemahle zuführeD. lo
der 3. Szene ist Thyeste allein; er dnickt seinen tiefgefühlten Schmerz
über den Verlust der Erope und über deren hartes Los aus und denkt
an eine Erneuerung des Krieges gegen Atree, um diesem auf keinen
Fall die Erope zu überlassen. In dieser Stimmung wird er von Megäre
überrascht (4. Sz.), die ihm mitteilt, daß sein kleiner Sohn in einer Gmlt
des Tempels wohl geborgen sei. In der 5. Szene macht Erope dem
Thyeste Vorwürfe darüber, daß er sie verfuhrt und so für immer an
sich gekettet habe; denn sie erkenne nur ihn als ihren Gemahl an.
Thyeste will lieber sterben, als die Erope sich rauben lassen. Und ab
gleich darauf (6. Sz.) Polemon meldet, daß Atr^e im Tempel mit seinem
Bruder sich aussöhnen wolle, wenn dieser ihm die Erope herausgäbe,
da weigert sich Thyeste entschieden, auf seine Geliebte zu verzichten,
und sollte es ihn das Leben kosten. In der 7. Szene vertraut Erope
dem Thyeste ihren Entschluß an, den Rest ihrer Tage im Heiligtum zn
verbringen, um der unheilvollen Liebe und dem wütenden Atr6e zu
entgehen. Doch der Pelopide zeigt sich keineswegs mit ihrem Plane
einverstanden.
IIL 'Akt.
Hippodamie drückt dem Atree gegenüber ihre Freude darüber
aus, daß jetzt endlich zwischen ihren Söhnen Frieden herrsche. Obwohl
nun Thyeste Versöhnung gelobt und seinen Bruder umarmt hat, traot
ihm dieser doch nicht. Auch kommt es Atr6e sehr verdächtig vor, daü
seine Mutter ihm die Erope noch nicht zugeführt habe. Hippodamie
sucht ihn damit zu trösten, daß seine Gemahlin noch unter den Priest«-
rinnen weile. Als Atrde ihr vorwirft, Thyeste sei ihr teurer als er, da
fühlt sie sich im Innersten verletzt als Mutter, zeiht ihn der undankbar-
») Ähnlich drückt sich bei Weiße {Atr. u. Thy, II, 4) Thyeste
seinem Bruder gegenüber aus:
„Sie [^rope] war schon mein, eh du durch Zwang
Sie in die Bande schlugst, die ich zerriß . . ,^
— 127 —
keit und entfernt sich. Atree befiehlt hierauf (2. Sz.) dem Volke, sich
zurückzuziehen, und klagt bei Pol^mon über seine Unzufriedenheit. Als
auch dieser sein Benehmen der fiippodamie gegenüber tadelt, erinnert
Atr^e seinen ehemaligen Lehrer daran, daß er nicht wie früher vor
seinem Schüler, sondern vor seinem König stehe« Da £rope immer noch
nicht erscheint, wird Atree ungeduldig (4. Sz.) und gibt schließlich den
ernsten Befehl, sie solle ohne alle Verstellung vor ihn hintreten.
IV. Akt.
Thyeste teilt der Erope mit, daß er sie auf keinen Fall den Händen
des Atree überlassen, sondern den Krieg erneuern und entweder sterben
oder sie für immer gewinnen wolle. Erope weigert sich, dem Atr^e als
Weib übergeben zu werden, und erklärt dem Thyeste, daß sie sich vom
Himmel dazu verdammt glaube, ihn zu lieben. In der 2. Szene sind
Erope und Uegare allein. Letztere wundert sich darüber, daß vor dem
Tempel und Palaste Soldaten aufgestellt seien. Erope klagt der Amme
ihr großes Leid : Sie fürchtet sehr, daß Atree ihr Kind entdecken werde.
In der 3. Szene meldet Polemon die Ankunft des Atrde und die Bitte
der Hippodamie, sie solle den Thyeste sofort nach Uykenä schicken,
auf daß der Frieden nicht gestört werde. Megäre mahnt ihre Herrin
(4. Sz.), während der Anwesenheit des Königs Vorsicht walten zu lassen;
Erope aber nimmt sich trotz aller Gefahr, die daraus erwachsen könnte,
vor, ihm die volle Wahrheit zu gestehen. Als sie den Pelopiden kommen
sieht, schrickt sie heftig zusammen.
5. Szene. Den eintretenden Atree befremdet es sehr, daß Erope
ihr Angesicht von ihm abwendet. Doch sie faßt sich schnell ein Herz
und bereitet ihn auf die Wahrheit dadurch vor, daß sie vor ihm auf die
Kniee sinkt, sich als Verräterin ausgibt und ihn auffordert, sie zu töten.
Atr^e aber bittet sie, sich zu erheben; er. will ihr verzeihen, wenn sie
den Thyeste hassen und ihm (dem Atree) ein liebendes Weib sein wolle.')
Erope gesteht nun, daß sie die Gemahlin des Thyeste ist und ein Kind
als Unterpfand seiner Liebe besitzt. Erstaunt ist sie jedoch über die
Wirkung, welche die Enthüllung dieses Geheimnisses auf Atr6e hervor-
bringt. Dieser bewahrt nämlich eine ganz unerklärliche äußere Ruhe,
') Dabei sagt einmal Atree:
Si ma juste vengeance
De Thyeste et de vous eüt egal^ Poffense,
Lea pervers auraient vu comme je sais punir;
J'aurais epouvante les sifecles ä venir.
Diese Verse erinnern etwas an die folgenden, die Atreui im la-
teinischen Original (II. Akt) ausspricht:
V. 192/93 age, anime, fac quod nuUa posteritas probet,
sed nulla taceat.
— 128 —
tagt ihr, er sehe nun die Unerfüllbftrkeit seines Waotches, üe als s«n
Weib zu besitzen, ein ; er wolle sich in sein Schicksal fügen, dem Tbyeste,
seinem Bruder, verzeihen, fragt in liebenswürdigster Weise nach dem
Aufenthaltsorte des Kindes and will es seinen Wachen anvertrauen; —
Erope geht in die Falle.
Diese Szene ist offenbar eine Nachahniong des III. Aktes
der Seneca'schen Tragödie, wo Atreus seinen Brader eben-
falls durch seine VerstellungskuDst übertölpelt; wie femer
dort Thyestes schuldbewußt sich vor seinem Bruder nieder-
wirft, dieser jedoch ihn bittet, sich zu erheben, so sinkt auch
hier Erope auf die Kniee nieder; doch Atree duldet auch
hier diese Demütigung nicht
Erope äußert den Wunsch, sie wolle ihr Sohnlein mit sich nach
Mykenä nehmen, was ihr von Atree gestattet wird, wenngleich sie dessen
gleisnerischen Worten nicht völlig tränt.
In der 6. Szene drückt AtrSe in einem langen Monologe seinen
Zorn gegen Thyeste und Erope aus und nimmt sich vor, ihr kleines
Kiod zu ermorden und dessen ßlut den Eltern zu trinken zu geben.
Bei diesen lauten Wutausbrüchen wird er von seinem Offizier Idas über-
rascht, der ihn nach dem Grunde seines Grolles fragt. Der Pelopide ist
sofort mit der Ausrede bereit, er sei ganz plötzlich vor Zorn über sein
Unglück außer sich geraten und tadle selbst seine Leidenschaftlichkeit.
Fr6ron ^) stellt diesen laugen Monolog jenem gegenüber,
den Atr6e bei Cr6billon spricht, als er seinen schrecklichen
BÄcheplan faßt (III, 8). Fr6ron will durch diese Parallele
beweisen, daß OrSbillon seinen Atrte viel rachsüchtiger,
furchtbarer und imponierender geschildert habe als Voltaire.
Dies geht auch unbestreitbar aus dieser Gegenüberstellong
hervor. Trotzdem kann Crfebillon das Verdienst hierbei nicht
für sich in Anspruch nehmen, da er gerade die ausdrucks-
vollsten Zeilen jenes Monologes dem Stücke Seueca's ent-
nommen hat'), während Voltaire nur eben insoweit an den
II. Akt des lateinischen Originals erinnert, als hier wie dort
Atreus den Entschluß faßt, dem Thyestes das Blut seines
Sohnes (d. h. bei Seneca kommen noch zwei andere Söhne
und das Mahl dazu) zu trinken zu geben. Die Worte des
^) Annee litt. 1722 IJ, 11 ff.
«) Cf. S. 76/77.
— 129 —
Atree bei Voltaire klingen Dämlich nur schwach an Seneca
an. So rufen z. B.' die Worte des Atr6e :
Soleily qui Toia ce crime et tonte ma fareur^
Tu ne verras bientöt ces lieux qu'a?ec horreur
jene Stellen des lateinischen Originals ins Gedächtnis zurück,
wo Yon der die Verbrechen verabscheuenden Sonne die Rede
ist; insbesondere kommen dabei vielleicht folgende Verse in
Frage:
IV, 776 ff. O Phoebe patiens, fugeris retro licet
medioque ruptum merseris caelo diem,
sero occidisti . . .
IV, 784 ff. . . . verterit currus licet
sibi ipse Titan obvium ducens iter,
tenebrisque facinus obruat tetrum novis
nox missa ab ortu tempore alieno gravis,
tarnen videndum est.
Ferner erinnern die Worte, mit denen Atree sich im
Geiste an das Kind wendet:
U fait rentrer ton sang, au grS de ma furie,
Dans le coupable sang qui t'a donng la vie
an die folgenden Verse Seneca's (v. 890^891»):
pergam et implebo patrem Funere suorum.
Auch bei Voltaire denkt Atr6e an das Bankett des Tan-
talus:
Le festin de Tantale est prSpar6 pour eux.
Ahnlich sagt Atreus bei Seneca (v. 243/43) :
Tantalum et Pelopem aspice;
ad haec manus exempla poscuntur meae.
Die Herausgeber vom Jahre 1877 geben (S. 165) an^ daß
in der Ausgabe von 1775 dieser Monolog noch folgende Verse
enthielt:
. . . Cessez, alles du Stjx, troupe infernale,
D'^pouvanter les yeux de mon aieul Tantale.
Sur Thyeste et sur moi venez vous acharner.
Paraissez, dieux vengeurs, je vais vous fitonner.
Mimchener Beiträge z. rom. u. engl. Philologie. XXXVTI. 9
— 130 —
Diese Worte klingen an den Ausspruch des Thjestes
bei Seneca an, in dessen erstem Akte der Geist des Taotalus
von der Furie getrieben wird, den Atreus zur Wut aufzu-
stacheln.
In allen anderen Versen ^eigt sich Voltaire unabhängig
Yon der lateinischen Quelle ; daher kommt es wohl auch, daß
sein Atree nicht so schrecklich erscheint wie der Cr6billon's.
Die Ausgabe vom Jahre 1775 enthielt noch eine 7. Szene *),
deren Inhalt kurz folgender ist: AtrSe teilt dem Idas und
Polemon mit, daß er den Frieden sogar seiner Liebe zu £rope
vorziehe, und daß sie diesen seinen Entschluß dem Thyeste
eröfiFnen könnten. Auf die Frage des Atree, ob er denn für
Thyeste fürchte, antwortet der weise Polemon:
Oui, je crains pour tous deux.
Seconde-moi, nature, eveille-toi dans eux.
Que de ton feu sacre quelque faible 6tincelle
Kallume de ta cendre une flamme nouvelle.
Du bonheur de TEtat sois Tauguste lien.
Nature, tu peux tout, les conseils ne fönt rien.
Hier bringt Voltaire den Seneca'schen Gedanken viel
markiger zum Ausdruck als das erste Mal.^
V. 549 ff. nuUa vis maior pietate vera est :
iurgia extemis inimica durant,
quos amor verus tenuit, tenebit.
V. Akt.
Thyeste ist sehr erfreut darüber, daß Atree für immer seinen An-
sprüchen auf Erope entsagt hat. Diese aber drückt ihren Zweifel über
die Ehrlichkeit der Absichten des Atree aus. Doch Thyeste fühlt sich
im Tempel vollständig geborgen, und sollte sein Bruder zu Tätlichkeiten
schreiten, dann würde ihnen ja sofort von dem um das Heiligtum Ter-
Bammelten Kriegern Hilfe zuteil werden. Zu Thyeste und Erope ge-
sellen sich (2. Sz.) Hippodamie, Polemon und Megäre. Die Mutter sucht
jeden Zweifel über ihren Sohn Atröe aus dem Herzen Poldmon's za
bannen. Sie bringt die Kunde, der Yersöhnungstrnnk aus dem Tantalos-
pokale werde bald stattfinden, und bittet den Thyeste und die £rope.
') Cf. p. 155 (td, de 1877).
«) Siehe S. 125.
— 131 —
das kleine Kind ihr anzuTertrauen, wenn sie noch inuner Argwohn gegen
Atree hegten; sie übernimmt den Schatz und die volle Verantwortung
für den jüngsten Sprößling des Tantalidenhauses. Thyeste und seine
Gemahlin erklären sich mit diesem Vorschlage einverstanden. Die in
Schrecken geratene Amme wird fortgeschickt, um das £ind zu holen.
Da kommt plötzlich Idas (3. Sz.) mit der Meldung, dali Atree selber
gerade im Tempel opfere, um die Götter versöhnlich zu stimmen. £r
lasse Thyeste und die Königinnen bitten, dem Feste beizuwohnen. Thyeste
ist zwar erstaunt über die Heimlichkeit, mit der sein Bruder zum Opfer
geschritten ist; doch legen sich seine Bedenken gleich wieder, und er
spricht seiner Gemahlin Mut ein. Sie wollen sich gerade in den Tempel
begeben, da öffnen sich dessen Pforten, und man bringt den Pokal aus
dem Heiligtum heraus und stellt ihn auf einen Tisch. Atree naht eben-
falls; seine unruhige Seele spiegelt sich auf seinem Antlitz wieder.
Hippodamie ruft nach der Ankunft des Atree (4. Sz.) die Götter an und
fordert hierauf ihre Söhne auf, ihren Argwohn für immer zu ersticken
und sich zu umarmen. Dann bittet sie den Polemon, ihr den Pokal zu
reichen. Doch in demselben Augenblicke stürzt M§gare herbei, gebietet
Einhalt und teilt der nichts Gutes ahnenden £rope mit, ihr Kind sei ihr
von Soldaten entrissen worden. Um ihren Sohn flehend läuft Erope davon
und wird hinter der Szene ermordet. Thyeste eilt ihr nach, kann
aber die blutige Tat nicht mehr verhindern. Hippodamie und Atree
stehen sich noch einander gegenüber. Die Mutter nennt ihren Sohn
ein Scheusal und fordert ihn auf, sie zu töten. Unter dem Bollen des
Donners hüllt sich die Erde in Finsternis. An eine Säule gelehnt, macht
Atree das Schicksal für seine Rachetat verantwortlich und erblickt in
sich den wahren Nachkommen des Tantalus.
Man sieht, wie selbständig dabei Voltaire zu Werke ge-
gangen ist. Diese Schlußszene erinnert nur durch den mit
Blut gefüllten Tantalidenpokal, durch die Frage nach dem
Sohne, durch den Donner und die Finsternis an das lateinische
Original. Alle anderen Einzelheiten weichen von Seneca ab.
Bei Voltaire sieht Thyeste nicht einmal das Blut in dem
Gefäße, weiß also von der eigentlichen Rache seines Bruders
nichts. Um das decorum möglichst zu wahren, sah sich
Voltaire veranlaßt, den Ausgang seiner Atreustragödie in
dieser Weise abzuschwächen.
Ganz anders steht es mit der ersten Ausgabe seiner
Pilopides^ wo der Schluß vollständig verschieden behandelt ist.
Dort schob Voltaire noch eine 4. Szene ein^), deren Inhalt
hier folgen möge.
^) Cf. p. 156 ff. {Eil dt 1S77).
9*
— 132 —
PoMmon glaubt nicht recht an die ehrlichen Abaicfaten
des auf einmal so yersöhnlich gestimmten Atrfie^ möchte auch
in Idas denselben Verdacht erwecken und ihn zu gleicher Zeit
abhalten, einen angerechten Befehl seines Königs auszufuhren.
Idas aber sieht keinen Grund ein, warum er dem Atr6e miß-
trauen soU.^)
Der Anfang der letzten Szene, so wie sie zuerst gedruckt
war, ist der gleiche wie in der Ausgabe von 1877; nur der
Schluß ist verschieden. Als nämlich Hippodamie von Polemon
den Fokal verlangt, um ihn ihren Söhnen zu reichen, und
M6gare plötzlich mit der Meldung dazwischenspriogt, daß
Soldaten ihr das Kind entrissen haben, da jammern ESrope
und Thyeste um ihren Sohn, während Atr6e ihnen mitteilt,
daß der Pokal das Blut ihres Eondes enthalte, womit er sie
habe tränken wollen. Da verfinstert sich mit einem Male die
Erde, und der Donner beginnt zu rollen. Thyeste und Atr^
stürzen aufeinander los, werden jedoch von PolSmon und Idas
entwaffnet. Zum Schlüsse tötet sich Thyeste selbst.
Wie man si6ht, hat sich Voltaire hier viel enger an
Seneca angeschlossen. Auch ist zu bemerken, daß in dieser
Szene der Wüterich einmal zu Thyeste sagt:
Trernble encor jylus, ^>er/w/c, et reconnais Atrce,
Darin ist natürlich das bekannte agnosco fratrem Seneca*s
enthalten, das CrSbillon viel schöner und stärker wiedergab
mit den Worten:
Je reconnais vion frere.
Femer tötet sich hier Thyeste wie bei Crebillon.
Der letzte Teil der Schlußszene ist in der Stereotyp-
ausgabe noch etwas anders behandelt.^) Dort trinken nämlich
Erope und Thyeste tatsächlich das Blut ihres Kindes; denn
Atr§e spricht höhnisch:
Vous Tavez bu, ce sang, couple ingrat, couple affreux.
Je suis vengß.
*) Die Stereotypausgabe (1799—1827) weist in dieser Ssene einige
Abweichungen auf (cf. p. 157 £d. 1877), deren Angabe wir uns aber
hier ersparen dürfen, da es keine Sinnvarianten sind.
«) Cf. p. 159 (td. de 1S77).
— 133 —
Nach dieser schrecklichen Offenbarung fallen die un-
glücklichen Eltem ohnmächtig zu Boden, bleiben jedoch am
LebeD.
Diese Fassung steht also Seneca am nächsten, da hier^
dem lateinischen Original entsprechend, Erope und Thyeste
die furchtbare Bache des Atrto yoU und ganz zu fühlen be-
kommen und nicht durch den Tod von ihrem Jammer befreit
werden.
Aus dieser Inhaltsangabe und der damit Terbundenen
Quellenuntersuchung geht klar herror, daB Voltaire seinen
Stoff selbständiger behandelt hat, als irgend einer der bisher
besprochenen Dramatiker. Denn nur stellenweise finden sich
bei ihm schwache Anklänge an die Thyestestragödien von
Seneca und Cr^billon. Selbst die Schlußszene ist, so
wie die Herausgeber der PSlopides vom Jahre 1877 «e über-
liefe haben, in freier, ja Tielleicht in allzu freier Weise
ausgeführt worden. In der Stereotypausgabe hat Voltaire
Tor allem Seneca nachgeahmt.
Hat nun Voltaire mit den Pehpides einen Sieg über
seinen Rivalen Crebillcm errungen? Dutrait ferneint diese
Frage ^), Lion bejaht sie*), und jeder der beiden sucht den
Beweis für seine Behauptung zu führen. Dutrait meint:
€ Voltaire a conipUtement supprime .... Vhorreur du sujet; plus
de fesÜHf pas tUtvantage de eoupe sanglante; trois meurirea vuU
gcdres sans atteim rafflnement, et eneore dans la couUsse: on n'es^
pas plus dottx, mohis sanglanty plus ffUnager des ämes sensibles»
Mais, ä suppf'imer le denouement consacri^ ne supprime^Uim pasj
dti coup, la tragidk ? Tamlis que PAiree de CrihHUm remplü tont
le drame de sa vengeance, .... celui de VoUaire est commun, banal
et sans energie ; le dttwueme^it, hien lain de fions faire frisaormerj
nofis laisse absolument tranqu>illes,> Außerdem weist Dutrait
dem französischen Dichter mehrere stilistische Fehler nach.
Lion führt aus, daß Voltaire's Stück dem Crfibillon'scben
in bezug auf die Handlung und Charaktere vorzuziehen sei,
daß allerdings der Stil Voltaire's viel zu wünschen übrig lasse.
>) i:tud€, p. 446 ff.
*) Les Tragedies, p. 389 ff.
— 134 —
Was die Charaktere anlangt, so ist die Figur des Atrfee
unseres Eracbtens von Cr6bilIon besser gezeichnet als von
Voltaire, während wir den Thyeste des letzteren über den-
jenigen Gr6billon's stellen und das Bild der Erope viel höher
einschätzen als das der Theodamie.
Der Atröe der P^lopides erscheint sowohl in seinen Reden
als auch in seinen Handlungen bei weitem nicht so rach-
süchtig, blutgierig und unversöhnlich wie derjenige Cr^billon's,
der den Sohn des Thjestes zum Zwecke der Rache erzieht.
Bei Voltaire's Atr6e vermissen wir auch jenen verletzenden
Hohn im Augenblicke der Rache, einen Zug, der vom
Charakter jenes Pelopiden unzertrennlich ist.
Der Thyeste Voltaire's zeigt sich mutig im E^mpfe gegen
Atr6e, dem er unter keiner Bedingung nachgeben will, mid
ist ohne den geringsten Anflug von Reue über seinen Ehe-
bruch. Diese Züge finden wir ebenso beim Thyeste Cre-
billon's. Aber dadurch, daß Thyeste in den Pelopiden die
Erope schon vor ihrer Vermählung mitAtrfee geliebt, ja sich
bereits als ihren Bräutigam betrachtet hat — war sie ihm
doch von ihrer Mutter versprochen worden — , ist die Reue-
losigkeit des Thyeste von Voltaire sehr gut motiviert; wir
fühlen deshalb auch mit diesem uDglücklichen Pelopiden tiefes
Mitleid, während Cr6billon's Thyeste nicht zu entschuldigen ist.^)
Der Charakter der Erope wird von La Harpe sehr weg-
werfend beurteilt, der da meint: c// n^y a . . . md mUrH . . .
pour Vespeee (Tamour qtC^rope a pour un mari qu^elle condamn^
sans cesse, et qvi ne lui est eher que jmrce qu^eUe voit en lui k
pere de leur enfant.* ^) So ganz uninteressant finden wir das
Bild der ^^rope nicht; denn daß sie den Thyeste stets und
ständig verdammt, sich aber trotzdem für immer zu ihm hin-
gezogen fühlt als zu dem Vater ihres Kindes, ist doch nicht
so ganz banal aufzufassen ; im Gegenteile, wir erblicken hierin
ein tiefes psychologisches Moment. Wir sehen in Erope ein
^) Falsch ist deshalb die Behauptung, die La Harpe in seinem
Cours de Litt^ature X, 430 über Voltaire's Thyeste aufstellt: «2/ n*ya
. . . nul intiret pour Thieste qxd est evidemment coupabk, et qni Ve$t Sans
excuse ...»
») Cours de Litt. X, 430.
— 135 —
Weib, das seinen Verführer zwar moralisch yerdammen muß,
sich aber doch durch die Bande sinnlicher Liebe und ins-
besondere durch ihr JSand an ihn gekettet fühlt. Einen an-
deren Mann als ihn verabscheut sie, entweder will sie sich für
immer in den Tempel zurückziehen oder ihrem Geliebten an-
gehören. Daß dieser Charakter weit über das Bild der
Th^odamie erhaben ist, darüber kann kein Zweifel bestehen.^)
Ja, die Zeichnung der Erope scheint ims das Beste an der
ganzen Voltaire'schen Tragödie zu sein.*)
In bezug auf den Stil stehen Cr^billon und Voltaire auf
gleicher Stufe. Denn wie bereits La Harpe für den Ätre^ et
Thyeste und Dutrait für die Pelopides nachgewiesen haben'),
zeigen beide Stücke eine ziemlich vernachlässigte Sprache.
Wenn wir endlich noch den Gang der Handlung der
zwei Tragödien zum Vergleiche heranziehen, so müssen wir
Crfebillon den Vorzug geben. Freron bemerkt ganz richtig
über das Voltaire'sche Drama: <cCette iragidie est emphyee
presque ioute d peindre la »itimtion embarrassanie de Thiesie ei
d^^rape, et . , , la vengeance d^Atree qui doit ctre le veritable sujet,
rCest traute que sur la fin du 4^ ade et daiu le caurs du 5*"'.»*)
Zu diesem treffenden Urteile Fr^ron's haben wir noch als
Hauptfehler der Tragödie Voltaire's hinzuzufügen, daß AtrSe
erst im III. Akte auftritt, und daß so unsere Ungeduld, den
Wüterich selbst kennen zu lernen, aufs höchste gespannt
wird. Wir wollen nicht nur aus dem Munde anderer Per-
sonen von der Grausamkeit Atree's höret), sondern ihn selbst
vor uns sehen und beobachten, wie das Feuer aus seinen
zornigen Augen sprüht. Crfibillon verrät in dieser Hinsicht
ein feineres Verständnis für dramatische Technik, denn gleich
in der 1. und 2. Szene seines Stückes, wo Atr6e die unbeug-
^) Auch Li OD, Les Tragedies, p. 392, teilt unsere Ansicht.
*) Im Gegensatz zu Erope fesselt der Charakter der flippodamie
nur wenig; denn daß sie als Mutter der Pelopiden ohne Unterlaß über
ihr Leid klagt und sich über die scheinbare Aussöhnung freut, bietet
kein besonderes Interesse. /
») La Harpe, Cours de Litt. XI (F. 1), 41ff. u. Dutrait, i:tude,
p. 448/49.
*) Annee litt, n, 9 (1772j.
— 136 —
same Wut, die in ihm steckt, in leidenschaftlichen Worten
zum Ausdruck bringt, werden wir in Schrecken versetzt und
auf ein kommendes Unheil vorbereitet. Dnrch die teilweui
lahme Handlung, insbesondere durch die allzusehr abge-
schwächte Schlußszene war Yoltaire's Atreustragödie viel zu
kalt, zu monoton, zu klassisch; sie konnte deshalb nicht nur
nicht den Vorrang vor dem Atr6e et Thyegte seines Rivalen ge*
winnen, sondern sollte auch nicht einmal einer einzigen Auf-
führung für würdig erachtet werden.
Über die Form des Voltaire'schen Stückes ist femer noch
zu bemerken, daß die Vertrauten fehlen, und die Monologe
viel seltener werden. Wir haben deren nur drei, nämlich je
einen im I. (2. Sz.), U. (3. Sz.) und IV. Akte (6. 8z.). Aller-
dings spricht noch in der Ausgabe des Jahres 1775 Hippo-
damie in der 5. Szene des IIL Aktes einen funfEeiligen
Monolog,^)
Die drei Einheiten sind in den Pelcpides natürlich genau
eingehalten; die Einheit des Ortes ist in der Schlußszene
geradezu mit Gewalt und deshalb allzu auffallend gewahrt.
7. Der Tieste von Poscolo (1797).
Indem wir uns dem Tieste Eoscolo's zuwenden, geben wir
zunächst eine Inhaltsangabe dieser Tragödie^), deren Schau-
platz ein königlicher Saal im Palaste des Atreo zu Argos ist
Atreo hat die Erope Beinexn Bruder, der bereitf mit ihr Tersproehen
var, aaf die Erlaabnis ihres Vaters hin entrissen, geheiratet and den
Tieste in die Verbannung geschickt. Einen Tag vor ihrer gewaltsamen
Vermählung war sie jedoch von Tieste schwanger geworden und hatte
einen Sohn geboren, den Atreo, der von der Vaterschaft des Tieste
Kunde hatte, ihr entriß und die ganze Zeit über — es sind schon vier
Jahre her — im Gefängnisse bewahren ließ.
Am heutigen Tage hat die unglückliche Erope — und hiermit sind
wir am Anfange des Stückes — die Wächter bestochen und auf diese
Weise ihr geliebtes Kind zurückerhalten. Aus Verzweiflang will sie sich
und dieses arme Geschöpf töten, wird aber hieran von Ippodamia ge-
hindert. Erope vertraut dieser auf ihr flehentliches Bitten hin das teure
») Cf. p. 153 (id, de 1877).
') Eine ins einzelne gehende Analyse dieses Dramas ist nicht not*
wendig, da dasselbe zu wenig Anklänge an andere Stüdte aufweist.
— 137 —
Kleinod ao; doch die Oemahlio des Pelops liefert das Kiud ans Furcht
Tor Atreo wieder in den Kerker zorüek.
Gänzlich unerwartet erscheint Tieste yerkleidet im Paläste vor
Ippodamia; es ist ihm die Mitteilung geworden, daß Atreo Erope er-
mordet hat, und diese Nachricht hat ihm keine Huhe gelasssen; ak er
nun von seiner Mutter hört, daß Erope noch am Leben ist, da yerlaogt
er mit heifler Sehnsucht nach seiner Geliebten. Ippodamia gibt ihm
den heilsamen Rat, sich im Vorhofe des Tempels verborgen zu halten.
Hierauf bereitet sie die Erope auf das ihr bevorstehende Wiedersehen
vor und führt ihr endlich — es ist finstere Nacht — den Tieste
zu. Seit vier Jahren steht er zum erstenmal wiederum vor seiner ihm
entrissenen Braut. Er hat noch keine Ahnung davon, daß Erope ihm
einen Sohn geboren, sondern erfahrt dies erst jetzt als Neuigkeit zu-
gleich tnit der traurigen Kunde, daß der grausame Atreo ihr Kind in
ein dunkles Verließ eingeschlossen habe. In leidenschaftlicher Rede
bringt Erope ihren Schmerz darüber zum Ausdruck, daß sie ihre Liebe
zu Tieste nicht aus ihrem Herzen bannen könne. Jammernd fleht sie
ihren Geliebten an zu fliehen. Nachdem er sich von ihrer Treue über-
zeugt hat, vriU er auch tatsäehlich ihrem Drangen nachgeben, merkt aber,
daß seine Ankunft dem Atreo verraten ist, und faßt infolgedessen den
Entschluß, seinen Bruder zu ermorden. Er teilt gerade seine Absicht
der Erope mit, als Atreo sie beide gefangen nehmen läßt.
Doch Ippodamia bittet den Atreo inständig, seinem Bruder zu ver-
zeihen und das Kind zurückzugeben. Der wütende Felopide beharrt
anfangs noch auf seinem Vorhaben, den Tieste zu töten ; mit einem Male
aber scheint er seinen Sinn zu ändern; er sagt zu seiner Mutter, ihre
Tränen hätten sein hartes Herz erweicht, läßt Tieste und Erope kommen,
bietet seinem Bruder die Hand zur Verzeihung und teilt ihm mit, er
wolle ihm das Reich, die Erope und das Kind überlassen, wenn er für
immer seine Nahe meide. Tieste geht auf diesen Vorsehlag ein. Die
beiden Brüder umarmen sieh zum Zeichen des Friedens. Atreo lädt
nun seinen Bruder zum Versöhnungstrunke ein. Tieste geht in die
Falle, die ihm der gleisnerische Felopide stellt, setzt den Pokal an die
Lippen — doch wehe ! da entdeckt er Blut in dem Gefäße und entsetzt
ruft er aus: «Che bevo? Sangue!»
Von düsteren Ahnungen erfüllt, hat Erope schon vorher nach ihrem
Kinde verlangt, und jetzt entdeckt der Wüterich dem unglücklichen
Tieste, daß das Gefäß das Blut seines ELindes enthalte. Daraufhin er-
sticht sich Tieste, und Erope stirbt vor Schrecken.
Was die Quellen dieser Tragödie anlangt, so konstatieren
schon die Notixie storico-critiehe sul TiesUj daß Foscolo Cre-
billon und namentlich Voltaire benutzt hat. Zugleich wird
dort darauf aufmerksam gemacht, daß bei Voltaire die Rache
des Atr^e viel besser motiviert sei als bei Foscolo, da bei
-^ 138 —
letzterem Erope mit Tieste versprochen gewesen nnd infolge-
dessen freier von Schuld sei als die Erope in den Pelopides.
Die Noiixie weisen femer darauf hin, daß Foscolo auch unter
dem Einflüsse von Alfieri stand. ^)
Klein wiederholt im Grunde nur diese Angaben der
Noiixie storico-critiche.^) Er nennt den Atreo einen „Alfieri-
schen Wütherich" und meint, die Erope sei „Alfieris Clitem-
nestra mit umgekehrten Motiven". Er stellt außerdem noch
folgende Beziehungen fest : ,,Cr6biIloDs Tieste hatte die Erope
in dem Augenblicke entführt, wo sie sich mit Atree vermählen
sollte. Voltaire benutzte die Erfindung, dessen Tieste eben-
falls die Erope als Braut des Atr6e vom Altare weg raubt:
Foscolo kehrt diese Voraussetzung um. Sein Tieste war
mit Erope versprochen, und Atreo ist es, der sie dem Bruder,
mit Einwilligung ihres Vaters, entreißt. Dadurch vermindert
der Dichter die Schuld des Tieste und der Erope,"
Diese Behauptung der Noiixie und deren Wiederholung
durch Klein ist zum Teil unvollständig, zum Teil unrichtig.
Oben ist bereits auf die Worte liingewiesen worden, die bei
Voltaire Thyeste zu Hippodamie und Polemon spricht (II, 2) :
Je vous dirai pourtant qu'avant l'hymen fatal
Que dans ces lieux sacr^s c616bra mon rival,
J'aimais, j'idolätrais la fiUe d'Eurj'sthee,
Que, par mes voeux ardents, longtemps soUicitee,
Sa m^re dans Argos eüt voulu nous unir;
Qu'eufin ce fut ä moi qu'on osa la ravir.
Aus diesen Versen erhellt deutlich, daß auch bei Vol-
taire Atree die Erope seinem Bruder entrissen hat. Der
einzige Unterschied besteht darin, daß bei Voltaire das Kind
des Thyeste im Ehebruche erzeugt wurde. Jedenfalls aber
hat Foscolo dieses Motiv aus Voltaire's Tragödie genommen,
wenn es von ihm auch etwas umgestaltet worden ist. Der
italienische Dichter stimmt noch in folgenden Punkten mit
Voltaire überein:
In beiden Stücken verlangt Hippodamie das Kind von
») Teatr. Mod. X, 62 ff.
«) Gesch, des Bram, VII, 118 ff.
_ 139 —
Erope; diese übergibt es auch ihrer Obhut, liefert es aber
auf diese Weise, ohne es zu wissen, dem Atreus aus (Fosc.
I, 2; Volt. V, 2).
Bei Foscolo wie bei Voltaire hält sich Thyestes der
Sicherheit wegen im Vorhofe des Tempels auf.
Bei beiden Dichtern stellt sich Erope als die allein
Schuldige hin und verlangt von Atreus den Tod ob ihres
Vergehens, um hierdurch ihr Kind und den Thyestes zu retten.
Bei Foscolo sagt Erope zu Atreo (II, 5) :
Tieste
A torto incolpi; ei non ^ reo; tu il festi;
E la cagione io sol ne fui: me dunque
. Danna al supplizio meritato, sola,
Me sola.
Bei Voltaire spricht Erope zu AtrSe (IV, 5):
Les dieux ennemis
Eternisent ma faute en me donnant un fils.
: Vous allez vous venger de cette criminelle:
Mais que le chätiment ne tombe que sur eile:
Que ce fils innocent ne soit point condamn6 . . .
Seigneur, avec son p^re on yous r§concilie.
De mon fils au berceau n'attaquez point la vie:
II suffit de la m^re ä Yotre inimitie
J'ai demande la mort, et non yotre pitie.
Sowohl bei Foscolo als auch bei Voltaire gibt die Mutter
der Pelopiden denselben Gedanken Ausdruck:
Ippod. bei Fosc. (II, 4) zu Atreo:
Figlio,
• . . una madre, che suoi giomi visse
Si gran tempo infelici, afflitti e rei,
Deh! una volta rallegra.
Hippod. bei Volt. (I, 2) zu ihren Söhnen:
Mes fils,
Si TOS sanglantes mains m'ont outert un tombeau,
Que j'y descende au moins tranquille et consol6e!
Venez fermer les yeux d'une m^re accablee!
— 140 —
Qu'elle expire en vos bras sans trouble et saus boneor.
A mes derniers moments melez quelqne doacear.
In beiden Dramen ist ferner Erope dem Tbjestea mit
leidenschaftlicher Liebe zugetan, von der sie sich trotz allen
inneren Bingens nicht zu befreien vermag.
An Crebillon hat der Tieste Foscolo's faat gar kerne
Anklänge.
Dagegen ist der Einfluß Seneca's auf Foscolo unverkenn-
bar. So sagt Erope in der 2. Szene des I. Aktes:
Orror succede
A orror: veggo Tieste egro ramingo
Per le terre non sue, squallido, solo
6ir strascinando una Tita languente . . .
Diese Worte rufen uns den Thyeatea Seneca's ins Ge-
dächtnis zurück, der, von der Verbannung zurückgerafen, in
einer squalida teste vor Atreus erscheint^)
Man vergleiche femer die beiden folgenden Stellen:
Ippod. bei Fosc. I, 3:
Temer del vulgo i detti a un re conviensi,
E cercar di sopirli.
Der Sat. bei Sen. II, 204/05 zu Atreus:
Fama te populi nihil
Ad versa terret?
Dies ist offenbar der gleiche Gedanke bei FoBColo wie
bei Seneca. Außerdem erinnern die Worte, die in der 4. Szene
des II. Aktes Ippodamia zu Atreo über Tieste spricht:
e forse
Per inospite sehe e per dirupi,
Senza fossa di morte, disperato
Di sua man li troncö
au den Ausspruch des sich in Wäldern verborgen haltenden
Thyestes bei Seneca:
') Atreut sagt ztt Tbyestes (v. 524): squtUidam vtaUm exne.
— 141 —
y. 413 ff. repete siWestres fugas
saltusque densos potiiu et mixtam feris
similemque Titam.
Man beachte auch noch folf^ende analoge Stellen -
Ippod. bei Fosc. (IV, 5) zu Atreo:
Oh ciel! . . . vorresti . . .
Pnnir delitti con maggior delitto.
Thy. bei Sen. (V, 1103) zu Atreus:
Scelere quis pensat scelus?
Atreo bei Fosc. (V, 3) zu Tieste:
Tuo figlio! ei crescerä tutto rifongiof?)
Di rabbia tiestea: di chi pietoso
Tita donogh e genitori, al sangue,
Allo sterminio anelerä. Puot' ei
FoTse smentir suo infame nascimento?
In diesen Versen lassen sich die Spuren des bekannten
Seneca'schen Ausspruchs wiedertinden (v. 313/14):
ne mali fiant times?
nascuntur.
Bei Foscolo (V, 3) sagt Tieste zu Atreo, nachdem ihm
dieser rersprochen hat, ihm die Hälfte des Reiches, seine
Gemahlin und sein Kind zurückzugeben:
tua clemenza tutto
Cancella: or odi, io tel confesso; duolo
Avrö mortale in rammentarla; acerbo
Tu sembreraimi piü: ritogli dunque
Ogni tuo dono. ei m'ö piü amaro assai
De' tuoi tormenti; o se lasciar tu il ruoi,
Perdonami.
Sehr ähnlich drückt sich bei Seneca (III, 514/15) Thy-
estes dem Atreus gegenüber aus, als dieser ihm verziehen hat :
pessimam causam meam
hodiema pietas fecit.
Auch das Umarmen der Brüder bei Foscolo findet sich
bereits im lateinischen Original, und, wie endlich bei Seneca
— 142 --
Tbyestes im Augenblicke der Rache nach seinen Söhnen Ter-
langt, so stößt bei Foscolo (V, 3), kurz be^or Tieste den Ter-
hängnisvoUen Becher an die Lippen setzt, Erope erschrocken
die Frage aus: Ov^e mio figlio?
Die Charaktere sind von Foscolo meisterhaft gezeichnet
Als Schüler Alfieri's versteht er es insbesondere, die Leiden-
schaft gut zum Ausdruck zu bringen. Atreo's ungestümer
Bruderhaß und listige Verstellungskunst treten bei unserem
italienischen Dichter nicht minder stark hervor als bei seinen
Vorgängern.
Der Tieste Foscolo's ist derselbe bemitleidenswerte Lieb-
haber der Erope wie der Voltaire'sche. Wenn der Thyeste
in den Pelopides mit seinem Bruder einen Zweikampf wagte,
so hat derjenige Foscolo's ebenfalls die Absicht, den Atrfe
zu töten. Ein Unterschied in den beiden Charakteren hegt
darin, daß der Tieste des italienischen Dramas sich klein-
mütig mit Selbstmordgedanken trägt, von denen ihn nur die
Liebe zu Erope befreit. In der 2. Szene des IL Aktes ge-
steht er nämlich der Ippodamia:
Erope sempre
M'insegue; ed io? . . . Me miserol Rivolgo
Contro il mio petto il ferro; ella s'affacda,
E lo ritorce, e par mi dica: un solo
Avel ci accolga: e l'acciaro di mano
Mi strappa, e fugge. — La soave idea
Di rivederla mi trattenne, oh quante
Volte sul margo della tomba, in punto
Che giä volea precipitarmi !
Das Bild der Hippodamie verstand uns Foscolo leben-
diger und interessanter zu schildern als Voltaire. Ihr herz-
zerreißender Jammer über die Zwietracht ihrer Söhne und
über das harte Schicksal ihres Hauses spricht aus jedem ihrer
erregten Worte. Alles will die unglückselige, opfermutige
Mutter der Pelopiden daransetzen, um von Atreo Gnade för
das Kind zu erlangen; versichert sie doch der Erope in der
2. Szene des I. Aktes:
II figlio tuo
L'avrai, ti rassicura: ah! sofiri ancora
— 143 —
Per poco; il rendi a'suoi custodi; Atreo
Mal soffrirebbe che degli ordin suoi
Si violasse il menomo: di lui
A'pie mi prostrerö; bagnar di pianti
Mi vedrai le sue maa; preci, scongiuri .
Per te non fia ch'io mai risparmi.
Am allermeisten fesselt und der Charakter der Erope.
Durch diese Figur bekundet sich Foscolo ganz und gar als
Jünger Altieri's. Denn „jenes zwischen zwei Kontrastaffekten
Hinundhergeschleudertwerden der Seele ; jenes mit sich selbst
hadernde Pathos, das Alfieri der französischen Tragödie ent-
lehnte und auf die letzte Spitze trieb, auch diesen Leiden-
schaftszwiespalt hat unser jugendlicher Dichter seinem Meister
treulich abgelauscht und aus allen Poren seiner Erope
sprühen lassen."^) Erope ist mit ihrer ganzen Seele dem
Tieste und ihrem Einde zugetan und empfindet bitteren Haß
gegen Atreo. Sie gibt sich jedoch Mühe, ihre Leidenschaft
zu zügeln^ und ist sich wohl bewußt, daß sie als Gemahlin
des Atreo ihrer Liebe zu Tieste entsagen muß, wenn ihr
dieser Sieg auch trotz allen inneren Kämpfens nicht gelingt.
Daher gibt sie denn auch der Ippodamia auf ihre Frage hin,
ob sie den Tieste noch liebe, zur Antwort (I, 2):
lo Tamo? . . . lo lui? . . . No: quando amai,
Sposa non era al re. Miseia! Tace
Ogni dover, se si rialza amore
Dentro '1 mio petto. — Or ben; odilo: Tamo;
Si, Famo: ah non Tamassi, o almen cotanto
Non Tabborrissi!
Ebenso erklären sich auch die folgenden Worte, die sie
in der 2. Szene des IIL Aktes zu Tieste selbst spricht:
Si, t'amo
Con ribrezzo e rancor; de' miei delitti
II piü enorme e l'amarti, e il non poterti
Odiar per sempre. — Ah potess' io, che il voglio,
Altrettanto abborrirti . . . ma non posso.
^) Klein, Gesch. des Dram. VII, 120.
— 144 —
Welch' tiefe Liebe zu ihrem Kinde legt Erope an den
Tag, als sie, von Ippodamia gebeten, ihr das Kleinod anza-
vertrauen, erwidert (I, 2):
Or prendi.
Ma ... oh dio ! . . . deh . • . deh mi lascia . . . Almeno,
o madre,
Seco loi fuggirö • . . Komita, ancella,
Furcht sia cou mio figlio • . . Ah lascia.
Ihren HaB gegen Atreo scheut sie sich nicht, diesem
selbst zu gestehen (II, 5):
ordin di morte
Attendo; e a me piü dolce fia, che starmi
AI tuo cospetto.
Eiine sehr edle Seele verrät Erope, als Tieste ihr seinen
Plan, den Atreo töten zu wollen, mitteilt Obwohl der Tod
jenes Tyrannen sie aus ihrer unglücklichen Lage befreien
würde, verabscheut sie doch einen Brudermord im Grunde
ihres Herzens und entsetzt ruft sie aus:
Iniquo! amore a te! Non mai: non altro
Che orrore a te. Fuggi da roe; tue mani
Son parricide; io la tua voce orrenda
Odo sonar dentro il mio cor: la voce
Deir empio ö qnQfta, e seduttrice voce.
Das Decorum ist von Foscolo ebenso gewahrt wie von
Crebillon und Voltaire. Die Einheiten des Ortes, der Zeit
und der Handlung sind genau eingehalten. Die sieben
Monologe, die in dem Stücke vorkommen, sind nicht za lang
geraten. An dem Aufbau der Tragödie ist derselbe Fehler
zu rügen wie an dem Voltaire'schen Drama, nämlich der
Umstand, daß Atreo erst in der 4. Szene des II. Aktes,
also zu spät auftritt, und sich das Interesse am Anfange
deshalb mehr um Erope und ihr Kind, als um Atreo und
Tieste dreht.
Außerordentlich gut paßt zu jenem tragischen Stoffe die
feurige, hüpfende Sprache dieses italienischen Dramas, ,Jenes
kurzatmige Phrasieren, das bombenartige Zerplatzen der Phrase
— 146 —
in tausend kleine Stücke^, das, wie Klein ganz richtig be-
hauptet^), dem Alfieri nachgeahmt ist.-)
Als Tragödie im allgemeinen betrachtet, irt der Tieste,
wenn ihn auch Foscolo als seine Jugendsünde ansah ^, nicht
schlecht gelungen. Ein der Pelopidensage wohl angemessener,
überaus tragischer Ton herrscht in dem Stücke von Anfang
bis zu Ende, und als ein besonders glücklicher Einfall des
Dichters ist hervorzuheben, daß er jene Szene des Wieder-
sehens zwischen Tieste und Erope in die Nachtzeit verlegt
und dadurch einen äußerst feierlichen und Schauder erregen-
den Moment erzielt hat.
Der Aireo von Vivlani ist mir bis jetzt leider unerreichbar
geblieben. Er sowie die Thyestestragödien von Weiße und
Joh. Wilh. Müller werden in einer späteren Arbeit behandelt
werden. Die auf 9. 146 aufgestellte Tabelle möge uns das
Gesamtresultat der vorliegenden Untersuchung veranschau-
lichen !
*) Gesch, des Dramas VII, 124.
') Vgl. über die Sprache Alfieri*s Landau, Gesch. der ital. Litt,
im IS. JahrK p. 481/82.
») Wiese n. Pfercopo, Gesch. d. it. Litt., S. 497.
Möuchener Beitrage z. roiii. u. engl. Philologie. XXXVII. 10
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Anhang.
I. Die 88. Fabel Hygin's.
Atreus.
Atreus Pelopis et Hippodamiae filius cupiens a Thyeste fratre suo
iniurias exequi in gratiam com eo rediit et in regnmn saam enm reduxit,
filiosque eiuB infantes Tantalum et Flisthenem occidit et [in] epulis Thyesti
apposuit. qui cum vesceretur, Atreus imperavit brachia et ora pnerorum
afferri. ob id scelus etiam Sol curram avertit. Thyestes scelere nefario
cognito profagit ad regem Thesprotum, ubi lacuB Ayernua dicitur esse:
inde Sicyonem pervenit, ubi erat Felopia filia Tliyestis deposita, ibi caau
nocte cum Minervae sacrificaret, intervenit: qui timens ne sacra con-
taminaret in luco delituit. Pelopia autem cum choreas dueit lapsa vestem
ex cruore pecudis inquinavit. quae dum ad fiumen exit sanguinem abluere
tunicam maculatam deponit, capite obducto Thyestea e luco prosilivit
et ea compressione gladium de vagina ei extraxit Pelopia et rediens in
templum sub acropodio Minervae abscondit. postero die rogat regem
Thyestes, ut se in patriam Lydiam remitteret. — Interim sterilitas
Mycenis frugum ac penuria oritur ob Atrei scelus. ibi responsum est,
ut Thyestem in regnum reduoeret. qui cum ad Thesprotom regem isset,
existimans Thyestem ibi morari, Pelopiam aspexit et rogat Thesprotum,
ut sibi Pelopiam in coniugium daret, quod putaret eam Thesproti esse
filiam. Thesprotus, ne qua suspicio esset, dat ei Pelopiam, quae iam
conceptum ex patre Thyeste habebat Aegisthum. quae cum ad Atreum
veniflset parit Aegisthum, quem exposuit: at pastores caprae supposuerunt.
quem Atreus iussit perquiri et pro suo educari. — Interim Atreus mittit
Agamemnonem et Menelaum filios ad quaerendum Thyestem : qui Delpho«
petierunt sciscitatum. Casu Thyestes eo venerat ad sortes tollendas de
ultione fratris. comprehensus ab eis ad Atreum perducitur. quem Atreus
in custodiam coniici iussit Aegisthumque vocat, existimans suum filium
esse, et mittit eum ad Thyestem interficiendum. Thyestes cum vidisset
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Aegisthum et gladium quem Aegisthus gerebat et cognovisset quem in
compressione perdiderat, interrogat Aegistham, unde illum haberet. iUe
respondit matrem sibi Pelopiam dedisse: quam inbet acceniri. cni re-
spondit se in compressione nocturna nescio cui eduzisse et ex ea com-
pressione Aegisthum concepisse. tunc Felopia gladium arripuit aimiilans
se agnoscere et in pectus sibi detrusit : quem Aegisthus e pectore matris
cruentum tenens ad Atreum attulit. ille existimans Thyestem interfectnm
laetabatur : quem Aegisthus in littore sacrificantem occidit et cum paire
Thyeste in regnum aTitum redit.
[Gf. M. Schmidt, Hygini Fabulae p. 84/85].
II. Inhaltsangabe des ^gyste von Sigoineaa
und Pralard.
Parfaict Fr., Hist. du Theätre fran^ais XV, 454 ff.:
Tindare, Roy de Sparte.
Atree, Hoy d'Argos.
Thieste, fr^re d' Atree.
i£gyste, fils de Thyeste et de Pelopee.
Agamemnon, fils d'Atr6e.
Pelopee, fiUe de Thyeste, et rofere d'^gyste, connue soos le
nom d^Irine.
La Sc^ne est k Sparte.
La haine qui r^naii depais longtemps entre Atree et Thiette, avoit
prodoit des effett si funestes, qoe Tyndare, Roy de Sparte, seien oette
Fable, pour en arrdter le cours, entreprit de reconcilier oet deux frerea
ennemis. Sparte qui servoit dej& d'azüe ä Tbieste, snr leqnel Aire«
avoit uBurp6 le trone d'Argos, fnt le lieu du congrte. Atree s'y rendit.
Tyndare lui avoit promis en mariage sa fille Clitenmestre pour son fik
Agamemnon; la paix devoit se conclure ä la faveur de cet hymeii, par
la restitution du trone usurp6; en quo! Tyndare est d'autant plus g6-
n^reux, qne par lA sa fille devoit ayoir un trone de moins.
Thieste t^moigne beaucoup de defiance ä Tapproche d'Atrte, et
Atree ne peut si bien dissimuler k son arrivee, qu'il ne lui echappe quel-
ques marques de sa mauvaise volonte, en pr^senoe meme de Tyndare.
11 se plaint qne les Argiens se sont r^voltes en faveur de son fi%re, qaHl
acouse d'avoir foment^ cette revolte, et fait connoitre k I^ndare qn'il
vient d*envoyer son fils Agamemnon contre les rebelies, pour les iaire
rentrer dans son obeissanoe, se rdservant apr^s le droit de faire une
restitution volontaire d^un trone qui lui appartient par droit de oonquete.
Des pretextes si frivoles irritent Tyndare, qui lui fait connoitre qu'il
pourroit bien prendre parti contre lui. s'il s'obstine dans son injostioe.
Atr^e a recours & la diisimulation ordinaire. 11 fait esperer qu'il n'ap-
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portera plus d'obstacle ä cette paix tant desiree; mala dans un monologue
iBunödiatement apr^s, il fait connoitre qua ce pretenda traii^ de paix
est Qo BOQTeau pidge qu'ü tend k Thieste, pour exereer de Bouvellea
barbaiies conire lui, ne se promettant pas moins qne de le faire asaasaiaer
par son propre fils iEgyste, dont hii seul connoit le sort; et qui semble
lai ayoir 6te adresse par les Dienx.
Au seoond Acte, JEgysie se plaint aux Dienx de la eruaut^ qn'ib
ont de lui cacher son origine. Atr6e le trouyaot agit^ lui demande
d'oü vient son trouble. iEgyste lui raoonte un songe, dont Tapplieatioii
equiyoque flatte Atr^e du suoo^s de ses vosux; il dit k Mgyvi% qu'il est
seul instruit du secret de sa naissanee, qu'elle est de« plus illustres, mais
qu'il n'apprendra qui lui a donnd le jour qu'& nne oondition qu'JCgyste
brule de s^aToir; mais Atree Toblige & se retirer, Toyant Agamemnon
qui surrient avec une pr^tendue fille du Gouyemeur d'Argos, qui lui
est presentde comme un garant de la foi du Gouyemeur. Atr6e parott
satisfait de son fils, yainqueur des Argiens; il l'enyoye annoncer
cette heurense nouyelle k Tyndare; il fait quelques eompKmens k son
otage et se retire. Le pr^tendu dtage se fUt connoitre k sa oonfidente
pour P61op4e, fille de Thieste. Elle lui dit que son malheureux pdre effray6
d'un oracIe qu'elle ignoroit, Fayoit bannie pour jamais de sa prSsenee, ei
qa'elle s'etoit consaor^e k Minenre par ses ordres, eile ajoute qu'un jour
4tant sur le bord d'nn fleuve, un inconnu youlut lui faire yiolence, qu*elle
se sauya dans le temple, oü malgre ses cris et malgr^ Minerye et tous
les Dieux ältestes, cet inconnu la suiyit et exdcuta son sacril^ge dessein.
Elle lui dit encore que s'Stant jet^ sur son ^p4e pour yenger son
honneur outrage, cette ep^e lui 6toit restee entre les mains par la fuite
de son ennemi, et qu'elle avoit reoonnu k ce funeste fer, que oelui qui
yenoit de l'outrager etoit son propre p^re. Cette afirease connaissance,
poursuit-elle, me porta k exposer aux betes farouches le detestable fruit
d'un crime qui faisoit fremir la natore; mais les Dieux le oonsery^rent
malgre moi; des Bergers qui en avoient pris soin me le present^rent
quelques ann^es apr^s, me le firent reconnoitre k des ciroonstances con-
yainquantes; je lui dis que Minerye le prenoit sous ses auspieee, je
I'armai de l'6p6e de Thieste, et lai annon^ai, sans lui r^y^ler son sort,
que ce fer deyoit servir k exeeuter les ordres irrßyocables du destin.
Pelop^e dit enfin qu'elle a quitte les Autels sacr68 par un ordre expr^s
de Minerye, qui lui a promis qu'elle trouyeroit la fin de ses malbeurs
dans la Cour de Tyndare, oü son p^re Thieste, et son fils .Egyste sont
actuellement sans connoitre leur y^ritable sort.
Pelopee, sous le nom d'Ir^ne, dit k Agamemnon, au troisi^me Acte,
que l'amour qu'il a pris pour eile, ne doit pas rompre une paix qui doit
faire la felicitc de tant de peuples, et que d'ailleurs eile ne s^auroit
repondre k sa tendresse. Agamemnon se laisse persuader, et promet
de lui sacrifier jusqu'ä son amour, en receyant la main de Clytemnestre,
etc. Pelopee se retire; Thieste vient j la Sehne entre Toncle et le neveu
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est affectuense de pari et d*aatre. Atröe qai survient ne trouve pu
bon qae son fils ait des Conferences secrettes avec son moriel enneml
Les deax fr^res s'injurient reeiproquement en presence d'AgamemnoD.
Atr^e reste seul arec ce dernier, lui reproche sa tendrease ponr son oncle,
et le renvoye anz pieds de Glytemnestre offens^ de son amoor ponr U
pretendue fiUe dn Ocoyemear d' Arges. Dans le monologue snirant, il
se pr^pare d^ mettre la demiöre main k aa vengeance; ^gyste rient i
propos pour en etre l'instmment; Atree lui promet le tröne d'Argos et
Glytemnestre, oatre la connoissance de son sort; pcarru qa'il le venge
de son ennemi. ^gyste est pret k la venger, mais k peine a-t-il appris
que cet ennemi est Thieste, qu'il fremit k ce nom, par une esp^ce de
pressentiment que les Dienz fönt naitre dans son coeur. II se determine
enfin a tuer Thieste.
Tbieste commence le qaatrifeme Acte avec Tyndare, k qui il fait
entendre qu*Atr6e a quelqne mauvais dessein. Tyndare ne peut croire
ce qoe Thieste lui veut persuader, et jure de se y enger arec 6clat, s'il
yient k decouyrir qu^ Atree trame quelque perfidie. Tbieste reste seal
sur la Sc^ne ä refl^cbir sur son sort; JSgyste vient Tassassiner; il
tire l'epee sans que Tbieste s^en appergoive ; mais par un secret avis des
Dieux, il n'ose lui porter le coup mortel: press^ meme par de Yiolens
remords, il met entre les mains de Tbieste, ce meme fer qu'il dcToit
tremper dans son sang, et demande la mort k celui k qui il ayoit jure
de la donner. Tbieste, k la vüc de cette fatale ^pee, fremit d'horreur;
il se souvient qu'il Ta laissde autrefois entre les mains d'une fille qu'il a
violee, il tremble qu'il n'ait rempli malgr^ lui l'oracle qu'il avoit voala
d^mentir, en consacrant Pelopee sa fille au service de la cbaste Minenre.
II interroge ^Egyste, et par ses reponses, il se trouve confirmS dans ses
soupgons. iEgyste reconnoit Tbieste pour son p^re, et ne dontant point
qu' Atree, inform6 du secret de sa naissance, n'ait youlu le rendre parricide;
il reprend son epee, ot malgre tout ce que son pere lui peut dire, il
court le venger; Pelopee survient, et se faisant connoitre pour fille de
Tbieste et pour m^re et sceur d'JBgyste, eile l'invite ä la vengeance que
les destius exigent de lui.
Au cinqui^me Acte, s'execute ce qui a ete projete dans la derniöre
Scene du quatri^me Acte. Tbieste apprend k Tyndare et a AgamemnoD,
que le cruel Atr^e a voulu employer la main d^Egyste son fils a loi
donner la mort, pour avoir le barbare plaisir de le faire perir par un
forfait afireux. Agamemnon fremit de ce parricide; il prie cependaot
encorc Tbieste de se reconcilier avec son fr^re. Pendant cette Scene
^Egyste tue Atree, Agamemnon qui entend du bruit sort pour le secoiuv,
mais ä peine est-il sorti, qu'^gyste vient annoncer k Tbieste qu* Atree
ne vit plus, qu'il l'a tue au milieu de sa garde, qui est demcure immobile
par une esp^ce de miracle. Dans les premiöres repr^sentations, Pelopee
venoit se poignarder sur la Sc^ne; mais on a retranch^ et sa presence
et les predictions qu'elle y venoit faire.
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