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Full text of "Münchner historisches Jahrbuch"

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MÜNCHNER 



HISTORISCHES JAHRBUCH 



für 




erausg^eg'ebexL W'fb^ 



von der| 

Historischen Classe 

der 

K. Akademie der Wissooschaften. 




Mttnolieii 1886 
Xjiterariscli - artietisclie Anstalt 

der J. G. CotWschen Buchhandlung. 



J8^ 



Druck von F. Stranb in München. 



/P^^/^^r' -/^D 



Inhalt. 



I. Das Rechtsverfahren bei König Wenzel's Absetzung von Seite. 

Franz Löher 3. 

II. Zur Geschichte der Gründung der deutschen Liga von 

CA. Cornelius 130. 

III. Die frankischen Königs-Annalen und ihr Ursprung von 

W. Giesebrecht 186. 

rV. Bauemland mit Bürgerrechten v. W. H. Riehl. . . . 239. 

V. Die Säcularisation des Kirchengutes unter den Karo- 
lingern von Paul Roth 275. 

yi. Das Kaiserthum Karl's des Grossen und seiner Nach- 
folger. Zwei Abhandlungen v. J. v. Döllinger . . 299. 



I. 

Das Rechtsverfahren 

bei 

König Wenzels Absetzung 

von 

Franz Loher. 



Das Rechtsverfahren bei König Wenzels 

Absetzung. 



I. Fragen des Kechts und der Geschichte. 

Das fünfzehnte Jahrhundert eröffiiete ein schwerer und 
eigenthümlicher Vorgang. Von dem erhabensten unter den 
weltlichen Thronen wurde ein Fürst herunter gestossen, der 
deutsche König, Sohn des weitberühmten Kaisers Karl IV., 
Haupt des glänzendsten Fürstengeschlechts in Europa, dessen 
Landbesitz sich von der Ostsee über Brandenburg Böhmen 
die Oberpfalz Mähren Ungarn ausdehnte. Nicht von frem- 
den Kriegsheeren wird Wenzel überfallen, nicht die wilden 
Wogen des Aufetandes reissen ihn vom Throne, sondern seine 
eigenen Unterthanen verfügen ruhig und wohlbedacht seine 
Absetzung. Sie wird öffentlich auf Beichstagen verhandelt, 
unter der Theilnahme von ganz Europa ; feierlich und förmlich 
ist der Hergang; endlich verkündet der Kanzler des Beiches, 
dass er mit seinen Mitkurfürsten auf den Bechtsstuhl gezo- 
gen, der am Bhein bei Oberlahnstein am Wege nach Brau- 
1)ach stehe, dass sie dortselbst zu Gerichte gesessen über König 
Wenzel; dass sie ihn durch ürtel und Becht Freitags am 
20. August 1400 kurz vor 10 Uhr als einen Versäumer Ent- 
güederer und unwürdigen Handhaber des heiligen römischen 
Beichs von demselben löwiacbeai Bddie und all der Würden 

1* 



4 Jahrb. der histor. Glosse der k. Akad. der Wissenschaften, 

Ehren und Herrlichkeit, welche dazu gehören, entsetzen; und 
dass nun alle Fürsten Herren Kitter und Knechte Städte 
Lande und Leute des Eeichs gänzlich ihrer Eide und Huld, 
die sie Wenzel gethan, ledig seien. 

Dieser ganze Hergang stellt sich dar wie ein Prozess, 
der sich in feststehenden Formen des Gesetzes bewegt. Gab 
es denn wirklich im deutschen Eechte des Mittelalters einen 
so gefährlichen Prozess, der bei unserm ausgebildeten Staats- 
wesen ebenso undenkbar als verwerflich wäre, dessen sich aber 
auch damals jede böse Leidenschaft bemächtigen konnte, und 
dessen Urtelsvollziehung der Bürgerkrieg war? Hatte wirklich 
das deutsche Volk gemeint, man müsste, vorsichtig für etwaige 
XJnglückszeiten 'einer unheilbaren Begierung, ein geordnetes 
Vei&hren ausbilden, um auf ruhigem Kechtswege dasselbe 
Ziel zu erreichen, für welches die Spartaner ihre Ephoren, die 
Ungarn aber nichts Anderes in Thätigkeit zu setzen wussten, 
als den bewaffneten Aufstand? Eine Frage, die nach jeder 
Richtung hin des Eechts und der Politik wohl der Unter- 
suchung werth ist. 

Diese allein kann auch die Behandlung, welche Wenzel 
widerfuhr, im richtigen Licht erscheinen lassen. Auffallend 
ist es, mit welcher Einstimmigkeit fast alle neueren Historiker 
sie verwerflich finden. Ludewig, ^) Schmidt,*) Häberlin,*) 
Pfizer, *) greifen die Urtheilsgründe an, — die Heftigkeit stei- 
gert sich bei Pelzel,^) Aschbach®) und Palacky,'') — bis 
schliesslich Häusser ®) das Verfahren der Fürsten gegen Wenzel 



(1) Ludewig, Rechtliche Erläuterung der Reichsgeschichte 251. 

(2) Schmidt, Geschichte der Deutschen IV, 37—38. 

(3) Häberlin, deutsche Reichsgeschichte 263 ff. 

(4) Pfizer, Geschichte der Deutschen III, 346. 

(5) Pelzel, Lebensgeschichte Königs Wenceslaus II, 411—426. 

(6) Aschbach, Geschichte Kaiser Sigmunds I, 151. 

(7) Palacky, Geschichte von Böhmen III 1, 124—126. 

(ij Häusser, Geschichte der rheinischen Pfalz I, 214. 216. 



Löher: Das Bechtsverfahren hei König Wenzels Absetzung, 5 

Kabale und Empörung nennt. Und selbst Höfler, •) der über 
die geschichtlichen Thatsachen jenes Zeitraums am gründ- 
lichsten geforscht hat, bezeichnet Wenzels Absetzung als kur- 
fürstliche Intrigue, als Complott und Bebellion gegen den 
legitimen Herrn, als ein formell wie materiell rechtloses tumul- 
tuarisches Verfahren. Palacky giebt die feierliche Erklärung: 
^,in unsem Tagen falle es keinem besonnenen Historiker mehr 
ein, das Verfahren der verschworenen Fürsten gegen Wenzel 
zu entschuldigen, geschweige denn es zu vertheidigen." 

Wären diese Historiker Wenzels Zeitgenossen und so ein- 
stimmig in ihrem Urteil, so erschiene die Sache damit wohl -ab- 
gemacht. Allein sie stehen mit Allem im Widerspruch, was wir 
von Wenzels wirklichen Zeit- und Volksgenossen wissen, wo 
diese irgend sich unparteiisch aussprachen. Woher dieser so 
einhellige Widerspruch ? Allerdings hat unsere Geschichtschrei- 
bung jetzt eine Eichtung, die abhold ist dem deutschen Für sten- 
thum, welches die Keichseinheit zerriss, und jeder Akt, wo es 
seine zerstörende Kraft gegen das Beichshaupt wandte, hat 
mit Hecht bei uns scharfe Kritik zu erwarten. Doch das 
allein erklärt nicht die so verschiedene Auflfassung, welche 
zwischen dem fünfzehnten und dem neunzehnten Jahrhundert 
besteht. Sollte der Grund nicht auch darin liegen, dass es 
neueren Historikern schwer Mit, sich in die sittliche, vor 
Allem in die Kechts-Anschauung des deutschen Mittelalters zu 
versetzen? Stösst man doch häufig genug bei der Erforschung 
irgend eines Stücks vom damaligen Staatsleben auf die Be- 
merkung, dass man es nur halb und obenhin verstehe, so 
lange es nicht auf dem Boden der damaligen Bechtssitte be- 
trachtet wird. In unserm Falle, werden nicht die Ansichten, 
welche Wenzels forstlichen Gegnern so ungünstig sind, von 
vornherein entwurzelt, wenn diese Fürsten als wirkliche Ge- 



(9) Höfler, Kuprecht von der Pfalz, genannt Clem, römischer 
König. Freiburg 1861. S. 167, 161, 167. 



6 Jahrb. der histor. Glosse der k. Akad. der Wissenschaften. 

richtsschöflFen handelten? Stellt das Kecht eines Landes für 
einen gewissen Fall den Criminalprozess auf, so müssen sich 
wohl oder übel, wenn der Fall eintritt, die Schranken des 
Gerichtes öffnen. Denn in den Gründen, an welche das Recht 
den Prozess bindet, liegt nicht bloss eine innere, sondern, 
wenn die Thatsachen darauf zutreiben, auch eine äussere Nö- 
tiiigung, der sich Freund und Feind nicht entziehen kann. 
Jene Geschichtschreiber legen das grösste Gewicht darauf, die 
selbstsüchtigen Beweggründe, welche Wenzels Richter belebt 
hätten, zu enthüllen und zu beleuchten. Ist denn das ent- 
scheidend? Wenn ein schlechter Vormund Jahr ein Jahr aus 
die Zucht und das Vermögen seiner Pflegbefohlenen gröblich 
Terwahrlost, soll ihn darum minder die Strafe des Gesetzes 
treffen, weil seine Richter ihn hassen, oder weil einer aus ihrer 
Mitte sein Nachfolger zu werden denkt? 

Das ist also die erste Frage: Gab es im fünfzehnten 
Jahrhundert in Deutschland ein Gericht, welches den König 
absetzen durfte? Darauf muss die Geschichte uns ebenso Ant- 
wort geben, als die Vergleichung der Rechtsbücher und ge- 
richtlichen Urkunden. — Ist diese erste Frage zu bejahen^ 
80 wird man gespannt, die Ursachen kennen zu lernen, welche 
vorliegen mussten, damit Unterthanen sich als Kläger und 
Richter gegen ihren Herni und König erheben durften? Eine 
Frage des materiellen Staatsrechts. — Die dritte Frage, — 
wie und wo der Gerichtshof gebildet wurde, wer das Amt 
des Anklägers hatte, wie die Vorladung, das Verhör, die Be- 
weisaufnahme, das Endurtel beschaffen sein mussten, überhaupt 
an welche Formen und Fristen das Verfahren gebunden war? 
— diese Untersuchung fällt lediglich in das Gebiet des for- 
mellen Rechts. 

Sobald eine dieser drei Fragen hinlänglich klar gemacht, 
lässt sich ein Stück der andern Seite unserer Aufgabe lösen: 
die Anwendung nämlich der gefundenen Regeln auf den Fall 
des Königs Wenzel. Wenn der eine Theil, der theoretische, 



höher: Bas Bechtsverfahren bei König Wemeig Absetztmg. 7 

lediglich juristisch zu behaudeln, so können wir uns bei dem 
andern, dem praktischen Theile, auch der historischen Erörte- 
rung nicht entziehen. Wir müssen jede bedeutende Thatsache 
in Wenzels Leben und ßegierung in's Auge fassen, weil jede 
einen Stützpunkt bildet, sowohl um das Verfahren gegen ihn 
zu begreifen, als auch, ob ihm recht oder unrecht geschah, zu 
beurtheilen. Insbesondere wird uns das Verhalten der ver- 
schiedenen Beichsstände beschäftigen, welche in diesem Drama 
eine Rolle spielten. 

Während nun, um die geschichtlichen Thatsachen in das 
i-echte Licht zu rücken, die Quellen und Schriften uns aus- 
reichenden Stoff bieten, verbreiten sie sich spärlich über die 
Rechtstheorie. Das lag in der Natur der Sache. Ueber einen 
so bedenklichen Casus, wie eine Königsabsetzung es war, Hessen 
sich die alten Schöffen, welche ihres Volkes und Landes Recht 
inne hatten, nicht gar gerne aus. Sie begnügten sich mit 
Hinweisungeu auf Bekanntes, mit kurzen und gel^entlichen 
Sätzen. Aus solchen Sätzen und Andeutungen in den Rechts- 
büchern, femer aus historischen Nachrichten, hin und wieder 
durch Rechtsanalogien — ist jetzt allein noch die Theorie 
herzustellen. Bei dem Versuche dazu können wir freilich um 
so leichter fehlgreifen, als diese Frage von Andern nur erst 
dürftig erörtert ist. ^®) 



IL Fürstengericht über den König. 

Zunächst kann das wohl keinem Zweifel unterliegen, dass 
in Deutschland ein lebendiges Bewusstsein bestand, man könne 
in gewissen Fällen das Reichshaupt seines Rechts und An- 



(10) Die einzige neuere Schrift darüber, welche den Gegenstand 
jedoch keineswegs erschöpft, ist eine kleine, mit Geist und Interesse 
geschriebene Dissertation: De jurisdictione principum gennamcorom 
in imperatorem exercita scripsit Dr. Arm. Soholze. Jenae 1846. 



8 Jahrh, der hiMor, Glosse der lt. Akad, der Wissenschaften. 

Sehens entkleiden. In einem Zeitraum von hundert Jahren 
schreitet ein Theil der Kurfürsten dreimal zu einer ibrmlichen 
Absetzung des Königs, bei Adolf, Albrecht I., und Wenzel. 
Dreimal in hundert Jahren wird dies Verfahren in den Schriften 
von Zeitgenossen lebhaft erörtert; man streitet, ob die Ab- 
setzung Eecht oder Unrecht sei: immer jedoch werden nur 
die Gründe der Absetzung und das Verfahren dabei geprüft, 
niemals heisst es , die Fürsten könnten überhaupt keinen König 
vom Keiche entsetzen. ^ *) Die wiederkehrende Uebung lässt airf 
eine Kechtsgewohnheit schliessen, der Ausspruch der Zeitge- 
nossen greift ihren Kern nirgends an: beides nöthigt uns an- 
zunehmen, dass wirklich im Bewusstsein der Nation einBecht 
lebte, vermöge dessen man, wenn kein anderes Mittel mehr 
helfe,* dem Könige seine Würde nehmen könne. Dies aber 
stimmt mit allem Andern, was wir von der damaligen Eechts- 
anschauung kennen. Sie fasst den König nicht als Herrn, 
sondern als Vormund des Kelches auf, nicht als Eigenthümer 
über dessen Güter und Eechte, sondern bloss als ihren Ver- 
walter. Drei Dinge musste er, wenn er den Thron bestieg, 
in seinen Eid nehmen: dass er das Becht stärke und das 
Unrecht kränke, dass er das Beich vertrete in seinem Bechte, 
dass er es alle Zeit mehre und nicht ärmer mache. ^^) 

So spricht der Schwabenspiegel in Süd-, der Sachsen- 
spiegel in Norddeutschland. Gleichmässig enthielten beide die 
Grundzüge des allgemeinen deutschen Bechts. Kein Keichs- 
beschluss hatte diesen Bechtsbüchem Gesetzeskraft verliehen, 
wohl aber hatten alle deutschen Gerichte sie durch Brauch 
und Uebung als den wahrhaftigen Ausdruck des ächten Bechtes 



(11) Vgl. Trithemius Chron. Hirsaug. ad a. 1298. H. Rebdorfif 
ad. a. 1300. 

(12) Schwabenspiegel 101, 1 nach der kleinen Ausgabe von 
Gengier. Erlangen 1863. Sachsenspiegel III 54,2. 



Loher: Das Bechtsverfahren hei König Wenzels Absetzung, 9 

anerkannt. Ihre Aussprüche aber über Eönigsabsetzung sind 
klar und deutlich: 

Der Schwabenspiegel sagt: Wer über den künic 
urteil sprechen mac. Dem künige mac nieman 
an den lip gesprechen, im werde daz riebe e verteilet 
mit der fursten urteile. TJeber des küniges lip und 
über sin ere mac nieman urteil sprechen, wan die 
Fürsten. Und krieget er mit jeman umbe gut oder 
umbe ander dinc, daz des riches ist, da suln über 
sprechen lursten und graven und vrien und des riches 
dienstmau. ^*) 

Drei Fälle sind hier unterschieden: die Klage auf Ab- 
setzung, die CriminaMage, die Klage um Keichsgut. 

Der Sachsenspiegel sagt: Von des koniges rechte. 
De koning scal hebben vrenkes recht, wan he ge- 
koren is, van welker bord he is. Wen alse de vranke 
sin lif nicht Vorwerken en mach, he en werde in der 
handhaften dat gevangen, oder eme en si sin vrenkes 
recht vordelet: also en mach deme koninge neman 
an sin lif spreken, eme en si dat rike mit ordelen 
vordelet. ^*) 

Auch hier wird der Unterschied zwischen einer gewöhn- 
lichen Criminalklage und der Absetzungsklage gemacht. Die 
letztere muss vorher gehen und Erfolg gehabt; der König 
muss also sein fränkisches Recht verloren haben, ehe die zweite 
Klage ihm an den Leib gehen kann. 

Die Kechtsbücher setzen also den Fall, dass der König 
durch Urtheil des Reichs entsetzt werden könne, an diesen 
wie an mehreren andern Stellen als bekannt voraus, gerade 
so, wie die Chronisten berichten, König Adolf habe per sen- 



(13) Schwaben-Sp. 104. 

(14) Sachsen-Sp. III 54, 4. 



10 Jahrb. der histai'. Classe der 1i. Akad. der WissemcJiaften. 

tentiam, durch abjudicatio imperii, und Albrecht per Judicium 
das ßeich verloren. ^^) 

Noch ein anderes sprechendes Beispiel sei angeführt. Als 
die Kurfürsten den Eeichsstädten schreiben, sie hätten Wenzel 
abgesetzt und die Städte sollten ihn bei ihren Keichseiden 
nicht mehr für einen römischen König halten, versammeln 
sich Städteboten in Mainz zur Berathung. Sie ziehen befreun- 
dete Eechtsgelehrte , „etliche wise gelerte phafifen in deme 
rechten, die den Steten woil gutz günnen*', zu Käthe und 
legen ihnen die Frage vor: wie sie sich zu der Absetzung des 
alten Königs verhalten, und was sie thun sollten, wenn er 
sie bei ihren Eiden um Hülfe mahne? Die Rechtsgelehrten 
„hant yu in grosser früntschafft ire meynunge geseit, wie sich 
die Stete ane straflfunge ire eide seien und eren in deme 
rechten dar Inne halten mögen, als sie meynent, das sie das 
clerlichen wisen wollen in Bebestlichem und Kaiser- 
lichem rechte, wo man das beschriben finde". Nämlich: 
„want die kurfürsten den altem könig umb solicher artikel 
willen, als sie hant lassen luden, die man auch gemeinlich 
voir wair heldet, von deme heiigen Eiche gesetzt hant, und 
yn darum etwie dicke ersucht und ermant hant, by sie tzu 

kommen, das zu wandeln und tzu verantworten, dartzu er 

■ 

doch nit kommen sy, und einen andern tzu deme heiigen Eiche 
gekorn hant*', — so erklären die Eechtsgelehrten : „dass die 
kurfürsten des auch wol in deme rechten macht gehabt 
haben zu dun, want das mererteil der kurfürsten die veran- 
derunge getan haben und die andern kurfürsten verbot und 
zu yn geladen betten zu kommen, die veranderunge an deme 
Eiche mit yn zu dun und einen andern tzum Eiche mit yn 
helflen zu kiesen, und want der kurfürsten eins deiles zu deme 
dage, den sie doch wol gewist hant, nit kommen sin, so ha- 



(15) Tritliemius 1. c. Siffridus Presb. 1. c. Chron. Colm. 1. c. 
Rebdorflf 1. c. 



höher: Das Bechtsverfahren hei König Wenzels Absetzung. 11 

ben dieselben kurfursten, die da gewest sint, in deme rechten 
woil macht gehabt, einen andern zu dem ßiche zu kiesen". 
Sobald das geschehen, seien „datzu stunt alle forsten graven 
herren stete lande und lüde ire eide gein deme alden 
könige, die sie yme von des Kichs wegen gedan hatten, in 
deme rechten gentzlich ledig und loisd gewest, und yme 
ferbas von des Kichs wegen nimmermehr verbüntlich sin sollen, 
und sollen und mögen yme auch alle fiirsten graven herren 
stete etc. und allermeniclich , die yme von des Bichs wegen 
verbunden gewest sint, ane alle straffunge irer consciencien 
eiden und eren in deme rechten woil abesteen". Wenn 
aber trotzdem der alte König die Städte bei ihren Eiden 
durch Briefe um Dienst und Hülfe mahne und Antwort heische, 
so solle, lautet das Bechtsgutachten weiter, „man die brieffe 
nemen und entphaen, und die boten dugentlich mit worten 
von yn wisen, und yme doch davon keine antwort schriben 
und yn in den sachen nit anders achten gein deme heiigen 
Bomschen Bich, want in glicher wiss als obe er doit 
were". ^^) — Man sieht, die Städte so wenig, als die Bechts- 
gelehrten, hatten irgend einen Zweifel daran, dass der König 
von den Kurfürsten abgesetzt werden könne: es handelte sich 
nur darum, ob die blosse Mehrheit der Kurfürsten dazu be- 
fugt, und was die unmittelbare Folge ihres Spruches sei. 

Die Bechtsbücher enthalten sich, über das Fürstengericht, 
welches dem König das Beich nehmen kann, sich noch weiter 
auszulassen. Ohne Zweifel bestand der Gerichtshof früher aus 
allen Beichsgrossen, welche auf dem Beichstag Sitz und Stimme 
hatten und, wenn der Thron erledigt war, einen neuen König 
wählen konnten. Als sich aber das Wahlrecht auf die Kur- 
fürsten zurückzog, gestand man auch diesen Sieben allein die 
Befugniss zu, das Endm'theil über den König zu sprechen. 
Wenigstens erscheint dieses Becht allgemein anerkannt, gleich 



(16) Obrecht 64 ff. 



12 Jahrb. der histor, Classe def" Tc. Akad, der Wissenschaften, 

wie in dem ßechtsgutachten , welches eben ausgezogen wurde, 
so bei den drei vorangegangenen Königsabsetzungen. Inwiefern 
aber die übrigen Fürsten und Keichsfreien dabei mitzuwirken 
hatten, ist später zu untersuchen, wo wir auf das Verfehren 
selbst näher eingehen. 



III. Stellung des ßheinpfalzgrafen. 

Es sprechen aber die Rechtsbücher wiederholt von dem 
Pfalzgrafen am Khein als des Königs Richter. 

Schwabenspiegel: Der künic soll mit rechte diser 
herschefke deheine in siner gewalt han jar und tac; 
er sol si hin lihen. Und tut er des niht, daz klagen 
die herren und anders daz in gebrist dem phalenz- 
graven von dem Rine; wan der ist ze rehte rihter 
über den künic, und davon hat die phalenz vil eren. 
Und wirt der künic derselben schulde überkomen, so 
ist er ze unrechte an dem riebe. Da sol man in 
umb beklagen vor dem phalenzgraven von dem 
Rine. i^) 
Schwäbisch Lehn recht: Als die forsten den künic 
wollent beklagen, ob er wider reht tut, daz solnt sy 
tun vor dem phalenzgraven von dem Ryne: die Ere 
hat er vor den andern forsten. ^®) 
Diesem süddeutschen Recht gleichlautend heisst es im 
norddeutschen, 

im Sachsenspiegel: In de Verden haut en scal nen 
len komen, dat gerichte si over hals unde over haut, 
wenne sculthedom allene in de gravescap, dor dat de 
greve en mach nen echt ding hebben ane scultheten. 



(17) Schwabensp. 105,5. 100. 

(18) Schwab. Lehnr. 42. 



Lohet: Bas Bechtsverfahren bei König Wenzels Absetzung. 13 

wenne claget men over den greven, he scal antwor- 
den vor deme scultheten, wenne de sculthete is rich- 
tere siner scult. Also is de palenzgreve over den 
keyser, unde de borghgreve over den markgreven. ^•) 
Im Sächsischen Weichbildrecht: Nu vomemet, 
wer über den kunic richten suUe, ab er diser dinge 
überwunden wirt, als hy vorstehet. Das soll thun 
der phaltzgrave, der dem kunige und dem lande zu 
richter gesatzt wird von wilkur. *®) 
Wir stehen hier bei der vielberührten Frage von des 
Pfalzgrafen höchstem Gericht. Welches war sein Grund? 
Wie ist es entstanden? — An eine Herübemahme des comes 
sacri palatii vom griechischen Kaiserhofe ist nicht zu denken. 
Wie soUte ein byzantinischer Hofrichter Macht und Gewalt 
bekommen, über die Majestät zu richten? Vor seinen Stuhl 
gehörten nur die Kechtsfalle, welche in des Hofes Burgfrieden 
vorfielen, oder in welchen man an den König appellirte. Einen 
solchen Hofrichter hatten alle Kaiser stets in ihrer nächsten 
Umgebung, während die Halzgrafen in ihren Ländern sassen. 
Die Herleitung des pfalzgräfiichen ßichteramts liegt viel 
näher. Es ist ein Amt von rein germanischer Wurzel und 
aus dem altdeutschen Gerichtswesen zu erklären. Der Sachsen- 
spiegel weisst den Weg, indem er sagt: ganz wie der Schult- 
heiss sich zum Grafen, so verhalte sich der Pfalzgraf zum 
Kaiser oder König. Nun war der König Eichter über jedes 
Mannes Lehen Eig^n und Leben, und wo er erschien, war 
ihm alles Gericht ledig. ^^) Deshalb musste er in allen 
deutschen Landen, wohin er kam, seinen Pfalzgrafen, das ist 
seinen bestellten Schultheissen vorfinden, ohne welchen er 
ebenso wenig Gericht halten konnte, wie der Graf. Denn der 



(19) Schwabensp. HI 52, 3. 

(20) Sachs. Weichbildr. 9. 

(21) Saclisensp. lU 52, 2. m 26. I 58, 2. 



14 Jahrh, der histor. Classe der k. Äkad. der Wissenschaften, 

Vorsitzende des Gerichts, welcher die oberste Gewalt darstellte, 
das Gericht eröflfhete und den Gerichtsfrieden gebot, an wel- 
chen die Parteien ihre Fragen und Anträge richteten, der 
dem Frohnboten die Weisungen ertheilte und dasürtheil ver- 
kündete, dieser, welcher vorzugsweise den Namen „Kichter" 
fahrte, musste inuner neben sich seinen Schultheissen haben, 
seinen Sprecher und Bechtsweiser, gleichsam seine rechte Hand. 
Der Schultheiss war es, der mit den Parteien verhandelte, 
die Umfrage bei den Schöffen hielt und des Eichters An- 
weisungen vollziehen liess. Er war der Bechtswissende , der 
seines Landes und Ortes Becht genau inne haben musste: 
der Graf dagegen zog umher, um in des Königs Namen das 
Gericht bald in dieser, bald in jener Gegend zu hegen. Er 
konnte unmöglich immer ihr Becht wissen, an dem Schult- 
heissen fand er überall seinen Berather und Bechtsmund vor, 
der auch zuerst aussprechen musste, was in einem Falle Bech- 
tens sei. Der Graf erschien eigentlich nur als der Gerichts- 
halter, der Schultheiss aber als die handelnde richterliche 
Person. Vor ihm musste daher, weil er als des Grafen Ver- 
treter handelte, dieser selbst Becht nehmen, wenn er verklagt 
wurde. Dies Alles ergiebt sich deutlich, wenn man die Stellen 
der Bechtsbücher mit den Ueberresten alter Gerichtsakten 
vergleicht. 

Desshalb hatte ursprünglich auch jedes der vier deutschen 
Hauptlande, Franken Sachsen Schwaben und Bayern, seinen 
Pfalzgrafen, weil ein jedes sein besonderes Stammesrecht hatte. 
Der König aber erhielt, sobald er geboren war, fränkisches 
Becht; denn an die fränkische Krone hatten sich die andern 
Länder anschliessen müssen, und die deutsche Krone erschien 
als ein Erbtheil des Frankenstammes. Also konnte der König 
auch nur nach fränkischem Bechte gerichtet werden: er musste 
Becht nehmen vor seinem fränkischen Schultheiss. Dieser aber 
war der Pfalzgraf am Bheine. 

Die geschichtlichen Nachrichten bestätigen uns die Ar- 



Loher: Bas Bechtsverfahrm hei König Wenzels Absetzung. 15 

tikel der Eechtsbücher. Pabst Urban belehrt den Kdnig 
Kichard, er müsse mit seinem Nebenbuhler Alfons sich an den 
rheinischen Pfalzgrafen wenden: dieser entscheide bei zwie- 
spaltiger Wahl, wer der rechte König sei ; das sei in Deutsch- 
land Rechtens vennöge gewisser consuetudines circa electionem 
novi regis. ^2) Als die drei geistlichen Kurfürsten König 
Albrecht absetzen wollten, beriefen sie den Pfalzgrafen Budolf, 
eligentes ipsum Kudolfiim pro judice et asserentes, ad comitem 
palatinum pertinere, quod sit officium palatinae dignitatis ex 
quadam consuetudine , de causis cognoscere, quae ipsi regi 
movebantur. ^^) 

Nun ist es aber aufl'allend, dass gerade bei Wenzels Ab- 
setzung von dieser consuetudo oder Bechtsgewohnheit abge- 
wichen wird. In der Absetzungsurkunde *^) heisst es: „Wir 
Johan Ertzbisschoff vorgenant, gots namen zu dem ersten an- 
gerufen, in gerichtes stat gesessen, in namen und wegen unser 
vorgenanteu herren und mitkurfürst^n des heiligen Komischen 
Eichs und auch unser selbs, — umb diese egenante und vil 
ander grosser gebresten und Sachen uns darzu bewegende, — 
abetun und abesetzen mit diesem unserm orteil, das wir dun 
und geben in dieser schrifift, den vorgenanten herrn Wentz- 
lauw . . . von dem Romischen Riche und von aller der wirde- 
keit und Eren und herlichkeid darzu gehörende^^ — Es hatten also 
sowohl der PMzgraf, als die beiden andern Kurfürsten, welche 
an dem Fürstengerichte theilnahmen, den Kurfürsten von Mainz 
bevollmächtigt, in ihrem Namen das Endurtheil über den 
König auszusprechen: — das aber hätte entschieden zum 
Amte des Vorsitzenden, des pfalzgräflichen „Richters^^ gehört. 



(22) Raynald. Ann. eccl. XIY ad a. 1263 §. 5. 

(23) Henr. Rebdorff ad a. 1300 bei Freher. Nov. Germ. Script. 601. 

(24) Acta depositionis Wenceslai et electionis Ruperti, qnae ülr. 
Obrechtus edidit, denno emissa a. J. C. Fiichero. Franoof. «t 
Lips. 1754. p. 48. 



16 Jahrh, der histor. Classe der h Äkad, der Wissenschaften. 

Gleichwohl sind alle vier Kurförsten, während der Mainzer 
das Urtheil fällt und verkündet, noch gegenwärtig auf dem 
Eönigsstuhl bei Bense, auf dessen Höhe sie das Gericht ge* 
halten, denn die Urkunde schliesst: „Gelesen und ussgesprochen 
ward das vorgenante orteil und Sentencie von uns Johan 
Ertzbischoff zu Mentze vorgenant, also von unser und der 
vorgenanten unser herren der mitkurfürsten wegen, an dem 
Eine by Obern Laenstein, Trierer Bistums, gein Brubach zu- 
gende, uf eyme Stule daseibist zu einem rechtstule erhaben, 
als die vorgenante unser herren und mitkurfürsten und wir 
daselbest zu gerichte sassen". Dann folgt die genaue Angabe 
des Jahres, Datums, Wochentages und der Stunde, in welcher 
das Urtheil ausgesprochen wurde, und es werden nur noch 
die Namen der Fürsten und Herren beigelugt, welche „zu 
Zeugen dieser Dinge geheischen und gebeteo waren." 

Dieser ungewöhnliche Hergang, so Hesse sich denken, hätte 
seinen Grund gehabt in einer gewissen sittlichen Scheu des 
Pfalzgrafen Buprecht, eines im Grunde edlen und weichen Ge- 
müths. Er wusste, wer statt Wenzels König wurde, und 
mochte nicht selbst die Absetzung über den Fürsten aus- 
sprechen, der für ihn vom Throne herunter sollte. Allein ein 
so zartes Bedenken — konnte es wirklich so wuchtig sein, um 
einen ernsten feststehenden Kechtsbrauch zu zerbrechen? 
Schwerlich. Der Aufechluss findet sich leichter in einer 
Stelle der Goldenen Bulle, die merkwürdig lautet. 

Wenn irgend ein Keichsgesetz, musste gerade die Goldene 
Bulle Kaiser Karl lY. entscheidende Artikel über die Ent^ 
thronung eines Königs enthalten. Denn gerade dieses Grund- 
gesetz sollte dem fortwuchemden Unglück getheilter Königs- 
wahl für immer ein Ende machen. Nun war aber dies Unheil 
nicht minder aus parteiischer Absetzung des alten, als aus 
zwiespältiger Wahl des neuen Königs entstanden. In der 
Möglichkeit der Absetzung wurzelte eine Keihe von Thron- 
streiten , welche unter den nächsten Eegierungen vor Karl IV. 



Loher: Da» Rechtsverfähren bei König Wenzels Absetzung, 17 

die traui-igen Belege zu dem Satze boten, mit welchem die 
Goldene Bulle beginnt: omne regnum in se divisum desola- 
bitur. Wollte der Kaiser dem Uebel auf den Leib gehen, so 
musste er entweder die trübe Quelle verstopfen, indem er das 
Absetzungsrecht für immer zerstörte, oder er musste sie klar 
machen, indem er darüber deutliche und bestimmte Artikel 
gab. Allein so förmlich und pünktlich sich Karl V. über 
die Wahl verbreitet, von der Absetzung schweigt er. An dies 
höchste Becht des Kurfürsten erlaubt sich der Kaiser, der 
ihre Stelluiig so glänzend ausstattete, nirgends eine Andeu- 
tung, es sei denn, man fände sie in den Worten :»necessitas 
sive casus electionis«. *^) Nur über das Pfalzgrafengericht 
enthält die Goldene Bulle einen einzigen kleinen Artikel, 
wie folgt: 

Quamvis Imperator sive Bex Eoman. super causis, 
pro quibus impetitus fuerit, habeat, sicut ex consue- 
tudine introductum dicitur, coram Comite Palatin. 
Eeni, Sacri Imperii Archidapifero , Electore Principe 
respondere: Ulud tamen Judicium Comes Palatin. ipse 
non alibi, preterquam in Imperiali Curia, ubi Im- 
perator seu Eoman. Bex presens extiterit, potent 
exercere.*^) 
Dieser Satz lässt deutlich genug zwischen den Zeilen lesen. 
Der Kaiser wirft einen Schatten des Zweifels auf das Eichter- 
amt des Pfalzgrafen: es ist ihm nicht, wife das Eeisen des 
Kurfürsten zur Wahlstadt, eine antiqua laudabilis consuetudo, * ^) 
sondern durch Herkommen angeblich eingeführt. Man sieht, 
jenes Gericht war Karl IV.^ unangenehm und bedenklich, und 
sein quamvis — obgleich es einmal da sei, — leitet die Be- 
schränkung ein, unter welcher das Pfalzgrafengericht noch 



(25) Cap. 1 au Anfang. 

(26) Cap. 5. 

(27) Cap. 1. 



)8 Jahrk, der histor. Ckisse der k. Akad, der Wissenschaften. 

geduldet werden soll. Diese Beschränkung ist eine doppeüie. 
Der Ffalzgraf soll nur dann in Klagesaehen wider den Kaiser 
XU Geeicht sitzen, wenn es erstens in imperiali curia, im £eich8- 
hofe geschieht, wo Fürstai Grafen und Herren beisanunen 
aind, *^) und wenn zw^iteüs der Kaiser persönlich gegenwärtig 
ist. Vergeblich wArde man diese zweite Bedingung durch die 
Sechtsfiction ausweiten: g^n den König, welcher auf ordeok- 
Jiche Vodadung mcbt erscheine, müsse varhandelt werden als 
,m er gegenwärtig. Denn wollte Karl lY. dies Contumacud- 
lerMren, welchea sich vor der Goldenen Bulle Yon seldoett 
verstand, weiter zulassen, wozu brauchte er dann die peisöa- 
U^ Gegestwart so bestimmt zu fordern, und zwar in nächster 
YerUndung mit dem Beichshofe? Denn imperiaUs curia ist 
nur dann vorhanden, wenn der Kaiser den Hof beruft und «r 
selb^ unter den Fairsten anwesend ist. £s erhellt also, Karl lY. 
wollte das FMzgrafengericht auf solche Fälle herabdrücken, 
iiR welchem darKjJser selbst es for angemessen hielt, vor ihm 
Secbt zu aduoeu. IKamit löst sidb auch wohl der heftige 
Streit, welchen die Staatsrechtsldirer des vorigen Jahrhunderts 
über die Frage führten, ob der Kaiser bloss in Civilklagen, 
odar auch in peinlichen Sachen vor dem Ffalzgrafen zu Becht 
stehen müsste.^^) 



lY. Gründe für Abse.tzaing eines Königs. 

Das Pfabjg^m&ngariaht war also für d^ König unsohäc^ 
lieh giemaoht, dann die GtddMM BnUe war fömiliches Beidis- 
gesete geworden. Doeh m leichten KaulsB Hessen aich die 



(28) Vgl. Cap. 26. 

(29) Olenschlager Erläuterung der Gk>ld. B. 154->I59. Dort und 
bei Schulze Seite 60—66 sind die hierher gehörigen Schriftsteller in 
den Noten angezeigt. 



hoher: Da» Beckttverfahrm Im Kä^g Wtäeda Absetmng. 99 

Fürsten ihre alte Befupiiss, in NothfUIen den EöJiig durch 
{Jrtel und Becht vom Eeiehe va hmgeoi, nicht nehmen. Sie 
))etrachteten jene Satzung der Ooldenen Bulle nur als einen 
Artikel über den Pialzgrafen^ welcher ihn^ fiQls der Kaiser 
skk nicht- stelle, nöthi^e, den Vorsitz des Gerichts aufzugeben. 
Dann konnte sofort der fieichsdcanzler, der Korf&rst von Mainz, an 
seine Stelle treten. Nichts hatte ja die Goldene Bulle über 
Wes^ und Bestand des Gericbtee selbst yer(»rdnet: den Ur- 
sachen, welche es in Thfttigkeit riefen, wüt Nidits von ihrer 
Kraft benonmien. 

Wdcber Art waren diese ürsacheaP 

Am entscheidenden Orte ^®) sagen die Bechtsbaädier nichts 
darüber. Man nmss also schMessea, d^ Thron koniite verwirkt 
werden^ wenn der König, ausser seiner Voigtei über <Me Kirche, 
die drei Pflichten nicht erfüllte, welche er in seineu 
Eid genommen. *^) 

Tria specialiter capitula in hujus regni administratione 
speciaMter coQserventur : id est, ut defensio vel exaltatio vel 
honor sanctae ecclesiae et servorum illius c(mgruu8 maneat, — 
et pax , — et justitia in omni generalitate populi conservetur. ^ ^) 
Diese Au&ählung der Pfliehteu, wie sie hier im neunten Jahr- 
hundert gegeben wurde, kebrte auch später beständig wieder. 
Bei König Konrnd II. Krönung sagte ihm der Ersbiscbof v(m 
Mainz: Quum Dens a te multa requirat, hoc potisdmum desi- 
derat: ut facias Judicium et justitiajn, ac pacem paArii^, quae 
semper respicit in te, ut sis defensor ecclesiarum et .<toir 
corum, .tutor viduarum et orphanorum. ") 

Nur gel^gentlidi nennt der Sch^ab^ißpiegel einen Grund. 



(30) Sachsensp. III 52. Schwabensp. 104. 
(31)'Scliwabeh8p. 101,1. Sachsensp. III 54.2; 
(82) Capit. Aquisgran. 825 c. 2. 

(33) Wippo Vita Conr. Sal. ad a. 1024. Cf. Friderioi I. elec- 
tio reg. 1152. 

2* 



20 Jahrb. der histor, Classe der k. Akad. der Wissenschaften, 

£ daz die forsten (den künic) kiesen, so suln si uf 
den heiligen sweren, daz si durch liebe, noch durch 
leide, noch durch gutes miete, daz in geheizen oder 
gegeben si, noch durch niht enwelen daz gevaerde 
heize, wan als in ir gut gewizzen sage. Swer 
anders weit, wan als an disem buche stet, der tut 
wider got und wider reht. Und wird ir einer dar 
nach uberreit, als reht is, daz er gut dar umbe ge- 
lobet ze nehmen oder hat genomen: daz ist symonie. 
Der hat sine Kur verloren, und sol si nimer mer 
gewinnen, und ist zu meineide. — Man soll ihn drei- 
mal vor des künics Hof laden, — und kumt er zem 
dritten niht, so sol man in meineide sagen; und 
swaz er von dem riche hat, daz ist dem riebe ledig, 
und der künic sol in ze achte tun. — Dann aber 
heisst es weiter: Und wirt der künic derselben 
schulde überkomen, so ist er ze unrehte an 
dem riche. Da sol man in umb beklagen vor dem 
phalenzgraven von dem ßine. **) 

König und Kurfürst werden in dieser Stelle sich ganz 
gleich gestellt, der eine verliert durch Urtheil im Beichshofe 
die Kur und alles Beichslehen, der Andere verliert durch Ur- 
theil des Pfalzgrafengerichts die Krone und alles, was er vom 
Eeiche hat, — der Grund aber ist für beide derselbe: sie 
haben wider ihr gutes Gewissen gehandelt, sind meineidig 
geworden. 

Noch eine andere Stelle hat der Schwabenspiegel. 

Der künic sol mit rehte diser herschefte (fahnlehen) 
deheine in siner gewalt han jar und tac: er sol si 
hin lihen. Und tut er des niht, daz klagen die 
herren und anders, daz in gebrist, dem phalenz- 



(34) Schwabensp. 109, 3. 



LÖher: Boa Rechtwerfcihren hei König Wmgds Absetzung. 21 

grayen von dem Bine, wan der ist ze rehte rihter 
über den künic.**) 

Hier also wird deutlich gesagt , dass man den König, 
wenn er erledigte Fürstenlehen ans Eigennutz behalte oder 
sonst eine Beichspflicht verletze, verklagen könne. Jedoch 
auf Absetzung wird in dieser Stelle nicht hingedeutet, üeber- 
haupt war eine Handlung des Königs, durch welche ein Beichs- 
grundgesetz gebrochen schien, noch kein Grund, ihn des Beichs 
verlustig zu erklären. Die Beichsgrundgesetze lebten meist nur im 
Oewohnheitsrecht, dieses aber war in den meisten Fällen erst 
durch das Weisthum des Pfalzgrafengerichts festzustellen. 

Da also die Bechtsbücher keine bestimmte Theorie geben, 
so sind die Thatsachen näher anzusehen, auf welche sich die 
geschichtlich gewordenen Fälle der Absetzung gründen sollten* 
Auch darin lässt sich zwar im Einzelnen keine feste Bechts-^ 
xegel finden, wohl aber blickt im Grossen und Ganzen ein 
Grundsatz durch. Dem König wird die Beichsregierung ge- 
nommen aus sittlichen Gründen, oder um vom Beiche grösseren 
Schaden zu wehren: er wird entweder als der Krone un- 
würdig, oder als dem Beiche verderblich bezeichnet. 
Das Erste tritt ein, wenn er unköniglich lebt und Handlungen 
verübt, welche ihm die Achtung der Nation rauben und ihr 
Ehrgefühl verletzen. Das Zweite ist der Fall, wenn durch 
den König das Beich an Ehre Bechten und Ländern Schaden 
leidet, sei er dabei mit böser Absicht, oder mit grober Fahr- 
lässigkeit betheiligt. Wir beginnen den Ueberblick über die 
Fälle, in denen von des Königs Absetzung die Bede, von den 
jüngsten Zeiten, um zu den ältesten aufzusteigen. 

1. Um das fahrlässige Wesen, mit welchem der Kaiser 
Friedrich III. sich in Beichssachen verhielt, zu brechen und 
ihn zu nöthigen zu thun, »was die gemein Kristenlich, des 
Beichs und Deutscher Lande Notdurft heischet«, insbesondere 



(35) Schwabensp/ 100. 



22 Jahrh. der histor. CUase der k, Akad. der Wissetischaften. 

fes Eecht zu schirmen und den Frieden im Reiche herzu- 
stellen, sandten die Kurfürsten, welche auf den Reichstagen 
za Ktaiberg 1456 und 1461 versammelt waren, zweimal an 
*en Kaiser ein Schreiben, worin sie ihm Ort und Tag be- 
Minmrten, dass er mit ihnen zusammen komme, um die Reichs- 
angelegenheiten zu ordnen. Komme er nicht, so drohten sie 
fen, wurden sie sich »umb ein andir Haupt vorsehen«, danach 
lÄÖge er sich wissen zu richten.'*) 

2. Den König Wenzel setzten 1400 die Kurfürsten ab 
»als einen unnützen versumelichen unachtbern entglieder und 
unwirdigen handhaber des heiligen Römischen Richs«, und zur 
Begründung wurden, wie später des Näheren zu erörtern ist, 
die Thatsachen angeführt, dass der König die Kirche in Zvaespalt 
lasse, das Reich mindere, in Reichssachen fahrlässig sei, des 
Friedens im Innern sich nicht annehme, und mit eigener Hand 
und mit andern Uebelthätem, die er bei sich habe, Geistliche 
und achtbare Leute gefoltert und unmenschlich getödtet habe 
Wider Recht, »das eime Römischen Könige unzemlich stet und 
lüdet«.»») 

3. Das Verfahren gegen Kaiser Ludwig IV. im Jahre 1346 
hatte zu seiner Grundlage nicht ein deutsches Fürstenurtheil, 
welches den Kaiser absetzte, sondern die Kurfiirsten, welche 
ihm den Gehorsam aufkündigten und einen Gegenkönig auf- 
stellten, fussten auf der Thatsache des dauernden päbstlichen 
B^-nnes. Aehnlich verhielt es sich mit Kaiser Friedrich 11., 
König Otto IV. und Kaiser Heinrich IV. Der Papst hatte 
die Fürsten aufgefordert, zu einer Neuwahl zu schreiten. Diese 
FäUe also lassen wir aus unserer Erwägung ausfallen. 

4. üeber die Gründe und Thatsachen, auf weldie hin die 
vier Kurförstep im Jahre 1300 zur Absetzung Königs Albrecht I* 



(36) Müller, Reichstagstheater III c. II §. 3. — IV c. VII §. 2. 

(37) Obrecht 48. 45. 



Loher: Das Bechtsverfahren hei König Wenzels Absetzung, ^ 

sdireiten wollten, sind wir nur schlecht unterrichtet. Aventin 
berichtet,*®) sie hätten ihn perfidiae et parricidii beschuldigt. 
Der gldcfazeitige ChroBist Bebdorff sagt bloss: contra regem 
poroposuerunt , quod dominum suum proprium scilicet regem 
Aidolfum occidisset, ideo rex esse non posset- *^) Wir wissen nun, 
dass die Fürsten besonders über zwei Sachen erbittert wareo^ 
nämlich, dass der König die Städte und Lande, welche Frank- 
reich Yom deutschen Beiche abgerissen, nicht zurückforderte^ 
im Gegentbeil sich mit dem französischen Hofe innig verbün- 
dete, und dass er ferner die fiheinzöUe, welche er bei seiner 
Wahl de]i Fürsten förmlich versichert hatte, wieder an's Beicb 
bringen wollte. Hierin dachten die Fürsten die Anklage des 
Meineides zu begründen: sie behaupteten, der König sei gegen 
das Beich, weil er seine Verminderung zugab, und gegen sie^ 
weil er seine Bestattungen widerrief, meineidig geworden. 
Doch wie konnten sie auch erklären, Albrecht habe seinen 
eigenen Herrn und König erschlagen? Dem Nassauer war ja^ 
durch drei jener Kurffirsten am 23. Juni 1298 die Königs* 
kröne genommen und am selben Tage dem Habsburger gege- 
ben, und am 2. Juli darauf folgte die Schlacht bei Göllheim, 
in welcher der Erste den Tod fand. Adolf war also am 2. Juli 
far die Kurfürsten, wie für Albrecht, kein rechter König mehr. 
Allein hier tritt ein anderer Umstand in die Beurtheilung ein. 
Dasselbe, was Pabst Bonifez Vni. Albrechts Gesandten eiv 
klärte: „Er ist des Beiches unwürdig, weil er durch Verrath 
seinen Herrn erschlug", das rief das Volk aus, als es von 
Adolfs Untergang hörte; denn dieser war gekrtoter König, er 
war ritterlich gefallen vor Albrechts Augen, als sie mit ihrem 
nächsten Gefolge persönlich auf einander rannten. Das war 
geschehen noch nicht vierzehn Tage später, seit die Absetzung 
aasgesprochen war, deren Vornahme die Einen, da nur drei 



(38) Aventinus, Annal. Boj. lib. VII c. 13 no. 8. 

(39) Henrie. Rebdorff. 



24 JcUtrb, der histar. Classe der k, Akad, der Wissenschaften. 

Kurfürsten daran Theil nahmen, mit Kecht för ungültig, 
und deren Gründe die Andern, und zwar nicht bloss die 
zahlreichen Getreuen des Königs, für unzureichend erklärten. 
Albrecht musste sich vor dem allgemeinen Unwillen, der sich 
«rhub, beugen, er entsagte der Krone und liess sich noch 
«inmal wählen. Aber das blutige Andenken, dass er den ge- 
krönten König erschlagen, blieb an seinem Namen haften und 
brachte ihm Hass und Schande bei einem grossen Theile der 
Nation. Als die Kurfürsten ihm zwei Jahre später an die 
Krone wollten, griffen sie dahinter und erklärten: dass er als 
ein parricida des Thrones unwürdig angesehen werde. 

5. Bei der Erzählung des Verfahrens der drei Kurfiirsten 
von Mainz Brandenburg und Sachsen gegen den vorgenannten 
König Adolf, giebt die Kolmarer Chronik eine Art Absetzungs- 
urkunde.*®) »Post electionem suam Adolfus rex sapienter se 
tenuit, electoribus atque prudentibus acquievit. Post breve 
tempus sapientum concüia sprevit, juvenum consiliis acquievit, 
et regenda minime terminavit. Divitias per se non habuit, 
nee amicos, qui eumvellent fideliter juvare. Electores videntes 
hos defectus regis et plus quam viginti alios . . . auctoritate 
igitur nobis commissa Adolfum regem insufficientem inve- 
nientes, absolvimus eum a regimine dignitatis«. Hier wird 
das Hauptgewicht darauf gelegt, dass Adolf ein unköniglicher 
Mann sei, junge unerfahrene Leute zu seinen Ministem mache, 
die Eeichsgeschäfte liegen lasse, sich weder Macht noch An- 
hang zu verschaffen wisse, also kein königliches Ansehen habe, 
ein rex insufficiens sei, unpassend für die dignitas regiminis. 
Trithemius und andere Chroniken*^) fahren nun die That- 
. Sachen, auf welche die Kurfürsten sich stützten, näher an: 

1. dass Adolf kein Mehrer, sondern Minderer des Eeiches sei; 

2. dass er Becht und Frieden im Inneren nicht stärke, son- 



(40) Chron. Colmar. ad a. 1298 ap. ürstis. Rer. Genn. 

(41) Chron. Hirsaug. — Siffridus Presb. II 59. — Albertus Argentin. 



höher: D<m Bechtsverfahren bei König Wenzels Absetzung, 25 

dem verwirre und zerstöre, die Fehden aller Orten nicht unter- 
drücke, sondern wüthender Kriege Urheber sei; 3. dass er 
die Kräfte der Beichsstände durch unnütze Kosten, unerträg- 
liche Steuern, und durch innere, nicht auswärtige Kriege auf- 
zehre; 4. dass er Fürsten Adel und Klerus mit hochmüthiger 
Verachtung behandle, alle Beichsgeschäfte, selbst die wichtig- 
sten, bloss nach seinem Kopfe entscheide, und nicht den Bath 
der Fürsten, sondern gemeiner Leute Anschläge befolge; 5. dass 
er, was ganz besonders unwüi'dig, Geld vom englischen Könige 
genommen und die beschworene Hülfe ihm dennoch nicht ge- 
leistet habe; 6. dass er die Strassenräuber ihr Wesen treiben 
lasse und es gelitten habe, wenn sie fast alle ihre Burgen, 
die ihnen König Budolf zerstört, wieder aufbauten. Dieses 
w'aren die Hauptgründe, zu welchen noch andere hinzu traten, 
wie dass er durch seine Soldaten Frauen und Nonnen habe 
entehren lassen, und dass er seine brieflichen Zusagen ge- 
brochen. — Es erhellt aber deutlich aus dem Allen, dass die 
drei Kurfürsten König Adolf als einen Mann hinstellten, der 
dem Beiche Verderben zugleich und Schande bringe. 

6. Ueber das Verfahren bei der Absetzung Karls des 
Dicken 887 ist uns nichts Näheres berichtet. Dass aber ein 
Absetzungsurtheil vorhergegangen, lässt sich sowohl aus dem 
früheren Beispiele unter Ludwig dem Frommen, als aus der 
Natur der Sache, weil vor der Neuwahl des Königs der Thron 
erst musste erledigt sein, als endlich auch aus den Worten 
der Quellen schliessen. »Ab illo ergo die« , heisst es in den 
fuldischen Annalen, »male inito concilio, Franci et moresolito 
Saxones et Thuringi, quibusdam Alamannorum ammixtis, cogi- 
taverunt deficere a fidelitate imperatoris, nee minus perficere. 
Igitur veniente Carole imperatore Franconofurt, isti invita- 
verunt Amulftim, filium Carlmanni, ipsumque ad seniorem 
elegerunt, sine mora statuerunt ad regem extolli«. Während 
hier die Sache als ein Treubruch aufgefasst wird, heisst es in 
den Annales Vedast.« : Franci vero australes videntes impera- 



26 Jahrh. der histor, tlasse der k. Akad. der Wissetiscliaßen. 

Wris vires ad regendum Imperium invalidas, ejecto 
60 de regno, Amnlfum, fiüimL Garlmamii, qui ejus nepo& 
etat, in regni solio ponunt«. Karl der Dicke wurde aLsonadi 
dieser Stelle für einen rex insuffidens erklärt. 

7. Ueber die Gründe, weniger über den Vollzug von 
Kaiser Ludwig des Frommen Absetzuiig im Jahre 833 ver^ 
iNreiteten sich die Quellen ausführlich.^^) Er selbst brannte 
zu Compiegne bei seiner öffentlichen Busse: »ministerium 
sihi commissum satis indigne tractasse et ideo ob tan- 
torum reatuum expiationem publicam et ecdesiasticam se ex- 
petere velle dixit poenitentiam .... Post haue confessionem, 
chartulam suorum reatuum et confessionis ob ftituram memo- 
liam sacerdotibus tradidit, quam ipsi super altare posuerunt«. 
Die Absetzung, als ein weltlicher Gerichtsakt, war schon 
vorher gegangen: es war ihm »divino justoque judicio subito 
imperialis subtracta potestas«. Die öffentliche Ejrchenbus93 
sollte far den »adjudicatum absentemet inauditum, nee confi- 
tentem neque convictum« '*^) nachfolgen, um den Kaiser för 
immer bei dem Volke herabzusetzen. Deshalb erklärte er sich 
auch, unter Ablegung seines Schwertgehänges, als einen un- 
wehrhaften Mann.**) Schuld g^eben aber wurde ihm Vieles« 
»Examinata suntmulta, quae per negligentiam in hoc imperio 
contigerunt, quae ad scandalum ecclesiae vel ad ruinam popuM 
vel regni interitum manifestis indicüs pertinebant . . . Begnum, 
sicut Omnibus manifestum erat, per ejus improvidentiam vel 
negligentiam, in tantam venit ignominiam et vüitatem, ut non 
solimi amicis in moestitiam, sed etiam inimicis venerit in 
derisionem«. In der cartula reatuum wird ihm Schuld gege- 
ben: Missbrauch der Beligion und des Familienrechts, Zer- 



(42) Episcoporum de exauctor. Hludow. imp. rel. Pertz Leg. I 
366—369. 

(43) Vita Hludowici imp. Pertz II 837. 

(44) Vgl. H. Schnitze 10—16. 



Loher: Da» Sedhüteffakren bei Kimig Wemek Ahseizunß. 27 

Strang des Fmedensbrnuliiisses ^iner Söhne, Veracbtang d«r 
heiligen Zeiten, Verleitung zu falschem Uiiheil wid Tödtong 
Unschuldiger, schlechte fiechtspi^e, verderMiche Heereszüge, 
Iraranmt eine Menge ungenamriter Thatsadien^ ans wddieii 
nicht Uoss »regni periclitatio et regis dehonestatio« , s<Midern 
zidetzt yp(q)uli communis interitos« hery(»:gehe. 

Es war also bei der ersten Königsabeetzong dasselbe 
Verfahren, wie bei der letzten. Es wurden Thatsachen ver*- 
aeichnet, aus welciien hervorgehen sollte, dass der König d^ 
Krone unwerth sei. Nicht die Thatsache an sich war die 
Ursache der AJasetzong, sondern insofern sie den Beweis liefetter 
dass der König dem Keiehe Schaden und Schande bringe. 
Alle solche Thatsachen Uessen aidi nicht zum Voraus theore^ 
tisch bestimme, das öffentliche Nati<»ial- und Ehrgefühl sprack 
wtsenüich mit, wie die eine oder andere an&ufassen. Es ev^ 
Uärt sich daher auch, warum die Bechtsbücher sich enthalten, 
Qivmde für die Absetzung eines Königs anzugeben, obwohl sie es für 
geböte hielten, das Becht des Papstes, einen deutschen König 
in den Bann zu tfaun, zum Voraus auf bestimmte Fälle zu 
beschränken. 



V. Fürsten- und Städtekrieg. 

Ehe wir nun untersuchen, ob die Gründe, welche iur 
Wenzels Absetzung angduhrt wurden, historisch und juristisch 
haltbar sind, ist es nöthig, über Gang und Inhalt seiner Be- 
gieiomg zuvor einen Ueberblick zu nehmen. Die Thatsachen, 
welche hierbei in Betracht zu ziehen, m.i von Pelzel, Palackjy 
insbesondere von Höfler, der in's Einzelne eingehend seine 
Yergänger vieKach berichte, aus den Quellen im Ganzen ge^ 
BiBuaien fei^estellt. Dagegen erscheinen dieselben Thatsach^ai 
bei allen drei Sduiftstellem etwas verschoben und im Einzelnen 
B^pnchmal unrichtig aufgefasst. Wenn man sie in ihrer natür^ 



28 Jahrh, der histor. Cltisae der k. Akad. der Wissemchaften. 

liehen Verbindung Zeitfolge und Bedeutung betrachtet, ge- 
währen sie ein anderes Bild. 

Die lange Begierung von Wenzels Vater erschien für 
Deutschland als eine friedliche. Auf die heftigen Stürme, 
welche unter dem tapfem Ludwig dem Bayer das Eeich er- 
schüttert hatten, war ein Menschenalter gefolgt, in welchem, 
die Menge der unvermeidlichen kleinen Fehden abgerechnet, 
die tiefen Gegensätze zu ruhen schienen, welche Deutschland 
innerlich bewegten. Kaiser Karl IV., der grosse Meister aller 
Friedenskünste, hatte gedämpft und beschwichtigt nach jeder 
Seite. Mit allen Mächten wusste er sich gut zu stellen: frei- 
lich geschah das unter Einbussen des Reichs, aber es geschah 
immer mit dem schönsten und würdigsten Anstände von der 
Welt. Um die Kaiserkrone und den Frieden mit dem Papste 
zu haben, unterschrieb er, was die Curie nur begehrte. Er 
ging soweit, dass er den Fabst ersuchte, er möge doch seinen 
Sohn Wenzel zum römischen König „ernennen". Die Freund- 
schaft des französischen Hofes hielt Karl IV. des Opfers von 
alten Eeichsrechten über einige Lande werth, die er doch ver- 
loren glaubte. Was damals Glorreiches durch deutsche Waffen 
gethan wurde, wie von den Hansestädten im Norden, begann 
und erfolgte ohne den Kaiser. Der innere Frieden wurde 
erkauft, indem der König den Fürsten die Eeichsgüter nicht 
bloss, sondern auch, soweit es möglich war, die gemeinen 
Freien preisgab. Wohl empfand Deutschland die Wohlthat 
seines friedlichen Strebens, — allein geheilt, gründlich geheilt 
war kein einziges der grossen Gebrechen in Staat und Kirche. 
Das Hauptziel seiner Begierung, — Böhmen zum Stützpunkte 
der deutschen Krone zu machen, und zum Hauptlande, an 
welches deutsche Länder anzuschliessen , — hatte Karl IV. 
allerdings beinahe erreicht. Dagegen sein grosses Eeichsprojekt, 
in dem Verbände der sieben Kurfürsten eine ständige Ordnung 
des Beichs zu begründen, ihren Landen möglichst viele an- 
dere anwachsen zu lassen, darin die alten Nationalherzog^ 



Loher: Bas Rechtsüerfahren bei König Wenzels Absetzung. 29 

thümer herzustellen, — dieses Project, das er in der Goldenen 
Bnlle verfolgte, sah er nur zum kleinen Theile in Erfüllung 
gehen. Unterdessen war die französische Politik, mitten unter 
ihren englischen Bedrängnissen, gegen Deutschland kühner 
und thätiger geworden. Das Fabstthum war den französischen 
Einflüssen noch nicht entrückt: zwei Monate vor des Kaisers 
Tode trat ein französischer Papst dem römischen gegenüber. 
Auch der sociale Gegensatz, welcher Kaiser Ludwigs Begierung 
in Deutschland so unheilvoll erfüllte, hatte nichts von seiner 
Schärfe verloren. Je mehr der Kaiser den Fürsten zugestand, 
um so höher stieg Macht- und Selbstgefühl in den handeis- 
und wafifenreichen Städten; je glanzvoller die Eitterschaft ihr 
Haupt erhob, um so grimmiger stiessen die derben Männer 
der Zünfte das alte Patriziat aus den Städten hinaus. Hier 
Fürsten und Herren, dort freie Bürgerschaften, — beide Mächte 
waren noch im letzten Begierungsjahre des Kaisers mit wilder 
Wuth über einander hergeiallen, mit Mühe hatte er sie be- 
schwichtigt. 

Unten solchen Umständen bestieg Wenzel den Thron, ein 
sehr junger Mann, dessen Leben noch keinen andern Inhalt 
aufzeigte, als grosse Jagdlust und Neigung für Gelage und 
hübsche Bürgertöchter. Hohe Berge von Aufgaben lagen vor 
ihm. Seine Kraft daran zu setzen, dazu hatte er guten Willen, 
war auch nicht ohne natürlichen Witz und Verstand. Schon 
frühe aber äusserte sich sein schlimmster innerer Feind: Mangel 
an würdiger Haltung, laimiges Abspringen vom Ziel, Lust 
wenn es drunter und drüber ging. 

Die erste Aufgabe war, Ordnung im Heiligsten zu schaffen, 
in der Kirche. Als keines der beiden romanischen Völker, 
weder die Franzosen noch die Italiener, den Vortheil des 
päbstlichen Primats aus den Händen geben wollte, da musst<e 
der deutsche König dazwischen fahren, nach Eom ziehen, die 
Ordnung herstellen, die Curie mit deutschen Kräften erfrischen, 
die deutschen Bischöfe, welche den Cardinalshut ausschlugen, 



so Jahrb. der JUstor, Classe der k, Aktid. der Wissenschaften. 

aur Annahme der Würde und zur Erfüllung der Pflichten:» 
welche sie enthielt, zwingen. Doch der König war ein siel>- 
zehnjähriger Jüngling, und die Zeit der Ottonen und Sali» 
längst vorbei. Die Politik seines Vaters hatte Wenzel Fern* 
kalten von den römischen Händeln gelehrt. Er war überdies 
durch die deutschen Wirmisse gebunden. Auf Anrathen der 
riieinischen Kurfürsten that er wenigstens das Nöthige, um 
dem römischen Pabste Urban durch das einmüthige Aner- 
kenntniss Deutschlands einen mächtigen Halt zu geben, und ^ 
England zu seiner Obedienz herüberzuziehen. Es war insbe* 
sondere der alte Kurf&rst von der Pfalz, der seine Genossen 
von Köln und Trier im Jahre 1380 zu dem entschiedenen 
Entschluss und Bündniss brachte : sie wollten Jeden im Beiche^ 
der Urban, »der ein rechter erweiter und gecroneter Babist 
ist und auch in rechter Besitzunnge Bebsüichs Stols«, nicht 
anerkenne, an seinen Landen Schlössern und Leuten angreifen, 
schädigen und verderben, so stark sie es könnten, ihm auch 
seine Zölle zu Wasser und zu Lande zerstören. ^*'^) 

Auch in lleichssachen hörte der junge König auf den 
Bath redlicher Männer. Es kam Alles darauf an, einen neuen 
Kriegsausbruch zwischen Herren und Städtern zu verhüten. 
Denn schon zogen hier und dort streitlustig die Banner und 
Fähnlein, es entstanden ritterliche Gesellschaften und suchten 
Anlehnung an mächtige Fürsten. Die Städteboten tagte» 
unaufhörlich und berechneten die Massen ihrer Eeisigen und 
Wagenburgen und die Tiefe ihrer Geldkassen. Me Fürsten 
aber versicherten einander in^eheim ihres Beistandes. Konnte 
das Eeichshaupt diese Alle noch im Schach halten ? Oder auf 
welche Partei sollte es selbst sich stützen? Waizels Vater 
hatte es mit den Fürsten gehalten, der Sohn neigte den 
Städten zu. In der That, eine kluge Politik konnte, gestötet 



(45) Wencker, Apparatus et instructus Archivormn. Strtis*^ 
bmg 1718. S. 224. 225. 226. 



höher: Bus Bechtsverfahren hei König Wenzds ÄbseiMmug. 31 

anf die Städte, noch immer Grosses erreiehen, noch immer 
gründlicher durchgreifen, als Albrecht I. es fhat: ein starker 
Neubau des Reiches war noch möglich. Die Bargergemeinden 
brauchten Nichts, als einen königlichen Führer, der in ihse 
von Natur langsamen Verbindungen Schwungkraft brachte, 
der ihr halbes und unklares Wollen auf ein helles Ziel hift- 
fahrte. Noch war die städtische Macht der forstlichen üb^- 
legen, noch Hessen sich zahllose Städte mit leichter Mühe 
reichsfrei machen, noch konnte das Pfal- und Äusbürgerwesen 
d^ Fürstenherrschafk den Boden unter den Füssen unterhöhlen. 
Und wie, wenn es weiter gelang, auch die freie Bitterschaft 
um den König zu sammeln, auch ihr eine Stellung zu yer<- 
jßhaffen, die ihrem Freiheitsgefühl und ihren Kräften entsprach! 
Der Weg zu solcher Beform des Beiches war in den Land- 
friedensbünden gegeben. Ganz Deutschlaaid musste sich mit 
j9olchen Bünden bedecken, der König sich in jedem Bunde an 
^ie Spitze stellen, in dessen Verwaltung aber mussten auch 
idie Bischofs- und Fürstenstädte Sitz und Stimme erhalten: 
Dann liess sich mit der G^sammtheit der Landfriedensbünde 
und ihrer Glieder, denen nun thatsächlich ein bedeutender 
Theil des Kriegswesens zu ordnen oblag, der Beichstag neu 
bestellen. 

Wenzel betrat diesen Weg und mit Glück. Der rasche, 
immer grössere Gebiete umfassende Abschluss der Landfrieden^- 
bündnis^e, welche unter des Königs Führung zu Nürnberg, 
Heidelberg, Mergentheim zu Staude kamen, bewies, was zm 
jerreichen stehe, üeberall, wo diese Bünde tagten, zeigte sieh 
4sLS Uebergewicht der Städte. Schwieriger war es, die Bitteiv 
«cbaft in die richtige Stellung zu den Städten zu bringea. 
Das Ausbürgerwesen, das bereits emea ansehnlichen Theil dets 
Landadels umfasste, liess sich jedoch trefflich dazu benutaen. Der 
König begünstigfte einstweilen die Bitterbände, wie er ubeiv 
haupt sich mit allem schien einzulassen, was der Fürstenherr- 
schaft gefährlich war. 



32 Jahrb, der histor, Glosse der h Äkad. der Wissenschaften. 

In welchem Grade die Landesherren besorgt und erbittert 
waren, zeigt sich darin, dass sie im Jahre 1386, — im Anblick 
und Nachahmung dessen, was die westfälische Fehme damals 
vermochte, — einen geheimen Bund geschlossen hatten, welchen 
sie ihren Faym Messen. Wollten sie nun an Einen heran, 
so wurde ein Eechtsvorwand gegen ihn gesucht und er vor- 
geladen. »Wildenne«, so schrieben es dieülmer an die andern 
Städte, »eyner den Faym nitsweren, oder wilsich nit verant- 
worten, er sy uf dem Land oder in den Stedten gesessen, so 
verfaymt man in. Item und wer denne verfaymt wirt, so hat 
man Faym-Grrafen heimlich darüber gesetzt, dass nieman weiss, 
wer die Faym -Grafen sint, denne sie selber unter einander, 
und dieselben Faym-Grafen und auch alle die, die den Faym 
geswom haben, sint des gebunden by iren Eiden, dass sie alle 
die, die verfaymt sint, wo sie die ankomen, ane alle urteil 
haben sollen«. Auf das Letzte kam es an: einen Verhasst^ 
den verschworenen Genossen als heimlich Verurtheilten zu be- 
zeichnen, an welchem Jeder sich erholen könne, ohne ihn erst 
vor ein Gericht zu fordern. Ganz besonders aber war der 
Faym darauf angelegt, die Untersassen der Landesherren, 
sowohl Edelleute als Bauern und Städte, durch geheime Eide 
und Furcht so zu verstricken, dass sie es nicht wagten, als 
Pfal- oder Ausbürger in der Städte Schutz und Scliirm zu 
treten. **) 

Soweit war es bereits in Deutschland gekommpn. Der 
grosse Städtebund erhob sich zu einer furchtbaren Macht, die 
Eittergesellschaften verstärkten sich, den Fürsten wurde bange, 
wie sie sich der neuen Dinge erwehren könnten. Da — als 
Alles sich drohend gegenüberstand — erlosch plötzlich des 
Königs Wüle und Thätigkeit. Sein Geist schaute nicht in's 
Weite, und noch früher ging ihm die Lust aus, eine ernste 
Auigabe zu verfolgen. Nachdem er die Fürsten erbittert. 



(46) Wencker 248—249. 



Loher: Das Rechtsverfahren hei König Wenzels Absetzung. 3S 

Städte und Kitterschaft in Gährung gebracht liatte, ging er 
taf zwei Jahre nach Böhmen und überliess Alles sich selbst. 
Vergebens sandten ihm die Beichsstände Boten, dass er wieder 
miter ihnen erscheine. 

Nun entluden sich die Gewitter. Es verbürgerte sich 
ein halbes Hundert deutscher Städte mit den Schweizern. Es 
folgte die furchtbare Sempacher Schlacht, in welcher Leopold 
von Oestreich fiel, der Löwe def Eitterschaft, und mit ihm so 
viele Herren und Edle erschlagen wurden, dass Wehklagen 
ersdioll auf allen Schlössern Süddeutschlands. Der König 
kam jetzt nach Nüi*nberg, jedoch nur, um sich mit neunund- 
dreissig Städten zu Schutz und Trutz zu verbünden. Wenzel 
verhiess ihnen, ihren Bund und ihre Freiheiten aufiecht zu 
kalten wider Jedermann, und die Städte schwuren : sie wollten 
ihm helfen wider Jeden und besonders gegen den, welcher 
sich zum römischen Könige aufwerfen und ihn vom Beiche 
drängen wolle. *") Man sieht, wie schon damals die Fürsten 
zmn Aeussersten entschlossen waren und Pläne machten, sich 
des Königs durch Absetzung zu entledigen. Noch ein anderer 
Vorgang beweist das. Der Kurfiirst von Mainz suchte sich 
nrit Eheinstädten auf guten Fuss zu setzen und verlangte von 
ihnen die Verpflichtung: wenn Wenzel mit Tod abgehe, oder 
das Eeich sonst erledigt würde, nur den als König anzu- 
erkennen, welchen der Kurfiirst mit zwei oder mehreren Kur- 
ftrsten wählen werde. **) 

Diese Eheinstädte lagen bereits in wildem Kriege mit 
dem PfiUzer Kurfürsten. Noch einmal gelang es, zuMergent- 
hdm am 5. November 1387, den Landfrieden, das hiess nur 
noch den Waffenstillstand, auf zwei Jahre zu verlängern. Da 
wollte es vierzehn Tage später das Unglück, dass Pfelzgraf 
Enprecht an den Erzbischof von Salzburg, der mit den Städten 



(47) LüDig, Spicileg. pars sp. cont. IV., Th. I p. 881. 

(49) Schwab, Geschichte des rheinischen Städtebandes. 366 if. 

3 



34 Jahrb, der histor. Glosse der k, Akad. der Wissenschaften. 

sich besonders verbündet hatte, Hand anlegte wider Kecht 
und Geleit: sogleich stand Alles in Flammen. Wenzel rief 
die Städte zum Kampfe auf wider den Landfriedensbrecher, 
er selbst, der König, schickte ihm einen Fehdebrief. Man 
musste erwarten, er werde sich an die Spitze der längst ge- 
rüsteten Städtemacht stellen, das Beispiel König Albrechts 
wiederholen, die Fürsten schrecklich zu Paaren treiben. Allein 
Wenzel lag wieder verstrickt' in seinen böhmischen Händeln, 
während ein entsetzliches Kriegswüthen Deutschland verheerte. 
Vom Ehein bis an den Böhmer Wald und bis an die Alpen 
sah man brennende Schlösser und Dörfer, zerstampfte Saaten, 
ausgerodete Weinberge, zahllose Schlachtfelder voll Leichen. 
Den Städten fehlte ein Oberhaupt: so waren sie hier und dort 
besiegt, ehe sie im Plane einig und mit ihrer Heeresmacht 
beisammen waren. lieber ihre Niederlagen erbittert, geriethen 
sie unter einander in Aerger und Misstrauen. Jetzt unter- 
handelten die geistlichen Fürsten eiMg den Frieden, und jetzt— 
fiel Wenzel von den Städten ab. Die Fürsten und Herren 
gelobten sämmtlich: sie wollten von ihren Bündnissen lassen 
und einen Landfrieden schwören, welqhe Stadt das auch thue, 
solle mit ihnen allen gesühnt sein. Da verkündigte der König 
im Mai 1389 den Landfrieden zu Eger, und gebot allen 
Städten, ihn zu schwören. Alle ihre Bündnisse sollten abge- 
than sein, nur des Eeichs und Königs Landfriedensbund soUte 
bestehen. Allerdings, das war das einzige und richtige Prin- 
cip, wenn man einmal nichts mehr wollte, als das Keich lassen 
wie es war. Doch woher sollte dann auf die Länge die Macht 
kommen, den Frieden zu wahren? Zögernd und missmuthig 
traten die Städte dem Landfrieden bei, jedoch nicht alle. 

Diese Ereignisse liessen einen tiefen schweren Eindruck 
zurück. So plötzlich, so frirchtbar hatte man sich in einem 
allgemeinen Kriegswüthen befunden, mitten in Deutschland, 
ohne dass, wie sonst, Gegenkönige das Eeich theilten. Alles 
erkannte, dass Deutschland ge&hrlich erkrankt war, und dass 



Löher: Das Bechtaverfahren bei König WenzeU Ahseteung. 35 

sein Arzt ein leichtsinniger Pinscher war. Der Städtebund hatte 
einen heillosen Stoss erlitten, vor den Augen der Fürsten hatte 
sich plötzlich ein Abgrund aufgethan : Alles war aufs Aergste 
gekränkt und erbittert. Der König aber war es gewesen, 
welcher die Parteien wider einander au%estört, und als es 
zum Schlagen kam, hatte er sich von jeder Partei fem gehal- 
ten, und zuletzt so sehr allen Halt verloren, dass er nach 
der Fürsten Willen die Städtebünde für unrecht und ungültig 
erklärte. Von da an war Wenzels Ansehen so tief, so allge- 
mein erschüttert, dass es sich niemals wieder erholte. Kein 
Mensch traute ihm mehr. Der König, so schrieb der Nürn- 
berger Patrizier Ebner, habe es gern gesehen, und allen Fleiss 
angewendet, dass Fürsten und Städte einander geschwächt und 
zu Nichts würden, damit er ihre gefürchteten Bündnisse als- 
dann leichter auflösen, selbst aber des Reiches Szepter und 
Krone behalten möge; deshalb habe es ihm auch behagt, dass 
so viele Eitterbünde aufgestanden und an Macht und Gewalt 
trefflich zugenommen, — wie er denn auch anfangs die Ge- 
sellschaft der Schlegler auf eine gewisse Zeit bestellt und ihr 
2000 Gulden zugeschickt, dass sie seiner warten und ihm 
behülflich sein solle, wenn er ihrer bedürfen würde. *^) »Gott 
gebe dem Beiche und der heiligen Christenheit dermaleinst ein 
rechtes Haupt«, schrieben die ßegensburger in ihr Stadtbuch. *®) 
Wenzel selbst, vor dessen Geiste jetzt erst die furchtbare Höhe 
seiner Aufgaben und die eigene innere Leere klar wurde, dachte 
an Abdankung. Sein ehrsüchtiger Vetter, Markgraf Jost, be- 
warb sich bereits um die Kurstimmen. * ^) Die Kurfürsten 
aber, welche sich nicht zum drittenmal einen Luxenburger 
wollten aufdrängen lassen, verbündeten sich im Jahre 1390, sich 
gegen Jedermann, der ohne ihren Willen nach dem römischen 



(49) Wencker, Apparatus et instruct. archiv. 1713, p. 255. 

(50) Gemeiner, Regensburger Stadtbuch. 261. 

(51) Palacky, Gesch. von Böhmen. Ill 1. S. 51—52. 

3* 



36 Jähr^. äer higk)f: Cia>sH der k. Äkad, der Wissenschaften, 

ftöiche imiit gewÄlt stellen oder darumb krigen wollte oneder 
tiirfürsten willen«, getreulich zu helfen, »dnrchdass dasRiche 
fe öeyme Wesen und Eren Wiben möge als das herkomen ist«. **) 



VL Wachsende Erbitterung gegen Wenzel. 

Die defütsche Geduld brachte indessen Alles noch einmal 
in's Gleiche. Der König war jetzt siebenundzwänzig Jahre 
alt geworden, und man durfte hoffen, so herbe Erfahrungen 
hätten ihn gereift. Was that nun Wenzel? Gerade das 
Schlechteste, was er thun konnte. Statt in tüchtiger Tätig- 
keit Ansehen und Ruf herzustellen, ging er nach Böhmen und 
kam in acht Jahren nicht wieder nach Deutschland. Die ver- 
worrenen deutschen Geschichten waren ihm gründlich zuwider 
geworden: nun liess er sie gehen, wie sie gehen wollten. Es 
t^ar unerhört, dass ihr König das den Deutschen zu bieten 
Wägte. 

Da fanden denn fi-eien Spielraum all die schrecklichen 
Gerüchte von des Königs Treiben und ünthaten. Man hörte, 
dass er den Wucher der verhassten Juden beschütze, und die 
Prager unter ihnen ein grässliches Blutbad angerichtet; dass 
^r sich mit Günstlingen gemeiner Abkunft umgebe ; dass wüthen- 
des Jagen seine einzige Lust und Freude; dass ein Vergif- 
tungsversuch in seinem Innern einen brennenden Durst zurück- 
gelassen, den er durch unmenschliches Trinken zu löschen 
suche. Dies und vieles Andere wurde vom Gerüchte übertrie- 
ben: eine fürchterliche Thatsache aber, die weltbekannt, war 
nur zu wahr. Wenzel theilte den Hass gegen die GeistMchkeit, 
der schon damals in den deutschen Städten sehr verbreitet 
war. Einst, im Streit mit dem Prager Erzbischof, gerieth er 
in Wuth, liess dessen Vicare ergrrifen, foltern, brannte ihren 



(52) Wencker, 413. 

-f. 



Jjöher: Das Rechtsverfah'en bal König W&iizeh ÄbsetJ^ung. S7 

Leib mit eigener königlicher Hand, und üess den einen von 
ihnen, Johann von Pomuk, geknebelt in die Moldau werfeiL 
Auch die hochberühmte Universität Prag litt schwer unter 
«einen Eingriffen: Huss, der Führer der Czechen, erhielt diQ 
Oberhand, die deutschen Studenten mit den vornehmsten Pxo^ 
fessoren fingen an auszuwandern und eifüllten Deutächlan4 
mit ihren Klagen und Verwünschungen. Ihnen auf dem Fussa 
folgte die Kunde: Wenzel liege in Haft, sein Bruder und diQ 
böhmischen Landherren hätten Hand m ihn gelegt, ihn voq 
Schloss zu Schloss und zuletzt nach Oestreioh geschleppt. Da 
l^ber fühlte das deutsche Volk sich in seinem König misshan-* 
delt, ein Reichsheer setzte sich nach Böhmen in Bewegung, 
der verzagte Wenzel erhielt seine Freiheit wieder. Auf seiner 
Ehre blieb ein gräulicher Flecken haften. Wei;in sein eigenes 
Erbland stets voll Aufruhr und Verwirrung war, was liess sich 
von Wenzel Durchgreifendes für Deutschland hoffen? 

Jeder Einsichtige wusste zuletzt, was er an diesem Könige 
hatte, und gab alle Hoffnung auf. Wenzel war nicht boshaft, son- 
dern von Natur gutmüthig, wohlmeinend und leicht versöhnt. 
Er war gebildet, sprach gut Latein, und wusste sich, wenii 
er nüchtern war, freundlich und fürstlich zu benehmen. Allein 
eine Eigenschaft hing ihm an: er war launig und charakterlos 
aus Schwäche. Wenn sich vor ihm ernste Aibeit erhob, die 
Muth verlangte, dann überfiel ihn plötzlich feige Trägheit, 
dann wurde er unmuthig und störrig wie- ein eigensinniges 
Kind, dann liess er sich von Zorn und Wein übermannen, 
und konnte wüthen wie ein wildes Thier. ^*) Wenzels Charak-^ 
ter zeichnet der Brabanter Geheimsekretär Edmund Dyntey, 
ein kluger weltgewandter und wahrhaftiger Mann, insoweit 
höfische Rücksicht seine Feder nicht zurückhielt.^*) Dyu- 
ter schildert unter Anderm, wie Weji^el ihn in Prag als 



(53) Wencker 260. 

(64) Dynter, Chronica nob. duc. Loth. et Brab. tom. III. oap. 88 
p. 72—78. 



> 



38 Jährt, der histor. Glosse der k. AJcad, der Wissenschaften, 

Gesandten empfing, und sagt dort: »Qui quidem Wenceslaus 
diu vixit et suo tempore nichil aut modicum boni fecit neque 
lande seu narracione dignum. Quando ad leticiam vel sobrie 
bibit, tunc fuit optime conversacionis, prudens et discretus 
princeps; comites et barones et oratores sive nuncios regum 
et principum ad ipsum yenientes honorifice, sicut regalem decet 
magnificenciam, receptavit benigne audivit et generöse pertrac- 
tavit. . . Pari modo ambaxiatores ducis Anthonii (Brabant.), 
cum quibus ego ad suam majestatem fui missus, in suis castris 
Karlestyn, Toetzinck, et Nuwenhuse benigne recollegit et graciose 
audivit et eipedivit. Et literas Serenissimi quondam Earoli 
regis et aliorum principum Francie in latino scriptas, per nos 
sibi presentatas, ipsemet aperuit, legit et continenciam ipsarum 
nobis exposuit, et de statu eorundem affectuose per nos cer- 
ciorari desideravit; similiter et de statu baronum ducatuum 
Brabancie et Lucemburgis, quorum noticiam aliqualem habuit 
ut asseruit; fuit enim bene literatus, latinum congrue loquens. 
Meque postea per manum capiens duxit in quandam aulam, 
in qua preciose imagines omnium ducum Brabancie sunt depicte, 
dixitque ad me, quod illa sua esset genealogia. . . Quando vero 
ipse rex Wenceslaus bibit excessive et ad ebrietatem, incurrebat 
quandam furiam, et fiiit tunc multum perversus ap periculosus«. 
Zur sittlichen Verachtung gesellte sich in Deutschland 
mehr und mehr der politische Hass, denn Wenzel verdarb es 
gründlich mit allen Parteien. Geschickt im Anzetteln der 
Dinge, überliess er die Entscheidung dem Zufall. Er hatte 
die Eitterbünde gefördert, und königlich gesinnt erwarteten sie 
Viel von dem Könige. Als aber der grosse Schleglerbund 
1395 in Krieg mit den Fürsten gerieth, liess We,^zel gerade 
90 die Bitter im Stich, wie einst die Städte. Der Bund wurde 
zersprengt. Die Bitter waren empört, aber die Fürsten groll- 
ten nichtsdestominder über die neue Gefahr, welche ihnen der 
König zugedacht hatte. Den Fürsten zum Gefallen erklärte 
Wenzel den Eitterbund für reichswidrig, und um den Adel 



Loher: Das Becktaverfahren hei König Wenzels Absetzung, 39 

ZU begütigen, nahm er Bitter und Knechte des Schleglerbun- 
des in seinen persönlichen Dienst. Die fränkischen Beichs- 
städte aber verbanden sich mit benachbarten Fürsten wider die 
Bäubereien der Schlegler, die kein Becht annehmen wollten.**) 
War es zu verwundem, wenn jetzt funfeehn schwäbische Beichs- 
städte sich mit dem Herzog von Oestreich verbündeten, und 
ihm versprachen, sie wollten zu ihm stehen, dass er die Krone 
bekomme, wenn das Beich erledigt würde? 

Zu dieser Zersetzung des Beiches im Innern brachten die 
nächsten beiden Jahre schwere Verluste nach Aussen. Die 
Visconti hatten sich im Herzen von Oberitalien ein ansehn- 
liches Fürstengebiet begründet, dessen Mittelpunkt Mailand 
war, und das sich von Vercelli bis Brescia, von Como bis 
Alessandria und Parma erstreckte. Johann Galeazzo, der sei- 
nen Oheim vergiftet hatte, eroberte Verona Vicenza Padua 
hinzu, machte die kleinen Fürsten, indem er sie in seine Bun- 
desgenossenschaft hinein nöthigte, zu Vasallen, und hatte bald 
nur noch in den Florentinern und Venetianem den einzigen 
Widerstand zu bekämpfen, welcher der Ausdehnung seines 
Beichs über ganz Ober- und Mittelitalien entgegen stand. 
Schon fährte er schweren Krieg mit Florenz. Mit diesem 
höchst schlauen kühnen und gewaltthätigen Mann hatte sich 
Wenzel besonders befreundet. Erst hatte er ihn zum erblichen 
Beichsstatthalter gemacht, im Mai 1395 aber erhob er ihn 
far ein Gteschenk von 200,000 Goldgulden zum Herzog der 
Lombardei, und gab ihm das Jahr darauf auch noch dieBeichs- 
grafschaft Pavia. Beides geschah, ohne die Kurfürsten zu 
fragen, und wahrscheinlich, nachdem sie bereits sich dagegen 
erklärt hatten: nach der goldenen Bulle aber durfte eine so 
wichtige Veränderung im Besitzstande des Beichs nicht erfol- 
gen, ohne dass die Kurfärsten förmlich einwilligten. Zu gleicher 
Zeit liess der König es zu, dass die französische Herrschaft 
auf Kosten des Beichs vorrückte im Süden und Norden. Die 

(55) Wencker 260. 



40 Jalvrb. der histor. Glosse der k, Äkad, der Wissenschaften. 

Franzosen besetzten 1396 Genua, und die Stadt musste sich 
in Frankreich einverleibt erklären. Im selben Jahre reisete 
Johanna, die Begentin von Brabant und Limburg, nach Fans 
und setzte einen französisch-burgundischen Prinzen zum Erben 
dieser beiden deutschen Herzogthümer ein. 

Das Alles musste den Unwillen gegen Wenzel steigern, 
Verdacht der schlimmsten Art gegen ihn aufkommen lassen. 
Man wusste, noch von seinem Vater her standen sein Haus 
und das französische Königshaus in einem innigen Familien- 
bündniss. Nun war in Frankreich der Herzog von Orleans 
der eigentliche Begent, dessen Schwiegersohn aber und Ver- 
trauter war eben der gefürchtete Johann von Galeazzo. Schien 
es nicht, als sei das Beich auf seiner Süd- und Westgränze 
den Italienern und Franzosen preisgegeben? 

Das deutsche Volk hätte vieUeicht noch lange dazu stiU- 
geschwiegen, etwas Anderes aber griff stärker an seine Ehre 
und sein Gewissen. In der heüigstßn Sache, in der Kirchen- 
sache, liess Wenzel den Fremden freie Hand. So lange er 
regierte, war die Christenheit in Zwiespalt und Unruhe des 
Schisma wegen, und er that Nichts, dem [Tnheil zu steuern. 
Offenbar waren französische Einflüsse thätig, ihn zurück- 
zuhalten, und es kamen die verwirrten Händel in Deutschland 
und in Böhmen, welche ebenfalls den König nicht losliessen. 
Trotzdem öffnete sich doch mehrmals gute Zeit und Gelegen- 
heit zum Bömerzug. Im Jahr 1390, als zu Eger derBeichs- 
frieden besiegelt, in Böhmen die Buhe einigermassen hergestellt, 
in Bom aber ein freundlicher und geschmeidiger Pabst gewählt, 
und das grosse Jubeljahr der Christenheit verkündigt war, 
sollte Wenzel endlich die Fahrt nach Italien antreten. Der 
Pabst bewilligte zu den Kosten einen Kirchenzehnten, und die 
Beisigen, welche den König über die Alpen begleiten sollten, 
fingen an sich zu rüsten. Auf einmal hatte Wenzel wieder 
die Lust verloren und blieb wieder in Böhmen sitzen. Vier 
Jahre und noch einmal sechs Jahre später drang sein Bruder 



höher: i>flw Bechtsc erfahren bei König Wenzds Absetzung. 41 

Sigismuud auf das Emstlichste iu ihn, jetzt eudlich sich die 
Kaiserkrone von fiom zu holen; geschehe es nicht, so werde 
ihrem Hause auch die deutsche Krone verloren gehen. ^*) 
Wenzel jagte unbektunmert in seinen böhmischen Wäldern 
weiter, mochte auch der Pabst noch so dringend schreiben. 

Jetzt nahmen Frankreich und England die Sache in die 
Hand. Die Universität Paris forderte, der Avignoner Pabst 
solle entsagen; Oxford verlangte dasselbe auch vom römischen. 
Der französische Hof konnte zuletzt nicht mehr anders, als 
sich dem Begehren der Abdankung beider Päbste anschliessen. 
Da sah Deutschland das ärgerliche Schauspiel, wie französische 
Gesandte nach Prag zogen, den deutschen König an seine 
Pflicht zu mahnen, dass er zu der Kirche Heü sich regen 
müsse. Wenzel aber wollte sie kamn vorlassen und liess ihnen 
sagen: wenn sie predigen wollten, könnten sie in die Kirche 
gehen. Nun liess der König von Frankreich selbst eine Auf- 
•»forderung an die Päbste ausgehen, ihrer Würde zu entsagen; 
die Könige von England, Castilien, Navarra schlössen sich 
dieser Aufforderung an. Alle Deutschen mussten als eine 
Schmach es empfinden, dass nicht mehr von ihnen, dem Kai- 
servolke, Antrieb und Leitung ausging in den wichtigsten 
Sachen der Christenheit. Auch die deutschen Fürsten fingen 
an, selbstständig in der Kirchensache zu handeln und empfingen 
die Gesandten der fremden Könige. Es stellte sich aber immer 
deutlicher hei*aus, ohne das Haupt des römischen Keichs lasse 
sich nichts Grosses und Allgemeines beginnen. Nun wurde 
das letzte Auskunftsmittel ergriflfen. Es war ima dieselbe Zeit, 
als Wenzels nächste VerwAdte Schiedsrichter werden mussten 
zwischen ihm und seinen ünterthanen, und ihm einen Kegierungs- 
rath von dreizehn Männern zur Seite setzten, ohne welchen 
er nichts mehr thun sollte. Die deutschen Beichsstände waren 
höflicher, sie forderten den König auf: er selbst solle einen 

(56) Palacky 72 93. 



42 Jahrb. der histar. Classe der Je. Äkad. der WissemchafUn. 

Statthalter ernennen, der an seiner Stelle den fieichsgeschäften 
vorstehe. Wenzel war eingeschüchtert: er bekleidete im März 
1396 seinen Bruder Sigismund, der ihn damals beherrschte^ 
mit dem Beichsvicariat. Auch von diesem hatte Deutschland 
keinen Trost. Er musste nach Ungarn eilen, um gegen die 
Türken zu streiten. Ein grosser stattlicher Heerzug aus der 
Bitterschaft aller christlichen Lande bewegte sich yoU Glanz 
und Prunk nach der Donau: in dem grässlichen Gemetzel bei 
Nikopolis besäeten die Banner und Leichen der Bitter die wei- 
ten Gefilde. La seinem eigenen Königreiche Ungarn irrte 
Sigismund umher wie ein Verbannter, und seine eigenen Un- 
terthanen legten Hand an ihn. 



VIIL Wenzels Aussöhnung mit den Fürsten. 

.4 

So weit war man zu Anfang des Jahres 1397 gekommen, 
das heisst, Nichts war gebessert, und der König in Böhmen geblie- 
ben. Jetzt aber folgten mehrere Ereignisse, welche ihn end- 
lich zur Fahrt nach Deutschland trieben, wollte er anders 
noch seine Krone retten. 

Ln Januar hatte derPabst den Grafen Johann von Nassau 
zum Erzbischof von Mainz ernannt und die Wahl des vom 
Kapitel gewählten Grafen Leiningen vernichtet. Für den 
letztem, der sich ihm völlig verschrieben hatte, war von Wenzel 
alles Mögliche aufgeboten. Liessaber der Leininger in Mainz 
sich Simonie zu Schulden kommeif, so wusste der Nassauer , 
der nach Italien eilte, die deutschen Goldgulden in Bom zu 
brauchen. Für diesen war in der That auch die wahre Mehr- 
heit der Stimmen im Kapitel, der Wunsch der Mainzer, und 
der mächtige Beistand des Kurfürsten von der Pfalz, welcher 
das Haupt der Fürstenpartei und die Säule der deutschen 
Obedienz des Pabstes war. Gleich nach dem Tode des vorigen 



Loher: Bca Bechtsverfahren hei Kimig Wenzels Absetzung. 43 

Erzbischofs hatte Graf Johann sich mit den drei Fürsten des 
pfalzgräflichen Hauses dahin yerbürgert: dass er ihnen, wenn 
er zu einem Bisthume gelange, immer treue Freundschaft hal- 
ten und ihnen zu »allen Eren und Würdekeiten, darnach si 
stellen wollen, wenn di gesin mögen geistlich oder wemtlich, 
mit all siner macht, mit all sinen magen und Fründen, die 
er dazu erbitten und gehaben mag, beigestendig behulffen und 
beraten sin. Es were denn, daz dieselbe, daz Gott verbiete, 
pach solicher wirdikeiten wider Gott und wider Eecht stellen 
wulten, oder daz er daz von Eren und von Rechts wegen nit 
getun künde«. ^^) In diesen Worten lag zwar durchaus noch 
keine Hindeutung, dass ein FMzer nach der Eönigskrone strebe, 
allein in der innigen und festen Verbindung des vornehmsten 
Kurfürsten, des Mainzers, mit seinem mächtigsten Genossen 
am Rhein, dem Pfalzer, musste Wenzel einen Berg des Wider- 
standes gegen all sein Beginnen errichtet sehen. 

Bald zeigte sich, dass die deutschen Stände entschlossen 
seien, eigenmächtig vorzugehen und dem Unwesen im Reich 
ein Ende zu machen. *®) Im April eröflftieten sie zu Frank- 
furt einen Reichstag. Dort erschienen die Gesandten des fran- 
zösischen und englischen Hofes und der Universität Paris, und 
man verhandelte ohne König mit ihnen, wie das traurige 
Schisma zu beendigen. An Wenzel aber erliessen die Fürsten 
die neue Aufforderung, einen Statthalter zu ernennen, welcher 
in ihrer Mitte erscheine. Sie gaben deutlich zu erkennen, dass 
sie seinen Bruder Sigmund nicht wollten. Wer aber war 
geeigneter, des Königs Statthalter zu sein, als der altethätige 
Kurfürst von der Pfalz, der geborne Reichsvicar? 

Doch Wenzel war in den Händen seiner Günstlinge. Als 
ein schwacher und doch eigensinniger Herr hatte er sich mit 



(57) Gudenus Cod. dipl. III. 617. 

(58) Vgl. Brief des Mathias Sobernheim vom 16. Dezbr. 1400 an 
Wemher Spaeziger bei Wencker, 267 ff. 



44 Jahrb. der hiiftor, CUisse der l'. Äkad, der Wissenschaften. 

eiaem Kreise yoa Günstlingen aus niederu Sttnden umgeben. 
Diese mochten ihn auf seinen böhmischen Schlöaaern wohl beherr- 
schen, hatten sie doch auch in seinem Jäegierungsrathe Sit^ 
und Stimme: das hörte aber auf, wenn er unter den hohen 
und stolzen Fürsten Deutschlands erscheinen musste. Deu 
Bann zu zersprengen, in welchem sie den König gefangen 
hielten, griff endlich der Obersthoöneister, Johann Herzog von 
Troppau und Katibor, zu einem böhmischen Mittel. Es waren 
neue wichtige Nachrichten au« Deutschland angelangt, da 
wurde der Eegierungsrath des Königs zum 11. Juni auf den 
Karlstein berufen. Während der Berathung trat der Herzog 
mit ein paar Anderen in ein Nebenzimmer und Hess die Tier 
am meisten Verhassten hereinrufen. Die Günstlinge kamen, 
nichts Böses ahnend. Er aber fuhr sie an: „Ir Herren, ihr 
seid, die Tag und Nacht unserm Hern Ktinig rathen, das ey 
nicht gen deutschen landen soll, und wolt ihn bringen von 
dem romischen Keichl" Damit rannte er dem Einen den 
Degen durch den Leib, und auch die drei Andern wurden auf 
der Stelle niedergemacht. Dann ritt der Herzog nut seinen 
Helfern zum König, sie knieten vor dem Bestürzten nieder und 
brachten ihm Briefe und Beweise, dass die Vier Verräther 
gewesen. Und Wenzel liess sich vier Wochen später herbei, 
einen öffentlichen Freibrief für die Mörder und die Erklärung 
auszustellen: dass jene Vier, «den wir vil Gutes an Eren und 
an Gute getan haben, gedient wider ihre geschworene Treue 
und Eide, und haben uns an unsern Eren und umb unsern 
leibe wollen vorraten, . . . und dovon, was In doi-um recht gesche- 
hen, ist nochdem als sie verschuldet haben als unsre Vorreter. 
Do werten das sich andere an solcher Geschieht selben straffen 
in künftigen Zeiten« *^). Deutlich lässt diese Geschichte Wenzels 
Wesen und Charakter kennen, die eigentlichen Anstifter aber 
des gerichtslosen Bluturteils waren ohne Zweifel die luxembur- 



(59) Wencker 395. Pelzel IL, ürk. B. 26. 



Löher: Das Bechtscerfahiren hei König Wenzels Absetzung. 45 

gischen Prinzen, welche wohl einsahen, dass Wenzel bei län- 
gerem Zögern die deutsche Krone verliere. 

Jetzt tauchte auch im Hintergrunde ein Kronbewerber 
■auf, der englische König. Schon im vorigen Jahre hatte Sig- 
mund seinem Bruder geschrieben: »Ad aures nostras veridica 
nwper insinuatione pervenit, et ad vestras quoque pervenisse 
non ambigo, Anglorum regem quibusdam subterraneis, ut ita 
dixerim, viis ad hoc fastigium (imperialis dignitatis) aspirare, 
multosque sibi ad hoc complices ascivisse, quorum nonnulli, 
sub spe fallendi, vobis forte suadere moliuntur, nihil de im- 
pimo agi. Videte, principum maxime, ad quem ex beneficio 
patemo hujuscemodi rei cura principaliter spectat, ne aliquando 
in diebus nostris hoc possit accidere, ut Imperium ex nostra 
in alienam familiam transferatur« ^^). Bald kam vom Khein 
eine neue Warnung über die unterirdischen englischen W^ege. 
Im Sommer 1317 verbündeten sich die pialzischen Fürsten, 
der Erzbischof von Köln, der Graf von Mors, der Herzog von 
Berg und der freie Herr von Dalberg mit dem englischen Könige, 
dass sie ihm mit einer Anzahl Lanzen im Felde dienen woll- 
ten. Diese Verträge geschahen in der damals üblichen Form, 
dass sich die Fürsten zu des Königs Lehnsleuten erklärten und 
dieser ihnen Jahrgelder zusicherte. Das Bündniss war nicht 
gegen Wenzel, sondern gegen den König von Frankreich ge- 
riditet. Die Engländer rüsteten sich, wieder zu erobern, was 
ihnen du Guesclin an französischem Boden entrissen hatte, 
und in richtiger Würdigung der Gefahr, welche von dem fort- 
währenden Vorrücken Frankreichs auf unseren Westgränzen 
drohte, hatten sich die rheinischen Fürsten mit England ver- 
hündet. Für Wenzel aber, dessen Familienverbindung mit dem 
französischenHofe noch bestand, war jenes Ereigniss eine Mahnung, 
dass die Fürsten sich nicht mehr an ihn kehren, sondern fortan 
ihre eigene Beichspolitik verfolgen wollten. 



(60) Palacky 93. 



46 Jahrh, der histor. Clasae der k, Akad, der Wusemchaften, 

Er erhielt jetzt vom König Yon Frankreich einen schar- 
fen Brief, sich der Hebung des Zwiespalts in der Kirche an- 
zunehmen. Auch die Frager Universität drängte, dass er 
desshalb nach Deutschland gehe. Als nun alle seine Be- 
mühungen, des Nassauers Ernennung in Bom rückgängig zu 
machen, gescheitert waren, als dieser über die Alpen eilte, um 
sich als Kurfürst und Beichskanzler seinen Verbündeten am 
Bheine zuzugesellen, als diese Wenzel wiederholt zum Beichstage 
entboten : ^ ^) da endlich sah er nach acht Jahren die andere 
Seite des böhmischen Waldes wieder. 

Im August erschien er in Nürnberg, und es war merk- 
würdig, zu welcher Kraft und Entschiedenheit er sich jetzt 
aufraffte. Er verkündete aufs Neue den Landfrieden, nahm 
Kriegsvolk, erstürmte Baubschlösser und liess ihre Mauern 
niederreissen und die Besatzung über die Klinge springen. 
Er nahm eifrig seines königlichen Eichteramtes wahr und griff 
entscheidend hier und dort ein in die Streitigkeiten der Stände 
und Beichssassen. Wohin er kam, schneite es königliche Gnaden 
und Frivilegien, besonders reichlich aber für die Städte. Ja 
er that Etwas, das seit den Hohenstaufen unerhört war. Der 
Würzburger Bischof war mit seinen Landständen in Händel 
gerathen, Wenzel kam, 'den Streit zu untersuchen, und wie 
lautete sein Entscheid? Den eilf Würzburger Landstädten 
gehöre der Königsadler in's Wappen, sie seien fortan so gut 
wie Beichsstädte. Das war ein Beispiel, dessen blosses Aus- 
denken alle Fürsten vor Zorn und Furcht erbleichen liess. 

Noch ein anderer Entschluss des Königs erfüllte sie mit 
schweren Sorgen. Wenzel hatte sein Wort gegeben, er werde 
nach Tours kommen, dort mit den Königen von Frankreich 
und England über den Kirchenfrieden zu berathen. Kurfürst 
Buprecht von der Pfalz hatte sich scharf dagegen ausgespro- 



(61) Sobernheims Bericht bei Wencker 268. 



Lohet: Das Eechtsverfdhren bei König Wenzels Absetzung. 47 

chen, und als der König nun brieflich seine Bedenken verlangte, 
sagte er ihm folgender Gestalt die Wahrheit. 

»Wenn der König«, so schrieb der greise Fürst, »noch mit 
Ehren fortbleiben könne, solle er nicht nach Frankreich reisen. 
Denn nicht gezieme es dem deutschen Könige, an einen frem- 
den Hof zu gehen und jenem Ehre zu bringen. Gehe Wenzel 
dennoch, so würde man im Reiche und in Bom gegen ihn 
misstrauisch werden. Auch sei er mit seinem Gefolge den 
feinen Franzosen und ihren Listen nicht gewachsen, erst solle 
er sich mit gelehrten und weisen Männern umgeben. Auf die 
Erneuerung aber der Familienverbindung, welche sein Vater 
mit dem französischen Hofe gemacht, solle er nur mit bleier- 
nen Füssen eingehen. Denn die Franzosen trachteten nur da- 
nach, das Kaiserthum zu sich herüberzuziehen, und sie rissen 
in Italien ein Stück nach dem andern vom Eeiche ab. üeber- 
haupt müsse er ihnen kraftvoll entgegentreten, er solle ihnen 
sagen: »Ihr und die ganze Welt sollet wissen, dass ich nicht 
weiter die Eechte des Eeichs vernachlässigen will, wie ich 
bisher that! Und wenn ich mich vorher als ein Kind zeigte, 
so will ich mich jetzt als einen Mann erzeigen!" — Das Schisma 
in der Kirche aber hätten bloss die Franzosen angestiftet, also 
müssten sie es auch wieder aus der Welt schaffen. Denn 
Pabst Urban sei bereits im rechtmässigen Besitz des Pabstthums 
gewesen, als seine Gegner sich anstrengten, ihn daraus zu ver- 
treiben. Jetzt wollten sie auch Andere auf ihre Wege ziehen, 
damit sie nicht allein die Schismatiker Messen: ein Kind könne 
das begreifen. WoUfe man den rechtmässigen Pabst zur Ab- 
dankung treiben, so werde dasUebel nur noch verschlimmert, 
und der Willkühr der Cardinäle in Zukunft Thür und Thor 
geöfl&iet. Der einzig richtige Weg sei, auf dem Eechte zu 
beharren." ♦ 

Diesen beredten, wenn auch derben Worten musste Jeder 
freudig beistimmeu, der noch Nationalgefähl und Einsicht in 
die wirkliche Lage der Dinge hatte, Jeder, der noch hoffte. 



48 Jahrb, der tustor. Glosse der k. Akad. der Wi^tsehschaften. 

der König könne bestimmt werden, von jetzt an männlich nnd 
zum wahren Besten Dentsdüands zu handeln. Die französisdie 
Freundschaft seines Vata'S hatte dem Beiche nur Einbussen 
gebracht, und offenbar geschah nur den Franzosen ein Gefallen 
damit, wenn Deutschland den Pabst, den es bisher für den 
rechten erkannte, fallen liess. Denn darin hätte das Bekennt» 
niss gelegen, die Majorität habe nicht minder einem üaischen 
Pabste angehangen, als die französische Minorität. Dass aber 
das Schisma durch die blosse Aufkündigung der Obedienz nicht 
gehoben werde, lag am Tage, man hätte drei Päbste für einen 
"bekommen. Der Kurförst setzte hinzu: »Wenzel solle wohl 
-sich hüten, dem rechtmässigen Pabst den Gehorsam aufzusagen. 
Denn entweder sei dieser von Anfang an ohneBecht gewesen: 
tdann sei es auch kraftlos gewesen, dass er einst Wenzel zum 
Könige bestätigte; die ünterthanen könnten also sagen, Wenzel 
sei noch kein König, und ihm den Gehorsam aufkündigen. 
Oder — der König sei von einem rechtmässigen Pabste be- 
stätigt: dann könnten, wenn er jetzt seinem Bestätiger den 
Gehorsam weigere, auch ünterthanen denken : sie dürften sich 
dem Könige ebenfalls versagen«. ^*) — Dies war allerdings nicht 
im Sinne der deutschen Beschlüsse des Kurvereins vomBheine 
geschrieben, wohl aber im Geiste Karl IV., welcher den Pabst 
ersucht hatte, Wenzel zum Könige zu „ernennen.'' 

Der Kurfürst starb zwar schon am 6. Januar,^ doch sein 
derber Brief blieb nicht ohne Eindruck. Seine fürstlichen Ge- 
nossen thaten das Ihrige, um diesen Eindruck gehörig zu ver- 
stärken. Auf dem Frankfurter Keichstage im selben Monat 
Januar hielten sie Wenzel in's Angesicht seine grobe Fahr- 
lässigkeit vor, sie lasen ihtn Punkt für Punkt die Artikel, auf 
welche sie später seine Ahsetzimg gründeten, und gaben sie 
ihm auch schriftlich zu lesen. Ernstlich ersuchten sie ihn, 
nunmehr dazu zu thun, dass Kirche Beich und Christenheit 



(62) Marlene et Durand Thes. Anecdot IL 1172. 



Loher: Das Eechtscerfahren bei König Wenzels Absetzung. 49 

nicht so jämmerlich verderbe. ^^) Wenzel war erschüttert, 
er fürchtete die Eeichskrone zu verlieren, er versprach sich zu 
ändern. Am 6. Januar verkündete er den Landfrieden auf 
zehn Jahre, mit verstärkten und trefflichen Artikeln. Am 
21. Januar verfügte er in der Würzburger Sache: es sollten 
vorläufig Bischof Domkapitel und Städte, jeder Stand bei seinen 
alten Eechten bleiben. ^*) Denn diese Sache hatte die Fürsten 
besonders aufgebracht,^*) die rheinischen Kürfürsten hatten 
schon vorher an den König ernstlich geschrieben: er solle sich 
der Würzburger nicht wider ihren Herrn annehmen, sondern 
sie zum Gehorsam anhalten. ^^) 

Die Eeise nach Prankreich konnte Wenzel nicht wieder 
aufgeben, er war vertragsmässig gebunden. ^^) Im März zog. 
er in Bheims ein, glänzend vom Könige und dem ganzen Hofe 
eingeholt, alle französischen Prinzen waren beisammen. Allein 
Wenzels Neigung zu Trunk und täglichen Gtelagen, und das 
rohe Lachen, mit welchem er die französischen Hofsitten 
verhöhnte, machten ihn keineswegs beliebt, und so artig er auf 
andere Gesuche seiner Gastfreunde einging, ^^) in der Haupt- 
sache blieb er fest. Die Franzosen schlugen Neutralität in 
Bezug auf beide Päbste vor: das verweigerte Wenzel entschie- 
den. Nun bat ihn der französische König, er möge den rö- 
mischen Pabst baldigst dahin bringen, dass er um der heiligen 
Union willen abdanke. Darauf erwiederte Wenzel geschickt: 
ganz gern wolle er ihm schreiben, er möge abdanken, wenn 
er es thun könne, ohne seiner Sache und Ehre etwas zu ver- 
geben, sonst aber nicht. So gingen beide Könige auseinander, 
ohne dass es zur Einigung kam. ^^) 

(63) Bericht des Mathias Sobernheim bei Wencker 268. 

(64) Pelzel II 359. 

(65) Sobernheim a. a. 0. 267. 

(66) Höfler 142. 

(67) Certo previo tractatu. Dynter p. 76. 

(68) Palacky 113. 

(69) Marlene et Durand Ampi. coU.YII, 431. Vgl. Dynter a. a. 0. 



50 Jahrb. der histor. Clause der k. Akad. der Wissenschaften. 

Als nun Wenzel nieder nach Deutschland kam, traten 
ihm die füi'sten voll grösseren Vertrauens entgegen. Zwar 
musste er vom neuen Pfälzer Kurfürsten zu Coblenz noch harte 
Dinge hören. Doch wusste er sich jetzt gut mit den Fürsten 
zu stellen. Er wollte ihnen zeigen, dass es ihm Ernst sei, 
des Eeiches Rechte zu schützen. Das Stift Utrecht zog er 
wieder straffer zum Eeiche, und öffentlich gab er seinem Lan- 
deshauptmann zu Luxemburg Auftrag, das Gebiet von Toul 
Verdim Kamerich und andern Städten von Frankreich zurück- 
zufordern ^®-). Er bestätigte auch, dass die rheinischen Fürsten 
den letzten allgemeinen Landfrieden von zehn auf fünf Jahre 
herabgesetzt hatten. Dies war wohl aus dem Grunde gesche- 
hen, weil man hadernde Herren und Städte, welche Ansprüche 
wider einander erhoben, nicht dazu bringen konnte, auf eine 
längere Zeit den Landfrieden anzunehmen. Als der König 
sich wieder nach Böhmen zurückzog, schickte il^ Kurfürst 
Euprecht, dem er vorher mehrere wichtige rheinische Orte 
freundlich in Pfand gegeben, einen Brief nach, welcher lautete : 
Als er sich zu Coblenz auf des Königs Beschwerden wohl ver- 
antwortet, habe ihm der König seine Reden vergeben und 
wollte wieder sein gnädiger Hen* sein: »darumb wollen wir 
yem für unsem gnadigen herren haben und sinen gnaden ge- 
truwelich dynen als billich ist« ^^). Noch am 13. Mai des 
folgenden Jahres 1399 schickte Wenzel dem Mainzer Kurfürsten 
eine Urkunde, worin er ihm für seine treuen Dienste schöne 
Mainzölle verlieh ^^). Also schien er auch mit diesem einst 
so Verhassten jetzt auf gutem Fusse zu stehen. Ein paar 
Wochen später erfolgte sein Endbescheid über die eilf Würz- 
burger Städte. Er erlaubte ihnen, eine neue Einung zu ma- 
chen, in der Hauptsache jedoch gab er sie auf; denn das Stift 



(70) Pelzel a. a. 0. ürk. 39—41. 

(71) Daselbst S. 45. 

(72) Höfler 126. 



Loher: Das Bechtsverfahren bei König Wenzels Absetzung. 51 

sollte bei seinen Kechten bleiben, und die Städte, sollten gleich- 
wie es Unterthanen thun mussten, dem Bischof ihre Thore 
offnen. 



Vm. Absetzung Wenzels. 

Allein schon am 2. Juni 1399 waren vier Kurfürsten zu 
Marburg zusammengetreten und hatten einen Bund geschlossen, 
dessen Spitze gegen Wenzel gerichtet war. Was war inzwi- 
schen vorgegangen? Warum folgte jetzt so rasch, wohlbedacht 
und unaufhaltsam ein Schritt nach dem andern, bis Wenzel 
die Krone genommen und auf ein anderes Haupt gesetzt war? 
In den Nachrichten und Urkunden lässt sich hier eine Lücke 
merken, doch ist sie aus dem Vorhan'deuen zu ergänzen. 

Die Kurfürsten verbünden sich auf drei Artikel, die sie 
ihr Lebenlang wollten aufrecht halten und gegen Jedermann, 
wer es auch sei, vertheidigen mit ihrer ganzen Macht. ^') 

»Zum ersten, dass wir herren obgenant in allen Sachen 
und handelungen, die die heilige Kirche und den heiligen Stule 
von Eome als von des Babistdoms wegen, und die das heilige 
Eömische Eyche und uns Kurfürsten als von des heiligen 
Komischen Kychs und unser Kurfürstendome wegen antreffende 
sind, vesteclichen und in gantzen truwen by einander bliben 
und die sainentlichen handeln sollen, und unser eincher oder 
yemand von sinen wegen sol da Inne nit werben, dun oder 
einch fürteil suchen ane die andern, noch ane ire wissen willen 
und Gutdüncken in eincher Wise«. — Es handelt sich also 
darum, ein dreifaches Recht zu schirmen, das des römischen 
Pabstes, des Reiches, der Kurfürsten. 

Nun ist es höchst wahrscheinlich, dass Wenzel bei seiner 
Rückkehr aus Frankreich den Kurfürsten und dem Pabste ver- 



(73) Obrecht 1—3. 

4* 



52 Jäh/rb, der histor, Classe der k. Akad, der Wissenschaften, 

heissen hatte, endlich seinen Bomerzug zu thun. Nahm der 
deutsche König die Kaiserkrone vom Pabste in Rom, so war 
dieser fortan über jede Anfechtung erhaben, die Obedienz des 
französischen Pabstes musste dann, wenn sie überhaupt das 
Schisma beseitigen wollte, nachgeben. Der Pabst hatte aber Wenzel 
auf's Neue einen hohen Kirchenzehnten verliehen ^*), und schwer- 
lich wäre das geschehen, als um der Kosten eines Kömerzugs 
willen. Wie später sein Nachfolger Ruprecht, hatte Wenzel 
schon früher zu diesem Zwecke einen Kleruszehnten erhalten: 
sobald er aber vom Eömerzug abstand, zog der Pabst die 
Gelder zurück. Dieser schrieb nun auf's Dringendste, Wenzel 
oder wenigstens sein Bruder Sigismund sollten nach Italien 
kommen. '*») Da aber kamen Nachrichten nach Deutschland^ 
der König liege wieder mit Kriegsvolk zu Felde gegen seine 
empörten Landherren. Man wusste aus Erfahrung, dass Wen- 
zel sich aus solchen böhmischen Händeln sobald nicht loswinde. 
Aergeres Bedenken erregte sein neu erklärtes Eingehen auf die 
französischen Pläne. Im vorigen Oktober hatte er dem König 
von Frankreich noch ausweichend geantwortet, jetzt aber that 
er, wovor ihn der greise Kurfürst von der Pfalz so dringlich 
gewarnt hatte: er erneuerte im Juni 1399 eidlich das Fami- 
lienbündniss zwischen den Gliedern seines und des französischen 
Hauses: demzufolge erkannten sie ihren Besitzstand an und 
versprachen sich gegenseitig zu fördern und zu schützen wider 
Jedermann. '^) Später schrieb Wenzel nach Paris: er werde 
mit seinem Bruder Sigismund eine grosse Versammlung in 
Deutschland mit Kurfürsten und Fürsten halten, dort sollten 



(74) Höfler 145. 

(75) Pelzel a. a. 0. 46—47. 

(76) Pelzel 41 — 42 setzt diese Erneuerung auf den 24. Juni des 
Jahres 1498; schwerlich aber hätte sie damals in Zeit Ort und Um- 
stände gepasst; denn am 23. Juni gab Wenzel zu Frankfurt Voll- 
macht, die entrissenen Reichsstädte im Nordwesten von Frankreich 
zurückzufordern. 



Löher: Das Bechtscerfahren bei König Wenzels Absetzung, 53 

die Kirchenschäden grundlich geheilt werden; der König werde 
zeitig davon benachrichtigt, dass auch er seine Gesandten 
schicke.''^) Schon wurden Befehle ausgefertigt, dass die Car- 
dinäle beider Parteien mit sicherm Geleite sollten zu Wenzel 
reisen.^®) Damit war Zweck und Ziel des grossen Tages deut- 
lich ausgesprochen, Wenzel war auf die französischen Wege 
eingegangen: beide Päbste sollten zur Abdankung getrieben 
werden. 

So sahen nun die Kurfürsten trotz Allem, was Wenzel 
vorher gesagt und gethan hatte, die französische Politik den- 
noch siegen, sie sahen eine Verdreifachung des Schisma kom- 
men. Nicht minder erschien ihnen Ehre und Eecht des deutschen 
Eeichs gekränkt, welches dem römischen Pabste von Anfang 
an treue Obedienz gehalten hatte. Auch ihr eigenes Recht 
und Ansehen im Eeiche wollten sie schirmen; denn sie fühlten 
sich gröblich beleidigt, dass der König eine so grosse Sache 
unternahm auf eines Fremden Betrieb, und ohne sie zu fragen, 
welche doch die Goldene Bulle die Grundsäulen und sieben 
Leuchter des Eeiches nannte. Sobald sie daher von Wenzels 
Entschlüssen und Unterhandlungen erfuhren, beeilten sie sich, 
ihm durch ihr Bündniss ein starres Veto entgegen zu setzen. 

Der zweite Artikel, auf welchen die Kurfürsten sich ver- 
banden, lautet: »Und weere es, dass yemand, wer der were, 
nach deme heiligen Ryche stünde oder stende würde und sich 
desunderwinden wolde, ane unser aller obgenannterherren sament- 
lichen wissen willen und verhengnis, es were mit vicariate 
oder anders in welcher wise das were, darwider sollen wir 
obgenante herren samentlichen getruwelichen und vesteclichen 
sin, und darzu sal unser einer ane die andern sinen willen 
gunst oder verhengniss nit dun nochgeben.« — Dieser Artikel 



(77) Pelzel Urk. B. S. 47. 49. 

(78) Die Urkunde ist ohne Datum, gehört aber wie die bei Pelzel 
vorhergehende ohne Zweifel in's Jahr 1399. 



54 Jahrb. der histor. Classe der Je, Äkad. der Wissenschaften. 

macht es höchst wahrscheinlich, dass Wenzel damals damit 
umging, einem Andern, ohne sich um die Kurfürsten zu küm- 
mern, die Eeichsregierung zu übertragen. Wer konnte dieser 
anders sein, als Sigismund, mit welchem der König jetzt ein 
Herz und eine Seele schien, in dessen Begleitung er auch bei 
seinem nächsten Erscheinen in Deutschland auftrat? Gerade 
Sigismund aber, der sich noch nirgends bewährt hatte, moch- 
ten die Kurfürsten nicht, überhaupt keinen Luxenburger mehr,, 
denn diese waren Alle mit den Franzosen innig verbündet. 

Es folgte noch ein dritter'^ Artikel: ȟnderstunde auch 
unser herre, der Eömisch König, oder jemand von sinen wegen,, 
oder yemand anders, das heilige Kömische Eiche oder einche 
sine zugehöTunge zu schmeelen abezubrechen oder dem Biche 
zu entfremden oder das Eiche zu entleden, darwider sollen wir 
samentlichen sin, und sollen unsem willen gunst undverheng- 
nisse darzu nit dun noch geben in einche wyse. Und wer 
des glychs yt gescheen vor datum diss Briefes ane unser wissen 
willen und verhengnisse, darzu sollen wir herren obgenant 
auch nu fürbas keine bestätigunge doyn, und sunderlichen die 
Sachen von des vonMeylan wegen umbe das land vonMeylan 
sollen wir nit bestetigen.« — Zu diesem Artikel war guter 
Grund. Man konnte nicht wissen, was Wenzel noch Alles 
seiner französischen Freundschaft opfern werde. In Eheims 
hatte er bereits dem jungen Orleans di^ Hand der Erbin von 
Luxemburg und die Anwartschaft auf Böhmen und Ungarn 
zugesagt. Man musste annehmen, er habe Genua förmlich an 
die Franzosen abgetreten, denn sie griffen von dort aus weiter 
um sich. In den Klageartikeln, welche bei seiner Absetzung 
zu Lahnstein verhandelt wurden, heisst es: »Zum ersten, hat 
er die stad Yhenue yntphrommet dem ryche und hat sie ge- 
halden dem konig zu Franckrich. Des haut die fursten bollen 
von dem babiste.« '^) Aller Welt kund aber war Wenzels 

(79) Aus dem Strassburger und Frankfurter Stadtarchiv, — bald 
zu veröffentlichen in den Eeichstagsakten , welche die historische 



Lölier: Das Bechtsc erfahr en hei König Wenzels Absetzung, 55 

Verhältniss zu Galeazzo. Dieser hatte jetzt auch Pisa erobert^ 
Lucca und Siena seinem Bündniss und Befehl unterworfen. 
Die Florentiner, in grosser Gefahr, schickten Gesandte nach 
Deutschland und boten Alles auf, um sich von dorther Hülfe 
zu verschaffen, und müsste auch die Absetzung Wenzels, von 
der schon so häufig Eede gewesen, endlich vollzogen werden. 

Dies waren also die Ursachen, wesshalb die Kurfürsten 
sich feindselig und entschlossen gegen den König wandten, 
nachdem es kurz vorher geschienen, Alles sei wieder auf gutem 
Wege. Die Gründe waren: dass Wenzel, sobald er den Kur- 
fürsten wieder aus den Augen war, auch die französischen 
Wege wieder betreten hatte; dass er den Kömerzug aufgab 
und grösseres Wirrsal in der Kirche anzustiften sich anschickte ; 
dass er mit der Beichsregierung zu schalten und zu walten 
drohte, ohne die Kurfürsten zu fragen; dass die Franzosen 
und Galeazzo in Italien gefahrliche Fortschritte machten. Die 
feinen und rastlosen Gesandten aus Florenz, die Alles erkun- 
deten, alle Mittel spielen Hessen, waren die rechten Leute, 
um die Sache wider Wenzel in rascheren Gang zu bringen. 
Gewiss wirkten auch die Vorgänge in England darauf ein, 
wo ein König entthront und die Aussicht eröfiftiet wurde, die 
alten Kriege mit Frankreich wieder aufzunehmen. 

In gedachter Weise hatten sich zu Marburg am 2. Juni 
1399 die vier Kurfürsten Mainz Pfalz Köln und Sachsen ver- 
bündet, am 15. September wurde das Bündniss bekräftigt zu 
Mainz mit Zutritt des Kurfürsten von Trier. Zu diesem Main- 
zer Tage waren die andern Fürsten des Keichs ebenfalls ge- 
laden. Sehr zahlreich erschienen sie, und es verbanden sich 
mit den fünf Kurfürsten zehn Fürsten aus den Häusern Bayern 
Meissen Hessen Hohenzollern, »umbe einen andern Komischen 



Commission bei der k. Akad. der Wissenschaften in München heraus- 
gibt, »— vorläufig dem Verlasser mitgetheilt durch die Güte von 
Dr. Weizsäcker. 



56 Jdhrh. der histor, Classe der k. Akad. der Wissenschaftetu 

König zu erwelen und zu setzen«, und dass sie sammt und 
sonders dabei mit aller ihrer Macht und Treue einander schützen 
und helfen wollten. ^^) Darüber war man jetzt einig, dass 
Wenzel gestürzt werden sollte: auf den 19. November wurde 
zu weiterer Verhandlung ein Reichstag nach Frankfurt ausge- 
schrieben. Nicht einig waren die Fürsten, wen sie zu seinem 
Nachfolger bestimmten. 

Inzwischen hatten die Kurfürsten an den Pabst nach 
Eom geschickt, dass er ihrem Beginnen beitrete. Dieser gab 
ausweichende Antwort : von Eom aber ging an Wenzel eilends 
die Nachricht von dem Vorhaben der Fürsten. Er schrieb 
nun am 1. September selbst einen Eeichstag aus nach Nürn- 
berg für den Oktober, erklärte, er werde hinkommen mit seinem 
Bruder Sigismund, und warnte die Städte, sich auf Neuerungen 
einzulassen. Schon nach Mainz hatte er den Burggraf Johann 
von Hohenzollem als Gesandten geschickt, der sein Ausbleiben 
mit den böhmischen Unruhen entschuldigte und die Kurfürsten 
ersuchte, lieber zum König zu kommen: er wolle jetzt alle 
Gebrechen nach ihrem Bathe abstellen. Die Kurfürsten aber 
hatten erwiedert: »wie das ein gross Volck in das land tzuge, 
dofür sie nicht zu unserm herre dem künige geritten künden 
noch möchten«. ^^) Nun erschienen, als die Kurfürsten den 
Eeichstag nach Frankfurt dennoch ausschrieben, zu Nürnberg 
nicht der König selbst und sein Bruder Sigismund, wie 
Wenzel es verheissen hatte, sondern nur des Königs fürstliche 
Boten, sein Kanzler der Patriarch von Antiochien, der Her- 
zog von Teschen, und der Landgraf von Leuchtenberg. Sie 
kamen mit vollständiger Vollmacht, sie hatten mündlich zu 
reden mit den Kurfürsten wie mit den Städten. Allein sie 
spielten eine klägliche Eolle. Der Eeichstag zu Frankfurt 



(8ü) Obrecht 6 — 8. Vgl. den bereits citirten Brief von Mathias 
Sobernheim. 

(81) Obrecht 12. 



Löher: Dcus Rechtsv erfahren hei König Wenzels Absetzung. 57 

wurde gehalten, der vom König nach Nürnberg ausgeschrie- 
bene blieb leer. Selbst aber nach Frankfurt zu kommen, 
wagten des Königs Boten aus demselben Grunde nicht, welchen 
die Kurfürsten bezeichnet hatten: »denn zu Nürnberg seien 
sie underweist unde gewarnet, wie das sie nicht wol sicher 
zu dem tage gen Franckenfiird kommen konden«. ^^) Auch die 
Kegensbürger erklärten: es stehe zu künunerlich und unfried- 
lich in den Landen um und um, als dass sie ihre Gesandt- 
schaft nach Prankfurt jetzt sobald aufbringen könnten. So 
sah es bereits in Deutschland aus. Des Königs Boten aber 
legten sich nun auf s Bitten. Der König, so schrieben sie, »bitet 
die kurfürsten und auch ander fürsten und hern des ßichs 
und begert von in fründlichen, das sie keine zwikeit oder 
büntnisse icht machen, die wider In sin möchten und In hin- 
dern an dem Eiche.« ®^) An die Städte schrieben des Königs 
Boten: »Dorum so bitten wir euch von desselben unsersherren 
des konigs wegen früntlich und mit fleisse, wer es sache, das 
ichts uflf demselben tage an euch gesuchet und begert würde, 
das wider denselben unsem herren den konige gesein möchte 
und in hinderte an dem Eiche, das ir dorzu nicht treten noch 
6wem willen geben woUet, sunder das nach ewern vermügen 
wendet und widersteet, als uch das derselbe unser herre wol 
gelawbet und ir Im des ouch pflichtig seit und virbunden.« **) 
So woUte Wenzel nur Zeit gewinnen und konnte sich 
doch zu nichts Durchgreifendem entschliessen. Er steckte 
wieder in seinen böhmischen Unruhen. Die Fürsten aber gingen 
ihren Weg weiter. Am 2. Febr. 1400 waren die fünf Kur- 
fürsten mit ihren Verbündeten einig geworden, dass der König 
»uss den gesclechten und geburten von den wapen von 
Beyern, von Sahssen, von Missen, von Hessen, von dem Burg- 



(82) Das. 13. 

(83) Das. 13. 

(84) Das. 14. 



58 Jcüirb, der histar. Classe der Je. Akad. der Wissensclmften.. 

graven von Nürenberg oder den Graven von Wirtemberg« ge- 
wählt werden solle. Wer aus diesen sechs Häusern gewählt werde, 
dem müssten alle vertragsmässig beistehen; werde ein Anderer 
gewählt, so stehe es noch in eines Jeden Willen, wie er sich 
zu ihm verhalten wolle. Wer sich jedoch des Keichs als Gene- 
ralvikar oder sonstwie unterwinde, gegen den wollten sie alle 
beisammen stehen. Das wurde eidlich gelobt. Die Habs- 
burger wurden vorläufig ebenso von der Wahlliste ausgeschlos- 
sen, als die vier Prinzen des Luxemburger Hauses. 

Nun wurde sofort ein grosser Keichstag nach Frankfurt 
ausgeschrieben auf den 26. Mai. Selten sah Deutschland 
eine glänzendere Versanmilung. Persönlich waren erschienen: 
vier Kurfürsten, für den Fünften sein Bruder, die Gesandten 
des Königs, vierzig fürstliche Herren, von achtunddreissig Fürs- 
ten die Boten, eilf Keichsstädte, ferner von Fremden die Gesandten 
der Könige von Frankreich Spanien England und der Pariser 
Universität, unter ihnen der Titular-Patriarch von Alexandrien, 
und ein Bischof von Spanien. ®^) Vor ganz Europa wurde 
dort verhandelt über Wenzels Absetzung. Er hatte drei 
neue Gesandte nach Deutschland geschickt: den Herzog von 
Teschen und seine Käthe Peter von Wartenberg und Konrad 
Kreyger. Vergebens hatten sie zu Mainz im Februar einen 
Städtetag angesagt. Daraufhatte Wenzel wieder einen Eeichstag zu 
Nürnberg auf den 4. April ausgeschrieben. ®^) Es war auch 
vergebens, als seine Gesandten auf dem zweiten Frankfurter 
Tage vier Stücke vorstellten: der Keichstag bestehe nicht zu 
Recht ohne ihn, des Kelches Haupt ; man solle mit den Boten 
einig werden um Tag und Ort, wo er kommen wolle, zu 
rathen mit des Kelches Ständen; auf diesen Tag würden, um 
der Kirche Zwiespalt zu heilen, König Sigismund von Ungarn 
und Markgraf Jost von Mähren mit ihm kommen, und die 



(85) Obrecht 28—29. 
{^(o) Das. 24, 25. 



Loher: Das Bechtsverfahren bei König Wenzels Absetzung. 59 

Gesandten der Könige von Polen Dänemark Norwegen, Schwe- 
den, die er besandt habe, und die es ihm versprochen hätten, 
und er wolle femer alle Fürsten in deutschen und wälschen 
Landen des römischen Eeichs dazu entbieten, weil sie billiger 
Weise dabei sein müssten; — noch sei zwar der König 
durch den grossen Krieg zwischen Sigismund Jost und Mark- 
graf Procop gehindert, nach Deutschland zu kommen, jetzt aber 
habe er Anstalt dazu gemacht.®^) 

Allein die Fürsten Hessen sich nicht mehr irre machen. 
Man beschloss, den letzten Schritt gegen Wenzel zu thun, 
zugleich aber eine Gesandtschaft an den König von Frank- 
reich zu schicken, die den Plänen beider nicht freundlich 
war. ®®) Da erhob sich aber der Zwiespalt über die Person 
dessen, der zum neuen König zu wählen sei, und man konnte 
sich gar nicht einigen. ®^) Es scheint, dass Herzog Friedrich von 
Braunschweig, ein angesehener und persönlich hoch geachteter 
Fürst aus dem alten Weifenhause, von den meisten Nord- 
deutschen, insbesondere auch von den Städten gewünscht wurde, 
und dass die Norddeutschen erzürnt darüber, dass ihnen nicht 
gewillfahrt wurde, vom Reichstag aufbrachen, ehe er geschlos- 
sen war. Am 4. Juni nämlich, als Jene eben Frankfurt ver- 
lassen hatten, erliessen bloss die vier rheinischen Kurfürsten 
die Aufforderung an Wenzel, am 10. August in Oberlahiistein 
zu erscheinen und sich entweder zu rechtfertigen oder seine 
Absetzung zu erwarten. Die früheren Ausschreiben in dieser 
Sache hatte dagegen der Kurfürst von Sachsen mit unterzeich- 
net. ^®) Am selben 4. Juni erliessen seine vier rheinischen 
Genossen auch an letzteren, sowie an Jost den Kurfürsten von 
Brandenbm'g, die Aufforderung nach Lahnstein, mit dem Be- 



(87) Obrecht 25—26. 

(88) Obrecht 32. 

(89) Sobemheim. 

(90) Obrecht 23 und 42 im Briefe Heinriclis von Brauuschweig. 



60 Jahrb. der histxyi'. Glosse der k. Äkad. der Wissenschaften. 

merken, im Falle ihres Nichterscheinens werde man ohne sie 
vorgehen. 

Nun war des Tages darauf, am 5. Juni, der Eeisezug 
der norddeutschen Fürsten bis vor Fritzlar gekonunen: da 
fielen plötzlich Mainzer Dienstmannen darüber her, an ihrer 
Spitze des Kurfürsten von Mainz Schwager und Amtmann, 
der Graf von Waldeck. Die Schwerter flogen heraus, es ent- 
stand ein Gefecht, Mehrere retteten sich durch die Flucht: 
aber Herzog Friedrich und einige andere Kitter wurden er- 
schlagen, und der sächsische Kurfürst mit dem Fürstbischof 
von Verden wurden mit vierhundert Bossen gefangen abge- 
führt. Der Mainzer Kmfärst war ohne Zweifel an der Sache 
unschuldig: Graf Waldeck hatte eine Privatfehde mit Herzog 
Friedrich. Weil aber die That von Mainzer Dienstmannen 
geschehen war, so erhob sich grosser Zorn und Verdacht gegen 
ihren Herrn. Des Erschlagenen Bruder forderte die Städte 
auf, in seinem Namen von dem Kurfürsten Ehrenerklärung, 
dass ihm die Sache leid thue, und Genugthuung zu verlangen. 
Auf der Stelle leistete der Kurfürst jede Erklärung, gab die 
Gefangenen frei, und reinigte sich von dem Verdachte durch 
feierlichen Eid vor einer grossen Versammlung von Fürsten 
und Herren. 

Die Städte glaubten nun, da Herzog Friedrich erschlagen, 
würde aus dem Lahnsteiner Tag nichts mehr werden, und 
zögerten, sich öffentlich auf Seite der Fürsten zu stellen. 
Wenzel belobte sie desshalb und schrieb ihnen, er werde zur 
Stunde nach Deutschland kommen und seine und des Beichs 
Sachen mit ihrem und anderer Getreuen Bathe ordnen, als 
sich das heischen würde. Zugleich gab er jetzt, am 15. Juni, 
seinem Bruder Vollmacht, satt seiner nach Italien und zum 
Pabste zu ziehen. Die vier rheinischen Kurfürsten jedoch 
thaten keinen Schritt wieder zurück. Sie erschienen am 
10. August zu Lahnstein, warteten zehn Tage lang, und als 
Niemand von des Königs wegen erschien, beschlossen sie seine 



Loher: Das Bechtsverfahren bei König Wenzels Ähsetzimg. 61 

Absetzung auszusprechen. Vorher jedoch musste Kuprecht 
erklären, er wolle die Krone annehmen. Dann fuhren alle 
Vier über den Ehein, bestiegen den Königsstuhl bei Eense, 
sprachen am 20. August die Absetzung aus und Uessen das 
Urteil mit lauter Stimme verkündigen vor Fürsten Herren 
Eittem Städteboten und einer grossen Volksmenge. Andern 
Tages begaben sie sich wieder zum Königsstuhl, da wurde 
die hl. Geistmesse gesungen, dann schwuren die Kurfürsten 
den Wahleid, stiegen die Stufen hinauf und wählten Pfalzgraf 
Euprecht zum Könige. 



IX. Das Urteil. 

Wir sind nun im Stande, die Urteilsgründe zu prüfen. 
Es fragt sich, ob drei Stücke sich bewähren: ob diese Gründe 
an sich selbst, das heisst rein theoretisch genonunen, juristisch 
statthaft waren? ob die Thatsachen wirklich? ob sie Wenzel 
Schuld zu geben? 

Wir beantworten zuerst die mittlere Frage. Das Urteil 
beginnt: 

»In Gottes Namen Amen. Wir Johan von Gots 
Gnaden der heiligen Kirchen zu Mentze Ertzbisschoflf, 
des heiligen Eichs durch Dutschland Ertzkanzler, allen 
lüten verkündigen wir dyss, beide den geinwurtigen 
und den zukunflftigen: Wie vil und mancherley grosser 
elegelicher gebresten Irrunge und misshell von langen 
Jaren und Zyten in der heiligen Kirchen ufferstan- 
den und noch werent sint, und tegelichen schedelichen 
uffersten, — davon (dass) das heilige Eomische Eiche, von 
dem die heilig Kirch und Christenheit tro'st schirme 
und hulffe haben solde, leider also schedelich en1>- 
gliedet und gemynret und also sumelich gehanthabt 
ist, — das nit allein unser schriben, sunder die kuntlich 



€2 Jahrb. der histor, Glosse der k. Äkad. der Wissenschaften. 

schiübar dat und tegelich böse leüflfe dass clerlich 
bewysent.« 

Der objektive Thatbestand beruht also, wie damals der 
juristische Ausdruck lautete, in kundlich scheinbarer That. ^^) 
Alles peinliche Verfahren jener Zeit aber strebte zunächst da- 
hin, die handhafte, oder die kundlich scheinbare That zur 
Unterlage zu bekommen. Nun bestand das Schisma, ent- 
sprungen km-z vor Wenzels Thronbesteigung, seine ganze 
Begierungszeit hindurch ungemindert, und der Grund, dass 
es so lange bestehen konnte, lag allerdings in den Zuständen 
des Keichs. Wäre das deutsche Eeich an Haupt und Glie- 
dern stark und willenskräftig gewesen, so hätte es längst ein- 
gegriffen und dem Unheil in der Kirche ein Ende gemacht. 
Doch es war »entgliedert« , das heisst Haupt und Glieder 
waren nicht ineinandergefügt, »gemindert«, es hatte an inner- 
licher wie an äusserlicher Stärke unter Wenzels Eegierung 
beständig verloren, es war »säumlich«, das heisst fahrlässig 
gehandhabt, da Wenzel öfter Jahre lang dem Reich und sei- 
nen Pflichten fern blieb. 

Darum hätten also, fährt das Urteil fort, die Kurfiirsten, 
— fleissig angerufen von der heiligen Kirche, die eines Schir- 
mers, von den Fürsten Herren Städten Landen und Leuten 
des Reichs, die eines fürsichtigen Handhabers, das heisst sorg- 
lichen Verwalters inniglich begehrend seien, — den durch- 
lauchtigsten Fürsten, Herrn Wenzlaw, Römischen König und 
König von Böhmen, von langer Zeit her (zehn Jahre lang, 
aeit er von 1389 an in Böhmen festsass), oft und ernstlich 
darüber ermahnt und ersucht, sowohl durch sich selbst (münd- 
lich), als durch ihre Freunde (Beauftragten), als auch durch 
ihre Briefe. Sie hätten ihm auch eigentlich (deutlich) vorge- 
halten, heimlich und offenbar (im verschlossenen Rathszimmer 
und im offenen Reichstag), sein unwürdiges und schreckliches 



(91) Sachsenspiegel II 65. 



Loher: Das Hechtsverfaliren hei König Wenzels Absetzung, 63 

Leben und Eeichsverfahren , sowohl die Kirchennoth als die 
schwere Entkräftung und Verkleinerung des Eeichs, die er 
»schedelich und wider die wirdikeit sins tytels getan und 
verhenget hat: 

I. Nemlich, das er der heiligen Kirchen nie zu Frieden 
geholffen hat, das der Christenheit ein gross notdorfft gewesen 
und noch wer, das yme als eime Vogt und ein Schirmer der 
heiligen Kirche zugehorte, und wir yn dicke und vile darumb 
gebeten ermanet und ersucht han«. 

Allerdings war des römischen Königs oder Kaisers hei- 
ligstes Amt, advocatus patronus et defensor ecclesiae zu sein, 
und oft genug halten die Kaiser bei zwiespältiger Pabstwahl 
eingegriffen und selbst Concilien berufen. Es war eine schreiende 
Thatsache, dass Wenzel, mit dessen Kegierung der grosse 
Zwiespalt in der Kirche entstanden war, volle zwanzig Jahre 
hindurch so gut wie gar Nichts gethan hatte, der Kirche zum 
Frieden zu helfen. Alles Volk musste ihn dieser Gleichgültig- 
keit wegen anklagen. Der französische König durfte ihm 
sogar vorhalten: »er solle doch nicht meinen, Macht und 
Ansehen der weltlichen Fürsten büssten etwas ein, wenn die 
Kirche nicht mehr schwach und zwiespältig sei«.^*) Das 
nächste Mittel, die Einheit in der Kirche anzubahnen, war 
der Eömerzug. Der Pabst, welcher den Kaiser krönte, stieg 
im selben Augenblick hoch über seinen Nebenbuhler, und es 
fragte sich dann, ob dessen Obedienz ihm noch anhängen würde. 
Wenzel hatte wiederholt Zeit und Mittel zum Eömerzug, er 
unterliess ihn, trotz der dringendsten Antriebe von allen Sei- 
ten, aus Scheu vor durchgreifender That, wohl auch aus klein- 
licher Berechnung. Denn allerdings musste er dann das An- 
sehen des Pabstes, von dem er sich krönen liess, wider den 
Gegenpabst geltend machen. Aber hierin lag seine zweite 
Schuld, dass er nicht einmal eine Erklärung wagte gegen den 



(92) Martene et Durand Ampi. coli. VII 625. 



64: Jdh/i'b, der hiaior. Classe der k. Akad. der Wissemduiften. 

französischen Hof, welchem die Christenheit hauptsächlich das 
Schisma verdankte. Schon eine offene entschiedene Erklärung 
gegen die französischen Cardinäle, als ihr Pabst in Avignon 
starb, hätte nutzen können. Grobe Fahrlässigkeit, — das 
war die juristische Bezeichnung für Wenzels Benehmen in Be- 
zug auf seine Reijßhspflichten gegen die Kirche. Als er zuletzt 
Anstalten machte, etwas zum Frieden der Kirche zu thun, 
wie unklar und schwankend waren seine Schritte! War denn 
irgend zu hoffen, dass ßr nicht im nächsten Monat wieder 
erlahmte und wieder Alles liegen liess? Und wohin lenkte 
er seine Schritte ? Gerade auf die Wege, welche die Urheber 
des Schisma, die Franzosen, ihm zeigten, statt dass er gerade 
sie hätte nöthigen müssen, den rechtmässigen Pabst anzuer- 
kennen, der gewählt und im Besitz der päbstlichen Hechte 
und Würden war, ehe der Gegenpabst gewählt wurde. Den 
Krieg g^en Frankreich bezeichnete Dietrich von Nieheim als 
das einzige Mittel, das Schisma zu tilgen, ^^) — wie aber wäre 
Wenzel dazu zu bringen gewesen, nur den Gedanken dieses 
Kriegs zu fassen! 

IL »So hat er auch das heilige Komische Eich swerlich 
und schedelich entgliedet und entglieden lassen, Nemlich mey- 
lan und das laut in Lamperten, das dem heiligen Biche zu- 
gehorte und das Biche grossen nutze und urbe davon gehabt 
hat, dar ynne der von Meylan ein Diener und Amptmann 
wass des heiligen Bichs, den er nu daruff einen hertzogen und 
zu Pafey einen graven gemacht hat, und hat darumb wieder 
sinen tytel und glymph gelt genommen«. 

Zum zweitenmal wfrd hier darauf Gewicht gelegt, dass 
der König wider seinen Titel und seine Ehre gehandelt. Der 
Titel war semper Augustus, allzeit Mehrer des Keichs, — der 
einzige, den der König führte. Nichts war daher für sein 
Ansehen empfindlicher, als wenn es hiess: er sei ein Beichs- 



(93) Historiae Theod. a Niem, Basel 1566. p. 367. 



Loher: Das Sechtsverfahren hei König Wenzels Absetzung, 65 

minderer. Mochte er wider Unglück und Gewalt nicht mehr 
ringen können, wenigstens durfte er nicht leichtfertig Beichs* 
Verminderung zulassen. König Budolf hatte dem Pabste ge- 
^hrieben, er wolle ihm Alles versprechen und thun, nur keine 
Minderung des Beiches. Gegen Adolf und Albrecht war als 
Hauptgrund der Absetzung geltend gemacht, dass sie des 
Beiches Bechte nicht wahrnähmen. Wenzels Grossvater, Kai- 
^r Heinrich, hatte Alles aufgeboten, des Beiches Bechte und 
Würde in Italien wieder herzustellen. Auch Ludwig der 
Bayer war mit kaiserlicher Kraft und Hoheit wieder in Italien 
aufgetreten. Wenn er den Fürsten von Lucca zum Herzog 
erhob, so durfte er, vor Erlass der Goldenen Bulle, das thun, 
ohne der Kurfiirsten Bewilligung einzuholen, und Lucca war 
nicht Mailand. Dieses war das Herz von Oberitalien: wer 
auf Mailand die Hand legte, hatte die Herrschaft von Ober- 
und Mittel -Italien. Mailand war Kammergut des Königs, 
man betrachtete es mit Becht als meliorem partem in Italia 
imperii ad ejus cameram pertinentem, •*) — quam provinciam 
ipse Otto Magnus Augustus viridarium imperii appellavit, et 
eidem imperio singulariter incorporavit, ut per Imperatores et 
reges Bomanos, qui essent pro tempore, jure proprietatis per- 
petuo regeretur, ***) — »wovon das Bich«, sagen desshalb die 
Kurfürsten, »grossen nutze und urbe gehabt hat«. Mochte 
immerhin der Visconti bereits erblicher Statthalter des Beichs 
sein, er bestand immer nur noch als blosser »diener und ampt- 
mann des richs«. Gross war dagegen der Unterschied, wenn 
ihm Mailand mit der Lombardei und der Beichsgrafschaft 
Pavia zu erblichem Herzogsgute in Lehen gegeben wurde. 
Im ersten Falle behielt das Beich seine Eigenthumsrechte, die 
OS bei (Jelegenheit geltend machte ; im zweiten Falle war ihm 
^ neuer Lehnsfürst entstanden, über welchen das Beich rechte 



(94) Brief des Mathias Sobemheim. 

(95) Theod. a Niem. Lc. 366—367. 



04i Jahrb. dtr bistor Gaim den k, JAmii^ dbr Wisaemchaften, 

Mßbar Weise Bocb so wenig: zu aagje» hatte,, als über den 
H<ȧzagi ^(Ok Sa^ojem Was Wenzel in Obeikalien that ,. wair 
gecade so«, sJa weim ei wil&ürlielL eine AneaU yoit KekW 
stäidteE und fieichsvoigteieBi i& Deuteeldand zufiannaengesokfer 
gen und sie einem Fürsten, zum ei\blicli«n.Eeszogthum g^egeben 
hatte. Selbst dea Eurförsten hatte die Goldene BuUe £ih 
Werbungen nur gestattet »sub taUum terrarum castrorum ffda* 
sessLonum predioruni seu bonorum condicione consueta, ut 
videlicet propria recipiantur vel c^nparentur ut propria, libeva 
velut libera, et ea quae depend^ iu feudom similiter emaiH 
tur in. feudum seu compaxa^iar taliter teneantur, ita tamenv 
quod ipsi (eleetores) de hüs^ quae hoc modo comparaverint vel 
reeeperint et (territono suo) duxeidnt applicanda, ad pristina 
ac consueta jura de talibus sacro ea^plenda et reddendailmperio 
siut astricti«. ^•) Diese Vorschrift verletzte Wenzel auf da» 
Gröblichste, und zwar nicht zu Gunsten eines Euxiffirsteint^ 
sondern eines Italieners, der die machiavellistische Politik in 
grossem Stile übte. Galeazzo besass einen fürstlichen hoch^ 
strebenden Geist und wusste sein Volk zu fassen und zu heben. 
Er war es auch, welcher den mailändischen Dom und die 
Karthause bei Favia erbaute. Was war von einem solchen 
Manne, der schon früher vomFabste die lombardische Königs^ 
kröne verlangte, zu erwarten, da er den schwachen Wenzel; 
der zu ihm eine confidentia specialis trug, ^^) mit seiner Gei- 
stesgrösse leicht beheiTschte? — Welchen Eindruck die mit 
aller Fracht gefeierte Erhebung des Galeazzo zum Herzog von 
Mailimd damals auf die Welt machte, darüber sei noch ein 
Beispiel von einem unparteiischen Zeitgenossen angeführt« 
Dynter, der sich ausführlich über Wenzels Wesen und Trei- 
ben verbreitet, erwähnt von» seinen Segentenhandlungen nur 
drei: die Zusammenkunft zu Bheims,, die Mailänder und die 



(96) Aurea bulla cap. 10 de monetis. 

(97) Palacky 104, Note 117. 



I^M: Das BechUcerfdhten hei König Wenzels Absetzung, 67 

gleidli ztr erWähniende Bl^ainter Sache, und von jener sagt er: 
»Iste Wenceslaus rex domfamm Galleacran, comitem Papie et 
Virtiittim a(i domintiin Mediölanelisim , in ducem Mediolanen- 
sem cröavff et sibi civitatöm Mediolaiiiensem üha cum tota' 
LiloiHb^ib^ in feüdhim concessit, et sie dominiuln iibperii aliena- 
vit, irrequisitis electoribns et sine conseäsu ei voluntate eorun- 
dem«.*®) 

in. »Er hat auch vil Stötte und lande in dütschen und 
webfehen landen, dem Eich zugehörende, und der ein i&ä 
verfallen sint dem heiligen Eiche, übergehen, und der nit ge- 
achtet, noch an dem heiligen Eeich behaltene. 
Ein Zeitgenosse Wenzels spricht die Anklagen folgender Ge- 
stalt aus: »Wenceslaus rex, licet tunc robustus corpori, dives 
axrfb et argento, ac etiam potens in populo admödüni foret, 
tarnen infra XX annos et ultra, quibus reipublicae praeftdt, 

— quod dictum schisma tolleretur, vel saltem Imperium hujus- 
ihodi reformaretur, — in aliquo instare seu efficere non curävit, 

— impugnantibus etiam vi fideles imperii et jura illius sibi 
vendicare conantibus in diversis provinciis non restitit verbo, 
Scripte, vel fecto, ac si eum hoc non tangeret, nisi forsan ab 
oppressis injuste fidelibus ejusdem imperii praesidium ab ipso 
pretio emeretur.« ^*) 

Die Städte und Länder, welche man meinte, sind indem 
Urteil nicht genannt, offenbar aus juristischer Vorsicht. Denn 
man konnte kaum übersehen, welche alten Eechte des Eeiches 
während Wenzels langer Fahrlässigkeit in Italien und auf der 
ganzen französischen Gränze missachtet und eingebüsst waren, 
um dadurch, dass man einige nannte und andere nicht, keinen 
Grund zur Behauptung zu geben, als habe das Seich durch 
Verschweigung der letztem seine Ansprüche darauf stillschwei- 
gend fallen lassen, wählte man lieber die Form, überhaupt 



(98) Dynter Chron. Brab. duc. 1. c. 75. 

(99) Thedd. a Niem 366. 

5* 



68 Jahrb, der hi^tar. Claase der k. Akad. der Wissenschaften, 

keine Stadt und kein Land zu ben^inen. Ausserdem war es 
schwer, einen juristischen Beweis zu liefern. Wenn auch der 
Augenschein für die üebergabe sprach, liessen sich doch die 
Urkunden, worin der König sie vollzogen, nicht herbeischaffen. 

In den Berichten, welche die Stadteboten vom Lahnsteiner 
Tage über die Urtelsgründe der Absetzung nach Hause sandten, 
ist von vielen Städten und Schlössern in deutschen Landen 
die Bede: z. B. »Item territoria et castra, causa divoludonis, 
(bei Gelegenheit des Heimfalls), quae pertinerunt ad Imperium, 
dedit alienis et abstraxit imperio.c ^^^) Welches diese Beichs- 
güter waren, wird auch hier nicht angegeben. Dagegen wis- 
sen wir Näheres von zwei bedeutenden Fällen. 

Genua war, wie schon erinnert, dem französischen König- 
reich einverleibt, und die französischen Waffen hatten mehrere 
benachbarte Städte besetzt. lieber dies Eindringen der schis- 
matischen Franzosen in Oberitalien, während Unteritalien 
ebenfalls an einen französischen Prinzen gerieth, entstand nicht 
geringe Aufregung. Der Pabst sah bereits ganz Italien ver- 
loren und schrieb nach Deutschland: man möge die Fürstin 
und Lehrerin der Welt, Italien, retten und das Kaiserthum 
schützen. ^®^) Ob Wenzel wirklich Genua den Franzosen ab- 
getreten, darüber liegt keine Urkunde vor: jedenfalls hatte er 
nicht öffentlich gegen das Abreissen eines Stückes von deutsch- 
italienischem Beichsgebiete protestirt. In den Lahnsteiner 
Berichten der Städteboten wird meist obenan der Artikel ge- 
setzt; »Janvam ab imperio alienavit et regi Franciae assig- 
navit.c 102) 

Noch wichtiger war die Brabanter Sache. Die deutschen 
Herzogthümer Brabant und Limburg waren dem Beiche oder 
dem Könige als Oberlehnsherrn verfallen, da nach dem Tode 



(100) Aus dem Frankfurter Stadtarchiv. 

(101) Höfler 110. 

(102) Aus dem Strassburger und Frankfurter Stadtarchiv. 



Lohet: Das BecMsverfahren bei König Wenzels Absetzung. 69 

des letzten Herzogs Wenzel kein legitimer Erbe mehr da war. 
Ebenso gut, als König Albrecht bei einem ähnlichen Falle des 
Beiches Rechte auf Holland und Seeland behauptet, als Kaiser 
Ludwig ähnlich gehandelt hatte, als später Wenzels Bruder 
Sigismund wiederholt des Reichs und Königs Rechte über das 
erblose Holland und Seeland vertheidigte : ebenso gut musste 
König Wenzel die Reichsrechte inBrabant und Limburg wahr- 
nehmen. Statt dessen geschah es mit seiner Zulassung, dass 
seine Verwandte, die Wittwe des letzten Brabanter Herzogs, 
nach Paris ging und den Sohn ihrer Schwester, einen franzö- 
sischen Prinzen von der Burgunder Linie, zu ihrem Erben 
einsetzte. Wenzels Vater, Kaiser Karl IV., hatte urkundlich 
bestimmt: bei kinderlosem Absterben des letzten Herzogpaares 
sollte Brabant an den nächsten Erben aus seinem, dem Luxem- 
burger Hause, fallen. ^^*) Dieser Erbe war Wenzel. Er aber 
hatte sich wenig darum gekümmert, ja es war wohl mit förmr 
lieber Einwilligung geschehen, als Johanna nach Paris reisete und 
ihre Länder einem französischen Prinzen verschrieb. Schon 
auf dem zweiten Frankfurter Tage Hessen die Kurfürsten den 
Städten insbesondere vorstellen, dass durch Wenzels Schuld 
Flandern und Brabant dem Reiche abgezogen würden. ^®*) Die 
Kurfürsten aber Hessen den neugewählten König Ruprecht sich 
sofort darauf verpflichten, dass er* alle Macht anwenden solle, 
ebenso Brabant mit seinen Zubehörungen , als Mailand und 
Pavia wieder zum Reiche zu bringen. In der That versprach 
Ruprecht, als er später in Aachen einzog, dem Herzog von 
Geldern, der mit Brabant im Kriege lag und zu ihm nach 
Aachen kam: er werde im nächsten Jahre mit einem Kriegs- 
heer kommen und Brabant zum Reiche zurückfordern. Bereits 
rüsteten sich die Burgunder Fürsten, um mit all ihrem und 
dem französischen Kriegsvolk den deutschen König zu be- 



(103) Dynter cap. 69 p. 144. 

(104) Obrecht 27. 



7;9 Jahrb. der histor» Clässe d^r l'. Akad. der Wissenschaften. 

kämpfen. *®*) Als Wenzel sich im folgenden Jahre gegen 
Buprecht zum Vergleich erbot, hatte dieser unter Anderen 
verlangt, Wenzel solle ihm sogleich alle Ur^nden über Tra- 
bant abliefern. 

Wie aber Wenzel wirklich mit des Beiches Eechtejf und 
Interessen umsprang, zeigte sich noch im J^hre 1411, alf er 
dem Burgunder nicht nur urkundlich erklärte, (illum) »ad do- 
minum ducatus Brabancie rite bene et juste legitima sijpces- 
sioue pervenisse,« sondern auch, wozu er gar keinEecht hatte. 
Folgendes hinzusetzte: »Ac etiam, si et in qu^ntim op^s est, 
opme jus, quod nobis tamquam Bomanorum et l^pbemie r^, 
l^cione diicatus Luxemburgeußis , ac alia^, in et ^uper ducati^ 
Brabancie, per modum devoluciopi§ seu alio ^uopfunqp, cQm- 
j^tit ac competere potest, et ^jimil|ter oiijf^e jus, quod jiobis 
in castris fortaliciis inter Mosam et Benuni aitis, ad ducatmn 
Ljjcemburgensem spectantibus, que idei][^ ^^thonius (duxBrab.) 
ad preseins tenet et possidet, competere dicitur, eidem A|i|iiQniQ, 
i^eredibus et successoribu3 suis, dedimus et donavimus ac in 
ipsos transferimus plenarie etintoto.« — So gewissenlos kqnnte 
4|eser König Deutschlands Eepht und Vortheil preisgaben. 
^as half es dem Eeich^, wenn der französische Prinz die 
^^^tsche Belehnung epipfing? Als Weiizel xoii seinem Yater 
ki^^-z vor dessqn To4e am «glänzenden P^fi^er Hofe auf das 
Glanzvollste bewirthet wurde, hatte Kaiser Karl IV. den fran- 
zösi$chen Kronprinzen zum Generaly^ar des arelatischQiiEeichs 
und insbesondere der Grafschaft Dauphi^^ erklärt un^ Sfeinö 
Gewalt bedeutend erweitert, und zwar unwiderruflich un^ auf 
Lebenszeit. Damals wurden ebenfalls die Eech|;e de^ cf^ut^chen 
Beichs förmlich vorbehalten : wurden ajper jene l^Lu^er darum 
etiya miniier Theile Frankreichs ? — Die^^ [^u^epibu^ger li^)).eu 
f^ Deutschland naancheSaat desp^nh^s auag^9ä.et. ^rlfV'. 
verlegte den Schwerpunkt des Beichs vom Bheine weg weit 



(105) Dynter 140—141. 



Löher: Das Bef'ktsvcrfahren hei König Wenzels Ahsetmng. 7t 

naeh Ogten, biiiter den Böhmer Wald, und tiess in den west« 
liehen GräQxlsuQden Kec^t and Schirm des Belizes vermg^a* 
Wenzel folgte ihm nach, und was sein ¥a*efr in Franibrei^h 
getiian, das wiederholte er m verstärkter W«ise dort wfe m. 
Italien. Nur einmal, als er vom französischen Hofe, der selM 
Trunkenheit geschaut hatte, ärgerlidi ziHxlckkehrte und einm 
Augenblick der Hoffnung Baum gab, er sei jetd; ein andemr 
Mensch geworden, hatte er einea Auftrag gegeben, die loUni^ft- 
gisdien Städte von Frankreidi zurückzufordern. Kaum wsn* 
er wieder in seinen böhmischen Gewohnheiten, so schien AUm 
das rein vergessen und wurde das Familienbündniss mit den 
französischen Prinzen em^ert. Dass das Herzogthum Burgmid 
80 mClchtig heranwuchs, dass es Deutschlands Machtstellimg 
gegen Praakreidi wesentüch verrückte, dass es die Niederlande 
uns entfremdete und sie, so weit das möglich, französirte, — 
WeDzds Verfahren trug keinen geringen. Tbdl d^ Schuld 
daran. 

IV. »So hat er audi um gelts willen dicke und vile sine 
frunde gesant mit imgeschrieben brieffen, die man nennet 
membranen, die doch mit siner Majestad Ingesiegel besiegelt 
waren, und mochten die frunde, oder den die membranen wur- 
den, under dem königlichen Ingesiegel schribenwas sie w<dten. 
Davon ein gross sorge ist, das dass heilige Rieh an sinen wir- 
den und nutzen schedelich beraubet und entgliedet sy worden«. 
Wenn der König für gewisse dnzelne Fälle vertrauten 
und gewissenhaften Dienern solche offene leere Briefe mitgab, 
an welchen sein Majestätssiegel hing, und ihnen erlaubte, nach 
Befund eine Urkunde darauf zu setzen , so liess sich dagegen 
nichts erinnern. Einen hohen Grad von Fahrlässigkeit aber 
bewies es, wenn der König solche Membranen in Menge aus- 
gab, und wenn er es gar um Geld that, so war es empörender 
Frevel. Diese schwere Beschuldigung musste in sdhreienden 
Thatsachen begründet sein, sonst hätten die Kurfürsten sie 
nicht als »landkondig und offenbahr« bezeichnen können. In. 



72 Jahrb, der histor, Classe der k, Akad. der Wissenschaften. 

einem Städtebericht aus Lahnstein heisst es: »Item hat er viel 
membraen gegeben myt des grossen majestates ingesiegel, und 
hat viel landis da midde verkauft, ane wissen willen undver- 
hengnisse der fursten«. ^^^) Selbst in des Galeazzo Händen 
sah man solche Membranen. ^^^) Sobemheim behauptet, ea 
sei ein förmlicher Handel damit getrieben. Wahrlich, die 
Furcht war berechtigt, die Käufer könnten mit der Würde^ 
mit den Eechten und Gütern desBeichs ärgerlich umspringen. 
Als die Städte später von Euprecht Bestätigung ihrer Privilegien 
forderten, wurde erwiedert: man müsse erst gewiss sein, das» 
keine von Wenzel verkauften Membranen unter den Urkunden 
seien. ^®®) Die Nürnberger verzichteten sofort auf alle neue 
Privilegien, die von Wenzel herrührten. *®^) König Euprecht 
verkündigte öffentlich, dass er alle Wenzerschen Membranen 
widerrufe. ^^®) 

V. »So hat er auch nye kein acht gehabt der missehell 
und kriege, die leider manich zyt in dütschen und in andern 
landen des heiligen Eichs swerlich und verderblich gewesen 
und noch werende sind; deshalb gross Eaup Brand undmort 
off erstanden sind und teglich schedelicher offerstent ; und haut 
noch Pfaffen noch leyen, noch Ackermann noch kauflüte, beide 
man oder wyp, frieden uff dem lande oder uff dem wasser; 
und werdent auch Kirchen Clöster und ander gotshüser, die 
das heilige rieh hanthaben und beschirmen solte, verderblich 
geraubt gebraut und gentzlich sunder gotsforchte gewüstet und 
verdrieben«. 
In den Eechtsbüchem ^^^) heisst es: »Alle dage scolen 
vrede hebben papen undgeistlike lüde, megedeunde wif, unde 



(106) Aus dem Strassburger Archiv. 

(107) Höfler 108. 

(108) gchwab no. 280. 

(109) Chroniken der deutschen Städte I 194. 

(110) Chmel Kegesten Ruprechts no. 195. 

(111) Sachsensp. II 67,1. 



Löher: Das Rechtaverfahren hei König Wenzels Absetzung, 73 

Juden an erme güde und an erme Kve, korken unde kerkhove, 
unde jowelk dorp binnen siner grove unde tune. Ploge unde 
molen, unde des koninges strate in watere unde in velde, de 
scolen steten vrede hebben.« — Man aielit, die Sentenz über 
Wenzel ninunt ihre Sätze aus den Eechtsbüchern auf, gleich- 
wie auch das hier wiederholte »raup brand und mort« damals 
ein stehender Ausdruck war. Nun war der Frieden, welchen 
die genannten Personen und Sachen schon nach den ältesten 
Volksrechten (sg. leges barbarorum) hatten, ganz insbesondere 
ein KönigsMeden, ^^^) und es musste schlecht mit demÄns^ 
hen des Königs stehen, wenn nicht einmal diejenigen, welche 
unter seinem besondem Schutze standen, vor den ärgsten An- 
griffen sicher waren. 

Aber hatte denn Wenzel nicht genug Landfrieden yerkün- 
digt? Ja wohl, — nur Schade, dass der Gesetzesverkündiger 
ein so schlechter öesetzesvollzieher war. Nur einmal war er 
den Landfriedensbrechem auf das Haupt gefahren und hatte 
ihnen ein paar Burgen niedergebrochen. Sonst aber war es 
seine Gewohnheit, wenn die Landfriedensartikel fertig geschrie- 
ben waren, die Eeichsstände sich selbst zu überlassen, und, 
wie die Chronik »der hilligen. Stad van Collen« sich ausdrückte, 
gemeiniglich in Böhmen zu liegen, »as eyn swyn in synem 
staUe.« Der königliche Schirmherr des Friedens sollte aber 
nicht nur den Friedensgesetzen mit dem Schwerte Achtung 
verschaffen, sondern er soUte, das war nach des Volkes Mei- 
nung seine heilige Pflicht, dem Ausbruch von Krieg und Fehde 
zuvorkonmien. Er musste überallhin wachsam sein, und wo 
sich Streit erhub, die Eifernden vor sein Gericht ziehen, ihnen 
Eecht sprechen, oder wenn sie nicht hören wollten, dazwischen 
fahren, ehe das Unheil ausbrach. Desshalb sollte der König 
im Reiche umherziehen, und deshalb waren ihm, wo er erschien, 
alle Gerichte und alle Gefangenen ledig. Ueberhaupt konnten 



(112) Waitz Yerfassangsgeschichte II 142 ff. 



74 Jahrb. der histor, GkiBse der k. Äkcul. der Wissenschaften, 

diB LandMedensrichter immer nur die kleinen Friedensbrüche 
Saiden, und die allmählige Y erlängenmg und Aasdehnnng des 
Landirieden war es, welche hauptsächlid;i die alte Fehdegewobn- 
heit einengte und erstickte. Das grössere üebel waren die grossen 
¥;efdier))lädien Kriege, die mitten im Eeiche ausbrachen: diese 
hMte der König um jeden Prds verfaindem müssen, wenigstens 
mm Bestes dazu thun. Jedoch gerade unter Wenzel hatte 
der urilde Fürsten- und Städtetaieg Deutschland verheert, nie- 
mals erlosch das Andenken daran. Und wie viele andere £aiü>- 
und Küegszüge waren hinzugekommen! Aber Wöozel küm- 
merte sich so wenig um die räuberischen Yitalienbrüdar und 
Liaiarts im Norden, als dass die schreckliche Schlacht bei 
Berchtheim das Freiheitsstreben der Würzburger Städter, wel- 
ches gerade Wenzd recht angefacht hatte, in ihi*em Blute 
i auslöschte. Ganz gewiss konnte er allän nicht allem Unbdl 
; steuern, -r- dass er jedoch so selten und so wenig Anstrengungen 
dazu machte, das war s^ne schwere Schuld. Hatte er doch 
den Beichsständen , die gerade deshalb ihn nach Deutschland 
v^Iangten, einmal schnöde geantwortet: König sei er dbimai, 
und wer ihn beschauen wolle, könne nach Prag kommen. 
VI. »Es hat auch yederman deshalben sinen mutwillen, 
wieder glimph und recht, mit dem andern getriben und noch 
tribet, sunder besorgunge und achte des heiligen Biches, das 
also versumelich gehalden is worden; und enweiss auch jetzund 
nyman, für wene er das recht bieden möge, das er von des 
heiligen Bichs wegen daby behalten und beschirmet werde.« 
Dieser Artikel bezieht sich auf die fahrlässige Verwaltung 
des obersten Gerichts im Beiche, des königlichen Hofgerichts. 
Wurde ein Beichsstand von Andern bedrängt, so musste auf 
sein Anrufen der König das Becht darlegen. Insbesondere 
wurde das erwartet, wo es sich um Bechte des Beiches han- 
delte. Wenzel aber hatte, worauf Dietrich von Nieheim be- 
sonderes Gewicht legt, geduldet, dass der Trierer Erzbischof 
ein Jahr lang die Beichsstadt Wesel hart belagerte und ihrer 



Loher: Das Rechtsverfahren bei König Wenzels Absetzung. 75 

Freiheit beraubte, und dass der König von Frankreich einen 
Pieichsfürsten , ^m Herzog von Geldern, wider ftecht mit 
^gem Krieg heimsuchte. 

Dfe Berichte der Städteboten enthalten noch zwei beson- 
.dpre Ar^kel gegen Wenzel, welche am Lahnsteiner Tfige 
j^rwogen wurden. »Zum achten«, heisst es in dem einen, 
»daz die herren von dem dutschen orden yme dicke und vil 
geclaget hant voi^ dem Konige von Crakaw (Polen), daz in 
?iye recht enkünde widerfaren ; derselbe von Crakau heldet me 
^t; den beiden dann mit den Cristen«. ^^^) In Ulman Stro- 
Qjßrs ^eitbüchlein wird unter den fünf vornehmsten AbsetzungSr 
gr^pdeii als einer angeführt: »Auch beten sich die dewtzen 
herren von im erclagt, wi daz er dem litawissen Kung (Gross- 
fürst Jagello yon Lithauen, auch König von Polen) wider die 
Kristenbeit zugelegt hed, daz der kristen vil ermord und 911 
tiOd erslagen bürden, und di kristcD dez streitz der nieder 
lagen«. ^^*) Der andere Artikel wird verschieden gegeben, 
»Zum nünten, daz er erbere lüde (freie Leute von Eittersart) 
vor das hoffegericht hat geheischen in Sachen die nit dariur 
gehörten.« — »Item extorsit minis juste pecunias abhominibus 
per Judicium curie imperialis, citando ipsos causa extorsionis 
pecunie«.^^^) — »Item so hat er manchen erbern man gehey- 
sphen vor syn hoffegeriechte , da wenig yemant recht künde 
gescheen, und hat dicke gelt genomen von den, die unrecht 
varen gewest widder recht, aue w'issen der andern partyen«. ^^^) 
Dies bezeichnet hinlänglich, wie übel es mit dem höchsten 
Gericht imEeiche bestellt war. Die Absetzungssentenz glaubte 
alle diese und ähnliche Fälle am besten unter dem allgemei- 
nen Satze zu fassen: es werde unter des Königs Regierung 
das Eecht nicht gestärkt und das Unrecht nicht gekränkt. 

(113^ Au9 dem Frankfurter Stadtarchiv. 

(114) Cbroniken der deutschen Städte (Leipzig 1862) 1 52. 

(115) Aus dem frankfurter Stadtarchiv. 
(U6) Aus d^oi Strassburgev Stadtarchiv. 



76 Jahrb. der histor. Classe der Je, Akad, der Wissenschaften. 

Vn. »Er hat auch, das erschröckelich und unmenscWich 
ludet, mit sin selbs haut und auch mit ander ubelteter, die 
er by im hat, Erwirdige biderbe Prelaten pfaflFen und geistlich 
lüte und auch vil ander erbar lüte ermordet, ertrencket, ver- 
braut mit Fackeln, und sie jemerlichen und unmenschlich ge- 
tödtet wieder Recht, — das eime Römischen Künige unzemlich 
stet und ludet«. 

Es ist hierin nicht allein an die entsetzliche Geschichte 
des Johann von Pomuk gedacht, sondern auch an andere 
Fälle, deren die böhmischen Chronisten eine Menge, und zwar 
unter vielem Uebertriebenen auch genug in glaubhafter Weise, 
erwähnen. Das Alles war freilich nur in Böhmen geschehen. 
War aber der böhmische König nicht deutscher Reichsfurst? 
Und hätte es der deutsche König in der Türkei gethan, er 
hätte sich dadurch zu einem indignus imperii gestempelt. Denn 
es blieb eine Schmach für das deutsche Volk, wenn solche 
Gräuel von seinem Könige in aller Welt erzählt wurden. 
Die Aufzählung der ürtelsgründe schliesst: 
»Und sint auch diese vorgenante artickel und vile ander 
grosser siner Übeltat und gebresten als so sehr landkondig 
und oflfenbahr, das sie nit zu beschönen noch zu bedecken 
sind«. 
Sie sind auch nirgends widerlegt worden, sondern, wie 
das oben berufene Rechtsgutachten der den Städten befreun- 
deten Juristen sagte, hielt man die Artikel, wegen deren der 
König abgesetzt wurde, »gemeinlich voir wair«. 



X. Formeller Gang des Verfahrens. 

Es bleibt noch übrig, zu untersuchen, ob bei Wenzels 
Absetzung kein Verstoss gegen das formelle Recht gemacht, 
ob es ein tumultuarisches Verfahren war, oder ob »Domini 



Löher: Das Recktsverfäliren bei König Wenzels Ahsetzwng, 77 

« 

principes electores multum solerter, rite, sancte, et juste pro- 
cesserunt«, wie Soberuheim sagte. Ehe wir dies prüfen kön- 
nen, sind erst die Grundsätze und Begeln selbst aufzusuchen, 
nach welchen das Bechtsverfähren bei Absetzung eines Königs 
seinen Gang nehmen musste. 

I. Es wuirde bereits dargelegt, in welcher Weise seit der 
Goldenen Bulle der Gerichtshof zusammengesetzt war, 
welcher bei Absetzungsfragen über den König zu richten 
hatte. 11^) 

Damit dieser Hof als gesetzmässig gebildet anzusehen, 
mussten zunächst aUe sieben Kurfürsten geladen und wenig- 
stens die Mehrheit erschienen sein. Dies ging nach der Eechts- 
analogie aus dem zweiten Kapitel der Goldenen Bulle hervor, 
und wurde auch, wie aus dem früher erwähnten Gutachten 
der juristischen Eathgeber der Städte erhellt, so im Reiche 
angenommen. ^^®) 

In dem Verfahren nun, welches zu Wenzels Absetzung 
führte, waren von vorn herein fünf Kurfürsten thätig, die 
beiden fehlenden Kurstimmen fährten Wenzel selbst und sein 
Vetter Jost von Brandenburg. Am letzten Gerichtstage er- 
schienen zwar nur vier Kurfürsten, jedoch waren, ausser dem 
Angeklagten selbst, die zwei andern Kurfürsten, Sachsen und 
Brandenburg, förmlich und unter dem gültigen Präjudiz ge- 
laden, dass im Falle ihres Nichterscheinens der Prozess gleich- 
wohl vor sich gehe. 

Indessen, war denn schon mit den Kurfürsten allein der Ge- 
richtshof bestellt? Das wäre ein geschlossenes heimliches 
Gericht gewesen und wider alle deutsche Eechtssitte. Ueberall 
mussten die Schöffen öffentlich zu Gerichte sitzen vor dem 
ganzen Umstände, das heisst vor allem Volke, und Jeder aus 
dem Umstände, welcher des Angeklagten und der Schöffen 



(117) Oben im Abschnitt H und HI. 

(118) Obrecht 65. 



78 Jdlki. ätr histor. Glosse der k, Äkaä. der Wissekschaftm. 

Genosse, das heisst, ihnen ebenbürtig war, konnte das Ürtefl 
streiten, * *^) das heisst, er konnte vortreten und erkläf eü : 
das Urteil sei nicht in des Landes nnd Volkes K^hte begrftn- 
det. Dann aber inusste er selbst ein besseres Urteil finden 
und darlegen. Denn welcher Mann der Schöffen Genosse T^ai^, 
der war ebenso wie sie Wisser und Wahrer de^ Kechtes. Er 
konnte als Kläger, als Zeuge, als Fürsprecher auftreten: das 
Prinzip der Ebenbürtigkeit war strenge durchgeführt. 

Es ergiebt sich also, dass die Kurfürsten in unserm Falle 
keine andere Stelle einnehmen konnten, als die Schöffen im 
gewöhnlichen Gericht, und dass ihren Umstand zunächst Alle 
die bildeten, welche ebenbürtige Genossen des Königs waren, 
d. h. die Fürsten und die altfreien Herren, welche Fürstenrang 
hatten, von denen Jeder als Kläger, als Fürsprecher, als Ur- 
teilschelter auftreten konnte. 

»Ueber des küniges lip und sin ere mac nieman 
urteil sprechen wan die forsten. ^*^) Nieman mac 
geziuc über in sin umbe die Schulde, wan die Fürsten, 
sie sin geistlich oder wertlich. ^*^) 
Also wurde auch Wenzel vorgeladen, zu erscheinen, wie 
es im Ausschreiben hiess, »by uns den Kurfürsten und den 
andern Fürsten, die auch aldar zu uns werden kommen.« ^**) 
fin Urteil heisst es dann, dass die Kurfürsten die Absetzung 
beschlossen, »mit wolbedachtem mute mit vile und mancherley 
handelunge (Verhandlung) und Kate, die wir darumb imter 
uns und mit vil andern fürsten und herren des heiligen Richs 
ernstlich gehabt han;« *^') oder wie in den Ausschreiben kür- 
zer gesagt wird: »mid rads ander fürsten und herren zu dem 



(119) Sachsensp. HI 69., SchWabensp. 96. 

(120) Schwabensp. 104. 

(121) Das. 109, 5. 

(122) Obrecht 35. 38. 40. 

(123) Das. 47. 



Läiker: Bc» Mechtgverfc^en bei König Wenzels Absetevng^ 19 

hefligen Bich gehörig«. "*) De^alb werden- auch am Ende 
des^ AbsetzuDggiirteils ans dem Umstände als gegenwärtig äü^ 
gißfiihrt: zwei Fürst^, vier edle Herren von Färstenrangy vief 
öörafcn, vier Doctoren^ zwei wirkliche Eitter ^**^), und- sechif 
andeie Edelleute (Knechte), und »ander vü herren, Bittorf, 
knechte, Inte geistliche und weltlichen, in grosser unmerclict^ 
zale zu gezügen zu den vorgenanten dingen geheischen \mäi 
gßbetten.« **•) Vor allem Volke der Freien ging die Sache 
vor sich, sie alle waren, wenn auch keine Eichter des KöiiigSy 
ZeugBU der öffentlich rechtlichen Verhandlung wider ihn. 

Die Seichsstädte waren von den Kurfürsten ausdrücklich eis 
sucht, zum Lahnsteiner Tage »ir Fründe mit gantzer macht« (äu: 
Alkon Bevollmächtigte) zu senden. Sie wurden auch zu den vor-^ 
hergehenden Reichstagen mit denselben Worten wie die Ftbrsteti' 
geladen, und in der That waren jedesmal mehrere Städteboteü 
gegenwärtig. ^*^) Die Fragen ergingen an die Städte 
so gut, wie an die Fürsten: auch die Städte hatten zu 
befinden, ob die Verantwortung des Königs ihnen »duncket 
g^nug sin.« ^**) Denn in allgemeinen Beichsangelegenheiten 
haifaten sie ebensogut mitzusprechen, als die Fürsten. Bei der 
eigentlichen Absetzung dagegen betheiligten sich allein die Für- 
sten und Herren des Beichs. ^^^) Das Urteil selbst aber wird von 
aeht Öffentlichen Notaren (Offenschriber) ausgefertigt, unter 
welchen zwei des Erzbischofs und Kanzlers von Mainz »geswoni' 
Schriber« waren. 



(124) Das. 62. 68. 

(125) Ueber die Bedeutung der wirklichen Ritter und ihr Ver- 
hSHniss zu' den Doktoren des Rechts, den Rechtsrittem, und den 
finappeti odfer Knechten — die Abhandlung' > Ritterschaft und Adfel' 
im späteren Mittelalter von Franz Löher« in den Sitzungsberichten • 
der k. bayer« Akad. d. Wissensch. 1861, Band I, Keit lY. 

. (126) Obrecht 48—49. 

(127) Das. 28: 34! 27. Ai. Gudenüs IH 652J 

(128) Obrecht 27. 28. 

(129) Das. 47. 



80 Jahrb. der higtor. Clcksne der k, Akad, der Wisaenschaftm. 

n. Wo war nun die Gerichtsstätte? Der Fürsten- 
hof konnte dort tagen, wohin der König selbst seinen Hof 
gebieten konnte; dies waren nicht nur die Beichs-, sondern 
auch die Bischofsstädte, und überall wo eine königliche Pfalz 
war. ^*®) Denn das Gericht über den König konnte nur da 
sein, wo eine »curia imperialis oder regiac statt finden 
konnte. ^'^) Es trat hier aber die Beschränkung ein, dass 
der König, weU er immer fränkisches Becht hatte, nur auf 
fränkischem Boden gerichtet werden konnte. Jedenfalls musste 
das Endurteil ausgesprochen werden in Franken. Bei erlauch- 
ten Personen wurde das uralte Stammes- und Personenrecht 
noch gewahrt, wenn es in den untern Kreisen längst abgestorben 
war. Die Absetzung Adolfs wurde in Mainz ausgesprochen, 
und als man dasselbe gegen Albrecht unternehmen wollte, war 
der Kurfürst von der Pfalz dazu »ad Ehenum vocatus.c i**) 

König Wenzel wurde ebenso wie Kaiser Friedrich nach 
der alten Wahlstatt Frankfurt, zuletzt nach Lahnstein, wo 
eine königliche Pfalz, vorgeladen. Wenn aber seine Absetzung 
von der Höhe des uralten Königsstuhls zu Khense verkündigt 
wurde, so geschah dies der Feierlichkeit und des grösswen 
Eindruckes wegen. Denn auf eben diesem Königsstuhl war 
Wenzel bei seiner Wahl erhoben worden. 

III. Es erhebt sich nun die Frage nach Gang und Ziel 
der Verhandlungen. 

Zuerst musste man die Anschuldigung prüfen,. ob auf 
deren Grund das Verfahren sich einleiten liess. Es ist möglich, 
dass der Kurfürst von der Pfalz zuerst das Wort ergriff, weil 
er der gesetzliche Verweser des Reiches war, wo der König 
nicht selbst handeln konnte. Indessen ist darüber bloss die 
eine Nachricht in Ottokars Reimchronik vorhanden, dass der 
Pfalzgraf wider König Adolf den Ankläger gemacht habe. *'•)' 

(130) Schwabensp. 114. 113. Sachseiisp. UI 62. 

(131) Goldene Bulle cap. 5 §. 3. 

(132) H. Rebdorff ad a. 1300. 

(133) Im Cap. DCCXXm. 



höher: Da8 Rechisverfahren bei König Wenxds Äbaetgung. 81 

<S«wi8S aber konnte Jeder aus der Versammlung als Ankläger 
auftreten. 

Fand der (jerichtshof die Anschuldigung ernst und schwer 
genug, so handelte es sich um den Beweis. In der Begd 
mnssten wohl, wenn es einmal soweit gekommen war, die 
Thatsachen, wie in Wenzels urteil gesagt wurde, »landkondig 
imd offenbahr«, durch die »kuntlich schinbar dat und tegelich 
l)dse leuffe clerlich bewysen« sein.« Waren sie das nicht, und 
inirden sie von des Königs Bevollmächtigten oder einem Für- 
sprecher geleugnet, so blieb nur die Beweisaufiiahme übrig 
durch ebenbürtige und unbescholtene Zeugen, durch besiegelte 
einwandfreie Urkunden, durch Beinigungseid. Zweifellos hätte 
noan auch das Gottesurteil des Zweikampfes für und wider an- 
rufen können. 

Wurde nun die Anschuldigung nicht als falsch dargethan, 
so folgte — ganz wie in andern Criminalfallen — entweder 
die compositio, die Sühne unter Genugthuung, oder die 
sententia der Absetzung. Beides wurde von yornherein in 
Aussicht genommen. Als Johann von Dalberg, Bitter, auf 
4em Frankfurter Beichstage im Juni 1400 im Aufbrag der 
Kurfürsten vor der Städtebank seinen Vortrag hielt und den 
iStädteboten darlegte, dass dem Könige nochmal ein Tag gen 
Lahnstein beschieden werden solle, sagte er: »Und ist es 
Sache, das er dar kumpt und solich gebresten der heiligen 
Cristenheit und des Bömischen Biches ableit und wendet, alse 
«das unser herren die kurfursten und andere forsten und die 
Stette zu dem heiigen Biche gehörig das duncket genug sin, 
— das ist gut. Keme er aber dar zu dem tage und leite 
soliche gebresten nit abe, als vorgeschriben stet, oder das er 
nit dar keme, — so meinent unser Herren die Kurlursten 
und vil ander fürsten und herren, eineandemnge zu tundean 
dem heiigen Biche und einen andern zu dem heiigen Biche 
2u setzen.« ^^^) So erging denn an Wenzel die Ladung, in. 

(134) Obrecht 28. 

6 



82 Jahrb, der histor, Classe der 1c, Akfid, der Wissenschaften, 

Lahnstein zu erscheinen, die ihm genannten »gebrechen zu recht- 
fertigen, und auch zu bessern, und das riche wider zubringen,, 
als der heiligen Kirchen, dem heiligen Römischen Bich und 
der gemeinen cristenheit des ein gross notdurfft ist. Und 
quement ir nit uff diese vorgeschriben Stad und dag, zu thun 
in der masse, als fürgeschriben stet: so .müsten wir von 
Anruffunge des gemeinen Landes und auch von solicher eide 
wegen, damit wir dem heiligen Römischen Rieh verbunden sin^ 
darzu gedenken, dun und bestellen, das dass heilige Rych 
nutzlicher und redelicher gehandelt wurde, und wolteu darumb 
solicher eyde, als wir uwer personen getan han, gentzlich ledig^ 
und uch fürbas nit me verbunden sin, bebeltnis uns doch 
solicher eyde, damit wir dem heiligen Romischen Riche ver- 
bunden sin, daby wi verliben wollen«. ^^^) Aehnlich lauten 
die Vorladungen an Kaiser Friedrich III., und ganz richtig 
wurde bei König Adolf die Verhandlung auch ein Verhör oder 
:&colloquium« genannt. »Colloquium seu curiam infesto sanc- 
torum Philippi et Jacobi pro regni negotiis edixerunt et regem 
Adolfum et ducem specialiter vocaverunt.« ^^^) Kam also der 
König und rechtfertigte sich, — oder gestand er seine Schuld zu^ 
gab aber durch sein ganzes Benehmen und je nach der Lage 
der Dinge Bürgschaft, dass er die Schäden imd üebel, welche 
ihm zur Last gelegt wm-den, bessern wolle und könne, — und 
hierbei hatten, wie gesagt, auch die Reichsstädte mitzureden, 
— kurz gelobte er Genugthuung: so war, wie Dalberg sich 
ausdrückte, die Sache »gut«. Der König blieb in Ehren und 
Würden, und die Stände halfen ihm, sein hohes Amt gedeih- 
licher zu fuhren. Erschien der König aber nicht zum Sühne- 
und Gerichtstage, oder verwaif er das Ansinnen, das ihm 
gestellt wurde: so erklärten die Stände den heiligen Vertrags 
den sie bei seiner Huldigung mit ihm errichtet, für durch ihn 



(135) Obrecht 35. Ebenso Sobernheim bei Wencker 268. 

(136) Chron. Colmar. ad a. 1298. 



Löher: Bw Rechtsverfahren bei König Wenzels Absetzung, 83 

selbst gelöst und kündigten ihm ihre Eide auf. Deshalb wird 
in der Sentenz gegen Wenzel so , viel Gewicht darauf gelegt : 
dass er so oft ermahnt sei, sein unziemliche^ Leben abzulegen, 
und dazu sich zu stellen und zu arbeiten, wie die Kirche wieder 
zu Frieden und Einigkeit, das Reich wieder zu seinen Würden 
Landen und Gütern komme; — dass aber, nachdem ihm all 
die Beschwerdepunkte bestimmt vorgelegt seien, man aus kei- 
ner Verhandlung mit ihm jemals befunden habe, er gebe oder 
stelle sich dazu, als einem römischen König bUlig zugehöre; 
— dass er endlich auf die letzte scharfe Vorladung gar nicht 
gekommen und auch Niemand, von seinetwegen Etwas vorzu- 
legen, gesandt habe; — dass also die Fürsten und Herren 
nicht anders merken und prüfen könnten, als dass er der Kir- 
che und des Beichs fortan kein Acht oder Sorge mehr haben 
wolle: — weshalb er als ein Versäumer, Entgliederer, Unwür- 
diger vom Keiche abgesetzt werde. 

Es liegt am Tage, wie ein solches Verfahren zu ganz 
ungeheuerlichen Dingen führen, wie es dazu dienen konnte, die 
niedrigste Selbstsucht und jede Leidenschaft der Bache und 
des Hasses, die klare Bebellion und den Bruch der heiligsten 
Eide zu bedecken und zu beschönigen. Indessen wir haben 
hier es nur mit derBechtsanschauung jener Zeit zu thun: diese 
ist wieder zu geben, wie sie uns in den Quellen entgegentritt. 

IV. Wenzel hat nun verschiedene Wege eingeschla- 
gen: anfangs hat er sich verantwortet und Sühne geleistet, 
später hat er vorgezogen, auf die Ladung nicht zu erscheinen. 
Ehe wir das auseinander setzen, ist noch die dreimalige Vor- 
ladung zu erörtern. 

In allen schweren Fällen musste der Angeschuldigte, wenn 
er in der ersten öffentlichen Gerichtsversammlung nicht erschien, 
zur nächsten, — und kam er auch hier nicht, noch zur dritten 
vorgeladen werden. Erst dann konnte man in seiner Abwesen- 
heit über ihn urteilen. Auch ein Vormund, — und ganz wie 
eine Vormundschaft über das Beich wurde das königliche Amt 

6* 



84 Jahrb. der histor, Glosse der k, Akad. der Wissenschaften, 

aufgefasst, — wurde, wenn er seine Pflichten vernachlässigte, 
dreimal vor Gericht geladen: »unde en kümt nicht vore an 
deme dridden dage, rechtes to plegene, men scal ene balemunden, 
dat is, men scal eme vordelen alle vormuntscap.« ^*^) Ebenso 
erwähnt der Schwabenspiegel, ***) welcher Kurfürst und König, 
die an ihrem Amte meineidig werden, sich gleichstellt, bei dem 
ersten, wie man ihn zu des Königs Hof gebieten solle: »Und 
kumet er niht dar, man sol imanderstunt zeinem andern ho ve 
gebieten. Und kumt er zem dritten niht, so sol man in 
meineide sagen, und swaz er von dem riebe hat, daz ist dem 
riebe ledig.« Dies ist denn auch durch Beispiele erhärtet. 
Heinrich der Löwe wurde im Jahre 1179 vom Kaiser dreimal 
nach verschiedenen sächsischen Pfalzen vorgeladen. Er erhub 
aber den Einwand: er sei schwäbischer Herkunft und müsse 
auf schwäbischer Erde gerichtet werden. Jetzt wurde er im 
nächsten Jahre nach einander nach Ulm, Nürnberg, Eegens- 
bürg vorgeladen, zwischen jedem Gerichtstag lagen immer ein 
paar Monate. König Adolf war von den Kurfürsten ebenfalls 
dreimal vorgeladen : erst, als er auch das letztemal nicht erschien, 
wurde seine Absetzung ausgesprochen. 

Auch Wenzel ist mehremal vorgeladen. In der Absetzungs- 
sentenz sagten die Kurfürsten: ^^^) »sie hätten ihm die ge- 
bresten, yn selber und die heiige Kirch grosslich antreffend, 
zu zyten (wiederholt) clerlich gesagt und beschrieben geben«, 
(also waren ihm, wie schon erinnert wurde, auch schriftlich 
die Klagepunkte zugestellt); doch hätten sie »noch sinen ent- 
wurten und noch unser Widerrede und ernstlich ersuchen«, (es 
war also hin und her verhandelt, wie zwischen Kläger und 
Ankläger), nicht ersehen können, dasser seinen Beichspflichten 
nachkonmien wolle. Darum hätten sie ihm »nu lest ander- 



(137) Sachsensp. I 41. 

(138) Schwabensp. 109. 

(139) Obrecht 46—47. 



Loher: Dm BecMsverfäfiren hei König Wenzels Ähseteung, 85 

warbe (noch einmal) geschrieben und yn auch unser forderst 
ersuchunge ermanet (ihre früheren Anklagepunkte ihm wieder 
zu ¥QSsen gethan), begerende und heischende, das er« zu ihnen 
komme nach Oberlahnstein. In der Benachrichtigung an die 
Cardinäle heisst es ebenfeUs, Wenzel sei »ad diversa parlia- 
menta« geladen, ^*®) und deshalb ist in König Ruprechts Aus- 
schreiben von Wenzels »depositio rite ad finem executa« und 
von der »düfinita sententia principum electorum« die Kede. ^**) 

Welche verschiedene Tage sind nun Wenzel gestellt wor- 
den? Verfolgen wir jetzt den Gang des eigentlichen Prozesses, 
gleichMrie früher den historischen Verlauf dieser Dinge. 

Wie Mathias Sobernheim berichtet, entschlossen sich die 
Kurfürsten zu durchgreifenden Massregeln damals, als sie ohne 
den König einen grossen Fürstentag nach Frankfurt beriefen, 
zu welchem auch Herzog Leopold von Oestreich kam. Dort 
wurde man zunächst darüber einig, an den König Boten und 
Briefe zu schicken, dass er einen B.eichsvikar bestellen solle. 
Dies geschah, wie wir aus andern Nachrichten wissen, im 
April 1397. Da Wenzel, fährt Sobernheim fort, sich um der 
Fürsten Verlangen nicht kümmerte, gingen sie jetzt einen 
Schritt weiter, sie stellten ihm das bestimmte Begehren: er 
selbst solle vor ihnen zu Frankfurt erscheinen, »instabant, 
quod personaliter venit in Franckenfordiam.« Wenzel kam, 
»et dicti principes electores, secum ibidem existentes, fecerunt 
sibi in faciem pretactos articulos et plures alios recitari et 
eciam sibi in scriptis dari, petentes iterum emendacionem.« 
Dies war also die erste persönliche Vorladung Wenzels, und 
zwar auf den Beichstag im Januar 1398. Weil er erschien 
und sich mit den Fürsten wieder auf einen erträglichen Fuss 
stellte, also seine Sühne und Genugthuung angenommen wurde, 
so war damit das Verfahren far diesmals beendet. Auch Kai- 



(140) Obrecht 69. 

(141) Das. 72. 



86 Jährh. der histor. Clanse der k. Akad. der Wissenschaften. 

ser Ludwig dem Frommen war zuerst eine »paterna admonitio 
et terribilis contestatio, sub divina invocatione ante sanctum 
altare, in praesentia sacerdotum et maxima populi multitudine 
facta,« und er hatte darauf feierlich seine »promissio« gegeben, 
das ihm Vorgehaltene zu bessern. **^) 

Da aber alle Hoffnung, Wenzel werde seinen neuen Ge- 
löbnissen nachkommen, sich bald als eitel erwiess, wurde das 
Verfahren wider ihn von neuem aufgenommen. Nachdem die 
Kurfürsten zu Marburg sich erst unter einander, dann auf dem 
grossen Fürstentage zu Mainz mit Andern zu des Königs Absetzung 
geeinigt hatten, — was natürlich nur heissen konnte, man 
wolle es im Kechtsverfahren bis dahin treiben, — erfolgte die 
erste neue Vorladung auf den 19. November 1399, wo Reichs- 
tag gehalten werden sollte zu Frankfurt. Dorthin waren auch 
die Städte geladen und gekommen. **^) Wenzel hatte Bevoll- 
mächtigte abgeordnet, welche aber, statt selbst zu erscheinen, 
Verhinderungsgründe (oder wie man es nannte, Ehehaften) 
einschickten : sie könnten nicht kommen wegen Unsicherheit der 
Strassen mid wegen anderer »notlicher« Sachen und Geschäfte. 
Damit es aber nicht heisse, der König habe sich auf die Be- 
schwerdepunkte der Fürsten nicht erklärt, — »und uff die rede, 
das sulche unsers egenanten herren des küniges Botschafft an 
üch nit ungeworben blibe,« — so sandten sie die Klagebeant- 
wortung ein nebst ihrer Vollmacht, den Prozess für den König 
zu führen. Wenzel antwortete aber in drei Artikeln: 1. er 
sei, wie er den Kurfürsten schon vorher zu wissen gethan, 
verhindert zu kommen, habe aber sie selbst vergebens gebeten, 
zu ihm zu konunen; 2. der Eeichstag sei ohne sein Wissen 
und Wollen und ihm zur Feindschaft berufen; 3. er wolle auf 
einem Eeichstage nach Ostern Alles, worüber man sich beschwere, 
nach der Fürsten Eathe ordnen und bessern. ^**) Die Kur- 



(142) Pertz Mon. Leg. l 367 unten 1. 

(143) Obrecht 10. 

(144) Das. 11—14. 



Löher: Das BeclUaverfahren bei König Wenzels Absetzung. 87 

fürsten aber erklärten darauf: 1. Ehehaften und Klagebeant- 
wortung seien zu spät nach Frankfurt gekommen, nämlich am 
Sonntag den 22. Mittags, als derBeichstag schon geschlossen 
gewesen und man sich vorbereitet habe, andern Morgens früh 
abzureisen. Es ist zu dabei zu merken, dass im Gericht, wenn 
der Angeklagte bis Mittag nicht erschienen war, angenonunen 
wurde, er wolle nicht kommen. 2. Wenn aber, fahren die Kur- 
farsten fort, die Gesandten die Sache nun weiter besprechen 
wollten, so sollten sie dazu einen Tag in Frankfurt bestimmen: 
dann wollten die Kurfürsten ihre Bevollmächtigten dazu sen- 
den. ^*^) Es erklärten also die Kurfürsten den ersten Eechts- 
tag fär versäumt und verstrichen; nur um das weitere Verfahren 
vorzubereiten (zu instruiren), wollten sie Bevollmächtigte be- 
glaubigen. Darauf erwiederten des Königs Gesandte ganz 
richtig: auf ein solches Verhandeln mit Bevollmächtigten Hessen 
sie sich nicht ein, sie hätten mündlich mit den Kurfürsten 
selbst zu sprechen, und wenn diese das hinderten oder nicht 
einen neuen Beichstag nach Frankfurt oder Nürnberg bestellen 
Avollten, so sei es klar, dass nicht an dem Könige, sondern 
an den Kurfürsten die Schuld liege, wenn die Eeichssachen 
»unbestalt und in irresal bliben.« ^*^) So glaubte man von 
Wenzels Seite sich richtig und vorsichtig zu benehmen: einem 
eigentlichen Bechtsverfahren wurde ausgewichen, für alle Fälle 
aber Entschuldigungen und Versprechungen gemacht, und Alles 
auf die Zukunft verwiesen. 

Indessen die Fürsten Hessen sich nicht irre machen. Sie 
einigten sich jetzt unter einander , aus welchen Häusern der 
künftige König zu wählen sei, und schrieben dann den zweiten 
Beichs- u. Bechtstag aus nach Frankfurt auf dem Meyer zum22 .May . 
König Wenzel beeilte sich dagegen seinerseits einen Beichstag 



(145) Obrecht 15. 

(146) Da8. 16. 



88 Jahrb. der lUstor, Glosse der k. Äkeid, der Wissenschaften. 

auf den 4. April in Nürnberg anzukündigen. Da aber die 
Stände nicht darauf hörten, so hielt er für's Beste, wie- 
derum seine Bevollmächtigten nach Frankfurt zu schicken, imd 
zwar jetzt mit dem Auftrage: gegen das ganze Verfahren zu 
j^otestiren und den Eeichstag für incompetent zu erklären,. 
ohne den König die Eeichs- und Kirchensachen zu bestellen. 
Freilich folgte dann wieder die Entschuldigung, warum er nicht 
selbst nach Deutschland konmie, und das Versprechen, welche 
grosse Dinge er vorhabe, um den Kirchenfrieden herzustellen. 

Nun folgte die dritte Vorladung auf den 10. August 
nach Oberlahnstein. Wenzel hatte jetzt, was wiederum von 
seinem Standpunkte aus richtig gehandelt war, vorgezogen^ 
das ganze Verfahren als ungültig, als nicht vorhanden anzu- 
sehen, und hatte nicht einmal einen Protest eingeschickt. 
Nachdem zehn Tage lang auf ihn, oder wer statt seiner auf- 
trete, gewartet war, wurde er für geständig angenommen der 
beiden Stücke : dass die Beschwerden gegen ihn in der Wahr- 
heit begründet seien, und dass er ihnen nicht abhelfen wolle^ 
oder nicht könne, ^*') und das Absetzungsurteil erfolgte. 

Es erklärt sich nun, wesshalb sich das Verfahren gegen 
Wenzel so lange hinauszog. Die Fürsten waren längst einig 
zu seiner Absetzung, aber sie hatten noch die drei förmlichen 
Kechtstage zu wahren, zwischen denen jedesmal ein Zwischen- 
raum von ein paar Monaten liegen musste. Die Kurfürsten 
waren nicht säumig in der Ausschreibung. Sobald sie mit 
dm übrigen Fürsten am 15. September 1399 sich verbunden 
hatten, es solle gegen Wenzel das Absetzungsverfahren einge- 
leitet werden, erfolgte am 20. Sept. das Ausschreiben zum 
Beichstag auf den November. Als der Fürstentag am 2. Febr. 
festgesetzt hatte, welche Geschlechter auf die neue Wahl 
kommen sollten, erging schon Tags darauf die allgemeine 
Einladung zur Reichsversammlung im Mai. Unmittelbar aua 



(147) Sobernheim bei Wencker 269. 



LÖher: Das BetMsfoerfahren hei König Wenzels Absetzung, 89 

dieser selbst, am 4. Juni, dem Tage vor dem Schluss Am 
Beichstags, erging dann die Ladung zum dritten Keehtstag 
bei Lahnstein, wo die Absetzung erst konnte ausgesprochen 
werden. 

V. Ehe das Letztere geschah, bestürmten die drei geist- 
liehen Kurförsten noch einmal ihren Genossen Buprecht von 
der Pfalz, der sich noch immer nicht erklärt hatte, er solle 
sich jetzt entscheiden, Wenzels Nachfolger zu werden. Ruprecht 
war ein redlicher und gebildeter Herr, von weichem und tief 
religiösem Gemüthe. Sie hielten ihm vor: es sei Gewissens- 
sache für ihn, die Erone anzunehmen, weU sonst die heilige 
Kirche und das deutsche Reich in's Verderben gingen. »Do- 
minus bene pensans, Imperium fere totaliter esse desolatum, 
vii vel nunquam reformandum, et quod esset desolacio sui 
proprii dominii et consumpcio virium suarum, et quietum diem 
per totam suam vitam numquam haberet, — dictis dominis 
suppUcare non cessantibus, — dominus perplexus, dei omni- 
potentis indignacionem timens incurrere, si non assumeret, dee 
Yolente animum suum revolvens in adjutorium altissimi sperans, 
consentit in sue persone eleccionem«. ^*®) Wohl wusste der edle 
Ruprecht, dass er eine schwere Dornenkrone aimehme. Das 
nächste harte Gewicht, welches daran hing, war eben die 
Vollziehung des Absetzungsurteils. Denn hierin lag^ 
die schwächste Seite des ganzen Rechtsverfahrens. Wohl nahm 
man, als sich dasselbe in der Rechtsanschauung des Volkes 
entwickelte, in Aussicht : dass der rechtmässig abgesetzte König 
sofort von Allen verlassen werde. Wenn er aber noch irgend 
etwas Macht und Anhang hatte, so endigte das Absetzungs- 
verfahren im Bürgerkrieg, und das war, wie es nicht andera 
sein konnte, sein regelmässiger Ausgang. 



(148) Sobernheim 



90 Jahrb. der Imtor, Classe der k. Akad, der Wissenschaften. 

XI. Wenzel und die Fürsten. 

König Kuprecht hatte einen noch verhältnissmässig leich- 
ten Krieg gegen den Abgesetzten: denn so gross auch die 
Macht des Hauses Luxemburg, sein Haupt Wenzel war doch 
von Gott und aUer Welt und von sich selbst verlassen. Frei- 
lich, als der Frankfurter Stadtbote ihm zehn Tage nach dem 
Lahnsteiner Gericht die erste Kunde brachte, da schäumte er 
auf in Wuth, »und fragete, wo Clemme were, der sich einen 
romsschen könig schriebe, und sprach: »ich will das rechen 
odir wil tot darumb sin, und er müss als difif herabe, als er 
je hoch uff den Stul gesast wart«, und swüre by sant Wenczile, 
er wulde in dot stechen odir er muste in dot stechen. Da 
sprach marggi-ave Jost von Merern: »wir wollen daz rechen, 
odir ich enwil nirgen ein haar in myme harte behalden«. ^*^) 
Bald folgte ein zorniger Brief nach dem andern an die Städte: 
Wenzel werde kommen mit einem furchtbaren Heer und schreck- 
liche Rache nehmen. Die gesammte Luxemburgische Macht 
rüstete: Brandenburg Böhmen die Lausitz Schlesien Mähren 
das ganze halbslavische Ostdeutschland und die Ungarn dazu 
sollten in's Eeich einfallen. Was noch mehr bezeichnend, 
war der dringliche HüKeruf, den Wenzelf eiligst an den 
König von Frankreich abschickte. Er beschwor ihn bei aller 
Treue und Aufopferung, die sein Haus für die französischen 
Interessen bewiesen, bei der Liebe, die er vor allen seinen 
Verwandten zu ihm trage, bei der gegenseitigen Liga, deren 
Urkunden er in Händen habe, bei diesem Allem beschwor er 
ihn, den lügnerischen Ausstreuungen seiner Feinde nicht zu 
glauben, — »quinpotius pro reprimenda eorum rebellium nos- 
trorum temeritate et exquisitis caliditatibus conculcandis tota 
vestra potentia nobis constanter assistere consiliis et auxiliis 
oportunis, prout super hiis ac aliis arduis negotiis." ^^®) Der 



(149) Bericht des Stadtboten aus dem Frankfurter Stadtarchiv. 

(150) Pelzel II. Urk. B. 71. 



Löher: Das Bechtwerfahren bei König Wenzels Absetzung. 91 

deutsche König rief den französischen um Hülfe wider Deutsch- 
land an. 

Indessen von Alledem geschah nichts. Wenzels Bruder 
Sigismund verlangte für seine Hülfe erst Sclüesien, die Lausitz^ 
und die Verwaltung von Böhmen; seine Vettern Jost und 
Prokop von Mähren und die böhmischen Herren verlangten erst 
Abstellung ihrer Beschwerden. Darauf verbündeten sich Wen- 
zels nächste Verwandte und vornehmsten Barone mit seinem 
heranziehenden Feinde Buprecht. Endlich nahm ihn Sigismund 
mit sich in die Gefangenschaft nach Oestreich. Palacky, der 
Wenzels Absetzung so bitterlich verdammt, erzählt, dass der 
arme Fürst damals die Himmelskönigin anflehte, ihm doch 
etwas Muth einzufiössen ; dass er wie ein Unmündiger in Allem 
geleitet und unterstützt sein wollte; dass er ein willenloses 
unbehülfliches altes Kind gewesen; dass er in seinen lateini- 
schen Knittelversen voll trübseliger Laune sich selbst einen 
armen Bettelstudenten nannte. "^) 

War es nun wohl zu wundern, dass über einen solchen 
König, gegen welchen seine nächsten Verwandten und Unter- 
thanen jede ehrlose und niederträchtige Behandlung für erlaubt 
hielten, dem in halblichten iStunden seiner Trunksucht selbst 
die Wahrheit seiner Elendigkeit aufdänunerte, — war es zu 
verwundern, dass über ihn nur eine allgemeine Stimme der 
Entrüstung in Deutschland erschallte? Nirgends erhob sich 
für ihn ein Vertheidiger , alle Chroniken jener Zeit bedecken 
ihn nur mit Schmach, und alle Welt findet die Absetzung 
dieses Unwürdigen und Unfähigen nicht anders als recht und 
billig. ^^^) Der Visconti' sehe Itathgeber Therunda zeigt sich 
in einem Trostschreiben an Wenzel über die Kurfürsten na- 
türlich höchst erbosst, allein er kann sich doch nicht enthalten, 
dem Gönner Galeazzos viele Vorwürfe über seine Nachlässig- 



(151) Palacky 126 Note 145. 137. 145. 

(152) Pelzel II 426—428. 



92 Jahrb, der histor, Classe der k. Akad. der Wissenschaften. 

keit zu machen, und der feine Italiener setzt in Bezug auf 
Wenzel naiv hinzu: »irasei liceat, precor, non odisse.« i**) Der 
vorsichtige Hofmann Dynter, der bei Wenzels Brabanter Ver- 
wandten im Dienst stand, schreibt: »Qui quidem rex Wences- 
laus diu vixit et suo tempore nihil aut modicum boni fecit 
neque laude seu narracione dignum. Propter demerita et alia 
maleficia a regno Eomanorum privatus.« ^**) Schwerlich wird 
man einen andern Schriftsteller jener Zeit nennen können, der 
es so ehrlich mit der Kirche und mit Deutschland, und vor 
Allem es so ehrlich mit der Wahrheit meinte, als Dietrich 
von Niem (Nieheim bei Paderborn). Dieser aber sagt von 
Wenzel: mit Eecht habe man ihn dem unvernünftigen Vieh 
verglichen; ein Gottesgericht sei es, dass er von seinen eigenen 
Verwandten so misshandelt worden ; ein Gottesgericht, dass er 
abgesetzt worden; ein Gottesgericht, dass er zuletzt so lahm 
geworden, dass man ihn wie ein Stück Holz von einem Platz 
auf den andern tragen musste. ^**) 

Niemals waren daher bei irgend einer Thronfrage in 
Deutschland beinahe sämmtliche Fürsten so fest und einig, 
als in dem urteil, dass Wenzel vom Throne müsse. Ohne 
äussere Nöthigung, im vollen Frieden einigen sich die Fürsten, 
um einen König, dessen Legitimität fär Alle unzweifelhaft, 
dessen Eegierung keinem für sich allein bedrohlich ist, die 
Krone zu nehmen. 

Ausser den beiden luxemburgischen Kurstimmen betreiben 
sämmtliche Kurfürsten die Absetzung, und mit Recht wurde 
diese beständig als eine einstimmige geltend gemacht, obgleich 
sie nur von vier Stimmen ausgesprochen war. Denn nach 
den Regeln der Goldenen Bulle galten bei einer Wahlhandlung 
die Ausbleibenden für beistimmend, wenn sie gehörig vorge- 



(153) Palacky 125, Note 143. 136, Note 158. 

(154) Dynter Chron. duc. Brab. 78. 75. 

(155) Nemoris ünionis labyrinthus 368. 



Loher: Das Bechtsverfahren bei König WeMds AbseUmnf. 98 

laden waren: die Anwesenden aber waren einstinunig gewesen. 
Den Kurfürsten stimmten bei die langen Reihen der Biscköfe 
und Prälaten , sowie die weltlichen Fürsten. Die Meisten dar 
letzteren waren ausdrücklich und förmlich bei der Absetzung, 
die wenigen andern stillschweigend dabei betheiligt. Trotz 
des heillosen Zwischenfalls, dass unter verdächtigen Umständen 
der Herzog von Braunschweig erschlagen und der sächsische 
Kurförst gefangen wurde , konnte das Verfahren gegen Wenzel 
seinen Gang gehen bis zum Schlüsse. Unter all den zahl- 
reichen fürstlichen Genossen Wenzels erhebt sich nicht eine 
Stimme zu seinen Gunsten. Obgleich manchem Fürsten Eup- 
rechts Wahl gar nicht recht war, obgleich Einzelne, wie die 
von Meissen Hessen Würtembergsich mahnen Hessen, zur Lehna- 
huldigung zu konmien, erklärte doch auch jetzt keiner das 
Verfahren gegen Wenzel für ungesetzlich, es wären denn seine 
nächsten Verwandten. Und von diesen waren die Bayern 
gleich Anfangs sämmtlich gegen ihn, nur einer, Herzog Ernst, 
fiel im Hader mit seinem Bruder später wieder ab; von den 
Oestreichem trat der Mächtigste, Herzog Leopold, als Helfer 
auf Seite König Ruprechts; und von den drei Luxemburgern 
verbündeten sich mit diesem die Markgrafen Jost und Prokop, 
und dazu die Vornehmsten unter den böhmischen Landherren. 
Wenzel hatte, als man über seine Absetzung verhandelte, auf 
den 15. März 1400 die Krönung seiner Gemahlin in Prag 
ausgeschrieben, sehr herrlich sollte die Feier sein. Er dachte, 
deutsche Fürsten, ganz gewiss die bayerischen Brüder und 
Vettern der Königin, nach Prag und an sich zu ziehen. Nicht 
ein Einziger kam zum Krönungsfeste. 

Woher eine so seltene Einmüthigkeit in der gesanmiten 
deutschen Fürstenwelt? Es lässt sich in der That keine 
andere durchgreifende Ursache denken, als dass die Fürsten 
in der Person eines Königs wie Wenzel eine Schmach für 
ihre fürstliche Ehre, in seiner Regierung schreiende Schäden 
für Beich und Kirche erblickten. 



94 Jahrb, der hütor, Classe der k. AJcad. der WiMgemchaften, 

Am meisten schienen die geistlichen Fürsten ihr beson- 
deres Interesse zu haben , baldmöglichst eines Königs, wie 
Wenzel es war, entiedigt zu werden. Es herrschte schon 
damals in Deutschland eine bittere Stimmung gegen Alles, 
was zum vornehmen Klerus gehöre. Auch Wenzel hasste ihn, 
seine wiederholten Wuthausbrüche gegen Geistliche gaben 
Zeugniss. Und musste es nicht gerade die geistlichen Fürsten 
aufregen, als der König neun Würzburger Städten auf einmal 
den Eeichsadler verlieh? War doch seit uralter Zeit her so 
oft hin und hergestritten, welche Hoheitsrechte der König in 
der Bischöfe Städten, die unter seinem ganz besondern könig- 
lichen Rechtsschutz standen, ausüben könne. ^*^) Indessen, 
die Sache sah schlimmer aus, als sie war. Wenzel hatte bei 
Gelegenheit der Würzburger Städte nur eben blicken lassen, 
was zu thun er allenfalls im Stande sei. Was er aber nicht 
that, wusste man sofort, als er bald darauf die alten Rechte 
des Bischofs Domkapitels und Adels im Würzburger Lande 
wieder herstellte. Die blutige Schlacht bei Berchtheim hatte 
bereits zu Anfang des Jahres 1400 die Freiheitshoffnung der 
Würzburger Städte ausgelöscht. Der hohe Klerus fürchtete 
Wenzel nicht sonderlich mehr. Auffallend aber blieb es, dass 
nun unter all den deutschen Prälaten, als man den gekrönten 
König vom Throne reissen wollte, sich nirgendwo eine war- 
nende Stimme hören liess. Die Geistlichkeit hält doch sonst 
gerne fest an den legitimen Gewalten und schreckt zurück 
vor schroffen Neuerungen. Jedoch unter all den Fürstbischö- 
fen und Fürstäbten in Nord- und Süddeutschland, unter den 
zahlreichen geistlichen Publizisten fand keiner ein Wort für 
Wenzel: sie alle hielten um der Kirche und des Reiches willen 
das Verfahren gegen ihn für recht und billig. Verträge, wie 
sie der Fürstbischof von Bamberg am 23. September 1400 



(156) Vgl. Schwabensp. 94. 



Lohet: Das Bechtsverfahren bei König Wenzels Absetzung. 95 

mit Ruprecht abschloss, ^*^) enthalten nur die Bestimmung: 
den König sofort anzuerkennen, als er in Frankfurt eingezogen 
sei; dagegen solle dieser dem Bischof täglich mit 70 Gleven 
und wo es sonst Noth thue helfen, und ihn für etwaige ganz: 
besondere Dienste nach dem Ausspruch von Schiedsrichtern 
entschädigen. 

Was aber hätte die weltlichen Fürsten dazu bringen sol- 
len, mit persönlichem Hass über Wenzel herzufallen? Aerger 
über die Grösse des Luxemburger Hauses konnte all die Her- 
zoge und Grafen wahrlich nicht bis zum äussersten Schritt 
aufstacheln. Die vier Prinzen dieses Hauses, Wenzel Sigis- 
mund Jost und Prokop, erregten ihres jämmerlichen Beneh- 
mens wegen keine Furcht, sie gaben nur Aussicht auf Selbst- 
zerstören und Aussterben der ganzen Linie. Aber die Hoffnung» 
selbst König zu werden, konnte diese etwa die Fürsten in Be- 
wegung bringen? Doch diese Hoffnung war, da ihrer so Viele 
waren, für den Einzelnen sehr gering. Hatten sich doch von 
vom herein sechs Fürstenhäuser verbunden. Jedem der unter 
ihren zahlreichen Prinzen gewählt wurde, wer es auch sei, mit 
gewaffneter Hand beizustehen. Und auch die übrigen Fürsten 
wurden nicht von der Wahl ausgeschlossen, das erhellt deut- 
lich aus dem Zusatz zu dem Mainzer Bündniss. üebrigen& 
gab es nur noch ein Fürstenhaus, welches jenen Sechs an 
Macht und Ansehen gleichstand. Dies war das östreichische,. 
und wir finden nirgends bemerkt, dass es sich durch Ausschluss 
von den Sechs beleidigt gefühlt hätte. Die Herzoge Leopold 
und Wilhelm von Oestreich waren vielmehr auf dem letzten 
grossen i^eichstage zu Frankfurt ebenfalls, wenn ^auch nur 
durch Boten, vertreten. 

Doch endlich die Kurfürsten, welche die eigentlichen 
Prheber und Leiter des Verfahrens gegen Wenzel waren^ 
verfolgten sie denn nicht ganz besondere eigensüchtige Zwecke i- 



(157) Aus dem Würzburger Archiv. 



^6 Jahrh, der histor, Glosse der k, Akad, der Wissenschaften, 

Auch bei ihnen können wir keine entdecken. Weil die Stim- 
mung unter den Fürsten gegen Wenzel allgemein gereizt war, 
desshalb mussten die Kurfärsten, denen es zunächst oblag, 
für das verlassene und geschändete Beich zu sorgen, damit 
den Anfang machen : das allein erscheint als ihr Antrieb. Hatten 
sie denn unter Wenzels Regierung für sich selbst etwas zu 
leiden oder zu fürchten? Dachten sie denn durch Euprecht 
für sich selbst etwas Besonderes zu gewinnen? Geschichte 
und Urkunden antworten auf beide Fragen ein klares Nein. 
Unter einer so säumigen haltungslosen käuflichen Beichsge* 
walt, wie Wenzel sie führte, blühte ja der Waizen aller 
selbstsüchtigen Fürsten. Die Beichsgüter waren bei ihm wohl- 
f(ril, und wenn er einmal etwas zum Besten der gemeinen 
Eeichsfreien unternahm, immer machte er es in seinem Un- 
verstände so, dass es zum Vortheil der Fürsten ausschlug. 
Was Hessen sich nun die Kurfürsten von Buprecht vor seiner 
Wahl versprechen und nach der Wahl ertheilen? ^^^) Es 
waren vier Stücke. Erstens musste er die in der Goldenen 
Bulle den Kurfürsten verliehenen Eechte bestätigen und ver- 
sprechen, ihre Länder zu schirmen und sie nicht wider Becht 
zu bedrängen. Das aber verstand sich von selbst. Zweitens 
sollte er die ganze Bheinstrasse von Basel bis zur See von 
allen Zöllen freimachen, die seit einem Menschenalter darauf 
gewälzt seien, und bei hoher Strafe sollte kein neuer Zoll 
errichtet werden; wo aber Wenzel oder sein Vater neue 
Bheinzölle widerrufen hätten, da sollte es dabei bleiben, die 
Zölle der Kurfürsten ausgenommen. Das erschien dodi nur 
als eine grosse Wohlthat zum allgemeinen Besten, und die 
fär die Kurfürsten gestellte Ausnahme hinsichtlich der wider- 
rufenen neuen Zölle war nichts Bedeutendes, wenigstens sind 
keine Urkunden dafür da. Die beiden andern Stücke aber, 
worauf sich der neue König den Kurforstoi verpflichten moaste. 



(168) Obrecht 57—59. 



Löher: Das Bechtsverfahren hei König Wenzels Absetzung, 97 

l)estanden bloss darin, dass er sich des Eirchenstreits ernstlich 
;annehme, und dass er die Lombardei nnd nach dem Tode d^ 
letzten Erbförstin Brabant wieder an's Beich bringe. 

Dass gerade diese beiden Hauptbedingongen dem neuen 
König gestellt werden, beweist, wie darin auch der Hauptan- 
lass für die Absetzung des alten Königs lag. Wohl zu beachten 
ist hier ein Zusatz. Euprecht muss den Kurfürsten versprechen, 
4iese Länder »dann auch by dem Biche getruwelich (zu) be- 
halden, und soliche koste und schaden, die daruf geen werden 
und darumb geschehen (für ihre Wiedererwerbung), darumb 
mögen wir an dieselben land griffen und die davon ussrichten 
tmd widemehmen mit rade der kuriursten.« Der König soll 
ülso diese wichtigen und reichen Länder nicht wieder verleihen, 
«r soll sie als unmittelbare Besitzungen, als Kammergüter des 
Beichs behalten und benutzen. Damit war ein Schritt gethan, 
der für das Beich höchst wohlthätig werden konnte. Es war 
die entschiedene Umkehr von den Wegen Kaiser Karl IV. 
Die Beichsgüter soUten nicht mehr verschleudert, sondern es 
^Ute dem Könige und Beiche wieder ein grosser Bestand von 
unmittelbarem Beichsland gewonnen werden. Ein trefflicher 
Oedanke, von der äussersten Wichtigkeit, und durchaus nicht 
im Interesse fürstlicher Landvermehrung! Schade nur, dass 
die Kurfürsten nicht auch die nächsten Mittel boten, damit 
•der König das Beich wieder zu Kräften bringe: diese Mittel 
bestanden in flüssigen Steuern, um tüchtiges Kriegsvolk zu 
bezahlen. 

Als geheime Gründe, weshalb die Kurfürsten von Mainz 
mid von der Pfalz es hauptsächlich gewesen, die Wenzel ge- 
stürzt, wird von neueren Geschichtschreibem noch Folgendes ange- 
führt. Der Mainzer habe es aus Bachsucht und aus Furcht, der 
Pfälzer habe es aus Ehr- und Habsucht gethan. Ob wohl 
Johann von Nassau es Wenzel so grimmig nachtrug, dass 
dieser ihm anfangs den Mainzer Kurhut nicht gönnte? Das 
lag nicht im Charakter des Mannes. Und erschien denn ein. 

7 



98 Jahrh, der histor, CHasse der k, Äkad, der Wissenschaften, 

Wenzel hassenswerth oder erschien er bloss verächtlich ? üeb- 
rigens hatte er sich selbst ja längst mit dem Mainzer Kur- 
fürsten wieder gut zu stellen gesucht. Wenn dieser aber für 
den Fall, dass Bonifaz zur Abdankung genöthigt wurde, noch 
für seinen Kurhut zu furchten hatte, dann waren alle Prälaten 
mit ihm im gleichen Falle, die ihre Infuln von Eom geholt 
hatten. Die Gründe endlich, auf welche man den Verdacht 
gegen den Pfölzer stützt, sind doch gar zu hinfällig. Der 
Vertrag des Mainzers vor seiner Wahl mit Kuprecht enthält 
nur eine allgemeine Formel der gegenseitigen Unterstützung, 
wie sie in tausend Urkunden jener Zeit vorkommt. Den viel- 
berufenen Brief, der Wenzel von der französischen Eeise so 
derb abrieth, hat, wie Höfler nachgewiesen, der spätere König 
Euprecht gar nicht geschrieben. Dieser hatte auch durchaus 
noch keine sichere Aussicht, gewählt zu werden. Noch auf 
dem letzten Frankfurter Tage konnten, wie Sobemheim berich- 
tet, die Fürsten über den Neuzuwählenden nicht einig werden. 
Die Frankfurter schrieben noch am 20. Juli an Wenzel, die 
Fürsten seien einig, »einen dessen namen sie doch nit wissen,« 
am 10. August auf den Königsstuhl zu Ehense zu heben. ^^*) 
Die Städte glaubten sogar: nachdem Herzog Friedrich erschla- 
gen sei, werde man wohl nicht mehr zur Wahl schreiten; 
also war Jener von einer überwiegenden Anzahl Kurstim- 
men ausersehen. Endlich spricht Alles, was wir von Euprechts 
Charakter wissen, dafür, dass Sobemheims Bericht, den er 
auch nicht für die OeflFentlichkeit schrieb, wahr ist. Nach 
diesem aber erklärte sich Euprecht erst im letzten Augenblick 
bereit, die Wahl anzunehmen, und zwar that er es mehr aus 
Gewissenspflicht als aus Ehrgeiz. 

Es haben sich nun noch einige andere Verträge, welche die 
Kurfürsten vor und am Absetzungstage schlössen gefunden. ^^^) 



(159) Aus dem Frankfurter Stadtarchiv. 

(160) Im Würzburger Archiv. 



Loher: Das Bechtsverfähren bei König Wenzels Absetzung. 99 

Man erwartet in ihnen geheime Verabredungen, allein sie be- 
zeugen nichts Anderes, als dass die Fürsten ehrlich und rück- 
haltslos in so ernster Sache wollten zusanunenhalten , deshalb 
räumen sie jeden Anlass weg, der Misshelligkeit unter ihnen 
schaffen konnte. Am 10. August, als der Eeichstag zu Lahn- 
stein eröffnet wurde, glichen die Kurfürsten von Köln und 
Mainz alte Irrungen unter einander aus. Am 20. August, 
dem Tage wo Euprecht sich endlich erklärte, die Wahl anzu- 
nehmen, unterschrieb er Verträge mit seinen Genossen von 
Mainz und Köln, in welchen sie sich verpflichteten, ihr Le- 
benlang keinen Krieg unter einander zu dulden, und all die 
Streitigkeiten zwischen ihnen, um die Gerichtsgränzen zu 
Handschuhsheim Nauenheim Bacharach, um Forstrechte Vi^ild- 
bann Eigenleute u. s. w., sofort durch Schiedsrichter zu be- 
endigen. 

Stimmen för Wenzel erschallten nur aus Italien. Dort 
nahm der Pabst eine seltsame Haltung an. Die Kurfürsten 
hatten ihm gleich anfangs Botschaft gesandt, er soUe sich 
ebenfalls gegen Wenzel erklären. Nun berechnete der Pabst, 
wie auf der einen Seite Wenzel stehe mit den Königen von 
Ungarn und Polen, auf der andern Seite ganz Deutschland 
soweit es nicht luxemburgisch, und wie Wenzel in bedrohlicher 
Weise zu Frankreich hinneige, und das Verfahren der Kurfürsten 
ihm Einhalt thue. Also gab ihnen der Pabst ausweichende 
Antwort. Seine Cardinäle aber schickten eilends nach Prag 
einen kuriosen Brief. »Gleichwie einen Wanderer,« so schrie- 
ben sie an Wenzel, »wüthende Hunde anfallen, oder wie der 
betrügerische Jakob Esau um sein Erstgeburtsrecht brachte, 
so wollten gewisse Leute das arme zerbrechliche Eeichsszepter 
an sich reissen. Diese bestürmten den Pabst, er solle ihnen 
beistehen. Wenzel aber solle sich aufmachen in der Stärke 
des Pyrrhus, der Macht des Julius, der Schönheit des Paris, 
und in Rom die Kaiserkrone empfangen, ehe sie ihm Jemand 
raube. Dann werde er leicht erreichen, was seine Neider 

7* 



100 Jahrb. der histor. Glosse der k. Akad. der Wissenschafteil, 

hätten." ^^^) Auch der Pabst dringt nun beständig in Wenzel, 
dass er über die Alpen komme, er woUe ihm die Krönung 
sogar nach Mailand entgegen bringen; ja er woUe wie der 
zärtlichste Vater über seiner Krone wachen und selbst sein 
Blut dafür vergiessen. ^®*) Unterdessen ging aber, wie der 
Pabst wohl wusste, das Eechtsverfahren gegen Wenzel seinen 
Gang. Obwohl er nun beständig behauptete, nur ihm stehe 
es zu einen römischen König abzusetzen, und obwohl es noch 
drei Jahre dauerte, ehe er sich für Ruprecht erklärte, so erhob 
er sich doch niemals zu einer Vertheidigung Wenzels. Endlich 
bestätigte er das ganze- Absetzungsverfahren. Eine so unwi- 
derstehliche Kraft lag in der allgemeinen Ueberzeugung von 
Wenzels Nichtswürdigkeit. 



XII. Politik der Städte. 

Hören wir noch die treuesten Zeugen dafür, ob ein Vor- 
gang recht und heüsam war, oder ob er der Macht und Ein- 
heit Deutschlands Schaden brachte. Diese, welche es am red- 
lichsten mit dem Vaterlande meinten, waren die deutschen 
Städte. Seit der Hohenstaufenzeit gab es tausend und tausend 
Thatsachen, welche den Fürsten in's Angesicht davon Zeugniss 
ablegten, dass hauptsächlich sie es seien, welche an der Zer- 
splitterung der Reichsmacht, an der Entfremdung seiner Güter,, 
an der Ohnmacht seines Königs die Schuld trugen. Die 
Reichsstädte, soviel auch ihre Langsamkeit und ihre Kirch- 
thurmspolitik verschuldeten, hatten wenigstens stets ein leben- 
diges Gefahl für Deutschlands Ehre und Wohlfahrt bekundet : 
beständig waren sie des Königs treueste Unterthanen, wieder- 
holt hatte ihr einmüthiges und kraftvolles Handeln die Würde 
und Einheit des Reiches gerettet. Wie benahmen sich nun 

(161) Pelzel ürk. B. 57. 

(162) Das. 70. 



LÖher: Das Eeclitsverfdhren bei König Wenzels Absetzung, 101 

diese Keichsbürger, als die Fürsten den König absetzten? — 
Nichts könnte Wenzel stärker verdammen. 

Allerdings hatten die Städte unter ihm und seinen Vater 
keine gute Zeit gehabt. Ihr freies Wesen war Karl IV. in 
der Seele verhasst. Wo es anging, hatte er ihm in der Gol- 
denen Bulle Abbruch gethan; alte Reichsstädte hatten ihre 
Freiheit eingebüsst; ja man legte ihm den Plan unter, dasa 
et- noch eine Menge von freien Städten den Fürsten in die 
Hände spielen wollte. ^^') Sein Sohn schlug, wie das so häufig 
in der Eegentengeschichte vorkommt, entgegengesetzte Wege 
ein. Wenzel hatte ein bürgerfreundliches Gemüth, er gönnte den 
Städten alles Gute, und wäre es auch nur gewesen, um die 
Fürsten zu ärgern, die er hasste als seine ewigen Hofineister. 
Freilich hatte Wenzels Regierung die Stadtchroniken mit 
Unglücksblättem bereichert. Soviel Gescheidtes er mit dem 
freien Bürgerthum hatte beginnen wollen, immer sahen sich 
die Städte vom König im Stich gelassen. Ihre besteij Männer 
hatten sie als Leichen heimgeführt von den Schlachtfeldern 
bei Mainz, Döfi&ngen, Eschborn, Berchtheim; ihre Bünde waren 
vernichtet; ihre Macht hatte einen harten Stoss erlitten, daa 
Fürstenthum aber einen mächtigen Aufschwung genommen. 
Tiefes Misstrauen beseelte alle freien Städte gegen die Fürsten. 
Wo Diese etwas unternahmen, fürchteten Jene, es stecke ein 
Anschlag wider ihre Freiheit dahinter. Wenzel aber blieb 
den Städten geneigt. Konnte er im Nothfalle nicht doch ein- 
mal ihre Stütze werden? Jedenfalls besserten sie durch ihn 
aufs Reichlichste ihren alten Stock an Privilegien und Freiheiten. 
Es gab keine Reichsstadt, die sich nicht der Fülle seiner Gnaden 
zu erfreuen hatte. Konnten sie doch am tiefsten in den Säckel 
greifen und die Membranen vergüten in blanken Goldgulden. 

Als nun die Kurfürsten sie zum ersten Frankfurter Reichs- 
tag auf den November 1399, um »grosser Nothduift« willen^ 



(163) Theod. a Niem Xem. Union. Labyr. 366. 



102 Jakrb, der higtar. Ckuse der k. Akad. der Wüaenschaften. 

emlnden, als sie — mit ernstlichem Bitten und Beehren, sich 
nicht >anf andere Wege nnd Laufte ziehenc zu lassen, da sie 
Ton den Kurfürsten bald solche Wege vernehmen sollten, die 
der Kirche und dem Bdche »nütdich gut und bequemüch« sein 
and auch den Städten »wohl gefallene sollten, — zum zweiten 
Frankfurter Tage im Mai 1400 geladen wurden: — beidemal 
Terhielten sich die Städte weniger als Mithandelnde, denn als 
Zuschauer. Sie widersprachen nicht, betheiligten sich aber 
auch nicht sonderlich. Wäre Wenzel irgend nur ein rechter 
E^iig, wäre das Verfahren der Fürsten gegen ihn irgendwie 
ungerecht gewesen, gewiss, die Städte hätten ihn einhellig auf- 
gerufen, zu kommen mit seiner und mit ihrer Macht und 
königlich seine Krone zu behaupten. Es wäre schon von Be- 
deutung gewesen, hätten die Städte ihm bloss ihren moralischen 
Beistand geliehen. Doch sie konnten die Scheu nicht über- 
winden, mit ihm sich tiefer einzulassen. Sie kamen trotz der rüh- 
renden Ermahnungen seiner Gesandten nicht auf den Beichstag, 
den er auf den October nach Nürnberg ausgeschrieben hatte; 
rie Hessen nicht minder, als des Königs Boten an den Bhein 
kamen und einen Städtetag nach Mainz auf den 14. Februar 
ausschriebe, den ganzen Tag vergeblich auf sich warten. ^^^) 
Als auf dem zweiten Beichstage die Kurfürsten ihnen 
erklärten: sie hätten den König jetzt oft genug, aber vergebens 
ermahnt; sie seien bei ihren heiligsten Beichspflichten gezwun- 
gen^ jetzt wider ihn vorzuschreiten; sie meinten es lauter und 
ehrlich und suchten nicht ihren eigenen Nutzen dabei; sie 
würden ihm jetzt zum letzten und entscheidenden Bechtstag 
nach Lahnstein bescheiden: ^^^) — jetzt mussten auch die 
Städte sich entscheiden und erklären, ob sie für oder wider 
den König sein wollten. Ihre Lage war bedenklich. Wussten 
ne denn wirklich, was AUes gesponnen und gebraut wurde? 



(164) Obrecht 24. 
(166) Daselbst 27—27. 



Lohet: Das Bechtsverfahren hei König Wenzels Absetzung. 103 

Wie, wenn am Ende plötzlich ein neuer König an die Spitze 
des Fürstenbundes trat, der mit neuen Gesetzen und vereinten 
WaflFen über ihre Freiheit herfiel? Auf der andern Seite war 
die Luxemburger Macht doch sehr bedeutend. Wenn es nun 
zum Kriege kam, wenn Wenzel Sigismund Jost und Prokop 
mit starkem Heer heranzogen, und sie die Städte hatten es 
mit des Königs Feinden gehalten, gewiss ging es am ersten 
gerade über sie her, sie wären sicherlich von der einen, wie 
der andern Partei geopfert. Ihre ganze Stellung hätte sie 
jetzt auf Wenzels Seite ziehen müssen. — Allein ihr Gewissen 
sagte ihnen, dass er ein Unheil bliebe für Deutschland und die 
Christenheit, und ihr Verstand sagte ihnen, dass keiner anders 
auf ihn bauen könne, als auf weichenden Sand. 

Also hielten die Städte Mainz Strassburg Worms Speyer 
Frankfurt und Friedberg einen besondern Tag zu Mainz und 
wurden einig, folgende Politik einzuschlagen: 1. Sie wollten 
sich noch nicht aussprechen. Aus dem Tage zu Lahnstein 
werde, da Herzog Friedrich von Braunschweig erschlagen wor- 
den, doch wohl nichts werden. Dann könne, was die Städte 
jetzt erklärten, da doch Nichts verschwiegen bleibe, ihnen bei 
dem Könige, welchem die eine Stadt noch stärker als die an- 
dere verbündet sei, übel angerechnet werden, oder andern Falls 
bei den Fürsten. 2. Den Tag zu Lahnstein wollten sie be- 
schicken, um zu sehen, was dort vor sich gehe. Wenn aber 
in Lahnstein die Fürsten sie fragten, ob sie ihnen beiständen, 
so wollten sie einmüthig antworten: das sei eine schwierige 
Sache, die Fürsten hätten sie zu lange heinüich unter sich 
behandelt und sich gegenseitig darauf zur Hülfe verpflichtet, 
jetzt sogleich könnten sich die Städte noch nicht erklären. 
Sie wüssten ja nicht, wer König werde, nicht, welche Hülfe 
sie im Kriege von den Fürsten hätten, nicht, ob sie bei ihren 
Freiheiten blieben, und die Fürsten hätten sie auch noch nicht 
unterwiesen, wie sie mit Ehren und Glimpf vom Könige Wenzel, 
dem sie Gehorsam gelobt, loskämen, üeber das Alles sollten 



104 Jährb, der histor, Cktsse der k, Akad. der Wissenschaften, 

die Fürsten ihnen erst reinen Wein einschenken. 3. Unter 
einander aber wollten die Städte, so beschlossen sie ferner^ 
sich von Allem, was sie erfahren, stets in Kenntniss setzen, 
stets verschwiegen handeln und einträchtig auftreten. ^•^) — 
Ohne Zweifel dachten und handelten die übrigen Beichsstädte 
ebenso, wie die vorbenannten am Bheine. Die schwäbischen 
Städte beeilten sich, mit ihrem gefürchtetsten Gegner, dem 
Grafen von Württemberg, einen neuen festen Landfrieden auf 
sieben Jahre zu machen, einerlei ob der König bleibe oder 
abgesetzt werde. Was wollte es bei einer solchen Haltung^ 
der Städte viel bedeuten, wenn der Frankfurter Rath am 20. 
Juli vertraulich an Wenzel schrieb: dass die vier Kurfürsten 
eine Botschaft an den König von Frankreich geschickt hätten^ 
wessen Inhalts, wisse man nicht; dass sie entschlossen seien,, 
einen neuen König, wenn sie auch seinen Namen selbst noch 
nicht wüssten, zu wählen, und mit ihm zur Stunde vor Frank- 
fiirt zu ziehen, sich dort drei Tage und sechs Wochen zu 
lagern ; dass sie, die Frankfurter, sich zu Wenzel »trostes und 
hulffe virzehen, sie gnediclich in den Sachen zu versorgen, und in 
dann von uwer und des heiligen richs wegen geraten und beholffen 
zu sin, daz sie by eren und gelimph bliben mögen c "7) 

Mit der Nachricht, Wenzel sei abgesetzt, erscholl nun 
die andere, Buprecht sei zum König gewählt, — ein Fürst, 
dessen Milde und Edelmuth Jeder gern anerkannte, der aber 
doch gerade das Haupt von demjenigen Geschlechte war, von 
welchem die Städte im letzten grossen Kriege mit den Für- 
sten die härtesten Wunden erlitten hatten. Die schwäbischen 
Städte trauten gar nicht, die ostfränkischen hielten in Nürn- 
berg, die Bheinstädte in Mainz ihre Berathungen. 

Die Frankfurter Hessen am 22. August Wenzel wissen , 
sie seien »solicher sache von ganczem hertzen inneclichen und 
sere erschrocken, als das billich« sei. Allein bald genug 

(166) Obrecht 31—33. 

(167) Aus dem Frankfurter Stadtarchiv. 



Löher: Das BechUverfdhren hei König Wenzels Absetzung. 105 

kamen auch sie mit den andern Bheinstädten zom Schlüsse: 
der alte König sei rechtmässig abgesetzt, der neue rechtmäs- 
sig gewählt; ehe sie diesem aber huldigten, müsse er erst 
nach altem Brauche sechs Wochen und drei Tage vor Frank- 
furt sein Lager gehabt haben und in Aachen gekrönt sein, 
das heisst, er sollte erst unbestritten von seinen königlichen 
Eechten Besitz ergriffen haben, — so lange wollten sie war- 
ten, dann seien sie nach jeder Seite hin gedeckt. ^^*) Wäre 
Kuprechts Wahl im ganzen Keich unbeanstandet gewesen, so 
hätte er das Lager vor Frankfurt nicht erst nöthig gehabt. 
Als die sämmtlichen Kurfürsten Wenzel gewählt hatten, woll- 
ten sie gleich mit ihm zur Krönung nach Aachen ziehen: 
»dann man saget, dass der König vor Franckenfurt nit ligen 
wolle, wan man noch nit weyss von ynaan sagen, der wider 
In sin woUe«. ^*^) Ruprecht schlug drei Wochen nach seiner 
Wahl das Träger vor Frankfurt auf. Der Rath schickte an 
den »alten König« Botschaft, wenn er nicht binnen sechs 
Wochen und drei Tagen mit mächtiger Hülfe käme, würde 
die Stadt den neuen König einlassen. Am 22. Oktober zog 
Ruprecht in Frankfurt ein. Die Strassburger, auf welche 
Wenzel besonders gerechnet, empfingen jetzt, da die Sache 
einmal entschieden war, Ruprecht gar herrUch und in Freu- 
den, und nachdem es wegen Bestätigung der Privilegien der 
Städte, weil die Fürsten überall Wenzersche Membranen 
fflrchteten, noch hier und da Anstände gegeben, wurde dem 
neuen König noch im selben Jahre in allen Städten der 
Rheinlande gehuldigt, nur nicht in der alten Krönungsstadt 
Aachen. Die Aachener Rathsherren beharrten darauf: sie 
hätten Wenzel zugeschworen, desshalb könnten sie Ruprecht 
nicht einlassen, ehe er nicht sechs Wochen und drei Tage 
vor ihren Mauern sein Lager gehabt. Nur mit einem tüch- 
tigen Kriegsheer hätte Ruprecht dies Lager vor Aachen be- 

(168) Obrecht 64. 

(169) Wencker 220. 



1 106 Jahrb. der hisior, Classe der k. ÄJcad, der Wissenschaften. 

ziehen können. Denn der Herzog von Geldern hatte die 
Aachener bedroht, wenn sie Kuprecht einliessen, und ihnen 
seine Hülfe zugesagt, wenn er Gewalt brauchen wolle. Dieser 
Herzog von Geldern stand aber in engem Bündniss mit dem 
Herzog von Orleans, der damals Frankreich regierte und Ru- 
prechts schlimmer Gegner war. Aachen lag ohnehin der bur- 
gundischen i^id französischen Macht nahe genug. Nicht ganz 
mit Unrecht klagte Ruprecht die Aachener an: sie wollten 
sich dem Reiche entfremden. 

Unterdessen langte bei ihm aus Frankreich eine Gesandt- 
schaft an, den Erzbischof von Aix an der Spitze. Der fran- 
zösische Hof schmeichelte sich, jetzt könne er kaiserlich nach 
jeder Seite hin auftreten. Er verlangte nicht weniger als: 
beide deutsche Könige sollten WalBfenstillstand machen, sich 
zum Könige von Frankreich begeben, seinen Schiedsspruch 
annehmen. Zu diesem frechen Ansinnen gesellte sich ein 
zweites: Deutschland solle, wenn der römische Pabst nicht 
abdanken wolle, ihm den Gehorsam aufkündigen. Endlich 
wurde die Vermittlung mit Galeazzo angeboten. Ruprecht 
hätte den französischen Hof leicht von Wenzel abziehen kön- 
nen; seine Verwandtin, Königin Isabella, bot ihre Mitwir- 
kung an. Er aber hielt deutsche Pflicht imd Ehre höher. 
Er verwarf den sich aufdrängenden Schiedsrichter und erklärte: 
der rechte Pabst, und das sei olBfenbar der römische, müsse 
erst in vollen Besitz seiner Rechte über aUe christlichen Länder 
gesetzt werden, dann wolle er, der deutsche König, ein Concil 
berufen. Wenzel aber hatte natürlich das französische Schieds- 
gericht, so schmachvoll es war, angenommen. 

Was Ruprecht die Thore Aachens verschloss, waren be- 
sonders die französischen Einflüsse. Um ihnen eine starke 
Thatsache entgegenzusetzen, den Reichsstädten aber jeden 
Vorwand zum ferneren Zögern zu benehmen, entschlossen sich 
die Kurfürsten, die feierliche Krönung solle in Köln geschehen. 
Der Kölner Erzbischof erklärte: weil ihm das Recht, den 



hoher: Das Bechtsverfahren bei König Wenzels Absetzung. 107 

König zu krönen, zustehe, könne er es in jeder Stadt seines 
Sprengeis ausüben. Also geschah am 6. Januar 1401 die 
Krönung Eupreehts unter grosser Pracht und Lustbarkeit zu 
Köln am Shein. Eine Beichsstadt nach der andern brachte 
nun dem Könige die Huldigungsgaben dar. Die fränkischen 
waren die ersten, welche den rheinischen Städten folgten; 
dann kamen die schwäbischen ; im August schickte seine Boten 
auch Eegensburg, welches am längsten die Sache hinhielt, 
weil es sich seinen Handel in Böhmen und Ungarn nicht 
wollte verderben lassen. Aachen aber ergab sich noch lange nicht, 
obgleich Euprecht die Beichsacht wider die Stadt verhängte. 
Nehmen wir aus allen diesen Städten eine, um ihr Ver- 
fahren näher zu betrachten: es sei die reiche und rüstige 
Grossstadt Nürnberg. ^^®) Bald nach seiner Wahl musste 
Buprecht, wenn ihn die Nürnberger anerkennen sollten, fol- 
gende Artikel förmlichst versprechen. Alle ihre Freiheiten 
und Privilegien wolle er bestätigen, und keinen Artikel davon 
abbrechen oder mindern, »ausgenomen ob künig Wentzlaw 

. von dheinerley newer sache wegen, seit er künig ist gewesen, 
brief het geben«. All die Wenzel'schen Privilegien bestätigt 

. zu erhalten, — das verlangten selbst die Städte nicht, sie 
wussten wohl warum. — Der König sollte die Nürnberger 
niemals und in keiner Weise vom Beich weggeben, desshalb 
auch ihre Beichssteuer von 200Ö Gulden inuner zu seinen 
eigenen Händen nehmen, die Beichsfeste in der Stadt keidem 
Andern anvertrauen, als dem Bathe selbst, und den Bann 
über das Gericht zu Nürnberg nur demjenigen verleihen, wel- 

^ chen die Stadt ihm dazu stelle. Wer ihre Bechte antaste, 
der solle gleich mit einer Busse von 50 Gulden vor das Hof- 
gericht gezogen werden. Die Schmälerung ihrer Beichsfreiheit, 
auf geradem oder krummem Wege, das war es, was die Städte 
am meisten fürchteten, als sie hörten, die Fürsten wollten mit 



(170) Die Chroniken der deutschen Städte I 193—202. 



108 Jahrb, der histar. Classe der l. Akad. der Wissenschaften. 

Wenzel ein Ende machen. — »Darnach sol er nns geben 
einen brief, was übergriffe geschehen sein nnd sich yerloffen 
haben, da forsten herren nnd stete mit einander kriegten^ 
nnd was anch übergriffe geschehen wem in den lantMden^ 
e3rnnngen nnd püntnüzzen, die wir mit den fnrsten nnd herren 
gehabt haben, daz wir dammb für das ho^richt noch fnr 
dhein ander gerichte geladen nodi beUagt snilen werden; 
würden wir aber dammb beklagt, daz soll nns dheinen scha- 
den bringen. € Das war die andere Besorgniss d^ Städte, die 
Fürsten möditen jetzt Yorwände brauchen, nm die Städte den 
Sehaden büssen zu lassen, den sie Yon ihnen in dem grossen 
Kri^ erlitten. — Endlich liessen sich die Nümberger noch 
Tersehiedene Yortheüe bestätigen, ihr eigenes Umgeld, die 
Hälfte T<Mi den Jndengeldem, die grossen Landkänfe, nnd dass 
die Burgen, welche im Landfinedausbmch niedeargerissm, nicht 
wieder anfgebant werden dürften. — Die Nümberger gingen 
80 Torsiehtig zn Werke, dass des Königs Bot^i, an ihrer 
Spitze der Burggraf T<m H(dienz(dlem, sich verpfliehten mns»- 
ten, wenn zor bestinnnten Zeit die Pergamente nicht in Nürn- 
bergs Besitze wären, persdnlieh einzoreiten nnd im Stadtarrest 
zn bleib«!, bis sie die Pergamente beschafft hätten. 

Als sieh nnn zn Ende des Januars Ruprecht der Stadt 
Bahnte, sagt» die Nümbetger Wmzel ihre Treue förmlich 
anf, da ^ trotz Bht^is und Wartms nicht fimdm, dass er 
adi sdner Sache annehmen wolle. Allen Bürgern aber liess 
der Batfa fidgend« Yorfaalt machen: König Wenzri sei mit 
Becfat entsetit, wefl er in Sachen des Sachs und insbesondere 
in der Kirdienmtzwriung >laz ist gewesm und darzu niefats 
getffiihat«. Mit den Fürsten undHmren, die mit ihren SdiK^ 
sem lii^sun gesessen seien, dürfe man sieh um Wenzris 
w^en niekt in Krieg und Y«deftaiss einlassMi, da »der 
kn^ also hz in den saehen, dat wir dhein^ trost nodi 
zBfn^eht zn im können noch mügen gehaben, daz er kkts 
darzu tu^ als im und uns aU» des ein noitaift wer.« l^ange 



Loher: Das Bechtsverfahren bei König Wenzels Absetzung. 109 

Zeit habe der Bath bedacht, was zu thun, und habe sich 
vorgestellt: käme Wenzel heraus mit grossem Volk, so könne 
6r sich nirgends halten als in Nürnberg, werde sie nöthigen 
wie er wolle, ihnen die Zufuhr wegzehren und sie in den 
Krieg bringen; >und wenn er denn nymmer bey uns fünde 
und daz ez im nicht gieng nach seinem willen, so breche er 
auf imd Züge wider gen Beheim und liez uns also stecken in 
dem krieg«, und dann müsste Nürnberg, da all die Fürsten 
ringsum gegen ihn seien, verderben und zuletzt doch dem 
neuen Könige huldigen. 

So aber dachten alle Beichsstädte. Es erfüllte sie tiefes 
Misstrauen gegen die Fürsten, sie sorgten ernstlich, man werde 
ihre Freiheit jetzt verkümmern. Allein sie konnten nicht 
leugnen, dass Wenzel die Absetzung verdient habe, dass er 
gar )»also laz,« gar zu grob fahrlässig gewesen, und dass er 
sie ganz gewiss wieder in der Noth stecken lasse. All ihr 
Misstrauen gegen seine Bichter überwog endlich die üeberzeu- 
gung von seiner Nichtswürdigkeit. 



Xni. Wenzel und Buprecht. 

Es ist dargelegt: dass die Absetzung Wenzels nach dem 
bestehenden Becht zulässig war; dass in dem Verfahren weder 
nach der materiellen noch nach der formellen Seite Verstösse 
vorfielen; dass. das sittliche Urteil der Zeitgenossen, selbst 
wider Willen, die Sentenz unterschrieb. Doch da drängt sich 
noch eine Frage heran, eine historisch-politische, die Frage: 
war seine Absetzung denn auch heilsam? Streng genonmien 
fällt diese Frage nicht in den Kreis unserer Aufgabe, welche 
sich bloss mit dem Bechtsverfahren beschäftigt. Allein wer 
kann sagen, wo in Dingen, welche ein Staatswesen erschüttern, 
die Politik anfängt und das Becht aufhört? Ein schwerer 
politischer Prozess giebt schon durch seine Benennung zu erken- 
nen, wie eigenthümlich hier Becht und Politik verwachsen sind. 



110 Jahrb, der histor. Glosse der k, Äkad. der Wissenschaften. 

Wir wollen daher mit wenigen Worten auch auf jene 
Frage eingehe; allein es sei erlaubt, sie umzudi-ehen. Wenn 
König Wenzel nicht abgesetzt wurde, stand es dann besser 
um Eeich und Kirche ? — Keine Thatsache, die auf den Lahn- 
steiner Gerichtstag folgte, berechtigt, mit Ja zu antworten. 

Es ist möglich, dass ein Mann, welcher in Trunksucht 
gefallen, sich wieder aufrafft, dass er seine unwürdigen Fesseln 
zerbricht und wieder frei und männlich um sich schaut. Doch 
etwas gehört dazu: es muss in ihm noch eine starke Willens- 
kraft wohnen. Gerade Willenskraft fehlte Wenzel am aller- 
meisten. Wenn irgend Etwas ihn grundlich erschüttern konnte, 
war es seine schimpfliche Absetzung, seine Schande vor ganz 
Europa. Jetzt musste er zeigen, dass er ein besserer Mann 
sei, als das Urteil von ihm sagte: noch hatte er reiche Mittel, 
seinen Kichtern mit dem Schwerte entgegen zu treten, das 
Eeich mit Hülfe der treuen Städte auf einen andern Fuss zu 
setzen. Was erfolgte bei ihm? Wüthendes Aufflammen — 
verdoppeltes Trinken — Keue und Schwäche, die an sich selbst 
verzweifelt. In diesem Manne war jeder Keim sittlicher Kraft 
ertödtet. Er hat noch lange genug gelebt, um es zu bewahrheiten. 

Wäre Wenzel nicht abgesetzt, was wäre für die Kirche 
^erfolgt ? Wahrscheinlich hätte er nochmal zwanzig Jahre hin 
und her geschwankt zwischen dem römischen Pabst und der 
französischen Politik. Weil er selbst sich fürchtete vor einem 
grossen Entschlüsse, hätte er gehindert, dass ein fremder Ent- 
schluss zur That wurde. Wer konnte denn noch Hoffnung 
hegen, die Kurfürsten könnten den König auf den einzig rich- 
tigen Weg nöthigen, welcher darin bestand, dass der franzö- 
sische Pabst isolirt und seine Obedienz von ihm abgedrängt 
wm-de? Nachdem Wenzel sich von Neuem tief in die franzö- 
sischen Netze verstrickt hatte, war jene Hofl&iung eitel für 
immer. Und gesetzt, irgend ein noch unbekannter Anstoss, 
der Wenzel wirklich erfasste, hätte ihn zum Handeln getrie- 
ben, gesetzt, er hätte wirklich einConcil aller Völker berufen, 



Loher: Das Beclitsverfahren bei König Wenzels Absetzung. 111 

SO hätte er wieder geschürt und gearbeitet, und nach ^len 
Seiten hin aufgeregt, und im entscheidenden Augenblick hätte 
er sich wieder zurückgezogen und Alles in Eifer und Zwietracht 
zurückgelassen. Das war ja seine Art so. 

N«>ch unglücklicher wäre Wenzels längere Kegierung für 
Deutschland geworden. Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte 
er fortgewirthschaftet wie bisher, d. h. die Stände sich selbst 
überlassen, for Geld Privilegien ausgeschüttet, hier und da 
den König gespielt ohne Ernst und ohne Würde. Es gehörte 
Heldenkraft dazu und geduldiges Arbeiten, um aus dem grossen 
Reichswirrwarr, wo jede grosse und kleine Macht so fest ge- 
wurzelt, so störrig und ungefügig war, eine wohlgeordnete und 
leicht bewegliche Gliederung zu schaffen. Wenzel aber besass 
Nichts von jener Ejraft und Geduld, er hatte nur von Zeit zu 
Zeit einen Blick für das, was allenfalls geschehen sollte. Aber 
über diesen hellen Augenblick fielen gleich wieder die Nebel 
des Trunkes, der Wuth, der trüben Angst. Verharrte Wenzel 
nun in seiner gewohnten Fahrlässigkeit , die ihm schon zur 
zweiten Natur geworden, so konnte kein Mensch dafür einste- 
hen, ob nicht zum zweitenmal ein allgemeiner Brand Deutsch- 
land ergriff, der ärger wurde, als in den Jahren 1388 und 
1389. Denn die Furcht und Erbitterung, welche Fürsten und ^ 
Städte und Ritterschaften entzweite, war im täglichen Wach- 
sen» Das konnte geschehen, wenn Wenzel die Dinge sich 
selbst überliess: gewiss aber geschah es, wenn er einmal durch- 
greifen wollte. Seit er die ersten Landfriedensbündnisse ge- 
stiftet hatte, war Alles, was er im Reiche anfing, zum Gegen- 
theil dessen ausgeschlagen, was er erstrebte und zum Verderben 
derjenigen, die erfordern wollte. Kein Beispiel leuchtete greller 
in die dunkle Zukunft hinein, als das Schicksal der Würzburger, 
welche bei Berchtheim den Reichsadler, den sie von Wenzel er- 
hielten, mit ihrem Blute bezahlen mussten. 

Was aber, denkt man nun natürlich, was hat denn Wenzels 
Nachfolger erreicht? Dieser König wollte ja das Beste aus 



112 Jdhrb, der hifttor. Glosse der k, Akad. der Wissenschaften, 

redlichem Herzen, er erkannte ja seine Aufgabe in ihrer Höhe 
und ihrer Tiefe, er hat dafür geduldet und gerungen, er hat 
sich keine Kühe und East gegönnt, bis er vor der Zeit zu- 
sammenbrach unter den furchtbaren Last einer Aufgabe, die 
nicht erfüllt wurde. Ja wohl, ein tragisches Geschick! Viel- 
leicht, wenn König Euprecht zu seinem edlen Willen, zu seinem 
mühevollen Fleiss noch etwas stählerne Härte, etwas soldati- 
sche Eücksichtslosigkeit, kurz wenn er etwas mehr von einem 
Albrecht I. und Heinrich VI. gehabt hätte, so konnte es ihm 
gelingen, aus der falschen Stellung, in welcher ihn die Fürsten 
gefangen hielten, sich herauszureissen und auf seine hohen Ziele 
loszugehen. Als er auf bestem Wege dazu war, starb er. Das 
Schisma in der Kirche war ärger geworden, die Eeform des 
Eeiches kaum angebahnt. 

und dennoch war Euprechts zehnjährige Eegierung für 
Deutschland von hohem Werthe. Nicht zu gedenken, dass er 
die französischen Netze zerriss und Deutschland auf seinen 
eigenen Vortheil stellte, dass er des Eeiches Eecht und Frieden 
im Innern wieder zur Geltung brachte, des Eeiches Eecht und 
Ehre nach aussen wieder näx^hdrücklich betonte, dass überhaupt 
er wieder Gerechtigkeit auf den Schild hob und eine sittlich- 
ende Kraft vom Throne ausging, — dessen nicht zu gedenken, 
hatte dieser König noch ein anderes Verdienst. Er hatte die 
Sehnsucht nach gründlicher Eeform in allen ehrlichen Herzen 
angefacht, er hatte die Ideale wieder hell gezeigt, welchen 
man in Eeich und Kirche zustreben müsste, und langsam be- 
gann die Zeit, sich ihnen zuzuwenden. König Euprecht nimmt 
eine ähnliche Stelle in der Geschichte ein, wie einst der edel- 
herzige Konrad I. Schade nur, dass auf Euprecht kein 
Heinrich I., sondern n\ir ein leichtherziger Sigismund, und auf 
diesen kein Otto der Grosse, sondern nur ein unbehüMicher 
Friedrich IE. folgte. 



L6her: Das Bechtsverfähren hei König Wenzels Absetzung, 113 



N A C H T K A E G E. 



Als der Drijck dieser Abhandlung bei dem vorletzten Bogen 
stand, erhielt der Verfasser den ersten Band von »Frankfurts Reichs- 
oorrespondenz nebst andern verwandten Aktenstücken von 1876 — 
1519 herausgegeben von Dr. Johannes Janssen. < (Freiburg im 
Breisgau 1863.) Ein Theil der darin enthaltenen Urkunden, welcher 
schon von Obrecht, Wencker, Martene und Andern edirt wurde, liegt 
nun in correcterem Abdruck vor, konnte aber leider nicht mehr 
benutzt werden. Andere Urkunden, welche in vorstehender Abhand- 
lung als mitgetheilt aus dem Frankfurter Reichsarchiv bezeichnet 
sind, finden sich bei Janssen vollständig. Ein dritter und umfang- 
reicher Theil aber war dem Verfasser noch unbekannt geblieben. 
Auch diese Urkunden bestätigen zwar durchgehends nur dasjenige, 
was sich ihm über Lage und Gang der Dinge bei Wenzels Ab- 
setzung bereits herausgestellt hatte. Da aber viele Stücke der werth- 
voUen Janssen'schen Sammlung über Beginn und Verlauf der Sache 
noch helleres Licht verbreiten, so schien es angemessen. Einzelnes 
hier nachzuholen. Zugleich konnte dabei noch ein Vortrag von 
Wegele benutzt werden, welcher bisher dem Verfasser ebenfalls un- 
bekannt geblieben war und welcher den Titel fahrt < Fürstbischof 
Gerhard und der Städtekrieg im Hochstift Würzburg mit Bemer- 
kungen und urkundlichen Beilagen. < (Nördlingen 1861). 



8 



114 Jahrb, der hi9tor, Ciasee der Je. AMad^ der Wisgemchaften, 

I. Von Wenzels Absetzung war schon 1384 die 
Bede. Am 5. Februar dieses Jahres schreibt ^''^) Kaplan 
Heinrich Weider aus Mainz an einen Freund: »Und wisze, 
das ich in grosser heimelikeit vimomen han alz von viran- 
derunge am ryche wegin von eczlichin herren den fursten zu 
tunde, und wullen einen kung in dutsche lande han. Und 
sint frunde uz Nurberg hie und weren vaste irschrocken und 
sagent: >Daz wird stosze gebin und uns stedtin nu vaste 
schedelich sint.» Und meynent, iz komme von dem, der nu 
nit hie is, und eczwaz swach am libe, jedoch alliz ergert. 
Und sagent auch: »Is is des augenknippers schuld. c Und 
sint herteclic verschrocken, und wullent nache Beheim schicken 
zum kung, und wullent czu alle iren heymlichen schicken, 
und des ir&m.« — Als Grund, warum die Fürst^ an des 
Königs Absetzung dachten, wird also angegeben, dass er ausser 
Deutschland weile. Es mochte aber auch wohl die Furcht 
mitwirken, dass die Städter und die Bitterbünde den Fürsten 
übermächtig würden. Sie suchten sich durch die stärksten 
Gegenbündnisse zu schützen. "*) — Welcher Fürst den Spitz- 
namen »Augenkneifer« hatte, ist nicht zu ersehen, vielleicht 
Kurfürst Adolf von Mainz. Der aber, »der nu nit hie is« (der 
in Deutschland hätte sein sollen) »und eczwaz swach am 
Übe« (jung und von schwacher Gesundheit), jedoch alliz ergert,« 
ist ohne Zweifel Wenzel selbst. Wie man über ihn schon 
damals in Deutschland dachte, zeigt sich deutlich durch einen 
Bericht, den ein »Heimliche« (vertrauter Agent) der Boten- 
burger an seine Auftraggeber schickte, und der nach Frank- 
furt mitgetheilt wurde. Die böhmischen Landherren, heisst 
es darin, wären voll Zorn dem König unter die Augen ge- 
ritten und hätten ihn von Einem, der auf sein Geheiss gegen 
einen Landherren gezogen wäre, geradezu gesagt: »wo sie den 



(171) Janssen 12 no 37. 

(172) Oben S. 23. Janssen 13--15. 



Läktr: Das Rechtaverfahren hei König Wetuek Äbseieung, 115 

qual ankoimneni, sie woUen yme daz heubt abeslahin.c Und 
also sei der König »vast bekommert mit vil wunderlicheit 
Sachen.« Den Städten giebt ihr Heymlicher den Batii: sie 
sollten jedenfalls trachten» mit den Fürsten zu einem glimpf- 
lichen Frieden zu kommen; denn auf König Wenzel sei gar 
kein Yerlass. »Wan der herre wil mit nihte r^t. Er meynt, 
als ich virstanden han, daz er gerne sehe, daz herren und 
steit zu nichte worden. So wer gud, daz man daz undirfture, 
daz er damuder zusehen zwien stukken niedersasze, wan ir wöl 
wiszt, dazBehe^rm undTewsch nicht obir ein sind«. Geradeso 
sprach der Nürnberger Patrizier über den bösen Willen des 
Königs "»)• 

IL Die Gefahr der Absetzung drohte Wenzel 
ernstlicher in den Jahren 1387 und 1388. Er suchte 
sich dagegen durch Bündnisse mit den Städten sicher zu 
stellen. Im Jahre 1387 liess er sich von einer grossen An-» 
zahl Städte im Elsass, in Schwabs, Franken und am Main 
Yttrbürgen: ihm gegen jeden zu helfen, der ihn vom Beiehe 
cbrängen wolle. ^^^) Im Jahre 1388 am 30. Oktober liess da^ 
gegen der Mainzer Kurfürst sich von den Städten Mainz 
Worms Speyer versprechen: wenn Wenzel sterbe oder dae 
Beich anderswie erledigt werde, wollten sie denjenigen fSr 
ein^ römischen König halten, den der Kurforst von Mainz 
mit zwei oder mehr Kurfürsten erwählen werde. ^''^) 

in. Für den König war der Pfalzgraf bereits 
eingetreten, als Wenzel in Böhmen von seinen Unterthanen 
gefangen gehalten wurde. Pfalzgraf Buprecht der Aeltere 
erliess am 20. Juli 1394 an den Bath zu Frankfurt, und 
ohne Zweifel auch an andere Städte, ein Ausschreiben, worin 



(173) Oben 35. 

(174) Oben 33. Lehmann, Speyr. Chron. 766. Böhmer, Cod. dipL 
Moenofr. 764. 

(176) Wurdtwein, Nova snbs. IX, 307. 827. 

8* 



116 Jdhrb, der histor: Glosse der k. Akad, der, Wissenschaften, 

er sagte: er mit den drei geistUchen Kurfürsten und andern 
Beichsständen hätten auf dem Reichstage zu Frankftirt be- 
schlossen, jetzt, wo der KOnig seiner selbst nicht mächtig sei, 
solle jeder Beichsstand, »umb daz daz rieh nit warlose und 
in sumenisse stee,« um so fleissiger dazu sehen, »und wir 
als ein pfalc^rave by Byn von unsers kurfiirstentums und 
wirdekdt wegen, nachdem als ez leider zu dieser zyt umb 
unsem hären den konig und daz rieh gestalt ist, sollen ein 
vicarius und fiirseher des richs sin, als auch daz unsere alt* 
vordem pfalczgraven by Byn, kurfursten des richs, gebruchet 
und off uns bracht han.c ^7®) Dieser Vorgang, dass schon 
einmal ein Anderer für Wenzel die Beichsregierung über- 
ndmien musste, blieb gewiss nicht ohne nachhaltigen Eindruck. 
IV. Schon im Jahre 1397 erschien Wenzel that- 
sächlich wie des Beiehes entsetzt. Er schrieb am 
15. Februar einen Beichstag aus nach Nürnberg auf den 
29. April, wo er schon am 22. eintreffen werde. Die Kur- 
fürsten von Köln Trier Pfalz aber beriefen den Beichstag am 
18. Februar nach Frankfurt auf den 13. Mai. "^) — Der 
Beichstag zu Nürnberg aber kam so wenig zu Stande, dass 
der dortige Bath am 30. April an den Frankfurter schrieb: 
keine einzige Stadt sei erschienen, der König selbst sei aus- 
geblieben, es sei weder für ihn noch fiar Andere Herberge 
bestellt. »Man hat uns abir wol virschriben und empoten 
von Beheim, daz sich unser herre der kunig darczu schick 
und bereit, daz er ve herawz woUe, aber ab daz geschiht und 
wenn ez geschehe, daz kunnen wir euch niht eygentlichen 
verschriben«. ^^®) So wenig Ansehen und Glauben genoss 
schon damals Wenzel im Beiche. — Der von den drei Kur- 
fürsten ausgeschriebene Beichstag war dagegen sehr zahlreich 



(176) Janssen 36—39 no. 96 und 97. 

(177) Janssen 39 no. 103 und 104. 

(178) Das. 42 no. 112. 



hoher : Das Becfttwerfahren bei König Wensds Absetzung. 1 17 

und glänzend besucht. Es waren anwesend: 32 Herzoge und 
Pursten, mehr als 150 Grafen und Herren, 450 andere vor- 
nehme Leute, 1300 wirkliche Bitter und 3700 gemeine Edel- 
leute, dazu die Boten der achtzehn vornehmsten Beichsstädte. 
Bloss der Herzog Leopold von Oestreich hatte Ifir 2500 Pferde 
meines Gefolges, der Thüringer Landgraf, Markgraf Wilhehn 
von Meissen, für 300 Pferde Quartier bestellt. Eine so un- 
geheure Anzahl Volks kam damals zu einem deutschen Beicha- 
tag zusammen. ^^^) — Der Frankfurter Bath hatte dem Könige 
im April Nachricht geschickt, welch ein Beidbstag bevorstehe, 
und noch am 8. May zu bedenken gegeben: wenn er selbst 
herkomme, stehe zu hoffen, »daz dann aUe sache sich gnedig- 
lieh czu frjden und gnaden kerende wurdenc ^^<') 

Wenzel aber kam nicht, und die Fürsten und horrendes 
Beichstags beschlossen: an den König eine grosse und statt- 
liche Gesandtschaft zu schicken, »daz w umb grosse notdorfft 
und gebreston willen einen heubtman seczen und geben wulle, 
der von des heiigen richs wegen Mde und gnade in den lan- 
d^ mache und bestelle«. Die Städte, — allezeit vorsichtige 
Anhänger des rechtmässigen Königs , allezeit in Besorgniss . 
vor den Unternehmungen der Fürsten und Herren, — hatten 
^ich ihre Erklärung vorbehalten, jedoch sich verpflichtet, auf 
einem zweiten Beichstag, der am 25. Juli zu Frankfurt eröff- 
net werden solle, bestimmte Antwort zu geben, ob sie bei 
dem Beichshauptmann , welchen alsdann der König gesetzt 
haben werde, sowie bei den Fürsten und Herren bleiben und 
beiständig sein wollten. Würde aber der König, dessen sich 
die Fürsten und Herren doch zu ihm nicht getrauten, keinen 
Statthalter des Beichs bestellen, so wollten dennoch Fürsten 
und Städte auf dem genannten Tage »mitein zu raden werden 



(179) Das. 44 no. 117. 40—41 no. 107 und 108. Limburger 
Chronik ad. a. 1397. Wencker 268. 

(180) Janssen 41 no. 109. 43 no. 115. 



118 Jakrb, der histor, Cktsse der k, Äkaä, der WissenschafU», 

und ubirkomen, alsdann fridde und gnade und alle sachmi^ 
die notdorfftig gin, fiirbass zu dem besten zu versorgen und 
zu bestellen». Dies Letztere stellte ernste Schritte in Aus- 
sicht, um Wenzels Säunmissen abzuhelfen. ^^^) 

Wenzel aber machte es schon jetzt geradeso, wie spät^^ 
als sein Absetzungs-Prozees wirklich im Gange war: er mochte 
oder kiMinte nicht nach Frankfurt kommen, und wollte mit 
den Beichsstilnden , auf d^en besondere Anhänglichkeit er 
rechnen durfte, einzdn und in der Nähe von Böhmen verhan- 
ddn. Die schwäNschen Städte hatte er zu sich auf den 
14. Juli nach Nürnberg beschieden: er kam aber nicht. Dann 
hiees es, er werde nach Eger kommen und habe dahin etliche^ 
Fürsten und Herren berufen.***) 

Der Frankfurter Beiohstag yom 25. Juli ging unverrich- 
teter Sache auseinander, weil, wie die Fürsten erklärten^ 
»flirsten und gtede nit als voUioh hie gewest sine. Wahr- 
scheinlich lag ab^ der Grund daiin, dass die Städte gegen 
den König, — der immer schrieb, er werde gewiss kommen 
und bald kommen, ***) — noch keine bestimmte Erklärung 
abgeben wollten. Die Fürsten bestellten nun einen neu^ 
Beichstag auf den 11. November, wo sie dann Durchgreifen- 
des vorzunehm^ dachten. *®^) Inzwischen wurde es gewiss^ 
dass jetzt endlich der König nach Deutschland kommen werde. 
Im Oktober war er in Nürnberg, und am 5. Dezember be- 
stellte er fOr ein Gefolge von 1500 Pferden in Frankflui 
Herberge, ***) wo er sich mit den Fürsten wieder auf besseren 
Fuss stellte. 

V. Wie Wenzels Landfrieden von 1398 vielem 
Yolke ein Spott war, lässt sich aus dem auch von Janssen ^*^) 

(181) Das. 44 no. 117, 

(182) Das. 45 no. 121. 

(183) Das. 45 no. 122. 123. 

(184) Das. 46 no. 125. 

(185) Das. 46 no. 126. 

(186) Das. 47—49. 



IMer: Das Rechtsverfahren bei König Wenzels Ahsetsun§, 119 

mii^ethcdlten Spottgedichte deutlich erkennen. Der Beimer 
trayestirt die Landfnedensartikel: 

Zu erstem, daz nod) kein kn — ir rechten meister 
haben sol: — das gevellet uns armen gesellen wol. — 
Wo man di riehen gebuien vindet, — sü habent 
kuege ros oder rinder, — sü süllent es teilen als* 
gligh, — daz die airmen onch werdent rieh. *— So 
sol de pflng euch fride han, — wo man in siht zu 
acker gan: — die pfert und euch der ackerman — 
mag man yohen und denne triben, — alz daz der 
pflüg sol belibe, — als daz der kunig gebotten habe, 
— man breche ime denne die isen abe. — etc. 
VI. Die Sache 4er Würzburger Landstädte war ohne 
Zweifel von Bedeutung in Wenzels Absetzungsgeschichte. 
Würzburg hatte mit seinem Bischof Gerhardt, einem energi- 
schen und auf sein Interesse wohlbedachten Fürsten, schon 
harte Stösse gehabt. Da erwarb er sich, um seiner Finanz* 
noth abzuhelfen, von Wenzel einen hohen Zoll auf allen Wein, 
üeber diese drückende Steuer gerieth das Land in Erbitterung, 
Aufstand und offnen Krieg gegen seinen Fürsten. Eilf Städte 
verschworen sich miteinander. Grerhardt sammelte ein Heer 
und fing an, die Städte zu belagern. Der gesammte Adel 
zog ihm zu mit seinen Beisigen und Fähnlein, und die Auf- 
ständischen kamen in Bedrängniss. Basch entschlossen ei^ 
griffen sie einen Gedanken, der ohne Zweifel damals in den 
meisten Städten der geistlichen Fürsten umging. ^®^) Sie 
schickten Gesandte nach Prag an den König und baten: sie 
für Beichsstädte zu erklären, dann sei den Ansprüchen des 
Fürstbischofs ein- for allemal ein Biegel vorgeschoben. Dies 
war in der Zeit, als Wenzel höchlich über die Fürsten erbit- 
tert war, welche zu Frankftirt Beichstage hielten und ihn 
nöthigen wollten, statt seinereinen Beichshauptmann zu schicken» 



(187) Oben 94 



120 Jahrh, der histor, CUisae der k, Äkad. der Wissenschaften. 

Er rüstete sich jetzt selbst zu seiner Fahrt in's Beich, und 
wenn er an die Beichsstände dachte, so waren nur die Städte 
und Bitterbünde nicht feindselig gegen ihn gesinnt. Vielleicht 
half auch Würzburger Gold mit, welches die Städteboten zu 
Bestechungen nicht sparten. Also bejahte Wenzel das Ver- 
langen der Würzburger Städte und schickte ihnen seinen ver- 
trauten Bath Borziboy von Swinar. Da jubelten die Würz- 
burger, an allen Thoren wurden die Beichsadler angeschlagen, 
und in der Hauptstadt unter Ffeifenklang und Saitenspiel ein 
goldglänzender Adler hoch am Giebel des Bathhauses befes- 
tigt. Bald darauf kam Wenzel nach Nürnberg, und dort 
fertigte er wirklich die Urkunde der Beichsfreiheit für neun 
Würzburger Städte aus am 17. Oktober 1397. 

Darin erklärt der König: Bischof Gerhardt habe ohne 
Königs und Beiches Verlaub so viele von seinen Schlössern 
Kärkten und Einkünften versetzt, dass es König und Beich 
merklichen Schaden bringe an Lehen Diensten und Gebühren; 
^ habe die Städte und das Stift schwerlich angegriffen und 
beschädigt, und wolle den Schiedsspruch, den der König nach 
Bathe der Fürsten thun wolle, nicht annehmen; er sei seiner 
selbst nicht mächtig. Damit nun das Stift nicht zu ewigem 
Untergang und Verderben komme: so habe der König Bür- 
germeister Bäthe und Bürger der Städte Würzburg Karlstadt 
Neustadt MeUrichstadt Meiningen Sesslach Ebern Hassfurt 
und Gerolzhofen mit ihrem Leib und Gut »in unsern und des 
heiligen Bichs schucz und schirme gnediclic genomen , . . . sie 
2U uns unser leptag in kraft dicz brieffes von Bomischer 
kunigliche mehte, also dacz sie ims furbas mer in allen 
Sachen undertenig und gehorsam seyn und sweren und hulden 
sollen, als ander des heiligen riches stete, und uns auch alle 
jare eine gewonliche stiure und hilffe tun sullen; und wen 
geschee, daz wir in dem Biche here betten und ein felde 
machten und uns andere des heiligen riches stete ir volk uff 
daz felde schickten, so sollen sie... uff ire kosten dyenen an 



Löher: Das Eechtaverfahren bei König Wenzels Absetzung, 121 

sai]|apiiisse«. Zuletzt wurden, wie sich vou selbst verstand, 
dem Bischof alle Eechte vorbehalten, die er von Alters her 
wirklich hatte, wie dergleichen auf Gericht Zoll Gülten 
auch den Bischöfen in andern Beichsstädten, unbeschadet der 
Beichsfreiheit, noch zustanden. 

Dieser Freibrief enthält zwar die eigenthümliche Zeitbe- 
stimmung »unser leptag«: immerhin aber war er eine förm- 
liche Aufiiahme unter die Beichsstädte. Hatte dies Beispiel 
Bestand, so konnte es von unberechenbaren Folgen werden. 
Allein was folgte, war ganz in Wenzels Weise. Im Oktober 
wurde er in Würzburg mit höchsten Ehren und Freuden ge- 
feiert. Als er aber nach Frankfurt kam, war auch Bischof 
Gerhardt da, und wusste ihm mit den übrigen Fürsten derart 
zuzusetzen, dass Wenzel schon am 21. Januar 1398 den vor- 
läufigen Bescheid gab: es solle im Würzburger Stift jeder 
Stand bei seinen Bechten bleiben. Und am 17. Januar 1399 
erliess er zu Prag den Endbescheid: die Würzburger Städte 
sollten ihre Einung auflösen, dem Bischof wieder huldigen, 
ihm die Schlüssel zu Thor und Thürmen ausliefern und allen 
Schaden ersetzen: dagegen sollte die Weinsteuer und das 
Interdikt, mit welchem die Städte belegt waren, aufhören, 
und ein kaiserlicher Hauptmann fünf Jahre lang die Steuern 
erheben. ^*^) 

VII. Das erste Fürstenbündniss, welches weiter zu 
Wenzels Absetzung führte, war nicht das der vier Kurfürsten 
vom 2. Juni 1399, sondern schon am 11. April dieses Jahres 
hatten sich die drei Kurfürsten von Mainz Köln . und Pfalz 
zu denselben Artikeln verbunden. ^^^) Wenzel hatte seinen 
Mundschenk und andere Vertrauten an den Bhein geschickt. 



(188) Wegele 22—32. 44—45. 55—57. Vgl. oben 94. 46. 49. 50. 
Auf Seite 50 (unten) ist also das Datum des Endbescheides zu be- 
richtigen. 

(189) Janssen 487 no. 870. 



122 Jahrb. der histar, Glosse der k. Äkad, der Wissenschaften. 

van auszuforschen, was die Fürsten rathschlagten. Sie wen- 
deten sich an die kundigen Frankfurter, diese aber mussten 
am 10. August 1399 an Wenzel schreiben: dass sie ihre 
Agenten zwar zweimal dort gehabt hätten, wo mehrere Fürsten 
beisammen gewesen, dass aber keiner habe erfahren können» 
»waz der heimelichkeit oder ratslagunge were«. So geheim 
hielten die Fürsten ihre Verabredung. Wenzel glaubte, wie 
es scheint, damals, sie wollten nur einen Eeichsvikar be- 
stellen. ^^^) 

YIII. Den ersten entscheidenden Reichstag hatten 
die Fürsten am 20. September 1399 auf den 19. November 
nach Frankfurt, Wenzel den seinigen schon am 1. September 
auf den 13. Oktober nach Nürnberg ausgeschrieben ^^^). Am 
19. Oktober als er selbst in Nürnberg nicht erschienen war» 
schrieb er an die Städte : er werde nun bald mit Sigismund 
dahin kommen, sie sollten ihr Volk in Bereitschaft halten und 
sofort, als er aus Böhmen komme und es befehle, mit ihrer 
Macht zu ihm stossen*^*). Am 11. November schrieb er 
wieder ab und schickte Gesandte *^*), mit denen man zu Nürnberg 
am 7. Dezember unterhandeln solle. — Jetzt wurde der Frank- 
furter wichtige Tage eröffnet. — Die schwäbischen Städte 
hatten sich wegen allerlei ünfiüle entschuldigen lassen *®*). 
— Es ging in jenem Jahre in der That in Deutschland wild 
und bunt durcheinander; alle Gegenden waren so voll Fehde 
und räuberischem Kriegsvolk, dass Keiner aus den Frankfurter 
Käthen es wagte, zum Könige zu reisen und ihm über die 
Verhandlungen des Reichstages Bericht zu geben: man schickte 
lieber einen Schreiber und Diener. Gerade so und aus den- 



(190) Janssen 50 no. 134. 

(191) Das. 60 no. 135. 136. 

(192) Das. 492 no. 874. 

(193) Das. 51 no. 139. 

(194) Das. 51 no. 141. 



Lohet: Dm Bechtwerfahren bei König Wenzels Absetzung, 123 

selben Gründen geschah es noch am 20. Juni 1400 ^**). — Auf 
dem genannten Beichstag zu Frankfurt wurde von ^ea Städten 
verlangt: bei dem römischen Pabst stehen zu bleiben, dess* 
gleichen zu den Fürsten zu halten und keinen von Wenzel 
bestellten Beichsvikar anzuerkennen, wenn ihn die Fürsten 
nicht annehmbar fönden. Sie sollten, da sie nicht gleich sidi 
erklären wollten, bis zum Ende des Jahres Antwort schicken ^^^). 
Aber auch die Städte, welche Wenzels Verlangen folgten und 
sich in Nürnberg im Dezember versammelten, — nämlidi 
Köln Segensburg Botenburg Weissenburg Augsburg Ulm und 
die schwäbischen Städte, — woUten sich nicht gleich er- 
klären, als die königlichen Gesandten verlangten: die Städte 
sdlten zum König halten, der ihnen einen rechten Haupt- 
mann geben wolle, sie zu vertheidigen. Es wurden deshalb 
von des Königs wegen die Beichsstädte auf den 17. Januar 
1400 nach Esslingen geladen ^•^), 

IX. Von sprechender Bedeutung sind die Bünde 
der hohen und niedern Freien. Als die Fürsten ihren 
zweiten Tag zu Frankfurt am 2. Febr. 1400 hatten, hielten 
m ihre Beschlüsse wiederum vor den Städten verborgen ^®®). 
Als Grundlage und Gewähr für ihr ferneres Vorgehen machten 
sie aber einen festen Bund unter einander, dass ein neuer 
König gewählt werden solle, und dass sie in dieser Angelegen- 
heit gegen Jedermann einander helfen wollten. Es erweiterte 
sich der Bund, welchen zuerst drei, dann fSnf Kurfürsten ab- 
schlössen, am 2. Februar zu Frankfurt auf den Markgrafen 
von Meissen und Landgrafen von Thüringen, den Landgrafen 
von Hessen, und den Bur^rafen von Nürnberg, und traten 
am 80. Mai die Herzoge von Braunschweig, Herzog Albrecht 



(195) Janssen 52 no. 146. 61 no. 178. Vgl. oben 56. 57. 

(196) Das. 52 no. 148. 

(197) Das. 58—54 no. 161. 152. 158. 

(198) Janssen 55 no. 157. 



124 Jdhrb» der histor. Classe der k, Akad, der WissenscJuxften, 

von Sachsen und Fürst Sig&mond von Anhalt, am 8. Juni 
Herzog Leopold von Oestreich, Herzog Wühelm von Geldern 
und Jülich, Graf Adolf von Cleve, Herz<^ Albrecht von 
Bayern "^) bei. So war ein grosser mächtiger Fürstenbund ent- 
standen, der so ziemlich durch ganz Deutschland reichte, ein Bund 
mit bestimmtem Ziel und zu Schutz und Trutz wider Jeder- 
mann, der die Erreichung dieses Zieles hindern wollte. Bi- 
schöfe und Prälaten wurden von dem Bündniss nicht um- 
schlossen: ihrer waren die and^n Fürsten ohnehin sicher. 
Wenzel suchte diesem hohen Fürstenbund einen Bund der 
niedem Freien des Beiches entgegen zu setzen, und zwar nicht 
allein einen Städte,- sondern auch einen Bitterbund. S^en 
Abgeordneten trug im März 1400 der Frankftirter Bath insbe- 
sondere auf: »zu werben umb die heimlichen Sachen derstede, 
und besundem als man sagit, daz' ädi viel graven herren 
ritter und knechte zu ein virbunden wurden odir virbunden 
haben.« ^^^) So schienen sich zwei grosse Mächte feindlich 
zu gruppiren, die Fürstlichkeit und die gemeine Freiheit, und 
ihr Feldgeschrei drohte zu werden »hie Fürsten!« und »hie 
König!« Neben der andern Besorgniss, der König werde sich 
in der Kirchensache unrettbar in die französischen W^ ver- 
stricken, trieb die Fürsten zum entschiedenen Vorgehen gegen 
Wenzel die Furcht, er könne in seinem Unbedacht und Fürstenhass 
einen noch schrecklicheren Brand entzünden, als der letzte 
grosse Fürsten- und Städtekrieg gewesen. Gewiss, wäre Wenzel 
ein anderer Mann gewesen als er war, &c hätte Stürme err^n kön- 
nen, welche alles Fürstenthum niederwälzt^i. Doch kam noch ein 
anderer Umstand den Fürsten zu Gute. Sie hatten ein Prinzip, 
das der Landesherrlichkeit. Die Städte und Bitter hatten 
diesem kein anderes ebenso klares und bestimmtes Princip 
entgegenzusetzen: waren sie doch selbst kleine Landesherren. 



(199) Das. 503—504 no. 886. 888--893. 

(200) Janssen 55 no. 158. 



JMmi Dt» BeOamferfahitm bei Känig WengOs ÄlweUsmtg. 125 

X. Die Yerhsudlnngen zum zweiten Beichstagglei» 
ehen ganz denen zum ersten. Wenzel wollte seinen Oegen- 
Beichstag wieder zu Ndmberg halten und zwar erst am 
2. Mai, und, da er wieder selbst nicht kam, am 6. Joni'^^). 
Seinem Gesandten und Agenten gingen und warben von einer 
Stadt zur andern ; allein die Bürgerschaften wollten sich nidit 
so mit ihm einlassen, wie er es wünschte. Köln Mains 
Strassburg Speier Worms und Frankfurt kamen zwar zu 
seinen Abgesandten nach Frankftirt am 31. Mai, erklftrton 
jedoch: wenn die Fürsten sie zum Beichstage einlüden, kton* 
ten sie billi^r Weise nicht wegbleiben; gern und gewi» 
wollten sie aber auch des Königs Beichstag beschicken.*®*) Ebenso 
wenig Hessen sich die Städte aus ihrer diplomatischen Beobach- 
terrolle von den Fürsten herausreissen. Sie hielten ihnm be» 
ständig vor, dass man sie nicht in's volle Vertrauen zöge: 
»in welchir masse odir wie die anderunge (am Beiche) gescheen 
sulle, und mit welchem fursten odir andern harren daz bestalt 
sulle werden, noch in welchir masse odir wie unser herre der 
könig daran erkannt odir sust entseczit sulle werden, odir in 
welcher masse yme ein heubt als ein virwesir odir pleger ge- 
seczt sulle werden, odir in welcher andern masse die virande- 
runge an dem riebe gescheen odir zügeen sulle.« *®*) Nachdem 
Mainz Strassburg Worms Speyer Frankfurt und Friedeberg 
diesen Beschluss am 8. Juli auf dem Städtetage zu Mainz 
gefasst hatten, wurde auf Wunsch der Kölner ein neuer 
Städtetag zu Coblenz am 8. August gehalten und von dort 
den Fürsten geantwortet: die Städte seien dem römischen 
Könige, »der yeczunt is,< verpflichtet und könnten deshalb 
den Fürsten jetzt nicht antworten. Das möchten die Fürsten 
aber fär »untfencklich« ansehen. Würden sie den Städten 



(201) Janssen 56—57 no. 160. 167. 

(202) Das. 57—58 no. 170. 

(203) Das. 508 no. 897. Oben 103. 



126 Jahrb. der fUgtor. CUme der k. Akad. der Wissenachaften, 

weitere AufUämng geben , so wollten jene sich wohl darauf 
besinnen und getrauten sich, darauf »bescheidelich zu ant- 
worten«, da sie gern den Fürsten thäten, was sich »nüt eren 
und mit bescheide gebürte.« *^^) Wenzels yertrauteste Diener 
zogen unterdessen fortwährend im Beiche umher, und er selbst 
schrieb ein über das anderemal, dass er zur Stunde kommen 
werde. '^^) Und damit kam der letzte Oerichtstag zu Lahn- 
stein heran, ohne dass sich ein fester und bewusster Wider- 
stand gegen das Unternehmen der Fürsten gebildet hatte. 
Hätten die Städte nur irgendwie ein Vertrauen zu Wenzel 
&ssen können, so hätte sich noch die ganze Sache wenden 
lassen. 

XL lieber die Verknndung des Urteils durch 
den Kurfürsten von Mainz heisst es in einem Ausschrei- 
ben König Buprechts^^^): »Item und wie der erczbisschof zu 
Mencze als ein dechann undir den andern kürfursten uffin- 
berlich lasz und Tirkundete, wie daz unser herre der Konig 
sich gehalten hette und sich des richs unwirdig gemacht, darum 
si in entseczit hau, und wie dann die küre darnach er- 
gangen ist«. 

Xn. König Buprecht zog alsbald nach seiner Wahl mit 
den drei Kurfürsten ins Lager vor Frankfurt. An alle Beichs- 
stände ergingen Ausschreiben, dass man dem neuen Könige 
sofort huldige. Um dem Begehren Nachdruck zu geben, traten 
jetzt die Fürsten öffentlich mit ihrem grossen Bunde und 
seinen Artikeln hervor und erklärten: dass sie einander »nit 
lassen und lib gut slosz lande nit von ein zu scheiden.« Jeder 
musste sich, ehe er es mit einem so furchtbaren Bunde au&ahm, 
wohl bedenken, ob er gegen das Absetzungsurteil Wenzels noch 
protestiren solle. Von den Frankftirtem wurde verlangt: »daz 



(204) Janssen 516 no. 502. 

(205) Das. 60 no. 174. 175. 

(206) Das. 535 no. 918 art. 9. 



Löher: Das BechUverfahren bei König Wenzels Absetzung, 127 

man in (den König) und die forsten mit den iren wulle zu 
Franckenfurt zu stunt ynlassen und dainne ligen, umb grosses 
schaden und zügriffens willen uzwenig der stad zu vermydeUf 
und wulle ansehen, daz er einmüdeclich von dem korfiirsten 
€trkom sy, und darumb solich spann nit sy, als obe die Kür- 
forsten ein teil einen konig gekom betten und die andern 
eynen andern.« Der Frankfurter fiath aber erbat sich Bed^ik- 
2eit auf neun Tage, und obgleich die Fürsten erklärten : »das 
Beich ginge sie so nahe und näher an, als die Frankfurter, und 
sie begdbrten noch weniger wider ihre fieichseide zu handeln«, 
— so blieb der Bath doch dabei stehen, dass die Stadt, »uf 
das sie eide und eren bewaren mögen«, den neuen König 
aicht vor 6 Wochen und 3 Tagen Frist einlasse.*®^) Am 
8. Septbr. erfolgte das schon oben hergesetzte *^^) entscheidende 
Bechtsgutachten auf dem Mainzer Städtetag. Am 10. Sept. kamen 
die drei geistlichen Kurfürsten,, die ihre Fahnen schon auf dem 
Felde vor Frankfurt hatten aufstecken lassen, mit dem Könige, 
dem Herzoge von Lothringen und vielen Herren Orafen 
Sittem und Knechten, sich dort zu lagern, und täglich kam 
neuer Zuzug. ^®^) Die Stadt aber liess Keinen herein, der 
ihr nicht zuvor Sicherheit und gutes Betragen schwor. *^^) 
Am 4. Oktober waren indessen schon Städteboten von Köln Mainz 
Worms und Speyer im Lager und erklärten Buprecht: sie 
wollten, wenn er ihre Freiheiten bestätige, ihn je eher je 
lieber zur Huldigung einlassen, und da sie nun auch die 
Frankfurter angingen, das Gleiche zu thun, brachte der Bath 
die Sache an die Gemeinde, welche einstimmig das Lager 
nicht wollte abgekürzt wissen. Um sich vollends zu decken, 
Uess sich der Bath nach Ablauf der gesetzmässigen Lagerzeit 



(207) Janssen 534—537 no. 918—920. 

(208) Oben 10—11. 

(209) Janssen 538 no. 924. 68 no. 202. 71 no. 207. 72 no. 209. 
76 no. 217. 

(210) Das. 539 no. 925. 



128 Jdhrb. der histar» Clasae der k, Akad, der Wissenschaften. 

von den Eurförsten im Beichshof ein Weisthum geben , dass 
FrankAirt nach Becht den neuen König zor Huldigung 
anpfangen dürfe.*") 

Xin. Das Benehmen Wenzels nach seiner Ab- 
setzung war seines übrigen Lebens würdig. Anfangs war 
er Feuer und Flamme, und in voller Thätigkeit. Er entbot 
Sigismund Jost und Prokop zu sich, und seine Boten, um 
schleunige Eriegshülfe zu werben, flogen in alle Welt, zu dem 
Meissner, dem Oestreicher, dem Mailänder, dem Geldern und 
Brabanter, dem Polen, insbesondere auch zujn Könige von Frank- 
reich. Die Städte liess er aufbieten, auf den 13. Oktober in 
Nürnberg mit ihrer Macht bei ihm zu sein; denn er werde 
mit grossem Heere erscheinen, alle zu strafen, die an ihm 
gefrevelt.*") In Nürnberg beriethen sich im September die 
Boten von Eotenburg Windsheim Weissenburg und Schwein- 
furt, ob aus Wenzels Büstung wirklich eti^ras werde. *^*) 
Allein die vertrauten Agenten der Städte berichteten sehr 
bald aus Böhmen: der König werde wohl nicht herauskom- 
men; er habe kein Geld; der Meissner und der Oestreicher 
und Keiner wolle ihm h'elfen ; man erwarte sicher , dass er 
auch des Königreichs Böhmen entsetzt werde; Wenzel sei 
ohne ohne allen Muth und Entschluss: »was des morgens ja 
ist, daz ist des abends nayn ; kayn aygenschaft kan man von 
in nicht irfam.« *^*) Ein Agent schrieb im Oktober nach 
Frankfurt in Geheimschrift, und gleichsam als berichte er von 
Universitätssachen: ihr Freund (Sigismund) sei wohlauf, alle 
gelehrten Leute seien ihm hold und es zögen jetzt viele Stu- 
denten zu ihm: er werde nicht hinaus (nach Deutschland) 
kommen, sondern bald ein Vordermann (böhmischer König) 



(211) Janssen 588—640 no. 926—928. 

(212) Das. 67 no. 200. 68 no. 204. 

(213) Das. 73 no. 211. 

(214) Das. 76 no. 214. 73—76 no. 211—215. 79 no. 219. 



Loher: Das Rechtaverfdhren bei König Wenzels Absetzung, 129 

werden. »Aber der Knabe (Wenzel) der da behemisch sol 
lernen, daz tut nynuner gut. Er wil nicht lernen; so wil 
er auch keinen seinen schulern (Käthen) folgen, und sie sehen 
gern allesampt, daz er widder drawssen were. Er wil y nicht 
hinawss, . . . und ist iczunt dahayme , und in kan nymant us 
dem huse bringen, und macht grubelin umb sich, als die 
Kinder an der sonnen.« *'*) Es war zu natürlich, dass einen 
solchen »Knaben« auch seine letzten Anhänger in Deutsch- 
land aufgeben mussten. 

XIV. Erwähnung verdient noch, wie die italienischen 
Beichsvikare sich verhielten. Gonzaga in Mantua erklärte 
sich für Wenzel; Este in Modena, Carrara in Padua, die 
GasaU in Cortona, die Grafen von Monte Dalio, der Herr von 
Lucca, die Städte Florenz Lucca Verona traten Ruprecht 
bei.***) Wie es scheint, machte selbst Graleazzo einen Ver- 
such, ob er sich nicht zu dem neuen Könige freundlich stellen 
könne. «17) 



(215) Janssen 76 no. 215. 

(216) Das. 541 no. 930. 931. 935. 542 no. 934. 545 no. 940. 941. 
548 no. 944. 559 no. 959. 

(217) Das. 548 no. 945. 



Eapitelverzeichniss. 

1. Das Verfahren bei Königsabsetzungen. 

I. Fragen des Rechts und der Geschichte Seite 3 

II. Fürstengericht über den König „ 7 

III. Stellung des Rheinpfalzgrafen „ 12 

lY. Gründe fär Absetzung eines Könige „ 18 

2. Die Geschichte König Wenzels. 

V. Fürsten- und Städtekrieg „ 27 

VI. Wachsende Erbitterung gegen Wenzel „ 86 

yn. Wenzels Aussöhnung mit den Fürsten ..... ,, 42 

Ylll. Wenzels Absetzung ,, 51 

3. Das Bechtsverfahren gegen Wenzel. 

IX. Das Urteil „ 61 

X. Formeller Gang des Verfahrens „ 77 

4. Die Urteile der Zeitgenossen. 

XI. Wenzel und die Fürsten „ 90 

Xn. PoUtik der Städte „100 

5. Die geschichtlichen Folgen. 

XIII. Wenzel und Ruprecht „ 109 

Nachträge „ 113 



n. 
Zur Gteschichte 

der 



Gründung der deutschen Liga 



von 



C. Ä. Cornelius. 



9* 



II. 

I 

Zur Geschichte der Oründung der deutschen 

Liga. 



Ueber die Gründung der deutschen Liga hat zum ersten 
Mal Wolf in seiner »Geschichte Maximilians I. und seiner Zeit,€ 
im zweiten Band, Mönchen 1807, authentische und ausführ- 
liche Kunde gegeben. Stumpf in der »diplomatischen Geschichte 
der teutschen Liga,« Erfurt 1800, um von andern Vorgängern 
Wolfs zu schweigen, musste sich darauf beschränken, den In- 
halt der Urkunde des Münchner Vertrags von 1609 Jul. 10 
und die Notiz mitzutheilen, dass zu Mainz 1609 Aug. und 
zu Würzburg 1610 Febr. zu demselben Zweck wie vorher zu 
München Versammlungen stattgefunden haben. Wolf dagegen 
durfte die Acten des Bundes der katholischen Beichsstände 
benutzen, welche das fieichsarchiv zu München in einer langen 
Beihe von Bänden bewahrt, und aus diesen ist nicht nur seine 
ausführliche Darstellung der Gründung der Liga geschöpft, 
sondern es stammt aus derselben Quelle auch der grösste Theil 
der übrigen so reichhaltigen Mittheilungen, die er und sein 
Fortsetzer Breyer für die Geschichte der Jahre 1608*— 1620 
gegeben haben. 

Leider fand Wolf die genaimte Sanmilung nicht voll- 
ständig vor. Grade in Betreff der Gründung der Liga ergaben 
sich zwei bedeutende Lücken. Er selbst klagt, ^) dass die 

(1) Wolf II 513. 



134 Jahrb. der histor. Gasse der k. Akad. der Wissenschaften, 

Verhandlungen der drei ersten Monate des Jahrs 1610 fehlen, 
-weshalb er nicht angeben könne, was auf dem Tag zu Würz- 
l)urg beschlossen worden sei. Die andere Lücke hat er nicht 
«rwähnt, wahrscheinlich weil er sie weniger schmerzlich em- 
pfand. Es fehlen nämlich auch die Verhandlungen aus der 
ersten Hälfte des Jahrs 1609 bis zu dem berühmten Münchener 
Tag vom Juli jenes Jahrs, diesen mit eingeschlossen. Beide 
Lücken giengen demzufolge auch in die geschichtliche Darstel- 
lung über, nicht bloss bei Wolf, sondern auch bei allen Nach- 
folgern, welche sänuntlich auf die Benutzung der Wolfschen 
Actenauszüge sich beschränkten. Nur Aretin macht eine Aus- 
nahme, wie überhaupt, so auch für unsem besondem Gegen- 
stand: ihm verdanken wir eine werthvoUe Erweiterung de& 
urkundlichen Materials durch den Abdruck des von ihm auf- 
gefundenen Abschieds des Würzburger Tages. *) Im übrigen 
blieb die Sache bis heute auf dem Standpunkt stehen, auf den 
Wolf sie gebracht hatte. 

Erst das Jahr 1862 hat diesem Uebelstand abgeholfen. 
Zuerst dadurch, dass der Vorstand des k. Archivs zu Würz- 
burg, mein College Herr Professor Contzen, als ich im Auf- 
trag der historischen Commission Würzburg im Sommer be- 
suchte, mir unter andern einen Band mit bairischen Gorrespon- 
denzen des Jahrs 1609 vorlegte, der sich als ursprünglich in 
die Reihe jener Bundesacten des Reichsarchivs gehörig erwies. 
Derselbe war in den dreissiger Jahren von dem Vorgänger 
Contzens aus Privatbesitz für das Würzburger Archiv erworben 
worden, ist also wahrscheinlich vor Wolfs Zeit, mithin vor 
länger als sechzig Jahren, dem Reichsarchiv entfremdet worden. 
Dann, im vorigen Spätherbst, überraschte der Secretär des 
Reichsarchivs, Herr Dr. Häutle, dessen Gefälligkeit und Amts- 
eifer alle Besucher des Reichsarchivs zum höchsten Dank ver- 



(2) V. Aretin, Chronologisches Verzeichniss der bayrischen Staats- 
verträge p. 134. 



Cornelius: Zur Geschichte der Gründung der deutschen Liga. 135 

pflichten, mich mit der Nachricht, dass er einen Band Liga^ 
acten zwischen Papieren des Ansbacher Kirchenraths versteckt 
gefunden habe. Diese beiden Bände füllen die bezeichneten 
Lücken vollständig aus. 

Die Sache liegt denmach so. Von den vier ersten Bänden 
der Acten des katholischen Bundes, welche die Zeit vom An- 
fang 1608 bis* in den Sonuner 1610 umfassen, hat Wolf den 
ersten und dritten benutzt, von welchen der eine das Jahr 

1608, der andre die zweite Hälfte des Jahrs 1609 enthält. 
Dagegen sind der zweite Band, der die erste Hälfte des Jahrs 

1609, und der vierte, der die ersten Monate des Jahrs 1610 
umfasst, weder von Wolf noch von irgend jemand anders bis- 
her zu literarischen Zwecken gebraucht worden. Um den 
Werth des Fundes vorläufig äusserlich zu bezeichnen, erwähne 
ich, dass von den ungefähr 1 700 Blättern der vier Bände über 
1100 auf die beiden neuen Bände fällen, und dass dieselben 
unter andern die Protokolle der grundlegenden Versammlungen 
zu München und Würzburg enthalten. Mit Ausnahme einiger 
im vierten Band fehlenden Blätter besitzen wir nun die Liga- 
acten für die Zeit der Gründung des Bundes vollständig. 

Wenn ich nun die Besultate mittheile, welche aus der 
Durchforschung dieser vier Bände sich ergeben haben, ') ge- 
schieht es mit dem Vorbehalt, dass man mir nicht die Mei- 
nung unterstelle, im Folgenden, eine Geschichte der Gründung 
der Liga zu geben. Meine Absicht geht lediglich dahin, einen 
Actenauszug gleich dem Wolfschen, nur kürzer und vollstän- 
diger als dieser, zu liefern. Allerdings habe ich ausser den 
Bundesacten andere gleichzeitige bairische Papiere, so weit sie 
mir bis jetzt erreichbar waren, zu Bathe gezogen: aber eine 
Erkenutmss des Gegenstands, wie der Versuch historischer 



(3) Mit AoMchloss deijenigen Acten, namentlich des vierten 
Bands, deren Inhalt über mein Thema hinaosgreifb. 



136 Jahrb. der histor. Claase der k. Äkad. der Wissenschaften. 

Darstellung sie fordern würde, müsste sich auf Forschungen 
von viel weiterer Ausdehnung gründen. 



1. 

Die Bundesacten beginnen mit einem Schreiben des Her- 
zogs Maximilian von Baiern vom 9. Januar 1608 an seine 
Gesandten zum Reichstag in Regensburg, in welchem er ihnen 
Weisung ertheilt, wie sie eine zu erwartende Anfrage der Ge- 
sandten der drei geistlichen Churfärsten wegen Errichtung einer 
Union der katholischen Reichsstände zu beantworten haben. 
Der Herzog erklärt sich geneigt zur Theilnahme, doch mit 
einiger Zurückhaltung: es sei besser, sollen die Abgeordneten 
sagen, die Sache bis nach dem Reichstag zu verschieben. 

Bald darauf aber ist er es, welcher die Anregung gibt. 
Febr. 28. fordert Max Bericht, und die Gesandten antworten 
März 7.: man habe ihnen vertraulich geäussert, es sei Behut- 
samkeit nothwendig, darum besser bis nach dem Reichstag zu 
warten. Also die Antwort, welche ursprünglich Max hatte 
geben wollen. Die bairischen Abgeordneten haben hierauf des 
Herzogs Gedanken den Chur-Cölnischen und Würzburgischen 
oflFenbart, später mit den Salzburgischen darüber gesprochen. 

Man muss also vor dem 28. Februar einen etwas ver- 
änderten Befehl des Herzogs ergänzen. 

Nachdem sich Max nun mit dem Churfursten von Cöln 
und dem Bischof von Würzburg brieflich in Verbindung ge- 
setzt, *) folgt ein neuer Anstoss. Einer der bairischen Reichs- 
tagsgesandten, Dr. GailMrcher, ist bei dem Herzog gewesen 
und wird mit einer Instruction vom 28. April von Dachau nach 
Regensburg zurückgeschickt. Die bairischen Gesandten sollen 



(4) Vgl. Bischof von Würeburg an H. Max 1608 Jul. 12. I 77. 
Max hat an Würzburg geschrieben Apr. 1., die Antwort ist vom 25. Apr. 



Cornelius: Zur Geschichte der Gründung der deutschen Liga. 137 

sich an die Chur-Cölnischen wenden und sie daran erinnern, 
was sie in ihrer Instruction haben und was sie dem Herzog 
gesagt haben: nämlich dass die drei geistlichen Churfürsten 
entschlossen seien, einen Bund unter den Katholischen ins 
Werk zurichten, »und was sich Chur-Mainz deshalb anerpoten.« 

Diess mit dem Brief des Herzogs vom 9. Januar zusam- 
mengenommen ergibt: dass vor dem Beichstag, also etwa 
gegen Ende 1607, Verabredung von den geistlichen Churfürsten 
getroffen worden, auf dem Beichstag die Errichtung einer 
katholischen Union anzustreben, dass Chur-Mainz die Initiative 
zu übernehmen versprochen, und dass der Herzog durch Chur- 
Cöln Mittheilung über das Vorhaben erhalten hat. Als dann 
Chur-Mainz seiner Zusage entgegen in Unthätigkeit verharrt, 
so tritt Max hervor, zuerst im Februar, dann entschieden und 
kräftig in der genannten Instruktion vom 28. April. Denn 
jetzt ist das Lager der Gegner in voller Bewegung, der evan- 
gelische Bund so gut wie fertig, der Beichstag in offner 
Spaltung begriffen und dicht vor seiner Zertrennung. 

Der Herzog verlangt in jener Instruktion, dass die Chur- 
Cölnischen und Chur- Mainzischen die andern katholischen Ab- 
geordneten bearbeiten, so dass dieselben von ihren Herrschaf- 
ten jetzt gleich Instruktion einholen und noch während des 
Beichstags in Gesammtberathung treten und die Sache wenig- 
stens soweit i&rdem, dass man eine Zusammenkunft mit VoU- 
machten zum Zweck der Errichtung eines Bundes verabrede. 
Er erwartet den Einwurf, wie es scheint von Chur-Mainz, dass 
man vorher die Genehmigung des Kaisers einholen müsse, und 
lehnt denselben mit Hinweisung auf die bedrängte Lage des 
Kaisers ab. Auch jetzt noch wünscht er den Schein zu ver- 
meiden, als ob Baiern vorzüglich die Sache betreibe; doch 
soll Gailkircher auf Begehren der Cölnischen und Mainzischen 
neben ihnen mit den andern katholischen Ständen verhandeln, 
und die Unlustigen mit der Drohung schrecken, dass Baiern 
später die Hand von ihnen abziehen werde. 



138 Jdhrb, der histar. Classe der k, Akcid. der Wissenschaften, 

Dieser Schritt des Herzogs hat zur Folge, dass 1608 am 
5. Mai zu Eegensburg in der Wohnung der Mainzischen Ge- 
sandten und auf deren formale Veranlassung, *) die erste Be- 
rathung einer grössern Anzahl katholischer Seichsstände über 
Errichtung eines Bundes stattfindet. ^) Zugegen sind die 
Käthe der drei Churfürsten, Oestreichs Baiems Salzburgs Würz- 
burgs. ^) Das Besultat ist, aus den folgenden Actenstücken 
zu schliessen, kein anderes gewesen, als Austausch der Mei- 
nungen und der Entschluss der Abgeordneten, an ihre ver- 
schiedenen Herrschaften darüber zu berichten. 

Betrachtet man die erwähnten Schritte des Herzogs im 
Zusammenhang, so kann man daran nicht wohl zweifeln, dass 
am wenigsten er einer fremden Anregung bedurfte, um den 
Gedanken eines katholischen Bundes zu fassen und an seiner 
Ausführung zu arbeiten. Aber er hält es, entweder für die 
gemeine Sache oder für seine eigne Stellung oder für beide, 
för angemessener und zuträglicher, wenn statt seiner die Chur- 
fürsten in der Ausfahrung sich voranstellen. Darum, als er 
erßlhrt, was die Churfürsten beschlossen, und dass Chur-Mainz 
sich erboten hat zu thun, was seiner amtlichen Stellung im 
Beich zukommt, nämlich den andern Ständen gegenüber auf 
dem Beichstag die Initiative zu ergreifen, so wartet er ab, 
dass seinen Gesandten der Antrag gestellt werde, und die Ant- 
wort, zu der sie für diesen Fall angewiesen sind, ist berechnet 
den Schein zu behaupten, dass Baiem nicht anregt und treibt^ 
sondern eher hemmt und sich treiben lässt. Dann erst, als 
Mainz der Erwartung nicht entspricht, lässt Max den Schleier 
fallen und gibt seinen Abgeordneten Auftrag zu selbständiger 
Anregung. Aber auch jetzt behält er als nächstes Ziel im 



(5) Erzb. Salzburg an H. Max. 1608 Sept. 17. I 93. 

(6) Gailkircher an H. Max. 1608 Mai 11. I 16. 

(7) H. Max Instruction für Wensin an Chur-Mainz. 1608 Mai 24. 
T 00 



Camelitis: Zur Geschichte der Gründung der deutschen Liga. 139 

Auge, die Churförstliclien, namentlich Mainz, zu dem verspro- 
chenen Schritt anzutreiben: ist das geglückt, so sollen seine 
Baiem in die zweite Linie zurücktreten. 

Es liegt darnach die Vermuthung nahe, dass auch der 
ursprüngliche Beschluss der Churfürsten durch niemand anders 
als Maximilian selbst, dem sein Oheim Ernst von Cöln als 
Hebel diente, veranlasst worden sei. Einer meiner jungen 
Freunde, Herr Max Lossen, mit der Sammlung des Materials 
zu einer Geschichte der Donauwörther Irrung und Execution 
beschäftigt, hat mir ein Actenstück mitgetheilt, welches eine 
ausdrückliche Bestätigung dieser Vermuthung zu bieten scheint. 
Es ist ein Briefconcept vom 3. Juli 1607, *) für den Churfür- 
sten von Cöln und für den Coadjutor von Cöln, Maximilians 
Bruder, bestimmt, in welchem der Herzog den bisherigen Ver- 
lauf des Donauwörther Ereignisses berichtet, und unter Hin- 
weisung auf den Beistand, der dem Ungehorsam der Stadt 
von Seiten der protestantischen Nachbarn in Aussicht steht, 
und auf die Gefahr, dass andere Beichsstädte mit gemischter 
Bevölkerung, durch diess Beispiel ermuthigt, sich ähnliches 
gegen ihre katholischen Einwohner erlauben möchten, dieNoth- 
wendigkeit hervorhebt, »das unter den Katholischen ainest ain 
solcher verstaut gemacht werde, damit ain jeder wisse, was 
er sich auf den andern zu verlassen; dan ausser dessen bei 
so beschafnen dingen nit wol und fueglich der Sachen änderst 
zu helflfen.« Aber, während allerdings durch diesen Brief be- 
stätigt wird, dass Maximilian unabhängig von den Churfürsten 
den Plan der Liga aufgefasst hat und seinerseits die Churfür- 
sten für seinen Gedanken zu gewinnen trachtet, so weist wie- 
derum die Antwort des Coadjutors auf einen, wie es scheint, 
vorhergehenden und also möglicher Weise von Maximilians 
Einwirken unabhängigen Schritt der Churfärsten in derselben 
Angelegenheit hin. Weil an dem Donauwörthischen Handel, 



(8) RA. Donauwörther Executionsacten I 145. 



140 Jahrh, der histor, Claase der k, Äkad, der Wisaenschaften, 

schreibt der Coadjutor Ferdinand, ^) das Wohl der katholi- 
schen Eeligion im ganzen Keich hängt und alle Katholischen 
dadurch in die grösste Gefahr gesetzt werden, indem die Pro- 
testanten sich ungescheut zusanunenthun, Conventikel und 
andere verbotene Conspirationen unter sich anstiften und den 
Donauwörthern in ihrer Verwegenheit offen beistehen, »so acht 
ich meinem darvorhalten nach hoche notturft sein, das alle 
Katholische diser sachen wol warzunemen hetten und nicht 
aus henden zu lassen, was hiebevom die drei geistlichen chur- 
fürsten wolmainent bedacht und der Eo. kai. Mt. zugeschrieben 
haben, das alle katholische stende vor dem anstehenden reichstag 
diser der Protestirenden anstellungen erinnert und ein jedweder 
dahin disponirt werden solle, seine gesanten mit notturftiger 
Instruction zu versorgen, das man sich bei der vorstehenden 
reichsversamlung einer gewissen Verfassung vergleichen möchte, 
wie die Katholischen mit gesambtem zuthun solchem und der- 
gleichen der Protestirenden eintringen, und da einer oder der 
ander mit gewalt überfallen werden sol, zu begegnen, einzig 
und allein dahin gemeint, wie man bei dem hochverpönten 
religions und prophanfriden rüebig verbleiben und dagegen nit 
möchte beschweret werden.« 

So weicht der ITrsprung des Gedankens der Liga vor dem 
Forscher Schritt für Schritt in die Vergangenheit zurück, und 
da die ganze Lage des Beichs seit Jahren auf die Nothwen- 
digkeit einer engeren Vereinigung der katholischen Stände wies, 
so sollte es mich nicht Wunder nehmen, wenn es sich ßlnde, 
dass schon vor 1607 derselbe Gedanke und zwar öfter und 
nicht bloss von einem einzigen der Betheiligten ausgesprochen 
worden. Doch wird uns das nicht hindern körinen, den Herzog 
von Baiern, wie er immer die Seele des Unternehmens war, 
auch als den eigentlichen Urheber desselben anzusehen. Was 



(9) Poppeisdorf 1607 Aug. 5. RA. Donauwörther Executionsacten 
I 259. 



Comdius: Zur Gesduchte der Gründtmg der deutschen Liga, 141 

er im Anfang vor den Augen der Welt zu verhüllen bestrebt 
war, hat er ein Jahr später offen ausgesprochen in einem Brief 
an den Papst, ^^) wo er sich allein und niemand anders neben 
sich als den Stifter des Bundes bezeichnet. 



An den ersten schwachen Erfolg auf dem Reichstag knüpfte 
Max unverweilt weitere Schritte nach verschiedenen Seiten hin. 
Als das wichtigste fär seinen Zweck erschien ihm fortwährend, 
den Churfürsten von Mainz vorwärts zu bringen und in die 
ihm zugedachte Rolle zu schieben. Die Haltung desselben, 
zögernd und matt, flösste ihm wenig Vertrauen ein. Noch 
im Mai 1608 wechselten Chur-Cöln und der Herzog Klagen, ^^) 
»dass Mainz desfals etlicher massenkül und villeicht aus aller- 
hand geschöpftem nachdenken und tragender beisorg nicht so 
gar willig und gern an diess werck kommen oder doch dasselbe 
mit keinem solchen eifer und nachdruck möge promovieren 
wollen, wie es die hohe notturft erfordert.« Aber die Theil- 
nahme des Erzkanzlers, an sich von Gewicht, war nicht bloss 
unumgänglich, wenn man einen umfassenden Bund der katho- 
lischen Reichsstände anstrebte, sondern, wie sich aus späteren 
Aeusserungen des Herzogs ergibt, ohne sie war nicht einmal 
auf den Beitritt der bedeutendsten oberländischen Fürsten, unter 
andern des Bischofs von Würzburg, zu rechnen. 

Ende Mai schickt Max seinen Rath und Jägermeister 
Lorenz Wensin, einen Mann, der das besondere Vertrauen 
seines Oheims besass, an den Rhein, um ausser andern Ge- 
schäften die Verständigung mit Mainz in Sachen des Bundes 
zu betreiben. ^^) Chur-Cöln wird zur hülfreichen Einwirkung 



(10) Vgl. unten §. 7. 

(11) H. Max Instruction für Wensin an Chur-Cöln 1608 Mai 25. 
I 26. 

(12) H. Max Instruction für W^ensin an Chur-Mainz 1608 Mai 24. 
Desgl. an Chur-Cöln Mai 25. 



142 Jahrb, der histor, Classe der k, Akad. der Wissenschaften. 

aufgefordert. Auf Veranlassung des Churlursten von Mainz, 
mit dem er am 11. und 12. Juni verhandelt, dehnt Wensin 
seine Eeise auch auf den Trierschen Hof zu Wittlich aus, und 
findet hier wie zu Mainz und Bonn die Herrschaften willig. 
Chur- Mainz äussert, am besten mache der Herzog mit den 
oberen Ständen, die der Gefahr minder ausgesetzt seien als die 
Bheinischen, einen Anfang zu Errichtung des Bundes; aber 
er selbst wolle schon jetzt mitwirken, und habe sogar bereits 
eine Zusammenkunft der drei Churfürsten, zum Theil um der 
Bundessache willen, angestrebt; bisher durch Chur-Cölns Lütti- 
cher Geschäfte verhindert, solle sie demnächst stattfinden. ^') 
Wirklich treffen am 5. Juli die drei geistlichen Chur- 
fürsten und der Coadjutor von Cöln zu Andernach zusammen, 
vornehmlich allerdings wegen der viel verhandelten Frage der 
Succession im Beich, aber daneben auch in Sachen des Bunds. 
Der Coadjutor schreibt noch am 7. Juli an seinen Bruder: 
»Moguntinus est timidus, wil der katzen die schellen nicht 
anhangen«. Aber wider sein Erwarten^*) »hat Mainz sich 
so eürig und so erzeigt, das er für diess mal nicht mer hat 
thuR können«. Es erfolgte zu Andernach von Seiten der 
Chmiürsten eine Eröf&iung an den anwesenden Wensin: »sie 
seien entschlossen zum Bund; das Ziel müsse sein, einen 
Geldvorrath zu bilden zum Unterhalt eines Heeres von 15000 
zu Fuss und 5000 Pferden auf Jahr und Tag; der Herzog 
möge mit den oberländischen Ständen die Sache berathenund 
begutachten, worauf sich die Churfürsten weiter erklären wür- 
den«. ^*) 

3. 

Schon bevor diese Verhandlungen am Bhein im Gang 
waren, hatte Max auch in seiner Nähe, im Oberland, An- 

(13) Wensin an H. Max. Bonn 1608 Juni 21. I 40. 

(14) Ferdinand Coadj. v. Cöln an H. Max. Brül 1608 Juli 13. I 61. 

(15) Wensin an H. Max Bonn 1608 JuU 13. I 72. 



CJomelius: Zur Geschichte der Gründung der deutsciien Liga, 143 

knüpfungen versucht; zuerst bei dem Erzbischof von Salz- 
burg, ^^) dann bei Stadt Augsburg durch eine Sendung Gail- 
Wrchers an den Stadtpfleger Marx Welser; *') er meinte sogar 
im Juni schon eine Zusammenkunft zu Eichstett zu veran- 
stalten. ^®) Aber diese Bestrebungen waren erfolglos geblieben. 
Salzburg hatte ausweichend sich Unterhandlung mit Mainz 
vorbehalten, von welchem die erste Anregung in der Sache 
ihm zugekommen sei. Welser eröffnete Aussichten und machte 
Vorschläge, aber nach Eichstett einen Abgeordneten der Stadt 
zu schicken, sei schon wegen der Kürze der Zeit unmöglich; 
besser, der Herzog theile die dort gefassten Beschlüsse mit. 
Von der Zusammenkunft ist keine Kode weiter. 

Im Hinblick auf die folgenden Thatsachen dürfen wir 
annehmen, dass es jeder Zeit in Maximilians Macht stand, 
seine kleinen geistlichen Nachbarfürsten zum Bunde mit sich 
zu vereinigen, und dass er diesen Schritt also freiwillig und 
absichtlich verschob. Die rheinischen Erfolge aber benutzte 
er jetzt zunächst, um auf Würzburg zu wirken. Schon die 
erste Mittheilung Wensins von den günstigen Aeusserungen 
des Churfürsten von Mainz berichtete er sofort an den Bischof, ^^) 
namentlich, dass der Churfürst wünsche, die oberen Stände 
möchten den Anfang machen. Als der Bischof zwar freund- 
lich dankte, *®) aber naob den Aeusserungen der andern in 
Kegensburg versammelt gewesenen Stände, also der geistlichen 
Churfürsten und Oestreichs und Salzburgs sich erkundigte, wartete 
Max, bis sein Gesandter Wensin, der vom Khein aus zu dem 
auf Ende Juli anberaimiten Churiurstentag zu Fulda wegen 
eines andern Geschäfts zu gehen Befehl hatte, zurückgekommen 
imd mündliche Kelation über seine Verhandlungen mit Mainz 



(16) H. Max an Erzb. Salzburg. 1608 Mai 21. I 18. 

(17) Gailkircher an H. Max. Augsburg 1608 Juni 6. I 30. 

(18) ibid. 

(19) H. Max an B. Würzburg. 1608 Juli 2. I 53. 

(20) B. Würzburg an H. Max. 1608 JuH 12. I 77. 



144 Jahrb. der histor. Glosse der k, AJcad. der Wissenschaften. 

und den andern zu Andernach abgestattet hatte. Dann schickte 
er den Probst von Landshut, Dr. Balthasar König, nach 
Würzburg, *^) um ausführliche Mittheilung zu machen: der 
Hauptpunkt war, dass die Churfürsten Baiem aufgefordert^ 
zunächst die oberländischen Stände um sich zu versanMneln. 
Die Antwort, welche er jetzt erhielt, dünkte ihm willfahrig 
genug zu sein, um ihr weitere Folge zu geben. Anfang Sep- 
tember richtete er an die benachbarten Bischöfe des bairischen 
Kreises, an Salzburg Begensburg Passau, und an den Bischof 
von Augsburg, unter Erzählung des bisher in der Sache Vor- 
gefallenen, die Einladung zur Theilnahme an der Errichtung 
des Bundes; indem er dem Bischof von Würzburg anheim- 
stellte, das gleiche seinen fränkischen Kreisverwandten gegen- 
über zu thun. **) Mit Ausnahme des Erzbischofs von Salz- 
burg, der sich wieder hinter die nicht zu verletzende churfürst- 
lich Mainzische Präeminenz versteckte, erfolgten von allen 
Seiten freudige Zusagen, in den wärmsten Ausdrücken von 
dem ßegensburger Bischof. ^*) Der von Augsburg übernahm 
es ausserdem, die übrigen geistlichen Fürsten des schwäbischen 
Kreises zu bearbeiten, und konnte am 14. November seinen 
Bath Dr. Johann Leonhard Bot nach München schicken, um 
über den glücklichen Erfolg der durch ihn so wie durch den 
Bischof persönlich geführten Unterhandlungen zu berichten. **) 
Unerspriesslich dagegen blieb auch jetzt noch das Verhältniss 



(21) H. Max an B. Würzburg. 1608 Sept. 1. 1 85. 

(22) H. Max an B. Passau, B. Eegensburg, B. Augsburg. 1608 
Sept. 1. I 83 — H. Max an B. Würzburg. 1608 Sept. 1. I 85. -— 
H. Max an Erzb. Salzburg. 1608 Sept. 2. I 87. 

(23) B. Regensburg an H. Max 1608 Sept. 6. I 90. — Erzb. 
Salzburg an H. Max. 1608 Sept. 17. I 93. — Erzh. Leopold an H. 
Max. Wien 1608 Sept. 20. I 95. — B. Augsburg an H. Max. 1608 
Sept. 25. I 108. 

(24) B. Augsburg an H. Max. Dillingen 1608 Nov. 14. I 144. 



Chrnelius: Zur Geschichte der Gründung der deutschen Liga. 145 

ZU dem Würaburger Bischof, **) der nicht allein sich darauf 
beschränkte, unter den kreisverwandten Ständen nur mit dem 
Bischof von Eichstett eine, wie sich bald zeigte, erfolglose 
Anknüpfung zu versuchen, sondern auch für sich selbst immer 
wieder die Frage nach dem Zutritt der drei Churfürsten und 
Oestreichs und Salzburgs aufwarf und den eignen Zutritt von 
der Antwort abhängig zu machen schien. Auch eine Sendung 
Balthasar Königs im November scheint den Bischof nicht 
eifriger gestimmt zu haben. Hierin wird wohl der Grund 
oder doch einer der Gründe dafür zu suchen sein, dass Her- 
zog Max nun zwei Monate die Sache ganz ruhen liess und 
erst Ende Januar 1609 seine Bemühungen wieder au&ahm. 
Diessmal griff er die Angelegenheit von einer andern Seite 
an. Er legte den Gedanken zu Grund, welchen Leonhard 
Bot bei seiner Anwesenheit zu München im November ge^ 
äussert hatte;**) nämlich zuerst zwischen Baiem und den 
schwäbischen geistlichen Fürsten, den Bischöfen vonAugsburg' 
und Constanz, dem Abt von Kempten und dem Propst von 
MwMigen, die Sache ins reine zu bringen, in der Hoffnung, 
später Würzburg und andere leichter und rascher zur Nach- 
folge bewegen zu können. Und durch Eots Bemühungen und 
des Bischofs von Augsburg gutwilligen Eifer kam es dahin, 
dass am 19. März Dr. Kot und Dr. Götz von Augsburg nach 
München reisten, um im Namen der vier schwäbischen Für- 
sten die gewünschte Vereinbarung zu schliessen. *') Nachdei][i 



(25) H. Max an B. Würzburg. 1608 Sept. 14. I. 97. — B. Wntz- 
bürg an H. Max. Sept. 9. I 98. — H. Max an B. Würzburg. Sep- 
tember 21. I 100. — B. Würzburg an H. Max. Oct. 1. I 117. — 
H. Max an B. Würzburg. Oct. 9. I 119. — B. Würzburg an H. Max. 
Oct. 30. I 136. — H. Max Instruction für Dr. König an B. Würz- 
burg. Nov. 8. I 129. — Desgl. Nebenmemorial. Nov. 19. I 133. 

(26) Bot an Donrsperg. Augsburg 1609 Febr. 7. 11 '6. 

(27) Kot an Donrsperg. Augsb. 1609 Febr. 1. II 4. — DesgL 
Febr. 7. II 6. — H. Max an B. Augsburg. München 1609 Febr. ^ 

10 



146 Jahrb. der histor. Clasae der k, Akad. der Wissenschaften. 

in dieser Zusammenkunft die nothwendigsten Punkte, unter 
Vorbehalt der Batification der schwäbischen Füi-sten, festge- 
stellt worden, wandte sich der Herzog wieder an Würzburg 
und schickte ihm die Vereinigungsnotel zur Einsicht und Be- 
gutachtung. *®) Auch jetzt hatte er die alten Bedenken des 
Bischofs zu bekämpfen, der nicht gern ohne Oestreich und 
vor dem Beitritt der Churfürsten die Hand zum Bunde bieten 
wollte. *^) Die Bücksicht auf Oestreich machte zuletzt sogar 
die schwäbischen Fürsten noch einmal unschlüssig. ^®) Der 
Herzog Hess nicht nach. Seine Gründe wurden von dem 
Eindruck unterstützt, den die neuerdings gegen die Bis- 
thümer Speier und Worms geübten Gewaltthätigkeiten der 
Chur- Pfalz auf alle geistlichen Fürsten machten. Doch war 
er noch mit Würzburg nicht völlig im reinen, als er die 
Zusammenkunft der oberländischen Stände, die er schon An- 
fang Oktober in nahe Aussicht genommen hatte, im Juni 
endlich ausschrieb. Am 15. Juni ergingen die Einladungen, 
und am 5. Juli erschienen die Gesandten im Namen der 
geistlichen Fürsten von Würzburg Augsburg Passau Eegens- 

n 8. — B. Au^burg an H. Max. Dillingen 1609 Febr. 28 H. 10. 
--Desgl. März 19. II 32.— H.Max an B. Augsburg. März 23. 1134. 

— Rot an Donrsperg. 11 41 (ist April gezeichnet, scheint aber in 
d^i Januar zu gehören). 

(28) H. Max an B. Würzburg. München 1609 April 10. II 35. 

(29) B. Würzburg an H. Max. Schloss Frauenberg 1609 April 24. 
Ö 37. — H. Max an B. Würzburg. 1609 Mai 4. II 39. — B. Würz- 
burg an H. Max. Frauenberg Mai 14. II 89. — H. Max an B. Würz- 
burg. Mai 27. n 91. — B. Würzburg an H. Max. Juni 11. II 134. 

— Desgl. Juni 27. II 170. 

(30) H. Max an Rot. München 1609 Mai 2. II 43. — Rot an 
H. Max. Augsburg Mai 17. II 48. — H. Max an Rot. Juni 3. II 50. 

— Donrsperg an H. Max. München Mai 22. II 55. — B. Augsburg 
an H. Max. Dillingen Juni 8. II. 93. ' — H. Max an B. Constanz. 
Juni 3. n 107. — B. Constanz an H. Max. Mersburg Juni 13. II 110. 

— H. Max an Erzh. Leopold. Juni 16. II 138. — £rzh. Leopold 
Ä5 H. Max. Prag Juni 22. H 164. 



Cor»di%i8: Zur Geschichte der Gründung der deutschen Liga. 147 

bürg Constauz Kempten Elwangen zu München. Salzburg 
war nicht eingeladen; der Bischof von Eichstett,. an welchen 
der Herzog noch am 15. Juni seinen geheimen Bath GaU- 
kiicher schickte, hatte eine aufschiebende Antwort gegeben, ^^) 
und mit den schwäbischen Prälaten waren die Verhandlungen, 
obwohl Erfolg verheissend, noch nicht über den Anfang ge- 
diehen. '^) Die wichtigste Lücke aber bestand darin, dass 
unter den zusammentretenden geistlichen Ständen der vor- 
nehmste, der Bischof von Würzburg, seine Abgeordneten nicht 
zum Beschliessen , sondern nur zum Berathen und Berichten 
bevollmächtigt hatte. 

Am 10. Juli wurde der Vertrag von München vollendet, 
der den Grund zur Liga legte. 

4. 

Folgendes waren die wichtigsten Grundsätze, welche man 
zu München feststellte. ^^) 

Der Bund ist bestimmt zur Vertheidigung der katholischen 
Beligion und des Friedens im Beich. Gegen einander dürfen 
die Bundesgenossen nie zur Gewalt greifen; ihre Streitigkeiten 
werden entweder innerhalb des Bundes, sei es durch gütlichen 
Vergleich, sei es durch rechtlichen Austrag, geschlichtet, oder 
auf den ordentlichen Weg Bechtens gemäss den Beichsgesetzen 
gewiesen. Gegen aussen tritt der Bund in Thätigkeit, wenn 
«in Bundesstand mit Gewalt angegriffen oder ihm der Bechts- 
weg gesperrt wird. Der Bund hat in solchen Fällen erst die 



(31) H. Max Instruction für Gailkiroher an B. Eichstett. Mün- 
chen 1609 Juni 15. TL 114. — Gailkirchers Relation. Juni 24. 11.122. 

(32) Rot an H. Max. Augsburg 1609 Mai 17. U 48. 

(33) Das neben dem bekannten Vertrag diesem Paragraphen zu 
Grunde liegende Protokoll, im 2. Band der Bundesacten, ist leider 
sehr flüchtig abgefasst und dabei so ausserordentlich schlecht ge- 
schrieben, dass man hinterdrein eine Abschrift hat beilegen müssen, 
die mit Lücken besäet ist. 

10* 



148 Jahrb. der histor, Classe der k, Äkad, der Wissenschaften. 

Oüte ZU versuchen, indem er den Gegner ersucht abzustehen 
und ihm den Vergleich anbietet; wenn diess nichts fruchtet^ 
soll zu thätlicher Vertheidigung geschritten werden. Ist ein- 
mal die Bundeshülfe ins Leben getreten, so darf der bedrängte 
Bundesstand keinen Vertrag mit dem Frevler schliessen, als 
mit Genugthuung for die Bundesgenossen überhaupt. 

Die Verfassung betreffend kam man über folgende Punkte 
überein. An der Spitze steht der Bundesoberst, ein Amt, das 
dem Herzog von Baiern übertragen wurde. Neben ihm je 
ein Adjunct far jeden der drei oberländischen Kreise: man 
wählte die Bischöfe von Würzburg Augsburg Passau. . Der 
Bundesoberst vertritt den Bund und handelt in seinem Namen 
in äussern und innern Angelegenheiten, ist aber an den Kath 
der Adjuncten gebunden; im Krieg dagegen hat er volle und 
freie Gewalt, nur dass er von den Adjuncten Kriegsräthe an- 
nehmen muss, über deren Person er sich vorher mit ihnen 
verständigt hat. Von allgemeinen Bundesversammlungen wie 
von Adjunctenversammlungen ist die Eede, doch ohne irgend 
welche nähere Bestimmung, die eine ausgenonmaen, dass in 
beiderlei Versammlungen bei Stinmiengleichheit das Votum 
des Bundesobersten den Ausschlag gibt. Für die Bedürfnisse 
des Bundes wird eine gemeinsame Gasse aus Beiträgen der 
Mitglieder gebildet. 

Bei der Berathung wurde die Zeit des Bundes auf neun, 
nicht wie vorgeschlagen auf fünfzehn Jahre festgesetzt, aber 
innerhalb dieser Zeit die Verpflichtung auch auf die etwaigen 
Nachfolger ausgedehnt. Der Geldbeitrag sollte für jetzt in 
30 Monaten nach der Seichsmatrikel bestehen, einzuzahlen in 
zwei Terminen, auf Bartholomäi und Andrea. Hiermit wollte 
man jedoch über den Antrag nicht entscheiden, welcher von 
Würzburg gestellt wurde: dass nämlich, nach dem Beispiel 
des weiland Landsberger Bundes, eine bestimmte Summe be- 
zeichnet werden solle, deren Zahlung zu Führung einer Stimme 
im Bund berechtige, so dass den minder vermögenden Ständen 



Cornelius: Zur Geschichte der Ch'midung der deutschen Liga, 149 

freistehe, sich zu gemeinsamer Erlegung dieses Geldbetrags 
und in Folge dessen auch zur Führung einer einzigen Stinmue 
zu vereinigen. '*) Ausser diesem tief eingreifenden Vorschlag, 
bei welchem es sich offenbar weniger um die bekannte Man- 
gelhaftigkeit der ßeichsmatrikel als um den Machtanspruch 
der Mittelstaaten, wenn der Ausdruck erlaubt ist, handelte, 
konnte man auch andere wichtige Punkte nicht zur Erledigung 
bringen. Baiem forderte Festsetzung eines jährlichen Beitrags 
an Geld, Verpflichtung der einzelnen Stände zur Bereithaltung 
von Geschütz und Zubehör gemäss einer vorgelegten Liste, 
femer eine Entschädigung des Bundesobersten far den Fall 
seiner persönlichen Theilnahme an einem Feldzug, Geld für 
die Bestellung und den Unterhalt der vornehmsten Offiziere 
und Beamten des Bundesheeres. Alle diese Funkte wurden, 
künftiger Berathung vorbehalten. Sogar über die Legstatt der 
Bundesgelder, welche Baiem nach München forderte, die übri- 
gen lieber nach Augsburg liefern wollten, blieb einstweilen die 
Entscheidung ausgesetzt, und damit die wirkliche Einlieferung 
der Beiträge vorläufig ins ungewisse gestellt. 

Andre Punkte von nicht geringerer Wichtigkeit kamen 
gar nicht zur Sprache. So fehlte jede Bestimmung über die 
innere Ordnung der Bundesversammlung, so wie über ihr 
Becht gegenüber den ausgebliebenen Mitgliedern. Man hatte 
nicht gefragt, ob das künftige Bundesheer aus Gontingenten 
der Stände zusammen zu setzen oder allein durch Werbung 
des Bundesobersten aufzubringen sei; geschweige dass man an 
ein gemeinsames Vertheidigungssy stem , etwa mit Berücksich- 
tigung der vorhandenen festen Plätze, gedacht hätte. Es gab 
kein Mittel des Zwangs, keine Strafe für säumige Bundes- 



(34) Würzburg, welches noch auf dem Bundestag im Februar 1610 
diesen Antrag aufrechterhielt, wollte den Beitrag auf 20 — 25,000 fl. 
normiren, Regensburg und Passau einerseits, anderseits die vier 
flchwäbischen Fürsten zusammen legen. B. Würzburg Instruction 
für Joh. Servatius Yon Diemantstein an H. Max. 1609 Juli 24. III 51. 



150 Jahrb. der histor. Glosse der h Akad, der Wissenschaften. 

genoaseü. Ein weiterer Uebelstand war der Mangel an Schärfe 
in der Besrtinmiung des Eechts der Adjuncten und des Obersten. 
Dann hatten Artikel in die Vertragsurkunde Eingang gefunden, 
die den Bundesorganismus durchbrechen und lähmen mussten: 
der eine, welcher dem bedrängten Bundesstand die Selbsthülfe 
erlaubte und die Kosten derselben dem Bunde auferlegte; der 
andere, der jeden Stand ermächtigte, eigne Büstungen zu ver- 
anstalten und in Bechnung zu bringen, also von seinen Beiträgen 
zur Bundeskasse abzuziehen. Neben dem Widerstreben der 
Einzelherrlichkeit gegen die strenge Unterordnung, welches sich 
in diesen Punkten verräth, wirkte auch die Scheu vor Krieg 
und jeder ungewöhnlichen Anstrengung, aus welcher die oben 
angeführte Vorschrift hervorgieng, dass der wirklichen Ver- 
*theidigung in jedem Fall, also auch nach erfolgtem Einbruch 
des Gegners, der Versuch gütlichen Abkommens vorangehen 
sollte. Wenn man hinzu nimmt, dass vor und nach bis zum 
Ausbruch des Kriegs der Bundesoberst bei jedem Schritt mit 
den Adjuncten sich zu verständigen hatte, ohne dass von einer 
dauernden Vertretung derselben bei der Person des Vorstands 
irgendwo die Bede ist, so hatte man in der That wenig Grunde 
in der Stunde der Gefahr von den Einrichtungen dieses Bun- 
des das Heil zu erwarten. 

Herzog Max hat ohne Zweifel die Mangelhaftigheit des 
Vertrags sehr wohl erkannt, und grade deshalb wiederholt 
und nachdrücklich den Bundesgliedem die Geheimhaltung, 
nicht des Bundes, aber der Artikel desselben eingeschärft- 
Seine meisten Wünsche waren unbefriedigt geblieben. Bei 
den Acten befindet sich eine Denkschrift Viepecks, in welcher 
eine lange Keihe von Anträgen für die Münchner Versamm- 
lung aufgezeichnet ist, deren Annahme viele Lücken der Bun- 
desurkunde ausgefüllt und namentlich die Machtvollkommenheit 
des Bundesobersten in hohem Mass gestärkt haben würde. 
Aber sie ist nicht zur Berathung gekommen, schwerlich über- 
haupt vorgelegt worden. Was hatte Maximilian mit der 



I 

Corndius: Zur Geschichte der Gründung der deutschen Liga, 151 

Müh« von anderthalb Jahren erreicht, als die Abgeordneteii 
jetzt München verUessen? Einen Bund mit wenigen und ün- 
mächtigen Ständen — Würzburg hatte noch seinen Beitritt nidA 
endgültig erklärt — ; einen Bund, der jeden Augenblick den Ein- 
satz von Baiems Macht und Ansehen zum Schutz der Schwa* 
chen fordern konnte, während er Baiem iur jetzt und unmü^ 
telbar nicht einmal den verhältnissmässigen Vortheil sichertöi 
Dennoch giebt die Correspondenz des Herzogs nichts von 
Missmuth kund: die Gründung eines Bunds unter baierischer 
Leitung war an sich ein Erfolg und grade im gegenwärtigen 
Augenblick unentbehrlich. 

5. 

Ich vermuthe, dass Maximilian die Wirkung im Auge 
hatte, welche die Nachricht, erst von dem nahen Bevorstehen 
der Münchener Zusammenkunft, dann von dem glücklich er** 
folgten Abschluss des Bundes, so locker und schwach dieser 
anfangs inunerhin sein mochte, in der Feme sicher hervorbrin^ 
gen musste. Vornehmlich nach zwei Seiten hin. 

Schon gegen Ende Mai, zu der Zeit als der Herzog nahe 
daran war die Zusammenkunft der oberländischen Stände ins 
Werk zu setzen, hatte er Wensin zur Mittheilung des Gre- 
schehenen und einer erneuten Anregung der Sache bei den 
geistlichen Churfürsten angewiesen. ^^) Er zweifelte damals mebr 
als je an dem guten WiUen des Churfürsten von Mainz, der 
all den erzählten Bemühungen des Herzogs gegenüber fast 
seit Jahresfrist nichts als eine Besprechung der Churfürsten zu 
Coblenz ohne Besultat aufzuweisen hatte, und nicht einmal 
die von Max erbetene und ihm zugesagte Einwirkung auf 
Salzburg ausgeführt hatte. Aber er rechnete auf den Eindruck^ 
den die churpfälzischen Gewaltthaten auf die rheinischen kath^ 



(35) H. Max Instruction für Wensin an Chur-Cöln. Straubing 1609, 
Mai 24. II 58. 



152 Jahrb. der histor, Classe der k. Akad, der Wissenschaften, 

lischen Fürsten so gut wie auf die oberländischen gemacht 
haben würden, und trieb Ghur-Cöln an, mit diesem Mittel die 
Zögerungen seines CoUegen aus dem Feld zu schlagen. »Und 
ob uns gleichwol gnugsamb bewust, wie kül und schlecht des 
von Mainz 1. dise ding bishero in obacht genomen, nur immer- 
dar mit vergebentlichem vorwort von sich und zu langer haut 
geschoben, und niemals über öfteres von uns beschehenes erin- 
nern und ersuchen dises werk würklich angreifen wollen, so 
wollen wir doch darfür halten, i. 1. werden die in neuligkeit 
von der Chur-Pfalz wider den stift Speir im reich unerhörte 
verübte gewaltthätigkeit etlicher massen die äugen öfnen, und 
weil derselben etwan dergleichen bölder alsbald auch begegnen 
mechte, sich diser sachen mit mererm eifer untememen und 
einen entlichen schluss machen helfen. Dan einmal dise der 
Chur-Pfalz thathandlung genugsamb zu erkennen gibt, da man 
der Catholischen seits zu disen sachen nit änderst thut, die 
Protestierenden disem exempel nachfolgen und algemach ain 
catholischen stand nach dem andern angreifen werden, bis sie 
alles under sich gebracht.« 

Die Berechnung erwies sich über Erwarten richtig. Schon 
um den 26. Mai, zu einer Zeit, da der Befehl des Herzogs 
an Wensin noch unterwegs war, verhandelte der Chur-Main- 
zische Canzler mit dem Coadjutor von Cöln aufs eifrigste 
über eine Versammlung der Säthe aller geistlichen Churfursten 
zur Besprechung der Bundessache. ^^) Ueberallher kommen, 
meldete er, Zeitungen, dass die protestierenden Fürsten immer 
unruhiger werden und weitaussehende Händel anfangen; so 
habe Chur-Pfalz neulich verschiedene Gewaltthaten gegen Speier 
und Worms geübt; deshalb müsse man mit Ernst zur Sache 
thun, wenn man nicht fortwährend in Sorgen vor einem ur- 
plötzlichen Ueberfall stehen wolle. Sogleich machte der Coad- 
jutor seinem Oheim, dem Churfursten, Mittheilung nachArns- 



(36) Coadjutor von Cöln an H.Max. Bonn 1609 Mai 31. 11 312. 



Cornelius: Zur Geschichte der GriJmdung der deutscJien Liga. 153 

berg.^^) Diese Cölnischen Herren hatten noch einen weiteren 
Anlass zur Eile an der damals grade im Entstehen begriffenen 
Jülichschen Verwirrung. Und so traten zu der von Chur- 
Mainz vorgeschlagenen Zeit, auf Trinitatis 1609 Juni 14, die 
Gesandtfti der drei Churförsten zur Vorberathung über die von 
Chur-Mainz proponirten Punkte, betreffend das Unionswerk, 
zusanmien. 

Die gemeinsamen Vorschläge,'^) zu denen sie am 18. Juni 
sich vereinigten, setzten die Zahl der Truppen des künftigen 
Bundes auf 20000 Mann fest, die Höhe des zu erstrebenden 
Beitrags auf 300000 Gulden monatlich^ als Maasstab der Um- 
lage die Beichsmatrikel. Als Mitglieder habe man ausser den 
drei Ghurfürsten zunächst Baiem und die Bischöfe von Salz- 
burg, Würzburg, Bamberg ins Auge zu fassen; dann solle 
die Sache allen andern katholischen Beichsständen mitgetheilt 
werden. Als Director dachten sie sich den Herzog von Bai- 
em, eventuell ausserdem einen der drei Ghurforsten neben dem 
Herzog. Man gieng die einzelnen katholischen Fürsten des 
Auslands durch, und bestimmte durch welches Bundesglied 
jeder von ihnen um Hülfe für die Union zu ersuchen sei. 
Ausserdem nannte man die möglichen Mittel, säumige Glieder 
zur Erlegung ihres Beitrags anzuhalten, und zählte die vor- 
läufigen Anstalten zur Eriegsrüstung auf, die in jedem der 
drei Erzstifter schon jetzt und vor Errichtung des Bundes 
möglich und nothwendig seien. Zuletzt wurde eine baldige 
Zusammenkunft der Churiursten in Person zum Abschluss des 
Vertrags, unter Umständen in Monatsfrist, in Aussicht ge- 



(37) Ernst, Ghurf. v. Cöln, Instruction zom Communicationstag zu 
Cöln. Arnsberg 1609, Jun. 2. II 314. 

(38) Coadjutor von Cöln an H. Max. Brül 1609 Jun. 21. II 
324. — Extraet der Verabredung der Räthe der drei geistlichen Chur- 
försten zu Cöln 1609 Jun. 18. II 327. — Chur-Cöhi an H. M. En- 
dorf Jun. 25. III 2. — Abschied des Communicationstags zu Cöln. 
Jun. 18. III 4. 



154 Jahrb. der hisior. Glosse der k. Akad. der Wissenschaften. 

nommen. So eingehend und nachdrücklich wie diessmal war 
der Bundesplan hier am Khein noch nie erörtert worden. 
^Gott gebe ferners sein sogen darzu,« schrieb Ferdinand an 
seinen Bruder nach München, als er ihm einen Auszug des 
Protokolls zuschickte, »es ist einmal die höchste Zeitf dan die 
Protestierenden uns mit gewalt an die haut wollen.« 

Diess alles wusste Max bereits, als seine Münchener 
Versammlung zusammentrat. Einige Zeit später erhielt er 
Nachricht, dass Mainz zu der bewussten persönlichen Zusam- 
menkunft die Einladungen wirklich erlassen habe, und zwar 
auf den August.*^) So eröffnete sich also die Aussicht auf 
den nahen Anschluss der Kurfürsten an den zu München ge- 
schlossenen Bund, und weiter auf die Vereinigung des katho- 
lischen Deutschlands unter Baierns Führung. 

6. 

Nach einer andern Seite fesselten nicht minder wichtige 
Erwartungen Maximilians Aufmerksamkeit. 

Als man zu Cöln nur erst die Frage, ob und wie man 
den Beistand auswärtiger Potentaten gewinnen möge, erwog,, 
hatte der Herzog schon die Hand ans Werk gelegt und die 
Versuche, solche Hülfe dem entstehenden Bund zu sichern,, 
begonnen. Zuerst im Herbst 1608, indem er durch seinen Eath 
Dr. Forstenhauser in Prag an den dortigen Nuntius vertrau- 
liehe Mittheilung über die bevorstehende Gründung eines ka- 
tholischen Bundes mit der Bitte gelangen liess, den Papst 
zu dem Versprechen seiner Unterstützung zu vermögen. Als 
damals der Nuntius, sei es auf Befehl des Papstes, sei es aus 
eignem Antrieb, auf wiederholte Anregung der Sache mit nicht 
viel mehr als Erkundigungen über die Absichten der Prote- 
stanten und über die Verhältnisse des katholischen Bundea 



(39) Chur-Cöln an H.Max. Hirschberg 160J> Jul. 21. III 21. ~ 
Desgl. Jul. 22. III 25. 



Cornelius: Zur Geschichte der Gründung der deutschen Liga, 155 

^nviederte, brach Maximilian diese Verhandlung ab, Ende 
November, zur selben Zeit als er auch im übrigen einen Still- 
stand in seinen den Bund betreffenden Bemühungen eintreten 
Hess. *«) 

Es dauerte nicht lange, so bot sich ungesucht eine bes- 
sere Gelegenheit. 

Im Mai 1609, als die Noth des Kaisers aufs höchste 
gestiegen, sahen alle, denen die Erhaltung des Hauses Oestreich 
und der katholischen Keligion im Keich am Herzen lag, auf 
Baiem, und so verschieden die Mittel sein mochten, zu denen 
sie riethen, so stimmten sie doch darin überein, von Maximi- 
lians Eingreifen die Bettung abhängig zu denken. Der Kaiser 
selbst schickte damals seinen Kath Hegemüller und den Erz- 
herzog Leopold zu ihm,*^) um ihn sofort zur Reise nach Prag 
zu bereden: auf welchen Wegen er vom Herzog sich helfen 
zu lassen gedachte, sprach er nicht aus. Dagegen legte Leopold 
einen fertigen Plan vor, den der Herzog ins Leben führen soUte: 
die Versöhnung des Kaisers mit Mathias war das Mittel , mit 
dem der junge Erzherzog Oestreich retten, sich selbst den 
Weg zum Kaiserthron und zur Hand von Maximilians Schwe- 
ster Margaretha bahnen wollte. In denselben Tagen sah der 
Herzog den Bath des Churfürsten von Cöln, Botger Henot, bei 
sich,**) der seine Ansicht über eine gemeinsam zu unterneh- 



(40) H. Max Instruction für Forstenhauser 1608 Sept. 17. I 103. 
— Forstenh. an H. Max. Oct. 11. I 120. — H. Max an F. Oct. 16. 
I 124. — F. an H. M. Nov. 22. 1 146. — H. Max an F. Nov. 1 148. 

(41) Kaiser Rudolf an H. Max. Prag 1609 Mai 16. StA. Cöl- 
nische Corr. 39/7 f. 71. — Kaiser Rudolf an Erzh. Leopold. Prag 
1609 Mai 16. ib. f. 76. — H. Max an Donrsperg. Leonsperg Mai 17. 
ib. f. 79. •— H. Max an Chur-Cöln. München Jun. 2. ib. f. 120. — 
H. Max Memorial für Erzh. Leopold. Cancell Mai 27. ib. f. 74. — 
H. Max, Memorial für Donrsperg nach Prag. Jun. 6. ib. f. 129. — 
Khuen , Vicedom zu Straubing, an H. Max. Straubing Jun. 2. RA. 
Böhmische Händel 25/3. f. 9. 

(42) Die anheimba gelassenen geh. Räthe an H. Max. München 



156 Jaltrb, der histor. Clause der l\ Akad. der Winsenachaften, 

mende Beise nach Prag einholen sollte; es scheint, dass Chur- 
fürst Ernst mit seines Neffen Hülfe den Kaiser zur Bezeich- 
nung eines Nachfolgers zu bewegen und dadurch der Noth 
ein Ende zu setzen dachte. 

Maximilian liess durch dergleichen Pläne und Anliegen, 
die den Umständen nach alle schliesslich dahin führen muss- 
ten, seines Landes Kraft vereinzelt und vorzeitig aiifs Spiel 
zu setzen, sich von dem selbstgewählten Weg nicht abfahren. 
Die Wirren in Oestreich waren auch ihm gefährlich und kei- 
nem mehr als ihm in tiefster Seele zuwider: aber sein Heil- 
mittel war die Liga und nichts als die Liga. Mit Bezug- 
nahme auf die Cölnische Anfrage spricht er in einem vertrau- 
lichen Schreiben an seinen Oberstcanzler Donrsperg den 
Grundgedanken seines politischen Systems aus:**) »Ich wolt 
das man auf ain rechten nachtruck und zusamensetzung ge- 
dacht were und sich dasselbig so hoch als dergleichen Sachen 
angelegen sein liesse; wurde dem hauptwerk vil mer geholfen 
werden, die rebellischen underthanen vil eher als durchs chur- 
fursten von Cöln raiss abgeschreckt, der kaiser darvon merem 
trost empfangen, und diess werck zu allem vorhaben beförder- 
lich sein. Wolt der kaiser sein fundament auf die reconci- 
liation sezen, so mieste sein bruder wol sich zum brödt legen, 
wan seine Oestreichische kezer miesten diser union halber in 
sorgen leben. Wolte er dan allein itzmals dahin trachten, 
wie er die Behem zur gebür brächte, quid utilius als wan sie 
wisten, das die Catolischen inen gewachsen und dem kaiser 
kinden nit allein durch rat sondern mit der tat helffen? Wil 
man dan auf die konftig succession sehen, und vermainen das 
daran das hau gelegen, was ist abermal nützlicher, als sich 
durch dise union also gefast zu halten, das, wan die succession 



1609 Mai 19. ib. f. 85. — H. Max an Chur-Cöln. Straubingen Mai 21. 
ib. f. 88. — H. Max Resolution. Mai 21. ib. f. 89. 

(43) H. Max an DonrBperg. Leonsperg 1609 Mai 17. Cölnische 
Corresp. 39/7 f. 79. 



Cornelius: Zur Geschichte der Gründung der deutschen Liga. 157 

mit ir Mt. wiln nit richtig ze machen, man desto weniger 
der Catolischen seits sich auf ain ergebenden fal zu befaren? 
Dahero villeicht wol so gut were, nit allein dise consilia, son- 
dern auch den uncosten, so auf dergleichen reisen und negotiem 
aufleuft, an diess notwendig werck anzelegen.« 

Zum Glück für Maximilians Bestrebungen fand sich da- 
mals an entscheidender Stelle ein Staatsmann, der Einsicht 
genug besass, um seine Politik richtig zu würdigen. Diess 
war der spanische Gesandte am kaiserlichen Hof, Don Baltasar 
de Zuniga, der kurz vor den erwähnten Gesandtschaften des 
Kaisers und des Churfüi-sten den Herzog in München aufge- 
sucht hatte,**) gewiss auch er im wesentlichen in keiner an- 
dern Absicht, als um auf irgend eine Weise für die östreichische 
Noth Hülfe zu schaffen. Dieser Mann hatte zu Prag einsehen 
gelernt, dass es bei der Sinnesart des Kaisers vergeblich sei, 
während seiner Lebzeiten auf die Wahl eines Komischen Kö- 
nigs zu hoffen, und dass ebensowenig an die Möglichkeit einer 
Versöhnung zwischen ihm und König Mathias zu denken. Die 
vertraulichen Mittheilungen, welche ihm jetzt der Herzog über 
den politischen und religiösen Zustand des Eeichs und über 
seine eignen Bestrebungen machte,*^) erweckten entweder oder 
reiften in seiner Seele den Gedanken, dass das dritte und 
unter den gegenwärtigen Verhältnissen das einzige Mittel, dem 
unheilbar gespaltenen Haus Oestreich gegen die Angriffe seiner 
inneren und äusseren Feinde, der rebellischen Stände und des 
churpfälzischen Anhangs, Schutz zu gewähren, in der Ver- 
einigung der katholischen Kräfte Deutschlands zu einer starken 
Hülfsmacht liege, und dass mithin unter die Aufgaben der 
spanischen Politik gehöre, Maximilians Unternehmen mit aller 



(44) Zuniga an H. Max. Prag 1609 Mai 20. StA. Span. Cprresp. 
292/9. f. 177. 

(45) H. Max Memorial für Wensin an Chur-Cöln. München 1609 
Aug. 7. III 30. 



158 Jährb, der hifitar. Glosse der k, Akad, der Wissenschaften, 

Kraft zu befördern.**) Die beiden Männer schieden ohne ir- 
gend eine Verabredung, aber von da an rechnete einer auf 
den andern. Zuniga hatte dem Herzog angedeutet, dass Spa- 
nien den Abschluss des niederländischen Friedens mit Kück- 
sicht auf die Bedürfhisse der katholischen Sache in Deutschland 
herbeigeführt habe und dass er von seinem Hof schon jetzt 
in den Stand gesetzt worden, im Fall der Noth sofort Trup- 
pen aufzubringen. Als nun am 6. Juni der Canzler Donrs- 
perg mit der Antwort auf Erzherzog Leopolds Werbung nach 
Prag gieng, nahm er den Befehl des Herzogs mit,*^) sich 
der Hülfe des Gesandten gegen einen unversehenen Angriff 
der Protestanten auf Baiern zu versichern. »I. f. d. wolle 
von im gern vememen, wessen i. f. d. sich, auf den fal die- 
selbe unfursehens von den Protestierenden mit der that und 
Kriegsmacht angegriffen werden solte, ob er auch auf solchen 
M so weit gevolmechtigt, das Interim, und bis verner Pro- 
vision von i. k. w. volgte, i. f. d. wirklich und was gestalt 
beispringen künde.« Aber schon vor der Ankunft Donrs- 
pergs hatte Zuniga eine Massregel ergriffen, die Maximilians 
Erwartungen überholte. Am 8. Juni unterzeichnete er die 
Instruction*®) für einen Abgeordneten an den König von 
Spanien, in welcher, unter kurzer Darlegung der gegenwärtigen 
Verhältnisse des Ileichs und der drohenden Gefahren als ein- 
ziges Bettungsmittel die im Werden begriffene Vereinigung 
der katholischen Fürsten Deutschlands und ihre Unterstützung 
durch den Papst, durch Spanien und die flandrischen Erz- 
herzoge bezeichnet wird. Vorher hatte er sich mit dem Nun- 
tius ins Einverständniss gesetzt und beide wählten zur Besor- 
gung des wichtigen Geschäfts, so ungern man in Prag ihn 



(46) Zuniga Instruction für Lorenzo da Brindisi. Prag 1609 Jun. 8. 
StA. Span. Corresp. 292/9. f. 285. 

(47) H. Max Instruction 1609 Jun. 6. Span. Corresp. 292/9 f. 281. 

(48) Span. Corresp. 292/9 f. 285. 



Cornelius: 2^r Geschickte der Gründung der deutschen Liga, 159 

entbehren mochte,*^) den Pater Laurentius von Brindisi, weil 
er sowohl durch seine Ergebenheit gegen das bairische Haus 
als durch seinen geistlichen Eifer und den Kuf seiner Fröm- 
migkeit der geeignetste Mann war, um auf die Entschlüsse 
des Madrider Hofs einzuwirken. P. Lorenzo da Brindisi, so 
bezeichnet ihn Max,^®) capuccino predicatore apostolico, reli- 
gioso di Santa vita, di singolare integritä et molto valore, et 
suggetto tale, che per la qualitä del negotio datrattarsi con- 
cemente il ben comune de la religion nostra nell' Imperio 
non si possa trovar alcuno di lui piü a proposito. Er sollte 
zuerst nach München gehen, seine Instruction dem Herzog zur 
Durchsicht und Besseining vorlegen, sich von ihm über den 
Status rerum Germanicarum informiren lassen und seine be- 
sonderen Befehle in Empfang nehmen. Darauf hatte er in 
Mailand den spanischen Statthalter Grafen Fuentes, auf dessen 
willigen Beistand im Fall des Kriegs viel ankam, für die 
Sache zu gewinnen. Zuletzt waren ihm seine Wege am spani- 
schen Hof und die einflussreichen Männer desselben bezeichnet. 

7. 

In der Zeit, als Max die Einladungsschreiben zu der 
Münchner Versammlung ausfertigen liess, mag er die erste 
Kunde von den Prager Entschlüssen erhalten haben. Wenige 
Tage darauf, den 22. Juni oder etwas später, langte Pater 
Lorenzo am herzoglichen Hofe an. Er empfing dort zwei 
Denkschriften zur Unterstützung seines Antrags bei dem König 
von Spanien. 

(49) Erzh. Leopold an H. Max. Prag 1609 Jun. 14. KA. Böhm. 
Händel 25/3 f. 64. >£. L kinnen nicht glauben, wie ungern diser 
man hie verloren wirt; dan jedermeniglich soUichs vir ein ubels 
praesagium augurirn thut. Wir bederfen hie gewiss gutter leit, dan 
propter perversitates horum temporum und sonderlich huius aulae 
wol zu besorgen, das, da der gnedig Got nicht sonderlich zuschauen 
wirt, man noch ein selzame tragediam sehen mechte.« 

(50) H. Max an Grossherzog v. Florenz 1609 Dec. III 296. 



16Ö Jahrb. der histor. Classe der k, Akad, der Wissenschaften, 

Die erste und Hauptschrift**) schildert die wachsende Be- 
drängniss der katholischen Beligion im fieich, und bezeichnet 
als das einzige Mittel der Bettung die Vereinigung zum Bund. 
Abör, fährt sie fort, die Katholischen in Deutschland sind zu 
schwach. »Die reichsstet, deren eben vil und bei denen nit 
ein schlechts, sondern das maiste vermögen an gelt, die sein 
vast alle sambt kezerisch; die andern aber, so theils noch 
catholisch oder bei denen die catholische religion noch etlicher 
massen in esse, haben die forza und macht nit, ja durffen 
aus forcht der andern reichsstet sich zu den Catholischen nit 
schlagen.« Daher müssen der Papst und andere katholische 
Potentaten helfen. Für Spanien liegen noch besondere Gründe 
zu diesem Entschluss in der Gefahr Oestreichs, das Käiser- 
thum an die Protestanten zu verlieren, in dem protestantischen 
Character der Unruhen in den östreichischen Erbländern, und 
in der Bedrohung der ans Keich anstossenden spanischen Be- 
sitzungen durch das Wachsthum der protestantischen Macht 
im Beich. Deshalb möge der König mit den katholischen 
deutschen Fürsten sich in eine Liga einlassen und andere 
katholische Potentaten zum Beitritt vermögen, schon jetzt aber, 
und bis der Bund seine Vollendung erreicht hat, den katho- 
lischen Beichsständen gegen Angriffe mit Geld und Truppen 
beistehn, und »weü der protestierenden stende toben undwie- 
ten auf ein eil gestelt«, dem Gubemator zu Mailand und dem 
Gesandten zu Prag Befehl und Mittel zukommen lassen, »auf 
das sie aisgleich, wan sie von den catholischen fürsten, so 
i. Mt. befelchen werden die mit iren ministris correspondieren 
sollen, erindert, und sie mit derselben für ain notturft befin- 
den werden, aisgleich zu ainer defension und volkwerbung 
wirklich schreiten derflfen.« 

Die andre Schrift**) wird als memorial segreto bezeich- 

(51) StA. Span. Corresp. 292/9 f 352. — Dasselbe Actenstück, 
etwas geändert, italienisch, f 375. 

(52) ib. f 368. 



CorneHus: Zur Geschichte der Gründung der deutschen Liga. 161 

net, geheimer als die erste insofern, als sie nicht wie jene 
dem Nuntius in Prag mitgetheilt werden soll. Sie fordert 
den König auf, alles daran zu setzen, dass der Papst mit 
geiner Autorität und allen gebührenden Mitteln, auch durch 
offne Gesandtschaft, den König von Prankreich ersuche, den 
Protestanten keine Gunst zu gewähren, et se gia s. Mta. 
christianissima havesse in qualche maniera data la parola, 
che in questo caso procuri il rimedio. Es werden Nachrichten 
angeführt, die für ein bestehendes Einverständniss zwischen 
Frankreich und den Protestanten sprechen. Daher müsse man 
auf alle mögliche Weise dafflr sorgen, dass die Franzosen, 
wenn sie dem katholischen Theil keine Gunst erweisen wollen, 
wenigstens neutral bleiben, und auch nicht unter der Hand 
den Protestanten Vorschub leisten. II che oltra l'autorita 
s^ostolica tanto maggiormente e tenuto di farquel re, essende 
obligato in conscientia di procurar Tessaltatione della s. fede 
cattolica et salute dell' anime, quanto egli e stato molt'anni 
causa della deskuttione della s. chiesa et perdita di cosigran 
numero di povere anime, oltre tante ingiurie fatte alli luoghi 
et persone sacre et spargimento di sangue cattolico. — Ein 
zweiter Theil derselben Schrift nimmt den spanischen Schutz 
ffir Baiem insbesondere in Anspruch. Indem der Herzog dem 
Beispiel seiner Vorfahren, die jeder Zeit der Erhaltung und 
Ausbreitung der katholischen Beligion all ihr Vermögen ge- 
widmet haben, zu folgen beflissen war, und unter anderm sich 
nicht gescheut hat, durch die Unternehmung gegen die Ketzer 
von Donauwörth, auf eigne Hand, ohne Unterstützung, allen 
protestantischen Fürsten und Beichsstädten Trotz zu bieten, 
ist er der vornehmste Gegenstand des Hasses der Protestanten 
geworden. Sie sehen ihn für das Hindemiss ihrer teuflischen 
Pläne an, und es steht darum ausser allem Zweifel, dass ihr 
Sinnen und Trachten vor allem andern darauf gerichtet ist, 
Baiem anzugreifen und den Herzog zu Grund zu richten, um 

sich dadurch den W^ zur Vemichtong der übrigen Katho- 

h 



162 Jahrh, der htstor, Glosse der k. AJkad, der Wissenschaften. 

liken zu bahnen. Der König möge daher seinen Vetter und 
Diener und das ihm ergebene und blutsverwandte und von 
ihm abhängige Haus Baiem in seinen besondem Schutz neh- 
men, und dem Statthalter von Mailand und dem Gesandten 
in Prag Befehl ertheilen, mit Bath Geld und Truppen, je 
nach dem BedürMss und im Yerhältniss zu der Stärke des 
Feindes, aus eigner Entschliessung dem Herzog Hülfe zu 
leisten. Et sua Mta., so schliesst der Herzog, ne conservara 
non altro che il stato suo proprio, che insieme con la persona 
mia sara prontissimamente impiegato in ogni tempo ad ogni 
suo servitio et ad ogni suo real comandamento. 

Ausserdem sandte Maximilian durch einen Eilboten die 
Bitte an den Papst,*') dem Pater Lorenzo sofort, noch wäh- 
rend seiner Beise, nach Genua hin einen Brief an den König 
zur Unterstützung seines Antrags zuzuschicken. Hinzu fugte 
er ein besonderes Schreiben,**) in welchem er die gegenwär- 
tige Lage des Beichs und die Gefahren schilderte, welche das 
siegreiche Vordringen der protestantischen Stände nicht bloss 
für die Existenz der katholischen Beligion in Deutschland, 
sondern in der Folge auch für Italien und für den h. Stuhl 
selbst mit sich bringe. Der Herzog habe sich bemüht, die 
katholischen Beichsstände zu einem Bund zu vereinigen, übi, 
etsi nondum is omnino est successus quem res postularet, 
nonnullis tamen, ut auderent vellentque, persuasi, estque 
aliqua spes, futurum ut sensim alii super alios eodem accedani 
Verum quando haec consilia et occulto egent et mature facto, 
neque tamen ob procerum quorundam segnes moras ea maturari 
satis possunt: ego animadvertens , hostem in foribus haerere 
nostraque cunctatione in dies valescere, nimium quantum metuo, 
ne illum citius sentiamus quam opperiamur, eaque tunc con- 
silia optima iudicemus quorum tempus effugerit. Sein Antrag 
geht dabin, dass der Papst selbst, und durch ihn angeregt 

(58) H. Max an den Papst. Juni 25. 11 172. 
(54) H. Max an den Papst Juni 22. U 177. 



Cornelius: Zur Geschichte der Gründung der deutschen Liga. 163 

Spanien und Toscana nnd andere auswärtige Färsten, den 
Bund mit Geld und wo nöthig mit Truppen unterstützen. 
Ohne das sei keine Hülfe för die Beligion; denn die katholi- 
schen Stände stehen den protestantischen an Zahl und Kräf- 
ten weit nach, zumal wenn die katholischen der auswärtigen 
Hülfe entbehren, auf Seiten der protestantischen dagegen 
Dänemark Schweden England Holland, utinam non alii, sich 
befinden. Quod ad me attinet, schliesst der Herzog mit 
Nachdruck, non dissimulo, fixum mihi ratumque esse religioni 
per Imperium conservandae fortunas meas vitam sanguinemque 
onmem impendere. Atqui tantam interim haereticorum vio- 
lentiam firangere, ut summe cupiam, fateor nee mearum yirium 
esse, nee eos, qui se mihi paucuU adiunxere, praestituros. 
Ita tandem, nolim velim, extreme clamans ac lamentans, cum 
patria a& religiöne peribo. 

Auf beide Briefe erfolgte umgehend die Antwort des 
Papstes, ^^) welcher mittheilte, dass er dem Verlangen des 
Herzogs entsprochen und dem Pater einen Brief an den König 
?on Spanien zugeschickt, auch den spanischen Gesandten in 
Som um seine Dienste in derselben Sache gebeten habe, im 
übrigen mit warmen Worten die Betrübniss des h. Vaters 
über den Zustand des B^chs, seine liebe zu den Katholiken 
Deutschlands und seine ^reitwilligkeit zur Hülfe versichert 

8. 

Diese frohen Nachrichten, mit den Hoffnungen, welche 
sich daran knüpften, soUte Wensin an den Bhein und zu der 
Churfurstenversammlung bringen, ^^) die am 23. August zu 
Mainz begann. Ausserdem das Nähere über die jüngste 



(55) Der Papst an H. Max. Rom 1609 IV non. JuL in 1. 

(56) H. Max an Ghur-Cöln. Dachau 1609 Juli 29. III 21. — H. 
Max Memorial für Wensin an Ghur-Cöln. München 1609 Aug. 7. 
in 30. 

11* 



164 Jahrb, der hi8U)r, Classe der k. Äkad. der Wissenschaften, 

Münclmer Zusanunenlniiift , und über die Bemühungen der 
dort Vereinigten um die Erwerbung neuer Mitglieder. Der 
Herzog setzte nämKch die Verhandlung mit dem Bischof von 
Eichstett fort, ^'^) und machte dem jetzt grade neu gewählten 
Bischof von Bamberg die Eröffnung, *®) welche man seinem 
Vorgänger wegen seiner sehr verdächtigen Gesinnung vorent- 
halten hatte. Daneben hatten es Würzburg Augsburg Con-» 
stanz unternommen, durch eine gemeinsame Werbung Salz- 
burg endlich für den Bund zu gewinnen; ^^) und die schwä- 
bischen Bischöfe unterzogen sich mit Eifer dem Aufkrag, die 
Prälaten und Grafen ihres Kreises zu demselben Zweck zu 
bearbeiten.*®) Endlich hatte Wensin Auftrag, die Vorschläge 
des Herzogs über Herbeiziehung Frankreichs und Lotringens 
zur Hülfe, so wie seine Aeusserungen über andere möglichen 
Anknüpfungen im Ausland den Churlursten zu hinterbringen* 
Die Versammlung zu Mainz, *^) vorbereitet durch Ver- 
ständigung zwischen Wensin und dem Churfiirsten von Cöln^ 
und durch einen Besuch des alten Herzogs Wilhelm von 
Baiem bei dem Erzkanzler, lief fast durchaus glatt und ohne 
Anstoss ab und führte zum Ziel. Die drei Churfürsten traten 



(67) H. Max an B. Eichstett. München 1609 Juli 15, HI 14. — 
B. Eichstett an H. Max. Schloss Wilbaldsberg Juli 23. in 15. 

(58) H. Max Nebenmemorial für Wensin an B. Bamberg. Mün- 
chen 1609 Aug. 10. III 42. — B. Augsburg an H. Max. Dillingen 
Sept. 27. m 157. 

(59) H. Max an B. Augsburg. München 1609 Juli 25. III. 17. 

— B. Augsburg an H. Max. Dillingen Aug. 20. III 58. — DesgL 
Sept. 8. lU 126. 

(60) B. Augsburg an H. Max. Dillingen 1609 Sept. 8. III 126. 

— Die heimgelassenen Räthe an H. Max. München Sept. 14. III. 130. 

(61) Wensin Relation. München 1609 Sept. 9. III 68. — Die 
drei geistlichen Churfürsten an H. Max. Mainz Aug. 30. III 75. — 
Protokoll der Verhandlungen bei Zusammenkunft der geistlichen 
Churfürsten zu MaiüK 1609 Aug. 24 sqq. lU 87. — Die Vereinigung 
zu Mains 1609 Aug. 30. III 98. 



Camüim: Zur Geschidhte der Gründung der deutschen I4ga, 165 

zum Bund, indem sie am 30. August einen Vertrag unter- 
zeichneten, der fast völlig mit der Münchner Urkunde über- 
einstinunte. Die eine Aenderung erlaubten sie sich, dass sie 
neben den Herzog von Baiem als Bundesobersten den Chur- 
iursten von Mainz als Mitbundesobersten stellten. Das Motiv 
enthält das Protokoll: Wegen des Bundsobersten hat mm 
zwei officia und munera distinguirt: Bundasoberst und Feld- 
oberst. Der Bundesoberst hat Klagen anzunehm^, Gewalt- 
thätige abzumahn^, mit den Adjuncteji zu bestimnien ob der 
Fall der Bundeshülfe vorliege. Baiem ist Bundesoberster; 
aber um den unterländischen weit entlegenen Ständen, wie 
Paderborn, Trost und Zuflucht zu gewähren, haben die Cölni- 
schen und Trierischen Bäthe für rathsam angesehen, dass 
Ghur-Mainz Mitbundesobrist sei. »Eunts dan die zeit und 
gefar erleiden, so sollen es beide bundesobersten sementlich 
erkennen. Feldoberster aber sol Baiem alleinig verbleiben.c 
Das heisst, die Leitung des Kriegs und aller kriegerischen 
Anstalten bleibt dem Herzog, die inneren und auswärtigen 
Geschäfte aber muss er im Einverständniss mit Mainz führen ; 
und was die unterländisch^ rheinischen Stände betrifft, geht 
zunächst an Mainz , was die Stände der drei obem Kreise 
betrifft, zunächst an Baiem. — Auch die Aeussemngen des 
Herzogs in Betreff der anzuknüpfenden Verbindungen im Beich 
und im Ausland erhielten den Beifall der Churförsten, und 
seinem Wunsch, einstweilen noch von der Herbeiziehung Oest- 
reichs abzusehen, traten sie bei. Sie versprachen, ihre Suf- 
fragane und die Stifter und Prälaten in ihren Erzbisthümem 
zum Beitritt zu vermögen, und entschlossen sich, durch eine 
ansehnliche Gesandtschaft den Papst und andwe italienkiche 
Fürsten um Hülfe für die bedrängte Beligion in Deutschland 
zu ersuchen. Sie baten den Herzog um seine Betheiligung 
an dieser Massregel. 



166 Jahrb. der histor. Classe der h. Äkad. der Wissenschaften, 

9. 

Mit all dem konnte Maximilian vollkommen zufrieden 
sein, •*) und in der That leuchtet aus der Mittheilung der 
Mainzer Besultate, einschliesslich der Bestimmung über die 
Chur-Mainzische Mitbundesoberstenschaft, wie er sie nun nach 
allen Seiten richtete, *^) eine ungetrübte Befiiedigung hervor* 
Auch die churf&rstliche Gesandtschaft passte durchaus in seine 
Pläne, und die anfängliche Weigerung des Herzogs, seiner- 
seits einen Gesandten mit nach Bom zu schicken, hat keinen 
andern Grund als den Wunsch, vor den Augen der Hasser 
und Neider seinen Antheü an der ganzen Sache nicht stärker 
als durchaus nothwendig an den Tag treten zu lassen.^*) 

Nur einen Punkt gab es unter den Mainzer Beschlüssen^ 
an welchem der Herzog Anstoss nahm. Die Bedrängniss, in 



(62) H. Max an die drei geiBtlichen Chuirfürsten. Schloss Ma^ 
tigkliofen 1609 Sept. 10. III 113. 

(63) m*135 sqq. 

(64) H. Max Memorial für Wensin an Chur-Cöln. 1609 Sept. 22. 
StA. Span. Corresp, 292/9 f 330. „Dan wir ans guter massen er* 
innem, dass wir bei etlichen auch catholischen stenden in disen 
verdacht wollen genomen werden, als ob wir under diser liga nit 
80 gar bonum publicum als privatum commodum suchen und etwas 
anders hirunder verborgen lige. Dises Verdachts uns vöUiglich zu 
entschieben, wirt viel ratlicher angesehen, diss ansuchen geschehe 
ausser unser Zuordnung und allein durch die hem churfursten. So 
sein wir auch vor wenig tagen glaubhaftig bericht worden, das wir 
bei dem haus Oestreich in disen argwon , das wir uns mit in- und 
ausländischen catholischen potentaten zu praeiudicio nachtheil und 
schaden besagtes haus Oestreich conföderiem.'* Noch einen andern 
Grund führt der Herzog an : „Die geistlichen churfursten Mainz und 
Trier, fumexhblich aber Mainz, wurden auf diso weis, do wir mit- 
schickten, ein praetension suchen bei Chur-Pfalz und andern Prote- 
stierenden diser union halb sich zu entschuldigen, den uuglimpfen 
von sich ab und auf uns zu schieben, wir trieben das werk also 
stark." — H. Max an Chur- Mainz und Chur-Trier. 1609 Oct. 4. 
in 186. 



Cornelius: Zur Geschichte der Gründung der deutschen Liga, 167 

welcher sich damals Erzherzog Leopold befand, der vom kai- 
serlichen Hofe ausgeschickt war, um die Länder des verstor- 
benen Herzogs von Cleve in seine Gewalt zu bringen, und 
nach wenig Tagen in der glücklich gewonnenen Festung Jülich 
geld- und rathlos nach allen Seiten um Hülfe ausschaute, 
hatte die Churfürsten, unter der Einwirkung von Chur-Mainz, 
vermocht, von dem Beitrag zur Bundeskasse, den sie im Ver- 
trag versprochen hatten, schon ehe sie denselben erlegten, 
ein Drittel abzuzweigen und zur Unterstützung Leopolds zu 
bestimmen. In diesem Beschluss lag offenbar eine bundes- 
widrige Eigenmächtigkeit. Sie mochten wohl auf die Dring- 
lichkeit der Umstände, auf die Mitleidenschaft, in welche das 
Erzstift Cöln bereits durch die Jülichschen Unruhen gezogen 
war, zu ihrer Entschuldigung hinweisen; aber die Ansicht, 
dass der Jülichsche Streit eine allgemeine katholische Ange- 
legenheit sei und demnach unzweifelhaft zu den Dingen ge- 
höre, um derentwillen der Bund gestiftet worden, war bei der 
ungemeinen Wichtigkeit und Vielseitigkeit der ganzen Trage 
doch zu oberflächlich, um sie dem Herzog gegenüber im Ernst 
als massgebend geltend zu machen. Er gab einstweilen durch 
Schweigen sein Missfallen zu erkennen. Die oberländischen 
Stände, denen er einfach Kunde von dem Vorgang gab, wie- 
sen die 3erathung der Sache auf den nächsten Bundestag, 
und das war offenbar auch des Herzogs Meinung. **) 

Ohnehin war es in jeder Beziehung wünschenswerth und 
nothwendig, bald zur Versammlung dieses Bundestags zu ge- 
langen. Denn alles, was bisher gethan und beschlossen wor- 
den, konnte doch eigentlich nur als Vorbereitung gelten; der 
Abschluss des Ganzen fehlte noch. Die wichtigsten Fest- 



(65) Die drei geistlichen Churfürsten an Herzog Max. 1609 Sept. 
26. III 199. — B. Augsburg an Herzog Max. Schloss Aislingen 
1609 Nov. 13. in 229. — B. Würzburg an H. Max. Schloss Frauen- 
berg Nov. 17. in 231. — H. Max an Chur-Mainz. München Deo. 7. 
Hl 223. 



168 Jährb, der histor. Classe der A*. Akad. der Wissenschaften. 

Setzungen waien in Mainz so gut wie in München auf fernere 
Berathung verschoben worden. Und je länger es damit dauerte, 
desto mehr Anlass ergab sich zu dem Wunsch, mit der 
inneren und äusseren Politik des Bundes endlich ins reine zu 
kommen und, wie man sich ausdrückte, »ein ganzes daraus 
zu machen«. So war es für den Herzog sehr verdriesslich, 
dass die Churf^sten für sich und ohne ihn den Kaiser von 
dem Entstehen und der Tendenz des katholischen Bundes in 
Kenntniss setzten. *®) Auch über die auswärtigen Anknüpfungen, 
über die Tragen, wer alles um Hülfe zu ersuchen und welches 
Ziel der Verhandlung jedesmal ins Auge zu fassen sei, ent- 
standen Verschiedenheiten der Ansichten, die durch den nun 
sehr vervielföltigten Briefwechsel unter den Bundesgliedem 
nur mühsam oder nicht gelöst werden konnten. ®^) Darum 
fand der Herzog gut, schon am 4. October das Concept zum 
Ausschreiben eines allgemeinen Bundestags dem Churfürsten 
von Mainz zur Genehmigung zuzuschicken. *®) 

Aber es ging hiermit langsamer als er dachte. Und 
nicht bloss hiermit. Die am 29. August beschlossene Ge* 
sandtschaft der Churfürsten nach Italien gelangte erst im 
Lauf des November nach München, wo sie ihre Instruction 
dem Herzog zur ßevision vorlegte, •^) und erst in den letzten 
Tagen des Jahres kam sie in Bom an. Dass sie dann mehrere 
Monate lang dort sich aufhalten musste, und während all der 



(66) Bedenken warumb nit rathlicli i. Mt. die union absonder- 
lich zu communiciern. (1609 Nov. 1). III 215. — H. Max an den von 
S Ottern Nov. 1. III 217. — Philips Christoph von Söttem an H Max. 
Nov. 7. m 218. 

(67) H. Max an Chur-Mainz München 1609 Nov. 29. HI 276. 

(68) III 188. 

(69) Eitelfriedrich Graf Zollern an H. Max. Aschaffenburg 1609 
Oct. 12. in 196. — Instruction der drei geistlichen Churfürsten zur 
Werbung in München Rom u. a. 0. 1609 Aug. 29. III 230. — H. 
Max Bescheid an die Abgeordneten der drei Churftoiten. 1609 Nov. 
18. III 243. 



Cornelius: Zur GeschicMe der Gründung der deutschen Liga. 169 

Zeit die Werbung an die übrigen italienischen Fürsten ver* 
tagt blieb, daran wai" man freilich nicht in Deutschland Schuld. 
Aber die vier Monate der Vorbereitung diesseits der Alpen 
mögen doch zum Theil auf Bechnung des Churfürsten von 
Mainz konunen. Wir halten hiermit zusammen, was zu glei- 
cher Zeit mit Salzburg geschah. Die drei Bischöfe von Würz« 
bürg Augsburg Constanz führten gegen Ende September den 
von der Münchner Yersammlung ihnen ertheilten Auftrag aus 
xmd Hessen durch eine eigne Gesandtschaft dem Erzbischof 
zum dritten Mal die Einladung zum Beitritt zukommen. Die 
Antwort desselben lautete: »Da das Werk ohne Vorwissen 
des Kaisers und der katholischen Churfürsten angefangen, 
könne er es nur for eine Privatsache halten und sich noch 
zur Zeit nicht dazu verstehen; würden der Kaiser und die 
Churfürsten dergleichen an ihn gelangen lassen, so wolle er 
flieh also bezeigen, dass daraus sein bekannter Eifer für die 
katholische Beligion im Werk erscheinen solle.« Max wandte 
sich also von neuem, wie früher, an den Churfürsten von 
Mainz; aber Mainz regte sich jetzt so wenig als im vorigen 
Jahr. '^^) Und ganz offenbar war es, dass der Aufschub des 
Bundestags allein an Mainz lag. Eine merkwürdige Antwort, 
die derHerzi^ auf seinen ersten Antrag erhielt! »Allerdings, 
schrieb der Churforst, sei die Fortsetzung und Effectuirung 
der Union nothwendig, besonders im Hinblick auf die incon* 
venientia, so aus dem geringsten Verzug entstehen möchten. 
Aber die puncta deliberanda seien hochwichtig; und er wisse 
nicht, ob die andern Churfürsten für rathsam halten möchten^ 
ehe man sicher, ob die andern Stände in die Union treten 



(70) Bericht der Gesandten über den von Salzburg erhaltenen 
Bescheid. München 1609 Sept. 27. III. 163. — H. Max an B Würz- 
hurg und Augsburg. München Sept. 28. III 165. — H. Max an 
Chur-Mainz. München Sept. 30. III 167. ~ B. Würzburg an H. 
Max Frauenberg Oct. 12. III 179. — Chur-Mainz an H. Max. 
Aschaffenburg Oct. 14. III 204. 



170 Jahrb. der histor, Claase der k, Akctd. der Wissenschaften. 

würden und ehe sich die ausländischen Potentaten zur Hülfe 
bereit erklärt hätten, bei der noch zur Zeit geringen Zahl der 
Conföderirten in Berathung zu treten und so zu entscheiden^ 
dass die später Zutretenden dadurch gebunden sein würden. 
Deshalb habe er für nöthig erachtet, zuvor der andern Chur- 
forsten Gutachten zu erfordern.« ^^) Mit diesen Gründen fer- 
tig zu werden, war dem Herzog leicht; aber erst vor dem 
vereinten Drängen der andern Churiursten wich der Erzkanz- 
ler, und der Bundestag wurde auf den 8. Februar nach Würz- 
burg ausgeschrieben.^*) 

10. 

Zu gleicher Zeit mit der Einwilligung des Churiursten 
von Mainz empfing Maximilian die Nachricht von dem Erfolg 
der spanischen Sendung. 

Schon früher hatte er vernommen, '*) dass Pater Lorenzo 
um den 10. September in Madrid angelangt und auf das 
gnädigste aufgenommen worden war ; dass er, unterstützt von 
den deutschen Geistlichen in der Umgebung der Königin 
Margaretha, einer Schwester der Grätzer Erzherzoge, nament- 
lich von dem Jesuiten Richard Haller, diese Fürstin, die 
vermöge ihrer kirchlichen Gesinnung und ihrer Anhänglichkeit 
an die bairischen Verwandten leicht zu gewinnen war, zur 
eifrigsten Förderung seines Anliegens angeregt hatte; dass er 



(71) Chur-Mainz an H. Max. Aschaffenburg 1609 Oct. 14. III 205. 
* (72) H. Max an die drei geistlichen Churfiirsten. 1609 Oct. 26. 
m 207. — Bedenken über das Chur-Mainzische Schreiben ^wegen Aus- 
schreibung eines Bundestags^ so i. c'if. g. von Cöln dem von Mainz 
schreiben mechte. Nov. 18. III 260. — Chur-Mainz an H. Max. 
Aschaffenburg Nov. 26. III 320. 

(73) Ricardus HaUer an H. Max. Madrid 1609 Sept. 19. StA. Span. 
Corresp. 292/9 f. 224. — Lorenz v. Brindisi an H.Max. Madrid Oct. 
24. ib. f. 386. — HaUer an H.Max. Esourial Nov. 2. ib. f. 393. — 
H. Max an Haller. 1609 Dec. III 290. 



CameUus: Zur Geschichte der Oründimg der deutschen Liga, 171 

bereits ans dem Mund des Königs die deutUchsten Zusagen 
erhalten hatte und über die formale Entscheidung völlig be- 
ruhigt gewesen. Jetzt meldete Lorenzo, indem er einen 
freundlichen Brief der Königin ^^) überschickte, die schliess- 
liche Erfüllung seiner Hoffnungen, zugleich aber auch, wie 
nahe noch im letzten Augenblick der ganze Plan dem Schei- 
tern gewes^ war. Die Besolution des Königs ^^) war näm- 
lich, ohne dem Pater mitgetheilt worden zu sein*, bereits an 
den Gesandten zu Prag abgeschickt worden, am 1. November, 
als Lorenzo auf Befehl des Königs eine Schrift erhielt, laut deren 
Inhalt s. Maj. den Entschluss gefasst hatte, den Bund der 
deutschen Katholiken zu untei^tzen und den grössten Theil 
der Truppenzahl, welche Lorenzo verlangt hatte, zustellen, doch 
unter der Bedingung, dass der Papst ebenso viel leiste und 
dass alle Glieder des Hauses Oestreich sammt den geistlichen 
Churforsten in den Bund eintreten. Als Lorenzo diess Acten- 
stäck gelesen, gieng er sogleich zum König und sagte ihm, 
wenn die abgesandte Besolution mit dieser Schrift überein- 
stimme, so sei damit nichts ausgerichtet; denn hier erkläre 
sich der König nichi zum Beitritt zur Liga, sondern nur zu 
ihrer Unterstützung bereit, und mache dann den Beistand von 
so vielen Bedingungen abhängig, dass dadurch das Zuge- 
ständniss selbst wieder aufgehoben werde. Darauf nahm der 
König die Schrift aus seinen Händen, um sie corrigiren zu 
lassen. Er sagte, in dieser Weise sei an den Gesandten nicht 
geschrieben worden, und berief sich dafor auf das Zeugniss 
der anwesenden Königin, welcher er die nach Prag bestimm- 
ten Briefe gezeigt habe; Lorenzo solle den folgenden Nach- 
mittag wieder kommen, um die verbesserte Schrift abzuholen. 

(74) Eönigin Margaretha an H. Max. 1609 Nov. 9. Span. Corr. 
292/9 f. 400. 

(75) Von dieser Resolution gibt Zuniga dem Herzog Nachricht 
am 20. Nov. (Span. Corr. 292/9 f. 404) und schickt ihm den mitge- 
sandten Brief des Königs vom 29. Oct. (ib. f. 388). 



172 Jahrb, der higtar. Claue der k, Akad, der Wuaetisduxftem. 

Den nächsten Tag empfieng der König ihn wieder in Gegen- 
wart der Königin, und sagte, es bedürfe keiner neuen Schrift, 
liOrenzo solle dem Herzog Max schreiben, dass der König in 
den Bund eintrete, zwei Begimentw zu Fnss nnd ein Begi- 
ment Beiter stelle, zu diesem Zweck so viel Geld als möglich 
schid^en lasse, und dass er diess thue, auch wenn der Papst 
nichts thne, und nnbeknmmert um die vom Haus Oestreich 
sammt den Chnrfursten. ^^) 

Zur Aufklärung über diesen Vorgang konnte dem Herzog 
die wenig spätere Andeutung Hallers^^ dienen: dass seiner 
»Intention calumniatores bei diser cron weder in Welsch- noch 
in Teutschland mangl,€ und dass es ihm zum Yortheil ge- 
reichen werde, wenn er in einem ausfuhrlichen Schreiben 
aidi darüber erklären wolle, dass er nichts anders beabsichtige, 
als »durch mit und neben erhaltung und au&emung des haus 
Oestreich dem h. Bömischen reich und unserer h. religion 
wieder auf den fuss zu helfen.c Das Concept eines solchen 
Schräbens, von Herzog Max an die Königin Margaretha ge- 
richtet, liegt bei den Acten. ^^) 

11. 

Es waren nicht wenige und geringe Stände, deren Abge- 
ordnete im Februar 1610 zu Würzburg zusammen traten, ^^) 
sondern, von Oestreich und Salzburg abgesehen, alle katho- 
lischen Beichsstände ersten Bangs und die meisten übrigen 
von grösserer Bedeutung. Neben den Gesandten der drei 



(76) Lorenz von Brindisi an H. Max. Madrid 1609 Nov. 7. Span. 
Corr. 292/9 f. 395. — Desgl. Nov. 9. f. 398. 

(77) Haller an H. Max. Madrid 1609 Nov. 21. ib. f. 408. 

(78) H. Max an die Königin von Spanien. Manchen 1610 Jan. 9. 
Span. Corr. 292/9 f. 445. 

(79) Protokoll des Conventstagee der kathoL oonföderirten Stände 
zu Würzburg 1610 Febr. IV 422. — Der Absciiied bm v. Aretin 
Chronolog. Yerzeichniss. f. 134. 



Cornelius: Zur Geschichte der Gründung der deutschen Liga, 173 

ClfQrfSrsteii , Baiems, Würzburgs erschienen jetzt die Bam- 
bergischen; denn obgleich der neue Bischof seinen Beitritt 
noch nicht förmlich zugesagt hatte, so vertraute man doch 
seiner Gesinnung so «unbedingt , dass man seine Bevollmäch* 
tigten ohne Widerrede an der Berathung theilnehmen liess. 
Passau und Eegensburg fehlten nicht. Neben Constanz und 
Augsburg, Ellwangen und Kempten, sass jetzt der Ver- 
treter der schwäbischen Prälaten von Salmansweiler Wem- 
garten u. s. w., denen sich auch die nicht zum schwäbischen 
Kreis gehörigen Prälaten von Kaisersheim und S. Emmeran 
angeschlossen hatten. ®®) Dagegen hatte der Bischof von Eich- 
stett dem wiederholten Andringen des Herzogs von Baiem 
noch nicht nachgegeben, ® ^) und die Verhandlung mit den 
schwäbischen Grafen war durch das Misstrauen ins Stocken ge^ 
kommen, das man in die kirchliche Gesinnung des einen der 
beiden ausschreibenden Grafen, Hans von Montfort, setzen zu 
müssen glaubte.»«) Mit den Keichsst&dten , namentiich mit 
Augsburg, scheint der Herzog nicht weiter verhandelt zu 
haben.. Von der andern Seite hatte Chur-Cöln sein Ver- 
sprechen, die Sufiragane herbei zu bringen, nicht gelöst, und 



(80) B. Constanz an H. Max. Merspurg 1609 Nov 24. III 316. 

— B. Augsburg an H. Max. Dillingen Dec. 7. HI 313. — H. Max 
an die Prälaten von Salmansweiler und Weingarten. Dec. 11. HI 
830. — Antwort derselben. Dec. 24. f. 331. — Dieselben an H. Max. 
1610 Jan. 17. IV 25. 

(81) H. Max. an B. Eichstett. München 1609 Sept. 20. Ul 143. 

— B. Eichstett an H.Max. Wilbaldsberg Oct. 2. III 181. — Balthasar 
König an H. Max. Landshut Oct. 11. m 336. — Reiffenstuel an 
Donrsperg. Lichtenberg Oct. 13. III 341. — H. Max an B. Eichstett 
Dec. 11. m 343. — B. Eichstett an H. Max. Wilbaldsberg Dec. 18. 

III 345. — H. Max an Dr. König. Dec. 23. IIL 348. 

(82) B. Augsburg an H. Max. Dülingen 1609 Sept. 8 m 126. 

— Desgl. Dec. 18. IH. 328. — Chur-Mainz an H. Max. Martinsburg 
1610 Jan. 15. IV 83. — H. Max an Chur-Mainz. München Jan. 19. 

IV 82. 



174 Jahrb. der histar, Glosse der h Akad. der Wissenschaften. 

« 

auch die Y erhandlung , die Mainz mit dem Bischof von Pa- 
derborn eingeleitet, war ohne Erfolg geblieben. Aber die 
Bisthümer Strassborg Worms Speier und Stift Odenheim 
waren vertreten; und auch die Domcapitel sämmtlicher ver- 
bünaeter Erzbischöfe und Bischöfe hatten Vollmacht ertheilt, 
mit in ihrem Namen zu beschUessen. 

Der merkwürdigste Theil der Berathung, welche am 
10. Februar eröffnet wurde, ist die Verhandlung von der 
Ausdehnung des Bundes innerhalb des Beichs und von den 
Hülfsgesuchen an fremde Mächte. Wir gewinnen durch sie 
einen üeberblick über das damalige katholische Europa. 

Was die Beichsstände betrifft, so wurde Bericht erstattet 
von den bisherigen Verhandlungen mit mehreren derselben. 
In Ansehung Salzburgs Eichstetts und der schwäbischen Gra- 
fen sind wir bereits unterrichtet. Mainz hatte glücklich seine 
Aufträge ausgeführt, mit Ausnahme der Verhandlung mit dem 
Bischof von Paderborn, dessen Lage, einerseits durch hemmende 
Verträge mit Capitel und Landschaft gebunden, andrerseits in 
der Nähe der Generalstaaten, allerdings Entschuldigung be- 
anspruchte, aber die Versammlung nicht abhielt, erneuten 
Auftrag zur Unterhandlung zu geben. Am unglücklichsten 
oder vielleicht am saumseligsten war Chur-Cöln gewesen, dessen 
Vertreter nichts als Klagen und Ausreden vorzubringen hatten. 
»Haben unter gepflogener handlung allerhand impedimenta bei 
ihren suffraganeis gespürt. Sonderlich bei Osnabrück und 
Münden, welche also beschaffen, das sie nicht sehen, was 
fruchtbarliches daselbst auszurichten, weil der mer theil 
sectisch, und obwol etlich capitulares katholisch, können doch 
dieselben one vorwissen irer heupter sich in kein büntniss 
lassen. Mit Lüttich sei ein schreiben eingelangt, darin ver- 
melt, das das ausschreiben inen zu spat zukonunen ; bitten der-: 
halben sie fär entschuldigt zu halten, verhoffend i. chf. d. 
werde bald selbs der orten anlangen, als4an wollen sie sich 
erklären; und wan die ankunft i. chf. d. zu lang sich ver- 



Comdius: Zur Geschichte der Gründung der deutschen Liga, 175 

schieben solt, wollen sie nicht underlassen, ire stend zu er- 
fordern und ir gemütserklärung von inen einzunemen, und 
femer resolution darauf pflegen. Mit Münster seien eben die 
difficultates wie mit Münden, und dazu noch an Holland 
grenzend ; dahero leicht zu erachten , was und wie vil der 
orten zu hoffen. Utrecht ist dem stift gar entzogen worden; 
wie auch Hildesheimb in abwesen i. chf. d. sich nicht zu 
resolviren gewust, so selb stift mertheils von Braunschweig 
occupirt und mit sectischen allenthalben gefiilt.« Aber die 
Erwiederung von Chur-Mainz lautete: »Die Cölnischen stift 
betreffend halten sie darfur, das bei selben stiften kein mangl 
erscheinen werd; derowegen im namen Freising Lüttich Mün- 
ster Hildesheimb und dergleichen i. chf. d. zu erinnern, was 
sie albereit vor disem diser stift halben auf sich genomen, 
förderlich zu effectuim.« Und so wurde beschlossen. — Die 
Bisthümer Cammerich Metz Tul Verdun wurden mit Bedauern 
genannt und wie natürlich ohne Beschluss beseitigt. — Salz- 
burg sollte, wie er es verlangte, durch die drei Churfürsten, 
Eichstett durch die fräokischen Bischöfe von neuem ange- 
fordert werden. — Die Kheinische Eeichsritterschaft war von 
den Ghurfärsten ermahnt worden, aber das Schreiben zu spät 
zu ihrer Versanmdung gekommen. >Gleichwol,« referirte Mainz, 
»die gemütserklerung so weit erfolgt, das sies vertreulich mit 
den andern beden orten Oberlants halten wollen, und zu dank 
die ersuchung angenomen; wie man dan sonsten auch ver- 
nomen, das sie zu diesem werck nicht ungeneigt, und obwöl 
vil darunder widriger religion, so sei doch zu vermuten, wegen 
allerhand Interesse gern in die union bewilligen werden; gebe 
ein starck accession disem werck, wan man den Widersachern 
disen stand entziehen möcht.« Die Verhandlung mit den- 
selben sollte fortgesetzt und auf die beiden andern Bitterkreise 
ausgedehnt werden. — Ebenso mit den schwäbischen Grafen, 
obwohl hier das Bedenken wegen der protestantischen Mit- 
glieder mehr ins Gewicht zu fallen schien. Mit den Stiftern 



V 176 Jährh, der histor, Classe der Tc. Akad. der. Wissenschaften. 

Basel Murbach Fulda war noch nicht angeknüpft worden: es 
sollte jetzt geschehen. Fulda, meinten die Bambergischen, 
»werde nicht so alienus sein, sich in das bündniss einzu* 
lassen. c Aber es sollte ihm, sagten andere, Vorsicht seinen 
protestantischen ministris gegenüber anempfohlen werden. — 
Der Johannitermeister und Erzherzog Maximilian als Deutsch- 
meister sollten ersucht werden. — Auch Berchtesgaden wurde 
genannt: es war leicht zu erhalten durch den Coadjutor von 
Cöln. — Dagegen sollte die Verhandlung mit Trident und 
Briien von der östreichischen Verhandlung abhängig bleiben^ 
— In Betreff des Hauses Oestreich tritt keine Verschiedenheit 
der Ansicht hervor. Man ist darüber einstimmig, dass, so 
lange der gegenwärtige Streit zwischen dem Kaiser und seinem 
Bruder Mathias dauert, an Herbeiziehung des ganzen Hauses 
nicht zu denken sei. Dagegen war man geneigt, das erwar- 
tete freiwillige Anerbieten Ferdinands von Grätz anzunehmen 
und den Erzherzog Maximilian als Administrator von Tirol 
und den östreichischen Vorlanden um seinen Beitritt zu er- 
suchen. Den Erzherzog Albrecht als Kegenten der Nieder- 
lande wünschte man gleichfalls zum Bunde zu ziehen, doch 
so dass man die Betheiligung an den künftigen Kriegen der 
Niederlande mit Holland Frankreich England vermeide ; daher 
wurde auf Baiems Antrag die Sache so gefasst, dass man 
gegenseitig der HüKe sich zu versichern habe gegen einen 
Angriff von Seiten der protestantischen Keichsstände. — Ausser 
Oestreich und Baiem gab es nur noch einen katholischen welt- 
lichen Fürsten im Beich, den Landgrafen von Leuchtenberg, 
dessen Ersuchung nach dem Wunsch Baiems einstweilen ausgesetzt 
blieb. — Der Erwähnung der Balei Coblenz, Ober- und Nieder- 
Münsters, des Qotteshauses S. Blasien, des Bisthums Breslau« 
auch des Marl^rafen von Burgau und der Fugger wurde 
einstweilen keine Folge gegeben. — Von durchweg katholischen 
Beichsstädten war nur noch eine Ideine Anzahl in Schwaben 
übrig: Botweil Ueberlingen Bavensburg Wangen u. s. w. IMe 



Cameliua: ZurGesdUchte der Grundimg der deutschen Liga. 177 

sollten zum Beitritt eingeladen werden. Mit protestantischen 
Städten wie Nämberg Ulm Strassburg Frankfurt wollte man 
auf Neutralität handeln. Zwischen beiderlei Städten gab es 
andere mit starkgemischter Bevölkerung und katholischer Be- 
gierung, unter welchen insbesondere Cöln und Augsburg die 
Aufinerksamkeit auf sich zogen. Die Chur-Cölnischen Abge- 
(»rdneten legten grosses Gewicht darauf, dass man es be- 
züglich der Stadt Cöln nicht bei der blossen Neutralität be- 
wenden lasse. Die Stadt, > welche schier nummer ein vormaur 
der catholischen religion, das, wan Cöln weck, umb das stift 
erstlich, hernach auch umb Trier und consequenter umb die 
übrigen catholischen stift am Bhein geschehen wer. Wie aber 
die stat Cöln zu erpracticiem , haben sie ires theüs ein ver- 
suchen gethan; aber befunden, das sie noch zur zeit beden- 
ken tragen, vermeinend, wan ein richtikeit, das sie alsdan 
willig sich finden lassen wurden. Dörfen kein bündniss ein- 
gehn on vorwissen der gemeind, daher gross confusion zu be- 
sorgen von den zünffcen. Und die bürgerschaft also be- 
schaffen, weil sie sehen das in Gülch den Protestirenden 
glücklich abgeht, derowegen sie desto schwieriger. Gleichwol 
die geheimen zu der union für sich selbst nicht ungeneigt. 
Stehe also bei den ständen, wessen sie sich resolviem. Mit 
der neutralität sei die sache schon richtig, betten sich nitro 
dahin erklert; und doch gleichwol under die advocation der 
forsten begeben und das bistumb ausgeschlossen. Daher in 
den benachbarten fleken aufstellung der predicanten und ex- 
tmction der catholischen religion zu besorgen; auch wol die 
sectisch bürgerschaft des catholischen magistrats gar möchte 
meister, und daher auch die neutralitet verloren werden. Dero- 
wegen umb so vU desto mer die erhandlung der stat in die 
Union zu bedenken.« — Demzufolge wurde für Cöln, und eben 
so auch for Augsburg, der förmliche Beitritt zur Union als 
Ziel der Verhandlung festgesetzt. — Gegen die Au&ahme 
protestantischer Beichsforsten, wie Chur-Sachsens und Hessen- 

12 



178 Jahrh, der histor. Glosse der k. Akad, der Wissenachaften, 

Darmstadts, die bekanntlich damals eine kaiserfreundliche und 
mittlere Stellung inne hielten, erklärte sich zwar nicht Baiem, 
aber, und diess doch vermuthlich im Einverständniss mit 
Baiem, die Constanzischen und andere Abgeordneten. Es wurde 
als Grundsatz hingestellt, solche Stände möglichst als succur- 
rentes, nicht als eigentliche Mitglieder, aufnehmen. 

Was nun weiter die auswärtigen Mächte angeht, so theilte 
zuvörderst Baiem die Zusagen mit, welche der König von 
Spanien dem Pater Lorenzo gemacht hatte. — Von dem 
Papst und den italienischen Fürsten — die Zahl der zu Er- 
suchenden hatte sich allmählich weit über die ursprüngliche 
Absicht gesteigert , und die Gesandten waren jetzt beauilragt 
ausser Florenz auch ürbino Mantua Parma Savoyen und die 
Kepublik Venedig zu besuchen — erwartete man Bescheid 
nach der Kückkehr der Gesandtschaft, und es war von ihnen 
weiter in der Versammlung nicht die Bede. Nur beiläufig 
wies der eine auf die Gefahr hin, die eine Verbindung mit 
Savoyen mit sich bringe; der andere auf das Wünschens- 
werthe einer Neutralität Venedigs, den Hoffnungen gegenüber, 
welche die Protestanten sich auf den Beistand dieser Bepublik 
machten. — Die katholischen Eidgenossen liess man nicht 
ausser Acht, aber da Geldhülfe von ihnen nicht zu erwarten, 
so beschränkte man sich auf den Wunsch, durch freundliche 
Verbindung mit ihnen die Oeffnung der Pässe ihres Landes 
zu erhalten. — Die Zuziehung des Herzogs von Lotringen 
hatte Max, der sein Schwager war, von jeher eifrig gewünscht, 
aber auch immer darauf hingewiesen, dass man ihm eine 
Gegenleistung in Aussicht stellen müsse. Jetzt Hessen die 
Churfürsten ihien bisherigen Widerspruch fallen und die Ver- 
sammlung war zufrieden, dass Lotringen ein ähnlich beschränk- 
tes Versprechen wie Erzherzog Albrecht erhalte. — Polens 
Hülfe schien begehrenswerth ; doch war man verlegen, auf 
welchem Weg dieselbe zu erreichen, bis Gonstanz auf die 
Nuntien und Legaten päpstlicher Heiligkeit hinwies. — Am 



Comdim: Zur Geschichte der Gründung der deutschen Liga. 179 

meisten Bedenken fand die von Baiem jetzt wie immer vor- 
geschlagene Gesandtschaft an König Heinrich IV. Unter an- 
dern äusserte Bamberg treffend: >mit Frankreich hab Cöln 
genugsam angedeut, wessen sich derselbe könig gemeinlich 
unrichtig erkler. Hab man sich zu erinnern, wie weit es 
die Protestirenden gebracht. Derowegen mit Baiem sich gern 
vergleichen weiten auf ein mitl, den protestirenden forsten die 
französische hilf abzustricken, tragen aber die beisorg, das 
das mittel der fürgeschlagenen legation nicht fürträglich. Möcht 
etwan ein breve von bäpstlicher Heiligkeit mer fruchten. Dau 
ausserhalb diess schwerlich ein categorische antwort von 
Frankreich zu hoffen; wie solches erschein aus der antwort 
und entschuldigung, so Frankreich vor disem oftmals gegeben 
wegen Niderland, als ob die hilf aUein geschehe zu abzalung 
des vorgestreckten gelts; und weil die Protestierenden Frank- 
reich bei vorigem krieg nicht weniger als Niderland fürge- 
streckt, hab man sich gleicher entschuldigung disfals der 
orten zu versehen. Derowegen an die gesanten nach Italien 
wegen eines solchen brevis möcht geschrieben und alsdan auf 
fernere legation gedacht werden.« Doch blieb es bei dem 
bairischen Vorschlag, dessen Ziel war, Frankreich zur Hülfe 
oder wenigstens zur Neutralität zu bewegen; nur dasö der 
Discretion der Bundesobersten überlassen wurde, ob sie durch 
Gesandtschaft oder Correspondenz verhandeln wollten. Man 
fürchtete nämlich durch eine Gesandtschaft an Heinrich bei 
Spanien Anstoss zu erregen, welches nicht durch eine förm- 
liche Gesandtschaft ersucht worden war. 



12. 

Man sieht, welches Gewicht das Votum Baierns in allen 
auswärtigen Fragen behauptete. Und kaum minder war diess 
in den innem Angelegenheiten der Fall: fast alle Punkte 
wurden nach dem Wunsch des Herzogs entschieden. 

12* 



180 Jahrb, der histor. Glosse der k, AJcad, der Wissenschaften» 

Die Umlage, beschloss man, sollte nach dem Massstab 
der Eeichsmatrikel erfolgen, und alle andern Anträge wurden 
abgelehnt. Die Notification an kai. Mt. von dem Abschlüsse 
des Bundes sollte durch die Bundesobersten erfolgen, in wel- 
cher Weise beide es für rathsam hielten. Die Leistungen in 
der Artillerie, Geschütz und Munition wurden genau nach 
dem bairischen Vorschlag umgelegt, demgemäss die Beschaffung 
TOn 38 Stück Feldgeschütz mit Zubehör verordnet, und unter 
die Bundesstände nach vier Classen der Leistungsfähigkeit 
ausgetheilt. In der ersten standen neben den drei Churfursten 
Baiem Würzburg Bamberg, in der zweiten Stift Strassburg, 
in der dritten Speier Constanz Augsburg Passau, üi der vier- 
ten Worms Regensburg Elwangen Kempten und die Prälaten. 
— Als Legstätten für die Bundeskasse bezeichnete man die 
Städte Cöln und Augsburg, räumte aber auf Baiems beharr- 
liches Andringen den Bundesobersten die Freiheit der Aen- 
derung ein. — Für die vorläufige Anwerbung der obersten 
Offiziere wurde eine Summe ausgeworfen. — Anlangend den 
Namen des Bundes blieb man bei der von Baiem vorge- 
schlagenen einfachen Bezeichnung als Defensiv- oder Schirm- 
vereinigung, obgleich Constanz vielleicht den bessern Antrag 
stellte, man solle sich den erneuerten Landsbergischen Bund 
nennen. 

Nur zu der Höhe des Beitrags, welche Baiem fordeiiie, 
konnten die Stände insgesammt sich nicht verstehen. Aber 
sie kamen ziemlich weit entgegen und bewilligten statt der 
verlangten 50 Monate für das erste Jahr doch 40, daneben 
2 für den sogenannten kleinen Vorrath, der für die laufenden 
Ausgaben in Friedenszeit bestimmt war, ferner för das zweite 
Jahr 10, für das dritte 6 Monate. 

Ausserdem wurde die Bestunmung der Geldentschädigung 
för den Herzog von Baiem als Kriegsobersten einstweilen 
ausgesetzt, aus welchem Gmnd wissen wir nicht, da bei dieser 
Verhandlung die bairischen Gesandten abgetreten waren. 



Cornelius: Zur Geschichte der Gründung der deutschen Liga. 181 

Opposition machten in der ganzen Verhandlung eigent- 
lich nur die Würzburgischen Abgeordneten, die deutlich 
auf möglichste Beschränkung der Machtvollkommenheit des 
Herzogs von Baiem als Bundesobersten hinarbeiteten, ohne 
jedoch ihren Zweck zu erreichen. Unter den übrigen Ständen 
zeichnete sich Chur-Mainz durch freundliches Entgegenkonmaen 
aus, und seine Vertreter vorzüglich entschieden überall, wo 
Anstrengung nöthig war, den Sieg Baierns, oder brachten — 
ich meine die Geldfrage — den Endbeschluss so nahe als 
möglich an die Anträge des Herzogs. So viel Nachgiebigkeit 
hatte Maxinrilian selber nicht erwartet. Wir lesen in seiner 
Instruction zum Bundestag, dass seine Abgeordneten sich 
nicht sollen gefallen lassen, dass Chur-Mainz allein das Direc- 
torium bei der Berathung führe; und nun trugen, sobald die 
Bairischen in Würzburg ankamen, von freien Stücken die 
Chur-Mainzischen ihnen das alleinige Directorium an; und so 
gross war der Ernst, womit das geschah, dasß die Baiem ohne 
Gefahr eine Zeit lang der Ehre sich weigern durften. *') 

Am 10. Februar hatte die Berathung begonnen, um 
des Geheimnisses willen wurde nur den drei Churfursten und 
Baiem die Aufstellung eines Protokollisten erlaubt, und der 
Beschluss gefasst, den Abschied keinem Schreiber, sondern den 
Abgeordneten selbst zu dictiren. Diess geschah am 17. und 
wurde am 18. Februar zu Ende gebracht. Im bairischen Pro- 
tokoll wird angemerkt, diess sei der Tag, da im Kalender 
Concordia steht: ipsa nimirum die Concordiae, qua a. 48 (sie) 
Luthems omnis discordiae autor obiit. 

13. 

Hier, wo ich am Schluss angelangt bin, erinnere ich 
nochmals daran, dass ich keine Geschichte der Gründung der 
Liga versprochen habe. Wir haben gesehen, welche Menge 



(83) Donrsperg an H. Max. Würzburg 1610 Febr. 11. lY 138. 



182 Jahrb. der histor, Claase der h Akad, der Wissenschaften. 

TOn Personen und Mächten in Verbindung mit unserm Gegen- 
stand gebracht worden sind, deren Thun und Lassen zu er- 
klären die bairischen Acten, das einzige Mittel welches wir 
in Anwendung haben bringen können, ohne Zweifel unzurei- 
chend sind. Aus ihnen allein wird das wenigste völlig Mar, 
vieles bleibt ganz im Dunkel. Als Beispiel brauche ich nur 
auf die Stellung des Churfursten von Mainz zu deuten. Erst 
die Durchforschung der Papiere anderer Eeichsstände und 
andrer Staaten kann über diesen und andre Theile des Ganzen 
das gewünschte Licht verbreiten. 

Nur was den Herzog Max selbst betrifft, eihtnehme ich 
meinen Acten noch den Stoff zu folgender Bemerkung. 

Schritt für Schritt lässt sich das beharrliche Bestreben 
des Herzogs wahrnehmen, die Liga ohne Zuthun des Hauses 
Oestreich und ohne dessen Theilnahme zu gründen. Bei der 
ersten Berathung zu Eegensburg, wo Mainz den Vorsitz fahrt, 
sind östreichische Abgeordnete Theilnehmer. Als Max darauf 
die Verhandlungen in die Hände ninmit, bleibt Oestreich un- 
berücksichtigt. Von Seiten Würzburgs, von Seiten der schwä- 
bischen Fürsten wird immer wieder auf Oestreich gewiesen: 
Max ist taub; so dass vielleicht hierdurch die Verhandlungen 
eine Weile ins Stocken gerathen. Dann weiss er auf den 
Tagen zu München sowohl wie zu Mainz die Zuziehung Oest- 
reichs weg imd in die Zukunft zu schieben. Das liess sich 
fireilich vor aller Welt rechtfertigen, so weit die Ausschliessung 
den Kaiser und den König Mathias betraf, aber offenbar 
stand es doch anders mit den Erzherzogen Albrecht Maximilian 
Ferdinand. Aber es dauert bis gegen das Ende des Jahrs 
1609, ehe er nur in Bezug auf diese letzteren anfangt nach- 
giebig zu werden; und ich vermuthe, dass diess Nachgeben 
mit seinen Beziehungen zu Spanien und zu dem spanischen 
Gesandten in Prag in Verbindung stand. Unterdes hatte die 
bisherige Haltung Maximilians ihre Wirkung gethan und auf 
dem Bundestag zu Würzburg wurde die Liga wirklich ohne 



Comdius: Zwr Geschichte der Gründung der deutschen Liga, 183 

Oestreich abgeschlossen. Aber auch nach der andern Seite 
war die Wirkung nicht ausgeblieben. Noch während des 
Bundestags, Mitte Februar 1610, empfiengMax die Nachricht 
aus Som, dass weder Spanien noch der Papst das geringste 
dem Bunde zu Gunsten leisten werde, so lang das Verhältniss 
«u Oestreich nicht anders geordnet sei. Die G^chichte dieser 
Verwicklung reicht über unser Thema hinaus. Ich begnüge 
mich, den Schlüssel zu dem Verhalten Maximilians, oder was 
ich für den Schlüssel halte, vorzuweisen. 

Während des Tags zu Würzburg empfingen die bairischen 
Abgeordneten von ihrem Herrn®*) unter andern Schriften eine 
italienische Denkschrift, auf welche sie ganz besonders auf- 
merksam gemacht wurden. Sie sei, schrieb der Herzog, von 
einem katholischen Verfasser. Er wollte, dass seine Bäthe 
sie den bedeutendsten Abgeordneten der andern Stände, Dr. Götz 
und Dr. Bot, Mettemich und Buchholtz, ad partem mittheilen, 
und ihm alle ihnen zu Ohren kommenden Einwüife berichten. 
Im Fall die andern einhellig oder fast einhellig ihren Beifall 
zu den dort ausgesprochenen Gedanken geben, sollen sie dem 
wegen der Jülichschen Sache angemeldeten kaiserlichen G^ 
sandten Andeutung oder auch Abschrift davon geben, aber in 
aller Weise verheimlichen, dass sie die Schrift vom Herzog 
erhalten haben. 

Die fragliche Denkschrift liegt bei den Acten.®*) Sie 
beschäftigt sich mit der Geschichte der Reformation in Europa 
und kommt zuletzt auf den Zustand des Beichs. Das wich- 
tige steht ganz am Schluss. Die einzige Abwehr, heisst es 
dort, gegen den vollständigen Sieg der protestantischen Stände 
im Beich liegt in der engen Verbindung der katholischen zu 
gegenseitigem Schutz. Diese Vereinigung wird aber am besten 



(84) H. Max an die Bundescommissarien zu Würzbarg. München 
1610 Febr. 9. IV 123. 

(86) Discnrs etc. IV 102. 



184 Jahrb. der histor. Glosse der h. Äkad. der Wissenschaften, 

in der Art stattfinden, dass die katholisclien Beichsstände, 
die Churfürsten voran, unter Baiems Leitung zusammentreten 
und eine Union unter einander büden, dann ihre Gesammtheit 
wieder einen Bund mit dem Haus Oestreich schliesst. 

Der Verfasser knüpft an das Beispiel des Landsberger 
Bundes an, der von ihm als Muster empfohlen wird, ohne 
doch in Wahrheit mit seiner Idee durchaus übereinzustimmen. 
»Soleva esser in öermania, e credo che sia in piedi ancora, 
una lega che fu fatta, se ben mi pare, per opporsi gia alla 
violenza del marchese Alberto de Brandeburg, il quäle fattosi 
capo di gente di mal aflfare haveva formato un essercito di 
qualche consideratione et non osservando cosa che promettesse 
ne all' imperadore Carlo ne al re di Prancia, che guerre- 
giavano insieme, et essendo huomo non solo senza fede civile, 
ma anco senza religione, andava travagliando e predando gli 
stati d'altri e specialmente de prencipi catholici e de vescovi, 
et afflisse in particolare con ogni miseria di guerra ü vesco- 
vado di Bamberga, che sente ancora li danni di quella deva- 
statione. Per assicurarsi da costui, et anco per difesa delle 
cose loro contro ogni altro insulto delli heretici, si confederorno 
insieme li catholici e fecero capo e capiiano generale della 
lega ü duca di Baviera ; e questa lega che ha durata poi sempre, e 
stata molto salubre alla quiete di Germania. Bene saria 
operare che si rinovasse questa lega sotto il medesimo stato 
et generalato del duca di Baviera, et che in essa oltre gli 
altri entrassero li tre arcivescovi elettori di Mogonza, di 
Colonia, di Treviri, Tarcivescovo di Salzburg, li vescovi di 
Liegi, di Munster, d*Herbipoli, di Bamberga, di Passaw, e 
gli altri ehe sono in piedi, e insieme con questi quelle citta 
franche, nelle quali si conserva ancora il governo in mano de 
catholici. Fermata questa lega e stabiliti gli ajuti e le spese, 
che da ciascheduno si dovessero contribuire , si havrebbe da 
procurare, che li prencipi della casa d'Austria si unissero pa- 
irmentee si collegassero insieme et havessero descritte e pre- 



Cornelius: Zur Geschichte der Gründung der deutschen Liga. 185 

parate le forze de gli stati loro, per potersene valere pronta- 
mente ja ogni bisogno, et fatto questo procurare , che le forze 
e i prencipi di queste due leghe con certi leggi s'unissero e 
confederassero insieme, et che in questa speciaknente entlasse 
anco rarciduca Alberto con le forze de paesi bassi, che sarebbe 
forsi un interessarci tacitamente et senza nominarlo il re di 
Spagna.€ 

Es ist ein Gedanke, ähnlich dem vielbesprochenen unserer 
Zeit von den zweierlei deutschen Bünden: das katholische 
Eleindeutschland unter bairischer Hegemonie der engere Bund, 
im weiteren Bunde mit Oestreich. 

Die Denkschrift fand in Würzburg keinen Anklang. **) 
Aber, ich meine, es lässt sich nicht verkennen, dass diesem 
Gedanken die Liga, wie sie war, ihren Ursprung zu verdanken 
hat, und dass auch femer ihr Glück und ihr Unglück bis 
zum Ende aus ihm wie aus einem Samenkorn hervorgegangen ist. 



(86) Donrsperg u. Tanberg an H. Max. Würzburg 1610. Febr. 13. 
IV 144. 



m. 



Die 



fränkischen Königsannalen 



und ihr Ursprung 

von 

W. Criesebrecht. 



in. 

Die 

fränkischen Eönigsannalen und ihr TJrspmng. 



Die Merovinger haben unseres Wissens Nichts gethan, 
um das Andenken ihrer Thaten dnrch die Schrift zn erhalten, 
unsere Eenntniss ihrer Geschichte beroht abgesehen von dem 
Material, welches mehr zufällig eine historische Bedeutung ge- 
wonnen hat, auf Aufzeichnungen von Geistlichen , welche von 
den Ereignissen ihrer Zeit auf eigene Hand und nach eigenem 
Ge&llen, was ihnen erheblich schien, der Nachwelt überlieferten. 
Die Geschichten des Gregor von Tours, des sogenannten Fredegar 
und das Buch von den Thaten der Franken sind von den 
Merovingem selbst weder veranlasst noch beeinflusst worden. 

Anders die Pippiniden von ihren Anfingen an. Die letzten 
Fortsetzungen des Fred^ar sind von Karl Martell's Bruder 
und Neffen unmittelbar hervorgerufen und tragen durchaus 
den Gharacter von Schriften, welche man im Interresse des in 
der Macht stehenden Geschlechtes verfasste. Die Schreiber der- 
selben sind gut unterrichtet, aber sie sagen nur, was sie sagen 
sollen, und schweigen, wo das Schweigen den Pippiniden vor- 
theilhafter schien. Auch Karl der Grosse hat dann für das 
Andenken seiner Vorfahren und die Erhaltung seines eigenen 
Buhms gesorgt. Es ist bekannt, wie er Paul Wame&ied*s Sohn, 
den Geschichtsschreiber der Langobarden, an seinen Hof zog; 
dort schrieb Paul jene Geschichte der Metzer Bischöfe, welche 
die Vorfahren des Königs so hoch erhob. Als Earl's Verhält- 



190 Jahrb. der histor. Glosse der k. Äkad. der Wissenschaften, 

niss zu Born durch Irenens offenen Bruch mit den Bilder- 
stürmern ein sehr bedenkliches wurdß, liess er alle Schreiben 
der Päbste an seinen Grossvater, Vater und ihn selbst zu- 
sammenstellen und bewahrte damit nicht nur seinen Nachfolgern, 
wie es seine nächste Absicht war, die wichtigsten Documente 
auf, sondern erhielt auch für alle Folgezeit historische Acten- 
stücke von unvergleichlichem Werthe. Es war etwa um die- 
selbe Zeit, dass unter seinem Einfluss ein Qeschichtswerk be- 
gonnen wurde, welches in zweifacher Beziehung eine ausser- 
ordentliche Bedeutung besitzt; einmal weil wir ohne dasselbe 
über seine wie seiner nächsten Nachfolger Eegierung sehr 
mangelhaft unterrichtet sein würden, dann weil es in seiner 
Form auf die Geschichtsschreibung des Mittelalters Jahrhun- 
derte lang Einfluss geübt hat. 

Dieses bedeutsame Werk, unter Karl begonnen, ist unter 
der Regierung seiner Nachfolger bis zum Jahre 882 fortge- 
setzt worden. Ein fränkischer Schriftsteller bezeichnet das Ganze 
mit dem Namen Annale gestorum nostrorum regum oder kürzer 
Annale regum; ^) in einer Brüsseler Handschrift führt es die 
Aufschrift: »De gestis regum Francorum, (ex) quo Earlo de- 
functo Carlomannus et Pipinus fratres regnum adepti sunt Fran- 
corum« *) und dies scheint der ursprüngliche Titel des Werkes 
zu seiQ. Wattenbach hat neuerdings nach Andeutungen Bankers 
das Werk als amtliche Beichsannalen bezeichnet; der Aus- 
druck fränkische Königsannalen wird dem alten Titel genauer 
entsprechen. Der Ausgangspunkt (741) ist wohl nicht zufällig; 
man begann mit der Begierung dessen, der zuerst in dem neuen 
Herrschergeschlecht der Königsnamen gewann. 

Pertz, der im ersten Bande der Monumenta Germaniae 
zum ersten Male einen zuverlässigen Text dieser Annalen heraus- 
gab, hat sie nicht in ihrer Gontinuität abdrucken lassen, son- 



(1) Hincmari Opera ed. Sirmondi 11 p. 292. 832. 

(2) Monum. Genn. II p. 192. 



(riesebrecht: Die fränkischen Königsannalen. 191 

dem in zwei getrennten Hälften, von denen er die erste (741— 
829) als Annales Lanrissenses et Einhardi, die zweite als 
Annales Bertiniani (830 — 882) bezeichnet. Die zweite Be- 
zeichnung ist lediglich von dem Fundorte der Handschrift her- 
genommen, aus welcher dieser Theil der Annalen zuerst be- 
kannt wurde; die erste beruht auf der Ansicht, welche Pertz 
über die Entstehung der früheren Abschnitte des Werks hegt. 

So gewiss es ist, dass diese Königsannalen in der karo- 
lingischen Zeit als ein zusammenhängendes Werk angesehen 
wm*den, ebenso steht fest, dass ein volles Jahrhundert an den- 
selben gearbeitet hat, dass es von verschiedenen Autoren ab- 
gefasst ist, und dass wir diese Autoren nicht in untergeord- 
neten Stellungen zu suchen haben. Denn es ist Thatsache, 
dass der Bischof Prudentius von Troyes und der Erzbischof 
Hincmar von Beims die letzten Abschnitte der Annalen verfasst 
haben. ') Aber wie das Ganze allmählich erwachsen ist, in 
welchen Absätzen es entstand, von welchen Verfassern und zu 
welcher Zeit namentlich die früheren Theile des Werkes nieder- 
geschrieben sind, darüber fehlt es bisher an einer abschliesseur 
den Untersuchung, obgleich von verschiedenen Seiten darüber 
verschiedene Ansichten aufgestellt sind. Zur Erledigung dieser 
Fragen, die besonders für die Geschichte Karl's des Grossen 
von Bedeutung sind, möchten die nachfolgenden Erörterungen 
Einiges beitragen; sie beschränken sich lediglich auf jene ersten 
Abschnitte des Werks, welche Pertz mit dem Namen Annales 
Lanrissenses et Einhardi bezeichnet hat. 

Mit Becht sind alle neueren Untersuchungen von der An- 
sicht ausgegangen, welche Pertz in der Einleitung zu seiner 
Ausgabe der Annalen über ihre Entstehung aufgestellt hat. 
Pertz's Ansicht fasst sich kurz darin zusammen, dass der Grund 
zu dem Werke in dem Kloster Lorsch gelegt sei , dort seien 



(3) Hincmari Opera ed. Sirmondi II p. 292. Richeri Hist. praef. 
Mon. Germ. Script. HI p. 668. 



192 Jahrb. der histor, Classe der k, Akad, der Wissenschaften, 

die ersten Theile desselben etwa im Jahre 768 niederge- 
schrieben und mit der Aufzeichnung gleichzeitiger Nachrichten 
bis 788 fortgeschritten, dann seien die Annalen Einhard, dem 
Freunde der Lorscher Mönche, bekannt geworden und dieser 
habe sie, so lange er am Hofe lebte, bis 829 allmählich fort- 
gesetzt, endlich auch noch eine Umarbeitung der früheren 
Partieen vorgenommen. Alles dies stellt Pertz selbst nur als 
eine Hypothese auf, die wesentlich darauf ruht, dass einst er- 
weislich eine alte Handschrift der Annalen, die mit dem 
Jahre 788 schloss, in Lorsch vorhanden war, und dass anderer- 
seits ausdrücklich bedeutende Theile des Werks von einem 
anonymen Schriftsteller des zehnten Jahrhunderts Einhard zu- 
geschrieben werden, *) Die Verschiedenheit der Diction und 
Darstellungsweise schienen dann weiter dafür zu sprechen, die 
Autorschaft zwischen dem Lorscher Mönch und Einhard so zu 
theilen, wie Pertz es that. Diese Hypothese schliesst sich an 
die Meinung an, welche schon früher Du Chesne über Einhard als 
Verfasser der Annalen ausgesprochen hatte, und die freilich 
nicht ohne Anfechtung geblieben war; Pertz hat indessen die 
erhobenen Einwendungen meist glücklich beseitigt und zugleich 
die Argumente, die ffir Einhard*s Autorschaft zu sprechen schei- 
nen, erweitert und befestigt. 

Pertz's Ansicht hat dann vielfache Zustimmung gefunden 
und ist heute noch am weitesten verbreitet. Aber auch an 
Widerspruch hat es nicht gefehlt. Schon mein Oheim Ludwig 
Giesebrecht hat sie in wesentlichen Stücken modificiren zu müs- 
sen geglaubt. *) Viel weiter ging Julius Prese dann in seiner 
Dissertation de Einhardi vita et scriptis (Berolini 1846) und 
bestritt jed^n Antheil Einhard's an den Annalen. Bänke in 



(4) Der Verfasser der Translatio S. Sebastiani nennt Einhard als 
Autor eines Annalenwerks mit dem Titel Gesta Caesarum Caroli 
Magni et filii ipsius Hludowici und fuhrt daraus eine Stelle an, die 
sich in unsenx Annalen z. J. 826 findet. 

(5) Wendische Geschichten III S. 282 ff. 



Giesehrecht: Die fränkischen König sanndkn. 193 

einer Abhandlung zur Kritik fränkisch-deutscher Beichsanoa- 
listen (Berlin 1855) stellte den Antheil Einhard^s zwar nicht 
in Frage, wohl aber den Antheil des Lorscher Klosters; denn 
nach seiner Ansicht müssten die Annalen von Anfang an 
am fränkischen Hofe und unter dem Einfluss desselben ge- 
schrieben sem. 

Waitz *) und Wattenbach ^) haben sich im Wesentlichen 
Bankers Ansicht angeschlossen. Ob die spätere Fortsetzung 
und Umbildung der Annalen Einhard's Werk sei, liess Waitz 
dahingestellt, jedenfalls aber meinte er die Notizen von 789 
bis 795 noch Einhard absprechen zu müssen. Endlich hat 
Bernhard Simson noch einmal die Frage über Einhard's An- 
theil an dem Annalenwerk in einer besonderen Dissertation ^) 
eingehend untersucht: seine Forschungen haben ihn zu keinem 
sicheren Besultate gefahrt, doch neigt er sich augenscheinlich 
mehr Frese's als der entgegenstehenden Ansicht zu. So ist 
schliesslich in Pertz's Hypothese kein Funkt unangefochten 
geblieben, und wenn er selbst den Wunsch aussprach, dass 
abweichende Meinungen laut werden möchten, so ist derselbe 
erfüllt worden. Aber noch hat keine dieser abweichenden 
Meinungen sich befestigen können, und in dem Widerstreit 
derselben bleibt for die weitere Forschung Baum. 



Wir beginnen mit dem ältesten, grundlegenden Theile 
des Werks, mit den Annalen bis zum Jahre 788, die nach 
Pertz im Kloster Lorsch, nach Anderen am fränkischen Hofe 
aufgezeichnet sein sollen. Wo sie abgefasst wurden, wird sich 



(£) Nachrichten von der Göttinger Societät 1857. S. 62. 

(7) Deatschlands Geschichtsqnellen S. 106. 107. 

(8) De stata quaestionis, sintne Emhardi necne sint, qao8 ei 
aMsibunt, umales ünperii specimen. (Regimonii 1860.) 

13 



194 Jahrb. der histor. Classe der k, Äkad, der Wissenschaften. 

vielleicht näher bestimmen lassen, wenn wir zuvor die Zeit 
und die Motive der Abfassung zu ermitteln suchen. L, Giese- 
brecht hat gegen Pertz behauptet, dass diese Annalen nicht 
seit 768 allmählich entstanden, sondern ein*zusammenhängen- 
des, in einem Zuge nicht vor dem Jahre 788 niedergeschrie- 
benes Werk seien, und seine Gründe dafür sind völlig über- 
zeugend. So konnten z. B. die Worte z, J. 781: non diu 
praefatus dux Tassilo promissionis, quas fecerat, conservavit 
nicht gleichzeitig niedergeschrieben werden, da Tassilo's Treu- 
bruch erst 787 erfolgte. Verlangte man weitere Beweise, so 
liesse sich auf die Notiz z. J. 777 verweisen: domnus Carolus 
rex sinodum publicum habuit ad Paderbrunnen prima vice; 
sie kann nicht damals abgefasst sein, sondern erst nach 785, 
wo Karl zum zweitenmale, wie die Annalen selbst angeben, 
zu Paderborn das Maifeld hielt. Unzweifelhaft ist demnach, 
dass dieser Theil der Königsannalen nicht vor dem Jahre 788 
entstanden ist. Aber unmittelbar in diesem Jahre oder in der 
nächsten Zeit ist derselbe niedergeschrieben. Dafür spricht 
die Darstellung der letzten Jahre, wo augenscheinlich zeit- 
genössische Ereignisse berichtet werden; dafür spricht der starke 
Ausdruck z. J. 785: tunc tota Saxonia subiugata est, wel- 
chen der Verfasser nicht wählen konnte, wenn ihm der Aus- 
bruch der sächsischen Unruhen 793 schon bekannt gewesen 
wäre. 

Sind nun die Annalen bis 788 ein zusammenhängendes, 
in diesem Jahre oder bald darauf niedergeschriebenes Werk, 
so liegt es nahe, das Motiv der Abfassung in dem wichtigsten 
gleichzeitigen Ereigniss zu suchen, und dies war ohne Frage 
die Entsetzung des Herzogs Tassilo von Baiem. In der That 
finden wir diesen Vorgang nicht allein mit allen Nebenum- 
ständen in ungewohnter Ausführlichkeit zu den Jahren 787 
und 788 dargestellt, sondern es kann uns, einmal den Blick 
hierauf gerichtet, auch kaum entgehen, wie von Anfang der 
Annalen an das Verhältniss Baiems zum Frankenreiche mit 



Giesebrecht : Die fränkischen Königsannalen, 195 

besonderer Sorgfalt beachtet und vor Allem die Lehnsabhängig- 
keit des baierischen Herzogs mit einer gewissen Absichtlichkeit 
hervorgehoben wird. 

Schon 743 wird eines Kampfes zwischen dem Baiem- 
herzog Odilo nnd den Frankenkönigen gedacht, dann 748 die 
Einsetzung Tassilo's per beneficium berichtet. Die Annalen, 
sonst in diesen Anfangen einsilbig genug, melden sehr aus- 
führlich, wie dann Tassilo 757 vor Pippin zu Compiegne er- 
•scheint und den Vasalleneid erneuert. Dass der Herzog die- 
ses Eides vergisst und beim Zuge gegen Aquitanien das Heer 
Pippin's verlässt, vergisst darauf nicht der Annalist z. J. 763 
mit grosser Schärfe hervorzuheben; man weiss, wie dieses Ver- 
gehen noch nach langen Jahren für Tassillo verhängnissvoll 
wurde. 781 begann das zuerst freundliche Verhältniss zwischen 
Karl d. Gr. und Tassilo schwierig zu werden; Karl und der 
Papst schickten damals Geschenke an den Herzog und diesen 
gelingt die Herstellung des guten Vernehmens. Auch hierüber 
wird in den Annalen ausführlich gehandelt; die Namen der 
Gesandten finden sich genau verzeichnet. Schon wenige Jahre 
nachher brach der Unfriede von Neuem aus; 787 sandte 
Tassüo den Bischof Arno von Salzburg und den Abt Hunrich 
von Monsee nach Kom, damit der Papst eine Ausgleichung 
vermittele. Von den Verhandlungen dieser Gesandten mit Karl 
und dem Papste gibt uns der Annalist die genaueste Kunde, 
wie sie nur von den unmittelbar bei denselben betheiligten 
Personen ausgehen konnte. Die Ereignisse, welche zum Sturz 
Tassilo's führten, werden dann, wie bereits erwähnt, mit aller 
Ausführlichkeit erzählt, und der Verfasser schliesst seine Arbeit 
mit dem Bericht über die Avarenkämpfe des Jahres 788, welche 
durch die Intriguen Tassilo's »und seines böswilligen Weibes, 
der Gott verhassten Luitberga« erregt sein sollen. Wie oft 
der Annalist nun auch inmitten von andern Dingen erzählt, 
nicht von ferne werden sie mit der Sorgfalt und dem persön- 
lichen Interesse dargestellt, wie die baierischen Angelegenheiten ; 

13* 



196 Jahrb. der histor. Clasfte der k, Akaä, der WiseemchafUn, 

die Hinweisung auf Tassilo's Lehnseid nnd die Folgen dea* 
selben hält gleichsam die ganze Erzählung zusammen, wie der 
Refirain die Strophen eines Liedes. 

Dass der Annalist tief in die Verwickelungen, welche zu 
Tassilo's Sturz führten, eingeweiht war, dass er ein persönlicheg 
Interresse an demselben hatte, und dieses Interesse zuerst zur 
Abfassung der Annalen führte, dürfte Niemandem zweifelhaft 
bleiben, der das Werk im Zusammenhang liest. Aber eben 
so wenig kann darüber ein Zweifel obwalten, dass dasselbe 
nicht nur ganz im Interesse EarFs d. Gr. , sondern auch 
recht eigentlich für ihn geschrieben ist. Der König wird fast 
immer mit den ehrendsten Beinamen geziert; er gewinnt unter 
dem unmittelbaren Beistand Gottes und des heiligen Petrus 
seine Siege. Seine Niederlagen werden verschwiegen, wie z. B. 
der üeberfall in den Pyrenäen, jeder zeitweise Erfolg der 
sächsischen Waffen. Alles wird vermieden, was den König 
unangenehm berühren könnte; der Streitigkeiten in der herr- 
schenden Familie wird z. B. mit keinem Worte gedacht. Die 
Darstellung von Tassilo's Sturz ist ausführlich genug, aber sie 
ist ebenso parteiisch fär Karl, wie gegen den Baiemherzog. 
Wer Karl nur nach diesen Annalen beurtheilen wollte, müsste 
ein falsches Bild von ihm gewinnen. 

Der Verfasser ist, wie aus jeder Silbe hervorgeht, ein 
Geistlicher, doch hat sein Werk mehr eine politische, als kirch- 
liche Tendenz. Vor allem zeigt er sich als Staatsmann und 
Hofinann, dem an der Gunst seines Königs Alles gelegen ist; 
sie soU erhalten, vielleicht erst gewonnen werden. Die Schreib- 
art, welcher sich der Annalist bediente, mochte ihn weniger 
empfehlen, als der Inhalt seines Werks; er schreibt noch in 
jener verdorbenen Latinität, welche sich im siebenten Jahr- 
hundert als Geschäftssprache ausgebildet hatte und bis in 
EarFs Zeiten sich fortschleppte, wo sie Alcuin mit seinen 
Iteunden und Sdiülem endlich glücklich beseitigte. 

Dass nun ein Werk dieser Tendenz und Beschaffenheit 



Gieaebrecht: Die fränkischen Kanigsannalen. 197 

vou einem Lorscher Mönch in seinem Kloster abgefasst sei, 
ist wenig glaublich. Wir kennen andere Annalen, die zu der- 
^Iben Zeit dort niedergeschrieben wurden und die von Pertz 
unter dem Namen Annales Laureshamenses herausgegeben sind: 
weder äusseiüch noch innerlich zeigen sie mit unserem Werke 
die geringste Verwandtschaft. Die Existenz einer alten Hand- 
43chrift desselben in Lorsch, die mit dem Jahre 788 schloss 
und der dann später längere Notizen aus den E^osterannalen 
bis 793 hinzugefügt waren, ^) beweisst nicht, dass die Königs- 
annalen dort entstanden sind, sondern macht nur wahrschein- 
lich, dass sie früh dorthin gelangten. Wie das geschah, ist 
leicht zu begreifen. Tassilo verlebte in Lorsch seine letzten 
Jahre, und Karl hatte kein geringes Interesse daran, dass 
man das Schicksal des Baiernherzogs dort als ein selbstver- 
schuldetes ansah, wie es die Annalen schildern. 

Eher liesse sich annehmen, dass die Königsannalen von 
Anfang an am Hofe Karl's niedergeschrieben seien, von An- 
fang an gleichsam auf officieller Abfassung, wie es Bänke an- 
gedeutet hat, beruhten. Nicht allein die Tendenz der Arbeit 
würde sich so leichter erklären, sondern auch begreiflich sein, 
woher der Verfasser über die letzten Vorgänge so wohl untere 
richtet war. Dennoch wage ich den Verfasser nicht unter der 
Hofgeistlichkeit zu suchen. Schon bestand zur Zeit, wo das 
Werk entstand, die Hofschule, und die Karl unmittelbar mit- 
gebende Geistlichkeit hatte von Alcuin und Paul WameMd's 
Sohn doch schon mehr Verständniss für reine Latinität g^ 
Wonnen, als der Annalist zeigt. Die Ausdrucksweise der Gar 
pitularien jener Zeit ist gerade nicht musterhaft, aber von der 
Diction unserer Annalen doch sehr verschieden. Hätte Karl 



(9) Eine Abschrift dieses alten Exemplars war in München in 
der Bibliothek Ghurforst Maximilians I und wurde von Canisius (Lect. 
ant. 111 p. 187) benutst. Weder das Lorscher Original noch die Man- 
ebener Copie finden sich jetzt vor. 



198 Jahrh. der histor. Classe der k. Akad. der Wissenschaften, 

in seiner unmittelbaren Nähe einen Herold seiner Thaten ge- 
sucht, er hätte in jedem Schüler Alcuins einen besseren Stilisten 
gefanden. Auffällig wäre femer bei einem Schriftsteller des 
Hofes die völlige ünbekanntschaft des Annalisten mit den 
Fortsetzungen des Fredegar, die doch für der Hof eine Art von 
ofificiellem Ansehen hatten. Endlich ist der Character der spä- 
teren Fortsetzungen des Werks selbst, die unzweifelhaft am 
Hofe entstanden und deutlich die officielle Abfassung verrathen, 
so durchaus verschieden, dass mir unmöglich scheint, dass die 
Entstehung des ganzen Werks eine gleichartige sei. Die spä- 
teren Fortsetzungen «eigen jene Zurückhaltung persönlichen 
ürtheils, jenen Schein objectiver Darstellung, der sich für 
officielle Schriften eignet; in den Annalen bis 788 kann ich 
Nichts von dieser Eigenschaft entdecken. Der Verfasser giebt 
sich als den unbedingten Bewunderer Karl's, als den persön- 
lichen Widersacher Luitberga's unverhohlen zu erkennen. 

Und wo anders sollte man nun den Verfasser suchen, als 
in dem Lande, mit dessen Verhältnissen er sich am genauesten 
bekannt zeigt? unzweifelhaft war er ein Deutscher. Er zu- 
erst gebraucht den Ausdruck Theodisca lingua und offenbar 
in der Bedeutung seiner Volkssprache. Die Länder diesseits 
des Rheins (Sachsen, Thüringen, Ostfranken) kennt er; von 
ihren Schicksalen erzählt er mit Vorliebe. Besonders aber be- 
schäftigt ihn, wie wir wissen, Baiem ; bei der Reise der Köni- 
gin Berta nach Italien im Jahre 770 vergisst er nicht zu 
bemerken, dass sie ihren Weg per Baioariam nahm. ^®) So 
weist der Inhalt des Werks zunächst auf seine Entstehung 
in Baiem hin, und nicht minder die Diction desselben. Die 
litterarische Beschäftigung war damals hier schon reger, als 
in den andern deutschen Ländern, aber von den Bestrebungen 
Alcuin's und der Hofschule Hessen sich hier bis 795 nur ge- 



(10) Schon dem Ueberarbeiter schien dies eine werthlose Notiz, 
die er desshalb fortliess. 



Giesebrecht: Die fränkischen Königsannalen. 199 

ringe Einwirkungen verspüren. Erst damals schickte Arno 
von Salzburg junge Leute zu ihrer wissenschaftlichen Ausbil- 
dung nach Tours zu Alcuin, und der grosse Lehrer sandte 
seinen geliebten Schüler Wizo (Candidus) nach Salzburg, um 
dort zu lehren. ^^) So wurde für die granmiatisch-rhetorische 
Bildung der Alcuinischen Schule allmählich auch in Baiem der 
Boden bereitet. Dass man aber dort um 788 noch den Stil un- 
serer Annalen schrieb, zeigt das berühmte Güterverzeichniss der 
Salzburger Kirche, welches Arno in demselben Jahre mit Zu- 
stimmung Karl's durch den Diakon Benedictus abfassen Hess. 
Arno selbst schrieb trotz seines früheren Aufenthalts in Gallien 
noch ein durchaus barbarisches Latein, wie wir aus dem ein- 
zigen Briefe schliessen müssen, der uns von ihm erhalten ist. ^*) 
Wiederholentlich hat unsere Untersuchung schon auf die- 
sen Mann geführt, der vordem Tassilo's Vertrauter war, dann 
aber einer der ersten Günstlinge Karl's. In alle politischen 
und kirchlichen Angelegenheiten jener Zeit tief verwickelt, hat 
er zugleich, obwohl kein Gelehrter, für die Hebung des Bil- 
dungszustandes in Baiem einen rühmlichen Eifer gezeigt; an 
litterarischer Production, zumal wenn sie practischen Zwecken 
diente, fand er, der Busenfreund Alcuiii's, grosses Gefallen. 
Einen für jene Zeit beträchtlichen Handschriftenschatz sammelte 
er in Salzburg. Ausser dem genannten Güterverzeichniss ver- 
anlasste er die Zusammenstellung eines Formelbuchs, welches 
erst neuerdings durch Eockinger bekannt geworden ist. ^') 
Wir besitzen noch jetzt kurze annalistische Aufzeichnungen, 
die in seiner Zeit in Salzburg entstanden sind. ^*) Mich will 
bedünken, unter den Baiern jener Zeit gäbe es keinen, dem 



(11) Alcuini Opera ed. Froben. Epp. 30. 55. 73. 76. 

(12) Monumenta Boica XIV. p. 351. 

(13) Quellen und Erörterungen Bd. VII. 

(14) Annales Juvavenses majores et minores. Mon. Germ. Script. 
I. p. 87—89. III p. 122. 123. 



200 Jahrb. der kutor. Glosse der k. Akad. der Wissenschaften, 

die Urheberschaft unserer Annalen passender beigemessen werden 
dürfte 9 als ihm. Ob er selbst sie niederschrieb oder jenem 
Diakon Benedictos oder einem andern Geistlichen seines Stifts 
die Abfassung übertrug, darüber habe ich keine Yermuthung, 
aber die stärkste, dass Arno als der eigentliche Urheber des 
Werks zu betrachten sei, welches wahrscheinlich von Karl selbst 
angeregt und sicherlich für ihn bestimmt war. 

Vergegenwärtigen wir uns in den Hauptzügen den Lebens- 
gang dieses einflussreichen Kirchenfürsten. Um 745 wurde 
Arno, aus einer begüterten Familie, im Freisinger Sprengel 
geboren und in Freising erzogen, wo sich der Bischof Aribo 
(763 — 782) durch Pflege der Litteratur einen Namen machte. 
Als Arno in die Mannesjahre trat, verliess er Baiem und ging 
nach Gallien; ^^) es war in der Zeit, wo das Yerhältniss 
zwischen Karl und dem Baiemherzog noch günstig stand. 
782 finden wir Arno dann als Abt in dem Kloster des hl. 
Amandus zu Elnon im Henuegau. Damals kam Alcuin an den 
fränkischen Hof, und es wurden seiner Leitung die Abteien 
zu Ferrieres (im Sprengel von Sens) und St. Lupus zu Troyes 
übertragen. Alcuin und Arno näherten sich als Amtsgenossen 
xrnd legten den Grund zu einer Freundschaft, die von Jahr zu 
Jahr an Festigkeit und Innigkeit gewann. Die sprechendsten 
Beweise des vertrauten Verhältnisses beider Männer besitzen 
wir in Alcuin's Briefen an Arno, die aber leider erst mit dem 
Jahre 790 beginnen. ^*) Die Freunde wurden bald getrennt. 
Arno kehrte nach Baiem zurück und erhielt 785 das Bisthum 



(15) üngewöhjjlich war das nicht. 756 starb der Bischof Wik- 
bert von Tours, früher Abt von St. Martin in Köln ; er war Baier von 
Geburt und ein Verwandter der Agilolfinger. Man rühmt ihm nach, 
dass er mit eigener Hand Bücher abschrieb. Annales Petaviani. 
Mon. Germ. I p. 18. 

(16) üeber das Yerhältniss beider Männer zu einander sehe man 
4en Aufsatz von H. Zeissberg in der Zeitschrift für das östereichische 
Gymnasialwesen Bd. XIII. 



Giesebrecht: Die fränkischen Königsannolen. 201 

• 

Salzburg. Tassilo, dessen Stellung zu Karl sich übler umd 
übler gestaltete, mochte Gewicht darauf legen , einen mit den 
MnMschen Verhältnissen so vertrauten Mann in seine N^e 
zu ziehen; sicher ist, dass er ihn alsbald in den wichtigsten 
politischen Geschäften gebrauchte. Als er ihn mit dem Abt 
Hunrich von Monsee 787 an Papst Hadrian sandte, vertraute 
^er ihm gleichsam seine Herrschaft und sein Leben an. Kad 
und Hadrian haben jedoch in Bom offenbar mehr über Arno 
vermocht, als das Interesse seines Herzogs. Der Papst rieth 
Tassilo sich in aller Güte dem Gebot des mächtigen Frankenr 
königs zu fagen, und man kann kaum zweifeln, dass Arno 
nachdrücklich die Meinung des Papsts vor Tassilo unterstützte. 
Aber Luitberga stachelte ihren Gemahl gegen den Franken- 
könig auf, und Tassilo hatte bald zu beklagen, dass er ihren 
Anreizungen Gehör schenkte. Wenn Baiern dann unmittelbar 
unter fränkische Hoheit kam, hatte Arno dies am wenigsten 
2u beklagen; schon besass er das Vertrauen des Frankenkönigs 
und stieg dann in dessen Gunst mit jedem Jahre höher. In 
den wichtigsten kirchlichen und politischen Geschäften brauchte 
ihn Karl. Im Jahre 797 wurde er mit grossem Gefolge nach 
Bom gesandt. Bedeutende Aufträge des Königs führten ihn 
dorthin, ^^) zugleich aber betrieb er die Erhebung Salzburgs 
zum Erzbisthum. Mit dem Pallium 798 heimkehrend, wandte 
er sich dann der Bekehrung der Karantanen zu. Auch hierin 
handelte er in Karl's Auftrag, und es steht wohl mit dem- 
•selben in Zusammenhang, dass ihm der König per beneficium 
das Kloster Innichen im Pusterthal übergab, welches bis da- 
hin dem Bisthum Freising gehört hatte. **) Schon 799 geht 
Arno abermals nach Bom, um Papst Leo HI zurückzuführen 



(17) Roth, Feudalität und Unterthanenverband S. 110. Nioht 
796, sondern erst im folgenden Jahre scheint Arno die Reise ange^, 
getreten zu haben. Vgl. Annales Juvayenses minores. 

(18) Roth a. a. 0. S. 94. 



202 Jahrb. der histor, Glosse der k, ÄJcad, der Wissenschaften, 

und die Händel desselben mit den Bömem beizulegen. Dann 
erscheint er unter den ersten Missi dominici, nachdem dem- 
Institute eine neue Bedeutung gegeben war. ^*) Wie tief er 
in Karl's Absichten eingeweiht war, zeigen deutlich Alcuin'& 
Briefe. 

Mir scheint, alle Eigenthümlichkeiten unserer Annalen 
lassen sich aus Amo's Persönlichkeit und Lebensgang unge- 
zwungen erklären. Er stand dem fränkischen Hofe nahe, ohne- 
ihm unmittelbar anzugehören; er war mit den Ländern dies- 
seits des Rheins bekannt, aber hatte auch jenseits gelebt; die^ 
baierischen Verhältnisse waren ihm durchsichtig, wie kaum 
einem andern, und er hatte das grösste Interesse sie gerade^ 
so darzustellen, wie es in den Annalen geschieht; er hatte 
alle Veranlassung das Unheil Tassilo's dem bösen Weibe auf- 
zubürden und »den mildesten, gütigsten, gnädigsten, fromm- 
sten Herrn König Karl« *®) auf jeder Seite des Werks in dem 
glänzendsten Lichte zu zeigen, jeden Makel zu verhüllen, der an 
Karl's Regierung und dem Ruhme der Franken haftete. **) 



(19) Auch hierauf scheint Aruo einen bedeutenden Einfluss ge- 
übt zu haben, wie ein Brief Alcuin's an ihn aus dem Jahre 799 oder 
800 (ep. 152) zeigt. Dort heisst es: Quod vero tua bona pro mul- 
torum salute Providentia suadendum mihi censuit dulcissimo meo- 
David de missorum electione, qui discurrere iubentur ad iustitias 
faciendas, scias certissime, et hoc me saepius fecisse et suis quoque- 
suadere consiliariis. Sed pro dolor! rari inveniuntur etc. 

(20) Ganz in derselben Weise wird der domnus excellentissimus 
piissimus rex Karolus in dem Congestum Amonis erwähnt. , 

(21) Man könnte einwenden, dass Arno nicht die Worte dea 
Papstes gegen Tassilo's Gesandte z. J. 787 würde aufgezeichnet ha- 
ben, worin ihnen Unbeständigkeit und Lügen vorgeworfen scheinen. 
Aber diese Vorwürfe beziehen sich offenbar auf Tassilo und seine 
Genossen, und schon Regino hat sie nicht anders verstanden. Aller- 
dings schreibt der Annt^list so schlecht, dass grammatisch auch eine 
andere Auffassung möglich ist und selbst der Umarbeiter der Annalen 
sich täuschen liess. 



Giesehrecht: Die fränkischen Königsannalen. 203 

Noch ein Punkt scheint der Erwägung werth. Schrieb 
der Annalist erst um 790, so muss man erwarten, dass er bei 
der Natur seiner Bemerkungen, die bis etwa z. J. 772 meist 
nur aus kurzen, chronologisch an einander gereihten Notizen 
bestehen, einen Anhalt gehabt, dass er ältere Aufzeichnungen 
benützt hat. Bemerkt wurde bereits, dass ihm die Fortsetzungen 
des Fredegar, mit denen er viel mehr hätte leisten können, 
nicht zu Gebot standen. Dagegen lassen sich zwei ältere 
annalistische Werke nachweisen, die er benützt haben muss* 
Es sind dies zuerst die Annales S. Amandi, theils aus älteren, 
wahrscheinlich in Köln gemachten Aufzeichnungen bestehend, 
theils im Amanduskloster selbst zu derselben Zeit niederge* 
schrieben, als Arno dort Abt war. Sie sind ihrem Inhalt nach 
ganz, oft auch in ihrer ursprünglichen Form in unsere Anna- 
len übergegangen. Zweitens ist eine Compilation benutzt, in 
welche die eben erwähnten, wahrscheinlich kölnischen Annalen 
um das Jahr 780 mit anderen verbunden wurden, welche in 
einem alamannischen Kloster begonnen und dann in Gorze 
bei Metz fortgeführt waren; ^*) diese Compilation sind die so- 
genannten Annales Petaviani, deren Entstehung ohne Zweifel 
ebenfalls nach Gorze zu setzen ist. 

Allerdings ist mit diesen beiden Annalen nicht alles Ma- 
terial unserer Annalisten gegeben, aber doch das Meiste, was 
er far die Anlange seiner Arbeit verwerthet hat. Manches 
mochte er aus andern Quellen gewinnen, wie namentlich die 
Angaben über das Hoflager der Könige zur Weihnachts- und 
Osterzeit. Wie solche Notizen verbreitet wurden, sieht man 
aus einer von Pertz entdeckten Handschrift des Klosters 
S. Germain des Pros. **) Sie gehört dem Anfange des neunten 
Jahrhunderts an und beginnt mit kurzen Notizen, die sich 
erst auf das Bisthum Lindesfame, dann auf Canterbury be- 



(22) Mehr hierüber im Anhang I. 

(23) Mon. Germ. Script. IV p. 2. 



204 Jdhrb, der histor. Glosse der k. Akad, der Wissenschaften. 

ziehen; hieran schliessen sich Angaben über den Aufenthalt 
Earl's an den Osterfesten von 782 bis 787. Diese Annsden 
mit den Festangaben, deren Entstehung Pertz mit grösster 
Wahrscheinlichkeit auf Alcuin zurückgeführt hat, sind nun wie 
nach Paris, so auch zu Amo's Zeiten nach Salzburg gekommen 
und dort fortgefährt worden. **) Ihre Notizen über die Feste 
scheint mir nun auch der Verfasser unserer Annalen benutzt 
zu haben, wenigstens weicht er nur bei einem Jahre (785) von 
ihnen ab, und gewiss mit Becht. Jeden&lls standen ihm 
aber noch andere Vermerke ähnlicher Art zu Gebote. 

Die Quellen unserer Annalen weisen, wie man sieht, auf 
die überrheinischen Gegenden, sie weisen bestimmter auf das 
Amanduskloster und die Orte, wo Alcuin lebte. Wie gerade 
Arno leicht in den Besitz solcher Quellen gelangen konnte, 
zeigt sein Lebensgang; jeder andere deutsche Annalist würde 
um das Jahr 788 wohl schwerer zu ihnen gelangt sein. 

Als gesicherte Besultate unserer Untersuchung über den 
ältesten grundlegenden Theil der Eönigsannalen (bis 788) 
glaube ich ansehen zu dürfen, dass dieser Theil in einem 
Zuge niedergeschrieben ist, dass bei demselben Au&eichnungen 
aus den überrheinischen Gegenden benutzt wurden und die Ab- 
fassung nicht im Kloster Lorsch erfolgte. Nicht minder sicher 
scheint mir, dass der Verfasser in Deutschland schrieb und 
das Motiv seiner Arbeit in der Aufhebung des baierischen 
Herzogthums lag. Für sehr wahrscheinlich halte ich, dass 
dieser Theil der Annalen in Baiem abgefasst wurde und Erz- 
bischof Arno als der eigentliche Urheber des Werks anzusehen 
ist. Lihalt und Form desselben weisen auf Baiem und jenen 
klugen Ejrchenfürsten hin, der auf die Geschicke seiner Heimath 
einen Einfluss übte, der kaum noch nach Gebühr gewürdigt ist. 



(24) Annales Juvavenses maiores. Mon. Germ. Script. I p. 87. 



Giesebrecht: Die fränkisehm Königsanntden. 205 

Die Königsannalen schliessen in keiner der uns erhaltenen 
Handschriften mit dem Jahre 788 ab, sondern sind in man- 
chen bis 813 oder 814, in änderen bis 829, endlich in einer 
bis 882 fortgesetzt. Da in diesen Fortsetzungen gleichzeitige 
Ereignisse berichtet werden, liegt auf der Hand, dass sie nicht 
nur zu verschiedenen Zeiten, sondern auch von verschiedenen 
Ver&ssem niedergeschrieben sein müssen. Es sind demnach 
mehrere nach einander entstandene Fortsetzungen zu unter- 
scheiden, und zur Unterscheidung derselben können einerseits 
die Handschriften, andererseits die Schreibart der Verfasser 
und die Eigenthümlichkeit ihrer Darstellung dienen. Uns be- 
schäftigen hier nur die Aufzeichnungen bis zum Jahre 829, 
welche Pertz ffir das Werk eines Verfassers und zwar Ein- 
hard's hält; in der Frage, ob sie ihm beizumessen und ob sie 
überhaupt aus der Feder eines und desselben Schriftstellers 
geflossen seien, wird sich die weitere Untersuchung zu con- 
centriren haben. 

Ein Zeugniss aus älterer Zeit lässt sich, wie bereits er- 
wähnt, für einen umfänglichen Antheil Einhard's an unseren 
Annalen anfahren. Dass dieses Zeugniss an sich nicht allzu 
schwer in das Gewicht fallt, ist öfters bemerkt worden, und 
auch Pertz würde sich durch dasselbe allein nicht haben be- 
stimmen lassen, wenn ihm nicht Stil und Darstellungsweise 
unserer Annalen von 788 bis 829 glaublich gemacht hätten, 
dass sie von Einhard niedergeschrieben wären. Ob audi 
wir die Ueberzeugung gewinnen, dass der Verfasser der Bio- 
graphie Karl's und des Buchs von der Uebertragung der hei- 
ligen Märtyrer Marcellinus und Petrus diese Fortsetzungen 
insgesammt oder doch eine oder die andere derselben habe ab- 
rissen können; das allein wird die Bedeutung bestimmen, 
welche wir jenem alten Zeugniss beizulegen vermögen. 

Denn wir haben hier, wenn wir die oben bezeichneten 
Kriterien anwenden wollen, allerdings nicht von einer, sondern 
von mehreren Fortsetzungen zu reden. Die Handschriften 



206 Jahrb. der histor, Glosse der k, Akad. der Wissenschaften. 

endigen zum Theil bereits 813 oder 814 und geben damit 
schon äusserlich den Theil der Annalen von 813 oder 814 bis 
829 als eine spätere Fortsetzung zu erkennen, und auch in dem 
Abschnitt von 788 bis 813 ist Darstellung und Stil so un- 
gleichartig, dass an eine gleichartige Abfassung der früheren 
und der späteren Theile dieses Abschnitts nicht füglich zu 
denken ist. Wir unterscheiden denmach drei Fortsetzungen 
und fragen bei jeder einzelnen, ob sie Einhard beizumessen sei. 
Es ist bereits bemerkt worden, dass sich die erste Fort- 
setzung ziemlich genau in Auffassung und Schreibweise dem 
ältesten grundlegenden Theil der Annalen anschliesst; Waitz 
hält die Uebereinstinmiung für so grosg, dass er die Annalen 
von 788 bis 795 noch demselben Verfasser zu vindiciren ge- 
neigt ist, welcher bisher die Arbeit fortgeführt hatte, in keinem 
Falle, meint er, könne dieser Theil der Annalen Einhard bei- 
gelegt werden. L. Giesebrecht bemerkte schon fi^er eine 
ähnliche Uebereinstimmung dieser ersten Fortsetzung, die er 
sogar bis zum Jahre 800 ausdehnt, mit dem älteren Theüe des 
Werks und meinte deshalb, dass auch sie noch in Lorsch 
entstanden sei, wenn auch ein anderer Schreiber sie abgefasst 
habe. Ich meinerseits glaube solche Uebereinstimmung bis zu 
den Notizen des Jahres 796, wenn sich gleich ein Streben 
nach grösserer Reinheit des Stils hier und da kundgiebt, deut- 
lich wahrzunehmen. Die Verherrlichung Karl's tritt noch 
immer als das wesentlichste Motiv der Abfassung hervor, und 
Nichts weist darauf hin, dass der Verfasser unmittelbar am 
Hofe geschrieben habe. Die Nachrichten sind überaus dürftig, 
so dass sie auch der ohne Mühe erlangen konnte, der nicht 
im Mittelpunkt der Dinge stand. So sehr Alles hier an die 
älteren Annalen erinnert, so wenig steht es mit den späteren 
Fortsetzungen in Harmonie ; Nichts deutet vor Allem auf jene 
der Klassicität zustrebende Schreibweise des Einhard. Haben 
unsere oben ausgesprochenen Vermuthungen Grund, so könnte 
diese Fortsetzung recht wohl noch in Salzburg entstanden sein. 



Giesebrecht: Die fränkischen Königsannalen. 2(71 

Nirgends freilich finden sich bestimmtere Hinweisungen auf 
den Ort der Abfassung, aber besonders werden doch auch hier 
baierische Angelegenheiten — die Avarenkriege, die Arbeiten 
am Main-Donaucanal, die Anlegung der Donaubrücke **) — be- 
rührt oder doch am eingehendsten behandelt. So mochte Arno 
auch diese Fortsetzung noch veranlasst haben, bei welchen er 
sich wohl einer anderen Hand als früher bediente, wenn nicht 
gar mehrere Schreiber nach und nach die Fortsetzung der 
Annalen besorgten.*^) Diese mochte in Stocken gerathen, da 
Arno 797 nach Born gesandt wurde und in den nächsten 
Jahren selten und nur auf kurze Zeit in Salzburg anwesend 
war. Mir erklärt sich so am leichtesten, dass man nun am 
Hofe die Fortsetzung der Annalen aufiiahm, dass sie gleichsam 
von diesseits des Bheins auf das andere Ufer des Flusses 
übergingen. 

Tragen die Annalen in ihrer Grundlage und ihrer ersten 
Fortsetzung unseres Erachtens nicht eigentlich einen ofGicieUen 
Character, so tritt dieser deutlich genug in der zweiten vom 
Jahre 797 an hervor. Gleich in den ersten Worten identificirt 
sich hier der Schreiber mit dem Reiche der Franken. *^) Alle 
Angelegenheiten des Beichs werden mit gleicher Aufmerksam- 
keit behandelt, aber den Mittelpunkt der Darstellung bildet 
der königliche Hof, an dem sich augenscheinlich der Verfasser 
selbst aufhielt. In grösster Objectivität wird scheinbar die 
Darstellung gehalten, kein anderes Motiv tritt hervor, als die 
Thatsachen möglichst treu in der Kürze aufzuzeichnen. Eine 
Kritik wird weder an den Begebenheiten noch an den Personen, 
am wenigsten am König geübt. Ehrende Beinamen werden 



(25) Auffalliger Weise wird der überbrückte Fluss nicht näher 
bezeichnet; erst der Ueberarbeiter hielt es für nöthig. 

(26) Dass eine Handschrift d^ Annalen bis 796 zn Amo's Zeiten 
in Salzburg vorhanden war, habe ich im Anhang II zu zeigen versucht. 

(27) Barcinona nobis est reddita (797). Eburisum legatum 
nostrum (798) u. s. w. 



308 Jahrb. der hiHor. CUuse der \. Äkad. dar Wissenschaftm. 

Uun nicht mehr gegeben; er wird schlechthin als der König- 
nnd Kaiser oder auch als der Herr König und Herr Kaiser 
bezeichnet. Auch hätte einem Schreiber, der gleichsam in dea 
Königs Namen nnd nnter seinen Angen die Annalen fortsetzte^ 
jede Präconisimng desselben nicht wohl angestanden. 

So viel sich bei An&eichnnngen dieser Art, die den per- 
sönlichen Character des Autors wenig hervortreten lassen, ur- 
theilen lässt, ist Alles von 797 bis 813 von einem Autor 
abgefiisst. Die Nachrichten scheinen meist Jahr für Jahr 
niedergeschrieben, bisweilen wohl auch nach längeren Zwischen- 
räumen. *^) Die Diction ist klar und fliessend, ein&ch, ohne 
trocken zu werden; sie nähert sich der klassischen Latinität 
und erinnert im Oanzen unverkennbar an die Schreibart, 
welche Einhard in seiner Lebensbeschreibung Kaii's anwandte. 
Wie der Ausdruck zuweilen sogar im Einzelnen mit Stellen jener 
Lebensbeschreibung übereinstimmt, hat bereits Simson '^) ge- 
zeigt. Ich vermag Nichts in diesem Abschnitt des Werks zu 
entdecken, was nicht der Verfasser der Vita Karoli recht wohl 
geschrieben haben könnte. Zum Jahre 806 wird dieser ein- 
mal selbst handelnd eingeführt, aber in so schlichter Weise, 
dass man sich eher der Meinung zuneigen möchte, dass der 
Schreiber hier von sich selber spräche, als dass er einer anderen 
in hohen Ehren stehenden Persönlichkeit Erwähnung thue. •^) 



(28) Die gleichzeitige Aufzeichnung tritt am deutlichsten zum 
Jahre 606 hervor. Meist findet sich hoc anno, hoc tempore, bis- 
weilen aber auch in illo tempore, wie zum Jahre 808. Die Wort» 
am Schlüsse des Jahrs: Praeerat tunc temporis ecclesiae Bomanae 
Leo tertius müssen ein späterer Zusatz sein. Leo starb erst 816 
und bei seinen Lebzeiten können sie nicht wohl geschrieben sein ; sie 
fehlen auch bei Regino. 

(29) p. 39—42. 

(80) Haec omnia litteris mandata sunt et Leoni papae, ut hia 
soa manu subteriberet, per Einhardum missa. Die Worte p. E. 
fehlen in einer alten Handschrift und bei Regino; sie könnten auch 
späterer Zusatz sein. 



Giesehrecht: Die fränicischen Königsanndlen. 209 

Und doch erregt gerade die Lebensbeschreibung "KarVs 
ein erhebliches Bedenken gegen die Ansicht, dass Einhard 
diesen Theil der Annalen verfasst habe. Denn er sagt dort 
in der Einleitung, dass er die Feder nur ergriffen habe, um 
das Andenken seines Wohlthäters nicht der Vergessenheit an- 
heimfallen zu lassen, und weil er nicht wisse, ob von Anderen 
für dasselbe werde gesorgt werden. Konnte er so schreiben, 
fragt man, wenn er selbst schon seit Jahren die wichtigsten 
Thatsachen der Eegierung Karl's aufgezeichnet hatte ? L. Giese- 
hrecht hält es für so unmöglich, dass er sich zu der Annahme 
entschloss, die Annalen seien erst nach der Lebensbeschreibung, 
also jedenfalls nach 814 von Einhard abgefasst; eine unhalt- 
bare Annahme, da der Inhalt deutlich darthut, dass sie vor 
dieser Zeit noch bei Lebzeiten des Kaisers niedergeschrieben 
wurden. Wer die bezeichneten Worte Einhard's so versteht, 
dass sie jeder früheren historischen Aufzeichnung von seiner 
Seite über Karl widersprechen , muss nothwendig diesen Theil 
der Annalen Einhard absprechen, und er könnte sich dann 
auch wohl noch auf einzelne Abweichungen der Annalen von 
der Lebensbeschreibung berufen, obwohl sie gerade in dieser 
Partie sich am wenigsten auffällig zeigen. Das Letztere hat 
besonders Frese gethan, der von der Meinung ausgeht, dass 
Einhard in der Vita Karoli bereits die Annalen benutzt habe, 
aber öfters von ihnen willkürlich abgewichen sei. 

Man darf die bezeichneten Bedenken nicht unterschätzen, 
aber für entscheidend kann ich sie dennoch nicht halten. Ob 
Einhard der Verfasser dieser Portsetzung war oder nicht, jeden- 
falls mussten ihm, da er am Hofe lebte und namentlich in die 
litterarischen Verhältnisse an demselben tief eingeweiht war, 
die Königsannalen, als er das Leben Karl's nach dessen Tode 
schrieb, längst bekannt sein. Aber die Worte seiner Vorrede 
zeigen, dass sie ihm nicht geeignet schienen, das Andenken 
seines grossen Wohlthäters zu verewigen. Was sie boten, 
mochte ihm nur als Material und grossentheils als recht rohes 

14 



210 Jahrb. der histor. Classe der k, Äkad. der Wissenschaften. 

Material für die Geschichtsschreibung erscheinen. Sie wurden 
wohl abgeschrieben und zur Befriedigung der Wissbegierde 
auch verbreitet, aber sie konnten bei den Gebildeten jener Zeit 
keinen Eindruck hinterlassen, da diese ohnehin jeder Production 
der neuerstandenen Litteratur nicht gerade günstig waren, ^^) 
und lange Dauer versprach gewiss Einhard selbst einem so 
buntscheckigen Werke nicht, üeberdies gaben sie, nur die 
äussern Kegierungshandlungen des Kaisers verfolgend, kein Bild der 
gewaltigen Persönlichkeit Karl's, und gerade ein solches wünschte 
Einhard vor Allem der Nachwelt zu erhalten. So lässt sich 
erklären, dass er, obschon mit unseren Annalen bekannt, sie 
für seinen Zweck nicht in Rechnung brachte; auch wenn er 
selbst Antheil an der Abfassung derselben gehabt hatte, konn- 
ten sie in seinen Augen deshalb keine andere Bedeutung ge- 
winnen. So viel wir sehen, hat er sie bei Abfassung der 
Lebensbeschreibung Karl's nich einmal zu Eath gezogen. Un- 
erklärlich wären sonst die erheblichen Abweichungen von dem 
ältesten Theil der Annalen, die meist zugleich Irrthümer Von 
seiner Seite sind. Er glaubte seinem Gedächtniss in Bezug 
auf die äusseren Lebensumstände Karl's trauen zu können, die 
ihm ohnehin das Nebensächliche waren. Was Karl selbst ge- 
wesen war und wie er vor den Augen der ihm Nahestehenden 
gelebt hatte, das vor Allem sollte den kommenden Zeiten ver- 
gegenwärtigt werden, und das meinte Einhard ohne Bücher 
darstellen zu können. 

Kaum bietet daher die Lebensbeschreibung Karl's einen 
genügenden Grund, um Einhard die Autorschaft dieses Theils 
der Annalen abzusprechen. Und die unleugbare Verwandt- 
schaft des Stils, der sich in diesem Theil, und nur in ihm 
allein, mit der Vita Karoli kuudgiebt, ist schwer zu erklären, 
wenn Einhard nicht der Verfasser derselben gewesen sein 
sollte. Denn man wird wohl nicht behaupten wollen, dass 



(31) Ne nova quaeqae fastidientium animos offenderem. 



Giesehrecht: Die fränkischen König sannalen. 211 

Einhard's Ausdrucksweise die allgemeine der Schulgelehrten 
jener Zeit gewesen wäre. 

Das plötzliche Abbrechen der Annalen im Jahre 813 in 
mehreren Handschriften zeigt, dass die Fortfuhrung derselben 
beim Tode Karl's eine Unterbrechung erlitt. Erst etwas später 
suchte man, wie es scheint, der Arbeit mindestens einen ge- 
wissen Abschluss zu geben, indem man einige Nachrichten 
^ber die letzten Zeiten Karl's hinzufügte. So schlössen die 
Annalen mit dem Tode des Kaisers ab, und auch in dieser 
Oestalt finden sie sich in manchen Handschriften. 

Bald aber erhielt unter der Regierung Ludwig's des 
Prommen das Werk eine neue, dritte grössere Fortsetzung. 
Auch sie ist am Hofe verfasst und schliesst sich in vielem 
Betracht gleichartig an die zweite an. Die Notizen zu den 
ersten Jahren sind vielleicht in etwas längeren Zwischenräumen 
niedergeschrieben; dann aber wurde das Werk Jahr für Jahr 
bis 829 fortgesetzt, '*) wo die Wirren am Hofe dasselbe unter- 
l)rachen. Dass diese dritte Fortsetzung von einem Schreiber 
lerrührt, ist unzweifelhaft, aber fraglich, ob er dieselbe Person 
mit dem Verfasser der zweiten Fortsetzung. Ungeachtet 
gewisser Gleichartigkeit mit den früheren Aufzeichnungen zeigt 
«ich doch ein bemerkenswerther Unterschied in der Auffassung 
und Schreibweise. Der streng ofBcielle Standpunkt, der dort 
festgehalten, wird hier nicht immer bewahrt; die persönliche 
Ansicht des Schreibers wagt sich hervor, selbst in der Beur- 
theilung des Kaisers. ^') Aufl^llige Ereignisse in der Natur 
und im kirchlichen Leben, die mehr Interesse für den Schrei- 
ber als für das Eeich hatten, werden mit ungehöriger Breit« 
erzählt. Zugleich entbehrt der Stil der früheren Präcision und 



(32) Deutlich zeigt sich dies bei den Jahren 823 und 825. 

(83) Eminuit in hoc placito piissimi imperatoris misericordia 
singularis (821). — Exercitus de Italia inPannoniam missus, qui re- 
l)us parum prospere gestis infecto pene negotio regressus c^st (819). 

U* 



212 Jahrb. der histor. Glosse der Je, Akad, der Wissenschaften. 

Sorgfalt;'*) es finden sich grössere Barbarismen, als in der 
zweiten Fortsetzung. ^*) Gerade die Eigenschaften der Schreib- 
weise, welche dort auf Einhard hinwiesen, scheinen hier zu 
fehlen, und nicht etwa nur in den Notizen zu den letzten 
Jahren, sondern auch in denen, welche zu derselben Zeit 
aufgezeichnet sein müssten, als Einhard das Leben Karl'» 
abfasste. 

So möchte man sich der Meinung zuneigen, dass diese 
dritte Fortsetzung nicht dem Verfasser der zweiten und vor 
Allem nicht Einhard beizumessen sei. Aber doch bezieht sich 
das einzige alte Zeugniss, welches wir für Einhard's Autor- 
schaft an diesen Annalen besitzen, gerade besonders auf diesen 
Theil derselben und legt ihm Notizen zum Jahre 826, die sich 
hier finden, ausdrücklich bei. Es ist deshalb nicht zu ver- 
wundem, wenn Alle, die diesem Zeugniss Glauben schenkten, 
auch die Annalen bis 829 auf Einhard's Eechnung schrieben. 
So vor Allen Pertz , welcher den Grund für die darauf ein- 
tretende Unterbrechung der Arbeit auch in Einhard's persön- 
lichen Verhältnissen sucht; weil derselbe sich zu dieser Zeit 
ganz vom Hofe zurückgezogen, habe er die Annalen nicht 
weiter fortführen können. Ich gestehe aber, dass mich gerade 
jene Notizen, die Einhard so ausdrücklich zugeschrieben wer- 
den, mit starken Zweifeln erfüllen, ob er diesen Theil des 
Werks abgefasst haben könne. 



(34) Sed antequam illuc veniret, id est cum adhuc domi esset 
(815). — Sibi non solum nolenti, sed etiam plurimum renitenti pon- 
üficatus honorem velut inpactum adseverat (817). — Instantia medi- 
corom, qui ei curam adhibebant, summa celeritate convaluit ("81 7) 
u. s. w. 

(35) Bis zum Ueberdruss wiederholt sich die Anwendung des 
dicitur und narratur. Ein Lieblingswort des Schreibers istimmane: 
immane accusabatur (819), pestilentia immane grassata est (820). 
Auffallig ist der Gebrauch des circiter bei Angabe bestimmter Daten 
zum Jahre 816, 817 u. s. w. Nicht minder auffallig sind Wendungen, 
wie copias lacerare (819), sacramentum consummare (821). 



GieaebrechU Die fränkischen Königsannalen, 213 

Jene Notizen zum Jahre 826 enthalten nämlich in breiter 
Ausführung eine überschwängliche Anpreisung der Wunder- 
thaten, welche bei den damals, durch den Abt Hilduin nach 
Frankreich geschafften Keliquien des heiligen Sebastian zu 
Soissons bemerkt sein sollten. Gewiss konnte Einhard, der 
überaus wundergläubig war , diese Notizen schreiben , aber 
schrieb er sie, so würde er sich auch über die Wunder, welche 
man den damals von ihm selbst nach Frankreich geführten 
Reliquien der heiligen Marcellinus und Petrus nachrühmte, in 
5,hnlicher Weise ausgelassen haben, statt hierüber zum Jahre 
827 eine viel kürzere und nüchternere Nachricht zu geben. 
Nichts erfüllte ja in jener Zeit mehr seine Seele, als der Kuhm 
dieser seiner Eeliquien; zu ihrer Verherrlichung schrieb er ein 
Werk, welches an Umfang das Leben Karl's weit überbietet. 
Wir wissen, wie Einhard manche Beschwerden gegen Abt 
Hilduin hatte, wie er nicht ohne Eifersucht gegen ihn war 
und sich nachzuweisen bemühte, dass seine Reliquien nicht 
minder wunderthätig , als die zu Soissons, seien. Und nun 
hätte er sich an einer Stelle, wo ihn Nichts dazu nöthigte, 
noch dazu in einer Schrift von gleichsam officiellem Character 
salbungsvoll über jene Wunder der fremden Reliquien ergehen 
sollen, während er die Zeichen seiner eigenen Heiligen gleich 
darauf nur im Vorbeigehen berührte? Wer Einhard's Schrift 
über die Translation der heiligen Marcellinus und Petrus in 
Erwägung zieht, wird sich davon schwer überzeugen. 

Unsere Aünalen sagen über die Translation der zuletzt 
genannten Heiligen nicht mehr, als im Jahre 827 seien ihre 
Eeliquien aus Rom fortgeschafft, im Oktober nach dem Franken- 
xeich gebracht und hätten dort viele Wunder vollführt. Man 
liat nun überdies aus Einhard's Zeitangaben in der Schrift 
über die Translation darthun wollen, dass selbst diese kurzen 
Notizen noch irrige Bestimmungen enthielten und die Reliquien 
bereits 826 von Rom nach dem Frankenreiche gekommen 
seien. Wäre diese Berechnung sicher, so müsste man die 



214 Jahrb. der histor. Glosse der k. Äkad. der Wissenschaften, 

dritte Fortsetzung der Annalen unbedingt Einhard absprechen ; 
denn gerade über diesen Vorgang war Niemand besser unter- 
richtet als er. Auch nützt eine versuchte künstliche Inter- 
pretation der Worte des Annalisten wenig, unter dem Franken- 
reich hat man nämlich Mülinheim verstehen wollen, wo die 
Keliquien, nachdem sie einige Zeit zerstreut waren, erst später 
wieder vereinigt wurden; eine Erklärung, welche dem Sprach- 
gebrauch der Zeit und Einhard's selbst zuwiderläuft^^) Aber 
ich halte jene Berechnung keineswegs für so gesichert, um aua 
ihr weitgehende Folgerungen zu ziehen. Auch die Annalen 
von Fulda setzen die üebertragung der Eeliquien auf 827^ 
und sie schreiben hier nicht blind unseren Annalen nach, da 
sie statt des Oktobers den Novembermonat für die Ankunft 
derselben im Frankenreich angeben. ^'^) Freilich erwachsen da- 
mit nur neue Bedenken gegen die Genauigkeit der Angabe in 
unseren Annalen und damit .auch gegen Einhard's Autorschaft» 
So spricht Vieles in dem Werke selbst gegen das alte 
Zeugniss, welches gerade diesen Theil desselben mit besonderer 
Bestimmtheit Einliard beilegt. Weniges meines Erachtens da- 
für. Ich glaube, man hat allen Orund zu bezweifeln, ob diese 
dritte Fortsetzung der Königsannalen aus Einhard's Feder ge- 
flossen sei. 



Nachdem das Annalenwerk bis zum Jahre 829 gediehen 
war und bereits grössere Verbreitung gefunden hatte, wurde 
es einer Umarbeitung unterworfen, welche besonders die frühe- 
ren Partien betraf. Auch in dieser Umarbeitung sind die 
Annalen noch in einer Eeihe von Handschriften enthalten* 



(36) Vergleiche Simson, Ueber die Annales Einhardi Fuldensis 
tmd Annales Sithienses (Jena 1863) S. 30. 

(37) Mehr hierüber im Anhang III. 



Giesehrecht: Die fränkischen Königsannalen, 215 

Die Veränderungen sind bis zum Jahre 801 oft durchgi*eifend 
genug, von da an aber äusserst geringfügig. Sie verrathen 
die Hand eines nicht ungewandten Schreibers, und die ge- 
sammte Darstellungsweise erinnert lebhaft an Einhard's Vita 
Karoli und die letzten so eben besprochenen Fortsetzungen 
unserer Annalen. Hieran liegt auch der wesentlichste Grund, 
weshalb man auch diese Arbeit Einhard zugeschrieben hat. 
Auf jenes oft erwähnte ältere Zeugniss würde man sich hier 
nur dann mit Füg beziehen können, wenn sich darthun liesse, 
dass der Verfasser der Translation des heiligen Sebastian die 
Annalen nicht in ihrer ursprünglichen, sondern in dieser über- 
arbeiteten Gestalt zur Hand gehabt habe. 

Die Absicht bei der üeberarbeitung war, einmal die augen- 
fällige Ungleichheit der Form möglichst zu beseitigen, um den 
Inhalt des Werks so einem grösseren Kreise annehmlich zu 
machen, dann aber auch manche wichtige Nachrichten hinzu- 
zufügen, welche die älteren Annalisten entweder absichtlich 
oder aus Unkenntniss verschwiegen hatten. So finden sich 
gleich zum Jahre 741 sehr interessante Zusätze über die Em- 
pörung des Grifo; dann wird zu 775 über eine Niederlage der 
Franken durch die Sachsen berichtet, welche in den alten 
Annalen gewiss nicht ohne Absicht verschwiegen war; auch 
den Ueberfall des fränkischen Heeres in den Pyrenäen 778 
trägt der Ueberarbeiter nach, da er wohl in gleicher Absicht- 
lichkeit von dem alten Annalisten mit Stillschweigen bedeckt 
war. Andere Zusätze zu den Jahren 782, 791, 793 beziehen 
sich speciell auf den Grafen Theodorich, einen Verwandten 
Karl's, über welchen der Verfasser besonders gute Nachrichten 
besitzen musste; noch andere suchen die düiftigen Notizen 
der ersten Fortsetzung von 789 bis 796 einigermassen zu 
vervollständigen und dadurch mit dem Ganzen in grössere 
Harmonie zu bringen. 

Die Beschaffenheit der Zusätze zeigt, dass der Ueber- 
arbeiter nicht schlecht unterrichtet war und noch von Personen 



216 Jahrb. der histor, Glosse der k, Akad. der Wissenschaften, 

aus Karl's Zeit Mittheilungen empfing. Die Nachrichten über 
Theodorich kann er zwar nicht mehr von diesem selbst erhalten 
haben — denn der Graf fand bereits 793 den Tod — aber 
sie müssen von Personen herrühren, die ihm sehr nahe standen. 
Den Eburis, der 798 als Karl's Gesandter bei den Abodriten 
war, wird der Verfasser noch selbst gekannt haben, denn er 
ergänzt nach den Mittheilungen desselben die Notizen der alten 
Annalen. Manche höchst werthvoUe Nachrichten sind uns 
durch ihn so allein erhalten worden, und obwohl diese Um- 
arbeitung, wie Kanke nachgewiesen hat, an allen den Fehlern 
leidet, welche abgeleitete Quellen zu bezeichnen pflegen, darf 
man sie doch nicht gering schätzen. Vor Allem ist der 
Standpunkt des Ueberarbeiters weit unbefangener, als der der 
alten Annalisten. 

Die Zusätze stammen aber nicht allein aus mündlicher 
Tradition, sondern auch aus schriftlichen Aufzeichnungen. Im 
Anfange des Werks scheinen mir die Fortsetzungen des Frede- 
gar zu Käthe gezogen, namentlich zu den Jahren 759 und 
760. In der ausführlichen Darstellung von den Misshandlungen 
Papst Leo's 799 begegnet eine üebereinstinmaung mit den Annales 
Laurissenses minores, die kaum zufällig sein kann. *®) Am augen- 
fölligsten ist jedoch die Benutzung von Einhard's Vita Karoli, 
welche zum nicht geringen Theil in die Annalen geradezu 
hineingearbeitet ist. ^^) Wenige Beispiele werden das Verhält- 
niss klar legen. Der alte Annalist übergeht, wie bereits er- 
wähnt ist, den Ueberfall in den Pyrenäen im Jahre 778; der 
Ueberarbeiter berichtet ihn, aber lediglich nach Einhard und 
fast mit dessen Worten. *®) Der alte Annalist erzählt zum 
Jahre 787 die Demüthigung und Unterwerfung Herzog Tassilo's 
am Lech, als dieser sich den Vorschriften Karl's und des 



(38) 753, 754 und 756 scheint der Liber pontificalis benutzt. 

(39) Man vergleiche Simson de statu p. 44 etc. 

(40) Vita Karoli c. 9. 



Giesehrecht: Die fränkischen Königsannälen. 217 

Papstes nicht fugen wollte; zum Jahre 788 berichtet er als- 
dann, wie Tassilo, von Luitberga aufgestachelt, aufs Neue 
schwierig geworden sei; unter anderen Beweisen seiner un- 
treue führt er da eine Gesandtschaft an die Avaren an und 
betrachtet als Folge derselben den noch in demselben Jahre 
ausbrechenden Avarenkrieg. Sehr abweichend, ist Einhard's 
Darstellung. *^) Nach diesen verband sich Tassilo auf Betrieb 
der Luitberga, welche den Fall ihres Vaters rächen wollte, mit 
den Avaren, um Karl anzugreifen; darauf überzieht ihn Karl 
mit Krieg und nöthigt ihn am Lech zur Unterwerfung, be- 
scheidet ihn aber alsbald an seinen Hof und lässt ihn nicht 
mehr nach Baiern zurückkehren. Hier ist das Bündniss mit 
den Avaren , welches vor den Ereignissen am Lech abge- 
schlossen ist, der einzige Grund fär Tassilo's Demüthigung und 
endlichen Sturz ; in den alten Annalen werden beide Ereignisse 
anders begründet, von einem abgeschlossenen Bündniss mit den 
Avaren ist nicht die Bede, nur von einer Beschickung dieses 
Volks und zwar nach den Vorgängen am Lech. Beide Dar- 
stellungen lagen dem üeberarbeiter vor, und er suchte sie zu 
verbinden. Den Hergang der Dinge im Jahre 787 erzählt er 
nach den alten Annalen, nur sie erheblich verkürzend und 
hier und da einige Brocken aus Einhard einmischend. Erst 
wo im Jahre 788 in den alten Annalen der Luitberga Er- 
wähnimg geschieht f berichtet er dann über das Bündniss mit 
den Avaren, aber hier folgt er nun ganz Einhard und sieht 
in dem Bündniss auch in gleicher Weise die wesentliche Ver- 
anlassung zu Tassilo's Sturz; nur dass er jenes Bündniss, 
welches Einhard den Ereignissen am Lech vorangehen lässt, 
in eine spätere Zeit verlegt. Wir erhalten so eine künstliche 
Combination zweier abweichender Darstellungen, bei welcher 
die Motive und die chronologischen Bestimmungen der Vor- 
gänge vermischt werden und die in sich keine Gewähr hat. 



(41) Vita Karoli c. 11. 



218 Jahrb. der histor, Glosse der Tc. Äkad. der Wissenschaften. 

Das Verfahren des Ueberarbeiters kann, wenn man seine 
ganze Arbeit durchgeht, kaum einem Zweifel unterliegen. 
Stützt sich sein Werk aber, wie mir unleugbar scheint, neben 
den alten Annalen hauptsächlich auf die Lebensbeschreibung 
Karl's, so folgt daraus, dass es jünger als diese sein muss, 
dasselbe also weder, wie Frese annimmt, Quelle lur die Vita 
Karoli sein, noch nach Kanke's Meinimg eine frühere Stufe 
Einhardscher Geschichtsschreibung bezeichnen kann. Und darf 
man nun überhaupt wohl Einhard eine solche Arbeit zutrauen, 
bei welcher er sein früheres Werk gleichsam zerpflückt und 
von Neuem zusammengesetzt hätte, bei dem er überaus mit 
seiner eigenen früheren Darstellung mehrfach in Widerspruch 
gerathen wäre? 

Aber auch andere Gründe sprechen dafür, dass Einhard 
nicht der Verfasser der überarbeiteten Annalen sein kann. 
Dieser ging, wie kaum zu bezweifeln ist, erst nach 829 an 
seine Arbeit; er verfasste sie, wie aus mehreren Stellen deut- 
lich hervorgeht, jenseits des Kheins, *^) und Alles lässt 
schliessen, dass er am Hofe Ludwig's lebte. Aber Einhard 
verliess 830 den Hof und lebte fortan diesseits des Kheins, 
meist zu Mülinheim dem Dienste seiner Reliquien hingegeben. 
Und wie hätte er, der damals sein Buch über die Trans- 
lation dieser Keliquien schrieb und nicht müde wurde von den. 
Wundern derselben zu erzählen, gleichzeitig diese Umarbeitung 
der Annalen herstellen können, in der sich durchweg ein gegen 
die Wunder skeptischer Geist verräth. Man weiss, welche 
Bedenken es schon damals erregte, dass Papst Leo bei dem 
Aufstand der Eömer 799 Augen und Zunge verloren haben 
sollte und doch später reden und sehen konnte. Einhard er- 
zählt das wunderbare Ereigniss im Leben Karl's eben so gläubig. 



(42) Conventum generalem trans Rhenum in villa Cuffesstein 
habuit (795). Facta est eodem anno Irans Rhenum apud orientales 
Francos adversus regem immodica coniuratio (785). 



Giesehrecht: Die fränkischen Königsanndlen. 219 

wie der alte Annalist; der Ueberarbeiter dagegen wahrt seine 
eigene Ueberzeugung , obschon er Einhard's Worte wieder- 
holt. *^) Die wunderbare Eröfl&iung des Bullerborn erzählt 
der Ueberarbeiter den alten Annalen zum Jahre 774 nach, 
aber nicht ohne auch hier den Zweifel durchblicken zu lassen. 
Die Erzählung von den beiden Jünglingen in weissen Kleidern, 
welche die tempelschänderischen Sachsen 774 bei Fritzlar in 
die Flucht jagten, unterdrückt er Völlig. Wo der ältere 
Annalist die Siege Pippins und Karl's dem Beistande Gottes 
und des heiligen Petrus zuschreibt, schweigt der Ueberarbeiter 
von jeder übernatürlichen Einwirkung. Doch genug, und viel- 
leicht schon zu viel, um darzuthun, dass Einhard der Verfasser 
der überarbeiteten Annalen nicht sein kann. Mit dem Buche 
über die Translation, welches er in jener Zeit schrieb, zeigen 
diese Annalen weder innere noch äussere Verwandtschaft, und 
wenn sie mit dem Stil der Vita Karoli harmoniren, so ist 
dies bei einem Autor wohl erklärlich, der dieses frühere Werk 
Einhard's vor sich hatte und sich nach ihm bilden konnte. 

Aber auch mit dem Verfasser der dritten Fortsetzung 
des alten Werks möchte ich den Umarbeiter nicht identificiren. 
Denn dieser strebt offenbar nach einer Eeinheit des Ausdrucks, 
die wir jenem nicht nachrühmen konnten; auch scheint mir 
die Auffassung der Wunder bei dem Ueberarbeiter wesentlich 
eine andere, als wir in jener Fortsetzung finden, wo mit Vor- 
liebe übernatürliche Erscheinungen berichtet werden. So bleibt 
uns der Ueberarbeiter ausser aUem unmittelbaren Zusammen- 
hange mit dem ursprünglichen Werk; er bleibt uns zugleich 
ein Anonymus, wie der Autor einer anderen Verarbeitung, 



(43) Erutis scilicet ocnlis linguaque amputata. Vita Karoli c. 28. 
— Erutis oculis, ut aliquibus visum est, lingua quoque amputata. 
Annales Einhardi 799. Ob man die Worte: ut aliquibus visum est 
auf die Zeugen der Thatsache oder die Zeugen des Autors deutet, 
jedenfalls zeigen sie, dass der Ueberarbeiter seine eigene Ansicht 
zurückhielt. 



220 Jahrb. der histor. Glosse der k, Äkad, der Wissenschaften. 

welche bald nach Kaiser Ludwig's Tode gerade der letzte Thefl 
der Königsannalen erfuhr, den der frühere Bearbeiter am 
wenigsten angetastet hatte. Von dieser Verarbeitung müssen 
wir noch einige Worte hinzufugen, da man ihrem anonymen 
Urheber einen Antheil auch an unseren Annalen beizumessen 
geneigt sein könnte. 

Längst ist nämlich bemerkt worden, dass die anonyme 
grössere Lebensbeschreibung Kaiser Ludwig's für die Zeit 
von 814 bis 829 so genau unseren Annalen folgt, dass sie 
nur als eine Bearbeitung derselben angesehen werden kann. 
Der Verfasser spricht sich über seine Quellen in der Vorrede 
aus: bis zur Thronbesteigung Ludwig's sei er den Mittheilungen 
des Mönchs Adhemar, eines Jugendgeföhrten des Kaisers, ge- 
folgt, für die folgenden Zeiten habe er dagegen berichtet, was 
er theils selbst am Hofe erlebt, theils dort erkundet habe. 
Man wird hierbei zunächst an mündliche Mittheilungen denken, 
welche dem Verfasser am Hofe zugingen, und dass die Auf- 
zeichnung derselben seine eigene Arbeit gewesen sei. Wäre 
dies der Fall, so könnte die dritte Fortsetzung unserer Annalen 
keinen anderen Verfasser haben, als Ludwig's anonymen Bio- 
graphen. Denn zwei Erzählungen, die sich so genau ent- 
sprechen, wie die seinige und die im bezeichneten Theile der 
Königsannalen, können nicht selbstständig neben einander ent- 
standen sein. Aber der Biograph Ludwig's kann schon aus 
dem einen Grunde nicht der Verfasser jener Annalen sein, 
weil in der Lebensbeschreibung eine ganze Keihe von Lt- 
thümern offen darliegt, die sich nur aus Missverständniss und 
flüchtiger Benutzung der Annalen erklären lassen. **) Es ist 
ihm also ein fremdes Werk am Hofe mitgetheilt worden, und 
die Erkundigungen, deren er in der Vorrede erwähnt, bezie- 
hen sich nicht allein auf mündliche Tradition. Wenn er den 



(44) Die Annahme Simson's a. a. 0. S. 55 ff., dass wir das Werk 
nur in verderbtem Zustande besässen, halte ich für unbegründet. 



Giesebrecht: Die fränkischen Königsannalen. 221 

Autor des Werks nicht bezeichnet, so ist nicht an das ab-^ 
sichtliche Schweigen eines Plagiators zu denken; die Königs- 
annalen waren das Werk mehi-erer Hände, sie waren bereits 
zu einer oificiellen Quelle geworden, bei der es auf den Namea 
des Autors wenig ankam. Hätte der Biograph Einhard für 
den Urheber dieser Nachrichten gehalten, er würde einen sa 
ausgezeichneten Gewährsmann kaum verschwiegen haben; er 
erwähnt Einhard's in anderer Verbindung und bezeichnet ihn 
da als den klügsten Mann seiner Zeit. *^) Nur bis z. J. 829 
hat der Biograph die Königsannalen benutzt; vielleicht waren 
ihm die späteren Fortsetzungen nicht zur Hand, vielleicht 
glaubt er ihrer für die Zeiten, über welche er als Augenzeuge 
berichtete, entbehren zu können. Die Umarbeitung, welche er 
der dritten Fortsetzung angedeihen liess, ist, von manchen 
nicht unwichtigen Zusätzen abgesehen, entschieden als eine 
Verschlechterung, sowohl in Betreff des Inhalts als der Form,, 
zu bezeichnen. 

Das Brcsultat unserer Untersuchung über die sogenannten 
Einhardschen Annalen lässt sich in folgenden wenigen Sätzen 
zusammenfassen. Sie bestehen, soweit sie Fortsetzung der an- 
geblichen Lorscher Annalen sind, aus drei verschiedenen Theilen. 
Der erste bis 796 ist den älteren Aufeeichnungen gleichartig 
und vielleicht gleich ihnen in Salzburg entstanden; keinenfalls 
kann man ihn als eine Arbeit Einhard's betrachten. Der 
zweite bis 813 ist am Hofe Karl's des Grossen und vielleicht, 
ja wahrscheinlich durch Einhard niedergeschrieben. Der dritte 
Theil bis 829, am Hofe Ludwig's des Frommen entstanden, 
scheint einen anderen Verfasser als der zweite zu haben; es 
ist gewagt, Einhard auch für den Autor dieser Fortsetzung 
zu halten. Die Umarbeitung endlich des ganzen Werks, um 
830 abgefasst, muss Einhard abgesprochen werden. Sie rührt 
von einem Autor her, der Einhard's Buch über Karl den. 



(45) Vita mudowici c. 41. 



222 Jdhrb, der histor. Glosse der k. Akad. der Wissenschaften. 

Grossen kannte, benutzte und seinen Stil nach demselben 
bildete. 

Unsere Untersuchung ist erst durch Pertz's Ausgabe un- 
serer Annalen ermöglicht; sie geht von seiner Hypothese über 
den Ursprung derselben aus und kehrt immer wieder zu seinen 
Forschungen zurück. Er selbst hat zu weiteren Erörterungen 
über die Geschichte dieses, für die Epoche Karl's des Grossen 
so wichtigen Werk's ermuthigt. Möchte ihm, was wir hier 
zu bieten vermochten, als eine nicht werthlose Portsetzung 
seiner eigenen Arbeiten erscheinen! 



Anhang. 

I. 

Quellen der Königsannalen. 

Das Verhältniss der Königsannalen zu den Annales S. 
Amandi und Petaviani wird aus einigen Beispielen klar werden. 

Die Königsannalen 742. Quando Carlomannus et Pip- 
pinus maiores domus duxerunt exercitum contra Hunoldum, 
ducem Aquitaniorum, et ceperunt castrum, quod vocatur Luc- 
cas eodemque anno Carlomannus Alamanniam vastavit. 

Annales S. Amandi 742. Karlomannus duxit exer- 
citum contra Chunaldum. 

Annales Petaviani 742. Karolomannus perrexit in Wa- 
sconiam. 743. Vastavit Karolomannus Alamanniam. 

Die Königsannalen 750. Pippinus secundum morem 
Francorum electus est ad regem et unctus per manum sanctae 
memoriae Bonefacii archiepiscopi et elevatus a Francis in regno 
in Suessionis civitate. 

Annales S. Amandi 751. Pippinus in regem unctus est 
apud Suessiones. 

Annales Petaviani 752. Domnus Pipinus elevatus est 
ad regem in Suessionis civitate. 

Die Königsannalen 753. Pippinus rex in Saxonia iter 
fecit, et Hildegarius episcopus occisus est a Saxonibus in Castro, 



224 Jahrb. der histor. Glosse der Je. Äkad. der Wissenschaften. 

quod dicitur Juberg, et tarnen Pippinus rex victor extitit et 
pervenit usque ad locum, qui dicitur Eimie. Et dum reversus 
est de ipso itinere, nuntiatum est ei, quod Grifo, qui in Wa- 
sconiam fugatus est, germanus eins occisus fuisset. Eodemque 
anno Stephanus papa venit in Franciam, adiutorium et sola- 
cium quaerendo pro iustitiis sancti Petri; similiter et Carlo- 
mannus, mohachus et germanus supradicti Pippini regis, per 
iussionem abbatis sui in Franciam venit, quasi ad conturbandam 
petitionem apostolicam. 

Aunales S. Amandi 753. Hildegarius occisus est in 
Saxonia. 754. Stephanus papa venit in Franciam. 

Annales Petaviani 753. Pipinus rex in Saxonia, et 
Childegarius episcopus defunctus est, et papa Stephanus venit 
ab urbe Boma in Franciam, et Earolomannus post eum, et 
filii eins tonsi sunt, et Grippo occisus est. 

Klar ist, dass die Eönigsannalen den Inhalt der Petaviani 
fast ganz in sich aulhehmen, sich aber im Ausdruck häufig 
genauer an die Annales S. Amandi anschliessen. **) Die chro- 
nologischen Differenzen sind theils auf Nachlässigkeit , theils 
auf Verschiedenheit der Jahresrechnung zurückzufahren. — 

Ueber den Ursprung jener Quellen unsers Werks, die 
wir hier berührt haben, erlauben wir uns, da derselbe noch 
nicht hinreichend erläutert zu sein scheint, einige Bemer- 
kungen anzufügen. 

Die Annales S. Amandi und Petaviani haben eine ge- 
meinsame Quelle in älteren Annalen, die mit grösster Wahr- 
scheinlichkeit im Kölnischen entstanden sind, vielleicht in dem 



(46) Dass die Annales S. Amandi neben den Petaviani selbst- 
standig benutzt sind, zeigt auch die Notiz der ersteren über den 
zweiten Feldzng Pippin's 767 nach Aqxiitanien. Dort heisst es: et 
itefum in mense Augusto ; in den Eönigsannalen : et in eodem anno 
in mense Angusto iterum perrexit. Die Annales Petaviani haben von 
diesem zweiten Zuge keine Nachrichten. 



Giesfibrecht: Die fränkischen Königsannälen. 225 

Schottenkloster St. Martin in Köln selbst, einer Stiftong 
Pippin's von Heristall. Auf Köln weisen bestinnnt die No- 
tizen z. J. 713, 716, 753, auf Verbindungen mit Pippin und 
seinem Geschlecht die ganze Natur der Aufeeichnungen hin. 
Die Notizen dieser alten Annalen reichten bis 771. Sie kamen 
nach St. Amand und wurden hier etwas umgearbeitet und 
fortgesetzt. *^) Gleichzeitig gelangten sie auch nach dem 
Kloster Gorze, wo man sie mit ähnlichen Aufzeichnungen, 
obschon ganz anderen Ursprungs, verband. Die letzteren be- 
ginnen nämlich mit dem Jahre 703 und beziehen sich Anfangs auf 
irisch-angelsächsische Klöster, fassen aber bald die Angelegen- 
heiten der Fippiniden, des Frankenreichs und besonders die 
alamannischen Verhältnisse in das Auge. Zum Jahre 736 
erwähnen sie den Tod des Bischöfe Audoin von Konstanz, und 
im Konstanzer Sprengel dürften sie entstanden sein, vielleicht 
in Beichenau, einer fränkischen Stiftung auf alamannischem 
Boden. ^^) Um das Jahr 760 verschaffte man sich diese ala- 
mannischen Annalen im Kloster Gorze bei Metz und gab ihnen 
einmal hier eine selbständige Fortsetzung bis 777,*®) zugleich 
aber verarbeitete man sie hier mit den vorhin erwähnten Kölner 
Annalen. Diese Compilation findet sich nun in den sogenannten 
Annales Petaviani , ^®) welche dann — es erhellt nicht deut- 



(47) Die Annales Tiliani &ind in ihrem ersten Theil nur Kopie 
der Annales S. AmandL Die Annales Sangallenses Baluzii (Mon. 
Germ. Script. I p. 63) scheinen dagegen das Kölner Original selbst 
vor Augen gehabt zu haben. In den Annales Laubacenses ist Ver- 
schiedenartiges yerarbeitet; nicht allein diese Annalen von S. Amand 
sind benutzt, sondern auch andere Aufzeichnungen aus demselben 
Kloster (Mon. Germ. II p. 184). 

(48) Kettberg, Kirchengeschichte Deutschlands II S. 120. 

(49) Man siehe die Jahresberechnung zu 777 in den Annales 
Mosellani. 

(50) Dass die Annales Petaviani in Gorze entstanden sind, zeigen 
die Notizen von 765 bis 769. 

15 



226 Jahrb, der histor, Glosse der Je, Äkad, der Wissenschaften. 

lieh, wo — von 772 bis 799 ebenfalls eine neue Fortsetzung 
erhielten und in dieser Gestalt weitere Verbreitung in den 
westlichen Theilen der fränkischen Monarchie fanden. Eine 
Handschrift gelangte nach Tours und wurde dort glossirt, 
eine andere nach dem Sprengel von Eouen. ^*) Unsere Königs- 
annalen kennen nur die Compilation bis 771. 

Die alten alamannischen Annalen mit der in Gorze ent- 
standenen Fortsetzung nahmen dagegen ihren Weg über den 
Khein und verbreiteten sich in den Ostländem des fränkischen 
Eeichs. Um 777 besass man sie in dem Gorze so nahe 
stehenden Kloster Lorsch; sie wurden hier fortgeführt bis 785 ^*) 
und erhielten dann, weiter verbreitet, in den Maingegenden, 
wahrscheinlich in Würzburg, ihren Abschluss. In dieser ihrer 
letzten Gestalt sind sie neuerdings durch Lappenberg bekannt 
geworden.*^) Lappenberg hat sie Annales Mosellani genannt, 
doch recht wohl lässt sich noch erkennen, wie die einzelnen 
Fortsetzungen nach einander in Alamannien, in Gorze und 
Lorsch, endlich in den Maingegenden ^*) entstanden sind. 

Aber diese Annalen, wie man sie von Gorze erhalten und 
fortgeführt hatte, wurden in Lorsch zugleich zu einer eigenen 
Klosterchronik benutzt, den sogenannten Annales Laures- 
hamenses. Einzelnes aus den älteren Annalen wurde hier fort- 
gelassen, manche für Lorsch bedeutsame Notiz hinzugefügt 
und dann das Werk über 785 noch für einige Zeit fortge- 
fohrt. Die Annales Petaviani haben nicht, wie man bisher 



(51) Die Handschriften A. B. bei Pertz geben nur die Zusätze, 
die sich auf Ronen beziehen. Man vergleiche die Notizen z. J. 755. 
Die auf Tours bezüglichen Nachrichten finden sich in A. und B. 
nicht, sondern nur in C. Vergleiche Mon. Germ. Script. III p. 170. 

(52) Bis zu diesem Jahre reicht die Uebereinstimmung der An- 
nales Mosellani und Laureshamenses. 

(53) Monum. Germ. Script. XVI p. 494 sequ. 

(54) Man sehe besonders die Nachrichten zu den Jahren 792, 793^ 



Giesehrecht: Die fränkischen Königsannalen. 227 

angenommen, aus den Annales Laureshamenses, sondern beide 
gemeinsam aus jener älteren Quelle geschöpft, die uns in 
wenig getrübter Keinheit jetzt noch in den gleichfalls aus ihr 
abgeleiteten sogenannten Annales Mosellani fliesst. 

Die Nachrichten der Annales Laureshamenses bis 793 
sind in die Lorscher Abschrift der Königsannalen und die 
Annales Laurissenses minores übergegangen, nicht die späteren 
Fortsetzungen, die mir auch nicht im Elos^r, sondern in Aachen 
entstanden zu sein scheinen. 



n. 

Verhältniss der Königsannalen zu gleich- 
zeitigen Salzburger Aufzeichnungen. 

Bei der Annahme, die wir zu begründen suchten, dass 
auf Arno von Salzburg der Anfang der Königsannalen zurück- 
zuführen sei, ist das Verhältniss dieser Annalen zu Aufzeich- 
nungen, welche sicher zu Amo's Zeiten in Salzburg gemacht 
sind, nicht ohne Interesse. Es sind dies die Annales Juva- 
venses maiores et minores, welche Pertz im ersten Bande der 
Monumenta Germaniae p. 87 — 89 herausgegeben hat; nach 
der in Würzburg vorhandenen Urschrift hat er später noch 
wesentliche Verbesserungen mittheilen können. **) 

Die Annales Juvavenses maiores schliessen sich an jene 
kurzen historischen Aulzeichnungen an, die Pertz mit Alcuin 
in Verbindung gebracht hat. *^) Was sie ausser den Angaben 



(55) Monum. Germ. Script. III p. 122, 128. 

(56) Siehe oben Seite 209, 204. 

15* 



228 Jährh. der histor, Clasae der h Akad, der Wissenschaften, 

Über die Hoihaltung an den Festtagen für die fränkische Ge- 
schichte enthalten, ist bis 769 meist auf die Annales S. Amaudi 
zurückzufuhren, wie die kurzen Notizen zu 743, 763, 768. ^') 
Einzelnes von besonders baierischem und salzburgischem In- 
teresse ist dann noch hinzugefügt. Bis zum Jahre 806 sind 
die Aufzeichnungen regelmässig fortgesetzt, dann sind später 
noch einzelne Notate gemacht. Ueber die Beziehung dieser 
Annalen zu den Königsannalen lässt sich schwer urtheilen, 
da die Bemerkungen meist zu einsilbig und farblos sind. Wo 
sie vom Jahre 798 etwas ausführlicher werden, zeigt sich 
durchaus keine Verwandtschaft mit den Königsannalen, die 
damals schon sicher am Hofe fortgesetzt wurden. 

Ergiebiger für unsere Untersuchung sind die im Jahre 816 
abgefassten Annales Juvavenses minores. Sie sind, von sehr 
wenigen Notizen abgesehen, **) bis 796 nur eine freie Com- 
pilation aus den Annales Juvavenses maiores und unseren 
Königsannalen. Zum Jahi-e 743 heisst es: Carolomannus et 
Pippinus pugnabant contra Baioarios nach den Königsannalen: 
Carlomannus et Pippinus contra Odilonem ducem Baiovariorum 
inierunt pugnam. Zum Jahre 747 schreibt der Salzburger 
Annalist: Carolomannus perrexit Bomam et monasterium in 
Zirapti construxit nach den Königsannalen : Tunc Carlomannus 
Eomam perrexit, ibique se totondit et in Serapte (nach einer 
anderen Handschrift Sirapti) monte monasterium aedificavit. 
Zum Jahre 796 wird bemerkt: Pippinus in Pannonia ad Hringe, 
und die Königsannalen berichten, wie Pippin nach Pannonien 
mit einem Heere geschickt und dies dann sich festgesetzt habe 



(57) Die Notiz zu 742: Natus est Carolas findet sich ebenso in 
den Annales S Amandi breves (Mon Germ. II p. 184). 

(58) Die Notiz z. J. 786: Signum crucis apparuit in vestimentis 
hominum findet sich aufiFalliger Weise ebenso in den Annales Laures- 
hamenses, die sonst keine Verwandtschaft seigen. 



Giesebrecht: Die fränkischen Königsannalen, 229 

in Hringo. ^^) Von den späteren Fortsetzungen der Königs- 
annalen, die am Hofe abgefasst wurden, hat dagegen auch 
dieser Annalist nicht den mindesten Gebrauch gemacht. Ich 
halte hiernach den Schluss für berechtigt, das» zu Arno's Zeit 
eine Handschrift der Königsannalen in Salzburg war, welche 
den grundlegenden Theil des Werks und die erste Fortsetzung 
desselben bis 796 enthielt. War auch die spätere Fortsetzung 
bis 813 dort bereits im Jahre 816 bekannt, so liess sie der 
Annalist mindestens unbenutzt. 



m. 

Die Chronologie in Einhard's Schrift 
über die Translation der Heiligen Marcellinus 

und Petrus. 

Die Worte der Königsannalen z. J. 827: Corpora bea- 
tissimorum martirum Marcellini et Petri de Roma sublata et 
Octobrio mense in Franciam translata hat man zu Einhard's 
Zeiten nicht anders verstanden, als dass die Eeliquien der ge- 
nannten Heiligen 827 von Rom fortgeschafft und im October 
desselben Jahres in Frankreich angekonunen seien. So die 
Fuldaer Annalen, die nur statt des October, ohne Zweifel in 
der Absicht zu verbessern, den November setzen. So der Ver- 
fasser der grösseren Lebensbeschreibung Kaiser Ludwig's, wel- 
cher die Notiz der Königsannalen noch etwas weiter ausfuhrt. 



(59) Mit dem Jahre 796 scheint der Schreiber zuerst seine Ar- 
beit beendet zu haben; die regelmässig am Schluss wiederkehrenden 
Jahresberechnungen hören hier auf. 



230 Jahrb. der Mstor. Glosse der h Äkad, der Wissenschaften. 

Man hat aber neuerdings, auf Einhard's eigenes Buch 
über diese Translation gestützt, erweisen wollen, dass dieselbe 
bereits 826 erfolgt sei, und hielt sich dann entweder für be- 
rechtigt, die Autorschaft an den Königsannalen Einhard völlig 
abzusprechen oder wandte sich, wenn man diesen Schluss nicht 
ziehen wollte, zu einer künstlichen Auslegung der angegebenen 
Worte. Sie sollten sich nicht auf die Ankunft der Reliquien 
im Frankenreiche, sondern auf die schliessliche Beisetzung des 
Beliquienschatzes in Mülinheim beziehen. Aber diese erfolgte 
nach den Fuldaer Annalen erst nach Ostern 828 , und jeden- 
falls war der Verfasser der Fuldaer Annalen, ^®) der uns zum 
Jahre 836 von dem Besuch Kaiser Ludwig's in Mülinheim 
allein Nachricht gegeben hat, über die dortigen Vorgänge nicht 
schlecht unterrichtet. 

Nur völlig zwingende Gründe können deshalb meines Er- 
achtens von der Angabe der alten Quellen abzugehen berech- 
tigen, und es ist mir sehr fraglich, ob solche Einhard's Buch 
über die Translation der erwähnten Heiligen darbietet. 

Einhard erzählt nämlich hier, wie er zu Aachen am Hofe 
des Kaisers einen rönüschen Diakonen, Namens Deusdona, 
habe kennen lernen und mit ihm über die Translation des 
heiligen Sebastian und die Vernachlässigung der Reliquien in 
Gespräch gerathen sei: er selbst habe dabei den Wunsch zu 
erkennen gegeben für die von ihm erbaute, aber noch nicht 
geweihte Kirche zu Michelstadt römische Reliquien zu er- 
halten. Nach einigem Zaudern erbietet sich Deusdona Heiligen- 
gebeine, die er bereits zu Rom besitzt, Einhard gegen eine 
angemessene Belohnung abzulassen, und dieser entsendet mit 
ihm seinen Notar Ratleik nach Rom, um in den Besitz jener 



(60) Er wird bekanntlich ebenfalls Enhard oder Einhard ge- 
nannt. Schwerlich ist dabei an den berühmten Geschichtsschreiber 
zu denken, eher mit Pertz an einen Fuldaer Mönch dieses Namens, 
über dessen Person uns freilich Nichts weiter bekannt ist. 



Giesebrecht: Die fränkischen Königsannalen. 231 

Keliquien zu gelangen. Deusdona und Eatieik reisen von 
Aachen ab und nehmen ihren Weg zunächst nach Soissons; 
hier eröfl&iet Deusdona dem Abt Hilduin Aussichten auf die 
Eeliquien des hl. Tiburtius, und Hilduin giebt ihm einen 
Priester, Namens Hun, zum Begleiter, der die Eeliquien des 
hl. Tiburtius nach Soissons schaffen soll. Man setzt dann die 
Eeise nach Eom in möglichster Eile fort, wird aber einige 
Zeit durch die Erkrankung eines Dieners Eatleiks aufgehalten. 
Als man am Ziel der Eeise angekommen ist, nimmt man im 
Hause des Deusdona Wohnung , bemerkt aber endlich , dass 
dieser die versprochenen Eeliquien gar nicht besitzt und Einhard, 
wie Hilduin, mit falschen Vorspiegelungen betrogen hat. Durch 
einen glücklichen ZufaU entdeckten indessen Eatieik und sein 
Begleiter bald darauf das gemeinsame Grab der HH. MarceUinus 
und Petrus; nach dreitägigem Fasten gehen sie, von Deusdona 
unterstützt, an die Oeffnung des Grabes, und es gelingt ihnen 
die Gebeine des hl. MarceUinus herauszuheben, welche dann 
in den Gewahrsam des Deusdona gegeben werden. Deusdona 
rieth Eom nun schnell zu verlassen, aber Eatieik will sich 
auch noch die Gebeine des hl. Petrus aneignen, Hun nicht 
ohne die Eeliquien des hl. Tiburtius, dessen Grab man bisher 
vergeblich zu öflFnen gesucht hatte, zu Hilduin zurückkehren. 
Nach einiger Zeit gehen deshalb beide wieder bei Nachtzeit 
zu den Gräbern, nur von ihren Dienern begleitet, und Eatieik 
erreicht seinen Zweck, während Hun das Grab des hl. Tibur- 
tius auch jetzt nicht zu öfl&ien gelingt. Eatieik tritt endlich 
einigen Aschenstaub, den er bei dem hl. Petrus gefunden, an 
Hun ab und weiss ihn zu überzeugen , dass dieser vom M. 
Tiburtius herrühre. Eatieik lässt sich nun die Gebeine des hl. 
Marcellinus von Deusdona zurückgeben und beschliesst mit 
seinen Schätzen aufzubrechen. Die Eeliquien, wohl verwahrt 
und versiegelt, sendet er mit Hun und dem Bruder des Deus- 
dona nach Pavia voraus; er selbst bleibt noch sieben Tage in 
Eom, um zu hören, ob über sei^en Bß^ub Nichts verla^ut^t sei, 



232 Jahrb. der histor, Glosse der h Äkad, der Wissenschaften. 

reist dann mit Deusdona nach und findet in Pavia die Reli- 
quien mit ihren Begleitern. Indessen verbreitet sich das Ge- 
rücht, dass eine Gesandtschaft vom Papst an den Kaiser über 
Pavia konune. Man geräth in neue Besorgniss entdeckt zu 
werden und beschliesst endlich, Hun solle mit Deusdona schnell 
nach Soissons voraneilen, Batleik aber mit dem Beliquienschatz 
in Pavia verweilen, bis die Gesandten die Stadt passirt hätten, 
und dann ihnen nachkommen. Jene machen sich auf den Weg 
und kommen nach Soissons. Batleik dagegen, bereits voll Miss- 
trauen gegen Hun und Deusdona, beschliesst mit seinen Keli- 
quien ihnen nicht zu folgen, sondern einen andern Weg ein- 
zuschlagen, und unterrichtet davon Einhard durch einen Boten. 
Sobald er vemonunen hat, dass die päpstlichen Gesandten die 
Alpen überschritten, bricht er dann von Pavia auf und ge- 
langt am sechsten Tage nach S. Maurice. Dort legt er die 
Gebeine in einen Sarg, setzt ihn auf eine Bahre und zieht 
nun öffentlich nicht ohne Gepränge fürder.* Er verfolgt die 
Strasse an den Genfer See, weiter nach Solpthum, wo ihm 
schon Boten Einhard's begegnen, und Strassburg, wo man zu 
Schiffe steigt;, bei einem Ort, der Portus genannt wird, steigt 
er dann aus, und gelangt in fünf Tagereisen nach Michelstadt. 
Einhard eilt jetzt selbst herbei, und manche Zeichen weisen 
ihn darauf hin, dass die Reliquien an einen anderen Ort ge- 
bracht werden müssten. Er entschliesst sich endlich dazu und 
schafft die B.eliquien nach Mülinheim; dort kommen sie am 
17. Januar an. Einhard trifft noch die noth wendigsten Vor- 
kehrungen für die Aufbewahrung seiner Heiligthümer, dann 
eilt er, durch ein königliches Schreiben berufe^^, nach Aachen. 
Hier begegnet er dem Abt Hilduin und erfährt bald aus dessen 
Munde, dass ein Theil der Reliquien des hl. Marcellinus ent- 
wandt und nach Soissons gebracht sei ; der Diebstahl war ge- 
schehen, als Ratleik in Rom diese Reliquien der Obhut des 
Deusdona anvertraut hatte. Nach längerem Zögern entschliesst 
sich Hilduin Einhard sein Eigenthum auszuliefern und lässt 



Giesehreckt: Die fränkischen Königsannälen, 233 

die betreffenden Eeliquien von Soissons kommen. Acht Tage 
oder darüber nach Ostern, als der Kaiser auf die Jagd 
gegangen war, liefert er dann im Münster feierlich Einhard 
die entwandten Reliquien aus, welche derselbe vorläufig in ein 
Oratorium in seinem eigenen Hause zu Aachen bringt. Hier 
geschehen zahlreiche Wunder, und das Gerücht derselben dringt 
zu des Kaisers Ohren. Von der Jagd zurückgekehrt, lässt 
dieser deshalb die heiligen Gebeine nach dem Münster zurück- 
bringen und beweist ihnen hier seine Verehrung. Sobald es 
aber Einhard möglich ist, schafft er seinen Schatz wieder in 
sein Haus, wo derselbe noch vierzig Tage oder darüber 
bleibt, bis der Kaiser sich wieder auf die Jagd begiebt und 
der Hof Aachen verlässt. Da bringt Einhard unter grossen 
Feierlichkeiten auch diese Reliquien nach Mülinheim, wo er 
am sechszehnten Tage anlangt. Er bleibt daselbst bis zum 
November, wo er nach Aachen zurückkehrt, nachdem er noch 
zuvor die getrennten Reliquien wieder völlig vereinigt hatte. 
Dies ist im Wesentlichen der Hergang der Dinge, wie 
ihn Einhard berichtet, und Nichts scheint in demselben, was nicht 
mit unseren sonstigen Nachrichen über die Zeit von Anfang des 
Jahres 827 bis zum November 828 zusammenpasste. Die 
Translation des hl. Sebastian war in den letzten Tagen des 
Jahres 826 erfolgt. Der Kaiser feierte Weihnachten 827 mit 
dem Hofe in Aachen und blieb dort mindestens bis in den 
Februar. ^^) Dort konnte Einhard mit Deusdona zusammen- 
treffen, und die Reise und Rückkehr Ratleiks mochten sich 
dann nach allen berichteten Hindernissen leicht so lange ver- 
zögern, dass erst im October oder November die Reliquien in 
das Frankenreich kamen. Die von Ratleik heimgeführten Ge- 
beine wurden am 17. Januar nach Mülinheim gebracht, und 
gleich darauf eilte Einhard an den Hof nach Aachen , durch 
ein königliches Schreiben berufen; wir wissen, dass Ludwig 
dort im Februar 828 einen wichtigen Reichstag hielt. Lange 

(61) Böhmer, R^esta Karolorum No. 886, 



234 Jdhrb, der histor. Glosse der k, Akad, der Wissenschaften* 

Zeit haben sich dann der Kaiser und Einhard in Aachen nach 
unserem Bericht aufgehalten, mindestens bis gegen den Juni; ^*) 
auch nach unseren anderen Berichten muss der Kaiser 828 
bis zu diesem Monat, wo er nach Ingelheim zu einem Placitum 
kam, in Aachen verweilt haben. Im Juli wird darauf Einhard 
die von Hilduin erhaltenen Eeliquien nach Mülinheim geschafft 
haben, wo er dann längere Zeit verweilte. Im November 
musste er indessen nach Aachen zurückkehren. Wir hören in 
den Königsannalen, dass der Kaiser dort um den 11. Novem- 
ber 828 anlangte, den ganzen Winter hindurch in verschiede- 
nen ßeichsversaimnlungen wichtige Begierungsangelegenheiten 
erledigte und sich bis zum 1. Juli 829 in Aachen aufhielt. 
Auch Einhard berichtet, ^*) wie er damals im November nach 
Hofe gereist sei, habe der Kaiser mitten im Winter eine Ver- 
sammlung der Grossen angesetzt, und klagt, dass er mit An- 
deren damals ungebührlich lange in Aachen habe verweilen 
müssen. Nur einer späteren Beise an den Hof im December 
erwähnt er noch; **) sie fällt in das Jahr 829. Die letzte 
Wunderthat, deren er in seiner Schrift über die Translation 
gedenkt, ^*) setzt er in den August 830; bald nachher muss 
er die Feder niedergelegt haben. Alles scheint in voller Ueber- 
einstumnung zu stehen 

Welches sind aber die aus Einhard's Schrift entnommenen 
Gründe, welche auf die Meinung führten, dass die Translation 
des heiligen Marcellinus und Petrus in das Frankenreich be- 
reits 826 erfolgt, die Gebeine des hl. Petrus bereits im Ja- 
nuar 827 nach Mülinheim gebracht, die entwandten Beste des 
hl. Marcellinus nach Ostern dieses Jahres Einhard übergeben 



(62) Ostern fiel 828 auf den 5. April; der Kaiser war nach Ein- 
hard's Erzählung mindestens 50 Tage nach Ostern noch in Aachen. 

(63) Man vergleiche § 31, 33, 44, 45, 46 nach der Ausgabe von 
Teulet. 

(64) § 56. 

(65) § 93. 



# 



Giesebrecht: Die fränkiacken KönigsanncLlen, 235 

seien? Am vollständigsten hat sie 0. Abel zusammenge- 
stellt, ^*) und wir werden sie, ihm folgend, beleuchten, indem 
wir von den geringfügigeren zu den erheblicheren aufsteigen. 

Abel macht geltend, dass Mnhard von einer Beise des 
kaiserlichen Bibliothekars Gerward nach Nymwegen be- 
richtet, ^'') die gerade in die Zeit fiel, als er selbst mit seinen 
Beliquien in Aachen verweilte. Abel bringt damit die Nach- 
richten über eine Beise in Verbindung, welche Kaiser Ludwig 
nach unseren Königsannalen im Jahre 827 nach Nymwegen 
machte; er schliesst daraus, dass die Beliquien 827, nicht 828 
in Aachen waren. Aber aus Einhard's Worten selbst geht 
hervor, dass nicht der Kaiser, ^®) sondern nur Gerward damals 
nach Nymwegen reiste, und Niemand kann absehen, weshalb 
Gerward nicht 828 eine Beise dorthin hätte antreten können. 

Die Gesandtschaft des Papstes an den Kaiser, welche 
Batleik in Pavia abwartete, meint Abel, sei keine andere, als 
diejenige, welche nach den Königsannalen Ludwig im Juni 826 
in Ingelheim empfing, und danach müsste man Batleiks Beise 
in das Jahr 826 verlegen. Aber warum sollte nicht auch im 
folgenden Jahre eine Gesandtschaft von Bom an den Kaiser 
gegangen sein? Zweimal wurde schnell nach einander der 
päpstliche Stuhl erledigt, und wir wissen mindestens, dass 
über die Consecration Gregors IV zwischen Bom und dem 
kaiserlichen Hofe unterhandelt wurde. 

Noch grösseres Gewicht legt Abel darauf, dass Einhard 
erzählt, *^) wie er auf seiner Fahrt an den Hof im Decem- 
ber 829 bei Wiesbaden wieder an ein Kreuz gekommen, wel- 
ches die Einwohner errichtet, als er vor zwei Jahren (ante 



(66) Einhard's Jahrbücher in den Geschichtsschreibern der deut- 
schen Vorzeit S. 160-162. 

(67) § 67. 

(68) Einhard erzählt, wie Gerward erst in Aachen den Kaiser sah. 

(69) § 56. 



236 Jahrh, der histor, Clasae der k, Äkad. der Wissenschaften. 

biennium) dort mit den Eeliquien des hl. Marcellinus auf der 
Heise von Aachen nach Mülinheim vorbeigezogen sei; diese 
Beise müsse demnach bereits in das Jahr 827 fallen. Aber 
Einhard konnte die Errichtung des Kreuzes nach der Zeit, wo 
er schrieb {830), berechnen, und er berechnete sie dann ganz 
genau. Oder er rechnete nach seinen Hofreisen nach Aachen 
und schätzte die Vorgänge auf der vorletzten auf einen Zeit- 
raum von zwei Jahren ab, obwohl dies nicht völlig der Wahr- 
heit entsprach, denn nur etwa anderthalb Jahre lagen zwischen 
seiner damaligen Beise nach Aachen und der Zeit, wo er die 
Beliquien bei Wiesbaden vorbeiführte. 

Erscheinen uns alle diese Gründe nicht sonderlich ge- 
eignet, um die Chronologie unserer Quellen zu verlassen, so 
ist dagegen der letzte, den man vorgebracht hat, wirklich 
von Bedeutung. Es steht nämlich an einer Stelle der Trans- 
lation ^®) mit klaren Worten zu lesen, dass Einhard Theile 
der Beliquien der HH. Marcellinus und Petrus dem Abt 
Georgius zu St. Sauve in Valenciennes während seines Auf- 
enthalts in Aachen im vierzehnten Begierungsjahre Kaiser 
Ludwigs abgelassen habe; das vierzehnte Begierungsjahr ist 
aber unbestreitbar 827. Wäre diese Zeitangabe richtig, so 
müssten allerdings die Beliquien schon 826 in das Pranken- 
reich geschafft, schon Ostern 827 die Beste des hl. Marcellinus 
Einhard in Aachen übergeben sein. 

Dieze Nachricht stammt aus einem Theile von Einhard's 
Schrift, wo er nach ihm zugegangenen Berichten Mittheilungen 
über die Wunder macht, die bei einigen Beliquienparzellen, 
die er verschenkt hatte, bemerkt waren. Nach drei Orten 
hatte er solche Schenkungen gemacht, und die Empfänger 
hatten sich beeilt, ihn durch Nachrichten über die Wunder- 
kraft der Beliquien zu erfreuen. In Gent waren die heiligen 
Gebeine am 3. Juli 828, wie £(,usdrücklich bemerkt wird, au- 



(70) § 69, 



GiesebrechU Die fränkischen Königscuimalen, 237 

gekommen; bald erhielt Einhard ein ProtocoU über die bis 
zum 25. September dieses Jahres dort eingetretenen Wunder, 
welches er dann seinem Buche einzuverleiben nicht versäumte. 
In Mastricht waren schon am 4. Juni 828 ''^) die von Ein- 
hard geschenkten Eeliquientheile eingetroffen; die Mönche 
überschickten ihm bald ein Protocoll über die bis zum 
23. Juni dieses Jahres wahrgenommenen Wunderzeichen. 
Die Keliquien endlich, welche Einhard dem Abt von St. Sauve 
in Valenciennes geschenkt, gelangten am 22. Juni dorthin 
und über die bis zum 25. Juli desselben Jahres bemerkten 
Wunder erstattete der Abt einen Bericht , welchem die Notiz 
entnommen ist, welche dafür entscheiden soll, dass die Beli- 
liquien des hl. Marcellinus schon um Ostern 827 nach Aachen 
gebracht seien. Nun scheint aber, diese Keliquienschenkungen 
werden sänuntlich zu Aachen in derselben Zeit geschehen 
sein, und die in ihnen erzählten Wunder gehören ebenso 
derselben Zeit an. Wie die Wunder in Gent und Mastricht 
ausdrücklich in das Jahr 828 gesetzt werden, dürften in 
dieses auch die Wunder von St. Sauve fallen, und das 
vierzehnte Eegierungsjahr in der Schrift des Abtes lediglich 
auf einem Schreib- oder Kechnungsfehler beruhen ; es müsste, 
wie schon längst vorgeschlagen, freilich dann das fünfzehnte 
emendirt werden. 

Wem dies zu gewagt erscheint, der wird allerdings bei der 
Meinung verharren, dass Eatleik seine Eeise nach Eom be- 
reits 826 gemacht habe und dass schon um Ostern 827 die 
Beliquien des heiligen Marcellinus nach Aachen gebracht 
seien. Aber er wird damit nur in andere unlösbare Schwierig- 
keiten gerathen. Er muss annehmen, dass Deusdona und 
Einhard bei ihrer ersten Zusammenkunft nicht von der Trans- 
lation des heiligen Sebastian sprachen, sondern nur von der 



(71) Dass diess Jahr gemeint ist, zeigen die Wochentage, die bei 
den einzelnen Wundem angegeben sind. 



238 Jährh. der histor. Glosse der k. Akad. der Wissenschaften, 

s 

Absicht dieser Translation, die Hilduin hegte; er muss an- 
nehmen, dass Kaiser Ludwig bis in die Mitte des Juni 827 
zu Aachen verweilte, ^^) obwohl wir aus einer Urkunde vom 
25. Mai dieses Jahres ^*) wissen, dass er bereits sich damals 
in der Pfalz Tectis aufhielt, und früh von Aachen aufge- 
brochen war, um Eeichsversammlungen in Nymwegen und 
Compiegne zu halten. Mir scheinen diese Schwierigkeiten viel 
grösser, als jene Aenderung der Zahl. 

Nachdem so viel über Einhard hier gehandelt wurde, 
kann ich nicht umhin darauf hinzuweisen, dass erst neuer- 
dings ein höchst werthvoUes Zeugniss über sein Leben und 
seine schriftstellerische Thätigkeit an den Tag gekommen ist. 
Es ist die vollständige Vorrede des Walafrid Strabo zur 
Lebensbeschreibung Karl's, von welcher Vorrede bisher nur 
ein sehr schlechtes Excerpt bekannt war. '*) Diese Arbeit 
Walafrids , genau entsprechend der ähnlichen aus seiner Feder 
zu Thegans Lebensbeschreibung des Kaisers Ludwig, hat Pertz 
im Archiv VIII S. 372, 373 zum erstenmal nach einer 
Kopenhagener Handschrift in ihrer wahren Gestalt veröffent- 
licht. Walafrid beklagt hier den jähen Verfall der Stu- 
dien nach Karl's des Grossen Tode, und es scheint fast, 
als ob die ebenso schnelle Erhebung der wissenschaftlichen 
Bestrebungen zu Karl's Zeiten, wie ihr eiliger Kückschritt 
nach seinem Heimgange sich auch in den verschiedenen Ab- 
schnitten unserer Annalen an der Schreibart bemerken liesse. 
Auch darin kann man die Königsannalen als ein Spiegelbild 
der fränkischen Königsgeschichte betrachten. 

(72) Ostern fiel 827 auf den 21. April. 

(73) Böhmer, Regesta Karolorum No. 387. 

(74) Mon. Genn. 11 p. 440. 



IV. 



Bauemland mit Bürgerrechten. 



Von 

W. H. Riehl 



IV. 
Bauemland mit Bürgerrechten. 



1. 

Die alten Gaunamen sind am Oberrheine, wie überhaupt 
in Schwaben und Allemannien, noch vielfach gangbar ge- 
blieben bis auf diesen Tag, obgleich das Gedächtniss der alten 
Gauverfassung längst im Volksbewusstsein erloschen ist. Am 
fränkischen Mittelrheine dagegen gibt es nur noch einen 
Gaunamen: der Kheingau, mundartlich „das Einga.** 

AUein wenn wir hier auch noch das alte Wort besitzen, 
so bezeichnet es doch keineswegs mehr die alte Sache. Was 
wir heute Eheingau nennen — die üferlandschaft des Eheines 
von Walluff bis Lorch mit einem Stücke bergigen und waldigen 
Hinterlandes — ist lediglich ein Bruchtheil vom westlichen 
Grenzgebiete des alten Eheingaues. Der Name zog sich schritt- 
weise auf einen immer engeren Eaum zurück. Die Geschichte 
dieser steigenden Beschränkung im Sprachgebrauche fahrt uns 
aber geradenweges in die Verfassungs- und Eechtsgeschichte 
jenes Grenzwinkels, dem zuletzt der Name blieb; und da ich 
es mir zur Aufgabe gestellt habe, den Zusammenhang der 
socialen und wirthschafklichen Entwickelung des Eheingaues 
mit seinen alten Eechten und Freiheiten zu schUdem, so kann 
ich schon bei dem Namen, welchen der Eheingauer immer mit 

16 



242 Jahrb. der histor. Classe der k, Akad. der Wissenschaften, 

besonderem Stolze fahrte und noch führt, den ersten Nachweis 
dieses Zusammenhanges beginnen. 

Der uralte Kheingau erstreckte sich auf dem rechten Ufer 
des Stromes vom Lobdengaue bis zum Einrieb, d. h. von 
Weinheim an der Bergstrasse bia unterhalb Lorch. Der Main 
gliederte ihn in einen oberen und niederen Gau, die unter 
besonderen Grafen standen. Der niedere Gau aber theilte sich, 
vermuthlich später, wiederum in einen oberen und unteren 
Theil: die Königshundrete (urkundlich zuerst 820 erwähnt) 
und denJRheingau im engeren Sinne, der schon in den ältesten 
Urkunden (seit 779) schlechthin „ßinegowe," pagus Sinensis 
genannt wird. ^) Die Waldafife, ein Bach, welcher nach nord- 
südlichem Laufe bei Walluff in den Ehein mündet, schied den 
letzt bezeichneten Kheingau von der Königshundrete. Dieser 
westliche Niederrheingau erscheint aber später, da er als ge- 
schlossenes Ganze zum Mainzer Erzstifte gehörte, abermals in 
einen Ober- und Niederrheingau getheilt (983), für welche 
der Eisbach bei Oestrich die Scheidelinie bildete. 

Alle diese Namen und Eintheilungen sind erloschen und 
vom Volke vergessen bis auf jenen westlichen Niederrheingau, 
den es auch heute noch, wie vor tausend Jahren, schlechthin 
Eheingau nennt und, wie zur Zeit der Ottonen, in einen oberen 
und unteren Gau gliedert. Ja es sind hier die alten Gau- 
grenzen jetzt, wo sie keine politische Geltung mehr haben, 
dennoch Grenzlinien in einem tieferen Sinne geblieben, Grenz- 
linien des Volkscharacters. Denn der Eheingau ist nicht blos 
ein besonderes Land, er herbergt auch besondere Leute. 

Die auszeichnende Physiognomie des Eheingauers lässt 
sich aber in ihren historischen Motiven wiederum nicht auf 
die Zeit der uralten Gauverfassung zurückführen, sie beginnt 



1) Das Nähere bei H. Bär, Beitrage zur Mainzer Gesch. ü, 1 ff., 
bei Bodmann, Rheingauer Alterthümer I, 40 ff. und in Vogel's 
Beschreibung des Herz. Nassau S. 161. 



Eiehl: Bauernland mit Bürgerrechten. 243 

nachweislich vielmehr erst da, wo diese aufgelöst und in der 
neuen Ordnung der Landeshoheit untergegangen ist. Erst als 
es keine Gaue mehr gab, erwuchsen die rechten Eheingauer. 
Ein vergleichender Blick auf die Bewohner der angren- 
zenden Königshundrete wird dies deutlich machen. Dieser 
Gau „Kuningesuntre" erscheint im neunten Jahrhundert in einem 
weit helleren und glänzenderen Lichte als der Bheingau. Seine 
Grafen walteten höchst wahrscheinlich zugleich imßheingauer 
Land, welches keine eigenen Grafen aufweisen kann. Zu 
Biebrich in der Königshundrete stand die alte Königsburg, 
von wo sich noch Ludwig der Deutsche 874 *) nach Aachen 
einschiffte, in Wiesbaden eine kaiserliche Pfalz, königliche 
Villen waren über den ganzen Gau verstreut (in Biebrich, 
Mosbach, Dotzheim, Schierstein, Massenheim, Nordenstadt). 
Eine Anzahl sehr alter Urkunden gibt uns Winke über die 
ebenso reiche als frühe Besiedelung und Cultur dieses gesegneten 
Gaues, der ohnedies in der unmittelbaren Nähe von Mainz 
and Frankfurt günstiger gdegen war, ak der damals sicher 
viel minder angebaute, in seinen westlichen und nördlichen 
Grenzbezirken noch sehr unwegsame Bheingau. Auffallend 
arm an alten Urkunden ist dagegen unser Bheingau, und 
wir sind über seine Culturzustände vom 8. bis 10. Jahrhundert 
grossentheils auf Muthmassungen angewiesen, während sich 
mit dem Ende des 10. Jahrhunderts dann allerdings der Schatz 
beglaubigter Nachrichten um so reicher erschliesst, so dass 
wir von den weiteren mittelaltrigen Entwickelungen des Gaues 
Genaueres wissen als von irgend einer benachbarten Landschaft. 
Ein Zeugniss für jenen Mheren Urkundenmangel gibt der 
Streit über den Ursprung des Bheingauer Weinbaues. Denn 
zu einer Zeit, wo man im Lahngau, im Niddagau und in der 
Kunigeshundrete nachweislich schon Wein baute (Ende des 8. 
und Anfang des 9. Jahrhunderts), wissen wir vom mittel- 



2) Ann. Fold. a. h. a. 



244 Jahrb, der histor. Glosse der k. Akad. der Wissenschaften, 

altrigen Bheingauer Weinbau nur erst durch die Volks- 
sage, welche Karl den Grossen bei Eüdesheim Beben pflanzen 
lässt und das römische Weinlager Winkel (vini cella) als einen 
Weinkeller des grossen Frankenkönigs darstellt. Der urkund- 
liche Nachweis des Bheingauer Weinbaues reicht nicht über 
832 und 864 hinauf) Andererseits wissen wir bestinunt, dass 
ein grosser Theil des Büdesheimer Berges und der ganze Jo- 
hannisberg und Steinberg noch wüste lag bis ins 11. und 
12. Jahrhundert, während man in den schlechtesten Lagen 
der Nachbargaue, wo jetzt kein Mensch mehr Wein sucht, seit 
Jahrhunderten schon Trauben kelterte. Der gelehrte Eber- 
bacher Mönch Hermann Bär hat schon vor siebenzig Jahren 
den früheren Urkundenmangel des Bheingaues als etwas Auf- 
fallendes erörtert und schreibt ihn der späten Stiftung der 
rheingauischen Klöster zu. Das ist wohl richtig; allein die 
Klöster, mit welchen nachgehends der Eheingau so überreich 
gesegnet war, würden wohl auch theilweise schon vordem 11. 
und 12. Jahrhundert gestiftet worden sein, wenn das Land 
damals schon seine Culturföhigkeit so glänzend erwiesen und 
jene politische Anziehungskraft geübt hätte, durch welche es 
nach der alten Gauzeit colonisatorische Einwanderung der 
mannigfachsten Art herbeilockte. 

Mit dem Ausgang des 10. Jahrhunderts wird die Stellung 
des Bheingaues zur Kunigshundrete eine ganz neue: er wächst 
dem früher begünstigteren Brudergaue äusserst rasch über den 
Kopf. Das zeigt sich in folgenden Hauptpunkten : DerBhein- 
gau bleibt ein selbständiges, politisch eigenartiges Ganze unter 
der Landeshoheit des Erzstiftes Mainz; die Kunigshundrete 
wird zerstückt zwischen den Grafen von Nassau und den Dy- 
nasten von Eppstein. Der Bheingau behauptet nicht blos die 



3) Vgl. Bodmann I, 102 u. 109; Bär diplom. Nachrichten von 
der natürl. Beschaffenh. des Rhng. 21, 51 u. 57; Vogel a. a. 0. 
. S. 400. 



Biehl: Bauernland mit Bürgerrechten, 245 

alte Freiheit seiner Bewohner, sondern er festigt und entwickelt 
sie auch in einer neuen Form, er gewinnt nahezu städtebürger- 
liche Eechte und überragt dadurch alle Nachbarlandschaften. *) 
Auf Grund dieser höchst originellen Zustände eines Gaues, der 
gleichsam eine grosse, in Dörfern zerstreute Stadt bildet, er- 
wächst dann aber auch städtische Betriebsamkeit im Landbau, 
städtischer Güterwechsel, überhaupt ein wirthschaftlicher 1md 
sozialer Mischcharacter, in welchem der mittelalterlich bürger- 
liche Zug den bäuerlichen stark zurückdrängt. Die Kuniges- 
hundrete dagegen bleibt achtes Bauernland bis zu den terri- 
torialen Umwälzungen der Neuzeit. Das zeigt sich heute noch 
deutlich in den sonst so nahe verwandten Grenzdörfern rechts 
und links der Waldaffe. Auch in der nachgerade politisch 



4) Der Rheingau hatte eine vielfach bevorzugte Sonderstellung 
unter den mainzischen Territorien. Die wichtigsten Rechte und 
Freiheiten bestanden in der äusseren Abschliessung des Gaues, eigener 
^Landesverfassung und eigenen Landrechten, persönlicher Freiheit der 
Bewohner, Freiheit des Ein- und Auszuges, ferner in der Autonomie, 
welche der Gau auf seinen Landtagen übte, in eigenem Schutz- und 
Vertheidigungsrechte, eigener Land- und Dorfpolizei etc. Das Land 
behauptete also im Wesentlichen den Standpunkt einer landesherr- 
lichen Stadt des Mittelalters. Als Quelle der überlieferten Freiheiten, 
Herkommen und Bräuche erschien das im Jahre 1324 niedergeschrie- 
bene Landweissthum, dessen Alter — abgesehen von dieser Aufzeich- 
nung — nach Bodmanns Ansicht bis in's 12. Jahrhundert zurückgeht. 
Eine der ältesten Abschriften hat Bodmann benützt, sie ist aber in- 
zwischen verloren gegangen. Eine 1643 verfasste Zusammenstellung 
des Landesherkommens gewann unter dem Titel des „Rheingauer 
Landbrauches" amtliche Geltung, die aber im Anfang des 18. Jahr- 
hunderts schon angefochten und 1755 durch das kurmainzische Land- 
recht völlig beseitigt wurde. Schon das 16. Jahrhundert hatte die 
Autonomie des Rheingaues, welche er auf seinen Land- und Gerichts- 
tagen übte, gebrochen, Die volle Landesfreiheit, auf welche in diesem 
Aufsatze so vielfach Bezug genommen, gehört ^ also dem Mittelalter 
und fällt in ihrer selbständigen Entwickelung (vom 12. bis 15. Jahrh.) 
mit der eigenthümlichsten Culturblüthe des Landes zusammen. 



246 Jahrb. der histor, Glosse der k, Akad. der Wissenschaften. 

wichtigsten Stadt der Kunigeshundrete, in Wiesbaden, waren die 
Bürger Bauern bis zum neunzehnten Jahrhunderte, wie schon 
ein altes Spruch wort bezeugt: „wenn alle Wiesbadener Bauern 
in den Acker gehen, so ist kein Bürger mehr zu Hause.*' In 
den gefreieten Dörfern des Eheingaues dagegen waren die 
Bauern Bürger. In unserer Zeit ist freilich die alte Kuniges- 
hundrete dem Kheingau nachgewachsen und zum Theil ihrer- 
seits wieder über den Kopf gewachsen, und dennoch sind die 
alten unterscheidenden Characterzüge in dem Typus des ge- 
meinen Mannes noch lange nicht verwischt. 

Ein so bevorzugtes Land wie der mainzische Eheingau 
suchte aber nach mittelalterlicher Art sich möglichst enge 
in sich selber abzuschliessen. Daher die bezeichnende Erschei- 
nung, dass man im 13. Jahrhunderte den Begriff des Ehein- 
gaues vorübergehend noch einmal verengerte und nur die un- 
mittelbar am Eheinufer gelegenen Ortschaften (Eheinflecken) 
unter demselben verstand. Allein dieser Eheingau im aller- 
engsten Sinne hatte keinen langen Bestand; bei der wachsen- 
den Volksmasse stiegen die Dörfer auf den Vorhöhen des Ge- 
birges (die Waldflecken) zu so grosser wii*thschaftlicher Be- 
deutung empor, dass aus der Gleichartigkeit der Interessen 
auch gleiche Ansprüche auf Eechte und Nutzungen entsprangen 
und gewährt wurden. ^) 

Selbst die spätere administrative Abgrenzung eines main- 
zischen „Amtes Eheingau" vermochte dem alten Begriffe des 
,,Landes Eheingau" nichts anzuhaben. Das „Amt" war selt- 
samerweise grösser als das „Land" ; allein mit der Auflösung der 
Mainzer Herrschaft verfiel auch das Amt sofort der Geschichte, 
während das Land ethnographisch und volksthümlich auch 
unter der neuen nassauischen Hoheit Bestand behielt. 

Für den gleichsam persönlichen Sprachgebrauch des 
„Landes Eheingau" gibt es merkwürdige urkundliche Belege. 



5) Siehe Bär, dipl. Nachr. II, 15 f. 



Biehl: Bauernland mit Bürgerrechten. 247 

Als im Jahre 1347 drei Edelleute von den Kheingauern bei 
Kiederich gefangen worden waren, verschreiben sie sich dem 
Erzbischofe Heinrich III. von Mainz und sagen in dem Briefe : 
„als uns sine Laut daz Kingauwe zuKederich gevangen 
hatte." ®) Wie hier „das Land" gefangen nimmt, so schenkte 
schon im 12. Jahrhundert das Land Kheingau den Grund und 
Boden (aus seinem gemeinsamen Waldbesitz) zur Fundirung 
des Klosters Eberbach ; dies bezeugt Erzbischof Adelbert I. in 
der Stiftungsurkunde mit besonderem Ausdrucke: „ipsum 
monasterii fundum, qui ab incolis provincie ipsius 
oblatus est Deo meo consensu. '') Und noch im 18. Jahr- 
hunderte führte das Dorf Gladbach einen Prozess mit dem 
Lande Eheingau wegen eines streitigen Grundstückes. 

Wo aber der Name einer Landschaft so bestimmt und 
dauernd vom Volke selber festgehalten Vird, da muss er von 
ihm wohl auch mit besonderem Stolze und als ein Ehrennamen 
genannt werden. Dieses geschah und geschieht von dem Ehein- 
gauer. Mit geringschätzendem Seitenblick dagegen bezeichnet 
er von Altersher seinen nördlichen Nachbarn als „Ueberhöher," 
die „Lude vber Höe," wie sie schon im Anfange des 14. Jahr- 
hunderts heissen. Der Eheingauer und der Ueberhöher ist ein 
ganz ähnlicher Gegensatz wie Marschvolk und Geestvolk im 
deutschen Norden; in Beidem bekundet sich die Ueberlegen- 
heit eines reichereren, gebildeteren und vormals freieren Volkes 
über ein ärmeres und unfreieres. In den deutschen Mittelge- 
birgen kommt der Fall öfters vor, dass die Bewohner den 
volksthümlichen Namen ihrer Gebirgsgegend nicht gerne hören 
und überhaupt nicht zum eigentlichen Gebirg zählen woUen; 
es fragt sich, ob diese Scheu vor dem Namen der Heimath 
und die Furcht, dass der Fremde einen geringen oder spötti- 



6) Der ganze Brief bei Schunk, Beitr. z. mainz Gesch. II, 109. 

7) Guden. Cod. dipl. 1, 94, nach der Textberichtigung von Bar, 
Gesch. d. Abtei Eberb. I. 673. 



248 Jahrb. der hlstor, Glosse der k. Akad, der Wissenschaften, 

sehen Begriff damit verbinde, nicht viel öfter auf alte politische 
Abhängigkeitsverhältnisse als auf die rauhe Natur der minder 
wirthlichen Striche zurückzuführen ist. 



2. 

Ein Gau, der sich wie eine Stadt entwickelte, musste 
im Mittelalter wohl auch stadtmässig feste Grenzen, er musste 
Wall und Mauer habeu. Diese besass der Eheingau. Im 
Süden und Westen war er durch den Rhein, im Norden durch 
die undurchdringliche Schutzhege des Landgebückes, im Osten 
durch eine mit demselben verbundene Kette von Festungs- 
werken begi'enzt und abgeschlossen. Diese Grenz wehr hatte 
aber nicht blos rechtliche und strategische sondern auch wirth- 
schaftliche Bedeutung. Namentlich trug die feste Nord- und 
Westgrenze nicht wenig bei, die Form einer über den 
ganzen Gau zerstreuten städtischen Besiedelung 
dauernd zu sichern. 

Das oft beschriebene Landgebück, ein 50 Schritt breiter, 
in sich verwachsener Waldhag, würde wohl kaum genügenden 
Schutz verliehen haben, wenn es nicht rechts und links von 
zusammenhängenden dichten Waldungen umgeben und nur auf 
wenigen Punkten von Pforten und Strassen durchbrochen ge- 
wesen wäre. Um diese ganze, über vier Stunden lange Land- 
wehr fest zu bewahren, musste daher die landwirthschaftliche 
Ansiedelung wie der Verkehr hier möglichst ferne gehalten 
werden. Nur ein einziger Hof, der Mapperhof, lag auf rhein- 
gauischer Seite im Waldbezirk, galt aber auch im späteren 
Mittelalter als der Sicherheit nachtheilig, so dass ihn die 



Riehl: Bauernland mit Bürgerrechten. 249 

Landschaft gerne wieder beseitigt hätte, und nur ein einziges 
kleines Dorl*, Stephanshausen, welches aber, wie Bodmann sich 
ausdrückt, von den Kheingauern nur „pfahlbürgermässig und 
als Beisasse" behandelt wurde und nur von einer sehr unbe- 
deutenden Flur geklärten Landes umgeben war. 

Hierdurch erhalten wir das auffallende Bild eines Gaues, 
der zur Hälfte ein zusammenhängender, von der Cultur kaum 
berühilier Markwald ist, zur anderen Hälfte* ein fast garten- 
mässig angebauter Landstrich,* die Nordhälfte selbst heute nur 
von ein paar Hundert Menschen bewohnt, die Südhälfte seit 
sieben Jahrhunderten eine der dichtest bevölkerten Gegenden 
Deutschlands. Selbstverständlich waren diese schroffen Gegen- 
sätze zuerst in dem natürlichen Unterschiede eines milden, 
hügeligen, vom Strome bespülten Vorlandes und eines rauheren, 
bergigen und abgelegneren Hinterlandes vorbedingt. Allein 
sie würden sich nicht dauernd in solchem Extrem behauptet 
haben, wenn das hintere Waldland nicht Gemeineigenthum 
theils des Gaues theils der vorderen Gemeinden geblieben 
wäre, und dieser Gemeinbesitz wiederum würde schwerlich 
durch so viele Jahrhunderte unberührt und unzertheilt geblieben 
sein, wenn ihn die Rheingauer nicht als eine natürliche Schutz- 
wehr des Landes heilig gehalten hätten. 

Es liegt nun aber die Frage nahe, wai*um eine so starke, 
am Rhein zusammengedrängte Bevölkerung, ausgerüstet mit 
städtischen Freiheiten und durch den Weinbau zum Handel 
getrieben, nicht zu einer grösseren Stadt sich concentrirt habe? 
Allein wenn die feste Nordgrenze zu eng geschlossener An- 
siedelung zwang, so trieb die feste Westgrenze im Gegentheil 
wiederum die Ortschaften auseinander. Das mittlere Ergebniss 
war dann aber ein städtisches Land, keine Stadt. 

Im Westen, von Rüdesheim bis unterhalb Lorch bildete 
nämlich der Rhein die Grenze; die Uferlinie war aber nicht 
wie an der Südseite des Gaues durch eine Kette ummauerter 
Flecken gefestigt, sondern durch die Unzugänglichkeit des 



250 Jahrb. der histor. Classe der Je, Akad, der Wissenschaften. 

Ufers und den gefährlichen Strompass des Binger Lochs. Heut- 
zutage führt freilich eine Fahrstrasse und ein Schienenweg 
längs der steil zum Ehein abfallenden Felsberge; im Mittel- 
alter war es nur ein schmaler Pfad, der an manchen Stellen 
selbst für den Fussgänger nicht gefahrlos gewesen sein soll, 
und das Binger Loch konnte nur mit kleineren Fahrzeugen 
durchschifft werden. Es lag im Interesse der Landessicherheit, 
den also zu Land und zu Wasser höchst beengten Weg nicht 
breiter zu öffnen. Hierdurch war Lorch mit seinem uralten 
Weinbau und seinem Hafen von dem übrigen Kheingau ab- 
geschnitten. Da aber der Ort nicht blos eine stattliche Bür- 
gerschaft, sondern auch einen zahlreichen Adel besass, so 
entsprach es ganz mittelaltriger Art, dass sich solche innere 
und äussere Selbständigkeit auch politisch kundgab und zwar 
in einem eigenen Lorcher Landrecht und einem eigenen Cent- 
gerichte. Lorch trug seinen Schwerpunkt in sich, und es hätte 
eine Stadt werden l^önnen, wohl gar der wichtigste Stapelplatz 
des Kheingauer Weinhandels, wenn nicht eben jene den Weg 
sperrende feste Westgrenze gewesen wäre. 'Das verhält sich 
folgendergestalt : 

Der Hauptzug des Kheingauer Weinhandels im Mittel- 
alter ging stromabwärts. Da aber grössere Schiffe damals das 
Binger Loch noch nicht passiren konnten, so mussten die für 
die Production wie für den Marktverkehr gleich wichtigen 
grossen Kheinorte von Eltville bis Küdesheim ihre Waare auf 
kleinen Fahrzeugen durch jenen berüchtigten Strompass füh- 
ren, um sie erst jenseits auf eigentliche Handelsschiffe verladen 
zu lassen. Dies geschah in der Regel zu Bacharach, wesshalb 
man denn auch im Norden den Kheingauer Wein oft schlechthin 
Bacharacher nannte. Also lag der entscheidende Stapelplatz 
der Kheingauer Weine ausser Landes, und im Gau selber bil- 
dete sich kein centralisirender grosser Hafen des Weinverkehrs. 
Im Gegentheil führte jene eigenthümliche Form des Wasser- 
transportes zur Entwickelung einer neuen halbstädtischen Grösse 



Biehl: Bauerrüand mit Bürgerrechten. 251 

neben den bereits bestehenden, nämlich Eüdesheims, welches 
die Steuerleute und die gesuchtesten Schiffer zu der Fahrt 
durch's Binger Loch stellte, aber dann auch wieder nur als 
Lotsen- und Schifferstation, nicht als Hafenplatz wichtig wer- 
den konnte. Allein da man nun doch die Eheingauer Weine 
unter allen Umständen umladen musste und den Strompass 
mit Eecht fürchtete, so liegt beim Anblick der heutigen 
Strassen der Gedanke nahe, dass es ja weit vortheilhafter ge- 
wesen sei, die Waare den kui'zen Landweg längs des Eheines 
nach Lorch zu führen; das Binger Loch war dann umgangen, 
man konnte in Lorch grosse Schiffe befrachten und hatte den 
Stapelplatz im eigenen Lande; Lorch würde eine erdrückende 
Nebenbuhlern für Bacharach, es würde die Handelsstadt des 
Eheingaues geworden sein. So urtheilen wir heute. Der 
mittelaltrige Eheingauer hingegen schlug ohne Zweifel die 
festungsartige Abschliessung seines Landes weit höher an als 
derlei wirthschaftliche Vortheile. Von Eüdesheim nach Lorch 
einen breiten Weg durch die Felsen längs des Eheines zu 
brechen wäre für ihn nichts anders gewesen, als wenn man 
damals einer Stadt zugemuthet hätte, ihre Mauern niederzu- 
reissen, damit Handel und Gewerbe sich freier bewegen können. 

Es sind aber nicht blos die festen Gaugrenzen, welche 
das Volk an den Ehein zusammendrängten, und doch anderer- 
seits auch wieder die langgestreckte Kette der Eheinflecken 
ohne Centralisation auseinander zog. Viele andere Gründe 
wirkten -gleichfalls dahin, den Gau als Stadt zu bewahren, 
nicht aber eine dominirende Stadt im Gau aufkommen zu 
lassen. 

Eltville war mit Stadtrechten ausgezeichnet, die einzige 
Stadt des Gaues, politisch die Hauptstadt und im 14. und 15. 
Jahrhundert zugleich Eesidenz der Mainzer Erzbischöfe. Trotz- 
dem hat diese Stadt die grösseren Flecken des Gaues an 
Volkszahl wie an wirthschaftlicher und socialer Bedeutung 
niemals erheblich überragt, ja sie ist zeitweilig hinter einzelnen 



252 Jahrb. der hitstor, Classe der k. AJcad. der Wissenschaften. 

m 

derselben zurückgeblieben. Da der ganze Gau nahezu städtische 
Freiheiten genoss, so war die Hauptstadt eben nur eine Stadt 
in der Stadt, mehr nur im Titel als in der Sache unterschieden. 
Auch die Bewohner der übrigen Orte des ßheingaues nannten 
«ich „Bürger", ®) namentlich seit Eltville durch Ludwig den 
Bayern 1332 die Freiheiten der Stadt Frankfurt erhalten 
hatte, und bezeichneten ihre Dörfer als „Flecken'' die sie be- 
festigten; nur vier kleine Dörfchen werden wirklieh Dörfer 
genannt. Das Dorf war in diesem Lande die Ausnahme, eben- 
so die Stadt, der Flecken dagegen die Eegel. Ein Flecken 
ist aber ein halbwüchsiges Mittelding zwischen Dorf und 
Stadt, genau wie der Kheingau als Ganzes ein solches Mittel- 
ding war. 

Das mainzische Hoflager in der Hauptstadt Eltville konnte 
aus ähnlichem Grunde nicht centralisirend wirken wie die Stadt, 
weil nämlich gleichsam das ganze Land ein grosses Hoflager 
war. Die Erzbischöfe besassen neben der Eltviller Burg noch 
den Scharfenstein , Ehrenfels und Eheinberg. Hierzu kamen 
aber fast in jedem Flecken Burgen des niederen Adels; ich 
finde im Ganzen 20 rheingauische Burgen aufgezeichnet, die 
sämmtlich auf einem Flächenraum von beiläufig 2 Quadrat- 
meilen zusammengedrängt waren. Bemerkenswerth ist dabei, 
dass die allermeisten Burgen des Adels in, nicht ausser und 
über den Flecken lagen, gleichsam als Patrizierhäuser in der 
grossen Gesammtstadt des Landes, wesshalb denn auch die alten 
burglichen Baue später grösstentheils von den bürgerlichen 
Bauten aufgezehrt wurden und der Eheingau heutzutage gar 
nicht mehr so auffallend burgenreich erscheint. Weit zahl- 
reicher noch als die Burgen waren aber die Adelsgeschlechter, 
welche im Mittelalter im Eheingau theils angesessen theils 
blos begütert waren; Bodmann zählt ihrer nicht weniger als 
58 auf. Politisch vermochten sie die Bürger nicht zu beugen, 



8) Bodmann I, 125. 



BieTüi Bauemland mit Bürgerrechten, 253 

und es scheint vielmehr als ob die städtische Beweglich- 
keit des rheingauischen Grundbesitzes den Adels- 
familien verderblich gewesen wäre. Denn die alten Dynasten- 
häuser des Gaues verschwinden firühzeitig unter dem niederen 
Adel und dieser wiederum sinkt mit dem Ausgange des Mittel- 
alters auf eine immer massigere Zahl herab, ja von den vielen 
acht rheingauischen Geschlechtern hat nur ein einziges — die 
Greifenklau von Vollrads — das neunzehnte Jahrhundert er- 
lebt. Wirthschaftlich aber übte die grosse Schaar fremder 
adeliger Grundbesitzer im 13. und 14. Jahrhundert sicher einen 
bedeutenden Einfluss auf das Land, und wäre es auch nur 
negativ gewesen, indem sie das Aufkommen eines abgeschlossenen 
Bauemthumes ebensosehr hinderte wie die Concentrirung städti- 
schen Wesens und städtischer Betriebsamkeit. 

Es waren aber nicht blos viele fremde Adelsfamilien son- 
dern auch Mainzer Bürgergeschlechter im Eheingau ansehn- 
lich begütert, und wie wir heutzutage eine Menge fremder 
reicher Leute im Besitze von Grundstücken, Schlössern und 
Landhäusern am Rheine finden, so stand es im Eheingau auch 
schon vor fünf- bis sechshundert Jahren. Das ist aber im 
Mittelalter eine weit auffallendere und folgenreichere That- 
sache als in unserer Zeit und sie führt uns zu einem weiteren 
characteristischen Gegenzuge in dem mittelaltrigen Zustande 
des Landes, der sich in dem Satze ausspricht, dass der Gau 
gegen das Nachbarland aufs strengste und wie mit einer grossen 
Stadtmauer abgeschlossen war, im Innern aber wimmelte es von 
fremden Elementen. 

Zu alledem kommt dann endlich noch eine höchst aus- 
gedehnte und einflussreiche geistliche Bevölkerung. Die Zahl 
der Klöster wuchs allmählich auf zwölfe. Schon Pater Bär 
bemerkte: „Kaum wird man in einem andern so eingeschränkten 
Bezirke, die grossen Städte ausgenommen, solche Klösterzahl 
finden." Unter diesen vielen Klöster gab es allerdings ein 
Haupt-Kloster , einen ganz entschiedenen Mittelpunkt klöster- 



254 Jahrb. der histor. Glosse der k. Äkad. der Wissenschaften. 

lieber Cultur, die Cisterzienser- Abtei Eberbacb. Allein Eber- 
bach entstand und blühte erst zu einer Zeit, wo das Ordens- 
wesen freilich mächtiger und breiter sich aus wuchs als je zuvor, 
wo aber die Klöster schon keineswegs mehr die fast aus- 
schliessenden Herde höherer Gesittung waren. Gerade in der 
Zeit, wo Klöster wie Fulda, St. Gallen, Corvey u. A. die 
wahren geistigen Hauptstädte ganzer Länder sein konnten, 
d. h. in den früheren Jahrhunderten des Mittelalters besass 
der Kheingau gar kein Kloster und erst seit 1050 die unbe- 
deutenden Anfänge von Eberbach und Bischofsberg (Johannis- 
berg). Eberbach's Blüthe und Macht gehört der zweiten Hälfte 
des zwölften, daniv dem 13. und 14. Jahrhunderte an; damals 
wetteiferte aber bereits die selbständige weltliche Bildung des 
Kitterthums und dann der Städte mit der klösterlichen. So 
geschah es, dass Eberbach eine durch Klosterzucht, reichen 
Grundbesitz, tüchtige Wirthschaft und Gelehrsamkeit weit be- 
rühmte Abtei werden konnte, ohne dass der Eheingau durch 
dieses sein Hauptkloster zu geeinigter städtischer Bildung und 
eigenartiger, schöpferisch massgebender Geistescultur emporge- 
hoben worden wäre. Eberbach, für die Localgeschichte so 
äusserst wichtig, gehört nur auf einem Punkte der deutschen 
Culturgeschichte an, nämlich durch seine landwirthschaft- 
lichen Eeformen. Durch sein Landrecht wurde der Rhein- 
gau zu einer grossen Stadt, durch das berühmte Kloster aber 
wurden die Bürger nicht Städter, sondern gegentheils erst rechte 
Musterbauem. 

So finden wir überall den Gegenzug, der das Land 
städtisch, die Bürger aber wieder bäuerlich machte. Und 
fassen wir die bisher gewonnenen Resultate zur Ueberschau 
noch einmal in statistischer Kürze zusammen, so erhalten wir 
folgendes Bild, welches gewiss im ganzen Reiche seines Gleichen 
nicht fand: 

Ein fest begrenztes, stadtmässig beschlossenes Land von 
beiläufig 4 Quadratmeilen Flächengehalt , die Nordhälfte fast 



Biehl: Bauernland mit Bürgerrechten, 255 

culturloser Waldboden, die Südhälfte höchst cultivirt und dicht 
bevölkert. Nach einer Schätzung von 1525 hatte der Gau 
gegen 15000 Einwohner (jetzt wohl an 25000), welche fast 
durchaus auf jene 2 Quadratmeilen zusammengedrängt waren, 
und die mittelaltrige Volkszahl dieses Striches würde auch 
heute noch als eine sehr dichte gelten. Das Volk siedelte in 
einer Stadt und 19 nahezu städtischen Flecken und Dörfern. Neben 
und in den Ortschaften aber erhoben sich 20 Burgen, gegen 
60, theils fremde, theils einheimische Adelsgeschlechter waren 
auf dem engen Baume begütert und obendrein hatten noch 
12 Klöster — wenn auch nicht alle gleichzeitig — auf dem- 
selben- Striche Kaum und theilweise reichen Besitz gefunden. 
Endlich dürfen wir dann auch den Weltklerus nicht vergessen, 
von dessen Kopfzahl uns die Notiz einen ungefähren Begriff 
gibt, dass die Pfarrkirche zu Lorch allein im Jahre 1390 23 
mit selbständigen Beneficien ausgestattete Geistliche zählte. ^) 
Gewiss ein so dichtes und buntes Gemisch der socialen Gruppen 
und der Interessen, wie es das Mittelalter sonst nur in den 
Städten, nicht aber auf dem Lande tennt. 

Allein selbst diese Gruppen werden noch einmal gekreuzt 
nach Massgabe der verschiedenen Eechtsverhältnissen, in wel- 
chen Adel und Klerus gegenüber standen den Bürgern, die 
Eingesessenen gegenüber den Forensen, die Stadt gegenüber den 
Flecken, die zwei unfreien Dörfer (Presberg und Stephanshausen) 
gegenüber den freien Ortschaften, und weiter die sogenannten 
„Mutterorte" des Gaues, welche in Sachen der Markverfassung 
Sitz und Stimme im Haingericht hatten, gegenüber den Töchter- 
orten, die nur durch jene vertreten waren und den Waldflecken 
ohne Stimmrecht, endlich aber die Ortschaften im Genüsse von 
„Meinderecht" und „Markrecht" gegenüber jenen beisassenartigen 
Orten, welche blos Meinderecht besassen. 



9) Würdtwein, Dioec. Mogun. VI, 20a 



i 



256 Jahrb. der histar. Classe der h Äkad, der Wissenschaften. 



3. 

Lage und Namen der Dörfer, Gemarkungsgrenzen und 
Flureintheilung gehören zu den festesten und ältesten Alter- 
thümem deutschen Culturlebens, und man hat darum diese so 
selten verrückten Grundformen der bäuerlichen Siedelung oft 
genug als Urkunden für eine Frühzeit benützt, über welche 
uns unmittelbare Geschichtsquellen fehlen. 

Auch hier macht der ßheingau eine Ausnahme von der 
Eegel. Wir finden während der mittelaltrigen Blütheperiode 
vom 12. bis 16. Jahrhundert nicht nur einen auffallend häu- 
figen Güterwechsel im Einzelnen — Kauf und Tausch, Arron- 
dirung und Parcellirung im Grundbesitze , — sondern auch 
die Dörfer selbst mit ihren Fluren scheinen theilweise hinein- 
gezogen in diese allgemeine Beweglichkeit. Die vierund- 
zwanzig Ortschaften des alten Rheingaues, deren ich oben 
gedachte, enthalten in sich und neben sich nicht weniger als 
vierzehn, welche in historischer Zeit Lage oder Namen ge- 
wechselt, oder von andern Orten aufgesogen oder als förmliche 
' Colonien neu gegründet worden sind. Eine so grosse iBeweg- 
lichkeit in der Siedelung, eine solche Wanderung der Dörfer 
auf so engem Baume dürfte in anderen deutschen Gauen 
schwerlich ihres Gleichen finden. 

In dem Berg- und Hügellande nördlich des Bheingaues 
bis zum Westerwald hinauf finden wir einen Wandel anderer 
Art bei den Ortsanlagen, nämlich fast zahllose ausgegangene 
Dörfer, ausgestorben in Folge der Kümmerlichkeit ihres Daseins, 
oder durch Kriegs- und andere äussere Nöthe vom Boden hin- 
weggefegt. Die Ortsveränderungen des Bheingaues sind aber 
nicht durch Noth und Verwüstung geschaffen worden, son- 
dern gegentheils eine Folge der wirthschaftlichen und 
politischen Blüthe des Landes. Darum fallen sie auch 
mit geringen Ausnahmen in die glücklichsten Tage rheingauischen 



BieM: Bauernland mit Bürgerreckten. 257 

Lebens, in die Jahrhunderte, wo der Gau, fest und wehrhaft, keinen 
Einbruch eines äusseren Feindes ^®) fürchtete — 11. bis 16. Jahr- 
hundert. — Ein sehr beträchtlicher Theil jener eingegangenen 
Dörfer nördlich der Höhe fiel erst dem dreissigj ährigen Kriege 
zum Opfer; der Bheingau hingegen hat selbst durch diesen 
Krieg, unter welchem er nicht minder wie alles Nachbarland 
litt , nicht ein einziges Dorf verloren. Die Beweglichkeit in 
Gut und Siedelung kam hier zum Stillstand, als die alten 
Eechte und Freiheiten schrittweise illusorisch wurden und die 
Wirthschaftsblüthe des Gaues im engen Zusammenhange 
mit dem Verfall des deutschen Städtewesens zu 
Grunde ging. 

Wie in einer Stadt Quartiere, Strassen und Häuser um- 
gebaut werden und Bestimmung und Namen wechseln, so er- 
ging es ähnlich manchem rheingauischen Dorfe, und die wirth- 
schaftlich motivirte Beweglichkeit in Grund und Boden, 
welche sich sogar bis auf die Dörfer erstreckte, zeigt uns 
den städtischen Gharacter des Gaues in besonders scharfem 
Gepräge. 

Die folgenden näheren Nachweise aus der Ortsgeschichte 
öffnen uns darum zugleich auch einen Blick in die rheingauische 
Wirthschaftsgeschichte. 

Zwei Ortschaften sind geradezu gewandert und wählten 
sich eine neue Lage: Walluff und Eauenthal. Das Erstere 
lag noch im 10. Jahrhunderte rechts und seitab der Waldaffe, 
also in der Königshundrete , zog sich dann allmählich zum 
Bache und über denselben, es wanderte in den Eheingau und 
Hess an seiner ursprünglichen Stätte nur noch das Wahrzeichen 



10) Seine Bollwerke durften sich im Mittelalter jenen Vesten 
vergleichen, die man , jungfräuliche" nannte, weil noch Ijein Feind 
.dieselben gebrochen hatte. Der dreissigjährige Krieg machte diesem 
Bubm ein Ende. 

17 



258 Jahrb. der histor. Glosse der k. Äkad. der Wissenschaften, 

einer einsam im Felde gelegenen Kirchenruine. Augenschein- 
lich führte hier die politische Attraktionskraft des gefreiten 
Gaues das Dorf an und über den Grenzbach. Eauenthal da- 
gegen entstand erst im 13. Jahrhundert als eine Weinbau- 
colonie und stieg erst nach dem Jahre 1558 aus dem engen 
und rauheren Thale auf die sonnigere Anhöhe, daher das selt- 
same Widerspiel, dass das Dorf, welches einen der mildesten 
Berge krönt, heute „ßauenthal" heisst. 

Ein drittes Dorf in dieser Gegend, Kode, wanderte im 
15. Jahrhundert theils nach Martinsthal, theils nach Walluff 
. aus ; die Gemarkung fiel an Martinsthal, welches seinen Namen 
in Neudorf verwandelte. Und weil denn geradezu alle Orte 
an dieser Ostgrenze entweder wanderten oder wenigstens den 
Namen wechselten, so vermuthet man, dass auch die Nonnen 
des später verschwundenen Klosters Eode nach Tiefenthal aus- 
gewandert seien. 

An Eauenthal als eine Wirthschaftscolonie des Erzstiftes 
Mainz reihen sich dann noch mehrere solcher Dorfcolonien: 
Lorchhausen, eine Colonie von Lorch, wurde vermuthlich schon 
im 12. Jahrhundert gegründet, um Arbeitskräfte zur Urbar- 
machung des grossen Lorcher Markantheils heranzuziehen, 
Hallgarten wurde durch Colonisten des Klosters Eberbach bei- 
läufig zur selben Zeit aus einem Hofe in ein Dorf verwandelt, 
Dorf Johannisberg entstand in dem nämlichen Jahrhunderte 
als eine Colonie des Klosters Johannisberg. Dass Eibingen 
eine „durch den erweiterten Güterbau veranlasste" Colonie von 
Eüdesheim gewesen sei, hält Bodmann für wahrscheinlich und 
Mittelheim ist eine erst im 12. Jahrhunderte dm*ch die Aus- 
wanderung der Mönche von Gottesthal hervorgerufene Dorf- 
colonie von Winkel. 

Von Winkel bis Hattenheim drängt sich die Siedelung 
am dichtesten zusammen; auf einer Uferlinie von beiläufig 
einer Stunde Wegs lagen hier sechs Dörfer, welche jetzt 
in vier concentrirt erscheinen. Eines davon. Klingelmünde, ist 



Biefd: Bauenüand mit Bürgerrechten, 259 

ganz verschwunden, ein anderes Beichardshausen, wurde im 
12. Jahrhundert durch eine förmliche Wirthschafksoperation der 
Eberbacher Mönche ausgekauft und ausgetauscht und in einen 
Klosterhof verwandelt; gegenwärtig ist es ein Schloss. 

So theilen sich die Ortschaften des Bheingaues geradezu 
in Mutterorte und Colonien, ein Ausdruck, der auch 
den früheren Topographen des Landes bereits geläufig ist, und 
neben uralten, zum Theil auf die Eömerzeit zurückdeutenden 
Ansiedelungen, stehet eine beträchtliche Zahl neuer Orte, die 
erst dem in Folge der politischen Selbständigkeit des Gaues 
so hoch gesteigerten Colonisationsgeiste des 12. und 13. Jahr- 
hunderts ihren Ursprung verdanken. Der Gau hat die Zahl 
seiner Dörfer damals etwa um ein Drittel vermehrt, woraus 
wir auch einen Schluss auf die rasche Zunahme der Bevölkerung 
ziehen können, und aus den Freiheiten und Bechten erwuchs 
nicht nur ein neuer Volkscharacter und ein nerues Wirthschafts- 
leben sondern auch eine neue Landkarte. 

Bei dieser neuen Karte darf dann auch wohl noch des 
auffallenden Wechsels der Ortsnamen gedacht werden, als 
eines Zeugnisses für den neugestaltenden Geist, der in die 
freien Bheingauer gefahren war. Martinsthal wurde in Neu- 
dorf verwandelt. Klingelmünde in St. Bartholomä, Bischofs- 
berg in Johannisberg, Dorf Hausen in Aulenhausen und das 
Kloster Aulenhausen in Marienhausen, aus Neuenhaus entstand 
die Karthause Petersthal und aus Düppenhausen das Kloster 
Marienthal. 

Höchst planvoll wurde die Colonisation des Landes im 
12. Jahrhundert von den Eberbacher Mönchen betrieben. Sie 
gründeten neue Höfe, nicht blos um wüstes Land anzuroden, 
sondern auch um ihre zerstreuten Besitzungen aus den Dörfern 
und Dorfgemarkungen herauszuziehen, ihre Güter zusammen- 
zulegen und zu arrondiren. Dadurch erhielt ein bedeutender 
und wahrlich nicht der schlechteste Theil des rheingauischen 
Culturlandes neue Grappirung und Anordnung. Man könnte 



260 Jahrb, der kutar. Gaese der k. Ahad. der Wissenschaften, 

abar einwenden, diese ün^rmnng bei Gnmd und Boden hänge 
denn doch nicht nüt der städtischen Freiheit nnd Beweglich- 
keit des Landes zusammen, sondern vielmehr mit der Ordens- 
regel da: Gisterzienser, kraft deren zwar der Besitz yon Land- 
gütern gestattet war, diese aber vereinzelt li^en sollten, a 
saecularium hominom habitatione remotae. Und so sind denn 
lUostarhdfiß auch anderwärts die characteristischen Begleiter 
der Gisterzienser-Elöster. Das ist ganz richtig. Eben so 
rich% ist »ber auch, dass wohl bei kTem andel deutechen 
Cüsterziaifeserkloster die colonisatorische Landwirthschaft so ent- 
fldieidend geworden ist für die ganze culturgeschichtliche Be- 
deutung des Klosters wie bei Eberbach. Wer sich davon 
überzeugen will, der nehme die treffliche Greschichte der Abtei 
vom Pater Hermann Bär zur Hand : Niemand wird in diesem vor 
wenigen Jahren erst herausgegebenen Manuscripte eines Eber- 
bacher Mönches des Neuen und Belehrenden mehr finden, als 
der Historiker der Nationalökonomie. Die erste Aktion des 
Klosters nach Aussen war die Gründung jener Musterhöfe und 
4i6 vier wichtigsten entstehen schon unter dem ersten Abte 
(Buthart, 1131 — 1157). Die sinnreichen und umfassenden 
Wirthschaftspläne der Mönche würden in einem anderen Lande 
mit bäuerlich gebundener Bevölkerung und gebundenem Grund 
und Boden gar nicht auszufahren gewesen sein. Schrittweise 
durch Schenkung, Tausch und Kauf von allerlei Parzefloi 
kcmnten die Klosterhöfe im Bheingau mit abgerundeten Gut 
sich umgeben. Es währte z. B. von 1141 bis 1211, bis es 
gelungen war, den Draisener Hof mit einer ununterbrochenen 
Feldflur auszustatten; die Erwerbungen wurden, wie Bär nach 
einem Archivalauszug des letztgenannten Jahres berichtet, von 
„Edelleuten und Bürgern^^ gemacht und es kam dabei 
vor, dass es sich um Gewinnung von Parzellen handelte, die 
bis zu einem, ja einem Viertel Morgen hinabstiegen. Das zeugt 
nidit nur von der Beweglichkeit sondern auch von dem W^rtiie 
des Grundes und Bodens, zwei Eigenlbhaften , weldie in der 



Biehl: Bauernland mit Bürgerrechten. 261 

Begel Hand in Hand geken, am innigsten aber sich da Teiv 
binden werden, wo der Landban dnrch die unmittelbare Nähe 
städtischer Cnltnr befrachtet ist. 



4. 

Im Bheingan kommt während des Mittelalters alle mög- 
liche Betriebsamkeit Tor: Landban, Grewerbe, Handel, Ennst 
xmi Wissenschaft. Trotzdem fehlt aber gar viel, dass man 
den Gran TolkswirthschafÜich ebensogut einer Stadt Ter^eichen 
könnte, wie nach seinen politischen Bechten. 

Der Standpunkt der Grewerbe characterisirt sich schon 
durch eine Meinungsverschiedenheit, welche zwischen den beiden 
Hauptautoritäten «rheingauischer Geschichtsforschung, Bär und 
Bodmann, besteht. Bär legt nämlich auf das urkundlidie Vor- 
kommen vereinzelten Gewerbebetriebs im Lande ein grösseres 
Gewicht^ als Bodmann zugeben will, und Letzterer meint, ein 
in Eltville auftret^der Falkenjäger sei merkwürdiger, als die 
Manufacturen , deren Bär gedenkt, und selbst ein bei jener 
Stadt erwähnter pannifex sei nur eine Winterschwalbe ge- 
wesen. Nun wird es freilich heutzutage jeder Kenner mittel- 
altriger Wirthschaftsgeschichte denn doch für merkwürdiger 
halten, dass im Bheingau ein Goldschmied auf dem Lande (in 
Hattenheim) arbeitete, dass Zeug- und Waffenschmiede und 
ein Weber in Dörfern vorkommen, ebenso Gerberei^, Walk- 
mühlen und eine klösterliche Tuchmanufaktur , als dass ein 
Falkenjäger in Eltville sass, und man muss jene vereinzelte 
Notizen wohl immerhin als em seltenes Zeogmss des Herein- 
ragens städtischen Betriebes in überwiegend landwirfhschaftUdie 
Arbeit gelten lassen. Allein fiUiden sich auch doppdt uid 



1 

262 Jahrb. der histor. Classe der k. Akad, der Wissenschaften. 

dreimal so viele über das Land zerstreute Handwerker in 
Urkunden erwähnt, so dürften wir doch nicht von städtischem 
Gewerbewesen reden. Dieses ist im Mittelalter durch die 
Korporation, die Zunft, bedingt, welche in ihrer politischen, 
socialen, wirthschaftlichen und militärischen Verfassung aufs 
innigste mit der Idee der Gemeinde verwachsen ist. Bechte 
und Freiheiten der Stadt und ihrer Gewerbecorporationen be- 
dingen und tragen sich gegenseitig. Von dergleichen aber, ist 
im Eheingau gar nicht die Rede, und man könnte leichter be- 
weisen, dass das mit wirklichen Stadtrechten ausgerüstete 
Eltville in diesem Sinne nicht einmal eine vollwichtige 
Stadt gewesen sei, als dass das ganze Land gewerbUch städti- 
sehen Character gehabt habe. Es war ein Bauemland mit 
Bürgerrechten und allerlei vereinzeltem und eben darum macht- 
losem Gewerbebetrieb. 

Andererseits bekundet sich jedoch wieder der Uö^ber- 
gangscharacter des Gaues in einer auffallenden Blüthe 
unmittelbar mit der Bodenproduction verbundener Hilfsgewerbe. 
Die Bauern nennen sich Bürger und in den Landwirthen lebt 
ein entschieden industrieller Geist. Der Weinbau streift an 
sich schon zu Gewerbe und Handel hinüber, und wenn sich 
hier am Rheine ein kräftig entwickeltes Schiffergewerbe mit 
dem Weinverkehre verband, so darf uns dies nicht Wunder 
nehmen. Dagegen staunen wir über die Blüthe des Mühlen- 
betriebes und Mehlhandels in unserm Gau, der mit seinem 
Getreidebau lange nicht den eigenen Bedarf deckte. Die kleinen 
rheingauer Bäche sind wie besät mit Mühlen, beiläufig fünfzig 
an der Zahl, und die Anlage einzelner dieser Bachmühlen lässt 
sich bereits im 12. und 13. Jahrhunderte nachweisen. Abgesehen 
von der Gunst der vielen Wassergefälle war es die Nähe der 
beiden grossen Fruchtmärkte in Mainz und Bingen, die Ver- 
kehrsstrasse des Rheines und die gewerbliche Tüchtig- 
keit der Rheingauer Müller, was dieser Getreideindustrie in 
dem weinbauenden Lande so breiten Boden schuf. Bär bemerkt 



Eiehl: Bauemlcmd mit Bürgerrechten, 263 

nämlich, dass der Mehlhandel hauptsächlich an den Nieder- 
rhein und nach Köln gegangen sei, weil man dort nur wenige 
Mühlen besessen (die Windmühlen sind neueren Ursprungs) 
und kein so feines Mehl habe mahlen können. Aus ähnlichen 
Gründen mag man sich auch das Gedeihen der Gerbereien in 
einem mittelalterigen Gaue erklären, der immer an Weide- und 
Wiesland Mangel litt und nur mühsam und mit allem Auf- 
gebot wirthschaftlichen Scharfsinnes den zur Weinbergsdüngung 
nöthigen Viehstand aufrecht zu erhalten vermochte. ^ ^) 

Das Dorf Aulhausen, durch die Ungunst der Lage von 
der reichen Bodencultur der Nachbaroi-te ausgeschlossen, wandte 
sich schon so frühe zum Betriebe der Töpferei, dass es von den 
Ullnem (Töpfern) sogar seinen Namen erhalten haben soll. 
Und selbst der grosse Markwald des Eheingaues, welcher ge- 
flissentlich gegen den Anbau abgesperrt wurde, musste in den 
zahlreichen Kohlenbrennereien wenigstens eine halbwegs ge- 
werbliche Ausbeute liefern. Es gab hier förmliche Köhler- 
Colonien, und die Sage erzählt, dass das Grenzdorf Gladbach 
einer solchen seinen Ursprung verdanke. Dem stolzen Ehein- 
gauer däuchte aber derlei Erwerb zu geringe und er überliess 
ihn fremden Leuten, die an den gemeinen Eechten und Ge- 
nüssen des Gaues keinen TheU hatten. Aehnlich fiel das 



11) Bär schreibt in den diplom. Beiträgen vom Jahre 1790, die 
Stall Fütterung sei von vermögenden rheingauer Bürgern und an- 
deren Einwohnern schon lange eingeführt. Derselbe Autor gibt uns 
aber in seiner Eberbacher Geschichte eine Notiz, aus welcher ich 
mit Wahrscheinlichkeits gründen einen genaueren Schluss auf 
das hohe Alter der Stallfütterung im Rheingau ziehen zu können 
glaube. Die Eberbacher Mönche hatten auf ihrem Klosterhofe zu 
Leheim (im Hessischen) schon im 13. Jahrhundert Stallfütterung. Da 
aber die Bewirthschaftung der Eberbacher Elosterhöfe überall nach 
planvoll zusammenhängender Methode eingerichtet wurde, so lässt 
sich wohl annehmen, dass die Stallfütterung auch auf ihren Rhein- 
gauer Höfen, wo überdies die Natur des Bodens weit mehr hierzu 
drängte, als bei Leheim, im 13. Jahrhunderte schon versucht worden seL 



264 Jahrb. der histar. CUuse der k, AJcad, der Wissenschaften, 

Graben und Verfahren von Putzsand und das Schieferbrechen 
in den angrenzenden Thälem einem armen und unfreien Volke 
zu, so dass nicht nur für die Grundform des Bodenanbaues 
sondern auch für die bäuerlich gewerblichen Nebennutzungen 
die Grenzen der gefreiten Landes zur Scheidelinie wurden. 
Dieser Gegensatz ist auch heute noch lange nicht verwischt. 
Ein Zeugniss, wie hier alte Anschauungen und Einrichtungen 
auch bei gänzlich veränderten Zuständen noch immer fort- 
wirken, liefert das hart an der rheingauer Grenze gelegene, 
weiland kurpfälzische Städtchen Caub. Das Schieferbrechen 
hat sich dort zu einem ordentlichen Bergbau mit ausgezeich- 
neter, weitberühmter Production gesteigert. Trotzdem gelten 
die Schieferbrecher — über 300 Bergleute — neben den alt- 
bevorzugten Schiffern noch immer „als glebae adscripti und 
werden mit Hochmuth behandelt"^*), sie haben es noch nicht 
zu jener corporativen Organisation gebracht, die anderwärts 
den Bergmann so entschieden kennzeichnet, besitzen keine eigene 
Tracht, keine Enappschaftskasse, keine Bergfeste und nur wenig 
von der bergmännischen Sprache, indess die Schiffer (die 
„Schifiischen") sich noch immer durch Tracht, Spracheigen- 
thümlichkeiten, gemeinsame Feste und stolze genossenschaftliche 
Abschliessung auszeichnen. 

Wenn übrigens die Bürger des Eheingaues im Mittelalter 
der Handwerkerzünfte entbehrten, so gliederten sie sich darum 
doch in manche Körperschaften , welche wiederum mehr 
städtischen als ländlichen Characters sind. Hierher gehören 
2. B. die mehrere Gemeinden umfassenden sogenannten „Kum- 
panschaften", woraus der Landesheerbann zusammengesetzt 
war, und welche recht eigentlich die militärische Gliederung 
der Städtebürger nach Zünften ersetzten. Einer ganz indivi- 
duellen Form genossenschaftlichen Verbandes will ich hier aber 



12) Eigene Worte eines Cauber Pfarrers in Kehrein 's Volks- 
sprache und Volkssitte im Herzogthum Nassau, 11 , 193. 



Bield: Bauernland mit Bürgerrechten, 265 

näher gedenken, weil sie örtlich originell ist und sich in Bruch- 
stücken bis auf diesen Tag erhalten hat. Es sind dies die 
sogenannten Nachbarschaften oder Brunnengesell- 
schaften. Das Alter derselben reicht jedenfalls hotch in*s 
Mittelalter hinauf, obgleich, wie es scheint, ältere schriftliche 
Statuten als vom Jahre 1607 ^^) bis jetzt nicht bekannt ge- 
worden sind. Die Nachbarn gewisser Strassen oder Viertel 
Terbünden sich zur Unterhaltung und Beinigung eines gemein- 
samen Brunnens, erwählen alljährlich einen „Bornmeister^S legen 
ein „Bombuch" an, verpflichten sich dann aber nicht blos 
zum Zusammenhalten betreffs des Brunnens, sondern auch zu 
gemeinsamen Festen, zu Hilfeleistung in allerlei Noth und 
Gefahr, namentlich auch zu gegenseitiger Todtenbestattung 
und zu gemeinsamem Trost im Leide. („Zum Letzten ist es 
auch ein altes Herkommen, dass die ganze Nachbarschaft einem 
Nachbarn sein Kreuz helfe tragen und trinke ein MaassWein 
mit demselben zum Tröste".) Ein Nachbar soll nicht einmal 
verreisen, ohne es vorher der „Nachbarschaft" unter Angabe 
der Ursache zu melden und Urlaub zu erholen, bei Strafe 
eines halben Viertels Wein. (Die Strafen sind überhaupt fast 
sammt und sonders in Wein ausgemessen.) Am härtesten 
wird Zank und Streit in den Versammlungen gestraft: der 
Friedensstörer muss der gesammten Nachbarschaft für diesen 
Tag die Zeche bezahlen — „wie vor Alters". Diese Korpora- 
tionen hatten dann auch ihre eigenen Fahnen und Trommeln, 
ja von „Haken und Geschütz" ist die Eede, „so gemeiner 
Nachbarschaft zuständig": doch sind dies wohl nur Böller zu 
Freudenschüssen gewesen. Besonders merkwürdig aber ist das 
Brunnenbuch, in welchem keineswegs blos Notizen über das 
Brunnenfegen enthalten sind, sondern es sollen vielmehr , jähr- 
lich aUe denkwürdigen Sachen darin verzeichnet werden". Und 



13) Abgedruckt bei Schunk a. a. 0. IQ, 243. Die ,,Nachbar- 
schaft^^ nennt sich damals schon die ^^uralt Benachbarten/^ 



266 Jahrb, der histor. Classe der k, Akad, der Wissenschaften, 

SO finden wir denn auch in den von Schunk mitgethteilten 
Proben, dass diese Brunnenbücher kleine Chroniken gewesen 
sind, und gleich den Statuten selbst von der städtischen 
Bildung jener Bürger auf dem Lande Kunde geben. 

Gegenwärtig sollen diese Nachbarschaften noch am voll- 
kommensten in Lorch sich erhalten haben, sie kommen aber 
auch weiter rheinabwärts vor, **) und das „Bornbuch** besteht 
noch als „Nachbarbuch'*; neben den uralt herkönmalichen 
Zwecken dienen die Zusammenkünfte jetzt aber auch zur Ver- 
einbarung über Landtags- und Gemeindewahlen, Adressen u. dgl. 
und hält hier also sogar derConstitutionalismusmit dem Mittel- 
alter gute Nachbarschaft. 



5. 

Wie das Gewerbe imEheingau vereinzelt blieb und ohne 
politisch corporative Geltung, so auch der Handel. Der Gau 
hatte handeltreibende Weinproducenten , aber keine Kaufleute. 
Seine grössten Handelsherren wären die Eberbacher Mönche ge- 
wesen, wenn ihnen die Ordensregel erlaubt hätte, sich anders 
als mittelbar am Handel zu bethßiligen. Die Rheingauer Bürger 
suchten den nächsten Stapelplatz ihrer Weine ausser Landes, 
in Bacharach, und die Mönche besassen in Köln eine Haupt- 
niederlage „ihrer entbehrlichen Producta**, wie Pater Bär vor- 
sichtig sich ausdrückt. Diese entbehrlichen Producte müssen 
aber sehr massenhaft gewesen sein; denn zum bequemeren 
Vertrieb derselben trat die Stadt Köln dem fernen Kloster 
1191 das neben seinem Handelshof gelegene Bheinthor zu 



14) Kehrein a. a. 0. II, 189. Yf^l. auch die Frankfurter 
Brunnenordnung in Lersner's Frankf. Chron. 11, 10. 



BieM: Batternland mit Bürgerrechten, 267 

St. Servatius sammt daran stossendem Grund und Boden als 
Eigenthum ab mit der Befugniss, „d^ss sich die Ebei^ 
bacher nach ihrem Belieben und Bedürfniss anbauen und in 
Friedenszeiten sowohl das Thor als die auf demselben zu er- 
richtendeti Anlagen frei benutzen könnten. Nur behielt sich die 
Stadt das Recht vor, bei Entstehung einer Fehde daselbst ihre 
Wachen aufzustellen". ^*) Der Besitz dieses fremden Stadt- 
thores blieb durch Jahrhunderte der Stolz des Klosters, und 
er war in der That ein stattliches Wahrzeichen seiner politischen 
und Handels-Macht. 

Wenn es der Bheingau aber auch zu keiner eigenen Kauf* 
mannsgilde brachte, so entwickelte er doch Handelseinrichtungen, 
die wieder entschieden auf das Städtewesen hinüberdeuten. 
Das Land handhabte seine gemeinsame Handelspolizei 
und Handelspolitik. Das ist durchaus nicht bäuerlich. 
Sind doch unsere deutschen Bauern heute noch vor allen Ständen 
wirthschafts- und sittenpolizeilich am meisten vom Staate be- 
vormundet. Sie haben im Mittelalter die Förderung der eige- 
nen Production und die Ordnung des Vertriebes ihrer Producte 
nicht genossenschaftlich in die Hand nehmen können wie die 
Städte, und so setzte sich der moderne Staat zum volkswirth- 
schaftlichen Vormund frei gewordener Bauernschaften, weil die 
hörigen Vorfahren nicht gelernt hatten, ihre Wirthschaft ge- 
meinsam zu ordnen. Aber auch die freien Bauern waren indi- 
vidualistisch und scheuten vor der wirthschafüichen Korporation 
zurück, die im Mittelalter allein Schutz und Macht verlieh, 
wie in unserer Zeit vor der Association. Darin unterscheiden 
sich nun die alten Bheingauer von anderen freien Bauern: die 
Natur des Weinbaues und Weinhandels zwang sie zu gemein- 



15) Die Urkunde, auch für die mittelaltrige Städtegeschichte in- 
teressant, findet sich abgedruckt in Bär's dipl. Nachr. Beil. XXVUl. 
Erst 1595 verkauften die Eberbacher Thurm und Thor mit allem 
Hechte wieder an die Stadt Köln. 



268 Jahrb. der histor. Glosse der k. AJcad. der Wissenschaften. 

Samen Wirthschaltsmassregeln und ihre landespolizeiliche 
Antonomie ermöglichte deren Handhabung. Die ehemaligen 
Kellervisitationen und die Massregeln gegen Weinverfälschung/ ^) 
welche uns jetzt als lästiger Zwang erscheinen wurden, sind 
vordem hier auf dem Lande vielmehr Zeichen gemeiner Frei- 
heit und Selbständigkeit gewesen, gerade so wie die Zünfte 
in der Stadt, die uns jetzt Fesseln und Schranken dünken, 
weüand Hegestätten der Bürgerfreiheit ja der Demokratie ge- 
wesen sind. 

Eine höchst eigenthümliche und darum auch oft erörterte 
Form rheingauischer Handelspolizei begegnet uns auf den Wein- 
märkten in den sogenannten „Gabelungen^^ Sie sollen in 
ihren Anlangen bis in*s 12., ja in's 11. Jahrhundert hinauf- 
steigen; genauen Nachweis über das als „altes Herkonunen" 
bezeichnete Verfahren hat uns Niklas Itzstein in seinem 
1643 zusammengestellten „Bheingauer Landesbrauch^^ aufbe- 
wahrt. Damit die guten Weine nicht ausschliesseud von den 
fremden Eaufleuten gekauft und zu immer höheren Preisen 
hinaufgetrieben , die geringeren aber entwerthet würden und 
liegen blieben, sortirte man die Ernte ganzer Gemeinden und 
theilte die Fässer in Loose von je zwei Stück und zwar derart, 
dass das beste Fass mit dem schlechtesten, das zweitgute mit 
dem zweitgeringsten und so fort zusammengethan wurde, wo- 
bei dann die mittlere Qualität endlich in den mittleren Loosen 
sich vereinigte. Hierdurch waren überall mittlere Werthe her- 
gestellt und man konnte einen gleichheitlichen mittleren Preis 
durch Meistgebot bestinmaen; war dieser erzielt, so zog ein 
jeder Käufer sein Loos. Als einmal in Bauenthal ein ge- 



16) Die Strafverfügungen gegen Weinfälscher scheinen ursprüng- 
lich von den Handelsstädten ausgegangen zu sein. Siehe Bod- 
mann a. a. 0. I, 407 und 409, wo Bin Beispiel exemplarischer Be- 
strafung . von Weinfalschern in Köln aus einer handschriftlichen 
Chronik mitgetheilt wird. Dsgl. Lersner 1. c. I, 493. 



BieKl: Bauernland mit Bürgerrechten. 269 

gabeltes Fass liegen blieb und nachträglich von einem Kauf* 
mann in Braunschweig reclamirt wurde, liess es ihm die Ge- 
meinde nicht eher ausfolgen, bis er von sämmtlichen Mitkäufem 
das Zeugniss beibrachte, dass sie auf das Fass keinen Anspruch 
machten. Diese Mitkäufer wohnten aber in Walluff, Dortrechtt 
Schleswig und Minden, und das Gabelungsprotokoll war aucii 
nach Minden gewandert ! Darum begi^hloss man, dass künftig- 
hin eine Abschrift des Protokolls am Orte bei Geridit hinter- 
legt werden solle. ^^) 

Solche Gabelungen dünken uns jetzt wohl höchst wunder- 
lich; dennoch bekunden sie im Mittelalter und den nächst- 
folgenden Jahrhunderten eine selbständige und gemeinsame 
Handelspolitik unsers Gaues, und man prophezeite schlimme 
Folgen, als sie im 18. Jahrhudj^ert aufgehoben wurden! Sie 
waren aber thatsächlich in sich selbst zusammengefallen und 
zwar in Folge der Selbstemancipirung der grossen Kapitalisten. 
Denn der Adel und die Stifter und dann auch die reicheren 
Bürger nahmen sich die Freiheit vor der Eröffnung des 
Marktes zu verkaufen und dadurch der für sie am wenigsten 
erwünschten Gabelung zu entgehen. Wie das grosse Kapital 
durch Manufacturen und Fabriken die Zünfte ökonomisch 
trocken gelegt hat, so sprengte dasselbe auch den genossen- 
schaftlichen Bann des Weinbaues und Weinmarktes. 

Uebrigens erstreckte sich die rheingauische Form der 
Gabelung auch über den Gau hinaus und bestand z. B. in 
Hochheim und Bodenheim. So sind auch die oben besprochenen 
„Nachbarschaften" rheinab gewandert bis Bomich, und manche 
andere Einzelzüge, die ich vom Eheingau mitgetheilt, werden 
sich zerstreut auch in andern benachbarten Rheinorten wieder- 
finden. Dies stösst aber meinen allgemeinen Satz nicht um, 
dass die grosse Summe eigenster Züge in Wirthschaft und 
Gesittung des Gaues aus dessen politischer Freiheit erwachsen 



17) Schunk a. a. 0. II, 898 



270 Jahrb, der hiOar. Gasse der h. Äiad. der Wissenschaften. 

Bei. Denn wie der Bheingau ein üebergangsgebilde von Bürger- 
thom nnd Bauemthmn bot, so gibt es auch benachbarte Ehein- 
orte, welche wieder auf der Uebergangsstnfe vom Bheingauer 
Halbbürger zum yoUendeten hörigen £3einbauem des armen 
Hinterlandes standen. Es wäre dann eine anziehende Aufgabe 
des Localgeschichtsforschers , nachzuspüren, inwieweit nicht 
blos rheingauer Weinbau, sondern^ auch rheingauische Sitten 
und Einrichtungen den Nachbarn zum Vorbilde gedient haben. 
Nur bei den Ueberhöhem wird man vom Einen so wenig wahr- 
nehmen können wie vom Andern. 



Ich könnte diese Erörterungen noch nach zwei Seiten weiter 
fahren: Kunst und Wissenschaft wurden im Kheingau 
manigfach gepflegt; dennoch ist das Land als solches kein 
Herd eigenartiger Geistescultur gewesen. Von Kiederich und 
Eltville bis Lorch ist der Gau bedeckt mit einer Beihe zum 
Theil ausgezeichneter Denkmale des romanischen und gothischen 
Styles, und die Fälle und Zierlichkeit derselben sticht auffallend 
ab gegen die Dürftigkeit und Bohheit der wenigen mittel- 
altrigen üeberbleibsel, welche der angrenzende überhöher Land- 
strich, ja selbst die Nachbargegend , der gesegneten Königs- 
hundrete aufzuweisen hat. Manche altberühmte deutsche Stadt 
besitzt nicht so viele und schöne Kunstdenkmale wie der 
Bheingau. Allein, dass künstlerischer Geist die Bürger beseelt 
habe, dass die Kunst ihr Eigenthum gewesen oder geworden 
sei, wird Niemand darzuthun vermögen. Leichter wäre der 
Beweis des Gegentheiles, für welchen schon die Thatsache einen 
Fingerzeig gibt, dass der Gau kein selbständiges Gewerbeleben 
kannte, welches im Mittelalter überall der Kunstbetriebsamkeit 



BiefU: Bauernland mit Bürgerrechten. 271 

ZU Grunde liegt. Es bildet auch der Gau keine massgebende 
Architekturzone , sondern nur einen Ausläufer der Mainzer 
Kunstrichtung und war hier, wie auf andern Gebieten höherer 
Geistescultur, eine Vorstadt von Mainz. Gelehrte und litterarisch 
thätige Kleriker zählt der Eheingau nicht wenige während des 
Mittelalters; Jakob von Eltville (um 1350) und Kudolf von 
Eüdesheim (um 1470) haben sogar zwei rheingauische Orts- 
namen berühmt gemacht in der mittelaltrigen Geschichte der 
Theologie, allein das Wirken des Einen gehörte seinem Kloster, 
Eberbach, des Andern der Universität Heidelberg und Niemand 
wird von den vielen kleineren Gelehrten, welche Eberbach 
schon früher unter seinen Mönchen aufführt, einen Schluss auf 
den wissenschaftlichen Geist der Kheingauer zu ziehen wagen. 
Um so bedeutsamer erscheint im öegentheil die Thatsache, 
dass zu einer Zeit, wo in den wirklichen Städten ein acht 
bürgerliches Bildungsleben mit frischesten Trieben aufsprosste, 
die Eheingauer Culturgeschichte fast nur von theologisch ge- 
lehrten Mönchen zu erzählen und andererseits den Mangel 
an Schulen und den schlechten Zustand der wenigen vor- 
handenen zu rügen weiss. ^®) Auch der zahlreiche Adel des 
Gaues, obgleich er in der Periode der ritterlichen Kunst des 
13. Jahrhunderts schon fröhlich blühte und überhaupt ein 
glänzendes und äusserlich verfeinertes Leben geführt zu haben 
scheint, hat uns keine Zeugnisse hinterlassen, dass ihn ein 
ähnlicher künstlerischer Geist emporgehoben habe, wie die 
Eitterschaften Oberfrankens, Schwabens, Bayerns und AUeman- 
niens. Die Bürger waren Weinbauern, aufgeweckt durch ihre 
Freiheiten, regsam in der Bodencultur, politisch ebenso fort- 
schrittslustig wie das tonangebende Mainz, weit mehr als an- 
dere Bauern an städtische Bedürfnisse und städtischen Luxus 
gewöhnt, aber ohne den Ernst und die Tiefe einer gesammelten 
städtebürgerlichen Schule und Zucht des Geistes. Dieser uralte 



18) Siehe Bodmann I, 426 f. 



272 Jahrh, der fUstor. Glosse der k. Äkad. der Wissenschaften. 

QegeiiBtLtz ist sicher ein Quell der schon Mhe beklagten 
materiellen und äusserlichen Sinnesart der Bheingauer, wie sie 
sich so leicht bei socialen Uebergangsexistenzen ein- 
zustellen pflegt. 

Im Mittelalter waren Stadt und Land durch das Hecht 
imterschieden, während sich dieser Unterschied in unserer Zeit 
in einen blos wirthschaftlichen und socialen umgesetzt hat. 
Trotzdem sehen wir, dass ein Landstrich, dessen Bewohner 
städtische Bechte und Freiheiten genossen, auch im Mittelalter 
immer nur halbwüchsig blieb, ein Bauemland mit Bürgerrechten, 
weil die Form der Siedelung, der Wirthschaft und der Gesittung, 
d. h. der sociale Gesammtcharacter nicht städtisch geworden 
war. Und lassen sich die wichtigsten Bechtsunterschiede der 
alten Stände nicht überhaupt auf letzte wirthschafüiche Vor- 
aussetzungen zurückführen? 

Andererseits wird es aber auch dem Ohre des Bheingauers 
befremdend klingen, wenn ich sein Land ein Bauemland nenne. 
Und dieses Befremden ist berechtigt, ja ich bekenne, dass selbst 
meinem eigenen Ohre die Worte „Bauemland" und „Ehein- 
gau" nicht recht zusammenstimmen wollen. Allein ich weiss 
kein anderes Wort , welches ein Land der überwiegend land- 
wirthschaftlichen Cultur bezeichnete, die freilich hier von 
altersher getragen und durchdrungen war von industriellem 
und kaufmännischem Geiste: von einem Gteiste, der seinen 
Bückhalt fand nicht in einem hörigen und auch nicht in einem 
nach altgermanischer Weise freien Bauerathum, sondem bei 
Bodenbauem, die von der Stufe uralt bäuerlicher Gemeinfreihfeit 
zu städtebürgerlichen Freiheiten aufgestiegen waren. 

Die Culturgeschichte des Bheingaues lehrt uns, wie die 
Entwickelung eigenartiger Wirthschaftsformen im Mittelalter 
mit Bechten und Freiheiten des Volkes innig zusammenhängt ; 
sie lehrt uns aber auch, dass die Sitten des Volkes nicht 
nivellirt, sondern im Gegentheil recht fest und scharf geprägt 
wurden durch das reichste Maass politischer Freiheit. Der 



Biehl: Bauernland mit Bürgerrechten, 273 

Eheingau hatte und hat seme eigene Mundart, seinen besonderen 
charactervollen Sittenkreis, seine auszeichnende politische Farbe, 
seine unterscheidende Bildungsatmosphäre. Wenig erbaut vom 
socialen Conservatismus der Bauern, hat man auf liberaler Seite 
behaupten wollen, das treue Festhalten des Landvolkes an 
örtlich abgegrenzten Sitten, sei die Folge eines Sturnpfsinnes, 
gezeugt von alter politischer Unfreiheit und Unterdrückung. 
Allein gerade die freiesten Bauernschaften an unsem nordischen 
Meeresküsten, wie in den Alpen und hier am ßheine sind auch 
in ihren Sitten die originellsten und ausdauerndsten gewesen'; 
nur muss man freilich bei den Sitten noch an etwas Tieferes 
denken als an Bock und Hosen und Hochzeiten und Leichen- 
schmäuse. So haben auch nicht die landesherrlicken Städte 
sondern die Beichsstädte, und unter diesen wieder hervorragend 
die mächtigsten, selbständigsten und reichsten, ein eigenthüm- 
liches Sittengepräge des Bürgerthumes bewahrt bis auf diesen 
Tag. Und wenn der Eheingau doch auch wieder mehr verloren 
hat von seinem ursprünglichen Y olkscharacter , als z. B. die 
freien Bauemländer der Schweiz oder der Nordseemarschen, so 
geschah dies in jenen Jahrhunderten, welche ibm das alte 
Eecht Stück für Stück raubten und das halbstädtische Land 
rettungslos hinabzogen in den allgemeinen Verfall des deutschen 
Städteyresens. 



^^^«^a^h^ttf4^*^«^k^^^^^«^h^«^«^k^«^ 



v% 



V. 



Die 



Säcularisation des Kirchengutes 



unter den 



Carolingern 



von 



Professor Paul Roth. 



\Ä* 



V. 

Die Säcularisation des Kirchengutes unter den 

Carolingern. 



Es charakterisirt die früher verbreitete Auffassung der 
deutschen Verfassungsentwicklung, dass man für alle Umge- 
staltungen einen längeren Zeitraum voraussetzte, in welchem 
dieselben sich vorbereitet und endlich vollzogen haben sollten ; 
man hielt plötzliche Veränderungen ffir unvereinbar mit der 
Natur der deutschen Verfassung, und suchte geflissentlich 
überall nach Uebergangsstufen, durch welche die Beseitigung 
früherer Einrichtungen und das Hervortreten neuer Gestaltungen 
fast unbewusst hätte erfolgen müssen. Allein wie für das 
Mittelalter so entbehrt diese Auffassung auch far die ältere 
Zeit der Begründung. Wie im Mittelalter, um nur ein Bei- 
spiel anzuführen, nach den sorgföltigen und so verdienstlichen 
Untersuchungen Fickers die folgenreiche Veränderung in der 
Stellung der Keichsstände sich in dem Zeitraum weniger Jahre 
vollzieht , so ist die Mitte des- 8. Jahrhunderts , die Zeit des 
Uebergangs von der merovingischen zur carolingischen Mo- 
narchie, der Sitz einer Umgestaltung, die man beinahe als 
Umwälzung bezeichnen kann. 

Als ein Breigniss von besonderer Bedeutung erscheint die 
damals vollzogene Säcularisation des Eirchenguts, die ich schon 



278 Jahrb. der histor. Classe der h. Akad. der Wissenschcfien, 

in meiner Geschichte des Beneficialwesens Erlangen 1850 und 
der damit in Verbindung stehenden Schrift: Feudalitat und 
Unterthanenverband Weimar 1863 einer genaueren Unter- 
suchung unterworfen habe. Veranlassung zu wiederholter Be- 
sprechung giebt mir zunächst der Umstand, dass die Nach- 
richten der Chronik von S. Wandrille bei np-herer Betrachtung 
eine Bestätigung meiner Darstellung ergeben, die mir früher 
entgangen war. 



Die Umwälzung, welche in der Mitte des achten Jahr- 
hunderts in den Vermögensverhältnissen der kirchlichen In- 
stitute des Frankenreichs eingetreten ist, war lauge Zeit d^ 
Beachtung entgangen, und wurde später ganz unrichtig auf- 
gefasst. Noch in neuerer Zeit wird von Manchen auf die Frage, 
Ton wem sie ausgegangen sei, besonderes Gewicht gelegt, ja 
die ganze Untersuchung zunächst darauf gerichtet. Carl 
Martell, so lautet die aus dem Mittelalter überkommene Ueber* 
lieferung, hatte das Kirchengut eingezogen, woffir er, wie dem 
Bischof Eucherius von Orleans durch eine Vision mitgetheilt 
wurde, der ewigen Verdammniss verfiel. Obwohl das Märchen-, 
hafte dieser Erfindung längst nachgewiesen, obwohl hergestellt 
war, wie und wann dieselbe zuerst öffentlich aufgetreten sei, 
80 war für* die richtige Auffassung doch noch wenig gewonnen. 
Denn abgesehen davon, dass von Manchen unter Einräumung 
der formellen Unrichtigkeit in den Angaben der Vision des 
Eucherius die Bichtigkeit des materiellen Inhaltes behauptet 
wurde und noch wird, war durch die Betonung der Personen- 
frage der Untersuchung eine ganz falsche Sichtung gegeben. 
Der Umstand, dass ein grösserer Theil des Kirchengutes 



Boih: Die Säadarisatian des Kirchen§utei. 279 

kirchlichen Zwecken entfremdet geradena m öffentlichen Zweckmi 
in Anspruch genommen wird, hat etwas so auffallendes, an^ 
scheinend unerklärliches, dass dabd die Frage, wer eine der^ 
artige Maassregel v^ängt, gegen die andere, wie und wannn 
sie eingetreten sei, ganz in den Hintergrund tritt Was 
es ein Akt willkürlicher Gewalt, lag es in den Sitten der 
Zeit, beruhte es auf einem Satz des fränkischen Staatsredits^ 
oder wurde es durch äussere umstände yeranlassti dass im 
Laufe des 8. Jahrhunderts wenigstens ein Drittel alles Earchen- 
gutes in weltliche Hände überging und der Kirche ^tzogOQ 
blieb? Die Entscheidung dieser Fragen verspricht die wichtig* 
sten Aufschlüsse nicht nur über die kirchlichen Einriehta^geii^ 
sondern auch für die richtige Erkenntniss der Yerfassungsenb» 
Wicklung und der socialen Zustände des Frankenreichs, und 
wird daher den Mittelpunkt der Untersuchung zu bilden haben* 
Verg^enwärtigen wir uns den Um&ng und Verlauf der 
Säcularisation , so muss es zunächst auffalle, dass eine in 
alle Verhältnisse des kirchlichen Lebens tief angreifende Maash 
regel so sehr mit Dunkel bedeckt ist Wie kommt es, mdchtQ 
man fragen, dass in einer Periode, in der die meisten ja fast 
alle historischen Auizeichnungen von Glerikem ausgehen, niur 
ganz vereinzelt gleichzeitige oder der Zeit nahe li^nde An^ 
deutungen darüber vorli^n? Wie kommt es, dass eine umn 
4ngreiche Einziehung des Eirchengutes Jahrhunderte lang ver*' 
gessen oder in ihrer Bedeutung verkannt sein konnte? Der 
Mangel glächzeitiger Au&eichnungen allein kann kaum die 
Veranlassung gewesen sein. Denn dass aus der Zeit Oaii 
Martells überhaupt so gut wie keine aus der Zeit Fipins nur 
magere Mittheilungen Gleichzeitiger vorliegen, wird uns das 
Stillschweigen der zahlreichen historischen Quellen der unmittel« 
bar folgenden Zeit nicht erklären, wo es sich um ein Verfahren 
handelt, dessen Einzelheiten lange im Gredächtniss der Nactirr 
kommen fortgelebt haben werden. Noch jetzt findet sich ii| 
vielen deutsdien Ländern eine lebendige Erinnerung an deft 



280 Jahrb. der histor, Glosse der k, Äkad. der Wissenschaften. 

Bestand Mrchlicher Listitnte, die über 60 Jahre zn existiren 
aufgehört haben; wir werden daher in einer Zeit, in welcher 
der mündlichen Ueberliefenmg eine ^o viel grössere Bedentung- 
zukam, för diese wenigstens die gleiche Dauer annehmen müs- 
sen, und können daher kaum zweifeln, dass zur Zeit Carls des 
Grossen die Entstehung der Verhältnisse, die damals bei den 
meisten kirchlichen Instituten zu lebhaften Klagen Veranlassung 
gaben, noch allgemein bekannt war. Gleichwohl bringen 
unter allen bis in die Mitte des 9. Jahrhunderts verfassten 
historischen Aufzeichnungen nur drei eine darauf bezügliche 
Notiz, nämlich die verlorenen Murbacher Annalen in der in die 
Annales Alemannici Nazariani und Guelferbjrtani übergegangenen 
Stelle zum Jahre 751: Res ecclesiarum descriptas atque divi- 
sas; femer die Annales Bertiniani, welche zu 750 mittheilen: 
Pipinus monente S. Bonifacio quibusdam episcopatibus vel 
medietates vel tertias rerum .... promittens in postmodum 
omnia restituere; und der Verfasser der Gesta abbatum Fon- 
tanellensium, der in verblümter Weise eine Beschädigung des 
Kirchenvermögens durch Pipin andeutet. Alle übrigen histo- 
rischen Schriften dieser Zeit beobachten absolutes Stillschweigen, 
und erat in Schriftstellem nach der Mitte des 9. Jahrhunderts 
wird die Säcularisation sowohl im allgemeinen als bezüglich 
einzelner kirchlicher Institute erwähnt, und theils auf Pipin 
theils auf Carl den Grossen meist aber auf Carl Martell zurück- 
geführt. 

Noch auflFaUender als dieses Schweigen gleichzeitiger 
Schriftsteller über ein Ereigniss, das an Bedeutung keinem 
anderen dieser Zeit nachstand, ist das Fehlen wichtiger Doku- 
mente, deren Vorhandensein in der früheren Zeit zweifellos 
feststeht. Es gilt diess vor allem von den beiden Briefen des 
hl. Bonifacius, in welchen er über die Maassregel berichtet, 
auf welche zwei Antwortschreiben des P. Zacharias noch vor- 
liegen. Von gesetzlichen Bestimmungen fehlen die Akten der 
in dem Synodus Vemensis (C. 755, 20, 27) erwähnten Synode, 



Bath: Die SäctUarisatian des Kirchengutes, 281 

auf welcher verfagt war , dass die Klöster von dem ihnen be- 
lassenen Theil des Kirchengutes an den König oder Bischof 
Bechnung zu stellen hätten, und der in einem Capitular von 
768 (PertzIV. 13.) angeführten Synode, auf welcher der König 
Pipin der Kirche eine Zusicherung der Unterlassung aller 
weiteren Einziehung gegeben hatte. Das Edict, welches Carl 
der Grosse in Verbindung mit dem Papst Leo ausstellte, um 
die Kirche vor jeder weiteren Einziehung von seiner und seiner 
Nachkonmien Seite sicher zu stellen, ist uns nicht erhalten, 
obwohl es in der Mitte des 9. Jahrhunderts noch vorhanden 
und in zahlreichen Exemplaren verbreitet war, da es der Kaiser 
far jeden Metropolitansitz in Original hatte ausfertigen lassen. 
Das Aufifallendste aber ist das gänzliche Fehlen der Precariae 
verbo regis in allen unsern Urkundensammlungen, so dass wir 
auf die in den gefölschten Acta episcoporum Cenomanensium 
und den Gesta Aldrici mitgetheilten beschränkt sind, während 
früher doch tausende von solchen durch ganz Gallien verbreitet 
gewesen sein müssen. Erwägt man dabei , dass durch Inter- 
polation die Fabel von der Vision des Eucherius sogar in die 
Briefe des hl. Bonifacius sich einschlich, so wird es weniger 
in Verwunderung setzen, dass früher so irrige Meinungen 
herrschen konnten, und man wird das Stillschweigen der gleich- 
zeitigen und zunächt lebenden Schriftsteller kaum zufällig 
finden. Die Sache wurde von den der Zeit nach zunächst 
stehenden todt geschwiegen, und seit der Mitte des 9. Jahr- 
hunderts vielfältig falsch dargestellt, zum Theil nicht ohne 
Absicht. 

Diese Erwägungen drängen sich auf, wenn wir aus den 
kargen uns erhaltenen Ueberbleibseln von Nachrichten die 
Grundzüge des Verfahrens zusammenstellen ; viel weiter werden 
wir kaum gelangen, da die jetzt vorhandenen Quellen nur diess 
gestatten, und eine wesentliche Vermehrung derselben kaum 
wahrscheinlich ist. 

Was vor allem den Umfang anbetriflft, so fehlen freilich 



282 Jährh, der histor, Claase der Je Akad, der Wissenschaften, 

direkte Angaben, wie denn für diese Zeit statistische Anhalts- 
punkte irgend einer Art überhaupt nicht vorliegen ; doch finden 
wir in den gleichzeitigen Quellen hinlängliche Auüschlüsse, um 
wenigstens über blosse Vermuthungen hmausgehen zu können. 
Eine solche hat neuerdings Waitz aufgestellt, indem er be- 
hauptete, unter Carl Martell sei das Kirchengut im Franken- 
reiche so gut wie vollständig in den Händen der Weltlichen 
gewesen. Allein dieser Annahme steht entgegen, dass wir von 
einer Eeihe kirchlicher Institute, über welche für die ganze 
Dauer des 8. Jahrhunderts nähere Nachrichten vorliegen, 
gerade das Gegentheü nachweisen können. Ich erinnere bei- 
spielsweise an die Klöster S. Denys und S. Wandrille in Gal- 
lien, Weissenburg und S. Gallen in Deutschland, welche in 
keinem Zeiträume des 8. Jahrhunderts sich ganz in den Händen 
Weltlicher befunden haben. 

Ebensowenig wie eine derartige allgemeine Vermuthung, 
welche durch die Naclirichten im einzelnen nicht bestätigt 
wird, sind für die Entscheidung von Bedeutung die Klagen, 
denen wir bei kirchlichen Schriftstellern namentlich der späte- 
ren Zeit häufig begegnen, da sie nicht sowohl den Umfang 
als den Grundsatz der Eiijiziehung zum Gegenstand haben. 
Wichtig ist dagegen vor allem die ofScielle Aeusserung in 
C. 744, 3, 21: de rebus ecclesiaram subtraditis monachi vel 
ancillas dei consolentur usque ad iUorum necessitati satisfaciant, 
et quod superaverit census levetur. Es spricht diese Stelle 
bestimmter als eine entsprechende im Capitulare Liftinense c. 2, 
wo nur im allgemeinen gesagt ist, dass die kirchlichen In- 
stitute vor Mangel geschützt sein sollten ; denn die Bestimmung 
Pipins geht noch weiter, indem aus ihr zu entnehmen ist, 
dass den Klöstern nur ihr Bedarf gelassen werden sollte, wäh- 
rend das übrige (quod superaverit) der Verwendung durch den 
Staat verfiel. An sich ergibt sich hieraus, dass bei den ein- 
zelnen kirchlichen Instituten wenigstens eine allgemeine Ver- 
anschlagung des Güterbestandes und Feststellung des noth- 



Both: Die Säcularisatian des Kirchengutes. 283 

wendigen Bedarfes vorgenommen wurde; wir haben darüber 
auch wirklich authentischen Aufschluss,«da nach C. 755r20, 27 
auf einer nicht mehr vorhandenen Synode bestimmt wurde, 
dass die Klöster von dem ihnen zum Unterhalt belassenen 
Theil ihres Vermögens Rechnung zu stellen hätten, wodurch 
also die Notiz der Murbacher Annalen: Bes ecclesiarum de- 
acriptas atque divisas hinsichtlich der Klöster vollständig be* 
stätigt ist. 

Für die bischöflichen Kirchen bieten die Verhandlungen, 
soweit sie uns erhalten sind, keinen derartigen Anhaltspunkt, 
da die erwähnten Bestimmungen ausdrücklich nur von Klöstern 
sprechen. Indessen ist es ganz zweifellos, dass die Säculari- 
sation von Anfang an auch auf die bischöflichen Kirchen sich 
erstreckte, da das Concilium Liptiiiense C. 743, 2, 18 sie aus- 
dnicklich neben den Klöstern nennt: ad ecclesiam vel mona- 
sterium reddantur, und Pabst Hadrian in seinem bekannten 
Briefe an den Bischof Tilpin (Bouq. V. 594) bezeugt: et res 
ecclesiae de illo episcopatu sunt ablatae, et per laicos divisae 
sunt, sicut et de aliis episcopatibus, maxime autem de Bemensi 
metropolitana civitate . . . Die Einziehung war nicht unbe- 
deutend, da noch im 9. Jahrhundert bei einzelnen Stiftern 
die Nachwirkung verspürt wurde, Concil. Paris VI. von 829, 
c. 15: ut . . morem paternum sequentes quasdam sedes episco- 
pales, quae rebus propriis viduatae immo annullatae esse viden- 
tur . . . de earum sublevatione . . . cogitetis. Wie wir aus dem 
Concüium Liptinense ersehen, wurde auch den bischöflichen 
Kirchen nur ein Theü ihres Grundbesitzes entzogen, also ver- 
muthlich der Bedarf belassen, der freilich grösser war als bd 
den Klöstern, da sich in den DiöcesanWrchen die ganze Ad- 
ministration der Diöcese concentrirte. 

Was hier als Resultat aus den Aeussenmgen officieller 
Aktenstücke festgestellt ist, bestätigt sich durdi die Nach-^ 
richten von einzelnen Kirchen. Es ist vor allem die Chronik 
von S. Wandrille, der wir wichtige Aufschlüsse verdanken. 



284 Jahrb. der histar. Classe der k, Akad. der Wissenschaften. 

Das in der Mitte des 7. Jahrhunderts gestiftete Kloster S. 
Wandrille (Fontanellum) war eines der grösseren Klöster 
Galliens, nnd dadurch ausgezeichnet, dass es zu Ende des 7. 
und Anfang des 8. Jahrhunderts far das Amulfingische Haus 
die Stellung hatte, welche seit Mitte des 8. Jahrhunderts für 
das carolingische Geschlecht Prüm einnahm, und die unter 
den Merovingem dem Kloster S. Denys zugekommen war. 
S. Wandrille erfreute sich nicht nur der speciellen Gunst 
Carl Martells, sondern auch der Leitung seines Neflfen Hugo, 
der zugleich Bischof von Eouen Paris und Bayeux und Abt 
von Jumiöges war (723 — 731). Gerade unter Hugo erhielt 
das Kloster den grössten Zuwachs von Besitzungen, die da- 
mals wenigstens 7000 Mansi betragen haben müssen. Die 
quellenmässige Geschichte dieses Klosters, welche den Zeit- 
raum von der Gründung desselben bis in das erste Drittel des 
9. Jahrhunderts umfasst, ist die einzige uns erhaltene nahezu 
gleichzeitige Darstellung der Schicksale eines kirchlichen In- 
stituts im 8. Jahrhundert. Ihr Verfasser, der in der letzten 
Zeit Ludwig des Frommen schrieb, hat nicht nur das Kloster- 
archiv benützt, dessen Urkunden zu seiner Zeit noch vollstän- 
dig vorhanden waren, sondern er hatte auch noch mündliche 
Ueberlieferungen zur Hand, deren eine er als zu seiner Zeit noch 
notorisch bezeichnen kann (omnibus est notissima c. 15). Die 
Genauigkeit seiner Darstellung lässt sich daran erkennen, dass 
er c. 12 die Namen der Mönche mittheilen kann, die 742 in 
einer Klosterangelegenheit an Pipin gesendet wurden. 

Es wäre kaum zu verwundem, wenn die Einziehung das 
Stammkloster der carolingischen Familie gar nicht berührt 
hätte; dass auch dieses kirchliche Institut nicht verschont 
blieb, zeigt am deutlichsten das Umfassende der Maassregel. 
Ausdrücklich fährt der Chronist an, dass unter dem Abt Wido 
(753 — 787) die Existenz des Klosters in Gefahr kam, da die 
«um Unterhalt der Mönche erforderlichen Mittel nicht mehr 
aufgebracht werden konnten. Es ist daher nicht eine blosse 



Both: Die Säctdarisation des KirchengtUes. 285 

Phrase, wenn in den gesetzlichen Dokumenten dieser Zeit der 
Fall vorgesehen wird, dass Klöster aus grosser Armuth nicht 
mehr im Stande seien, den Unterhalt der Klosterleute zu b&r 
streiten und die Vorschriften der Eegel zu erfüllen. 

Wie bei den Klöstern so tritt auch bei den bischöflichen 
Kirchen die Zerstörung des Besitzes im 8. Jahrhundert her- 
vor. Die Ausdehnung der Säcularisation in dem Bisthum 
Bheims ergibt sich aus der Schilderung, welche Flodoard 
(historia Bemensis 11. 17) von der auf Wiedererlangung des 
entzogenenen Besitzes gerichteten Thätigkeit des Bischofs Tilpin 
macht. Die Kirche von Lyon war noch bei dem Amtsantritt 
des Bischofs Leidrad (798) nach einem Bericht desselben an 
Carl den Grossen in einem sehr heruntergekommenen Zustand, 
und noch 829 waren nach der Aeusserung des Pariser Concüs 
mehrere bischöfliche Kirchen in sehr trauriger Lage. So 
werden wir die Aeusserungen in späteren Aufzeichnungen, 
welche von eüizelnen bischöflichen Kirchen eine fast gänzliche 
Zerstörung des Besitzstandes melden, wie von Auzerre Le 
Mans und Vienne, nicht ganz unglaubwürdig finden: 

Es scheint daher bei der Säcularisation im 8. Jahrhundert 
als durchgehendes Princip hervorzutreten, Einziehung derjeni- 
gen Besitzungen, die sich bei den einzelnen Kirchen und 
Klöstern als Ueberschuss über den nothwendigen Bedarf er- 
gaben. Dass dieser den kirchlichen Instituten gelassen werden 
soUte, ist verschiedenemal ausgesprochen, und ausserdem durch 
die That bewiesen, indem schon Pipin, noch mehr seine Nach- 
folger, dem BedürMss, wo es sich fand,> durch Restitution ab- 
halfen. Zweifellos wurde daher bei den Einziehungen ein ge- 
wisser Maassstab angelegt; es war nicht eina Säcularisation 
in dem Umfang der späteren Zeit; es sollten nicht ganze 
kirchliche Listitute aufgelöst, nicht das ganze kirchliche Ver- 
mögen eingezogen und das kirchliche Institut , soweit es fort- 
bestand, auf eine Sente angewiesen werden; es war eine 
Theilung, Divisio. Dieser technische Ausdruck, der in der 



286 Jdhrh, der histor. Classe der h. Äkad. der Wissenschaften. 

zweiten Hälfte des 8. und im 9. Jahrhundert häufig wiederkehrt, 
ist wörtlich zu verstehen. Schon daraus würde zu folgern sein, 
dass es nicht ein planloses willkürliches Verfehren war; wir 
haben aber ausserdem in der Notiz der Murbacher Annalen 
einen Anhaltspunkt, da hiemach eine Verzeichnung des kirch- 
lichen Güterstandes vorherging. Die Divisio unterscheidet 
sich von späteren Säcularisationen aber nicht nur darin , dass 
sie principiell nur einen quotenTheil des Kirchengutes in An- 
spruch ninunt, sondern auch dadurch, dass sie der Kirche 
nicht das Eigenthum entzieht, dieses vielmehr grundsätzlich 
aufrecht erhält, und für die Inhaber nur ein Nutzungsrecht 
in den Formen constituirt, die bisher schon für freiwillige 
Verleihungen von Kirchengut üblich gewesen waren. Ich habe 
das Verfahren Säcularisation genannt, und glaube auch dem 
Widerspräche von Walter gegenüber diese Bezeichnung beibe- 
halten zu müssen, nicht weil der Ausdruck uns geläufiger ist^ 
sondern weil das Verfahren materiell zu einer Säcularisation 
führte; denn der urspimgliche Charakter der Maassregel war 
ja schon zu Ende des 8. Jahrhunderts dadurch völlig umge- 
staltet worden, dass der früher bestimmte Heimfall an die 
Kirche ausgeschlossen und von einer ausdrücklichen Wieder- 
verleihung durch den König abhängig gemacht wurde. Wenn 
man also auch das Verfahren in seiner ursprünglichen Gestalt 
mit Walter als eine Anleihe bezeichnen wollte, welche der 
Staat bei der Kirche machte, so würde man diess doch für 
das letzte Drittel des 8. Jahrhunderts nicht mehr als gelten- 
des Recht anzunehmen haben, da hier der selbständige An- 
spruch der Kirche auf Rückgabe aufgehoben war, die auch 
vielßütig nie erfolgte, indem sich z. B. noch im 12. Jahr- 
hundert Reichslehen nachweisen lassen, welche durch die 
Säcularisation des 8. Jahrhundai» aus dem kirehtichen Besitz 
gekommen waren. 

üeber den Umfang und die Tragweite der Maassregel 
kann nach dem AngeflUirten überhaupt k^n Zwei^I sein. 



Both: Die Säcularisation des Kirchengutes. 287 

Wenn sogar Lieblingsklöster wie S. Denys und S. Wandrille 
nicht Terschont wurden, wenn selbst das Bisthum Bheims, 
schon damals der Mittelpunkt des kirchlichen Lebens in Frank* 
reich, einer Beeinträchtigung seines Besitzstandes unterliegt, 
welche der anderer Bisthümer in nichts nachgibt, ja sie noch 
übertrifft, so dürften vrir auch ohne weitere Nachrichten die 
Allgemeinheit der Einziehung voraussetzen. 

Zur Erklärung wird es vor allem nöthig sein die Veran- 
lassung festzustellen, ja diese Untersuchung ist es allein, die 
in Betracht konunt. Nur dass man über der Fersonenirage 
die Motive übersah, machte es möglich, dass ein Ereigniss, 
für dessen Erörterung im einzehien es der früheren Zeit durch- 
aus nicht an Interesse gebrach, so lange völlig verkannt sein 
konnte. Sehen wir ab von der Annahme, dass darin nur ein 
Akt räuberischer Gewaltthat zu sehen sei , die sich auf nichts 
stützt, so begegnet uns vor allem die Behauptung, dass die Ein- 
zi^ung auf einen Satz des fränkischen Staatsrechts zurückzu- 
führen sei. Diess hat zuerst Flanck angedeutet, indem er von 
Beginn der fränkischen Monarchie an die Frätension eines 
Dispositionsrechtes annahm, das als eine missbräuchliche Aus- 
dehnung des Schutzrechtes erklärt wurde. Dieser Auffassung 
ist jedoch von vornherein entgegen zu halten, dass der Begriff 
des Schutzrechtes in diesem Sinne erst späteren Ursprungs ist. 
Es wurde nämlich erst seit Carl dem Grossen und zwar seit 
seiner Kaiserkrönung gewöhnlich, den Ejrchenschutz als eine 
besondere Aufgabe der weltlichen Gewalt anzusehen und zu 
betonen. Selbst die Ausdrücke Advocatus, Advocatia, finden 
sieh in merovingischer Zeit selten; in früherer Zeit begegnen 
wir so wenig der amtlichen Uebertragung des Kirchenschutzes 
an Laien, als der Ausübung des Kirchenschutzes durch die 
B^irung selbst in Form eines nutzbaren Bechtes. Geistliche 
und Kirchen standen in der merovingischen Monarchie unter 
dem allgemeinen Königsschutz, der zwar für einzelne kirchliche 
Liistitute durch Ertheilung besonderer Schutzprivilegien noch 



288 Jahrb. der histor. Glosse der k. Akad. der Wissenschaften. 

erhöht wurde, aber ohne dass darin etwas für die Kirche iSJigen- 
thümliches zu suchen wäre, da sich dasselbe auch for Laien 
findet. Mit den späteren Zustanden, wo Carl der Grosse die 
Ejrche ausdrücklich unter seinen Schutz nimmt, oder wo die 
Eirchenvogtei als ein nutzbares Begal behandelt wird, lässt 
sich dieses Verhältniss gar nicht vergleichen. Die Meinung 
von Planck hat auch keinerlei positiven Beweis für sich, son- 
dern ist nur eine aus einigen Concilienschlüssen des 6. Jahr- 
hunderts abgeleitete Yermuthung, während sich aus der Zeit 
der Säcularisation selbst gar keine Anhaltspunkte dafür bei- 
bringen lassen. 

Ebensowenig genügend ist eine neuerdings von Waitz 
versuchte Erklärung, wonach die fränkischen Könige das Ver- 
fügungsrecht über ihre eignen Schenkungen an die Kirche, das 
sie sich immer vorbehalten , im Laufe der Zeit auf das ganze 
Kirchengut ausgedehnt hätten, was von der Kirche früher be- 
kämpft später in Folge eines Compromisses unter den Söhnen 
Carl Martells zugestanden worden sei. Es ist diese Annahme 
die nothwendige Consequenz seiner Auffassung, dass durch die 
merovingischen Krongutsverleihungen nicht volles Eigenthum 
übertragen worden, über welche dem König vielmehr ein wei- 
teres Verfügungsrecht vorbehalten gewesen sein soll. Diese 
Annahme ist indess ebensowenig begründet wie die von Planck. 
Keine der zahlreichen Urkunden über königliche Schenkungen 
an kirchliche Institute enthält frgend einen Vorbehalt, es wird 
in denselben vielmehr das volle Eigenthum in unzweideutigen 
Ausdrücken abgetreten; ja es findet sich in der ganzen mero- 
vingischen und carolingischen Zeit keine andere Schenkung an 
Kirchen als zu vollem Eigenthum. An sich ist diess ein ge- 
nügender Beweis gegen die Ansicht von Waitz; er wfrd aber 
noch dadurch verstärkt, dass im Vertrag von Andlau, einem 
der Grundgesetze der fränkischen Monarchie, das volle Eigen- 
thum aller früheren und künftigen Königsschenkungen der 
Kirche ausdrücklich garantirt ist, und dass nicht ein einziger 



BM: Du aAndaruakhn im KirckmgnUß. 289 

spedellw Fall naohgewiea»i werden kann, aus welchem sieh 
die Aosibung des angeblichen Yerfagiingsrechtes entnehmen 
lieese« Mit dieser Grundlage fUlt aber sugieich die Möglich- 
keit der Ausdehnung auf das geaammte Eirchengut weg, 
welche nach Waitz im Laufe der Zeit eingetreten sein soll. 

Ebensowenig wie dieser Ikitwicklung kann ich dem Satz 
beistimmen, den früher schon Planck angestellt und neuar- 
dings Waitz auszufahren gesucht hat, dass unter den Oarolingiem 
das Eirchengut im allgemeinen als königliches oder öffent- 
liidies Besitethum betrachtet worden sei. Dem steht allein 
schon der Umstuid entgegen, dass zu allai Zeiten der frän- 
kischen Monarchie Fiscalgut an Kirchen geschenkt od^ mit 
Eirchengut y^rtauscht wurde, was unerklärlich wäre, wenn 
das Eirchengut üb^haupt in der Qewere des Eönigs ge- 
standen hätte. 

Die Ansicht von Planck und Waitz wird sich aber über- 
diess schon desshalb nicht auirecht erhalten lassen, weU sie 
mit den officiellen Aeusserungm im 8. Jahrhundert in Widern 
Spruch steht« Pipin und seine Nachfolger behaupteten nicht 
ein Becht der Einziehung zu haben ; sie sprachen es offen aus, 
dafls sie nur aus Noth so handelten ; sie trafen Yoa Anfang an 
Suiriditungeii , wodurch eine Zurückgabe möglich gemacht 
wurde; üeberlassung einzelne Stücke in das Eigenthum der 
InhalHNr kam nur missbräuchlich vor und wurde abgestellt, 
wenn es bekannt wurde; d^ Inhaber, wdchem der Eönig das 
Gut als Beneficium v^lieben hatte, sollte der Eirche räien 
Preearienbrief ausstdkn, der ganz in dsn Formen der Urkunden 
über freiwillige Verleihungen der Eirche gehalten, nur durch 
Srvähnimg des königlichen Befehls ¥on diesen sich unterschied, 
md durch seine Existenz den Bew^ im das Eigenthum der 
Kirche lie£Ni;e. Er sollte den fünften Theil des Erträgpaisses 
(mona et dedma) und einen varscbieden normirten Zins an die 
Kirche zahlen, was gleichfalls als Anhaltspunkt für das Eigen- 
tfanm der Eirche diente. Die Fionkenkönige begn%t^ sich 



290 Jahrh. der histor, Glosse der k. Akad. der Wissenschaften. 

aber nicht damit, die Möglichkeit einer Bestitution sich offen 
zu halten; sie stellten nicht allein Bestitution des Ganzen in 
Aussicht, sondern gaben auch vielMtig im einzelnen zurück. 
So wissen wir aus sicherer Quelle, dass der Bischof Tilpin von 
Bheims in 30 Jahren einen grossen Theil des eingezogenen 
Kirchengutes zurückerhalten hatte, und wir können aus den 
zahlreichen uns erhaltenen Bestitutionsurkunden entnehmen, in 
welchem umfang die Bückgabe geübt wurde. 

Dieses Verfahren, das man den Verhältnissen nach nicht 
anders als rücksichtsvoll wird nennen können, bestätigt uns 
die Bichtigkeit dessen, was von den fränkischen Königen so 
häufig im allgemeinen und bei einzelnen Gelegenheiten hervor- 
gehoben wird, dass sie nur im Drang unvermeidlicher Noth- 
wendigkeit so handelten. Dieser Nothstand wurde von den 
kirchlichen Behörden selbst anerkannt. Schon in den Ant- 
wortschreiben des Papstes Zacharias an den hl. Bonifacius 
findet sich eine Hindeutung darauf; in mehreren Concilien- 
schlüssen des 9. Jahrhunderts ist er noch ausdrücklich betont, 
namentlich aber ist in dem Leben Walas, in welchem die unter 
Ludwig dem Frommen geführten Verhandlungen über voU- 
ständige Bestitution des Kirchengutes ausführlich besprochen 
sind, das staatliche BedürMss, das von der Laienseite als un- 
abweislich dargestellt wird, von clerikaler Seite nicht wider- 
sprochen. Nur so wird es auch erklärlich, dass die Verhand- 
lung über eine Maassregel, welche so bestimmt allen kirchlichen 
Gesetzen und der bisherigen Uebung widersprach, auf Synoden 
gepfiogen, dass die Einwilligung der Geistlichkeit als ertheüt 
bezeichnet werden konnte. 

Eine weitere Bestätigung gewährt uns der Umstand, dass 
wir seit dem 8. Jahrhundert einen bedeutenden Theil des 
Kirchengutes als Beneficium an Vasallen der Kirche verliehen 
sehen. Einen statistischen Anhaltspunkt dafür finden wir in 
der Chronik von S. Wandrüle, wo nach dem im Jahre 788 
amtlich aufgestellten Güterverzeichniss von einem Gesammt^ 



Both: Die Säcidarisatum des KirchengiUea. 291 

bestand von 4288 Mansd 2120 als Beneficien verliehen waren. 
Man wird dieses Yerhältniss, wenigstens bei den grösseren 
Klöstern, als das durchschnittliche annehmen können, wie' diess 
von Guärard bereits ausgeführt ist. Im 9. Jahrhundert ist 
ein derartiges Verfahren schon so allgemein, dass selbst kleinere 
ihrer Armuth wegen von allen öffentlichen Leistungen befreite 
Klöster, wie Kempten, Vasallen hatten. Die Kirchenmann- 
schaft war, wie dann durch das ganze Mittelalter, ein sehr 
wesentlicher Theil des Landesheeres, und es wurde von den 
kirchlichen Behörden selbst als Pflicht angesehen, dieselbe 
möglichst vollzählig zu stellen. Früher glaubte man diess auf 
eine allgemeine Dienstpflicht zurückfahren zu können, die z. B. 
Eichhorn noch annahm; allein dafür fehlt es an allen Voraus- 
setzungen. Die fränkische Heerverfassung beruhte nämlich 
nicht auf den Grundbesitz in der Art, dass ein gewisses Acker- 
maass zu einer bestimmten Leistung verpflichtete, sondern der 
Kriegsdienst war eine persönliche Last, welche nur seit Carl 
dem Grossen durch Einführung einer Art von Census für die 
minder bemittelten Glassen erleichtert wurde. Die Behauptung, 
dass die Kirche als solche dienstpflichtig gewesen sei, wider- 
spricht daher dem Princip der fränkischen Heerverfassung. Im 
9. Jahrhundert hatten die Kirchenvorsteher keine andere Ver- 
pflichtung als die, ihre Vasallen und Hintersassen, die in ihrem 
Seniorat standen, zum Aufgebot zu stellen; eine gesetzliche 
Verpflichtung dagegen, eine bestimmte Anzahl von VasaUen 
zu halten, oder einen gewissen Theil des Grundbesitzes für 
die Stellung von Mannschaft zu verwenden, war im 9. Jahr- 
hundert nicht begründet. Es war ein freiwilliges Opfer, wel- 
ches die Kirchenvorsteher brachten, um der für sie viel nach- 
theiligeren Verleihung durch den Staat zu entgehen. 

Dieser Nothstand, der von den fränkischen Königen ganz 
unverblümt als Motiv angegeben, von der Kirche direkt und 
indirekt zugestanden wird, ist es zunächst, der unsere Auf- 
merksamkeit auf sich zu ziehen hat. Die Säcularisation fällt 



392 Jahrb. ikr Mlpr. Clamt det k. dkoA. A» WUuuschaften. 

zosrnrnnm imt dar grosaen Y erfiassungabidming , die im 8* 
Jahrbmkdert im Frai^^reich vor aich geht; wie diese ist sie 
¥eranla80t durdi die Nothwendigkeit der Umgestaltung der 
EeervcdAasaug ; dasselbe Bedürfiüss, welches die Beneficienver- 
leihimg imd das Seniorat hervorrief, hat auch diesen Eingriff 
in das Eirohengut herbeigeführt, der in schonenderer Weise 
als in spftteren ähnlichen Fällen y<»*genommen, in der Wirinmg 
dieser mcht nachstand. Man hat <üe Veranlassung dieses Be- 
dur&isses in den übermässigen Vergabungen an die Kirche 
find^ woU^, durch welche ein grosser Theil des besten Grund- 
beaitzea in den Händen derselben concentrirt also dem öSmir 
]khm Verkehr und danüt d^ Befriedigung der öffentlichen 
Bedurfidsse entzogen worden sei; zum wenigsten war diess 
aiber nicht die hauptsächliche* Veranlassung. Die deutsche 
Heerv^r&ssung , wie sie sich im Frankenreich ausbildete, und 
wie sie in der Hauptsache auch bei den Westgothen und 
Langobarden sich findet, trug den Keim des VerMs in sich. 
Sie war nur ausfuhrbar für kleinere Verhältnisse, wo nur locale 
Kriegsfohrung vorkam, oder so lange der Stamm nicht sess- 
haft war, für eine ackerbauende Bevölkerung wie die des 
Frankenreichs war die allgemeine persönliche Leistung des 
Heardienstes in grossen fast jährlich oder doch in kurzen 
ZwiscAienräumen wiederkehrenden Kriegszügen eine Unmöglich« 
keit Im Frankenreich trat die Zerstörung der Heereinrichtungen 
nicht so rasch ein wie bei den Westgothen und Langobarden, 
tbeils wdl die Provincialen Mher und allgemeiner zujn 
Kriegsdienst herbeigezogen waren, theils weil in den deutschen 
Provinze ein Hinterland für die Heeresergänzung gegeben 
war, das dort fehlte; aber sie folgte in demselben Umfang 
und war viel nachtheiliger in ihren Folgen, weil sie auf die 
Ver&ssai^ reagirte. 

Die ältere Heereseinrichtung, so vortrefflich ihr Grond- 
porincip, die allgemeine Dienstpflicht, erscheinen mag, leidet an 

achweren Gebrecihent die in der deutaahen yer&asong 



Both: Die SäcuHarisation des Kirchengides. ß93 

wiederkehren. Die ältere deuteche Yerfassung, die in der 
Hauptsache noch die des Frankenreichs ist, hat Vorzüge, di« 
wir sonst in der alten Welt vergeblich suchen. Vergleichen 
wir sie nur mit der römischen Verüaasung, die sie in Gallien 
verdrängte, so tritt uns vor allem entgegen die feste Begrfliidung 
der königlichen Gewalt and damit in Verbindung die tren^ 
Anhänglichkeit an das Herrscherhaus, ein Begriff, der dmi 
Bewohnern des Bömerreiches der Gesammtheit wie den Mnael^ 
nen von Augustus bis zu Augustulus völlig unbekannt wv. 
Den gleichen Unterschied finden wir in der Administration. 
Die Ver&ssung der Gaue, der einzigen und durchgehenden 
Bezirkseintheilung , die das Frankenreich hatte ^ beruhte auf 
der Selbstverwaltung der Einwohner, während uns im römischen 
Beich die straffste Gentralisation entgegen tritt Betrachtet 
man endlich die deutsche Geriditsverfassung , so werden wir 
in derselben zwar weniger Gewähr des juristischen Verstand-» 
nisses aber eine um so grössere Sidherheit der unparteiischen 
Bechtsübung finden, deren Mangel in dem römischen Beiok 
überall hervortritt. Dagegen müssen als wesentlicbe Gebrechen 
der älteren deutschen Verfassung hervorgehoben werden die 
Unfähigkeit, in irgend einem Verhältniss eine Bepräsentation 
einzuführen, und das gänzliche Fehlen aller finanziellen Ein- 
richtungen. Die Folge des ersteren war, dass alle die Bechte, 
welche der Einzelne nidit selbst ausübte, oder nicht selbst 
ausüben konnte, verloren gingen. Mit der Nied^lassung auf 
römischem Boden war das Zusammentreten einer Volksver* 
Sammlung in der früheren Weise nicht mehr möglich; im 
Frankeareicii trat nichts an die Stelle derselben; denn nur 
lokal nnd ohne Einwirkung auf die spätere Entwicklung findet 
sich in Sadisen eine Vertretung in öffentlichen Angelegenheiten. 
Die unüberwindliche Abneigung gegen alle finanziellen Ein- 
richtungGD ist eine diarakteristische Sägenthümlichkeit aller 
g^maniflohen Völker in der ilteren Zeit. Gleich mit der 
finUiktfuhfin Erobemng war die rfimische Steuerverfiuwng in 



294 Jahrb. der histor, Classe der h Äkad. der Wissenschaften. 

Gallien vollständig in Verfall^ gekommen. Die Provincialen 
selbst halfen dazu, indem sie die Steuerrollen verschleppten 
und der Ergänzung derselben sich widersetzten. Die Abneigung 
ihrer Eroberer gegen Besteuerung hatten sie sich so vollständig 
zu eigen gemacht, dass die Schriftsteller des 6. und 7. Jahr- 
hunderts die Versuche, die Besteuerung nicht ganz fallen zu 
lassen, als eine grosse Ungerechtigkeit verschrieen. Von da 
bis zu dem gemeinen Pfennig und den Bömermonaten ist eine 
lange Zeit, und doch in der Hauptsache keine Umgestaltung. 
Die öffentlichen Bedürfnisse waren auf Grundbesitz fundirt, 
oder wurden durch persönliche Dienstleistungen der Einwohner 
gedeckt, die schwer beizutreiben waren, nicht ausreichten, und 
doch den Einzelnen härter drückten als schwere Geldopfer. 
Wahrhaft kläglich ist es anzusehen, wie rathlos man plötzlich 
hervortretenden Bedürfnissen gegenüberstand. Zwischen der 
complicirten römischen Einrichtung und unserer Zeit liegt eine 
Periode, in der man die kostbarsten Bechte für Leistungen 
verschleuderte, die jetzt kaum ein paar hundert Gulden werth 
sein würden. 

Was ich hier als einen Grundfehler der fränkischen Ver- 
fassung überhaupt bezeichnet habe, tritt uns bei den Heeres- 
einrichtungen ganz besonders entgegen. Der Versuch Earl's 
des Grossen eine Stellvertretung einzuführen war so vorüber- 
gehend, dass die betreffenden Bestimmungen nicht einmal in 
die Capitulariensammlung des Ansegisus aufgenommen wurden. 
Nur den dauernden Erfolg hatten die Veränderungen des 
9. Jahrhunderts, dass diejenigen, welche den Heerdienst nicht 
mehr selbst leisten konnten, in der Folge eine Standesemied- 
rigung erlitten, und ihren Vertretern im Heerdienst nicht mehr 
ebenbürtig waren. Der Mangel aller finanziellen Einrichtungen 
war selbstverständlich von durchgreifendem Einfluss auf das 
Heerwesen. Das fränkische Militärbudget war höchst einfach, 
es bestand in der unentgeltlichen Dienstleistung der freien 
Unterthanen. Diese anscheinend so wohlfeile Einrichtung war 



Both: Die Säcidarimtion des Kirchengtäes. 295 

aber sehr thener, sie kostete die gemeine Freiheit and die 
wesentlichsten Bechte der königlichen (xewalt. 

Wir stehen am Beginn dieser Entwicklung, indem wir 
die Zeit der Säcularisation betrachten. Man sachte darch 
Einfahrang des Seniorats und aasgedehnte Beneficienverleihangen 
die gelichteten Beihen der Armee za füllen. Es war nor ein 
Palliativ, das hier ergriffen wurde, nicht einmal von lange- 
danemder Wirkung, denn zu Ende des 9. Jahrhunderts war 
das fränkische Heerwesen wieder in völligem Verfall. In 
Deutschland freilich, wo die FeudaUtät überhaupt langsamer 
sich entwickelte, sehen wir noch im 10. Jahrhundert grosse 
schlagfertige Heere für den inneren Schutz und zu Eroberungs- 
zfigen auftreten; allein in den nächsten Jahrhunderten erfolgt 
die gleiche Auflösung wie in Frankreich. Der Kriegsdienst 
war die ausschliessliche Beschäftigung eines verhältnissmässig 
kleinen Bruchtheils der Bevölkerung geworden, und dadurch 
die Begelung desselben vorläufig der Gesetzgebung entzogen. 

Betrachten wir diesen Entwicklungsgang, so erscheint 
die Frage, wer die in Verbindung mit den ersten Anfängen 
desselben stehende Säcularisation begonnen, als sehr unterge- 
ordnet. Sie ist jetzt von noch weniger Gewicht als früher, 
seitdem ich habe nachweisen können, dass von Carl dem 
Grossen eine noch ausgedehntere Säcularisation angebahnt war, 
die durch die Intercession der vornehmsten Geistlichen ver- 
hindert wurde. Berücksichtigt man dabei, dass die Verhand- 
lungen über die Einziehung auf Synoden und Beichstagen ge- 
pflogen wurden, und dass im 9. Jahrhundert eine mächtige 
Partei unter den Laien sich jeder ausgedehnteren Bestitution 
widersetzte, so wird die frühere Ansicht, welche alles auf die 
Willkür eines einzelnen Herrschers zurückführen wollte, keüie 
Berücksichtigung mehr finden können. 

Die Erwägung der Frage, von wem die Säcularisation 
ausgegangen sei, ist nur insofern von Bedeutung, als sich 
durch Entscheidung derselbed der Zeitpunkt näher fixiren lässt. 



296 Jahrh, 4tr Mstor. Claim der h Akad. def WUmischaften. 

Dm Jahren nach ist die Yerscfaiddeahat der Anacbtan, Um 
geltend gemacht werdem, gar nicht so bedeutend. Der frtthmfit 
Annahme ) welche durchgängig die Ein2iehimg unter Carl 
Kartell Mtste , habe ich auf Grund der Unter^chungen üb«r 
die Nachrichten Yon den einzelnen kir(dilich«a Instituten £i 
Behauptung entgegengesetzt, dass sich weder bei eiiiem ein** 
Keinen kirchlichen Institut noch im allgemeinen ein Bintretm 
derselben vor den Söhnen CarlMartells naohweieen lasse, und 
ich halte diess nach allen Seiten hin aufrecht. Waütehatdift 
ältere Ansicht neuerdings zu begründen gesucht, ihr selbst 
noch ^ine weitere Ausdehnung gegeben, indem er die Divkio 
als eine thtilweise Bestitution darstellt. Nach seiner Anahma 
war das Kirchengut unter Carl Martell so gut wie ganz in 
weltliohen Händen, und wurde von Carlmann und Pipin erst 
theilweise zurückgegeben, während das Verbleiben des übrigen 
Th^s in den Händen der Begierung von der Kirche ausdnM^-* 
lieh anerkannt wurde. Dem steht aber, abgesehen dayon, dasB 
sich die Einziehung des ganzen Kirdiengutes unter Carl MarteU 
und die angebliche Bückgabe unter seinen Söhnen nicht nach^ 
weisen lässt, schon der Unistand «itgegen, dass die Divifiio 
von den Gleichzeitigen und Zunächststehenden inuner als eine 
Einziehung aufgefasst wird. Einen Anhaltspunkt der Ekit* 
Scheidung gewährt auch die von mir neuerdings dargelegte 
Verhandlung unter Oarl dem Grossen über eitie neue Divisio^ 
die durch den Patriarch^ Paulinus hintertrieben wurde, wobei 
Carl für sich und seine Nachkommen in feierlidtör Weise auf 
jede weitere Dirisio yersichtete. 

Von besonderer Bedeutung fBr die nähere Bestimmung 
des Zeitpunktes ^ischeinen aber die Naohridhten der Chronik 
Yon S. WandriUe^ welche nach der Zeit ihrer Al^MSung, liaeh 
den ürkundenschätzen , die dem Ver&sser au Gebote staadeu^ 
und nach d^ ganzen Stellung des Verfiasseirs als ebie 4er be- 
deutendsten Quellen für die torliegeode Frage zu betraditeoi 
ist. Der Verfasser spricht nch 2wir nicht direkt äbur dieedbd 



BUhi IH$ SdkmJaniatfdn de$ KirtkmguUi. 20? 

$n^ aber der Yerinf ISast sich seinen «onstigen Anfohnrngen 
entnehmen. In dem KMb&r S. Wandrille waren es zwei Aebte, 
welche dnrdi schleehte Wirthschaft und willkürliche Yerga- 
bangen des Eirchengutes das Kloster in YenndgensTerfiül 
brachten, Tentsindns von 734^738 und Widolaicns von 
763 ~ 787. Der erstere hatte in den yier Jahren seiner Yer* 
waltnng fast den dritten Theil der Gnmdbesitznngea yer- 
sdilmdert, der letztere hatte so schlecht gewirthschaftet, dass 
das Kloster in Yerlegenhdt gerieth und seine Bedürfnisse 
nicht mehr bestreiten konnte. Yen beiden gelnraacht der 
Chronist dieselben Ausdrücke ^ indem er cap. 10 von Tentsind 
Bttgt: pene tertiam facnltatom pnrtem abstnlit, suisque propin« 
qnis ac regüs hominibus ad possidendom contradidit . . . , nnd 
eap. 15 von Wido: plorimae res ecclesiae perieront^ quas 
ipse regüs hominibus ad possidendom contradidit • • * Man 
könnte in dieser üebergabe an die regii homines eine üeber^ 
tmgong in der Form der precariae verbo regis sehen wollen, 
woraus dann folgen würde , dass diese Form und sonach die 
Säcularisation schon unter Carl Martell ihren Anfang ge* 
nommen hatte ; allein dem steht nicht nur entgegen, dass der 
Chronist die Yerschleudenmg unter Tentsind diesem allein zu- 
schreibt, w&hrend er Carl Martell als den dMgsten Beschützer 
des Klosters bezeichnet, sondern auch die Unterscheidung, 
welche der Chronist selbst zwischen frdwiUiger Ywleihung 
durch die Aebte und dem macht, was er mirechtmässig ent- 
zogen nennt. Der Abt Gervold nämlich, welcher bei Carl 
dem Grossen in hohem Ansehen stand, brachte bei dem Kaiser 
ein Gesuch bezüglich des Elostervermögens an, das der Chronist 
cap. 16 in folgender Weise erwähnt: hie nempe de rebus 
ecclesiae nostrae injuste ablatis aut etiam spontanea patrum 
coenobii yoluntate regüs hominibus contraditis suggestionem 
Carole patefecit , ejusque . • Privilegium accepit , ut quicquid 
injuste ablatum erat, in jure ac potestate ejusdem ecclesiae 
reciperet ... Es erfolgte hier also ein Bestitutionsbefehl, wie 



298 Jahrb. der JUstor. Clasae der h Akad. der Wissenschaften, 

er sich auch f&r andere Kirchen z. B. Auxerre in dieser Zeit 
findet. Indem der Chronist aber die freiwilligen Yerleihnngen 
der Aebte ausdrücklich unterscheidet, in Bezug auf welche ein 
Bestitutionsedikt von dem Kaiser nicht gegeben wurde, lässt 
er uns erkennen, dass er damit jene Precariae datae bezeichnen 
will, die im 8. Jahrhundert freilich den canonischen Satzungen 
entgegen in so grossem Umfange vorgenommen und erst im 
9. Jahrhundert ein für allemal verboten wurden. Dass dagegen 
mit dem Ausdruck injuste ablatis die durch Precariae verbo 
regis verliehenen Güter gemeint seien, dürfen wfr desshalb 
annehmen, weil gerade dieser Ausdruck in Königsurkunden des 
9. Jahrhunderts far die Verleihung durch Precariae verbo regis 
öfter gebraucht ist. Die in solcher Weise durch den Ausdruck 
injuste ablatis angedeutete Einziehung kann aber nach dem 
Zusammenhang nur unter den Abt Wido nicht unter Teut- 
sindus gesetzt werden, da der Verfasser Carl Martell als Wohl- 
thäter und Beschützer des Klosters preisst, dagegen den Abt 
Teutsind far seine Vergabungen mit Schmähungen überhäuft, 
ihn persönlich dafär verantwortlich erklärt, und eine Ermahnung 
an alle Kirchenvorsteher, ähnliche Handlungen zu unterlassen, 
daran knüpft, während er die eigenen Vergabungen Wido's 
nur beiläufig erwähnt, von Pipin aber mit offenbarer Abneigung 
spricht, und den Verfall des Klosters von Wido an datirt, 
zwischen welchem und Teutsind, also zwischen 738 und 753 
eine Zeit hoher Blüthe für das Kloster war. 



VI. 



Das 

Kaiserthum Karl's des Grossen 

und seiner Nachfolger. 



!Eirste AbliandlurL^ 



von 



J. V. DöUinger. 



I. 

Der 

Ausgang des alten Eaiserthums im Occidente. 

Die Zertheilung des römischen Beiches in ein östliches und 
ein westliches war seit dem Tode des Theodosins i. J. 895, 
der das Ganze noch mit starker Hand zusammengehalten, 
stehende Einrichtung geworden, im Grande aber doch nur da- 
rum, weü seitdem kein Fürgt mehr gefunden wurde, weldier 
bei den fortwährend sich mehrenden Gefahren und Anfällen die 
Krafb sich zugetraut hätte, dem Gesammtreiche mit glücklichem 
Erfolge vorzustehen, und es auch gegen Empörungsrersucfae 
mächtiger Feldhauptleute zu behaupten. Die Theilung bot 
schon den grossen Vortheil, dass Yerrath und Auflehnung in 
dem einen Beiche, wozu bei dem Mangd einer festen Erbfolge 
die Versuchung so stark war, sofort von dem zur Hülfe oder 
zur Bache heranziehenden Kaiser des andern Beiohes unt»- 
drü^ werden konnte. 

Als Gonstantin's Söhne das Beicb in drei Theile getheilt, 
war dem ältesten, Gonstantin II, wed^ Born noch Bjzanz, 
sondern der westlichste Theü, Gallien und Britannien, zuge- 
fallen« Dann hatte Yalentinian I das unter Constantius, Julian 
und Jovifm wieder vereinigte Beich neu^dings in der Art ge- 
thdlt, dass er den Westen mit Bom for sich behielt, den 
Orient aber seinem jüngeren Bruder Valens abtrat Und mir 
dem wollte eigenüidi Niemand mehr das von all^ Säten 
schwer bedrohte Beich, dessen Begierung und Vertheidigun^ 



302 Jahrb. der histar, Glosse der h. Äkad, der Wissenschaften, 

die Kräfte Eines Menschen zn übersteigen schien, allein be- 
herrschen, wenigstens nicht auf längere Dauer. Selbst der 
starke Theodosius hatte seinem älteren Sohne Arcadius, den 
er schon als unmündigen Knaben im J. 383 zum Augustus 
oder Mitherrscher erklärt hatte, und den Staatsmännern, die 
er ihm beigegeben, die Verwaltung des Orients überlassen. 
Der jüngere Sohn, Honorius, wurde dann beim Tode des Vaters 
im J. 395 Kaiser des Occidents. 

Der Westen war nun der weit schwierigere und gefähr- 
lichere Theil der Römischen Welt geworden. Vorzugsweise 
den Anfällen der von Norden her vordringenden Barbaren- 
stänune ausgesetzt, schwach durch die Entvölkerung des Cen- 
trallandes Italien, genöthigt, den Demant mit dem Demant zu 
schneiden, das heisst: den einbrechenden Germanen und Slaven 
die aus gleichem Material gebildeten Legionen entgegenzustellen, 
glich das Westreich einem Köiper, von welchem allmälig 
ein Glied nach dem andern abgelöst wird. 

Bom selbst, wo noch am Schlüsse des vierten Jahrhunderts 
das Heidenthum stärker war als das Christenthum, hatte längst 
aufgehört, der regelmässige Wohnsitz der Kaiser zu sein. Sie 
residirten in Trier, Vienne, Mailand, Bavenna; es war als 
ob sie dem Senate und der römischen Bevölkerung aus dem 
Wege gingen. So stieg das Constantinische Neurom and mit 
ihm der im Ganzen doch weniger bedrohte und zerrüttete, 
vielmehr in festerer Zusammenfügung sich behauptende orien- 
talische Theil des Reiches. In seiner Noth und Hilflosigkeit 
wurde der römische Occident abhängig von dem Orient. 

Constantin hatte es noch nicht vermocht, seine LiebUngs- 
schöpfung, das östliche Neurom, dem alten an Bedeutung und 
Umfang gleich zu machen. Dass es als bleibende Kaiser- 
Eesidenz dem alten Bom vorgehen solle, daran hatte er selber 
noch nicht gedacht; nur die Gleichstellung, die freilich schon 
eine andauernde Spaltung in zwei unabhängige und etwa nur 
conföderirte Beiche als Keim in sich getragen hätt6 — nur 



DÖlUnger: Das Kcdserthum KarVs des Grossen. SOS 

diese hatte er erstrebt und als Princip ausgesprochen. Der 
Senat, den Gonstantin in Byzanz eingesetzt, konnte noch lange 
Zeit zu der Dignität und dem Ansehen des Altrömischen sich 
nicht erheben, so sehr auch dieser gesunken und nur noch 
ein Schatten des alten Senate war. Gerade die stete Abwe- 
senheit der Kaiser seit Diocletian von fiom hatte dem dortigen 
Senate gestattet, sich wieder zu einiger Geltung zu erheben. 
Noch jetzt durften diese Senatoren sich schmeicheln, dass ihre 
Yeraammlnng das Asyl der ganzen Welt sei , ^) während der 
Senat der neuen Hauptstadt, eine Schöpfung von gestern, er- 
drückt durißh die Wucht eines despotischen, keine selbstständige 
Berathung und Beschlussfassung duldenden Hofes, so missachtet 
war, dass es nach der Aeusserung des Themistius eher für eine 
Strafe, denn for eine Ehre galt, demselben anzugehören. ') 

Allein Neurom hatte zwei grosse Vorzüge vor dem alten. 
Einmal war es eine ganz christliche Stadt, während in Altrom 
ein ansehnlicher Theil der Bevölkerung und besonders der 
senatorischen Familien mit einer kaum irgendwo sonst gefun- 
denen Zähigkeit an den altrömischen Göttern, an heidnischer 
Superstition festhielt. Sodann war es durch seine vor allen 
Städten der Welt begünstigte Lage an der Gränze zweier ^ 
Welttheile, mit der trefflichen Wasserstrasse des Bosporus und 
einem der geräumigsten und geschütztesten Häfen, eine Stadt, 
welcher Beichthum und Bevölkerung zuströmen mussten. Wäh- 
rend Altrom bald jedem ernstlichen Feindesangriff erlag, und 
biimen 142 Jahren (410—552) achtmal erobert wurde,') wi- 
derstand die östliche Hauptstadt neun Jahrhunderte lang jedem 
Angriffe von Norden, Osten und Süden, den Germanen wie 
den Slaven und Saracenen. Und so ist es denn wohl glaub- 
lich, dass, nach der Angabe des damals dort lebenden Sozo- 
menus, Constantinopel schon hundert Jahre nach seiner Gründ- 
ung das kürzlich erst geplünderte Altrom an Beichthum und 
Volksmenge bedeutend übertraf, obgleich es noch in Julian^s 
Zeit der älteren Schwester weit nachgestanden hatte. ^). 



S04 Jahrb, der histor. Classe der lt. Äkad. der Wisfemfckaften. 

Seit dem Tode des Honmus trat die Snpremskie im 
KaiserthniDS zu Constantinopel über den Westen immer deut- 
licher hervor. Die wirkliche Macht lag hier freilich nwist im 
den Händen eines germanischen Feldhanptmanns , der über 
Geld nnd Trappen verfügte. So konnte der Sueve Bicimer 
die Eaiserwürde viermal geben und dreimal wieder nehrnm. 
Als das Hans des grossen Theodosius mit dem Tode Yalen« 
tinian*s IQ 455 erloschen war, folgten sich in den n&chsten 
zwanzig Jahren nenn Kaiser, meistens blosse Schattengeftalten, 
ohnmächtig oder gestürzt, ermordet, sobald sie von ihrer Würde 
Oebrauch zu madien versachten, nnd dadurdi mit den Be* 
gierdim and Interessen der fremden Stidner «der ihrer Führer 
itt Widerstreit genethen. Nar disr Eine Ma|oriaa, ein den 
Antoninen vei^eichbarer Mann, warf noch auf iarm Zeit inzA 
p^rsdnUdie Tugenden einm Glanz auf dae antergefaende Im- 
perimn des Westens, welches zuletzt (479) mar noch Italian, 
Dalmatien and ein Stück Galliens umfasste. 

Der Theorie najck besass der rOmische Smat noch immer 
das Becht, den Kaiser zn erwählen oder ihn za beetätigw. 
Er war überiiaupt, seitdem Stilicho ihn wieder nn üaigmk 
Ansehen emporgehobm, die einzige wijtiiche Stütze des Staates, 
er rq>räseatirte das Altrömische in den Gesetzen nnd d«r Ver- 
waltung, die C<»tinuität dar staatlidien Ordnong, im (Gegen- 
satz gegen die gesetzlose Madit der germanischen Feldhanpt- 
leute, eines Bicimer, Gundobald und Orestes, seinerseits aich 
anlehnend an das ferne aber doch von den Barbaren und 
ihren H&optlingen inmier geehrte und anerkannte Kaiserthnm 
des Ostens. Nodi in diesen letzten Zeiten kannte d^ Senat 
ab oberste Gerichtshof zwei Präfekten Galliens, Arvand» and 
Seronatos, zum Tode vernrtheilen. 

Bezeuch der Nachfolge auf dem Throne hatte sieh rin 
eigenthümüeher Zustand gebildet. Im Orient sucoedirie bon* 
dert sechzig Jahre hindurch (450 — 610) nie der Sohn dem 
Yater, zweimal der Neffe dem Oheim und aweimal d^ Schwi^^ier- 



Döüinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen. 305 

söhn. Sonst aber war es entweder das Heer, oder waren es 
Bänke der Weiber und Eunuchen des Palastes, welche die 
Krone vergaben. Im Occident war von den letzten römischen 
Kaisem keiner durch verwandtschaftliche Bande an den Vor- 
gänger geknüpft. Kaiser, welche der römische Senat und der 
Herrscher des Orients nicht anerkannt hatte, galten als Usur- 
patoren und konnten sich nicht behaupten. Als nach dem 
Untergänge des Maximus der Auvergnate Avitus im J. 455 
von den Westgothen in Toulouse zum Kaiser ausgerufen wor- 
den, huldigte ihm der Senat, und eine nach Constantinopel 
geschickte Gesandschaft ^) erwirkte, dass Marcian ihn als Mit- 
kaiser anerkannte. In der^ Erhebung seines Nachfolgers Majo- 
rian (457) schaute die Welt noch einmal und zum letzten- 
male das so seltene Schauspiel einer durch alle nach römischer 
Theorie berechtigten Gewalten vollzogenen Wahl. Volk, Heer 
und der östliche Kaiser Leo erkannten ihn an. Majorian selbst 
schrieb nachher dem Senate: Die hohe Versammlung möge 
ihm, den sie zum Kaiser gemacht, sich auch wohlwollend er- 
weisen. Dagegen wurde der unbedeutende Severus, den Bicimer 
wie eine Theaterpuppe Vorführte und bald darauf wieder be- 
seitigte, von Leo nicht genehmigt, und nach dessen Tode im 
August 465 ereignete sich schon ein Vorspiel dessen, was 
nachher Odoakar vollbrachte ; Bicimer fand, dass er, auch ohne 
durch einen Kaiser gedeckt zu sein, herrschen könne, und so 
blieb das Kaiserthum über anderthalb Jahre erledigt. Niemand 
begehrte die gefährliche Würde, und Legionen, welche, wie 
früher so oft, ihren Feldherm hätten als Imperator ausrufen 
können, waren nicht mehr vorhanden. Endlich sandte Leo den 
Griechen Anthemius, welchen Senat und Volk zu Bom aus- 
drücklich sich von ihm erbeten hatten. In der Nähe von Bom 
ward er als Augustus ^^usgerufen (April 467), und beide Kai- 
ser drückten auch in den Gesetzen, die sie fortan erliessen, 
die Stellung aus, in welche sie zu einander getreten waren. 
Anthemius nannte den Leo seinen „Herrn und Vater^S Leo 

20 



306 Jahrb. der histor. Glosse der k. Äkad. der Wissenschaften. 

den Aüthemius seinen „Sohn". ^) Denn er war es, der ihm 
das Kaiserthum übertragen hatte. Das war eine neue Bestäti- 
gung jener Superiorität, welche die Lage der Dinge und die 
Hilflosigkeit des Westens den Kaisem des Orients zuwies. '') 

Seitdem Valentinian III Illyrikum an Theodosius II ab- 
getreten hatte, war ohnehin die haltungslose Schwäche des 
Westreiches, das nun östlich von Italien keinen Stützpunkt 
mehr hatte, entschieden. Denn Dalmatien, wo nachher der vor 
Orestes aus Italien geflüchtete Kaiser Julius Nepos sich ver- 
geblich zu behaupten versuchte, war zu unbedeutend. 

Auch Olybrius, den Kicimer statt des von ihm gemor- 
deten Anthemius im J. 472 als Kaiser ausrief, war von 
Leo aus Constantinopel gesandt worden, doch keineswegs als 
ein bereits zur Kaiserwürde Ernannter. ®) Leo hatte nicht 
Zeit, sich über dessen Anerkennung zu erklären, denn beide, 
Kicimer und Olybrius, starben binnen wenigen Monaten. (Der 
letztere im Oktober 472). Dagegen verwarf Leo den Glycerius, 
den Kicimer's Neffe und Nachfolger, Gundobald, in ßavenna 
nach mehrmonatlichem Zwischenreich als Kaiser vorschob. 
Leo's Schützling, Nepos, dem er seine Nichte zur Gattin ge- 
geben, ward in Eavenna von dem oströmischen Beamten Do-* 
mitian als Cäsar, in Bom als Augustus verkündet. Allein der 
bald darauf (Febr. 474) erfolgte Tod Leo's beraubte Nepos 
seiner Stütze. Der Patricius und Feldherr Orestes entthronte 
ihn, und Hess den eignen Sohn, einen unreifen Jüngling, Bo- 
mulus Augustus, als Kaiser ernennen. Bald aber kam ein 
Stärkerer über ihn. Er hatte den germanischen Söldnerschaaren, 
die sich als die wahren Herren des ohne sie wehrlosen Italiens 
fühlten, die trotzig begehrte Abtretung des Drittheils von Ita- 
lischem Grund und Boden versagt; da empörten sie sich, — 
ihr Anführer Odoakar liess den gefangenen Orestes hinrichten, 
Bomulus empfieng ein Castell in Campanien und ein Gnaden- 
gehalt; und der germanische Bandenfuhrer, den seine Schaar 
ren als König, als ihren König begrüssten, konnte zehn 



DöUinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen. 307 

Jahre lang von Ravenna aus über das entvölkerte Italien herr- 
schen. Der königlichen Insignien enthielt er sich, wie Cassiodor 
bemerkt, weil er nicht ein Italiänisches Königthum gründen 
wollte, wie er sich denn auch sicher nicht König von Italien 
genannt hat, obgleich ihn die Neueren gewöhnlich so bezeich- 
nen, und berichten, er habe sich diesen Titel beigelegt. Davon 
wusste man im Alterthum nichts. ^) Die Alten nennen 
ihn König der Turcilinger und Rugier, oder König der 
Gothen. Den ersteren gehörte er durch die Geburt an, und 
sie scheinen ihn zuerst sich zum Häuptling oder König gesetzt 
zu haben ; ^®) die übrigen, Heruler und Skiren, begrüssten ihn 
nach dem Siege über Orestes auch als den ihrigen. In seinen 
aus verschiedenen Stämmen zusammengesetzten Schaaren mögen 
sich auch Gothen befunden haben; darum, und weil man in 
Italien überhaupt die vom Norden hereinbrechenden germa- 
nischen Stämme Gothen hiess, wh-d er auch Gothenkönig ge- 
nannt. ^^) 

Der Ostkaiser Zeno, damals durch den Usurpator Basiliscus 
selber zwanzig Monate lang des Thrones beraubt und vertrie- 
ben, hatte in die Ereignisse des Westens nicht eingreifen können. 
Jetzt aber (Juli 477) war er wieder im Besitze der Gewalt, 
und nun sandte der ^enat auf Antrieb des zum fügsamen 
Werkzeuge Odoakars gewordenen Augustus eine Gesandschaft 
an Zeno. Sie bedürften keines eignen Kaisers, Zeno genüge 
ihnen als gemeinschaftlicher und einziger Kaiser beider Theile 
des Römerreichs; er möge daher dem von ihnen erkorenen 
Odoakar das Patriciat verleihen und ihm die Regierung der 
Italer überlassen. ^*) Odoakar selbst hatte gleichfalls Gesandte 
geschickt, und aus Zeno's Antwort ergibt sich, dass er bereits 
von Nepos zum Patricius ernannt worden war. Zeno lobt ihn, 
dass er, indem er sich bei Nepos um das Patriciat beworben, 
damit den Anfang gemacht, sich der römischen Reichsverfas- 
sung gemäss zu verhalten. Indem er ihn dann in seiner dem 
Begehren Odoakars gemäss ausgestellten Urkunde den Titel 

20* 



308 Jahrb. der histar. Classe der k, Äkad. der Wissenschaften, 

Patricias gab, verlieh er ihm nicht erst diese Würde, sondern 
setzte die von Nepos bereits geschehene Verleihung voraus. *•) 
Dabei aber empfahl er freilich auch den gleichzeitig von Dal- 
matten aus um Hülfe ihn angehenden Nepos zur Wiederein- 
setzung. In Rom wurde Zeno's Oberherrschaft auch durch 
Aufstellung seiner Bildnisse an verschiedenen Stellen der Stadt 
anerkannt. ^*) 

■ 

Zwischen Zeno und Odoakar gestaltete sich also ein ge- 
ordnetes Verhältniss kaiserlicher Oberhoheit und williger Un- 
terordnung unter dieselbe. Diess zeigte sich deutlich, als die 
noch zum Reiche gehörigen Gallier (wohl ein Theil der Pro- 
vence) sich gegen Odoakar's Herrschaft auflehnten, und Zeno*s 
Hülfe durch eine Gesandtschaft anriefen. Es wird, da wir den 
Bericht des Candidus hierüber nur auszugsweise haben, nicht 
gesagt, ob sie direkt unter Zeno zu stehen, oder einen Fürsten 
von seiner Hand zu erhalten begehrten. Aber Zeno entschied 
zu Gunsten Odoakar's, der dann freilich diese Gebietstheile an 
die Westgothen abtrat. Diess hat wohl zu dem nachher zwi- 
schen Zeno und Odoakar entstandenen Zerwürfnisse beigetragen, 
welches den Kaiser bestimmte, Theodorich zum Kriege gegen 
Odoakar aufeufordern. 

Die den Neueren so geläufige und die ganze Geschichts- 
gliederung beherrschende Annahme: mit der Absetzung des 
Romulus Augustus sei das römische Reich des Westens er- 
loschen, und habe ein neues Zeitalter begonnen, hat damals 
nur Ein Zeitgenosse, der Chronist Marcellinus, ausgespro- 
chen. Alle andern, Cassiodor, die Chroniken Cuspinians und 
Ruinarts, der alte mit Justin I schliessende Kaiser-Katalogus, 
der Anonymus des Valois, Mar ins von Avenche, Victor und 
Isidor, auch Beda wissen davon nichts. Das Ereigniss er- 
schien ihnen nicht in diesem Lichte. Der Chronist Ruinart's 
bezeichnet vielmehr die 22 Jahre früher geschehene Ermor- 
dung des tapfem Aetius durch Valentinian in als den „Fall 



DöUinger: Das Kaiserthum KarVa des Grossen. 309 

des hesperischen Beiches^S das seitdem niclit mehr hab^^ auf- 
gerichtet werden kömien. **) 

Auch Prokopius hat in der Erhebung Odoakars kein 
so entscheidendes Ereigniss gesehen. Erst am Ende des achten 
Jahrh. urtheilt Paul Diakonus, und im neunten der Grieche 
Theophanes wieder wie Marcellinus. In der That lässt sich 
auch kaum seit dem Tode des grossen Theodosius und dem 
Aufgeben der unter ihm noch verwirklichten Beichseinheit ein 
Zeitpunkt bestimmen, in welchem wirklich ein dem östlichen 
einigermassen ebenbürtiges und selbstständiges weströmisches 
Eeich bestanden hätte. Nur etwa von der früheren Begierungsh 
zeit des Honorius liesse sich diess sagen. Ohnehin verstand es 
sich der allgemeinen Anschauimg gemäss von selbst, dass es 
nicht zwei fiömerreiche geben, dass nur ein einziges, wenn 
auch von zwei Kaisem nach getheilten Gebieten beherrschtes 
Imperium Bomanum bestehen könne. Sobald das ganze Illyri- 
kum dem Osten zugefallen, Britannien, Spanien, Afrika, der 
grössere Theil von Gallien und die Länder zwischen Donau 
imd Alpen in fremde Gewalt gerathen waren, mussten die Blicke 
der Zeitgenossen nach dem Osten sich richten, und dort in 
den Ländern, deren Mittelpunkt Neurom war, das rechte Bö- 
meireich suchen. Italien war nun nur noch ein Anhängsel und 
Ausläufer des Beiches, den dieses jetzt in sich zurückgenom« 
men hatte. 

Als kaiserlicher Feldherr und Patricius zog der in Byzans 
erzogene Ostgothe Theodorich nach Italien, stürzte er Odoakar's 
Herrschaft. Kaiser Zeno, sein Adoptivvater, hatte ihm förm* 
lich Italien durch eine Pragmatica (d. h. ein mit Zustimmung 
der Grossen erlassenes Edikt) und durch die Verleihung eines 
Schmuckes (eines purpurnen Schlders) übertragen, hatte Senat 
und Volk von Bom ihm besonders empfohlen. Die Oberhoheit 
des Kaiserthums erkannte Theodorich, wie mächtig er auch 
geworden war, stets an, sein Beich war in seinen und seiner 
Gothen Augen ein Bestandtheil des römischen Beiches. Es sind 



310 Jährb, der histar. Glosse der k. Akad. der Wissenschaften. 

zwei Gemeinwesen, sagt er in seinem Schreiben an Kaiser 
Anastasius, das von ihm beherrschte und das Oströmische, aber 
es sei doch nur ein einziges Eömerreich. ^^) Seinerseits wusste 
nun iiuch Anastasius nur von einer dem Könige von ihm 
übertragenen Herrschergewalt. ^^) Gerne sah man zu Constan- 
tinopel in Theodorich den Beamten des Kaisers, den Gränz- 
hüter des Beiches; im römischen Senate eine dem Kaiser un- 
tergebene Behörde. Und der Senat selbst versicherte, dass er 
sich durch den Empfang eines kaiserlichen Befehls hoch ge- 
ehrt und erfreut fahle, dass Theodorich selbst, des Kaisers 
Sohn, ihn zum Gehorsam gegen solche Befehle verpflichtet 
habe. ^*) „Seinen Senat" nannte der Kaiser den Bömischen^ 
und dieser erwiederte unbedenklich das Wort. Offen erklärte 
Theodorich, sein Keich sei nur eine Nachahmung des Ost- 
römischen, zu welchem als ihrem Vorbilde alle Herrscher auf- 
blickten ; wie er die Bömer gerecht zu regieren habe, das habe 
er in Gonstantinopel gelernt; in dem Grade, als er dem Kaiser 
folge, gehe er den andern Völkern voran. Er Hess Münzen 
mit den Bildnissen der Kaiser prägen, und gestattete diess 
auch dem Senate. Die römischen Einrichtungen und Staats- 
ämter wurden beibehalten, die ganze Continuität des römischen 
Bechtsstandes bewahrt. Die Gothen beriefen sich später darauf^ 
als sie die Ungerechtigkeit des von Justinian wider sie be* 
begonnenen Krieges dai-thun woUten, dass weder Theodorich 
noch ein andrer ihrer Könige Gesetze gegeben ^^), dass alle 
Staatsämter mit Ausschluss der Goüien in den Händen der 
Bömer geblieben, dass den Bömem gestattet gewesen sei, die 
Ernennung der Consiün jährlich von Byzanz zu empfangen» 
Theodorichs Eeich war weit umfangreicher als das der 
neun letzten westlichen Kaiser, und dennoch wollte er den 
Kaisertitel, so viel auch der Lockung und des Zaubers för 
germanische Ohren in demselben lag, nicht annehmen. Er be- 
gnügte sich mit dem Könjgstitel, obgleich damals jeder winz^ 
Häuptling, der über einen Stamm oder dessen Bruchtheil, oder 



Döllinger: Das Kaiserthum KwrVs des Grossen. 311 

über eine Gefolgschaft gebot, König sich nannte. *®) Sein Kai- 
ser war der Monarch zu Constantinopel. Preist doch auch der 
gothische Geschichtschreiber Jor da nes es als das höchste Gut 
und die erste Würde der Welt, dass Kaiser Zeno dem Theo- 
dorich das ordentliche Consulat verliehen habe. Nach Byzan- 
tinischem Masstabe war aber dieses germanische Königthum 
auf römischem Boden doch immer eine fremdartige, innerlich 
unberechtigte Institution oder Usurpation; und wie Prokopius 
Odoakar's Herrschaft schon eine „Tyrannis" genannt hatte, so 
weiss er auch von Theodorich, so hoch er ihn stellt, doch nur 
zu sagen: er sei zwar in der Wirklichkeit ein wahrer Kaiser 
gewesen, dem Namen nach aber nur ein „Tyi'annos". *^) 

Nicht darum gieng das ostgothische Eeich zu Grunde, 
dass Theodorich „die morsche Hülle des Kaiserstaats in Italien 
nicht zu zertrümmern wagte". Im Gegentheil : gerade wenn 
er eine solche Zertrmnmerung versucht hätte, würde diess den 
Zerfall seiner Herrschaft noch beschleuniget haben ; denn die 
Gothen waren nicht im Stande, eine andre staatliche Ordnung 
und Gesetzgebung an die Stelle der Komischen zu setzen, sie 
würden nur chaotische Zustände herbeigeführt haben. Die 
Schwäche des Eeiches lag darin, dass die Gothen als Arianer 
fort und fort geschieden blieben, und nicht, wie die Franken 
in Gallien, mit der alten Bevölkerung des Landes verschmol- 
zen. Sie waren und blieben eine fremde Militärcolonie, und 
hatten als solche die Masse des Volkes nicht auf ihrer Seite. 
Dieses, obgleich es mit der byzantinischen Herrschaft schlim- 
mere Zustände, unleidlicheren Druck eintauschte, war doch 
für Justinian und Belisar, und die Gothen, auf ihre eigenen 
unzulänglichen Kräfte beschränkt, unterlagen trotz ihrer 
Tapferkeit, 

Das Bewusstsein, dass das* Kaiserreich das einzig wahre 
Imperium sei, dass die Staatsgewalt von ihm ausgeflossen, 
übertragen sein müsse, theilten mit den Gothen auch die an- 
deren germanischen, auf ehedem römischen Gebiete sesshaften 



""% 



312 Jahrb. der histar, Glosse der k. Akad. der Wtssensch^rften, 

Fürsten. Nur in römischer Form, mit römischen Institutionen 
und Gesetzen konnten sich die Grermanen das Gebäude einer 
staatlichen Ordnung denken. Schon der Westgothenkönig 
Ataulph hatte zuerst den Vorsatz gehegt, mit Vernichtung 
des Römischen ein grosses gothisches Beich zu gründen, an 
die Stelle der Bomania eine Gothia zu setzen, aber er 
hatte sich überzeugt, dass ein solcher aus dem widerspenstigen 
Material seiner Gothen aufzufahrender Staatsbau eine Unmög- 
lichkeit sei, dass ohne die römischen Einrichtungen ein Staat 
nicht existiren würde, und so hatte er beschlossen, vielmehr 
der Erhaltung und Herstellung des römischen Imperium sich 
zu widmen. **) Welche Hingebung, welche Unterwürfigkeit spricht 
in dem Briefe sich aus, den Theodorich's Zeitgenosse der bur- 
gundische König Sigismund durch den Bischof Avitus an den 
Kaiser Anastasius schreiben liess. „Euch gehört mein Volk, 
sagte er, euch zu dienen erfreut mich mehr, als über dieses 
zu gebieten. Ich und meine Vorfahren wir ha'ben stets die 
Ton den Kaisern empfangenen Titel höher geschätzt als die 
ererbte Königswürde. Euer Beich ist unsere Heimath.^^ Selbst 
die Würde eines römischen Peldhauptmanns * ') war, scheint es, 
in den Augen germanischer Könige besser und vornehmer, als 
ihr angestanmdtes Königthum. Gerne hatte Clodwig der Ero- 
berer selber im J. 508 Titel und Würden eines römischen 
Patricius und Gonsuls von dem Kaiser Anastasius empiSängen. *^) 
Und nach dem Berichte des Prokopius hatte Justinian den 
Söhnen Clodwigs Gallien förmlich abgetreten, oder die von den 
Gothen geschehene Abtretung an die Franken bestätigt, so 
dass ihre Könige erst in Folge davon in Arles die in der 
römischen Kaiserzeit sehr beliebten und als eigenthümlich 
Eömisch geltenden trojanischen Beiterspiele veranstalteten**), 
nnd das römische KaiservorrecCt, Goldmünzen mit ihrem Bilde 
prägen zn lassen, übten. Diese Justinianische Abtretung war 
doch wohl auch die Ursache, dass, als im Jahre 587 der Co- 
mes Syagrius, von dem fränkischen Könige Guntram als Ge- 



DoOinger: Das Kaiserihum KarVu des Grossen. 313 

SEüdter nach Gonstantinopel geschickt, von Manritias dort 
zimi Patridus ernannt wurde, der Kaiser diese Eme|inung, 
weil sie unrechtmässig geschehen, wieder zurücknehmen 
musste. ^^) 



II. 
Born und Italien in der Longobardenzeit. 

Die Anfänge der fränkischen Herrschaft. 

Gleich nach dem Untergange des Gothenreiches begann 
für Italien die trübe, verworrene, historisch nur wenig auf- 
gehellte zweihundertjährige Periode der Longobardenherrschaft. 
Die Lage Aller war eine ganz andere geworden als in den 
Zeiten der gothischen Dynastie. Das Eaiserthum behauptete 
sich fortwährend in Italien, aber in der vetkmnmerten Gestalt 
des byzantinischen ^ Eiarchats im Nordosten, in den Küsten- 
gegenden der Mark Ancona,. und dann in den beiden Ducaten 
Yon Bom und Neapel. Das Longobardenreich aber, das weitaus 
den grössten Theil Italiens umfasste, von Nord nach Süd in 
zwei fast gleiche, nur lose verbundene Hälften getheilt, besass 
weder natürliche, noch irgendwie feste Gränzen, und so wurde 
Italien der Schauplatz endloser, von den Longobarden mit 
barbarischer Wildheit und mit einer ihnen eigenthümlichen 
Zarstörungslust geführten Kriege. Da die Longobarden eine 
feste Thronfolge nicht kannten, und ihre allzumächtigen Her- 
zoge sich fortwährend Uebergriffe gestatteten oder nach der 
Königswürde strebten, so gestaltete sich die longobardisch- 
italiänische Geschichte in diesen 200 Jahren zu einer Kette 



314 Jahrb. der histor. Clause der k. Akad, der Wissenschaften. 

von Empörungen, Thronstreitigkeiten und Parteiungen, und 
von fünfundzwanzig Königen starben sechzehn eines gewalt- 
samen Todes oder wurden enttrohnt. Es half den Longobar- 
den nicht, dass der Arianismus, den sie mit nach Italien ge- 
bracht, sich in der Zeit von 618 bis 711 verlor, und ihre 
Arianischen Bischöfe, man weiss nicht recht wie, verschwanden. 
Auch gegen die katholisch gewordenen Longobarden war das 
Gefühl der „Eömer" das eines tiefen mit Verachtung gepaar- 
ten Hasses. Was Gregor der Grosse mit angesehen hatte, dass 
die Kömer von den Longobarden wie Hunde mit einem Strick 
um den Hals fortgeschleppt wurden, um in Gallien als Skla- 
ven verkauft zu werden, diess und noch schlimmeres hatte 
sich auch später wiederholt. Ihre Könige hatten nicht, gleich 
einem Theodorich, von den Bömern gelernt, über Römer zu 
hen'schen, zu dem oströmischen Reiche standen sie nur in 
feindlichem Verhältnisse, auch wenn gerade Friede war. Von 
einer Anerkennung des Kaiserthums war keine Rede. Stets 
nannten sie sich nur Könige der Longobarden, nie Könige 
von Italien, nur durch die Annahme des von dem Constanti- 
nischen Kaiserhause entlehnten Titels Flavius scheinen sie 
ihrem Ansprüche auf Nachfolge in der alten Kaisergewalt 
und auf den Gehorsam der römischen Bevölkerung Ausdruck 
gegeben zu haben. Einem ihrer Könige, dem besten und wei- 
sesten in dieser Reihe, Luitprand, hätte vielleicht in seiner 
fast 33jährigen Regierung das Werk einer Versöhnung und 
Verschmelzung der Römer und der Longobarden gelingen 
können, aber auch er that als Gesetzgeber fär die Römer nur 
wenig, während in seines Vorgängers Rothari's Gesetzen nicht 
die geringste Fürsorge für sie getroffen war. 

Rom, Ravenna, Pavia waren nun die Mittelpunkte ita- 
liänischen Lebens. Pavia war die longobardische Königsstadt, 
in Ravenna sass der griechische Exarch, gewöhnlich ein Gene- 
ral, der in straff militärischen Formen als absetzbarer Despot 
herrschte, er ertheilte den Duces von Rom und Neapel Be- 



DÖUinger : Das Kaiserthum KarVs des Grossen. 315 

fehle, und misshandelte die Bewohner des zersplitterten kai- 
serlichen Gebietes durch fiskalische Erpressungen. Diese, stets 
von den Longobarden bedrängt, durch die Söldlinge des Exar- 
chats nur wenig geschützt, waren im Laufe des siebenten 
Jahrh, wieder kriegerisch geworden, und verstanden sich zu 
wehren. 

Born, mit seinem Gebiete, dem Ducatus, zusammengepresst 
zwischen den zwei grossen longobardischen Herzogthümem 
Spoleti und Benevent, war abhängig von ßavenna wie von 
Constantinopel, und Klerus und Volk mussten in demüthigen 
Ausdrücken von dem Exarchen die Bestätigung des von ihnen 
gewählten Papstes erbitten, und dazu noch die Verwendung 
des Erzbischofs von Bavenna anrufen. Einmal, nach zwei 
Jahrhunderten, sahen die Kömer wieder ihren Kaiser; im 
J. 663 kam Constans II, der einzige der griechischen Imperato- 
ren, der Rom betrat, von Sicilien aus dahin. Unterwürfig, 
mit allen religiösen Feierlichkeiten und Huldigungen, mussten 
Papst und Klerus den Brudermörder und Verfolger der Ka- 
tholiken, den Mann empfangen, der den Papst Martin von 
Kerker zu Kerker geschleppt und endlich im fernen Exil hatte 
sterben lassen. Er schien nur gekommen, um die Stadt, die 
oft geplünderte und verwüstete, der wenigen noch übrigen 
Werthgegenstände zu berauben. 

Eine Succession von Griechen oder Syriern auf dem päpst- 
lichen Stuhle, welche vom J. 685 bis 752 nur durch einen 
einzigen Römer, Gregor III, (715 — 31) unterbrochen wird, 
lässt den überwältigenden Einfluss der Exarchen, und die Un- 
freiheit der Römer bezüglich ihres wichtigsten Rechtes, der 
Papstwahl, erkennen. 

Dennoch hatte sich schon seit dem Beginne des achten 
Jahrh. ein Geist der Selbsständigkeit, eine Neigung zur Selbst- 
hilfe und bald auch ein Element des Widerstandes unter den 
Italiänem der zum Kaiserthum gehörigen Gebiete entwickelt, 
welches auf das nahe Ende der byzantinischen Herrschaft in 



316 Jahrb, der histor. Classe der k, Akckd. der Wissenschaften. 

Italien schliessen Hess. Das Bewusstsein, dass die Kespublica 
Borna na in Italien noch bestehe^ hatte sich fortwährend er- 
halten, in Born ganz besonders, und die Päpste waren für die 
Italiäner die Vertreter und Anwälte dieses Gemeinwesens. Die 
longobardischer Herrschaft unterstellten Bischöfe mussten, wenn 
sie, als zu den ehemals suburbicarischen Provinzen gehörig, in 
Bom ordinirt wurden, geloben, dass sie nach Kräften für die 
Erhaltung des Friedens zwischen der Bespublica und dem 
Volke der Longobarden sich verwenden wollten. ^) Der BegriflF 
dieser römischen Bespublica war freilich sehr schwankend. 
Aber während man in Constantinopel von den byzantinischer 
Botmässigkeit unterworfenen Bömem oder Italienern nur wusste, 
dass sie zu einem der achtzehn Exarchate des Beichs gehör- 
ten, wollten diese mit einem den Byzantinern sicher sehr miss- 
iälligen Selbstgefühle Bürger der Bespublica s^, auf welche 
Ehre und Becht des alten Bömerthums sich vererbt habe. 
In dem römischen Formelbuche, welches uns die Verhältnisse 
des siebenten und achten Jahrh. darstellt, sieht man, dass die 
Päpste und die Bömer in dem Verkehr mit Constantinopel 
und Bavenna immer vom römischen Imperium redeten. 
Da ist das byzantinische Italien nur „die dienstbare italische 
Provinz^^ *) Sonst aber kennt die römische Eanzldsprache, 
besonders im Verkehr mit Italienern, kein Imperium, sondern 
eine Bespublica, und der Papst liess sich von den suburbica- 
rischen Bischöfen, die er ordinirte, versprechen, dass sie jeden 
gegen die Bespublica oder gegen die Kaiser gerichteten An- 
schlag, der zu ihrer Kenntniss gelange, alsbald ihm, dem 
Papste (nicht dem Exarchen), kund machen würden. ') 

Man scheint in Bom bald die Stadt mit dem nicht longo- 
bardisch gewordenen benachbarten Gebiete , dem seit 711 soge- 
nannten römischen Ducatus, bald auch das Gebiet des Exarchats 
und der Pentapolis mit dem Ducatus unter der „Bespublica 
der Bömer'' verstanden zu haben. Papst Stephan klagt im 
J. 755, dass der Longobardenkönig noch immer keine Handbreit 



DöUinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen, 317 

Boden dem h. Petrus, der Kirche und der Republik der Kömer 
zurückgegeben habe, und spricht gleich darauf wieder von den dem 
Petrus der Kirche und der Republik zu restituirenden Städten 
und Ortschaften. **) Paul I erzählt, wie er Gewaltboten an den 
König Desiderius gesandt habe, welche den Austausch oder die 
wechselseitige Erstattung nutzbringender Rechte vollziehen soll- 
ten, nämlich der in den longobardischen Städten den Römern ge- 
hörigen, und umgekehrt. *) Die Päpste betrachteten sich und 
handelten in jener Zeit als erste Bürger und Führer der Be* 
völkerung Roms, als Beschirmer und Vertreter des römischen 
oder lateinischen Gemeinwesens den Longobarden gegenüber, 
und als Vertheidiger der Idee und der Rechte des römischen Kai- 
serthums. Das Bewusstsein, dass Rom, gleichwie die Schöpferin 
auch die rechte Trägerin des Imperiums sei, war doch in Rom 
selbst unauslöschlich; kein Römer konnte das je vergessen, 
konnte den Zustand Italiens anders denn als einen vorüberge- 
henden Nothstand betrachten. ^) Zwei Umstände hatten zusam- 
mengewirkt, den Päpsten eine so überragende politische Stel- 
lung anzuweisen, dass bei dem Verfalle der byzantinischen 
Herrschaft die weltlichen Grossen, die Duces oder die grossen 
Grundbesitzer nur eine ganz untergeordnete Stellung neben 
ihnen einnahmen. Das eine war der Reichthum der römischen 
Kirche, der die Päpste in den Stand setzte, far die in Rom 
und der Umgebung sehr zahlreichen Armen zu sorgen, und 
sich so mit einer unbedingt ergebenen Bevölkerung zu um- 
geben. Das andre war das religiöse Ansehen, welches sie bei 
Longobarden und Franken genossen. AQe Italiener oder „Rö- 
mer" sahen daher in dem Papste ihren Fürsprecher und Ver- 
treter den fremden Gebietern gegenüber; auch die byzan- 
tinischen Beamten kannten und benutzten gelegentlich diesen 
Einfluss, und in der Formel eines bei der Wahl eines neuen 
Papstes an den Exarchen von Ravenna zu erlassenden Bitt* 
Schreibens wird es darum auch als Grund for baldige Bestär 



318 Jahrb. der histor, Classe der k. Akad, der Wissenschaften. 

tigung der Wahl hervorgehobeu, dass die Longobarden, die 
durch die griechischen Waffen nicht zu überwinden seien, nur 
den Mahnungen des Papstes willig Folge leisteten. *) 

Indess blieben die Päpste den griechischen Kaisern ge- 
genüber in einem, freilich sehr gelockerten und eigentlich nur 
nominellen Unterthansverhältnisse bis zum J. 796. Als die 
Italiäner im ünmuth über die Tyrannei des ikonoHastischen 
Kaisers Leo einen eignen Kaiser wählen wollten, verhinderte 
diess Papst Gregor 11; er mahnte die Eömer, „von der Liebe 
und Treue gegen das römische Keich nicht abzufallen." Das 
war freilich nicht Liebe zu der im ganzen sehr schlechten 
und überaus drückenden byzantinischen Herrschaft, sondern 
Liebe zu der „Bomana Sespublica", zu dem Bande, welche 
alle nicht longobardischer Herrschaft Unterstehenden Italiäner 
umfasste und zusammenhielt, zu der Aussicht, dass aus diesem 
noch aufrecht stehenden Flügel des alten Prachtbaues einmal 
wieder ein vollständiger Palast werden, eine Eeichsordnung 
hervorwachsen werde, in welcher Eom wieder zu seiner Würde, 
die Kömer wieder zu ihren angeborenen und nie aufgegebenen 
Eechten gelangen würden. *") 

Für jetzt aber liefen die Bürger der römischen Eespub- 
lica allerdings Gefahr, zwischen den zwei Mühlsteinen, dem 
longobardischen und dem byzantinischen, zerrieben zu werden. 
Dass die Idee des römischen Imperium, der Schatten dieses 
grossen Namens, ihr Schutz und ihre Zuflucht, der Hoffnungs- 
anker einer besseren Zukunft sei, das fühlten die Päpste sehr 
wohl. Die Kaiser in Byzanz verhielten sich theils feindlich, 
wenn sie als Ikonoklasten theologische Gegner waren, theils 
gleichgültig aus Ohnmacht, da ihr Eeich im Osten von zwei 
Seiten her. schwer bedroht war. Darum ward die Mittelstellung 
des Patriciats geschaffen, und dem nun im Frankenreiche 
herrschenden Königshause übertragen. Damit wollten die Päpste 
und die Bömer sich keineswegs von der Unterordnung unter 
das Imperium zu Constantinopel lossagen. Aber sie hatten 



Döllinger: Bas Kaiserthum KarVs des Grossen, 319 

schon so oft, von dort her verlassen und preisgegeben, für sich 
sorgen müssen, und das thaten sie auch diessmal, als kein 
and'res Mittel das Joch der verhassten Longobarden abzuwehr 
ren, sich darbot. Dieses Patriciat nun war eine römische Keichs- 
würde; indem die Römer und der Papst an ihrer Spitze und 
in ihrem Namen sie den Frankenfürsten übertrugen, machten 
sie die Träger des Patriciats zu einem hervorragenden Gliede 
der römischen Bespublica, und handelten demnach bereits in 
dem Gefühle, dass das römische Volk im Nothfall ein Amt, 
eine Würde verleihen könne, auch ohne dazu von Byzanz er- 
mächtiget zu sein. Es war der erste Schritt auf dieser Bahn, 
dem dann mit logischer Folgerichtigkeit dreissig Jahre später 
der zweite, die Verleihung des Kaiserthums, sich anschloss. 
Vorerst aber lag in diesem Patriciat keine Uebertragung einer 
regierenden oder richterlichen Gewalt, etwa über den römischen 
Ducat ^), sondern es hiess einfach : sei du Schild und Schwert 
der römischen Bespublica in ganz Italien, und uocb besonders 
Schirmvogt der römischen Kirche. 

Das Patriciat hatte also mit dem römischen Ducat oder 
mit irgend einem andern Ducat nichts gemein. Duces gab es 
damals viele in Italien; wir begegnen den Duces oder den 
Ducatus von Ancona, von Osimo, von Benevent, Ferrara, 
Fermo, Neapel, Parma, Perugia. Sie waren aber gewöhnlich 
nicht Patricii, obgleich das Patriciat als lebenslängliche Würde, 
aber ohne alle bestimmten Gewalten, häufig mit einem Amte, 
besonders dem eines Exarchen, übrigens zuweilen auch eines 
blossen Dux verbunden war. Das Patriciat war die höchste 
Beichswürde, nach der eines Cäsars, die der Kaiser zu verlei- 
hen pflegte ; der Patricius empfing den goldenen Reif und die 
Insignien seiner Würde entweder unmittelbar aus den Händen 
des Kaisers, oder sie wurden ihm durch eigene aus der Haupt- 
stadt gesandte Staatsbeamte (Spatharii) überbracht. Der Pa- 
tricius sollte nach der byzantinischen Formel ein Gehülfe des 
Kaisers überhaupt , ganz besonders aber ein Schirmvogt der 



820 Jahrb, der hisiar, Classe der k, Akad, der Wissenschaften. 

Kirche und der Armen sein, in der Wurde lag also die Idee 
der Advocatie, und so erklärt es sich, wie die Bömer und der 
Papst dazu gekonunen, ihrerseits Pipin und Karl als ihre Patridi 
zu erwählen. In ihrem Munde hiess das nur, dass sie in den 
FrankenIQrsten ihre Beschützer ehren, ihrer Hilfe sich gegen 
Feinde und Unterdrücker bedienen wollten. Der erste „Patri- 
eins der HOmer^S dessen die Geschichte gedenkt, war der Exarch 
Gr^orius zu Bayenna, von 666 bis 678. Da aber Paul 
Diakonus, der ihn erwähnt, sonst des Titels Pairicius nicht 
gedenkt, so ist schwer zu sagen, ob er etwa mit der Bezeich- 
nung „Patricius der Bitoer"' ein eigenthümUches Yerhältniss 
andeuten woUte. Im Papstbuche und sonst kommt der Aus- 
druck nur bezüglich der Frankenfursten Tor. Andere Patricü 
nennen sich „kaiserlicher Patrieius'S wie Gregorius zu Bene- 
Tent 792, so dass also ein Unterschied und Gegensatz zwi- 
schen äem Bdmei^Patridus Karl in Bom und Mittelitaüen, 
wdA iffm kaiseriichen Patricius Gregor in Benerent nicht zu 
verkennen ist Ebendaselbst nennen sich ^ter (um d. J. 911) 
^ Fürst Landulf und sein Sohn Athenulf ,4^tiieii des 
kMigobardiscbea Yolkes und dee Kaiserreichs.^ ^) Das kaiser- 
liche Patriciat war ihnen als blosser Titd Ton Constantinopd 
¥«riiehen, das Patriciat der Longobarden, d. h. die ScluniH 
TOgt^ der kmgobardischai BeTöIkerung im södliehen Italien 
gründete ^h wohl, wie Karl s Pätrkiat der Bom»^ auf am 
Wunsch und die Wahl des Y<dke& 

Von dffü rümischen Duces im aebentai und achtm Jahih. 
fährte keii^r den Titel : Patridus der Börnnr, übeihaiq^ war 
keiner Patricius mit Auaiahme de» letzten^ Stephanusy und 
attch diesen nennt das P^stboch nur ,,diiemaiigen Patricias^ ^) 
wahrsdieittlieh weil ihm dar Kaiser znr Zeit dier italümadhaz 
Auflrimung gegen B]rzanz die Pätrieterwürde wieder genoamm 
hatte. Uebrigoiis nahmen Ptpin, Karimann nnd anfängtirii andi 
Kari dasilBwnübeittageMeBiBMff'^fyoBafcimGrnndigy n^ 
enstüch aoL Dmn wihMod db fifste in jedot Sdtiiä« 



Döllinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen. 321 

Titel sorgföltig voransetzen, haben ihn die Frankenförsten in 
keiner ihrer Urkunden gebraucht. Erst als Karl das König- 
thum der Longobarden erworben hatte, legte er sich beide 
Titel in seinen Urkunden bei; jetzt erst hatte das Patriciat 
der Römer eine Bedeutung fiir ihn, und vermochte er dem 
damit ihm auferlegten Berufe eines Schirmvogtes der römischen 
oder nicht-longobardischen Bevölkerung zu genügen. Wie er 
sicher nicht meinte, durch sein Patriciat in den Dienst oder 
die Abhängigkeit des Kaisers getreten zu sein, so meinten 
auch die Römer nicht, durch die Uebertragung desselben einen 
Eingriff in das Recht des Kaisers gethan, oder gar sich vom 
Kaiserreiche losgerissen zu haben. 

Das neue Patriciat gab also dem Träger desselben an 
sich keine Gewalt auch nur über ein Dorf; es war eine Schirm- 
vogtei, nicht aber blos der römischen Kirche oder des päpst- 
lichen Stuhles, in diesem Falle würde Karl Patricius S. Petri 
oder Patricius der römischen Kirche und nicht so gleichförmig 
Patricius der Römer sich genannt haben. Wenn indess der 
neue König der Longobarden zugleich Patricius der Römer 
war, und über die fränkische Macht verfügte, so lag die Ver- 
suchung, sein Patriciat eben so zu verstehen und zu hand- 
haben wie sein Königthum, sehr nahe, um so näher, als das 
Exarchat jetzt erloschen, als demnach das Volk in den nicht- 
longobardischen Gebieten von Ober- und Mittelitalien sich 
selbst überlassen, damit aber auch schutzlos geworden war. 
Der Papst selbst und die Römer hätten gerne schon Karl 
Martell mit dem Patriciat betraut, und ihn damit zum krie- 
gerischen Auftreten gegen die Longobardenkönige verpflichtet. 
Karl, der mit diesen Fürsten in sohr freundlichen Verhält- 
nissen stand, auch im Frankenreiche durchaus nicht freie Hand 
hatte, lehnte, scheint es, ab. Pipin und sein Sohn Karl liessen 
es zwar geschehen, dass Papst Stephan an die Königs-Sal- 
bung, die er ihnen ertheilte, ausdrücklich auch das römische 
Patriciat knüpfte ^% liessen sich auch den Titel in den päpst- 

21 



322 Jahrb. der histor. Glosse der k, Akad, der Wissenschaften. 

liehen Schreiben beilegen; und waren gesonnen, einen Theil 
wenigstens der Vorstellungen und Obliegenheiten, die man in 
Kom mit diesem Patriciat verband, zu erfüllen; aber sie be- 
hielten sich vor, den Umfang dieser Obliegenheiten, und den 
Gebrauch, den sie von dem Patriciat zu machen gedachten, 
mit dem Masstabe der fränkischen Interessen zu bestimmen. 
Für Karl insbesondere musste seit d. J. 774 die Eücksicht 
auf die Befestigung und die Abrundung seines italisch-longo- 
bardischen Königreiches massgebend werden. 

Wenn Hadrian einmal neben dem Patriciate Karls auch 
des seinigen gedenkt^*), so sind denn freilich vermöge 
eines sehr vagen Gebrauches, den der Papst von dem Worte 
macht, zwei ungleichartige Dinge unter Einer Bezeichnung 
begriffen, denn der „Patriciat" des Papstes bestand aus sehr 
bestimmten Eechten einer Eegierungsgewalt , die unter der 
damals (790) noch fortbestehenden nominellen Oberhoheit der 
griechischen Kaiser sich kaum beschränkt fand, während da- 
gegen Karl als Patricius nur auf jene Gewalt und Unterwer- 
fung Anspruch machen konnte, welche Schützlinge im eigenen 
Interesse ihrem Schirmherm gewähren,, und welche also je 
nach dem grösseren oder geringeren Schutzbedürfnisse sich 
richtet. Allerdings war diese Gewalt damals in Eom noth wendig 
von grossem Umfange, denn gegen die vereinigte Macht der 
Byzantiner und der südlichen longobardischen Herzogthümer 
hätte Eom sich nicht drei Wochen lang behaupten können. 
Der Papst hatte keine Wahl: er musste in allen politischen 
und militärischen Dingen dem Willen und den Anordnungen 
des Königs sich beugen. 

In Betreff der Stellung, welche die erobernden Longobarden 
zu den alten Landesbewohnern einnahmen, finden wir auch in 
jüngster Zeit noch ganz entgegengesetzte Auffassungen. Einer- 
seits behauptet v. Sybel: „Die Longobarden waren, nachdem 
sie lange Zeit als deutsche und arianische Golonie im Lande 
gesessen, katholisch und romanisch geworden, und in raschem 



Döllinger : Das KaiseHhum KarVs des Grossen, 323 

Terlaufe mit den Provinzialen völlig verschmolzen". Ausführ- 
lich hat Hegel dieselbe Ansicht entwickelt. Andrerseits meint 
Cantü: Italien war für sie nur eine Beute, nicht ein Vater- 
land ; sie blieben zwei Jahrhunderte auf unserem Boden, wie 
die Türken auf dem Griechischen, wie die Magyarischen Herren 
über der plebeischen Schaar Pannoniens". ^^) 

Die letztere Ansicht entfernt sich weiter von der Wahrheit 
als die erstere, denn es ist Thatsache, dass die Longobarden 
allmälig römische Sprache , zum Theil auch römische Sitte und 
Bildung annahmen, dass sie mit den Kömern sich durch die 
Ehe verbanden. Aber noch unter König Liutprand kam es 
vor, dass bei dem Verwüstungszuge gegen Kom viele edle 
Römer nach longobardischer Weise geschoren und umgekleidet 
wurden *^). Die unterworfenen Römer wurden freilich in das 
herrsphende Volk einverleibt, aber mit sehr ungleichen Rech- 
ten, als zinspflichtige Halbfreie (Aldien) oder als Hörige, wenn 
auch in den Städten allmälig rechtliche Gleichheit überwiegend 
werden mochte. In Rothari's Edikt wii-d, wie Hegel bereits 
bemerkt hat, dem nur einmal darin vorkommenden römischen 
Namen tiefe Verachtung aufgedrückt. Und wenn derselbe 
Gelehrte sagt, die Römer hätten aus der Unfreiheit oder Un- 
mündigkeit sich hervorgearbeitet, so war dieser Process bis 
gegen Ende des Lpngobardenreichs sicher noch lange nicht voll- 
zogen, befand sich vielmehr die Mehrzahl noch immer in einer 
drückenden Lage. Die Zahl der ihres Besitzes ganz oder theil- 
weise Beraubten muss noch in dieser letzten Zeit sehr gross 
gewesen sein. Erwägt man die steten inneren Zerwürfnisse, die 
unablässigen Kriege nach aussen, so darf man wohl sagen, die Ge- 
schichte der Longobarden sei nicht viel mehr als die Chronik 
eines zweihundertjährigen, immer wieder mit der alten Zer- 
störungswuth geführten Krieges gegen Byzantiner und Römer. 
AUes diess lässt die Lage des Volkes unter dieser Herrschaft 
in sehr düsterem Lichte erscheinen. Schon die Thatsache, dass 
das byzantinische Joch, so fiskalisch aussaugend es war, den 

21* 



324 Jahrh, der histor. CUisse der k, Akad, der Wissenschaften. 

Italiänern immer noch erträglicher erschien, als das longobar- 
dische, zeigt, wie wenig an eine vollständige Verschmelzung- 
mid Versöhnung beider Völker gedacht werden kann. Die 
Kirche, welche das vornehmste Mittel zu einer solchen Ver- 
söhnung und Transformation hätte werden können, erlangte 
während der longobardischen Zeit nie die Bedeutung, den poli- 
tischen Einfluss, den sie in Spanien, im Frankenreiche, bei 
den Angelsachsen besass. Wenn noch zm* Zeit des Paulus 
Diaconus die mit den Longobarden nach Italien gekommenen 
Gepiden, Bulgaren, Sarmaten, Pannonier, Sueven, Noriker und 
andre Stämme ihre eignen mit ihren Namen bezeichneten Wohn- 
plätze in dem so vielfach verwüsteten und mit Ruinen erlullten 
Lande hatten, so erkennt man daraus, welchen zuchtlosen Hor- 
den die wehrlose Bevölkerung preisgegeben war, die noch dazu 
für die fortwährend den Longobarden zuziehenden framdeu 
Krieger und Abentheurer (die Wargangen) Sold und Grund- 
besitz beschaffen musste. Man erkennt zugleich, wie wenig 
in zwei Jahrhunderten eine wirklich einheitliche Nationalität 
aus so disparaten Elementen sich bilden konnte. Die Leich- 
tigkeit, mit der erst Pipin, dann Karl die Longobarden besiegte, 
mit der der letztere ihr Eeich stürzte , und sich Ober- und 
Mittelitalien unterwarf, erklärt sich vorzugsweise aus der all- 
gemeinen Abneigung der römischen Bevölkerung. 

Die Verbindung des Amulfingischen Hauses mit Born 
und dem päpstlichen Stuhle war inuner enger geworden. Papst 
und König bedurften einander, beide gaben einander um zu 
empfangen ; der Papst bedurfte Schutz und Hülfe ; die Pranken- 
försten stützten sich auf die religiöse Autorität des Papstes. 
Aber bald änderte sich die Lage; ein Conflikt der Interessen 
trat ein , die Abhängigkeit des Papstes von dem Könige war 
geblieben oder vielmehr noch grösser geworden, während der 
König seiner weniger bedurfte. Zacharias hatte bei der Grün- 
dung der neuen Dynastie einen wichtigen Dienst geleistet; in 
der Form einer Entscheidung über einen ihm vorgelegten (Je- 



Döllinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen. 325 

wissensfall hatte er erklärt, dass es recht sei, den bisherigen 
schroffen und auf die Dauer unhaltbaren Gegensatz zwischen 
vermeintem, machtlosen Rechte und thatsächlicher Macht ver- 
schwinden zu lassen, dass demnach die Franken wohl thäten, 
dem doch nicht gefahrlosem Schattenkönigthume Childerich's 
ein Ende zu machen, und in Pipin's PA*son ein wirkliches und 
thatkräftiges Königthum wieder aufzurichten. Seinerseits hatte 
Pipin dem Papste, als er im J. 754 um Hülfe flehend nach 
Prankreich gekommen, diese Hülfe zugesagt, und ihm noch 
dazu in Kiersy eine Urkunde ausgestiellt, durch die er sich 
verpflichtete, dem römischen Stuhle das Exarchat und die Pen- 
tapolis nebst der Stadt Namia, wenn er alles diess den Lon- 
gobarden abgerungen haben würde, zu übergeben. 

Hiemit begannen jene an vierzig Jahre lang fortgesetzten 
Porderungen, Bitten und Klagen der Päpste von Stephan III 
bis Hadriau, mit denen die Briefe des Codex Carolinus ange- 
iullt sind, und in welchen immer die Vermehrung des päpst- 
lichen Eigenthums als das Höchste und Werthvollste, was Pipin 
und Karl zur Sicherung ihres Seelenheils thun könnten, dar- 
gestellt wird. Born war längst eine Stadt, die, ohne Handel 
und Industrie, mit einer schon grossentheils verödeten Cam- 
pagna, nur durch Zuflüsse von ferne her bestehen konnte. 
Die Zahl der Armen, für welche zu sorgen ganz und gar den 
Päpsten oblag, muss sehr gross gewesen sein. Unterhaltung 
der Lampen und Kerzen in den Kirchen und Heiligengräbem 
und Verpflegung der Armen — diess ist es dann auch, was 
die Päpste als Grund für die so unermüdlich begehrten Schen- 
kungen geltend machen. Und man erkennt leicht den Grund, 
warum die Päpste so gerne, was der römischen Kirche oder 
dem h. Petrus, und was der Stadt Eom oder dem römischen 
Gemeinwesen gehörte, zusammenwarfen, und eines mit dem 
andern deckten. Das stete Eingen mit den habgierigen und 
immer weiter greifenden Longobarden hatte sie dazu genöthigt 
und daran gewöhnt. Denn diese kümmerten sich nicht im 



326 Jakrb, der hittar. Clmme der Jt. Äkmd. der WiMtemaAaftem. 

gmiigsten mn die Beehte oder Anspraelie der rünnsehen Mo- 
Bieipalität oder des rltaMeben Staates, hatten aber doch einige 
Ehrfdreiit tot der rümigehen Kirche and dem Äpostelfarsten, 
und trugen meist einige Sehen, Eirchenranb zn b^hen. 

Pipin's Sebenknng ist, was die Form nnd die Beweg- 
gründe betrifft, in ein nndnrehdringliches Dnnkd gehnllt, da 
die Urkunde nie znm Vorschein gekommen ist. Sie begriff* 
das £xarchat, die Pentapolis nnd die Stadt Namia. Ans dem 
Briefen der Päpste Stephan III nnd Panl I ergibt sich, dass 
die Schenknng erstens als Bestitntion von den Päpsten ge- 
fordert nnd von dem Könige bewilligt wnrde, **) und dass 
zweitens der Papst sie unter dem doppelten Titel der römischen 
Kirche und der römischen Bespublica empfing. Dagegen ist 
in den zahlreichen Schreiben des P. Hadrian, die sich auf die 
Schenkung beziehen, oder neue Forderungen stellen, weder 
von Restitution, noch von der ßespublica mehr die Bede, son- 
dern nur noch von dem hl. Petrus, welchem Ländereien und 
Städte einfach geschenkt oder übergeben werden sollen. Pipin 
müsste also die Vorstellung gehegt haben, dass das Exarchat 
mit der Pentapolis schon einmal der römischen Kirche gehört 
habe, in welchem Falle man annehmen mässte, dass ihm die 
um diese Zeit entstandene Schenkung Constantins als Besitz- 
titel vorgezeigt worden sei. Dem widerspricht aber gerade die 
Hervorhebung der Bespublica und die auch nachher noch in 
Born festgehaltene Beschränkung der Forderungen auf gewisse 
Theile Italiens.**) Das Richtigere ist also, dass Pipin die 
Länder dem Papste als dem Vertreter der national-italiänischen 
Bespublica übergab, so dass der römischen Kirche nur die in 
diesen Gebieten befindlichen Patiimonien zufielen, und er und 
die Päpste gebrauchten den Ausdruck „zurückerstatten^ S weil 
sie die byzantinische Herrschaft über diese Provinzen als eine 
lange, durch die Eroberung unter Justinian begonnene Usur- 
pation betrachteten, welche das autonome Becht der italisch- 
römischen Bespublica nur faktisch unterbrochen, nicht auf- 



Döllinger: Dos Kajserthum KarVs des Grossen, 327 

gehoben habe. Durch die longobardische Eroberung und die 
Besiegung der letzteren durch die Franken waren demnach 
die Ansprüche der Respublica wieder erwacht und lebenskräftig 
geworden, und Pipin's Akt war, von diesem Gesichtspunkt 
aus betrachtet, in Wahrheit eine Eestitution. Der Papst aber 
war damals der einzige, der als natürlicher Schirmvogt oder 
Patricius der nicht longobardischen Itaüäner das Zurückgege- 
bene in Empfang nehmen konnte. ^*) Sobald indess der Franken- 
könig auch König der Longobarden geworden war, und nun 
gleich seinen longobardischen Vorgängern mit innerer Noth- 
wendigkeit dazu getrieben wurde, dieses Keich zu einem. Ober- 
und Mittelitalien vereinigenden Königthume zu erweitern, so 
bald verschwand auch die „Eespublica" und die „Eestitution'^ 
aus den päpstlichen Briefen, denn jetzt war Karl und nicht 
der Papst der natürliche Erbe und Schutzherr der Eespublica. 
Von da an wird die Bezeichnungsweise in den Briefen der 
Päpste , Hadrians namentlich , verworren , die „Justitia des 
h. Petrus" ist nun ein weiter, unbestimmbar Vieles umhüllender 
Mantel, und man sieht nicht, ob der Papst sich als Herrn 
des römischen Ducatus oder blos als dessen Schirmvogt be- 
trachtete, ob er im Namen des souveränen Eom oder nur m 
seinem eigenen redete. 

Pipitt hatte nur das Exarchat mit der Pentapolis dem 
päpstlichen Stuhle übergeben. So stand es in der Urkunde 
von Kiersy 754, und auch bei dem Frieden mit Astolf 755 
und in der erneuerten Schenkung von 756 waren nur diese 
Gebiete dem Papste zugeeignet worden. Karl dagegen stellte 
i. J. 774 bei seiner ersten Anwesenheit in Eom, nachdem 
ihm Pipin's Urkunde vorgelesen worden, eine Schenkung oder 
vielmehr eine Verheissung, wie Hadrian's Biograph sagt, aus^ 
wonach dem Papste weit mehr, nämlich mehr als die Hälfte 
von ganz Italien, und danmter Länder, die Karl noch gar 
nicht erobert hatte, zu eigen gegeben werden sollte. Was 
den König zu einem politisch so schwer erklärbaren Verspre- 



328 Jahrb. der histor. Glosse der k. Akad. der Wissenschaften. 

chen bewegen konnte, das verdient noch eine besondere Unter- 
suchong. Thatsache ist, dass Karl sein damals gegebenes 
Versprechen nachher zum grossen Theil nicht mehr erfällte. 
Die ersten Gebiete, welche er wirklich, schon 774, dem Papste 
nberliess, waren Theile der longobardischen Herzogthümer 
Tuscien und Spoleti. 

Im Jahre 781 ward das Sabinische Gebiet verliehen; 
auch Benevent wird damals oder 787 geschenkt worden 
sein. Istrien und Venetieu wurden nie übergeben. Auch 
Corsica kam nicht wirklich in den Besitz der Päpste. Aus 
Hadrian's Aeusserungen sieht man, dass dem Könige Ur- 
kunden von römischen Kaisern oder longobardisclien Kö- 
nigen als Eechtstitel bezüglich der Gebiete, deren Verlei- 
hung man in Eom wünschte, vorgelegt worden sind. Es ver- 
steht sich, dass Kaiser-Urkunden, wenn sie acht waren, nur 
Schenkungen von Patrimonien, nicht von Hoheitsrechten über 
Städte und Länder enthalten konnten. In den Herzogthümem 
Spoleti und Benevent besass die römische Kirche wohl von 
Alters her ansehnliche Patrimonien; jetzt aber waren es die 
ganzen Herzogthümer, welche man in Anspruch nahm; und 
Karl sowohl als die von ihm nach Italien gesandten Gewalt- 
boten waren weit entfernt, den Forderungen des Papstes in 
ihrer ganzen Tragweite zu willfahren. Wie wenig Macht dem 
Papste in dem schon 774 geschenkten Gebiete von Spoleti 
eingeräumt wurde, bewies seine Bitte, dass der König eine 
besondere dort wachsende Holzgattung für die Eestauration 
der Peterskirche ihm zukommen lasse, da sie in „seinem Ge- 
biete" nicht aufzutreiben sei. ^^) Und als Karl dem Papste 
die Stadt Capua überlassen hatte, liess Hadrian die Capuaner 
nicht nur dem hl. Petrus und ihm, dem Papste, sondern auch 
dem Könige Treue schwören. ^^) 

So lange die fränkische Macht noch nicht in Italien Fuss 
gefasst hatte, musste Alles, was weder Griechen noch Longobar- 
den unterthan, was Römisch sein, zur Eespublica gehören 



DöUinger: Bas Kaiserthum KarVs des Grossen, 329 

wollte, sich unter die Schirmvogtei des Papstes, der eiazigen 
national-italiäüischen und moralisch starken Macht, stellen. 
Jetzt aber war die longobai'dische Krone mit allen ihren 
historischen Titeln und ihren durch das Gesetz der Selbster- 
haltung gebotenen Ansprüchen auf Karl's Haupt übergegangen, 
jetzt erst hatte sein römisches Patriciat einen Inhalt und eine 
Bedeutung erlangt. ; jetzt erst verband er den vorher verschmäh- 
ten Titel mit dem eines Longobardenkönigs, schloss er Verträge 
mit dem Papste über die Befugnisse seines Patriciats, und 
hegehrte er, nicht ohne Vorwurf, dass Hadrian sie besser 
achten solle. Karl hat sich nie König von Italien genannt, 
sondern König der Longobarden, aber thatsächlich war er es, 
und auch in den Städten und Gebieten, die jetzt der römischen 
Kirche untergeben waren, machte er seine Oberhoheit nach- 
drücklich geltend *^), während Hadrian noch immer nominell 
•den byzantinischen Kaiser als seinen Oberherrn anerkannte. **) 
Gebieterisch drängte die Lage der Dinge in Italien zu 
«iner Lösung dieser unklaren , gespannten Verhältnisse. Die 
Zeitgenossen sahen schon seit einiger Zeit in Karl den Gebieter 
Koms. Paul Diakonus spricht es aus, dass Karl auch Rom 
seinem Reiche einverleibt habe — also schon lange vor der 
Kaiserkrönung. Dass Karl Rom schon besitze, war nachher 
i. J. 800 ein Hauptgrund , ihn zum Kaiser zu erwählen. *^) 
Der neue Papst sandte i. J. 79 G dem Könige nebst dem 
Ehrengeschenke der Schlüssel vom Grabe Petri auch das Ban- 
ner der Stadt Rom, und keinen Zweifel über den Sinn dieser 
Zusendung liess die beigefügte Bitte, Karl möge einen seiner 
Grossen schicken, welcher das römische Volk den Eid der 
Treue und ünterthänigkeit schwören lasse. Charakteristisch 
ist denn auch in dem Schreiben Karls an den neuen Past die 
Auffassung der beiderseitigen Aufgaben : er scheint im Papste 
nur den betenden Hohenpriester zu sehen ; mir, sagt er, kommt 
6s zu, die Kirche nach aussen zu vertheidigen mit den Waffen, 
im Innern zu befestigen durch das Verständniss des katholischen 



330 Jdhrb, der histor. Glosse der k. Äkad. der Wissenschaften. 

Glaubens ; eure Sache ist es, die Hülfe des Gebetes uns zu leis« 
ten. Zugleich versichert er, es mit Wohlgefallen aufgenommen 
zu haben, dass der Papst in Demuth ihm Gehorsam und Treue 
gelobt habe. '^) 

Das Attentat der Nepoten Hadrians gegen den Papst 
fahrte den König zum viertenmale nach Eom, und nun er- 
folgte die „Erneuerung des römischen Reiches", wie eine da- 
mals geprägte Denkmünze es nannte. Am Weihnachtsfeste 
d. J. 800 setzte der Papst ihm plötzlich nach dem Gottes-^ 
dienste eine Krone aufs Haupt, und der Ruf des Volkes ver-^ 
kündete ihm, dass er Kaiser der Römer sei. Es war der wich- 
tigste Tag für das nächste Jahrtausend der Weltgeschichte. 



III. 

Karl's Kaiserkrönung. 

Mehrere Fragen sind zu beantworten, mehrere Punkte^ 
zu untersuchen, damit der Vorgang am Weihnachtsfeste dea 
Jahres 800 in seinen Triebfedern, Absichten, Wirkungen 
klar werde. 

Was zuerst die persönliche Angelegenheit des Papstes- 
Leo betrifft, so pflegt man die fränkischen Berichte mit dem 
Römischen des Papstbuches in der Weise zu verbinden, dass- 
der letztere jene ergänzt. Dagegen ergeben sich jedoch starke 
Bedenken. Denn die Sache wird in übereinstimmender Weise 
von den fränkischen Berichterstattern, anders dagegen von 
dem päpstlichen Biographen dargestellt. Nach den fränkischen 
Berichten war der Hergang folgender. Paschalis, Campulus^ 
und ihr zahlreicher Anhang unter dem römischen Adel hatten 
den Papst wegen angeblicher Verbrechen erst verurtheilt und 



Völlinger: Das Kaiserihum KarVs des Grossen. 331 

für abgesetzt erklärt, .dann das Attentat an ihm verübt. Die 
fränkischen Machtboten, die anf Karl's Gebot den Papst nach 
Eom zurückführen, stellen sofort eine Untersuchung an, und 
senden die Urheber des Attentats gefangen nach Frankreich. 
Als dann Earl selbst nach Born kommt, kündigt er einer 
sieben Tage später von ihm berufenen Versammlung an, wa- 
rum er gekommen, und beschäftigt sich dann täglich (also 
mehrere Tage hindurch) mit den Angelegenheiten, die ihn da- , 
hin geführt hatten. Darunter war das schwerste und wich- 
tigste das, was früher schon begonnen worden war (durch die 
Machtboten Karls) : Die Untersuchung über die dem Papste 
vorgeworfenen Verbrechen. Karl hatte die Feinde des Papstes 
Paschalis und Campulus aus Frankreich mitgebracht; jetzt, 
bei der gerichtlichen Untersuchung, ergab sich, dass sie nicht 
im Stande waren, einen förmlichen Beweis, dass Leo die ihm 
angeschuldigten Verbrechen begangen habe, zu föhren. Karl 
erkannte, dass sie nur aus Hass ihn angeklagt hätten. Dem- 
nach erklärten er und die Bischöfe dem Papste: Da die An- 
klage gefallen sei, so stehe es nun bei ihm, ob er, freiwillig, 
nicht in Folge eines richterlichen Spruches, den Beinigungseid 
schwören wolle. Leo schwor diesen Eid. So lauten überein- 
stimmend die sich wechselseitig ergänzenden Angaben der 
Fuldaer, Lorscher oder Einhardischen Annalen und der Chro- 
nik von Moissac. 

Ganz anders aber lautet die Darstellung des Papstbuches, 
und es ist nicht zu verkennen : sie ist durchweg absichtlich 
und zurechtgemacht ; sie verschweigt und sie entstellt. Schon 
die Angabe, dass die Wahl Leo's so ganz einstimmig von 
allen Klassen vollzogen worden sei, wird durch die nachfol- 
genden Ereignisse mehr als zweifelhaft. Dann wird erzählt, 
Leo sei von seinen Feinden zweimal verstümmelt worden ; dass 
erstemal, auf der Strasse, sei^ ihm die Zunge abgeschnitten 
worden, und habe man geglaubt, ihn auch durch Ausreissung 
der Augen geblendet zu haben; das zweitemal, gleich darauf^ 



332 Jahrb. der histor. Glosse der k. Akad. der Wissenschaften. 

ab Paschalis und Campulos ihn in die Kirche eines Klosters 
geschleppt, hätten sie noch vollständiger Augen und Zunge 
ihm ausgerissen. Dann aber habe er, in dem Kloster des 
h. Erasmus eingekerkert, wunderbarer Weise durch Gottes 
Gnade und die Fürbitte des h. Petrus Augen und Sprache 
wieder erhalten. Der Biograph beabsichtigt offenbar, dass 
der Leser an ein reines Wunder dabei glauben solle, wagt 
aber doch nicht geradezu das Wort auszusprechen, sondern 
macht sofort ein sehr natürliches Ereigniss zu einem „grossen 
Wunder'^ dass nämlich ein Anhänger ihn an einem Strick 
von der Klostermauer herablässt, von wo er nach der Peters- 
kirche und dann zum Herzoge Winiges entkommt. Die dop- 
pelte Verstümmelung, die freilich ein unerhörtes Wunder zur 
Folge gehabt haben müsste, ist unwahr; die fränkischen An- 
nalisten wissen nichts davon. Als dann Leo unter fränkischem 
Schutze zurückkehrt, strömt ihm die ganze Bevölkerung ent- 
gegen, und alle Stände sind entzückt, ihn wieder zu haben, 
so dass man nicht begreift, warum dann vorher in Bom keibe 
Hand sich für ihn erhoben, und nur der Herzog von Spoleti 
ihn geschützt habe. Die geistlichen und weltlichen Sendboten 
Karls stellen, nachdem sie den Papst zurückgeleitet, in Bom 
eine Untersuchung an, welche über eine Woche währt, und 
fragen die Nepoten Hadrian's aus über ihre Anklagen gegen 
den Papst; diese aber wissen nichts zu sagen und werden 
nach Frankreich gesandt. Wie nun Karl selbst eintrifft, be- 
ruft er eine grosse geistliche und weltliche Versammlung, 
welche über die dem Papste zur Last gelegten Vergehen ab- 
urtheilen soll. Aber sämmtliche Bischöfe und Aebte erklären 
einstimmig: Wir wagen es nicht, den apostolischen Stuhl, 
der vielmehr uns zu richten hat, zu richten; Niemand darf 
ihn, nach altem Herkommen, richten ; dem Ausspruche des Pap- 
stes, wie er auch ausfallen möge, werden wir kanonischen 
Gehorsam leisten. Darauf erbietet sich der Papst zum Beini- 
gungseide. Man sieht, hier wird den Dingen eine ganz andre 



Bollinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen, 333 

Farbe gegeben. Nach den fränkischen Berichten stellt Karl 
ein förmliches Processverfahren gegen den . Papst an, welches 
mehrere Tage währt, und als sich keine bewiesenen Thatsachen 
gegen Leo ergeben, wird ihm frei gestellt, ob er noch den 
Unschuldseid leisten wolle. Karl sass also allerdings mit den 
Yon ihm zugezogenen Bischöfen zu Geriebt über den Papst, 
und föUte ein Urtheil. N^ch dem römischen Erzähler aber 
lassen es die Bischöfe, die fränkischen sowohl als die italiäni- 
schen, zu einem solchen Verfahren gar nicht kommen, sondern 
schneiden alles gleich mit der Erklärung ab, dass ein Papst 
überhaupt nicht gerichtet werden dürfe. So dass also im 
Grunde Karl eine Zurechtweisung darüber empfangt, dass er 
eines an sich unstatthaften Unternehmens, einen Papst zu rich- 
ten , sich unterfangen wolle. Und • so wird denn auch im 
Papstbuche das spätere Ereigniss, nämlich die neue Verschwö- 
rung der Kömer gegen Leo, die Hinrichtung Mehrerer von 
ihnen auf Befehl des Papstes, und das Eingreifen Kaiser Lud- 
wigs, ganz verschwiegen. 

Das nächste, was zu betrachten kommt, ist die Stellung 
die Karl einerseits zum Papste, andererseits zu dem griechi- 
schen Eeich und Kaiserthron einnahm. Dass der Papst der 
Nachfolger des Petrus, der Träger der höchsten kirchlichen 
Autorität sei, dass ihm vor allen Bischöfen der Welt der 
Vorrang gebühre, daran zweifelte Karl nicht; so war er von 
Jugend an gelehrt worden, aber diese Gewalt war doch in 
seinen Augen in enge Gränzen eingeschlossen, und nicht blos 
in bürgerlichen Dingen, auch in kirchlichen stellte der König 
sich nicht selten höher, und Hess er es den Papst fühlen, dass 
dieser von ihm abhängig sei, und gelegentlich auch Befehle 
von ihm anzunehmen -habe. Zudem hatte er Kom und die 
Päpste nur als Hülfebedürftige, die stets nur mit Bitten, mit 
immer erneuerten Forderungen sich ihm nahten, die nur seines 
starken Armes zu ihren Zwecken sich bedienen wollten, kennen 
gelernt. Er wusste wohl, dass der päpstliche Stuhl nicht auf 



334 Jahrb. der histor. Gasse der k. Äkad. der Wissenschaften. 

eignen Füssen zu stehen vermöge, dass er ohne ihn wie früher 
die Beute der Longobarden, so jetzt die der römischen Adels- 
fektionen werden würde. Hatten doch die Häupter dieser 
Faktionen die bedeutendsten geistlichen Würden in Rom be- 
reits an sich gebracht. Schon als Jüngling hatte Karl den 
Papst Stephan vor ihm und seinem Vater Pipin hülfeflehend 
auf dem Boden liegen gesehen. ^) Dann hatten ihm seine 
von der römischen Synode d. J. 769 zurückgekehrten Bischöfe 
berichtet, wie Papst Constantin II nach dreizehnmonatlicher 
Verwaltung geblendet, abgesetzt, auf der Synode von Bischö- 
fen und Priestern mit Faustschlägen mishandelt worden sei. 
Karl hatte von ihnen erfahren, dass dieselben Männer, die 
über ein Jahr lang dem Papste am Altare gedient, und den 
Gottesdienst mit ihm gefeiert hatten, nunmehr jede seiner 
Pontifikalhandlungen für nichtig erklärt, und die von ihm or- 
dinirten Bischöfe und Priester genöthiget hatten, sich von 
neuem ordiniren zu lassen. Er hatte femer vernommen, dass 
der neue Papst Stephan IV mit den übrigen römischen Prä- 
laten sich in Gegenwart der ganzen Synode zur Erde nieder- 
geworfen, dass er und sie sich schuldig bekannt hatten, aus 
den Händen Constantin's die Communion empfangen zu haben, 
und sich eine Busse dafür hatten auflegen lassen. ^) Hadrian, 
dessen Briefe an Karl hauptsächlich mit Bitten und Beklama- 
tionen um Land- und Städteverleihungen angefüllt waren, 
hatte durch seine Theilnahme an der Nicänischen Synode von 
787 und seine Bestätigung der dort gefassten Beschlüsse über 
Bildßjverehrung Karl's Missfallen erregt, und ohne Eücksicht 
auf ihn und seine Legaten wurden auf der grossen von Karl 
berufenen Synode zu Frankfurt die Nicänischen Dekrete ver- 
worfen, und wurde damit dem päpstlichen Ansehen eine em- 
pfindliche Wunde geschlagen. 

Durch Karl's persönliche Ueberlegenheit auch auf dem 
kirchlichen Gebiete war das Papstthum damals vielfach ver- 
dunkelt und zurückgedrängt. In Bom empfand man die Nach- 



DöUinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen. 335 

ivehen der Jahrhunderte langen Zerrüttung Italiens. Die Be- 
Tölkerung der Stadt war verwildert, geistige Bildung nur bei 
sehr wenigen. Die Bischöfe jener Zeit sahen in Karl nicht 
nur den mächtigen Schirmvogt der Kirche, sondern auch ihren 
Keformator und obersten Lenker. Als Karl im Winter 801 
in Rom weilte, empfahl Paulinus von Aquileja, nicht dem 
Papste sondern dem neuen Kaiser: er möge die Bischöfe an- 
treiben zur Erforschung der heiligen Schrift, den Klerus zu 
besserer Zucht, die Mönche zur Frömmigkeit, und so die Kirche 
hauen und aufrichten. ^) Die Synoden versammelten sich auf 
sein Gebot, nicht auf das des Papstes ; *) vielmehr gehorchte 
dieser selber einem königlichen Befehle, als er des adop- 
tianischen Streites halber eine Synode in Rom hielt. ^) Der 
König, nicht die päpstlichen Legaten, die erschienen waren, 
führte auf dem grossen Frankfurter Concil den Vorsitz. Die 
Synode von Altino (799) oder Paulinus in ihrem Namen er- 
klärte sich bereit, ihre Beschlüsse völlig nach Karl's Belieben 
umzugestalten oder auch fallen zu lassen. ^) Und selbst der 
neue Papst musste nach Karl's Weisung von dessen Abgesand- 
ten Angilbert die Mahnung hinnehmen, dass er ein sittlich 
reines Leben fuhren, die Canonen beobachten und die Simonie 
abschaffen solle. Die Päpste hätten ihrerseits in KarVs bis 
in sein Alter fortgesetzten Fleisches-Sünden Veranlassung ge- 
nug gehabt, ähnliche Mahnungen an ihn zu richten, aber es 
findet sich nicht, dass sie es gethan hätten. Merkwürdig ist 
dabei, dass noch in späterer Zeit Papst Johann VIII den Be- 
ruf KarFs, als ein gewaltiger Reformator der Kirche zu wir- 
ken, nicht nur anerkannte, sondern ihn auch mit Wärme da- 
für pries, dass er diesen seinen Beruf verstanden und die da- 
malige Kirche von Irrthümern gereinigt habe. ^) 

Karl selbst nannte gerne den Papst seinen geistlichen 
Vater, aber in der Leitung der Kirche wies er ihm doch nur 
eine untergeordnete Aufgabe im Verhältnisse zu der eignen an. 
Er ist es, dem es aufgegeben ist, die Kirche im Innern zu 



336 Jahrb. der histor. Glosse der k. Äkad. der Wissenschaften, 

bauen, indem er den katholischen Glauben zur Anerkennung 
bringt ; des Papstes Beruf ist es, für die Christenheit und für 
ihn zu beten. ®) Wohl erholte er sich in kirchlichen Dingen 
häufig den Bath des Papstes, Hess sich auch einmal eine Dis- 
pensation von ihm ertheilen, einen Bischof seiner Diöcese zu 
entziehen und als Kanzler bei sich zu behalten, aber zuletzt 
war doch er es, der nach Gutdünken entschied und verfügte. 
Und so lässt denn auch Theodulf Bischof von Orleans den 
h. Petrus dem Könige die Schlüssel seiner Kirche anvertrauen. 
Karl ist es, der die Kirche verwaltet, der nicht nur das Volk 
sondern auch den Klerus regiert, sagt Theodulf.*) 

Die Stellung Karl's zum oströnüschen Kaiserreiche und 
zum byzantinischen Hofe war bestinunt durch seine Eroberun- 
gen in Italien und sein Trachten nach der Kaiserwürde; sie 
konnte daher, besonders auf griechischer Seite, nur eine feind- 
liche sein. Noch wurde um den Besitz von Istiien, Libumien, 
Venetien, Dalmatien gekämpft. Istrien hatte Karl erst i. J. 789 
sich unterworfen. Aber die Griechen besassen noch die für 
das byzantinische Reich höchst wichtige Herrschaft auf dem 
adriatischen Meere, und um dieses zu behaupten, mussten sie 
die Schutzherrlichkeit über Venetien und die Herrschaft über 
Libumien und Dalmatien sich zu erhalten suchen. Zugleich 
schien der Besitz ihrer unteritalischen Provinzen von Karl's 
Belieben abzuhängen. Karl selbst verbarg es sich nicht, dass 
so lange er nicht Kaiser sei, das Becht der oströmischen Kaiser 
auf die italischen Gebiete überhaupt stets in der öffentlichen 
Meinung für besser begründet, für älter und ehrwürdiger gelten 
würde, als das seinige. Und förmlich verzichtet hatte man zu By- 
zanz auf nichts. Wurde doch in Rom selbst noch die nominelle 
Oberhoheit des östlichen Kaisers anerkannt, und durch einen 
einzigen glücklichen Feldzug, durch die Landung eines Heeres 
in einem Momente fränkischer Bedrängniss, konnte sie wieder 
in eine sehr reelle Herrschaft verwandelt werden. Die fort- 
währende Verbindung der Venetianer mit Byzanz war für die 



DöUinger: Das Kaiserthwn KarVs des Grossen, 337 

angränzenden , jetzt dem Frankenkönig untergebenen Gebiete 
eine stete Drohung. Denn in Venedig überwog die den Grie- 
chen sich zuneigende Partei. Der Papst musste daher auf 
Karl's Geheiss aus dem Exarchat und der Pentapolis alle ve- 
netianischen Kaufleute vertreiben, und andererseits hatten die 
Griechen den Bischof Mauritius in Istrien als Parteigänger 
der Franken geblendet, ^^) und hatte der Sohn des Dogen 
von Venedig den Patriarchen Johannes von Grado, wohl aus 
demselben Grunde, von dem Thurme seines Schlosses herab- 
stürzen lassen. ^^) 

So drängte die ganze, vielfach verwickelte Lage Italiens 
den Frankenkönig, nach der Kaiserkrone zu greifen. Damit 
wurde alles einfacher, trat jedem Besitz und jedem Ansprüche 
ein ehrwürdiger, tief in der Meinung der Völker wurzelnder 
Eechtstitel zur Seite. Sein Patriciat legte ihm Pflichten auf, 
ohne ihm entsprechende Kechte, feste Gewalten zu geben. Es 
musste ihm als eine Stufe erscheinen, auf welcher er nicht 
stehen bleiben dürfe, von der aus er zu der höheren und kla- 
reren Stellung und Würde des Imperiums aufsteigen musste. 

An sich schon ist es sehr wahrscheinlich, dass Karl frü- 
her schon, lange vor d. J. 800, den Gedanken des Kaiser- 
thums gefasst, den Wunsch es wieder an Eom zu knüpfen, 
und mit dem Frankenreiche zu verbinden, gehegt habe. Ge- 
wiss dachte er über das Kaiserthum, über dessen hohe religiöse 
Bedeutung eben so, wie seine geistlichen Lehrer, Zeitgenossen 
und Freunde darüber dachten. Diese, die sich aus den Schrif- 
ten der Kirchenväter genährt hatten, konnten sich die christ- 
liche Kirche ohne das Kömerreich nicht recht denken; das 
Imperium war ihnen doch inmaer die wesentliche gottgewollte 
äussete Basis und Stütze der Kirche; es musste so lange be- 
stehen, als diese; sein Fall war das Zeichen des nahenden 
Endes der irdischen Dinge. Die Abnahme und immer sicht- 
barer werdende Ohnmacht des oströmischen Kelches war in 

ihren Augen ein Unheil, eine Schmach für die Christenheit, 

*2a 



338 Jahrb. der histar. CUMse der k. Akad. der Wissenschaften. 

und es musste ihnen als ein unnatürlicher Zustand zugleich 
und als ein Unglück für die christliche Kirche erscheinen, 
dass das römische Beich, dessen Macht und Ehre den schwa- 
chen und unzulänglichen Händen der Byzantiner anvertraut 
bleiben solle. 

Hatten doch schon die alten Christen ganz besonders für 
die Erhaltung Eom's gebetet, weil es der Träger des Impe- 
riums, weil es die Stadt sei, die Alles noch trage und halte. ^*) 
Die Vorsehung selbst schien den Menschen jener Zeit die 
Dinge so gelugt zu haben, dass das starke, blühende Eranken- 
reich die Erbschaft des Kömischen ohne gewaltsame Unterbre- 
chung der geschichtlichen Continuität übernehmen, dass das 
römische Imperium wieder seinen legitimen Schwerpunkt in 
Rom finden konnte. 

Da stand aber Constantinopel mit seinem jungen Kaiser 
Constantin im Wege. Der Gedanke einer Theilung des Rei- 
ches in ein westliches und östUches, wie sie vorübergehend im 
viei*ten und fünften Jahrh. stattgefunden, war damals den 
Menschen fremd. Jene Theilung war längst verschollen ; seit 
Jahrhunderten hatte man nur Einen Kaiser, den in Byzanz, 
gekannt. Eine friedliche Annäherung hatte stattgefunden : 
Die Kaiserin Mutter Irene hatte im J. 782 für ihren Sohn, 
den jungen Kaiser, um die Hand Rotrudens, der Tochter 
Karl's geworben. Aber die Unterhandlung wurde nach eini- 
gen Jahren wieder abgebrochen; Irene, der, weil sie allein 
herrschen wollte, die Tochter des mächtigen Frankenkönigs 
als Schwiegertochter unwillkommen war, gab ihrem Sohne 
Ende 788 Maria von Amnia zur Gemahlin. 

Karl glaubte ein Mittel gefunden zu haben, das ihm ge- 
stattete, das Kaiserthum für erledigt zu erklären, und es dem- 
nächst für sich in Anspruch zu nehmen. Er ergiiff hiezu die 
Gelegenheit, welche ihm die im J. 787 gehaltene Synode zu 
Nicaea mit ihren Beschlüssen über die Bilderverehrung darbot. 

Karl nahm zwar überhaupt den lebendigsten Antheil an 



Dollinger: Das Kaiserthum KarVs des Chrossen. 339 

religiösen Streitigkeiten, und griff energisch in den Verlauf 
derselben ein. Aber hier verfuhr er doch ganz anders als in 
der adoptianischen Controverse. Die letztere überliess er dem 
geordneten kirchlichen Verfahren. In der BilderjQrage trat er 
mit seinem Namen, mit dem ganzen Gewichte seiner Persön- 
lichkeit ein; er gedachte sie als Waflfe zu gebrauchen. Drei 
Jahre nach jener Synode — schon diess ist auffallend — liess 
er von Alkuin eine Kritik ihrer Verhandlungen und Beschlüsse 
verfassen, in welcher er selber das Wort führte. Die ganze 
Schrift ist ein feierliches Manifest, eine scharfe Anklage, ge- 
richtet gegen den Kaiser und dessen Mutter, dann gegen die 
griechischen Bischöfe. Der Byzantinische mit ünkenntniss ge- 
paarte Hochmuth, ihre Missachtung der westlichen Kirchen, 
ihr eigenmächtiges Gebahren in kirchlichen Dingen, alles diess 
wird in den stärksten Ausdrücken gerügt. Karl wusste wohl, 
dass Constantin zur Zeit der Synode erst sechzehn Jahre alt, 
also ein in kirchlichen Dingen unzurechnungsfähiger Knabe 
gewesen sei. Das hielt ihn aber nicht ab, ihm die Verant- 
wortung fiir das dort Geschehene aufzubürden. Absichtlich 
bezeichnet er ihn nur als „König", während er, der sich 
sonst nur König der Longobarden zu nennen pflegte, hier 
von dem „Königreich Italiens , das Gott ihm verliehen 
habe", sprach. Die Beschuldigungen, welche gleich in den 
ersten Kapiteln an einige herkömmliche Ausdrücke des byzan- 
tinischen Kanzleistils geknüpft werden, ^') zeigen, dass es dem 
Frankenkönige vor AUem darum zu thun war, den Kaiser und 
dessen Mutter in Anklagestand zu versetzen. ' Irenen wird es 
noch besonders als ein gegen göttliche und menschliche Ge- 
setze verstossendes Vergehen vorgehalten, dass sie auf der 
Synode als „Anordnerin und Lehrerin" sich gebehrdet habe; 
beide, sie und ihr Sohn, seien aus Hochmuth wahnwitzig ge- 
worden. ^*). In der That wurde denn auch einige Jahre nach- 
her auf dem Concil zu Frankfurt die Nicanische Synode mit 
ihren Dekreten über Bilderverehrung unbedingt verworfen, und 

22* 



340 Jahrh, der hisior. Classe der k. Äkad. der Wissenschaften, 

die päpstUchen Legaten mussten, wenn sie nicht zustimmten, 
sich passiv dabei verhalten. 

Wäre es KarVn hauptsächlich um die religiöse Frage zu 
thun gewesen, so hätte er vor Allem eine Verständigung zwi- 
schen der Ansicht der fränkischen Kirche und der des Papstes 
und der römischen Kirche anstreben müssen. Denn hier fand 
allerdings ein schroffer Widerspruch statt. Im fränkischen 
Eeiche wollte man nur die Aufstellung religiöser Bilder, ohne 
jedes Zeichen äusserer Verehrung dulden; in Eom dagegen 
war man ganz mit den Nicänischen Schlüssen über die den 
Büdem zu erweisende Verehrung einverstanden. Karl wusste 
das sehr gut, gleichwohl aber ignorirt er es in seinem Buche 
völlig, er stellt sich an, als ob der Papst ganz mit ihm und 
den fränkischen Bischöfen einverstanden sei, als ob er, der 
König, gerade um das gute Eecht der römischen Kirche ge- 
gen das selbstsüchtige und eigenmächtige Verfahren der Grie- 
chen zu wahren, diese Protestation und Anklage erhebe. Nur 
auf den Kaiser und dessen Bischöfe ist es abgesehen. 

Auf Grund dieser Schrift oder vielmehr eines nach Kom 
gesandten Auszuges aus derselben, liess nun Karl durch seinen 
Vertrauten Angilbert an den Papst die Forderung stellen, den 
Kaiser für einen Häretiker zu erklären. Eine Zumuthung, die 
den Papst in nicht geringe Verlegenheit setzte, denn er selbst 
hatte die Beschlüsse der Synode gebilligt, hatte durch seine 
Legaten an Allem Theil genommen. Hadrian suchte einen 
Ausweg, er wolle, schrieb er in einem demüthigen Briefe, wenn 
Karl es ihm erlaube, den kaiserlichen Hof auffordern, dem 
römischen Stuhl die ehemals entrissenen Patrimonien und die 
Gerichtsbarkeit über die illyrische Diöcese zurückzugeben; ver- 
weigere man diess, dann sei er bereit den Kaiser als einen 
Häretiker zu verurtheilen. ^^) Nur die völlige Abhängigkeit, 
in welcher der Papst sich dem Frankenkönige gegenüber fühlte, 
macht es begreiflich, dass Hadrian eine solche allem kirch- 
lichen Eechts- und Wahrheitssinne widersprechende Verpflich- 



Döllinger: Das Katserthum KarVs des Grossen. 341 

tung eingehen konnte, deren Verwirklichung sofort die kirch- 
liche Trennung des Orients vom Occidente zur Folge gehabt 
haben müsste. 

Der fernere Verlauf der Sache ist nicht bekannt; jeden- 
falls überhob die im J. 796 erfolgte Blendung Constantins und 
sein Tod den Papst der Sorge um weitere Schritte. Was 
würde aber geschehen sein, wenn es wirklich zu jenem Aeus- 
sersten gekommen wäre? Erinnerte sich Karl etwa, dass die 
Römer schon einmal dem Kaiser Philippikus (J. 712), weil er 
die monotheletische Irrlehre wieder aufrichten wollte, den Ge- 
horsam aufgekündigt und erklärt hatten , ihn nicht mehr als 
Kaiser anzuerkennen? dass sie nachher unter Leo dem Isaurier 
an die Wahl eines neuen Kaisers gedacht hatten, den sie dann 
mit gewaffheter Macht nach Constantinopel fuhren wollten? 
Die Annahme dürfte gerechtfertigt sein , dass Karl an die Stelle 
des häretisch, und also nach damaliger Anschauung zum Kai- 
serthum untüchtig gewordenen Constantin sich selbst als Kaiser 
wählen lassen wollte. 

Zum erstenmale wurde jetzt die höchste Würde der christ- 
lichen Welt von einem Weibe getragen. Diess musste den 
Zeitgenossen unnatürlich, gesetzwidrig, unerträglich erscheinen. 
Auch nach römischem Eechte konnte ein Weib nicht die Ee- 
gierung führen. ^^) Wir sehen, dass imJ. 798 zwischen Karl 
und Irene Unterhandlungen statt fanden, dass eine griechische 
Gesandtschaft mit Friedensvorschlägen bei Karl eintraf, dass 
dieser den früher gefangenen Sisinnius, den Bruder des Patri- 
archen Tarasius, mit den Gesandten frei nach Constantinopel 
zurückkehren Hess. Sicher nicht ohne Aufträge. 

Es galt wohl, eine Combination zu finden, welche die 
Kaiserwürde auf Karl als Nachfolger Constantin's VI über- 
gehen liess. Solche Verhandlungen durch Gesandte erforderten 
damals lange Zeit. Hatten doch Wittbold und Johannes, die 
Karl im J. 785 an Irene geschickt, nach ihrer Abreise von 
Constantinopel achtzehn Monate zur Sückkehr gebraucht. ^^) 



342 Jahrb, der higtar. CUisse der jfc. Akad.,der Wissenschaften. 

Da traten die römischen Ereignisse dazwischen, nnd die 
Ungeduld der fränkischen Grossen, des Papstes und der Römer 
zerhieb den Knoten, den Karl seit Jahren vergeblich zu lösen 
sich bemüht hatte. 

Bekanntlich berichtet Einhard : Karl habe nach der Krö- 
nung zu versichern gepflegt, er würde an jenem Tage, obgleich 
es der höchste christliche Festtag gewesen, nicht in die Kirche 
gegangen sein, wenn er die Absicht des Papstes vorhergewusst 
hatte. Die neueren Historiker meinen nun fast einstinunig: 
so könnten die Dinge sich nicht begeben haben; der Plan 
müsse vielmehr von Karl selbst ausgegangen, müsse das Er- 
gebniss der zwischen ihm und seinen Franken und dem Papste 
schon seit geraumer Zeit augestellten Erwägungen sein ; und 
80 sei denn seine Versicherung, dass die Sache ohne sein Zu- 
thun, durch üeberraschung erfolgt sei, einfach unwahr. Selbst 
den Vorwurf einer unwürdigen Heuchelei , welcher er bei die- 
sem wichtigsten und folgenreichsten Ereignisse seines Lebens 
sich schuldig gemacht habe, hat man ihm nicht erlassen. Am 
stärksten jüngst Gregorovius; „Der König gab sich, wie 
einst Augustus, den Schein die höchste Würde nicht anneh- 
men zu wollen, bis er sich dazu bereit erklärte.. Man blen- 
dete die Welt durch einen theatralischen Effekt". Mit ihm 
wetteiferte der Italiäner La Farina *^) , die Deutschen 
Kurtz, Eettberg und andre. Man ist zu der Behauptung 
fortgeschritten : Karl habe sich planmässig längst beeifert, die 
Idee eines römischen Kaisers in seiner Person darzustellen, 
besonders dadurch, dass er sich au den adoptianischen und 
ikonoklastischen Kirchenstreitigkeiten betheiligte. G f r öre r 
hat überdiess angenommen, dass Karl schon mit Papst Hadrian 
(also etwa zwischen 785 und 795) über das Kaiserthum ver- 
handelt habe. Das wäre wohl möglich, und Angilbert könnte 
i. J. 794 neben dem auf den griechischen Kaiser bezüglichen 
Auftrage auch den gehabt haben, den Papst für Karl's Kaiser- 
thum zu bearbeiten. Gewöhnlich nimmt man indess an : 



Döllinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen. 343 

Damals erst, als Leo III, flüchtig und verfolgt, an KarVs 
Hoflager nach Paderborn gekommen (April 799) sei der Plan 
insgeheim zwischen beiden verabredet worden. Auch Leo ^®) 
meint: Bei den Berathungen, welche Karl im Sommer d. J. 
800 mit Alkuin zu Tours gepflogen, sei offenbar die Erneu- 
erung der kaiserlichen Würde weiter besprochen, und von da 
an, wie es scheine, zur Bedingung des Kommens und des 
Schutzes Karl's gemacht worden, wenn man ihr auch die Form 
gelassen, als habe sie durch eine plötzliche Begeisterung, durch 
eine Art prophetischen Auftretens des Papstes statt." 

So ist unter den Neueren Waitz 2®) fast der einzige, 
der dem Kaiser einfache historische Gerechtigkeit widerfahren 
lässt: „Man hat schwerlich, sagt er, ein Eecht, die Aussage 
Einhard's in Zweifel zu ziehen. Aber nach dem was vorliegt, 
kann es freilich nur so gemeint sein, dass der König an dem 
Tage überrascht ward^ vielleicht dem Gedanken, der seine 
Umgebung beschäftigte, noöh nicht seine Zustimmung gegeben 
hatte." Ich theile diese Ansicht, möchte jedoch das „vielleicht" 
beseitigen, und entschieden sagen : Karl wusste nicht, was man 
beabsichtigte, und hatte noch keine Zustimmung dazu gegeben. 

Es ist, scheint mii-, sehr wohl denkbar, däss Karl's Ge- 
danken und Pläne schon seit Jahren auf die Erlangung der 
Kaiserwürde gerichtet waren, und dass er gleichwohl am Weih- 
nachtsfeste 800 überrascht wurde, dass er in dem Schritte des 
Papstes und der tumultuarischen Willensäusserung des Volkes 
eine üebereilung sah, und aufrichtig sagen konnte: er würde, 
wenn er das gewusst hätte, an dem Tage nicht in die Kirche 
gekommen sein. Er stand, wie ich mindestens sehr wahrschein- 
lich gemacht zu haben glaube, in Unterhandlungen mit Irene, 
ihm war Alles daran gelegen, dass seine Kaiserwürde von 
vorneherein in Constantinopel anerkannt werde, dass man ihn 
als legitimen Nachfolger Constantin's VI gelten lasse. Das 
Ereigniss am Weihnachtsfeste griff nun störend in die Unter- 
handlungen ein. In Constantinopel musste man glauben, Karl 



344 Jährh, der histor. Glosse der k. Äkad. der Wissenschaften. 

habe hinterlistig den Kaiserhof in die Lage versetzen wollen, 
zu einer vollendeten Thatsache seine nachträgliche Zustinuuung 
geben zu müssen. 

Was liegt denn aber vor, das uns nöthigte, das Ereig- 
niss als eine längst verabredete Sache zu fassen? Es geht, 
sagt Leo, aus einem Briefe Alkuins unwidersprechlich hervor, 
dass Alkuin vorher von dieser Erneuerung des Kaiserthums 
wusste. Diess wird, seitdem Lorentz die Entdeckung gemacht 
hat, allgemein angenommen, und daraus schliesst man dann, 
dass also auch Karl längst darum gewusst, und seine Nicht- 
kenntniss und üeberraschung nur geheuchelt habe. Alkuin 
habe nämlich Karl'n eine prächtige Bibel geschenkt ad spien- 
dorem imperialis potentiae, wie er in seinem Begleitungs- 
Schreiben sage, und habe verfügt, dass diese Bibel zu Weih- 
nachten übergeben werden solle; also habe er in Tours ge- 
wusst, dass an diesem Tage die Kaiserkrönung in Born statt- 
finden solle. Vor dieser Beweisführung beugt sich auch 
Waitz. **) Sie scheitert aber schon an der Thatsache, dass 
Alkuin ausdrücklich sagt: sein Freund Fridegis (er nannte 
ihn Nathanael), der das Weihnachtsgeschenk übergeben solle, 
befinde sich jetzt in Aachen. *^) Dort also und picht in Bom, 
und nicht zu Weihnachten des Jahres 800, sondern in einem 
Mheren oder späteren Jahre, immer aber vor 804, sollte Karl 
die Bibel empfangen. Der Brief an Karl trägt die Aufschrift : 
An den König, während die in Karl's Kaiserzeit fallenden 
Briefe Alkuins inoimer überschrieben sind : An Karl den Kaiser. 
Man darf also wohl annehmen, dass imperialis potentia hier 
nicht „kaiserliche Gewalt", sondern eben „Reichsgewalt', 
heisse. ^^) In Wirklichkeit ist es vielmehr auffallend, dass 
Alkuin's Briefe keine Andeutung über den Kaiserthums-Plan 
enthalten, insbesondere der Brief, mit welchem Alkuin auf 
Karl's Mittheilung der römischen Ereignisse antwortete. Alkuin 
beschränkt sich darin auf den Bath, der König möge vor 
Allem den Besitz Rom's sich versichern.**) 



DöUinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen. 345 

Auf die Angabe des Papstbuches, dass Earl nach der 
Krönung den römischen Kirchen prächtige Weihgeschenke ge- 
macht habe, die also schon in Voraussicht des Ereignisses be- 
reit gewesen seien, darf man, selbst nach Gregorovius ürtheiU 
kein Gewicht legen. Diese Geschenke heiliger Gefasse und 
andrer Gegenstände würde Kaii wohl auch ohne die Kaiser- 
krönung gemacht haben, und überdiess ist nicht zu verkennen^, 
dass der Biograph Leo's, dessen Schrift, wie bereits erwähnt,, 
eine erst geraume Zeit später verfasste Arbeit ist, alles was 
Karl bei seinen verschiedenen Besuchen in £om schenkte oder 
von femeher übersandte, bei dieser Gelegenheit zusammenstellte ; 
denn sonst sind, trotz der minutiösen Aufzählung und Be- 
schreibung, weder in der Biographie Hadrians noch in der 
Leo's Weihgeschenke des Monarchen erwähnt. Und doch ist 
sicher anzunehmen, dass Karl auch früher schon den römischen 
Kirchen bedeutende Geschenke gemacht hatte, und wird be- 
richtet, dass er durch Angilbert i. J. 796 einen ansehnlichen 
Theil des in der Avarischen Königsburg erbeuteten Schatzes 
als Geschenk nach Eom gesandt habe, wovon der päpstliche 
Biograph kein Wort sagt. 

Ganz werthlos ist die Angabe des Johannes Diaconus, 
dass Papst Leo, als er vor seinen Feinden geflohen, dem Kö- 
nige als Preis des ihm zu gewährenden Schutzes die Kaiser- 
krone versprochen habe, was also in Paderborn geschehen sein 
müsste. Wie wenig dieser Mann, der ein Jahrhundert später 
in Neapel lebte, (er war um d. J. 870 geboren) von 
den Begebenheiten unter Karl unterrichtet war, zeigt schon 
seine weitere Angabe: Karl sei auf der Stelle **) mit 
einem grossen Kriegsheere nach Italien gezogen, habe Rom 
erobert, und den Papst wieder eingesetzt. Wie man auf einen 
die bekanntesten Thatsachen so entstellenden Zeugen so viel 
bauen, ihn sogar allen gleichzeitigen Geschichtsschreibern vor- 
ziehen konnte, ist schwer zu begreifen. Doch ist diess von 
einigen Neueren geschehen. 



346 Jahrb. der histor. Classe der l\ Akad. der Wissenschaften. 

Gewiss ist bei dem Ereignisse am Weihnachtsfeste nicht 
Alles Ueberraschung oder plötzliche Eingebung gewesen, und 
sind nicht Alle, namentlich nicht die fränkischen Grossen, über- 
rascht worden. Die Frage des Kaiserthums war vielmehr von 
dem Papste und diesen Grossen lange und reiflich erwogen 
und durchgesprochen worden. Diess ergibt sich schon aus der 
Zeitfolge der Begebenheiten. 

Am 29. November 799 war Papst Leo, aus Deutschland 
Tückkehrend, und von den königlichen Sendboten, sieben Bi- 
schöfen und drei Grafen, geleitet, an der Mil vischen Brücke 
von den Kömem empfangen worden. Diese zehn Sendboten, 
zu den vornehmsten und einflussreichsten Männern des Kelches 
zählend, blieben über ein Jahr in Eom. Da muss es denn 
gleich auffallen, dass so viele, in ihrer Heimath und am Hofe 
Karl's gewiss nicht leicht zu entbehrende, Männer so lange 
Zeit in Eom weilten. Von Geschäften, welche dort durch sie 
zu besorgen gewesen, wird nichts erwähnt: gab es solche, so 
hätte wohl einer der zehn dazu hingereicht. Die Untersuchung 
der gegen den Papst erhobenen Anklage und des an ihm be- 
gangenen Frevels ward erst nach des Königs Ankunft vor- 
genommen. Es waren die Erzbischöfe Hildebald von Cöln 
und Arno von Salzburg, die Bischöfe Bernard von Worms, 
Jesse von Amiens, Cunipert, Otto und der erwählte Bischof 
Flaicus — dann die Grafen Helingaud, Eothakar und Germar, 
von denen der erste und der letzte auch sonst zu wichtigen 
Gesandschaften gebraucht wurden. Hildebald war Karl's ver- 
trauter Eath, sein Minister in geistlichen Angelegenheiten ; er 
hatte sich von Papst Hadrian eine besondre Erlaubniss erthei- 
len lassen, ihn stets bei sich zu behalten. *^) Dass Arno, 
Alkuins Freund, seinen Einfluss auf den Papst nicht unbenutzt 
liess, zeigt ein päpstliches Schreiben dieses Jahres (11. April 800) 
worin Bischöfe, Klerus und Volk der Bajuvarischen Provinz 
angewiesen werden, ihrem Erzbischof Arno zu gehorchen. 

Ein ganzes Jahr später, (24. November 800), erscheint 



DölUnger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen. 347 

Karl, und wird an den Stufen der Peterskirche vom Papste 
empfangen. Mit ihm kommt nebst andern einer der wichtig- 
sten Männer des Reiches, Angilbert, sein Schwiegersohn, Ge- 
heimrath und Vorstand der königlichen Kanzlei, zugleich Her- 
zog der fränkischen Meeresküste. Wenn irgend einer, war er 
der Mann des königlichen Vertrauens. Zweimal erst, 794 und 
796, hatte Karl ihn wegen wichtiger Unterhandlungen mit 
Hadrian und Leo nach Rom gesandt. Die Blüthe der frän- 
kischen Prälaten und Staatsmänner war also jetzt in Rom 
beisammen. Wiederum verfiiessen sieben Tage, erst am ersten 
December thut Karl einer von ihm berufenen Versammlung 
in der Peterskirche die Ursache seines Kommens kund: es 
bandle sich nämlich darum, die Sache des angeklagten Papstes 
zu entscheiden. Darüber gehen neuerdings zwei und zwanzig 
Tage hin, bis endlich am 23. December Leo den Reinigungseid 
vor der Synode schwört. Am nächsten Tage ist dann die 
Krönung erfolgt. 

Das Volk und Reich der Franken war also durch eine 
ansehnliche Versammlung seiner hervorragendsten Männer in 
Rom damals vei-treten, und unzweifelhaft haben in der langen 
Frist von fast dreizehn Monaten zwischen ihnen, dem Papste, 
der Römischen geistlichen und weltlichen Aristokratie häufige 
und ernste Berathungen stattgefunden — Berathungen, deren 
Inhalt und Absicht sicher auch dem Könige nicht unbekannt 
war. Dass der Entschluss, Karl als römischen Kaiser auszurufen, 
in einer IKrmlichen öfifentlichen Berathung zwischen Franken und 
Römern und zwar nicht Wos der Bischöfe und Vornehmen, son- 
dern auch des wenigstens gegenwärtigen Volkes, gefasst wor- 
den sei, berichten die Lorscher Annalen und die Chronik von 
Moissac. *^) In Einhard's Annalen und in der Biographie 
Leo's wird es verschwiegen, ich glaube, mit Absicht, um das 
Ereigniss mehr als eine That unmittelbarer göttlicher Inspfra- 
tion erscheinen zu lassen. Aber es ist doch klar, dass, mit 
Ausnahme Karl's und vielleicht eines oder des andern seiner 



348 Jahrb. der histor. Glosse der k. Akad. der Wissenschaften, 

Veitrauten, Alle einig und vorbereitet waren, dass man sich 
also voraus verständigt hatte. An der blossen Gebehrde des 
Papstes, der dem Könige plötzlich eine Krone aufsetzte, hätte 
das Volk nicht erkennen können, dass es sich hier um die 
Kaiserwürde handle, die seit vier Jahrhunderten nicht mehr 
in Bom gegeben und empfangen worden war, und bei der 
auch früher keine Krönung stattfand. An sich also hätte das 
Volk die Handlung fär eine einfache Feierlichkeit ohne weitere 
Bedeutung halten müssen; denn damals pflegte man die Krö- 
nung gelegentlich zu wiederholen, und die Elrone selbst sah 
wie eine gewöhnliche Königskrone aus, da man von einer be- 
sonders geformten Kaiserkrone nichts wusste. 

Unverkennbar war also eine Berathung, eine Verstän- 
digung des fränkischen und des römischen höheren Klerus, so 
wie der weltlichen Grossen beider Nationalitäten vorausgegan- 
gen. Der Papst sowohl als die Bömer versprachen sich davon 
dem Kaiserthume Vortheil und Zuwachs an Ansehen. Dem 
Papste, der für sich den Adelsfaktionen nicht gewachsen war^ 
der ohne den starken Arm Karl's nicht einmal auf persönliche 
Sicherheit rechnen konnte, musste ein Kaiser mit seiner Macht- 
vollkommenheit willkommener sein, als ein Patricius mit seiner 
zweifelhaften und unbestimmten Gewalt. Leo hatte ohnehin 
vor vier Jahren bereits Karl als seinen Oberherm anerkannt, 
das Unterthansverhältniss, in welches er zum neuen Kaiser 
trat, und welchem er durch die Leistung der Adoration Aus- 
druck gab, konnte denmach nicht besonders drückend für ihn 
erscheinen, und ward durch den anderweitigen Gewinn um so 
sicherer aufgewogen, als er wohl mit Gewissheit annehmen 
durfte, der neue Kaiser und dessen Nachfolger würden ihren 
bleibenden Sitz nicht in ßom nehmen Das bedenklichste für 
den Papst musste die Aussicht auf den Unwillen der Griechen 
und dessen mögliche Folgen in kirchlicher Beziehui^ sein; 
wie wenig man sich aber damals in Bom durch derartige Be- 
sorgnisse bestimmen liess , diess zeigt das Anerbieten , das 



DöUinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen. 349 

Hadrian dem Könige gemacht hatte. Für jetzt hatte man es 
nur mit einem Weibe zu thun, und das Auskunftsmittel einer 
Yermählung EarFs und Irene's hatte sich dem Geiste Leo^s 
wohl schon dargeboten. Das Kaiserthum musste dem Papste 
noch einen anderen Gewinn zu bieten scheinen. Karl überkam 
dadurch eine neue, höhere Verpflichtung, sich der Beschirmung 
der Kirche, und natürlich vor Allem des päpstlichen Stuhles 
zu widmen. Dieser Gesichtspunkt war derjenige, den Leo 
selbst voranstellte. ^Wir haben ihn, sagt er in einer am 
Krönungstage ausgestellten Urkunde, zur Yertheidigung und 
Erhöhung der allgemeinen Kirche heute zum Augustus ge- 
weiht.^^ ^^) Auch Karl selbst fasste das Kaiserthum so auf. 
Zudem mochte der Papst erwarten, dass der neue Kaiser, der 
sich bisher als König der Longobarden so wenig willföhrig 
erwiesen hatte, alle kirchenstaatlichen Forderungen zu bewil- 
ligen, jetzt da doch das ganze päpstliche Gebiet, wie umfang- 
reich es auch werden mochte, seiner kaiserlichen Oberhoheit 
unterstellt bleiben würde, nachgiebiger sich verhalten werde. 
Der Masse des römischen Volkes gieng der Jubelruf, mit 
dem sie ihren Kaiser begrüsste, sicher von Herzen. Vor hun- 
dert vierzig Jahren hatte man zum letztenmale in Bom einen 
Kaiser gesehen; aber an jene flüchtige Erscheinung, so wie an 
das Andenken seiner Nachfolger knüpften sich nur trübe Erin- 
nenmgen. Altrom war schon lange von der übermüthigen 
und selbstsüchtigen Tochterstadt am Bosporus nur gedemüthigt, 
mishandelt, zu der unwürdigen EoUe einer entfernten Provin- 
zialstadt herabgedrückt worden. Ehemals, so lange alle Sicher- 
heit und Hoffnung auf dem Heere ruhte, und dieses noch glän- 
zende Siege erfocht, hatte man sich in Bom die Soldatenkaiser 
wohl gefallen lassen. Aber nun war der Sieg von den byzan- 
tinischen Fahnen gewichen, nun sass ein Weib auf dem Throne 
Constantin's. Der Gedanke , dass jetzt der rechte Moment 
gekonmien sei, das alte, nie aufgegebene, nur unterbrochene 
Becht Boms wach zu rufen, musste sich Allen aufdringen. 



350 Jahrb, der histor. Clasae der k. Akad. der Wissenschaften. 

Und jetzt hatte die Vorsehung den Mann ihnen zngefShrt 
der in reicher Fülle alles besass, was einem Kaiser ziemte. 
Üs die lebendige Verkörperung der Kaiseridee^ als der zweite 
Cäsar, der, allgegenwärtig und stets schlagfertig, kam, sah 
und siegte, stand Karl vor ihnen. Wählten sie ihn, so ward 
ihre Stadt wieder die erste Metropole eines grossen Beiches^ 
so verpflichteten sie den Grewählten zum Danke ; sie aber zeig- 
ten, indem sie wieder einmal ihr Wahlrecht ausübten, der 
Welt, dass dieses kostbare Becht noch nicht verjährt sei, dass 
es auch künftig noch geübt werden könne. Jene Adels&ktion 
aber, welcher vor Allem daran gelegen war, dass kein starkes 
Kaiserthum hergestellt werde, und die Gewalt in den schwa- 
chen Händen eines Priesters bleibe, war eben gebrochen und 
eingeschüchtert. Endlich ward Karl schon seit Jahren als 
Boms Oberherr betrachtet. Bom gehört zum Besitze des 
Königs, es ist der Kopf an dem Leibe seines Beiches, das 
spricht Alkuin schon im J. 799 entschieden aus. 

Die fränkischen Grossen endlich erwogen und thaten, was 
in ihrer Lage, von ihrem Gesichtskreis aus wohl jeder erwogen 
und gethan hätte. Franken wie Bömer fühlten damals als 
Christen sich dem gemeinsamen moslemischen Feinde gegenr 
über beschimpft und erniedrigt. Die muhanunedanische Welt 
hat ihren Kalifen, ihren Fürsten der Gläubigen; wir, die 
Christen, haben kein weltliches Ob^haupt, keinen Schirmherm 
der Kirche mehr. Das christliche Ostreich ist im Sinken be- 
griffen, hat seit hundertfönfzig Jahren nur Verluste erlitten, 
muss dem Feinde der Christenheit schmählichen Tribut ent- 
richten. Im Westen dagegen ist durch die Macht der Fran- 
ken, durch das Schwert und die Weisheit KarFs die christ- 
liche Sache stark, siegreich, vorschreitend. Und nun steht 
auch Bom, die Mutter des Beiches, der alte ächte Kaisersitz^ 
unter fränkischer Botmässigkeit. Zugleich umfasst dieses neue 
Frankenreich die Mehrzahl der Länder, welche ehemals zum 
Bömerreiche im Westen gehörten. Es ist hohe Zeit, dass das 



DölUnger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen. 351 

Kaiserthum übergehe auf die Franken, denn nur sie unter den 
christKchen Nationen zeigen sich der hohen Aufgabe gewach- 
sen, und nur Karl, der Besieger und Bekehrer der heidnischen 
Völker, der Erweiterer des christlichen Gebietes, ist berufen, 
der Träger des Kaiserthums zu sein, würdig, zu der Kaiser- 
macht, die er schon besitzt, auch noch die Namen und die 
Zeichen der Würde zu empfangen. 

Diess waren nach dem Berichte des Lorscher Annalisten 
und der Beschaffenheit der Weltlage die Betrachtungen, welchen 
man damals in ßom Worte lieh. Die Ohnmacht des christ- 
lichen Ostreiches sollte wenige Jahre nachher in schlagender 
Weise sich offenbaren, als der Kalife Harun Alraschid in Ei- 
nem Feldzuge ganz Kleinasien durchzog, und bis Ueraklea in 
Bithynien vordrang, ohne auf ernsten Widerstand zu stossen, 
vielmehr den Kaiser Nikephorus nöthigte, ihm jährlichen Tribut 
zu entrichten. ^^) Wäre nicht bald nach seinem Tode das 
Kalifat durch den AbfaU der Statthalter zerrissen worden, 
Constantinopel wäre wohl schon im neunten Jahrhundert mu- 
hammedanisch geworden. 

Gewiss muss man, mehr als es bisher geschehen, die 
Macht, mit welcher die längst überlieferte religiöse Idee des 
Kömerreiches damals die Vorstellungen und Entschlüsse der 
Menschen, der (Jeistlichen vorzüglich beherrschte, in EecJ^nung 
bringen. Was konnte damals diingender, verdienstlicher er- 
scheinen, als das Unternehmen, dieses Beich, an welches die 
Geschicke der Menschheit geknüpft waren, aus der Erniedri- 
gung aufzurichten, vor der Entweihung zu bewahren, von 
dem drohenden Untergange zu erretten? Das römische Eeich 
ist das von Gott für die Aufnahme und Bewahrung der Kirche 
bestimmte Geföss ; Gott hat ihm . solche Grösse und Macht 
verliehen, damit die zur Einheit der Kirche zu berufenden 
Völker auch von einem weiten staatlichen Bande umschlungen 
seien, damit die gesanunte Christenheit unter dem Schatten 
dieses weithin ragenden Baumes ruhen könne. Und dieses Beich 



352 Jahrb. der histor. Classe der h. Akad. der Wissenscliaften. 

wird fortbestehen bis zum Ende des Zeitenlaufes als das vierte 
und letzte der grossen Weltreiche, welche Daniel dem Nebu- 
kadnezar gedeutet hat. So lautete die den Zeitgenossen KarFs 
überlieferte Anschauung. Was war natürlicher, als dass ein 
jugendlich kräftiges, siegreiches, von dem Bewusstsein seiner 
hohen Bestinmiung durchdrungenes Volk, wie das Fränkische, 
sich selbst als Träger des der ganzen Christenheit unentbehr- 
lichen Kaisertbums an die Stelle der gealterten und schwach 
gewordenen Byzantiner zu bringen strebte. Kömer, Pranken, 
der Papst einigten sich in dem Gefühle, dass die Stärke und 
Thatkraft der Christenheit nun nicht mehr im Osten, sondern 
im Westen liege, und dass sie der heidnischen wie der mos- 
lemischen Welt gegenüber eines mächtigen Oberhauptes und 
krieggewandten Vorkämpfers dringend bedürfe. Dieser konnte 
nur Karl sein, dessen Herrschaft jetzt anerkannt war von 
Barcelona bis zum Ufer der Eaab, von der Eider bis Benevent. 
Der Gedanke der Eömer und der Pranken war also nicht 
der, dass man mit Earl's Erhebung die bisherige Einheit des 
Kaiserthums aufheben, dass man zwei Kaiserthümer an die 
Stelle eines einzigen setzen wolle. Nicht ein neues abend- 
ländisches Kaiserthum neben dem östlichen sollte errichtet, 
Karl sollte nicht Nachfolger des Romulus Augustus, sondern 
Constantin's VI werden, dessen Thron seit seinem Tode erle- 
digt war, da ein Weib nicht Kaiser sein konnte. Griechisch 
würde man die Anschauung so ausgedrückt haben : Irene's 
Herrschaft sei nur eine Tyrannis, keine Basileia. Denn sicher 
hielt man damals noch an der Einheit des römischen Imperium 
fest. Wenn zwei römische Kaiserthümer neben einander mit 
gleicher Berechtigung bestanden, so war eigentlich keines das 
rechte alte Eömerreich, keiner der beiden Kaiser war der ächte 
Ifachfolger des grossen Constantin. In Rom meinte man: 
Bisher haben bald Söldnerschaaren, bald Weiber, Eunuchen 
und Höflinge über die Kaiserwürde verfugt, den Griechen und 
uns einen Gebieter gegeben, jetzt ist es an uns, unser altes 



DöUinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen. 353 

nie verjährtes Recht wieder zur Hand zu nehmen. Hatten 
doch schon i. J. 741 die römischen Adelshäupter ein förm- 
liches Dekret an Karl Martell gesandt, dass das römische 
Volk, sich lossagend von der Herrschaft des (ikonoklastischen) 
Kaisers, der seinigen sich anvertrauen wolle. '®) Wäre Karl 
Martell darauf eingegangen, hätte er sich in Italien festgesetzt, 
so wäre sicher in kurzer Frist er schon als Kaiser ausgerufen 
worden. Wollten ja damals die nicht-longobardischen Italiäner 
überhaupt einen Kaiser wählen, und ihn dann mit Waffenge- 
walt nach Constantinopel fahren. Auch jetzt wären wohl Viele 
bereit gewesen, ihrem Kaiser, nachdem er in Altrom ausge- 
rufen worden, auch nach Neurom zu folgen, und ihn dort auf 
den Thron Constantin's setzen zu helfen; aber Karl wusste 
wohl, dass er weder mit einem Heere durch Pannonien und 
Bulgarien ziehen, noch mit einer Flotte, die er nicht in der hiezu 
erforderlichen Stärke hatte , in den Bosporus einlaufen konnte. 
Niemand also dachte zuerst an ein eigenes abendländi- 
sches Kaiserthum; dass vor vierhundert Jahren zeitweilig ein 
solches existirt hatte, dass es mitunter zwei Kaiser gegeben, 
das war schon längst aus der Erinnerung der späteren Gene- 
rationen entschwunden, die gewöhnliche Vorstellung war auch 
damals schon die, dass Constantin den Sitz des Einen und un- 
theilbaren Imperiums von Altrom nach Neurom verlegt habe, 
und dass seitdem die Kaiser ihren Sitz ununterbrochen in 
Byzanz gehabt hätten. Gerade durch den Gegensatz so vieler 
auf dem ehemaligen Reichsboden entstandenen Königreiche hatte 
sich die Vorstellung von der nothwendigen Einheit desKaiser- 
thums erstrecht befestigt. Nicht nur bei allen christlichen Völ- 
kern herrschte diese Vorstellung; auch zu den Barbaren und Mu- 
hammedanem war doch ein blasser Schein davon gedrungen; 
und diesseits und jenseits dachte man sich mit mehr oder we- 
niger Bestimmtheit unter dem Kaiser ein weltliches Oberhaupt 
der gesanmiten Christenheit, welches als Träger der höchsten 
^Gewalt über allen Königen und Herzogen stehe. Darum war 

23 



354 Jahrb. der histor. Classe der k. Äkad. der Wissenschaften. 

auch der Zuwachs an Autorität, an moralischem Ansehen, den 
Karl mit dem Kaiserthum gewann, unermesslich. Zwar meinten 
seine Freunde und begeisterten Verehrer schon vor der Kai- 
serkrönung, Karl habe bereits die höchste Stufe menschlicher 
Ehre erklommen, denn wenn es drei höchste Würden in der 
Welt gebe, die päpstliche, die kaiserliche und die königKche, 
so sei doch Karl an Macht, an Weisheit und an monarchi- 
scher Würde vorzüglicher und erhabener als der Papst und 
als der Kaiser.*^) Aber das war doch nur ein dem Glück 
und den glänzenden persönlichen Eigenschaften Karl's gezoll- 
ter Tribut; nur die Kaiserwürde selbst konnte in den Augen 
der Völker ihm den Nimbus der Gewaltfülle und Oberhoheit 
verleihen, und ihm persönlich die Zuversicht, das Gefühl ver- 
leihen, dass er eine Sendung habe und berufen sei , als Schirm- 
vogt der gesammten christlichen Welt zu handeln. 

Fragen wir nun: welches Bedenken war es denn, welches 
Karl nach seiner Erklärung abgehalten haben würde, in die 
Kirche zu kommen, falls er des Papstes Absicht vorher gewusst 
hätte, so gibt Einhard die Antwort darauf; denn er fügt un- 
mittelbar bei: Karl habe den Unwillen der Eömischen (Byzan- 
tinischen) Kaiser, die über seine Annahme des Kaisertitels 
sich erbittert gezeigt, mit grosser Geduld getragen, und durch 
seine Hochherzigkeit habe er ihren Starrsinn überwunden, in- 
dem er häufige Gesandtschaften an sie geschickt, und in sei- 
nen Briefen sie Brüder genannt habe. Diesen Unwillen des 
oströmischen Kaiserhofs hatte Karl vorausgesehen; und mehr 
noch: er schien ihm selber nicht unberechtigt. Karl war eben 
auch in dem Bewusstsein erzogen worden, welches Alkuin, wie 
eben erwähnt worden, aussprach : dass die Würde eines Fran- 
kenkönigs erst die dritte in der christlichen Welt, und dass 
das Kaiserthum, welches ihr vorgehe, nun einmal seit Jahr- 
hunderten rechtmässig an das zweite Eom geknüpft sei. ^*) 
Hatte doch noch keiner der Germanischen Eroberer seine Hand 
nach der Kaiserkrone auszustrecken gewagt. Selber Monarchyi 



DölUnger: Das Kaiserthum Ka/rVs des Grossen, 355 

fühlte er das Bedenkliche, Aiimassliche des Schrittes lebhafter 
als seine Bischöfe und Grafen, und mag daher auf frühere 
Eröffnungen, Wünsche und Anerbieten, theils der Seinigen, 
theils des Papstes, zögernd und vorläufig ablehnend geant- 
wortet, oder auf die im Gange befindlichen Unterhandlungen 
mit Byzanz, deren Ausgang man abwarten müsse, verwiesen 
haben. Aber die Ungeduld der Franken und der Kömer, die 
sich eben jetzt wohl verständigt hatten, führte die Entschei- 
dung herbei, und man darf annehmen, Karl habe auMchtig 
geglaubt, sich der vollzogenen Thatsache als einer Manifesta- 
tion des göttlichen Willens unterwerfen zu sollen. Er und der 
Papst ersannen nun ein Mittel, die Sache zu einem friedlichen 
Ausgang zu leiten, und die byzantinische Anerkennung, an 
der ihm Alles gelegen war, zu erlangen. Karl war erst kürz- 
lich Wittwer geworden, und seine Vermählung mit Irene schien 
die einfachste Lösung der Schwierigkeit. Gesandte des Pap- 
stes und die seinigen gingen zusammen nach Constantinopel^ 
um die Hand Irenen's zu werben, damit, wie Theophanes sagt, 
der Occident mit dem Orient vereinigt werde •'') Damit 
wollte Karl nur jene Legitimation der Kaiserwürde erlangen^ 
welche seinem Gefühle nach ihm mangelte. Er konnte weder 
die Absicht haben, in Constantiuopel seinen bleibenden Sitz 
aufzuschlagen, um von dort aus den vereinigten Osten und 
Westen zu regieren, noch konnte er sich einbilden, dass er 
das östliche Keich vom Westen aus zu beherrschen im Stande 
sein werde. Aber er wäre nach Constantinopel gegangen , hätte 
die Vermählung vollzogen, hätte von dem Patriarchen sich 
krönen lassen,und hätte wohl vor Allem versucht, dem Kampfe 
gogen den gemeinschaftlichen muhanmaedanischen Feind — 
damals zahlte man in Byzanz dem Kalifen schimpflichen Tri-^ 
but — neue Energie zu verleihen. Mit byzantinischer Unter- 
stützung hätte er eine Flotte zu schaffen vermocht, deren Man- 
gel im Mittelmeere er sicher längst schon schmerzlich em- 
pfand. 

23* 



356 Jahrb. der histor. Glosse der k. Akad, der Wissenschaften. 

Irene würde eingewilligt haben, wenn nicht Aetius, der 
seinem Bruder den Thron verschaffen wollte, sie daran gehin- 
dert hätte, und bald darauf, während Karl's und des Papstes 
Gesandte noch in der Hauptstadt waren , wurde sie durch eine 
Verschwörung von sieben in einflussreicher Stellung befindlichen 
Eunuchen gestürzt, um dem Schatzmeister Nikephorus Saum 
zu geben. 

Der neue Kaiser des Ostens war nicht gesonnen, Karl's 
Kaiserwürde anzuerkennen, während dieser sich mit einer ge- 
wissen Aengstlichkeit um diese Anerkennung bemühte, und, um 
sie zu erlangen, eine fast demüthig zu nennende Haltung und 
Sprache annahm. 

So wechselten dreizehn Jahre hindurch Kriege und Ge- 
sandtschaften, und Karl erlebte den ersehnten Ausgang nicht. 
Nikephorus und sein Nachfolger meinten, wie Einhard sagt, 
der Frankenfürst wolle ihnen das Kaiserthum entreissen, also 
einziger Kaiser sein. Karl aber begehrte nur als gleichbe- 
rechtigter Kaiser neben dem Griechischen anerkannt zu wer- 
den. Er kleidete diesen Gedanken in das Anerbieten , ihm den 
Bruder-Titel zu gewähren, natürlich mit der Bedingung, ihn 
auch von ihm zu anpfangen. Seine Vorstellung scheint ge- 
wesen zu sein: Ein einziges Komisches Beich mit zwei Kai- 
sern, wie es bereits zwei Kaiserstädte, Altrom und Neurom, 
gab. Zwei Kömische Keiche konnte man sich eben nicht den- 
ken; das verbot die Geschichte und die religiöse Bedeutung, 
die man dem Imperium längst beilegte. In Constantinopel 
aber fühlte man, dass in der Anerkennung des neuen Kaisers 
eine Art von Selbstentsetzung liege, dass der Stern des ost- 
römischen Imperiums vor dem Glänze der im Westen neu auf- 
gegangenen Kaisersonne erbleichen müsste. Während das öst- 
liche Kaiserthum nur noch einige Provinzen des alten Kömer- 
reichs umfasste, seit zweihundert Jahren ungeheure Verluste 
erlitten, keine einzige Erwerbung gemacht hatte, und noch 
fortwährend an Boden verlor, besass Karl den grössten Theil 



DöUinger: Das Kaiserthum KarVa des Grossen. 35 7 

des Bömischen Westens, auch Spanien bis zum Ebro, die alten 
Eaiserstädte Trier, Arles, Mailand, Bavenna, Born, und weit 
tber die altrömischen Gränzen hinaus gewaltige Ländergebiete. 
Das Gefühl der Griechen hat der, wenn auch viel spätere, 
Oonstantin Manasses ausgesprochen: „So ward das alte 
Band, das die beiden Städte verknüpfte, zerrissen, wurde die 
Mutter von der Tochter geschieden, das jugendliche und schöne 
Neurom von dem runzlichen, greisenhaften Ältrom. **) 

So entstand denn ein Gewirre von sich durchkreuzenden 
Bestrebungen. Zu Byzanz wollte man gern den übermächtigen 
westlichen Nachbar zum Freunde, wo möglich zum Bundes- 
genossen haben, wollte von den italiänischen und dalmatinischen 
Besitzungen, was noch zu retten war, erhalten; man wollte nicht 
in die Lage kommen, möglicher Weise gegen drei Feinde zu- 
gleich Krieg fuhren zu .müssen, gegen den Kalifen, die Bul- 
garen und auch noch die Franken; aber man fand den von 
Karl geforderten Preis: Anerkennung seines Kaiserthums, zu 
hoch, zu gefährlich. So wechselten denn mehrere Jahre hin- 
durch diplomatische Unterhandlungen und olBfener Krieg an der 
dalmatinischen und venetianischen Küste. Karl, sagt Einhard, 
trug den Unwillen der Griechischen Kaiser mit grosser Ge- 
duld und überwand ihre Hartnäckigkeit durch Grossmuth. Sie 
ward jedenfalls erst spät und nicht vollständig oder doch nicht 
dauerhaft überwunden. Im Jahre 803 brachten die Griechi- 
schen Gesandten einen Friedensvertrag, sie wandten sich vom 
Hoflager des Kaisers nach Eom und kehrten dann nach Con- 
stantinopel zurück, aber es kam nicht zum wirklichen Frie- 
den, Nikephorus gab nicht einmal eine Antwort, und sandte 
im Jahr 806 seine Flotte zum Angriff auf Dalmatien. Im 
Jahre 809 kam es in jenen Gewässern wieder zum Kampfe, 
die Griechen griffen Comacchio vergeblich an, und die Vene- 
zianer gaben sich alle Mühe die Kriegsflanune zu nähren, da 
ein Friede sie sicher der Botmässigkeit entweder Karls oder 
der Griechen unterworfen haben würde. **) 



358 Jahrb. der histor. Glosse der k, Äkad, der Wissenschaften, 

Es scheint, dass die Griechen, um jede Anerkennung des 
Kaisertitels zu vermeiden, lieber mit Pipin, dem Sohne Karrs, 
als mit diesem selbst verhandeln wollten, denn Nikephorus 
sandte seine Botschafter blos an Pipin, und Karl war, wie er. 
selbst sagt, so begierig, einen griechischen Gesandten bei sich 
zu sehen, dass er sich nicht enthalten konnte, ihn zu sich 
führen zu lassen. Der Kaiser versichert in seinem, in einem 
auflFallend demüthigen Tone abgefassten Schreiben von 810: 
er habe schon seit 803 sehnsüchtig auf eine Gesandtschaft des 
Nikephorus gewartet, um doch endlich einmal aus der Unger 
wissheit heraus und zur Gewissheit zu gelangen; er würde 
schon der Verzweiflung sich hingegeben haben , wenn ihn nicht 
das Vertrauen auf Gott aufrecht erhalten hätte. '^) Wieder 
schickte Karl Gesandte nach Constantinopel, er trat sogar Ve- 
netien formlich an die Griechen ab, und endlich im Jahre 812 
erlebte er die langersehnte Genugthuung, dass die Gesandten 
des neuen Kaisers Michael ihn in der Kirche zu Aachen mit 
dem Titel: Kaiser (Basileus) anredeten; dafor empfingen sie 
aus seinen Händen die Urkunde eines Bündnisses, die sie dann 
zu Eom in der Peterskirche von dem Papste, zum Zeichen der 
Bestätigung, sich noch einmal überreichen Hessen. Die Abtre- 
tung Venetiens, die Aussicht auf Hilfe gegen die im Norden 
des Eeiches übermächtig gewordenen Bulgaren , und die Furcht 
vor dem Verluste der süditalischen Besitzungen scheint diese 
geringfügige, die Griechen noch immer zu keinem bleibenden 
Zugeständnisse verpflichtende Höflichkeit erwirkt zu haben. 
Karl hatte aber noch immer keine vom Kaiser unterzeichnete 
Urkunde, und um eine solche zu erlangen, ward eine neue 
Gesandtschaft nach Constantinopel geschickt: Das Schreiben 
Karl's, das diese Gesandten, Amalarius und der Abt Petrus 
mitnahmen, enthielt zum erstenmale die Phrase von „dem öst- 
lichen und dem westlichen Imperium" '^), und die Versiche- 
rung, dass Karl den Frieden zwischen beiden Beichen sehnlich 
wünsche. Also zwei Eeiche, die bald im Frieden, bald im 



DöUinger: Das Kaiserthum Ka/rVs des Grossen. 359 

Kriege mit einander stehen. Welches war denn nun das ächte, 
rechtmässige Kömerreich? So fragte man sicher in Constan- 
tinopel, und was hätten die fränkischen Gesandten erwiedem 
können? Aber Karl erlebte ihre Rückkehr nicht. 

Die Nachricht des Theophanes, dass Karl nach seiner 
Krönung zuerst einen Eroberungszug nach Sicilien zu unter- 
nehmen beabsichtigt habe, findet ihre Bestätigung in den un- 
mittelbar vorausgegangenen Ereignissen. Die wachsende Schwäche 
und Hinfälligkeit des Griechischen Eeiches und die steigende 
Macht der Saracenen auf dem Mittelmeere musste den Sicilia- 
nern klär machen, dass sie, wenn ihre schöne und fruchtbare 
Insel nicht zur Beute der Moslem's werden sollte — was dann 
seit dem Jahre 828 wirklich geschah — sich derjenigen Macht, 
welche allein sie zu schirmen vermochte, der fränkischen, in 
die Arme werfen müssten. Uebergaben sich doch auch im 
Jahre 799 die Balearischen Inseln dem Frankenkönige, um 
gegen die wiederkehrenden Angriffe und Plünderungen der 
africanischen Saracenen Schutz zu gewinnen. **) So findet sich 
denn, dass in den Jahren 795 und 797 Gesandte der Grie- 
chischen Statthalter auf Sicilien, des Michael und seines Nach- 
folgers Niketas, am Hoflager Karl's erschienen. Ihre Gesand- 
ten kamen nicht mit Aufträgen des Byzantinischen Kaisers, 
denn dieser hatte fast gleichzeitig eine eigene Gesandtschaft 
geschickt; und es wird bemerkt, dass Karl den Sicilischen Ab- 
geordneten Daniel in Aachen mit besonderen Ehren (im Jahre 
799) entlassen habe. Bald nachher, i. J. 801, flüchtete sich 
ein andrer Sicilianer, der Spatharius Leo, an Karl's Hof, und 
blieb zehn Jahre im fränkischen Reich, erst i. J. 811 kehrte 
er nach Sicilien zurück. Er war wohl so viele Jahre lang in 
der Nähe Karl's in der Hofl&iung geblieben, dass es doch noch 
zu der Sicilischen Expedition des Kaisers konmien werde. ^^) 
Karl gab aber jetzt den Plan auf, da er den Frieden mit By- 
zanz und die Anerkennung seines Kaiserthums selbst mit Opfern 
zu erkaufen entschlossen war. 



i 



360 Jährb, der histar, CUuse der k, Akad. der Wissenschaften, 

Rom war also jetzt die Metropole von EarFs Imperium^ 
der eigentliche Sitz des Eaiserthums. Weil Karl Born bereits 
besass, sagen die fränkischen Annalen, darum erschien es recht 
und nothwendig, dass er auch die Kaiser würde trage. **) Auch 
in den Augen der Franken waren es die Einwohner Roms, 
welche die Entscheidung gegeben, so gross und wesentlich auch 
der Antheil der fränkischen Bischöfe und Grafen an der Er- 
richtung des Eaiserthums gewesen war. In den kürzeren An- 
nalen der Zeit, den Salzburger, Weissenburger, Cölner und 
andern, wird daher das Ereigniss einfach als die That der 
Römer bezeichnet, als der Wahlakt des Römischen Volkes, wie 
Anskar sagt.**) Es war die Würde, mit welcher der Römi- 
sche Senat Earl erhöhte, die (am Weihnachtstage) verkündet 
wurde, so drückt sich noch um d. J. 950 Flodoard aus.**) 
Und auch das Papstbuch hebt es hervor, dass es die Gesanmit- 
heit des Volkes gewesen sei, welche ihn zum Eaiser der Römer 
eingesetzt habe. *') 

Was der Papst hiebei that, das war die Ertheilung der religiö- 
sen Weihe durch Erönung und Salbung,'mit demselben Ritus, mit 
welchem er auch Earl's Sohn, Pipin, zugleich zum Eönige weihte, 
denn eine eigene rituelle Form für die eben erst geschaffene Eaiser- 
würde zu gestalten, daran hatte man natürlich noch nicht ge- 
dacht, kannte auch kein Muster, da eine Eaiserkrönung noch nie 
in Rom vorgekommen war. Aber diese Weihung kam nun zu der 
Wahl, an der er natürlich selber als erster Römer wesentlich 
Theil genommen, hinzu, war nun das religiöse Siegel, welches 
man damals bei so wichtigen und eingreifenden Akten nicht 
missen mochte. Es war die Römische Respublica, deren Re- 
präsentanten die Bewohner Rom's, deren vornehmstes Glied 
der Papst war, die sich nach Jahrhunderten wieder einmal 
ein kaiserliches Haupt gegeben. Und dazu kam, dass die in 
Rom befindlichen Scholä oder Corporationen ansässiger Frem- 
den, der Franken, der Friesen, der Sachsen, der Longobarden, 
die den Eaiser mit ihren Bannern und Wahrzeichen schon an 



DöUinger: Dm Kaiserthum KarVs des Grossen, 361 

der Mil vischen Brücke empfangen hatten**), an dem Wahl- 
akte als die Vertreter dieser Völker Seh betheiligten. 

War nun hiemit eine üebertragung des Römischen Kai- 
serthums von den Griechen an die Franken geschehen? Diess 
ist die später aufgestellte Theorie, die aber kein Zeitgenosse 
ausgesprochen, keiner wohl auch gehegt hat. Körner und 
Franken verknüpften sicher mit dem gemeinschaftlich vollzo- 
genen Akte nicht gleiche Vorstellungen. Die Fränkischen 
Grossen meinten allerdings, dass mit Karl's Erhebung das 
„edle Volk der Franken" Träger des Kaiserthums geworden, 
dass zwischen den Franken und dem Imperium eine unauflös- 
liche Ehe geschlossen worden sei. Sie, die Franken, meinten 
sie, seien in gewissem Sinne Bömer, das heisst Träger der 
Eömischen Macht und Eechte geworden. *^) Aber es fiel ihnen 
nicht ein, anzunehmen, dass das Imperium hiemit den Grie- 
chen förmlich entzogen, dass diese von nun an davon ausge- 
schlossen seien. Man hatte aber die Lücke, das Interregnum, 
welches dem Bechte nach durch die blos thatsächliche und mit 
der Idee des Imperiums unverträgliche Regierung eines Wei- 
bes eingetreten war, benützt und ausgefüllt. Das Kaiserthum 
war an Bom geknüpft, Bom aber war in der Gewalt der Fran- 
ken, die Ausgleichung der beiderseitigen Ansprüche überliess 
man dem Kaiser. 

Wäre die Vermählung Karl's mit Irene zu Stande gekom- 
men, SO' wäre für den Moment die Schwierigkeit gelöst, der 
Conflict der Ansprüche beseitigt gewesen. Was nachher, nach 
dem Tode KarFs und Irenen's, werden sollte, darum mochte 
man sich wenig kümmern. Hatten die Griechen wieder einen 
eigenen Kaiser, so war dieser sicher weder in den Augen der 
Franken, noch in denen der Bömer ein blosser Usurpator oder 
ein unberechtigter Prätendent, sondern das eine und untheil- 
bare, aber der Verwaltung nach in zwei Beiche zerfallende 
Bömische Imperium wurde dann von zwei Imperatoren, wie in 
einer Art von Gütergemeinschaft besessen, und beide hätten 



362 Jahrb. der histor. Classe der k. Akad. der Wissenschnften, 

sich in brüderlicher Einigkeit als gleichberechtigte Mitgenosseii 
der Imperatorswürde anzusehen und zu behandeln. Später frei* 
lieh konnte man sich keinen Kechtstitel mehr denken, der den 
Griechenkaiser befähige, sich Imperator der Eömer zu nennen^ 
Zwei römische Kaiser erschienen so unnatürlich, als zwei Son- 
neu an Einem Firmamente. „Die griechischen Kaiser der 
Römer haben zu existiren aufgehört," sagte Kaiser Ludwig 11. 

Die Römer ihrerseits meinten das Kaiserthum nicht der 
Nation der Franken, sondern nur der fränkischen Dynastie über- 
tragen zu haben, meinten also nicht ihr Wahlrecht mit die- 
sem einzigen Akte für immer wieder aus der Hand gegeben 
zu haben, sondern behielten sich vor, es bei einem eintreten- 
den Entscheidungs-Momente, wie es etwa das Erlöschen einer 
Dynastie war, wieder geltend zu machen und auszuüben. Denn 
nach Ursprung, Sprache, Nationalität gehört, so sagte man im 
Westen, das Kaiserthum dem lateinischen Volksstamme, und 
dem Könige, in dessen Reiche die lateinische Sprache Ge- 
schäfts- und Kirchensprache ist, der Italien, Rom und den 
lateinischen Stamm beherrscht. 

Ich halte demnach die Ansicht von Waitz nicht für 
richtig. „Weder die Krönung, sagt dieser Gelehrte, noch die 
Begrüssung des Volkes in der Kirche haben dem neuen Kai- 
ser ein eigejitlich formales Recht ertheilen können. Nach 
einem solchen hat damals überhaupt Niemand gefragt. Das- 
Recht Karl's lag in der Macht der Thatsachen, die zu dieser 
Erhebung geführt hatten." Ich meine dagegen: dass man da- 
mals viel und lange nach dem formellen Rechte gefragt habe. 
Richtig ist zwar, dass die Zeitgenossen der päpstlichen Krö- 
nung die Bedeutung nicht beilegten, welche in späteren Zeiten 
daran geknüpft wurde, weil damals die Vorstellung von einer 
Befugniss der Päpste, über Kaiserthümer und Königreiche zu 
verfügen, noch nicht existirte. Aber man begnügte sich auch 
keineswegs mit einer blossen Begrüssung des Volkes in der 
Kirche, sondern es wurde ein, vorher reiflich erwogener Be- 



Döllinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen, 365 

schluss darüber gefasst, den dann nur die Volksmenge in ihrer 
Weise durch den Begrüssungsruf bestätigte. Die Chronik von 
Moissac zählt mit Absicht alle Handelnden so auf: DerPapst^ 
die ganze Versammlung der Bischöfe, Geistlichen und Aebte, 
der Senat der Franken, alle Senioren der Eömer und das 
übrige christliche Volk. Unter den Bömem hiess es: Nach- 
dem die Griechen das Kaiserthum erst zur Soldatenbeute haben 
herabwürdigen, und dann in den blutbefleckten Händen eines 
Weibes haben verkommen lassen, so ist das Volk von Eom 
nach dem Eechte der Devolution wieder in seine uralte Be- 
fugniss, sich seinen Kaiser zu wählen, eingetreten. Durch die 
Wahl des römischen Volkes in einer grossen Versanmilung 
von Bischöfen und andern Dienern Gottes wurde das Kaiser- 
thum auf den Gebieter der Franken übertragen, weil er sowohl 
die Stadt, welche das Haupt des Reiches gewesen, als auch 
viele andere Länder besass, weshalb er des Kaisertitels würdig 
war. So Anskar. Wogegen es sehr begreiflich ist, dass der 
Grieche Theophanes, der einzige byzantinische Zeitgenosse, 
welcher' des Ereignisses gedenkt, nur die Krönung und Sal- 
bung durch den Papst, aber kein Wort von einer Wahl oder 
Zustimmung des Volkes berichtet. Dabei erkennt man das 
Bestreben des Geschichtschreibers oder der von ihm aufgegrif- 
fenen, unter den Griechen verbreiteten Sage, das Ereigniss in 
ein schimpfliches oder lächerliches Licht zu stellen, an der 
Behauptung, der Papst habe den König vom Kopfe bis zu den 
Füssen mit Oel gesalbt, was also ohne eine unanständige Ent- 
blössung vor allem Volk in der Kirche nicht hätte geschehen 
können. Die Griechen pflegten nämlich ihre Kaiser zwar durch 
den Patriarchen der Hauptstadt krönen zu lassen, aber der 
Brauch der Salbung war ihnen unbekannt. Erst in späterer 
Zeit führten auch sie die Sitte ein, offenbar nur in Nach- 
ahmung der von den Päpsten vorgenommenen Kaisersalbung, 
welche ihrerseits wieder den Ritus von den spanischen West- 
gothen entlehnt hatten. ^^) Man dachte auch nicht dabei, dass 



364 Jahrb. der histor, Classe der k. Äkad, der Wissenschaften. 

gerade in dieser Salbung eine besondere Beziehung zur Eaiser- 
würde liege; denn zugleich wurde Karl's Sohn Pipin, den 
Hadrian schon 781 zum Könige gesalbt hatte, jetzt von Leo 
zum zweitenmale gesalbt, natürlich blos als König. 

Die fränkischen Annalen berichten, und der Biograph Leo's 
verschweigt es, dass nach der Krönung der Papst dem Kai- 
ser, sich vor ihm niederwerfend, gehuldiget habe. „Karl wurde 
nach der Sitte der alten Kaiser von dem Papste adorirt", sagt 
der Annalist. Man hat sich viele Mühe gegeben, diese Ado- 
ration zu einer blossen BegrüssungoderUmarmung zu machen,**®) 
und noch Gregorovius behauptet : „sie bestand nicht in knie- 
fälliger Verehrung, sondern nach altem Gebrauch in einem 
Kuss auf den Mund." *^) Es ist jedoch nicht zu bezweifeln, 
dass der Papst, indem er dem neuen Kaiser jene Form der 
Huldigung erweisen wollte, welche man den früheren römi- 
schen Kaisern zu erzeigen pflegte, sich vor ihm zur Erde nie- 
derwarf. Die besseren Kaiser der ersten Kaiserperiode hatten 
diess zwar nicht geduldet, aber von Caligula, von Domitian, 
vom Sohne des älteren Maximin wird es bezeugt, dass sie 
Adoration forderten, und von Diokletian, dass er es gewesen, 
der diese orientalische Sitte zum bleibenden Brauche im römi- 
schen Reiche gemacht habe. ^®) Vor der Kaiserin Eusebia, der 
Gemahlin des Constantius, pflegten auch die Bischöfe nieder- 
zuknien ; * ^) und Justinian sowohl als Theodora Hessen sich 
von jedem Besucher beide Füsse küssen.**) Seitdem pflegte 
man meist, vor den Kaisem niederfallend, ihnen die Knie, oder 
beides, den Fuss und das Knie zu küssen;*^) eine Huldigung, 
welche Kaiser Manuel sogar anfanglich von dem auf dem 
Kieuzzuge befindlichen, und natürlich darob entrüsteten Kaiser 
Konrad III begehrte. **) Die Päpste hatten sich denn auch 
dieser Sitte gefügt ; Agapet hatte es vor Justinian gethan. **) 
Und in ihrem Schreiben an die Kaiser pflegten sie die Ver- 
sicherung, dass sie kniefällig dem Kaiser sich nahten, oder mit 
gebeugten Knien ihn anflehten, nicht zu sparen. '^^) Noch im 



DöUinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen, 365 

J. 787 hatte Hadrian gegen Constantin und Irene diesen Aus- 
druck und noch stärkere gebraucht. *^) Selbst an Pipin schrieb 
Paul I : „ich bitte dich knieföUig", und Stephan that es wirk- 
lich, und blieb flehend auf dem Boden liegen , bis ihm Pipin 
und dessen Söhne die Hände reichten, ihn aufzuheben. Wahr- 
scheinlich soll der Ausdruck: Papst Leo habe Karl bei seiner 
Ankunft vor Born „mit äusserster Demuth^^ empfangen, auch 
schon eine solche Niederwerfung bedeuten. **) Ohnehin war 
damals in den Streitigkeiten über die Bilderverehrung der Be- 
griff des Wortes „Adoration" sehr sorgfaltig erörtert und auf 
fussfallige Verehrung beschränkt worden , und es ist schon da- 
rum nicht denkbar, dass die fränkischen Geschichtschreiber 
das Wort hier in einem andern Sinne genonmien haben 
sollten. *») 

Seit der Aufrichtung des Kaiserthuras wurde nun im 
Frankenreiche die den Germanen sonst so fremde Sitte herr- 
schend. Die Grossen des Beiches pflegten dem Kaiser nicht 
nur kniefällig, sondern selbst in der orientalischen Form des 
Fusskusses ihre Verehrung zu erweisen. ®®) 

Unstreitig hatte der Papst durch diesen Akt der Huldi- 
gung erklärt : Karl sei mit dem Empfang der Kaiserwürde 
zugleich sein, des Papstes, so wie Kom's Oberherr, er des 
Kaisers Unterthan geworden. Denn jetzt erst war Karl für 
Bom ganz an die Stelle des Griechischen Kaisers getreten. 
Wenn der Thron von Byzanz wieder von einem Manne ein- 
genommen wurde, musste Karl entweder als Genosse der Kai- 
serwürde und Mitregent von dem neuen östlichen Imperator 
anerkannt werden, oder die Bömer und der Papst mussten den 
letzteren für einen Usurpator erklären., welcher, da Karl als allein 
rechtmässiger Kaiser an die Stelle Irenen's getreten, kein Becht 
auf das Kaiserthum habe. Denn von der Vorstellung der 
Einheit und Untheilbarkeit des Bömischen Imperiums konnte 
man nun einmal nicht ablassen. Dieses Beich als die Vor- 
und Schutzmacht der Christenheit liess zwar zwei coUegialisch 



366 Jdhrb, der histor. Clasae der k. Akad. der Wissenschaften. 

yerbundene Kaiser zu, aber es durfte nicht in zwei geschie- 
dene und selbstständige Reiche zerfallen, deren jedes das ächte 
Eömerreich zu- sein beansprucht hätte. ^^) Karl erkannte das 
wohl, und in Born verstand man es auch, daher die päpst- 
liche Gesandtschaft an Irene. Da nun die Byzantinischen 
Kaiser sich so beharrlich gegen den neuen ihnen aufgedrun- 
genen Mitkaiser sträubten, so hätte man eigentlich, nachdem 
man das Wahlrecht Altroms wieder in's Leben gerufen hatte, 
folgerichtig bis zu der Erklärung fortschreiten müssen, dass 
Neurom sein Anrecht auf das Kaiserthum verwirkt habe. Da- 
gegen erhoben sich jedoch starke und zahlreiche Bedenken, und 
die nächste Folge wäre ein fortdauernder Kriegsstand zwischen 
Ost und West gewesen. In dieser zwitterhaften Lage nun, in 
welcher ein Schritt gethan war, den man nicht wieder zurück- 
thun, eine Institution geschaffen war, die man nicht wieder 
fallen lassen konnte, musste Rom vor Allem Ernst machen 
mit seiner Unterordnung unter den neuen Kaiser, denn die 
ganze Realität und Legalität des neuen Kaiserthums ruhte 
doch auf dem Verhältnisse desselben zu Rom, und wenn Karl 
in Rom nicht wahrhaft Kaiser, also Gebieter war, so schwebte 
sein Imperium so zu sagen in der Luft, trotz der breiten Län- 
dermasse, die er besass. Karl war denn auch keineswegs ge- 
sonnen, sich mit dem Titel und mit dem moralischen Ansehen, 
welches die höchste weltliche Würde in der Christenheit ihm 
zubrachte, zu begnügen. Nicht ohne Absicht nannte er sich 
seitdem in seinen Urkunden nicht blos „Kaiser", sondern setzte 
noch bei: „Regierer des Römischen Imperium".^*) Wo war 
dieses Imperium? Welches waren die Bestandtheile desselben? 
Nicht die Staaten, die er längst schon als ererbte oder er- 
oberte besass; er nannte sich und er blieb nach wie vor Kö- 
nig der Franken, König der Longobarden, während er den 
Patricius-Titel fallen liess. 

Als er im J. 806 seine Reiche unter seine Söhne theilte. 
ward Rom und der Römische Ducat so wenig als das Kaiser- 



DöUinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen, 367 

thum genannt. Darüber wollte Karl damals noch nichts be- 
stimmen ; entweder, weil er in jener Zeit die Würde noch als etwas 
nur ihm persönlich Gegebenes ansah, weil er ohne die Zu- 
stinmiung der Römer hierin nichts eigenmächtig thun wollte 
— und dann hätte freilich sieben Jahre später seine Ansicht 
sich geändert — oder weil er dadurch Neid und Zwietracht 
unter seinen Söhnen zu stiften fürchtete. In seinem Testa- 
mente aber steht Rom als die erste unter den Metropolen des 
Reiches. Und noch Papst Johann VIII erklärte Rom und 
das umliegende Gebiet für den Hauptbestandtheil des Kaiser- 
reichs, und mahnte Karl's Enkel: wenn er nicht dem Römi- 
schen Gebiete zu Hilfe komme, würden die Völker sagen: wo 
ist denn sein Kaiser?®') 

Viele mochten in jener Zeit erwarten: Karl werde nun 
Rom zu seiner bleibenden Residenz erwählen, einen Palast sich 
dort erbauen, und von dort aus sein grosses Reich regieren. 
Karl that diess nicht : Nicht nahe der Südgrenze des Reiches, 
sondern im Norden, dort wo die grösste Gefahr war und die 
nachhaltigste Kraftanstrengung entwickelt werden musste, nahe 
dem Sachsenlande liebte er zu wohnen. Aber Rom war doch 
einmal die heilige Stadt für die gesammte abendländische 
Christenheit, die Stadt der Apostel und Märtyrer, der heili- 
gen Gräber und Reliquien, der Sitz des vornehmsten Bischöfe 
und Nachfolgers Petri. So untergeordnet auch die Stellung 
war, welche der Papst neben dem neuen Kaiser einnahm, und 
obgleich Leo in Karl seinen Schirm vogt, seinen Richter, sei- 
nen Oberherm ehrte; beide konnten nicht luglich lange an 
demselben Orte walten ; der Papst wäre am Ende tiefer in das 
blose Unterthansverhältniss herabgedrückt worden, und hätte 
danüt in der öffentlichen Meinung mehr von seiner Autorität 
eingebüsst, als Karl selbst wünschen und gestatten durfte. 

Karl war kein blos nach Machtfalle und ungebundener 
Willkühr strebender Despot ; er besass hinlänglich den kaiser- 
lichen Sinn, die Hoheit der politischen Anschauung und das 



368 Jahrb. der histor, Classe der Jt, Äkad, der Wissenschaften, 

Yerständniss seiner 2^it, nm den Papst nicht zu einem fag* 
samen Hofbisehofe erniedrigen zn woUen. Dazu stand ihm 
die päpstliche Würde zu hoch, erschien sie ihm zu unentbehr- 
lich, wenn er auch die an den Trägem dieser Würde haften- 
den Gebrechen wohl kannte, und ihr unablässiges Fordern und 
Bitten um Länderbesitz ihm widerwärtig und lästig wurde. 

Aber eine Hauptstadt seines Beiches, und zwar die erste 
und die am meisten von ihm geehrte, beschenkte und ge-' 
schmückte, sollte Bom allerdings sein. Sein beständiger Mis- 
sus oder Legat sollte dort wohnen, und im Namen des Kai- 
sers Gericht halten, die Papstwahl überwachen, den Papst 
gegen den in Stadt und Umgegend sesshaften Adel schützen. 

Einen ganzen Winter (801) hatte Karl daran gesetzt, 
seine Gewalt in Kom zu befestigen, kirchliche und weltliche 
Dinge zu ordnen. Gemäss der Byzantinischen Sitte und dem 
Bufe des Volkes am Weihnachtsfeste, nannte er sich nun „von 
Gott gekrönter Kaiser," bediente sich aber auch, nicht ohne 
Absicht, des Ausdrucks: Kaiser durch göttliche Lenkung.**) 
Bei der vollständigen Durchdringung von Kirche und Staat 
im fränkischen Beiche erscheint jene Gewalt in kirchlichen 
Dingen, welche er schon als König übte, nunmehr durch die 
Kaiserwürde noch verstärkt und bestätigt. Alle Unterthanen, 
die das zwölfte Lebensjahr überschritten hatten, mussten ihm 
als Kaiser einen neuen Eid leisten, und sein berühmtes Capi- 
tulare vom J. 802 zeigt ihn als kirchlichen und weltlichen 
Gesetzgeber und Bichter. Der Papst schreibt an ihn als sei- 
nen „gnädigsten Herrn," und ist seines Winkes und Gebotes 
gewärtig. * ^) Vom Kaiser nach Mantua gesandt, um dort die 
Aechtheit einer angeblichen Beliquie zu untersuchen, geht, er 
von da auf Kari's Buf nach Chiersy an den Kaiserhof, und 
darf nach einiger Zeit , vom Kaiser entlassen, nach Born 
zurückkehren. *•) Paulinus von Aquileja hatte dem Kaiser 
und dem Papste die Verwüstung seines Sprengeis geklagt; 
der Kaiser verleiht ihm daher, auf den Bath des Papstes und 



^ DöUinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen. 369 

der Bi£f6höfe, sechs benachbarte Bisthümer, indem er sein, des 
Kaisers, Becht über dieselben auf den Panlinns überträgt, nnd ihn 
allein bevollmächtigt, Bischöfe in denselben einzusetzen und 
ihneh Kechte zu geben. ^'') Wäre ein an Herrscherkraft und 
Begabung gleicher Mann auf Karl gefolgt, die Kirche würde 
wohü bald den schweren Druck der staatlichen Ketten em- 
pfunden, und ihre Knechtschaft bei aller kaiserlichen Gunst 
beseuM haben. 

„Die Kirchen regieren", das war denn auch das erste, 
was Karl seinem Sohne Ludwig, als er ihn im J. 813 zum 
Genossen des Kaiserthums annahm, als seine Aufgabe be- 
zeichnete. ^^) Karl hatte auf den Bath und die Bitte der 
Grossen des Eeiches, die er alle befragt, Ludwig zu sich nach 
Aachen beschieden, und ihn zur Kaiserwürde zu erheben be- 
schlossen. Alles geschah kraft eigner kaiserlicher Vollmacht; 
weder der Papst noch die Bömer wurden befragt oder beige- 
zogen. Die Franken wollten wohl auch zeigen, dass das Kai- 
serthum nunmehr ihnen g^öre. 

Ludwig kam mit der Konigskrone auf dem Haupte in 
die Kirche, auf deren Altar sein Vater eine andre Krone hatte 
setzen lassen. Als er nun den väterlichen Mahnungen zu 
folgen verheissen, gebot Karl ihm, er solle die Krone vom 
Altar nehmen, und sich aufs Haupt setzen. Das hiess deut- 
lich: da wir, die Nation und ich, dich zum Genossen des 
Kaiserthums erkoren haben, so bedarf es keiner päpstlichen 
Dazwischenkunft mehr. Gott hat die Krone dir gegeben, 
nimm sie aus seinen Händen. Ludwig ward denn auch nach 
des Vater's Tode (28. Januar 814) ohne Widerrede im gan- 
zen Umfange des Eeichs anerkannt, und erhielt im folgenden 
Jahre Gelegenheit, sein kaiserliches Becht in Bom auch über 
den Papst geltend zu machen. Leo hatte nämlich einige vor- 
nehme Bömer, weil sie sich wider ihn verschworen, hinrichten 
lassen. Das fand Ludwig sehr anstössig, und sandte seinen 
Neffen den König Bernhard zur Untersuchung der Sache nach 

24 



370 Jahrb. der histar» Classe der Jb. Akad. der Wisaemchaften, 

Born; mittlerwefle aber erschienen drei Gesandte Leo^s am 
Hofe , den Papst wegen der ihm vorgeworfenen Verbrechen zu 
entschuldigen. ^^) Die Bömer hatten ihn nämlich beim Kai- 
ser angeklagt. Leo's korz darauf erfolgter Tod löste den Kno- 
ten. Der neue Papst , Stephan Y, liess sogleich sämmtliche 
Bömer dem Kaiser den Treueid schwören , liess sich durch 
Gesandte entschuldigen, dass er, ohne die kaiserliche Geneh- 
migong abzuwarten, sofort sich habe consecriren lassen, und 
reiste dann selbst nach Bheims, wo er (October 816) dem 
längst gekrönten und im zweiten Jahre regierenden Kaiser eine 
mitgebrachte Krone aufsetzte und ihn salbte. ^^) 

Das Kaiserthum ragte hoch hinaus über alle irdischen 
Gewalten, nirgends zeigte sich ein Nebenbuhler, nirgends noch 
ein zu fürchtender Feind. Aber Ludwig war seinem grossen 
Vater allzu unähnlich; nicht einmal seinen Söhnen gegenüber 
vermochte er die Würde und das Ansehen des Imperium zu 
behaupten. Die Ereignisse seiner Begierung versetzten der 
Kaiserwürde Schläge und Wunden, von denen sie sich, so 
lange sie im Karolingischen Hause blieb, nicht wieder zu er- 
holen im Stande war. 



DölUnger: Das Kaiserthum Karl* 8 des Grossen, 371 



Noten. 
I. 

1) Ammian. Marcell. 16, 10. 

2) Orationes, ed. Dindorf , p. 57. 17 ri/n^ {riis y€^ov<fkcf) rifjM' 
qiag id6x€i /iirj&* oriovy ^ut^piqsiv. Vergl. p. 225, die Bitte an Theo- 
dosius : er möge doch durch bessere Ausstattung des Senats mit Ehren 
und Bechten seine Stadt erst wahrhaft zu einem zweiten Rom 
machen. 

S) Im J. 410 durch den Gothenfursten Alarich , 455 durch die 
Yandalen unter Grenserich ; im J. 472 durch Ricimer, der den Kaiser 
Anthemius cum gravi clade civitatis (Marcellin. Chron.) damals töd- 
ten Hess. Dann im J. 536 durch Belisar, 546 durch Totila, 547 durch 
Belisar, 549 durch Totila, endlich 552 durch Narses. 

4) Wie Julian selbst sagt: Orat. 1, p. 14. 

5) Pro unanimitate imperü, sagt Idacius, und: Marcianus et 
Avitus concordes principatu Bomani utuntur imperii. p. 38, ed. 
Roncall. 

6) Darüber Vales. Rer. Francic 1, 204. Princeps sacratissimus, 
nennt Anthemius den Leo, dieser ihn nur Princeps Serenissimus. 

7) Die Occidentalen fühlten diese Superiorität und sprachen sie 
ans. So Sidonius Apollinaris: 

Facta priorum 
Exceperas, Auguste Leo, nam regna superstat, 
Qui regnare jubet. Melius respublica vestra 
Nunc erit una magis, quae sie est facta duorum. 

Oarm. 2, p. 6. ed. Savaron. Man sieht, er betont auch die Einheit 

des unter zwei Kaisem stehenden Reiches. 

8) Wiewohl diess Theophanes, L, 101 (p. 183 ed. Bonn.) aber 
im Widerspruch mit den älteren Angaben, behauptet, cf. Chron. 
pasch. 321. 

9) Rex gentium nennt ihn Jordanis, p. 163 ed. Closs., richtig. 
Nomen regis assumsit, sagtCassiodor. Die andern: Rex f actus est 
— levatus est rex — regiam arripuit potestatem. Keiner gedenkt 
eines neuen Königreichs Italien. Vielmehr heisst er bei ihnen Rex 

24* 



372 Jalirb. der histor. Glosse der k. Akad, der Wissenschaften. 

Gothorum , oder rex Turcilingorum. Oder sie sagen : Von ihm an 
hätten Könige der Gothen Rom besessen. £r8t Paul Diakonus, 
Ende des achten Jahrh., sagt: Totius Italiae adeptus est regnum. 

10) Sub regis Torcilingorum et Rugorum tyrannide Hesperia 
plaga nunc fiuctuat^ lässt Jordanis, p. 194, den Theodorioh sagen. 

11) Die Skiren und Rugier zählt Prokopius, Goth. 1, 1 und 
3, 2, ausdrücklich zu den Gothischen Völkern. 

12) Malchus p. 235 ed. Bonn. Das ist doch etwas Anderes, 
als was Gregorovius, Gesch. Roms I, 239. in die Botschaft des 
Senats hineinlegt: „Er (Odoaker.) zwang den Senat zur Er- 
klärung, dass das abendländische Eaiserthum erloschen — sei.^' 
Auch hat der Senat nicht gebeten, Zeno möge dem Odoaker 
,,da8 Reich Italien" verleihen; sondern xriv xSir (IzaXiay) tovii^ itphtvai 
dioixtiaiy, also nur: die Verwaltung oder Regierung der Italiäner. 
An ein Reich Italien dachte gewiss der Senat nicht, der so eben dem 
oströmischen Kaiser als seinem eigentlichen Oberherrn gehuldigt 
hatte, und der nur Odoaker als dessen Beamten aufgestellt und so 
in die kaiserliche Beamtenhierarchie eingefügt zu sehen wünschte. 

13) So muss die Angabe des Malchus, p. 236, ed. Bonn., ver- 
standen werden, sonst würde das Verfahren Zeno's in einem uner- 
klärlichen Widerspruch mit seinen Worten stehen, was denn auch 
Lebeau, Hist. du Bas-Empire, ed. de Saint-Martin , VII, '.)5^ ohne 
Noth angenommen hat. 

14) Zeno — senatu Romano et populo tuitus est, ut etiam ei 
imagines per diversa loca in urbe Roma levarentur. Anon. Vales. 663. 
Das konnte doch nur mit Zustimmung Odoaker's geschehen. 

15) Ed. Roncall p. 261. Und doch hatte dieser den Maroelli- 
nus vor sich, denn er entlehnt von ihm die Bezeichnung des Aetius 
als magna occidentalis reipublicae salus. 

16) Pati vos non credimus, inter utrasque Respublicas, quarum 
semper unum corpus sub antiquis principibus fuisse declaratur, ali- 
quid discordiae permanere, Rimaniregni uuum velle, una 

semper opinio sit. Cassiod. Var. 1, 1. Auch der römische §enat 
spricht von dem Wohlwollen, welches der Kaiser Anastasius in utra- 
que republica concordanda gezeigt habe. Epistolae R. Pontif. Romae 
1591. 1,448. Seinerseits gebraucht der Kaiser den Ausdruck: pars 
reipublicae vestra. ^ 

17) Excelsum regem, cui regen di vos potestas vel sollicitudo con- 
cessa est, sagt er in dem Schreiben an den Römischen Senat. Epi- 
stolae R Pontiflcum. Rom. 1591, I, 447. 



Döllinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen. 3T3 

18 j Maxime cum ad hoc et animus Domini nostri invictissimi re- 
gis Theodorici filii vestri raandatorum vestrorum obedientiam prae- 
cipientis accederet. ib. Es handelte sich freilich um rein kirchliche 
Dinge, die der Arianer Theodorich dem Papste mit dem Kaiser abzu- 
machen gerne überliess. 

19) Procop. bell. Goth. 2, 6, p. 170 ed. Bonn. Weder ein ge- 
schriebenes, noch ein ungeschriebenes Gesetz sei vorhanden, sag- 
ten sie. 

20) So dass Ennodius, natürlich mit rhetorischer üebertrei- 
bung, von Theodorioh sagt: Tot reges tecum ad bella oonveneruntf 
quot sustinere milites generalitas vix poterat. Paneg. Theod. 

21) Bell. Goth. 1, 1: *V^ &i ßaffdtvg aXtii^n?- Der Titel ^'ij^, den 
die Byzantiner in der lateinischen Form zur Bezeichnung eines bar- 
barischen oder germanischen Herrschers sich aneigneten (fiicaiXevc 
wird nur vom Kaiser und vom Persischen Könige gebraucht), hatt6 
die Bedeutung einer auf blosse Militärgewalt, nicht auf staatliche 
Ordnung gegründeten Herrschaft. Daher auch bei Asterius die Zu- 
sammenstellung von ^»Jl und rvQuyyog: aianSQ ty rotg nok^^uoig ttX?- 
&og ßuQßä^üjy onXi^erai^ ol ndyttg cff rov iyog yevfictri rov ^lyog, ij 
Tov tv^äyyov i'noytai. Homil. in psalm. 7. 

22) Gros. 7, 43. 

23) Magister Militum. Nur mit diesem Titel bezeichnet Papst 
Hilarius in einem Schreiben an den Bischof Leontius von Arles den 
Burgunder-König Gunderich, und den gleichen Titel gibt Sidonius 
ApoUinaris dessen Sohne Chilperich, ohne seines Königthums zu ge- 
denken. Epist. 6, 6. 

24) Gregor. Tur. 2, 38. 

25) xai yvy xä^r^yrai fikv iv tJ 'JgekaTtp roy Inntxov dytoya S-taS^ 
fjuyoi, Procop. bell. Goth. 8, 83, p. 417. ed. Bonn. Das ist der lu« 
dus Trojae, den die Römischen Senatoren- und Rittersöhne aufführ* 
ten. Sueton. Aug. 43 Virg. Aen. V, 545. 

2G) Frede gar. Chron. c. 6 ad a. 587. Coepta quidem est fraus, 
sed non processit. Das kann freilich auch heissen: die Ernennung 
sei ganz wirkungslos geblieben. 

IL 

1) Lib. Dium. p. 72. üt semper pax inter rempublicam 

et nos, hoc est, gentem Longobardorum, oonservetur. 

2) Ad dispensationem hujus servilis Italicae provinciae. Lib 
Diurn. p 20. ed. Paris. 



374 Jahrb. der histor. Glosse der k. ÄJcad. der Wissmst^ufflen. 

3) Lib. Diurn. p. 70. 

4) Ap. Cenni I, 75. 

5) Yolens (Desiderius) per hoc dilationem inferre, ne pars nostra 
Romanorom propriam consequatur justitiam. Troya Godice diplom. 
Longobardo. Y, 225. Das waren also nutzbringende Rechte oder Ein- 
künfte in den unter Longobardischer Herrschaft befindlichen Stad- 
ten^ welche nicht dem kaiserlichen Fiscus in Byzanz, sondern dem 
städtischen Gemeinwesen Roms zustanden. 

6) Schon in dem Glaubensbekenntnisse eines neugewählten Pap- 
stes, welches um das J. 690 aufgesetzt worden, heisst es : der Kaiser 
möge „una cum £delissimis et fortissimis Romanae reipublicae Italiae 
exercitibus" die Rebellen und Feinde des Reiches unterwerfen. Liber 
Diamus, ed. Paris, p. 51. Also der Kaiser einerseits und die Ro- 
mana Respublica Italiae mit ihren exercitus, d. h. ihrer städtischen 
Aristokratie andrerseits, beide gegen den gemeinschaftlichen Feind 
(die Longobarden) yerbündet. 

7) Wie Hegel meint, Ital. Städteverfassung 1, 209: „Demnach 
ist unter dem „Patriciat der Römer^^ nichts weiter zu verstehen, als 
die Statthalterschaft im Ducat von Rom u. s. w.'^ Aber ganz Recht 
hat er, wenn er sagt: Stephan habe durch die Ernennung der Frän- 
kischen Könige zu Patriciern nur mächtige Beschützer an ihnen zu 
gewinnen gehofft, die sich mit der Ehre und dem Titel der Herr- 
schaft von Rom begnügen würden. 

8) Gattola, Hist. Abbat. Cassin. p. I, sec. V. Auch Waimar 
Fürst von Salerno nennt sich in einer von Guttola abgedruckten Ur- 
kunde: Princeps et Tmperialis Patricius. Vgl. Gentili, de Patricio- 
rum Origine, Romae 1736, p. 276. 

9) A Stephano quondam Patricio et Duce omnis exercitus Ro- 
mani. Tita Zach. c. 2. Unter Gregor U war ein Spatharius, d, h. 
Offizier der kaiserlichen Leibwache, Römischer Dux. Vita Greg. 
11, c. 14 

10) So sagen die Metzer Annalen: Ordinavit secundum morem 
majorum unctione sacra Pippinum — Francis in regem et Patricium 
Romanorum Und zum Jahre 773 von Karl ebenso. 

11) Cenni Monum. 1, 521: Der Papst sagt, wie sonst immer: 
Patriciatus beati Petri, diesen habe Pipin bewilligt, und Karl bestä- 
tigt In Bezug auf die päpstlichen Rechte in den geschenkten Ge- 
bieten ist aus diesem hier offenbar nur der Parallele wegen ge- 
brauchten Ausdrucke nichts zu folgern. 

12) Storia degU Italiani. III, 88. 

13) Vita Gregorii HI, p. 55. ed. Vignoli. 



DölUnger: Das Kaiaerthum Ka/rVs des Qrossen, 375 

14) Der Ausdruck restituere oder reddere ist in den früheren 
päpstlichen Briefen vor Hadrian der vorherrschende So bei Genni 
I, 75: Ecclesiae et reipnblicae civitates et loca restitnenda con- 
^rmastis. In dem Briefe vom J. 756, Genni 1, 105, ist es der heilige 
Petras, dem Desiderius die Städte zu restituiren versprochen hat; 
bei Pipin aber wird geltend gemacht, dass das Volk nicht leben 
könne ohne den Besitz derjenigen Territorien und Städte, quae sem- 
per cum eis sub unius dominii ditione erant connexae, was zweimal 
wiederholt wird; es handelt sich also dabei nicht von einem frühe- 
ren Recht der Kirche oder des heiligen Petrus auf diese Gebiete und 
Städte, sondern von einem Anspruch des Italiänischen , nicht unter 
longobardischer Botmässigkeit stehenden Volkes, und die Städte und 
Gebiete sollen aus Bücksicht auf die Bedürfnisse dieses Volkes (der 
Respublica) dem heiligen Petrus wie ein Depositum übergeben wer- 
den. Bei Stephans Nachfolger, dem Papst Paul I, heisst es wieder: 
Die Longobarden weigerten sich, justitiam b. Petri restituere. 
Cenni 1, 137 ; dann verspricht Desiderius, Imola zu „restituiren," 150. 
Und p. 219 besteht die Beschwerde Paul's gegen Desiderius darin, 
dass er habe verhindern wollen, ne pars nostra Romanorum pro- 
priam consequatur justitiam. Hier ist also nicht die Rede von Be- 
sitzungen oder Rechten der Römischen Kirche, sondern von denen des 
Volkes, der Respublica; aber auch für diese steht damals immer der 
h. Petrus ein, und das Schreiben, in welchem Desiderius seine Rechte 
oder Ansprüche vertrat, ist dem Papst wieder ein Beweis, dass der 
König den h. Petrus nicht fürchte. Was die stets geforderten ju- 
stitiae b. Petri eigentlich seien, sagt Paul deutlicher als Stephan und 
Hadrian: es sind die „patrimonia, jura, loca, fines, territoria unsrer 
Städte der respublica Romanorum," 168 ; diese hat Desiderius endlich 
restituirt. Hier, wie in einigen andern Stellen in Stephan's Brie- 
fen zeigt sieh deutlich, dass die Päpste vor Karl's Siegen im Grunde 
als Vormünder oder Erben der Römischen Respublica Alles in Italien 
beanspruchten, was nicht zum alten Longobarden-Gebiet gehörte und 
was die Byzantiner nicht mehr zu behaupten vermochten. Pipin 
würde wohl für die Respublica allein keine grossen Opfer gebracht 
haben, aber da ihm stets der h. Petrus als Patron der Respublica 
vorgehalten, und mit diesem Namen alle Wünsche und Ansprüche 
auf Land und Leute eingeführt wurden, so war es dann der wirk- 
liche Ausdruck seiner Gesinnung, wenn er nach dem Berichte des 
päpstlichen Biographen den Griechischen Gesandten erklärte, nicht 
um den Griechen verlorene Länder zu überliefern, sondern aus Liebe 
zum h. Petrus habe er das Schwert gezogen. 



376 Jahrb. der histor. Clasne der k» Äkad. der Wissenschaften. 

15) DasZeaguisB des Papstbaches ist entscheidend for dieThat- 
Sache, dass Pipin mit der Uebergabe des Exarchats und der Penta- 
polis nicht ein geistliches Fürsteuthnm, einen Kirchenstaat gründen, 
sondern diese Länder der Fürsorge des Papstes als Vertreten der 
Kespablica im Gegensatze gegen Longobarden und Griechen anver- 
trauen wollte, und dass diess auch die Form war, in welcher der 
Papst und sein geistliches und weltliches Gefolge dem Könige ihre 
Bitte vortrugen. Der Biograph Stephan's 11 in dieser Sammlung- 
zeigt sich über die Reise des Papstes nach Norditalien und Frank- 
reich so unterrichtet, ist so genau in der Angabe der Tage und der 
Lokalitäten, dass man annehmen moss, er sei einer der Begleiter des 
Papstes auf dieser Reise gewesen, oder habe das Tagebuch eines Be- 
gleiters vor sich gehabt. £r berichtet nun, Pipin habe schon bei 
der ersten Zusammenkunft in Ponthyon eidlich versprochen, er wolle 
nach dem Wunsche des Papstes das Exarchat und die übrigen Ge- 
biete dem jus reipublicae „zurück geben/' Ed. Vignol. p. 106. 
Dass unter respublica nicht speciell der Römische Ducat gemeint 
sei, wie einige angenommen haben, ist einleuchtend, und von Sa- 
vigny und Waitz, Verf. Gesch. UI, 82 bereits bemerkt worden. In 
den Briefen werden aber gewöhnlich Petrus , die Kirche und die 
Respublica der Römer zusammen genannt, an sie sollen civitates et 
loca restituirt werden. Genni I, 74. 75. Der Senat und das Volk 
von Rom bitten im J. 757 den König zuerst um Erhöhung der 
Kirche (natürlich der Römischen) dann aber um die dilatatio hujus 
provinciae a vobis de manu gentium ereptae. p. 144. Gleich darauf 
erbittet Paul I perfectam redemtionem istius provinciae et exaltatio* 
nem ecclesiae. Hier ist wohl nur der Römische Ducat gemeint. Ein- 
mal (im J. 761) scheint Paul den Begriff der justitiae Petri sehr zu 
verengem; Pipin, sagt er, streite für die Wiederherstellung der 
Lampen des h. Petrus , nämlich für die Rückgabe der Patrimonien, 
aus deren Ertrag die Lampen unterhalten würden. Bei Stephan lY 
sind es wieder p. 287 propria ecclesiae et Romanae reipublicae, welche 
die Longobarden zurückgeben sollen. 

16) Cenni I, 379. 

17) Cenni I, 484. 487. 

18) Deutlich zeigt sich die kaiserliche Superiorität selbst im 
Exarchat in der Sache des Erzbischofs Martin von Ravenna. Als 
Papst Leo 111 ihn nöthigen wollte, sich in Rom zu stellen, um ihm 
dort gewisse Beschränkungen aufzuerlegen, schickte er erst einen 
Legaten an den Kaiser, um dessen Genehmigung zu erlangen ; dieser 



DöUinger: Das Kaiserthwm "KmVs des Chrossen. 317 

aber sandte den Bischof Johann von Arles znit der Weisung, den 
Erzbischof nach Rom zu begleiten, und ihm dort beizustehen. Diese 
bewog den Papst, den Erzbischof, der sich mit Uupässlidikeit ent- 
schuldigte, von dem geforderten Erscheinen in Born zu entbinden. 
Agnellus, bei Muratori II, 182. Schon früher, um 783, hatten die 
Ravennaten gegen den Papst an den König appelliH, und Hadrian 
erklärte, er sei es ganz zufrieden, wenn einer seiner Untergebenen 
sich, um Recht zu suchen, an den König wende. Cenni, I, Ö21. Die 
Briefe Hadrian's enthalten noch häufige Beweise der Unterordnung 
unter KarFs^otmässigkeit; Hadriän verantwortet sich wider Ankla- 
gen, unterwirft sich zum voraus den Aussprüchen Karl's, er erstattet 
Bericht über Justiz- und Lehenssachen. So erklart sich auch, worin 
man einen Widerspruch finden wollte, dass Karl nach der Versiche- 
rung des Papstes das Herzogthum Spoleti dem h. Petrus schenkte 
(Cenni 1, 341), gleichwohl aber die volle Souverainetät über das^ 
selbe fortwährend übte. 

19) Hadrian schrieb noch an die Kaiserin Irene und ihren Sohn 
ganz im Tone des Unterthans, von den kaiserlichen Briefen sagt er: 

20) Annales Lauresham. Pertz, 1, 38. 

21) Gavisi sumus — in humilitatis vestrae obedientia et in pro- 
missionis ad nos fidelitate. Bei Mansi Xm, 980. 

III. 

1) Chron. Moissiac. Pertz, I, 293. 

2) Pröjiciens se in terram sanctissimus Stephanus Papa cum uni- 
versis sacerdotibus et populö Romano, clamantesque Kyrie eleison 

cum ingenti fletu, peccasse se omnes professi sunt sicque ex 

hoc Omnibus indicta est poenitentia. Auch die Acten des Conciliums, 
welches den Gonstantin bestättigt hatte , wurden nun verbrannt. 
Concilium Lateranense, ed. Cenni, Rom. 1735, p. 10. 

3) Paulini Aquil. Opera, ed, Madrisius, p. 189. 

4) So sagt die Frankfurter Synode, sie habe sich versammelt 
praecipiente et praesidente — Carolo rege, ad renovandum cum con- 
silio pacificae unanimitatis — ecclesiae statum. Sirmondi Conc. 
Gall. n, 175. 

5) Zwei Synoden wurden auf KarPs Geheiss in der adoptiani- 
schen Angelegenheit gehalten, die eine von Hadrian, die andere von 
Leo. Von der ersteren sagt nämlich Leo vor der Synode von 799: 



378 Jahrb. der histor, Classe der Je, Akad. der Wissenschaften. 

Et olim quidem a praedecessore nostro Hadriano Papa, et ex aacto- 
ritate sedis apostolicae, ejusdem regia magni jussione synodal! tram- 
ite sab anathematis vinculo putabatar esse exstincta. Ap. Sirmond. 
Conc. Gall. II, 224. Von der andern sagt Felix von Urgel, sie sei 
praecipiente Carolo, praesente Leone Apostolico mit 57 Bischöfen zu 
Rom (799) gehalten worden. Sirmond. 226. 

6) Paulini, Opera, p. 191 u. 235. 

7) In der Rede, die der Papst bei der Kaiserkrönnng Karl's des 
Kahlen hielt, ap. Bouquet YII, 695. Da heisst es: Qni cam omnes 
ecolesias sublimasset, semper hoc erat ei in voto, semper in deside- 
rio — ut s. Romanam Ecclesiam in antiquum statum et ordinem re- 
formaret. Dabei wird denn freilich zunächst der vielen Schenkun- 
gen gedacht, die Karl dem Römischen Stuhle gemacht habe. Dann 
aber heisst es weiter: Religionis quippe statum — sacris literis eru- 
divit — erröribus expurgavit, ratis dogmatibus saginavit etc. Die- 
sen Eifer EarPs, die Kirche innerlich zu reinigen, hatte auch Al- 
kuin, epist. 84, p. 124 gepriesen. 

8) Ap. Bouquet V, 626. 

9) Ap. Bouquet V, 421: Tu regis ecclesiae (claves) nam regit ille 

(Petrus) poli. 
Tu regis ejus opes populum olerumque 

gubemas. 

10) Bouquet V, 588. 559. 

11) Lebret, Geschichte von Venedig I, 121. 

12) lila est civitas, quae adhuc sustentat omnia. Lactantius, 
opp. 1, 584. Derselbe hatte angenommen, dass das Römische Impe- 
rium nie von Rom getrennt werden könne. Besonders einflussreich 
auf die späteren Vorstellungen war Hilarius, der Verf. des Com- 
mentars über die apostolischen Briefe, den man im Mittelalter all- 
gemein für Ambrosius hielt. Er, Augustinus und Hieronymus brach- 
ten die Ansicht zur Herrschaft, dass die geweissagte defectio (2.Thes8. 
2, 6. 7.). auf die der Antichrist und dann das Ende des Weltlaufes 
folgen werde, eine abolitio imperii Romani , oder ein Abfall aller 
Völker vom Römischen Reiche sein werde. Zwei damals vielgele- 
sene Autoren, Beda und Pseudo-Prosper, der Verf. des Buches 
De promissionibus et praedictionibus Dei , befestigten die Vorstel- 
lung. 

13) Libri Carolini, ed. Heumann, 3, 14, p. 317. 

14) Es wird dem Kaiser und seiner Mutter als arges Vergehen 
angerechnet, dass sie von ihren Edicten das Wort divalia gebrauchen, 
dass sie sagen, Deum sibi conregnare, dass sie behaupteten, die Ehre 



DÖllinger: I>a$ Kaiserthum KagVß des Grossen. 379 

Gottes zu suchen und Aehnliclies. Und doch hatten die Päpste selbst 
dergleichen Ausdrücke in ihren Schreiben an die Kaiser ganz unbe- 
denklich gebraucht, z. B. Agatho in dem Schreiben an Constantin 
Pogonatus: divales apices. bei Harduin. Conc. III, 1075. 

15) Das Schreiben Hadrian's bei Mansi XIII, 759. Jaffe setzt es 
in's J. 794 — wohl erst nach der Frankfurter Synode. 

16) Die Stellen darüber s bei Grotius, De jure belli ac pacis 
ed. Cocceji, ü, 532. 

17) Gesta Abbatum Fontanell. 787. 

18) Questo era congiungere alP ambizione falsita ed ipocrisia. 
Storia d'Italia. II, 47. Ebenso Kurtz, Eirchengeschichte II, 213: 
,,Wie weit er in dieser Heuchelei gieng , ergibt sich aus Eginhard.*^ 
Vgl. Luden's D. G. IV, 413. Nicht anders die Franzosen des Mi- 
chels, Monnier, Henri Martin. Die Benedictiner Martene 
und Durand sind, so viel ich sehe, die ersten, welche, Vet. Monum. 
ampl. Coli. IV., praef. §. 1, mit Berufung auf den Johannes ^Diaco* 
nus, EarPs Benehmen als Verstellung gedeutet haben. Aber auch 
Sigonius, Daniel, Gaillard wollten nicht glauben, dassEinhard 
Wahrheit berichtet, oder Karl Wahrheit geredet habe 

19) Vorlesungen über deutsche Geschichte I, 510 ff. Er hat sich, 
gleich vielen Anderen, hierin anLorentz, in dessen Leben Al- 
kuin-s, angeschlossen. 

20) Deutsche Verfassungsgeschichte, UI, 175. 

21) Daselbst III, 170. 

22) Alcuini Opp. ed. Froben. t. I, 154 und 248. 

23) So sagen die Italiänischen Bischöfe schon im J. 794 von dem 
Ausschreiben KarPs zur Frankfurter Synode: imperii ejus decretum. 
Baluz. ad De Marca, de Goncord. IH, 177. ed. Bamberg. Und selbst 
Pipin wurde bereits Imperator genannt. 

24) Karl hatte von Sachsen aus dem Alkuin den Vorfall in Kom 
mitgetheilt. Dieser erwiedert noch 799: In KarPs Hände allein sei 
jetzt das Heil der Kirchen gelegt. Nullatenus capitis cura omittenda 
est. Levius est pedes dolere quam caput. Componatur pax cum po- 
pulo nefando, si fieri potest. Belinquantur aliquantulum minae, ne 
obdurati fugiant: sed in spe retineantur, donec salubri consilio ad 
pacem revocentur. Tenendum est, quod habetur, ne propter acqui- 
sitionem miuoris, quod majus est, amittatur. Servetur ovile proprium, 
ne lupus rapax devastet illud. Ita in alienis sudetur, ut in propriis 
damnum non patiatur. Wie viel ist an dieser Stelle seit 200 Jahren 
gedeutet und gedreht worden. Erst von Pagi, der unter dem Majus 
und dem ovile proprium das Longobardische Reich verstand, und 



380 Jdhrb, der histor, Glosse der k. Akad, der Wissenschaften. 

den Schlnss daraus zog, dass also Rom damals noch nicht zu Karl'» 
Gebiet gehört habe. Ihn hat schon Proben widerlegt, Alkuin. Opp. 
1, 118. Jüngst hat Gregorovius II, 533 sie wieder missverstanden r 
unter den aliena versteht er die „speciellen Verhältnisse zwischen 
dem Papste und den Römern, die Karl als Richter mit Vorsicht ord- 
nen sollte," der populus nefandus, mit dem Karl Frieden schliessen 
soll, ist auch in seinen Augen das Römische u s'.w. Alles unrichtig. 
Die Sache verhält sich so: 

Karl hatte von Sachsen aus, wo er sich mit seinem Heere be- 
fand, an Alkuin geschrieben, ihm das Attentat gegen den Papst ge- 
meldet, und, wie aus Alkuin's Antwort hervorgeht, geäussert, dass er- 
durch die Sächsischen Angelegenheiten ganz in Anspruch genommen 
sei, also für jetzt sich der Römischen Dinge nicht persönlich anneh- 
men könne. Eben beschäftigte er sich mit jener grossen Verpflan- 
zung Sächsischer Familien nach andern Provinzen, deren die Anna- 
listen gedenken. Alkuin stellt dagegen vor: er möge das Haupt 
(Rom und den Römischen Stuhl) nicht preisgeben; ein Leiden am 
Fusse (Sachsen) sei leichter zu ertragen, als eines am Haupte. Er 
möge daher wo möglich mit den Sachsen Frieden schliessen, und das 
festhalten^ was er schon besitze (Rom), um nicht über die Erwer- 
bung des Geringeren (Sächsischer Landestheile) das 'Grössere (Rom) 
zu verlieren; er möge die eigene Hürde vor dem Wolfe bewahren,, 
und in fremdem Gebiete (dem noch nicht fränkisch gewordenen Sach- 
sen) so arbeiten, dass er nicht am eigenen (Rom und Italien) Scha- 
den leide. Dass Alkuin so zu erklären sei, zeigt gleich der nächst» 
Brief (ed. Frohen, p. 120), wo die Sachsen ausdrücklich der populua 
nefandus genannt werden, und Alkuin wünscht, dass die Sachsen dem 
Könige doch Freiheit zur Reise gestatten möchten. 

2.5) E vestigio, bei Muratori, S.S. Ital. I, p. II, p. 812. VergL 
über ihn Tiraboschi Storia della lett. Ital. VI, 45, ed. 1834. 

26) Synod. Francof. 794, §. 58. 

27) Ap. Pertz I, 38. 306. 

28) Jaffe Regesta, 1913, p. 218. 

29) Elmacin bist Sar»acen. p. 118—123. 

30) Annales Metens. ad a. 741. Pertz 1 , 326. 

31) So Alkuin, bei Bouquet V, 612, bereits im J. 799. 

82) Imperialis dignitas et secundae Romae saecuiaris potentia,. 
sagt Alkuin a. a. 0. 

33) Es ist nur der Byzantiner Theophanes, der diess berich- 
tet, während die fränkischen Annalisten darüber schweigen; aber 
Theophanes ist Zeitgenosse, und gut unterrichtet, und da die That*^ 



DÖlUnger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen, 381 

Sache an sich wahrscheinlich ist, so ist kein Grund vorhanden, mit 
Ideler (Leben KarPs des Grossen, 1, 200) zu sagen: Die Angabe 
trage den Stempel einer Anekdote, oder deute höchstens auf einen 
Plan der herrschsüchtigen Irene. 

34) Bei Bouquet V, 398. 

35) Einh. Annal. ad a 809. Pertz I, 196. 

36) Bei Bouquet. V, 632. 

37) Alcuini opp. ed. Frohen. II, 561. 

38) Annal. Lauriss. Pertz I, 186. 

39) Annal. Einh. Pertz 1, 198. 

40) Annal. Lauresh. Pertz I, 38. - 

41) Vita s. Willebaldi c. 5. bei Pertz II, 381. 

42) Bei Bouquet V, 468: Conclamatur bonos Romanis patribus 
auctus, nämlich von der königlichen zur kaiserlichen Würde. 

43) Ab Omnibus consitutus est Imperator Romanorum. p. 254. 
Vignoli. 

44) Vita Leonia HI, p. 250. Vignoli. 

45) ^rancis Romuleum nomen habere dedi, sagt Karl bei Er- 
mold 2, 68. 

46) Deutsche Verfassungsgeschichte, III, 177. 

47) Bei den fränkischen Königen vor Pipin fand weder eine 
Krönung noch eine Salbung statt; sie wurden blos auf dem Schild 
erhoben. In Spanien dagegen heisst es von Erwig dem Nachfolger 
Wamba's im ersten Kanon der dreizehnten Synode von Toledo (681): 
regnandi per sacrosanctam unctionem suscepisse potestatem. 

48) Der alte Streit darüber ist noch im J. 1815 in Rom in eig- 
nen Schriften erneuert worden. Ein französischer Maler hatte näm- 
lich ein Gemälde von KarPs Krönung dort ausgestellt, auf welchem 
der Papst knieend vor dem Kaiser abgebildet war. Diess veranlasste 
einen Römischen Geistlichen, Santelli, ein Buch zu schreiben: 
Oltraggio fatto a Leone III e a Carlo Magno. Der Inhalt ist: ado- 
rato heisse blos: salutato. 

49) Geschichte Roms, 11, 548. 

50) Plin. Panegyr. 24. Martial. 10, 72. Jul. Capitol. 
in Maximino c. 2. — Eutrop. 9, 26. Amm. MarceU. 15, 5. — 
Aurel. Victor 39. Von Constantin dem Grossen heisst es in des- 
sen Biographie von Eusebius, 4, 57: yoyvxhyei^s i^anäaayvo. Meh- 
rere Stellen hat Godefroy zum Theodos. Codex 6, 8 (ed. Ritter II, 83) 
gesammelt. 

51) Suidas s v. Leontius. 

52) Procop. Arcau. c. 15. 



382 Jahrb. der histor. Clasae der k. Akad, der Wissenschaften. 

52) Procop. Arcan. o. 15 

53) Cons tantin. Porphyrog., de cerem. aolae Byzant. 1, 87 
beschreibt diese näher. 

54) Arnold. Lnbec. chron. Slay. 3, 10. Masco v, Comm. de 
rebus Imperii sub Conr. III, p. 204, hält Amold's Angabe für un- 
richtig, aber ohne genügende Gründe, so viel ich sehe. Das Schwei* 
gen des Cinnamus, der alle Schuld auf Konrad zu wälzen beflissen 
ist, beweist nichts, und Odo von Deuil, de prof, Ludov. VII, 3, 31, 
bestätigt vielmehr Amold's Bericht durch die Worte: Neuter pro 
altero mores suos aut fastus consuetudinem temperavit. 

55) ^0 d^uo&sig Jtov ivaeßioy vfjLoty t^vtavy heisst es von Agapet 
in dem Schreiben der Bischöfe und Mönche an Justinian, bei Ale- 
manni not. ad Procop. p. 173, ed. Bonn. *p. 467. 

56) Agatho im Schreiben an Constantin: flexo mentis poplite 
suppliciter vestram — clementiam deprecamur. Bei Harduin. Conc. 
ni, 1078. Und früher schon P. Hormisdas an den Kaiser Anasta- 
sius : Yestigiis vestris advolvor. Epistolae Pontiff. Rom. 1591. 1, 446. 

57) Tanquam praesentialiter humo prostratus et vestris Deo di- 
lectis vestigiis provolutus quaero. Was wohl Karl gesagt hätte, wenn 
er diese an einen sechszehnjährigen Knaben und an ein Weib ge- 
richteten Ausdrücke des Papstes gelesen hätte. 

58) Oocurrit ei pridie Leo Papa — et summa cum humilitaie 
summoque honore suscepit. Annal. Fr. Bouquet Y, 52. 

59) So wird z. B. in den Libri Carolini, 4, 13, p. 537 eine eigne 
Verwahrung eingelegt gegen die Identüizirung von osculari und 
adorare. 

60) Von dem Herzoge von Toulouse heisst es, als er auf der 
Versammlung des J. 801 den Krieg gegen dieSaracenen vorgeschla- 
gen; Ermold. Nigell. 1, 138: 

Poplite flexato lambitat ore pedes. 
und von Einhard auf der Versammlung von 813: 

Hie cadit ante pedes, vestigia basiat alma. 
Flexis omnes precamur poplitibus majestatem vestram, sagen die 
fränkischen Grossen. Baluz. Capitul. I, 405. 

61) Ich kann daher dem H. v. Lancizolle nicht beistimmen, 
wenn er in seiner Schrift: Die Bedeutung der Römisch -Deut- 
schen Kaiserwürde, S. 11 behauptet: „Es handelte sich um 
wirkliche Wiederaufrichtung, ja um Fortsetzung oder Aneignung 
(durch Wiederablösung von Ostrom) eines besondern weströmischen 
Kaiserthums '* Ich glaube vielmehr, dass dieser Gedanke, im An- 
fange wenigstens, allen Betheiligten ferne lag. 



DÖUinger: Das KaiseHhum KarVs des Chrossen, 383 

62) Z. B. Urkunde vom Jahre 801, bei Brunetti, Codice dipl. 
Tose, n, 382: Carolus serenissimus Augustus et a Deo coronatus 
magnus et pacificus Imperator, Romanum gubemans Imperium, qui 
et per misericordiam Dei Rex Francorum et Longobardorum. 

63) Et hanc terram, quae sui imperii caput est, ad libertatem 
reducat, ne quando dicant gentes: ubi est imperator iUius? Epist. 31, 
Mansi XVH, 29 

64) Divino nutu coronatus, in der praefatio zum Capitulare v, 
801. Bouquet V, 658. 

65) Dominus piissimus et serenissimus : auch vestra clementissima 
praecelsa regalis potentia. Hadrian hatte nur: Domno excellentis- 
simo geschrieben. 

66) Unde absolutus Romam repedavit. Annal. Fuld. bei Bou- 
quet V, 882. 

67) Append. Actor. ad Paulini Opera, ed. Madrisi, p. 259. 

68) Thegan. c. 6. Bouquet VI, 75. 

69) Astronomi vita Ludov. Bouquet VI, 98. Der grosse Auf- 
ruhr, der in der Gampagna auf die Nachricht von der Krankheit des 
Papstes ausbrach, war durch gewaltthätiges Umsichgreifen päpst- 
licher Beamten veranlasst. Man sieht diess aus der Angabe der Ein- 
hard'schen Annalen: quae sibi erepta querebantur violenter, auferre 
(statuunt). 



Das 

Kaiserthum KarPs des Grossen. 



Zweite Abhhandlung. 



EarPs Kaiserkrönung in der Historiographie 
und Publicistik des Mittelalters. 

Bekanntlich stimmen die Fränkischen Annalen and Ein- 
hard einerseits, die Römische Quelle anderseits in der Dar- 
stellung der Kaiserkrönung Karl's im Wesentlichen überein. 
Das Papstbuch verschweigt nur den Akt der Adoration, mit 
welchem Papst Leo dem eben gekrönten Kaiser huldigte. Was 
wir sonst an Annalen und Chroniken aus dem 9. und 10. Jahr- 
hundert haben, hat meist aus den Eeichs- Annalen geschöpft, 
und die Thatsache der Gelangung zur Kaiserwürde in der kür- 
zesten Form, meist als das Werk der Römer, ohne des Pap- 
stes dabei zu gedenken, verzeichnet. A Romanis Augustus 
est appellatus, sagen die Würzburger, Weissenburger, 
Fuldaer, Cölner Annalen, und gedenken der Theilnahme des 
Papstes nicht, weil man ihn nur als Vollstrecker des Römi- 
schen Volksbeschlusses handelnd sich dachte ^). 

Unter den Annalen des neunten Jahrhunderts sind es nur 
die von Xanten, welche hier abweichen. Sie sind vor 831 
unselbständig und geben nur Auszüge aus Einhard und den 
fränkischen Annalen ; hier aber mit einer nicht zu verkennen- 
den Tendenz. Die Heilung des Papstes wird als göttliches 
Wunder berichtet, und die Kaiserkrönung ihm allein zuge- 
schrieben mit demselben Beisatze : „Wie es der Brauch ist".*) 



DöÜinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen. 385 

Achtzig Jahre nach KarFs Tod überliefert uns der Mönch 
von St. Gallen bereits die sagenhafte Auffassung des Ereig- 
nisses, wie sie im Yolksmunde sich gestaltet hatte. ') Der Papst 
hat sich zuerst an den Kaiser in Constantinopel um Hilfe gegen 
seine Komischen Feinde gewendet; der Erzähler nennt den, erst 
im J. 811 zur Gewalt gelangten Michael; dieser lässt ihm 
sagen, er habe ein eignes Reich, das besser sei, als das 
Griechische, er möge sich nur selber helfen. Nun erst ruft er, 
einem göttlichen Winke folgend, Karl nach Eom, und er- 
nennt ihn zum Kaiser und Schutz vogt der Bömischen Kirche. 
Karl ninmit diese Würde nur ungern an, denn er besorgt, 
die Griechen würden, aus Furcht von ihm unterjocht zu werden, 
irgend ein Unheil gegen sein Beich anzetteln. 

Man erkennt in dieser Darstellung bereits das unbewusste 
Streben, sich die Thatsachen nach den bestehenden Vorstellungen 
zurechtzulegen, Methode in die Geschichte zu bringen. Die dich- 
tende Ausmahlung ist hervorgegangen aus dem Bedürfnisse, 
sich zu erklären, wie denn der Kaiser in Constantinopel um 
sein Kaiserthum, das ohne den Besitz Boms und Italiens 
kein rechtes Bömisches Kaiserthum mehr sein konnte, gekom- 
men, und mit welchem Bechte Karl an dessen Stelle getreten 
sei. Daher die Erfindung, dass der Papst die Griechischen 
Herrscher zuerst um Hilfe angegangen habe, um die Ueber- 
tragung des Kaiserthums an Karl durch die Pflichtversäum- 
niss der Griechen zu motiviren. 

Im westfiränkischen Beiche folgt der Bischof Ado vonVienne 
(st. 874) in seiner Weltchronik noch genau dem Berichte der 
Einhard'schen Annalen, vergisst nicht die Adoration des Pap- 
stes, die spätere Krönung Ludwig' s ohne den Papst, und hebt 
es, gleich den meisten ausführlicheren Chronisten, hervor, dass 
die Kaiserin Irene nach Karl's Erhebung noch eine Gesandt- 
schaft mit Friedensanträgen an Karl geschickt habe % was 
man dann als eine förmliche AnerkennuDg von Seite des ost- 
römischen Kaiserthums gedeutet zu haben scheint. Diess tritt 

25 



3dS Jahrb. der Imtor. Glosse der h. Akad. der Wissenschaften, 

recht deutlich bei Honoiius von Autan (um 1123) her- 
vor: da wird Karl als Kaiser der Sömer ausgerufen^ dann vom 
Papste gekrönt, und sofort machen die Griechen mit ihm Frie- 
den. B^ ihm; ist das Ereigniss durch eine dem F2q>ste vor- 
her zu Theil gewordene himmlische Offenbarung motivirt^) 
In ein^ andern lehrhaften Schrift desselben Mannes *) ist es 
der Papst, der, weil durch Constantin's Blendung das Beidai 
erledigt war, auf den Bath der Fürsten, und mit der Zustin^ 
mung des Klems und des Volkes, das Scepter des Beiches an 
Karl übergibt. 

Die erste Spur einer absichtlichen, nicht sagenhaüen Air 
terirung des Ereignisses zeigt sich indess schoK sehr Mhe^ in 
den Annalen des Fuklaischen Mönches Enhard (um 83d), 
der den aus den Einliard'scheB Jahrbüchern entlelintaL Stoff 
mit einzelnen aus den Lorscher Annalen und dem Leben E^aji's 
geschöpften Zusätzen verband. ^) Er macht, indem er den Namen 
desPapstes weglässt, die Adoration nach der Krönung zu einem 
allgemeinen Huldigungsakte der Anwesenden, während seine 
Quelle nur den Papst allein die Ad<»ration leisten lässt. Ihm hat 
dann wieder der sonst unbekannte Bibliothekar Petras naehr 
geschrieben. ^) Auch der Mönch, der im zdmten Jahrkund^ 
die Annalen von Metz zusammengetragen, und der für die 
Zeit Kaii's blos Einhard*s Annalen mit einigen Zusatz)^ aus 
Begino und den Jahrbüdiem von Moissac abgeschrieben, hat 
doch die Thatsache, dass es der Papst gewesen, der sich vor 
dem Kaiser niedergeworfen, verschwiegen.^) Besgleichen der 
Priester Magnus, der um das J, 1195 die Beichersperger 
Jahrbücher in einer gegen die Stanfischen Kaiser sehr feind- 
lichen Gesinnung schrieb. Er copirt über KarFs Kaiserkrönung 
die fränkischen Annalen wörtlich, lässt aber gleichfalls bei der 
Erwähnung der Huld^ng den Papst weg. ^^) 

Die hohenstaufisch-kaiserliche Ansicht ist wiedergegeben 
in einer (ungedruckten) Biographie Karl's, die auf Fried- 



DöUinger: Das Kaiserthwn Kaffs des Grossen, 387 

rieh's I Befehl geschrieben ward, wad afas dieser in den M ar-« 
baeher Annalen. Sie lavtet so: 

Valentinian in war der letzte der in Born residirenden 
Kaiser, naeh ihm ist dafi^ Hesperisefae Beich gefallen, nnd ist 
348' Jal^e lang Niemaffiid/ mehr Atfgastus in Born geworden 
bi9 auf KttA. Diesem Manne, iet \meiis den gmtrn^ Erd-' 
kreä mit seniem Bidime erfüllt hatte^^ übertrugt die Wkmr 
das mäcM^ B^mische' Imperiiun nnd dam noeh die Emen-' 
nnng dei» Papste». Er al^er, dorch die Bitten de» Papstes, 
alter Fürsten des Beiche» nnd aller Glros^en best^mt, liess e& 
endlich, dem WiUen €k)tte9 und de¥ Menschen nachgebend, 
geschehen, das» am der Papst weihte und kr^frte, und dasr 
Y6& ihn ab Kaiser begrösste; ^^) 

Im s€tet)fiki Gegensatze hiemit steht cBe Auffassung der 
päpstlich gemnnt^ SehrtftetelleF in der Zeit de» Ihrestitur* 
Streits; sie liegen £e Thatsache der EÜaäierkrdnung in be*- 
wusster Absieht zu ignerire». Am> auffallendsten ist diess bei 
Bonizo, Bisdiof von-Sutri, der in smen beiden Schriften **) 
nur den ersten Besuch KarKs in Born beschreibt, den tetzten 
aber verschweigt , und dien Bericht des Papstbuches , den er 
offenbar vor sich hatte, senden Zwecken gemäss verkürzt oder 
erweitert. So lässt er KarFn zuvor dem „Stellvertreter Petri" 
Treue und gebührende Ehrftircht geloben, und dann erst ihn 
zum Patricius erhöht werden. Das Auftreten Karl's in Bom als 
Bichter und kaiserlicher Gebieter sucht Bonizo dadurch zu be- 
seitigen, dass er behauptet, sein Sohn Ludwig, der bekannt- 
lich nie nach Bom kam, sei zuerst unter allen fränkischen 
Königen zur Kaiserwürde erhoben worden. 

Da Bonizo die älteren Quellen, namentlich das Papstbuch, 
und also den Bericht über die Bömischen Ereignisse des Jah- 
res 800 vor sich hatte, so ist hier berechnete Unwahrheit, und 
es ist hiebei nur zu verwundem, dass Bonizo es für möglich 
hielt, die öffentliche Meinung über die bekannteste und fol- 
genreichste aller neueren Begebenheiten irre zu führen. Er 



388 Jahrb. der kigtor. Gaste dar k, Akad, der WiseenukafUn. 

meint sogar, das rechte Bdmerreidi, wekhes nach der PanUni- 
sehen Weissagung die Ankunft des Antichrist noch aufhalte^ 
sei das Griechische, denn im Occident sei durch den Ueber- 
muth der Könige, den Stolz und Geiz der Unterthanen das 
Bdmerräch zu Grunde g^angen; Altarom sei den Barbaren 
(den Beutsdien) dienrtbar und lebe nidit nach eigenen Ge- 
setzen. Bonizo hatte sich freilich eine eig^thnmliche Theorie 
über das Eaiserthum gebildet, der die Wirklichkeit damals 
durchaus nicht entsprach. Ihm zufolge gebührt nämlich das 
Hecht, den Kaiser zu setzen, nicht etwa dem Papste, sondern 
den sieben Judices palatini, worunter er die sieben yomehm- 
sten Bömischen Geistlichen versteht. Diese regieren auch zu- 
gleich mit dem Kaiser, so dass er ohne sie nichts Wichtiges 
anordnen kann. So verwirrt waren die Vorstellungen in Folge 
des Investiturstreits geworden. Man möchte diese von einem be- 
stimmten Parteistandpunkt aus und zur Erreichung eines be- 
wussten Zieles ersonnene Theoiie die lateinisch - klerikale nen- 
nen. Sie wurde in Italien zu einer Zeit, wo die Succession 
einer Beihe von deutschen Päpsten noch in frischem Anden- 
ken war, au%estellt. Man sieht aber, dass Bonizo nicht rei- 
ner Gregorianer war. Eine römisch-geistUche, den Kaiser und 
zuletzt doch auch den Papst beschränkende und bevormun- 
dende Aristokratie, wie sie Bonizo träumte, war nicht das 
Ziel, das Gregor erstrebte. 

Fragt man, wie Bonizo zu der seltsamen Behauptung ge- 
kommen sei, dass das Römische Beich, das doch damals noch 
ein so starkes und umfangreiches Beich war, im Occidente zu 
Grunde gegangen sei, und das rechte Bömerreich nur in Con- 
stantinopel bestehe, so ist der Grund dazu in der damaligen 
Lage und in den Tendenzen seiner Partei leicht zu erkennen. 
Dass einem rechten Bömischen Kaiser die höchste Gewalt in 
Bom zustehe, dass ein solcher, der in Born selbst nichts ?u 
sagen habe, jeder Gewalt in seiner Metropole entkleidet sei, 
ein Unding sei,, war damals noch immer die herrschende An- 



DöUinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen. 389 

sieht. Darum sollte das ßömerreich im Occident untergegan- 
gen sein, damit es ausser der geistlichen Aristokratie in Born 
keine Autorität dort gebe. Theologisch musste diese Ansicht, wenn 
man sich nicht, wie Bonizo, mit dem Fortbestande des Bömer- 
reichs im Oriente beruhigen wollte, zu der Behauptung fahren, 
dass also der Antichrist und das Ende der Dinge allemäch- 
stens hervortreten werde, dass der Antichrist wohl schon ge- 
boren sei , was denn auch der Bischof Banieri von Florenz 
(zwischen 1071 und 1080) behauptete. Ihn widerlegte Bo- 
nizo's und Hüdebrand's grosser Gregner, der Erzbischof und 
nachherige Gegenpapst Wibert von Eavenna. Die Widerleg- 
ung besteht in der Ausfahrung, dass das Bömische von den 
Deutschen getragene, von dem grössten Theil Italiens aner- 
kannte Beich noch in voller Kraft bestehe, dass AUes dem 
Kaiser (Heinrich IV) gehorche, und dass namentlich Eom, 
trotz des turbulenten Treibens der dortigen Faktionen, doch 
zum grössten Theile ungetheilt, und dem Einen Kaiser unter- 
worfen bleibe. Also sei der vom Apostel vorausgesagte Ab- 
fall vom Bömerreiche, der der Erscheinung des Antichrist vor- 
hergehen müsse, keineswegs eingetreten. ^') 

Bei Bonizo's Zeitgenossen, dem kaiserlich gesinnten Bi- 
schof Wältram von Naumburg, sind es naturlich die Bö- 
mer, welche Karl'n als Kaiser ausgerufen und ihn durch die 
Hände des Papstes Leo gekrönt haben. Sie waren nämlich, 
sagt Waltram, der Gesinnung nach schon vorher von dem 
Griechischen Kaiser abgefallen, da er ihnen keine rechtzeitige 
nnd wirksame Hilfe gegen die Tyrannen (das sind wohl die 
Longobardenkönige) leistete, und benützten nun die Gelegen- 
heit, die die Herrschaft eines Weibes ihnen gerade darbot. 

Altrom, als die Mutter, sagt der Bischof, schrieb der 
Tochter, Neurom, den Scheidebrief, als die dortigen Kaiser 
häretisch oder selbst Verfolger der katholischen Kirche wur- 
den, und erwählte sich an den Gallischen und Germanischen 
Völkern bessere Söhne. ^*) Also die Stadt hat Alles gethan, 



390 Jahrb, der histar, Glosse der k. Akad. der Wissenschaften, 

der Papst handelte, als er den widerwilligen Sari zor An- 
nahme bewog, nur nach dem Willen der Stadt. 

Sein Zeitgenosse, der gleichgesinnteSigebert von Qemb- 
loux, der seine vielbenützte nnd lange als Autorität geltende 
Chronik um das J. 1106 schrieb, stellt ebenfalls das Ereigniss 
ganz als die That der Sömer hin, als deren Werkzeug der 
Papst handelt. Die vorausgegangene Abkehr der Gesinnung^ 
die Benützung des in der Weiberherrschafb liegenden Sechts- 
grundes erwähnt er wie Waltram. ^^) Ihm sind im 13. Jahr- 
hundert Helinand^^) und Alberich") in ihren Chronik- 
Compilationen gefolgt. Der erstere bemerkt, dass damals das 
ßömische Beich von Constantinopel abgesondert worden sei. 

Anders stellt sich der mit Sigebert und Waltram unge- 
&hr gleichzeitige Abt Hugo von Flavigny, der sich be- 
reits von der Gregorianischen Partei losgesagt, und der Ge- 
genseite angeschlossen hatte, die Dinge vor. Bei ihm ist es 
Karl selbst, der handelt, er nimmt den Eaisertitel an, und 
weder Papst noch Eömer werden dabei erwähnt. ^*) 

Der in Deutschland lebende Irische Mönch Marianus, 
und sein Zeitgenosse Lambert von Hersfeld, die beide unbe>- 
fangen schrieben, sagen einfach : Karl sei von den Bömem zum 
Kaiser ausgerufen worden. Auch der Abt Ekkehard von 
Aurach folgt in seiner Chronik (um 1106) den Lorscher und 
Einhard'schen Annalen, und erwähnt daher auch die päpst- 
liche Huldigung. Ist ^s Zufall oder Absicht, dass er den 
Papst Karin nicht nur krönen, sondern ihn förmlich als Kai- 
ser verkündigen lässt?(imperatorempronunciavit). Eigenthüm- 
lich ist ihm die Annahme, zu welcher er offenbar nur durch 
die Ereignisse seiner Zeit geführt worden ist: die Veranlas- 
sung des Bömischen Aufruhrs gegen Papst Leo sei gewesen, 
dass die Bömer sich Rechte des Kaiserthums hätten aneignen 
wollen, und Leo ihnen widerstanden habe. ^^) Die Darstell- 
ung Otto 's von Freisingen, der den Ekkehard vielfach be- 
nützt hat, gleicht auch hier der Ekkehard'schen , nur dass sie 



BöUinger: Das Kaiserthum KwiVs des Grossen. 391 

kürzer ist. Wenn Ekkehard sagt : das Bömische Imperinm sei 
von Constantin d. Grr. bis dahin bei den Kaisern der Griechen 
geblieben, jetzt aber anf die frankischen Kaiser durch Karl 
übergegangen, so setzt Otto dafür: in Constantinopel sei es ge- 
wesen, und nun auf die Franken (also auf die Nation) über- 
gegangen. *®) Sein Zeitgenosse, der Mönch von Weingar- 
ten (um 1188), gebraucht, einer der ersten, das Wort: Trans- 
lation, ohne jedoch dem Papste die üebertragung zuzuschrei- 
ben, und geht weiter als Ekkehard und Otto: in Constantino- 
pel, sagt er, ist nur ein „Regnum", eine Herrschaft mit dem 
blossen Namen des Imperiums geblieben.*^) Auch in den 
Strassburger Annalen, in der freilich spätem Compilation, die 
Urstisius hat**), sind es die Römer, welche dem schon welt- 
berühmt gewordenen Karl das „mächtigste Römerreich, nebst 
dem Rechte den Papst zu ernennen, übertragen'*. 

Die Vorstellung, dass es der Papst gewesen sei, welcher 
vermöge seiner Machtfiille das Kaiserthum in Rom wieder auf- 
gerichtet und an Karl verliehen habe, ist vor der Decretale 
von Innocenz III doch nur ein paarma^l zur Sprache gekommen. 
Zuerst bei dem Bischöfe Wido vonFerrara um 1080, der, als 
Anwalt Gregorys VII, zur Rechtfertigung des von diesem Papste 
gegen Heinrich IV gethanen Schrittes auf zwei Fabeln sich 
beruft : erstens : schon Papst Xistus habe die Kaiser. Valenti- 
nian und Honorius excommunicirt und der Kaiserwürde ent- 
setzt. Zweitens : Papst Stephan habe Karl nach Rom geführt, 
habe den König Desiderius abgesetzt und Karl dann zum Kai- 
ser gemacht. *^) Wido glaubte diese Dioge wohl selbst nicht, 
hatte sie aber von Gregorianern, scheint es, gehört, und führte 
sie an, seinem Standpunkte gemäss, das Für und Wider in 
dem grossen Kampfe unparteiisch darzustellen. 

Ei'nstlicher war die Aeusserung des Bischofs Arnulf von 
Lisieux gemeint, als er vor der Synode zu Tours im J. 1163 
erklärte: der Kaiser habe eine ganz besondere Verpflichtung^ 



392 Jahrb. der hUtar. Oane dar k. Akad. der WU9emxkaftem. 



die Kirche als Herrin aiiziieifcaiiie&« dam nach dem Zeug- 
nisse f^ter Geschichten^^ hätten sdne Vorgänger das Reich 
einzig dnrch die Gnade der Bdmisdien Kirche empfangen, 
könnten also anch nur so riel Eecht sich beilegen, als die 
Gunst des Verieihers ihnen übertragen habe. *^) Arnulf hatte 
kanonisches Recht in Italien studirt, und die seit kurzem dort 
aufgekomm^e Theorie sich angeeignet, wie sie erst zwei Jahre 
vorher der Cardinal Roland vor den erstaunten Deutschen an- 
gedeutet hatte, derselbe Roland, der jetzt als Papst Alexan- 
der m auf der Synode den Vorsitz führte. Es war die Zeit 
der Erbitterung, wie sie damals von Franzosen und Englän- 
dern über das eigenmächtige und selbstsüchtige Verfahren des 
Deutschen Kaisers mit dem päpstlichen Stuhle empfunden 
wurde, und man ergriff im Westen begierig Alles, was sich 
als Waffe gegen die Ansprüche Friedrich's darbot. Doch 
währte es noch geraume Zeit, bis diese Theorie, die in Rom 
und Bologna von dortigen Juristen erdacht worden war, auch 
in die Geschichtsbücher eindrang. 

Man siebt, dass, wenn schon der Investiturstreit nicht 
ohne Einfluss auf die historische Darstellung geblieben war, 
diess seit der Mitte des zwölften Jahrhunderte bei den Bewe- 
gungen und Ansprüchen, die nun in Rom erwachten, und den 
entgegengesetzten, die von kaiserlicher und deutscher Seite sich 
geltend machten, noch mehr der Fall sein musste. Arnold 
von Brescia hatte den Römern nicht nur Freiheit von der 
weltlichen Papstmacht, sondern auch ihr angestammtes, unver- 
äusserliches Recht auf das Kaiserthum und die Kaiserwabi mit 
Erfolg gepredigt. Der Amoldist Wetzel hatte dem deut- 
schen Könige geschrieben : Das Kaiserthum und der Kaiser ge- 
höre den Römern, nicht aber die Römer dem Kaiser. *5) 
Andrerseits hatte ein Cardinal und Legat vor dem Kaiser 
und den deutschen Fürsten das Wort fallen lassen: „Von 
wem anders, als vom Papste hat der Kaiser das Imperium?'' 
Die Namen Karl's und Leo's sind in den damaligen Akten- 



DoHinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen, 393 

stücken, so viel ich sehe, nicht genannt ivorden, aber die 
Chroniken blieben nicht unberührt von der Streit&age. 

Der Erzbischof Eomuald von Salemo (um 1180) be- 
gnügt sich noch, den fränkischen Annalen genau und unbe- 
fangen nachzuerzählen.^^) Aber seine Zeitgenossen, Sicard 
Bischof von Cremona *^), und der deutsche in Viterbo lebende 
Priester Gottfried**), der erstere wohl durch den letzteren 
verleitet, haben das Ereigniss mit tendenziösen Fabeln ver- 
brämt. Man erkennt leicht, dass die damals wieder stärker 
hervorgetretenen Ansprüche der byzantinischen Kaiser, der Ver- 
such des Kaisers Manuel, das abendländische Kaiserthum durch 
den Papst mit dem Griechischen wieder zu vereiijiigen , hier 
von Einfluss gewesen sind. Karl, heisst es hier, beschliesst 
die Weltkrone an sich zu nehmen, und vom Papste sich 
salben zu lassen. Das Komische Volk unterwirft sich ihm. 
Aber er meint, noch nicht rechter Kaiser zu sein, so lange 
der Kaiser zu Neurom das Kaiserthum ihm nicht abtritt, und 
rüstet sich, das Griechische Keich anzugreifen. Der dortige 
Kaiser aber, erschreckt, schliesst mit Karl einen ewigen Frie- 
den und einen Bund wechselseitiger Vertheidigung und Ge- 
währung des Brudemamens, so dass der Griechische Kaiser 
den Orient und Constantinopel, Karl und sein Nachfolger Bom 
und den Occident besitzen sollen, worauf Karl über Constan- 
tinopel nach Jerusalem, und von dort über Calabrien und Apu- 
lien wieder nach Bom zieht. *^) Also die vollste dem occi- 
dentalischen Kaiserthume von Byzantinischer Seite gezollte 
Anerkennung in Geschichte gekleidet. 

Ganz anders die drei Engländer, Simeon Mönch in 
Durham (um 1130), Orderic Vitalis Mönch in der Nor- 
mandie (um 1140), und Gervasius von Tilbury am Hofe 
des Kaisers Otto in Deutschland (um 1210). Alle drei kom- 
men überein, dass Karl durch ein Eömisches Plebiscit zum 
Kaiser erwählt worden sei. Bei Simeon ist es das gesammte 
Eömische Volk, welches ihm die Würde eines Kaisers des 



394 Jährb, der histor. Classe der h, Äkad, der Wissenschaften, 

ganzen Erdkreises überträgt; der Papst aber legt ihm den 
Purpur an und drückt ihm den Scepter in die Hand. ^®) Or- 
deric und Gervasius lassen Papst und Yolk gemeinschaftlich 
die Wahl treffen. Bei Orderic fassen Papst, Senat und Volk 
in ausfohrUcher Berathung über die Lage der BespubUca den 
Beschluss, das Joch der Byzantinischen Kaiser abzuwerfen; 
denn diese Kaiser waren bald häretisch, bald nicht rechtmäs- 
sig vom Volke gewählt, sondern hatten den Thron durdi 
Mord des Vorgängers oder ihrer Veoi^andten usurpirt, auch 
vermochten sie die Hälfte des Beiches nicht gegen die Barba- 
ren zu schirmen.'^) Gervasius beruft sich, gleich den Zeit- 
genossen Karl's, auf die durch Weiberherrschaft eingetretene 
Erledigung des Throns, damit sei aber, meint er, das Kömi- 
sche Eeich in eine arge Verwirrung gerathen, da zwei Herr- 
scher den gleichen Titel führten, und ihre Macht durch die 
Theilung geschwächt sei. Da er als Beamter des durch In- 
nocenz III erhobenen Kaisers Otto schon ganz unter dem Ein- 
flüsse der in Eom recipiiten Theorie steht, so schildert er da- 
bei, in welch einer besseren Lage der Griechische Kaiser sich 
befinde, der seine Würde und ungetheilte Machtfülle nur von 
Gott habe, während der abendländische sie nur als eine Gabe 
des Papstes hinnehmen und betrachten müsse, und nicht ein- 
mal die kaiserlichen Insignien bei seiner Krönung empfange, 
die der Papst für sich behalte. Dieses Unheil hat, wie Ger- 
vasius beifügt, die Constantinisehe Schenkung verschuldet.**) 

Von der Anerkennung des Griechischen Kaisers sagt Ger- 
vasius nichts, wogegen Orderic gleich den meisten Chronisten 
den Nikephorus sofort mit Karl Friede schliessen lässt, Simeon 
aber, um die Sache noch anschaulicher zu machen, zugleich 
mit der Krönung eine Gesandtschaft aus Constantiuopel in Eom 
eintreffen lässt, welche Karl'n förmlich bittet, er möge ihr 
Beich übernehmen. 

Zwei andere Englische Chronisten, beide dem Ende des 
zwölften Jahrh. angehörig, Eoger de Hoveden®*) und 



DöUinger: Das Kaiserthum KwrVs des Grossen, 395 

Eadulf de Diceto'*), berichte gleichfells die Erhebung 
KarFs als die That des Bömischen Senats oder Volkes, in 
dessen Auftrag der Papst die Geremonie verrichtet hat. Auch 
in der Chronik Kichard's von Poitiers, Mönches zu Cluny 
um 1160, ist Karl von dem Papste und di»m ganzen. Volke 
als Kaiser eingesetzt worden. '^) Das Orientalische Beich, 
sagt Bichard, war &st auf nichts heral^ekommen , nur den 
Namen des Kaiserthums hatte man noch in Byzanz bewahrt ; 
da richtete Karl dajs abendländische Imperium auf. — Die 
Chronik von Tours, verfasst im Beginne des 13. Jahrh. 
von einem dortigen Kanonikus, gibt, den fränkischen Annalen 
sich anschliessend, die Krönung, die Adoration des Papstes 
4md das üebrige, und fügt nur die Bemerkung bei: von da 
an hätten die Kaiser zu Constantinopel nur noch Kaiser der 
Griechen geheissen. '^) 

Ganz vereinzelt steht der, freilich erst der zweiten Hälfte 
des 14. Jahrh. angehörige dritte Chronist der Belgischen 
Abtei S. Tron. Er pflegt sonst dem Sigebert nachzuschrei- 
ben, hat aber über das Ereigniss des J. 800 seine eignen An- 
sichten. Karl hat nämlich, wie er weiss, die Irene des Kai- 
serthums entsetzt, dann haben sie die Bömer verbannt, und 
das Bömische Imperium von, Constantinopel wieder losreissend 
sich in Karl wieder einen Kaiser gegeben. ^^) 

In Italien stützten sich seit dem 13. Jahrh. die Theorien 
der Weifen sowohl als der Gibellinen auf den Wahlakt, wel- 
chen das Bömische Volk durch Karl's Erhebung zur Kaiser- 
würde vollzogen habe. Dante und die Gibellinen mit ihm 
wissen nicht anders, als dass damals die Weltmonarchie 
von der rechtmässigen durch göttliche Verleihung in den Be- 
sitz derselben gekommenen Autorität, dem Bömischen Volk, 
frei und direkt auf Karl und sein« kaiserlichen Nachfolger 
übertragen worden sei, während die Guelfen meinten: das Bö- 
mische Volk habe durch die Vermittlung des hiezu von ihm 
delegirten Papstes das Wahlrecht den deutschen Fürsten über- 



396 Jahrb. der hisior, Glosse der k, Akad. der Wissenschaften. 

geben. Wenn man die Autorität des Papstes oder des Vol- 
kes hierin läugne, sagt Matteo Villani, so bleibe die kai- 
serliche Macht blosse Thatsache, Becht der Grewalt ohne recht- 
liche Orundlage. 

Der Florentiner Giovanni Villani weiss den formell 
wohlgeordneten Hergang anschaulich zu machen: der Papst 
hält mit seinen Gardinälen ein Concilium, auf welchem gemäss 
dem Willen der Bömer das Imperium Bom's den Griechen ab- 
genommen, und Karl seiner Tugenden wegen zum Kaiser er- 
wählt wird , so dass nun auch der Griechische Kaiser seiner 
„Signoria" unterstellt ist. 

Indess war um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts jener 
öfter schon bemerkte Verfall des historischen Sinnes und geschicht- 
lichen Verständnisses eingetreten, -der sich denn auch in der Be- 
handlung der Geschichte Karl's und der An&nge des Kaiser- 
thums äusserte. Das Ereigniss in Bom ward nun immer mehr 
entweder als unbedeutend oder unverstanden übergangen , oder 
es ward phantastisch ausgeschmückt, oder in bestimmter Ten- 
deij? verzerrt. 

Auffallend ist es, dass gleich die umfassendste historische 
Compüation jener Zeit, der Geschieht- Spiegel des Vincenz 
von Beauvais die Aufrichtung des Kaiserthums nicht einmal 
erwähnt. Nur mit Sigebert's Worten wird kurzweg gesagt, 
Karl sei erster fränkischer Kaiser gewesen; um so ausführ- 
licher werden die Sagen aus dem Karolingischen Dichtungs- 
kreise als Geschichte erzählt. Scheinbar ebenso gedankenlos, 
in der That aber nicht ohne Absicht, verfährt Martinus 
Polonus. Sowohl in dem Artikel über Karl als in dem über 
Leo wird der Vorgang zu Bom verschwiegen. Bei ihm hat 
dieses Verschweigen einen ähnlichen Grund wie bei Bonizo. 
Und doch wurde seine Schrift das Lieblingsbuch, das klas- 
sische Geschichtscompendium für den Klerus des 14. und 15. 
Jahrhunderts. 

Bicobald von Ferrara (um 1312) hat gleichfalls sein 



DÖÜinger: Das KaiserÜhum KarVa des Grossen, 397 

System. '^) Das Bömiscbe Beich ist als viertes Weltreich auf 
das Assyrische, Griechisch-Macedonische und das Carthagische 
gefolgt. Um die Barbaren des Orients besser abwehren zu 
können, haben die Kaiser ihren Sitz in die Thracische Stadt 
Gonstantinopel verlegt. Da sie aber den von den Longobarr 
den bedrängten Bömern keinen Beistand geleistet, so haben 
diese mit Zustimmung des Kaisers Gonstantin (diess wird zwai- 
mal versichert) und durch die Handreichung des Papstes daa 
Beich getheilt, und sich im Beiche des Occidents , welches das 
Beich der Bömer heisst, einen Kaiser geschaffen. Dieses oo* 
cidentalische Beich ist nun das vornehmere, denn das Bömiscbe 
Volk und der Senat haben es aufgerichtet; der Kaiser stutzt 
sich also auf die Autorität des Bömischen Volkes, des Senates 
und des Papstes. 

So ohngeföhr, nur päpstlicher gefärbt, lautet auch die 
Ansicht des Brescianer Arztes Malvezzi, der ein Jahrhun- 
dert später (um 1412) seine Chronik schrieb. Da die Lebens- 
kraft des Bömischen Kaiserthums unter Nikephorus verdorrt 
war, Karl aber die Bechte des Papstes und die Stadt Bom 
wiederhergestellt hatte, theUten die Bömer das Beich und 
schufen einen westlichen Kaiser, damit der Papst durch das 
Schwert desselben häufige feindliche Anfälle abzuwehren im 
Stande wäre. '^) 

Von entscheidendem Einflüsse auf die Mehrzahl der spä- 
teren Chronographen, vom 13. Jahrhundert bis in's 16. hinein, 
wurde die berühmte Decretale des Paptes Innocenz III. Da- 
durch, dass sie aus der Instruction für seine Legaten vom J. 
1201 später in die Decretalensammlung überging, verhalf sie 
der zum erstenmale von ihr bestimmt ausgesprochenen päpst- 
lich-theologischen Ansicht für geraume Zeit zum Siege. 

Der Papst baute hier alle seine über das Beich, die 
deutsche Königs wähl und das Kaiserthum in Anspruch genom- 
menen Befugnisse auf die angebliche Thatsache, dass der päpst- 
liche Stuhl das Imperium von den Griechen auf die Deutschen 



398 Jahrb. der histar, Claaat der k, Äkad. der Wissenschaften. 

in der Person EarFs überkagen habe. Schon im J. 12Q0 
hatte er in der Instruction an den Eärzbischof Eonradf von 
Mainz erklärt ^^), es sei bebannt, dass das Eaiserthum ver- 
zugsweise und vermög«> des entscheidenden Fromotionsaktes^ 
nämlich der päpstlichen Bandauflegung^^), der päpstlichen 
Yerfögung unterstehe ^ da es* durch den Papst und wegen des 
Papstes r zu dessen Yertheidigung nämlich, aus Griechenland 
transfi»:^ wordlen sei. 

So lange die Denkschrift dieses Papstes noch nicht Be- 
standtheil der Dekretalensammlung geworden war, übte sie 
auf die geschichtliehen Darstellungen, so viel ich sehe, noch 
keinen Einfluss. 

Erst nach der Mittle des 13. Js^hunderts, und bes(mders 
seitdem sie in der Glossa ordinaria des Bernhard von Parma 
(um 1260) commenthrt worden war, dient sie den Chrono- 
graphen und denen, die im päpstlichen Sinne die Beziehungen 
zwischen Kaiserthum und Psi^pstthum erörtern, als Autorität 
und Markstein. 

Unter dem mächtigen Einflüsse der Glosse muaste 
nun die Geschichte geändert die Translation in eine viel 
Mhere Zeit, als das Jahr 800 versetzt werden. Der Glos- 
sator sagt nämlicb: „Man liest in den Chroniken, dass 
die römische Kirche, von Aistulf bedrückt. Hülfe von den Kai- 
sern Constantin und Leo in Constantinopel begehrte, und da 
diese sie nicht leisten wollten, so übertrug Papst Stephan 11 
im J. 766 (soll wohl 756 heissen) das Kaiserthum auf Karl 
Pipin's Sohn; und 15 Jahre später (also im J. 781) wurde 
er von Leo III gekrönt.*' 

Wenn diese Glosse von Bemard von Parma herrührt, so 
ist sie wohl um die Jahre 1260 bis 1265 geschrieben worden, 
ich weiss aber keine „Chronik" anzugeben, aus welcher er diese 
merkwürdige Geschichtsumstellung geschöpft haben könnte. 
Sie ist sicher nicht von einem einfachen, unbefangenen Chro- 
nisten erfunden worden, sondern von einem Juristen, welcher 



Doüinger: Das Kaiserthum KarVa des Grossen. 399 

der neuen Translationstlieorie damit zu Hilfe kommen wollte. 
Alle Historiker, die ich kenne, haben, wie mir scheint, nur 
durch die Autorität der Glosse in Verbindung mit der Dekretale 
sich bestimmen lassen, die Tnmslation dem Papste Stephan 
zuzuweisen, und in das Jahr 765, oder vielmehr 756, zu ver- 
setzen. 

Es handelte sich nämlich darum, einen den damaligen 
Vorstellungen entsprechenden Bechtsgrund au&ufind^, der dem 
Papst bestimmt haben könnte, einen so beispiellosen Akt obeiv 
ster Machtfölle, als welchen die Uebertragung des Kadserthums 
sich darstellte, zu vollbringen. Innocenz glaubte, wie man aus 
seinen Schriften sieht, an die Constanünische Schenkung , und 
sein Vorgänger Leo IX hatte bereits im Jahre 1054 in seinem 
doctrinellen Sendschreiben an den Patriarchen Michael von 
Gonstantinopel^^) erklärt, Constantin der Grosse habe vorlängst 
dem Silvester und allen folgenden Päpsten Alles gegeben, 
was er vorher von Gott empfangen, nämlich die kaiserliche 
Gewalt und Würde nebst den Insignien, so dass der Bömische 
Stuhl das irdische Imperium so gut besitze, wie das himmlische* 
Ob Leo wirklich meinte^ Constantin habe abgedankt, und den 
Papst statt seiner zum Universalkaiser des Orients und Ocd- 
dents eingesetzt, ist nicht klar. Sicher leitete er das Becht, 
über das Kaiserthum, das doch hiemit nur ein päpstliches 
Lehen sein konnte, zu verfügen, und es zu transferiren, aus 
der Gonstantinischen Schenkung ab. Ob dies aber auch Inno- 
cenz gethan habe, ist weniger gewiss. Wenigstens hat er 
nachher bei der Errichtung des lateinischen Kaiserthums zu 
Constantinopel kein besonderes Becht des päpstlichen Stuhles 
in Anspruch genommen, sondern nur seine Ereuder darüber ge- 
äussert, dass das Imperium von Constantinopel von Schis- 
matikern auf katholische, von den Griechen auf die Lateiner 
übergegangen sei.^') Innocenz nahm aber bezüglich des römi- 
schen Beichs nicht etwa eine WiederauMchtung eines occidenta- 
lischen Kaiserthums an — die Berechtigung dazu hätte wohl aus 



400 Jahrb, der hisiar. Claaae der k. Ahnd, der Wissenschaften, 

der Coüstantinischen Schenkung znr Noth abgeleitet werden 
mögen — sondern eine Translation des Einen und untheilbaren 
Bömerreiches von den Griechen auf die Germanen. Eine solche 
Beraubung der Griechen, ein solches H^auswerfen eines gros- 
sen Volkes und Beiches aus einem vielhundertjährigen legiti- 
men Besitze konnte doch nur durch sehr gewichtige, zwingende 
Beweggründe gerechtfertigt erscheinen. Zudem hätte dann die 
Folgerung sich ergeben, dass die früheren Päpste, wenn sie der 
Schenkung Gonstantin's zu Gunsten des neuen Eaiserthums 
wieder entsagt hätten, auch die Herrschaft über Bom eigent- 
lich an den Kaiser wieder abgetreten haben würden, und das wäre 
doch ftbr die Kurie höchst bedenklich gewesen. Es musste 
also ein anderer Bechtsgrundsatz gefunden werden. Innocenz 
hatte zuerst den weittragenden und folgenreichen Grundsatz 
aufgestellt, dass, wo immer sich's um eine Sünde handle, oder 
in einem Streithandel dem einen Theil eine Sünde vorgeworfen 
werde, der päpstliche Stuhl zu verfugen habe. Das hätte nun 
allenfalls auf die durch Irene verhängte Blendung ihres Sohnes^ 
des Kaisers, angewendet werden können, aber man fühlte doch, 
dass diess nicht hinreiche, um die bleibende Spoliation der 
Griechen, die Translation des Kaiserthums zu motiviren. Nur 
das schwerste Vergehen, Abfall vom Glauben, Häresie konnte 
eine solche Massregel zur Folge gehabt haben. Demnach wurde 
die Translation in die Zeit des bilderstürm^den Kaisers Con- 
stantin Kopronymus hinaufgerückt. Damit, dass sie schon 
30 oder 34 Jahre früher geschehen, erschien denn auch das 
kaiserliche Becht auf die Obergewalt in Bom als mindestens 
sehr zweifelhaft, denn dann hatte das Kaiserthum mehrere 
Decennien ohne ein solches Becht bestanden. 

So ist denn der päpstliche Pönitentiar und Kaplan 
Marti nus Polonus gegen Ausgang des 13. Jahrhunderts, 
wohl der erste, der den Papst Stephan II im letzten Jahre 
seines Pontifikats die Translation des Kaiserthum's auf die 
Person des Königs Karl vornehmen lässt. Das wäre im J. 755 



DöUinger: Das Kaiserthum Ka/rVs des Grossen, 401 

oder 756 gewesen. Von der Kaiserkrönung im J. 800 weiss 
Martinus, wie schon bemerkt, nichts. Er verweist auf die 
Decretale von Innocenz**), was von nun an regehnässig ge- 
schieht Wie Gottfried von Viterbo schon geäussert hatte, dass 
eigentlich jedes Geschichtswerk dem päpstlichen Stuhle erst zur 
Prüfung vorgekgt werden sollte, so scheint man seit Anfang 
des 14. Jahrhunderts häufig es als etwas Selbstverständliches 
angesehen zu haben, dass wenn eine wichtige geschichtliche 
Thatsache einmal in einem päpstlichen Dokumente ihre be- 
stimmte Fassung empfangen hätte, die Historiker sich daran 
zu halten hätten. Jedenfalls geschah es in dem vorliegenden 
Falle. Gleich die folgenden Verfasser von Papstgeschichten: 
Bernard Guidonis, Leo vonOrvieto beriefen sich auf 
die Decretale und gedachten der Translation als einer That 
Stephans. Bei Tolomeo von Lucca (um 1312) bemerkt 
man den Conflict des besseren Wissens mit der in seinem 
Kreise herrschenden und für allein correct geltenden Ansicht. 
Er erzählt die Kaiserkrönung nach den älteren Quellen, ver- 
schweigt aber die Adoration des Paptes, dio^ man sich damals 
nicht mehr als mö^ch denken konnte. Die auf Karl's Ver- 
langen unternommene Seise des Papstes nach Mantua und von 
da an Karl's Hoflager wird so dargestellt, dass die Abhängig- 
keit des Papstes nicht auffällt; Leo benützt nur die Gelegen- 
heit, um sich des kaiserlichen Beistandes gegen scdne römi- 
schen Feinde zu versichern, und Tolomeo hat in „andern Ge- 
schichtsbüchern" gefunden, dass der Kaiser ihm nicht bloss, wie 
die fränkischen Annalen sagen, das Geleite auf der Bückreise 
durch Bayern bis nach Eavenna habe geben lassen, sondern 
dass er ihn in eigner Person von Kheims bis nach Rom ge- 
leitet habe, so dass er seine Leser erinnern kann, die Devotion 
des Kaisers hier zu beachten. Gleich nachher indess, bei der 
Erzählung, wie Karl seinem Sohne Ludwig das Kaiserthum 
verliehen habe, mahnt ihn doch wieder sein historisches Ge- 
wissen, und er fügt bei: Karl möge diess vielleicht unter Au- 

26 






402 Jahrb. der histor, Glosse der k. Akad . der Wissenschaften, 

torität des Papstes gethan haben, aber an^zeiclmet sei das 
nicht **) 

Was nun aber die Translation, diese Fundamentalthat- 
sache des neuen Staatsrechts, betrifft, so weiss Tolomeo sich 
zu helfen. Es ist richtig, sagt er, dass, wie die Glosse zur 
Decretale behauptet, die Translation des Kaiserthums wegen 
der böswilligen Häresie der Kaiser Leo und Cionstantin Ko- 
pronymus erfolgt ist, also durch den Papst Stephan; aber er 
hat sie nur beschlossen, definirt, erst unter Karl ist dem Im- 
perium der Griechen durch die Anordnung der Kirche ein 
Ende gemacht worden. Viele lassen sich daher, fagt er hin- 
zu, durch Bernhardts Glosse irre führen. Ihm selbst kommt 
kein Bedenken darüber, dass nach seiner Theorie die Trans- 
lation gegen häretische Kaiser blos angeordnet, gegen recht- 
gläubige aber vierzig und einige Jahre später vollzogen wor- 
den sei.**) 

Die Vorstellung der Translation durch den Papst war nun 
praktisch höchst bedeutsam geworden. Sie sollte als Unterlage für 
das Deutsch - Italiänische , für das ganze Europäische Staats- 
recht dienen. Es ist lehrreich, zu beachten , wie diess auf die 
geschichtliche Darstellung einwirkte, und wie die staatsrecht- 
liche Literatur, die sich seit dem 14. Jahrhundert entwickelte, 
die Sache sich zurechtlegte und sie auszubeuten suchte. 

Der erste deutsche Fürst , der die Translationsdoctrin förm- j 

lieh anerkannte, war Budolf von Habsburg im J. 1279. *7) | 

In dem Schreiben an Papst Nikolaus III, in welchem er die- ' 

sem das ganze Gebiet des Kirchenstaates von Eadicofani bis ^ 

Ceperano bestätigte, erklärte er : die Deutschen seien der Römi- 
schen Kirche zu immerwährendem Danke verpflichtet, denn sie 
habe, mit Segnungen zuvorkommend, durch Uebertragung des 
Imperium von den Griechen auf die Deutschen sie zu dem ge- 
macht, was sie seien.**) Nach solchem Vorgang trug denn 
auch König Albrecht im J. 1303, als er sich die Gunst 
und den Beistand des Papstes Bonifacius VIH gegen die deut- 



' 



I 



DöUinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen, 403 

sehen Erzbisehöfe erwerben wollte, kein Bedenken, anzuerken- 
nen, dass das Bömische Beich durch den päpstlichen Stuhl 
von den Griechen auf die Deutschen übertragen worden sei. **) 
Mit dieser Uebertragung wurde, schon von Albrecht und seit- 
dem immer, gleich auch die Yersicheruug verbunden , dass der 
Papst es auch sei, der das Recht der Kaiserwahl einigen deut- 
schen Fürsten verliehen habe. Gleich in der im J. 1314 er- 
lassenen Constitution, worin Clemens Y erklärte, dass der Eid, 
den die Kaiser dem Papste zu schwören pflegten, allerdings 
ein Treueid (er meint: Vasalleneid) sei, wird diese Be- 
hauptung auf die zwei Thatsachen gestützt: die Translation 
von den Griechen auf die Deutschen und die Verleihung des 
Wahlrechts an die ^Fürsten.*®) In gleichem Sinne verwerthete 
einige Jahre nachher Papst Johann XXII die Translation des 
Imperium in seinem Processverfahren gegen Kaiser Ludwig. ^^) 
In Frankreich wusste man, als die Päpste französisch ge- 
worden waren, die Tragweite der Translations-Theorie sehr wohl 
zu würdigen. Peter Dubois, einer der Publicisten Philipp's 
des Schönen, zeigt dem Könige in einer Denkschrift des Jah- 
res 1308, wie leicht er für sich und seine Erben jetzt das 
Kaiserthum mit Allem was daran hänge, erwerben könne. Der 
Papst, (der ja dem Könige völlig ergeben war), dürfe den ver- 
sammelten deutschen Fürsten nur sagen: Das Kaiserthum ist 
in Karl's Person von den Griechen auf die Deutschen über- 
tragen, und euch das Wahlrecht gegeben worden, weil der 
Kaiser zu Constantinopel , obgleich mehrfach gemahnt, die 
Kirche zu vertheidigen versäumt hat. Jhr habt aber durch 
die Wahl kirchenfeindlicher Kaiser dieses Eecht zu verlieren 
verdient, und ich könnte es euch entziehen; wählt also den 
ich euch bezeichne u. s. w. ^^) Es ist bekannt, dass damals 
des Königs Bruder Karl von Valois nach Phiüpp's auf des 
Papstes Ergebenheit gebauten Plane deutscher König und Kai- 
ser werden sollte) ^^. Die Sache ist hier nicht weiter zu ver- 

26* 



404 Jahrb. der histor. Classe der k. Äkad. der Wissemehaften. 

folgea. Für die Pnblicisten jener Zeit und der folgenden, 
Italiäner, Franzosen, Deutsche, wurde jedoch die Translation 
eine der wichtigsten Fragen; sie haben sie in eigenen Schrif- 
ten historisch und juristisdi besprochen. Erst hat der Kano- 
nikus Jordan von Osnabrück ^^) in der Zeit zwischen 
12^0 und 1280, dann um 1290 der Kanonikus Baoul de 
Coloumelle zu Chartres ach damit befasst.*^*^) Um d. J. 1330 
folgte die gleichartige Schrift des Minoriten Marsilius von 
Padua, der im Interesse Kaiser Ludwig's schrieb ^^); etwas 
qoftter Lupoid von Babenburg, Bischof von Bamberg (1353 
bis 1363).^^) Die Thatsachen kennen sie nur aus den ge- 
trübten und fabelhaft gewordenen Chroniken der späteren Zeit, 
viHsüglich Bichard von Cluny, Martin Polonus und 
älmlichen, und es ist schon bezeichnend, dass der Deutsehe 
Jordan Karl den Grossen bereits zu einem Blutsverwandten 
des Griechischen Kaisers macht, und dann behauptet, er sei 
aus Griechischem, Bömischem und Germanischem Stamme in 
gerader Linie (d. h. also wohl von den alten Kaisem und 
Königen) entsprossen gewesen. So dass also der Papst das 
Kaiserthum nur auf einen andern Zweig des kaiserlichen Hau- 
ses übertrug. Bei der Ansicht, dass die Translation wegen 
der Bilderketzerei und wegen versagter Hufe geschehen sei, 
bleiben sie stehen; Stephan hat sie angeordnet, Leo sie voll- 
zogen. Warum Leo die vierzig Jahre früher getroffene An- 
ordnung Stephan's zu einer Zeit vollzogen habe, in der die 
Gründe, die Stephan bestimmt haben sollten, vorlängst weg- 
gefeUen waren, wird nicht erörtert. Marsilius freilich hielt 
das päpstliche Gebahren in der Sache überhaupt für unstatt- 
haft und erklärte es aus herrschsüchtigen Absichten; die an- 
dern aber zweifeln nicht an der Befugniss und an der Ge- 
rechtigkeit des Aktes. ^®) 

Die Verwirrung der Begriffe, der Antagonismus gegen die 
Geschichte und gegen die wirkliche Lage der Dinge, die Ver- 
legenheiten und Widersprüche, die sich aus der Theorie der 



Döllinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen. 405 

päpstUchen Translation ergaben — alles diess spiegelt sich in 
dem Buche des Lupoid von Babenburg. Er fahrt an, dass 
der Jurist Lauf rank (um 1220) die Translation aus der 
Nichtanerkennung des Komischen Primats von Seite der Grie- 
chen erklärt habe, also in einen argen Anachronismus verfal- 
len sei. Er erwähnt einen andern Bechtsgelehrten Bernhar- 
dus Hispanus (wahrscheinlich Bernhard von Compostella um 
1219, Verfasser der dritten Dekretalen- Sammlung), der den 
Griechischen Kaiser für den wahren Bömerkaiser erklärt, also 
jede Translation verworfen habe. Lupoid nun hält fest an 
ihr, denn das kanonische Becht (d. h. das Dekret von Inno- 
cenz III) und mehrere Chroniken versichern, dass sie gesche- 
hen sei; doch sieht er, dass sie nicht von Stephan, sondern 
nur von Leo III herrühren kann. Nun verbindet er aber auch 
noch die Idee der kaiserlichen Weltherrschaft mit der der 
päpstlichen üebertragung andererseits aber will er, doch die 
von den päpstlichen Theologen und Kanonisten gezogene Fol- 
gerung, dass also die absolute Weltherrschaft eigentlich nur 
den Päpsten zustehe, nicht gelten lassen, er geräth daher in 
ein Labyrinth, aus welchem er sich durch die Annahme zu 
ziehen sucht: eine Translation habe nothwendig geschehen 
müssen, da die Griechischen Kaiser das Beich im Occident 
preisgegeben, und namentlich den Schutz des Klerus vernach- 
lässigt hätten ; während Karl alle kaiserlichen Pflichten reich- 
lich erfüllte. Die Bömer, als bioser Bruchtheil des Imperiums, 
hätten es nicht gekonnt, nur wenn man unter den Eömern die 
Gesammtbevölkerung des Beiches verstehe, lasse sich sagen, 
dass die Bömer die Translation hätten vornehmen können. 
So sei denn durch einen zuiUlligen Nothstand, in Ermanglung 
eines Oberen, die Aufgabe dem Papste zugefallen. 

Ganz anders die etwas spätere, um 1370 verfasste, feine 
und geistreiche Schrift, der Songe du Vergier, deren Ver- 
fasser wahrscheinlich Philipp de Maizieres ist. *^). Un- 
streitig, sagt er, stand den Bömern, als den Gründern des 



406 Jahrb. der htstor, Glosse der k. Akad. der Wissenschaften. 

Kaiserreichs, das Recht der Translation zn, Papst und Elems 
bildeten eben nur einen Theil des Volkes von Bom, und dieses 
handelte hier, denn dem Papste ziemt ein solcher Eingriff in daa 
Zeitliche nicht. Die Decretale des Innocenz weiss er durch 
die Erklärung zu beseitigen, dass der Papst eben nur kraft 
einer vom Eömischen Volke ihm übertragenen Vollmacht ge- 
handelt habe. •®) 

Etwa zwanzig Jahre früher hatte der Cardinal Nikolaus 
Boselli, ein Dominikaner aus Tarragona, sich mit der Eai^ 
serthumsfrage beschäftigt^^), und sie, wie zu erwarten, im ent- 
gegengesetzten Sinne gelöst. Da der Papst, sagt er, um über 
alle irdischen Mächte und Herrschaften zu verfügen, nichts 
weiter als Mos einer von einem Fürsten begangenen Sünde 
bedarf, so konnte Stephan im J. 756 die Translation vollgül- 
tig vornehmen, denn eine Sünde, und zwar jedenfalls eine Uri- 
terlassungs-Sünde, ist damals vorgekonmfien, zumal die Glosse 
bezeugt, dass die Griechischen Kaiser die um jene Zeit von 
Eom begehrte Hülfe nicht geleistet haben. — Die Chronisten dieser 
späteren Zeit (von 1290 etwa bis 1450) stehen gewöhnlich unter 
der doppelten Autorität des Martinus Polonus und der Dekre- 
tale nebst der Glosse dazu. Der Presbyter Siffrid in Meis- 
sen um das Ende des 13. Jahrh. hatte den Vorgang noch 
durch einen Vertrag erklärt, den der Papst, die deutschen 
Fürsten und die Bömer mit einander geschlossen hätten, dass 
nach Besiegung der Longobarden und andrer Eeichsverwüster 
das Eeich an die Teutonici übertragen werden solle, worauf 
Pipin in Folge dieses Vertrags den Aistulf besiegt , Karl aber 
das bedungene Imperium empfangen habe.^*) Sein Zeitgenosse, 
der Minorit Martin verweist auf die päpstliche Dekretale, 
gemäss welcher die Translation durch Stephan anzunehmen 
sei, wiewohl er nachher, seiner älteren Quelle folgend, wieder 
Alles durch Karl selbst vollbringen lässt. *^) Dem Fuldaischen 
Mönche Martin (um 1378) ist sogar die Glosse eine unan- 
tastbare historische Autorität;, er bemerkt: Man müsse an der 



Döllinger: Das Kaiserthum KarVs des Grossen. 407 

Translation durch P. Stephan festhalten , denn nur so. werde 
die Glosse gerettet. **). Freilich bringt er auch die nun schon 
sehr beliebt und glaubhaft gewordene Fabel von dem Zuge 
Karl's nach Jerusalem und den auf der Rückkehr in Con- 
stantinopel empfangenen Reliquien. 

Der Chronist Heinrich von Hervord (gest. 1570)^*) 
erzählt das Ereigniss erst mit Ekkehard's und Sigebert's Wor- 
ten, fugt aber dann bei: Karl habe mit starker Hand das 
Kaiserthum von den Griechen losgerissen, und sei von Leo 
unter Zustimmung und Mitwirkung der Römer gekrönt wor- 
den ; damit sei das Imperium der Griechen zu Rom erloschen, 
und die Weltherrschaft an die Deutschen gelangt. Alles mit 
Berufung auf die bekannte Dekretale und die Glosse dazu. Die 
weitere Bemerkung Heinrich's, das Reich sei also nicht mehr 
bei den Griechen, wenn auch der dortige Monarch im weite- 
ren Sinne Kaiser genannt werde, findet sich öfter, und in ver- 
schiedener Form. 

Die Annalen von Speier, um 1272 geschrieben, be- 
gnügen sich mit der leichtesten Motivirung : Karl benützte eine 
Krankheit des Kaisers Michael, um im Jahre 768 unter den 
Päpsten Zacharias und Leo das Römische Kaiserthum zu er- 
beuten. ^^) Ernster, würdiger nimmt sich die Sache in der Dar- 
stellung des Jakob Twinger von Königshofen (um 1410) 
aus: die Griechischeu Kaiser hatten keinen Ernst noch Sorge, 
den Christenglauben und Wittwen und Waisen zu beschirmen, 
zu dem stund das Reich in eines Weibes Händen; da riefen 
der Papst und die Römer alle zu Karl'n, er solle Römischer 
Kaiser und Mehrer des Reiches (Augustus) heissen und sein, 
und solle auch das Römische Reich nicht mehr unter den 
Griechen sein. Die Griechen machten doch noch auch bei 
ihnen einen Kaiser, aber, sagt Twinger, ihres Kaisers Gewalt 
ist gar klein wider den deutschen Kaiser, ^^j Man sieht, 
Twinger bekünmiert sich weder um die Dekretale, noch um 
die Glosse. 



408 Jahrb, der hiator, Clasae der k. Äkad. der Wissenschaften. 

Die Chronik des Abtes von S. Bertin, Johann von 
Ypern^*), die Chronik des Braunschweigischen Aegidienklo- 
sters^^), und die von Osnabnick^®) halten dagegen Alle an 
der Uebertragung durch Stephan fest. Johann von Ypem be- 
sonders zeigt die Kathlosigkeit, in welche ihn der Conflikt der 
Dekretale mit seinem historischen Wissen versetzt hat. Einer- 
seits berichtet er, dass die Eömer, die schon längst der Ge- 
sinnung nach von dem Griechischen Eeiche abgefallen, die Ge- 
legenheit der Weiberregierung benützt hätten, Karl zum Kaiser 
auszurufen. Zugleich aber nöthigt ihn die Autorität des P. 
Innocenz zur Behauptung: P. Stephan habe schon im letzten 
Jahre seines Pontifikats das Römische Imperium von den Grie- 
chen auf die Deutschen übertragen, und so sei denn der be- 
reits zum Kaiser erwählte Karl mit dem Papste Leo nach 
Eom gezogen, habe ihn wieder eingesetzt und darauf die Krö- 
nung empfangen. 

Der Mönch von Malmesbury (um 1366) sagt sogar 
kurzweg: Karl der Grosse habe auf die Bitte des P. Stephan 
das Reich der Römer an sich genommen. ^ ^) Inzwischen sind 
aber neue Auschmückungen hinzugekommen : Wegen der Blen- 
dung des letzten Griechischen Kaisers Constantin ist eine Son- 
nenjBnsterniss erfolgt, so stark und so viele Tage anhaltend, 
dass die Schiffe auf dem Meere ziellos umherirrten, wie der Presbyter 
Andreas (um 1421)^*), die Lüneburger Chronik^*) undBern- 
ard Witte ^*) berichten. Auch weiss man nun, dass Papst 
Leo ein Bruder Karl's gewesen, wie der Lüneburger Chronist 
in „etlichen Büchern*' gefunden hat. Wenigstens ist er, sagt 
Rolewink ein Deutscher, ein Bruder des Grafen von Calw 
gewesen, und so konnte man sich's erklären, wie er dazu ge- 
kommen, das Kaiserthum und die Weltherrschaft auf die Deut- 
schen zu übertragen, was, meinte man im 15. Jahrhundert, ein 
Italiänischer Papst kaum gethan haben würde. Derselbe Role- 
wink (Ende des 15. Jahrh.) erzählt denn auch: die Kirche 
habe lange mit den Griechen Geduld gehabt und auf ihre 



DölUnger: Bas Kaiserthum KarVa des Grossen. 409 

Besserung gewartet ; da sie aber gar zu weit von der früheren 
Frömmigkeit abgefallen, da seien sie „entlassen^\ und sei die 
Translation mit der einmüthigen Zustimmung der Römer vor- 
genommen worden. 

Aber auch die national -italiänische, oder richtiger die 
lateinische Ansicht von dem Ereignisse fand noch inmier ihre 
Vertreter, theils in Italien, theils in Deutschland, Benve- 
nuto Rambaldi von Imola (um 1350)^*), Poggio (um 
1405),''«) Flavio Biondo, Sekretär des P.EugenlV, Enea 
Silvio ^^) denken sich das Komische Volk als die handelnde und 
entscheidende Autorität und lassen, nicht eine Translation, 
sondern nur eine Theilung oder Spaltung des B.ömerreichs ein- 
treten, aber so, dass, wie Bambaldi sagt, das westliche Reich 
von da an allein den Namen des Römischen, das östliche aber 
nunmehr den Namen des Griechenreiches führte. Auch später 
noch nehmen Sabellico und Piatina das Römische Plebiscit, 
das der Papst dann vollstreckt, an. Matteo Palmieri (um 
1440) der Verfasser einer trockenen Chronik, ist darum zu 
beachten, weil er zuerst wieder den im ganzen Mittelalter un- 
bekannten Namen des Augustulus nennt, dessen Nachfolger 
Karl geworden sei. Bisher hatte man nicht anders gewusst, 
als dass eben mit Constantin d. Gr. die Translation des Reir 
ches erfolgt sei. 

Der deutsche Bischof Dietrich von Nie m will beides, 
die Translation Stephans und den Römischen Volksbeschluss, 
mit einander vereinigen, behauptet daher, das Volk habe Karl 
schon im J. 774 als Augustus ausgerufen, und, da es sich 
nicht jedesmal wegen einer besonderen Angelegenheit versam- 
meln konnte, habe es seine Rechte und seine Macht auf Karl 
übertragen. '^^) 

Enea Silvio freilich sprach, wie in andern Dingen, so auch 
in der Kaiserthumsfrage als Papst Pius II andere Ansichten 
aus, als er früher gehegt hatte. In einer Rede des J. 1459, 
in der er Alles, was der päpstliche Stuhl den Franken an 



410 Jahrb. der histor, Glosse der h Akid. der Wissenschaften, 

Gaben und Vorzügen gewährt habe, aufzählt, behauptet er: 
Papst Leo habe das Kaiserthum transferirt aus Unwillen über 
die Bilderfeindschaft des Kaisers Leo IV (775 — 780). Dass 
schon 780 der bilderfreundliche Constantin und seine Mutter 
Irene dort zurEegierung gekommen seien, also schon 16 Jahre 
vor Leo's Erhebung, scheint er nicht gewusst zu haben. Wei- 
ter sagt Pius: Nicht etwa ein halbirtes Eeich, wie ihr be- 
hauptet, ist auf die Pranken übertragen , es sind auch nicht 
zwei Keiche gebildet worden, eines der Griechen und eines der 
Lateiner. Nie würden die Päpste die Absurdität begangen 
haben, dem Feinde des Glaubens das Schwert zu überlassen 
(dem bilderfeindlichen Kaiser nämlich). Sondern das ganze 
ungetheilte Imperium ist transferirt worden, Karl aber hat das, 
was er als Ganzes empfing, hierauf erst mit Irene, dann mit 
Nikephorus getheilt, und nur die Hälfte für sich behalten. ^*) 
Hier ist es nun freilich nicht die Sage, sondern die Theo- 
rie, welche die Geschichte beherrscht hat. Aber die Macht 
der volksmässigen Sage zeigt sich in der Chronik des Mai- 
länders Donato Bossi (um 1480).*^) Nicht Karl, sondern 
König Desiderius ist der Held, den die lombardische Volkssage 
sich erkoren, dessen Geschichte sie ausgeschmückt hat. Desi- 
derius besiegt in einer grossen Schlacht 300,000 Saracenen, 
welche Kom und das Schloss, in dem der Papst und Karl 
eingeschlossen waren, belagerten. Dafür bewilligt nun der 
dankbare Papst dem Desiderius ausserordentliche Privilegien 
für alle Longobarden und Italici, und kaiserliche Herrschaft in 
ganz Italien. Bald darauf aber bedrängt und beraubt Desi- 
derius den Papst, der nun' zu Karl flüchtet. Dieser sagt: 
wenn Du mir das Reich Italien gibst, so komme ich und be- 
freie die Kirche aus der Hand der Longobarden; der P^ißst 
nimmt das natürlich an, und so erlangt Karl das Kaiserthum, 
welches sonst dem Desiderius nicht hätte entgehen können. 
Dabei wird aber doch in herkömmlicher Unterwerfung unter 



DolUngei'i-Das Kaiserthum KarVs des Grossen. 411 

die Dekretale die Translation auf Karl durch Papst Stephan 
im J. 766 behauptet. 

Auch in Deutschland kamen mitunter sehr wunderliche 
Verunstaltungen zu Tage, wenn der Historiker die Verkettung 
der Ereignisse, die zur Schöpfung des Kaiserthums geführt, 
fasslich machen wollte. So erzählt die um 1370 geschriebene 
Chronik von Hameln: Karl, im J. 800 zum Patricius er- 
nannt, habe den letzten Bömischen Kaiset aus Griechenland 
überwunden, worauf ihn Leo zum Kaiser consecrirt habe. Da 
hätten die Eömischen Senatoren die Kaiserrechte sich zuzueig- 
nen versucht, und den Papst, der ihnen entgegengetreten, ver- 
stümmelt. Wegen dieses Frevels seien die Griechen in kirch- 
licher Beziehung von den Kömem abgefallen, und in solchem 
Schisma sei das Kaiserthum an Karl und die Pranken ge- 
kommen. ® ^) Einfacher meint der Nürnberger Chronist M e is ter- 
lin (um 1480). Da die Griechischen Kaiser in Constantino- 
pel sich dem Wohlleben ergaben und um die Deutschen sich 
nicht kümmerten, so erfolgte die Translation; erst durch P. 
Stephan, dann durch Leo, endlich durch Hadrian. ®^) 

Man begreift, wie bei solcher Verwirrung und Entstel- 
lung der Thatsachen ein Mann wie der Cardinal Nikolaus 
Cusa endlich auf die Vermuthung gerathen konnte, das ganze 
Kaiserthum Kaii's des Grossen sei eine Erdichtung. Er habe, 
sagt er, den Briefwechsel Karl's und Hadrian's gelesen, und 
darin keine Spur von der angeblichen Translation gefunden 
Karl sei wohl immer nur Patricius gewesen. ^*) Dagegen be- 
ruhigte sich Cusa's Zeitgenosse, der angesehene Jurist Anto- 
nio ßoselli in Padua^*), wieder bei der Annahme der im 
J. 756 oder 755 erfolgten Translation ; damals sei der Grie- 
chische Kaiser des Eeiches eigentlich entsetzt worden, in juri- 
discher Form und wegen eines Vergehens — beharrliche Nach- 
lässigkeit — wegen welches auch der Papst selbst abgesetzt 
werden könnte. 

Der deutsche Publicist Peter von Andlau (um 1460), 



412 Jahrh, der histor. Gasse der k. Akad. der Wissenschaften. 

der den ersten Yersuch eines deutschen Staatsrechtes veröffent- 
lichte, kann sich auch von der Translation durch Stephan 
noch nicht loswinden. Auch er hilft sich damit , dass Stephan 
die Translation nur angeordnet, aber durch den Tod ereilt sie 
nicht vollzogen habe. Sie geschah, weil die Kräfte der Grie- 
chen fast gebrochen, die Deutschen dagegen damals stark, 
thatkräftig, treu, kampflustig und mächtig, also zur Lenkung 
des christlichen Imperiums vor allen Nationen geeignet waren. 
Darum, und zugleich auch um dem Frankenkönige eine Dan- 
kesschuld abzutragen , hat die Bömische Kirche den Griechen 
das Komische Kaiserthum abgenommen und auf die höchst 
edeln Deutschen übertragen. Dass in Karl Griechisches, Ko- 
misches und Deutsches Blut gemischt gewesen sei, weiss auch 
von Andlau, der im üebrigen ein treuer Schüler des Glossa- 
tors ist. ®*) 

Welche Folgerungen die Italiäner noch gegen die Mitte 
des 16. Jahrhunderts aus der Translationstheorie zogen, zeigt 
der Peruginische Rechtsgelehrte Bistoro Castaldo in seinem 
grossen Werke über den Kaiser, das nach der Versicherung 
des Verfassers zur Verherrlichung des Kaiserthums und Karl's V 
geschrieben ist. „Es ist, heisst es hier, eine wahre und ka- 
tholische Behauptung, dass durch die Autorität des Papstes 
eine Translation aller Königreiche und des Kaiserthumes an 
die Eömer, von diesen an die Griechen, von den Griechen an 
die Deutschen geschehen." Das hatte schon Agostino 
Trionfo im J. 1320 ausgeführt und zugleich gezeigt, worin 
ihm Castaldo beistimmt, dass der Papst auch nach Belieben 
das Kaiserthum auf irgend ein anderes Volk übertragen könnte. 
Es wird dann weiter ausgeführt, dass alle Monarchen und 
Staaten, welche dem Römischen Kaiser nicht unterthan sind, 
z. B. Frankreich, Spanien, diese Exemtion nur in Folge eines 
besonderen päpstlichen Privilegiums haben, dass der Papst, 
wenn es ihm gefiele, auch den Kaiser ernennen könnte, wie 
er allein auch ihn abzusetzen berechtigt sei. ®^) 



Noten. 

1) Pertz I, 97. II, 240. V., 40. 117. Regino, der 915 starb, 
hat hier nur die Lorscher Annalen abgeschrieben. 

2) Bei Pertz II, 223. 

3) Bei Pertz II, 743. 

4) Bei Bouquet. V, 321. 

5) Imago mundi, bei Pertz XII, 129. 

6) Summa gloria de Apostolico et Augusto, bei Pez, Thesau- 
rus, n, 196. 

7) Bei Pertz I, 352. 

8) Bei Pertz 1, 417, 

9) Bei Bouquet V, 350. 

10) Ed. Gewold, Monachii 1611, p. 113. 

11) Annales Marbac. Pertz XVH, 147. 

12) Dem Liber ad Amicum, bei Watterich und den Libri Deere- 
torum, aus denen Mai im 7. Bande seiner Nova Patrum Bibliotheca 
Auszüge gegeben hat. lieber Karl P. III, p. 44« 

13) Das Schreiben Wibert*s hat Lami in Florenz aus einer dor- 
tigen Handschrift abdrucken lassen in seinen Novelle letterarie, 1768, 
p. 771. 803. Wibert setzt noch bei: Nee ideo diminutum imperium 
aestimes, vel defecisse putes, quod Pseudo sit Papa (Gregor VII). 
Papam non Romanorum generalitas, sed paucorum Romanorum cu- 
piditas ordinavit. 

14) Im Syntagma de jurisd. imper. bei Schard., Basil. p. 2. 

15) Bei Pertz Vni, 336. 

16) Bei Tissier Bibl. Cisterc. VII, 102. 

17) Bei Leibnit. Access, bist. 131. 

18) Bei Bouquet V, 374. 

19) Bei Pertz VIII, 168. 

20) Eist. 5, 30, 31, in Tissier BibHoth. Cisterc. VIII, 68. 

21) Leibnitii S.S. Brunsvic. I, 797. 

22) Rer. German. ed. 1670, II, 77. Böhmer setzt sie in das 14. 
oder 15. Jahrhundert. 

23) Bei Pertz XIV, 158. 

24) Bei Harduin. VI, II, 1594. 

25) Bei Martene, Ampi. Coli. II, 556*. 

26) Bei Muratori VII, 158. 



414 Jckhrh, der histor. Glosse der h Akad, der Wissenschaften. 

27) Bei Muratori Vü, 579. 

28) Daselbst, VTI, 417. ' 

29) Bei Muratori VII, 579. 

30) Monumenta Eist. Brit. Londin. 1848. I, 668. Ihm hat dann 
Matthäus von Westminster p. 152 ed. Francof. 1601, nachge- 
schrieben. 

31) Historiae Normannor. Scriptores, p. 367. 

32) Ap. Leibnit. S S. Brunsvic. I, 941. 

33) Rerum Angl. Scriptores. Lond. 1596, £ 233. 

34) Twysden Rer. Angl. Scriptores, p. 447. Radolf hat nur Sige- 
bert abgeschrieben. 

35) Bei Muratori, Antiq. Ital. IV, 1081. 

36) Bei Martene, Ampi. Coli. V, 557. 

37) Bei Pertz XII, 372. 

38) Hist. Imperatorum, bei Muratori, IX, 112. 

39) Bei Muratori XIV, 853. 

40) Raynald. a. 1200. §. 27. 

41) Principaliter et finaliter. Er bezeichnet die Krönung als eine 
Handauflegung, um sie der von Bischöfen vorgenomiHenen Priester- 
Ordination gleichstellen, und daraus dann den Schluss ziehen zu kön- 
nen, dass dem Papste ebenso die Annahme oder Verwerfung des Kai- 
sers zustehe, wie dem Bischöfe die Zulassung oder Zurückweisung 
eines Ordinanden. 

42) Bei Harduin. VI, 933. 

43) Epistolae, ed. Br^quigny, p. 576. 

44) Ed. Klimes, 1859. p. 94. 

45) Bei Muratori, XI, 987—995. 

46) Daselbst p. 975. 

47) In vielen deutschen Geschichtswerken wird Adrian IV als 
der Papst bezeichnet, der zuerst im J. 1159 die Translation behaup- 
tet, und zwar den Papst Zacharias das Kaiserthum habe übertragen 
lassen. Die einzige Quelle dafür ist Aventin, Annal. 6; 5, 10, p. 607. 
der freilich ein angebliches Schreiben dieses Inhaltes wörtlich an- 
fuhrt. Pütter, Specimen de instaur. Imp. Rom. p. 68, hat sich da- 
durch noch irreführen lassen. Das Schreiben ist aber von Aventin, 
wie so manches Andere, erdichtet. Vielmehr ist Papst Innocenz III 
der erste gewesen, der die Translations-Doctrin aufgestellt hat. 

48) Bei Raynald a. 1279 §. 4. 

49) Bei Pertz IV, 483.. 

50) Clementin. 2, 9 im Corp. jur. can. 

51) Bei Martene Thesaur. II, 644.