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Full text of "Moderne Bauformen"

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MODERNE  BAUFORMEN 

MONATSHEFTE  FÜR  ARCHITEKTUR 

HERAUSGEGEBEN  VON 

M.  J.  GRADL 


HU  JAHRGANG  *1904 


JULIUS  HOFFMANN 
VERLAG  STUTTGART 


Druck  der  Hoffmannschen  Buchdruckerei  Felix  Krais  in  Stuttgart. 


THE  GETTY  CENTER 
LIBRARY 


INHALTSVERZEICHNIS 


TEXTBEITRÄGE. 


Seite 


Das  neue  Theater  in  Dortmund 

von  Dr.  Philipp  M.  Halm  München . 87 

Der  Musikraum  in  der  Weltausstellung  St.  Louis  1904 

von  Professor  K.  Widmer  —Karlsruhe . 43 

Der  neue  Stil  in  Finnland 

von  J.  Ahrenberg — Helsingfors . 79 

Die  Keramik  in  der  modernen  Architektur 

von  Vitzthum . 39 

Die  Neubauten  an  der  Palmen-  und  Ahornstrasse  in  Basel 

von  Dr.  Sch . 55 

Ein  deutsches  Bankhaus 

von  Vitzthum  . 61 

Eine  neue  Mosaiktechnik . .  .  41 

Eine  neue  Stadt 

von  Vitzthum  . 23 


Seite 

H.  P.  Berlage 

von  Willem  Vogelsang  Amsterdam . 71 

Leon  Benouville  f  1903 

von  Vitzthum . 15 

Moderne  Baukunst  in  Karlsruhe;  1.  Hermann  Billing 

von  Professor  Karl  Widmer — Karlsruhe .  1 

Moderne  Baukunst  in  Karlsruhe;  2.  Curjel  &  Moser 

von  Professor  Karl  Widmer — Karlsruhe .  9 

Münchener  moderne  Architektur 

von  Dr.  Philipp  M.  Halm — München . 47 

Plastische  Villenprojekte  in  der  Münchener  Kunst-Aus¬ 
stellung  1903  von  Dr.  Kemmerich  München  ...  17 

Unsere  Tafeln  ...  4,  13,  19,  28,  35,  42,  53,  59,  69,  78,  82,  98 
Villa  Bestgen,  Köln  a.  Rh., 

von  Rhenanus . 31 


VERZEICHNIS  DER  KÜNSTLER. 


Seite 

Alden  &  Harlow  Pittsburgh  U.  S.  A . 42 

Altgeld  &  Schweitzer — Berlin . 59 

Arnold  Hermann — Düsseldorf . 21 

Bäppler  Otto — Frankfurt  a.  M . 59 

Bassompierre  j. — Paris . 41 

Benirschke  Max-  Düsseldorf . 54,  78 

Benouville  Leon  T — Paris . 15,  16 

Berlage  H.  P. — Amsterdam  .  . . .  71-78 

Berlepsch- Valendas  H.  E.—  München -Planegg  ....  16 

Beutinger  &  Steiner — Heilbronn- Darmstadt . 78 

Bewig  Georg — Frankfurt  a.  M . 54 

Billing  Hermann,  Professor — Karlsruhe  .  .  1-6,  8,  43-46,  83 

Brintzinger  Max  Esslingen . 36 

Buckland  H.  T.  &  Farmer  E.  H. — Birmingham  ...  14,  19 

Burckhardt  Paul — (München)  Basel .  8,  35,  60,  78 

Burkhardt  R.  &  Mersch  W. — Frankfurt  a.  M . 60 

Burger  Joseph— München . 48,  60 

Collin  Andre — Paris . 15,  37,  60 

Curjel  &  Moser — Karlsruhe . 9-15 

Dawber  E.  Guy — London . 54 


Seite 

Deininger  Wunibald  —Wien . 14,  35,  98 

Dülfer  Martin,  Professor — München .  60,  87-98 

Ellwood  G.  M. — London . 14 

Fischer  Oskar — Kiel . 21 

Fischer  Theodor,  Professor  -Stuttgart .  6 

Gesellius  Lindgren  &  Saarinen — Helsingfors  ....  78-84 

Hardwick  A.  Jessop  -Kingston-on-Thames . 7,  29 

Harvey  W.  Alex.-  Bournville . 23-29 

Hausser  Fr. — Ludwigsburg  (Württemberg) . 84-85 

Heckenberger  Karl — Stuttgart . 37 

Heller  Hans — Darmstadt . 21 

Honig  &  Söldner  München . 49-51 

Jochem  F.  W. — Darmstadt .  4,  22,  29,  42 

Joli  Max  H. — Wien  . 20 

Kirchmayr  H. — Innsbruck . 54 

Laverriöre  A. — Lausanne . 28 

Läuger  Max,  Professor — Karlsruhe . 39,  42 

Leonhardt  C.  F.  W.— Frankfurt  a.  M . 38,  86 

Linder  Rudolf  &  Burckhardt  Paul  — Basel . 55-59 

Logan  George — Glasgow  . 36 


MacLachlan  L. — Stuttgart . 

Mallebrein  J. — Freiburg  i.  Br.  .  •  . 

Mayr  Hans — Wien . 

Michler  &  Mahler — Wien . 

Mink  Valentin — Darmstadt . 

Monod  E.  &  Laverriere  A.  -Lausanne 
Pössenbacher  Anton — München  .  .  . 

Provensal  Henry — Paris . 

Rittmeyer  Robert,  Professor— Winterthur 
Roeckl  Hugo  M.— München  .... 

Rossmann  G. — Düsseldorf . 


.  20,  60  Rutte  P.  de  Paris . 21,  36 

.  .  8  Rutte  P.  de  &  Bassompierre  J.  Paris . 15 

.  .  30  Sambale  Fritz  München . 73 

.  .  42  Schlicht  Hanns  Dresden . 14 

.  .  29  Schönthal  Otto  Wien . 83 

.  .  8  Schutte  Albert  &  Vollmer  Barmen . 54 

.  54,  98  Taut  Bruno — Stuttgart . 98 

7,  28,  59  Thiersch  Friedrich  von,  Professor  München . 47 

.  .  7  Veil  Theodor-  München . 53 

.  17-21  Wehling  G.  &  Ludwig  A.  Düsseldorf  .  31-37,  40,  41,  61-70 
.  .  69  Wood  Edgar — Manchester .  5,  28,  54,  98 


VERZEICHNIS  DER  TAFELN. 


Tafel 

Häusergruppe  an  der  Stephanienstrasse  in  Karlsruhe 


von  Professor  Hermann  Billing— Karlsruhe  ...  1 

Entwurf  zu  Einfamilienhäusern 

von  F.  W.  Jochem  — Darmstadt . 2 

Treppenhaus  einer  Stadtvilla 

von  Edgar  Wood — Manchester . 3 

Haus  an  der  Reinsburgstrasse  in  Stuttgart 

von  Professor  Theodor  Fischer— Stuttgart  ....  4 

„Haus  in  gemässigtem  Klima“,  Studie 

von  Henry  Provensal —Paris . 5 

Haus  in  Wolves- Newton,  Monmouthshire 

von  A.  Jessop  Hardwick — Kingston-on-Th . 6 

Halle  der  Villa  Mez  in  Freiburg  i.  Br. 

von  Professor  Hermann  Billing— Karlsruhe  ...  7 

Landhaus  in  Savoyen 

von  E.  Monod  &  A.  Laverriere — Lausanne  ....  8 

Halle  der  Villa  Rudolph  in  Zürich 

von  Curjel  &  Moser— Karlsruhe . 9 

Entwurf  zu  einem  Jagdschlösschen 

von  Wunibald  Deininger — Wien . 10 

„The  Woodbine  Inn“  in  Handsworth 


von  H.  T.  Buckland  &  E.  H.  Farmer — Birmingham  11 
Fassade  eines  Zinshauses 


von  Hanns  Schlicht — Dresden  . 12 

Inneres  eines  Ateliergebäudes 

von  G.  M.  Ellwood — London . 13 

Entwurf  zu  einem  Doppelwohnhaus 

von  P.  de  Rutte  &  J.  Bassompierre  —  Paris  ....  14 

Studie  zu  dem  Speisezimmer  der  Villa  Rudolph  in  Zürich 

von  Curjel  &  Moser — Karlsruhe . 15 

Landhaus-Entwurf 

von  Andre  Collin — Paris . 16 


Wohnhaus  des  Architekten  H.  T.  Buckland  in  Edgbaston 

von  H.  T.  Buckland  &  E.  H.  Farmer  -  Birmingham  17 


Lesesaal  eines  Hotels 

von  L.  MacLachlan — Stuttgart . 18 

Haus  für  Wilhelmsburg  bei  St.  Pölten 

von  Max  H.  Joli — Wien . 19 

Diele  eines  Landhauses  am  Meer 

von  Oskar  Fischer — Kiel . 20 

„Das  grüne  Haus“ 

von  Hugo  M.  Roeckl — München . 21 


Tafel 

„Das  rote  Haus“ 

von  Hugo  M.  Roeckl— München . 22 

Studie  zu  dem  Wohnzimmer  eines  Schlosses 

von  Hans  Heller — Darmstadt . 23 

Entwurf  zu  der  Einfahrt  eines  Rittergutes 

von  P.  de  Rutte — Paris . 24 

Häuser  in  Bournville 

von  M.  Alex.  Harvey — Bournville . 25 

Häuser  in  Bournville 

von  M.  Alex.  Harvey  -Bournville . 26 

„Haus  im  Norden“,  Studie 

von  Henry  Provensal — Paris . 27 

Halle  einer  Stadtvilla 

von  Edgar  Wood  Manchester . 28 

Entwurf  zu  einem  Monumentalbrunnen 

von  A.  Laverriere  -Lausanne . 29 

Landhaus  in  Caterham  Valley 

von  A.  Jessop  Hardwick  Kingston-on-Th  ....  30 

Entwurf  zu  einem  Wohn-  und  Geschäftshause 

von  F.  W.  Jochem  Darmstadt . 31 

Entwurf  zu  einem  bürgerlichen  Wohnzimmer 

von  Valentin  Mink  Darmstadt . 32 

Diele  der  Villa  Bestgen  -Köln 

von  G.  Wehling  &  A.  Ludwig-  Düsseldorf  ....  33 
Entwurf  zu  einem  Miethaus 

von  Wunibald  Deininger— Wien . 34 

Entwurf  zu  einem  Schulhause 

von  Paul  Burckhardt  — (München)  Basel . 35 

Schlafzimmer,  ausgeführt  v.  Wylie  &  Lochhead  Glasgow 

von  George  Logan  — Glasgow . 36 

Architektur-Studie 

von  P.  de  Rutte  Paris . 37 

Entwurf  zu  einem  Restaurant  im  Walde 

von  Max  Brintzinger — Esslingen . 38 

Studie  zu  einem  Speisezimmer 

von  Karl  Heckenberger  -Stuttgart . 39 

Landhaus- Entwurf 

von  Andre  Collin  -Paris . 40 

Entwurf  zu  dem  Amtsgebäude  einer  Provinzstadt 

von  Michler  &  Mahler  -  Wien . 41 

Detail  der  Mosaik-Fassade  eines  Hauses  in  Düsseldorf 

von  G.  Wehling  &  A.  Ludwig —Düsseldorf  ....  42 


Tafel 


Tafel 


Entwurf  zu  zwei  eingebauten  Wohnhäusern 

von  F.  W.  Jochem  Darmstadt . 43 

Entwurf  zu  einem  Hotel  (Gartenfront) 

von  J.  Bassompierre — Paris . 44 

Entwurf  zu  dem  Erfrischungssaal  eines  Hotels 

von  J.  Bassompierre — Paris . 45 

Entwurf  zu  einem  Hotel  (Strassenfront) 

von  J.  Bassompierre  Paris . 46 

Musikraum  in  der  Weltausstellung  St.  Louis  1904 

von  Professor  Hermann  Billing — Karlsruhe  ...  47 

Musikraum  in  der  Weltausstellung  St.  Louis  1904 

von  Professor  Hermann  Billing — Karlsruhe  ...  48 

Entwurf  zu  einer  Dorfschule 

von  Theodor  Veil  München . 49 

Schlafzimmer  mit  anstossender  Kaminnische 

von  Edgar  Wood  München . 50 

Entwurf  zu  einem  Landsitze 

von  Georg  Bewig  Frankfurt  a.  M . 51 

Entwürfe  zu  Einfahrtstoren' 

von  H.  Kirchmayr  Innsbruck . 52 

Landhaus  in  Coldecote,  Moreton-in-Marsh,  Gloucestershire 

von  E.  Guy  Dawber — London . 53 

Kaminpartie  eines  Speisesaales 

von  Anton  Pössenbacher — München . 54 

Zwei  Entwürfe  zu  Landhäusern 

von  Albert  Schufte  &  Vollmer  Barmen . 55 

Hallen-Studie 

von  Max  Benirschke  Düsseldorf . 56 

Neubauten  an  der  Palmen-  und  Ahornstrasse  in  Basel 

von  Rudolf  Linder  &  Paul  Burckhardt— Basel  .  .  57 

Neubauten  an  der  Palmen-  und  Ahornstrasse  in  Basel 

von  Rudolf  Linder  &  Paul  Burckhardt — Basel  .  .  58 

Neubauten  an  der  Palmen-  und  Ahornstrasse  in  Basel 

von  Rudolf  Linder  &  Paul  Burckhardt — Basel  .  .  59 

Architektursaal  der  Berliner  Kunstausstellung  1904 

von  Altgeld  &  Schweitzer — Berlin . 60 

Haus  des  Herrn  E.  Wetzlar  in  Cronberg  i.  T. 

von  Otto  Bäppler  -Frankfurt  a.  M . 61 

„Villa  im  Süden“,  Studie 

von  Henry  Provensal  Paris . 62 

Gästezimmer  aus  einem  Hotel  in  Wiesbaden 

von  L.  Mac Lachlan— Stuttgart . 63 

Landhaus-  Entwurf 

von  Andre  Collin  Paris . 64 

T reppenhaus,  A. Schaaffhausenschei  Bankverein — Köln  a.Rh. 

von  G.  Wehling  &  A.  Ludwig  Düsseldorf  ....  65 
Vestibül,  A.  Schaaffhausenscher  Bankverein  Köln  a.  Rh. 

von  G.  Wehling  &  A.  Ludwig  Düsseldorf  ....  66 

Sitzungssaal,  A.  Schaaffhausenscher  Bankverein — Köln  a.  Rh. 

von  G.  Wehling  &  A.  Ludwig  Düsseldorf  ....  67 

Gartenfront,  A.  Schaaffhausenscher  Bankverein — Köln  a.  Rh. 

von  G.  Wehling  &  A.  Ludwig  -Düsseldorf  ....  68 

Grosse  Halle,  A. Schaaffhausenscher  Bankverein — Köln  a.Rh. 

von  G.  Wehling  &  A.  Ludwig  -Düsseldorf  ....  69 


Treppenhaus,A.  Schaaffhausenscher  Bankverein  Köln  a.Rh. 

von  G.  Wehling  &  A.  Ludwig  Düsseldorf  ....  70 

Treppenhaus,  A.Schaaff  hausenscher  Bankverein  Köln  a.Rh. 

von  G.  Wehling  &  A.  Ludwig -  Düsseldorf  ....  71 

Sprechzimmer, A.Schaaff  hausenscherBankverein  Köln  a.Rh. 

von  G.  Wehling  &  A.  Ludwig  Düsseldorf  ....  72 

Landhaus- Entwurf 

von  Gesellius,  Lindgren  &  Saarinen  Helsingfors  .  73 

Gesellschaftszimmer  des  Landhauses  auf  Tafel  73 

von  Gesellius,  Lindgren  &  Saarinen  Helsingfors  74 
Halle  des  Landhauses  auf  Tafel  73 

von  Gesellius,  Lindgren  &  Saarinen  Helsingfors  .  75 

Speisezimmer  des  Landhauses  auf  Tafel  73 


von  Gesellius,  Lindgren  &  Saarinen  Helsingfors  .  76 

Entwurf  zu  einem  Einfamilienhause 

von  Fritz  Sambale  München . 77 

Eingang  eines  Landhauses.  Eingang  eines  Gartenhauses 

von  Max  Benirschke  Düsseldorf . 78 

Grabkapellen:  v.  Porscheck,  Linz  a.  D.;  Wegner,  Osnabrück 

von  Beutinger  &  Steiner  Heilbronn- Darmstadt  .  .  79 

Entwurf  zu  einem  Landhause 

von  Paul  Burckhardt  Basel . 80 

Entwurf  zu  einem  Landsitze 

von  Gesellius,  Lindgren  &  Saarinen — Helsingfors  .  81 
Halle  aus  dem  Landsitze  auf  Tafel  81 

von  Gesellius,  Lindgren  &  Saarinen  Helsingfors  .  82 
Speisezimmer  aus  dem  Landsitze  auf  Tafel  81 

von  Gesellius,  Lindgren  &  Saarinen  Helsingfors  .  83 

Zimmer  der  Frau  aus  dem  Landsitze  auf  Tafel  81 

von  Gesellius,  Lindgren  &  Saarinen  Helsingfors  .  84 

Studio  aus  dem  Landsitze  auf  Tafel  81 

von  Gesellius,  Lindgren  &  Saarinen  Helsingfors  .  85 
Halle  aus  dem  Landsitze  auf  Tafel  81 

von  Gesellius,  Lindgren  &  Saarinen — Helsingfors  .  86 
Schule  in  Kirchheim  u.  T. 

von  Professor  Hermann  Billing  Karlsruhe.  ...  87 
Studie  zu  dem  Hause  eines  Junggesellen 

von  Otto  Schönthal  Wien . 88 

Geplanter  Ausbau  des  neuen  Theaters  in  Dortmund 

von  Professor  Martin  Dülfer  München . 89 

Neues  Theater  in  Dortmund 

von  Professor  Martin  Dülfer  -München . 90 

Zuschauerraum  des  neuen  Theaters  in  Dortmund 

von  Professor  Martin  Dülfer  München . 91 

Hauptfoyer  des  neuen  Theaters  in  Dortmund 

von  Professor  Martin  Dülfer  -München . 92 

Kaminpartie  einer  Halle 

von  Anton  Pössenbacher  -München . 93 

Entwurf  zu  einem  Landhause 

von  Wunibald  Deininger — Wien . 94 

Halle 

von  Edgar  Wood  Manchester . 95 

Entwurf  zu  einem  Schulhause 

von  Bruno  Taut — Stuttgart . 96 


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https://archive.org/details/modernebauformen03unse 


MODERNE  BAUKUNST  IN  KARLSRUHE. 


I.  HERMANN  BILLING. 


Eine  Erscheinung  wie  Hermann  Billing  wäre  noch  vor  etwa 
einem  Jahrzehnt  in  Karlsruhe  so  gut  wie  undenkbar  ge¬ 
wesen.  Überraschend  schnell,  beinahe  über  Nacht,  hat  sich 
hier  der  Umschwung  vollzogen,  welcher  den  Ideen  der  modernen 
Baukunst  den  Boden  ebnete.  Es  ist  bezeichnend,  dass  sich 
diese  Ideen  zuerst  in  den  Kreisen  bürgerlicher  Bauherrn  Bahn 
gebrochen  haben.  In  der  Privatbaukunst  wurde  der  Bann 
der  akademischen  Tradition,  der  auch  über  unserer  Stadt  wie 
ein  Alp  gelegen  hatte,  zum  erstenmal  gebrochen.  Von  hier  ist 
eine  Regeneration  unserer  heimischen  Architektur  ausgegangen, 
die  bald  auch  ausserhalb  des  Weich¬ 
bildes  der  Stadt  Karlsruhe  im  Land 
allenthalben  Wurzel  fasste.  Ihre  Haupt¬ 
träger  sind  heute  in  ganz  Deutschland 
und  sogar  über  die  politischen  Grenzen 
des  Reichs  hinaus  als  führende  Meister 
der  modernen  Architektur  anerkannt. 

V  Von  den  entscheidenden  Momenten, 
welche  das  Wesen  der  modernen  im 
Gegensatz  zu  den  akademischen  An¬ 
schauungen  auf  allen  Gebieten  der 
Künste  bezeichnen,  steht  das  Prinzip 
des  individuellen  Schaffens  obenan.  Die 
besonderen  Bedingungen,  welche  dieses 
Prinzip,  der  praktischen  Bedeutung 
seiner  Kunst  entsprechend,  an  den 
Architekten  stellt,  sind  keineswegs 
geeignet,  ihm  seine  künstlerische  Auf¬ 
gabe  zu  erleichtern  und  zu  vereinfachen. 

Er  muss  eine  künstlerische  Persönlich¬ 
keit  und  eine  praktische  Intelligenz  in 
Einem  repräsentieren:  im  stände  sein, 
seine  schöpferische  Formgebung  frei 
und  individuell  aus  den  Zweckmässig¬ 
keitsforderungen  des  einzelnen  Falls 
heraus  zu  entwickeln.  Also  vor  allem 
nicht  schabionisieren.  Das  Schablonen¬ 
wesen  mit  seinen  Grundübeln  =  dem 
ideenlosen  Kopieren  alter  Stile,  der 
abstrakten  Universalfassade,  den  sche¬ 
matischen  Grundrissen  u.  s.  w.  —  hatte 
unsere  Baukunst  zu  gründe  gerichtet. 


Die  Wurzeln  des  Unheils  liegen  allerdings  tiefer  in  unseren 
sozialen  Verhältnissen  begründet.  Wie  viele  von  uns  bauen 
sich  heute  noch  ein  eigenes  Haus?  Das  Miet-  und  Etagenhaus, 
von  allen  Aufgaben,  die  ein  Architekt  zu  lösen  hat,  mit  die 
undankbarste,  ist  heute  zum  Normalfall  geworden.  Das  ist  ein 
schweres  Hindernis  für  eine  persönliche  Entfaltung  des  künst¬ 
lerischen  Schaffens.  Und  doch  beweist  die  Tätigkeit  eines 
Architekten  wie  Hermann  Billing,  dass  es  auch  unter  diesen 
ungünstigen  Bedingungen  möglich  ist,  jede  Aufgabe  des  mo¬ 
dernen  Lebens  künstlerisch  und  individuell  zu  lösen,  sobald 

der  Architekt  sich  nur  dazu  versteht, 
den  Hauptzweck  des  Bauens  auch  als 
Hauptsache  zu  behandeln:  die  Raum¬ 
bildung.  Das  Innere  und  nicht  die 
Fassade  zum  Ausgangspunkt  seines 
künstlerischen  Schaffens  zu  machen. 
Denn  das  allein  gibt  ihm  die  Freiheit 
der  Bewegung,  jeden  Raum  von  Fall 
zu  Fall  so  zu  gestalten  und  bis  ins 
kleinste  Detail  sorgfältig  durchzubilden, 
dass  sich  die  praktisch-materiellen  und 
die  ästhetisch-idealen  Grundbedingun¬ 
gen  einer  wahrhaft  künstlerischen  Bau¬ 
kunst  zugleich  erfüllen.  Vor  allem 
müssen  die  beiden  Hauptfaktoren  der 
Raumstimmung  =  Form  und  Farbe  als 
gleichwertige  Momente  auch  eines  gleich¬ 
wertigen  Interesses  gewürdigt  und  die 
Mittel  einer  feiner  abgestuften,  der 
jedesmaligen  Raumbestimmung  ange¬ 
passten  Raumwirkung  =  Stimmungs¬ 
differenzen  durch  Raum-  und  Farb- 
differenzen  =  zu  ihrer  vollkommensten 
Ausdrucksfähigkeit  gesteigert  werden. 
V  Raumdifferenzen:  das  war  der  Punkt, 
wo  die  Regeln  der  akademischen  Bau¬ 
weise  dem  Architekten  die  Hände  am 
meisten  banden.  Die  Gesetze  des 
Monumentalstils  wurden  auf  jede  Form 
des  Privatgebäudes  übertragen.  Der 
Wohn-  und  Arbeitsraum  hat  aber  seine 
eigenen  Gesetze.  Die  Behaglichkeit 


PROF.  H.  BILLING.  Pforte  vom  Hanse  Stefanien¬ 
strasse  96,  Karlsruhe.  Ausführung  in  Schmiede¬ 
eisen,  mit  Neusilber  plattiert.  Verglasung  in 
Opalglas. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


eines  Wohnzimmers  z.  B.  verlangt  eine  ebenso  sorgfältige 
Berechnung  der  Verhältnisse  wie  die  Monumentalität  einer 
festlichen  Halle:  dass  die  Höhe  mit  der  Breite  und  Tiefe 
harmoniere:  also  Höhendifferenzen  geschaffen  werden.  Die 
ungleiche  Decken-  und  Fussbodenhöhe ,  je  der  Grösse  des 


PROF .  H.BILLING.  Geschäfts- und  Wohnhaus  der  Herren  Gehr.Beckh, 
Brauereibesitzer,  Pforzheim,  Gemeinschaftlich  erbaut  mit  Architekt 
E.  Maler,  Pforzheim.  Das  Erdgeschoss  enthält  die  Räume  für  die 
Schankwirtschaft  und  einen  Laden ;  die  Stockwerke  sind  als  Wohnungen 
eingerichtet.  An  der  Fassade  aus  Steinthäler  Sandstein  sind  einzelne 
I  Architekturglieder  und  Teile  der  Bildhauerarbeit  farbig  behandelt 

und  vergoldet. 


Zimmers  entsprechend,  die  Verbindung  von  Raum  zu  Raum 
durch  vermittelnde  Treppen  etc.,  die  interessanten  Perspek¬ 
tiven,  die  sich  daraus  ergeben,  gesteigert  und  bereichert  durch 
weitere  Motive  der  Raumdifferenzierung:  Ein-  und  Ausbauten 
jeder  Art,  Erker,  Nischen  u.  dergl.:  das  alles  sind  intime 
Stimmungsreize,  die  sich  mit  dem  Schema  einer  durchgeführten 
Symmetrie  durchaus  nicht  immer  vereinigen  lassen.  V 

V  Wir  haben  hier  das  Beispiel  des  Wohnraums  gewählt,  denn 

auf  diesem  Gebiet  hat  sich  die  Tätigkeit  Hermann  Billings 
bis  jetzt  am  reichsten  entfalten  können.  Selbstverständlich 
gelten  aber  dieselben  Gesetze  einer  individuellen  Raumgestaltung 
für  jede  andere  Art  praktischer  oder  monumentaler  Aufgaben. 
Für  einen  modernen  Architekten  ist  auch  ein  Fabrikgebäude 
einer  künstlerischen  Lösung  zugänglich:  nicht  durch  eine 
phantastische  Übertragung  romantisch-mittelalterlicher  Schloss¬ 
oder  Kirchenarchitektur,  sondern  durch  eine  einfache,  sinn¬ 
gemässe  Entwicklung  der  Form  aus  dem  Zweck.  V 

V  Von  den  Faktoren  der  farbigen  Erscheinung  des  Raums 

Licht  und  Farbe  im  eigentlichen  Sinn  liegt  in  dem  Be¬ 
dürfnis  einer  sinngemässen  Lichtführung  eine  weitere  Schranke 
für  die  Durchführung  der  absoluten  Symmetrie:  Konzentrierung 
des  Lichts,  Gegensätze  von  Licht  und  Schatten:  das  ist 
stimmungsvoll  und  das  ist  zweckmässig.  Gleichmässig  zer¬ 
streutes  Licht  macht  den  Raum  unwohnlich  und  ist  auch  un¬ 
logisch:  die  Decke  braucht  nicht  so  hell  beleuchtet  zu  sein 
wie  der  Fussboden  oder  die  Höhe,  in  der  Auge  und  Hand 
arbeiten!  So  kam  die  moderne  Architektur  wieder  auf  das 
alte,  durch  die  klassischen  Baustile  verdrängte  Prinzip  der 
freien,  nicht  unbedingt  an  die  Symmetrie  gebundenen  Anlage 
und  Gruppierung  der  Fenster.  V 

V  Und  dann  die  Farbe  selbst!  Keine  Seite  der  künst¬ 

lerischen  Aufgaben  des  Architekten  war  so  gründlich  vernach¬ 
lässigt  worden  als  diese  nirgends  hatte  sich  der  Zerfall  des 
künstlerischen  Gefühls  so  grass  geäussert,  wie  da,  wo  es  sich 
um  die  farbige  Ausstattung  des  Raums  handelte.  Es  ist  eine 
der  wichtigsten  Errungenschaften  der  modernen  Bewegung, 
dass  die  Architekten  wieder  anfangen,  die  Bedeutung  dieses 
Stimmungsträgers  par  excellence  in  ihrem  vollen  Umfang  an¬ 
zuerkennen.  Von  einer  richtig  durchgeführten  Farbdifferen- 
zierung  hängt  schliesslich  die  Stimmung  und  der  Totaleindruck 
eines  Raums  festlich  oder  intim,  ernst  oder  heiter,  frostig 
oder  behaglich  u.  s.  w.  mehr  ab  als  von  allem  anderen. 
Freilich  setzt  gerade  diese  Seite  der  Sache  einen  gründlich 
geschulten  künstlerischen  Geschmack  voraus:  noch  immer  eine 
der  schmerzlichsten  Lücken  in  dem  offiziellen  Erziehungsplan 
unserer  heutigen  Architekturschulen.  Ein  Architekt,  dem  nicht 
die  Grundsätze  unserer  modernen  Farbenempfindung  in  Fleisch 
und  Blut  übergegangen  sind,  ist  aber  ein  wahres  Unglück  für 
unsere  ästhetische  Kultur!  Billings  Künstlernatur  hat  ihn 
von  Haus  aus  mit  einem  stark  entwickelten  Farbsinn,  einer 
energischen  Freude  an  der  Farbe  ausgestattet.  Diese  Freude 
an  der  Farbe,  die  sich  anfangs  noch  etwas  laut  und  unvergoren 
äusserte,  beginnt  sich  in  seinen  neueren  Werken  zusehends 
zu  läutern  und  zu  verfeinern.  V 

V  Wie  im  Innern  als  Motiv  der  Stimmung,  so  ist  am  Aussern 
die  Raum-  und  Flächendifferenzierung  als  Motiv  einer  reichen 
und  interessanten  Fassadenwirkung  an  den  Billingschen  Bauten 
Gegenstand  einer  besonders  sorgfältigen  Durchbildung.  V 


MODERNE  BAUFORMEN  III  Z 


V  Die  Mehrzahl  seiner  Privathäuser 
sind  nach  dem  Prinzip  der  malerisch¬ 
gruppierenden  Stile  des  Mittelalters 
gebaut:  eine  Bauweise,  in  der  das 
Gesetz  des  Bauens  von  innen  heraus 
nun  einmal  seinen  charakteristischsten 
und  logischsten  Ausdruck  findet  und 
die  ganz  von  selbst  zum  Resultat  einer 
reich  differenzierten  Massen-  und 
Silhouettengliederung  führt.  Doch 
kapriziert  sich  Billing  grundsätzlich 
nicht  auf  einen  einzelnen  Stil.  In  der 
Beherrschung  sämtlicher  historischen 
Formen  =  frei  aufgefasst  und  persön¬ 
lich  durchgebildet,  nicht  pedantisch 
imitiert  =  sucht  er  die  Quelle  einer 
mannigfaltigeren  und  anregungsreiche¬ 
ren  Formensprache.  So  hat  er  sich 
in  seinen  neueren  Bauten  auch  mehr 
mit  der  symmetrischen  Fassade,  na¬ 
mentlich  auf  Grund  frei  entwickelter 
Barockformen  befreundet.  Sind  hier 
auch  naturgemässdieDifferenzierungs- 
mittel  gebundener, indem  sie  sich  mehr 
auf  die  Fläche  beschränken:  als 
Flächenverschiebungen  durch  Aus¬ 
buchtungen  und  Einrichtungen,  Vor¬ 
kragungen  und  dergleichen,  so  spricht 
andererseits  aus  der  Symmetrie  immer 
ein  Faktor  der  Monumentalität.  Und  in  der  Abwechslung  male¬ 
rischer  und  symmetrischer  Anlagen  liegt  ein  Gegengewicht  gegen 
das  einseitige  Verfallen  in  eine  Manier :  ein  notwendiges  Moment 
der  Bewegungsfreiheit:  wie  es  in  der  Kunst  überhaupt  nicht  auf 
das  System,  sondern  auf  den  Takt  der  Behandlung  ankommt. 
Auch  mit  einer  am  richtigen  Ort  angewandten  symmetrischen 
Anlage  in  Verbindung  mit  einer  interessanten  Giebel-  und 


PROF.  H.  BILLING.  Toreingang  der  Garteneinfriedigung  vom 
Hause  Stefanienstr.  96,  Karlsruhe.  Grünes  und  graues  Steinmaterial, 
Schmiedeeisen, 


Dachbildung  lassen  sich  reiche  malerische  Wirkungen  erzielen. 

V  In  letzter  Linie  hängt  freilich  die  Wirkung  einer  Fassade 

immer  wieder  von  dem  grösseren  oder  geringeren  Grad  des 
Materialgefühls  ab,  das  aus  ihr  spricht:  dass  wir  z.  B.  beim 
Anblick  einer  Steinmauer  den  Genuss  des  Fleischig-Üppigen 
haben,  nicht  den  Eindruck  des  Papierenen  oder  Bretternen. 
Auch  das  ist  eine  Gabe  des  persönlichen  Empfindens:  die  Seele 
des  Materials  herauszufühlen,  seinen  individuellen  Charakter 
zum  Sprechen  zu  bringen:  dass  Stein  als  Stein,  Metall  als 
Metall,  Holz  als  Holz  wirkt.  Es  erfordert  das  ein  ebenso  frisches 
und  gesundes  Gefühl  für  die  Behandlung  des  Grossen  =  der 
Masse,  der  Fläche  =  wie  des  Kleinen:  des  dekorativen  und 
konstruktiven  Details.  V 

V  Damit  kommen  wir  zum  letzten  Punkt:  Ausbau  und 

Ausstattung.  Dass  auch  das  ganze  Gebiet  der  inneren  und 
äusseren  Ausrüstung  des  Hauses  =  Fenster-  und  Türumrah¬ 
mungen,  Wandvertäfelung  und  Wandverkleidung,  Heiz-  und 
Leuchtkörper,  Schlosser-  und  Schmiedearbeiten  =  gleichwich¬ 
tige  Aufgaben  einer  künstlerischen  und  individuellen  Durch¬ 
bildung  des  Ganzen  sind,  das  ist  eine  Anschauung,  die  sich 
mehr  und  mehr  zu  einem  Fundamentalsatz  moderner  Baukunst 
befestigt  hat.  Denn  ein  Haus  ist  ein  Organismus:  eines  bedingt 
das  andere  und  das  Grösste  leidet,  wo  am  Kleinsten  gesündigt 
wird.  Darum  wird  der  Architekt  erst  da  befriedigt  sein,  wo 
ihm  auch  der  Entwurf  des  Mobiliars  bis  zur  Bestimmung  der 
Bilder,  Vasen,  Wandteppiche  etc.  überlassen  bleibt.  Oder  wo 
er  wenigstens  überzeugt  ist,  dass  das  alles  kunstverständigen 
und  kunstgeübten  Händen  überlassen  bleibt.  V 

V  Wir  haben  hier  in  grossen  Zügen  die  Grundsätze  ge- 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


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schildert,  die  das  Schaffen  eines  der  markantesten  Künstler¬ 
erscheinungen  auf  dem  Gebiet  moderner  Baukunst  leiten. 
Freilich  entspricht  das  Ideal  nicht  immer  der  Wirklichkeit. 
Der  Architekt  ist  ja  der  unfreiste  aller  Künstler:  Immer  schiebt 
sich  zwischen  künstlerische  Absicht  und  Ausführung,  mehr 
oder  minder  hemmend,  der  Wille  des  Bauherrn.  Und  diese 
Rücksicht  führt  nicht  immer  zu  einem  erfreulichen  Kompro¬ 
miss:  umso  unverwüstlicher  muss  die  Kraft  der  künstlerischen 
Überzeugung  sein,  wenn  sie  sich  in  einer  so  wuchtigen  und 
ungebrochenen  Stärke  äussert,  wie  in  den  Schöpfungen 
Hermann  Billings. 


PROF.  H.  B ILLING,  Villa  Baumeister,  Karlsruhe,  Eisenlohrstr.  31. 
Die  Fassaden  zeigen  hammerrechtes  Bruchsteinmauerwerk  aus  grün¬ 
lichem  Sulzfelder  Sandstein  und  weissen  Verputz.  Das  Dach  ist  mit 
Schiefer  eingedeckt  und  das  Giebelfeld  geschindelt. 


UNSERE  TAFELN. 

V  TAFEL  1.  Häusergruppe  in  Karlsruhe,  Stefanienstrasse  96, 

mit  der  Durchfahrt  zur  Baischstrasse.  Die  Abbildung  gibt  eines 
der  letzten  Bauwerke  von  PROF.  HERMANN  BILLING 
und  veranschaulicht  in  trefflicher  Weise  die  in  unserem  Auf¬ 
sätze  ausgesprochene  Bewertung  des  Billingschen  Schaffens. 
Wer  einmal,  besonders  an  trüben  Tagen  mit  bleigrauem  Himmel 
vor  der  Häusergruppe  stand,  wird  die  Wirkung  der  gelblichen 
Sandsteinmassen  (aus  den  Brüchen  von  Klingenmünster)  mit 
ihren  sparsam  angebrachten  goldenen  und  farbigen,  haupt¬ 
sächlich  blauen  Farbeffekten  als  hervorragend  schön  bezeichnen 
müssen  ;  auch  kommt  gerade  an  diesen  beiden  Fassaden  die 
Billingsche  Eigenart  in  der  Behandlung  der  Steinflächen  zu 
vollster  Entfaltung.  V 

V  TAFEL  2  ist  ein  Entwurf  des  Architekten  F.  W.  JOCHEM, 
DARMSTADT,  eines  Schülers  von  Professor  Jos.  M.  Olbrich. 
Die  Häusergruppe  ist  als  Mittelpunkt  einer  Flucht  von  Ein¬ 
familienhäusern  gedacht  und  daher  symmetrisch  gelöst.  Das 
grössere  Haus  in  der  Mitte  liegt  einige  Meter  hinter  der  Bau¬ 
linie  zurück  und  beherrscht  mit  seinem  hohen  Giebel  die  ganze 
Anlage.  Beiderseits  schieben  sich,  in  Grundriss  und  Silhouette 
gleichgestaltete  kleinere  Häuser  wie  Pylonen  vor  und  springen 
in  sich  selbst  wieder  ein  wenig  zurück,  um  auf  die  Fluchtlinie 


KARLSRUHE. 


K  WIDMER. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


PROF.  H.  BILLINü.  Sitzungszimmer  im  Verwaltungsgebäude  der  Maschinenfabrik  Bruchsal  A.  G. 
Ausführung  der  Möbel  und  Täfelung  in  blaugrau  gebeizter  Eiche  mit  Lederpolsterung. 

Beleuchtungskörper  aus  Kupfer. 


der  anschliessenden  Gebäude  zu  tref¬ 
fen.  Das  Mittelhaus,  im  wesentlichen 
ein  Fachwerkbau,  dessen  Vorbau  im 
Erdgeschoss  eine  offene  Halle  bildet, 
im  ersten  Obergeschoss  aber  zum  Teil 
als  Erker  den  Zimmern  zugeteilt,  zum 
Teil  als  Loggia  ausgebaut  ist,  hat  weiss¬ 
lackiertes  Holzwerk  mit  gezogenen 
und  rauhen,  gelben  Putzfeldern  ;  gold¬ 
gelb  glasierte  Ziegel  decken  den  Vor¬ 
bau,  Schiefer  das  Dach.  Die  beiden 
vorgeschobenen  Häuser  haben  Socke! 
aus  grünlichen  Sandsteinen,  darüber 
blauglasierte  Ziegelwände,  die  durch 
gemauerte  Bänder  in  heller  blauen 
Steinen  gemustert  sind.  Die  übrigen 
Wandflächen  und  die  Giebelfelder 
zeigen  weissen  Verputz  mit  gelbem 
Stich;  die  Dächer  sind  mit  Schiefer 
eingedeckt.  Dazu  kommen  noch  die 
weissen  Sandsteinflächen  und  das 
rostbraune  Gitterwerk  der  Einfriedi¬ 
gungen,  um  im  Verein  mit  den  bunten 
Farben  der  Vorgärten,  jene  ruhig¬ 
heitere  Wirkung  hervorzubringen,  die 
den  neuen  Villenstrassen  unserer 
Städte  leider  zumeist  noch  mangelt. 

V  TAFEL  3.  EDGAR  WOOD,  MAN¬ 
CHESTER,  zeigt  uns  hier  einen  Ent¬ 
wurf  zu  dem  Treppenhause  einer 
grossen  Stadtvilla.  Wir  stehen  an  der  Fensterwand.  Nach 
unten  öffnet  sich  der  Blick  in  den  unteren  Teil  der  Halle 
mit  Erkerausbau,  nach  oben  führt  der  Treppenarm  nach  einer 
als  Vorraum  ausgebauten  Galerie,  von  der  aus  die  Korridore  und 
der  obere  Teil  der  Halle  zugänglich  sind.  Das  Treppenhaus  ist 


auf  das  fröhlichste  ausgeschmückt.  Weiss  lackierte  Täfelung 
deckt  alle  Wände  bis  zum  Gewölbe,  dessen  Gurten  und  Rosetten 
aus  angetragenem  Stuck  eine  lebhafte  Bemalung  aufweisen. 
Ebenso  farbenfreudig  sind  die  in  Gesso  aufgetragenen  bemalten 
Ornamente  der  Galeriebogen,  die  geschnitzten  Figürchen  und 


Grundrisse  zu  Tafel  1. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


PROF.  H.  BILLING.  Portal  vom  Verwaltungsgebäude  der  Maschinen¬ 
fabrik  Bruchsal.  Ausführung  des  Tores  in  Kupfer  mit  facettierten 
Spiegelgläsern. 


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Verzierungen  der  Täfelung  und  das  Freskohild  im  Gewölbe¬ 
abschnitt  oberhalb  der  Galerie.  Dicke  bis  auf  eine  goldgelbe 
Borte  einfarbig  rote  Läuferteppiche  vermitteln  den  Uebergang 
zu  den  ernsten  Farben  der  Halle.  V 

V  Auf  TAFEL  4  sehen  wir  die  Strassenseite  des  Wohnhauses 
von  Professor  Dr.  Zeller,  Stuttgart,  Reinsburgstrasse.  Erbauer 
des  Flauses  ist  Architekt  PROFESSOR  THEODOR  FISCHER, 
STUTTGART.  Die  Fassade  v/irkt  zwischen  den  nebenstehen¬ 
den  Zinskästen  aus  dem  letzten  Viertel  des  vorigen  Jahrhunderts 
geradezu  überraschend.  Es  mag  hier  vorweg  gesagt  sein,  dass 
uns  zwar  die  Stellung  eines  niederen  Giebelhauses  in  eine 


Grundriss  zu  Tafel  2. 


Flucht  höherer,  würfelartig  gebauter  Häuser  als  gewagt  er¬ 
scheinen  will;  aber  vielleicht  liegt  gerade  darin  jene  über¬ 
zeugende  Sprache,  die  dem  Hause  eigen  ist.  Th.  Fischers  ge¬ 
wohnte  Sicherheit  in  der  Verteilung  der  Massen,  der  Konzen¬ 
trierung  des  Schmuckes  auf  wenige  durch  ihre  Bedeutung 
berechtigte  Gebäudeteile  und  nicht  zum  mindesten  seine  Sicher¬ 
heit  in  der  Farbe  kommen  selbst  an  diesem  bescheidenen  Bau¬ 
werke  voll  zur  Geltung.  Unser  Bild  gibt  zwar  nur  eine  schwache 
Vorstellung  von  der  farbigen  Wirkung  des  Hauses,  zumal  uns 
die  rote  Fläche  des  Daches  ganz  fehlt;  umsomehr  jedoch  zeigt 
es  die  Schönheit  der  Verhältnisse.  Das  Haus  ist  in  der  Haupt¬ 
sache  ein  Putzbau,  nur  zum  Erdgeschoss  und  zum  Erker  sind 
Stuttgarter  Sandsteine  aus  dem  Dachswald  verwendet;  die 
Ornamente  der  Putzflächen  sind  aus  dem  halbtrockenen  Ver¬ 
putz  ausgekratzt  und  mit  Kalkfarben  ausgemalt.  Der  bildliche 
Schmuck  am  Erker  nimmt  Bezug  auf  Beruf  und  Sinnesart  des 
Besitzers:  das  Giebelfeld  hat  Professor  G.  Halmhuber,  Stutt¬ 
gart,  mit  einem  Fresko,  den  barmherzigen  Samariter  darstellend, 


PROF.  H.  BILLING.  Vorplatz  und  Treppenaufgang  im  Verwaltungs¬ 
gebäude  der  Maschinenfabrik  Bruchsal. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


geschmückt;  die  musizierenden  Kindergestalten,  die  Steinbilder 
zu  Mörikes  Märchen  „der  sichere  Mann“,  „die  schöne  Lau“ 
und  der  Pelikan  sind  von  Bildhauer  J.  Brüllmann,  Stuttgart, 
ausgeführt.  Die  Bausumme  beträgt  ca.  75000  Mark.  V 

V  TAFEL  5  gibt  einen  Entwurf  des  Architekten  HENRY  PRO- 
VENSAL,  PARIS,  wieder  und  stammt  aus  einer  Reihe  von 
Landhausprojekten,  von  denen  wir  drei  zur  Veröffentlichung 
bringen  werden:  Haus  im  Norden,  Landhaus  in  gemässigtem 
Klima  und  Villa  im  Süden.  Bei  der  Komposition  versuchte 
der  Architekt  sowohl  die  Aussenarchitektur  als  auch  die  innere 
Einteilung  der  Häuser  unter  Berücksichtigung  klimatischer  Ver¬ 
hältnisse  auszugestalten  und  veranschaulicht  hierdurch  in  den 
sehr  praktischen  und  rationellen  Plänen  drei  verschiedene 
Typen  von  Wohnhäusern,  die  für  drei  verschiedene  Zonen 
und  folglich  auch  für  drei  verschiedene  Lebensweisen  bestimmt 
sind.  Ebenso  sucht  er  bei  den  Fassaden  die  aus  gewissen 
Bedürfnissen  entstehenden  Nutzformen  mit  der  Umgebung  aus¬ 
zugleichen  und  die  Häuser  der  jeweiligen  Landschaft  anzupassen 
und  einzugliedern.  Aus  diesem  Grunde  verwendet  er  nur 
lokales  Baumaterial.  Unsere  erste  Abbildung  zeigt  das  Landhaus 

in  gemässigtem  Klima.  Die 
verputzten  Backsteinmauern 
mit  den  nicht  allzugrossen 
Fenstern,  die  steilen  Ziegel¬ 
dächer  und  die  malerische 
Anordnung  der  Baumassen 
entsprechen  ganz  dem  Cha¬ 
rakter  solcher  Gegenden, 
deren  heimelige  alte  Häuser 
uns  die  Anpassung  von  Ge¬ 
bäuden  an  Standort  und  Be¬ 
wohner  so  eindringlich  lehren. 
V  TAFEL  6.  Haus  in  Wol- 
ves  Newton,  Monmouthshire. 
Architekt  A,  J.  HARDWICK, 
KINGSTON-ON  -THAMES 
(gezeichnet  von  Sidney  Cast¬ 
le).  Wie  bei  fast  allen  eng¬ 
lischen  Landhäusern  äusser- 
lich  schmucklos  =  verputzte 
Mauerflächen,  eichenes  Fach¬ 
werk,  Ziegeldach  =  ist  das 


PC,  cSCMOSi: 


PROF.  ROBERT  RITTMEYER.  WINTERTHUR. 

GEDÄCHTNISKAPELLE. 

Hoch  oben  auf  dem  natürlichen ,  an  einem  Abhang  schroff  hervor¬ 
ragenden  Fels  ist  eine  Plattform  auf  gemauert ,  welche  die  Kapelle 
trägt.  Sie  soll  ein  Bauwerk  sein,  das  die  Erinnerung  an  ein  für 
das  Land  bedeutsames  Ereignis:  an  eine  Schlacht,  ein  Bündnis,  den 
Bau  eines  Kanals,  Wasser-  oder  Feuersnot  u.  dergl.  den  jetzigen 
und  kommenden  Geschlechtern  wach  halten  soll.  Wände,  Dach  und 
Dachreiter ,  der  eine  kleine  Glocke  enthält,  sind  aus  wetterfestem 
Fels  gearbeitet.  Auch  das  Innere  ist  unverputzt  gelassen  und  nur 
mit  wenig  Malerei  belebt.  Der  vergoldete  Steinaltar  mit  Schrifttafel, 
dunkelblau  gebeizte  Eichenbänke,  rotes  Ziegelpflaster,  eine  schmiede¬ 
eiserne  Ampel  und  mit  lichtdurchlassenden  dünnen  Marmorplatten 
geschlossene  Fenster  mögen  eine  würdige  ernste  Stimmung  geben. 
Ein  Freskobild  über  dem  Eingang  soll  in  markanten  Zügen  die 
Grösse  des  Ereignisses  unserem  Sinn  und  Gemüt  übermitteln. 


Innere  um  so  behaglicher  ausgestattet.  Besondere  Sorgfalt  wurde 
auf  die  Eingangshalle,  verwendet,  von  der  uns  jedoch  leider  keine 
Abbildung  vorliegt.  Hier  sind  die  Wände  bis  2  Fuss  unter  das 
Deckengesims  in  dunkel  getönter  Eiche  getäfelt,  ebenso  die  in 
einfachsten  Formen  gehaltene  Decke.  Dazwischen  läuft  ein 
Fries  in  reich  ornamentierter  Steinbildnerei  mit  bronzenen 
Einlagen.  Dies  und  die  Treppe  mit  ihren  Holzschnitzereien, 
die  schmiedeeisernen  Beleuchtungskörper,  das  massive  Möbel¬ 
werk  und  die  warmen  Farben  von  Teppichen  und  Vorhängen 
bilden  einen  Innenraum  von  wohltuendstem  Einklang.  Infolge 
der  hohen  Lage  des  Hauses  geniesst  man  von  den  oberen 
Stockwerken  einen  prächtigen  Ausblick  auf  das  Tal  gegen 


Grundrisse  und  Schnitt  zu  Tafel  4. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


PAUL  BURCKHARDT,  MÜNCHEN. 

HAUPTTOR  EINES  ZOOLOGISCHEN  GARTENS. 

Unter  Beschränkung  der  Baumassen  auf  das  Notwendige  und  mit 
möglichst  einfachen  Mitteln  sucht  der  Architekt  der  eigenartigen 
Aufgabe  gerecht  zu  werden.  In  die  gegen  das  Tor  zu  erhöhten 
Umfassungsmauern  ist  der  mächtige  Torbogen  eingesetzt,  dem  die  beiden 
vorgelagerten  Kassen  zugleich  als  Sockel  für  das  aus  Holz  kon¬ 
struierte  Schutzdach  dienen.  Lebhafte  Farben  zwingen  die  Vorüber¬ 
gehenden  zur  Aufmerksamkeit:  an  den  gelblichverputzten  Mauerflächen 
stehen  die  um  die  Kassenmauern  laufenden  Vogelfriese  in  flacher  Plastik 
hart  weiss  mit  roten  Füssen  und  Schnäbeln  auf  grauem  Grund;  die 
Füllung  unterhalb  des  blaugestrichenen  Vordaches  zeigt  in  Ton  gebrann  te 
Elefanten  zwischen  smaragdgrünem  und  goldenem  Fliesenbelag. 


Avergavenny  und  das  etwa  20  engl.  Meilen  entfernte  Sugar  Loaf 
Gebirge.  Die  ganze  Talseite,  die  sehr  steil  abfällt,  ist  in  einer 
Folge  von  Terrassen  und  holländischen  Gärten  angelegt,  deren 
abgezirkelte  Wege  und  Gartenflächen  besonders  zur  Zeit  der 
Frühlingsblüte  einen  bezaubernden  Anblick  gewähren.  V 

V  Der  Innenraum  auf  TAFEL  7,  eine  glückliche  Illustration 

zu  unserem  Aufsatze  über  moderne  Architektur  in  Karlsruhe, 
ist  eine  Ansicht  der  Kaminpartie  aus  der  Halle  der  Villa  Mez, 
Freiburg  i.  Br.,  gemeinschaftlich  mit  Regierungsbaumeister 
J.  MALLEBREIN,  FREIBURG,  ausgeführt  von  PROFESSOR 
HERMANN  BILLING.  Der  schweren,  satten  Farbstimmung 
der  Halle  entsprechend,  sind  auch  die  Rohstoffe  und  Formen 
der  Einrichtungsgegenstände  gewählt:  Eichenholz  für  Treppen¬ 
täfelung  und  Möbel,  Marmor  mit  blankpolierten  geschmiedeten 
Messingeinsätzen  für  den  Kamin,  Lederpolsterung  auf  den  mit 
Eisen  beschlagenen  Sitzgelegenheiten,  dickwollige  Teppiche 
U.  S.  W.  V 

V  TAFEL  8  führt  uns  in  die  Berge  von  Savoyen,  wo  die  Archi¬ 

tekten  E.  MONOD  &  A.  LAVERRIERE,  LAUSANNE,  die  ab¬ 
gebildete  Villa  für  Herrn  G.  in  M.  bauen  werden.  Das  Gebäude 
kommt  in  einen  ausgedehnten  Park  zu  stehen,  der  rings  um  das 
Haus  in  streng  geführten  Rasenflächen  mit  Blumenbosketts  und 
Hecken  angelegt  wird,  dann  aber  ganz  allgemach  in  den  in 
seinem  unberührten  Zustande  gelassenen  Waldbestand  über¬ 
geht.  Die  in  der  Nähe  befindlichen  Brüche  liefern  das  gelb¬ 
liche  Steinmaterial,  das  zum  Teil  unbearbeitet  vermauert  und 
verputzt  wird.  Grossästiges  Lärchenholz  wird  zu  Balkons, 
Geländern,  Dachgebälke  u.  s.  w.  verwendet  und,  wo  es  sicht¬ 
bar  bleibt,  mit  einem  dünnflüssigen  Mennig-Anstrich  versehen, 
der  gerade  so  viel  Farbstoff  enthält,  um  nach  der  Firnissung 
die  reizvolle  Zeichnung  des  Lärchenmasers  ganz  zur  Geltung 
kommen  zu  lassen.  Das  Fensterholz  wird  weiss  gestrichen 
und  das  Dach  mit  hellmennigfarbenen,  viereckigen  Ziegelplatten 
eingedeckt,  wodurch  das  ganze  Gebäude  äusserlich  auf  drei 
Farben  =  gelb,  weiss  und  rot  gestimmt  ist.  V 


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INV:  A.JESSOP  HARDWICK.  KlNGSTON-ON- 


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jahrs-  MONAT/HEFTE  für7\R.CHITEKTUR.  HEFT! 


MODERNE  BAUKUNST  IN  KARLSRUHE. 


II.  CURJEL  &  MOSER. 


Ein  ominöser  Sinn  haftet  heute  an  dem  Wort  Renaissance. 

Der  Missbrauch,  den  die  Nachwelt  mit  ihr  getrieben  hat, 
hat  uns  ein  gutes  Stück  von  der  Sache  selbst  entleidet.  Wir 
können  es  so  leicht  nicht  vergessen,  dass  die  Herrschaft  dieses 
Stils  in  Architektur  und  Kunstgewerbe  mit  einer  Epoche  des 
ärgsten  Tiefstands  unserer  künstlerischen  Kultur  zusammen¬ 
gefallen  ist:  eines  Tiefstandes  der  im  wesentlichen  die  Folge 
einer  einseitigen,  mehr  ver- 
standesmässig  -  wissenschaft¬ 
lichen  als  gefühlsmässig- 
künstlerischen  Auffassung 
des  Architektenberufes  ge¬ 
wesen  ist.  So  war  es  nicht  zu 
verwundern,  dass  die  Re¬ 
aktion  gegen  den  Geist  dieser 
Auffassung  zu  einer  Reaktion 
gegen  die  Renaissance  selbst 
geführt  hat.  In  der  Tat  be¬ 
ginnt  damit  erst  das  Erwachen 
eines  wahrhaft  lebendigen,  mit 
den  Bedingungen  unseres  ei¬ 
genen  Lebens  im  natürlichen 
Zusammenhang  stehenden 
Kunstschaffens.  Auch  bei 
uns  in  Karlsruhe  ist  es  so  ge¬ 
kommen.  Hier  hatte  die  aus 
Italien  importierte  Neurenais¬ 
sance  der  70  er  und  80  er 
Jahre  die  letzten  Fäden  einer 
lebendigen  Stiltradition  von 
selbständigem,  autochthonem 
Charakter  vollends  abgeris¬ 
sen.  Die  Stadt  verlor  ihre, 
damals  ohnehin  schon  stark 
verwischte,  persönliche  Phy¬ 
siognomie,  die  ihr  einst  W ein- 
brenner  mit  so  wuchtiger 
Hand  aufgeprägt  hatte,  end¬ 
gültig.  Die  Universalfassade, 
die  überall  und  nirgends  zu 
Hause  ist,  das  Produkt 
trockener,  wenn  auch  noch 


so  gediegener  Gelehrsamkeit  oder  ihr  verständnislos  nach¬ 
stümpernder  Geschmacksbarbarei,  machte  sich  breit  neben  den 
alten  gemütvollen  Häusern  des  Biedermaierstils.  Die  Wendung 
der  Dinge  wurde  bei  uns  um  so  verhängnisvoller,  da  sie  in  eine 
Zeit  der  beschleunigten  städtischen  Entwickelung  fiel.  Karls¬ 
ruhe,  dem  ja  das  Gegengewicht  interessanter  mittelalterlicher 
Stadtteile  fehlt,  drohte  eines  der  unerfreulichsten  Beispiele 

moderner  Poesie-  und  Cha¬ 
rakterlosigkeit  zu  werden.  Da 
kam  —  Ende  der  neunziger 
Jahre  —  der  Umschwung  un¬ 
erwartet  rasch  und  durch¬ 
schlagend.  Er  setzte  eben¬ 
falls  ein  mit  einem  Vorstoss 
gegen  die  Herrschaft  der 
Renaissance.  Doch  gingdieser 
zunächstvon  der  historischen, 
nicht  von  der  modernen 
Schule  aus.  K.  SCHÄFER, 
der  geniale  Gotiker,  hat  mit 
seiner  altkatholischen  Pfarr¬ 
kirche  die  erste  Bresche  ge¬ 
brochen.  Noch  mehr  viel¬ 
leicht  als  die  Kirche  selbst, 
öffnete  das  im  deutschen 
Fachwerkstil  erbaute  Pfarr¬ 
haus  den  Leuten  die  Augen, 
dass  es  für  die  Aufgaben  des 
modernen  Lebens,  noch 
andere  und  vielleicht  dank¬ 
barere  Anregungen  gebe,  als 
das  abstrakte  Einerlei  rö¬ 
mischer  Prunkfassaden  und 
dass  es  immerhin  zwei  ver¬ 
schiedene  Dinge  seien,  alte 
Bauformen  mit  künstle¬ 
rischem  Verständnis  neu  zu 
beleben  oder  mit  verstandes- 
mässiger  Nüchternheit  abzu¬ 
schreiben.  So  half  Schäfer, 
der  seinem  Hass  gegen  die 
Modernen  so  temperament- 


CURJEL  &  MOSER,  Bankgebäude  Veit  L.  Homburger,  Karlsruhe. 
Haupteingang,  gelblicher  Spessart-Sandstein,  Tor  aus 
Schmiedeeisen. 


MODERNE  BAUFORMEN  III _ 

ausgedehnt.  Neben  ihren  zahlreichen 
Privatbauten  haben  sie  auch  eine  statt¬ 
liche  Reihe  bedeutender  Monumental¬ 
bauten  ausgeführt.  Namentlich  ver¬ 
dankt  ihnen  der  protestantische 
Kirchenbau  Südwestdeutschlands  bis 
weit  in  die  Schweiz  hinein  eine  epoche¬ 
machende  Förderung.  Als  künst¬ 
lerische  Charaktere  gegen  einander 
abgewogen,  überwiegt  bei  Billing 
vielleicht  das  sprudelndere  Tempera¬ 
ment,  bei  Curjel  &  Moser  eine  ab¬ 
geklärtere  Kultur.  Doch  sind  das  nur 
summarische  Wertungen  von  sehr  re¬ 
lativer  Gültigkeit.  V 

V  Den  Kreis  der  von  Curjel  &  Moser 
geschaffenen  Werke  umschreiben  bis 
jetzt  drei  (durch  zahlreiche  Kombi¬ 
nationen  und  Uebergänge  unter  sich 
vermittelte)  Hauptgruppen:  Wohn¬ 
häuser,  Geschäftshäuser  und  Kirchen. 

V  Was  zunächst  ihre  Wohnhäuser 
betrifft,  so  decken  sich  da  mit  der 
gemeinsamen  Aufgabe  begreiflicher¬ 
weise  auch  die  allgemeinen  Prinzipien 
vielfach  mit  denen,  die  wir  bei  der 


CURJEL  &  MOSER.  Bankgebäude  Veit  L.  Homburger,  Karlsruhe. 
Detail  von  der  Ecke  mit  Turm. 


vollen  Ausdruck  zu  geben  liebt,  selbst  mit,  ihnen  die  Bahn  zu 
ebnen.  Auch  sein  Schüler,  der  vortreffliche  RATZEL,  steht  auf 
demselben  Boden  streng  historischer  Anschauungen.  Sein  einziges 
Werk,  in  dem  er  dem  modernen  Geschmack  eine  entschiedene 
Konzession  gemacht  hat,  die  Halle  der  Jubiläums-Kunstaus- 
stellung  ist  -  als  Provisorium,  wie  sie  von  vornherein  gedacht 
war  nun  endgültig  dem  Untergang  geweiht.  Im  übrigen  aber 
stehen  auch  seine  historischen  Schöpfungen  denen  unserer 
modernen  Architekten  im  Geiste  nahe  genug:  nicht  nur,  weil 
sie  auf  verwandten  Grundlagen  malerisch  nordischer  Baukunst 
aufbauen,  sondern  vor  allem,  weil  auch  in  ihnen  der  wissen¬ 
schaftliche  Geist  die  künstlerische  Empfindung  nicht  erdrückt 
hat.  V 

V  Für  die  Entwickelung  der  Karlsruher  Architektur  im  eigent¬ 

lichen  modernen  Sinn  war  es  aber  von  entscheidender  Wichtigkeit, 
dass  zugleich  eine  Gruppe  dem  historischen  gegenüber  selb¬ 
ständigerer  Künstler  in  die  Schranken  trat,  deren  Wirken,  sich 
gegenseitig  ergänzend,  ein  doppeltes  Gewicht  in  die  Wagschale 
der  Modernen  warf:  es  ist  neben  dem  von  uns  schon  be¬ 
sprochenen  Hermann  Billing  vor  allem  die  Architektenfirma 
Curjel  &  Moser.  Die  beiden  Baufirmen  beherrschen  gegen¬ 
wärtig  als  tonangebende  Potenzen  von  annähernd  gleicher 
Schwerkraft  das  architektonische  Leben  von  Neu-Karlsruhe. 
Wenn  wir  heute  von  einer  originalen  Jung-Karlsruher  A  rc  h  i- 
tekturschule  sprechen  können,  die  der  Physiognomie  der 
Stadt  einen  eigenartig  persönlichen  Charakterzug  aufprägt,  so 
haben  wir  in  ihnen  ihre  einflussreichsten  und  eigentlich 
führenden  Repräsentanten  zu  suchen.  V 

V  Dabei  hat  sich  der  Wirkungskreis  von  Curjel  &  Moser 
entsprechend  ihrer  längeren  Tätigkeit  innerhalb  und  ausser¬ 
halb  Karlsruhe,  auf  eine  etwas  reichere  Skala  von  Aufgaben 


CURJEL  &  MOSER.  Villa  des  Herrn  Geh.  Komm.-Rat  Robert 
Koelle,  Karlsruhe.  Haupteingang  mit  Unterfahrt. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


Besprechungder  Billingschen 
Bauten  entwickelt  haben. 

Auch  hier  steht  der  Grund¬ 
satz  des  individualisierenden 
Schaffens  obenan :  bei  Villen¬ 
bauten  bedeutet  das  ein  in¬ 
timeres  Eingehen  auf  die 
Persönlichkeit,  die  Lebens¬ 
gewohnheiten  und  Lebens¬ 
stellung  des  einzelnen  Bau¬ 
herrn,  bei  Miethäusern  die 
grössere  Rücksicht  auf  ein 
gewisses  Durchschnittsmass 
moderner  Bedürfnisse.  Eine 
allgemeinere  Gleichmässig- 
keit  der  Anlage,  die  sich  auch 
im  Äussern  aussprechen  wird, 
ist  im  letzteren  Fall  durch¬ 
aus  zweckentsprechend.  V 
V  Curjel  &  Moser  haben  in 
diesem  Sinn  an  der  Peri¬ 
pherie  der  Stadt  geschlossene 
Komplexe  geschaffen,  die 
gerade  dadurch  eine  glück¬ 
liche  Einheit  und  Harmonie 
der  Gesamtwirkung  erhielten, 
während  doch  jede  Einförmig¬ 
keit  durch  eine  abwechs¬ 
lungsreiche  Kombination  der 
wiederkehrenden  Elemente 
vermieden  wurde.  Übrigens 
lassen  sich  auch  für  die  Anlage  des  Einfamilienhauses,  unbe¬ 
schadet  der  Individualisierung  des  einzelnen  Falles,  gewisse 
gemeinsame  Grundsätze  abstrahieren :  so  trägt  u.  a.  die  Grup¬ 
pierung  der  Zimmer  um  einen  zentralen  Mittelraum  —  eine 
Wiedergeburt  der  altdeutschen  Halle  —  zur  Behaglichkeit  und 
Bequemlichkeit  des  Wohnens  bei  und  beschränkt  doch  die 
wünschenswerte  Freiheit  des  Einteilungsplanes  in  keiner  Weise. 
Dem  individualisierenden  Prinzip  der  Entwickelung  des  Äussern 
aus  dem  Innern  heraus  entsprechend,  haben  auch  Curjel  & 
Moser  sich  von  der  akademisch  -  symmetrischen  Fassaden¬ 
anlage  mit  voller  Entschiedenheit  der  malerisch-gruppierenden 
Bauweise  zugewandt.  Sie  haben  bis  jetzt  konsequenter  an 
ihr  festgehalten  als  Billing,  der  sich  ja  in  letzter  Zeit  auch 
mit  dem  Prinzip  der  Renaissance  wieder  mehr  befreundet  hat. 
Das  Odium  gegen  die  Renaissance  es  soll  das  immer  wieder 
betont  werden  —  richtet  sich  ja  nicht  sowohl  gegen  die  Sache 
selbst,  als  gegen  ihren  Missbrauch.  Wie  denn  überhaupt  kein 
Baustil  an  sich  verwerflich  oder  alleinseeligmachend  ist.  Warum 
sollten  auch  frei  und  zweckentsprechend,  ohne  systematische 
Pedanterie  umgewertete  Renaissanceformen  für  die  Bedürfnisse 
unseres  modernen  Daseins  nicht  ebenso  gut  fruchtbar  gemacht 
werden  können,  wie  Empire  und  Barock  oder  die  unserer 
modernen  Welt  doch  weit  entlegeneren  Elemente  altägyptischer 
Baukunst?  Auf  den  Geist,  nicht  auf  den  Buchstaben  kommt 
es  an.  Aber  der  Geist  war  es,  gegen  den  gerade  da  am  ärgsten 
gesündigt  worden  war,  wo  man  den  Buchstaben  am  heiligsten 
gehalten  hatte.  y 


V  Der  Unterschied  des 
Wohnhauses  und  Geschäfts¬ 
hauses  kündet  sich  nach 
aussen  wohl  in  nichts  so 
klar  an  wie  im  Problem  der 
Fensterbehandlung.  Das  Fen¬ 
sterspricht  als  Faktor  der  Fas¬ 
sadenwirkung  wie  der innern 
Raumstimmung  ein  gleich  ge¬ 
wichtiges  Wort.  So  verlangt 
das  Gebot  der  Wohnlichkeit, 
vom  praktischen  wie  vom 
ästhetischen  Gesichtspunkt 
aus,  möglichst  geschlos¬ 
sene  Flächen:  also  Spar¬ 
samkeit  mit  den  Lichtquellen, 
Schonung  der  Wände,  freie 
Gruppierung  der  Fenster, 
Konzentrierung  des  Lichts. 
Die  praktischen  Bedürfnisse 
des  modernen  Geschäfts¬ 
hauses  fordern  im  Gegen- 

satzdazudiewei  tgehendste 
Öffnung  der  Mauerfläche: 
Schaffung  weiter  Schaufen¬ 
ster,  heller  Bureauräume.  So 
löst  sich  schliesslich  die  ganze 
Strassenwand  auf  in  ein  Sy¬ 
stem  von  Pfeilern,  zwischen 
denengewaltige  Glasscheiben 
ausgespannt  sind.  Die  ganze 
Fassade  verwandelt  sich  in  ein  riesiges,  stein-  oder  eisen¬ 
umrahmtes  Fenster.  Curjel  &  Moser  waren  mit  die  ersten, 
die  diesen,  im  Konstruktionsprinzip  mit  der  Gotik  überein¬ 
stimmenden  Typus  zuerst  bei  uns  eingeführt  haben.  Die 
beste  organische  Lösung  fanden  sie  da,  wo  eine  gewisse  Ein¬ 
heit  schon  in  der  Aufgabe  garantiert  war:  z.  B.  dem  Bankhaus 
von  Veit  L.  Homburger,  einem  reinen  und  ausschliesslich 
aus  Stein  errichteten  Geschäftsbau.  Hier  konnte  das  Prinzip 
auch  einheitlich  und  durchaus  folgerichtig  durchgeführt  werden. 
Viel  grössere  Schwierigkeiten  liegen  da,  wo  zwei  heterogene 
Aufgaben  (oder  zwei  verschiedene  Materialprinzipien,  wie  Eisen 
und  Stein)  in  einen  Plan  zusammengefasst:  z.  B.  Hotelräume 
oder  Wohnetagen  mit  einem  Kaufhaus  kombiniert  werden 
sollen.  Hier  bekommt  man  leicht  den  Eindruck,  dass  die  ganze 
Konstruktion  gleichsam  auf  den  Kopf  gestellt  sei:  das  Leichte, 
Durchbrochene  steht  unten,  das  Schwere,  Massige  oben.  V 
V  Seit  dem  Tode  Weinbrenners  hat  über  dem  Kirchenbau  der 
Stadt  Karlsruhe  ein  sinkender  Stern  gewaltet.  Die  Aufgaben 
stockten  jahrzentelang  fast  ganz.  Erst  in  neuester  Zeit  hat 
der  Aufschwung  der  Stadt  auch  auf  diesem  Gebiet  eine  Wen¬ 
dung  zum  Bessern  gebracht.  Mit  der  Zahl  der  Aufträge  ist 
auch  das  künstlerische  Niveau  der  Bauschöpfungen  rasch 
emporgeschnellt.  Die  altkatholische  Pfarrkirche  von  Schäfer, 
man  mag  mit  ihrem  unerbittlichen  historischen  Purismus, 
namentlich  mit  der  Ausmalerei  des  Innern  in  allen  Stücken 
einverstanden  sein  oder  nicht,  war  jedenfalls  eine  künstle¬ 
rische  Tat.  Gleichzeitig  ging  auch  über  dem  protestantischen 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


W " 


CURJEL  &  MOSER.  Villa  Koelle,  Karlsruhe. 
Erker  am  Schlafzimmer. 


Kirchenbau  ein  günstigerer  Stern 

auf.  V 

V  Curjel  &  Moser  gebührt  das 

Verdienst,  auch  auf  diesem  Gebiet 
für  neue  Ideen  Bahn  gebrochen  zu 
haben.  Sie  haben  den  modernen 
Typus  bei  uns  eingebürgert,  der 
sich  als  Norm  einer  den  Zwecken 
des  protestantischen  Kultus  am 
meisten  entsprechenden  Ideal¬ 
anlage  herausgebildet  hat:  die 
konzentrale  Kreuzanlage  mit  kurzen 
breiten  Armen.  Die  Vorteile  dieses 
Typus  sind  bekannt:  während  die 
dem  katholischen  Kirchenbau  ent¬ 
lehnte,  aus  ganz  andern  Bedin¬ 
gungen  herausgewachsene  Lang¬ 
schiffanlage  mit  einer  vorherrschen¬ 
den  Hauptachse  in  allen  Punkten 
den  Forderungen  des  protestan¬ 
tischen  Gottesdienstes  widerspricht, 
haben  wir  hier,  die  durch  die  Be¬ 
tonung  von  Wort  und  Predigt  ge¬ 
botene  Konzentrierung  von  A.uge 
und  Ohr  auf  Altar  und  Kanzel :  noch 
gesteigert  durch  radiale  Anordnung 
der  Sitzplätze  und  dergl.  V 

V  Curjel  &  Moser  sind  in  Karls¬ 
ruhe  bis  jetzt  zwei  kirchenarchi¬ 
tektonische  Aufgaben  grösseren 
Stils  zugefallen :  die  vor  wenigen 
Jahren  vollendete  Christuskirche 
im  Westen  der  Stadt  und  das  Pro¬ 
jekt  einer  neuen  protestantischen 
Kirche  im  Osten.  Soweit  das  Modell 
und  die  Entwürfe  einen  Vergleich 


CURJEL  &  MOSER.  Villa  Koelle.  Karlsruhe. 
Fensterdetail. 


zulassen,  verspricht  die  letztere  die  ausgereifte  Vollendung  von 
dem  zu  werden,  was  in  der  Christuskirche  mit  so  schönem  Er¬ 
folge  angestrebt  worden  ist.  Namentlich  konnte  noch  ein  grösseres 
Gewicht  gelegt  werden  auf  eine  malerisch  geschlossene  und 
interessant  silhouettierte  Gruppierung  der  in  den  Bezirk  der 
Kirche  einbezogenen,  architektonischen  Umgebung  des  Pfarr¬ 
hauses  u.  s.  w.  Auch  was  die  architektonische  Behandlung 
der  Fassaden  selbst  betrifft,  so  macht  sich  ein  weiterer  Fort¬ 
schritt  geltend  in  der  einheitlicheren  und  ausgereifteren  Ver¬ 
arbeitung  der  zu  Grunde  gelegten  historischen  Elemente.  Der 
Eindruck  des  Ganzen  verspricht  noch  ruhiger,  wuchtiger  und 
damit  monumentaler  zu  werden.  V 

v7  Für  die  Wirkung  des  Innern  steht  natürlich  die  Bedeutung 
einer  geschlossenen  und  weihevollen  Raumbildung  obenan. 
Doch  ist  es  ihnen  besonders  anzurechnen,  dass  sie  auch  das 
für  den  protestantischen  Kirchenbau  so  heikle  Problem  der 
Farbe  und  der  künstlerischen  Ausstattung  mit  ebenso  viel  Mut 
als  Glück  angefasst  haben.  Die  Christuskirche  ist  im  Innern 
ausgesprochen  farbig  gehalten  —  selbst  das  Wagnis  vielfarbiger 
Glasmalerei  ist  mit  Erfolg  durchgeführt  worden.  Dass  dabei 
mit  feinem  Takt  die  Linie  eingehalten  wurde,  welche  die  von 
dem  puritanischeren  Geist  des  Protestantismus  gebotene  Zurück¬ 


haltung  vorschreibt,  ohne  dass  die  Tiefe  und  Kraft  der  kolo¬ 
ristischen  Stimmung  dadurch  geschwächt  wurde:  das  bedeutet 
einen  Erfolg,  der  hoffen  lässt,  dass  damit  bei  uns  ein  für  alle¬ 
mal  das  Vorurteil  streng  protestantischer  Anschauungen  gegen 
eine  farbige  Behandlung  ihrer  Kirchen  überwunden  sein  wird.  V 

V  Ähnliches  gilt  von  der  Ausschmückung  der  Kirche  durch 

Werke  der  freien  und  angewandten  Kunst.  Auch  hier  kommt 
alles  auf  taktvolle  Zurückhaltung  an.  Das  in  seiner  durch¬ 
geistigten  Schlichtheit  und  stilvollen  Grösse  ebenso  ergreifende 
wie  unaufdringliche  Steinkruzifix  der  Altarwand  (modelliert 
von  Fried.  Dietsche),  das  die  Bedeutung  des  Raums  symbolisch 
zusammenfasst  und  die  Stimmung  auf  seinen  geistigen  Mittel¬ 
punkt  konzentriert,  wird  bei  dem  strengsten  Richter  keinen 
Anstoss  unprotestantischen  „Heidentums“  erregen.  V 

V  Der  Grundsatz  der  Einfachheit,  namentlich  in  der  Konzen¬ 
tration  eines  sparsam  verwendeten  Sch  mucks,  dieses  fundamentale 
Axiom  neuzeitlicher  Kunstanschauung,  ermöglicht  es  dem  mo¬ 
dernen  Architekten  wieder,  in  der  inneren  und  äusseren  deko¬ 
rativen  und  praktischen  Ausstattung  seiner  Bauten  der  echten 
Kunst  und  dem  echten  Kunsthandwerk  einen  würdigen  Platz 
anzuweisen  —  was  an  unnützer  Verschwendung  mit  dekorativem 
Detail  gespart  wird,  das  kommt  der  künstlerischen  und  mate- 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


13 


riellen  Gediegenheit  der  aufgewandten 
Mittel  zu  gute.  So  erfüllt  die  Archi¬ 
tektur  wieder  eine  ihrer  segens¬ 
reichsten  Kulturaufgaben,  indem  sie 
der  Zersplitterung  unseres  heutigen 
Kunstlebens  siegreich  entgegenar¬ 
beitet  und  für  das  Zusammenwirken 
aller  bildenden  Künste  einen  gemein¬ 
samen  goldenen  Boden  schafft.  Das 
ist  der  sicherste  und  vielleicht  der 
einzige  Weg,  die  Kluft,  die  Kunst  und 
Leben  getrennt  hat,  wenn  nicht  aus¬ 
zufüllen,  so  doch  zu  überbrücken. 
Unter  den  grossen  Erfolgen,  welche 
der  Aufschwungdes  Karlsruher  Kunst¬ 
lebens  gerade  der  modernen  Archi¬ 
tektur  zu  verdanken  hat,  ist  das  ent¬ 
schiedene  und  verständnisvolle  Ein¬ 
treten  für  diese  Bestrebungen  nicht 
das  letzte.  V 

V  In  der  Tätigkeit  von  Hermann 
Billing  und  Curjel  &  Moser  gipfelt 
zurZeit  unsere  Karlsruher  Bautätigkeit 
moderner  Richtung.  Doch  haben  die 
Anregungen,  die  von  ihnen  ausge¬ 
gangen  sind,  auch  bei  andern  schon 
bemerkenswerte  Früchte  getragen 


gute  und  begreiflicherweise  auch  minder  gute.  Man  fühlt  das 
Wehen  ihres  Geistes  durch  unsere  ganze  moderne  Stadt¬ 
entwicklung  hindurch.  So  hat  unter  andern  H.  STÜRZEN  ACKER, 
bei  den  Hochbauten  des  Karlsruher  Rheinhafens,  manches 
interessante  Beispiel  künstlerischer  Behandlung  der  durch 
das  moderne  Verkehrs-  und  Gewerbeleben  gestellten  Aufgaben 
geschaffen.  Doch  ist  hier  nicht  der  Ort,  auf  weitere  Einzel¬ 
heiten  einzugehen.  Genug,  man  spürt  hier  überall,  dass  es 
auch  im  ganzen  vorangeht.  In  seiner  architektonischen  Ent¬ 
wicklung  könnte  das  heutige  Karlsruhe  mancher  deutschen 
Gressstadt  mit  regerem  Tempo  des  Lebens  und  imposanterem 
Aufschwung  zum  Vorbild  dienen.  V 

KARLSRUHE.  K  WIDMER. 


UNSERE  TAFELN. 

V  TAFEL  9.  „Halle“  nach  einem  Aquarell  der  Architekten 
CURJEL  &  MOSER,  KARLSRUHE.  Dieser  und  der  auf  Tafel  15 
dargestellte  Innenraum  geben  ein  anschauliches  Bild  der  bei 
allem  Aufwand  doch  in  gediegener  Einfachheit  gehaltenen 
Innenausstattung  der  Villa  E.  Rudolph  in  Zürich.  Die  durch¬ 
weg  dem  Zwecke  entsprungene  Architektur  zeigt  nirgends  eine 
Anhäufung  von  Zierformen  oder  gar  gesuchtes  Linienspiel  und 
überfeine  Konstruktions-Kunststücke;  sie  ist  rein  logisch  aus 
den  Forderungen  der  verarbeiteten  Materialien  entwickelt,  die 
denn  auch  als  solche  ganz  zu  ihrer  Eigenwirkung  gelangen. 
Verwendet  sind  zu  Täfelung  und  Möbeln:  Hellbraun  ge¬ 
beiztes  Tannenholz;  zum  Boden:  Eichen-Parkett;  zur  Decke: 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


CURJEL  &  MOSER.  Haupteingang  der  Villa  ..Langmatt"  des 
Herrn  S.  W.  Brown.  Baden  i.  d.  Schweiz. 


Tannenbalken  und  Stuckverputz;  zum  Kamin:  blaugrüne  Läuger- 
Platten  mit  farbigen  Einlagen,  kupferner  Feuerhelm;  zum 
Brunnen:  ebensolche  Platten  und  polierter  roter  Veroneser 
Marmor ;  zu  Beschlägen  und  Beleuchtungskörpern :  abgeriebenes 
Schmiedeeisen.  Die  Vorhänge  sind  aus  hellblauer  Seide  mit 
grüner  Applikation,  die  Läufer  und  Teppiche  blau  und  grün 
gemusterter  Smyrna.  V 

v7  TAFEL  10.  „Jagdschlösschen“.  Entwurf  von  WUNIBALD 
DEININGER,  WIEN.  Der  Standort  des  in  einfachen  gross¬ 
zügigen  Formen  gehaltenen  Schlösschens  ist  auf  einer  Waldes¬ 
lichtung  mit  Fernblick  angenommen,  wo  es  sich  mit  seinen 
weissen  glatten  Wandflächen  scharf  von  dem  Grün  der  Um¬ 
gebung  abhebt.  Es  ist  mit  Holzschindeln  eingedeckt,  die  mit 
ihrer  grauen  Farbe,  den  Putzwänden  und  dem  gewachsenen 
Terrain  eine  wohl  abgewogene  Farbstimmung  hervorrufen,  und 
in  diesem  Falle  von  grosser  Haltbarkeit  sind,  weil  der  Haupt¬ 
zerstörer  dieser  Eindeckung:  die  auf  sie  fallenden  und  dort 
faulenden  Blätter  der  Laubbäume  nicht  vorhanden  ist.  Um 
den  Hauptraum,  dem  Rempter,  mit  anschliessendem  Speise¬ 
saal,  legen  sich  einerseits  die  nötigen  Nebenräume,  anderseits 
die  Privatgemächer  des  Hausherrn.  Küche  und  Dienstboten¬ 
zimmer  sind  im  Souterrain  untergebracht.  Eine  Treppe  führt 
unmittelbar  von  Rempter  aus  in  das  Obergeschoss,  wo  von 
dem  um  den  Saal  laufenden  Gange,  die  Schlafzimmer  der 


Jagdgäste,  einige  Badezimmer,  die  Aborte  etc.  zugänglich 
sind.  y 

V  TAFEL  11.  „The  Woodbine  Inn“  in  Handsworth;  Archi¬ 
tekten  H.  F.  BUCKLAND  &  E.  H.  FARMER,  BIRMINGHAM. 
Mit  der  Grundaushebung  zu  diesem  einladenden  Gasthofgebäude 
wird  nächstens  begonnen.  Angelegt  auf  einem  Terrain,  das  von 
der  Strasse  aus  mässig  abfällt,  ist  die  Bodensenkung  so  ver¬ 
wertet,  dass  die  Tür-  und  Lichtöffnungen  von  Remisen  und 
Kellerräumen  zum  Teil  auf 
einen  durch  Abtragung  des 
Erdreichs  gewonnenen  ebe¬ 
nen  Hofgehen.  Um  die  Unter¬ 
haltungskosten  auf  das  Ge¬ 
ringste  zu  bringen,  werden 
die  Fassaden  mit  roten  Hol¬ 
länderziegeln  verblendet;  die 
Dachdeckung  bilden  handgemachte  Ziegelplatten,  die  in  Zement¬ 
mörtel  gebettet  sind;  alle  äusseren  Schreinerarbeiten  werden 
in  gefirnisster  Eiche,  Wasserrinnen,  Dachtraufen  und  dergl. 
in  Kupfer  angefertigt.  Von  der  Ausstattung  des  Inneren  ist 
hervorzuheben ,  dass  die  dem  Publikum  zugänglichen  Räume 
mit  5  Fuss  hoher,  eichener  Vertäfelung  versehen  werden.  V 

V  TAFEL  12.  Fassade  eines  Zinshauses  von  HANNS 

SCHLICHT,  DRESDEN.  Der  Entwurf  stammt  aus  einem 
Projekt  zu  der  Bebauung  eines  schmalen,  zwischen  zwei  Strassen 
liegenden  Grundstückes,  und  zeigt  die  Fassade  an  der  Haupt¬ 
strasse.  Deren  Breite  ermöglichte  die  Anlage  der  halbrunden 
Pfeiler  mit  den  bekrönenden  Steinfiguren;  im  übrigen  ist  das 
ganze  Gebäude  aus  Beton,  Eisen-  und  Backsteinen  aufzuführen 
und  weist  in  seinem  oberen  Teile  reiche  Stukkaturarbeit  in 
farbiger  Ausmalung  auf.  Dadurch  wird  zu  der  fast  primitiven 
Architektur  der  unteren  Geschosse  ein  wirksamer  Gegensatz 
geschaffen,  der  die  vornehme  Komposition  des  schmückenden 
Oberteils  zu  beinahe  klassischer  Wirkung  steigert.  V 

V  TAFEL  13  zeigt  uns  das  Innere 
eines  Ateliergebäudes,  erbaut  von 
G.  M.  ELLWOOD,  LONDON. 

Das  Haus  umfasst  ausser  einem 
kleinen  Vorsaal  lediglich  den  Ate¬ 
lierraum  und  ein  über  dem  Vor¬ 
saal  liegendes  Schlafzimmer,  das 
vom  Atelier  aus  durch  die  an  die 
Kaminwandgelegte  Galerie  erreicht 
wird.  Unter  dieser  bildet  sich  durch 
Zuziehen  der  aus  Seide  und  Wolle 
gewirkten  Gardinen  der  Ankleide- 
raum  für  die  Modelle.  Zur  ein¬ 
fachen  Ausstattung  dienen  neben 
rot  gebeizten  eichenen  Fussböden, 
weiss  lackiertes  Tannen-  und  natur¬ 
farbenes  Eichenholz  für  Galerie, 

Treppe  und  Kamintäfelung,  farbige 
Zemente  für  den  Boden  am  Kamin 
und  im  Vorsaal,  kupferne  Beleuch¬ 
tungskörper,  ein  eiserner  Kamin¬ 
einsatz,  bunte  Verglasungen  u.s.w. 

Die  Wände  sind  mit  Temperafarbe 
gestrichen.  V 


Grundriss  zu  Tafel  12. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


V  TAFEL  14.  P.  DE  RUTTE  &  J.  BASSOM PIERRE,  PARIS 

sind  die  Architekten  des  hier  abgebildeten  Doppelhauses. 
Bemerkenswert  an  dem  Projekte  ist,  dass  die  Wohnräume 
nicht  nach  der  Strasse,  sondern  nach  dem  Garten  sehen,  also 
die  Bewohner  vollständig  vor  unberufenen  Blicken  geschützt 
sein  sollen.  Von  der  Strasse  aus  gelangt  man  durch  einen 
kleinen  Hof  nach  dem  Dienereingang;  der  Zugang  der  Herr¬ 
schaft  führt  durch  den  Garten.  Die  Häuser  sehen  eine  be¬ 
scheidene  Bausumme  vor  und  sind  bis  auf  den  Bruchstein¬ 
sockel  als  Putzbau  ausgebildet,  der  in  seinen  oberen  Teilen 
und  den  Giebelaufbauten  eine  Verkleidung  in  Fayenceplatten 
und  Holzschindeln  erhält.  V 

V  TAFEL  15.  Studie  zu  dem  Speisezimmer  der  Villa  E. 

Rudolph  in  Zürich,  von  den  Architekten  CURJEL  &  MOSER, 
KARLSRUHE.  Verwendete  Materialien  zu  Täfelung  und 
Möbel:  mittels  Ammoniak  gebeiztes  Eichenholz  mit  violetten 
und  grünen  Glaseinlagen;  Boden:  eichenes  Parkett;  Wände 
und  Decke:  Weisser  Stuck  mit  S'ilbermosaik ;  Beschläge  und 
Beleuchtungskörper:  versilbertes  Neusilber;  Vorhänge:  hell¬ 
grüne  Seide  mit  weisser  Applikation;  Teppiche:  graugrün 
Smyrna.  In  der  Nische  hat  die  Wand  hellblauen  Läuger- 
plattenbelag  mit  Majoliken  und  Fayencen,  die  Decke  ist  ver¬ 
silbert  mit  eingedrückten  blauen  Glasfussstücken,  und  die 
Möbel  sind  aus  weiss  lackiertem  Tannenholz.  V 

V  TAFEL  16.  Entwurf  zu  einem  Landhause  von  ANDRE 
COLLIN,  PARIS.  Bei  dem  Projekte  bemühte  sich  der 
Architekt  in  den  äusseren  Formen  des  Gebäudes  neben  einer 
gewissen  Eleganz  auch  heitere  Behaglichkeit  zu  erzielen.  Dies 
gelang  ihm  durch  die  Verbindung  heller,  gelb  ausgefugter 


Sandsteinmauerung  mit  weissen  Putzflächen,  durch  blau  und 
grün  lasiertes  Föhrenholz  und  rote  Ziegeldächer.  Als  Stand¬ 
ort  ist  die  freundliche  Pariser  Hügellandschaft  längs  den  Ufern 
der  Seine  gedacht.  V 

LEON  BENOUVILLE  f  1903. 

V  Der  Tod  hat  dem  kleinen  Kreis  fortschrittlich  gesinnter 
Architekten  Frankreichs  einen  der  Tüchtigsten  entrissen. 
Benouville  hatte  nicht  die  geschmeidige  Eleganz  der  Plumet  & 
Selmersheim,  noch  weniger  die  Erfindung  Bonniers,  oder  die 
krause  Phantasie  Guimards,  war  aber  den  meisten  seiner 
Kameraden  durch  eine  schlichte  Natürlichkeit  überlegen.  Sein 
praktischer,  auf  Einfachheit  gerichteter  Sinn  machte  ihn  für 
das  Feld  geeignet,  auf  dem  in  Frankreich  noch  alles  zu  tun 


Grundriss  zu  Tafel  14. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


LEON  BENOUVILLE,  PARIS.  Demontierbares  Arbeiterhaus. 


bleibt:  das  Haus  des  kleinen  Mannes.  Obwohl  er  sich  auf 
allen  Gebieten  erfolgreich  zeigte  im  Miethausbau  durch 
ein  Gebäude  in  der  Rue  Toqueville  und  ein  anderes  in  Ver¬ 
sailles,  im  Villenbau  durch  eine  hübsche  Arbeit  in  Neuilly, 
sogar  im  Kirchenbau,  wie  viele  Zeichnungen,  die  im  De¬ 
zember  1903  in  einer  Separatausstellung  des  Musee  Galliera 
zu  sehen  waren,  bewiesen  das  beste  hat  er  mit  seinen 
Arbeiterhäusern  geschaffen  in  Beauvais,  Bagny,  Epinal  u.  a.  O. 
Seine  Ausstellung  im  letzten  Salon  der  Societe  nationale  des 
Beaux-Arts,  der  er  seit  der  Gründung  der  gewerblichen  Ab¬ 
teilung  angehörte,  brachte  ein  Arbeitermobiliar,  ein  unerhörter 
Artikel  in  diesem  Milieu  der  spielerischen  Künstlerlaune.  V 


V  In  der  darauf  folgenden  Exposition  de  l’habitation  im  Grand 
Palais  gehörte  sein  demontierbares  Haus  neben  dem  Pavillon 
Guimards  und  den  ebenfalls  einfach  gehaltenen  Räumen 
Plumets  &  Selmersheims  zu  den  interessantesten  Versuchen. 
Der  Vorteil  bestand  in  der  Unterdrückung  aller  Erdarbeiten 
durch  ein  gemauertes  Untergeschoss  von  2  Meter  Höhe  und 
in  dem  Ersatz  der  üblichen  Mauern  des  Hauses  durch  doppelte 
gemauerte  Wände  mit  einem  Zwischenraum  von  75  cm.  Dieser 
Zwischenraum  bildet  eine  isolierende  Luftschicht,  geeignet  die 
Kälte  zu  wehren,  und  wird  an  passenden  Stellen  zu  Wand¬ 
schränken  und  dergl.  verwendet.  Es  werden  dadurch  in  jeder 
Etage  ca.  10  laufende  Meter  Fläche  erspart.  Der  Gesamt¬ 
umfang  betrug  56  qm  Grundfläche.  Die  Einteilung  des  Erd¬ 
geschosses  und  des  zweiten  Stockes  sind  aus  unseren  Plänen 
ersichtlich;  dazu  kommen  das  Untergeschoss  mit  Keller  und 
Klosett  sowie  der  Speicher.  Eine  möglichst  einfache  und  leichte 
Holzkonstruktion  macht  das  Haus  rasch  abschlagbar.  Der 
Preis  des  ganzen  wurde  auf  10000  Franken  geschätzt.  Benou- 
vi Ile  hatte  das  Haus  vollständig  einfach  und  hübsch  möbliert 
und  rechnete  für  das  Mobiliar  2500  Franken.  Wieweit  die 
Idee  praktisch  ist,  lassen  wir  dahingestellt;  wir  hätten  manchem 
Raum  mehr  Helligkeit  gewünscht.  Vitztum. 

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V  V  V 
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H.  E.  v.  BERLEPSCH-VALENDAS,  MÜNCHEN. 
Abschlussgitter  einer  Hallentreppe.  Ausgeführt  in  Schmiedeeisen 
und  polierten  Messingplatten. 


DannöCQ'm, 


INV:  WUNIBALD  DEININGER,  V\ 


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PLASTISCHE  VILLENPROJEKTE 


IN  DER  MÜNCHENER  KUNST-AUSSTELLUNG  1903. 


Die  Architekturabteilung  der  letztjährigen  Ausstellung  im 
Glaspalaste  in  München  war  leider  nur  äusserst  schwach 
beschickt.  Dies  ist  um  so  mehr  zu  bedauern,  als  dadurch  die 
Werke  eines  jungen  Künstlers:  HUGO  M.  ROECKL,  MÜN¬ 
CHEN,  die  des  Fachmannes  Aufmerksamkeit  ebensogut  auf 
sich  zogen,  wie  des  Laien,  nicht  in  das  rechte  Licht  gerückt 
wurden.  Denn  zweifellos  hätte  jeder  Besucher  die  Vorteile 
dieser  plastischen  Modelle  doppelt  empfunden,  nachdem  er 
sich  erst  durch  einen  Haufen  anderer  Risse  und  Zeichnungen 
mühsam  hätte  hindurch  arbeiten  müssen.  Den  meisten  Laien 
und  das  sind  ja  die  Bauherrn  fast  immer,  fehlt  die  Fähigkeit, 
sich  aus  Plänen  das  plastische  Bild  des  Hauses  vorzustellen 
und  für  sie  bietet  daher  das  von  Roeckl  eingeschlagene  Ver¬ 
fahren  die  grössten  Vorteile.  Insbesondere  wirkten  aber  die 
drei  Modelle  durch  Wiedergabe  auch  der  nächsten  U mgebung 
der  Häuser!  Durch  diese  Eigenheit  haben  diese  kleinen  har¬ 
monischen  Kunstwerke  einen  wesentlichen  Vorsprung  vor  den 
üblichen  Darstellungen:  die  Uebersichtlichkeit  der  Ge- 
samtanlage  sowohl  wie  der  Komposition  des  Hauses  selbst; 
wodurch  der  Fundamentalsatz,  dass  Haus  und  Umgebung  zu¬ 
sammen  gehören,  aufs  nachdrücklichste  betont  wird.  V 


V  Man  fühlt,  der  Architekt  wollte  bei  seinen  lediglich  für 

Ausstellungszwecke  geschaffenen  Projekten  zum  Ausdruck 
bringen,  in  welchem  Gelände  er  sich  seine  Werke  ausgeführt 
denkt  und  da  ihm  eine  natürliche  Umgebung  fehlte,  so  schuf 
er  sie  und  dies  in  der  denkbar  täuschendsten  Weise.  Wenn 
man  diese  reizenden  künstlichen  Miniatur-Gärten  mit  all  ihren 
Bäumen,  Springbrunnen  und  Lauben  sieht,  ist  der  Vorteil  der 
Plastik  vor  den  Plandarstellungen  mit  ihren  oft  schwindelhaften 
Perspektiven  so  in  die  Augen  springend,  dass  er  uns  jedes 
weiteren  Kommentars  enthebt.  V 

V  Betrachten  wir  daher  die  Projekte  einzeln  und  eingehender, 
denn  sie  verlohnen  die  Mühe!  Zunächst  das  „grünes  Haus“ 
benannte  Projekt,  das  prächtigste  der  Modelle.  Auf  einem 
terrassenförmig  abfallenden  Grundstück  von  etwas  über  einem 
Tagwerk,  den  Abhang  eines  Berges  im  Rücken,  erhebt  sich 
das  Haus  mit  seinen  vier  gleichen  Giebeln  und  dem  umlaufen¬ 
den  Balkon.  Die  überbaute  Fläche  beträgt  ca.  170  Quadrat¬ 
meter.  Hinter  dem  Haus  enthält  der  Garten  eine  grosse  Wiese 
als  Spielplatz  und  neben  der  Küche  ist  ein  abgesonderter  Ge¬ 
müsegarten,  durch  den  von  der  Strasse  aus  der  Eingang  für 
die  Dienerschaft  und  Lieferanten  gelegt  ist.  Eine  halbkreis- 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


förmige  niedere  Mauer 
trennt  die  nähere  Um¬ 
gebung  vom  Baumgarten, 
in  dem,  in  einem  ovalen 
Bassin,  ein  Springbrun¬ 
nen  plätschert.  Laub¬ 
gänge  und  zierlich  ge¬ 
stutzte  Hecken  umgeben 
das  kleine  Schlösschen, 
das  durch  seine  Be¬ 
malung  und  weiss  ge¬ 
strichene  Holzarchitek¬ 
tur  äusserst  freundlich 
und  einladend  wirkt.  V 
■  Die  Fähigkeit  durch  geschickte  Ausnützung  von  Material 
und  Raum  bei  sehr  bescheidenen  Mitteln  für  die  Behaglichkeit 
des  Bewohners  zu  sorgen,  kommt  in  dem  Projekte  „gelbes 
Haus  besonders  zum  Ausdruck.  Hier  zeigt  uns  Roeckl  die 
praktische  und  zugleich  malerische  Ausnützung  eines  ver¬ 
hältnismässig  kleinen  Grundstückes.  Deshalb  stellt  er  auch 
das  Haus  nicht  etwa  in  die  Mitte,  sondern  ganz  in  die  vorderste 
Ecke  an  die  Strasse.  So  bleibt  ihm  bei  einem  zur  Verfügung 
stehenden  Raum  von  etwa  2500  qm  Gelegenheit,  von  allem 
etwas  zu  bieten.  Das  mit  einem 

ein  wenig  erhöhten  Wege  um-  j|||||l||[||||||  ;  ||[|ll|[Hllill 

gebene  Gartenquadrat  zerfällt 
in  Spielplatz,  Blumengarten 
mit  Bassin  und  Gemüsegarten, 
in  der  Mitte  betont  durch  einen 
Tempel  aus  geschnittenem 
Heckenwerk.  Durchaus  richtig 
pflanzt  dann  der  Künstler  einen 
stattlichen  Baum  in  die  linke 
Ecke  an  der  Strasse  und  gibt 
so  dem  Wohnhause  gleichsam 
ein  Gegengewicht.  Das  Haus 
ist  quadratisch  wie  der  Garten 


Grundrisse  zum  „gelben  Haus". 


Grundrisse  zum  „grünen  Haus“. 


und  beansprucht  ca.  140 
qm  Grundfläche.  Ausser¬ 
dem  sind  in  den  anderen 
Ecken  des  Grundstückes 
noch  ein  Gartengebäude 
und  kleine  Räume  für 
Gerätschaften  an  die  um¬ 
laufende  Mauer  angebaut. 
V  Vielleicht  die  reizend¬ 
ste  Villa,  jedenfalls  die 
in  der  Stimmung  feinste 
ist  „das  rote  Haus“. 
Ein  kleines,  reizendes 
aus  Backsteinen  erbautes 
Häuschen  mit  hohen  Giebeln,  ruhige  Behaglichkeit  und  Seelen¬ 
frieden  atmend,  winkt  uns  freundlich  aus  frischem  Grün  ent¬ 
gegen;  zart  blau  getüncht,  mit  Efeu  oder  Weinranken  um¬ 
sponnen  und  mitten  in  einem  Obstgarten  liegend,  scheint  es 
wie  geschaffen  für  eine  kleine  von  der  Welt  zurückgezogen 
lebende  Familie  oder  einen  geniessenden  Junggesellen.  V 
V  Die  vierte  Arbeit  „ein  kleines  Schloss“  ist  nach  der 
Ausstellung  beendet  und  zeigt  etwas  andre  Art.  Der  Grund¬ 
riss  ist  regelmässig  mit  Mittelachse  und  zwei  gleichen  Vorbauten, 

an  die  sich  beiderseits  halb¬ 
kreisförmige  Mauern  anschlies- 
sen.  So  entsteht  ein  geräumiger 
Hof,  zu  dem  zwei  Auffahrten 
führen.  An  der  Rückseite,  die 
durch  einen  Vorbau  gegliedert 
ist,  dehnt  sich  ein  grosser  Gar¬ 
ten  mit  direktem  Eingang  ins 
Haus.  Hier  dürfte  der  Besitzer 
am  meisten  weilen.  Auf  der 
rechten  Seite,  wo  die  Wirt¬ 
schaftsräume  liegen,  ist  der  Ge¬ 
müsegarten  vom  Ziergarten  aus 
nicht  sichtbar;  durch  ihn  führt 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


HUGO  M.  ROECKL,  MÜNCHEN.  „Ein  kleines  Schloss 


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ausserhalb  der  Mauern  ein  eigner  Eingang  zur  Küche.  Auf 
diese  Weise  ist  eine  völlige  Trennung  der  Herrschaftsräume 
von  denen  der  Dienerschaft  erzielt.  V 

V  Die  Bilder  werden  meine  Beschreibung  ergänzen.  Roeckls 
feines  künstlerisches  Empfinden  und  sein  Verständnis  für  die 
Bedürfnisse  des  Bauherrn,  ob  er  nun  über  grosse  oder  geringe 
Mittel  verfügt,  mag  besonders  betont  werden.  Und  nicht  wenig 
ist  auch  seine  Selbständigkeit  anzuerkennen,  denn  bei  aller 
Verehrung  für  Tradition,  die  ihm  bei  seiner  Abstammung  von 
der  berühmten  Künstlerfamilie  SEIDL  eigen  ist,  schafft  er 
doch  frei  und  sichtlich  ohne  Anlehnung  an  seine  beiden  Onkel. 

MÜNCHEN.  Dr.  KEMMERICH. 


UNSERE  TAFELN. 

V  TAFEL  17.  Wohnhaus  des  Architekten  H.  T.  Buckland 
in  Edgbaston.  Erbaut  von  H.  T.  BUCKLAND  &  E.  H.  FARMER, 
BIRMINGHAM.  Wir  geben  damit  wieder  eines  jener  typischen 
englischen  Wohnhäuser,  die  auf  die  Ausschmückung  des 
Aeusseren  wenig  Wert  legen,  um  desto  mehr  Mittel  für  die 
innere  Durchbildung  zu  sparen.  Was  unter  Innehaltung  dieses 
Grundsatzes,  der  auch  vor  allem  billiges  Bauen  ermöglicht 
ohne  armselig  zu  sein,  ein  guter  Architekt  leisten  kann,  zeigt 
wohl  deutlich  die  vorliegende  Abbildung.  Am  Aeusseren  sehen 
wir  nichts  als  rauh  verputzte  Backsteinmauern,  ein  weit  aus¬ 
ladendes  Ziegeldach  und  weiss  gestrichenes  Fensterholz;  also 
die  billigsten  Mittel,  die  man  sich  denken  kann.  Aber  eben 
wie  das  Haus  in  seinen  Massen  geteilt  ist,  wie  ungezwungen 
und  doch  mit  feinem  Gefühl  die  Fenster  geformt  und  ge¬ 
setzt  sind,  wie  selbst  Nebensachen,  z.  B.  die  Wassertonne, 
so  richtig  stehen,  das  alles  ist  in  bescheidener  Weise  auftretendes 
grosses  Können,  und  das  beneidenswerteste  dabei  ist,  dass  dies 
unter  den  englischen  Architekten  zusehends  Allgemeingut  wird. 
England  nähert  sich  damit  jenem  glücklichen  Zustande  früherer 
Jahrhunderte,  da  jedem  Bau,  sei  es  wer  immer  ihn  ausführte, 


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MODERNE  BAUFORMEN  III 


HUGO  M.  ROECKL,  MÜNCHEN.  ..Das  rote  Haus 


stets  mehr,  wenn  oft  auch  unbewusster  architektonischer  Aus¬ 
druck  innewohnte,  als  es  in  unseren  Tagen  moderne  Strassen- 
züge,  ja  ganze  Stadtviertel  aufweisen  können.  Im  Innern  des 
Hauses  ist  die  Mehrzahl  der  Gemächer  einfach  glatt  verputzt 
und  weiss  gelassen;  Stuckverzierungen  haben  allein  die  Decken 
zweier  Räume  und  im  Einklang  mit  den  hellen  Wänden  ist 
auch  die  in  Tanne  ausgeführte  Tischlerarbeit  hell  gestrichen. 
Nur  die  Halle  und  das  Speisezimmer  sind  mit  Hartholz  getäfelt, 
die  Halle  bis  zur  Decke,  das  Speisezimmer  bis  drei  Viertel 
der  Wandhöhe.  V 

V  Auf  TATEL  18  bringen  wir  aus  einer  Konkurrenz  für  den 
Umbau  eines  grossen  Hotels  in  Wiesbaden  den  Lesesaal.  Leider 
ist  der  Entwurf  Projekt  geblieben.  Wir  hätten  seine  Ausführung 
gerne  gewünscht,  denn  es  ist  sicher,  dass  der  Raum  in  seiner 
einfach  vornehmen  Gestalt  jedem  Besucher  das  Gefühl  an¬ 


haltender  Behaglichkeit  gegeben  hätte.  Der  Entwurf  stammt 
von  L.  MACLACHLAN,  einem  Schotten  von  Geburt  und 
Schule  und  war  von  der  Stuttgarter  Möbelfabrik  Georg  Schöttle 
eingereicht.  Seine  Ausführung  sah  weiss  lackiertes  und  mat¬ 
tiertes  Holz  und  weiss  stuckierte  Wand  und  Decke  vor,  und 
fasste  den  ganzen  grossen  Raum  mit  einem  weichen  tiefblauen 
Smyrnateppich  zusammen.  Die  blinkenden  Effekte  der  kupfer¬ 
nen  Beschläge  und  Beleuchtungskörper,  der  facettierten  Ver¬ 
glasungen  von  Türen  und  Fenstern  würden  dazu  wirksam 
kontrastiert  haben.  V 

V  TAFEL  19  zeigt  uns  einen  Entwurf  des  Architekten  MAX 
H.  JOLI,  WIEN.  Das  Haus,  das  für  Wilhelmsburg  bei  St.  Pölten 
bestimmt  war,  trifft  m  seinen  äusseren  Formen  und  Farben 
sowohl  den  Charakter  der  Landschaft  als  auch  der  Bewohner 
der  dortigen  Oertlichkeit  und,  in  seiner  Konzeption  auf  der 
dortigen  von  Alters  her  geübten  Bauweise  fussend,  ver¬ 
bindet  es  mit  halbbäuerischem  Aussehen  die  luxuriösen 
Anforderungen  moderner  Lebensweise,  die  füglich  an 
ländliche  Bauten  zu  stellen  sind,  wenn  sie  nur  dem 
sommerlichen  Wohnen  städtischer  Familien  dienen.  Bis 
in  unsere  Tage  verschlossen  sich  selbst  die  besten 
Architekten  dieser  aus  praktischen  Gründen  ebenso 
selbstverständlichen,  wie  schon  aus  künstlerischen  Hin¬ 
sichten  gegebenen  Erkenntnis.  Joli  ist  darin  sattelfest. 
Er  wird  nie  durch  fremdländische  Mittel  etwa  der 
Architektur  eines  „Schweizerhauses“  oder  gar  italieni- 
sierender  Durchbildung  das  erreichen  wollen,  was  allein 
durch  heimatberechtigte  Formen  erzielt  werden  kann. 
Allerdings  fehlt  ihm  dabei  vorerst  noch  jeder  monu¬ 
mentale  Zug.  Sein  Wesen  wurzelt  im  bürgerlichen 
Leben;  möge  er  aber  dabei  bleiben!  Seine  letzten  Pro¬ 
jekte  mit  ihren  weiss  verputzten  Mauerflächen,  dem 
kräftig  gefärbten  Holzwerk  und  den  hohen  Ziegeldächern 
sind  immer  so  hübsch  erfunden  und  so  sicher  in  die 
Landschaft  gedacht,  dass  man  nur  wünschen  kann,  die 
Entwürfe  noch  mehr,  als  es  bislang  der  Fall  ist,  verwirk¬ 
licht  zu  sehen.  V 


Grundrisse  zum  „roten  Haus“. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


HERMANN  ARNOLD,  DÜSSELDORF. 
STUDIERZIMMER. 


Zur  Ausführung  sind  vorgesehen:  graues  Eichenholz  für  Möbel,  Täfelung  und  Boden:  Eisen 
für  Beschläge,  Lichtarme  und  Kaminhelm ;  rotes  Velvet-Leder  zur  Polsterung ;  am  Kamin  ausser 
rauhem  Verputz  noch  rote  Backsteine  auf  marmorner  Bodenplatte.  Die  dem  Kamin  gegenüber¬ 
liegende  Wand  wird  von  einem  grossen,  in  lichten  Tönen  verglasten  Fenster  eingenommen. 


A  TAFEL20.  „Diele“  nach  einem  Ent- 
wurfvon  ArchitektOSKAR  FISCHER, 

KIEL.  Die  immer  mehr  sich  ein¬ 
bürgernde  Sitte,  die  alte  deutsche 
Diele  wieder  zum  Mittelpunkte  des 
Hauses  auszubilden,  stellt  dem  Archi¬ 
tekten  stets  eine  ebenso  dankbare  wie 
interessante  Aufgabe.  Auf  unserem 
Bilde  haben  wir  es  mit  der  Diele 
eines  Landhauses  zu  tun,  deren  Be¬ 
wohner  dem  Segel-  und  Angelsporte 
huldigen.  Demgemäss  ist  auch  der 
innere  Ausbau  ziemlich  derb  gehalten. 

Die  Täfelung  der  Putzwände  ist  gross¬ 
ästiges  Zierbelholz  in  grüner  Lasie¬ 
rung,  ebenso  ist  die  Decke  gehalten, 
während  das  Treppengeländer  und  die 
Möbel  der  grossen  Nische  weiss  ge¬ 
strichen  sind.  Die  rechtsseitige  Türe 
führt  direkt  ins  Freie,  ist  aber  durch 
einen  Vorbau  gegen  die  Witterung 
geschützt.  V 

V  Auf  den  TAFELN  21  &  22  geben 
wir  „das  rote  Haus“  und  „das  grüne 
Haus“  des  Architekten  HUGO  M. 

ROECKL,  MÜNCHEN  nach  den 
Plänen.  Einesteils  um  den  Kontrast 
der  unserem  Aufsatze  beigedruckten 
Modellphotographien  gegenüber  den 
Plandarstellungen  zu  zeigen,  halten 
wir  eine  Wiedergabe  auch  der  Auf¬ 
risse  der  beiden  Häuser  gegeben, 
andernteils  bieten  auch  die  Pläne  in 
den  Einzelheiten  noch  soviel  des  Interessanten  und  Wohl¬ 
gelungenen,  dass  wir  sie  nicht  vorenthalten  wollen.  V 

V  TAFEL  23.  Studie  zu  dem  Wohnzimmer  eines  Schlosses 
von  HANS  HELLER,  DARMSTADT.  Unter  den  jungen  Archi¬ 
tekten,  die  sich  in  der  hessischen  Künstlerkolonie  um  den  dort 
schaffenden  Olbrich  scharen,  zählt  Heller  mit  zu  den  Besten. 
Wenn  sich,  wie  anders  nicht  denkbar  ist,  auch  bei  ihm  die 
beherrschende  Kraft  des  Meisters  unverkennbar  ausprägt,  so 
ist  doch  nicht  zu  leugnen,  dass  eigenes  Wollen  vorliegt  und 
nicht  sklavisches  Nachahmen  der  äusserlichen  Kennzeichen  des 
grossen  Vorbildes.  Ausgeführt  wird  der  Raum  vorzüglich 
wirken.  Weisslakierte  Täfelung  und  graugrüne  Seide  decken 


die  Wände  und  lassen  so  den  dekorativen  Schwerpunkt,  die 
Kaminpartie,  zur  vollen  Wirkung  gelangen.  Der  Rauchfang  ist 
tief  ins  Zimmer  eingebaut,  so  dass  zu  beiden  Seiten  geräumige 
Fensternischen  entstehen.  Lichte  seidene  Vorhänge  mit  weiss 
und  blauer  Applikation  vermitteln  den  schroffen  Uebergang  der 
Kupfer-  und  Fliesenflächen  des  Kamineinbaues  in  die  Erker. 
Das  Mobiliar  ist  nur  in  den  Erkern  weiss,  im  übrigen  aber  in 
Nussbaum  gehalten.  V 

V  TAFEL  24.  P.  DE  RUTTE,  PARIS:  Entwurf  zu  der  Ein¬ 
fahrt  eines  Rittergutes.  Das  an  das  kleine  Pförtnerhaus  angebaute 
Tor  ist  so  gross  gehalten,  dass  kornbeladene  Wagen  durchkom¬ 
men  können  und  deren  einer  im  Notfall  hinreichenden  Schutz 

vor  Unwetter  findet.  Bei  der  Architektur 
des  Bauwerkes  wurde  durch  eine  rei¬ 
chere  Ausbildung,  als  es  gewöhnlich  bei 
solchen  Nebengebäuden  der  Fall  ist,  auf 
die  Grösse  und  den  Wert  der  Besitzung 
Beziehung  genommen.  Das  Haus  ist  ein 
Backstein-  und  Holzbau  mit  Sockel, 
Eck-  und  Fensterbändern  aus  Sandstein 
und  einem  Fries  aus  glasierten  Ziegeln  ; 
die  Decke  der  Tordurchfahrt  ist  mit 
Fayenceplatten  ausgelegt.  Ein  kleiner 
Erker  gestattet  vom  ersten  Stocke  aus 
die  Ueberwachung  des  Einganges.  V 


QROUhD  riAN  riR5T  HOCR  PlAM 

Grundrisse  zu  Tafel  17. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


F.  W.  JOCHEM,  DARMSTADT. 

MIETSHÄUSER. 

Es  galt  hier  die  möglichst  zinserträgliche  Ueberbaunng  eines  50  □  m  Strassenfront  messenden  Grundstückes ,  das  in  seinem  hinteren  Teile  von 
einem  ausgedehnten  Werkstättenbetrieb  eingenommen  wird.  Aus  dem  Grunde  ist  der  Architekt  bei  der  Projektierung  davon  ausgegangen ,  kleine 
Wohnungen  mit  zwei,  drei  und  vier  Zimmern  für  die  Beamten  und  Arbeiter  des  Betriebes  zu  schaffen,  da  anzunehmen  ist,  dass  meist  von  diesen 
die  Wohnungen  gesucht  werden.  Das  Baugesetz  verlangt  in  der  Mitte  der  Front  eine  4  Meter  breite  Durchfahrt  (die  aber  überbaut  werden  darf), 
wodurch  das  Grundstück  in  zwei  gleiche  Hälften  geteilt  wird.  Da  bei  der  Erbauung  grösste  Sparsamkeit  walten  muss,  ist  auf  jeden  architekto¬ 
nischen  Schmuck  verzichtet,  der  auch  um  so  weniger  Berechtigung  hätte,  als  die  Häuser  nur  einfachen  Bedürfnissen  dienen.  Das  gleiche  gilt  vom  Bau¬ 
material.  Auf  das  untere  Fussband  aus  Basaltlava  folgt  ein  Sockel  aus  hellgrauem  Sandstein,  darüber  beginnt  der  Putzbau.  Die  Eensterlaibungen 
sind,  der  grösseren  Lichtquelle  halber  und  um  dem  lästigen  Reissen  des  Putzes  an  scharfen  Ecken  zu  begegnen,  stark  abgerundet.  Der  durch¬ 
gehende  Balkon  im  ersten  Stocke  ist  in  Monier- Konstruktion,  die  übrigen  alle  in  Eisen  hergestellt.  Eine  Guirlande ,  gebildet  durch  in  den  Putz 
eingesetzte  blaue  Glasstücke,  schmückt  im  zweiten  Stock  das  Haus.  Als  Hauptmoment  ist  die  Durchfahrt  betont,  die  sich  durch  starke  Abrundung 

der  Ecken  trichterartig  öffnet  und  mit  grossen  Prellsteinen  bewehrt  ist. 


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19 


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EINE  NEUE  STADT. 


Das  neunzehnte  Jahrhundert  hat  die  Grossstadt  geschaffen, 
oder  besser  die  Grossstadt  ist  im  neunzehnten  Jahrhundert 
entstanden.  Denn  nichts  macht  so  sehr  den  Eindruck  des 
selbständigen  Wachsens,  an  dem  den  Menschen  kaum  ein  an¬ 
derer  Anteil  als  der  des  Zuschauers  gehört,  als  diese  dunkelste 
und  entscheidendste  Erscheinung  unserer  Tage.  Dieser  Feind 
alles  Organischen  wächst  mit  der  Kraft  der  stärksten  Organis¬ 
men,  überzieht  die  schöne  Erde  mit  seinem  Panzer  aus 
Stein  und  Eisen  und  pflanzt  auf  den  alten  gottgeschaffenen 
Kosmos  einen  neuen.  Er  macht  neue  Menschen  mit  eigenen 
Eigenschaften,  Tugenden  und  Lastern,  schafft  unsere  Moral, 
unser  Glück  und  Unglück,  unsere  Intelligenz  und  unsere 
Kunst.  Was  wir  heute  sind,  im  Guten  und  Bösen,  verdanken 
wir  der  Stadt.  Nur  durch  die  ungeheure  Anhäufung  von 
Menschenmaterial  konnten  unsere  Aerzte  den  Leib,  unsere 
Gelehrten  das  Triebwerk  unserer  Instinkte,  unsere  Techniker 
die  Mittel  ergründen,  der  alten  Erde  neue  Kräfte  zu  entlocken. 
Ein  Jahrhundert  verging  in  rasender  Arbeit.  Langsam  meldet 
sich  die  Frage  nach  dem  Ausgleich.  Ein  Sehnen  nach  Natur 
zog  durch  die  Literatur  und  Kunst  aller  Länder;  im  Höhepunkt 
des  Kosmopolitis¬ 
mus  regt  sich  ein 
widerspruchsvol¬ 
les  Drängen  nach 
Nationalität  und 
Volkstümlichkeit, 
nach  Bauerntum. 

Die  Beobachter 
dieses  grossen 
Treibens  begin¬ 
nen  in  der  Ent- 
blössung  des  Lan¬ 
des  von  Arbeits¬ 
kräften  eine  öko¬ 
nomische  Gefahr, 
in  den  Städten 
grosse  Behälter 
giftiger  Keime, 
und  in  diesem 
engen  Nebenein¬ 
ander  von  Arm 
und  Reich  eine 
immer  drohen¬ 
dere  Gefahr  für 


die  Ruhe  des  Staates  zu  erblicken.  Das  Bedürfnis  nach  Dezen¬ 
tralisierung  wird  immer  dringender.  Man  dehnt  die  Städte 
ins  freie  Land  aus  und  baut  nach  vernünftigen  Regeln  Vororte 
und  Villenkolonien.  Aber  die  Verbesserung  kommt  nicht  dem 
letzten  Stand  zugute,  der  grössten  Masse.  Auch  in  dem  Vorort 
macht  der  Unternehmergeist  den  Preis  der  Miete;  was  die 
Miete  spart,  frisst  die  Eisenbahn.  Die  Wohnung  ist  reizlos,  vom 
Landleben  spürt  der  in  den  Vororten  wohnende  Arbeiter  nur 
die  Schattenseiten.  Der  humane  Wunsch,  einen  gerechteren 
Ausgleich  zu  schaffen,  sann  auf  neue  Mittel.  Halb  von  uti¬ 
litaristischen  Rücksichten  gedrängt,  halb  aus  Menschenliebe 
fielen  die  der  Masse  am  nächsten  stehenden  Grossindustriellen 
aller  Länder  auf  den  einzigen  rationellen  Ausweg:  den  Arbeitern 
eigene  Gemeinwesen,  eigene  Häuser  zu  schaffen,  bei  deren 
Anlage  die  Frage  nach  dem  Maximum  von  unmittelbarem 
Gewinn  nicht  den  Ausschlag  gab.  7 

V  Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  England  in  dieser  Bewegung 
an  der  Spitze  marschiert.  Nicht  nur  weil  alle  Momente,  die 
eine  Verpflanzung  der  Arbeiterbevölkerung  aus  den  Gross¬ 
städten  auf  das  Land  notwendig  machen,  hier  am  schnellsten  ent¬ 
scheidend  wurden 
und  dem  Eng¬ 
länder  die  ratio¬ 
nelle  Lösung  so¬ 
zialer  Schwierig¬ 
keiten  schon  am 
längsten  natürlich 
geworden  ist,  son¬ 
dern  auch,  weil 
hierdie  Entwicke¬ 
lung  der  Archi¬ 
tektur  zur  rechten 
Zeit  die  Mittel 
bereit  hielt,  um 
die  Aufgabe  in 
idealer  Weise  zu 
lösen.  Hier  war 
der  populäre  Bau¬ 
stil  nie  gestorben. 
Als  die  Baukunst 
in  England  sich 
auf  sich  selbst  be¬ 
sann,  ging  sie  aufs 
Land.Morris’erste 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


von  der  Massenfabrikation  profitieren  müssen,  um  die  Kosten 
zu  verringern,  aber  er  hat  es  nicht  an  der  Mühe  des  Er- 
findens  fehlen  lassen,  in  allen  Fragen,  wo  die  Rücksicht  auf 
Billigkeit  nicht  die  gleiche  Form  verlangt,  zu  differenzieren. 
Ein  Beispiel:  Harvey  beschränkt  sich  auf  ein  oder  zwei 
Modelle  von  Fenstern,  sucht  aber  diese  so  anzubringen,  dass 
die  Verschiedenheit  der  Verwendung  den  Häusern  ein  immer 
neues  Gesicht  gibt.  Man  wird  erstaunt  sein  in  unseren  Ab¬ 
bildungen  so  viel  verschiedene  Typen  zu  finden,  und  dieser 
Eindruck  verliert  sich  auch  nicht,  wenn  man  eine  ganze  Strasse 
zusammen  sieht.  Hier  offenbart  sich  am  meisten  harveys 
Talent.  Er  denkt  nicht  nur  an  das  Haus,  an  alle  Massregeln 
der  Hygiene,  an  die  Aufgabe,  seinen  Leuten  möglichst  viel 
Licht,  Luft,  Bequemlichkeit  und  Schönheit  zu  geben,  er 
denkt  auch  an  die  Strasse.  Durch  ein  richtiges  Verteilen 
seiner  Häuser,  dadurch,  dass  er  z.  B.  glatte  lange  Fassaden 
mit  kleinen  in  die  Höhe  strebenden  abwechselt,  durch  ein 
äusserst  geschicktes  Verwenden  der  Erker,  die  einmal  im 
oberen  Geschoss,  dann  wieder  unten  erscheinen,  flach  oder 
eckig  ausgebaut  werden,  oder  durch  beide  Geschosse 
durchgehen,  durch  die  verschiedene  Form  der  Dächer, 
durch  das  Anschliessen  zweier  oder  mehrerer  Häuser  an¬ 
einander  und  last  not  least  durch  geschicktes  Verteilen  der 
Gärten,  kurz,  mit  all  den  natürlichen  Mitteln  des  rechten 
Baumeisters  erreicht  er  die  angenehme  Reliefwirkung  der 
Strasse,  erhält  dem  einzelnen  seinen  Charakter  und  sorgt, 
dass  das  Ganze,  die  Strasse  und  schliesslich  das  ganze 
Dorf,  ein  organisches  Werk  wird.  Dies  scheint  mir  eine 
grössere  Kunst,  als  wenn  er  durch  gewisse  moderne  Mätzchen 
und  äusserliche  Zierarten,  die  immer  Geld  kosten  und  gar 
nichts  bezwecken,  zu  individualisieren  versuchte.  Der  Schmuck 
gehört  ins  Innere.  Auch  hier  erreicht  er  den  Charakter  der 
Wohnung,  des  Wohnlichen  durch  gute  Verhältnisse,  amüsante 


Ausschmückung  der  Konstruktions¬ 
flächen  des  Hauses.  Seine  Giebel¬ 
zimmer  z.  B.  mit  den  hoch  gelegenen 
Fenstern  sind  ungemein  anheimelnd. 
Da  jedes  Haus  wenigstens  in  einem 
Stockwerk  gewöhnlich  ganz  frei  steht, 
hat  das  Auge  stets  den  Blick  ins  Freie, 
und  Harveys  Gärtnerkunst,  auf  die 
grösstes  Gewicht  gelegt  wird  (mehrere 
Dorfgärtner  sorgen  auf  Kosten  des 
Trusts  für  Erhaltung),  achtet  darauf, 
dass  er  auf  möglichst  viel  frisches 
Grün  fällt.  Im  übrigen,  wo  es  das 
Budget  erlaubt,  ein  hübscher  Kamin 
am  richtigen  Platz,  appetitliche  Farben 
an  den  Wänden,  hier  und  da  ein 
Fries,  einfache  aber  durch  die  Einfach¬ 
heit  hübsche  Möbel,  blanke  graziöse 
Beleuchtungskörper  u.  s.  w.  V 

V  Zweierlei  Segen  geht  aus  Bourn- 
ville  hervor.  Der  eine,  der  wichtigste, 
ist  die  Gründung  eines  gesunden 
Heims,  der  wesentlichsten  Grundlage 
für  die  Gesundheit  der  Rasse.  Die 
Sterblichkeitsziffer  betrug  im  Jahre 
1901  in  Bournville  8,8  per  Tausend,  in  dem  nahen  Birming¬ 
ham  dagegen  19,9.  Aber  diese  Zahlen,  so  beredt  sie  sprechen, 
geben  nicht  die  volle  Bedeutung  dieser  Gründung.  Diese  liegt 
vielmehr  in  der  Zukunft.  In  den  Kindern,  die  in  den  Fabrik¬ 
strassen  Birminghams  geboren  werden,  und  der  Generation, 


W.  ALEX.  HARVEY,  Häuser  in  Holly  Grovr,  Bournville. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


27 


die  in  Bournville  heranwächst,  steckt 
der  Keim  zweier  verschiedenerWelten. 

Das  hat  England  davon.  Der  übrigen 
Welt  aber  wird  hier  ein  wundervolles 
Exempel  geliefert.  Ohne  grosse  Reden 
zeigt  England  wieder  einmal  den  Weg 
in  die  Zukunft.  Bournville  hat  drei 
und  eine  halbe  Million  gekostet  und 
wurde  von  einem  Einzelnen  gemacht. 

Dieser  hätte  aus  dem  Werk  eine  normale 
Verzinsung  erreichen  können.  Die 
180  000  Pfund  ursprüngliches  Kapital 
werfen  durch  die  Mieten  netto  5246 
Pfund  jährlich  ab,  das  heisst  fast  3%. 

Von  welcher  öffentlichen  Wohlfahrts¬ 
einrichtung  von  auch  nur  annähernd 
gleichem  Wert  lässt  sich  dasselbe 
sagen?  Der  Staat  baut  Kranken¬ 
häuser,  Invalidenhäuser,  Anstalten 
für  alle  nur  erdenklichen  Gebrechen, 
die  jährlich  Millionen  verschlingen. 

Wie  wäre  es,  wenn  er  einmal  anfinge 
für  die  Gesunden  zu  sorgen  und  zwar 
ohne  Opfer,  ja,  bei  einigermassen 
rationeller  Wirtschaft  mit  Gewinn  für 
den  Staatssäckel  und  mit  unübersehbarem  Gewinn  für  das 
Volkswohl,  für  seine  Gesundheit,  seine  Moral,  seine  Kunst!  V 
V  In  England  bleibt  man  nicht  bei  dem  Arbeiterdorf.  Das 
Gelingen  von  Port  Sunlight  und  Bournville  hat  bereits  eine 
bedeutende  Folge.  Vor  kurzem  ist  auf  die  Anregung  des  Schrift¬ 


stellers  E.  Haward  eine  Aktiengesellschaft  gegründet  worden, 
die  mit  einem  normal  verzinsbaren  Kapital  von  240  000  Pfund 
eine  gesunde  Stadt  für  30  000  Menschen  erbauen  will.  Das 
Terrain  für  die  zukünftige  Stadt,  ein  halbes  Dutzend  Meilen 
nördlich  von  London,  über  1500  Hektare,  wurde  für  drei 
Millionen  Mark  erworben.  „Garden  City“  wird  sie  heissen 
und  bereits  hat  man  angefangen,  den  in  allen  Teilen  ausser¬ 
ordentlich  rationell  angelegten  Bauplan  zu  realisieren.  V 
V  Viel  bescheidener  verhielt  sich  bis  heute  die  Bewegung  in 
den  anderen  Ländern,  ln  Paris  kämpft  Jean  Lahor  für  die 
Habitations  ä  bon  marche  x).  Die  Societe  internationale  de  l’art 
populaire  verfolgt  dieselben  Ziele.  In  Amerika  wirkt  die  Zeit¬ 
schrift  „House  and  Garden“2).  In  Belgien  die  neue  Zeit¬ 
schrift  „Le  Cottage“3),  die  soeben  einen  Aufruf  zur  Gründung 
eines  Villendorfes  in  den  Ardennen  veröffentlicht.  Holland 
besitzt  schon  lange  in  der  Nähe  seiner  grossen  Städte  ein¬ 
fache,  billige  und  reizende  Villengemeinden.  In  Wien,  wo  vor 
einer  Reihe  von  Jahren  Hermann  Bahr  einmal  von  dem  Riesen¬ 
projekt  eines  Stadtbaues  träumte,  haben  Josef  Hoffmann,  Leopold 
Bauer  u.  a.  längst  angefangen,  zusammengehörige  Gruppen  von 
Villen  zu  bauen,  die  vielleicht  einmal  stattliche  Gemeinwesen 
werden.  Auch  bei  uns  endlich  regt  sich  an  vielen  Ecken  des 
Reiches  die  Sehnsucht  ins  Freie.  Zuerst  wurde  auch  bei  uns, 
wie  billig,  des  Arbeiters  gedacht.  Die  Arbeiterhausmodelle  der 
Düsseldorfer  Gewerbeausstellung  sind  noch  frisch  im  Gedächt¬ 
nis.  Und  auch  die  bürgerliche  Architektur  folgt  dem  Beispiel 
Englands.  Unsere  Baumeister  lernen  aus  dem  kleinen  Ehrgeiz, 
originelle  Häuser  zu  bauen,  herauszutreten,  um  desto  schönere 
Strassen,  die  neue  Stadt  neben  der  alten,  hässlichen,  verdorbenen 
Heimat  unserer  Väter  zu  errichten.  Vitzthum. 


W.  ALEX.  HARVEY,  Vier  Häuser  in  Acacia  Road,  Bournville. 


i)  Librairie  Larousse,  17  Rue  Montparnasse,  Paris.  Hier  erschien  auch  Lahors  l’Art  pour 

Ie  peuple.  . 

*)  Henry  T.  Coates  &  Co.  919  Walnut  Street,  Philadelphia. 
s)  33  Rue  Forestiere,  Bruxelles. 


28 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


UNSERE  TAFELN. 

V  Die  Textbilder  zu  unserem  Aufsatze  „eine  neue  Stadt“  die 

so  reizvolle  Stichproben  aus  dem  englischen  Arbeiterdorfe 
Bournville  geben,  erhalten  auf  den  TAFELN  25  und  26  eine 
Ergänzung  nach  der  malerischen  Seite  hin.  Ganz  trefflich 
zeigt  sich  auch  bei  diesen  Ansichten  die  Fähigkeit  des  Archi¬ 
tekten  W.  ALEX.  HARVEY,  BOURNVILLE,  mit  stets  gleich¬ 
bleibenden  Mitteln  den  einzelnen 
Häusern  eine  immer  wechselnde  Ge¬ 
stalt  zu  geben.  Man  muss  wirklich 
staunen  über  die  unerschöpfliche  Ge¬ 
staltungsgabe  Harveys,  vergleicht  man 
mit  seinen  Arbeiterhäusern  die  trost¬ 
lose  Gleichförmigkeit,  die  in  der 
Regel  den  Arbeiterkolonien  anhaftet, 
in  Bournville  aber  tatsächlich  ver¬ 
mieden  ist,  was  um  so  verblüffender 
erscheint,  wenn  man  die  niedrigen, 
über  die  üblichen  Aufwendungen  für 
solche  Zwecke  kaum  hinausgehenden 
Bausummen  bedenkt.  V 

V  TAFEL  27.  „Haus  im  Norden“ 
nach  einem  Aquarell  von  HENRY 
PROVENSAL,  PARIS.  Im  Januar¬ 
hefte  dieses  Jahrganges  besprachen 
wir  unter  Tafel  5  die  Absicht  des 
Architekten,  die  er  einer  Serie  von 
Entwürfen  zu  Grunde  legte.  Auf  vor¬ 
liegendem  Blatte  versinnbildlicht  er 
den  Trotz  gegen  das  rauhe  Klima  nörd¬ 
licher  Gegenden,  den  er  durch  ge¬ 


drungene  Architekturformen,  massives 
Quadermauerwerk  und  das  hauben¬ 
artige  Dach  ausdrückt.  Und  um  den 
Reiz  der  winterlichen  Landschaft  vom 
Hause  ausgeniesen  zu  können,  ordnet 
er  die  Fenster  gross  und  fast  bis  zum 
Boden  reichend  an.  Für  die  gleich- 
mässige  Durchwärmung  aller  Räume 
sorgt  neben  offenen  Kaminfeuern  eine 
Zentralheizung.  V 

V  TAFEL  28.  „Halle“  von  EDGAR 
WOOD,  MANCHESTER.  Die  Aus¬ 
führung  des  Raumes  ist  in  mattge¬ 
schliffenem  Eschenholz  gehalten,  dem 
zur  Belebung  der  grossen  Holzflächen 
zierliche  Intarsien  und  ein  wenig 
Schnitzarbeit  eingefügt  sind.  Den 
Kamin,  in  Sandstein  und  glasierten 
Backsteinen  aufgemauert,  ziert  ein 
Fresko,  das  mit  gleichen  Bildern  in 
den  Lünetten  oberhalb  der  Fenster 
korrespondiert.  Wandfläche  und  Decke 
sind  rauh  verputzt,  mit  Stuckorna¬ 
menten  versehen  und  in  diesen  Teilen 
polychrom  behandelt.  Auf  grünem 
Boden  liegen  rotgefärbte  Teppiche  und  ein  breiter  Läufer, 
der  über  eine  vierstufige  Treppe  und  durch  eine  weisslakierte 
Türe  mit  Messingbeschlägen  und  bunter  Verglasung  nach  dem 
Speisesaal  führt.  V 

V  TAFEL  29.  Entwurf  zu  einem  Monumentalbrunnen  von 
A.  LAVERRIERE,  LAUSANNE.  Der  leitende  Gedanke  bei 
der  Komposition  des  Entwurfes  war  „die  Verherrlichung  der 
Arbeit“.  Vier  Basreliefs:  die  Erde,  die  Industrie,  die  Wissen¬ 
schaft  und  die  Künste  schmücken  die  Pfeiler  des  Brunnen- 


W.  ALEX.  HARVEY,  Landhaus  in  Bournville. 


QROUND  PLflM  2nd  FLOOFf  PLflM 


tempels,  dessen  Wände  die  allegorischen  Darstellungen  der 
zwölf  Monate  tragen.  Das  Wasser  der  Fontaine  verteilt  sich, 
über  vierfache  Schalen  fliessend,  in  vier  tiefe  Bassins,  gleich¬ 
sam  die  vier  Arbeitselemente  verkörpernd,  gespeist  von  dem 
gemeinsamen  Quell  des  Lebens.  V 

V  TAFEL  30.  Landhaus  in  Caterham  Valley.  Architekt 
A.  JESSOP  HARDWICK,  KINGSTON  -  ON -TH  AMES.  Das 
Haus  steht  auf  einem  vorspringenden  Hügel  über  dem  Tal, 
dieses  auf-  und  abwärts  auf  weite  Strecken  überblickend,  und 
sein  Grundriss  ist  so  gelegt,  dass  die  grossen  Fenster  der 
oberen  Halle  nach  der  Talseite  schauen.  Am  Äusseren  wie 
im  Inneren  charakterisiert  den  Bau  neben  einer  sehr  interes¬ 
santen  Silhouettenwirkung  eine  fast  nüchterne  Einfachheit. 
Weisse  Putzflächen,  rote  Ziegeldächer,  naturfarbenes  und 
stumpfgrün  lasiertes  Eichenholz  bilden  die  einfache  Harmonie 
seiner  Farben.  Um  den  Mittelpunkt  der  Grundriss-Anlage, 


Znd  flöor  plan  ground  plan 

Grundrisse  zu  Tafel  25. 


1  PARLOR 

§ 

Law - 

PARU3R 


die  Halle,  als  dem  Hauptaufenthaltsraum,  liegen  die  Wohn- 
und  Schlafzimmer;  die  Wirtschaftsräume  birgt  der  seitliche 
Anbau.  Eine  4  Fuss  breite  Galerie  bildet  in  der  Halle  auf 
der  einen  Seite  den  Zugang  zu  dem  Rauchzimmer  und  den 
Gaststuben,  auf  der  anderen  Seite  wird  sie  von  den  grossen 
aussichtreichen  Fensterreihen  eingenommen.  V 

V  TAFEL  31.  Wohn-  und  Geschäftshaus,  von  Architekt 

F.  W.  JOCHEM,  DARMSTADT.  Der  Entwurf  trägt  das  Ge¬ 
präge  einer  kleinen  Provinzstadt  und  erinnert  in  seinem  Ge¬ 
samteindruck  an  die  Zeit,  „als  der  Grossvater  die  Grossmutter 
nahm“.  Aber  gleichviel !  Das  Haus  ist  hübsch  und  gut.  Die 
Bauausführung  denkt  sich  Jochem  so:  das  Erdgeschoss  wird 
schwarzer  Bruchstein  mit  vorgelagertem  Schaufenster  in  weiss 
gestrichener  Eisenkonstruktion  mit  Kupferdach.  Dann  folgt 
das  Mauerwerk  des  ersten  Stockes  in  blau  glasierten  Ziegeln, 
hierauf  der  Giebelaufbau  in  grau 
und  gelb  gefärbtem  rauhem  Ver¬ 
putz,  mit  einem  Mosaikbild  und 
kupferner  Abdeckung.  Der 
tieferliegende  Gebäudeteil  ist 
ganz  verputzt  und  hat  einen 
mit  dem  Nachbarhause  gemein¬ 
samen  Balkon  in  Monierkon¬ 
struktion.  Tür  und  Fenster¬ 
hölzer  sind  blau  gestrichen  und 
das  Dach  decken  rote  Biber¬ 
schwänze.  V 

V  TAFEL  32.  VALENTIN 
MINK,  DARMSTADT,  der  seit 
Jahren  im  Atelier  Prof.  J.  M. 

Olbrichs  tätig  ist,  zeigt  uns  hier 
ein  bürgerliches  Wohnzimmer. 


CjTOC  KWEf?K$-  CJI5N/N  o  f?  I  ^  i 

Grundriss  zu  Tafel  31. 


i -  MODERNE  BAUFORMEN  III 


Die  schlichte  Gemütlichkeit  des  Rau¬ 
mes  spricht  für  sich  selber:  man 
braucht  sich  nur  die  Wirkung  des 
vorgesehenen  Corallinholzes,  der  mit 
gemustertem  Velvet  bezogenen  Polster¬ 
möbel,  der  seidenen  Vorhänge,  der 
mausgrau  bespannten  Wände  und  all 
des  übrigen  Beiwerkes  zu  denken  und 
dazu  ein  wenig  Sonnenschein,  um  den 
Entwurfvoll  einzuschätzen.  Beachtens¬ 
wert  ist  auch  die  Bildung  der  Decke. 

vvvvvvvvvvvvvvvvv 


HANS  MAYR, 
WIEN. 

Konkurrenz- Projekt 
zu  dem  Amts-  und 
Sparkassengebäude 
in  Jablitnkau. 


feSl 


31 


3AHR6-  MONAT/HEFTE  für  ARCHITEKTUR,  heft 


ARCHITEKTEN:  WEHLING  &  LUDWIG,  DÜSSELDORF. 


Wohl  kaum  eine  andere  Stadt  weiss  den  mit  der  Bahn  an- 
kommenden  Fremdling  so  zu  verblüffen  als  Köln.  Denn 
tritt  er  aus  dem  mit  hastendem  Leben  erfüllten  Bahnhofsge¬ 
bäude  ins  Freie,  bannt  seinen  Blick  eine  starre,  graue  Stein- 
inasse,  der  Dom,  jener  verspätet  vollendete  kolossale  Re¬ 
präsentant  mittelalterlicher  Kirchenmacht.  Obwohl  er  durch 
Niederlegung  der  nächsten  Umgebung  viel  von  der  beäng¬ 
stigenden  Wucht  seiner  krausen  Architektur  eingebüsst  hat, 
beherrscht  er  die  alte  Handelsstadt  noch  immer;  er  ist  gleich¬ 
sam  ihre  architektonische  Seele,  ihr  architektonisches  Gewissen. 
Dies  mag  mit  ein  Grund  sein, 
dass  Köln  dem  Verlangen 
nach  einer  gegenwärtigen 
Baukunst  bis  heute  so  ab¬ 
weisend  gegenüber  steht.  Ab¬ 
gesehen  von  einigen  kleinen, 
lediglich  Geschäftszwecken 
dienenden  Häusern imHerzen 
der  Stadt,  ist  die  Villa  Bestgen 
tatsächlich  das  einzige  Kölner 
Wohnhaus,  das  den  Anforde¬ 
rungen  modernen  Formge¬ 
fühls  ganz  entspricht  und 
dabei  den  Gesetzen  der 
Zweckmässigkeit  vollauf  ge¬ 
recht  wird.  Die  Hochflut 
spekulativer  Pseudo- Archi¬ 
tektur,  die  mit  dem  Fall  der 
alten  Stadtmauern  einsetzte, 
hat  auch  Köln  jene  ungesunde 
Bauerei  gebracht,  die  nun 
in  Gestalt  des  als  Strassen- 
anlage  übrigens  prächtigen 
„Rings“  die  Stadt  umgürtet 
und  ihren  architektonischen 
Eindruck  verdirbt.  V 

V  Die  Villa  Bestgen  liegt 
an  dem  noch  nicht  ausge¬ 
bauten  Deutschen  Ring,  einem 
der  schönsten  und  ruhigsten 
Plätze  der  Stadt.  Wie  hier 
nach  dem  Staube  des  Strassen- 


verkehrs  ein  in  saftiges  Grün  gebetteter  Teich  erfrischend 
wirkt,  so  wohltuend  berührt  nach  all  den  fast  ununterbrochenen 
architektonischen  Gleichgültigkeiten  der  Ringstrassen  dieses 
Haus.  Auf  dem  Terrain  der  ehemaligen  Umwallung  steht  es 
einige  Meter  über  dem  Strassenniveau.  Das  Grundstück  ist 
schmal  und  tief  und  hatte  die  baupolizeiliche  Auflage,  dass 
zwischen  den  einzelnen  Häusern  ein  Abstand  von  fünf  Metern 
einzuhalten  war.  Dieser  Umstand  war  von  vornherein  für  die 
Entwickelung  des  Hauses  nach  der  Tiefe  hin,  mit  dem  Eingänge 
an  einer  Langseite,  massgebend  und  wurde  durch  die  Anord¬ 
nung  einer  inneren  Längs¬ 
achse  auch  für  die  Ausge¬ 
staltung  des  Äusseren  be¬ 
stimmend.  In  gelbgrauem 
Sandstein  und  Verputz  ge¬ 
halten,  wirkt  der  Bau  durch 
seine  Einfachheit  und  die 
grosszügige  Form  seiner 
Architektur.  Schmuck  ist  nur 
an  den  wenigen  bevorzugten 
Bauteilen  in  Gestalt  orna¬ 
mentaler  und  figürlicher  Plas¬ 
tik  angewendet,  die  durch 
kräftige  Malereien  und  Glas¬ 
mosaiken  unterstützt  wird; 
am  hölzernen  Kranzgesims, 
dessen  mächtige  Ausladung 
reiche,  schablonierte  Be¬ 
malung  aufweist,  sind  die 
kleinen  Säulen  und  die  An¬ 
läufe  der  Gesimsträger  aus 
Eisenguss.  Die  farbige  Wir¬ 
kung  des  Hauses  ist  ohne 
jeden  brutalen  Effekt  und 
kommt  eigentlich  nur  in  der 
braungelbenWandmalerei  der 
Loggia  und  dem  bunten 
Kranzgesimse  mit  seinen 
blauen  Säulchen  stark  zur 
Geltung.  Naturgemäss  zeigt 
die  reichste  Gliederung  die 
Strassenseite,  wo  der  archi- 


WEHLING  &  LUDWIG,  DÜSSELDORF.  Villa  Bestgen,  Köln. 
Diele  und  Treppenhaus. 


I  MODERNE  BAUFORMEN  III 


aMiateiki 


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I-°0nM5W°55 


WEHLING  &  LUDWIG.  DÜSSELDORF. 

Villa  Bestgen,  Köln.  Hauptansicht  und  Grundrisse. 


tektonische  Schwerpunkt  in  der  Loggia  liegt,  die  über 
dem  halbrunden,  sich  aus  dem  Musikzimmer  entwickeln¬ 
den  Erker  eingebaut  ist.  Durch  die  satte,  farben¬ 
freudige  Bemalung  ihrer  Wände  mit  einem  Blüten- 
und  Blattornament  zeigt  sich  die  Absicht  des  Archi¬ 
tekten  gerade  durch  die  Loggia  dem  Hause  seine 
charakteristische  Wirkung  zu  verleihen,  besonders 
betont  und  erreicht!  Auf  dem  Schlusssteine  der  Oeff- 
nung  sitzt  ein  krähender  Hahn;  die  Attika  krönen 
2  weibliche  Figuren,  die  Hüterinnen  des  häuslichen 
Glückes  und  der  Herdflamme.  Diese,  sowie  der  Hahn 
sind  in  Bronze  ausgeführt,  wozu  die  Modelle  von  dem 
in  Düsseldorf  lebenden  Bildhauer  Adolf  Simatschek 
angefertigt  wurden.  Die  Bausumme  beträgt  ausschliess¬ 
lich  der  inneren  Einrichtung  160000  Mark.  V 

V  Schliesst  sich  hinter  uns  die  blaugestrichene  Eisen¬ 
pforte  der  Einfriedigung,  so  fesselt  schon  beim  Auf¬ 
stieg  über  die  steinerne  Freitreppe  das  Hauptportal 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


durch  die  dezente  und  doch  wohltuend  leuchtende  Farbenpracht 
seiner  Säulenschäfte.  An  ihnen  kommt  das  Wehlingsche  Ver¬ 
fahren*),  seinen  Bauten  einen  wetterfesten  Farbenschmuck 
durch  Glasmosaik  zu  geben,  überzeugend  zur  Anwendung.  V 
V  Ein  bis  an  die  Decke  weiss  getäfeltes  Entree,  in  das  durch 
2  schmale  hohe  farbige  Lichtquellen  zu  beiden  Seiten  der  Türe 
ein  milder  Schein  fällt,  nimmt  uns  auf  und  wir  schreiten  durch 
die,  in  grauen  und  grünen  Farbtönen  gehaltene  Garderobe  in 
das  Empfangs-  und  Wohnzimmer.  Hier  überrascht  der  vor¬ 
nehm  bürgerliche  Ton,  der  aus  dem  matt  zueinander  ge¬ 
stimmten  Rot  in  Rot  seiner  Wände,  Möbel,  Vorhänge  und 
Teppiche  spricht.  Weiter  führen  3  Stufen  in  das,  60  cm  tiefer 
als  alle  anderen  Räume  des  Erdgeschosses,  gelegene  Musik¬ 
zimmer.  Das  ist  der  schönste  Raum;  er  klingt  in  ernsten 
Farbenakkorden.  Den  Grundton  geben  die  Wände  mit  einem 
tiefen  Graugrün,  welches  sich  durch  eine  grosse  Hohle  in  die 
Decke  fortsetzt,  in  der  Deckenfläche  weiterläuft  und  dann  durch 
ein  plastisches  Glied  von  dem  tiefen  Ton  des  satten,  blau¬ 
violetten  Sternenhimmels,  der  eigentlichen  Decke,  getrennt 
wird.  Ein  Vieleck  bildend,  sind  in  ihr  die  Beleuchtungs¬ 
körper  aus  geschliffenem  Kristallglas  eingelassen.  Nicht  ohne 
Interesse  ist  es,  dass  der  Architekt  der  Konstruktion  des 

*)  Deutsches  Reichspatent  Nr.  133  266.  In  einem  der  nächsten  Hefte  werden  wir  noch  Ge¬ 
naueres  über  diese  Technik  bringen  . 


WEHLING  &  LUDWIG,  DÜSSELDORF.  Villa  Bestgen,  Köln. 
Heizkörper  im  Musikzimmer. 


Himmelsbildes  einen  alten,  astromischen  Plan  zugrunde  legte, 
wo  die  einzelnen  Sternbilder  durch  blassblaue  Linien  abge¬ 
grenzt  sind.  In  den  durch  die  Kreisform  vom  Viereck  abge¬ 
schnittenen  Zwickeln  der  Decke  ziehen  schwebend  traumhafte, 
harfende  Figuren  wie  wallender  Nebel  einander  nach.  Den 
Hauptschmuck  dieses  Raumes  aber  bildet  an  der  vollen  Längs¬ 
wand  in  einem  festen,  architektonisch  aufgebauten  Rahmen 
eine  Kopie  des  Böcklinschen  Bildes  „Im  Spiel  der  Wellen“. 
Das  Holzwerk  der  Möbel  ist  dunkelbraun,  fast  schwarz  ge¬ 
beiztes  Nussbaumholz;  lichte  Intarsien  beleben  die  mit  satt¬ 
gelbem  Seidenrips  überzogenen  Sitzmöbel  und  bilden  helle, 
farbige  Flecken,  die  im  Verein  mit  dem  grossen,  in  gelben, 
grauen  und  grünlichen  Tönen  spielenden  Teppich  dem  ernst¬ 
gehaltenen  Raume  eine  festlich  heitere  Note  geben.  Alle 


WEHLING  &  LUDWIG,  DÜSSELDORF.  Villa  Bestgen,  Köln. 
Haupteingang. 


L 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


WEHLING  &  LUDWIG,  DÜSSELDORF.  Villa  Bestgen.  Köln, 
Speisezimmer. 


V  Viel  Arbeit  und  Mühe  steckt  im 
Inneren  und  alles  zeugt  von  der 
liebevollen  Sorgfalt,  die  Bauherr  und 
Architekt  auf  ihre  Aufgabe  verwendet 
haben,  ein  vornehmes,  behagliches 
Heim  zu  schaffen.  Schon  die  wohl 
durchdachte  Gruppierung  der  Haupt¬ 
räume,  deren  Anlage  bei  der  verhält¬ 
nismässigen  Beschränktheit  der  Haus¬ 
fläche  so  reizvoll  gelöst  ist,  zeigt 
das  gegenseitige  Verstehen  von  Bau¬ 
meister  und  Bauherr.  Musikzimmer, 
Diele,  Speisezimmer  und  Winter¬ 
garten  sind  durch  breite  Schiebe¬ 
türen  so  untereinander  verbunden, 
dass  sie  einen  freien  Durchblick  vom 
Wintergarten  durch  den  fiinffenste- 
rigen  Erker  nach  der  Parkanlage  an 
der  Strasse  gewähren.  Allgemach 
verdichtet  sich  die  farbige  Stimmung 
der  einzelnen  Räume,  von  den  lichten 
Tönen  des  Wintergartens  ausgehend, 
durch  Speisezimmer  und  Diele  sich 
verstärkend,  in  dem  Musikraum  zu 
festlich  gehobenen  Akkorden,  um 
sich  im  danebenliegenden  Wohn¬ 
zimmer  gemütlich  auszulösen.  V 


Ecken  sind  zweckentsprechend  stark  abgerundet,  wodurch  sich 
vorzügliche  Schallverhältnisse  ergeben  und  eine  Sitznische  ist  so 
angeordnet,  dass  man  den  Tönen  lauschen  kann,  ohne  dabei 
durch  den  Anblick  der  Muszierenden  abgelenkt  zu  werden.  V 
V  Um  vom  Musikzimmer  zum  Speisezimmer  zu  gelangen, 
durchschreiten  wir  die  Diele,  deren  Wände  über  natureichener 
Täfelung  mit  hohen  Stofffeldern  rauh  verputzt  sind  und  in 
die  Decke  übergehen.  Der  Entreetüre  gegenüber  hat  an  der 
Fensterwand  ein  Kachelkamin  mit  beiderseitigen  Ruhebänken 
seinen  Platz  gefunden.  Gedämpftes  Licht  fällt  warm  durch 
die  bunt  verglasten  Fensterchen,  zu  denen  die  klotzige  Schwere 
der  eisernen  Beleuchtungskörper  in  eigenartigem  Kontrast  steht. 
Das  Treppenhaus  zeigt  das  gleiche  Eichenholz  mit  dazwischen 
gespanntem  ähnlich  getöntem  schottischem  Leinenstoff  und 
über  dem  ersten  Podest  prangt  ein  grosses  Kunstglasfenster 
in  lebhaftester  Farben-  und  Formenpracht.  Im  Speisezimmer 
herrscht  eine  gemütlich  anheimelnde  Stimmung.  Seine  Wände 
teilen  nach  der  Horizontalen  eine  2  Meter  hohe  Vertäfelung 
aus  geräuchertem  Eichenholz  und  eine  darüber  angebrachte 
Stoffbespannung  in  blaugrüner  Grundfarbenwirkung.  Die  Kas¬ 
settendecke  zeigt  zum  Teil  dasselbe  Holz,  zum  Teil  weiss 
lackierte  Friese  mit  blau-rot-grüner  Bemalung.  Die  abge¬ 
schrägten  Ecken  an  der  Dielenwand  füllen  eine  Kaminnische 
und  ein  eingebauter  Serviertisch,  über  welchem,  gleichfalls 
in  einer  Nische,  die  mit  bunter  Glasmosaik  ausgelegt  ist, 
ein  Brünnlein  plätschert.  An  den  Langwänden  stehen  Buffet, 
Porzellanschrank  und  einfache,  bequeme  Sitzmöbel.  Von  der 
Decke  hängen,  in  der  Mittelachse  angebracht,  eine  Reihe  von 
kubischen  Beleuchtungskörpern  aus  Eisen  mit  facettiertem 
Glas,  die  dem  Raume  das  künstliche  Licht  geben.  V 


WEHLING  &  LUDWIG,  DÜSSELDORF.  Villa  Bestgen,  Köln. 
Blick  in  die  Loggia. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


35 


V  Es  ist  etwas  Schönes  um  so  ein 
Haus,  dessen  Gelingen  aufs  neue 
beweist,  dass  die  aufgewandte  Arbeit 
unserer  nach  eigenem  Ausdruck 
ringenden  Architekten  nicht  umsonst 
ist,  dass  sie,  wenn  sie  auch  weiter 
solche  Früchte  trägt,  stark  werden 
wird,  stark  genug,  um  die  vielfach 
verheerende  Tätigkeit  unserer  un¬ 
mittelbaren  Vorfahren  wieder  wett¬ 
zumachen.  Langsam  zwar  —  aber 
doch.  Rhenanus. 


UNSERE  TAFELN. 

V  Die  TAFEL  33  „Diele  der  Villa 
Bestgen,  Köln“,  Architekten  WEH- 
LING  &  LUDWIG,  DÜSSELDORF, 
findet  in  unserem  heutigen  Aufsatze 
eine  eingehende  Würdigung.  Zur 
Materialbeschreibung  ist  noch  nach¬ 
zuholen,  dass  auch  das  weisse  Mauer¬ 
werk  des  Kamins  rauh  verputzt  ist, 
die  farbigen  Ornamente  aber  wieder¬ 
um  aus  Glasmosaik  bestehen  und  ein 
Spiegel  die  Halbkreisform  füllt.  V 

V  TAFEL  34.  Miethaus  nach  einem 

Entwurf  des  Architekten  WUNIBALD 
DEININGER,  WIEN.  Das  in  einem 
vornehmen  Teil  einer  Grossstadt  ge¬ 
dachte  Haus  enthält,  wie  aus  dem 
beigegebenen  Grundrisse  ersichtlich, 
in  jedem  Stockwerke  nur  eine  Woh¬ 
nung.  Entprechend  der  Lage  des 
Gebäudes  war  bei  Durchbildung  der 
Fassade  das  Hauptstreben  darnach 
gerichtet,  eine  möglichst  monumentale 
Wirkung  zu  erzielen.  Die  beiden 
Scheidemauern,  welche  den  Gesell¬ 
schaftssaal  von  den  anstossenden 
Räumen  trennen,  nehmen  auch  die 
Rauchschlote  auf  und  setzen  sich  noch 
ausserhalb  des  Ateliers  fort,  wo  sie 
dann  mit  einer  starken  Marmorplatte 
abgedeckt  sind.  Bei  den  schwach 
ausladenden  Baikonen  im  ersten  und 
zweiten  Stocke  wurde  versucht  mo¬ 
dernem  Materiale ,  wie  den  Strick¬ 
netzen,  dekorative  Wirkung  zu  ver¬ 
leihen.  Die  farbige  Ausgestaltung  be¬ 
schränkt  sich  auf  Vergoldung  der  Bal- 
kone,  Guirlanden  und  einige  blass 
getönte  Putzfüllungen.  V 

V  TAFEL35.  Projekt  zu  einem  Schul¬ 
hause  von  Architekt  PAUL  BURCK- 
HARDT,  MÜNCHEN.  Von  allen  Städ¬ 
ten  hat  unstreitig  München  die  schön¬ 
sten  Volksschulhäuser.  Die  bayerische 


WEHLING  &  LUDWIG.  DÜSSELDORF.  Villa  Bestgen.  Köln. 
Musikzimmer. 


Hauptstadt  verdankt  diese  vorbildliche  Stellung  auf  dem 
Gebiete  des  Schulhausbaus  der  segensreichen  Wirkung  ihres 
Stadtbauamtes  und  insbesondere  dessen  Architekten  Hoch- 
eder,  Grässel,  Fischer  und  anderen.  Vor  allem  der  jetzt 
an  der  Stuttgarter  technischen  Hochschule  lehrende  Pro¬ 
fessor  Theodor  Fischer  baute  München  einige  der  besten 
und  anregendsten  Schulen,  die  in  jeder  Hinsicht,  praktisch 
wie  künstlerisch,  mustergültig  sind.  Unser  Projekt  ist  un¬ 
verkennbar  vom  Geiste  Fischers  beeinflusst,  aber  auch 
Darmstadt,  wo  Burckhardt  einige  Zeit  studierte,  ist  unschwer 
herauszufühlen.  Wenn  die  Stilisierung  der  in  Verputz- 
Grundriss  zu  Tafel  34  technik  aufgetragenen  figürlichen  Flachreliefs  und  die  bunte 

Färbung  einzelner  Putzflächen  nach  München  hinweisen, 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


Ein  Raum  von  entzückender  Frische 
und  Sauberkeit!  Alles  weiss:  die 
Decke, die  eingebauten  Wandschränke, 
die  Betten,  die  Sitzmöbel,  der  Kamin 
kurz  alles  und  darüber  hingestreut 
eine  Fülle  von  Blüten  und  Blättern, 
Rosen,  Glockenblumen,  Schmetter¬ 
lingen.  Die  Ausführung  der  Orna¬ 
mente  wechselt  ir.  Malerei,  eingelegter 
Arbeit,  Applikationsstickerei  und 
Knüpftechnik,  und  das  blasse  Meer¬ 
grün  ihrer  Blätter  verstärkt  sich  in 
den  seidenen  Vorhängen  und  den 
Fliesen  am  Kamin  zu  duftiger  Masse. 
Ein  ohne  jedes  Muster  geknüpfter, 
gelber  Smyrnateppich  wirkt  eigenartig 
auf  dem  Ahornparkett  des  Raumes, 
in  dem  des  Nachts  vergoldete  Laternen 
ein  dämmeriges  Licht  verbreiten.  V 
V  TAFEL  37.  Architektur-Studie  von 
P.  DE  RUTTE,  PARIS.  Wer  könnte 
sich  dem  traulichen  Frieden  der  Markt¬ 
plätze  alter  Provinzstädte  entziehen, 
die  beherrscht  von  der  Burg  ihrer 
ehemaligen  Beschützer  so  verträumt 
von  alter  Herrlichkeit  erzählen  ?  Auch 
Rutte  schuf  unter  diesem  Eindrücke 
seine  Studie,  die  unter  moderner  Form¬ 
gebung  die  gleiche  Stimmung  zu  er¬ 
reichen  sucht.  Wenn  ihm  dies  auch 
im  allgemeinen  gelungen  ist,  uns 
scheint,  die  Alten  konnten  es  doch 
noch  besser;  freilich  gaben  früher  die 
verschiedenen  Stilperioden  solch  ei¬ 
nem  Platze  stets  ihr  Bestes.  Daran 
liegt  es!  V 

VTAFEL38.  „Restaurant  im  Walde“ 
nach  einem  Entwurf  von  MAXBRINT- 
Z1NGER,  ESSLINGEN.  Der  Archi¬ 
tekt  versucht  hier  mit  Glück  einem 
der  meist  sehr  misshandelten,  von 

Grundriss  zu  Tafel  35. 


ist  ebenso  sicher  in  der  Form  der  Giebel,  der  Architektur  an 
den  Erkern,  den  vorkragenden  Gesimsen  und  ähnlichem,  der 
Einfluss  Olbrichs  zu  verspüren.  Aber  diese  übernommenen  Ge¬ 
danken  sind  gut  und  selbständig  verarbeitet.  Die  innere  Ein¬ 
teilung  sieht  unter  möglichster  Beschränkung  der  Korridore 
eine  geräumige  Spielhalle  vor,  die  sich  nach  dem  Hofe  zu 
öffnet  und  durch  ein  weit  ausladendes  Schutzdach  ins  Freie 
fortgesetzt  wird,  sodass  auch  bei  Regentagen  den  Kindern  ge¬ 
nügend  Platz  zur  Bewegung  geschaffen  ist.  Bezeichnender 
Weise  ist  nur  für  die  gegen  den  Hof  liegende  Fassade,  die 
auch  die  Eingangsseite  ist,  eine  fröhliche,  das  Kindergemüt 
ansprechende  Ausschmückung  vorgesehen.  V 

V  TAFEL  36.  Schlafzimmer.  Entwurf  von  GEORGE  LOGAN, 
GLASGOW,  ausgeführt  von  Wylie  und  Lochhead,  Glasgow. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


37 


Banalität  strotzenden  Gasthäuser,  eine  gute  Form  zu  geben. 
Sein  Projekt  hält  sich  fern  von  allen  Konzessionen  an  den 
beutelüsternen  Wirt,  es  giebt  ihm  nicht  einmal  die  Erlaubnis, 
auf  dem  Dache  oder  sonst  einem  geeigneten  Platze  durch  riesige 
Reklameschilder  Haus  und  Gegend  den  Stempel  unserer  heutigen 
Kultur  aufzudrücken.  Dagegen  verschafft  er  ihm  durch  das 
Aeussere  des  Baues  schon  jenes  Zutrauen  der  Gäste  auf  gute 
Verpflegung,  das  z.  B.  irgend  ein  altes  Postwirtshaus  hervor¬ 
ruft.  Weisser  Sandstein,  hellgrauer  Verputz,  gelbes  Pitchpine- 
Fachwerk  und  ein  rotes  Ziegeldach  ergeben  einen  freundlichen 
Anblick.  Das  Fensterholz  und  dergl.  ist  rein  weiss  gestrichen 
und  an  Fachwerk  und  Sandstein  sind  flache  Ornamente  einge¬ 
graben  und  vergoldet.  V 

V  TAFEL  39.  Studie  zu  einem  Speisezimmer  von  KARL 
HECKENBERGER,  STUTTGART.  Der  Ausführungsvorschlag 
sieht  weiss  lackiertes  Fichtenholz  vor  und  verwendet  zur  Be¬ 
lebung  der  Flächen  kleine  Einlagen  aus  farbigen  Hölzern. 
Ueber  der  Vertäfelung  zieht  sich,  um  alle  Wände  laufend,  ein 
in  Leimfarbe  gestrichenes  Wandfeld  mit  ein  wenig  schablonierter 
Arbeit  und  nimmt  seinerseits  die  weiss  lackierten  Deckenbalken 
auf,  zwischen  denen  die  gleich  getönten  Putzflächen  sichtbar 
bleiben.  Die  Kaminnische  deckt  ein  in  Batik-Technik  gemus¬ 
terter  Sammt.  Des  weiteren  kommen  noch  in  Betracht:  Pati- 
niertes  Messing  für  die  Möbelbeschläge,  getriebene  Kupfer¬ 
arbeit  für  das  Uhrblatt  und  die  Beleuchtungskörper,  denen 


WEHLING  &  LUDWIG,  DÜSSELDORF.  Villa  Bestgen,  Köln. 
Badezimmer. 


WEHLING  &  LUDWIG,  DÜSSELDORF.  Villa  Bestgen,  Köln. 
Partie  aus  dem  Speisezimmer. 


irisierende  Glassfluss-Stücke  eingefügt  sind,  schwarzer  Marmor 
für  die  Kaminplatte  und  schliesslich  noch  graublau  getöntes 
eichenes  Parkett,  darauf  ein  in  kalten  Tönen  gehaltener  Teppich 
sich  ausbreitet.  V 

V  TAFEL  40.  Das  kleine  Landhaus,  das  uns  ANDRE  COL- 
LIN,  PARIS  hier  zeigt,  reiht  sich  seinen  übrigen  schon  in 
unseren  früheren  Heften  veröffentlichten  Arbeiten  würdig  an. 
Collin  will  nicht  durch  Besonderheiten  auffallen,  vielmehr 


Grundriss  zu  Tafel  40. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


L 
m 


strebt  er  darnach,  dem  einfachen  Wohnhause  hübsche  und  all¬ 
gemein  verständliche  Formen  zu  geben.  Er  arbeitet  da¬ 
her  mit  althergebrachten  praktisch  erprobten  Mitteln,  die 
seinen  Häusern  denn  auch  eine  gewohnte  Gediegenheit  ver¬ 
leihen,  ohne  doch  langweilig  zu  sein.  Dem  beugt  er  stets 
durch  abwechslungsreiche  Gruppierung  der  Baumassen  und 
reich  gegliederte  Dachbildung  vor.  V 


C.  F.  w.  LEONHARDT ,  FRANKFURT  A.  M. 

Projekt  za  einem  Landhause  am  Rhein.  Material:  rot  gefugter 
Schieferbruchstein,  farbiger  Mörtelputz,  blaue  Schieferung. 
Baukosten  ca.  18000  Mark. 


34 


JULIUS  HOFFMANN, 
VERLAG,  STUTTGART 


MÜNZ  &  GEIGER,  STUTTGART 


INV:  WUNIBALD  DEININGER,  WIEN 


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JAHRS.  MONATTHEFTE  für  ARCHITEKTUR,  mefr 

DIE  KERAMIK  IN  DER  MODERNEN  ARCHITEKTUR. 


Zwei  Gesichtspunkte  bestimmen  die  Verwendung  keramischer 
Produkte,  in  erster  Linie  der  Fliesen  und  Kacheln,  in  der 
modernen  Baukunst:  ein  wesentlich  praktischer,  der  aus  den 
spezifischen  Vorteilen  des  Materials  für  die  Bedürfnisse  des 
Baumeisters  Nutzen  gewinnt,  und  ein  wesentlich  künstlerischer, 
der  den  dekorativen  Wert  der  Fliesen  verwendet.  Der  erste 
ist  in  unserer  praktischen  Zeit  mit  Recht  entscheidend  gewor¬ 
den  und  zwar  namentlich  für  die  Innenarchitektur  der  Nutz¬ 
bauten.  Zuerst  in  England  und  Amerika,  dann  in  Deutschland, 
Belgien  und  den  meisten  anderen  Ländern  hat  sich  die  Fliese 
als  Bekleidung  der  Wände  in  Hotels,  Krankenhäusern,  in  den 
Fluren,  Küchen  u.  s.  w.  der  Mietshäuser  durch  ihr  appetitliches 
Aussehen  und  ihren  Wert  für  Hygiene  das  Wohlwollen  des 
Publikums  erworben.  In  England  gehörte  sie  mit  zu  den  ersten 
Gebieten,  die  sich  Morris  eroberte;  De  Morgan  und  viele 
andere  Industrielle  sind  seiner  Anregung  gefolgt.  Die  einfarbige 
Fliese  in  den  bekannten  hübschen  Tönen  war  bis  vor  kurzer 
Zeit  der  Alleinbesitz  Englands,  und  nirgends  ist 
die  Verwendung  so  weit  getrieben  als  in  Lon¬ 
don,  wo  u.  a.  das  [South  Kensington  Museum 
mit  seiner  Vertäfelung  in  dekorierten  Fliesen 
die  beste  Propaganda  besorgt.  Im  übrigen 
aber  macht  die  Verwendung  zu  den  Zwecken 
der  Dekoration  verhältnismässig  langsame  Fort¬ 
schritte.  Wohl  haben  wir  gewisse  gemischte 
Anwendungen,  wo  halb  die  Rücksicht  auf 
den  praktischen  Zweck,  halb  die  Freude  an 
dem  Reiz  des  Materials  entscheidet,  in  grosser 
Menge.  Dem  Kamin  ist  die  Kachel  zum  vor¬ 
trefflichen  Ersatz  des  kost¬ 
spieligen  und  kalten  Mar¬ 
mors  geworden.  Wo  es  schon 
in  früheren  Zeiten  Kachel¬ 
öfen  gab,  wie  fast  überall 
in  Deutschland  und  Oester¬ 
reich,  hat  die  farbige  Fliese 
das  Mode  gewordene  lang¬ 
weilige  Weiss  verdrängt, 
freilich  nicht  immer  zum 
Vorteil  der  Behaglichkeit 
des  Zimmers.  Der  Stil 
der  grossstädtischen  Miets¬ 
kasernen  fand  in  der  billigen 
Monumental -Keramik  ein 


willkommenes  Mittel,  viel  Prunk  für  wenig  Geld  zu  geben. 
Läuger  zeigte  eine  würdigere,  einfachere  und  geschmackvollere 
Art,  sich  der  Farbe  zu  bedienen,  und  der  Erfolg  ist  nicht 
ausgeblieben.  Die  Gebrüder  v.  Heider,  Magdeburg,  Schar¬ 
vogel  in  München,  Zsolnay  in  Fünfkirchen  und  andere,  sowie 
fast  alle  unsere  grossen  und  kleinen  Kachelofenfabrikanten 
schlossen  sich  der  von  Läuger  ausgegangenen  Bewegung  an. 
Van  de  Velde  baut  seine  Kamine  mit  Vorliebe  aus  diskreteren 
Greskacheln,  deren  Schmuck  nur  in  dem  Reiz  des  Emailflusses 
besteht  und  die  er  mit  Holz  oder  Metall  einrahmt.  Vorüber¬ 
gehend  hat  er,  und  viele  andere  Künstler,  zuerst  wiederum 
England,  die  Fliesen  in  Tische  eingelegt.  Eine  Verwendung 
grossen  Umfangs  zeigte  der  von  Villeroy  &  Boch  ausgeführte 
Saal  in  der  deutschen  Abteilung  der  Turiner  Ausstellung,  für 
den  Architekt  Kreis  die  Zeichnungen,  der  Bildhauer  Gross 
die  plastischen  Modelle  geliefert  hatten.  Die  Wirkung  war 
überaus  glücklich  und  zeigte  in  noch  höherem  Masse  die 
Möglichkeit  noch  besseren  Gelingens  bei 
günstigeren  äusseren  Umständen.  Allerlei  Neu¬ 
heiten  wusste  die  Flachornamentik  der  jungen 
Wiener  aus  den  Fliesen  zu  ziehen.  Das  Fleck¬ 
chen  Farbe,  das  Olbrich  und  die  ihm  nahe¬ 
stehenden  Künstler  mit  einer  in  die  Fassade 
eingelassenen  Kachel  bewirken,  mangelt  nicht 
der  Reize,  wenn  schon  das  Mittel  leicht  zu 
kleinlichen  Spielereien  verführt.  Als  gute 
Beispiele  der  fast  vollständigen  Verkleidung 
von  Fassaden  mit  Fliesen  sind  zu  erwähnen 
die  bekannten  Zinshäuser  Otto  Wagners  in 
Wien  und  ein  von  den  Archi¬ 
tekten  Wehling  &  Ludwig 
in  Düsseldorf  erbautes  Kauf¬ 
haus.  Das  eigentliche  Land 
aber  der  modernen  Keramik, 
auf  das  die  Tafeln  44,  45  und 
46  dieses  Heftes  hinweisen, 
nimmt  in  der  Frage  eine 
eigentümliche  Stellung  ein. 
Frankreich  besitzt  in  den 
Nachfolgern  des  glänzenden 
Keramikers  Carriös, in  Dela- 
herche,  Chaplin,  Bigot,  Dal- 
payrat,  Müller  und  vielen 
anderen  eine  ganze  Plejade 


PROFESSOR  M.  LÄUGER,  KARLSRUHE. 
Wandbrannen. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


WEH  LIN  ü  &  LUDWIG.  DÜSSELDORF. 

Teilansicht  des  Hauses  an  der  Blumenstrasse  in  Düsseldorf,  s.  Taf.  42. 


tüchtiger  Künstler,  die  die  arts  du  grand  feu  betreiben  und 
seltene  Farben  auf  das  Steingut  zu  zaubern  wissen.  Seitdem 
die  japanischen  Poterieen  mehr  bekannt  geworden  sind,  hat 
auch  Frankreich  in  zahllosen  Arten  einen  Luxusartikel  ge¬ 
schaffen,  der  einen  vornehmen  Sammlersport  befriedigt.  Diese 
Töpfchen  stehen  in  allen  Museen  Europas.  Die  öffentliche 
Kunstpflege  acceptierte  von  der  modernen  Gewerbebewegung 
zuerst  diese  schönen  Unnützlichkeiten,  die  sich  den  alten 
Dokumenten  bequem  anschliessen  und  niemandem  wehtun. 
Die  Staats-Manufaktur  von  Sevres  hat  sich  an  die  Spitze  der 
Bewegung  gestellt  und  im  Grös  und  Porzellan  die  kostbarsten 
Liebhaberstücke  geliefert.  In  Kopenhagen  sorgen  die  beiden 
bekannten  Fabriken,  die  königliche  und  Bing  &  Gröndahl 
für  die  Vertretung  der  nordischen  Ornamentik;  in  Berlin 


und  Meissen  hat  das  Beispiel  Früchte  getragen,  zumal  Berlin 
hat,  seitdem  Schmuz-Baudiss  der  Manufaktur  als  künstlerischer 
Leiter  vorsteht,  den  enormen  Vorsprung  der  Konkurrenzanstalten 
eingeholt.  V 

V  Schon  frühzeitig  machten  die  berühmten  Keramiker  Frank¬ 
reichs  Fliesen  aus  Grös.  Delaherche  lieferte  solche  Dinge, 
wenige  Centimeter  im  Quadrat  zu  den  Preisen,  zu  denen  man 
England  den  Quadratmeter  der  bekannten  Tiles  verkaufte. 
Freilich  war  es  ein  ungleich  kostbareres  Material.  Sehr  schöne 
Dinge  fertigte  auch  Dalpayrat  für  Liebhaber.  Fast  seit  einem 
halben  Dutzend  Jahren  haben  Bigot,  Müller  u.  a.  das  Grös  oder 
eine  diesem  stark  gebrannten  Material  nahekommende  Erde 
für  industrielle  Zwecke  gefertigt,  und  Architekten  wie  Guimard 
und  viele  andere  bedienen  sich  desselben  mit  Erfolg.  Die 
eigentliche  Massenverwendung  von  Fliesen  steht  in  Frankreich 
noch  auffallend  hinter  anderen  Ländern  zurück.  Der  sozusagen 
industrielle  Comfort,  wie  er  sich  im  Mietshaus  Deutschlands 
zu  erkennen  giebt,  die  Rücksicht  auf  Hygiene  auch  in  an¬ 
spruchslosen  Milieus,  alle  diese  bei  uns  schon  selbstverständ¬ 
lichen  Dinge  fangen  jetzt  erst  an,  bei  unseren  Nachbarn  zum 
Gemeingut  zu  werden.  Hier  reizte  die  Künstler  die  dekora¬ 
tive  Seite  der  Verwendung,  und  dafür  fehlt  es  gerade  in 
Paris  nicht  an  mancherlei  suggestiven  Vorbildern.  Nicht  um¬ 
sonst  hat  das  Louvre  die  besten  persischen  Ziegeldekorationen, 
den  berühmten  Fries  der  Bogenschützen  und  den  noch  schöneren, 
vollständig  aus  den  gefundenen  Bruchstücken  zusammen¬ 
gesetzten  Zug  der  Löwen  mit  den  ornamentalen  Gesichtern, 
aus  dem  Empfangspalast  des  Dareios  resp.  seines  Nachfolgers 
Artaxerxes  Mnemon  in  Susa.  Sie  haben  immer  wieder  die 
Pariser  Künstler  zu  Versuchen  auf  diesem  Gebiet  angeregt, 
zuletzt  noch  den  Dekorateur  des  Frieses  des  grossen  Kunst¬ 
palastes  in  den  Champs  Elysees.  Hier  wie  in  allen  vorher¬ 
gehenden  Fällen  wurde  die  Aufgabe  nicht  erreicht,  weil  man 
sich  die  Lösung  schwerer  machte  als  die  alten  Perser.  Mit 
grosser  Ökonomie  beschränkten  sich  die  Erfinder  der  berühm¬ 
ten  Friese  auf  möglichst  wenige  Motive,  wählten  diese  aber  so 
ausdrucksvoll  wie  möglich  und  wohlberechnet  für  den  Platz. 
Die  Löwen  waren,  wie  die  Gelehrten  längst  vermutet  haben, 
bestimmt  viel  höher  gestellt  als  die  neun  Bogenschützen,  deren 
Zeichnung  viel  detaillierter,  kleinliniger  ist,  als  die  mit  riesigen 
Ornamenten  geschmückten  Löwen.  Heute  bringen  namentlich 
in  dem  Löwenfries  das  vielfach  abgesprungene  Email  und  die 
Risse  am  Relief  eine  Teilung  der  grossen  Linien  hervor.  Als 
sie  vollständig  waren,  wirkten  sie  wie  riesige  Arabesken.  Die 
Franzosen  aber  können  sich  in  der  angewandten  Kunst  nie  so 
kurz  fassen,  so  glänzend  ihre  Maler  verstehen,  mit  ein  paar 
Strichen  viel  zu  sagen.  Und  so  wirken  die  meisten  ihrer 
Fliesen-Dekorationen  wie  Ölbilder,  die  man  vergrössert  und 
in  quadratische  Felder  geteilt  hat,  das  heisst,  sie  wirken  über¬ 
haupt  nicht,  sondern  stören  nur  die  grossen  Linien  der  Gebäude, 
statt  sie  zu  unterstützen.  Von  französischen  Künstlern  gibt  es 
meines  Wissens  nur  wenige  Versuche,  soweit  die  Aussen- 
architektur  in  Betracht  kommt;  die  Pariser  Typen,  die  Forain 
für  das  vor  2  Jahren  abgerissene  Cafe  Riehe  am  Boulevard 
zeichnete  und  der  Bäckerfries  von  H.  Charpentier,  der  von 
der  Stadt  Paris  angekauft  wurde.  Forain  vergrösserte  für 
den  Zweck  einfach  zwei  seiner  Zeichnungen  für  die  Tages¬ 
blätter,  und  Charpentier  vergrösserte  eine  Plaquette.  Immer- 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


hin  dachte  Charpentier  wenigstens  an  das  Material  und  be¬ 
mühte  sich,  das  Relief  und  die  Farben  in  Massen  zu  verteilen. 
Das  gar  zu  Natürliche  dieser  Darstellungen  entzieht  sich  der 
architektonischen  Wirkung.  Naturechte  Löwen  an  einem  Ge¬ 
bäude  würden  erschrecken  und  der  Wirklichkeit  abgelauschte 
Bogenschützen  schliesslich  langweilig  werden.  Die  Franzosen 
sind  durch  ihre  ruhmreiche  Malerei  der  Natur  zu  nahe  ge¬ 
kommen,  um  sie  in  der  Architektur  zu  überwinden  und  es 
fehlt  dem  kunstreichen  Volk  ganz  am  nützlichen  Künstler. 
Freilich  mag  die  Frage,  ob  überhaupt  die  Dekoration  in  dem 
Sinne  der  poetischen  Friese  unseren  Gebäuden  frommt,  manchem 
gerechten  Zweifel  begegnen.  Schon  der  Materialfrage  stellen 
sich  sehr  grosse  Hindernisse  entgegen.  Emailliertes  Steinzeug 
schliesst  sich  der  Schwierigkeit  der  Herstellung  wegen  aus. 
Die  schwach  gebrannte  Masse  aber,  deren  sich  die  Perser 
bedienten,  würde  unserem  Klima  in  dieser  exponierten  Form 
kaum  widerstehen.  Uebrigens  haben  sich  unter  den  persischen 
Ziegeln  merkwürdigerweise  die  unglasierten  besser  gehalten 
als  die  emaillierten.  Ausserdem  widersetzt  sich  unser  auf 
Einfachheit  gerichteter  Sinn  immer  mehr  jeder  Art  von  gross¬ 
figürlichem  Schmuck  an  unseren  Gebäuden.  Die  Zukunft  wird 
also  wohl  den  glatten,  einfarbigen  Fliesen  gehören,  die,  zumal 
in  Verbindung  mit  anderem  Material,  so  vielerlei  Reize  besitzen. 
Freilich  ist  Frankreich  am  wenigsten  das  Land  für  Fliesen¬ 
belag.  Paris  besitzt  den  schönen  Stein  und  seine  Architekten 
halten  mit  Recht  an  diesem  edelsten  Material  fest,  das  auch 
die  schönste  Fliese  nicht  zu  ersetzen  vermag.  Hier  würde 
eine  Realisierung  der  Hoffnungen  der  französischen  Keramiker, 
soweit  es  sich  nicht  um  grosse  Nutzbauten  mit  Eisengerüsten 
handelt,  nur  eine  Entartung  bedeuten,  während  z.  B.  in  Berlin, 
der  Stadt  des  Gipses,  die  Verwendung  des  glasierten  Ziegels 
eine  Besserung  bringen  würde,  die  man  nur  wünschen  kann. 

V  Um  die  Aufmerksamkeit  der  Architekten  von  neuem  auf 
die  Keramik  zu  lenken,  hat  vor  kurzem  die  „Union  Ceramique 
et  Chaufourniere  de  France“,  das  Syndikat  der  Tonbrenner 
Frankreichs,  eine  Konkurrenz  für  Bauprojekte  ausgeschrieben, 
in  denen  das  gebrannte  Material  möglichst  reich  zur  Verwendung 
kommen  sollte.  Trotz  ansehnlicher  Preise  war  die  Beteiligung 
gering.  Nur  fünfzehn  Architekten  schickten  Projekte,  und 
unter  diesen  verdienen  nur  zwei  oder  drei  ernsteres  Interesse. 
Wir  haben  einige  Details  des  ersten  Preises,  den  der  unseren 
Lesern  bekannte  Architekt  Bassompierre  davongetragen  hat, 
abgebildet.  Das  Hotel  gibt  im  Äusseren  und  im  Inneren  alle 
die  Verwendungen  der  Fliesen  und  Terracotten,  die  ein  der¬ 
artiger  Bau,  ohne  der  Indiskretion  zu  verfallen,  verträgt.  Die 
Gartenfront  zumal  ist  von  glücklicher  Erfindung.  Im  Innern 
erfüllt  der  ganz  mit  Fliesen  ausgelegte  Erfrischungssaal  sicher 
seinen  Zweck.  Anders  steht  die  Frage,  ob  wir  gerade  in 
unserem  nördlichen  Klima  solcher  Abkühlungen  bedürfen. 

Vitzthum. 

EINE  NEUE  MOSAIK-TECHNIK. 

V  Einen  wetterbeständigen  farbigen  Fassadenschmuck,  der 
gegenüber  den  an  die  geometrische  Form  gebundenen  Fliesen 
den  Vorzug  uneingeschränkter  Linienfreiheit  besitzt,  ermög¬ 
licht  das  nach  dem  deutschen  Reichspatent  (Nr.  133  266  vom 
27.  1.  1900)  des  Architekten  G.  Wehling,  Düsseldorf  hergestellte 


Glasmosaik.  Wehling  hat  sich  mit  dem  farbigen  Schmucke 
der  Architektur  seit  langer  Zeit  beschäftigt.  Da  venetianer 
Glasmosaik  zu  teuer,  hat  auch  er  zuerst  Versuche  mit  Malerei 
gemacht,  die  aber  infolge  der  geringen  Dauerhaftigkeit  keine 
zufriedenstellenden  Resultate  ergaben.  In  den  Jahren  1898/99 
nahm  er  das  Probieren  mit  Mosaik  wieder  auf,  wobei  nach 
Prüfung  der  verschiedensten  Materialien  als  das  in  jeder  Be¬ 
ziehung  vorteilhafteste  das  Glas  übrig  blieb.  Und  zwar  wur- 


WEHLING  &  LUDWIG.  DÜSSELDORF. 
Haus  an  der  Königsallee  in  Düsseldorf. 


den  die  kleinen  Würfel  des  antiken  Verfahrens  fallen  gelassen, 
und  an  ihre  Stelle  trat  die  nach  der  Schablone  geschnittene 
Glasfläche.  Das  Eindrücken  der  Glasstücke  in  den  angetragenen, 
noch  weichen  Verputz  wurde  der  vielen  Nachteile  wegen  auf¬ 
gegeben  und  statt  dessen  feste,  montierbare  Platten  hergestellt, 
deren  Oberflächen  mit  Glas  überzogen  waren.  Um  eine 
sichere  Verbindung  zwischen  Glas 
und  Platte  zu  erzielen,  wurden 
zwischen  den  einzelnen  Glasstücken 
grössere  Fugen  gelassen,  welche 
das  plattenbildende  Gussmaterial  aus¬ 
füllt,  wobei  die  einzelnen  Glasstücke 
von  allen  Seiten,  mit  Ausnahme  der 
Oberfläche,  fest  eingeschlossen  wer¬ 
den.  Die  Gläser  dürfen  jedoch  nicht 
zu  gross  genommen  und  zum  Hinter¬ 
giessen  darf  kein  treibender  Zement 
verwendet  werden,  weil  sonst  Haar¬ 
risse  im  Glase  unvermeidlich  sind. 

Durch  Unterlegen  der  farbigen  Gläser 
mit  verschiedenem  Staniol  lässt  sich 
eine  Mannigfaltigkeit  erzielen,  die 
geradezu  überrascht.  V 

V  Da  die  Herstellungskosten  solcher 
Mosaiken  verhältnismässig  gering 
sind  (der  Preis  des  DMeters  schwankt 
zwischen  M.  8. —  bis  M.  60. — ),  und 
alles  nur  Denkbare  darin  gemacht 
werden  kann,  von  dem  einfachsten 
Flachornament  bis  zur  ganzen  Figur 


und  zu  vollständigen  Bildern,  steht  der  modernen  Architektur 
zur  Farbenfreudigkeit  der  alten  Meister  nichts  mehr  im 
Wege.  Es  wird  kein  Vermögen  mehr  kosten,  unsere  Dome 
und  Kirchen  in  der  Pracht  der  Markuskirche  zu  Venedig 
leuchten  zu  lassen  und  unsere  öffentlichen  Gebäude  können 
statt  der  verwaschenen  Bilder,  die  meistens  mit  der  Architektur 

nicht  Zusammengehen,  mit  kräftig 
stilisiertem  Figurenschmuck,  wie  die 
Moderne  ihn  hervorgebracht  hat,  aus¬ 
gestattet  werden.  V 

V  Die  Anwendung  des  Wehlingschen 
Mosaik-Verfahrens  ist  aus  unseren 
Abbildungen  zu  dem  Artikel  „Villa 
Bestgen,  Köln  a.  Rh.“  (M.  B.  Heft  5) 
ersichtlich,  und  in  der  heutigen  Num¬ 
mergeben  wir  auf  Taf.  42  ein  Detail  der 
Fassade  eines  Hauses  in  der  Blumen- 
strassezu  Düsseldorf, wo dieseTechnik 
besonders  reich  angewendet  ist.  Z. 


~T 

' 

Pf 

nzz: 

Hüll 

1 

PROFESSOR  M.  LÄUGER,  KARLSRUHE. 
Heizkörperverkleidung. 


UNSERE  TAFELN 

dienen  heute  überwiegend  zur  Illu¬ 
strierung  der  betreffenden  Artikel. 
(42,  44,  45,  46,  47,  48.)  V 

V  TAFEF  41  zeigt  das  Amtsgebäude 

einer  Provinzstadt  nach  dem  Pro¬ 
jekte  der  Architekten  MICHLER  & 
MAHLER,  WIEN.  V 

V  TAFEL  43  gibt  zwei  eingebaute 
Wohnhäuser,  entworfen  vom  Archi¬ 
tekten  F.W.JOCHEM, DARMSTADT. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


43 


DER  MUSIKRAUM  IN  DER  WELTAUSSTELLUNG  ST.  LOUIS  1904 

VON  PROFESSOR  HERMANN  BILLING,  KARLSRUHE. 


Als  eine  Stätte  künstle¬ 
risch-geselliger  Anre¬ 
gung  und  Erholung  nimmt 
das  Musikzimmer  unter  den 
Gemächern  des  Privathau¬ 
ses  gleichsam  eine  Mittel¬ 
stellung  zwischen  Wohn- 
raum  und  Privatraum  ein. 
Die  architektonische  Lösung 
eines  solchen  Problems  hat 
also  beiden  Momenten  zu¬ 
gleich  Rücksicht  zu  tragen: 
mit  dem  Eindruck  des  Fest¬ 
lich-Getragenen  soll  die 
Grenze  des  Wohnlich-Be¬ 
haglichen  nicht  überschrit¬ 
ten  werden.  Die  Aufgabe 
des  Architekten  greift  hier 
sowohl  in  das  Gebiet  monu¬ 
mentaler  als  intimer  Raum¬ 
kunst.  Damit  waren  die 
leitenden  Gesichtspunkte 
gegeben  für  die  räumliche 
Gestaltung  und  für  die  far¬ 
bige  Behandlung  des  Ganzen 
wie  des  Einzelnen.  V 
V  Der  Gesamtplan  ist  der 


einer  basilikenartigen,  durch 
hölzerne  Pfeiler  in  Mittel¬ 
und  Seitenschiffe  abgeteilten 
Halle.  In  der  Ruhe  und 
Strenge  der  gesamten  Durch¬ 
bildung,  namentlich  in  der 
Anordnung  einer  vorherr¬ 
schenden  Längsaxe  sollte 
der  Grundton  einer  leise  an 
das  Feierliche  des  Kirchen¬ 
raums  anklingenden  Monu¬ 
mentalitätangeschlagen  wer¬ 
den.  Orgel  und  Flügel, alsdie 
beiden  charakteristischen 
Hauptgegenstände  der  Ein¬ 
richtung  an  den  Endpunkten 
der  Axe  aufgestellt,  betonen 
neben  der  praktischen  Be¬ 
stimmung  des  Raums  zu¬ 
gleich  das  wichtigste  Motiv 
seines  Monumentalcharak¬ 
ters.  Der  durchgeführte 
Grundsatz  der  Einfachheit 
war  darauf  berechnet,  diesen 
Eindruck  noch  zu  verstär¬ 
ken.  Liegt  das  Wesen  des 
Monumentalen  doch  nicht 


44 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


in  der  Pracht  und  dem  Reichtum  des  dekorativen  Aufwands, 
sondern  in  der  Wirkung  der  konstruktiv  notwendigen  Teile, 
in  der  Wucht  und  Grösse  der  Raum-  und  Massenverhältnisse. 
Und  wie  für  die  architektonische  Anlage,  so  war  auch  für  die 
Einzelheiten  der  Ausstattung  die  gleiche  Absicht  strenger, 


sachlicher  Einfachheit  massgebend:  Architektur  und  Mobiliar, 
bis  in  jedes  Detail  vom  Architekten  selbst  entworfen,  sind 
darauf  berechnet,  als  eine  aus  einem  Guss  entstandene 
Schöpfung  dem  künstlerischen  Grundgedanken  einen  einheit¬ 
lichen,  in  sich  geschlossenen  Ausdruck  zu  verleihen.  In  dieser 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


45 


WELTAUSSTELLUNG  ST-IOUIS  1904. 


RAUM  PROF.  DilliNG  KAR'ISRUHEDADEN: 


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Harmonie  und  organischen  Einheit  des  Körpers  und  seiner 
Glieder  liegt  eine  der  wesentlichsten  Forderungen  moderner 
Kunstanschauung.  V 

V  War  also  durch  die  künstlerische  Weihe  des  Raums  die 

Absicht  einer  monumentalen  Grundstimmung  angezeigt,  so  galt 
es  doch,  eine  über  den  Eindruck  des  Persönlichen  und  Intimen 
hinausgehende  Strenge  zu  vermeiden.  Die  Erhöhung  des 
Hauptschiffs  über  die  Seitenschiffshöhe  hinaus,  gibt  der  Decke 
eine  kräftigere  Profilwirkung.  Das  wichtigste  Moment  einer 
abwechslungsreicheren  Raumdifferenzierung  liegt  in  der  Tren¬ 
nung  des  Gesamtraums  in  Mittelsaal  und  Seitenschiffe  durch 
die  doppelte  Pfeilerreihe.  Die  podiumartige  Höherlegung  des 
Fussbodens  in  den  beiden  Nebenschiffen  betont  diese  Absicht. 
Zugleich  ist  damit  dem  Verlangen  Einzelner  Rechnung  getragen, 
sich  gelegentlich  von  der  Masse  der  im  Saal  versammelten 
Gesellschaft  abzusondern ,  sich  etwa  dem  Genuss  eines 
Musikwerks  aus  einer  verborgenen  Ecke  ungestörter  hin¬ 
geben  zu  können.  Alles  das  sollte  dazu  beitragen,  den 
Grundsätzen  einer  individualisierenden  Raumgestaltung  ent¬ 
sprechend,  der  Schablone  des  Konzertsaalmässigen  möglichst 
auszuweichen.  V 

V  Durch  die  gleiche  Rücksicht  wurde  auch  die  Wahl  des 
Materials  bestimmt:  Holzvertäfelung.  Damit  wurde  einerseits 
die  künstlerische  Einheit  der  Wand  und  des  Mobiliars  gewahrt, 
andererseits  entspricht  den  Bedürfnissen  des  Wohnlich-Intimen 
die  Holzverkleidung  besser  als  ein  kostbarer,  aber  mehr  dem 
Charakter  des  öffentlichen  als  des  privaten  Festraums  ange¬ 
messener  Stoff,  wie  etwa  Marmor.  Andererseits  erschien  die 
Vermeidung  eines  unechten  Materials,  eines  Surrogats  oder 
einer  Stoffimitation,  als  ein  selbstverständliches  Gebot  künst¬ 


lerischer  Gediegenheit,  wie  sie  die  Würde  eines  festlichen 
Raumes  verlangt.  V 

V  In  der  Einheit  von  Form  und  Inhalt,  welche  auch  eine 
materialgen  isse  Handhabung  aller  angewandten  Techniken  — 
Holz  t  H-!z,  Metall  als  Metall,  Glas  als  Glas  u.  s.  w.  vor¬ 
aus?;  ,:egt  ein  fundamentales  Gesetz  stilästhetischer 

Logik.  'angt,  dass  der  künstlerische  Charakter  des 

Raun  len  Stücken  aus  den  Bedingungen  seiner 

praki  imung  ergebe.  Neben  der  Form  spielt  die 

Farbe  re  gleich  gewichtige  Rolle.  Gerade  dieser 

Faktor  is,.  als  Ausdrucksmittel  künstlerischer  Raumstimmung 
erst  von  der  modernen  Baukunst  wieder  in  seiner  vollen  Be- 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


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PROFESSOR  HERMANN  BILLING,  KARLSRUHE. 

Orgel  aus  dem  Musikraum  in  der  Weltausstellung  St.  Louis  1904. 


deutung  erkannt  und  gewürdigt  worden.  Die  Farbe  stellt  dem 
dekorativen  Künstler  eine  unerschöpfliche  Skala  von  Stimmungs¬ 
werten  zur  Verfügung.  Ob  ein  Raum  festlich  oder  nüchtern, 
behaglich  oder  frostig,  freundlich  oder  düster  wirken  soll,  das 


alles  kann  er  mit  Hilfe  der  Farbe 
bis  zu  jedem  Grade  der  Aus¬ 
drucksfähigkeit  steigern.  So  wenig 
sich  nun  in  diesen  Fragen,  über 
die  immer  von  Fall  zu  Fall  das 
Gefühl  des  Einzelnen  entscheiden 
wird,  feste  Regeln  aufstellen 
lassen,  so  neigt  unser  modernes 
Farbenempfinden  doch  nach  einer 
Richtung,  die  sich  als  allgemeiner 
Grundsatz  für  die  farbige  Be¬ 
handlung  moderner  Innenräume 
aussprechen  lässt:  es  ist  das 
Verlangen  nach  einer  ruhigen 
Grundstimmung,  nach  dem  Vor¬ 
herrschen  eines  einheitlichen 
Grundtons,  aus  dem  die  leb¬ 
hafteren  Farben  als  höchste  Stei¬ 
gerung  des  farbigen  Konzerts  in 
sparsamer  Verwendung  heraus¬ 
klingen:  also  Konzentrierung 

des  dekorativen  Schmucks  in 
Form  und  Farbe.  V 

V  In  diesem  Falle  wurde  als 
Grundton  ein  neutrales  Blaugrün 
gewählt.  Die  ornamentalen  Farb- 
flecke  bilden  das  dekorative 
Gemälde:  „die  Musik“  über  der 
Orgel  und  das  Glasfenster  „Or¬ 
pheus“  über  dem  Flügel.  So 
sprechen  die  beiden  stärksten 
Accente  der  farbigen  Stimmung  auch  inhaltlich  die  Bedeutung 
des  Raumes  noch  einmal  aus.  Karl  Widmer,  Karlsruhe. 

(Siehe  Tafel  47  und  48  dieses  Heftes  nach  Aquarellen  von 
Professor  H.  Billing.) 


Grundrisse  zu  Tafel  41. 


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43 


44 


JULIUS  HOFFMRNN  ■ 
VERLRG • STUTTGART 


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46 


JULIUS  F10FFMBNN  . 
VERLRQ • STUTTGART 


INV:  J.  BASSOMPIERRE,  PARIS. 


MÜNCHENER  MODERNE  ARCHITEKTUR. 


Man  pflegt  die  Architektur  die  Führerin  der  bildenden 
Künste  zu  nennen,  und  doch  lehrt  uns  ein  Gang  durch  die 
Geschichte,  dass  sie  es  keineswegs  immer  gewesen  ist,  man 
denke  nur  etwa  an  die  Frührenaissance  und  das  Rokoko. 
Etwas  Ähnliches  sehen  wir  auch  heute  sich  wiederholen. 
Siegreich  zog  die  Moderne  ihre  Bahn  auf  den  Pfaden  des 
Kunstgewerbes,  aber  wie  weit  sind  wir  noch  davon  entfernt, 
von  einem  Siege  der  Moderne  in  der  Baukunst  sprechen  zu 
dürfen.  Es  entstanden  gewiss  in  den  letzten  Jahren  an  den 
verschiedensten  Orten  eine  stattliche  Reihe  von  Bauten,  die 
nach  neuen  Ausdrucksweisen  strebten  und  suchten;  um  wie¬ 
viel  stehen  sie  aber  an  Zahl  den  neuen  Gebilden  mit  alten 
Tendenzen  nach.  Im  Wesentlichen  bleibt  sich  dieses  Bild  an 
den  meisten  Orten  gleich;  doch  kann  man  im  allgemeinen  die 
Beobachtung  machen,  dass  dort,  wo  eine  besonders  blühende 
Bauperiode  erst  kurz  vor  der  Erweckung  der  Moderne  geherrscht 
hat,  die  alte  Liebe  zu  dem  Alten  noch  am  meisten  glüht  und 
die  Moderne  gewöhnlich  wenig 
Gegenliebe  findet.  Solch  eine  Stadt, 
die  noch  immer  im  Banne  einer  der¬ 
artigen  Vergangenheit  liegt,  ist  auch 
München.  V 

V  Die  Führenden  und  Massgeben¬ 
den  der  Baukunst  der  Gegenwart 
in  München  sind  immer  noch  die 
Meister  der  retrospektiven  Tendenz, 
in  erster  Linie  Gabriel  von  Seidl, 

Hocheder,  Grässl  und  Osten¬ 
rieder,  um  nur  einige  und  damit 
die  besten  zu  nennen.  Ihr  Schaffen 
fusst,  in  der  Hauptsache  wenigstens, 
in  der  heimischen  Bauweise,  und 
das  verleiht  namentlich  den  Bauten 
der  ersten  Beiden  das  Gemütliche, 

Behagliche,  was  den  kleinen  Land¬ 
sitzen,  Jagdschlösschen  und  ähn¬ 
lichen  Buen-Retiros  des  18.  Jahr¬ 
hunderts  in  Altbayern  eignet.  Osten¬ 
rieder  bezw.  Bleibinhaus  bevorzugt 
namentlich  die  Formensprache  der 
ausklingenden  Gotik  und  der  be¬ 
ginnenden  Frührenaissance,  und 
unter  den  diesen  Stilen  huldigenden 
Baukünstlern  erfreut  er  troU  aller 


Anhänglichkeit  an  das  Alte  durch  eine  gewisse  Selbständigkeit 
und  ursprüngliche  Frische.  Die  Zierformen  werden  nicht  nur 
irgendwoher  genommen,  sondern  es  werden  im  Sinne  der  Väter 
neue  erdacht,  so  dass  doch  von  einem  Neuschaffen,  wenn  auch  in 
sehr  beschränktem  Masse  die  Rede  sein  darf.  Hiedurch  unter¬ 
scheiden  sich  die  Bauten  von  Ostenrieder-Bleibinhaus  wesent¬ 
lich  und  wohltuend  von  der  Masse  ähnlicher  Neubauten,  die  dem 
einigermassen  Kundigen,  ob  Architekt  oder  Laie,  in  den  meisten 
Fällen  schon  von  weitem  die  Herkunft  der  Motive,  die  architekto¬ 
nischen  Publikationen, laut  entgegenschreien.  Man  wird  bei  einem 
Überblick  über  diese  Bauten  etwas  an  ein  Kaleidoskop  ge¬ 
mahnt,  das  trotz  der  verschiedenartigen  Gebilde  immer  die 
gleichen  auffallenden  Einzelheiten  ersehen  lässt.  Das  Kaleido¬ 
skop  ist  ein  Kinderspiel,  ein  Spiel  des  Zufalls;  die  fraglichen 
Bauten,  wenigstens  das  letztere  insoferne,  als  eben  das  Blatt 
verwertet  wird,  das  einem  gerade  ein  günstiger  Wind  vor  das 
Reissbrett  geweht  hat.  V 


PROFESSOR  FRIEDRICH  v.  THIERSCH,  MÜNCHEN. 
Haus  des  Dr.  R.  von  Hoesslin,  München,  Romanstrasse. 


48 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


JOSEPH  BURGER,  MÜNCHEN. 


Mietshäuser  an  der  Franz-Josephstrasse  in  München-Schwabing. 


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v  Verschliessen  sich  diese  Baukünstler  durchaus  jedweder 
Ausdrucksweise,  die  nicht  einem  historischen  Stil  entlehnt 
oder  streng  nachempfunden  ist,  so  erscheinen  unter  den  Grössen 
vor  allem  zwei,  die  sich  nicht  damit  zufrieden  gehen  können, 
von  dem  zu  zehren,  was  sie  von  andern  ererbt  haben.  Es  sind 
Friedrich  von  Thiersch  und  Emanuel  Seidl.  Bei 
Friedrich  von  Thiersch  denke  ich  hier  natürlich  weniger  an 
den  Meister  des  stolzen  Justizpalastes  als  vielmehr  an  den 
Erbauer  des  Hauses  für  Handel  und  Gewerbe,  das  mehr  noch 
als  in  seiner  eigenartigen  tektonischen  Gestaltung  durch  die 
Betonung  farbig  reizvollen  Wechselspiels  neuen  Geist  bekundet 
und  entschieden  einen  der  wichtigsten  Marksteine  in  der  Ent¬ 
wickelung  der  Baugeschichte  Münchens  bedeutet.  Der  Bau 
war  eine  befreiende  Tat,  die  Fesseln  der  Farblosigkeit  unserer 
Fassaden  wurden  durchbrochen,  nicht  ohne  Wirkung  auf  weitere 


Kreise.  Die  jüngste  Schöpfung  von  Thierschs  ist  das  villen¬ 
artige  Wohnhaus  des  dirigierenden  Arztes  der  Heilanstalt 
Neuwittelsbach,  des  Hofrats  Dr.  R.  von  Hoesslin,  ein  ausser¬ 
ordentlich  liebenswürdiges  Werk  von  fast  klassischem  Gepräge. 
Kann  man  demselben  deshalb,  weil  an  der  Loggia  eine  jonische 
Säule  und  an  dem  Vorbau  des  Eingangs  so  eine  Art  romanisch¬ 
italienisches  Kapitell  angewandt  ist,  das  Recht,  eine  moderne 
Schöpfung  zu  sein,  absprechen?  Doch  wohl  kaum.  Es  erinnert 
in  der  Silhouette  etwas  an  Thierschs  gemütlich-elegantes  Wohn¬ 
haus,  und  den  gleichen  Zug  trägt  auch  das  Haus  Hoesslin. 
Diese  Wirkung  scheint  im  wesentlichen  in  dem  auf  mächtiger 
Hohlkehle  ruhenden  weit  überragenden  Dache  zu  beruhen. 
Weitere  architektonische  Glieder  mangeln,  und  man  vermisst 
sie  auch  nicht.  Etwas  Schablonenputz  und  Sgraffitto  unter 
dem  Dach  besorgen  die  bescheidene  Zier.  Wenn  Thiersch 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


49 


in  den  erwähnten  Bauten  die  traditionellen  Bauweisen  zur  Seite  schiebt,  so  löst  er 
sich  jedoch  nicht  so  weit  von  der  Vergangenheit  los,  dass  er  nicht  einzelne  für  seine 
Zwecke  ihm  geeignet  dünkende  Bauglieder  dem  neuen  Hauptgedanken  einfügt  und 
unterordnet.  Trotz  dieser  Anleihen  überwiegt  das  Neue,  das  Eigenartige.  Wie  weit 
überragt  da  Thiersch  jene  lauen  Kompromissler,  die  die  tektonische  Gliederung  eines 
Baues  im  Sinne  einer  älteren  Stilrichtung  beibehalten,  um  dann,  damit  sie  modern 
erscheinen,  in  Gestalt  von  ein  paar  angepappten  Flachornamenten  mit  pflanzlichen 
oder  Linienmotiven  dem  Bau  ein  neues  Mäntelchen  umzuhängen  sich  bemühen.  Von 
dieser  lauen,  flauen  Art  besitzt  München  glücklicherweise  nur  wenig  Beispiele.  V 
V  Von  weittragenderer  Bedeutung  und  umfassenderem  Einfluss  als  von  Thiersch  selbst 
wurde  sein  bedeutendster  Schüler  Martin  Dülfer,  dessen  klares  zielbewusstes  Schaffen  in 
einem  späteren  Aufsatze  eine  eingehendere  Würdigung  erfahren  soll.  Martin  Dülfer 
ist  zweifelsohne  der  stärkste  Bahnbrecher  für  die  Moderne  in  München  geworden.  Dass 
er  dabei  namentlich  in  seinen  früheren  Arbeiten  an  Louis  XVI.  oder  die  Schöpfungen 
der  Biedermeierzeit  sich  anlehnt,  ändert  an  dieser  Tatsache  nichts.  Auch  ein  gewisser 


barocker  Zug  mag  da  und  dort 
durchklingen,  doch  ist  dieser  nie 
auf  Rechnung  eines  bewussten  An- 
lehnens  an  diese  Periode  zu  setzen, 
sondern  vielmehr  auf  die  Verwandt¬ 
schaft  der  gestellten  Aufgaben.  Doch 
hievon  später!  V 

V  Martin  Dülfer  ist  eine  abgeklärte, 
festumrissene  Persönlichkeit  nicht 
schwankenden ,  sondern  sicheren 
künstlerischen  Schrittes.  Ihm  nähert 
sich  am  meisten  Max  Langheinrich, 
gleichfalls  ein  Schüler  von  Thiersch 
und  neben  Dülfer  eine  zeitlang,  so 


X  ST  OCK. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


PLAN  :  ELRDÖElSCNOSb.  WOHNUNG 
- - DES  LtnF\LFVS 


UINO  Dt  Ft. 
LLMA  -GEHIlF  LN , 


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Strasse 


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PLAN  :  0BE.R.&E.5CHO55' 


Grundrisse  zu  Tafel  49. 


Farbe  nur  sehr  dezent  zu  arbeiten  pflegen,  bildet  das  Haus 
der  Architekten  Helbig  &  Haiger,  Ainmillerstrasse  Nr.  22, 
das  in  Farben  Rot,  Gelb,  Grün,  Blau,  Weiss  und  Gold  förm¬ 
lich  schreit.  Bei  der  Fülle  seiner  Zierformen  hätte  der  Bau 
durch  schlichte  Tönung  in  eineroder  höchstens  zwei  gebrochenen 
Farben  eine  entschieden  vorteilhaftere  Haltung  gewonnen.  V 
V  Naturgemäss  überwiegt  in  München  zumal,  wenn  es  sich 
um  Zinsbauten  handelt,  der  Backsteinbau,  da  brauchbarer 
Naturstein  nicht  in  der  Nähe  gebrochen  wird.  Nur  zwei 
grössere  moderne  Neubauten  sind  in  jüngster  Zeit  in  Haustein 
hergestellt  worden.  Der  erste  Bau  mag  hier  nur  erwähnt 
werden  wegen  der  Verwendung  von  Buntsandstein;  es  ist  das 
Geschäftshaus  der  Bayerischen  Bank 
in  der  Maffeistrasse.  Welch  beson¬ 
derer  Zweck  für  die  Wahl  dieses  im 
Bilde  Münchens  so  fremdartig  wirken¬ 
den  Materials  Ausschlag  gebend  war, 
ist  schwer  zu  erraten.  War  es 
allein  die  Absicht  aufzufallen,  so  hätte 
ein  kräftiges  Veto  diese  Brutalität 
verhindern  müssen,  aber  es  geschah 
hier  ebensowenig,  als  man  vor  kaum 
einem  Jahrzehnt  in  der  Promenade¬ 
strasse  zwischen  das  einfach  elegante 
Palais  Portia  des  Zukkali  und  Cuvil- 
lies  und  des  letzteren  graziöses  erz- 
bischöfliches  Palais  den  rohen  Stein¬ 
klotz  der  Bayerischen  Hypothek-  und 
Wechselbank  schieben  liess.  Nur  des¬ 
halb  erscheint  der  Frevel  in  der 
Maffeistrasse  nicht  so  gross,  weil 


die  direkte  Umgebung  keine  unantastbaren  Erbstücke  aus  guter 
Zeit  aufweist,  und  weil  die  architektonischen  und  deko¬ 
rativen  Formen  ziemlich  bescheiden  und  nichtssagend  ziem¬ 
lich  konventionell  -  sind.  Ein  schwerer  Fehlgriff  bleibt 
es  nichtsdestoweniger,  die  in  diesem  Falle  entschieden  gut  zu 
heissende  Tradition  durchbrochen  zu  haben.  Das  Rot  wirkt 
fremd  und  aufdringlich  und  stört  durch  seine  Masse  das  ganze 
Strassenbild.  Warum  konnte  man  nicht  gelben  Sandstein 
wählen,  der,  wie  hunderte  von  Beispielen  es  bezeugen,  sich 
am  besten  zu  den  Putzbauten  fügt.  Das  bedachten  die  Archi¬ 
tekten  Honig  und  Söldner,  die  Meister  des  zweiten  hierzu 
erwähnenden  Hausteinbaues,  des  Konfektionshauses  von  Isidor 


Grundrisse  zu  Tafel  55. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


Bach  in  derSendlingerstrasse. 

Ich  glaube  nicht  zuviel  zu 
sagen  mit  der  Behauptung, 
dass  dieser  Neubau  das  Beste, 

Abgeklärteste,  Zweckmässig- 
ste  darstellt,  was  die  Mün¬ 
chener  Architektur  im  letzten 
Jahre  aufgeführt  hat.  Der 
Forderung  reichster  Lichtzu¬ 
fuhr  wurde  in  ausgiebigster 
Weise  Rechnung  getragen, 
die  Fassade  ist  fast  vollstän¬ 
dig  aufgelöst.  Trotzdem  tritt 
der  architektonische  Gedanke 
in  dem  einfachen,  grosszügi¬ 
gen  Aufbau  klar  zutage.  Das 
Zusammenfassen  der  zwei 
Unter-  und  der  drei  Ober¬ 
geschosse  ist  souverän  be¬ 
wältigt.  Schmale  eiserneStrei- 
fen,  die  in  der  Wirkung  sich 
den  dunkeln  Fenstern  an- 
schliessen,  verhüllen  glück¬ 
lich  die  Stockwerkeinteilung 
zu  gunsten  des  grossen 
Systems,  das  lediglich  aus 
fünf  stärkeren  bezw.  noch  aus 
drei  schwächeren  Mauer¬ 
streifen  mit  pfeilerartigen 
Funktionen  besteht.  Das 
Ornamentale  begnügt  sich  in 
einfach  schlichter  Wirkung, 
auf  Belebung  der  Zweck¬ 
formen  —  an  Bogen,  Pfeiler¬ 
füssen  und  Kapitellen;  nichts  Überflüssiges,  nichts  Ge¬ 
zwungenes,  nichts  Unlogisches  —  alles  wie  aus  einem 
Gusse  geschaffen.  Man  sieht  dem  Flause  schon  von  aussen 
die  Lichtfülle  seiner  Räume  und  die  Zweckmässigkeit  derselben 
an.  In  ganz  verwandterWeise,  jedoch  unter  Verwendung  be¬ 
scheidener  Materialien  -  Putzbau  mit  Schablonenornamenten 
und  etwas  Antragarbeit  —  sind  Honig  und  Söldner  einer  ähn¬ 
lichen  Aufgabe  gerecht  geworden  in  dem  Engros-Kaufhaus  der 
Firma  Gutmann,  Schwanthalerstrasse  Nr.  31.  In  beiden  Fällen 
erweist  sich  klar,  dass  für  einen  Bau  mit  völlig  neuen  An¬ 
forderungen  es  am  zweckmässigsten  erscheint,  diesen  unter 
völligem  Verzicht  auf  alte  Anschauungen  und  ein  ererbtes  und 
angelerntes  Formenrepertoire  aus  den  Bedürfnissen  herauszu¬ 
bilden;  die  einfachste  Weise  in  der  Bildung  der  Nutzformen 
wird  in  den  meisten  Fällen  mehr  befriedigen,  als  wenn  alte 
Formen  zu  neuen  Zwecken  gereckt  und  gestreckt  werden 
sollen.  Das  gibt  in  der  Regel  eine  charakterlose  Kompromiss¬ 
kunst.  V 

V  Nennen  wir  noch  Oskar  Deslisle  mit  seinem  Bau  Sonnen¬ 
strasse  Nr.  12,  so  dürfte  das  Bild  des  Modernen  in  der  Mün¬ 
chener  Architektur  in  ziemlicher  Vollständigkeit  aufgerollt 
worden  sein.  Im  Verhältnisse  zur  ständig  wachsenden  Aus¬ 
dehnung  der  Stadt  ist  ja  die  Zahl  der  nach  neuen  Ausdrucks¬ 
weisen  strebenden  Bauwerke  sehr  gering;  das  mag  zum  guten 


Grundrisse  zu  Tafel  51. 

Teil  darin  begründet  sein,  dass  eben,  wie  eingangs  erwähnt, 
die  Führung  wie  früher  so  auch  noch  jetzt  in  den  Händen 
der  Alten  ruht,  dann  aber  auch  darin,  dass  wirkliche  Kräfte, 
ausgesprochene  starke  Naturen  ausser  den  Erwähnten  mangeln. 
Unter  solchen  Umständen  erscheint  es  doppelt  beklagenswert, 
wenn  noch  Künstler  wie  die  Gebrüder  Rank  der  guten 
Sache  untreu  werden,  um  wieder  rückschauend  zu  schaffen. 
Und  fragt  man  mich,  was  die  Moderne  der  Architektur  in 
München  wohl  am  meisten  zu  fördern  geeignet  wäre,  so  glaube 
ich  antworten  zu  dürfen:  Ein  Staatsauftrag  in  ihrem  Sinne. 
Das  möchte  manchem  gewagt  erscheinen,  aber  ich  dächte, 
recht  viel  Schlimmeres  könnte  das  Wagnis  am  Ende  auch 
nicht  zutage  fördern,  als  etwa  das  vor  wenigen  Jahren  neu¬ 
erbaute  Katasterbureau.  V 

München.  Dr.  Phil.  M.  Halm. 

UNSERE  TAFELN. 

V  Die  TAFEL  49,  ein  Entwurf  des  Archikten  THEODOR 
VEIL,  MÜNCHEN,  zeigt  eine  Dorfschule.  Ihre  Lage  an  einem 
Hohlweg  und  der  Wunsch,  möglichst  unmittelbar  von  der 
tiefliegenden  Strasse  die  im  Obergeschosse  unterzubringenden 
Schulräume  erreichbar  zu  machen,  begründen  die  Treppen¬ 
anlage,  die  von  der  Strasse  zu  einer  dem  Klassengeschoss  vor- 


54 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


gelagerten,  bedeckten  Terrasse  führt.  In  dieser  Anordnung, 
beherrscht  von  einem  bescheidenen  Uhrtürmchen,  liegt  der 
Hauptreiz  des  Projektes.  Neben  den  denkbar  einfachsten 
Formen  wirken  in  der  Hauptsache  die  Farben  des  Materials. 
Die  Wandflächen  zeigen  gelb- bräunlichen  Verputz,  der 
Terrassenaufbau  den  braun  -  grünlichen  Ton  des  orts¬ 
üblichen  Steinmateriales,  die  Holzteile  des  Terrassendaches 
braune  Naturfarbe,  während  Fensterkreuze  und  Dach¬ 
rinnen  dunkelgrün  gestrichen  sind.  Dazu  kommt  die  rote 
Farbe  des  Ziegeldaches.  Im  Gegensatz  zu  den  landläufigen 
kastenartigen  Schulhaustypen  sieht  man,  wie  auch  solche  Ge¬ 
bäude  mit  wenigen  Mitteln  liebenswürdig  gestaltet  werden 
können  und  zwar  in  völlig  moderner  Behandlung,  ohne  dabei 
Gefahr  zu  laufen,  dass  der  Neubau  in  der  Harmonie  einer 
alten  Umgebung  als  störender  Missklang  empfunden  wird.  V 
V  TAFEL  50.  EDGAR  WOOD,  MANCHESTER.  Schlaf¬ 


zimmer  mit  anstossender  Kaminnische.  Eingebaut  in  die 
Schräge  des  Dachstockes,  ist  die  Balkenkonstruktion  in  jener 
famosen  Art  zur  Bildung  der  Decke  benützt,  wie  dies  in  alten 
englischen  Häusern  vielfach  geübt  wurde.  Die  Decke  ist  in 
Rabitz  gewölbt  und  entbehrt  jeden  Schmuckes,  ebenso  die  Möbel, 
deren  einzige  Zier  ein  wenig  buntgefasste  Schnitzerei  bildet. 

V  Vornehme  Lebenshaltung,  ernste  geistige  Interessen  und 

heitere  Geselligkeit  bedingten  als  angenommene  Forderungen 
die  Raumanlage  des  auf  TAFEL  51  abgebildeten  Landsitzes, 
eines  Entwurfes  von  GEORG  BEW1G ,  FRANKFURT  a./M. 
Anknüpfend  an  die  glänzenden  Lösungen  dieses  Programms 
in  der  Renaissance,  hat  Bewig  gleichwohl  die  Räume  zwang¬ 
los  aneinander  gereiht  ohne  zu  formalen  Anklängen  zu 
greifen.  Die  Vermeidung  jeglicher  Detailwirkung ,  führten 
zur  Zusammenfassung  der  geometrischen  und  farbigen  Massen, 
dementsprechend  sich  das  Gebäude  als  gelblich  getönter  Putz¬ 
bau  charakterisiert,  mit  einem  roten  Ziegeldach  (in  der  Form 
der  Retinger)  und  einem  kupfergedeckten  Eckaufbau.  V 

V  TAFEL  52.  H.  K1RCHMAYR ,  INNSBRUCK  beschäftigt 

sich  seit  Jahren  mit  der  Neubelebung  der  alten  Tiroler  Zimmer¬ 
manns-  und  Schnitzerkunst.  Wir  bringen  heute  zwei  Entwürfe 
zu  grossen  Einfahrtstoren  mit  darüber  liegender  Laube,  wie 
sie  die  Tiroler  Bauernhäuser  stets  aufweisen,  und  können 
dazu  bemerken,  dass  sie  den  Vorbildern,  sowohl  in  ihrer 
technisch  vorzüglichen  Erfindung,  wie  auch  in  der  formalen 
Durchbildung,  in  keiner  Weise  nachstehen.  V 

V  Auf  TAFEL  53  geben  wir  die  geometrischen  Aufrisse  des 
Landhauses  „Coldecote,  Moreton-in-Marsh ,  Gloucestershire“, 
erbaut  von  Architekt  E.  GUY  DAWBER,  LONDON.  Das 
reizvolle  Anwesen  mit  seiner  platzvergeudenden  Anlage  ist 
wiederum  typisch  für  die  Art  der  englischen  Landsitze,  die  in 
enger  Fühlung  mit  der  überlieferten  bäuerischen  Bauweise 
den  Charakter  ihres  Standortes  stets  zu  wahren  wissen.  V 

V  TAFEL  54.  Kaminpartie  eines  Speisesaales,  ausgeführt  von 
der  Hofmöbelfabrik  ANTON  PÖSSENBACHER,  MÜNCHEN. 
Ueber  der  eichenen  Täfelung  mit  hoher  tiefblau  bespannter 
Felderteilung  läuft  ein  in  Tempera  schablonierter  Fries  bis 
unter  die  in  zwei  Tönen  gehaltene  Holzdecke.  DerUebergang 
der  Wand  zur  Decke  ist  glücklich  vermittelt  durch  Uebergreifen 
der  Deckentäfelung  auf  eine  senkrechte  Felderhöhe.  Ein 
blanker  Messinghelm  und  hellblau  glasierte  Kacheln  stehen 
zu  den  matten  Tönen  des  Holzwerks  in  lebhaftem  Gegensatz. 

V  TAFEL  55.  Architekten  ALBERT  SCHUTTE  &  VOLLMER, 
BARMEN.  Entwürfe  zu  zwei  Landhäusern  (gez.  von  A.  Schutte). 
Wie  sehr  die  Erkenntnis  wieder  durchdringt,  die  Häuser  nicht 
um  der  Häuser  willen,  sondern  dem  Zwecke  und  der  Lage 
entsprechend  zu  bauen,  zeigen  unsere  beiden  anspruchslosen 
Projekte,  die  nichts  „sein  wollen“,  aber  eben  dadurch  etwas  sind. 

V  TAFEL  56.  „Halle“  nach  einem  Aquarell  von  MAX 

BENIRSCHKE,  DÜSSELDORF.  Wiener  Raffinement  und 
und  norddeutsche  Nüchternheit  vereinigen  sich  hier  zu  gutem 
Bunde.  Mag  man  sich  auch  in  diesem  Raume  mit  seinen 
schwarzbraun  gebeizten  Holzflächen  und  dem  weissen  Rauh¬ 
putz  an  Decken  und  Wänden  anfangs  vielleicht  ein  wenig  frostig 
fühlen,  er  wird  bei  längerem  Verweilen  trotz  aller  Straffheit 
seiner  Formen  durch  die  liebevolle  Durchbildung  der  Details, 
wie  Intarsien,  Glasmosaiken,  Metallarbeit,  Möbelstoffen  u.  s.  w. 
einen  intimen  Reiz  ausüben.  V 


'  '  U  rr’ 

\  fcj''  ® 


50 


INV:  H.  KIRCHMAYR,  INNSBRUCK 


54 


INV:  RINTON  PÖS5EINBRCHER  .  MÜNCHEN. 


55 


JULIUS  HOFFMANN, 
VERLAG, STUTTGART 


INV:  ALBERT  SCHUTTE  &  VOLLMER,  BARMEN 


CD 

iD 


jahrs-  MONAETHEETE  für  ARCHITEKTUR.  heft. 

DIE  NEUBAUTEN  AN  DER  PALMEN-  UND  AHORNSTRASSE 

IN  BASEL. 


Seit  man  die  tiefe  Bedeutung  der  Wohnungsfrage  erfasst 
und  es  als  eine  wesentliche  Aufgabe  der  sozialen  Fürsorge 
erkannt  hatte,  auch  dem  Minderbemittelten  eine  gesunde,  be¬ 
queme  und  behagliche,  dabei  aber  billige  Wohnung  zu  schaffen, 
war  es  das  in  ländliche  Gegend  hinausgerückte  Einfamilienhaus, 
dem  man  fast  allgemein  als  der  glücklichsten  Lösung  zustrebte; 
von  einem  Gärtchen  umgeben,  bietet  es  Licht  und  Luft  auf  allen 
Seiten  und  indem  es  die  beim  dichten  Zusammenwohnen  in 
grossen  Mietskasernen  unvermeidlichen  zahlreichen  Reibungs¬ 
flächen  zwischen  den  einzelnen  Familien  entfernte,  schuf  es 
eineVorbedingung  friedlichen 
Hausens.  Dazu  gab  es  Ge¬ 
legenheit,  den  Schönheitssinn 
durch  gefällige  Formen  zu 
wecken  und  zu  befriedigen, 
es  lud  seine  Bewohner  zu 
schonender  Pflege  ein,  statt 
der  sonst  wohl  üblichen  bru¬ 
talen  Abnützung,  und  da  es 
dabei  endlich  als  Ganzes  kein 
allzu  teures  Objekt  darstellte, 
war  sein  Kaufpreis  bei  ge¬ 
eigneten  Zahlungsformen 
schliesslich  auch  für  Leute 
mit  bescheidenem  Einkom¬ 
men  zu  erschwingen.  Indu¬ 
strielle  Unternehmer,  die  für 
ihre  Arbeiter  sorgen  wollten, 
gemeinnützige  Baugesell¬ 
schaften,  freie  Vereinigungen 
u.  s.  w.  sind  mit  Vorliebe  auf 
diesem  Wege  vorgegangen. 

Eine  musterhafte  Anlage  von 
Einfamilienhäusern  ist  erst 
kürzlich  in  Heft  4  der  „Mod. 

Bauformen“  vorgeführt  wor¬ 
den  in  dem  Arbeiterdorf 
Bourneville  des  Kakaofabri¬ 
kanten  George  Cadbury  bei 
Birmingham.  V 

V  Allein  nicht  überall  sind 
die  Verhältnisse  diesem  länd¬ 


lichen  Cottage-System  günstig.  Der  Wahlspruch  “my  house  is  my 
castle”  hat  sich  in  vielen  Fällen  als  ein  unerfüllbares  Ideal 
herausgestellt.  Vielen  kleinen  Leuten  ist  der  Besitz  eines 
Hauses  eine  Last,  während  ein  Guthaben  auf  der  Bank  oder 
Sparkasse  bei  den  Wechselfällen  des  Lebens  in  ihren  Augen 
einen  wertvolleren  Besitz  repräsentiert;  sodann  passen  die 
leicht  gebauten  englischen  Cottages  mit  ihren  entsprechend 
dünnen  Umfassungswänden  und  der  relativ  grossen  Abkühlungs¬ 
fläche  nicht  recht  in  ein  kohlenarmes  Land  mit  seinem  viel¬ 
fach  rauheren  Klima.  Im  Ferneren  ist  ein  grosser  Teil  unserer 

Arbeiter  und  kleinen  Ange¬ 
stellten  nun  einmal  an  die 
Stadt  gebunden;  die  bei  uns 
übliche  Einteilung  der  Ar- 
beits-  und  Schulzeiten  erlaubt 
ihm  nicht  in  weitere  Entfer¬ 
nung  vom  Mittelpunkt  der 
Stadt  hinauszuziehen,  da  das 
täglich  viermalige  Zurück¬ 
legen  des  Wegs  von  und  zur 
Arbeitsstätte  oder  Schule  für 
Erwachsene  und  Kinder, 
selbst  bei  guter  Bahnverbin¬ 
dung  zu  zeitraubend  oder  zu 
kostspielig  wäre.  Anderseits 
schliessen  die  städtischen 
Bodenpreise  die  weiträumige 
Bauweise  der  Kolonien  bil¬ 
liger  Einfamilienhäuser  aus. 
Sollen  nun  alle  diejenigen,  die 
aus  den  erwähnten  Gründen 
auf  ein  Wohnen  in  der  Stadt 
angewiesen  sind,  auf  die 
gesundheitlichen,  seelischen 
und  künstlerischen  Vorteile 
des  ländlichen  Einfamilien¬ 
hauses  gänzlich  verzichten? 
Sollen  sie  zum  öden  Massen¬ 
quartier  in  der  reizlosen 
Mietskaserne  verurteilt  sein? 
Ist  es  nicht  möglich,  wenig¬ 
stens  einen  Teil  jener  Vor- 


RUDOLF  LIND  FM  &  PAUL  BURCKHARDT,  BASEL. 
Blick  in  die  Halle  der  Häuser  an  der  Palmenstrasse  in  Basel. 


58 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


Andere  Ansicht  des  Hauses  auf  Tafel  7. 


Andere  Ansicht  des  Hauses  auf  Tafel  53. 


enthält  je  eine  abgeschlossene  Wohnung  mit  einer  Art  Halle, 
einem  der  englischen  ‘'Hall”  oder  der  deutschen  „Diele“  ähn¬ 
lichen  Raum,  woran  sich  auf  der  einen  Seite  2-  4  Wohnräume, 
auf  der  andern  Seite  die  Wirtschaft^räume  (Bad,  Garderobe, 
Küche,  Speisekammer  etc.)  angliedern.  Natürlich  können  die 
Masse  der  Zimmer  sowohl  nach  der  Höhe  wie  nach  der  Grund¬ 
fläche  nicht  allzugross  sein,  doch  sind  sie  für  bescheiden^. 
Ansprüche  durchaus  genügend,  ja  es  kann  wohl  behauptet 
werden,  dass  ihre  Dimensionen  gerade  durch  diese  Beschränkung 
sich  mehr  dem  bürgerlichen  Milieu  anpassen,  als  dies  in  den 
vielfach  üblichen,  häufig  nach  aussen  palastartig  ausgebildeten 
Mietshäusern  der  Fall  ist.  V 

Im  besondern  soll  die  Halle  als  bei  aglicher  Empfangsraum 
ausgestaltet  werden,  der  den  Eintretendt  freundlich  begrüsst. 
Ein  hier  an  der  Mitte  der  Langwand  aufg  fellter  Dauerbrand¬ 
ofen  nach  Art  eines  englischen  Kamins  übernimmt  die  Rolle 
der  Zentralheizung  für  die  ganze  Wohnung,  indem  er  die  Halle 
direkt  durch  Strahlung  und  das  Wohnzimmer  durch  zirku¬ 


lierende  Luft  erwärmt.  Ausserdem  bemüht  sich  die  Unter¬ 
nehmung,  ihre  Aufgabe  unter  Verwertung  der  neuesten  Hilfs¬ 
mittel  in  einer  die  Annehmlichkeit  und  die  Gesundheit  der 
Bewohner  fördernden  Weise  zu  lösen.  Statt  des  Holzgebälks 
werden  die  Zwischendecken  durchwegs  in  feuer-  und  schall¬ 
sicherem  armiertem  Beton  erstellt,  nach  dem  System  der  so¬ 
genannten  Könenschen  Plandecken,  während  die  durchgehende 
Verwendung  von  Inlaid  Linoleum  auf  geeigneter  Unterlage 
einen  sozusagen  fugenlosen,  leicht  rein  zu  haltenden,  den  Schall 
dämpfenden  warmen  Fussboden  abgibt,  mit  dessen  schönen 
Ton  in  Ton  gehaltenen  farbigen  Mustern  sich  eine  harmonische, 
die  Wohnlichkeit  und  Gemütlichkeit  steigernde  Innenwirkung 
erzielen  lässt.  Die  Mietspreise  in  diesen  Häusern  sind  beschei¬ 
den,  sie  richten  sich  selbstverständlich  je  nach  der  Grösse 
und  Lage  der  Wohnungen  und  bewegen  sich  von  Fr.  600. 
bis  Fr.  1200.—  (ca.  Mk.  500.  bis  Mk.  1000.—).  V 

V  Für  die  Dekoration  der  Fassaden  wird  die  heutige  Putz- 
und  Farbentechnik  reichlich  herangezogen  und  mit  möglichst 
einfachen  Mitteln,  durch  geeignete  Betonung  der  Horizontalen 
und  Vertikalen,  durch  glückliche  Verhältnisse  und  wirksame 
Kontraste,  das  Ziel  zu  erreichen  gesucht.  Unsere  Tafeln  57, 
58  und  59  geben  im  Verein  mit  der  dem  Texte  beigedruckten 
Perspektive  ein  anschauliches  Bild  der  ganzen  Anlage,  deren 
innere  und  äussere  Konzeption  von  Architekt  Rudolf  Linder, 
Basel  herrührt,  während  die  künstlerische  Ausgestaltung 
der  Fassaden,  die  etwas  an  die  Bauten  von  Dülfer  in  München 
erinnert,  zumal  auch  hier  leichte  Anklänge  an  Louis  XVI 
Vorkommen,  von  dem  Architekten  Paul  Burckhardt,  Basel 
stammt.  Es  war  beabsichtigt,  den  Häusern  durch  die  Fassaden 
gerade  so  viel  künstlerischen  Schmuck  zu  verleihen,  als  die 
Beschränkung  der  Mittel  zulässt,  ln  schlichter  Vornehmheit, 


Grundrisse  zu  Tafel  64. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


abwechslungsvoll  und  doch  nicht 
unruhig  werden  sie  ein  anziehendes 
Strassenbild  abgeben,  das  den  Ein¬ 
druck  behaglicher  Wohnlichkeit 
widerspiegelt,  deren  die  Bewohner 
dieser  Häuser  sich  erfreuen  werden. 

Dr.  Sch. 


UNSERE  TAFELN. 

V  Die  ersten  drei  Tafeln  dieser 

Lieferung,  No.  57,  58,  59,  nach  Aqua¬ 
rellen  von  RUDOLF  LINDER  und 
PAUL  BURCKHARDT,  BASEL, 
finden  in  dem  dazugehörigen  Auf¬ 
sätze  „Die  Neubauten  an  der  Palmen- 
und  Ahornstrasse  in  Basel“  ihre 
eingehende  Besprechung.  V 

V  TAFEL  60  führt  uns  in  den  Ar¬ 
chitektursaal  der  diesjährigengrossen 
Berliner  Kunstausstellung,  dessen 
Ausschmückung  den  Architekten 
ALTGELT  &  SCHWEITZER,  BER¬ 
LIN  übertragen  war  und  die  es  ver¬ 
standen,  mit  geringen  Mitteln  einen 
Raum  von  prächtiger  monumentaler 
Wirkung  zu  schaffen.  Eine  fein¬ 
fühlige  Stimmung  in  weiss,  gelb, 
gold  und  grau.  Mächtige  achteckig 
gedoppelte  Pfeiler,  je  zu  zweien 
durch  eine  niedrige  Brüstung  ver¬ 
bunden,  teilen  den  Saal  in  zwei 
Galerien,  deren  einziger  Schmuck 
aus  einem  Wandfries  aus  Sprüchen 
in  goldenen  Lettern  besteht.  Goldene 
Kränze  gliedern  den  Fries.  Von 
ganz  besonderem  Reiz  sind  die  den 
Kapitellecken  der  Pfeilereingefügten 
Atlanten,  die  durch  ihre  Kleinheit 
den  wuchtigen  Pfeilern  einen  eigen¬ 
artig  intimen  Stempel  aufdrücken. 


OTTO  BÄPPLER.  FRANKFURT  A.  M. 
Haus  des  Herrn  E.  Wetzlar  in  Cronberg  i.  T. 


Grundrisse  zu  Tafel  62. 


V  TAFEL  61.  Haus  des  Herrn  E.  Wetzlar  in  Cronberg  i.  T., 

erbaut  von  OTTO  BÄPPLER,  FRANKFURT  a.  M.  Sein  aus¬ 
gesprochener  Ortscharakter  sowohl  wie  sein  bis  aufs  äusserste 
ausgenütztes  Inneres,  verbunden  mit  geistreicher  Fassadenlösung, 
stellen  diesen  Bau  entschieden  weit  über  die  meisten  der  vielen 
Villenbauten  in  und  um  Cronberg.  Er  ist  durchaus  in  orts¬ 
üblichem  Material  erstellt:  der  Unterbau  aus  dem  grünlichen 
sehr  hübsch  wirkenden  Taunusschiefer,  die  Fensterumrah¬ 
mungen,  Gesimse  u.  s.  w.  aus  gelblich  geadertem  Königsbacher 
Sandstein,  Naturverputz,  olivegrünes  Kiefernfachwerk  mit 
weissen  Putzfeldern,  endlich  geschieferte  und  zum  Teil  ge¬ 
musterte  Dach-  und  Wandflächen.  Das  Haus  dient  zu  ständigem 
Aufenthalt  und  ist  daher  mit  Niederdruckdampfheizung  und 
elektrischem  Licht  versehen,  einschliesslich  dieser  Anlagen 
sich  die  Baukosten  auf  circa  100  000  Mark  belaufen.  V 

V  TAFEL  62.  „Villa  im  Süden“  nach  einem  Entwürfe  von 
HENRY  PROVENSAL,  PARIS.  Wie  der  Architekt  auf  den 


6o 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


OBERXoEfCJHO^  _ 


<aE}CHO^' 


—  R.  BURKHARDT  &  W.  MERSCH,  FRANKFURT  A  M.  — 
Landhaus  des  Herrn  J.  Neustätter,  Schönberg  i.  T. 

Unter  möglichster  Ausnutzung  der  dem  Platze  eigenen  Ausblicke 
auf  die  Berge  des  Taunus  ist  der  Standort  des  Hauses  mit  dem 
Erker  des  Speisezimmers  nach  der  Achse  des  Cronberger  Schloss¬ 
turmes  gerichtet ,  worauf  auch  bei  der  Bepflanzung  des  Gartens 
Rücksicht  genommen  wurde.  Auf  einem  Sockel  aus  weissgefugtem 
grünem  Taunusschiefer  zeigt  das  auf  gehende  Backsteinmauerwerk 
wagrecht  gekämmten  Mörtelputz ,  dem  durch  Zusatz  von  rotem 
Zement  eine  warme  Tönung  gegeben  wurde.  Ludowikische  Falz¬ 
ziegel  decken  das  Dach  und  geben  im  Verein  mit  dem  weiss¬ 
gestrichenen  Fenster-  und  Lädenholz  und  dem  rot  und  grün 
gefassten  Gehänge  in  der  Hohle  des  Kranzgesimses  einen  heiteren 
Gegensatz  zu  der  Masse  des  graubraunen  Eichenholzes  am  Erker. 

Die  Baukosten  betragen  annähernd  40,000  Mark. 


BERICHTIGUNG. 

Durch  ein  bedauerliches  Missverständnis  sind  die  in  Lieferung  7  auf 
Seite  48  abgebildeten  Mietshäuser  an  der  Franz  Joseph- Strasse  in 
München-Schwabing  als  von  JOSEPH  BURGER  herrührend  bezeichnet. 
Die  Entwürfe  stammen  indessen  von  Architekt  PROFESSOR  MARTIN 
DÜLFER,  MÜNCHEN  und  nur  die  Bauausführung  von  der  Firma 
Joseph  Burger.  Seite  51  Zeile  1  und  2  von  unten  ist  demnach  Professor 
Martin  Dülfer  statt  Joseph  Burger  zu  lesen. 


Tafeln  5  und  27  dieses  Jahrganges  den  Häusern  im  Norden 
und  in  der  gemässigten  Zone  ein  typisches  Aeusseres  zu  geben 
versuchte,  hält  er  auf  vorliegendem  Blatte  das  sonnige,  süd¬ 
liche  Leben  fest  und  gibt  demgemäss  seinem  Hause  nach  dem 
Meere  zu  grosse  offene  Arkaden,  der  Luft  und  dem  Lichte 
ungewehrt  Zutritt  lassend.  Nach  der  Rückseite  öffnen  sich  die 
bis  zum  Boden  gehenden  Fenster  des  Salons  nach  dem  Ge¬ 
birge  und  bieten  infolge  ihrer  nördlichen  Lage  schattige,  kühle 
Plätze.  Die  Ausgestaltung  der  Fassade  spiegelt  die  Pracht  des 
Südens  wider.  V 

V  Auf  TAFEL  63  geben  wir  ein  kleines  Gästezimmer  aus 
einem  Hotel  in  Wiesbaden,  ausgeführt  von  der  Stuttgarter 
Möbelfabrik  Georg  Schöttle  nach  einem  Entwürfe  von  MAC- 
LACHLAN,  STUTTGART.  Bei  gediegener  Form-  und  Farb¬ 
gebung  vereinigt  das  Zimmer  alle  an  solche  Räume  zu  stellenden 
Anforderungen:  es  ist  zweckmässig,  reinlich  und  wohnlich. 

V  TAFEL  64  zeigt  wiederum  eines  der  kleinen  hübsch  er¬ 
fundenen  Landhäuser  von  ANDRE  COLL1N,  PARIS.  V 


PAUL  BURCKHARDT.  BASEL. 

Entwurf  zu  einem  eingebauten  Einfamilienhaus. 

Trotz  der  kleinen  Fassaden- Ausmasse  und  bei  aller  Schmuck¬ 
losigkeit  wirkt  der  Bau  vornehm.  Dies  ist  erreicht  durch  die 
strengen  Formen  der  Putzarchitektur  und  wird  noch  erhöht  durch 
die  mit  vergoldeten  Masken  geschmückten  rot-marmornen  Krag¬ 
steine  und  die  bronzebeschlagene  Pforte. 


IMV:  RUDOLF  LINDER  &  PAUL  BURCKHARDT,  BASEL 


I N) V :  RdhOlF  IINHFR  Ä  PR(II  RdRCKHRRhT  RRSFI 


TTC5PRT 


.  1 N V :  L.  MACLACHLAN,  STUTTGART 


3AHRG-  MONAT/HEFTE  für  ARCHITEKTUR.  he?h 


Der  Wechsel  der  Kleidung,  dem  sich  unsere  Zeit  mehr  oder 
weniger  gutwillig  unterwirft,  ist,  wo  es  sich  nicht  um 
Schneiderlaunen  handelt,  der  Ausdruck  einer  gewaltigen  Perso¬ 
nalveränderung  in  der  friedlichen  Geschichte  der  Völker,  die 
notwendige  Folge  der  durchgreifenden  Verschiebung  in  den 
Geschicken  der  Einzelnen  und  der  Masse.  Die  Grossen  der 
alten  Zeit  verschwinden  langsam  im  Schatten.  Ihre  Paläste 
stehen  verödet  und  der  Bericht  des  Stelzfusses,  der  uns  die 
Ruinen  zeigt  und  von  den  vergangenen  Lustbarkeiten  der 
stolzen  Nichtstuer  erzählt,  klingt  schon  wie  ein  Märchen.  V 
V  Unsere  Zeit  hat  den  Unterschied  zwischen  Gross  und  Klein 
um  einen  Grad  moralischer  und  rationeller  gebildet.  Er  ist 
weniger  persönlich,  mehr  an 
den  Wert  der  Arbeit  gebunden 
und  unverhältnismässig  ver¬ 
änderlicher  als  früher.  Die 
Grossen  unserer  Zeit  sind 
der  Masse  näher.  Sie  tragen 
keine  Kronen,  und  von  dem 
goldenen  Prunkharnisch  ist 
höchstens  eine  gewichtige 
Uhrkette  übrig  geblieben. 

Auch  sie  regieren,  führen 
Kriege  und  schliessen  Ver¬ 
träge,  die  das  Los  der  Kleinen 
bestimmen,  aber  die  Prosa 
ihrer  Erlasse  ist  sachlicher, 
der  Allgemeinheit  verständ¬ 
lichergeworden.  Sie  handeln 
von  Zahlen,  ihr  Wesen  ist  un¬ 
persönlich,  der  Plural  maje- 
statis  ihrer  Briefe  bedeutet 
keine  konventionelle  Form 
von  Gottesgnaden,  sondern 
die  Vielheit,  die  höchst  greif¬ 
bar  hinter  ihnen  steht.  Nicht 
die  trauliche  und  geduldsame 
Liebe  der  Untertanen  trägtsie, 
sondern  dieUrkraft,die  das  er¬ 
ste  Gemeinwesen  bestimmte 
und  die  sich  im  Laufe  der  Zei¬ 
ten  in  liebliche  Phrasen  füllte, 
in  das  zündende  Glaubens¬ 
wort:  Interessengemeinschaft. 


V  Auch  diese  Grossen  haben  ihre  Paläste,  und  die  erheben 

sich  oft  just  an  den  vornehmen  Stellen  der  Stadt,  wo  einst 
die  Vergangenheit  ihre  Herrensitze  baute.  Sie  dienen  nicht 
zur  Wohnung,  sondern  erinnern  mehr  an  die  Trutzburgen,  in 
denen  früher,  in  bösen  Tagen,  das  Geschlecht  seine  Getreuen 
zum  harten  Widerstand  zusammenrief.  Sie  sind  nicht  weniger 
mächtig  als  die  festen  Schlösser  der  Alten.  Fast  drohend 
ragen  ihre  gewaltigen  Quader  empor  und  wo  der  Blick  ins 
Innere  dringen  könnte,  wahren  starre  Eisengitter  den  Zutritt. 
Sie  sind  die  Trutzburgen  der  Gegenwart,  der  Arbeit,  des  Intel¬ 
lektes,  des  Geldes.  V 

V  Das  Haus  einer  Bank  hat  zwei  Aufgaben  zu  erfüllen:  es 

soll  gute  Verwahrstellen  für 
die  Werte,  für  das  fliessende 
Geld  geben,  mit  dem  die 
Bank  arbeitet,  für  die  Pfän¬ 
der,  die  ihr  anvertraut  wer¬ 
den;  und  es  soll  die  höchst 
spezifische  Arbeit,  die  sich 
um  das  Geld  in  seinen  Räu¬ 
men  dreht,  möglichst  erleich¬ 
tern.  Die  erste  Forderung 
ist  relativ  leicht  zu  erfüllen,, 
sie  ist  eine  Kostenfrage  und 
verlangt,  das  Verliess  oder 
die  Verliesse,  wo  die  Schätze 
liegen,  mit  allen  Mitteln  gegen 
Feuer  und  Einbruch  zu  wah¬ 
ren,  nachdem  man  sie  in  die 
schon  durch  ihre  Lage  sicher¬ 
sten  Teile  des  Hauses  gelegt 
hat.  Der  zweite  weit  schwie¬ 
rigere  Faktor  bedingt,  dass  die 
grosse  Menge  von  Menschen, 
die  in  der  Bank  arbeiten  und 
ihre  lebenden  Organe  dar¬ 
stellen,  und  die  noch  grössere 
Anzahl  von  solchen,  die  zu  ihr 
kommen,  um  Geld  zu  holen, 
oder  Geld  zu  bringen,  so  ver¬ 
teilt  werden,  dass  die  Arbeit 
möglichst  beschleunigt  und 
gesichert  wird.  Diese  Arbeit 
verlangt  Ordnung,  Schnellig- 


iisjfe . e? . 


G.  WEHLING  und  A.  LUDWIG,  DÜSSELDORF. 

A.  Schaaffhauscnscher  Bankverein  Köln  a.  R.  Portal  (links). 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


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G.  WEHLING  und  A.  LUDWIG.  DÜSSELDORF. 

A.  Schaaffhausenscher  Bankverein  Köln  a.  R.  Vestibül  (links). 


keit  und  Ehrlichkeit  und  bedarf  einer  fortwährenden  Kontrolle. 
Sie  kann  diese  Forderungen  nur  durch  die  äusserste  Ausnützung 
des  modernen  Prinzips  der  Arbeitsteilung  erfüllen  und  braucht 
eine  dem  Umfang  des  Geschäftes  eng  angepasste  Organisation. 
Diese  muss  sich  notgedrungen  schon  in  dem  Bauplan  ausdrücken. 
Die  Arbeitsräume  müssen  so  liegen,  dass  alle  Forderungen  an 
die  Arbeit  erfüllt  werden  können.  Wenn  heute  so  grosse  Auf¬ 
wendungen  für  Bankbauten  gemacht  werden  nicht  geringer 
als  die  Summen,  die  früher  die  köstlichsten  Fustschlösser  ver¬ 
schlangen,  —  so  geschieht  das  in  der  richtigen  Einsicht,  dass 
die  Summen,  die  hier  stündlich  auf  dem  Spiele  stehen,  so 
wesentlich  sind,  dass  auch  die  grössten  einmaligen  Ausgaben 
relativ  unbedeutend  erscheinen.  V 

V  Neben  diesen  Faktoren  wirkt  endlich  ein  dritter  für  die 
reiche  Ausstattung  des  Hauses,  der  Wunsch,  möglichst  würdig 


aufzutreten  um  auch  im  Äussern 
das  Prestige  der  Bank  zu  erhöhen.  V 

V  Das  Haus,  mit  dem  wir  uns  heute 
beschäftigen,  der  Schaaffhausensche 
Bankverein  in  Köln,  steht  schon  seit 
40  Jahren  an  derselben  Stelle,  in  der 
Strasse  Unter- Sachsenhausen  und 
wurde  Anfang  der  sechziger  Jahre 
von  Pflaume  gebaut.  Es  enthielt  ur¬ 
sprünglich  verhältnismässig  wenige 
und  kleine  Räume  für  das  Bankge¬ 
schäft  und  eine  sehr  grosse  herrschaft¬ 
liche  Wohnung  mit  zwei  Festsälen 
für  den  Direktor,  d.  h.  es  war  wie  so 
viele  Banken  derZeitmehr  zur  Parade 
als  zur  grossorganisierten  Arbeit  da. 
Die  Ausdehnungdes  Geschäftes  führte 
zu  der  allen  Geschäften  eigentüm¬ 
lichen  Entwicklung.  Die  persönlichen 
Wohnräume  wurden  immer  mehr 
eingeschränkt  und  schliesslich  das 
ganze  Haus  für  die  unpersönliche 
Arbeit  hergerichtet.  Diese  Entwick¬ 
lung  gab  natürlich  einen  ganz  will¬ 
kürlichen,  zusammengeflickten  Grund¬ 
riss.  Die  Beamten  sassen  in  vielen 
einzelnen  Zimmern  und  führten  dort 
ein  wenig  ergiebiges  Stillleben.  Die 
Tresore  waren  nicht  hinreichend  ge¬ 
sichert,  die  Heizung  genügte  nicht 
und  war  schlechterdings  feuergefähr¬ 
lich  angelegt,  eine  Leitung  ging  z.  B. 
unter  einem  Tresor  weg,  u.  s.  w.  V 

V  Bei  dem  immer  dringender  wer¬ 
denden  Umbau  wurde  1899  das  Projekt 
des  Architekten  Gottfried  Wehling 
in  Düsseldorf,  den  unsere  Leser 
bereits  kennen,  angenommen  unter 
der  Bedingung,  dass  der  Bank¬ 
betrieb  während  des  Baues  nicht  ge¬ 
stört  würde.  Wehling,  dem  der  Ar¬ 
chitekt  A.  Ludwig,  sein  früherer  Kom¬ 
pagnon,  zur  Seite  stand,  baute  zu¬ 
erst  die  linke  Hälfte  um,  die  Mitte  1902  bezogen  wurde; 
die  rechte  konnte  Ende  vorigen  Jahres  dem  Verkehr  über¬ 
geben  werden.  Zu  diesen  Schwierigkeiten  gesellte  sich 
die  Notwendigkeit,  das  Fundament  zu  erneuern.  Eine 
Bodenuntersuchung  ergab,  dass  auch  hier  wieder  einmal  die 
gern  als  Muster  gepriesene  gute  alte  Zeit  in  Gestalt  des 
weiland  Geheimen  Baurats  Pflaume  mit  gottsträflichem  Leicht¬ 
sinn  gebaut  hatte.  Das  ganze  Haus  stand  auf  angeschüttetem 
Boden,  der  feste  Baugrund  lag  nicht  weniger  als  6 — 7  Meter 
unter  der  Kellersohle.  Daher  zeigten  die  Mauern  überall  be¬ 
denkliche  Risse.  Wehling  Hess  in  der  Höhe  des  Kellerbodens 
ein  Stück  Mauer  von  ca.  2  Meter  Länge  durch  5  Meter  lange 
T-Eisen  abfangen,  die  Last  auf  die  Erde  übertragen  und  legte 
dann  einen  sorgfältig  ausgesteiften  Schacht  unter  der  Mauer 
an.  In  diesen  kamen  dann  die  Pfeiler  unten  aus  Beton,  oben 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


aus  Cementmauerwerk.  So  wurde 
Pfeiler  an  Pfeiler  gereiht  bis  das 
ganze  Gebäude  gesunde  Beine  hatte, 
eine  äusserst  schwierige,  gefahrvolle 
und  zeitraubende  Arbeit,  die  180000 
Mark  kostete  und  glücklich  ohne 
Unfall  zu  Ende  geführt  wurde.  V 
V  Der  Grundriss  wird  im  wesentlichen 
durch  die  neue  Anlage  der  grossen 
Haupthalle  bestimmt,  die  dadurch  ge¬ 
wonnen  wurde,  dass  man  die  ursprüng¬ 
lich  in  der  Mitte  liegende  Haupttreppe 
unterdrückte  und  durch  zwei  Seiten¬ 
eingänge  ersetzte  und  die  beiden  vor¬ 
handenen  Lichthöfe  überdachte.  Das 
Budget  erlaubte  leider  keine  weitere 
Änderung  der  Fassade.  Dagegen  sieht 
das  Innere  schon  durch  die  Haupt¬ 
halle  vollkommen  anders  aus  und  hat 
unendlich  an  Schönheit  und  prak¬ 
tischem  Wert  gewonnen.  Diese  Haupt¬ 
halle  pflegt  in  den  meisten  Banken 
dem  Publikum  zu  gehören.  Beim 
Credit  Lyonnais  in  Paris  bildet  sie 
eine  riesige  durch  den  Eingang  vom 
Boulevard  in  zwei  Hälften  geschiedene 
Manöge,  in  der  sechsmal  soviel  Tische 
und  Bänke  stehen,  als  das  Publikum 
braucht,  und  diegrösstenteils  unbenutzt 
ist.  Die  schlecht  beleuchteten  Schal¬ 
ter  liegen  in  der  Peripherie  um  diese 
Manöge  herum,  zwingen  die  Be¬ 
amten  zu  grossen  Spaziergängen  und 
erschweren  die  Aufsicht.  Dies  ist 
der  gewohnte  Plan  der  meisten  Bank¬ 
baumeister.  Wehling  dagegen  macht 
es  umgekehrt.  Er  setzt  die  Beamten 
für  das  laufende  Geschäft  alle  in  die 
Halle  und  legt  um  sie  herum  die 
Schalter,  sodass  nicht  die  Beamten 
den  Kreislauf  zu  machen  haben,  son¬ 
dern  das  Publikum.  Dadurch  wurde 
sehr  viel  Raum  gewonnen  und  gleich¬ 
zeitig  der  Hauptmasse  von  Beamten  das  erreichbar  günstigste 
Licht,  Oberlicht,  gegeben.  Um  für  den  Abend  die  unzähligen 
Pultlampen  zu  vermeiden,  die  den  grossen  Raum  im  oberen  Teil 
der  Halle  doch  nicht  erhellt  hätten,  hat  Wehling  zwischen  dem 
bogenförmigen  inneren  Oberlicht  und  der  äusseren  Verglasung 
acht  Paar  Bogenlampen  angebracht,  die  eine  dem  Tageslicht 
durchaus  ebenbürtige  warme  Beleuchtung  geben  und  den  Be¬ 
amten  das  Lesen  der  feinsten  Schrift  ohne  Schwierigkeit  ermög¬ 
lichen.  Gleichzeitig  bleibt  dadurch  auch  des  Abends  die  im¬ 
posante  Architektur  der  Halle  vollkommen  gewahrt.  Diese 
wirkt  ausserordentlich  durch  die  schönen  Raumverhältnisse. 
Die  zentralen  Erdgeschosswände  sind  in  Hauptstützen  aus  Stein 
und  Nebenstützen  aus  Eisen  aufgelöst.  Um  diese  läuft  der 
durch  eine  feste  Wand  abgeschlossene  Korridor,  sodass  eigent¬ 
lich  diese  Wand  die  Raumbegrenzung  im  Erdgeschoss  bewirkt. 


G.  WEHLING  und  A.  LUDWIG,  DÜSSELDORF. 

A.  Schaaffhausenscher  Bankverein  Köln  a.  R.  Oberer  Teil  des  Vestibüls  (rechts). 


Die  Obergeschosswände  über  den  Stützen  sind  durch  gleiche 
Öffnungen  geteilt  und  wirken  durch  deren  einfachen  Rhythmus 
galerieartig.  Im  Gegensatz  zu  dem  vertikalen  Stützenmoment 
ist  das  Erdgeschoss  durch  ein  kräftiges,  mässig  ausladendes 
Konsolgesims,  das  Obergeschoss  durch  einen  starken,  frei¬ 
endigenden  Eierstab  abgeschlossen.  Kastenträger  und  Eisen¬ 
stützen  sind  sichtbar  ausgebildet,  und  um  den  Übergang  von 
dem  graugrün  gestrichenen  Eisen  zu  dem  hellgelben,  fast 
weissen  französischen  Kalkstein  zu  vermitteln,  schmücken 
reich  verzierte  Bronzestandarten  die  Eisenstützen.  Diese  sowie 
die  Bronzegitter  vor  den  Spiegelscheiben  der  Obergeschoss¬ 
öffnungen  tragen  wesentlich  zu  der  Prachtwirkung  des  Raumes 
bei.  Auch  die  Fensterrahmen  der  letzterwähnten  Öffnungen 
sind  aus  Bronze.  Zum  Schmuck  der  Halle  sind  Malerei  und 
Plastik  herangezogen.  Die  beiden  Stirnwandfelder  zeigen 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


G.  WEHLING  und  A.  LUDWIG,  DÜSSELDORF. 

A.  Schaaffhausenscher  Bankverein  Köln  a.  R.  Treppenhaus  (rechts). 


symbolische  Darstellungen  des  jungen  österreichischen  Künst¬ 
lers  J.  A.  Lang.  Auf  der  einen  Seite  die  „Industrie“,  auf  der 
andern  den  „Handel“.  Auf  den  Köpfen  der  vier  Mittelpfeiler 
an  den  Langwänden  stehen  vier  über  zwei  Meter  hohe  Figuren 
von  A.  Simatschek  und  versinnbildlichen  die  verschiedenen 
Tugenden  des  guten  Bankiers.  Derselbe  Künstler  hat  auch 
die  vier  Portalfiguren  der  Fassade  geschaffen.  Man  kann  sich 
bei  aller  Anerkennung  des  redlichen  Fleisses  dieser  Mitarbeiter 
nicht  der  Einsicht  verschliessen,  dass  die  Architektur  hier  wie 
in  so  vielen  Fällen  durch  diese  hinzugetragene  Symbolik  nicht 
gewinnt.  V 

V  Auf  diesen  natürlichen  Mittelpunkt  des  Interesses  whd 
man  durch  die  beiden  Vestibüle  gebührend  vorbereitet,  von 
denen  das  rechts  gelegene  am  besten  geraten  ist.  Die  ur¬ 
sprünglichen  Raumverhältnisse  werden  durch  die  Mitteltreppe 
nach  dem  Erdgeschoss,  die  seitlichen  Treppenarme  zum  Sou¬ 
terrain,  die  eine  angenehme  Teilung  des  Raumes  nach  der 
Höhe  und  Tiefe  hin  bewirken,  sowie  durch  die  in  der  Breite 
dreiteilige  Decke  aufgehoben.  Erhöht  wird  die  Raumperspektive 
durch  je  ein  Säulenpaar  über  den  Wangenendigungen.  Die 
Säulen  tragen  die  Beleuchtungskörper,  wirken  aber  ein  wenig 


schwer  für  diesen  Zweck.  Die  Wände  sind  durch  Pilaster¬ 
gerippe  vertikal  und  durch  einen  plastischen  Ornamentenfries 
im  oberen  Wandviertel  horizontal  geteilt.  Die  seitlichen  Pilaster¬ 
paare  wachsen  nach  oben  organisch  in  die  seitlichen,  kasset- 
tierten  Kappenfelder  hinein  und  dienen  gleichsam  als  Streben 
für  die  höher  gelegene  Mittelkappe.  Der  Raum  in  einem  grau¬ 
gelben  Wand-  und  Deckenton  wirkt  ruhig  und  ernst.  Für  den 
Bodenbelag  und  die  Trittstufen  wurde  hellgrauer  Granit,  für 
den  Sockel  grauer  Sandstein,  für  die  Säulen  Cudovasandstein 
verwendet.  Die  Brüstungsfüllungen  sind  aus  poliertem  Pavo- 
nazzo,  die  übrigen  Wand-  und  Deckenteile  aus  Stuck.  V 
V  Durch  einen  zweiteiligen  Windfang  gelangt  man  in  den 
Raum,  der  die  Verbindung  mit  dem  oberen  grossen  Treppen¬ 
hause  und  der  Halle  vermittelt.  Er  weist  mehr  Öffnungen  als 
Wandflächen  auf  und  gewährt  interessante  Durchblicke  nach 
Halle  und  Treppe.  Hier  herrscht  das  tragende  Element,  qua¬ 
dratische  Steinpfeiler  und  Wandpilaster  vor.  Aus  diesen  ent¬ 
wickeln  sich  die  Deckenunterzüge,  zwischen  die  sich  die 
flachen  Deckenfelder  spannen.  Wandflächen  und  Deckenfelder 
sind  durch  Spritzwurf  belebt,  die  Deckenfelder  auch  noch 
durch  kleine,  vertiefte  Kassetten  verziert.  Die  Stützen  und 
Pilaster  sind  aus  Cudovasandstein,  Wände  und  Decken  aus 
Stuck  in  graublauer  Tönung;  den  Bodenbelag  bilden  4  Sorten 
Marmor  in  rechteckigen,  einfachen  Figuren;  die  Beleuchtungs¬ 
körper  sind  gelbe  Bronze,  Türen  und  Pulte  aus  poliertem 
Mahagoni.  Der  Raum  wirkt  etwas  kühl  und  erhöht  dadurch 


G.  WEHLING  und  A.  LUDWIG.  DÜSSELDORF. 


A.  Schaaffhausenscher  Bankverein  Köln  a.  R.  Warteraum  (rechts). 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


65 


die  warme  Tonwirkung  der  durch  die  grossen  Glastüren  sicht¬ 
baren  Halle.  V 

V  Das  linke  hellgelbe  Vestibül  mit  den  Glasmosaiken  ober¬ 
halb  der  reich  geschmückten  Stäbe  und  den  vier  Beleuchtungs¬ 
körpern,  den  an  Ketten  aufgehängten  Schiffen  aus  Eisglas  und 
Bronze,  wirkt  etwas  unruhig.  Es  dient  als  Zugang  zu  den 
Geschäftsräumen  und  den  Sitzungszimmern  für  die  Direktion 
und  den  Aufsichtsrat.  Über  die  aufsteigende  Treppe  gelangt 
man  von  hier  in  das  kleine  Treppenhaus  mit  dem  elektrischen 
Aufzug.  Das  schmiedeeiserne  Gitter  der  Aufzugskabine  setzt 
sich  wiederum  aus  Stabmotiven  und  im  Sockel  aus  massiven 
Bronzefeldern  und  Gittergeflechten  in  Stabovalen  zusammen. 
Die  Wände  bis  zum  Oberlicht  der  Decke  sind  glatt  geputzt 
und  unter  dem  Treppenlauf  und  in  der  grossen  Deckensohle 
mit  plastischen  Friesen  geschmückt.  Von  dem  Podest  des 
ersten  Stocks  gelangt  man  in  den  Galeriekorridor,  der  um  die 
grosse  Halle  herumläuft.  Er  wirkt  wohltuend  komfortabel  mit 
der  hohen  Wandtäfelung  aus  poliertem  Mahagoni,  der  grauen 
Wand  darüber  mit  der  weissen  Decke  und  dem  Läufer  aus 
lebhaften  Farben  auf  grauweissem  Grund.  Von  hier  geht  es 
in  die  vielen  Zimmer.  An  den  Stirnwänden  der  Halle  ist 
der  Korridor  zu  Warteräumen  erweitert  mit  amüsanten  Schirm¬ 
ständern  mit  Wandschutz  aus  Glasmosaik,  eleganten  Be¬ 
leuchtungskörpern  aus  Bronze,  Sofas  aus  rotem  Maroquin 
und  Mahagoni.  Von  hier  und  von  dem  rechten  Vestibül  über 
den  grossen  Treppenlauf  erreicht  man  das  grosse  Treppenhaus. 
Es  besteht  aus  dem  hohen  Mittelraum  mit  dem  Oberlicht  und 


G.  WEHLING  u.A.  LUDWIG,  DÜSSELDORF.  A.  Schäaffhausenscher 
Bankverein  Köln  a.  R.  Personen- Aufzug  (Treppenhaus  links). 


den  beiden  niedrigen  seitlichen  Teilen.  Getrennt  werden  diese 
durch  vier  quadratische  Stützen  und  die  korrespondierenden 
Wandpilaster.  Bis  auf  Gebälkshöhe  herrscht  also  das  verti¬ 
kale  Stützensystem  vor,  dem  darüber  die  Horizontalteilung  des 
Mittelraumes  folgt.  Sie  gliedert  sich  in  das  Gebälk,  den  hohen 
Fries,  sowie  die  weitausladenden  vier  Kragsteinreihen,  welche 
das  tiefe  Spiegelgewölbe  tragen.  Die  Stützen  enthalten 
im  oberen  Drittel  flache  konsolartige  Ansätze,  die  sich  im 
Gebälk  fortsetzen  und  die  dem  Fries  vorgelagerten  kristall¬ 
artigen  Beleuchtungskörper  aus  versilbertem  Metall  tragen. 
Von  diesen  aus  entwickelt  sich  stets  symmetrisch  nach  beiden 
Seiten  hin  das  reiche  plastische  Ornament,  das  hier  wie  im 
ganzen  Hause  aus  Pflanzenmotiven  gewonnen  ist.  Die  Brüstung 
gegen  die  Treppenläufe  zu  hat  Sandsteinpfeiler  und  Öffnungen 
mit  Bailustern  aus  schwarz-weiss  geadertem  poliertem  Marmor. 
Der  Bodenbelag  ist  geschliffener  Marmor  in  Streifenteilung 
mit  den  vorherrschenden  Tönen  Grau  und  Weiss;  dazwischen 
schwarz  und  wenig  grün.  Pfeiler  und  Pilaster  sind  bis  zur 
Höhe  von  anderthalb  Metern  mit  stumpfgelbem  Marmor  be¬ 
kleidet,  darüber  Stuck.  Die  Grundstimmung  des  ganzen  Raumes 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


räöJlS 


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G.  WEHLING  und  A.  LUDWIG,  DÜSSELDORF. 

A.  Schaaff hausenscher  Bankverein  Köln  a.  R.  Teil  der  Stirnwand  der  grossen  Halle. 


zeigt  blaue  und  grüne  Farbentöne  an  Pfeilern  und  Wänden, 
dazwischen  ist  grün  und  graugelb  eingestreut  mit  sattem  Silber 
an  den  dominierenden  und  teilenden  Punkten  des  Orna¬ 
mentes.  Das  Oberlicht  ist  ähnlich 
in  der  Farbe  gestimmt,  nur  sind  die 
Farben  blau,  grün  und  gelb  noch  ge¬ 
steigert.  Die  Öffnungen  der  rechten 
Wandseite,  mit  grossen  Glastüren  ge¬ 
schlossen,  gewähren  schöne  Durch¬ 
blicke  in  die  grosse  Flalle.  V 

V  Unter  den  Sälen  und  Zimmern  be¬ 
hauptet  der  grosse  Sitzungssaal  im 
Erdgeschoss  die  erste  Stelle.  Ein  be¬ 
weglicher  Vorhang  teilt  einen  zum 
Ablegen  hergerichteten  Vorraum  ab. 

Wie  diesen  Vorraum,  so  überwölbt 
auch  den  Saal  eine  flache  Tonne  mit 
vertieften  Kassetten  und  Gurtbogen, 
die  gleich  den  tapezierten  Wänden  mit 
Grün  auf  Grau  ausgestattet  sind.  Eine 
niedrige  Vertäfelung  aus  fast  schwarz 
poliertem  Holz  umzieht  den  ganzen 
Raum.  An  der  Stirnwand  ist  in  einer 
tiefen  Nische  ein  grosses  Sofa  ein¬ 
gebaut  mit  grossem  Aufwand  von 
Holz,  in  das  Photographien  eingelassen 
sind  und  das  eine  Uhr  trägt.  Zwei 
wohl  überflüssige  lebensgrosse  Sta¬ 
tuen  flankieren  die  Nische.  Solche 
Monumentalmöbel  wirken  in  ihrer 
Kompliziertheit  zumeist  störend.  Es 


ist  der  letzte  Rest  des  Paneelsofas 
unserer  Väter.  Besser  organisiert 
der  grosse  Beleuchtungskörper  den 
Raum:  acht  Laternen,  die  in  gerader 
Linie  über  dem  langen  Konferenztisch 
angeordnet  sind.  Im  Erdgeschoss  fin¬ 
det  sich  noch  ein  reich  ausgestattetes 
Direktionszimmer  in  nussgrau  ge¬ 
beiztem  Holz  und  einer  lebhaft  grünen 
Tapete  mit  Wandschränken  und  vier 
mächtigen  Schreibtischen.  In  der  ersten 
Etage  dient  ein  in  Grau,  Blau  und 
Silber  ausgestatteter  Raum  zu  Konfe¬ 
renzen  der  Direktion.  Hier  liegen 
auch  eine  Anzahl  kleinerer  Konferenz¬ 
zimmer  für  den  Empfang  der  Kunden, 
ganz  isoliert  und  schallsicher  mit 
Oberlicht,  so  dass  man  vor  allen  Indis¬ 
kretionen  bewahrt  bleibt.  Glänzende 
Leistungen  sind  die  verschiedenen 
Tresore  und  die  Stahlkammer.  Sie 
liegen  im  Erdgeschoss  und  haben  vor¬ 
gelagert  einen  grossen  für  das  Pub¬ 
likum  bestimmten  Raum.  Dieser  ist, 
ähnlich  wie  in  der  Dresdner  Bank  in 
Berlin,  in  acht  mit  Schreibpult  und 
Sessel  möblierte  Kojen  geteilt,  in 
denen  die  Kunden  sich  der  erspriesslichen  Arbeit  des  Coupon- 
abschneidens  ungehindert  hingeben  können.  Die  Tresore  dürften 
auch  den  gewagtetsten  Einbrecherkniffen  widerstehen.  Selbst  die 


G.  WEHLING  und  A.  LUDWIG.  DÜSSELDORF. 

A.  Schaaffhausenscher  Bankverein  Köln  a.  R.  Vorraum  zur  Stahlkammer. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


67 


gefürchtetste  Waffe  der  Bankräuber  „Thermit“  muss  hier  ver¬ 
sagen.  Thermit  entwickelt  anstandslos  2700°  Hitze  und  öffnet 
in  wenigen  Minuten  die  dicksten  Panzerplatten.  Granit,  der 
bei  älteren  Banken  als  einbruchsicherer  Belag  gilt,  schmilzt  wie 
Butter,  sobald  er  mit  Thermit  in  Berührung  kommt.  Wehling 
hat  sich  mit  einer  Kombination  von  Stahl  —  gegen  Angriff  mit 
Bohrern  — -  und  Steinmauern  —  gegen  Thermit  —  geholfen. 
Die  Stahlschichten  sind  möglichst  nach  hinten  gelegt,  sodass 
das  Thermit,  wenn  es  vielleicht  bis  dahin  gelangte,  auf  dem 
langen  Weg  die  Wirkung  verlieren  würde.  Aussen  herum 
dagegen  liegen  starke  Steinmauern,  die  durch  Thermit  nicht 
nur  nicht  zerstört,  sondern  durch  Versinterung  noch  verhärtet 
würden.  Zwischen  Stein  und  Stahl  liegt  noch  eine  weitere 
Mauer  aus  Beton.  Die  Türen,  Böden  und  Decken  sind  in 
gleicher  oder  ähnlicher  Weise  gesichert.  V 

V  Die  elektrische  Lichtleitung  zu  den  Tresoren  ist  so  ange- 


Detail  vom  Plafond  im  Direktionszimmer. 


Pfeilerdetail  mit  Beleuchtungskörper  aus  dem  Treppenhaus  (rechts). 


legt,  dass  die  Tür  nur  geschlossen  werden  kann,  wenn  die 
Verbindung  mit  der  Stromleitung  unterbrochen  ist,  sodass  man 
sicher  sein  kann,  dass  der  geschlossene  Tresor  keinen  Strom  ent¬ 
hält.  Von  einer  Heizung,  deren  Anlage  immer  schwache  Stellen 
in  den  Mauern  mit  sich  bringt,  konnte  Abstand  genommen  werden, 
da  die  Tresore  nicht  an  Aussenwänden  liegen,  also  nicht  ab¬ 
kühlen.  Jeder  Tresor  besitzt  ausser  der  Haupttür  noch  eine 
Schlupftür,  für  den  Fall,  dass  sich  die  Haupttür  aus  irgend 
einem  Grunde  nicht  öffnen  lässt.  Der  Effektentresor  geht 
durch  drei  Etagen  und  hat  eine  Vorrichtung  zum  Herunter¬ 
lassen  oder  Heraufschaffen  der  eisernen  Schränke.  Die  An- 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


4J  ^ 


G.  WEHLING  und  A.  LUDWIG,  DÜSSELDORF. 

A.  Schaaffhausenscher  Bankverein  Köln  a.  R.  Detail  aus  dem 
Direktionszimmer. 


lagen  sind  so  gross  gemacht,  dass  die  Bank  noch  tüchtig 
wachsen  kann,  ehe  alle  Räume  gefüllt  sind.  V 

V  Die  grösste  Aufmerksamkeit  widmete  Wehling  der  Hygiene, 
um  den  hundert  Beamten  der  Bank  jede  nur  denkbare  Er¬ 
leichterung  zu  verschaffen.  Die  fensterlose  Halle  erhält  ihre 
Luftzufuhr  durch  eine  grosse  Ventilatoranlage,  die  von  der 
Gartenseite  zugänglich  ist.  Hier  präsentiert  sich  die  Hinter¬ 
front  des  Gebäudes  aus  Heilbronner  Sandstein  und  gleich¬ 
farbigem  Zement.  Das  Hauptmotiv  geben  die  hochragenden 
Schornsteine  der  Zentralheizung.  Die  Heizung  selbst  ist 
ausserhalb  des  Gebäudes  angelegt,  damit  bei  einem  etwaigen 
Unfall,  Platzen  eines  Kessels  etc.  die  Bank  nicht  in  Mitleiden¬ 
schaft  gezogen  wird.  Das  weit  vorstehende  Hauptgesims  ist 
durch  herausgestreckte  U-Eisen  gebildet,  die,  wie  alles  Eisenwerk 
der  Fassade,  blau  angestrichen  sind.  Auf  diese  Eisen  ist  dann 
ein  Zementbeton  gebracht  worden  und  die  Rinne  aufgelegt. 
Unter  dem  Gesims  zieht  sich  ein  angetragener  Fries  hin  mit  ein¬ 
gesetzten  Glasmosaikverzierungen  nach  dem  Patent  Wehling, 
von  dem  wir  in  Nr.  6  bereits  berichtet  haben.  Die  alten  Karia- 


thyden  der  Vorderfront  sind  im  Mittelteil  auf  Wunsch  der  Be¬ 
steller  leider  wieder  verwendet  worden.  In  die  ganze  Ein¬ 
fassungsmauer  der  Rückseite  ist  ein  10  Meter  breites  Loch  ge¬ 
brochen,  das  durch  ein  sehr  starkes  Gitter  geschlossen  ist.  Die 
arg  schmale  Strasse  und  der  Garten  erhalten  dadurch  wechsel¬ 
seitig  mehr  Luft  und  Licht.  Damit  der  Garten  nicht  durch 
Einbringen  von  Kohlen  beschmutzt  wird,  ist  darunter  her  ein 
Tunnel  bis  zur  Strasse  angelegt  worden.  Die  Kohlen  werden 
von  der  Strasse  direkt  in  diesen  Tunnel  geworfen  und  fort¬ 
geschafft.  Ebenso  werden  durch  diesen  Tunnel  Asche  und 
Schlacken  entfernt.  V 

V  Neben  Licht  und  Luft  wurde  auch  für  jede  andere  Bequem¬ 
lichkeit  bestens  gesorgt.  Jeder  Beamte  besitzt  in  den  geräu¬ 
migen  Garderoben  einen  eigenen,  praktisch  eingerichteten 
Schrank  für  Kleider,  Schuhe  u.  s.  w.  mit  durchbrochener  Tür¬ 
füllung.  Von  den  Garderoben  gelangt  man  in  den  Waschsaal 
und  den  Klosett-  und  Pissoirraum,  oder  direkt  durch  die  Neben¬ 
treppe  zu  den  Geschäftszimmern.  Alle  diese  Räume  sind 
gross  und  sauber  nach  englischem  Muster  angelegt.  Für  je 
vier  Personen  ist  ein  Waschbecken,  für  je  fünf  ein  Pissoirstand, 
für  je  acht  ein  Klosett  vorgesehen.  Die  Waschbecken,  mit 
Warm-  und  Kaltwasserzuleitung,  sind  möglichst  glatt  genommen, 
darüber  befinden  sich  Spiegel.  Die  Wasserleitungsrohre  sind 
exakt  angebracht  und  sichtbar  gelassen.  Die  Klosetts  haben 
nach  innen  schlagende  Türen,  die  immer  offen  stehen,  wenn 
das  Klosett  frei  ist.  Die  Türen  haben  unten  Luftraum  und 


G.  WEHLING  und  A.  LUDWIG,  DÜSSELDORF. 


A.  Schaaffhausenscher  Bankverein  Köln  a.  R.  Toiletteraum  der  Direktion. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


69 


sind  mit  der  oberen  Kante  1,60  m 
hoch.  Wird  das  Klosett  in  normaler 
Weise  benutzt,  so  genügt  diese  Tür 
vollständig  zum  Abschluss.  Die  Pis¬ 
soirs  sind  halbkreisförmige  Nischen 
aus  gebranntem  Ton  ohne  die  unprak¬ 
tischen  Becken.  —  Auch  ein  Früh¬ 
stückzimmer  ist  für  die  Beamten  ge¬ 
schaffen  worden;  kurz,  es  ist  alles 
getan,  um  das  Dasein  in  diesem  Hause 
der  Arbeit  zu  erleichtern.  V 

V  Mehr  in  diesen  wesentlichen  Vor¬ 
zügen  und  in  der  reinbaulichen  Arbeit, 
dem  glänzenden  Grundriss  und  dem 
Sinn  für  Komfort,  als  in  den  Eigen¬ 
schaften  des  Dekorateurs  scheinen 
uns  die  Vorzüge  Wehlings  bei  diesem 
grossen  Werk  zu  liegen.  Die  Orna¬ 
mentik,  die  sich  dem  Zuge  der  Zeit 
anschliesst,  hätte  sehr  viel  einfacher 
sein  können  und  trotzdem  den  Zweck 
nicht  weniger  gut  erreicht.  Ja,  das 
reiche  Material  wäre  dabei  vermutlich 
noch  besser  zur  Geltung  gekommen. 
Wie  Messel  bei  dem  Wertheim-Haus 
so  haben  Wehling  &  Ludwig  hier,  in 
dem  Wunsch,  die  Konstruktion  durch 
einen  symbolischen  Schmuck  zu  heben, 
zuweilen  mehr  verhüllt  als  geschmückt, 
um  den  Bestellern  die  moderne  Pille 


G.  WEHLING  und  A.  LUDWIG,  DÜSSELDORF. 

A.  Schaaff hausenscher  Bankverein  Köln  a.  R.  Beamtenclosetts  und  Pissoirs. 


ihre  schöne  Erfindung  Gefallen  der  Kölner  zu  erleichtern,  das  sich  nach  dem  Schmollen 
Vielleicht  war  es  nötig,  des  ersten  Augenblicks  immer  unverhohlener  zu  erkennen 
zu  versüssen  und  das  giebt.  Freuen  wir  uns  jedenfalls,  dass  sich  endlich  einmal  ein 

grosses  Institut  im  Herzen  derlndustrie 
gefunden,  das  tüchtigen  Baumeistern 
unserer  Zeit  eine  zeitgemässe  Aufgabe 
gab.  Es  ist  zu  wünschen,  dass  dieser 
Erfolg  die  merkwürdigerweise  noch 
immer  zurückhaltende  reiche  Industrie 
der  Rheinlande  und  Westfalens  veran¬ 
lasst,  an  dem  grossen  Nutzen  teilzuneh¬ 
men,  den  ihm  die  moderne  Baukunst 
Deutschlands  in  so  vielerlei  Art  und 
demWesen  der  Grossindustrie  rationell 
angemessen,  zu  bringen  vermag.  V 

Vitzthum. 


G.  WEHLING  und  A.  LUDWIG ,  DÜSSELDORF. 

A.  Schaaff  hausenscher  Bankverein  Köln  a.  R.  Stahlkammer. 


UNSERE  TAFELN. 

Tafel  65  Oberer  Teil  des  Treppenhauses 
(rechts). 

66  Vestibül  (rechts). 

67  Sitzungssaal  im  Erdgeschoss. 

68  Gartenfront. 

69  Grosse  Halle. 

70  Treppenhaus  (rechts). 

71  Unterer  Teil  des  Treppenhauses 

(rechts). 

„  72  Blaues  Sprechzimmer  im  1.  Stock. 

Die  Tafeln  67  und  71  sind  nach  der 
Natur  aufgenommen  und  aquarelliert  von 
G.  ROSSMANN,  Architekt,  DÜSSELDORF. 


70 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


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Grundriss  des  Erdgeschosses  vor  dem  Umbau. 


G.  WEHLING  &  A.  LUDWIG,  DÜSSELDORF. 

Grundrisse  des  A.  Schaaffhausenschen  Bankvereins  Köln  a.  R.  nach 
dem  Umbau. 


65 


— .  Bl 


66 


MÜNZ  4  GEISER,  STUTTGART. 


INV:  G.  WEHLING  &.  A.  LUDWIG, 


DÜSSELDORF 


68 


MÜNZ  4  GEI6ER,  STUTTGART 


INV:  G.  WEHLING  &  A.  LUDWIG,  DÜSSELDORF 


69 


STUTTGARTER  VEREl NS- SUCH DRUCKEREI. 

INV:  <3.  WEHLING  &  fl.  LUDWIG  •  DÜSSELDORF. 


70 


JULIUS  HOFFMANN, 
VERLAG, STUTTGART 


INV:  G.  WEHLING  &  A.  LUDWIG,  DÜSSELDORF 


71 


JULIUS  HOFFMANN  . 
VERLAG.  STUTTGART 


IMV:  Q.  WEHLINQ  &  A  LUDWIG 


DÜSSELDORF. 


72 


%3# 


▼ 


INV:  G.  WEHLING  &  A.  LUDWIG,  DÜSSELDORF 


JULIUS  HOFFMANN, 
VERLAG,  STUTTGART 


3AHRG-  MONAT/HEFTE  für  ARCHITEKTUR.  HEFT:  I 

H.  P.  BERLAGE. 


Es  hat  den  Anschein,  als  ob  Holland  der  modernen  Baukunst 
neue  Wege  weisen  wolle.  Nicht  dass  man  sonst  in  und  ausser 
Europa  müssig  zugesehen  hätte  —  England  und  Amerika  sind 
ja  in  der  gesamten  Bewegung  anerkanntermassen  zeitlich  voran¬ 
gegangen,  Belgien  hat  mächtig  experimentiert,  in  Deutschland 
haben  sich  viele  bemüht  —  aber  in  Holland  konnte  sich  in 
den  letzten  Jahrzehnten  aus  vielerlei  Gründen  manches  freier 
entwickeln  als  in  sämtlichen  Nachbarstaaten,  und  es  hat  sich 
nach  einer  sehr  besonderen  und,  wie  wir  glauben,  fruchtbaren 
Richtung  entwickelt.  Gar  vieles  muss  eben  Zusammenwirken 
zu  der  Zeiten  Reife:  ökonomische  Notwendigkeit,  Reaktion 
auf  vorhergegangene  Perioden,  Interesse  und  Bildungshöhe 
des  grossen  Publikums,  Einsicht  an  leitender  Stelle  sind  voraus¬ 
zusetzen,  und  schliesslich  lehrt  die  Geschichte  einen  immer 
wieder,  dass  dies  doch  nur  Faktoren  sind,  die  einzelnen  be¬ 
gabten  Menschen  den  Weg  bereiten,  dass  Positives  nach 
wie  vor  der  Kraft  weniger  Künstler  zu  verdanken  ist,  deren 
höher  entwickelter  Kombinationssinn  das  Gärende  zur  Klärung 
führen  kann,  deren  Geist  alles  das  beherrschend  erfasst,  was 
die  Menge  nur  ahnte.  Berlage,  glauben  wir  bestimmt,  ist  eine 
solche  Natur.  Er  hat  die 
zahlreichen  Anregungen  und 
Ansätze,  welche  sich  allent¬ 
halben  in  der  Architektur 
sowie  in  der  Malerei,  der 
Literatur,  Skulptur  und  Klein¬ 
kunst  boten,  verstanden,  die 
allen  gemeinsame  moderne 
Essenz  daraus  zu  destillieren 
vermocht,  seine  Kunst  damit 
von  neuem  verquickt  und  so 
dem  latentVorhandenen  greif¬ 
bare  Gestalt  gegeben.  Was 
ihm  das  Ausland  schenkte, 
machte  er  heimischer  Art 
dienstbar.  Siegreich  hat  er 
den  Feldzug  gegen  den  her¬ 
gebrachten  geistlos  akademi¬ 
schen  Kram  einerseits,  gegen 
den  schrankenlos  wütenden 
Kunstsnobismus  anderseits 
eröffnet  und  ist  kühn  fort¬ 
geschritten  vom  Wollen  zur 
Tat.  V 


V  In  Holland,  das  man  draussen  so  gerne  beneidet  um  seine 
gute,  feste  Tradition,  sah  es  mit  der  Baukunst  vor  20  Jahren 
ebenso  trostlos  aus  wie  im  ganzen  Kontinent.  Was  der  aus¬ 
ländische  Reisende  für  Tradition  ansehen  mochte,  war  im 
Grunde  Romantik.  Dass  er  irre  werden  konnte,  lag  nur  darin 
begründet,  dass  diese  holländische  Romantik  nicht  wie  sonst 
vielfach  zunächst  gotische,  sondern  von  Anfang  an  Renaissance¬ 
formen  bevorzugte.  Hier  zu  Lande  hatte  man  ja  keinen  Grund, 
das  Mittelalter  heraufzubeschwören.  Nicht  mit  dem  Rittertum, 
sondern  mit  dem  vermögenden  Patrizierstand,  nicht  mit  goti¬ 
schen  Kathedralen  und  finsteren  Burgen,  sondern  mit  grossen 
Bürgerpalästen  und  ehrsamen  Rathäusern  beschäftigte  sich  die 
romantische  Phantasie.  Aber  in  einer  Hinsicht  berührte  sie 
sich  mit  der  deutschen.  Was  sie  aus  alter  Kultur  herüber¬ 
nahm  und  besonders  bevorzugte,  war  nicht  das  Tiefwesentliche, 
sondern  die  auffallende  Äusserlichkeit.  Etwas  Dilettantisches 
haftet  diesen  Bauten  an,  etwas  Sinnlos-Gewolltes.  Nicht  in  Ver¬ 
hältnissen  und  Massen  ist  die  Verwandtschaft  gesucht,  sondern 
in  reichlich  verteilten  Schmuckformen.  Man  verzierte  auch 
hier  drauf  los;  verschnörkelte  Spitzgiebel  erhielten  an  jeder 

freien  Stelle  Cartouchen  und 
Obelisken,  Facettensteine  und 
Kugeln.  An  die  einfache 
Pracht  schlicht-solider  Back¬ 
steinfronten,  wie  sie  sich  noch 
heute  an  den  Grachten  man¬ 
cher  holländischen  Stadt  fin¬ 
den,  dachte  niemand  mehr. 
Und  doch  hatte  sich  dort 
wirklich  die  gute  Tradition 
bis  tief  ins  18.  Jahrhundert 
hinein  unversehrt  erhalten. 
Es  ging  genau  wie  in  Deutsch¬ 
land.  Das  Musterbuch,  das 
nur  Details  einzelner  aus- 
sergewöhnlicher  Elitebauten 
brachte,  hatte  den  Architek¬ 
ten  das  Skizzieren  und  Beob¬ 
achten  abgewöhnt,  und  das 
Schlimmste  und  zugleich  Tra¬ 
gikomische  dabei  war,  dass 
diese  Musterbücher  alsbald 
zum  grössten  Teil  aus  deut¬ 
scher  Werkstatt  kamen.  Frei- 


H.  P.  BERLAGE,  AMSTERDAM. 

Wohnhaus  Hymans  in  Groningen. 
_ ! 


72 


MODERNE  BAUEORMEN  III 


H.  P.  BERL.  y  Neue  Börse  in  Amsterdam. 

Cs 


lieh  ging  man  hier  zu  Lande  durch  das  gute  Material  un 
ein  immerhin  noch  etwas  holländisches  Gewissen  in  solch 
Dingen  geschickter  damit  um,  als  etwa  in  Düsseldorf  o 
München,  aber  jedem  etwaigen  Rest  einer  Tradition  mussten 
diese  blöden  Vorlagen  den  Todesstoss  geben.  V 

Ausser  solcher  bedenklichen  retrospektiven  Kunst  gab  es 
die  traurigen  Produkte  der  ganz  nüchternen  Bauspekulanten, 
denen  ein  Gebäude  nur  eine  Geldfabrik  ist,  deren  Vorzüge 
nach  der  Billigkeit  der  Herstellung  und  der  Höhe  der  zu  er¬ 
zielenden  Miete  gemessen  werden.  V 

V  Dann  kam  auch  hier  neues  Leben  und  ein  neues  Geschlecht. 
Zunächst  waren  es  junge  Maler  und  Literaten,  die  sich  darum 
kümmerten,  weil  es  ihnen  nicht  verborgen  bleiben  konnte, 
in  welch  schroffem  Gegensatz  die  frischentfaltete  Blüte  der 
Schwesterkünste  dieser  jämmerlichen  Maskerade  gegenüber¬ 
stand.  Der  Einfluss  der  neuen  kunstgewerblichen  Bewegung 
in  England  und  die  damals  immer  stärker  hervortretende  Ver¬ 
ehrung  des  einzigen  Mannes  in  Holland,  welchem  niemals  der 


Sinn  für  das  Grosse  und  Erhabene  gefehlt  hatte:  Cuypers, 
wirkten  zusammen  —  Cuypers  hatte  1882  das  „Rijks  Museum“, 
1885  den  Amsterdamer  Bahnhof  fertiggestellt  und  war  damit 
dem  Publikum  näher  getreten  als  durch  seine  katholischen 
Kirchenbauten,  an  denen  er  sich  geschult  hatte.  Seit  langer 
Zeit  sprach  und  schrieb  man  zum  erstenmal  wieder  über 
moderne  Architektur,  als  einer  Kunst,  die  dasselbe  Interesse 
verdient  wie  die  Malerei.  Es  wurde  gehadert  und  gelobt, 
verhöhnt  und  gepriesen,  es  bildeten  sich  Parteien.  Die  Basis, 
welche  ich  oben  andeutete,  war  gelegt.  V 

V  Aber  auch  Cuypers  war  am  Ende  ein  vorzüglicher  Roman¬ 
tiker.  Durch  Religion  und  Erziehung  nicht  dem  Stil  des 
17.  Jahrhunderts  zuneigend,  in  seinem  Herzen  überzeugter 
Gotiker,  gelang  es  ihm  nicht,  das  eigentlich  Holländische,  viel 
weniger  das  eigentlich  Modern-Holländische  zu  berühren.  Hol¬ 
ländisch,  calvinistisch,  puritanisch,  nüchtern,  glatt  und  schlicht 
konnte  er  nicht  sein,  modern  aber  wollte  er  nicht,  dass  man 
ihn  hiesse.  Er  ist  und  bleibt  der  Altmeister,  der  uns  zwar 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


73 


wiederum  gelehrt  hat,  seine  Kunst 
an  und  für  sich  als  eine  mächtige 
zu  ehren,  der  aber  von  den  vielen 
Strömungen  um  die  Jahrhundert¬ 
wende  unberührt  blieb.  —  V 

V  Nicht  so  Berlage.  Aufgewach¬ 
sen  in  der  Zeit  schlimmsten  Verfalls, 
als  niemand  ausser  Cuyper  einen 
Begriff  hatte  vom  Ziel  architekto¬ 
nischen  Strebens,  niemand  sonst  an 
die  Sempersche  Poesie  des  Raumes 
in  grossem  Sinn  dachte,  studierte  er 
am  Züricher  Polytechnikum  vor  allem 
„Italienische  Renaissance“.  Semper* 
sehe  Ideen,  aber  ohne  Sempers  Geist, 
regierten  damals  die  meisten  Hoch¬ 
schulen.  Da  war  vom  Palazzo  Pitti 
und  Strozzi  die  Rede,  wurden  Profile 
abgezeichnet  und  memoriert  und 
nach  bestandenem  Examen  reisten 
die  fleissigen  Schüler  heim  mit 
mancherlei  technischen  Kenntnissen, 
den  Kopf  voll  historischer  Erinne¬ 
rungen  und  mit  dem  erklärlichen 
Verlangen  —  diese  alsbald  zu  ver¬ 
werten.  Noch  heute  stehen  in  Am¬ 
sterdam  frühe  Bauten  von  Berlage, 
die  nichts  von  seiner  späteren  Art 
zeigen.  Da  arbeitete  er  noch  mit 
Kompositkapitellen  und  Renaissancegebälk,  versteckt  das  Eisen 
hinter  wuchtigen  Steinsimsen  und  verwendet  den  ganzen 


H.  P.  BERLAGE,  AMSTERDAM. 

Haus  der  Niederl.  Allg.  Lebensversicherungsgesellschaft  im  Haag. 


H.  P.  BERLAGE,  AMSTERDAM. 
Speisezimmer  aus  einem  Hause  in  Arnheim. 


Formenschatz,  auf  den  er  später  verzichten  wird.  —  V 

V  Die  80er  Jahre  brachten  die  Bekehrung.  Eine  subtile 

Gefühlskunst,  die  jeder  Konvention 
ewige  Feindschaft  predigte,  hatte  in 
Literatur  und  Malerei  gesiegt.  Wer 
fein  empfand  und  sich  dem  Zeitgeist 
nicht  entziehen  wollte,  musste  zur 
Einsicht  kommen.  Berlage  fühlt  sich 
dem  jungen  Geschlecht  verwandt,  er 
besinnt  sich  auf  das  Wesen  seiner 
Kunst.  Was  ihn  seine  Lehrer  nicht 
hatten  lehren  können,  das  errang  er 
sich  jetzt  durch  eigene  Arbeit.  V 
V  Im  Jahre  1892  baute  er  für  die 
„Allgemeine  Lebensversicherungs¬ 
gesellschaft“  das  erste  Haus  am 
Damrak.  Damals  kannte  man  ihn 
nur  im  engeren  Kreise.  Man  sprach 
von  ihm  wie  von  manchem  Kollegen 
in  Amsterdam,  schätzte  ihn  als  tüch¬ 
tigen  Praktiker  und  kümmerte  sich 
nicht  viel  um  seine  Kunstweise.  Dies 
jüngste  Gebäude  aber,  an  so  expo¬ 
nierter  Stelle,  dazu  noch  in  auffallen¬ 
dem  Material  (grauem  Sandstein) 
errichtet  zwischen  den  Backstein¬ 
bauten,  stellte  ihn  plötzlich  abseits 
von  seinen  zünftigen  Fachgenossen. 
—  Was  es  sein  mochte,  darüber 


74 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


H.  P.  BERLAGE.  AMSTERDAM. 
Eingang  der  Villa  Park  Wyck  in  Amsterdam. 


wurde  sich  das  Publikum  und  die  Kritik  damals  noch  nicht 
klar,  aber  es  war  etwas  an  diesem  Bau,  das  unerwartet  und 
deshalb  stimulierend  wirkte.  Die  reichprofilierten  Gesimse 
fehlten,  die  Cartouchen  waren  vergessen,  statt  von  schweren 
Konsolen  wurde  der  Balkon  nur  von  schmalen  Eisenträgern 
gestützt.  Die  Wände  waren  zu  glatt,  der  Raum  zwischen  den 
Fenstern  zu  kahl,  die  Silhouette  zu  stumpf,  kurz  es  schien 
hier  einer  abermals  neuern  zu  wollen,  und  das  liess  man  sich 
doch  nicht  ohne  weiteres  gefallen.  An  Cuypers  Kunst  hatte 
sich  die  offizielle  Kritik  gewöhnt,  ja  man  fing  im  protestan¬ 
tischen  Holland  an,  die  Religionsfrage  ausser  Spiel  zu  lassen, 
und  wagte  sich  sogar  daran,  die  Grossartigkeit  seiner  Entwürfe 
zu  bewundern,  und  nun  sollte  schon  wieder  etwas  anderes 
kommen.  Das  schlimmste  war  die  in  den  Augen  der  Menge 
ganz  absurde  Plastik,  die  mit  jeder  Tradition  im  Streit  schien. 
Der  Pelikan  oben  war  kaum  als  solcher  zu  erkennen,  behauptete 
man,  er  wirke  „nicht  natürlich“,  die  andern  Details  schalt  man 
ägyptisch  oder  indisch,  jedenfalls  aber  steif  und  unelegant. 
Offenbar  hatte  sich  der  Baumeister  in  Zijl  einen  Bildhauer 
ausgesucht,  der  wie  er  selbst  gegen  alles  Hergebrachte  revol¬ 
tieren  wollte.  Den  Feinden  dieses  neuen  Werks  leuchtete 
der  geistige  Zusammenhang  mit  der  damals  noch  heftig  be¬ 


fehdeten  jungen  Literatur  sofort  ein.  Viele  aber  fühlten 
doch  auch,  dass  hier  etwas  besonderes  geleistet  war.  Zum 
erstenmal  sah  man  auf  holländischem  Boden  ein  Haus,  dessen 
Stil  man  mit  der  üblichen  Nomenklatur  nicht  bestimmen  konnte. 
Hier  hatte  ein  Künstler  versucht,  sich  vom  Ballast  der  histo¬ 
rischen  Details  zu  befreien.  Was  er  von  der  alten  Kunst,  was 
er  auch  indirekt  vielleicht  von  Cuypers  gelernt  hatte,  war  die 
Einsicht,  dass  in  allererster  Linie  die  Wand,  die  Fläche  wieder 
zu  Ehren  kommen  müsse,  dass  eine  Mauer  nicht  durch  die 
Fülle  angeklebter  Verzierungen,  sondern  durch  rhythmische 
Gliederung  und  gute  Verhältnisse  der  Durchbrüche  zum  Kunst¬ 
werk  ausgestaltet  werden  könne.  Er  hatte  gelernt  zu  entsagen, 
und  es  war  ihm  gelungen,  einen  Bildhauer  zu  finden,  der 
etwas  anderes  konnte  als  mehr  oder  weniger  „chic“  im  alten 
Stil  arbeiten.  Zijl  hatte  lebendes  Gefühl  für  die  Plastik  in 
ihrer  Verbindung  mit  der  Architektur.  Auch  er  hatte  über 
sich  gebracht,  sich  zu  beherrschen,  sich  unterzuordnen.  Das 
Streben  nach  jener  schönen  Harmonie  der  alten  Baukunst,  in 
der  edle  Ruhe  waltete,  trat  hier  zutage.  Seit  jener  Zeit 
wusste  man  in  Holland,  was  Berlage  wollte,  er  hatte  sich 
selbständig  gezeigt  in  seinem  Suchen  nach  der  Schönheit  Küsten. 
Er  hatte  dem  Publikum  seinen  eigenen  Stil  gezeigt.  V 

V  Und  doch  war  das  Ganze  nur  ein  erster,  verhältnismässig 
schwacher  Versuch.  —  Das  Material  war  ungewöhnlich  und 
gestattete  freiere  Formgebung,  unholländische  Effekte.  Die 
Details  gehörten  zwar  keinem  streng  abgezirkelten  Formen¬ 
kreis  an,  aber  schliesslich  fiel  einem  doch  bei  näherer  Be¬ 
trachtung  allerlei  Anlehnung  auf:  Romanische  Tierkapitelle, 
halb  indisch-buddhistische  Konsolen,  frühmittelalterliche  Motive 
waren  nebeneinander  verwendet.  Hier  und  dort  war  Über¬ 
flüssiges  geschehen:  Träger,  die  nichts  trugen,  waren  deko¬ 
rativ  angebracht,  die  Ecklösung  mit  einem  Baldachin  wirkte 
überladen,  die  Disposition  der  Räume  schien  nicht  einwandfrei. 
Für  Berlage  bedeutete  dies  nur  einen  Anfang.  Er  wusste  nun, 
um  was  es  sich  handelte.  Durch  weitere  Aufträge  derselben 
Gesellschaft  im  Haag  und  in  Amsterdam  hatte  er  Gelegenheit, 
grosse  Backsteinbauten  auszuführen,  und  damit  kam  er  erst 
völlig  auf  heimischen  Boden.  Zunächst  sucht  er  auch  hier  nur 
die  ruhige  Wirkung  der  Fläche,  im  Kontrast  zur  beliebten 
Zierfassade,  zur  Geltung  zu  bringen.  Die  gerade  Linie,  bei 
starker  Betonung  der  Horizontalen,  dominiert.  Er  verbannt 
jeden  weichen  Schwung,  bricht  scharf  und  eckig  ab.  Kühne 
Backsteinbogen  tragen  das  Ganze,  massige  Brüstungen  be¬ 
krönen  Türme,  gedrungene  Zwerggalerien  durchbrechen  die 
obere  Wand.  Noch  bleibt  viel  vom  Alten,  wie  romanische 
Bogenfensterchen  mit  Säulenstellung  zeigen,  und  dazu  kommt 
etwas  Feierlichernstes,  verbunden  mit  der  drohenden  Wucht 
eines  alten  Herrschersitzes.  Berlages  Sympathien  für  die 
Zeiten  gewaltiger  nordischer  Architektur  leben  sich  aus.  Für 
uns  haben  diese  Bauten  entwickelungsgeschichtlich  hohen 
Wert  und  Interesse.  Immer  mehr  findet  sich  der  Meister. 
Mit  dem  Fassadenstil  hat  er  gebrochen,  jetzt  opfert  er  auch 
seine  historischen  Liebhabereien.  Logisch  und  rationell  soll 
alles  dastehen.  Kein  Zweifel  am  Zweck,  kein  Zweifel  an  der 
inneren  Einteilung  darf  aufkommen.  Die  unpraktischen  Zwerg¬ 
galerien,  die  romanischen  Schalllöcher,  so  bestechend  der  Reiz 
ihrer  prachtvollen  Schattenwirkung  auch  sein  möge,  sind  ihm 
fürderhin  sinnleere  Spielereien,  alte  Schwächen.  Er  wird  immer 


H.  P.  BERLAGE,  AMSTERDAM. 
Portal  von  der  Neuen  Börse  in  Amsterdam, 


H.  P.  BERLAGE,  AMSTERDAM. 

Treppenhaus  der  Niederl.  Allg.  Lebensuersicheriingsgesellschaft  zu  Leipzig. 


nicht  wie  Brücken,  Lokomotivschuppen  und  dergl.  zu  den  sog. 
reinen  Nutzbauten  gerechnet  werden.  V 

V  Dem  eigenen  Raumgefühl,  seinem  Talent  für  die  Wirkung 

der  Verhältnisse  hat  Berlage  in  diesen  imposanten  Hallen  ein 
glänzendes  Denkmal  gesetzt.  Noch  sind  die  früher  genannten 
Stileigentümlichkeiten,  das  Herb-eckige  der  Linie,  das  Mathe¬ 
matische  des  ganzen  Baukörpers  gewahrt,  aber  im  Vergleich 
zu  den  älteren  Bauten  ist  hier  vieles  feiner,  milder,  geschmei¬ 
diger  geworden,  abermals  legte  er  eine  Strecke  zurück  auf 
dem  einmal  gewählten  Pfad.  V 

V  Nach  diesem  Werk  wird  der  vorurteilsfreie  Beobachter 
Berlage  am  meisten  schätzen.  Wie  er  sich  trotz  aller  Fehler 
im  einzelnen  doch  im  grossen  und  ganzen  mit  dem  unregelmäs¬ 
sigen  Grundriss  abgefunden,  wie  er  sich  glücklich  bemühte, 
die  Zierform  aus  der  Konstruktion  zu  entwickeln,  und  wie  ihn 
doch  bei  allem  System  und  Theoretisieren  ein  feines  Gefühl 
leitete,  muss  sogar  einen  eingefleischten  Akademiker  treffen. 
Namentlich  das  letztere  ist  wichtig.  Es  steckt  System  in  diesem 
Bau,  ein  Grundprinzip  tritt  überall  hervor.  Das  Motiv  ist  ent¬ 
wickelungsfähig,  weil  ihm  nicht  bloss  eine  persönliche  Schrulle 
zu  Grunde  liegt,  sondern  unsere  heutigen  Zustände  und 


MODERNE  BAUFORMEN  III  I 


ernster  und  ehrlicher  mit  sich  selbst.  Die  kurze  Zeit,  in  der 
das  allgemeine  künstlerische  Leben  in  Holland  einen  gewaltigen 
Aufschwung  genommen,  verfliesst.  Das  Ziel  ist  erreicht,  neue 
Wege  sind  gefunden.  Andere  Interessen  treten  in  den  Vorder¬ 
grund.  Viele  Künstler  selbst  wenden  sich  allmählich  öko¬ 
nomischen  und  sozialen  Fragen  zu.  Statt  ,,1’art  pour  Fart“ 
heisst  es  jetzt  „l’art  pour  le  peuple“.  Zweckdienlich,  praktisch, 
logisch  ,  luxusfeindlich  ,  streng  soll  die  Kunst  sein.  Das  war 
die  Richtung,  deren  Reflexe  den  schon  früher  bewusst  dahin¬ 
steuernden  Berlage  berührten,  als  er  den  Auftrag  erhielt,  die 
Neue  Börse  zu  bauen.  V 

V  Die  Börse  ist  ein  kulturgeschichtliches  Monument  und  ent¬ 
hält  doch  zugleich  ein  Stück  Geschichte  eines  einzelnen  Künst¬ 
lers.  Hier  ist  nicht  der  Ort,  diesen  Bau  in  seinen  Teilen 
wieder  zu  behandeln.  Tugenden  und  Mängel,  beide  sind  be¬ 
dingt  durch  den  Drang  der  Zeit  und  die  Grenzen  der  Kraft 
eines  Individuums.  Die  Börse  in  Amsterdam  musste  so  kommen 
als  ein  Denkmal  des  Besten,  was  das  Ende  des  vergangenen 
Jahrhunderts  erstrebt  und  errungen:  Klarheit  und  Logik,  Be¬ 
freiung  von  der  Last  eines  Erbteils,  das  wir  nicht  erworben 
und  also  nicht  mit  Nutzen  besessen  haben,  Überwindung  der 
zimperlichen  Scheu  vor  den  Errungenschaften  neuer  Technik 
und  den  Möglichkeiten  neuer  Materiale,  auch  an  Bauten,  welche 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


H.  P.  BERLAGE,  AMSTERDAM. 

Sitzungssaal  der  Niederl.  Al/g.  Lebensversicherungsgesellschaft  zu  Amsterdam. 


Stimmung  des  Jahrhunderts,  der  Wis¬ 
senschaft,  der  sozialen  Reformen  und 
des  freien  Gedankens.  V 

V  Das  ist,  was  man,  ohne  in  tech¬ 

nische  Besprechungen  sich  zu  ver¬ 
lieren,  von  Berlage  sagen  kann.  Er 
mag  nicht  der  erste  gewesen  sein,  der 
so  dachte  und  arbeitete,  er  ist  der 
erste,  dem  es  gelang,  ein  grosses  Werk 
so  zu  vollbringen.  Nicht  mit  Worten 
und  kleinen  Ansätzen,  sondern  durch 
kräftige  Taten  bricht  man  dem  Neuen 
Bahn.  V 

V  Andere  werden  weiter  gehen.  Die 
sachgemässe  Kritik  hat  vieles  mit 
Recht  getadelt.  Einige  haben  ihm 
vorgeworfen,  dass  er  in  der  Sucht, 
nichts  zu  verbergen  und  alles  logisch 
zu  lösen,  vielfach  roh  und  schroff 
geworden  sei,  andere  wieder  meinten, 
es  hätte  sich  das  Problem  eleganter, 
weniger  verzwickt,  weniger  störrig 
lösen  lassen.  Er  selbst  wird  dies  am 
wenigsten  leugnen.  Aber  es  ist  besser, 
ein  Pionier  zu  sein  in  neuentdecktem 
Lande,  als  später  auf  glattem  Wege 
daherzukommen  und  zu  verbessern, 
was  schon  geschehen  ist.  Ausserdem 
kann  ein  Mann,  der  bis  heute  nicht 


Neigungen,  denen  darin  Rechnung 
getragen  wird.  Das  Prinzip  ist  streng 
und  mathematisch,  aber  es  ist  doch 
nicht  beengend,  weil  es  lebend  ist 
und  es  jeder  Künstler  selbst  ent¬ 
wickeln  kann.  Gerade  das  Allzu¬ 
mathematische  der  Gotik,  der  man 
nur  zu  oft  das  Ausgerechnete  und 
daher  Gefühllose  anmerkt,  ist  hier 
vermieden.  -  Das  Hauptsächliche  an 
der  Börse  sind  nicht  die  zahlreichen 
Schwächen  und  Fehler,  die  vielen 
weniger  glücklichen  Lösungen  und 
misslungenen  Details,  das  Hauptsäch¬ 
liche  ist  die  Zusammengehörigkeit 
mit  den  Erscheinungen  unserer  Zeit 
auf  anderem  Gebiet.  Stimmungskunst 
im  van  der  Veldeschen,  Olbrichschen 
Sinn  ist  dies  nicht.  Das  Zufällige  im 
Temperament  des  einzelnen  gehört 
nicht  hierher.  Der  Maler  mag  sich 
gehen  lassen ,  bald  melancholische, 
bald  tändelnd-frivole,  bald  feierliche 
oder  schwungvolle  Linien  schaffen, 
das  ist  für  die  Allgemeinheit  unfrucht¬ 
bar.  Hier  aber  zwischen  diesen  ehr¬ 
furchtgebietenden  Wänden,  glatten 
Pfeilern  und  weitspannenden  Eisen¬ 
bogen  umfängt  uns  die  weitmächtigere 


H.  P.  BERLAGE.  AMSTERDAM. 

Sitzungssaal  der  Niederl.  Allg.  Lebensversicherungsgesellsdiaft  zu  Amsterdam. 


Sp 

Pf  1 

MODERNE  BAUFORMEN  III 


77 


abliess  zu  ringen,  noch  manches  er¬ 
reichen,  und  wir  wissen  nicht,  wie 
sich  seine  Kunst  weiter  entfalten  wird. 

V  Berlages  Sinn  ist  aufs  Grosse  ge¬ 

richtet.  Er  fühlt  sich  frei,  wenn  er 
grossartige  Portale  schaffen  kann,  da¬ 
zu  gedacht,  einen  Menschenstrom 
gleichsam  saugend  zu  verschlingen, 
wenn  zwischen  Riesenwände  sich 
lichte  Bogen  spannen  und  der  Mensch 
im  Raum  verschwindet.  V 

V  Wenn  er  Wohnhäuser  bauen  soll, 
schadet  ihm  diese  Seite  seines  Talents 
mehr,  als  sie  ihm  nützt.  Was  dort 
kühn  und  stolz  erscheint,  wird  hier 
nur  zu  leicht  unwirtlich  und  schroff. 

Alle  seine  Schwächen  treten  dann 
stärker  hervor,  und  an  keinem  seiner 
kleineren  Häuser  finden  wir  dasselbe 
stärkende  Gefallen  wie  an  seinen 
grossen  Bauten.  Dennoch  muss  man 
auch  hier  bewundern,  wie  jeder  Teil 
von  neuem  durchdacht  und  durch¬ 
gearbeitet  ist,  der  gedankenlose  Ab¬ 
klatsch  vermieden,  das  strenge  Orna¬ 
ment  hübsch  und  dezent  verwertet 
wurde.  Das  beste  an  diesen  Villen 
und  Wohnbauten  aber  ist  die  Farbe. 

Lustig  und  eminent  holländisch  (man 
sehe  sich  nur  den  unverfälschten 
Anstrich  in  unsern  Dörfern,  Zaandam,  Volendam  etc.  darauf¬ 
hin  an)  ist  die  ungebrochene  Buntheit.  Die  krassen  Rot  und 
Blau,  auch  ein  starkes  Grün  sind  mit  dem  Backsteinton  oder 
dem  weissen  Putz  in  Einklang  gebracht.  —  Alles  wirkt  zum 
heitern  Gesamteindruck  mit:  die  blinkenden  Lattenzäune  der 


Grundriss  zu  Tafel  80. 


Gärten,  die  bunten  Türen  und  Läden,  das  rote  oder  gelbe 
Ziegeldach  oder  die  graue  Strohdecke,  alles  zeigt  jene 
gesunde  Farbenfreudigkeit,  die  sich  auch  im  Ausland  zum 
Glück  wieder  eingestellt  hat.  Innen  herrschen  Ruhe  und  die 
prächtige  Wirkung  echten  Materials,  eine  gewisse  Nüchtern¬ 
heit  auch,  die  zum  Holländer,  d.  h.  zur  unverdorbenen  Art, 
gehört  —  Sehnsuchtslinien  und  suggestive  Traumzimmer  in 
schillernden  Tönen  passen  nicht  zu  Berlages  Kunst,  die  weder 
für  verweichlichte  Dekadenten  noch  für  den  prahlenden  Par¬ 
venü  taugt.  Ob  er  heute  noch  eine  Backsteinwand  im  Zimmer 
unverkleidet  lassen  würde,  wie  er  es  früher  getan,  erfolgreich 
fürs  Auge,  aber  unangenehm  für  alle  Gefühlsassoziationen, 
möchten  wir  bezweifeln.  Darin  erkennt  man  doch  in  erster 
Linie  noch  die  kampfbereite  Reaktion  auf  den  papiernen 
Tapetenplunder.  Berlage  ist  zwar  mehr  als  bloss  ein  Neuerer 
aus  Hass  gegen  das  Bestehende,  aber  er  war  doch  schliesslich 
ein  Revolutionär,  und  so  hat  er  die  Übertreibung,  schon  aus 
Lust  den  Streit  zu  provozieren,  nicht  immer  vermieden.  V 
V  Was  man  auch  an  seiner  Kunst  rügen  möge,  das  eine  muss 
sich  doch  ein  jeder  vergegenwärtigen,  worauf  es  uns  vor 
allem  ankommt:  Sie  trägt  weder  die  verhüllende,  gotische 
Gugel,  noch  sonst  ein  geborgtes  Prachtgewand.  Der  Künst¬ 
ler  selbst  webte  ihr  das  schlichte  Ehrenkleid  unseres  Zeit¬ 
alters.  V 

Amsterdam.  Willem  Vogelsang. 


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MODERNE  BAUFORMEN  III 


UNSERE  TAFELN. 

V  Die  Nummern  73,  74,  75  und  76,  ein  T  -  'dhaus  und  seine 
innere  Ausstattung  nach  Entwürfen  von  A.  ,  Lindgren,  einem 
der  Mitglieder  des  finnischen  Architektentrios  GESELL1US, 
LINDGREN  &  SAARINEN,  HELSINGFORS,  stehen  im  Zu¬ 
sammenhang  mit  einem  Artikel  „Der  neue  Stil  in  Finnland“, 
den  wir  in  der  folgenden  Lieferung  zum  Abdruck  bringen 
werden.  Ein  weiterer  vollständiger  Wohnhausentwurf  wird 
neben  einer  Reihe  photographischer  Aufnahmen  nach  aus¬ 
geführten  Bauten  die  Abhandlung  begleiten.  V 


V  TAFEL  77.  FRITZ  SAMBALE,  MÜNCHEN  ist  der  Ur¬ 

heber  dieses  Einfamilienhauses,  das  unter  Wahrung  der  länd¬ 
lichen  Gesamterscheinung  doch  ein  gewisses  repräsentables 
Aeusseres  aufweist.  V 

V  TAFEL  78.  Nach  Entwürfen  von  MAX  BENIRSCHKE, 

DÜSSELDORF.  1.  Eingang  eines  Landhauses.  Material: 
Rauher  Putz  mit  eingelassenen  blauen  Kacheln,  Türumrahmung 
gelber  Sandstein,  Türe  und  Fensterrahmen  aus  Holz,  eisernes 
Dach.  2.  Eingang  eines  Gartenhauses.  Material  :  Rauhputz, 
grün  und  grau  gestrichene  Holz-Säulen  und  -Türe,  grün  gla¬ 
sierte  Ziegel,  eiserne  Träger  und  Beschläge.  V 

V  TAFEL  79.  1.  Grabkapelle  der  Familie  von  Porscheck  in 

Heilbronn.  2.  Grabkapelle  der  Familie  Wegner  in  Osnabrück. 
Erbaut  von  den  Architekten  BEUTINGER  &  STEINER,  HEIL¬ 
BRONN-DARMSTADT.  V 

V  TAFEL  80.  Landhaus  von  PAUL  BURCKHARDT,  BASEL. 

Hervorzuheben  ist  hier  die  reine  Belassung  der  einzelnen 
Materialien:  Bruchstein  und  Verputzmauerwerk,  rote  Ver¬ 
blender,  Holz  und  Eisen,  alles  ist  in  seiner  eigenen  Gestalt 
verbaut.  Darin  und  auch  in  der  reizvollen  Verteilung  der 
Massen  äussert  sich  ein  gesundes  Können.  V 


H.  P.  BERLAGE,  AMSTERDAM. 

Partie  aus  dem  Hofe  der  Neuen  Börse  in  Amsterdam. 


Grundrisse  zu  Tafel  77. 


. 


1 


INV:  FRITZ  SAMBALE  •  MÜNCHEN- 


INV:  MAX  BENIRSCHKE  DÜSSELDORF. 


79 


JULIUS  HOFFMANN, 
VERLAG, STUTTGART 


MÜNZ  &  GEIGER,  STUTTGART, 

INV:  BEUTINGER  &  STEINER,  HEILBRONN-DARMSTADT 


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INV:  PAUL  BURCKHARDT- BASEL- 


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DER  NEUE  STIL  IN  FINNLAND 


Dieselben  Kräfte,  die  im  letztverflossenen  Jahrhundert  in 
Europa  eine  so  tiefeingreifende  Umgestaltung  auf  dem 
Gebiete  der  Skulptur,  Malerei  und  Musik  hervorriefen,  haben 
auch  dazu  beigetragen,  bei  uns  in  Finnland  die  neue  Richtung 
in  der  Architektur  zu  schaffen:  es  sind  dies  die  zwei  mäch¬ 
tigsten  Strömungen  im  geistigen  Leben  des  XIX.  Jahrhunderts 
—  die  Nationalitätsidee  und  der  Realismus.  V 

V  Gestatten  Sie  mir  vorerst  einige  Worte  über  die  Nationa¬ 
litätsidee  zu  sagen.  Das  Zeitalter  der  Aufklärung  hatte  den 
Völkern  Europas  einen  Alles  nivellierenden  Geist  eingegeben ; 
eine  lichte  Verstandes-Humanität,  die  aller  Sinne  erfüllte, 
bewirkte  dass  alle  einander  verstanden,  erzeugte  eine  Ver¬ 
brüderung  zwar  nicht  der  Völker,  aber  der  gebildeten  Klassen. 
Jean  Jacques  Rousseau  war  kein  französischer  Philosoph,  er 
gehörte  der  ganzen  Menschheit  an.  Voltaire  —  ebenso  zu 
Hause  am  Hofe  zu  Sanssouci  wie  in  Paris  oder  Ferney, 
regierte  die  ganze  Welt  mit 
dem  Szepter  seines  Geistes 
und  Witzes.  Goethe  bewun¬ 
derte  Napoleon,  den  Unter¬ 
drücker  seines  Vaterlandes, 
und  nie  hat  ein  französischer 
Dichter  so  begeistert  den 
grossen  Korsen  besungen  wie 
Heinrich  Heine.  V 

V  Mit  einem  Wort,  die  Men¬ 
schen  von  dazumal  waren 
überall  zu  Hause  -  ausge¬ 
nommen  bei  sich  selbst.  Die¬ 
ses  änderte  sich  aber,  als  um 
die  Mitte  des  XIX.  Jahrhun¬ 
derts  die  Nationalitätsidee 
aufkam.  Das  Grundprinzip 
dieser  Idee  ist  ja,  dass  jedes 
Volk,  so  gering  es  auch  sei, 
versuchen  möge  eine  Eigen¬ 
art  zu  bewahren  und  zu  ent¬ 
wickeln  ,  denn  auch  das 
kleinste  Volk  ist  eine  Indi¬ 
vidualität  und  hat  als  solche 
gewiss  eine  Mission  in  der 
Weltgeschichte  zu  erfüllen. 

Ueber  dieBerechtigung  dieses 


Satzes  lässt  sich  wohl  nicht  streiten,  wenn  man  auch  zugeben 
muss,  dass  er  Europa  nervös  gemacht  hat.  Auf  dem  Gebiete 
der  Kunst  hat  dieser  Gedanke  gewirkt  wie  die  Frühlingsstürme 
im  Norden:  er  hat  die  glatten,  gleissenden  Eisflächen  der 
Schablone  gebrochen  und  hat  allüberall  neues,  frisches  Leben 
hervorgezaubert.  Ich  denke  hierbei  vor  allem  an  Wagners 
Musik,  an  Böcklins  Malerei,  an  Norwegens  Dichtung,  an  Frank¬ 
reichs  moderne  Skulptur,  an  Finnlands  neue  Architektur.  V 
V  Die  andere  der  grossen,  leitenden  Ideen  und  Strömungen 
in  unserem  Jahrhundert  war  der  Realismus.  Auch  die  Kunst 
war  in  der  ersten  Periode  des  letztverflossenen  Jahrhunderts 
in  Formalismus  ausgeartet.  David,  Thorwaldsen,  Canova, 
Winckelman  hatten  zwar  die  Kunst  aus  den  Banden  des  Ba¬ 
rocks  und  des  Rokoko  befreit  und  sie  geläutert,  verjüngt  den 
elyseischen  Feldern  des  Klassizismus  zugeführt.  Nun  aber 
waren  die  grossen  Meister  tot  und  die  Kunst  lief  Gefahr,  unter 

der  Kleinlichkeit  und  Unbe¬ 
deutendheit  der  Epigonen  zu 
ersticken.  Alles  hatte  sich 
auf  eine  gewisse  Manier  ver¬ 
steift,  überall  Nachahmung 
und  Schablone ,  nirgends 
frisches,  pulsierendes  Leben, 
nirgends  Eigenart,  urwüch¬ 
sige  Natur.  Da  kam  der  Rea¬ 
lismus  wie  ein  befreiender 
Sturm.  Wir  können  ja  zu¬ 
geben,  dass  dieser  Sturm  auch 
manches  Unheil  angerichtet, 
mehr  noch  als  die  Nationali¬ 
tätsidee,  aber  vieles  haben 
wir  dem  Realismus  zu  ver¬ 
danken.  Hier  sind  dieWurzeln 
des  neuen  Stiles  zu  suchen. 
V  Auf  dem  Gebiete  der 
Literatur  führte  der  Realis¬ 
mus  den  Künstler  wieder  der 
Natur  und  der  Wahrheit  zu 
und  ganz  ebenso  auf  dem 
Gebiete  der  Architektur.  Der 
Realismus  verlangte  von  der 
Baukunst  vor  allem ,  dass 
sie  natürlich  sei,  |das  heisst 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


GESELLIUS,  LINDGREN  &  SAARINEN,  HELSINGFORS. 
Wohnhäusergruppe  in  Helsingfors. 


Bauten  schaffe,  die  ihrer  Bestimmung  entsprechen  und  nicht 
etwas  anderes,  Fremdes  vorstellten,  wie  es  früher  gang  und 
gäbe  war  und  er  forderte  von  der  Baukunst,  dass  sie  wahr 
sei,  vor  allem  was  das  Material  betreffe.  Während  man  früher  sich 
edle  Steinarten  u.  s.  w.  —  wie  auf  dem  Theater  Vortäuschen  Hess, 
verlangte  man  jetzt  nur  echte,  unverfälschte  Ware,  mit  einem 
Wort  Natur.  Die  beiden  erwähnten  Ideen  haben  mit  ver¬ 
schiedener  Stärke  bei  verschiedenen  Völkern  gewirkt.  Italien 
hat,  unabhängig  von  seiner  grossen  nationalen  Zukunft,  sich  ganz 
dem  Idealismus  ergeben.  Dänemark  hat  sich  von  der 
Nationalitätsidee  beeinflussen  lassen ,  hat  sich  aber  lange 


gegen  den  Realismus  aufgelehnt,  ln 
Schweden  verhielt  es  sich  beinahe 
umgekehrt:  während  die  realistische 
Richtung  in  Literatur  und  Kunst  sich 
in  den  80ger  Jahren  machtvoll  Bahn 
brach,  hat  sich  die  Nationalitätsidee 
erst  vor  kurzem  merkbar  gemacht. 
Das  Land,  das  beide  Ideen  zu  kräftiger 
Blüte  brachte,  war  —  England. 
Hier  fasste  der  neue  Stil  zuerst  festen 
Boden.  Hier  entfaltete  er  sich  immer 
freier,  immer  prachtvoller  und  zeitigte 
eine  unübersehbare  Menge  wunder¬ 
voller  Bauten.  Von  hier  aus  hat  er  sich 
über  die  ganze  Welt  verbreitet. 
Belgien,  Holland,  Deutschland 
und  Oesterreich  griffen  die  frem¬ 
den  Anregungen  auf,  sie  je  nach 
ihrer  Eigenart  weiterbildend.  Aber 
es  verging  eine  geraume  Zeit,  ehe 
man  auf  dem  Kontinente  die  neue 
Architektur  entdeckte.  Dies  war  ganz 
natürlich,  denn  bisher  hatte  man  beob¬ 
achtet,  dass  ein  neuer  künstlerischer 
Ausdruck  sich  nur  dann  Bahn  brechen 
und  die  Völker  erobern  konnte,  wenn 
Frankreich  sich  seiner  bemächtigt, 
ihn  „lanciert“  hatte.  Die  Franzosen 
aber  sind  bekanntlich  ein  sehr  kon¬ 
servatives  Volk  und  hegen  ein  tiefes, 
oft  geradezu  unüberwindliches  Miss¬ 
trauen  gegen  neue  Ideen,  die  nicht 
ihrem  eigenen  Boden  entsprossen 
sind.  Hierzu  kommt,  dass  Frankreich 
auf  eine  reiche  und  ruhmvolle  Ge¬ 
schichte  der  Baukunst  zurückblicken 
kann.  Ein  Land,  das  so  viele  und 
schöne  Stilarten  geschaffen  wie  Frank¬ 
reich,  war  selbstverständlich  wenig 
geneigt,  sich  sofort  zu  einem  neuen, 
von  aussen  importierten  Stil  zu  be¬ 
kennen.  Bis  heute  gibt  es  auch  auf 
französischem  Boden  erst  wenige 
Merkzeichen  einer  gesunden  neuen 
Baukunst.  V 

V  Ganz  anders  lagen  die  Dinge  in 
den  Ländern,  deren  Kultur  von  gestern 
ist  und  die  von  jeher  gewohnt  sind,  ihre  Kulturmittel  aus  dem 
Auslande  zu  beziehen.  Dies  war  der  Fall  in  Finnland,  das  keine 
Traditionen  auf  dem  Gebiete  der  Architektur,  keine  Akademie 
und  keine  erdrückenden  Vorbilder  besass.  Was  Wunder,  dass 
ein  neuer  Stil  hier  fruchtbaren  Boden  fand  und  dass  neue  Ideen 
hier  alsbald  kräftig  sich  ausbreiteten.  V 

V  Ich  sagte  soeben:  keine  Traditionen,  keine  Vorbilder.  Da¬ 
mit  verhält  es  sich  so:  die  'Baukunst  ist  bisher  in  Finnland 
sehr  stiefmütterlich  behandelt  worden.  Die  Mehrzahl  der 
Privathäuser  in  Finnland  ist  bis  auf  den  heutigen  Tag  aus 
Holz,  von  unscheinbarem,  einförmigem  Aeussern.  Der  finnische 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


Bauernstand  hat  keinen  architekto¬ 
nischen  Stil  geschaffen,  nur  eine 
spärliche  Ornamentik.  Während  der 
schwedischen  Herrschaft  wurden  hier 
wohl  einige  Burgen  und  Kirchen 
gebaut,  so  in  Abo,  in  Wiborg,  Ta- 
vastehus,  Nyslott,  aber  diese  Bauten 
sind  ziemlich  einfacher,  wenig  be¬ 
merkenswerter  Konstruktion  mit  An¬ 
klängen  an  den  romanischen  Stil. 

Das  eigentümlichste  für  Finnland 
sind  vielleicht  die  hier  und  da  auf 
dem  Lande  vorkommenden,  meist  aus 
dem  Mittelalter  stammenden  kleinen 
Kirchen  aus  groben,  grauen  Stein¬ 
blöcken  aufgeführt  und  mit  einem  sehr 
hohen  und  spitzen  Dach  versehen, 
was  diesen  Bauten  inmitten  der  sie 
umgebenden  Landschaft  ein  male¬ 
risches  Aussehen  verleiht.  V 

V  Im  Anfänge  des  vorigen  Jahrhun¬ 
derts  führte  ein  deutscher  Architekt 
namens  Engel  den  pseudoklassischen 
Stil  ein,  von  dem  mehrere  öffentliche 
Gebäude  in  Helsingfors  so  z.  B. 
der  Senat  und  die  Universität  —  zeugen. 

Später,  besonders  im  Laufe  der  80er 
Jahre  kamen  andere  Stilarten  auf,  vor 
allem  die  modernisierte  italienische 
Renaissance, die  sich  dannbesonders  in 
Helsingfors  ausbreitete.  Was  das  Ma¬ 
terial  betrifft,  so  kamen  bisher  merk¬ 
würdiger  Weise  die  einheimischen 
Steinarten  nur  wenig  —  bei  Fassaden 
gar  nicht  —  zur  Anwendung  und  doch 
strotzt  das  Land  von  Granit.  Erst  vor 
kurzem  liess  eine  hiesige  Bank  die 
Fassade  ihres  Hauses  ganz  mit  Granit 
bekleiden  und  eine  andere  Bank  wen¬ 
dete  zu  demselben  Zwecke  heimische 
Sandsteine  an.  V 

V  Um  die  Zeit  der  letzten  Pariser 
Weltausstellung  machte  sich  eine  neue 
Richtung  in  der  finnländischen  Archi¬ 
tektur  deutlich  bemerkbar.  Das  Ver¬ 
dienst  hierzu  gebührt  dem  Künstler¬ 
trio  Gesellius,  Lindgren  &  Saarinen, 

das  kühn  mit  den  Traditionen  und  der  Schablone  brach,  um  in  dem 
finnländischen  Pavillon  der  Welt  eine  neue  Spielart  der  Baukunst 
zu  zeigen.  In  der  Tat:  das  Gebäude  erinnerte  wirklich  in  keinem 
Zuge  an  bekannte  Architekturformen.  Alles  daran  war  neu,  ur¬ 
sprünglich,  wie  aus  der  Erde  gewachsen,  an  eine  entschwundene 
oder  ferne  Kultur  erinnernd,  die  sich  eben  aus  der  Barbarei  empor¬ 
gerungen  hat.  Breit  und  einfach  war  der  Umriss,  ländlich  und 
bäuerlich  das  Ornament,  wie  es  einem  Hause  geziemt,  das  ein 
hauptsächlich  von  Bauern  bevölkertes,  weltentrücktes,  auf  weiten 
Strecken  wenig  kultiviertes  Land  repräsentieren  soll.  Wie 
originell  war  das  Dekor  mit  seinen  der  Fauna  und  Flora  des 


GESELLIUS,  LINDGREN  &  SAARINEN,  HELSINGFORS. 
Wohnhäusergruppe  in  Helsingfors. 


Landes  entnommenen  Motiven:  den  Bären,  Eichhörnchen  und 
Fichtenzweigen.  V 

V  Schon  an  diesem  Gebäude  treten  die  charakteristischen 

Merkmale  der  neuen  Richtung  zu  Tage:  die  Vorliebe  für  das 
Primitive,  das  Archaistische  und  Nationale,  sowie  für  natür¬ 
liches  Material  —  eine  glückliche  Mischung  der  oben  betonten 
Strömungen  —  des  Nationalismus  und  Realismus.  V 

V  Nach  den  oben  angedeuteten  Entwickelungslinien  der  finn¬ 
ländischen  Baukunst  wird  man  es  natürlich  finden,  dass  eine 
Richtung  der  Architektur,  die  bei  uns  national  sein  will,  durch¬ 
aus  archaistisch  werden  muss,  denn  die  wenigen  Bauten  älterer 


MODERNE  BAUEORMEN  III 


GESELLIUS,  LINDGREN  &  SAARINEN,  HELSINGFORS 
Wohnhäusergruppe  in  Helsingfors. 


Zeit  hier  zu  Lande  stammen  ja  aus  dem  frühen  Mittelalter. 
Diese  Bauten  sind  es,  die  sich  im  Laufe  der  Jahrhunderte  so 
dem  allgemeinen  Bewusstsein  eingeprägt  haben,  dass  man  ihre 
Bauart  als  national,  als  einheimisch  empfindet.  Der  Künstler 
brauchte  nur  dem  Ganzen  noch  einen  ländlichen,  an  die  Wälder 
Finnlands  erinnernden  Charakter  zu  verleihen  und  der  „natio¬ 
nale  Stil“  war  da,  war  buchstäblich  „aus  dem  Boden  gestampft“. 
Man  wird  sagen,  das  sei  das  „Ei  des  Columbus“.  Ganz  recht, 
aber  alles  Bedeutende,  besonders  die  grossen  Entdeckungen, 
nehmen  sich  hinterher  immer  so  aus.  Man  muss  nur  ver¬ 
stehen  auf  die  Idee  zu  verfallen,  und  das  hat  das  Künstlertrio 
Gesellius,  Lindgren  und  Saarinen  im  rechten  Augenblicke 
getan.  Deswegen  stehen  sie  jetzt  auch  an  der  Spitze  der 
neuen  Bewegung  auf  dem  Gebiete  der  finnländischen  Baukunst. 

Helsingfors.  J ■  Ahrenberg. 


UNSERE  TAFELN. 


V  Im  Anschluss  an  den  im  Heft  10  veröffentlichten  Landhaus¬ 

entwurf  (Tafel  73 — 76)  von  den  Architekten  GESELLIUS, 
LINDGREN  &  SAARINEN,  HELSINFORS,  geben  wir  heute 
ein  zweites  Projekt  der  gleichen  Künstler,  das  im  Laufe  des 
kommenden  Jahres  bei  Moskau  erbaut  werden  soll.  Und  zwar 
stammen  diesmal  Entwurf  und  Ausführung  sämtlicher  Blätter 
(Tafel  81,  82,  83,  84,  85,  86)  von  Eliel  Saarinen.  V 

V  Die  bodenständige  Eigenart,  die  den  Lindgrenschen  Studien 
eigen  ist,  spricht  auch  aus  den  Bildern  von  Saarinen;  aber 
dieser  lässt  bei  aller  Liebe  für  die  heimische  Ueberlieferung 
und  bei  aller  Herbheit  ihrer  Formgebung  schon  mehr  das 
Streben  nach  Verfeinerung  und  auch  manche  Verarbeitung 
fremdländischer  Anregungen  erkennen.  In  dem  Lindgrenschen 
Hause  mit  seinen  aus  unbehauenen  Stämmen  gefügten  Wänden 
und  dem  auch  in  den  Innenräumen  stets  sichtbar  gelassenen 
Balkenwerk  hat  die  bäuerisch  primitive  Konstruktion  lediglich 
reichliche  ornamentale  Bemalung  erhalten.  Saarinen  geht 
weiter;  er  begnügt  sich  nicht  mehr  mit  der  verzierenden 
Malerei;  er  greift  zum  Schnitzmesser,  zu  Intarsien,  zu  ge¬ 
stickten  und  gewebten  Wandbekleidungen  und  ähnlichen  deko¬ 
rativen  Mitteln  und  stattet  damit  seine  noch  immer  einfachsten 
Konstruktionsformen  aus.  Den  Charakter  des  Holzhauses 


GESELLIUS,  LINDGREN  &  SAARINEN.  HELSINGFORS. 
Portal  von  der  Wohnhäusergruppe  in  Helsingfors. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


GESELL!  US,  LIN  DÜREN  &  SAARINEN,  HELSINGFORS. 
Einfahrtstor  eines  Hauses  in  Olafsborg. 


behält  auch  er  noch  unverändert  bei.  Dagegen  ist  er  in  der 
Farbe  vielseitiger  und  frischer.  Als  am  besten  gelungen  darf 
wohl  die  warm  getönte  Halle  (Tafel  82  u.  86)  bezeichnet  werden 
und  das  ganz  in  Grün  und  Grau  getauchte  „Studio“  (Tafel  85). 


GESELLIUS,  LINDGREN  &  SAARINEN,  HELSINGFORS. 
Schrank  im  Direktionszimmer  der  Versicherungsgesellschaft 
„Poljola“  in  Helsingfors. 


PROFESSOR  HERMANN  BILLIN G,  KARLSRUHE. 
Portal  der  Handelsschule  Kirchheim  u.  Teck. 


Das  Aeussere  des  Baues  ist  wiederum  rein  national  in  Form 
und  Material.  Das  Grundmauerwerk  von  unbearbeiteten  Granit- 
Bruchsteinen  geht  in  verputztes  Mauerwerk  über.  Turm  und 
Säulen  sind  ver^chindelt  und  bilden  dadurch  einen  eigenartigen 
Uebergang  zum  ziegelgedeckten  Dache.  V 

V  Im  übrigen  sprechen  unsere  Abbildungen  mehr  als  Worte 

vermögen;  wir  überlassen  es  daher  dem  Beschauer,  selbst  auf 
die  zahlreichen  Feinheiten  und  reizend  erfundenen  Kleinig¬ 
keiten  zu  kommen,  die  alle  in  den  Bildern  stecken.  V 

V  TAFEL  87.  Professor  HERMANN  BILLING ,  KARLS¬ 

RUHE,  gebührt  das  Verdienst,  uns  in  der  neuen  Handelsschule 
in  Kirchheim  u.  T.  (Württbg.)  wieder  ein  von  der  erstarrten 
Form  der  letzten  Jahrzehnte  befreites  Schulhaus  gegeben  zu 
haben.  Weisse  Putzflächen  mit  graugelben  Kunstsandsteinen, 
weisses  blau  ornamentiertes  Holzwerk,  ein  gelb  beschindelter 
Giebel  und  ein  rotes  Biberschwanzdach:  also  durchaus  übliche 
Materialien  sind  es,  womit  die  glückliche  Wirkung  erzielt  wird. 
Besonders  geglückt  ist  das  Portal  mit  der  in  Eisen  geschmie¬ 
deten  Türe.  V 

V  Auf  TAFEL  88  bringen  wir  einen  pikant  dargestellten  Ent¬ 
wurf  zu  dem  Hause  eines  Junggesellen  von  dem  Architekten 
OTTO  SCHÖNTHAL,  WIEN.  Die  sonst  ein  wenig  über¬ 
raffinierte  Kunst  Schönthals  ist  diesmal  dem  Thema  entsprechend 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


GESELLIUS,  LINDGREN  &  SA  AR  IN  EN.  HELSINFORS. 

Schlafzimmer  und  Grundrisse  des  Landhaus-Projektes  von  Eliel  Saarinen  (Tafel  81 — 86). 


MO 


Grundrisse  zu  Tafel  88. 


BEDBOGti  EJOOR  PIrtK 


gemässigt  und  arbeitet  mit  bescheidenen  Mitteln,  die  aber 
immerhin  mit  viel  Geschick  ausgenützt  sind.  V 

vvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvwvvvvvvvvv 

V  FÜNFHÄUSER-GRUPPE  IN  LUDWIGSBURG,  nach  den 
Plänen  von  FR.  HAUSSER  erbaut  vom  Baugeschäft  Christian 
Hausser  in  Ludwigsburg.  In  dem  Bestreben,  billige  Ein¬ 
familienhäuser  bei  gediegener  Ausstattung  zu  schaffen,  wurden 
zwei  Typen  gewählt;  das  eingebaute  Reihenhaus  und  das 
Eckhaus  mit  Mietwohnung  im  Erdgeschoss  und  Einfamilien¬ 
wohnung  in  den  zwei  Stockwerken  darüber,  wobei  nur  der 


Eingang  und  das  Erdgeschoss  ge¬ 
meinsam  sind.  Die  Gruppe  besteht 
aus  zwei  Eckhäusern  und  drei 
Reihenhäusern  mit  wechselnder 
Grundrisseinteilung.  Das  Sockelge¬ 
schoss  enthält  die  Wirtschaftsräume ; 
über  dem  Hauptwohnstock,  dem 
Erdgeschoss,  liegen  im  ersten  Stock 
die  Schlaf-,  Bade-  und  Kinderzimmer 
und  im  Dachstock  die  Fremden¬ 
zimmer  und  Gesindestuben.  Die 
Fläuser  sind  durchweg  in  massiver 
Bauart  von  neuartigem  Hohlback¬ 
steingemäuer,  die  Decken  bis  unter 
das  Dach  in  Betoneisen-Schwemm¬ 
stein  ausgeführt.  Zentralwarmwasser¬ 
heizung  und  Warmwasserbereitungs¬ 
anlage,  Gaskamine,  Eichen-Parkett- 
böden  und  Inlaid  -  Linoleum  auf 
Gipsestrich  erhöhen  die  Bequem¬ 
lichkeit  der  Innenausstattung.  Im 


Grundriss  zu  Tafel  87. 


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- 

J  UM  ZIMMER. 

nnvEMtlSTtR. 

FR.  H AUSSER.  LUDWIGSBURG. 

Fimfhäuser-Gruppe  an  der  Bismarckstrasse  in  Ludwigsburg  (Wiirttbg.). 


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Aeussern  wurde  versucht,  durch  Aufteilung  der  Baumasse 
und  durch  sparsame  Gliederung  die  einzelnen  Häuser  für  sich, 
nach  ihrer  Verwendung  und  doch  alle  zusammen  wieder  als 
ein  Ganzes  erscheinen  zu  lassen.  Den  bescheidenen  Mitteln 
entspricht  die  Anwendung  einer  flotten  Putztechnik,  die  nament¬ 
lich  in  der  Nähe  zur  Geltung  kommt.  Hinter  jedem  Haus  ist 


ein  kleiner  von  dem  Sockelgeschoss  zugänglicher  Wirtschafts¬ 
hof  mit  dahinter  liegendem  Garten,  der  auch  vom  Wohnstock 
aus  betretbar  ist.  Der  Versuch  zeigt,  dass  mit  derartigen 
einzelnen  Baugruppen  die  Möglichkeit  gegeben  ist,  die 
Vorzüge  der  freien  und  geschlossenen  Bauweise  zu  ver¬ 
einen.  V 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


C.  F.  W.  LEON  HARDT,  FRANKFURT  A.  M. 
Entwurf  zu  dem  Wohn/iause  eines  höheren 
Beamten  einer  Provinzial  -  Hauptstadt.  Die 
Ausführung  sieht  in  den  verputzten  Mauer¬ 
flächen  einzelne  rote  Sandsteinwerkstücke  vor, 
wie  Säulchen,  Tragsteine,  Fensterkreuze  u.  s.  w. 
Das  Holzwerk  ist  farbig  lasiert  und  das  Dach 
mit  Schiefer  eingedeckt ,  womit  auch  zum  Teil 
die  Giebel  bekleidet  sind. 


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81 


Art  aast  et ml  huchpanz  Stuttgart 


JULIUS  HOFrMflNN- 
VERLAS  STUTTGART 


INV:  GESELLIUS  •  LINDGREN  Sc  SAARIN  EN  •  HELSINGFORS- 


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STUTTGARTER  VEREINS-8UCH0RUCKERE1 


INV. :  OTTO  SCHÖN1THRL,  WIEN. 


DAS  NEUE  THEATER  IN  DORTMUND. 


Nimmer  entbehre  die  strebende  Stadt  der  veredelnden  Künste! 
Opferfreudiger  Sinn  baute  den  Musen  dies  Heim. 


Mit  diesen  Weiheworten  griisst  uns  Dülfers  neuestes  Werk 
vom  Giebelfeld  des  Vorbaues.  „Die  strebende  Stadt.“ 
Wie  weise  gewählt!  Vor  hundert  Jahren  ein  Städtchen  von 
kaum  viertausend  Seelen  und  heute  eine  der  bedeutendsten 
Industriestädte  Deutschlands,  die  in  einem  staunenswerten 
Aufschwung  zu  einer  Einwohnerzahl  von  rund  170000  ange¬ 
wachsen  ist.  Es  liegt  etwas  Beängstigendes  in  solchen  nackten 
Zahlen,  nicht  zum  wenigsten 
beängstigend  auch  für  ein  er- 
spriessliches  Gedeihen  der 
Künste.  Wie  oft  mussten  ihre 
zarten  Keime  im  Rauche 
eines  qualmenden  Essenwal¬ 
des  ersticken.  Aber  dass 
Dortmund  nicht  seiner  im¬ 
merhin  bedeutenden  künst¬ 
lerischen  Vergangenheit  ver- 
gass,  welche  seine  Reinoldi-, 
die  Dominikaner-  und  die 
Marienkirche  geschaffen,  wel¬ 
che  uns  so  tüchtige  Maler 
wie  die  Gebrüder  Dünwegge 
schenkte  und  welche  die 
Stadt  zu  dem  berühmtesten 
Stapelplatz  belgischer  Erz¬ 
kleinkunst  im  Mittelalter  er¬ 
hob,  dafür  ist  das  neue 
Theater  ein  mächtiger  Zeuge. 

An  Stelle  eines  dem  Aufent¬ 
halt  der  Musen  unwürdigen 
Gebäudes  hat  Dortmund  aus 
dem  Kreise  seiner  opferfreu¬ 
digen  Bürger  heraus  ein 
prächtiges  Haus  zum  Musen¬ 
tempel  sich  geschaffen,  das 
—  es  darf  getrost  ausgespro¬ 
chen  werden  —  keinen  Ver¬ 
gleich  mit  dem  Theater  irgend 
einer  anderen  deutschen  Stadt 


forderung  zu  einem  Wettbewerb  für  das  neue  Theater,  zu  dem 
sämtliche  Dortmunder  Architekten  zugelassen  und  noch  eine 
Anzahl  von  Fachmännern,  welche  sich  auf  dem  Gebiete  des 
Theaterbaues  schon  einen  gewissen  Ruf  erworben  hatten,  ein¬ 
geladen  worden  waren.  Das  Preisgericht,  zu  welchem  Ge¬ 
heimer  Baurat  Wallot-Dresden,  Geheimer  Baurat  Schmieden- 
Berlin,  Baurat  von  der  Hude-Berlin,  Obermaschinenmeister 

Brandt-Berlin,  sowie  die  Mit¬ 
glieder  der  DortmunderThea- 
terkommission  zählten,  be¬ 
schloss  auf  Grund  eines  ab¬ 
geänderten  Bauprogrammes 
einen  zweiten  engeren  Wett¬ 
bewerb  zwischen  den  Siegern 
im  ersten  Kampfe:  Moritz, 
Dülfer  und  Fellner  &  Hel¬ 
mer,  der  zugunsten  des  Pro¬ 
jektes  Dülfer  ausfiel.  Am 
l.Juli  1902  begannen  die  Erd-, 
im  Frühjahr  1903  die  eigent¬ 
lichen  Bauarbeiten,  nachdem 
diesämtlichen  Entwurfszeich¬ 
nungen,  Kostenanschläge  und 
Konstruktionsberechnungen , 
auf  Grundlage  deren  der  Ver¬ 
trag  mit  der  Stadtvertretung 
zum  Abschluss  kam,  beendigt 
waren.  Dülfers  Projekt  hat 
bis  zu  seiner  endgültigen  Ver¬ 
wirklichung  mehrere  nicht 
unwesentliche  Wandlungen 
durchgemacht,  auf  welche 
alle  hier  einzugehen  der 
Raum  nicht  gestattet.  Eines 
wichtigen  Punktes  des  ersten 
Projektes  werden  wir  weiter 
unten  gedenken.  Als  be¬ 
sonders  glücklich  schon  in 
der  zweiten  Bearbeitung  des 
Dülferschen  Projektes  und  in 
der  endgültigen  Ausführung 
heben  wir  die  Anlage  des 


zu  scheuen  braucht.  V 

V  Im  Juni  1901  erliess  der 
Magistrat  Dortmund  eine  Auf- 


PROFESSOR  MARTIN  DÜLFER,  MÜNCHEN. 
Theater  in  Dortmund,  Hauptfoyer. 


88 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


Verwaltungsflügels  hervor,  welcher  sich  in  bogenförmiger 
Grundrissform  direkt  an  das  Bühnenhaus  anschüesst,  ferner 
die  höchst  zweckmässige  Verbindung  des  Kulissenmagazins 
mit  der  Bühne  durch  Zwischenschiebung  einer  Art  Neben¬ 
bühne,  die  eine  günstige  rasche  Erledigung  von  szenischen 
Vorarbeiten  ermöglicht.  Und  schliesslich  bezeugt  ein  Blick 
auf  den  Grundriss  die  geschickte  Ausnützung  der  Boden¬ 
verhältnisse  und  die  subtile  Verbindung  der  einzelnen  Bau¬ 
trakte  untereinander.  Wenn  man  die  einzelnen  Projekte 
miteinander  vergleicht,  so  kann  man  wohl  verfolgen,  wie 
Dülfer  mit  dem  Einleben  in  die  Aufgabe  stetig  erstarkte, 
wie  er  in  technischen  wie  in  künstlerischen  Fragen  zu  immer 
klareren  präziseren  Formen  sich  steigerte,  kurzum  sich  selbst 
stets  übertraf.  Dülfers  neues  Stadttheater  in  Dortmund  ist 
ein  abgeklärtes,  durchaus  reifes  Kunstwerk.  V 

V  Den  ersten  Eindruck,  den  der  Beschauer  beim  Anblicke 
des  Theaters  von  der  Hauptschauseite  an  dem  Hiltropwall  ge¬ 
winnt,  ist  der  einer  absolut  selbständigen  Ausdrucksweise. 


Freilich  nicht  in  dem  Sinne  vollständiger  Negierung  der  histo¬ 
rischen  Stilarten,  sondern  im  Sinne  einer  weisen  Wahl  an¬ 
passungsfähiger  Elemente,  die  jedoch  niemals  in  ängstlich¬ 
sklavischer  Weise  nachgebildet  erscheinen,  sondern  nur  als 
lebensfähige  Keime  neuer  Aus-  und  Umbildungen  dienten. 
Ruhige,  sachliche  Erwägungen  führten  Dülfer  man  möchte 
sagen  zwanglos  zu  einer  Gestaltung  des  Aussenbaues  im 
Geiste  einer  neuen  Antike.  Er  meditiert:  „Ein  Theater  hat 
im  wesentlichen  nur  in  den  Abendstunden  seinen  Zweck  zu 
erfüllen,  es  muss  daher  eine  Formgebung  erhalten,  die  von 
den  Gepflogenheiten,  wie  sie  uns  traditionell  aus  den  architek¬ 
tonischen  Musterwerken  für  Paläste  oderähnlichen  Prunkbauten 
geläufig  sind,  sich  entfernt.  Öffnungen  zum  Einlass  des  Tages¬ 
lichts  sind  deshalb  nur  soweit  als  nötig  anzubringen.  Gerade 
das  Masshalten  in  den  Lichtöffnungen  bietet  aber  auch  die 
Möglichkeit,  grosse  Mauerflächen  zu  bilden,  die  nicht  un¬ 
wesentlich  dazu  beitragen  eine  monumentale  Wirkung  zu  er¬ 
zielen.“  Diese  Leitmotive  in  Zusammenhang  mit  der  unum- 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


89 


stösslichen  Forderung  architektonischen  Schaffens  von  innen 
heraus,  geben,  stets  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Si¬ 
tuation  und  der  Zweckbestimmung  des  Bauwerkes,  diesem  die 
endgültige  Gestalt.  Mächtige  Mauermassen,  nur  mässig  von 
Horizontalen  unterbrochen,  türmen  sich  empor.  An  der  in 
Haustein  aufgeführten  Schauseite  dominieren,  aus  einem  Ru¬ 
stikasockel  sich  entwickelnd,  zwei  mächtige  Pylonen,  die  nur 
im  oberen  Teile  von  langgeschlitzten  Fenstern  unterbrochen 
werden.  Riesige  Widderköpfe  mit  Gehängen  schmücken  den 
oberen  Abschluss  der  Pylonen,  welche  zwei  Pantherquadrigen 
krönen.  Zwischen  den  trotzig  kühnen  Turmbauten  springt 
unter  der  Flucht  der  Fenster  des  mit  geradem  Dach  ab¬ 
schliessenden  Mittelbaues  ein  kleinerer  von  flachem  Giebel 
überdeckter  Bau  vor,  der  zu  ebener  Erde  sich  nach  dem 
Vestibül  mit  drei  Doppeltüren  öffnet;  im  Obergeschosse  birgt 
er  den  Repräsentationsraum,  an  den  sich  in  der  Mittelachse 
des  Theaters  das  Foyer  anlehnt.  Die  Seitenrisalite  des  Giebel¬ 
baues  trotzen  ungegliedert  in  Rustika,  zu  der  in  einem  ge¬ 
wissen  freundlicheren  Gegensatz  der  aus  glatt  behauenen 
Quadern  aufgetührte  Mitteltrakt  gesetzt  wurde,  dessen  Türen 


bezw.  Fensterfluchten  durch  zwei  antike  Reliefs,  die  in 
Friesform  die  ernste  und  heitere  Muse  verkörpern,  horizon¬ 
tale  Gliederung  erhalten.  In  der  Mittelachse  legt  sich  dem 
Bau  eine  Auffahrtshalle  mit  mässig  ansteigenden  Rampen  vor. 
Die  Halle  trägt  einen  von  dem  Erfrischungssaale  aus  zugäng¬ 
lichen  Balkon,  den  an  den  Vorderecken  zwei  Kränze  empor¬ 
haltende  Genien  auf  schlanken  Muschelkalksäulen  zieren. 
Von  eigenartigem  Reize  ist  die  Metallausstattung  der  Balkon¬ 
brüstungen  und  der  Träger  unterhalb  derselben.  V 

V  Fasst  man  nun  die  Schauseite  in  ihrer  Gesamtheit  ins 
Auge,  so  enthüllt  sich  uns  aber  auch  die  unverkennbare  Ab¬ 
sicht  des  Künstlers,  dass  er  nicht  nur  rein  praktisch-sachliche 
Erwägungen  zum  Ausgangspunkte  seiner  Bauideen  nahm,  son¬ 
dern  vor  allem  auch  dem  Wesen  der  idealen  Aufgabe  eines 
Theaters  sichtbaren  Ausdruck  zu  verleihen  bemüht  war.  Ein 
Haus,  der  Kunst  geweiht  — ,  ein  Heiligtum  der  Offenbarung 
des  Hehrsten  und  Erhabensten,  was  die  Besten  aller  Zeiten 
schufen  — ,  ein  Tempel  der  Erbauung,  dem  wir  uns  nahen, 
um  uns  dem  Genius  des  Wahren,  Edlen  und  Schönen  zu 
neigen,  —  eine  Stätte  unsterblichen  Ruhmes.  Hat  jemals  dieser 


PROFESSOR  MARTIN  DÜLFER,  MÜNCHEN.  Zweites  Konkurrenzprojekt  zum  Theater  in  Dortmund. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


r~ 


PROFESSOR  MARTIN  DÜ  LEER.  MÜNCHEN. 

Theater  in  Dortmund.  Seitenfassade  nach  der  Eisenmarktstrasse. 


Gedanke  einen  würdigeren  Ausdruck  gefunden?  Man  schaue 
doch  zurück,  ja  es  genügt  nur  in  unserer  jüngsten  Gegen¬ 
wart  Umschau  zu  halten.  Dass  wohl  die  Antike  der  Aufgabe 
eines  Theaterbaues  am  ehesten  sich  fügte,  dessen  waren  sich  ja 
andere  vor  Dülfer  längst  auch  bewusst  geworden,  aber  wie 
losten  sie  den  Zwiespalt,  neuen  Anforderungen  alte  Formen 
anzupassen?  Eine  antike  Tempelfassade  oder  auch  eine 
Säulenhalle  im  Renaissancestil  wurde  mehr  oder  weniger 
unglücklich  als  unabkömmliches  Requisit  der  Schauseite  des 
eigentlichen  Nutzbaues  vorgeklebt,  und  dieser  erhielt  vielleicht 
einen  ähnlichen  Dreiecksgiebel  wie  die  Vorhalle  und  Dutzende 
von  überflüssigen  Fenstern  und  tödlich  langweiligen  Säulen¬ 
stellungen.  Es  bedarf  nicht  besonderer  Beispiele,  denn  jedwede 
Stadt  fast  besitzt  ein  solches,  und  dass  es  deren  noch  mehr 
werden  sollen,  bezeugen  Frankfurt  am  Main  und  Nürnberg; 
ein  Spezialist  im  Theaterbau  sein,  heisst  noch  lange  nicht 
Theaterarchitekt  sein.  Auch  Dülfer  griff  zur  Antike  zurück, 
jedoch  mehr  auf  ihren  Geist,  auf  die  Monumentalität  ihrer 
Schöpfungen,  auf  ihre  ernste  Grosszügigkeit,  aber  er  entlehnt 


nicht  Skrupel-  und  mühelos  ihm  tauglich  scheinende  Einzel¬ 
heiten,  sondern  er  ringt  sich  männlich-stark  mit  dem  Erschauten 
zu  einer  neuen  und  nur  ihm  eigenen  Formenwelt  durch.  Man 
fühlt  das  Siegheischende  und  Unerschütterliche  seines  Kampfes, 
das  Trotzige:  ich  lasse  dich  nicht,  du  segnest  mich  denn.  Die 
Antike  hat  nicht  ihn  bezwungen,  sondern  ihr  Fühlen  und  Formen 
ist  sein  eigenes  geworden.  V 

V  Auch  die  Seitenfluchten  des  Baues,  der  beschränkten  Mittel 
halber  nur  in  Putzbau  hergestellt,  sprechen  in  ähnlich  ernsten 
und  wahren  Tönen.  Auch  sie  bekunden  sich  als  die  natür¬ 
liche  Folgerung  der  hinter  ihnen  lagernden  Räume;  Fenster 
nur  da,  wo  sie  der  Zweck  erheischt,  Fisenen  und  Kehlen  und 
einige  wenige  ornamentale  Füllungen,  nirgends  jener  über¬ 
flüssige  Aufwand  von  allen  möglichen,  nur  Unruhe  erzeugen¬ 
den  Einzelheiten;  auch  hier  Geschlossenheit,  Einheitlichkeit, 
Ruhe.  Wie  Dülfer  arbeitet  und  erwägt,  bekundet  er  namentlich 
auch  in  der  Art,  wie  er  die  Wandflächen  des  Bühnenhauses 
durch  Rippenbildungen  in  der  Fage  und  Richtung  der  Bühnen¬ 
maschinerie  belebt.  V 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


PROFESSOR  MARTIN  DÜLFER,  MÜNCHEN. 

Theater  in  Dortmund.  Rückfassade  ( Bühnenhaus )  in  der  Kuhstrasse. 


92 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


PROFESSOR  MARTIN  DÜLFER,  MÜNCHEN. 
Theater  in  Dortmund.  Vorhalle  im  Parterre. 


V  Vom  Vestibül  steigen  wir  auf  Marmorstufen  zu  dem  Foyer 
empor,  dessen  stattlicher,  den  Zuschauerraum  umrahmender 
Wandelgang  der  Vollzahl  der  Besucher  jedes  Ranges  ge¬ 
nügenden  Raum  zur  Promenade  bietet.  Ruhige  Vornehmheit 
zeichnet  ihn  aus;  geschliffene  Spiegel  in  kostbar  eingelegtem 
Rahmenwerk  und  einfache,  aber  elegante  Beleuchtungskörper 
in  blankem  Messing  bilden  die  hauptsächlichste  Zier.  Nach 
der  Schauseite  des  Gebäudes  hin  erweitert  sich  das  Foyer  in 
der  vollen  Breite  des  Mitteltraktes  zu  einem  Repräsentations¬ 
und  Erfrischungssaale  auserlesensten  Prunkes.  Vier  Paare 
jonischer  Säulen  teilen  den  Raum  in  zwei  Teile,  deren  einer 
eine  kassetierte  Tonnendecke,  der  andere  eine  Flachdecke 
trägt.  Ein  lichtes  Grau  bildet  den  Grundton  des  Raumes, 
dem  Spiegeleinlagen  und  die  Beleuchtungskörper  erhöhten 
Reiz  verleihen.  An  den  beiden  Schmalseiten  der  Halle  sind 
elegante  Buffets  aus  bräunlichem  Kubamahagoni  angeordnet. 
Die  eine  Längsseite  gewährt  von  reizenden  Baikonen  aus  dem 
zweiten  Rang  Überblick  über  den  Saal.  Eine  ganz  entzückende 
Wirkung  übt  schliesslich  der  weiche  Teppich  aus,  dessen 
kräftiges  Kirschrot  sich  an  allen  Teilen  des  Raumes  magisch 
widerspiegelt.  Es  sind  Effekte  so  aparter  Art,  mit  denen 
Diilfer  hier  operiert,  dass  eine  Steigerung  ohne  in  das  Triviale 
zu  verfallen,  sich  kaum  mehr  ausdenken  lässt.  V 


V  Ein  Gleiches  gilt  von  dem  Zuschauerraume.  Wer  ihn  aus 
den  Wandelgängen  betritt,  ist  gebannt  von  der  wunderbaren 
Farbenharmonie,  zu  der  sich  die  Wände,  die  Brüstungen,  die 
Decke  und  der  Vorhang  im  Lichte  zahlloser  Beleuchtungskörper 
einen.  Doch  zunächst  die  Anlage!  Auch  hier  erscheint  Diilfer 
als  Neuerer  und,  wie  sich  mit  Sicherheit  erwarten  lässt,  als  ein 
Bahnbrecher,  als  künftiges  Vorbild.  Die  Neuerungen  bekun¬ 
den  sich  zunächst  in  der  Lagerung  der  Decke,  welche  parallel 
zu  dem  von  der  Bühne  nach  rückwärts  aufsteigenden  Parkett¬ 
boden  angelegt  ist  und  zwar  in  der  Weise,  dass  die  Decke  fast 
unmittelbar  zur  Bühnenöffnung  führt.  Hierdurch  werden  der 
Blick  und  die  ganze  Aufmerksamkeit  aller  Beschauer  schon 
durch  die  wichtigsten  Grenzen  des  Innenraumes  mit  unmerk¬ 
lichem  Zwange  nach  der  Bühne* als  dem  Haupt-  und  Mittel¬ 
punkte  des  Hauses  gezogen,  die  Geschlossenheit  des  Raumes  wird 
ohne  jeden  Eindruck  der  Enge  erhöht,  die  Akustik  verstärkt  und 
endlich  und  insgesamt  werden  Darsteller  und  Zuschauer,  das  Spiel 
und  der  Genuss  am  Spiel  in  unmittelbare  und  intensivere  Be¬ 
ziehung  zu  einander  gesetzt.  Die  Neigung  der  Decke  zur  Bühne 
veranlasste  Diilfer,  zu  einer  schon  bei  dem  Meraner  Theater 
angewandten  und  erprobten  Neuerung  mit  noch  grösserer  Be¬ 
rechtigung  zu  greifen.  Er  liess  nämlich,  um  dem  Gedanken, 


PROFESSOR  MARTIN  DÜLFER.  MÜNCHEN. 

Theater  in  Dortmund.  Zuschauerraum,  Proszeniumsloge  u.  Seitenbalkons. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


93 


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PROFESSOR  MARTIN  DÜLFER,  MÜNCHEN. 
Theater  in  Dortmund.  Eintrittshalle  mit  Kasse. 


dass  die  Wand  die  Stütze  der  Decke 
ist,  sichtbaren  Ausdruck  zu  geben, 
die  Seitenlogen  des  dritten  Ranges 
wegfallen,  sodass  nicht  wie  in  anderen 
Theatern  die  Logenbrüstungen  den 
Anschluss  der  Decke  und  Wand  dem 
Gesichte  verhüllen,  und  jene  förmlich 
in  der  Luft  zu  schweben  scheint,  son¬ 
dern  so,  dass  die  tektonische  Glie¬ 
derung  völlig  klar  zutage  tritt.  Es 
dehnt  sich  also  der  dritte  Rang  nur 
in  der  Breite  des  Zuschauerraumes 
aus.  V 

V  Schliesslich  vermied  Dülfer  den  oft 
ausserordentlich  störenden  Eindruck, 
den  die  Kojeneinteilung  der  Ränge 
in  Logen  durch  schroffe  Zwischen¬ 
wände  hervorruft,  dadurch,  dass  hier 
die  niedrigen  Zwischenwände  ohne 
jede  strengere  architektonische  Durch¬ 
bildung  mit  dem  Tone  der  Wände  und 
der  Sessel  Zusammengehen.  Hierdurch 
erscheint  der  Innenraum  einheitlicher, 
geschlossener  und  die  Logen,  ent¬ 
sprechend  dem  Gedanken,  dass  sie  vor¬ 
zugsweise  von  Abonnenten  belebt 
werden,  die  in  ständigem  Gesell¬ 
schaftsverkehr  mit  einander  sind,  stehen  sozusagen  in  familiärem 
Kontakte.  Dies  trägt  nicht  zum  wenigsten  dazu  bei,  dem  Zu¬ 
schauerraum  trotz  seines  Reichtums  und  der  Pracht  seiner 


PROFESSOR  MARTIN  DÜLFER.  MÜNCHEN. 
Theater  in  Dortmund.  Haupttreppe. 


Ausstattung  auch  das  für  die  eigentliche  Bestimmung  des  Theaters 
unentbehrliche  Gefühl  des  Behaglichen  und  des  Stimmungsvoll- 
Gemütlichen  zu  geben.  V 

V  Die  Wände  sind  mit  einem  zart¬ 
rosa  Stoff  bespannt  und  von  grauem 
Velvet  eingefasst  und  werden  durch 
schablonierte  Stofffriese  belebt.  Die 
Brüstungen  sind  in  lichtem  Grau  ge¬ 
halten  und  erglühen  am  unteren  Rande 
in  unzähligen  elektrischen  Birnen,  die 
aus  einem  schmalen  antikisierenden 
Wellenbandfries  sich  entwickeln.  Das 
Mittelfeld  der  Decke,  umgeben  von 
den  Bildern  des  Tierkreises,  öffnet 
sich  scheinbar  nach  dem  sattblauen 
Himmel,  der  durch  Verwendung  von 
Gold-,  Silber-  und  Stahlfeilsplittern 
mit  seinen  unzählbaren  Gestirnen  und 
dem  Band  der  Milchstrasse  aufblitzt 
—  eine  äusserst  reizvolle  Erscheinung. 
Die  übrige  Decke  ist  im  lichtem  Grau 
mit  flachen  Feldern  und  ornamentalen 
Relieffüllungen  in  Weiss  und  Gold 
gehalten.  Gegen  die  Bühne  geht  die 
Decke  in  eine  Kassettierung  mit 
Sternen  über,  die  ebenfalls  aus  tief¬ 
blauem  Grunde  im  Lichte  herab¬ 
hangender  Kristallglühkörper  erstrah¬ 
len.  Zu  dem  Lichterspiel  der  Decke 
und  der  Brüstungen  bilden  endlich 
Glühlichtguirlanden  an  der  Hoch- 


MODERNE  BAUFORMEN  IIS 


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PROFESSOR  MARTIN  DÜLFER,  MÜNCHEN. 
Theater  in  Dortmund.  Zuschauerraum  Proszenium. 


wand,  die  sich  in  Spiegeln  noch  zu  vermehren  scheinen,  die 


V  erbindung. 

A  Es  ist  unmöglich,  aller  Einzelheiten 
wie  etwa  der  Ausgestaltung  der  Pro¬ 
szeniumslogen  oder  der  Schablonen¬ 
musterung  der  Wandstreifen  zu  ge¬ 
denken,  das  vermag  nur  ein  Bild  oder 
eigentlich  nur  die  Wirklichkeit  selbst 
zu  sagen.  Und  da  muss  man  sich 
schliesslich  fragen,  ob  man  mehr  Be¬ 
wunderung  der  sprühenden  Formen¬ 
fülle  oder  dem  Raffinement  farbiger 
Wirkungen  oder  der  fein  abwägenden 
Verwertung  und  Vielgestaltigkeit  der 
Lichtquellen  zollen  soll.  Dülfer  ist  zu 
ernst  in  seinem  Schaffen,  als  dass  er 
sich  mit  einem  einmal  geglückten 
Wurf  zufrieden  gäbe;  das  beweist  ein 
Vergleich  mit  dem  Zuschauerraum 
des  Meraner  Theaters,  auf  den  hier 
leider,  so  belehrend  es  auch  wäre, 
nicht  eingegangen  werden  kann.  Es 
genügt  zu  sagen,  Dülfer  blieb  nicht 
stehen,  Dülfer  drängt  vorwärts,  Dül- 
fers  Kunst  ist  nie  tote  Nachahmung, 
sie  lebt  und  pulsiert  wie  jene,  an  der 
sie  erstarkte,  aus  der  sie  erkeimte: 
darum  erscheint  sie  auch,  wenngleich 
von  alter  Kunst  genährt,  niemals  alt, 
sondern  neu,  jung  und  durchaus  per- 


A 


sönlich.  Deshalb  bedarf  er  auch  nicht 
des  jetzt  so  häufig  geübten  Ver- 
schleierns  der  Anklänge  an  Altes.  Wo 
er  der  Alten  bedarf,  enthüllt  er  es 
klar,  seine  Kunst  ist  wahr  und  offen; 
wir  glauben  ihr,  denn  sie  überzeugt. 
A  Wir  haben  für  unsere  Betrachtung 
der  Innenräume  des  Theaters  nur 
die  vornehmsten  und  wichtigsten  der¬ 
selben  herausgegriffen.  Nicht  weniger 
klar  aber  offenbart  sich  Dülfers  Eigen¬ 
art  auch  in  den  naturgemäss  be¬ 
scheidener  durchgebildeten  Räumen 
wie  in  den  Wandelgängen,  den  Gar¬ 
deroben-  und  Kassenräumen.  Die 
vorhandenen  Geldmittel  zwangen  hier 
zu  ernstem  Haushalten,  und  trotzdem 
empfindet  man  hier  nicht  die  heutzu¬ 
tage  so  oft  beobachtete  puritanerhafte 
Nüchternheit  reiner  Zweckbauten. 
Zierlich  gezeichnete  eiserne  Gitter 
und  Brüstungen,  mannigfaltig  gebil¬ 
dete  Beleuchtungskörper  in  Eisen, 
Messing,  Glas,  Kristall,  geschliffene 
Spiegel  in  originellen  Rahmen,  Kunst¬ 
verglasungen  in  eleganter  Zeichnung, 
zweckentsprechende  Holzmöbel  und 
Einrichtungsgegenstände  geben  den 
Räumen  eine  ruhige,  gediegene  Lebensfreudigkeit;  alles  ist 
mit  gleicher  Liebe  und  Sorgfalt  durchdacht  und  ausgeführt. 


PROFESSOR  MARTIN  DÜLFER.  MÜNCHEN. 

Theater  in  Dortmund.  Zuschauerraum  von  der  Bühne  gesehen. 


MODERNE  pBAUFORMEN  III 


95 


Wenn  man  die  Nägelmusterung  der 
Türen,  die  Schablonierung  der  Wände, 
oder  die  Zeichnung  einer  Türinschrift 
sich  besieht,  möchte  man  sagen,  man 
merkt  die  Freude  der  Arbeit  an  jedem 
Hammerschlag,  an  jedem  Pinselstrich. 
Man  fühlt  ordentlich,  wie  das  Interesse 
an  der  Arbeit  auch  die  ausführenden 
Kräfte  ergriff.  Auch  sie  verdienen  hier 
eine  flüchtige  Erwähnung.  Es  beteilig¬ 
ten  sich  vorzugsweise  Dortmunder 
und  Münchener  Geschäfte.  Letztere 
kamen  namentlich  für  solche  Arbeiten 
in  Betracht,  bei  welchen  zur  Erlangung 
durchaus  künstlerischer  Durchbildung 
die  Herstellung  derselben  unter  den 
Augen  Dülfers  wünschenswert  er¬ 
schien.  Mit  den  Malerarbeiten  war 
Carl  Habs  in  Dortmund  betraut;  von 
ihm  rührt  auch  die  Ausgestaltung  des 
gestirnten  Himmels  im  Zuschauerraum 
her.  Hässel  -  München  und  Dejmek- 
Dortmund  führten  die  Stuckierung  der 
Innenräume  aus,  während  Rappa&Co. 
in  München  die  Stuckierung  des  Aeus- 
seren  besorgten.  Bildhauer  Frick  von 
letztgenannter  Firma  führte  die  Quad¬ 


rigen  und  figürlichen  Reliefs  an  der 
Vorderseite  mit  Benützung  antiker 
Vorlagen  aus,  Bildhauer  Forlivesi- 
München  fertigte  die  Kränze  haltenden 
Genien,  von  FideliusEnderle-München 
stammen  die  Steinbildhauerarbeiten. 
Die  reizvollen  Beleuchtungskörper  mit 
über  1000  Lichtern  führten  die  Mün¬ 
chener  Firmen  Wilhelm  &  Comp,  für 
den  Zuschauerraum, Steinicken&  Lohr 
für  das  Foyer,  die  Treppen  und  Wandel¬ 
gänge  aus.  Die  zierlichen  Kunst¬ 
schmiedearbeiten  stammen  von  der 
Firma  E.  Häusner-München,die  Kunst¬ 
verglasungen  von  Katz-Dortmund.  In 
die  Herstellungdes  bequemen  Theater¬ 
gestühls  und  der  übrigen  Möbel  hatten 
sich  Dortmunder  und  Berliner  Werk¬ 
stätten  geteilt.  V 

V  Die  Bühneneinrichtung,  führte  die 
Aktiengesellschaft  Eisenwerk  -  Mün¬ 
chen  aus.  Ihre  Vorzüge  zu  schildern 
ist  nicht  unsere  Aufgabe;  es  mag 
genügen  hier  festzustellen,  dass  sie 
alle  erdenklichen  Einrichtungen,  wel¬ 
cher  eine  neuzeitliche  Bühne  bedarf, 
besitzt.  Die  Proszeniumsöffnung  ist 
1 1  m  breit  und  8,55  m  hoch,  die  Bühne 
hat  eine  Breite  von  24  m  bei  einer 
Tiefe  von  16,20  m  und  einer  Höhe  von 


PROFESSOR  MARTIN  DÜLFER,  MÜNCHEN. 
Theater  in  Dortmund.  Wandelgang  und  Garderobe. 

- 


PROFESSOR  MARTIN  DÜLFER.  MÜNCHEN. 
Theater  in  Dortmund,  Zuschauerraum.  Detail  der  Decke. 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


PROFESSOR  MARTIN  DÜLFER,  MÜNCHL 
Theater  in  Dortmund.  Hauptfoyer. 


TV. 


38  m,  vom  Biihnenkeller  bis  zum  Giebel  gemessen.  Nicht 
unerwähnt  bleibe  hier  die  zweckmässige  Anordnung  von  Logen¬ 
einbauten  auf  der  Bühne  für  die  Re¬ 
gisseure,  Inspizienten  und  den  Be¬ 
leuchtungsinspektor.  Diese  Logen 
bilden  als  Portalmantel  eine  archi¬ 
tektonisch  mit  zum  Zuschauerraum 
gezogene  Vertiefung  der  Proszeniums¬ 
öffnung.  In  der  Beurteilung  des 
Werkes  muss  vor  allem  Staunen  er¬ 
regen,  dass  bei  einer  Umbauung  von 
rund  61000  cbm  und  bei  einem  Zu¬ 
schauerraum  von  1200  Sitzen  nur 
1  180  000  Mark  das  Architekten¬ 
honorar  mit  eingerechnet  —  aufge¬ 
wandt  wurde,  eine  Summe,  die  im 
Verhältnisse  zur  Ausstattung  mässig 
erscheinen  muss.  V 

V  Ein  architektonisches  Werk  lässt 
sich  in  seiner  Zweckmässigkeit,  in 
seinen  Vorzügen  erst  dann  völlig  er¬ 
messen,  wenn  es  seiner  Bestimmung 
übergeben  wurde.  Das  neue  Theater 
in  Dortmund  wurde  am  19.  Septem¬ 
ber  d.  J.  eröffnet  und  hat  bei  völlig 
besetztem  Hause  seine  Probe  glänzend 
bestanden.  Dülfers  Erwägungen  und 
Neuerungen,  die  Disposition  der 
Räumlichkeiten  und  ihre  Ausstattung 
haben  sich  in  allen  Teilen  restlos 


bewährt.  Wir  glauben  nicht  zuviel  zu 
sagen,  wenn  wir  behaupten,  dass  Dül- 
fer  mit  seinem  neuesten  Werke  in  die 
erste  Reihe,  ja  auf  den  ersten  Platz 
der  Theaterarchitekten  Deutschlands 
gerückt  ist.  Jedenfalls  ist  es  über  allen 
Zweifel  erhaben ,  dass  die  Theater¬ 
baukunst  der  Zukunft  Dülfers  Neue¬ 
rungen  auf  dem  Gebiete  rein  bühnen¬ 
technischer  Errungenschaften  als  auch 
in  den  Vorzügen  des  Zuschauerraumes 
und  den  sich  angliedernden  Räumen 
kaum  mehr  ganz  umgehen  oder  un¬ 
beachtet  wird  lassen  können.  Sie 
bedeuten  eine  der  wichtigsten  Etappen 
in  der  Baugeschichte  der  Theater.  Wir 
könnten  nichts  freudiger  begriissen, 
als  Diilfer,  der  stetig  gewachsen  ist, 
mit  seinen  Aufgaben  —  von  seinem 
mit  Friedrich  von  Thiersch  geschaf¬ 
fenen  Haus  Bernheimer-Miinchen  an¬ 
gefangen  bis  zu  seinen  prächtigen 
Theatern  in  Meran  und  Dortmund  — , 
einmal  und  baldigst  zu  einem  Theater¬ 
bau  in  grösseren  Verhältnissen  be¬ 
rufen  zu  sehen.  Als  Meister,  der  er 
schon  ist,  würde  er  untrüglich  auch 
da  sich  beweisen.  V 

V  Noch  ein  Wort  zu  dem  Theater  in  Dortmund.  Die  Lage 
des  Hauses  an  drei  Strassenflächen  führte  zu  einer  reichen 


PROFESSOR  MARTIN  DÜLFER.  MÜNCHEN. 
Theater  in  Dortmund.  Foyer  der  oberen  Ränge. 


MODERNE 


PROFESSOR  MARTIN  DÜLFER,  MÜNCHEN 
Theater  in  Dortmund. 

Grundriss  vom  Parterre  und  ersten  Stod ?  (Balkon). 


MODERNE  BAUFORMEN  III 


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Fassaden  und  Grundrisse  zu  Tafel  96. 


Aussprache  architektonischer  Gedanken.  Was  in  Dülfers  Macht 
stand,  geschah.  Wir  möchten  nur  wünschen,  dass  auch  die 
Umgebung  dem  prächtigen  Werke  Rechnung  trage.  Hierher 
rechne  ich  als  eine  zwingende,  unumstössliche  Forderung  die 
Ausführung  des  von  Dülfer  geplanten  Anbaues  an  der  rechten 
Seite  des  Theaters  in  der  Flucht  der  Schauseite,  welcher  ein 
Theater-  und  Tagesrestaurant  mit  Cafe  und  Lesesälen  enthalten 
sollte.  Von  allen  sonstigen  Vorteilen  abgesehen,  würde  dies 
auch  noch  dem  Gesamtbilde  des  Baues  zugutekommen.  Auch 
die  projektierte  figürliche  Ausgestaltung  des  Brunnens  an  der 
reizenden  Partie  der  Kuhstrasse  müsste  und  sollte  sich  durch¬ 
führen  lassen;  ebenso  wäre  dort  und  in  der  übrigen  Umgebung 
des  Theaters  die  Anlage  von  geschmackvollen  und  passend  auf¬ 
gestellten  Beleuchtungsmasten  wünschenswert.  Das  sind  nicht 
nur  Anregungen  und  Forderungen,  das  sind  auch  Pflichten  der 
Stadt  Dortmund  und  ihrer  opferfreudigen  Bürger,  gegenüber 
Jenem,  der  ihnen  so  Herrliches  geschaffen  hat.  Wer  dürfte 
da  auf  halbem  Wege  stehen  bleiben?! 

München.  Dr.  Philipp  Al  Halm. 


UNSERE  TAEELN. 

V  TAFEL  89:  inv.  Professor  MARTIN  DÜLFER,  MÜNCHEN. 

Geplanter  Ausbau  des  neuen  Theaters  in  Dortmund.  V 

V  TAFEL  90:  inv.  Professor  MARTIN  DÜLFER,  MÜNCHEN. 

Neues  Theater  in  Dortmund.  V 

V  TAFEL  91:  inv.  Professor  MARTIN  DÜLFER,  MÜNCHEN. 

Zuschauerraum  des  neuen  Theaters  in  Dortmund.  V 

V  TAFEL  92:  inv.  Professor  MARTIN  DÜLFER,  MÜNCHEN. 

Hauptfoyer  des  neuen  Theaters  in  Dortmund.  V 

V  TAFEL  93:  inv.  ANTON  PÖSSENBACHER,  MÜNCHEN. 

Kaminpartie  einer  Halle.  V 

V  TAFEL  94:  inv.  WUNIBALD  DEININGER,  WIEN.  Ent¬ 
wurf  zu  einem  Landhause.  V 

V  TAFEL  95:  inv.  EDGAR  WOOD,  MANCHESTER.  Halle. 

V  TAFEL  96:  inv.  BRUNO  TAUT,  STUTTGART.  Entwurf 

zu  einem  Schulhause.  V 


V  V  V  V 
V  V  V 
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93 


JULIUS  HOFFMRNN. 
VERLAG. STUTTGART 


STUTTGARTER  VERE' NS-BUCHORUCKEREl. 

INV:  RMTON  PÖSSENBRCHER  •  MÜNCHEN. 


94 


A*T.  ANSI  ■ 


MOCHPHNZ-  STUTTGART 


INV.  WUNIBALD  DEININGER, 


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