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MODERNE BAUFORMEN
MONATSHEFTE FÜR ARCHITEKTUR
HERAUSGEGEBEN VON
M. J. GRADL
HU JAHRGANG *1904
JULIUS HOFFMANN
VERLAG STUTTGART
Druck der Hoffmannschen Buchdruckerei Felix Krais in Stuttgart.
THE GETTY CENTER
LIBRARY
INHALTSVERZEICHNIS
TEXTBEITRÄGE.
Seite
Das neue Theater in Dortmund
von Dr. Philipp M. Halm München . 87
Der Musikraum in der Weltausstellung St. Louis 1904
von Professor K. Widmer —Karlsruhe . 43
Der neue Stil in Finnland
von J. Ahrenberg — Helsingfors . 79
Die Keramik in der modernen Architektur
von Vitzthum . 39
Die Neubauten an der Palmen- und Ahornstrasse in Basel
von Dr. Sch . 55
Ein deutsches Bankhaus
von Vitzthum . 61
Eine neue Mosaiktechnik . . . 41
Eine neue Stadt
von Vitzthum . 23
Seite
H. P. Berlage
von Willem Vogelsang Amsterdam . 71
Leon Benouville f 1903
von Vitzthum . 15
Moderne Baukunst in Karlsruhe; 1. Hermann Billing
von Professor Karl Widmer — Karlsruhe . 1
Moderne Baukunst in Karlsruhe; 2. Curjel & Moser
von Professor Karl Widmer — Karlsruhe . 9
Münchener moderne Architektur
von Dr. Philipp M. Halm — München . 47
Plastische Villenprojekte in der Münchener Kunst-Aus¬
stellung 1903 von Dr. Kemmerich München ... 17
Unsere Tafeln ... 4, 13, 19, 28, 35, 42, 53, 59, 69, 78, 82, 98
Villa Bestgen, Köln a. Rh.,
von Rhenanus . 31
VERZEICHNIS DER KÜNSTLER.
Seite
Alden & Harlow Pittsburgh U. S. A . 42
Altgeld & Schweitzer — Berlin . 59
Arnold Hermann — Düsseldorf . 21
Bäppler Otto — Frankfurt a. M . 59
Bassompierre j. — Paris . 41
Benirschke Max- Düsseldorf . 54, 78
Benouville Leon T — Paris . 15, 16
Berlage H. P. — Amsterdam . . . . 71-78
Berlepsch- Valendas H. E.— München -Planegg .... 16
Beutinger & Steiner — Heilbronn- Darmstadt . 78
Bewig Georg — Frankfurt a. M . 54
Billing Hermann, Professor — Karlsruhe . . 1-6, 8, 43-46, 83
Brintzinger Max Esslingen . 36
Buckland H. T. & Farmer E. H. — Birmingham ... 14, 19
Burckhardt Paul — (München) Basel . 8, 35, 60, 78
Burkhardt R. & Mersch W. — Frankfurt a. M . 60
Burger Joseph— München . 48, 60
Collin Andre — Paris . 15, 37, 60
Curjel & Moser — Karlsruhe . 9-15
Dawber E. Guy — London . 54
Seite
Deininger Wunibald —Wien . 14, 35, 98
Dülfer Martin, Professor — München . 60, 87-98
Ellwood G. M. — London . 14
Fischer Oskar — Kiel . 21
Fischer Theodor, Professor -Stuttgart . 6
Gesellius Lindgren & Saarinen — Helsingfors .... 78-84
Hardwick A. Jessop -Kingston-on-Thames . 7, 29
Harvey W. Alex.- Bournville . 23-29
Hausser Fr. — Ludwigsburg (Württemberg) . 84-85
Heckenberger Karl — Stuttgart . 37
Heller Hans — Darmstadt . 21
Honig & Söldner München . 49-51
Jochem F. W. — Darmstadt . 4, 22, 29, 42
Joli Max H. — Wien . 20
Kirchmayr H. — Innsbruck . 54
Laverriöre A. — Lausanne . 28
Läuger Max, Professor — Karlsruhe . 39, 42
Leonhardt C. F. W.— Frankfurt a. M . 38, 86
Linder Rudolf & Burckhardt Paul — Basel . 55-59
Logan George — Glasgow . 36
MacLachlan L. — Stuttgart .
Mallebrein J. — Freiburg i. Br. . • .
Mayr Hans — Wien .
Michler & Mahler — Wien .
Mink Valentin — Darmstadt .
Monod E. & Laverriere A. -Lausanne
Pössenbacher Anton — München . . .
Provensal Henry — Paris .
Rittmeyer Robert, Professor— Winterthur
Roeckl Hugo M.— München ....
Rossmann G. — Düsseldorf .
. 20, 60 Rutte P. de Paris . 21, 36
. . 8 Rutte P. de & Bassompierre J. Paris . 15
. . 30 Sambale Fritz München . 73
. . 42 Schlicht Hanns Dresden . 14
. . 29 Schönthal Otto Wien . 83
. . 8 Schutte Albert & Vollmer Barmen . 54
. 54, 98 Taut Bruno — Stuttgart . 98
7, 28, 59 Thiersch Friedrich von, Professor München . 47
. . 7 Veil Theodor- München . 53
. 17-21 Wehling G. & Ludwig A. Düsseldorf . 31-37, 40, 41, 61-70
. . 69 Wood Edgar — Manchester . 5, 28, 54, 98
VERZEICHNIS DER TAFELN.
Tafel
Häusergruppe an der Stephanienstrasse in Karlsruhe
von Professor Hermann Billing— Karlsruhe ... 1
Entwurf zu Einfamilienhäusern
von F. W. Jochem — Darmstadt . 2
Treppenhaus einer Stadtvilla
von Edgar Wood — Manchester . 3
Haus an der Reinsburgstrasse in Stuttgart
von Professor Theodor Fischer— Stuttgart .... 4
„Haus in gemässigtem Klima“, Studie
von Henry Provensal —Paris . 5
Haus in Wolves- Newton, Monmouthshire
von A. Jessop Hardwick — Kingston-on-Th . 6
Halle der Villa Mez in Freiburg i. Br.
von Professor Hermann Billing— Karlsruhe ... 7
Landhaus in Savoyen
von E. Monod & A. Laverriere — Lausanne .... 8
Halle der Villa Rudolph in Zürich
von Curjel & Moser— Karlsruhe . 9
Entwurf zu einem Jagdschlösschen
von Wunibald Deininger — Wien . 10
„The Woodbine Inn“ in Handsworth
von H. T. Buckland & E. H. Farmer — Birmingham 11
Fassade eines Zinshauses
von Hanns Schlicht — Dresden . 12
Inneres eines Ateliergebäudes
von G. M. Ellwood — London . 13
Entwurf zu einem Doppelwohnhaus
von P. de Rutte & J. Bassompierre — Paris .... 14
Studie zu dem Speisezimmer der Villa Rudolph in Zürich
von Curjel & Moser — Karlsruhe . 15
Landhaus-Entwurf
von Andre Collin — Paris . 16
Wohnhaus des Architekten H. T. Buckland in Edgbaston
von H. T. Buckland & E. H. Farmer - Birmingham 17
Lesesaal eines Hotels
von L. MacLachlan — Stuttgart . 18
Haus für Wilhelmsburg bei St. Pölten
von Max H. Joli — Wien . 19
Diele eines Landhauses am Meer
von Oskar Fischer — Kiel . 20
„Das grüne Haus“
von Hugo M. Roeckl — München . 21
Tafel
„Das rote Haus“
von Hugo M. Roeckl— München . 22
Studie zu dem Wohnzimmer eines Schlosses
von Hans Heller — Darmstadt . 23
Entwurf zu der Einfahrt eines Rittergutes
von P. de Rutte — Paris . 24
Häuser in Bournville
von M. Alex. Harvey — Bournville . 25
Häuser in Bournville
von M. Alex. Harvey -Bournville . 26
„Haus im Norden“, Studie
von Henry Provensal — Paris . 27
Halle einer Stadtvilla
von Edgar Wood Manchester . 28
Entwurf zu einem Monumentalbrunnen
von A. Laverriere -Lausanne . 29
Landhaus in Caterham Valley
von A. Jessop Hardwick Kingston-on-Th .... 30
Entwurf zu einem Wohn- und Geschäftshause
von F. W. Jochem Darmstadt . 31
Entwurf zu einem bürgerlichen Wohnzimmer
von Valentin Mink Darmstadt . 32
Diele der Villa Bestgen -Köln
von G. Wehling & A. Ludwig- Düsseldorf .... 33
Entwurf zu einem Miethaus
von Wunibald Deininger— Wien . 34
Entwurf zu einem Schulhause
von Paul Burckhardt — (München) Basel . 35
Schlafzimmer, ausgeführt v. Wylie & Lochhead Glasgow
von George Logan — Glasgow . 36
Architektur-Studie
von P. de Rutte Paris . 37
Entwurf zu einem Restaurant im Walde
von Max Brintzinger — Esslingen . 38
Studie zu einem Speisezimmer
von Karl Heckenberger -Stuttgart . 39
Landhaus- Entwurf
von Andre Collin -Paris . 40
Entwurf zu dem Amtsgebäude einer Provinzstadt
von Michler & Mahler - Wien . 41
Detail der Mosaik-Fassade eines Hauses in Düsseldorf
von G. Wehling & A. Ludwig —Düsseldorf .... 42
Tafel
Tafel
Entwurf zu zwei eingebauten Wohnhäusern
von F. W. Jochem Darmstadt . 43
Entwurf zu einem Hotel (Gartenfront)
von J. Bassompierre — Paris . 44
Entwurf zu dem Erfrischungssaal eines Hotels
von J. Bassompierre — Paris . 45
Entwurf zu einem Hotel (Strassenfront)
von J. Bassompierre Paris . 46
Musikraum in der Weltausstellung St. Louis 1904
von Professor Hermann Billing — Karlsruhe ... 47
Musikraum in der Weltausstellung St. Louis 1904
von Professor Hermann Billing — Karlsruhe ... 48
Entwurf zu einer Dorfschule
von Theodor Veil München . 49
Schlafzimmer mit anstossender Kaminnische
von Edgar Wood München . 50
Entwurf zu einem Landsitze
von Georg Bewig Frankfurt a. M . 51
Entwürfe zu Einfahrtstoren'
von H. Kirchmayr Innsbruck . 52
Landhaus in Coldecote, Moreton-in-Marsh, Gloucestershire
von E. Guy Dawber — London . 53
Kaminpartie eines Speisesaales
von Anton Pössenbacher — München . 54
Zwei Entwürfe zu Landhäusern
von Albert Schufte & Vollmer Barmen . 55
Hallen-Studie
von Max Benirschke Düsseldorf . 56
Neubauten an der Palmen- und Ahornstrasse in Basel
von Rudolf Linder & Paul Burckhardt— Basel . . 57
Neubauten an der Palmen- und Ahornstrasse in Basel
von Rudolf Linder & Paul Burckhardt — Basel . . 58
Neubauten an der Palmen- und Ahornstrasse in Basel
von Rudolf Linder & Paul Burckhardt — Basel . . 59
Architektursaal der Berliner Kunstausstellung 1904
von Altgeld & Schweitzer — Berlin . 60
Haus des Herrn E. Wetzlar in Cronberg i. T.
von Otto Bäppler -Frankfurt a. M . 61
„Villa im Süden“, Studie
von Henry Provensal Paris . 62
Gästezimmer aus einem Hotel in Wiesbaden
von L. Mac Lachlan— Stuttgart . 63
Landhaus- Entwurf
von Andre Collin Paris . 64
T reppenhaus, A. Schaaffhausenschei Bankverein — Köln a.Rh.
von G. Wehling & A. Ludwig Düsseldorf .... 65
Vestibül, A. Schaaffhausenscher Bankverein Köln a. Rh.
von G. Wehling & A. Ludwig Düsseldorf .... 66
Sitzungssaal, A. Schaaffhausenscher Bankverein — Köln a. Rh.
von G. Wehling & A. Ludwig Düsseldorf .... 67
Gartenfront, A. Schaaffhausenscher Bankverein — Köln a. Rh.
von G. Wehling & A. Ludwig -Düsseldorf .... 68
Grosse Halle, A. Schaaffhausenscher Bankverein — Köln a.Rh.
von G. Wehling & A. Ludwig -Düsseldorf .... 69
Treppenhaus,A. Schaaffhausenscher Bankverein Köln a.Rh.
von G. Wehling & A. Ludwig Düsseldorf .... 70
Treppenhaus, A.Schaaff hausenscher Bankverein Köln a.Rh.
von G. Wehling & A. Ludwig - Düsseldorf .... 71
Sprechzimmer, A.Schaaff hausenscherBankverein Köln a.Rh.
von G. Wehling & A. Ludwig Düsseldorf .... 72
Landhaus- Entwurf
von Gesellius, Lindgren & Saarinen Helsingfors . 73
Gesellschaftszimmer des Landhauses auf Tafel 73
von Gesellius, Lindgren & Saarinen Helsingfors 74
Halle des Landhauses auf Tafel 73
von Gesellius, Lindgren & Saarinen Helsingfors . 75
Speisezimmer des Landhauses auf Tafel 73
von Gesellius, Lindgren & Saarinen Helsingfors . 76
Entwurf zu einem Einfamilienhause
von Fritz Sambale München . 77
Eingang eines Landhauses. Eingang eines Gartenhauses
von Max Benirschke Düsseldorf . 78
Grabkapellen: v. Porscheck, Linz a. D.; Wegner, Osnabrück
von Beutinger & Steiner Heilbronn- Darmstadt . . 79
Entwurf zu einem Landhause
von Paul Burckhardt Basel . 80
Entwurf zu einem Landsitze
von Gesellius, Lindgren & Saarinen — Helsingfors . 81
Halle aus dem Landsitze auf Tafel 81
von Gesellius, Lindgren & Saarinen Helsingfors . 82
Speisezimmer aus dem Landsitze auf Tafel 81
von Gesellius, Lindgren & Saarinen Helsingfors . 83
Zimmer der Frau aus dem Landsitze auf Tafel 81
von Gesellius, Lindgren & Saarinen Helsingfors . 84
Studio aus dem Landsitze auf Tafel 81
von Gesellius, Lindgren & Saarinen Helsingfors . 85
Halle aus dem Landsitze auf Tafel 81
von Gesellius, Lindgren & Saarinen — Helsingfors . 86
Schule in Kirchheim u. T.
von Professor Hermann Billing Karlsruhe. ... 87
Studie zu dem Hause eines Junggesellen
von Otto Schönthal Wien . 88
Geplanter Ausbau des neuen Theaters in Dortmund
von Professor Martin Dülfer München . 89
Neues Theater in Dortmund
von Professor Martin Dülfer -München . 90
Zuschauerraum des neuen Theaters in Dortmund
von Professor Martin Dülfer München . 91
Hauptfoyer des neuen Theaters in Dortmund
von Professor Martin Dülfer -München . 92
Kaminpartie einer Halle
von Anton Pössenbacher -München . 93
Entwurf zu einem Landhause
von Wunibald Deininger — Wien . 94
Halle
von Edgar Wood Manchester . 95
Entwurf zu einem Schulhause
von Bruno Taut — Stuttgart . 96
V V V V V
V V V V
V V V
V V
V
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in 2018 with funding from
Getty Research Institute
https://archive.org/details/modernebauformen03unse
MODERNE BAUKUNST IN KARLSRUHE.
I. HERMANN BILLING.
Eine Erscheinung wie Hermann Billing wäre noch vor etwa
einem Jahrzehnt in Karlsruhe so gut wie undenkbar ge¬
wesen. Überraschend schnell, beinahe über Nacht, hat sich
hier der Umschwung vollzogen, welcher den Ideen der modernen
Baukunst den Boden ebnete. Es ist bezeichnend, dass sich
diese Ideen zuerst in den Kreisen bürgerlicher Bauherrn Bahn
gebrochen haben. In der Privatbaukunst wurde der Bann
der akademischen Tradition, der auch über unserer Stadt wie
ein Alp gelegen hatte, zum erstenmal gebrochen. Von hier ist
eine Regeneration unserer heimischen Architektur ausgegangen,
die bald auch ausserhalb des Weich¬
bildes der Stadt Karlsruhe im Land
allenthalben Wurzel fasste. Ihre Haupt¬
träger sind heute in ganz Deutschland
und sogar über die politischen Grenzen
des Reichs hinaus als führende Meister
der modernen Architektur anerkannt.
V Von den entscheidenden Momenten,
welche das Wesen der modernen im
Gegensatz zu den akademischen An¬
schauungen auf allen Gebieten der
Künste bezeichnen, steht das Prinzip
des individuellen Schaffens obenan. Die
besonderen Bedingungen, welche dieses
Prinzip, der praktischen Bedeutung
seiner Kunst entsprechend, an den
Architekten stellt, sind keineswegs
geeignet, ihm seine künstlerische Auf¬
gabe zu erleichtern und zu vereinfachen.
Er muss eine künstlerische Persönlich¬
keit und eine praktische Intelligenz in
Einem repräsentieren: im stände sein,
seine schöpferische Formgebung frei
und individuell aus den Zweckmässig¬
keitsforderungen des einzelnen Falls
heraus zu entwickeln. Also vor allem
nicht schabionisieren. Das Schablonen¬
wesen mit seinen Grundübeln = dem
ideenlosen Kopieren alter Stile, der
abstrakten Universalfassade, den sche¬
matischen Grundrissen u. s. w. — hatte
unsere Baukunst zu gründe gerichtet.
Die Wurzeln des Unheils liegen allerdings tiefer in unseren
sozialen Verhältnissen begründet. Wie viele von uns bauen
sich heute noch ein eigenes Haus? Das Miet- und Etagenhaus,
von allen Aufgaben, die ein Architekt zu lösen hat, mit die
undankbarste, ist heute zum Normalfall geworden. Das ist ein
schweres Hindernis für eine persönliche Entfaltung des künst¬
lerischen Schaffens. Und doch beweist die Tätigkeit eines
Architekten wie Hermann Billing, dass es auch unter diesen
ungünstigen Bedingungen möglich ist, jede Aufgabe des mo¬
dernen Lebens künstlerisch und individuell zu lösen, sobald
der Architekt sich nur dazu versteht,
den Hauptzweck des Bauens auch als
Hauptsache zu behandeln: die Raum¬
bildung. Das Innere und nicht die
Fassade zum Ausgangspunkt seines
künstlerischen Schaffens zu machen.
Denn das allein gibt ihm die Freiheit
der Bewegung, jeden Raum von Fall
zu Fall so zu gestalten und bis ins
kleinste Detail sorgfältig durchzubilden,
dass sich die praktisch-materiellen und
die ästhetisch-idealen Grundbedingun¬
gen einer wahrhaft künstlerischen Bau¬
kunst zugleich erfüllen. Vor allem
müssen die beiden Hauptfaktoren der
Raumstimmung = Form und Farbe als
gleichwertige Momente auch eines gleich¬
wertigen Interesses gewürdigt und die
Mittel einer feiner abgestuften, der
jedesmaligen Raumbestimmung ange¬
passten Raumwirkung = Stimmungs¬
differenzen durch Raum- und Farb-
differenzen = zu ihrer vollkommensten
Ausdrucksfähigkeit gesteigert werden.
V Raumdifferenzen: das war der Punkt,
wo die Regeln der akademischen Bau¬
weise dem Architekten die Hände am
meisten banden. Die Gesetze des
Monumentalstils wurden auf jede Form
des Privatgebäudes übertragen. Der
Wohn- und Arbeitsraum hat aber seine
eigenen Gesetze. Die Behaglichkeit
PROF. H. BILLING. Pforte vom Hanse Stefanien¬
strasse 96, Karlsruhe. Ausführung in Schmiede¬
eisen, mit Neusilber plattiert. Verglasung in
Opalglas.
MODERNE BAUFORMEN III
eines Wohnzimmers z. B. verlangt eine ebenso sorgfältige
Berechnung der Verhältnisse wie die Monumentalität einer
festlichen Halle: dass die Höhe mit der Breite und Tiefe
harmoniere: also Höhendifferenzen geschaffen werden. Die
ungleiche Decken- und Fussbodenhöhe , je der Grösse des
PROF . H.BILLING. Geschäfts- und Wohnhaus der Herren Gehr.Beckh,
Brauereibesitzer, Pforzheim, Gemeinschaftlich erbaut mit Architekt
E. Maler, Pforzheim. Das Erdgeschoss enthält die Räume für die
Schankwirtschaft und einen Laden ; die Stockwerke sind als Wohnungen
eingerichtet. An der Fassade aus Steinthäler Sandstein sind einzelne
I Architekturglieder und Teile der Bildhauerarbeit farbig behandelt
und vergoldet.
Zimmers entsprechend, die Verbindung von Raum zu Raum
durch vermittelnde Treppen etc., die interessanten Perspek¬
tiven, die sich daraus ergeben, gesteigert und bereichert durch
weitere Motive der Raumdifferenzierung: Ein- und Ausbauten
jeder Art, Erker, Nischen u. dergl.: das alles sind intime
Stimmungsreize, die sich mit dem Schema einer durchgeführten
Symmetrie durchaus nicht immer vereinigen lassen. V
V Wir haben hier das Beispiel des Wohnraums gewählt, denn
auf diesem Gebiet hat sich die Tätigkeit Hermann Billings
bis jetzt am reichsten entfalten können. Selbstverständlich
gelten aber dieselben Gesetze einer individuellen Raumgestaltung
für jede andere Art praktischer oder monumentaler Aufgaben.
Für einen modernen Architekten ist auch ein Fabrikgebäude
einer künstlerischen Lösung zugänglich: nicht durch eine
phantastische Übertragung romantisch-mittelalterlicher Schloss¬
oder Kirchenarchitektur, sondern durch eine einfache, sinn¬
gemässe Entwicklung der Form aus dem Zweck. V
V Von den Faktoren der farbigen Erscheinung des Raums
Licht und Farbe im eigentlichen Sinn liegt in dem Be¬
dürfnis einer sinngemässen Lichtführung eine weitere Schranke
für die Durchführung der absoluten Symmetrie: Konzentrierung
des Lichts, Gegensätze von Licht und Schatten: das ist
stimmungsvoll und das ist zweckmässig. Gleichmässig zer¬
streutes Licht macht den Raum unwohnlich und ist auch un¬
logisch: die Decke braucht nicht so hell beleuchtet zu sein
wie der Fussboden oder die Höhe, in der Auge und Hand
arbeiten! So kam die moderne Architektur wieder auf das
alte, durch die klassischen Baustile verdrängte Prinzip der
freien, nicht unbedingt an die Symmetrie gebundenen Anlage
und Gruppierung der Fenster. V
V Und dann die Farbe selbst! Keine Seite der künst¬
lerischen Aufgaben des Architekten war so gründlich vernach¬
lässigt worden als diese nirgends hatte sich der Zerfall des
künstlerischen Gefühls so grass geäussert, wie da, wo es sich
um die farbige Ausstattung des Raums handelte. Es ist eine
der wichtigsten Errungenschaften der modernen Bewegung,
dass die Architekten wieder anfangen, die Bedeutung dieses
Stimmungsträgers par excellence in ihrem vollen Umfang an¬
zuerkennen. Von einer richtig durchgeführten Farbdifferen-
zierung hängt schliesslich die Stimmung und der Totaleindruck
eines Raums festlich oder intim, ernst oder heiter, frostig
oder behaglich u. s. w. mehr ab als von allem anderen.
Freilich setzt gerade diese Seite der Sache einen gründlich
geschulten künstlerischen Geschmack voraus: noch immer eine
der schmerzlichsten Lücken in dem offiziellen Erziehungsplan
unserer heutigen Architekturschulen. Ein Architekt, dem nicht
die Grundsätze unserer modernen Farbenempfindung in Fleisch
und Blut übergegangen sind, ist aber ein wahres Unglück für
unsere ästhetische Kultur! Billings Künstlernatur hat ihn
von Haus aus mit einem stark entwickelten Farbsinn, einer
energischen Freude an der Farbe ausgestattet. Diese Freude
an der Farbe, die sich anfangs noch etwas laut und unvergoren
äusserte, beginnt sich in seinen neueren Werken zusehends
zu läutern und zu verfeinern. V
V Wie im Innern als Motiv der Stimmung, so ist am Aussern
die Raum- und Flächendifferenzierung als Motiv einer reichen
und interessanten Fassadenwirkung an den Billingschen Bauten
Gegenstand einer besonders sorgfältigen Durchbildung. V
MODERNE BAUFORMEN III Z
V Die Mehrzahl seiner Privathäuser
sind nach dem Prinzip der malerisch¬
gruppierenden Stile des Mittelalters
gebaut: eine Bauweise, in der das
Gesetz des Bauens von innen heraus
nun einmal seinen charakteristischsten
und logischsten Ausdruck findet und
die ganz von selbst zum Resultat einer
reich differenzierten Massen- und
Silhouettengliederung führt. Doch
kapriziert sich Billing grundsätzlich
nicht auf einen einzelnen Stil. In der
Beherrschung sämtlicher historischen
Formen = frei aufgefasst und persön¬
lich durchgebildet, nicht pedantisch
imitiert = sucht er die Quelle einer
mannigfaltigeren und anregungsreiche¬
ren Formensprache. So hat er sich
in seinen neueren Bauten auch mehr
mit der symmetrischen Fassade, na¬
mentlich auf Grund frei entwickelter
Barockformen befreundet. Sind hier
auch naturgemässdieDifferenzierungs-
mittel gebundener, indem sie sich mehr
auf die Fläche beschränken: als
Flächenverschiebungen durch Aus¬
buchtungen und Einrichtungen, Vor¬
kragungen und dergleichen, so spricht
andererseits aus der Symmetrie immer
ein Faktor der Monumentalität. Und in der Abwechslung male¬
rischer und symmetrischer Anlagen liegt ein Gegengewicht gegen
das einseitige Verfallen in eine Manier : ein notwendiges Moment
der Bewegungsfreiheit: wie es in der Kunst überhaupt nicht auf
das System, sondern auf den Takt der Behandlung ankommt.
Auch mit einer am richtigen Ort angewandten symmetrischen
Anlage in Verbindung mit einer interessanten Giebel- und
PROF. H. BILLING. Toreingang der Garteneinfriedigung vom
Hause Stefanienstr. 96, Karlsruhe. Grünes und graues Steinmaterial,
Schmiedeeisen,
Dachbildung lassen sich reiche malerische Wirkungen erzielen.
V In letzter Linie hängt freilich die Wirkung einer Fassade
immer wieder von dem grösseren oder geringeren Grad des
Materialgefühls ab, das aus ihr spricht: dass wir z. B. beim
Anblick einer Steinmauer den Genuss des Fleischig-Üppigen
haben, nicht den Eindruck des Papierenen oder Bretternen.
Auch das ist eine Gabe des persönlichen Empfindens: die Seele
des Materials herauszufühlen, seinen individuellen Charakter
zum Sprechen zu bringen: dass Stein als Stein, Metall als
Metall, Holz als Holz wirkt. Es erfordert das ein ebenso frisches
und gesundes Gefühl für die Behandlung des Grossen = der
Masse, der Fläche = wie des Kleinen: des dekorativen und
konstruktiven Details. V
V Damit kommen wir zum letzten Punkt: Ausbau und
Ausstattung. Dass auch das ganze Gebiet der inneren und
äusseren Ausrüstung des Hauses = Fenster- und Türumrah¬
mungen, Wandvertäfelung und Wandverkleidung, Heiz- und
Leuchtkörper, Schlosser- und Schmiedearbeiten = gleichwich¬
tige Aufgaben einer künstlerischen und individuellen Durch¬
bildung des Ganzen sind, das ist eine Anschauung, die sich
mehr und mehr zu einem Fundamentalsatz moderner Baukunst
befestigt hat. Denn ein Haus ist ein Organismus: eines bedingt
das andere und das Grösste leidet, wo am Kleinsten gesündigt
wird. Darum wird der Architekt erst da befriedigt sein, wo
ihm auch der Entwurf des Mobiliars bis zur Bestimmung der
Bilder, Vasen, Wandteppiche etc. überlassen bleibt. Oder wo
er wenigstens überzeugt ist, dass das alles kunstverständigen
und kunstgeübten Händen überlassen bleibt. V
V Wir haben hier in grossen Zügen die Grundsätze ge-
MODERNE BAUFORMEN III
iDEtöimmER-
5CHLfjF2immcR
flwiaDEamrriER-
schildert, die das Schaffen eines der markantesten Künstler¬
erscheinungen auf dem Gebiet moderner Baukunst leiten.
Freilich entspricht das Ideal nicht immer der Wirklichkeit.
Der Architekt ist ja der unfreiste aller Künstler: Immer schiebt
sich zwischen künstlerische Absicht und Ausführung, mehr
oder minder hemmend, der Wille des Bauherrn. Und diese
Rücksicht führt nicht immer zu einem erfreulichen Kompro¬
miss: umso unverwüstlicher muss die Kraft der künstlerischen
Überzeugung sein, wenn sie sich in einer so wuchtigen und
ungebrochenen Stärke äussert, wie in den Schöpfungen
Hermann Billings.
PROF. H. B ILLING, Villa Baumeister, Karlsruhe, Eisenlohrstr. 31.
Die Fassaden zeigen hammerrechtes Bruchsteinmauerwerk aus grün¬
lichem Sulzfelder Sandstein und weissen Verputz. Das Dach ist mit
Schiefer eingedeckt und das Giebelfeld geschindelt.
UNSERE TAFELN.
V TAFEL 1. Häusergruppe in Karlsruhe, Stefanienstrasse 96,
mit der Durchfahrt zur Baischstrasse. Die Abbildung gibt eines
der letzten Bauwerke von PROF. HERMANN BILLING
und veranschaulicht in trefflicher Weise die in unserem Auf¬
sätze ausgesprochene Bewertung des Billingschen Schaffens.
Wer einmal, besonders an trüben Tagen mit bleigrauem Himmel
vor der Häusergruppe stand, wird die Wirkung der gelblichen
Sandsteinmassen (aus den Brüchen von Klingenmünster) mit
ihren sparsam angebrachten goldenen und farbigen, haupt¬
sächlich blauen Farbeffekten als hervorragend schön bezeichnen
müssen ; auch kommt gerade an diesen beiden Fassaden die
Billingsche Eigenart in der Behandlung der Steinflächen zu
vollster Entfaltung. V
V TAFEL 2 ist ein Entwurf des Architekten F. W. JOCHEM,
DARMSTADT, eines Schülers von Professor Jos. M. Olbrich.
Die Häusergruppe ist als Mittelpunkt einer Flucht von Ein¬
familienhäusern gedacht und daher symmetrisch gelöst. Das
grössere Haus in der Mitte liegt einige Meter hinter der Bau¬
linie zurück und beherrscht mit seinem hohen Giebel die ganze
Anlage. Beiderseits schieben sich, in Grundriss und Silhouette
gleichgestaltete kleinere Häuser wie Pylonen vor und springen
in sich selbst wieder ein wenig zurück, um auf die Fluchtlinie
KARLSRUHE.
K WIDMER.
MODERNE BAUFORMEN III
PROF. H. BILLINü. Sitzungszimmer im Verwaltungsgebäude der Maschinenfabrik Bruchsal A. G.
Ausführung der Möbel und Täfelung in blaugrau gebeizter Eiche mit Lederpolsterung.
Beleuchtungskörper aus Kupfer.
der anschliessenden Gebäude zu tref¬
fen. Das Mittelhaus, im wesentlichen
ein Fachwerkbau, dessen Vorbau im
Erdgeschoss eine offene Halle bildet,
im ersten Obergeschoss aber zum Teil
als Erker den Zimmern zugeteilt, zum
Teil als Loggia ausgebaut ist, hat weiss¬
lackiertes Holzwerk mit gezogenen
und rauhen, gelben Putzfeldern ; gold¬
gelb glasierte Ziegel decken den Vor¬
bau, Schiefer das Dach. Die beiden
vorgeschobenen Häuser haben Socke!
aus grünlichen Sandsteinen, darüber
blauglasierte Ziegelwände, die durch
gemauerte Bänder in heller blauen
Steinen gemustert sind. Die übrigen
Wandflächen und die Giebelfelder
zeigen weissen Verputz mit gelbem
Stich; die Dächer sind mit Schiefer
eingedeckt. Dazu kommen noch die
weissen Sandsteinflächen und das
rostbraune Gitterwerk der Einfriedi¬
gungen, um im Verein mit den bunten
Farben der Vorgärten, jene ruhig¬
heitere Wirkung hervorzubringen, die
den neuen Villenstrassen unserer
Städte leider zumeist noch mangelt.
V TAFEL 3. EDGAR WOOD, MAN¬
CHESTER, zeigt uns hier einen Ent¬
wurf zu dem Treppenhause einer
grossen Stadtvilla. Wir stehen an der Fensterwand. Nach
unten öffnet sich der Blick in den unteren Teil der Halle
mit Erkerausbau, nach oben führt der Treppenarm nach einer
als Vorraum ausgebauten Galerie, von der aus die Korridore und
der obere Teil der Halle zugänglich sind. Das Treppenhaus ist
auf das fröhlichste ausgeschmückt. Weiss lackierte Täfelung
deckt alle Wände bis zum Gewölbe, dessen Gurten und Rosetten
aus angetragenem Stuck eine lebhafte Bemalung aufweisen.
Ebenso farbenfreudig sind die in Gesso aufgetragenen bemalten
Ornamente der Galeriebogen, die geschnitzten Figürchen und
Grundrisse zu Tafel 1.
MODERNE BAUFORMEN III
PROF. H. BILLING. Portal vom Verwaltungsgebäude der Maschinen¬
fabrik Bruchsal. Ausführung des Tores in Kupfer mit facettierten
Spiegelgläsern.
"MiPlIl IBS
Verzierungen der Täfelung und das Freskohild im Gewölbe¬
abschnitt oberhalb der Galerie. Dicke bis auf eine goldgelbe
Borte einfarbig rote Läuferteppiche vermitteln den Uebergang
zu den ernsten Farben der Halle. V
V Auf TAFEL 4 sehen wir die Strassenseite des Wohnhauses
von Professor Dr. Zeller, Stuttgart, Reinsburgstrasse. Erbauer
des Flauses ist Architekt PROFESSOR THEODOR FISCHER,
STUTTGART. Die Fassade v/irkt zwischen den nebenstehen¬
den Zinskästen aus dem letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts
geradezu überraschend. Es mag hier vorweg gesagt sein, dass
uns zwar die Stellung eines niederen Giebelhauses in eine
Grundriss zu Tafel 2.
Flucht höherer, würfelartig gebauter Häuser als gewagt er¬
scheinen will; aber vielleicht liegt gerade darin jene über¬
zeugende Sprache, die dem Hause eigen ist. Th. Fischers ge¬
wohnte Sicherheit in der Verteilung der Massen, der Konzen¬
trierung des Schmuckes auf wenige durch ihre Bedeutung
berechtigte Gebäudeteile und nicht zum mindesten seine Sicher¬
heit in der Farbe kommen selbst an diesem bescheidenen Bau¬
werke voll zur Geltung. Unser Bild gibt zwar nur eine schwache
Vorstellung von der farbigen Wirkung des Hauses, zumal uns
die rote Fläche des Daches ganz fehlt; umsomehr jedoch zeigt
es die Schönheit der Verhältnisse. Das Haus ist in der Haupt¬
sache ein Putzbau, nur zum Erdgeschoss und zum Erker sind
Stuttgarter Sandsteine aus dem Dachswald verwendet; die
Ornamente der Putzflächen sind aus dem halbtrockenen Ver¬
putz ausgekratzt und mit Kalkfarben ausgemalt. Der bildliche
Schmuck am Erker nimmt Bezug auf Beruf und Sinnesart des
Besitzers: das Giebelfeld hat Professor G. Halmhuber, Stutt¬
gart, mit einem Fresko, den barmherzigen Samariter darstellend,
PROF. H. BILLING. Vorplatz und Treppenaufgang im Verwaltungs¬
gebäude der Maschinenfabrik Bruchsal.
MODERNE BAUFORMEN III
geschmückt; die musizierenden Kindergestalten, die Steinbilder
zu Mörikes Märchen „der sichere Mann“, „die schöne Lau“
und der Pelikan sind von Bildhauer J. Brüllmann, Stuttgart,
ausgeführt. Die Bausumme beträgt ca. 75000 Mark. V
V TAFEL 5 gibt einen Entwurf des Architekten HENRY PRO-
VENSAL, PARIS, wieder und stammt aus einer Reihe von
Landhausprojekten, von denen wir drei zur Veröffentlichung
bringen werden: Haus im Norden, Landhaus in gemässigtem
Klima und Villa im Süden. Bei der Komposition versuchte
der Architekt sowohl die Aussenarchitektur als auch die innere
Einteilung der Häuser unter Berücksichtigung klimatischer Ver¬
hältnisse auszugestalten und veranschaulicht hierdurch in den
sehr praktischen und rationellen Plänen drei verschiedene
Typen von Wohnhäusern, die für drei verschiedene Zonen
und folglich auch für drei verschiedene Lebensweisen bestimmt
sind. Ebenso sucht er bei den Fassaden die aus gewissen
Bedürfnissen entstehenden Nutzformen mit der Umgebung aus¬
zugleichen und die Häuser der jeweiligen Landschaft anzupassen
und einzugliedern. Aus diesem Grunde verwendet er nur
lokales Baumaterial. Unsere erste Abbildung zeigt das Landhaus
in gemässigtem Klima. Die
verputzten Backsteinmauern
mit den nicht allzugrossen
Fenstern, die steilen Ziegel¬
dächer und die malerische
Anordnung der Baumassen
entsprechen ganz dem Cha¬
rakter solcher Gegenden,
deren heimelige alte Häuser
uns die Anpassung von Ge¬
bäuden an Standort und Be¬
wohner so eindringlich lehren.
V TAFEL 6. Haus in Wol-
ves Newton, Monmouthshire.
Architekt A, J. HARDWICK,
KINGSTON-ON -THAMES
(gezeichnet von Sidney Cast¬
le). Wie bei fast allen eng¬
lischen Landhäusern äusser-
lich schmucklos = verputzte
Mauerflächen, eichenes Fach¬
werk, Ziegeldach = ist das
PC, cSCMOSi:
PROF. ROBERT RITTMEYER. WINTERTHUR.
GEDÄCHTNISKAPELLE.
Hoch oben auf dem natürlichen , an einem Abhang schroff hervor¬
ragenden Fels ist eine Plattform auf gemauert , welche die Kapelle
trägt. Sie soll ein Bauwerk sein, das die Erinnerung an ein für
das Land bedeutsames Ereignis: an eine Schlacht, ein Bündnis, den
Bau eines Kanals, Wasser- oder Feuersnot u. dergl. den jetzigen
und kommenden Geschlechtern wach halten soll. Wände, Dach und
Dachreiter , der eine kleine Glocke enthält, sind aus wetterfestem
Fels gearbeitet. Auch das Innere ist unverputzt gelassen und nur
mit wenig Malerei belebt. Der vergoldete Steinaltar mit Schrifttafel,
dunkelblau gebeizte Eichenbänke, rotes Ziegelpflaster, eine schmiede¬
eiserne Ampel und mit lichtdurchlassenden dünnen Marmorplatten
geschlossene Fenster mögen eine würdige ernste Stimmung geben.
Ein Freskobild über dem Eingang soll in markanten Zügen die
Grösse des Ereignisses unserem Sinn und Gemüt übermitteln.
Innere um so behaglicher ausgestattet. Besondere Sorgfalt wurde
auf die Eingangshalle, verwendet, von der uns jedoch leider keine
Abbildung vorliegt. Hier sind die Wände bis 2 Fuss unter das
Deckengesims in dunkel getönter Eiche getäfelt, ebenso die in
einfachsten Formen gehaltene Decke. Dazwischen läuft ein
Fries in reich ornamentierter Steinbildnerei mit bronzenen
Einlagen. Dies und die Treppe mit ihren Holzschnitzereien,
die schmiedeeisernen Beleuchtungskörper, das massive Möbel¬
werk und die warmen Farben von Teppichen und Vorhängen
bilden einen Innenraum von wohltuendstem Einklang. Infolge
der hohen Lage des Hauses geniesst man von den oberen
Stockwerken einen prächtigen Ausblick auf das Tal gegen
Grundrisse und Schnitt zu Tafel 4.
MODERNE BAUFORMEN III
PAUL BURCKHARDT, MÜNCHEN.
HAUPTTOR EINES ZOOLOGISCHEN GARTENS.
Unter Beschränkung der Baumassen auf das Notwendige und mit
möglichst einfachen Mitteln sucht der Architekt der eigenartigen
Aufgabe gerecht zu werden. In die gegen das Tor zu erhöhten
Umfassungsmauern ist der mächtige Torbogen eingesetzt, dem die beiden
vorgelagerten Kassen zugleich als Sockel für das aus Holz kon¬
struierte Schutzdach dienen. Lebhafte Farben zwingen die Vorüber¬
gehenden zur Aufmerksamkeit: an den gelblichverputzten Mauerflächen
stehen die um die Kassenmauern laufenden Vogelfriese in flacher Plastik
hart weiss mit roten Füssen und Schnäbeln auf grauem Grund; die
Füllung unterhalb des blaugestrichenen Vordaches zeigt in Ton gebrann te
Elefanten zwischen smaragdgrünem und goldenem Fliesenbelag.
Avergavenny und das etwa 20 engl. Meilen entfernte Sugar Loaf
Gebirge. Die ganze Talseite, die sehr steil abfällt, ist in einer
Folge von Terrassen und holländischen Gärten angelegt, deren
abgezirkelte Wege und Gartenflächen besonders zur Zeit der
Frühlingsblüte einen bezaubernden Anblick gewähren. V
V Der Innenraum auf TAFEL 7, eine glückliche Illustration
zu unserem Aufsatze über moderne Architektur in Karlsruhe,
ist eine Ansicht der Kaminpartie aus der Halle der Villa Mez,
Freiburg i. Br., gemeinschaftlich mit Regierungsbaumeister
J. MALLEBREIN, FREIBURG, ausgeführt von PROFESSOR
HERMANN BILLING. Der schweren, satten Farbstimmung
der Halle entsprechend, sind auch die Rohstoffe und Formen
der Einrichtungsgegenstände gewählt: Eichenholz für Treppen¬
täfelung und Möbel, Marmor mit blankpolierten geschmiedeten
Messingeinsätzen für den Kamin, Lederpolsterung auf den mit
Eisen beschlagenen Sitzgelegenheiten, dickwollige Teppiche
U. S. W. V
V TAFEL 8 führt uns in die Berge von Savoyen, wo die Archi¬
tekten E. MONOD & A. LAVERRIERE, LAUSANNE, die ab¬
gebildete Villa für Herrn G. in M. bauen werden. Das Gebäude
kommt in einen ausgedehnten Park zu stehen, der rings um das
Haus in streng geführten Rasenflächen mit Blumenbosketts und
Hecken angelegt wird, dann aber ganz allgemach in den in
seinem unberührten Zustande gelassenen Waldbestand über¬
geht. Die in der Nähe befindlichen Brüche liefern das gelb¬
liche Steinmaterial, das zum Teil unbearbeitet vermauert und
verputzt wird. Grossästiges Lärchenholz wird zu Balkons,
Geländern, Dachgebälke u. s. w. verwendet und, wo es sicht¬
bar bleibt, mit einem dünnflüssigen Mennig-Anstrich versehen,
der gerade so viel Farbstoff enthält, um nach der Firnissung
die reizvolle Zeichnung des Lärchenmasers ganz zur Geltung
kommen zu lassen. Das Fensterholz wird weiss gestrichen
und das Dach mit hellmennigfarbenen, viereckigen Ziegelplatten
eingedeckt, wodurch das ganze Gebäude äusserlich auf drei
Farben = gelb, weiss und rot gestimmt ist. V
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jahrs- MONAT/HEFTE für7\R.CHITEKTUR. HEFT!
MODERNE BAUKUNST IN KARLSRUHE.
II. CURJEL & MOSER.
Ein ominöser Sinn haftet heute an dem Wort Renaissance.
Der Missbrauch, den die Nachwelt mit ihr getrieben hat,
hat uns ein gutes Stück von der Sache selbst entleidet. Wir
können es so leicht nicht vergessen, dass die Herrschaft dieses
Stils in Architektur und Kunstgewerbe mit einer Epoche des
ärgsten Tiefstands unserer künstlerischen Kultur zusammen¬
gefallen ist: eines Tiefstandes der im wesentlichen die Folge
einer einseitigen, mehr ver-
standesmässig - wissenschaft¬
lichen als gefühlsmässig-
künstlerischen Auffassung
des Architektenberufes ge¬
wesen ist. So war es nicht zu
verwundern, dass die Re¬
aktion gegen den Geist dieser
Auffassung zu einer Reaktion
gegen die Renaissance selbst
geführt hat. In der Tat be¬
ginnt damit erst das Erwachen
eines wahrhaft lebendigen, mit
den Bedingungen unseres ei¬
genen Lebens im natürlichen
Zusammenhang stehenden
Kunstschaffens. Auch bei
uns in Karlsruhe ist es so ge¬
kommen. Hier hatte die aus
Italien importierte Neurenais¬
sance der 70 er und 80 er
Jahre die letzten Fäden einer
lebendigen Stiltradition von
selbständigem, autochthonem
Charakter vollends abgeris¬
sen. Die Stadt verlor ihre,
damals ohnehin schon stark
verwischte, persönliche Phy¬
siognomie, die ihr einst W ein-
brenner mit so wuchtiger
Hand aufgeprägt hatte, end¬
gültig. Die Universalfassade,
die überall und nirgends zu
Hause ist, das Produkt
trockener, wenn auch noch
so gediegener Gelehrsamkeit oder ihr verständnislos nach¬
stümpernder Geschmacksbarbarei, machte sich breit neben den
alten gemütvollen Häusern des Biedermaierstils. Die Wendung
der Dinge wurde bei uns um so verhängnisvoller, da sie in eine
Zeit der beschleunigten städtischen Entwickelung fiel. Karls¬
ruhe, dem ja das Gegengewicht interessanter mittelalterlicher
Stadtteile fehlt, drohte eines der unerfreulichsten Beispiele
moderner Poesie- und Cha¬
rakterlosigkeit zu werden. Da
kam — Ende der neunziger
Jahre — der Umschwung un¬
erwartet rasch und durch¬
schlagend. Er setzte eben¬
falls ein mit einem Vorstoss
gegen die Herrschaft der
Renaissance. Doch gingdieser
zunächstvon der historischen,
nicht von der modernen
Schule aus. K. SCHÄFER,
der geniale Gotiker, hat mit
seiner altkatholischen Pfarr¬
kirche die erste Bresche ge¬
brochen. Noch mehr viel¬
leicht als die Kirche selbst,
öffnete das im deutschen
Fachwerkstil erbaute Pfarr¬
haus den Leuten die Augen,
dass es für die Aufgaben des
modernen Lebens, noch
andere und vielleicht dank¬
barere Anregungen gebe, als
das abstrakte Einerlei rö¬
mischer Prunkfassaden und
dass es immerhin zwei ver¬
schiedene Dinge seien, alte
Bauformen mit künstle¬
rischem Verständnis neu zu
beleben oder mit verstandes-
mässiger Nüchternheit abzu¬
schreiben. So half Schäfer,
der seinem Hass gegen die
Modernen so temperament-
CURJEL & MOSER, Bankgebäude Veit L. Homburger, Karlsruhe.
Haupteingang, gelblicher Spessart-Sandstein, Tor aus
Schmiedeeisen.
MODERNE BAUFORMEN III _
ausgedehnt. Neben ihren zahlreichen
Privatbauten haben sie auch eine statt¬
liche Reihe bedeutender Monumental¬
bauten ausgeführt. Namentlich ver¬
dankt ihnen der protestantische
Kirchenbau Südwestdeutschlands bis
weit in die Schweiz hinein eine epoche¬
machende Förderung. Als künst¬
lerische Charaktere gegen einander
abgewogen, überwiegt bei Billing
vielleicht das sprudelndere Tempera¬
ment, bei Curjel & Moser eine ab¬
geklärtere Kultur. Doch sind das nur
summarische Wertungen von sehr re¬
lativer Gültigkeit. V
V Den Kreis der von Curjel & Moser
geschaffenen Werke umschreiben bis
jetzt drei (durch zahlreiche Kombi¬
nationen und Uebergänge unter sich
vermittelte) Hauptgruppen: Wohn¬
häuser, Geschäftshäuser und Kirchen.
V Was zunächst ihre Wohnhäuser
betrifft, so decken sich da mit der
gemeinsamen Aufgabe begreiflicher¬
weise auch die allgemeinen Prinzipien
vielfach mit denen, die wir bei der
CURJEL & MOSER. Bankgebäude Veit L. Homburger, Karlsruhe.
Detail von der Ecke mit Turm.
vollen Ausdruck zu geben liebt, selbst mit, ihnen die Bahn zu
ebnen. Auch sein Schüler, der vortreffliche RATZEL, steht auf
demselben Boden streng historischer Anschauungen. Sein einziges
Werk, in dem er dem modernen Geschmack eine entschiedene
Konzession gemacht hat, die Halle der Jubiläums-Kunstaus-
stellung ist - als Provisorium, wie sie von vornherein gedacht
war nun endgültig dem Untergang geweiht. Im übrigen aber
stehen auch seine historischen Schöpfungen denen unserer
modernen Architekten im Geiste nahe genug: nicht nur, weil
sie auf verwandten Grundlagen malerisch nordischer Baukunst
aufbauen, sondern vor allem, weil auch in ihnen der wissen¬
schaftliche Geist die künstlerische Empfindung nicht erdrückt
hat. V
V Für die Entwickelung der Karlsruher Architektur im eigent¬
lichen modernen Sinn war es aber von entscheidender Wichtigkeit,
dass zugleich eine Gruppe dem historischen gegenüber selb¬
ständigerer Künstler in die Schranken trat, deren Wirken, sich
gegenseitig ergänzend, ein doppeltes Gewicht in die Wagschale
der Modernen warf: es ist neben dem von uns schon be¬
sprochenen Hermann Billing vor allem die Architektenfirma
Curjel & Moser. Die beiden Baufirmen beherrschen gegen¬
wärtig als tonangebende Potenzen von annähernd gleicher
Schwerkraft das architektonische Leben von Neu-Karlsruhe.
Wenn wir heute von einer originalen Jung-Karlsruher A rc h i-
tekturschule sprechen können, die der Physiognomie der
Stadt einen eigenartig persönlichen Charakterzug aufprägt, so
haben wir in ihnen ihre einflussreichsten und eigentlich
führenden Repräsentanten zu suchen. V
V Dabei hat sich der Wirkungskreis von Curjel & Moser
entsprechend ihrer längeren Tätigkeit innerhalb und ausser¬
halb Karlsruhe, auf eine etwas reichere Skala von Aufgaben
CURJEL & MOSER. Villa des Herrn Geh. Komm.-Rat Robert
Koelle, Karlsruhe. Haupteingang mit Unterfahrt.
MODERNE BAUFORMEN III
Besprechungder Billingschen
Bauten entwickelt haben.
Auch hier steht der Grund¬
satz des individualisierenden
Schaffens obenan : bei Villen¬
bauten bedeutet das ein in¬
timeres Eingehen auf die
Persönlichkeit, die Lebens¬
gewohnheiten und Lebens¬
stellung des einzelnen Bau¬
herrn, bei Miethäusern die
grössere Rücksicht auf ein
gewisses Durchschnittsmass
moderner Bedürfnisse. Eine
allgemeinere Gleichmässig-
keit der Anlage, die sich auch
im Äussern aussprechen wird,
ist im letzteren Fall durch¬
aus zweckentsprechend. V
V Curjel & Moser haben in
diesem Sinn an der Peri¬
pherie der Stadt geschlossene
Komplexe geschaffen, die
gerade dadurch eine glück¬
liche Einheit und Harmonie
der Gesamtwirkung erhielten,
während doch jede Einförmig¬
keit durch eine abwechs¬
lungsreiche Kombination der
wiederkehrenden Elemente
vermieden wurde. Übrigens
lassen sich auch für die Anlage des Einfamilienhauses, unbe¬
schadet der Individualisierung des einzelnen Falles, gewisse
gemeinsame Grundsätze abstrahieren : so trägt u. a. die Grup¬
pierung der Zimmer um einen zentralen Mittelraum — eine
Wiedergeburt der altdeutschen Halle — zur Behaglichkeit und
Bequemlichkeit des Wohnens bei und beschränkt doch die
wünschenswerte Freiheit des Einteilungsplanes in keiner Weise.
Dem individualisierenden Prinzip der Entwickelung des Äussern
aus dem Innern heraus entsprechend, haben auch Curjel &
Moser sich von der akademisch - symmetrischen Fassaden¬
anlage mit voller Entschiedenheit der malerisch-gruppierenden
Bauweise zugewandt. Sie haben bis jetzt konsequenter an
ihr festgehalten als Billing, der sich ja in letzter Zeit auch
mit dem Prinzip der Renaissance wieder mehr befreundet hat.
Das Odium gegen die Renaissance es soll das immer wieder
betont werden — richtet sich ja nicht sowohl gegen die Sache
selbst, als gegen ihren Missbrauch. Wie denn überhaupt kein
Baustil an sich verwerflich oder alleinseeligmachend ist. Warum
sollten auch frei und zweckentsprechend, ohne systematische
Pedanterie umgewertete Renaissanceformen für die Bedürfnisse
unseres modernen Daseins nicht ebenso gut fruchtbar gemacht
werden können, wie Empire und Barock oder die unserer
modernen Welt doch weit entlegeneren Elemente altägyptischer
Baukunst? Auf den Geist, nicht auf den Buchstaben kommt
es an. Aber der Geist war es, gegen den gerade da am ärgsten
gesündigt worden war, wo man den Buchstaben am heiligsten
gehalten hatte. y
V Der Unterschied des
Wohnhauses und Geschäfts¬
hauses kündet sich nach
aussen wohl in nichts so
klar an wie im Problem der
Fensterbehandlung. Das Fen¬
sterspricht als Faktor der Fas¬
sadenwirkung wie der innern
Raumstimmung ein gleich ge¬
wichtiges Wort. So verlangt
das Gebot der Wohnlichkeit,
vom praktischen wie vom
ästhetischen Gesichtspunkt
aus, möglichst geschlos¬
sene Flächen: also Spar¬
samkeit mit den Lichtquellen,
Schonung der Wände, freie
Gruppierung der Fenster,
Konzentrierung des Lichts.
Die praktischen Bedürfnisse
des modernen Geschäfts¬
hauses fordern im Gegen-
satzdazudiewei tgehendste
Öffnung der Mauerfläche:
Schaffung weiter Schaufen¬
ster, heller Bureauräume. So
löst sich schliesslich die ganze
Strassenwand auf in ein Sy¬
stem von Pfeilern, zwischen
denengewaltige Glasscheiben
ausgespannt sind. Die ganze
Fassade verwandelt sich in ein riesiges, stein- oder eisen¬
umrahmtes Fenster. Curjel & Moser waren mit die ersten,
die diesen, im Konstruktionsprinzip mit der Gotik überein¬
stimmenden Typus zuerst bei uns eingeführt haben. Die
beste organische Lösung fanden sie da, wo eine gewisse Ein¬
heit schon in der Aufgabe garantiert war: z. B. dem Bankhaus
von Veit L. Homburger, einem reinen und ausschliesslich
aus Stein errichteten Geschäftsbau. Hier konnte das Prinzip
auch einheitlich und durchaus folgerichtig durchgeführt werden.
Viel grössere Schwierigkeiten liegen da, wo zwei heterogene
Aufgaben (oder zwei verschiedene Materialprinzipien, wie Eisen
und Stein) in einen Plan zusammengefasst: z. B. Hotelräume
oder Wohnetagen mit einem Kaufhaus kombiniert werden
sollen. Hier bekommt man leicht den Eindruck, dass die ganze
Konstruktion gleichsam auf den Kopf gestellt sei: das Leichte,
Durchbrochene steht unten, das Schwere, Massige oben. V
V Seit dem Tode Weinbrenners hat über dem Kirchenbau der
Stadt Karlsruhe ein sinkender Stern gewaltet. Die Aufgaben
stockten jahrzentelang fast ganz. Erst in neuester Zeit hat
der Aufschwung der Stadt auch auf diesem Gebiet eine Wen¬
dung zum Bessern gebracht. Mit der Zahl der Aufträge ist
auch das künstlerische Niveau der Bauschöpfungen rasch
emporgeschnellt. Die altkatholische Pfarrkirche von Schäfer,
man mag mit ihrem unerbittlichen historischen Purismus,
namentlich mit der Ausmalerei des Innern in allen Stücken
einverstanden sein oder nicht, war jedenfalls eine künstle¬
rische Tat. Gleichzeitig ging auch über dem protestantischen
MODERNE BAUFORMEN III
W "
CURJEL & MOSER. Villa Koelle, Karlsruhe.
Erker am Schlafzimmer.
Kirchenbau ein günstigerer Stern
auf. V
V Curjel & Moser gebührt das
Verdienst, auch auf diesem Gebiet
für neue Ideen Bahn gebrochen zu
haben. Sie haben den modernen
Typus bei uns eingebürgert, der
sich als Norm einer den Zwecken
des protestantischen Kultus am
meisten entsprechenden Ideal¬
anlage herausgebildet hat: die
konzentrale Kreuzanlage mit kurzen
breiten Armen. Die Vorteile dieses
Typus sind bekannt: während die
dem katholischen Kirchenbau ent¬
lehnte, aus ganz andern Bedin¬
gungen herausgewachsene Lang¬
schiffanlage mit einer vorherrschen¬
den Hauptachse in allen Punkten
den Forderungen des protestan¬
tischen Gottesdienstes widerspricht,
haben wir hier, die durch die Be¬
tonung von Wort und Predigt ge¬
botene Konzentrierung von A.uge
und Ohr auf Altar und Kanzel : noch
gesteigert durch radiale Anordnung
der Sitzplätze und dergl. V
V Curjel & Moser sind in Karls¬
ruhe bis jetzt zwei kirchenarchi¬
tektonische Aufgaben grösseren
Stils zugefallen : die vor wenigen
Jahren vollendete Christuskirche
im Westen der Stadt und das Pro¬
jekt einer neuen protestantischen
Kirche im Osten. Soweit das Modell
und die Entwürfe einen Vergleich
CURJEL & MOSER. Villa Koelle. Karlsruhe.
Fensterdetail.
zulassen, verspricht die letztere die ausgereifte Vollendung von
dem zu werden, was in der Christuskirche mit so schönem Er¬
folge angestrebt worden ist. Namentlich konnte noch ein grösseres
Gewicht gelegt werden auf eine malerisch geschlossene und
interessant silhouettierte Gruppierung der in den Bezirk der
Kirche einbezogenen, architektonischen Umgebung des Pfarr¬
hauses u. s. w. Auch was die architektonische Behandlung
der Fassaden selbst betrifft, so macht sich ein weiterer Fort¬
schritt geltend in der einheitlicheren und ausgereifteren Ver¬
arbeitung der zu Grunde gelegten historischen Elemente. Der
Eindruck des Ganzen verspricht noch ruhiger, wuchtiger und
damit monumentaler zu werden. V
v7 Für die Wirkung des Innern steht natürlich die Bedeutung
einer geschlossenen und weihevollen Raumbildung obenan.
Doch ist es ihnen besonders anzurechnen, dass sie auch das
für den protestantischen Kirchenbau so heikle Problem der
Farbe und der künstlerischen Ausstattung mit ebenso viel Mut
als Glück angefasst haben. Die Christuskirche ist im Innern
ausgesprochen farbig gehalten — selbst das Wagnis vielfarbiger
Glasmalerei ist mit Erfolg durchgeführt worden. Dass dabei
mit feinem Takt die Linie eingehalten wurde, welche die von
dem puritanischeren Geist des Protestantismus gebotene Zurück¬
haltung vorschreibt, ohne dass die Tiefe und Kraft der kolo¬
ristischen Stimmung dadurch geschwächt wurde: das bedeutet
einen Erfolg, der hoffen lässt, dass damit bei uns ein für alle¬
mal das Vorurteil streng protestantischer Anschauungen gegen
eine farbige Behandlung ihrer Kirchen überwunden sein wird. V
V Ähnliches gilt von der Ausschmückung der Kirche durch
Werke der freien und angewandten Kunst. Auch hier kommt
alles auf taktvolle Zurückhaltung an. Das in seiner durch¬
geistigten Schlichtheit und stilvollen Grösse ebenso ergreifende
wie unaufdringliche Steinkruzifix der Altarwand (modelliert
von Fried. Dietsche), das die Bedeutung des Raums symbolisch
zusammenfasst und die Stimmung auf seinen geistigen Mittel¬
punkt konzentriert, wird bei dem strengsten Richter keinen
Anstoss unprotestantischen „Heidentums“ erregen. V
V Der Grundsatz der Einfachheit, namentlich in der Konzen¬
tration eines sparsam verwendeten Sch mucks, dieses fundamentale
Axiom neuzeitlicher Kunstanschauung, ermöglicht es dem mo¬
dernen Architekten wieder, in der inneren und äusseren deko¬
rativen und praktischen Ausstattung seiner Bauten der echten
Kunst und dem echten Kunsthandwerk einen würdigen Platz
anzuweisen — was an unnützer Verschwendung mit dekorativem
Detail gespart wird, das kommt der künstlerischen und mate-
MODERNE BAUFORMEN III
13
riellen Gediegenheit der aufgewandten
Mittel zu gute. So erfüllt die Archi¬
tektur wieder eine ihrer segens¬
reichsten Kulturaufgaben, indem sie
der Zersplitterung unseres heutigen
Kunstlebens siegreich entgegenar¬
beitet und für das Zusammenwirken
aller bildenden Künste einen gemein¬
samen goldenen Boden schafft. Das
ist der sicherste und vielleicht der
einzige Weg, die Kluft, die Kunst und
Leben getrennt hat, wenn nicht aus¬
zufüllen, so doch zu überbrücken.
Unter den grossen Erfolgen, welche
der Aufschwungdes Karlsruher Kunst¬
lebens gerade der modernen Archi¬
tektur zu verdanken hat, ist das ent¬
schiedene und verständnisvolle Ein¬
treten für diese Bestrebungen nicht
das letzte. V
V In der Tätigkeit von Hermann
Billing und Curjel & Moser gipfelt
zurZeit unsere Karlsruher Bautätigkeit
moderner Richtung. Doch haben die
Anregungen, die von ihnen ausge¬
gangen sind, auch bei andern schon
bemerkenswerte Früchte getragen
gute und begreiflicherweise auch minder gute. Man fühlt das
Wehen ihres Geistes durch unsere ganze moderne Stadt¬
entwicklung hindurch. So hat unter andern H. STÜRZEN ACKER,
bei den Hochbauten des Karlsruher Rheinhafens, manches
interessante Beispiel künstlerischer Behandlung der durch
das moderne Verkehrs- und Gewerbeleben gestellten Aufgaben
geschaffen. Doch ist hier nicht der Ort, auf weitere Einzel¬
heiten einzugehen. Genug, man spürt hier überall, dass es
auch im ganzen vorangeht. In seiner architektonischen Ent¬
wicklung könnte das heutige Karlsruhe mancher deutschen
Gressstadt mit regerem Tempo des Lebens und imposanterem
Aufschwung zum Vorbild dienen. V
KARLSRUHE. K WIDMER.
UNSERE TAFELN.
V TAFEL 9. „Halle“ nach einem Aquarell der Architekten
CURJEL & MOSER, KARLSRUHE. Dieser und der auf Tafel 15
dargestellte Innenraum geben ein anschauliches Bild der bei
allem Aufwand doch in gediegener Einfachheit gehaltenen
Innenausstattung der Villa E. Rudolph in Zürich. Die durch¬
weg dem Zwecke entsprungene Architektur zeigt nirgends eine
Anhäufung von Zierformen oder gar gesuchtes Linienspiel und
überfeine Konstruktions-Kunststücke; sie ist rein logisch aus
den Forderungen der verarbeiteten Materialien entwickelt, die
denn auch als solche ganz zu ihrer Eigenwirkung gelangen.
Verwendet sind zu Täfelung und Möbeln: Hellbraun ge¬
beiztes Tannenholz; zum Boden: Eichen-Parkett; zur Decke:
MODERNE BAUFORMEN III
CURJEL & MOSER. Haupteingang der Villa ..Langmatt" des
Herrn S. W. Brown. Baden i. d. Schweiz.
Tannenbalken und Stuckverputz; zum Kamin: blaugrüne Läuger-
Platten mit farbigen Einlagen, kupferner Feuerhelm; zum
Brunnen: ebensolche Platten und polierter roter Veroneser
Marmor ; zu Beschlägen und Beleuchtungskörpern : abgeriebenes
Schmiedeeisen. Die Vorhänge sind aus hellblauer Seide mit
grüner Applikation, die Läufer und Teppiche blau und grün
gemusterter Smyrna. V
v7 TAFEL 10. „Jagdschlösschen“. Entwurf von WUNIBALD
DEININGER, WIEN. Der Standort des in einfachen gross¬
zügigen Formen gehaltenen Schlösschens ist auf einer Waldes¬
lichtung mit Fernblick angenommen, wo es sich mit seinen
weissen glatten Wandflächen scharf von dem Grün der Um¬
gebung abhebt. Es ist mit Holzschindeln eingedeckt, die mit
ihrer grauen Farbe, den Putzwänden und dem gewachsenen
Terrain eine wohl abgewogene Farbstimmung hervorrufen, und
in diesem Falle von grosser Haltbarkeit sind, weil der Haupt¬
zerstörer dieser Eindeckung: die auf sie fallenden und dort
faulenden Blätter der Laubbäume nicht vorhanden ist. Um
den Hauptraum, dem Rempter, mit anschliessendem Speise¬
saal, legen sich einerseits die nötigen Nebenräume, anderseits
die Privatgemächer des Hausherrn. Küche und Dienstboten¬
zimmer sind im Souterrain untergebracht. Eine Treppe führt
unmittelbar von Rempter aus in das Obergeschoss, wo von
dem um den Saal laufenden Gange, die Schlafzimmer der
Jagdgäste, einige Badezimmer, die Aborte etc. zugänglich
sind. y
V TAFEL 11. „The Woodbine Inn“ in Handsworth; Archi¬
tekten H. F. BUCKLAND & E. H. FARMER, BIRMINGHAM.
Mit der Grundaushebung zu diesem einladenden Gasthofgebäude
wird nächstens begonnen. Angelegt auf einem Terrain, das von
der Strasse aus mässig abfällt, ist die Bodensenkung so ver¬
wertet, dass die Tür- und Lichtöffnungen von Remisen und
Kellerräumen zum Teil auf
einen durch Abtragung des
Erdreichs gewonnenen ebe¬
nen Hofgehen. Um die Unter¬
haltungskosten auf das Ge¬
ringste zu bringen, werden
die Fassaden mit roten Hol¬
länderziegeln verblendet; die
Dachdeckung bilden handgemachte Ziegelplatten, die in Zement¬
mörtel gebettet sind; alle äusseren Schreinerarbeiten werden
in gefirnisster Eiche, Wasserrinnen, Dachtraufen und dergl.
in Kupfer angefertigt. Von der Ausstattung des Inneren ist
hervorzuheben , dass die dem Publikum zugänglichen Räume
mit 5 Fuss hoher, eichener Vertäfelung versehen werden. V
V TAFEL 12. Fassade eines Zinshauses von HANNS
SCHLICHT, DRESDEN. Der Entwurf stammt aus einem
Projekt zu der Bebauung eines schmalen, zwischen zwei Strassen
liegenden Grundstückes, und zeigt die Fassade an der Haupt¬
strasse. Deren Breite ermöglichte die Anlage der halbrunden
Pfeiler mit den bekrönenden Steinfiguren; im übrigen ist das
ganze Gebäude aus Beton, Eisen- und Backsteinen aufzuführen
und weist in seinem oberen Teile reiche Stukkaturarbeit in
farbiger Ausmalung auf. Dadurch wird zu der fast primitiven
Architektur der unteren Geschosse ein wirksamer Gegensatz
geschaffen, der die vornehme Komposition des schmückenden
Oberteils zu beinahe klassischer Wirkung steigert. V
V TAFEL 13 zeigt uns das Innere
eines Ateliergebäudes, erbaut von
G. M. ELLWOOD, LONDON.
Das Haus umfasst ausser einem
kleinen Vorsaal lediglich den Ate¬
lierraum und ein über dem Vor¬
saal liegendes Schlafzimmer, das
vom Atelier aus durch die an die
Kaminwandgelegte Galerie erreicht
wird. Unter dieser bildet sich durch
Zuziehen der aus Seide und Wolle
gewirkten Gardinen der Ankleide-
raum für die Modelle. Zur ein¬
fachen Ausstattung dienen neben
rot gebeizten eichenen Fussböden,
weiss lackiertes Tannen- und natur¬
farbenes Eichenholz für Galerie,
Treppe und Kamintäfelung, farbige
Zemente für den Boden am Kamin
und im Vorsaal, kupferne Beleuch¬
tungskörper, ein eiserner Kamin¬
einsatz, bunte Verglasungen u.s.w.
Die Wände sind mit Temperafarbe
gestrichen. V
Grundriss zu Tafel 12.
MODERNE BAUFORMEN III
V TAFEL 14. P. DE RUTTE & J. BASSOM PIERRE, PARIS
sind die Architekten des hier abgebildeten Doppelhauses.
Bemerkenswert an dem Projekte ist, dass die Wohnräume
nicht nach der Strasse, sondern nach dem Garten sehen, also
die Bewohner vollständig vor unberufenen Blicken geschützt
sein sollen. Von der Strasse aus gelangt man durch einen
kleinen Hof nach dem Dienereingang; der Zugang der Herr¬
schaft führt durch den Garten. Die Häuser sehen eine be¬
scheidene Bausumme vor und sind bis auf den Bruchstein¬
sockel als Putzbau ausgebildet, der in seinen oberen Teilen
und den Giebelaufbauten eine Verkleidung in Fayenceplatten
und Holzschindeln erhält. V
V TAFEL 15. Studie zu dem Speisezimmer der Villa E.
Rudolph in Zürich, von den Architekten CURJEL & MOSER,
KARLSRUHE. Verwendete Materialien zu Täfelung und
Möbel: mittels Ammoniak gebeiztes Eichenholz mit violetten
und grünen Glaseinlagen; Boden: eichenes Parkett; Wände
und Decke: Weisser Stuck mit S'ilbermosaik ; Beschläge und
Beleuchtungskörper: versilbertes Neusilber; Vorhänge: hell¬
grüne Seide mit weisser Applikation; Teppiche: graugrün
Smyrna. In der Nische hat die Wand hellblauen Läuger-
plattenbelag mit Majoliken und Fayencen, die Decke ist ver¬
silbert mit eingedrückten blauen Glasfussstücken, und die
Möbel sind aus weiss lackiertem Tannenholz. V
V TAFEL 16. Entwurf zu einem Landhause von ANDRE
COLLIN, PARIS. Bei dem Projekte bemühte sich der
Architekt in den äusseren Formen des Gebäudes neben einer
gewissen Eleganz auch heitere Behaglichkeit zu erzielen. Dies
gelang ihm durch die Verbindung heller, gelb ausgefugter
Sandsteinmauerung mit weissen Putzflächen, durch blau und
grün lasiertes Föhrenholz und rote Ziegeldächer. Als Stand¬
ort ist die freundliche Pariser Hügellandschaft längs den Ufern
der Seine gedacht. V
LEON BENOUVILLE f 1903.
V Der Tod hat dem kleinen Kreis fortschrittlich gesinnter
Architekten Frankreichs einen der Tüchtigsten entrissen.
Benouville hatte nicht die geschmeidige Eleganz der Plumet &
Selmersheim, noch weniger die Erfindung Bonniers, oder die
krause Phantasie Guimards, war aber den meisten seiner
Kameraden durch eine schlichte Natürlichkeit überlegen. Sein
praktischer, auf Einfachheit gerichteter Sinn machte ihn für
das Feld geeignet, auf dem in Frankreich noch alles zu tun
Grundriss zu Tafel 14.
MODERNE BAUFORMEN III
LEON BENOUVILLE, PARIS. Demontierbares Arbeiterhaus.
bleibt: das Haus des kleinen Mannes. Obwohl er sich auf
allen Gebieten erfolgreich zeigte im Miethausbau durch
ein Gebäude in der Rue Toqueville und ein anderes in Ver¬
sailles, im Villenbau durch eine hübsche Arbeit in Neuilly,
sogar im Kirchenbau, wie viele Zeichnungen, die im De¬
zember 1903 in einer Separatausstellung des Musee Galliera
zu sehen waren, bewiesen das beste hat er mit seinen
Arbeiterhäusern geschaffen in Beauvais, Bagny, Epinal u. a. O.
Seine Ausstellung im letzten Salon der Societe nationale des
Beaux-Arts, der er seit der Gründung der gewerblichen Ab¬
teilung angehörte, brachte ein Arbeitermobiliar, ein unerhörter
Artikel in diesem Milieu der spielerischen Künstlerlaune. V
V In der darauf folgenden Exposition de l’habitation im Grand
Palais gehörte sein demontierbares Haus neben dem Pavillon
Guimards und den ebenfalls einfach gehaltenen Räumen
Plumets & Selmersheims zu den interessantesten Versuchen.
Der Vorteil bestand in der Unterdrückung aller Erdarbeiten
durch ein gemauertes Untergeschoss von 2 Meter Höhe und
in dem Ersatz der üblichen Mauern des Hauses durch doppelte
gemauerte Wände mit einem Zwischenraum von 75 cm. Dieser
Zwischenraum bildet eine isolierende Luftschicht, geeignet die
Kälte zu wehren, und wird an passenden Stellen zu Wand¬
schränken und dergl. verwendet. Es werden dadurch in jeder
Etage ca. 10 laufende Meter Fläche erspart. Der Gesamt¬
umfang betrug 56 qm Grundfläche. Die Einteilung des Erd¬
geschosses und des zweiten Stockes sind aus unseren Plänen
ersichtlich; dazu kommen das Untergeschoss mit Keller und
Klosett sowie der Speicher. Eine möglichst einfache und leichte
Holzkonstruktion macht das Haus rasch abschlagbar. Der
Preis des ganzen wurde auf 10000 Franken geschätzt. Benou-
vi Ile hatte das Haus vollständig einfach und hübsch möbliert
und rechnete für das Mobiliar 2500 Franken. Wieweit die
Idee praktisch ist, lassen wir dahingestellt; wir hätten manchem
Raum mehr Helligkeit gewünscht. Vitztum.
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V V V
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H. E. v. BERLEPSCH-VALENDAS, MÜNCHEN.
Abschlussgitter einer Hallentreppe. Ausgeführt in Schmiedeeisen
und polierten Messingplatten.
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PLASTISCHE VILLENPROJEKTE
IN DER MÜNCHENER KUNST-AUSSTELLUNG 1903.
Die Architekturabteilung der letztjährigen Ausstellung im
Glaspalaste in München war leider nur äusserst schwach
beschickt. Dies ist um so mehr zu bedauern, als dadurch die
Werke eines jungen Künstlers: HUGO M. ROECKL, MÜN¬
CHEN, die des Fachmannes Aufmerksamkeit ebensogut auf
sich zogen, wie des Laien, nicht in das rechte Licht gerückt
wurden. Denn zweifellos hätte jeder Besucher die Vorteile
dieser plastischen Modelle doppelt empfunden, nachdem er
sich erst durch einen Haufen anderer Risse und Zeichnungen
mühsam hätte hindurch arbeiten müssen. Den meisten Laien
und das sind ja die Bauherrn fast immer, fehlt die Fähigkeit,
sich aus Plänen das plastische Bild des Hauses vorzustellen
und für sie bietet daher das von Roeckl eingeschlagene Ver¬
fahren die grössten Vorteile. Insbesondere wirkten aber die
drei Modelle durch Wiedergabe auch der nächsten U mgebung
der Häuser! Durch diese Eigenheit haben diese kleinen har¬
monischen Kunstwerke einen wesentlichen Vorsprung vor den
üblichen Darstellungen: die Uebersichtlichkeit der Ge-
samtanlage sowohl wie der Komposition des Hauses selbst;
wodurch der Fundamentalsatz, dass Haus und Umgebung zu¬
sammen gehören, aufs nachdrücklichste betont wird. V
V Man fühlt, der Architekt wollte bei seinen lediglich für
Ausstellungszwecke geschaffenen Projekten zum Ausdruck
bringen, in welchem Gelände er sich seine Werke ausgeführt
denkt und da ihm eine natürliche Umgebung fehlte, so schuf
er sie und dies in der denkbar täuschendsten Weise. Wenn
man diese reizenden künstlichen Miniatur-Gärten mit all ihren
Bäumen, Springbrunnen und Lauben sieht, ist der Vorteil der
Plastik vor den Plandarstellungen mit ihren oft schwindelhaften
Perspektiven so in die Augen springend, dass er uns jedes
weiteren Kommentars enthebt. V
V Betrachten wir daher die Projekte einzeln und eingehender,
denn sie verlohnen die Mühe! Zunächst das „grünes Haus“
benannte Projekt, das prächtigste der Modelle. Auf einem
terrassenförmig abfallenden Grundstück von etwas über einem
Tagwerk, den Abhang eines Berges im Rücken, erhebt sich
das Haus mit seinen vier gleichen Giebeln und dem umlaufen¬
den Balkon. Die überbaute Fläche beträgt ca. 170 Quadrat¬
meter. Hinter dem Haus enthält der Garten eine grosse Wiese
als Spielplatz und neben der Küche ist ein abgesonderter Ge¬
müsegarten, durch den von der Strasse aus der Eingang für
die Dienerschaft und Lieferanten gelegt ist. Eine halbkreis-
MODERNE BAUFORMEN III
förmige niedere Mauer
trennt die nähere Um¬
gebung vom Baumgarten,
in dem, in einem ovalen
Bassin, ein Springbrun¬
nen plätschert. Laub¬
gänge und zierlich ge¬
stutzte Hecken umgeben
das kleine Schlösschen,
das durch seine Be¬
malung und weiss ge¬
strichene Holzarchitek¬
tur äusserst freundlich
und einladend wirkt. V
■ Die Fähigkeit durch geschickte Ausnützung von Material
und Raum bei sehr bescheidenen Mitteln für die Behaglichkeit
des Bewohners zu sorgen, kommt in dem Projekte „gelbes
Haus besonders zum Ausdruck. Hier zeigt uns Roeckl die
praktische und zugleich malerische Ausnützung eines ver¬
hältnismässig kleinen Grundstückes. Deshalb stellt er auch
das Haus nicht etwa in die Mitte, sondern ganz in die vorderste
Ecke an die Strasse. So bleibt ihm bei einem zur Verfügung
stehenden Raum von etwa 2500 qm Gelegenheit, von allem
etwas zu bieten. Das mit einem
ein wenig erhöhten Wege um- j|||||l||[|||||| ; ||[|ll|[Hllill
gebene Gartenquadrat zerfällt
in Spielplatz, Blumengarten
mit Bassin und Gemüsegarten,
in der Mitte betont durch einen
Tempel aus geschnittenem
Heckenwerk. Durchaus richtig
pflanzt dann der Künstler einen
stattlichen Baum in die linke
Ecke an der Strasse und gibt
so dem Wohnhause gleichsam
ein Gegengewicht. Das Haus
ist quadratisch wie der Garten
Grundrisse zum „gelben Haus".
Grundrisse zum „grünen Haus“.
und beansprucht ca. 140
qm Grundfläche. Ausser¬
dem sind in den anderen
Ecken des Grundstückes
noch ein Gartengebäude
und kleine Räume für
Gerätschaften an die um¬
laufende Mauer angebaut.
V Vielleicht die reizend¬
ste Villa, jedenfalls die
in der Stimmung feinste
ist „das rote Haus“.
Ein kleines, reizendes
aus Backsteinen erbautes
Häuschen mit hohen Giebeln, ruhige Behaglichkeit und Seelen¬
frieden atmend, winkt uns freundlich aus frischem Grün ent¬
gegen; zart blau getüncht, mit Efeu oder Weinranken um¬
sponnen und mitten in einem Obstgarten liegend, scheint es
wie geschaffen für eine kleine von der Welt zurückgezogen
lebende Familie oder einen geniessenden Junggesellen. V
V Die vierte Arbeit „ein kleines Schloss“ ist nach der
Ausstellung beendet und zeigt etwas andre Art. Der Grund¬
riss ist regelmässig mit Mittelachse und zwei gleichen Vorbauten,
an die sich beiderseits halb¬
kreisförmige Mauern anschlies-
sen. So entsteht ein geräumiger
Hof, zu dem zwei Auffahrten
führen. An der Rückseite, die
durch einen Vorbau gegliedert
ist, dehnt sich ein grosser Gar¬
ten mit direktem Eingang ins
Haus. Hier dürfte der Besitzer
am meisten weilen. Auf der
rechten Seite, wo die Wirt¬
schaftsräume liegen, ist der Ge¬
müsegarten vom Ziergarten aus
nicht sichtbar; durch ihn führt
MODERNE BAUFORMEN III
HUGO M. ROECKL, MÜNCHEN. „Ein kleines Schloss
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ausserhalb der Mauern ein eigner Eingang zur Küche. Auf
diese Weise ist eine völlige Trennung der Herrschaftsräume
von denen der Dienerschaft erzielt. V
V Die Bilder werden meine Beschreibung ergänzen. Roeckls
feines künstlerisches Empfinden und sein Verständnis für die
Bedürfnisse des Bauherrn, ob er nun über grosse oder geringe
Mittel verfügt, mag besonders betont werden. Und nicht wenig
ist auch seine Selbständigkeit anzuerkennen, denn bei aller
Verehrung für Tradition, die ihm bei seiner Abstammung von
der berühmten Künstlerfamilie SEIDL eigen ist, schafft er
doch frei und sichtlich ohne Anlehnung an seine beiden Onkel.
MÜNCHEN. Dr. KEMMERICH.
UNSERE TAFELN.
V TAFEL 17. Wohnhaus des Architekten H. T. Buckland
in Edgbaston. Erbaut von H. T. BUCKLAND & E. H. FARMER,
BIRMINGHAM. Wir geben damit wieder eines jener typischen
englischen Wohnhäuser, die auf die Ausschmückung des
Aeusseren wenig Wert legen, um desto mehr Mittel für die
innere Durchbildung zu sparen. Was unter Innehaltung dieses
Grundsatzes, der auch vor allem billiges Bauen ermöglicht
ohne armselig zu sein, ein guter Architekt leisten kann, zeigt
wohl deutlich die vorliegende Abbildung. Am Aeusseren sehen
wir nichts als rauh verputzte Backsteinmauern, ein weit aus¬
ladendes Ziegeldach und weiss gestrichenes Fensterholz; also
die billigsten Mittel, die man sich denken kann. Aber eben
wie das Haus in seinen Massen geteilt ist, wie ungezwungen
und doch mit feinem Gefühl die Fenster geformt und ge¬
setzt sind, wie selbst Nebensachen, z. B. die Wassertonne,
so richtig stehen, das alles ist in bescheidener Weise auftretendes
grosses Können, und das beneidenswerteste dabei ist, dass dies
unter den englischen Architekten zusehends Allgemeingut wird.
England nähert sich damit jenem glücklichen Zustande früherer
Jahrhunderte, da jedem Bau, sei es wer immer ihn ausführte,
0Z‘3f
MODERNE BAUFORMEN III
HUGO M. ROECKL, MÜNCHEN. ..Das rote Haus
stets mehr, wenn oft auch unbewusster architektonischer Aus¬
druck innewohnte, als es in unseren Tagen moderne Strassen-
züge, ja ganze Stadtviertel aufweisen können. Im Innern des
Hauses ist die Mehrzahl der Gemächer einfach glatt verputzt
und weiss gelassen; Stuckverzierungen haben allein die Decken
zweier Räume und im Einklang mit den hellen Wänden ist
auch die in Tanne ausgeführte Tischlerarbeit hell gestrichen.
Nur die Halle und das Speisezimmer sind mit Hartholz getäfelt,
die Halle bis zur Decke, das Speisezimmer bis drei Viertel
der Wandhöhe. V
V Auf TATEL 18 bringen wir aus einer Konkurrenz für den
Umbau eines grossen Hotels in Wiesbaden den Lesesaal. Leider
ist der Entwurf Projekt geblieben. Wir hätten seine Ausführung
gerne gewünscht, denn es ist sicher, dass der Raum in seiner
einfach vornehmen Gestalt jedem Besucher das Gefühl an¬
haltender Behaglichkeit gegeben hätte. Der Entwurf stammt
von L. MACLACHLAN, einem Schotten von Geburt und
Schule und war von der Stuttgarter Möbelfabrik Georg Schöttle
eingereicht. Seine Ausführung sah weiss lackiertes und mat¬
tiertes Holz und weiss stuckierte Wand und Decke vor, und
fasste den ganzen grossen Raum mit einem weichen tiefblauen
Smyrnateppich zusammen. Die blinkenden Effekte der kupfer¬
nen Beschläge und Beleuchtungskörper, der facettierten Ver¬
glasungen von Türen und Fenstern würden dazu wirksam
kontrastiert haben. V
V TAFEL 19 zeigt uns einen Entwurf des Architekten MAX
H. JOLI, WIEN. Das Haus, das für Wilhelmsburg bei St. Pölten
bestimmt war, trifft m seinen äusseren Formen und Farben
sowohl den Charakter der Landschaft als auch der Bewohner
der dortigen Oertlichkeit und, in seiner Konzeption auf der
dortigen von Alters her geübten Bauweise fussend, ver¬
bindet es mit halbbäuerischem Aussehen die luxuriösen
Anforderungen moderner Lebensweise, die füglich an
ländliche Bauten zu stellen sind, wenn sie nur dem
sommerlichen Wohnen städtischer Familien dienen. Bis
in unsere Tage verschlossen sich selbst die besten
Architekten dieser aus praktischen Gründen ebenso
selbstverständlichen, wie schon aus künstlerischen Hin¬
sichten gegebenen Erkenntnis. Joli ist darin sattelfest.
Er wird nie durch fremdländische Mittel etwa der
Architektur eines „Schweizerhauses“ oder gar italieni-
sierender Durchbildung das erreichen wollen, was allein
durch heimatberechtigte Formen erzielt werden kann.
Allerdings fehlt ihm dabei vorerst noch jeder monu¬
mentale Zug. Sein Wesen wurzelt im bürgerlichen
Leben; möge er aber dabei bleiben! Seine letzten Pro¬
jekte mit ihren weiss verputzten Mauerflächen, dem
kräftig gefärbten Holzwerk und den hohen Ziegeldächern
sind immer so hübsch erfunden und so sicher in die
Landschaft gedacht, dass man nur wünschen kann, die
Entwürfe noch mehr, als es bislang der Fall ist, verwirk¬
licht zu sehen. V
Grundrisse zum „roten Haus“.
MODERNE BAUFORMEN III
HERMANN ARNOLD, DÜSSELDORF.
STUDIERZIMMER.
Zur Ausführung sind vorgesehen: graues Eichenholz für Möbel, Täfelung und Boden: Eisen
für Beschläge, Lichtarme und Kaminhelm ; rotes Velvet-Leder zur Polsterung ; am Kamin ausser
rauhem Verputz noch rote Backsteine auf marmorner Bodenplatte. Die dem Kamin gegenüber¬
liegende Wand wird von einem grossen, in lichten Tönen verglasten Fenster eingenommen.
A TAFEL20. „Diele“ nach einem Ent-
wurfvon ArchitektOSKAR FISCHER,
KIEL. Die immer mehr sich ein¬
bürgernde Sitte, die alte deutsche
Diele wieder zum Mittelpunkte des
Hauses auszubilden, stellt dem Archi¬
tekten stets eine ebenso dankbare wie
interessante Aufgabe. Auf unserem
Bilde haben wir es mit der Diele
eines Landhauses zu tun, deren Be¬
wohner dem Segel- und Angelsporte
huldigen. Demgemäss ist auch der
innere Ausbau ziemlich derb gehalten.
Die Täfelung der Putzwände ist gross¬
ästiges Zierbelholz in grüner Lasie¬
rung, ebenso ist die Decke gehalten,
während das Treppengeländer und die
Möbel der grossen Nische weiss ge¬
strichen sind. Die rechtsseitige Türe
führt direkt ins Freie, ist aber durch
einen Vorbau gegen die Witterung
geschützt. V
V Auf den TAFELN 21 & 22 geben
wir „das rote Haus“ und „das grüne
Haus“ des Architekten HUGO M.
ROECKL, MÜNCHEN nach den
Plänen. Einesteils um den Kontrast
der unserem Aufsatze beigedruckten
Modellphotographien gegenüber den
Plandarstellungen zu zeigen, halten
wir eine Wiedergabe auch der Auf¬
risse der beiden Häuser gegeben,
andernteils bieten auch die Pläne in
den Einzelheiten noch soviel des Interessanten und Wohl¬
gelungenen, dass wir sie nicht vorenthalten wollen. V
V TAFEL 23. Studie zu dem Wohnzimmer eines Schlosses
von HANS HELLER, DARMSTADT. Unter den jungen Archi¬
tekten, die sich in der hessischen Künstlerkolonie um den dort
schaffenden Olbrich scharen, zählt Heller mit zu den Besten.
Wenn sich, wie anders nicht denkbar ist, auch bei ihm die
beherrschende Kraft des Meisters unverkennbar ausprägt, so
ist doch nicht zu leugnen, dass eigenes Wollen vorliegt und
nicht sklavisches Nachahmen der äusserlichen Kennzeichen des
grossen Vorbildes. Ausgeführt wird der Raum vorzüglich
wirken. Weisslakierte Täfelung und graugrüne Seide decken
die Wände und lassen so den dekorativen Schwerpunkt, die
Kaminpartie, zur vollen Wirkung gelangen. Der Rauchfang ist
tief ins Zimmer eingebaut, so dass zu beiden Seiten geräumige
Fensternischen entstehen. Lichte seidene Vorhänge mit weiss
und blauer Applikation vermitteln den schroffen Uebergang der
Kupfer- und Fliesenflächen des Kamineinbaues in die Erker.
Das Mobiliar ist nur in den Erkern weiss, im übrigen aber in
Nussbaum gehalten. V
V TAFEL 24. P. DE RUTTE, PARIS: Entwurf zu der Ein¬
fahrt eines Rittergutes. Das an das kleine Pförtnerhaus angebaute
Tor ist so gross gehalten, dass kornbeladene Wagen durchkom¬
men können und deren einer im Notfall hinreichenden Schutz
vor Unwetter findet. Bei der Architektur
des Bauwerkes wurde durch eine rei¬
chere Ausbildung, als es gewöhnlich bei
solchen Nebengebäuden der Fall ist, auf
die Grösse und den Wert der Besitzung
Beziehung genommen. Das Haus ist ein
Backstein- und Holzbau mit Sockel,
Eck- und Fensterbändern aus Sandstein
und einem Fries aus glasierten Ziegeln ;
die Decke der Tordurchfahrt ist mit
Fayenceplatten ausgelegt. Ein kleiner
Erker gestattet vom ersten Stocke aus
die Ueberwachung des Einganges. V
QROUhD riAN riR5T HOCR PlAM
Grundrisse zu Tafel 17.
MODERNE BAUFORMEN III
F. W. JOCHEM, DARMSTADT.
MIETSHÄUSER.
Es galt hier die möglichst zinserträgliche Ueberbaunng eines 50 □ m Strassenfront messenden Grundstückes , das in seinem hinteren Teile von
einem ausgedehnten Werkstättenbetrieb eingenommen wird. Aus dem Grunde ist der Architekt bei der Projektierung davon ausgegangen , kleine
Wohnungen mit zwei, drei und vier Zimmern für die Beamten und Arbeiter des Betriebes zu schaffen, da anzunehmen ist, dass meist von diesen
die Wohnungen gesucht werden. Das Baugesetz verlangt in der Mitte der Front eine 4 Meter breite Durchfahrt (die aber überbaut werden darf),
wodurch das Grundstück in zwei gleiche Hälften geteilt wird. Da bei der Erbauung grösste Sparsamkeit walten muss, ist auf jeden architekto¬
nischen Schmuck verzichtet, der auch um so weniger Berechtigung hätte, als die Häuser nur einfachen Bedürfnissen dienen. Das gleiche gilt vom Bau¬
material. Auf das untere Fussband aus Basaltlava folgt ein Sockel aus hellgrauem Sandstein, darüber beginnt der Putzbau. Die Eensterlaibungen
sind, der grösseren Lichtquelle halber und um dem lästigen Reissen des Putzes an scharfen Ecken zu begegnen, stark abgerundet. Der durch¬
gehende Balkon im ersten Stocke ist in Monier- Konstruktion, die übrigen alle in Eisen hergestellt. Eine Guirlande , gebildet durch in den Putz
eingesetzte blaue Glasstücke, schmückt im zweiten Stock das Haus. Als Hauptmoment ist die Durchfahrt betont, die sich durch starke Abrundung
der Ecken trichterartig öffnet und mit grossen Prellsteinen bewehrt ist.
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EINE NEUE STADT.
Das neunzehnte Jahrhundert hat die Grossstadt geschaffen,
oder besser die Grossstadt ist im neunzehnten Jahrhundert
entstanden. Denn nichts macht so sehr den Eindruck des
selbständigen Wachsens, an dem den Menschen kaum ein an¬
derer Anteil als der des Zuschauers gehört, als diese dunkelste
und entscheidendste Erscheinung unserer Tage. Dieser Feind
alles Organischen wächst mit der Kraft der stärksten Organis¬
men, überzieht die schöne Erde mit seinem Panzer aus
Stein und Eisen und pflanzt auf den alten gottgeschaffenen
Kosmos einen neuen. Er macht neue Menschen mit eigenen
Eigenschaften, Tugenden und Lastern, schafft unsere Moral,
unser Glück und Unglück, unsere Intelligenz und unsere
Kunst. Was wir heute sind, im Guten und Bösen, verdanken
wir der Stadt. Nur durch die ungeheure Anhäufung von
Menschenmaterial konnten unsere Aerzte den Leib, unsere
Gelehrten das Triebwerk unserer Instinkte, unsere Techniker
die Mittel ergründen, der alten Erde neue Kräfte zu entlocken.
Ein Jahrhundert verging in rasender Arbeit. Langsam meldet
sich die Frage nach dem Ausgleich. Ein Sehnen nach Natur
zog durch die Literatur und Kunst aller Länder; im Höhepunkt
des Kosmopolitis¬
mus regt sich ein
widerspruchsvol¬
les Drängen nach
Nationalität und
Volkstümlichkeit,
nach Bauerntum.
Die Beobachter
dieses grossen
Treibens begin¬
nen in der Ent-
blössung des Lan¬
des von Arbeits¬
kräften eine öko¬
nomische Gefahr,
in den Städten
grosse Behälter
giftiger Keime,
und in diesem
engen Nebenein¬
ander von Arm
und Reich eine
immer drohen¬
dere Gefahr für
die Ruhe des Staates zu erblicken. Das Bedürfnis nach Dezen¬
tralisierung wird immer dringender. Man dehnt die Städte
ins freie Land aus und baut nach vernünftigen Regeln Vororte
und Villenkolonien. Aber die Verbesserung kommt nicht dem
letzten Stand zugute, der grössten Masse. Auch in dem Vorort
macht der Unternehmergeist den Preis der Miete; was die
Miete spart, frisst die Eisenbahn. Die Wohnung ist reizlos, vom
Landleben spürt der in den Vororten wohnende Arbeiter nur
die Schattenseiten. Der humane Wunsch, einen gerechteren
Ausgleich zu schaffen, sann auf neue Mittel. Halb von uti¬
litaristischen Rücksichten gedrängt, halb aus Menschenliebe
fielen die der Masse am nächsten stehenden Grossindustriellen
aller Länder auf den einzigen rationellen Ausweg: den Arbeitern
eigene Gemeinwesen, eigene Häuser zu schaffen, bei deren
Anlage die Frage nach dem Maximum von unmittelbarem
Gewinn nicht den Ausschlag gab. 7
V Es versteht sich von selbst, dass England in dieser Bewegung
an der Spitze marschiert. Nicht nur weil alle Momente, die
eine Verpflanzung der Arbeiterbevölkerung aus den Gross¬
städten auf das Land notwendig machen, hier am schnellsten ent¬
scheidend wurden
und dem Eng¬
länder die ratio¬
nelle Lösung so¬
zialer Schwierig¬
keiten schon am
längsten natürlich
geworden ist, son¬
dern auch, weil
hierdie Entwicke¬
lung der Archi¬
tektur zur rechten
Zeit die Mittel
bereit hielt, um
die Aufgabe in
idealer Weise zu
lösen. Hier war
der populäre Bau¬
stil nie gestorben.
Als die Baukunst
in England sich
auf sich selbst be¬
sann, ging sie aufs
Land.Morris’erste
MODERNE BAUFORMEN III
von der Massenfabrikation profitieren müssen, um die Kosten
zu verringern, aber er hat es nicht an der Mühe des Er-
findens fehlen lassen, in allen Fragen, wo die Rücksicht auf
Billigkeit nicht die gleiche Form verlangt, zu differenzieren.
Ein Beispiel: Harvey beschränkt sich auf ein oder zwei
Modelle von Fenstern, sucht aber diese so anzubringen, dass
die Verschiedenheit der Verwendung den Häusern ein immer
neues Gesicht gibt. Man wird erstaunt sein in unseren Ab¬
bildungen so viel verschiedene Typen zu finden, und dieser
Eindruck verliert sich auch nicht, wenn man eine ganze Strasse
zusammen sieht. Hier offenbart sich am meisten harveys
Talent. Er denkt nicht nur an das Haus, an alle Massregeln
der Hygiene, an die Aufgabe, seinen Leuten möglichst viel
Licht, Luft, Bequemlichkeit und Schönheit zu geben, er
denkt auch an die Strasse. Durch ein richtiges Verteilen
seiner Häuser, dadurch, dass er z. B. glatte lange Fassaden
mit kleinen in die Höhe strebenden abwechselt, durch ein
äusserst geschicktes Verwenden der Erker, die einmal im
oberen Geschoss, dann wieder unten erscheinen, flach oder
eckig ausgebaut werden, oder durch beide Geschosse
durchgehen, durch die verschiedene Form der Dächer,
durch das Anschliessen zweier oder mehrerer Häuser an¬
einander und last not least durch geschicktes Verteilen der
Gärten, kurz, mit all den natürlichen Mitteln des rechten
Baumeisters erreicht er die angenehme Reliefwirkung der
Strasse, erhält dem einzelnen seinen Charakter und sorgt,
dass das Ganze, die Strasse und schliesslich das ganze
Dorf, ein organisches Werk wird. Dies scheint mir eine
grössere Kunst, als wenn er durch gewisse moderne Mätzchen
und äusserliche Zierarten, die immer Geld kosten und gar
nichts bezwecken, zu individualisieren versuchte. Der Schmuck
gehört ins Innere. Auch hier erreicht er den Charakter der
Wohnung, des Wohnlichen durch gute Verhältnisse, amüsante
Ausschmückung der Konstruktions¬
flächen des Hauses. Seine Giebel¬
zimmer z. B. mit den hoch gelegenen
Fenstern sind ungemein anheimelnd.
Da jedes Haus wenigstens in einem
Stockwerk gewöhnlich ganz frei steht,
hat das Auge stets den Blick ins Freie,
und Harveys Gärtnerkunst, auf die
grösstes Gewicht gelegt wird (mehrere
Dorfgärtner sorgen auf Kosten des
Trusts für Erhaltung), achtet darauf,
dass er auf möglichst viel frisches
Grün fällt. Im übrigen, wo es das
Budget erlaubt, ein hübscher Kamin
am richtigen Platz, appetitliche Farben
an den Wänden, hier und da ein
Fries, einfache aber durch die Einfach¬
heit hübsche Möbel, blanke graziöse
Beleuchtungskörper u. s. w. V
V Zweierlei Segen geht aus Bourn-
ville hervor. Der eine, der wichtigste,
ist die Gründung eines gesunden
Heims, der wesentlichsten Grundlage
für die Gesundheit der Rasse. Die
Sterblichkeitsziffer betrug im Jahre
1901 in Bournville 8,8 per Tausend, in dem nahen Birming¬
ham dagegen 19,9. Aber diese Zahlen, so beredt sie sprechen,
geben nicht die volle Bedeutung dieser Gründung. Diese liegt
vielmehr in der Zukunft. In den Kindern, die in den Fabrik¬
strassen Birminghams geboren werden, und der Generation,
W. ALEX. HARVEY, Häuser in Holly Grovr, Bournville.
MODERNE BAUFORMEN III
27
die in Bournville heranwächst, steckt
der Keim zweier verschiedenerWelten.
Das hat England davon. Der übrigen
Welt aber wird hier ein wundervolles
Exempel geliefert. Ohne grosse Reden
zeigt England wieder einmal den Weg
in die Zukunft. Bournville hat drei
und eine halbe Million gekostet und
wurde von einem Einzelnen gemacht.
Dieser hätte aus dem Werk eine normale
Verzinsung erreichen können. Die
180 000 Pfund ursprüngliches Kapital
werfen durch die Mieten netto 5246
Pfund jährlich ab, das heisst fast 3%.
Von welcher öffentlichen Wohlfahrts¬
einrichtung von auch nur annähernd
gleichem Wert lässt sich dasselbe
sagen? Der Staat baut Kranken¬
häuser, Invalidenhäuser, Anstalten
für alle nur erdenklichen Gebrechen,
die jährlich Millionen verschlingen.
Wie wäre es, wenn er einmal anfinge
für die Gesunden zu sorgen und zwar
ohne Opfer, ja, bei einigermassen
rationeller Wirtschaft mit Gewinn für
den Staatssäckel und mit unübersehbarem Gewinn für das
Volkswohl, für seine Gesundheit, seine Moral, seine Kunst! V
V In England bleibt man nicht bei dem Arbeiterdorf. Das
Gelingen von Port Sunlight und Bournville hat bereits eine
bedeutende Folge. Vor kurzem ist auf die Anregung des Schrift¬
stellers E. Haward eine Aktiengesellschaft gegründet worden,
die mit einem normal verzinsbaren Kapital von 240 000 Pfund
eine gesunde Stadt für 30 000 Menschen erbauen will. Das
Terrain für die zukünftige Stadt, ein halbes Dutzend Meilen
nördlich von London, über 1500 Hektare, wurde für drei
Millionen Mark erworben. „Garden City“ wird sie heissen
und bereits hat man angefangen, den in allen Teilen ausser¬
ordentlich rationell angelegten Bauplan zu realisieren. V
V Viel bescheidener verhielt sich bis heute die Bewegung in
den anderen Ländern, ln Paris kämpft Jean Lahor für die
Habitations ä bon marche x). Die Societe internationale de l’art
populaire verfolgt dieselben Ziele. In Amerika wirkt die Zeit¬
schrift „House and Garden“2). In Belgien die neue Zeit¬
schrift „Le Cottage“3), die soeben einen Aufruf zur Gründung
eines Villendorfes in den Ardennen veröffentlicht. Holland
besitzt schon lange in der Nähe seiner grossen Städte ein¬
fache, billige und reizende Villengemeinden. In Wien, wo vor
einer Reihe von Jahren Hermann Bahr einmal von dem Riesen¬
projekt eines Stadtbaues träumte, haben Josef Hoffmann, Leopold
Bauer u. a. längst angefangen, zusammengehörige Gruppen von
Villen zu bauen, die vielleicht einmal stattliche Gemeinwesen
werden. Auch bei uns endlich regt sich an vielen Ecken des
Reiches die Sehnsucht ins Freie. Zuerst wurde auch bei uns,
wie billig, des Arbeiters gedacht. Die Arbeiterhausmodelle der
Düsseldorfer Gewerbeausstellung sind noch frisch im Gedächt¬
nis. Und auch die bürgerliche Architektur folgt dem Beispiel
Englands. Unsere Baumeister lernen aus dem kleinen Ehrgeiz,
originelle Häuser zu bauen, herauszutreten, um desto schönere
Strassen, die neue Stadt neben der alten, hässlichen, verdorbenen
Heimat unserer Väter zu errichten. Vitzthum.
W. ALEX. HARVEY, Vier Häuser in Acacia Road, Bournville.
i) Librairie Larousse, 17 Rue Montparnasse, Paris. Hier erschien auch Lahors l’Art pour
Ie peuple. .
*) Henry T. Coates & Co. 919 Walnut Street, Philadelphia.
s) 33 Rue Forestiere, Bruxelles.
28
MODERNE BAUFORMEN III
UNSERE TAFELN.
V Die Textbilder zu unserem Aufsatze „eine neue Stadt“ die
so reizvolle Stichproben aus dem englischen Arbeiterdorfe
Bournville geben, erhalten auf den TAFELN 25 und 26 eine
Ergänzung nach der malerischen Seite hin. Ganz trefflich
zeigt sich auch bei diesen Ansichten die Fähigkeit des Archi¬
tekten W. ALEX. HARVEY, BOURNVILLE, mit stets gleich¬
bleibenden Mitteln den einzelnen
Häusern eine immer wechselnde Ge¬
stalt zu geben. Man muss wirklich
staunen über die unerschöpfliche Ge¬
staltungsgabe Harveys, vergleicht man
mit seinen Arbeiterhäusern die trost¬
lose Gleichförmigkeit, die in der
Regel den Arbeiterkolonien anhaftet,
in Bournville aber tatsächlich ver¬
mieden ist, was um so verblüffender
erscheint, wenn man die niedrigen,
über die üblichen Aufwendungen für
solche Zwecke kaum hinausgehenden
Bausummen bedenkt. V
V TAFEL 27. „Haus im Norden“
nach einem Aquarell von HENRY
PROVENSAL, PARIS. Im Januar¬
hefte dieses Jahrganges besprachen
wir unter Tafel 5 die Absicht des
Architekten, die er einer Serie von
Entwürfen zu Grunde legte. Auf vor¬
liegendem Blatte versinnbildlicht er
den Trotz gegen das rauhe Klima nörd¬
licher Gegenden, den er durch ge¬
drungene Architekturformen, massives
Quadermauerwerk und das hauben¬
artige Dach ausdrückt. Und um den
Reiz der winterlichen Landschaft vom
Hause ausgeniesen zu können, ordnet
er die Fenster gross und fast bis zum
Boden reichend an. Für die gleich-
mässige Durchwärmung aller Räume
sorgt neben offenen Kaminfeuern eine
Zentralheizung. V
V TAFEL 28. „Halle“ von EDGAR
WOOD, MANCHESTER. Die Aus¬
führung des Raumes ist in mattge¬
schliffenem Eschenholz gehalten, dem
zur Belebung der grossen Holzflächen
zierliche Intarsien und ein wenig
Schnitzarbeit eingefügt sind. Den
Kamin, in Sandstein und glasierten
Backsteinen aufgemauert, ziert ein
Fresko, das mit gleichen Bildern in
den Lünetten oberhalb der Fenster
korrespondiert. Wandfläche und Decke
sind rauh verputzt, mit Stuckorna¬
menten versehen und in diesen Teilen
polychrom behandelt. Auf grünem
Boden liegen rotgefärbte Teppiche und ein breiter Läufer,
der über eine vierstufige Treppe und durch eine weisslakierte
Türe mit Messingbeschlägen und bunter Verglasung nach dem
Speisesaal führt. V
V TAFEL 29. Entwurf zu einem Monumentalbrunnen von
A. LAVERRIERE, LAUSANNE. Der leitende Gedanke bei
der Komposition des Entwurfes war „die Verherrlichung der
Arbeit“. Vier Basreliefs: die Erde, die Industrie, die Wissen¬
schaft und die Künste schmücken die Pfeiler des Brunnen-
W. ALEX. HARVEY, Landhaus in Bournville.
QROUND PLflM 2nd FLOOFf PLflM
tempels, dessen Wände die allegorischen Darstellungen der
zwölf Monate tragen. Das Wasser der Fontaine verteilt sich,
über vierfache Schalen fliessend, in vier tiefe Bassins, gleich¬
sam die vier Arbeitselemente verkörpernd, gespeist von dem
gemeinsamen Quell des Lebens. V
V TAFEL 30. Landhaus in Caterham Valley. Architekt
A. JESSOP HARDWICK, KINGSTON - ON -TH AMES. Das
Haus steht auf einem vorspringenden Hügel über dem Tal,
dieses auf- und abwärts auf weite Strecken überblickend, und
sein Grundriss ist so gelegt, dass die grossen Fenster der
oberen Halle nach der Talseite schauen. Am Äusseren wie
im Inneren charakterisiert den Bau neben einer sehr interes¬
santen Silhouettenwirkung eine fast nüchterne Einfachheit.
Weisse Putzflächen, rote Ziegeldächer, naturfarbenes und
stumpfgrün lasiertes Eichenholz bilden die einfache Harmonie
seiner Farben. Um den Mittelpunkt der Grundriss-Anlage,
Znd flöor plan ground plan
Grundrisse zu Tafel 25.
1 PARLOR
§
Law -
PARU3R
die Halle, als dem Hauptaufenthaltsraum, liegen die Wohn-
und Schlafzimmer; die Wirtschaftsräume birgt der seitliche
Anbau. Eine 4 Fuss breite Galerie bildet in der Halle auf
der einen Seite den Zugang zu dem Rauchzimmer und den
Gaststuben, auf der anderen Seite wird sie von den grossen
aussichtreichen Fensterreihen eingenommen. V
V TAFEL 31. Wohn- und Geschäftshaus, von Architekt
F. W. JOCHEM, DARMSTADT. Der Entwurf trägt das Ge¬
präge einer kleinen Provinzstadt und erinnert in seinem Ge¬
samteindruck an die Zeit, „als der Grossvater die Grossmutter
nahm“. Aber gleichviel ! Das Haus ist hübsch und gut. Die
Bauausführung denkt sich Jochem so: das Erdgeschoss wird
schwarzer Bruchstein mit vorgelagertem Schaufenster in weiss
gestrichener Eisenkonstruktion mit Kupferdach. Dann folgt
das Mauerwerk des ersten Stockes in blau glasierten Ziegeln,
hierauf der Giebelaufbau in grau
und gelb gefärbtem rauhem Ver¬
putz, mit einem Mosaikbild und
kupferner Abdeckung. Der
tieferliegende Gebäudeteil ist
ganz verputzt und hat einen
mit dem Nachbarhause gemein¬
samen Balkon in Monierkon¬
struktion. Tür und Fenster¬
hölzer sind blau gestrichen und
das Dach decken rote Biber¬
schwänze. V
V TAFEL 32. VALENTIN
MINK, DARMSTADT, der seit
Jahren im Atelier Prof. J. M.
Olbrichs tätig ist, zeigt uns hier
ein bürgerliches Wohnzimmer.
CjTOC KWEf?K$- CJI5N/N o f? I ^ i
Grundriss zu Tafel 31.
i - MODERNE BAUFORMEN III
Die schlichte Gemütlichkeit des Rau¬
mes spricht für sich selber: man
braucht sich nur die Wirkung des
vorgesehenen Corallinholzes, der mit
gemustertem Velvet bezogenen Polster¬
möbel, der seidenen Vorhänge, der
mausgrau bespannten Wände und all
des übrigen Beiwerkes zu denken und
dazu ein wenig Sonnenschein, um den
Entwurfvoll einzuschätzen. Beachtens¬
wert ist auch die Bildung der Decke.
vvvvvvvvvvvvvvvvv
HANS MAYR,
WIEN.
Konkurrenz- Projekt
zu dem Amts- und
Sparkassengebäude
in Jablitnkau.
feSl
31
3AHR6- MONAT/HEFTE für ARCHITEKTUR, heft
ARCHITEKTEN: WEHLING & LUDWIG, DÜSSELDORF.
Wohl kaum eine andere Stadt weiss den mit der Bahn an-
kommenden Fremdling so zu verblüffen als Köln. Denn
tritt er aus dem mit hastendem Leben erfüllten Bahnhofsge¬
bäude ins Freie, bannt seinen Blick eine starre, graue Stein-
inasse, der Dom, jener verspätet vollendete kolossale Re¬
präsentant mittelalterlicher Kirchenmacht. Obwohl er durch
Niederlegung der nächsten Umgebung viel von der beäng¬
stigenden Wucht seiner krausen Architektur eingebüsst hat,
beherrscht er die alte Handelsstadt noch immer; er ist gleich¬
sam ihre architektonische Seele, ihr architektonisches Gewissen.
Dies mag mit ein Grund sein,
dass Köln dem Verlangen
nach einer gegenwärtigen
Baukunst bis heute so ab¬
weisend gegenüber steht. Ab¬
gesehen von einigen kleinen,
lediglich Geschäftszwecken
dienenden Häusern imHerzen
der Stadt, ist die Villa Bestgen
tatsächlich das einzige Kölner
Wohnhaus, das den Anforde¬
rungen modernen Formge¬
fühls ganz entspricht und
dabei den Gesetzen der
Zweckmässigkeit vollauf ge¬
recht wird. Die Hochflut
spekulativer Pseudo- Archi¬
tektur, die mit dem Fall der
alten Stadtmauern einsetzte,
hat auch Köln jene ungesunde
Bauerei gebracht, die nun
in Gestalt des als Strassen-
anlage übrigens prächtigen
„Rings“ die Stadt umgürtet
und ihren architektonischen
Eindruck verdirbt. V
V Die Villa Bestgen liegt
an dem noch nicht ausge¬
bauten Deutschen Ring, einem
der schönsten und ruhigsten
Plätze der Stadt. Wie hier
nach dem Staube des Strassen-
verkehrs ein in saftiges Grün gebetteter Teich erfrischend
wirkt, so wohltuend berührt nach all den fast ununterbrochenen
architektonischen Gleichgültigkeiten der Ringstrassen dieses
Haus. Auf dem Terrain der ehemaligen Umwallung steht es
einige Meter über dem Strassenniveau. Das Grundstück ist
schmal und tief und hatte die baupolizeiliche Auflage, dass
zwischen den einzelnen Häusern ein Abstand von fünf Metern
einzuhalten war. Dieser Umstand war von vornherein für die
Entwickelung des Hauses nach der Tiefe hin, mit dem Eingänge
an einer Langseite, massgebend und wurde durch die Anord¬
nung einer inneren Längs¬
achse auch für die Ausge¬
staltung des Äusseren be¬
stimmend. In gelbgrauem
Sandstein und Verputz ge¬
halten, wirkt der Bau durch
seine Einfachheit und die
grosszügige Form seiner
Architektur. Schmuck ist nur
an den wenigen bevorzugten
Bauteilen in Gestalt orna¬
mentaler und figürlicher Plas¬
tik angewendet, die durch
kräftige Malereien und Glas¬
mosaiken unterstützt wird;
am hölzernen Kranzgesims,
dessen mächtige Ausladung
reiche, schablonierte Be¬
malung aufweist, sind die
kleinen Säulen und die An¬
läufe der Gesimsträger aus
Eisenguss. Die farbige Wir¬
kung des Hauses ist ohne
jeden brutalen Effekt und
kommt eigentlich nur in der
braungelbenWandmalerei der
Loggia und dem bunten
Kranzgesimse mit seinen
blauen Säulchen stark zur
Geltung. Naturgemäss zeigt
die reichste Gliederung die
Strassenseite, wo der archi-
WEHLING & LUDWIG, DÜSSELDORF. Villa Bestgen, Köln.
Diele und Treppenhaus.
I MODERNE BAUFORMEN III
aMiateiki
CJWiüWSS
I-°0nM5W°55
WEHLING & LUDWIG. DÜSSELDORF.
Villa Bestgen, Köln. Hauptansicht und Grundrisse.
tektonische Schwerpunkt in der Loggia liegt, die über
dem halbrunden, sich aus dem Musikzimmer entwickeln¬
den Erker eingebaut ist. Durch die satte, farben¬
freudige Bemalung ihrer Wände mit einem Blüten-
und Blattornament zeigt sich die Absicht des Archi¬
tekten gerade durch die Loggia dem Hause seine
charakteristische Wirkung zu verleihen, besonders
betont und erreicht! Auf dem Schlusssteine der Oeff-
nung sitzt ein krähender Hahn; die Attika krönen
2 weibliche Figuren, die Hüterinnen des häuslichen
Glückes und der Herdflamme. Diese, sowie der Hahn
sind in Bronze ausgeführt, wozu die Modelle von dem
in Düsseldorf lebenden Bildhauer Adolf Simatschek
angefertigt wurden. Die Bausumme beträgt ausschliess¬
lich der inneren Einrichtung 160000 Mark. V
V Schliesst sich hinter uns die blaugestrichene Eisen¬
pforte der Einfriedigung, so fesselt schon beim Auf¬
stieg über die steinerne Freitreppe das Hauptportal
MODERNE BAUFORMEN III
durch die dezente und doch wohltuend leuchtende Farbenpracht
seiner Säulenschäfte. An ihnen kommt das Wehlingsche Ver¬
fahren*), seinen Bauten einen wetterfesten Farbenschmuck
durch Glasmosaik zu geben, überzeugend zur Anwendung. V
V Ein bis an die Decke weiss getäfeltes Entree, in das durch
2 schmale hohe farbige Lichtquellen zu beiden Seiten der Türe
ein milder Schein fällt, nimmt uns auf und wir schreiten durch
die, in grauen und grünen Farbtönen gehaltene Garderobe in
das Empfangs- und Wohnzimmer. Hier überrascht der vor¬
nehm bürgerliche Ton, der aus dem matt zueinander ge¬
stimmten Rot in Rot seiner Wände, Möbel, Vorhänge und
Teppiche spricht. Weiter führen 3 Stufen in das, 60 cm tiefer
als alle anderen Räume des Erdgeschosses, gelegene Musik¬
zimmer. Das ist der schönste Raum; er klingt in ernsten
Farbenakkorden. Den Grundton geben die Wände mit einem
tiefen Graugrün, welches sich durch eine grosse Hohle in die
Decke fortsetzt, in der Deckenfläche weiterläuft und dann durch
ein plastisches Glied von dem tiefen Ton des satten, blau¬
violetten Sternenhimmels, der eigentlichen Decke, getrennt
wird. Ein Vieleck bildend, sind in ihr die Beleuchtungs¬
körper aus geschliffenem Kristallglas eingelassen. Nicht ohne
Interesse ist es, dass der Architekt der Konstruktion des
*) Deutsches Reichspatent Nr. 133 266. In einem der nächsten Hefte werden wir noch Ge¬
naueres über diese Technik bringen .
WEHLING & LUDWIG, DÜSSELDORF. Villa Bestgen, Köln.
Heizkörper im Musikzimmer.
Himmelsbildes einen alten, astromischen Plan zugrunde legte,
wo die einzelnen Sternbilder durch blassblaue Linien abge¬
grenzt sind. In den durch die Kreisform vom Viereck abge¬
schnittenen Zwickeln der Decke ziehen schwebend traumhafte,
harfende Figuren wie wallender Nebel einander nach. Den
Hauptschmuck dieses Raumes aber bildet an der vollen Längs¬
wand in einem festen, architektonisch aufgebauten Rahmen
eine Kopie des Böcklinschen Bildes „Im Spiel der Wellen“.
Das Holzwerk der Möbel ist dunkelbraun, fast schwarz ge¬
beiztes Nussbaumholz; lichte Intarsien beleben die mit satt¬
gelbem Seidenrips überzogenen Sitzmöbel und bilden helle,
farbige Flecken, die im Verein mit dem grossen, in gelben,
grauen und grünlichen Tönen spielenden Teppich dem ernst¬
gehaltenen Raume eine festlich heitere Note geben. Alle
WEHLING & LUDWIG, DÜSSELDORF. Villa Bestgen, Köln.
Haupteingang.
L
MODERNE BAUFORMEN III
WEHLING & LUDWIG, DÜSSELDORF. Villa Bestgen. Köln,
Speisezimmer.
V Viel Arbeit und Mühe steckt im
Inneren und alles zeugt von der
liebevollen Sorgfalt, die Bauherr und
Architekt auf ihre Aufgabe verwendet
haben, ein vornehmes, behagliches
Heim zu schaffen. Schon die wohl
durchdachte Gruppierung der Haupt¬
räume, deren Anlage bei der verhält¬
nismässigen Beschränktheit der Haus¬
fläche so reizvoll gelöst ist, zeigt
das gegenseitige Verstehen von Bau¬
meister und Bauherr. Musikzimmer,
Diele, Speisezimmer und Winter¬
garten sind durch breite Schiebe¬
türen so untereinander verbunden,
dass sie einen freien Durchblick vom
Wintergarten durch den fiinffenste-
rigen Erker nach der Parkanlage an
der Strasse gewähren. Allgemach
verdichtet sich die farbige Stimmung
der einzelnen Räume, von den lichten
Tönen des Wintergartens ausgehend,
durch Speisezimmer und Diele sich
verstärkend, in dem Musikraum zu
festlich gehobenen Akkorden, um
sich im danebenliegenden Wohn¬
zimmer gemütlich auszulösen. V
Ecken sind zweckentsprechend stark abgerundet, wodurch sich
vorzügliche Schallverhältnisse ergeben und eine Sitznische ist so
angeordnet, dass man den Tönen lauschen kann, ohne dabei
durch den Anblick der Muszierenden abgelenkt zu werden. V
V Um vom Musikzimmer zum Speisezimmer zu gelangen,
durchschreiten wir die Diele, deren Wände über natureichener
Täfelung mit hohen Stofffeldern rauh verputzt sind und in
die Decke übergehen. Der Entreetüre gegenüber hat an der
Fensterwand ein Kachelkamin mit beiderseitigen Ruhebänken
seinen Platz gefunden. Gedämpftes Licht fällt warm durch
die bunt verglasten Fensterchen, zu denen die klotzige Schwere
der eisernen Beleuchtungskörper in eigenartigem Kontrast steht.
Das Treppenhaus zeigt das gleiche Eichenholz mit dazwischen
gespanntem ähnlich getöntem schottischem Leinenstoff und
über dem ersten Podest prangt ein grosses Kunstglasfenster
in lebhaftester Farben- und Formenpracht. Im Speisezimmer
herrscht eine gemütlich anheimelnde Stimmung. Seine Wände
teilen nach der Horizontalen eine 2 Meter hohe Vertäfelung
aus geräuchertem Eichenholz und eine darüber angebrachte
Stoffbespannung in blaugrüner Grundfarbenwirkung. Die Kas¬
settendecke zeigt zum Teil dasselbe Holz, zum Teil weiss
lackierte Friese mit blau-rot-grüner Bemalung. Die abge¬
schrägten Ecken an der Dielenwand füllen eine Kaminnische
und ein eingebauter Serviertisch, über welchem, gleichfalls
in einer Nische, die mit bunter Glasmosaik ausgelegt ist,
ein Brünnlein plätschert. An den Langwänden stehen Buffet,
Porzellanschrank und einfache, bequeme Sitzmöbel. Von der
Decke hängen, in der Mittelachse angebracht, eine Reihe von
kubischen Beleuchtungskörpern aus Eisen mit facettiertem
Glas, die dem Raume das künstliche Licht geben. V
WEHLING & LUDWIG, DÜSSELDORF. Villa Bestgen, Köln.
Blick in die Loggia.
MODERNE BAUFORMEN III
35
V Es ist etwas Schönes um so ein
Haus, dessen Gelingen aufs neue
beweist, dass die aufgewandte Arbeit
unserer nach eigenem Ausdruck
ringenden Architekten nicht umsonst
ist, dass sie, wenn sie auch weiter
solche Früchte trägt, stark werden
wird, stark genug, um die vielfach
verheerende Tätigkeit unserer un¬
mittelbaren Vorfahren wieder wett¬
zumachen. Langsam zwar — aber
doch. Rhenanus.
UNSERE TAFELN.
V Die TAFEL 33 „Diele der Villa
Bestgen, Köln“, Architekten WEH-
LING & LUDWIG, DÜSSELDORF,
findet in unserem heutigen Aufsatze
eine eingehende Würdigung. Zur
Materialbeschreibung ist noch nach¬
zuholen, dass auch das weisse Mauer¬
werk des Kamins rauh verputzt ist,
die farbigen Ornamente aber wieder¬
um aus Glasmosaik bestehen und ein
Spiegel die Halbkreisform füllt. V
V TAFEL 34. Miethaus nach einem
Entwurf des Architekten WUNIBALD
DEININGER, WIEN. Das in einem
vornehmen Teil einer Grossstadt ge¬
dachte Haus enthält, wie aus dem
beigegebenen Grundrisse ersichtlich,
in jedem Stockwerke nur eine Woh¬
nung. Entprechend der Lage des
Gebäudes war bei Durchbildung der
Fassade das Hauptstreben darnach
gerichtet, eine möglichst monumentale
Wirkung zu erzielen. Die beiden
Scheidemauern, welche den Gesell¬
schaftssaal von den anstossenden
Räumen trennen, nehmen auch die
Rauchschlote auf und setzen sich noch
ausserhalb des Ateliers fort, wo sie
dann mit einer starken Marmorplatte
abgedeckt sind. Bei den schwach
ausladenden Baikonen im ersten und
zweiten Stocke wurde versucht mo¬
dernem Materiale , wie den Strick¬
netzen, dekorative Wirkung zu ver¬
leihen. Die farbige Ausgestaltung be¬
schränkt sich auf Vergoldung der Bal-
kone, Guirlanden und einige blass
getönte Putzfüllungen. V
V TAFEL35. Projekt zu einem Schul¬
hause von Architekt PAUL BURCK-
HARDT, MÜNCHEN. Von allen Städ¬
ten hat unstreitig München die schön¬
sten Volksschulhäuser. Die bayerische
WEHLING & LUDWIG. DÜSSELDORF. Villa Bestgen. Köln.
Musikzimmer.
Hauptstadt verdankt diese vorbildliche Stellung auf dem
Gebiete des Schulhausbaus der segensreichen Wirkung ihres
Stadtbauamtes und insbesondere dessen Architekten Hoch-
eder, Grässel, Fischer und anderen. Vor allem der jetzt
an der Stuttgarter technischen Hochschule lehrende Pro¬
fessor Theodor Fischer baute München einige der besten
und anregendsten Schulen, die in jeder Hinsicht, praktisch
wie künstlerisch, mustergültig sind. Unser Projekt ist un¬
verkennbar vom Geiste Fischers beeinflusst, aber auch
Darmstadt, wo Burckhardt einige Zeit studierte, ist unschwer
herauszufühlen. Wenn die Stilisierung der in Verputz-
Grundriss zu Tafel 34 technik aufgetragenen figürlichen Flachreliefs und die bunte
Färbung einzelner Putzflächen nach München hinweisen,
MODERNE BAUFORMEN III
Ein Raum von entzückender Frische
und Sauberkeit! Alles weiss: die
Decke, die eingebauten Wandschränke,
die Betten, die Sitzmöbel, der Kamin
kurz alles und darüber hingestreut
eine Fülle von Blüten und Blättern,
Rosen, Glockenblumen, Schmetter¬
lingen. Die Ausführung der Orna¬
mente wechselt ir. Malerei, eingelegter
Arbeit, Applikationsstickerei und
Knüpftechnik, und das blasse Meer¬
grün ihrer Blätter verstärkt sich in
den seidenen Vorhängen und den
Fliesen am Kamin zu duftiger Masse.
Ein ohne jedes Muster geknüpfter,
gelber Smyrnateppich wirkt eigenartig
auf dem Ahornparkett des Raumes,
in dem des Nachts vergoldete Laternen
ein dämmeriges Licht verbreiten. V
V TAFEL 37. Architektur-Studie von
P. DE RUTTE, PARIS. Wer könnte
sich dem traulichen Frieden der Markt¬
plätze alter Provinzstädte entziehen,
die beherrscht von der Burg ihrer
ehemaligen Beschützer so verträumt
von alter Herrlichkeit erzählen ? Auch
Rutte schuf unter diesem Eindrücke
seine Studie, die unter moderner Form¬
gebung die gleiche Stimmung zu er¬
reichen sucht. Wenn ihm dies auch
im allgemeinen gelungen ist, uns
scheint, die Alten konnten es doch
noch besser; freilich gaben früher die
verschiedenen Stilperioden solch ei¬
nem Platze stets ihr Bestes. Daran
liegt es! V
VTAFEL38. „Restaurant im Walde“
nach einem Entwurf von MAXBRINT-
Z1NGER, ESSLINGEN. Der Archi¬
tekt versucht hier mit Glück einem
der meist sehr misshandelten, von
Grundriss zu Tafel 35.
ist ebenso sicher in der Form der Giebel, der Architektur an
den Erkern, den vorkragenden Gesimsen und ähnlichem, der
Einfluss Olbrichs zu verspüren. Aber diese übernommenen Ge¬
danken sind gut und selbständig verarbeitet. Die innere Ein¬
teilung sieht unter möglichster Beschränkung der Korridore
eine geräumige Spielhalle vor, die sich nach dem Hofe zu
öffnet und durch ein weit ausladendes Schutzdach ins Freie
fortgesetzt wird, sodass auch bei Regentagen den Kindern ge¬
nügend Platz zur Bewegung geschaffen ist. Bezeichnender
Weise ist nur für die gegen den Hof liegende Fassade, die
auch die Eingangsseite ist, eine fröhliche, das Kindergemüt
ansprechende Ausschmückung vorgesehen. V
V TAFEL 36. Schlafzimmer. Entwurf von GEORGE LOGAN,
GLASGOW, ausgeführt von Wylie und Lochhead, Glasgow.
MODERNE BAUFORMEN III
37
Banalität strotzenden Gasthäuser, eine gute Form zu geben.
Sein Projekt hält sich fern von allen Konzessionen an den
beutelüsternen Wirt, es giebt ihm nicht einmal die Erlaubnis,
auf dem Dache oder sonst einem geeigneten Platze durch riesige
Reklameschilder Haus und Gegend den Stempel unserer heutigen
Kultur aufzudrücken. Dagegen verschafft er ihm durch das
Aeussere des Baues schon jenes Zutrauen der Gäste auf gute
Verpflegung, das z. B. irgend ein altes Postwirtshaus hervor¬
ruft. Weisser Sandstein, hellgrauer Verputz, gelbes Pitchpine-
Fachwerk und ein rotes Ziegeldach ergeben einen freundlichen
Anblick. Das Fensterholz und dergl. ist rein weiss gestrichen
und an Fachwerk und Sandstein sind flache Ornamente einge¬
graben und vergoldet. V
V TAFEL 39. Studie zu einem Speisezimmer von KARL
HECKENBERGER, STUTTGART. Der Ausführungsvorschlag
sieht weiss lackiertes Fichtenholz vor und verwendet zur Be¬
lebung der Flächen kleine Einlagen aus farbigen Hölzern.
Ueber der Vertäfelung zieht sich, um alle Wände laufend, ein
in Leimfarbe gestrichenes Wandfeld mit ein wenig schablonierter
Arbeit und nimmt seinerseits die weiss lackierten Deckenbalken
auf, zwischen denen die gleich getönten Putzflächen sichtbar
bleiben. Die Kaminnische deckt ein in Batik-Technik gemus¬
terter Sammt. Des weiteren kommen noch in Betracht: Pati-
niertes Messing für die Möbelbeschläge, getriebene Kupfer¬
arbeit für das Uhrblatt und die Beleuchtungskörper, denen
WEHLING & LUDWIG, DÜSSELDORF. Villa Bestgen, Köln.
Badezimmer.
WEHLING & LUDWIG, DÜSSELDORF. Villa Bestgen, Köln.
Partie aus dem Speisezimmer.
irisierende Glassfluss-Stücke eingefügt sind, schwarzer Marmor
für die Kaminplatte und schliesslich noch graublau getöntes
eichenes Parkett, darauf ein in kalten Tönen gehaltener Teppich
sich ausbreitet. V
V TAFEL 40. Das kleine Landhaus, das uns ANDRE COL-
LIN, PARIS hier zeigt, reiht sich seinen übrigen schon in
unseren früheren Heften veröffentlichten Arbeiten würdig an.
Collin will nicht durch Besonderheiten auffallen, vielmehr
Grundriss zu Tafel 40.
MODERNE BAUFORMEN III
L
m
strebt er darnach, dem einfachen Wohnhause hübsche und all¬
gemein verständliche Formen zu geben. Er arbeitet da¬
her mit althergebrachten praktisch erprobten Mitteln, die
seinen Häusern denn auch eine gewohnte Gediegenheit ver¬
leihen, ohne doch langweilig zu sein. Dem beugt er stets
durch abwechslungsreiche Gruppierung der Baumassen und
reich gegliederte Dachbildung vor. V
C. F. w. LEONHARDT , FRANKFURT A. M.
Projekt za einem Landhause am Rhein. Material: rot gefugter
Schieferbruchstein, farbiger Mörtelputz, blaue Schieferung.
Baukosten ca. 18000 Mark.
34
JULIUS HOFFMANN,
VERLAG, STUTTGART
MÜNZ & GEIGER, STUTTGART
INV: WUNIBALD DEININGER, WIEN
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JAHRS. MONATTHEFTE für ARCHITEKTUR, mefr
DIE KERAMIK IN DER MODERNEN ARCHITEKTUR.
Zwei Gesichtspunkte bestimmen die Verwendung keramischer
Produkte, in erster Linie der Fliesen und Kacheln, in der
modernen Baukunst: ein wesentlich praktischer, der aus den
spezifischen Vorteilen des Materials für die Bedürfnisse des
Baumeisters Nutzen gewinnt, und ein wesentlich künstlerischer,
der den dekorativen Wert der Fliesen verwendet. Der erste
ist in unserer praktischen Zeit mit Recht entscheidend gewor¬
den und zwar namentlich für die Innenarchitektur der Nutz¬
bauten. Zuerst in England und Amerika, dann in Deutschland,
Belgien und den meisten anderen Ländern hat sich die Fliese
als Bekleidung der Wände in Hotels, Krankenhäusern, in den
Fluren, Küchen u. s. w. der Mietshäuser durch ihr appetitliches
Aussehen und ihren Wert für Hygiene das Wohlwollen des
Publikums erworben. In England gehörte sie mit zu den ersten
Gebieten, die sich Morris eroberte; De Morgan und viele
andere Industrielle sind seiner Anregung gefolgt. Die einfarbige
Fliese in den bekannten hübschen Tönen war bis vor kurzer
Zeit der Alleinbesitz Englands, und nirgends ist
die Verwendung so weit getrieben als in Lon¬
don, wo u. a. das [South Kensington Museum
mit seiner Vertäfelung in dekorierten Fliesen
die beste Propaganda besorgt. Im übrigen
aber macht die Verwendung zu den Zwecken
der Dekoration verhältnismässig langsame Fort¬
schritte. Wohl haben wir gewisse gemischte
Anwendungen, wo halb die Rücksicht auf
den praktischen Zweck, halb die Freude an
dem Reiz des Materials entscheidet, in grosser
Menge. Dem Kamin ist die Kachel zum vor¬
trefflichen Ersatz des kost¬
spieligen und kalten Mar¬
mors geworden. Wo es schon
in früheren Zeiten Kachel¬
öfen gab, wie fast überall
in Deutschland und Oester¬
reich, hat die farbige Fliese
das Mode gewordene lang¬
weilige Weiss verdrängt,
freilich nicht immer zum
Vorteil der Behaglichkeit
des Zimmers. Der Stil
der grossstädtischen Miets¬
kasernen fand in der billigen
Monumental -Keramik ein
willkommenes Mittel, viel Prunk für wenig Geld zu geben.
Läuger zeigte eine würdigere, einfachere und geschmackvollere
Art, sich der Farbe zu bedienen, und der Erfolg ist nicht
ausgeblieben. Die Gebrüder v. Heider, Magdeburg, Schar¬
vogel in München, Zsolnay in Fünfkirchen und andere, sowie
fast alle unsere grossen und kleinen Kachelofenfabrikanten
schlossen sich der von Läuger ausgegangenen Bewegung an.
Van de Velde baut seine Kamine mit Vorliebe aus diskreteren
Greskacheln, deren Schmuck nur in dem Reiz des Emailflusses
besteht und die er mit Holz oder Metall einrahmt. Vorüber¬
gehend hat er, und viele andere Künstler, zuerst wiederum
England, die Fliesen in Tische eingelegt. Eine Verwendung
grossen Umfangs zeigte der von Villeroy & Boch ausgeführte
Saal in der deutschen Abteilung der Turiner Ausstellung, für
den Architekt Kreis die Zeichnungen, der Bildhauer Gross
die plastischen Modelle geliefert hatten. Die Wirkung war
überaus glücklich und zeigte in noch höherem Masse die
Möglichkeit noch besseren Gelingens bei
günstigeren äusseren Umständen. Allerlei Neu¬
heiten wusste die Flachornamentik der jungen
Wiener aus den Fliesen zu ziehen. Das Fleck¬
chen Farbe, das Olbrich und die ihm nahe¬
stehenden Künstler mit einer in die Fassade
eingelassenen Kachel bewirken, mangelt nicht
der Reize, wenn schon das Mittel leicht zu
kleinlichen Spielereien verführt. Als gute
Beispiele der fast vollständigen Verkleidung
von Fassaden mit Fliesen sind zu erwähnen
die bekannten Zinshäuser Otto Wagners in
Wien und ein von den Archi¬
tekten Wehling & Ludwig
in Düsseldorf erbautes Kauf¬
haus. Das eigentliche Land
aber der modernen Keramik,
auf das die Tafeln 44, 45 und
46 dieses Heftes hinweisen,
nimmt in der Frage eine
eigentümliche Stellung ein.
Frankreich besitzt in den
Nachfolgern des glänzenden
Keramikers Carriös, in Dela-
herche, Chaplin, Bigot, Dal-
payrat, Müller und vielen
anderen eine ganze Plejade
PROFESSOR M. LÄUGER, KARLSRUHE.
Wandbrannen.
MODERNE BAUFORMEN III
WEH LIN ü & LUDWIG. DÜSSELDORF.
Teilansicht des Hauses an der Blumenstrasse in Düsseldorf, s. Taf. 42.
tüchtiger Künstler, die die arts du grand feu betreiben und
seltene Farben auf das Steingut zu zaubern wissen. Seitdem
die japanischen Poterieen mehr bekannt geworden sind, hat
auch Frankreich in zahllosen Arten einen Luxusartikel ge¬
schaffen, der einen vornehmen Sammlersport befriedigt. Diese
Töpfchen stehen in allen Museen Europas. Die öffentliche
Kunstpflege acceptierte von der modernen Gewerbebewegung
zuerst diese schönen Unnützlichkeiten, die sich den alten
Dokumenten bequem anschliessen und niemandem wehtun.
Die Staats-Manufaktur von Sevres hat sich an die Spitze der
Bewegung gestellt und im Grös und Porzellan die kostbarsten
Liebhaberstücke geliefert. In Kopenhagen sorgen die beiden
bekannten Fabriken, die königliche und Bing & Gröndahl
für die Vertretung der nordischen Ornamentik; in Berlin
und Meissen hat das Beispiel Früchte getragen, zumal Berlin
hat, seitdem Schmuz-Baudiss der Manufaktur als künstlerischer
Leiter vorsteht, den enormen Vorsprung der Konkurrenzanstalten
eingeholt. V
V Schon frühzeitig machten die berühmten Keramiker Frank¬
reichs Fliesen aus Grös. Delaherche lieferte solche Dinge,
wenige Centimeter im Quadrat zu den Preisen, zu denen man
England den Quadratmeter der bekannten Tiles verkaufte.
Freilich war es ein ungleich kostbareres Material. Sehr schöne
Dinge fertigte auch Dalpayrat für Liebhaber. Fast seit einem
halben Dutzend Jahren haben Bigot, Müller u. a. das Grös oder
eine diesem stark gebrannten Material nahekommende Erde
für industrielle Zwecke gefertigt, und Architekten wie Guimard
und viele andere bedienen sich desselben mit Erfolg. Die
eigentliche Massenverwendung von Fliesen steht in Frankreich
noch auffallend hinter anderen Ländern zurück. Der sozusagen
industrielle Comfort, wie er sich im Mietshaus Deutschlands
zu erkennen giebt, die Rücksicht auf Hygiene auch in an¬
spruchslosen Milieus, alle diese bei uns schon selbstverständ¬
lichen Dinge fangen jetzt erst an, bei unseren Nachbarn zum
Gemeingut zu werden. Hier reizte die Künstler die dekora¬
tive Seite der Verwendung, und dafür fehlt es gerade in
Paris nicht an mancherlei suggestiven Vorbildern. Nicht um¬
sonst hat das Louvre die besten persischen Ziegeldekorationen,
den berühmten Fries der Bogenschützen und den noch schöneren,
vollständig aus den gefundenen Bruchstücken zusammen¬
gesetzten Zug der Löwen mit den ornamentalen Gesichtern,
aus dem Empfangspalast des Dareios resp. seines Nachfolgers
Artaxerxes Mnemon in Susa. Sie haben immer wieder die
Pariser Künstler zu Versuchen auf diesem Gebiet angeregt,
zuletzt noch den Dekorateur des Frieses des grossen Kunst¬
palastes in den Champs Elysees. Hier wie in allen vorher¬
gehenden Fällen wurde die Aufgabe nicht erreicht, weil man
sich die Lösung schwerer machte als die alten Perser. Mit
grosser Ökonomie beschränkten sich die Erfinder der berühm¬
ten Friese auf möglichst wenige Motive, wählten diese aber so
ausdrucksvoll wie möglich und wohlberechnet für den Platz.
Die Löwen waren, wie die Gelehrten längst vermutet haben,
bestimmt viel höher gestellt als die neun Bogenschützen, deren
Zeichnung viel detaillierter, kleinliniger ist, als die mit riesigen
Ornamenten geschmückten Löwen. Heute bringen namentlich
in dem Löwenfries das vielfach abgesprungene Email und die
Risse am Relief eine Teilung der grossen Linien hervor. Als
sie vollständig waren, wirkten sie wie riesige Arabesken. Die
Franzosen aber können sich in der angewandten Kunst nie so
kurz fassen, so glänzend ihre Maler verstehen, mit ein paar
Strichen viel zu sagen. Und so wirken die meisten ihrer
Fliesen-Dekorationen wie Ölbilder, die man vergrössert und
in quadratische Felder geteilt hat, das heisst, sie wirken über¬
haupt nicht, sondern stören nur die grossen Linien der Gebäude,
statt sie zu unterstützen. Von französischen Künstlern gibt es
meines Wissens nur wenige Versuche, soweit die Aussen-
architektur in Betracht kommt; die Pariser Typen, die Forain
für das vor 2 Jahren abgerissene Cafe Riehe am Boulevard
zeichnete und der Bäckerfries von H. Charpentier, der von
der Stadt Paris angekauft wurde. Forain vergrösserte für
den Zweck einfach zwei seiner Zeichnungen für die Tages¬
blätter, und Charpentier vergrösserte eine Plaquette. Immer-
MODERNE BAUFORMEN III
hin dachte Charpentier wenigstens an das Material und be¬
mühte sich, das Relief und die Farben in Massen zu verteilen.
Das gar zu Natürliche dieser Darstellungen entzieht sich der
architektonischen Wirkung. Naturechte Löwen an einem Ge¬
bäude würden erschrecken und der Wirklichkeit abgelauschte
Bogenschützen schliesslich langweilig werden. Die Franzosen
sind durch ihre ruhmreiche Malerei der Natur zu nahe ge¬
kommen, um sie in der Architektur zu überwinden und es
fehlt dem kunstreichen Volk ganz am nützlichen Künstler.
Freilich mag die Frage, ob überhaupt die Dekoration in dem
Sinne der poetischen Friese unseren Gebäuden frommt, manchem
gerechten Zweifel begegnen. Schon der Materialfrage stellen
sich sehr grosse Hindernisse entgegen. Emailliertes Steinzeug
schliesst sich der Schwierigkeit der Herstellung wegen aus.
Die schwach gebrannte Masse aber, deren sich die Perser
bedienten, würde unserem Klima in dieser exponierten Form
kaum widerstehen. Uebrigens haben sich unter den persischen
Ziegeln merkwürdigerweise die unglasierten besser gehalten
als die emaillierten. Ausserdem widersetzt sich unser auf
Einfachheit gerichteter Sinn immer mehr jeder Art von gross¬
figürlichem Schmuck an unseren Gebäuden. Die Zukunft wird
also wohl den glatten, einfarbigen Fliesen gehören, die, zumal
in Verbindung mit anderem Material, so vielerlei Reize besitzen.
Freilich ist Frankreich am wenigsten das Land für Fliesen¬
belag. Paris besitzt den schönen Stein und seine Architekten
halten mit Recht an diesem edelsten Material fest, das auch
die schönste Fliese nicht zu ersetzen vermag. Hier würde
eine Realisierung der Hoffnungen der französischen Keramiker,
soweit es sich nicht um grosse Nutzbauten mit Eisengerüsten
handelt, nur eine Entartung bedeuten, während z. B. in Berlin,
der Stadt des Gipses, die Verwendung des glasierten Ziegels
eine Besserung bringen würde, die man nur wünschen kann.
V Um die Aufmerksamkeit der Architekten von neuem auf
die Keramik zu lenken, hat vor kurzem die „Union Ceramique
et Chaufourniere de France“, das Syndikat der Tonbrenner
Frankreichs, eine Konkurrenz für Bauprojekte ausgeschrieben,
in denen das gebrannte Material möglichst reich zur Verwendung
kommen sollte. Trotz ansehnlicher Preise war die Beteiligung
gering. Nur fünfzehn Architekten schickten Projekte, und
unter diesen verdienen nur zwei oder drei ernsteres Interesse.
Wir haben einige Details des ersten Preises, den der unseren
Lesern bekannte Architekt Bassompierre davongetragen hat,
abgebildet. Das Hotel gibt im Äusseren und im Inneren alle
die Verwendungen der Fliesen und Terracotten, die ein der¬
artiger Bau, ohne der Indiskretion zu verfallen, verträgt. Die
Gartenfront zumal ist von glücklicher Erfindung. Im Innern
erfüllt der ganz mit Fliesen ausgelegte Erfrischungssaal sicher
seinen Zweck. Anders steht die Frage, ob wir gerade in
unserem nördlichen Klima solcher Abkühlungen bedürfen.
Vitzthum.
EINE NEUE MOSAIK-TECHNIK.
V Einen wetterbeständigen farbigen Fassadenschmuck, der
gegenüber den an die geometrische Form gebundenen Fliesen
den Vorzug uneingeschränkter Linienfreiheit besitzt, ermög¬
licht das nach dem deutschen Reichspatent (Nr. 133 266 vom
27. 1. 1900) des Architekten G. Wehling, Düsseldorf hergestellte
Glasmosaik. Wehling hat sich mit dem farbigen Schmucke
der Architektur seit langer Zeit beschäftigt. Da venetianer
Glasmosaik zu teuer, hat auch er zuerst Versuche mit Malerei
gemacht, die aber infolge der geringen Dauerhaftigkeit keine
zufriedenstellenden Resultate ergaben. In den Jahren 1898/99
nahm er das Probieren mit Mosaik wieder auf, wobei nach
Prüfung der verschiedensten Materialien als das in jeder Be¬
ziehung vorteilhafteste das Glas übrig blieb. Und zwar wur-
WEHLING & LUDWIG. DÜSSELDORF.
Haus an der Königsallee in Düsseldorf.
den die kleinen Würfel des antiken Verfahrens fallen gelassen,
und an ihre Stelle trat die nach der Schablone geschnittene
Glasfläche. Das Eindrücken der Glasstücke in den angetragenen,
noch weichen Verputz wurde der vielen Nachteile wegen auf¬
gegeben und statt dessen feste, montierbare Platten hergestellt,
deren Oberflächen mit Glas überzogen waren. Um eine
sichere Verbindung zwischen Glas
und Platte zu erzielen, wurden
zwischen den einzelnen Glasstücken
grössere Fugen gelassen, welche
das plattenbildende Gussmaterial aus¬
füllt, wobei die einzelnen Glasstücke
von allen Seiten, mit Ausnahme der
Oberfläche, fest eingeschlossen wer¬
den. Die Gläser dürfen jedoch nicht
zu gross genommen und zum Hinter¬
giessen darf kein treibender Zement
verwendet werden, weil sonst Haar¬
risse im Glase unvermeidlich sind.
Durch Unterlegen der farbigen Gläser
mit verschiedenem Staniol lässt sich
eine Mannigfaltigkeit erzielen, die
geradezu überrascht. V
V Da die Herstellungskosten solcher
Mosaiken verhältnismässig gering
sind (der Preis des DMeters schwankt
zwischen M. 8. — bis M. 60. — ), und
alles nur Denkbare darin gemacht
werden kann, von dem einfachsten
Flachornament bis zur ganzen Figur
und zu vollständigen Bildern, steht der modernen Architektur
zur Farbenfreudigkeit der alten Meister nichts mehr im
Wege. Es wird kein Vermögen mehr kosten, unsere Dome
und Kirchen in der Pracht der Markuskirche zu Venedig
leuchten zu lassen und unsere öffentlichen Gebäude können
statt der verwaschenen Bilder, die meistens mit der Architektur
nicht Zusammengehen, mit kräftig
stilisiertem Figurenschmuck, wie die
Moderne ihn hervorgebracht hat, aus¬
gestattet werden. V
V Die Anwendung des Wehlingschen
Mosaik-Verfahrens ist aus unseren
Abbildungen zu dem Artikel „Villa
Bestgen, Köln a. Rh.“ (M. B. Heft 5)
ersichtlich, und in der heutigen Num¬
mergeben wir auf Taf. 42 ein Detail der
Fassade eines Hauses in der Blumen-
strassezu Düsseldorf, wo dieseTechnik
besonders reich angewendet ist. Z.
~T
'
Pf
nzz:
Hüll
1
PROFESSOR M. LÄUGER, KARLSRUHE.
Heizkörperverkleidung.
UNSERE TAFELN
dienen heute überwiegend zur Illu¬
strierung der betreffenden Artikel.
(42, 44, 45, 46, 47, 48.) V
V TAFEF 41 zeigt das Amtsgebäude
einer Provinzstadt nach dem Pro¬
jekte der Architekten MICHLER &
MAHLER, WIEN. V
V TAFEL 43 gibt zwei eingebaute
Wohnhäuser, entworfen vom Archi¬
tekten F.W.JOCHEM, DARMSTADT.
MODERNE BAUFORMEN III
43
DER MUSIKRAUM IN DER WELTAUSSTELLUNG ST. LOUIS 1904
VON PROFESSOR HERMANN BILLING, KARLSRUHE.
Als eine Stätte künstle¬
risch-geselliger Anre¬
gung und Erholung nimmt
das Musikzimmer unter den
Gemächern des Privathau¬
ses gleichsam eine Mittel¬
stellung zwischen Wohn-
raum und Privatraum ein.
Die architektonische Lösung
eines solchen Problems hat
also beiden Momenten zu¬
gleich Rücksicht zu tragen:
mit dem Eindruck des Fest¬
lich-Getragenen soll die
Grenze des Wohnlich-Be¬
haglichen nicht überschrit¬
ten werden. Die Aufgabe
des Architekten greift hier
sowohl in das Gebiet monu¬
mentaler als intimer Raum¬
kunst. Damit waren die
leitenden Gesichtspunkte
gegeben für die räumliche
Gestaltung und für die far¬
bige Behandlung des Ganzen
wie des Einzelnen. V
V Der Gesamtplan ist der
einer basilikenartigen, durch
hölzerne Pfeiler in Mittel¬
und Seitenschiffe abgeteilten
Halle. In der Ruhe und
Strenge der gesamten Durch¬
bildung, namentlich in der
Anordnung einer vorherr¬
schenden Längsaxe sollte
der Grundton einer leise an
das Feierliche des Kirchen¬
raums anklingenden Monu¬
mentalitätangeschlagen wer¬
den. Orgel und Flügel, alsdie
beiden charakteristischen
Hauptgegenstände der Ein¬
richtung an den Endpunkten
der Axe aufgestellt, betonen
neben der praktischen Be¬
stimmung des Raums zu¬
gleich das wichtigste Motiv
seines Monumentalcharak¬
ters. Der durchgeführte
Grundsatz der Einfachheit
war darauf berechnet, diesen
Eindruck noch zu verstär¬
ken. Liegt das Wesen des
Monumentalen doch nicht
44
MODERNE BAUFORMEN III
in der Pracht und dem Reichtum des dekorativen Aufwands,
sondern in der Wirkung der konstruktiv notwendigen Teile,
in der Wucht und Grösse der Raum- und Massenverhältnisse.
Und wie für die architektonische Anlage, so war auch für die
Einzelheiten der Ausstattung die gleiche Absicht strenger,
sachlicher Einfachheit massgebend: Architektur und Mobiliar,
bis in jedes Detail vom Architekten selbst entworfen, sind
darauf berechnet, als eine aus einem Guss entstandene
Schöpfung dem künstlerischen Grundgedanken einen einheit¬
lichen, in sich geschlossenen Ausdruck zu verleihen. In dieser
MODERNE BAUFORMEN III
45
WELTAUSSTELLUNG ST-IOUIS 1904.
RAUM PROF. DilliNG KAR'ISRUHEDADEN:
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Harmonie und organischen Einheit des Körpers und seiner
Glieder liegt eine der wesentlichsten Forderungen moderner
Kunstanschauung. V
V War also durch die künstlerische Weihe des Raums die
Absicht einer monumentalen Grundstimmung angezeigt, so galt
es doch, eine über den Eindruck des Persönlichen und Intimen
hinausgehende Strenge zu vermeiden. Die Erhöhung des
Hauptschiffs über die Seitenschiffshöhe hinaus, gibt der Decke
eine kräftigere Profilwirkung. Das wichtigste Moment einer
abwechslungsreicheren Raumdifferenzierung liegt in der Tren¬
nung des Gesamtraums in Mittelsaal und Seitenschiffe durch
die doppelte Pfeilerreihe. Die podiumartige Höherlegung des
Fussbodens in den beiden Nebenschiffen betont diese Absicht.
Zugleich ist damit dem Verlangen Einzelner Rechnung getragen,
sich gelegentlich von der Masse der im Saal versammelten
Gesellschaft abzusondern , sich etwa dem Genuss eines
Musikwerks aus einer verborgenen Ecke ungestörter hin¬
geben zu können. Alles das sollte dazu beitragen, den
Grundsätzen einer individualisierenden Raumgestaltung ent¬
sprechend, der Schablone des Konzertsaalmässigen möglichst
auszuweichen. V
V Durch die gleiche Rücksicht wurde auch die Wahl des
Materials bestimmt: Holzvertäfelung. Damit wurde einerseits
die künstlerische Einheit der Wand und des Mobiliars gewahrt,
andererseits entspricht den Bedürfnissen des Wohnlich-Intimen
die Holzverkleidung besser als ein kostbarer, aber mehr dem
Charakter des öffentlichen als des privaten Festraums ange¬
messener Stoff, wie etwa Marmor. Andererseits erschien die
Vermeidung eines unechten Materials, eines Surrogats oder
einer Stoffimitation, als ein selbstverständliches Gebot künst¬
lerischer Gediegenheit, wie sie die Würde eines festlichen
Raumes verlangt. V
V In der Einheit von Form und Inhalt, welche auch eine
materialgen isse Handhabung aller angewandten Techniken —
Holz t H-!z, Metall als Metall, Glas als Glas u. s. w. vor¬
aus?; ,:egt ein fundamentales Gesetz stilästhetischer
Logik. 'angt, dass der künstlerische Charakter des
Raun len Stücken aus den Bedingungen seiner
praki imung ergebe. Neben der Form spielt die
Farbe re gleich gewichtige Rolle. Gerade dieser
Faktor is,. als Ausdrucksmittel künstlerischer Raumstimmung
erst von der modernen Baukunst wieder in seiner vollen Be-
MODERNE BAUFORMEN III
or'sjr
ru
PROFESSOR HERMANN BILLING, KARLSRUHE.
Orgel aus dem Musikraum in der Weltausstellung St. Louis 1904.
deutung erkannt und gewürdigt worden. Die Farbe stellt dem
dekorativen Künstler eine unerschöpfliche Skala von Stimmungs¬
werten zur Verfügung. Ob ein Raum festlich oder nüchtern,
behaglich oder frostig, freundlich oder düster wirken soll, das
alles kann er mit Hilfe der Farbe
bis zu jedem Grade der Aus¬
drucksfähigkeit steigern. So wenig
sich nun in diesen Fragen, über
die immer von Fall zu Fall das
Gefühl des Einzelnen entscheiden
wird, feste Regeln aufstellen
lassen, so neigt unser modernes
Farbenempfinden doch nach einer
Richtung, die sich als allgemeiner
Grundsatz für die farbige Be¬
handlung moderner Innenräume
aussprechen lässt: es ist das
Verlangen nach einer ruhigen
Grundstimmung, nach dem Vor¬
herrschen eines einheitlichen
Grundtons, aus dem die leb¬
hafteren Farben als höchste Stei¬
gerung des farbigen Konzerts in
sparsamer Verwendung heraus¬
klingen: also Konzentrierung
des dekorativen Schmucks in
Form und Farbe. V
V In diesem Falle wurde als
Grundton ein neutrales Blaugrün
gewählt. Die ornamentalen Farb-
flecke bilden das dekorative
Gemälde: „die Musik“ über der
Orgel und das Glasfenster „Or¬
pheus“ über dem Flügel. So
sprechen die beiden stärksten
Accente der farbigen Stimmung auch inhaltlich die Bedeutung
des Raumes noch einmal aus. Karl Widmer, Karlsruhe.
(Siehe Tafel 47 und 48 dieses Heftes nach Aquarellen von
Professor H. Billing.)
Grundrisse zu Tafel 41.
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43
44
JULIUS HOFFMRNN ■
VERLRG • STUTTGART
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46
JULIUS F10FFMBNN .
VERLRQ • STUTTGART
INV: J. BASSOMPIERRE, PARIS.
MÜNCHENER MODERNE ARCHITEKTUR.
Man pflegt die Architektur die Führerin der bildenden
Künste zu nennen, und doch lehrt uns ein Gang durch die
Geschichte, dass sie es keineswegs immer gewesen ist, man
denke nur etwa an die Frührenaissance und das Rokoko.
Etwas Ähnliches sehen wir auch heute sich wiederholen.
Siegreich zog die Moderne ihre Bahn auf den Pfaden des
Kunstgewerbes, aber wie weit sind wir noch davon entfernt,
von einem Siege der Moderne in der Baukunst sprechen zu
dürfen. Es entstanden gewiss in den letzten Jahren an den
verschiedensten Orten eine stattliche Reihe von Bauten, die
nach neuen Ausdrucksweisen strebten und suchten; um wie¬
viel stehen sie aber an Zahl den neuen Gebilden mit alten
Tendenzen nach. Im Wesentlichen bleibt sich dieses Bild an
den meisten Orten gleich; doch kann man im allgemeinen die
Beobachtung machen, dass dort, wo eine besonders blühende
Bauperiode erst kurz vor der Erweckung der Moderne geherrscht
hat, die alte Liebe zu dem Alten noch am meisten glüht und
die Moderne gewöhnlich wenig
Gegenliebe findet. Solch eine Stadt,
die noch immer im Banne einer der¬
artigen Vergangenheit liegt, ist auch
München. V
V Die Führenden und Massgeben¬
den der Baukunst der Gegenwart
in München sind immer noch die
Meister der retrospektiven Tendenz,
in erster Linie Gabriel von Seidl,
Hocheder, Grässl und Osten¬
rieder, um nur einige und damit
die besten zu nennen. Ihr Schaffen
fusst, in der Hauptsache wenigstens,
in der heimischen Bauweise, und
das verleiht namentlich den Bauten
der ersten Beiden das Gemütliche,
Behagliche, was den kleinen Land¬
sitzen, Jagdschlösschen und ähn¬
lichen Buen-Retiros des 18. Jahr¬
hunderts in Altbayern eignet. Osten¬
rieder bezw. Bleibinhaus bevorzugt
namentlich die Formensprache der
ausklingenden Gotik und der be¬
ginnenden Frührenaissance, und
unter den diesen Stilen huldigenden
Baukünstlern erfreut er troU aller
Anhänglichkeit an das Alte durch eine gewisse Selbständigkeit
und ursprüngliche Frische. Die Zierformen werden nicht nur
irgendwoher genommen, sondern es werden im Sinne der Väter
neue erdacht, so dass doch von einem Neuschaffen, wenn auch in
sehr beschränktem Masse die Rede sein darf. Hiedurch unter¬
scheiden sich die Bauten von Ostenrieder-Bleibinhaus wesent¬
lich und wohltuend von der Masse ähnlicher Neubauten, die dem
einigermassen Kundigen, ob Architekt oder Laie, in den meisten
Fällen schon von weitem die Herkunft der Motive, die architekto¬
nischen Publikationen, laut entgegenschreien. Man wird bei einem
Überblick über diese Bauten etwas an ein Kaleidoskop ge¬
mahnt, das trotz der verschiedenartigen Gebilde immer die
gleichen auffallenden Einzelheiten ersehen lässt. Das Kaleido¬
skop ist ein Kinderspiel, ein Spiel des Zufalls; die fraglichen
Bauten, wenigstens das letztere insoferne, als eben das Blatt
verwertet wird, das einem gerade ein günstiger Wind vor das
Reissbrett geweht hat. V
PROFESSOR FRIEDRICH v. THIERSCH, MÜNCHEN.
Haus des Dr. R. von Hoesslin, München, Romanstrasse.
48
MODERNE BAUFORMEN III
JOSEPH BURGER, MÜNCHEN.
Mietshäuser an der Franz-Josephstrasse in München-Schwabing.
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v Verschliessen sich diese Baukünstler durchaus jedweder
Ausdrucksweise, die nicht einem historischen Stil entlehnt
oder streng nachempfunden ist, so erscheinen unter den Grössen
vor allem zwei, die sich nicht damit zufrieden gehen können,
von dem zu zehren, was sie von andern ererbt haben. Es sind
Friedrich von Thiersch und Emanuel Seidl. Bei
Friedrich von Thiersch denke ich hier natürlich weniger an
den Meister des stolzen Justizpalastes als vielmehr an den
Erbauer des Hauses für Handel und Gewerbe, das mehr noch
als in seiner eigenartigen tektonischen Gestaltung durch die
Betonung farbig reizvollen Wechselspiels neuen Geist bekundet
und entschieden einen der wichtigsten Marksteine in der Ent¬
wickelung der Baugeschichte Münchens bedeutet. Der Bau
war eine befreiende Tat, die Fesseln der Farblosigkeit unserer
Fassaden wurden durchbrochen, nicht ohne Wirkung auf weitere
Kreise. Die jüngste Schöpfung von Thierschs ist das villen¬
artige Wohnhaus des dirigierenden Arztes der Heilanstalt
Neuwittelsbach, des Hofrats Dr. R. von Hoesslin, ein ausser¬
ordentlich liebenswürdiges Werk von fast klassischem Gepräge.
Kann man demselben deshalb, weil an der Loggia eine jonische
Säule und an dem Vorbau des Eingangs so eine Art romanisch¬
italienisches Kapitell angewandt ist, das Recht, eine moderne
Schöpfung zu sein, absprechen? Doch wohl kaum. Es erinnert
in der Silhouette etwas an Thierschs gemütlich-elegantes Wohn¬
haus, und den gleichen Zug trägt auch das Haus Hoesslin.
Diese Wirkung scheint im wesentlichen in dem auf mächtiger
Hohlkehle ruhenden weit überragenden Dache zu beruhen.
Weitere architektonische Glieder mangeln, und man vermisst
sie auch nicht. Etwas Schablonenputz und Sgraffitto unter
dem Dach besorgen die bescheidene Zier. Wenn Thiersch
MODERNE BAUFORMEN III
49
in den erwähnten Bauten die traditionellen Bauweisen zur Seite schiebt, so löst er
sich jedoch nicht so weit von der Vergangenheit los, dass er nicht einzelne für seine
Zwecke ihm geeignet dünkende Bauglieder dem neuen Hauptgedanken einfügt und
unterordnet. Trotz dieser Anleihen überwiegt das Neue, das Eigenartige. Wie weit
überragt da Thiersch jene lauen Kompromissler, die die tektonische Gliederung eines
Baues im Sinne einer älteren Stilrichtung beibehalten, um dann, damit sie modern
erscheinen, in Gestalt von ein paar angepappten Flachornamenten mit pflanzlichen
oder Linienmotiven dem Bau ein neues Mäntelchen umzuhängen sich bemühen. Von
dieser lauen, flauen Art besitzt München glücklicherweise nur wenig Beispiele. V
V Von weittragenderer Bedeutung und umfassenderem Einfluss als von Thiersch selbst
wurde sein bedeutendster Schüler Martin Dülfer, dessen klares zielbewusstes Schaffen in
einem späteren Aufsatze eine eingehendere Würdigung erfahren soll. Martin Dülfer
ist zweifelsohne der stärkste Bahnbrecher für die Moderne in München geworden. Dass
er dabei namentlich in seinen früheren Arbeiten an Louis XVI. oder die Schöpfungen
der Biedermeierzeit sich anlehnt, ändert an dieser Tatsache nichts. Auch ein gewisser
barocker Zug mag da und dort
durchklingen, doch ist dieser nie
auf Rechnung eines bewussten An-
lehnens an diese Periode zu setzen,
sondern vielmehr auf die Verwandt¬
schaft der gestellten Aufgaben. Doch
hievon später! V
V Martin Dülfer ist eine abgeklärte,
festumrissene Persönlichkeit nicht
schwankenden , sondern sicheren
künstlerischen Schrittes. Ihm nähert
sich am meisten Max Langheinrich,
gleichfalls ein Schüler von Thiersch
und neben Dülfer eine zeitlang, so
X ST OCK.
MODERNE BAUFORMEN III
PLAN : ELRDÖElSCNOSb. WOHNUNG
- - DES LtnF\LFVS
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LLMA -GEHIlF LN ,
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PLAN : 0BE.R.&E.5CHO55'
Grundrisse zu Tafel 49.
Farbe nur sehr dezent zu arbeiten pflegen, bildet das Haus
der Architekten Helbig & Haiger, Ainmillerstrasse Nr. 22,
das in Farben Rot, Gelb, Grün, Blau, Weiss und Gold förm¬
lich schreit. Bei der Fülle seiner Zierformen hätte der Bau
durch schlichte Tönung in eineroder höchstens zwei gebrochenen
Farben eine entschieden vorteilhaftere Haltung gewonnen. V
V Naturgemäss überwiegt in München zumal, wenn es sich
um Zinsbauten handelt, der Backsteinbau, da brauchbarer
Naturstein nicht in der Nähe gebrochen wird. Nur zwei
grössere moderne Neubauten sind in jüngster Zeit in Haustein
hergestellt worden. Der erste Bau mag hier nur erwähnt
werden wegen der Verwendung von Buntsandstein; es ist das
Geschäftshaus der Bayerischen Bank
in der Maffeistrasse. Welch beson¬
derer Zweck für die Wahl dieses im
Bilde Münchens so fremdartig wirken¬
den Materials Ausschlag gebend war,
ist schwer zu erraten. War es
allein die Absicht aufzufallen, so hätte
ein kräftiges Veto diese Brutalität
verhindern müssen, aber es geschah
hier ebensowenig, als man vor kaum
einem Jahrzehnt in der Promenade¬
strasse zwischen das einfach elegante
Palais Portia des Zukkali und Cuvil-
lies und des letzteren graziöses erz-
bischöfliches Palais den rohen Stein¬
klotz der Bayerischen Hypothek- und
Wechselbank schieben liess. Nur des¬
halb erscheint der Frevel in der
Maffeistrasse nicht so gross, weil
die direkte Umgebung keine unantastbaren Erbstücke aus guter
Zeit aufweist, und weil die architektonischen und deko¬
rativen Formen ziemlich bescheiden und nichtssagend ziem¬
lich konventionell - sind. Ein schwerer Fehlgriff bleibt
es nichtsdestoweniger, die in diesem Falle entschieden gut zu
heissende Tradition durchbrochen zu haben. Das Rot wirkt
fremd und aufdringlich und stört durch seine Masse das ganze
Strassenbild. Warum konnte man nicht gelben Sandstein
wählen, der, wie hunderte von Beispielen es bezeugen, sich
am besten zu den Putzbauten fügt. Das bedachten die Archi¬
tekten Honig und Söldner, die Meister des zweiten hierzu
erwähnenden Hausteinbaues, des Konfektionshauses von Isidor
Grundrisse zu Tafel 55.
MODERNE BAUFORMEN III
Bach in derSendlingerstrasse.
Ich glaube nicht zuviel zu
sagen mit der Behauptung,
dass dieser Neubau das Beste,
Abgeklärteste, Zweckmässig-
ste darstellt, was die Mün¬
chener Architektur im letzten
Jahre aufgeführt hat. Der
Forderung reichster Lichtzu¬
fuhr wurde in ausgiebigster
Weise Rechnung getragen,
die Fassade ist fast vollstän¬
dig aufgelöst. Trotzdem tritt
der architektonische Gedanke
in dem einfachen, grosszügi¬
gen Aufbau klar zutage. Das
Zusammenfassen der zwei
Unter- und der drei Ober¬
geschosse ist souverän be¬
wältigt. Schmale eiserneStrei-
fen, die in der Wirkung sich
den dunkeln Fenstern an-
schliessen, verhüllen glück¬
lich die Stockwerkeinteilung
zu gunsten des grossen
Systems, das lediglich aus
fünf stärkeren bezw. noch aus
drei schwächeren Mauer¬
streifen mit pfeilerartigen
Funktionen besteht. Das
Ornamentale begnügt sich in
einfach schlichter Wirkung,
auf Belebung der Zweck¬
formen — an Bogen, Pfeiler¬
füssen und Kapitellen; nichts Überflüssiges, nichts Ge¬
zwungenes, nichts Unlogisches — alles wie aus einem
Gusse geschaffen. Man sieht dem Flause schon von aussen
die Lichtfülle seiner Räume und die Zweckmässigkeit derselben
an. In ganz verwandterWeise, jedoch unter Verwendung be¬
scheidener Materialien - Putzbau mit Schablonenornamenten
und etwas Antragarbeit — sind Honig und Söldner einer ähn¬
lichen Aufgabe gerecht geworden in dem Engros-Kaufhaus der
Firma Gutmann, Schwanthalerstrasse Nr. 31. In beiden Fällen
erweist sich klar, dass für einen Bau mit völlig neuen An¬
forderungen es am zweckmässigsten erscheint, diesen unter
völligem Verzicht auf alte Anschauungen und ein ererbtes und
angelerntes Formenrepertoire aus den Bedürfnissen herauszu¬
bilden; die einfachste Weise in der Bildung der Nutzformen
wird in den meisten Fällen mehr befriedigen, als wenn alte
Formen zu neuen Zwecken gereckt und gestreckt werden
sollen. Das gibt in der Regel eine charakterlose Kompromiss¬
kunst. V
V Nennen wir noch Oskar Deslisle mit seinem Bau Sonnen¬
strasse Nr. 12, so dürfte das Bild des Modernen in der Mün¬
chener Architektur in ziemlicher Vollständigkeit aufgerollt
worden sein. Im Verhältnisse zur ständig wachsenden Aus¬
dehnung der Stadt ist ja die Zahl der nach neuen Ausdrucks¬
weisen strebenden Bauwerke sehr gering; das mag zum guten
Grundrisse zu Tafel 51.
Teil darin begründet sein, dass eben, wie eingangs erwähnt,
die Führung wie früher so auch noch jetzt in den Händen
der Alten ruht, dann aber auch darin, dass wirkliche Kräfte,
ausgesprochene starke Naturen ausser den Erwähnten mangeln.
Unter solchen Umständen erscheint es doppelt beklagenswert,
wenn noch Künstler wie die Gebrüder Rank der guten
Sache untreu werden, um wieder rückschauend zu schaffen.
Und fragt man mich, was die Moderne der Architektur in
München wohl am meisten zu fördern geeignet wäre, so glaube
ich antworten zu dürfen: Ein Staatsauftrag in ihrem Sinne.
Das möchte manchem gewagt erscheinen, aber ich dächte,
recht viel Schlimmeres könnte das Wagnis am Ende auch
nicht zutage fördern, als etwa das vor wenigen Jahren neu¬
erbaute Katasterbureau. V
München. Dr. Phil. M. Halm.
UNSERE TAFELN.
V Die TAFEL 49, ein Entwurf des Archikten THEODOR
VEIL, MÜNCHEN, zeigt eine Dorfschule. Ihre Lage an einem
Hohlweg und der Wunsch, möglichst unmittelbar von der
tiefliegenden Strasse die im Obergeschosse unterzubringenden
Schulräume erreichbar zu machen, begründen die Treppen¬
anlage, die von der Strasse zu einer dem Klassengeschoss vor-
54
MODERNE BAUFORMEN III
gelagerten, bedeckten Terrasse führt. In dieser Anordnung,
beherrscht von einem bescheidenen Uhrtürmchen, liegt der
Hauptreiz des Projektes. Neben den denkbar einfachsten
Formen wirken in der Hauptsache die Farben des Materials.
Die Wandflächen zeigen gelb- bräunlichen Verputz, der
Terrassenaufbau den braun - grünlichen Ton des orts¬
üblichen Steinmateriales, die Holzteile des Terrassendaches
braune Naturfarbe, während Fensterkreuze und Dach¬
rinnen dunkelgrün gestrichen sind. Dazu kommt die rote
Farbe des Ziegeldaches. Im Gegensatz zu den landläufigen
kastenartigen Schulhaustypen sieht man, wie auch solche Ge¬
bäude mit wenigen Mitteln liebenswürdig gestaltet werden
können und zwar in völlig moderner Behandlung, ohne dabei
Gefahr zu laufen, dass der Neubau in der Harmonie einer
alten Umgebung als störender Missklang empfunden wird. V
V TAFEL 50. EDGAR WOOD, MANCHESTER. Schlaf¬
zimmer mit anstossender Kaminnische. Eingebaut in die
Schräge des Dachstockes, ist die Balkenkonstruktion in jener
famosen Art zur Bildung der Decke benützt, wie dies in alten
englischen Häusern vielfach geübt wurde. Die Decke ist in
Rabitz gewölbt und entbehrt jeden Schmuckes, ebenso die Möbel,
deren einzige Zier ein wenig buntgefasste Schnitzerei bildet.
V Vornehme Lebenshaltung, ernste geistige Interessen und
heitere Geselligkeit bedingten als angenommene Forderungen
die Raumanlage des auf TAFEL 51 abgebildeten Landsitzes,
eines Entwurfes von GEORG BEW1G , FRANKFURT a./M.
Anknüpfend an die glänzenden Lösungen dieses Programms
in der Renaissance, hat Bewig gleichwohl die Räume zwang¬
los aneinander gereiht ohne zu formalen Anklängen zu
greifen. Die Vermeidung jeglicher Detailwirkung , führten
zur Zusammenfassung der geometrischen und farbigen Massen,
dementsprechend sich das Gebäude als gelblich getönter Putz¬
bau charakterisiert, mit einem roten Ziegeldach (in der Form
der Retinger) und einem kupfergedeckten Eckaufbau. V
V TAFEL 52. H. K1RCHMAYR , INNSBRUCK beschäftigt
sich seit Jahren mit der Neubelebung der alten Tiroler Zimmer¬
manns- und Schnitzerkunst. Wir bringen heute zwei Entwürfe
zu grossen Einfahrtstoren mit darüber liegender Laube, wie
sie die Tiroler Bauernhäuser stets aufweisen, und können
dazu bemerken, dass sie den Vorbildern, sowohl in ihrer
technisch vorzüglichen Erfindung, wie auch in der formalen
Durchbildung, in keiner Weise nachstehen. V
V Auf TAFEL 53 geben wir die geometrischen Aufrisse des
Landhauses „Coldecote, Moreton-in-Marsh , Gloucestershire“,
erbaut von Architekt E. GUY DAWBER, LONDON. Das
reizvolle Anwesen mit seiner platzvergeudenden Anlage ist
wiederum typisch für die Art der englischen Landsitze, die in
enger Fühlung mit der überlieferten bäuerischen Bauweise
den Charakter ihres Standortes stets zu wahren wissen. V
V TAFEL 54. Kaminpartie eines Speisesaales, ausgeführt von
der Hofmöbelfabrik ANTON PÖSSENBACHER, MÜNCHEN.
Ueber der eichenen Täfelung mit hoher tiefblau bespannter
Felderteilung läuft ein in Tempera schablonierter Fries bis
unter die in zwei Tönen gehaltene Holzdecke. DerUebergang
der Wand zur Decke ist glücklich vermittelt durch Uebergreifen
der Deckentäfelung auf eine senkrechte Felderhöhe. Ein
blanker Messinghelm und hellblau glasierte Kacheln stehen
zu den matten Tönen des Holzwerks in lebhaftem Gegensatz.
V TAFEL 55. Architekten ALBERT SCHUTTE & VOLLMER,
BARMEN. Entwürfe zu zwei Landhäusern (gez. von A. Schutte).
Wie sehr die Erkenntnis wieder durchdringt, die Häuser nicht
um der Häuser willen, sondern dem Zwecke und der Lage
entsprechend zu bauen, zeigen unsere beiden anspruchslosen
Projekte, die nichts „sein wollen“, aber eben dadurch etwas sind.
V TAFEL 56. „Halle“ nach einem Aquarell von MAX
BENIRSCHKE, DÜSSELDORF. Wiener Raffinement und
und norddeutsche Nüchternheit vereinigen sich hier zu gutem
Bunde. Mag man sich auch in diesem Raume mit seinen
schwarzbraun gebeizten Holzflächen und dem weissen Rauh¬
putz an Decken und Wänden anfangs vielleicht ein wenig frostig
fühlen, er wird bei längerem Verweilen trotz aller Straffheit
seiner Formen durch die liebevolle Durchbildung der Details,
wie Intarsien, Glasmosaiken, Metallarbeit, Möbelstoffen u. s. w.
einen intimen Reiz ausüben. V
' ' U rr’
\ fcj'' ®
50
INV: H. KIRCHMAYR, INNSBRUCK
54
INV: RINTON PÖS5EINBRCHER . MÜNCHEN.
55
JULIUS HOFFMANN,
VERLAG, STUTTGART
INV: ALBERT SCHUTTE & VOLLMER, BARMEN
CD
iD
jahrs- MONAETHEETE für ARCHITEKTUR. heft.
DIE NEUBAUTEN AN DER PALMEN- UND AHORNSTRASSE
IN BASEL.
Seit man die tiefe Bedeutung der Wohnungsfrage erfasst
und es als eine wesentliche Aufgabe der sozialen Fürsorge
erkannt hatte, auch dem Minderbemittelten eine gesunde, be¬
queme und behagliche, dabei aber billige Wohnung zu schaffen,
war es das in ländliche Gegend hinausgerückte Einfamilienhaus,
dem man fast allgemein als der glücklichsten Lösung zustrebte;
von einem Gärtchen umgeben, bietet es Licht und Luft auf allen
Seiten und indem es die beim dichten Zusammenwohnen in
grossen Mietskasernen unvermeidlichen zahlreichen Reibungs¬
flächen zwischen den einzelnen Familien entfernte, schuf es
eineVorbedingung friedlichen
Hausens. Dazu gab es Ge¬
legenheit, den Schönheitssinn
durch gefällige Formen zu
wecken und zu befriedigen,
es lud seine Bewohner zu
schonender Pflege ein, statt
der sonst wohl üblichen bru¬
talen Abnützung, und da es
dabei endlich als Ganzes kein
allzu teures Objekt darstellte,
war sein Kaufpreis bei ge¬
eigneten Zahlungsformen
schliesslich auch für Leute
mit bescheidenem Einkom¬
men zu erschwingen. Indu¬
strielle Unternehmer, die für
ihre Arbeiter sorgen wollten,
gemeinnützige Baugesell¬
schaften, freie Vereinigungen
u. s. w. sind mit Vorliebe auf
diesem Wege vorgegangen.
Eine musterhafte Anlage von
Einfamilienhäusern ist erst
kürzlich in Heft 4 der „Mod.
Bauformen“ vorgeführt wor¬
den in dem Arbeiterdorf
Bourneville des Kakaofabri¬
kanten George Cadbury bei
Birmingham. V
V Allein nicht überall sind
die Verhältnisse diesem länd¬
lichen Cottage-System günstig. Der Wahlspruch “my house is my
castle” hat sich in vielen Fällen als ein unerfüllbares Ideal
herausgestellt. Vielen kleinen Leuten ist der Besitz eines
Hauses eine Last, während ein Guthaben auf der Bank oder
Sparkasse bei den Wechselfällen des Lebens in ihren Augen
einen wertvolleren Besitz repräsentiert; sodann passen die
leicht gebauten englischen Cottages mit ihren entsprechend
dünnen Umfassungswänden und der relativ grossen Abkühlungs¬
fläche nicht recht in ein kohlenarmes Land mit seinem viel¬
fach rauheren Klima. Im Ferneren ist ein grosser Teil unserer
Arbeiter und kleinen Ange¬
stellten nun einmal an die
Stadt gebunden; die bei uns
übliche Einteilung der Ar-
beits- und Schulzeiten erlaubt
ihm nicht in weitere Entfer¬
nung vom Mittelpunkt der
Stadt hinauszuziehen, da das
täglich viermalige Zurück¬
legen des Wegs von und zur
Arbeitsstätte oder Schule für
Erwachsene und Kinder,
selbst bei guter Bahnverbin¬
dung zu zeitraubend oder zu
kostspielig wäre. Anderseits
schliessen die städtischen
Bodenpreise die weiträumige
Bauweise der Kolonien bil¬
liger Einfamilienhäuser aus.
Sollen nun alle diejenigen, die
aus den erwähnten Gründen
auf ein Wohnen in der Stadt
angewiesen sind, auf die
gesundheitlichen, seelischen
und künstlerischen Vorteile
des ländlichen Einfamilien¬
hauses gänzlich verzichten?
Sollen sie zum öden Massen¬
quartier in der reizlosen
Mietskaserne verurteilt sein?
Ist es nicht möglich, wenig¬
stens einen Teil jener Vor-
RUDOLF LIND FM & PAUL BURCKHARDT, BASEL.
Blick in die Halle der Häuser an der Palmenstrasse in Basel.
58
MODERNE BAUFORMEN III
Andere Ansicht des Hauses auf Tafel 7.
Andere Ansicht des Hauses auf Tafel 53.
enthält je eine abgeschlossene Wohnung mit einer Art Halle,
einem der englischen ‘'Hall” oder der deutschen „Diele“ ähn¬
lichen Raum, woran sich auf der einen Seite 2- 4 Wohnräume,
auf der andern Seite die Wirtschaft^räume (Bad, Garderobe,
Küche, Speisekammer etc.) angliedern. Natürlich können die
Masse der Zimmer sowohl nach der Höhe wie nach der Grund¬
fläche nicht allzugross sein, doch sind sie für bescheiden^.
Ansprüche durchaus genügend, ja es kann wohl behauptet
werden, dass ihre Dimensionen gerade durch diese Beschränkung
sich mehr dem bürgerlichen Milieu anpassen, als dies in den
vielfach üblichen, häufig nach aussen palastartig ausgebildeten
Mietshäusern der Fall ist. V
Im besondern soll die Halle als bei aglicher Empfangsraum
ausgestaltet werden, der den Eintretendt freundlich begrüsst.
Ein hier an der Mitte der Langwand aufg fellter Dauerbrand¬
ofen nach Art eines englischen Kamins übernimmt die Rolle
der Zentralheizung für die ganze Wohnung, indem er die Halle
direkt durch Strahlung und das Wohnzimmer durch zirku¬
lierende Luft erwärmt. Ausserdem bemüht sich die Unter¬
nehmung, ihre Aufgabe unter Verwertung der neuesten Hilfs¬
mittel in einer die Annehmlichkeit und die Gesundheit der
Bewohner fördernden Weise zu lösen. Statt des Holzgebälks
werden die Zwischendecken durchwegs in feuer- und schall¬
sicherem armiertem Beton erstellt, nach dem System der so¬
genannten Könenschen Plandecken, während die durchgehende
Verwendung von Inlaid Linoleum auf geeigneter Unterlage
einen sozusagen fugenlosen, leicht rein zu haltenden, den Schall
dämpfenden warmen Fussboden abgibt, mit dessen schönen
Ton in Ton gehaltenen farbigen Mustern sich eine harmonische,
die Wohnlichkeit und Gemütlichkeit steigernde Innenwirkung
erzielen lässt. Die Mietspreise in diesen Häusern sind beschei¬
den, sie richten sich selbstverständlich je nach der Grösse
und Lage der Wohnungen und bewegen sich von Fr. 600.
bis Fr. 1200.— (ca. Mk. 500. bis Mk. 1000.—). V
V Für die Dekoration der Fassaden wird die heutige Putz-
und Farbentechnik reichlich herangezogen und mit möglichst
einfachen Mitteln, durch geeignete Betonung der Horizontalen
und Vertikalen, durch glückliche Verhältnisse und wirksame
Kontraste, das Ziel zu erreichen gesucht. Unsere Tafeln 57,
58 und 59 geben im Verein mit der dem Texte beigedruckten
Perspektive ein anschauliches Bild der ganzen Anlage, deren
innere und äussere Konzeption von Architekt Rudolf Linder,
Basel herrührt, während die künstlerische Ausgestaltung
der Fassaden, die etwas an die Bauten von Dülfer in München
erinnert, zumal auch hier leichte Anklänge an Louis XVI
Vorkommen, von dem Architekten Paul Burckhardt, Basel
stammt. Es war beabsichtigt, den Häusern durch die Fassaden
gerade so viel künstlerischen Schmuck zu verleihen, als die
Beschränkung der Mittel zulässt, ln schlichter Vornehmheit,
Grundrisse zu Tafel 64.
MODERNE BAUFORMEN III
abwechslungsvoll und doch nicht
unruhig werden sie ein anziehendes
Strassenbild abgeben, das den Ein¬
druck behaglicher Wohnlichkeit
widerspiegelt, deren die Bewohner
dieser Häuser sich erfreuen werden.
Dr. Sch.
UNSERE TAFELN.
V Die ersten drei Tafeln dieser
Lieferung, No. 57, 58, 59, nach Aqua¬
rellen von RUDOLF LINDER und
PAUL BURCKHARDT, BASEL,
finden in dem dazugehörigen Auf¬
sätze „Die Neubauten an der Palmen-
und Ahornstrasse in Basel“ ihre
eingehende Besprechung. V
V TAFEL 60 führt uns in den Ar¬
chitektursaal der diesjährigengrossen
Berliner Kunstausstellung, dessen
Ausschmückung den Architekten
ALTGELT & SCHWEITZER, BER¬
LIN übertragen war und die es ver¬
standen, mit geringen Mitteln einen
Raum von prächtiger monumentaler
Wirkung zu schaffen. Eine fein¬
fühlige Stimmung in weiss, gelb,
gold und grau. Mächtige achteckig
gedoppelte Pfeiler, je zu zweien
durch eine niedrige Brüstung ver¬
bunden, teilen den Saal in zwei
Galerien, deren einziger Schmuck
aus einem Wandfries aus Sprüchen
in goldenen Lettern besteht. Goldene
Kränze gliedern den Fries. Von
ganz besonderem Reiz sind die den
Kapitellecken der Pfeilereingefügten
Atlanten, die durch ihre Kleinheit
den wuchtigen Pfeilern einen eigen¬
artig intimen Stempel aufdrücken.
OTTO BÄPPLER. FRANKFURT A. M.
Haus des Herrn E. Wetzlar in Cronberg i. T.
Grundrisse zu Tafel 62.
V TAFEL 61. Haus des Herrn E. Wetzlar in Cronberg i. T.,
erbaut von OTTO BÄPPLER, FRANKFURT a. M. Sein aus¬
gesprochener Ortscharakter sowohl wie sein bis aufs äusserste
ausgenütztes Inneres, verbunden mit geistreicher Fassadenlösung,
stellen diesen Bau entschieden weit über die meisten der vielen
Villenbauten in und um Cronberg. Er ist durchaus in orts¬
üblichem Material erstellt: der Unterbau aus dem grünlichen
sehr hübsch wirkenden Taunusschiefer, die Fensterumrah¬
mungen, Gesimse u. s. w. aus gelblich geadertem Königsbacher
Sandstein, Naturverputz, olivegrünes Kiefernfachwerk mit
weissen Putzfeldern, endlich geschieferte und zum Teil ge¬
musterte Dach- und Wandflächen. Das Haus dient zu ständigem
Aufenthalt und ist daher mit Niederdruckdampfheizung und
elektrischem Licht versehen, einschliesslich dieser Anlagen
sich die Baukosten auf circa 100 000 Mark belaufen. V
V TAFEL 62. „Villa im Süden“ nach einem Entwürfe von
HENRY PROVENSAL, PARIS. Wie der Architekt auf den
6o
MODERNE BAUFORMEN III
OBERXoEfCJHO^ _
<aE}CHO^'
— R. BURKHARDT & W. MERSCH, FRANKFURT A M. —
Landhaus des Herrn J. Neustätter, Schönberg i. T.
Unter möglichster Ausnutzung der dem Platze eigenen Ausblicke
auf die Berge des Taunus ist der Standort des Hauses mit dem
Erker des Speisezimmers nach der Achse des Cronberger Schloss¬
turmes gerichtet , worauf auch bei der Bepflanzung des Gartens
Rücksicht genommen wurde. Auf einem Sockel aus weissgefugtem
grünem Taunusschiefer zeigt das auf gehende Backsteinmauerwerk
wagrecht gekämmten Mörtelputz , dem durch Zusatz von rotem
Zement eine warme Tönung gegeben wurde. Ludowikische Falz¬
ziegel decken das Dach und geben im Verein mit dem weiss¬
gestrichenen Fenster- und Lädenholz und dem rot und grün
gefassten Gehänge in der Hohle des Kranzgesimses einen heiteren
Gegensatz zu der Masse des graubraunen Eichenholzes am Erker.
Die Baukosten betragen annähernd 40,000 Mark.
BERICHTIGUNG.
Durch ein bedauerliches Missverständnis sind die in Lieferung 7 auf
Seite 48 abgebildeten Mietshäuser an der Franz Joseph- Strasse in
München-Schwabing als von JOSEPH BURGER herrührend bezeichnet.
Die Entwürfe stammen indessen von Architekt PROFESSOR MARTIN
DÜLFER, MÜNCHEN und nur die Bauausführung von der Firma
Joseph Burger. Seite 51 Zeile 1 und 2 von unten ist demnach Professor
Martin Dülfer statt Joseph Burger zu lesen.
Tafeln 5 und 27 dieses Jahrganges den Häusern im Norden
und in der gemässigten Zone ein typisches Aeusseres zu geben
versuchte, hält er auf vorliegendem Blatte das sonnige, süd¬
liche Leben fest und gibt demgemäss seinem Hause nach dem
Meere zu grosse offene Arkaden, der Luft und dem Lichte
ungewehrt Zutritt lassend. Nach der Rückseite öffnen sich die
bis zum Boden gehenden Fenster des Salons nach dem Ge¬
birge und bieten infolge ihrer nördlichen Lage schattige, kühle
Plätze. Die Ausgestaltung der Fassade spiegelt die Pracht des
Südens wider. V
V Auf TAFEL 63 geben wir ein kleines Gästezimmer aus
einem Hotel in Wiesbaden, ausgeführt von der Stuttgarter
Möbelfabrik Georg Schöttle nach einem Entwürfe von MAC-
LACHLAN, STUTTGART. Bei gediegener Form- und Farb¬
gebung vereinigt das Zimmer alle an solche Räume zu stellenden
Anforderungen: es ist zweckmässig, reinlich und wohnlich.
V TAFEL 64 zeigt wiederum eines der kleinen hübsch er¬
fundenen Landhäuser von ANDRE COLL1N, PARIS. V
PAUL BURCKHARDT. BASEL.
Entwurf zu einem eingebauten Einfamilienhaus.
Trotz der kleinen Fassaden- Ausmasse und bei aller Schmuck¬
losigkeit wirkt der Bau vornehm. Dies ist erreicht durch die
strengen Formen der Putzarchitektur und wird noch erhöht durch
die mit vergoldeten Masken geschmückten rot-marmornen Krag¬
steine und die bronzebeschlagene Pforte.
IMV: RUDOLF LINDER & PAUL BURCKHARDT, BASEL
I N) V : RdhOlF IINHFR Ä PR(II RdRCKHRRhT RRSFI
TTC5PRT
. 1 N V : L. MACLACHLAN, STUTTGART
3AHRG- MONAT/HEFTE für ARCHITEKTUR. he?h
Der Wechsel der Kleidung, dem sich unsere Zeit mehr oder
weniger gutwillig unterwirft, ist, wo es sich nicht um
Schneiderlaunen handelt, der Ausdruck einer gewaltigen Perso¬
nalveränderung in der friedlichen Geschichte der Völker, die
notwendige Folge der durchgreifenden Verschiebung in den
Geschicken der Einzelnen und der Masse. Die Grossen der
alten Zeit verschwinden langsam im Schatten. Ihre Paläste
stehen verödet und der Bericht des Stelzfusses, der uns die
Ruinen zeigt und von den vergangenen Lustbarkeiten der
stolzen Nichtstuer erzählt, klingt schon wie ein Märchen. V
V Unsere Zeit hat den Unterschied zwischen Gross und Klein
um einen Grad moralischer und rationeller gebildet. Er ist
weniger persönlich, mehr an
den Wert der Arbeit gebunden
und unverhältnismässig ver¬
änderlicher als früher. Die
Grossen unserer Zeit sind
der Masse näher. Sie tragen
keine Kronen, und von dem
goldenen Prunkharnisch ist
höchstens eine gewichtige
Uhrkette übrig geblieben.
Auch sie regieren, führen
Kriege und schliessen Ver¬
träge, die das Los der Kleinen
bestimmen, aber die Prosa
ihrer Erlasse ist sachlicher,
der Allgemeinheit verständ¬
lichergeworden. Sie handeln
von Zahlen, ihr Wesen ist un¬
persönlich, der Plural maje-
statis ihrer Briefe bedeutet
keine konventionelle Form
von Gottesgnaden, sondern
die Vielheit, die höchst greif¬
bar hinter ihnen steht. Nicht
die trauliche und geduldsame
Liebe der Untertanen trägtsie,
sondern dieUrkraft,die das er¬
ste Gemeinwesen bestimmte
und die sich im Laufe der Zei¬
ten in liebliche Phrasen füllte,
in das zündende Glaubens¬
wort: Interessengemeinschaft.
V Auch diese Grossen haben ihre Paläste, und die erheben
sich oft just an den vornehmen Stellen der Stadt, wo einst
die Vergangenheit ihre Herrensitze baute. Sie dienen nicht
zur Wohnung, sondern erinnern mehr an die Trutzburgen, in
denen früher, in bösen Tagen, das Geschlecht seine Getreuen
zum harten Widerstand zusammenrief. Sie sind nicht weniger
mächtig als die festen Schlösser der Alten. Fast drohend
ragen ihre gewaltigen Quader empor und wo der Blick ins
Innere dringen könnte, wahren starre Eisengitter den Zutritt.
Sie sind die Trutzburgen der Gegenwart, der Arbeit, des Intel¬
lektes, des Geldes. V
V Das Haus einer Bank hat zwei Aufgaben zu erfüllen: es
soll gute Verwahrstellen für
die Werte, für das fliessende
Geld geben, mit dem die
Bank arbeitet, für die Pfän¬
der, die ihr anvertraut wer¬
den; und es soll die höchst
spezifische Arbeit, die sich
um das Geld in seinen Räu¬
men dreht, möglichst erleich¬
tern. Die erste Forderung
ist relativ leicht zu erfüllen,,
sie ist eine Kostenfrage und
verlangt, das Verliess oder
die Verliesse, wo die Schätze
liegen, mit allen Mitteln gegen
Feuer und Einbruch zu wah¬
ren, nachdem man sie in die
schon durch ihre Lage sicher¬
sten Teile des Hauses gelegt
hat. Der zweite weit schwie¬
rigere Faktor bedingt, dass die
grosse Menge von Menschen,
die in der Bank arbeiten und
ihre lebenden Organe dar¬
stellen, und die noch grössere
Anzahl von solchen, die zu ihr
kommen, um Geld zu holen,
oder Geld zu bringen, so ver¬
teilt werden, dass die Arbeit
möglichst beschleunigt und
gesichert wird. Diese Arbeit
verlangt Ordnung, Schnellig-
iisjfe . e? .
G. WEHLING und A. LUDWIG, DÜSSELDORF.
A. Schaaffhauscnscher Bankverein Köln a. R. Portal (links).
MODERNE BAUFORMEN III
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G. WEHLING und A. LUDWIG. DÜSSELDORF.
A. Schaaffhausenscher Bankverein Köln a. R. Vestibül (links).
keit und Ehrlichkeit und bedarf einer fortwährenden Kontrolle.
Sie kann diese Forderungen nur durch die äusserste Ausnützung
des modernen Prinzips der Arbeitsteilung erfüllen und braucht
eine dem Umfang des Geschäftes eng angepasste Organisation.
Diese muss sich notgedrungen schon in dem Bauplan ausdrücken.
Die Arbeitsräume müssen so liegen, dass alle Forderungen an
die Arbeit erfüllt werden können. Wenn heute so grosse Auf¬
wendungen für Bankbauten gemacht werden nicht geringer
als die Summen, die früher die köstlichsten Fustschlösser ver¬
schlangen, — so geschieht das in der richtigen Einsicht, dass
die Summen, die hier stündlich auf dem Spiele stehen, so
wesentlich sind, dass auch die grössten einmaligen Ausgaben
relativ unbedeutend erscheinen. V
V Neben diesen Faktoren wirkt endlich ein dritter für die
reiche Ausstattung des Hauses, der Wunsch, möglichst würdig
aufzutreten um auch im Äussern
das Prestige der Bank zu erhöhen. V
V Das Haus, mit dem wir uns heute
beschäftigen, der Schaaffhausensche
Bankverein in Köln, steht schon seit
40 Jahren an derselben Stelle, in der
Strasse Unter- Sachsenhausen und
wurde Anfang der sechziger Jahre
von Pflaume gebaut. Es enthielt ur¬
sprünglich verhältnismässig wenige
und kleine Räume für das Bankge¬
schäft und eine sehr grosse herrschaft¬
liche Wohnung mit zwei Festsälen
für den Direktor, d. h. es war wie so
viele Banken derZeitmehr zur Parade
als zur grossorganisierten Arbeit da.
Die Ausdehnungdes Geschäftes führte
zu der allen Geschäften eigentüm¬
lichen Entwicklung. Die persönlichen
Wohnräume wurden immer mehr
eingeschränkt und schliesslich das
ganze Haus für die unpersönliche
Arbeit hergerichtet. Diese Entwick¬
lung gab natürlich einen ganz will¬
kürlichen, zusammengeflickten Grund¬
riss. Die Beamten sassen in vielen
einzelnen Zimmern und führten dort
ein wenig ergiebiges Stillleben. Die
Tresore waren nicht hinreichend ge¬
sichert, die Heizung genügte nicht
und war schlechterdings feuergefähr¬
lich angelegt, eine Leitung ging z. B.
unter einem Tresor weg, u. s. w. V
V Bei dem immer dringender wer¬
denden Umbau wurde 1899 das Projekt
des Architekten Gottfried Wehling
in Düsseldorf, den unsere Leser
bereits kennen, angenommen unter
der Bedingung, dass der Bank¬
betrieb während des Baues nicht ge¬
stört würde. Wehling, dem der Ar¬
chitekt A. Ludwig, sein früherer Kom¬
pagnon, zur Seite stand, baute zu¬
erst die linke Hälfte um, die Mitte 1902 bezogen wurde;
die rechte konnte Ende vorigen Jahres dem Verkehr über¬
geben werden. Zu diesen Schwierigkeiten gesellte sich
die Notwendigkeit, das Fundament zu erneuern. Eine
Bodenuntersuchung ergab, dass auch hier wieder einmal die
gern als Muster gepriesene gute alte Zeit in Gestalt des
weiland Geheimen Baurats Pflaume mit gottsträflichem Leicht¬
sinn gebaut hatte. Das ganze Haus stand auf angeschüttetem
Boden, der feste Baugrund lag nicht weniger als 6 — 7 Meter
unter der Kellersohle. Daher zeigten die Mauern überall be¬
denkliche Risse. Wehling Hess in der Höhe des Kellerbodens
ein Stück Mauer von ca. 2 Meter Länge durch 5 Meter lange
T-Eisen abfangen, die Last auf die Erde übertragen und legte
dann einen sorgfältig ausgesteiften Schacht unter der Mauer
an. In diesen kamen dann die Pfeiler unten aus Beton, oben
MODERNE BAUFORMEN III
aus Cementmauerwerk. So wurde
Pfeiler an Pfeiler gereiht bis das
ganze Gebäude gesunde Beine hatte,
eine äusserst schwierige, gefahrvolle
und zeitraubende Arbeit, die 180000
Mark kostete und glücklich ohne
Unfall zu Ende geführt wurde. V
V Der Grundriss wird im wesentlichen
durch die neue Anlage der grossen
Haupthalle bestimmt, die dadurch ge¬
wonnen wurde, dass man die ursprüng¬
lich in der Mitte liegende Haupttreppe
unterdrückte und durch zwei Seiten¬
eingänge ersetzte und die beiden vor¬
handenen Lichthöfe überdachte. Das
Budget erlaubte leider keine weitere
Änderung der Fassade. Dagegen sieht
das Innere schon durch die Haupt¬
halle vollkommen anders aus und hat
unendlich an Schönheit und prak¬
tischem Wert gewonnen. Diese Haupt¬
halle pflegt in den meisten Banken
dem Publikum zu gehören. Beim
Credit Lyonnais in Paris bildet sie
eine riesige durch den Eingang vom
Boulevard in zwei Hälften geschiedene
Manöge, in der sechsmal soviel Tische
und Bänke stehen, als das Publikum
braucht, und diegrösstenteils unbenutzt
ist. Die schlecht beleuchteten Schal¬
ter liegen in der Peripherie um diese
Manöge herum, zwingen die Be¬
amten zu grossen Spaziergängen und
erschweren die Aufsicht. Dies ist
der gewohnte Plan der meisten Bank¬
baumeister. Wehling dagegen macht
es umgekehrt. Er setzt die Beamten
für das laufende Geschäft alle in die
Halle und legt um sie herum die
Schalter, sodass nicht die Beamten
den Kreislauf zu machen haben, son¬
dern das Publikum. Dadurch wurde
sehr viel Raum gewonnen und gleich¬
zeitig der Hauptmasse von Beamten das erreichbar günstigste
Licht, Oberlicht, gegeben. Um für den Abend die unzähligen
Pultlampen zu vermeiden, die den grossen Raum im oberen Teil
der Halle doch nicht erhellt hätten, hat Wehling zwischen dem
bogenförmigen inneren Oberlicht und der äusseren Verglasung
acht Paar Bogenlampen angebracht, die eine dem Tageslicht
durchaus ebenbürtige warme Beleuchtung geben und den Be¬
amten das Lesen der feinsten Schrift ohne Schwierigkeit ermög¬
lichen. Gleichzeitig bleibt dadurch auch des Abends die im¬
posante Architektur der Halle vollkommen gewahrt. Diese
wirkt ausserordentlich durch die schönen Raumverhältnisse.
Die zentralen Erdgeschosswände sind in Hauptstützen aus Stein
und Nebenstützen aus Eisen aufgelöst. Um diese läuft der
durch eine feste Wand abgeschlossene Korridor, sodass eigent¬
lich diese Wand die Raumbegrenzung im Erdgeschoss bewirkt.
G. WEHLING und A. LUDWIG, DÜSSELDORF.
A. Schaaffhausenscher Bankverein Köln a. R. Oberer Teil des Vestibüls (rechts).
Die Obergeschosswände über den Stützen sind durch gleiche
Öffnungen geteilt und wirken durch deren einfachen Rhythmus
galerieartig. Im Gegensatz zu dem vertikalen Stützenmoment
ist das Erdgeschoss durch ein kräftiges, mässig ausladendes
Konsolgesims, das Obergeschoss durch einen starken, frei¬
endigenden Eierstab abgeschlossen. Kastenträger und Eisen¬
stützen sind sichtbar ausgebildet, und um den Übergang von
dem graugrün gestrichenen Eisen zu dem hellgelben, fast
weissen französischen Kalkstein zu vermitteln, schmücken
reich verzierte Bronzestandarten die Eisenstützen. Diese sowie
die Bronzegitter vor den Spiegelscheiben der Obergeschoss¬
öffnungen tragen wesentlich zu der Prachtwirkung des Raumes
bei. Auch die Fensterrahmen der letzterwähnten Öffnungen
sind aus Bronze. Zum Schmuck der Halle sind Malerei und
Plastik herangezogen. Die beiden Stirnwandfelder zeigen
MODERNE BAUFORMEN III
G. WEHLING und A. LUDWIG, DÜSSELDORF.
A. Schaaffhausenscher Bankverein Köln a. R. Treppenhaus (rechts).
symbolische Darstellungen des jungen österreichischen Künst¬
lers J. A. Lang. Auf der einen Seite die „Industrie“, auf der
andern den „Handel“. Auf den Köpfen der vier Mittelpfeiler
an den Langwänden stehen vier über zwei Meter hohe Figuren
von A. Simatschek und versinnbildlichen die verschiedenen
Tugenden des guten Bankiers. Derselbe Künstler hat auch
die vier Portalfiguren der Fassade geschaffen. Man kann sich
bei aller Anerkennung des redlichen Fleisses dieser Mitarbeiter
nicht der Einsicht verschliessen, dass die Architektur hier wie
in so vielen Fällen durch diese hinzugetragene Symbolik nicht
gewinnt. V
V Auf diesen natürlichen Mittelpunkt des Interesses whd
man durch die beiden Vestibüle gebührend vorbereitet, von
denen das rechts gelegene am besten geraten ist. Die ur¬
sprünglichen Raumverhältnisse werden durch die Mitteltreppe
nach dem Erdgeschoss, die seitlichen Treppenarme zum Sou¬
terrain, die eine angenehme Teilung des Raumes nach der
Höhe und Tiefe hin bewirken, sowie durch die in der Breite
dreiteilige Decke aufgehoben. Erhöht wird die Raumperspektive
durch je ein Säulenpaar über den Wangenendigungen. Die
Säulen tragen die Beleuchtungskörper, wirken aber ein wenig
schwer für diesen Zweck. Die Wände sind durch Pilaster¬
gerippe vertikal und durch einen plastischen Ornamentenfries
im oberen Wandviertel horizontal geteilt. Die seitlichen Pilaster¬
paare wachsen nach oben organisch in die seitlichen, kasset-
tierten Kappenfelder hinein und dienen gleichsam als Streben
für die höher gelegene Mittelkappe. Der Raum in einem grau¬
gelben Wand- und Deckenton wirkt ruhig und ernst. Für den
Bodenbelag und die Trittstufen wurde hellgrauer Granit, für
den Sockel grauer Sandstein, für die Säulen Cudovasandstein
verwendet. Die Brüstungsfüllungen sind aus poliertem Pavo-
nazzo, die übrigen Wand- und Deckenteile aus Stuck. V
V Durch einen zweiteiligen Windfang gelangt man in den
Raum, der die Verbindung mit dem oberen grossen Treppen¬
hause und der Halle vermittelt. Er weist mehr Öffnungen als
Wandflächen auf und gewährt interessante Durchblicke nach
Halle und Treppe. Hier herrscht das tragende Element, qua¬
dratische Steinpfeiler und Wandpilaster vor. Aus diesen ent¬
wickeln sich die Deckenunterzüge, zwischen die sich die
flachen Deckenfelder spannen. Wandflächen und Deckenfelder
sind durch Spritzwurf belebt, die Deckenfelder auch noch
durch kleine, vertiefte Kassetten verziert. Die Stützen und
Pilaster sind aus Cudovasandstein, Wände und Decken aus
Stuck in graublauer Tönung; den Bodenbelag bilden 4 Sorten
Marmor in rechteckigen, einfachen Figuren; die Beleuchtungs¬
körper sind gelbe Bronze, Türen und Pulte aus poliertem
Mahagoni. Der Raum wirkt etwas kühl und erhöht dadurch
G. WEHLING und A. LUDWIG. DÜSSELDORF.
A. Schaaffhausenscher Bankverein Köln a. R. Warteraum (rechts).
MODERNE BAUFORMEN III
65
die warme Tonwirkung der durch die grossen Glastüren sicht¬
baren Halle. V
V Das linke hellgelbe Vestibül mit den Glasmosaiken ober¬
halb der reich geschmückten Stäbe und den vier Beleuchtungs¬
körpern, den an Ketten aufgehängten Schiffen aus Eisglas und
Bronze, wirkt etwas unruhig. Es dient als Zugang zu den
Geschäftsräumen und den Sitzungszimmern für die Direktion
und den Aufsichtsrat. Über die aufsteigende Treppe gelangt
man von hier in das kleine Treppenhaus mit dem elektrischen
Aufzug. Das schmiedeeiserne Gitter der Aufzugskabine setzt
sich wiederum aus Stabmotiven und im Sockel aus massiven
Bronzefeldern und Gittergeflechten in Stabovalen zusammen.
Die Wände bis zum Oberlicht der Decke sind glatt geputzt
und unter dem Treppenlauf und in der grossen Deckensohle
mit plastischen Friesen geschmückt. Von dem Podest des
ersten Stocks gelangt man in den Galeriekorridor, der um die
grosse Halle herumläuft. Er wirkt wohltuend komfortabel mit
der hohen Wandtäfelung aus poliertem Mahagoni, der grauen
Wand darüber mit der weissen Decke und dem Läufer aus
lebhaften Farben auf grauweissem Grund. Von hier geht es
in die vielen Zimmer. An den Stirnwänden der Halle ist
der Korridor zu Warteräumen erweitert mit amüsanten Schirm¬
ständern mit Wandschutz aus Glasmosaik, eleganten Be¬
leuchtungskörpern aus Bronze, Sofas aus rotem Maroquin
und Mahagoni. Von hier und von dem rechten Vestibül über
den grossen Treppenlauf erreicht man das grosse Treppenhaus.
Es besteht aus dem hohen Mittelraum mit dem Oberlicht und
G. WEHLING u.A. LUDWIG, DÜSSELDORF. A. Schäaffhausenscher
Bankverein Köln a. R. Personen- Aufzug (Treppenhaus links).
den beiden niedrigen seitlichen Teilen. Getrennt werden diese
durch vier quadratische Stützen und die korrespondierenden
Wandpilaster. Bis auf Gebälkshöhe herrscht also das verti¬
kale Stützensystem vor, dem darüber die Horizontalteilung des
Mittelraumes folgt. Sie gliedert sich in das Gebälk, den hohen
Fries, sowie die weitausladenden vier Kragsteinreihen, welche
das tiefe Spiegelgewölbe tragen. Die Stützen enthalten
im oberen Drittel flache konsolartige Ansätze, die sich im
Gebälk fortsetzen und die dem Fries vorgelagerten kristall¬
artigen Beleuchtungskörper aus versilbertem Metall tragen.
Von diesen aus entwickelt sich stets symmetrisch nach beiden
Seiten hin das reiche plastische Ornament, das hier wie im
ganzen Hause aus Pflanzenmotiven gewonnen ist. Die Brüstung
gegen die Treppenläufe zu hat Sandsteinpfeiler und Öffnungen
mit Bailustern aus schwarz-weiss geadertem poliertem Marmor.
Der Bodenbelag ist geschliffener Marmor in Streifenteilung
mit den vorherrschenden Tönen Grau und Weiss; dazwischen
schwarz und wenig grün. Pfeiler und Pilaster sind bis zur
Höhe von anderthalb Metern mit stumpfgelbem Marmor be¬
kleidet, darüber Stuck. Die Grundstimmung des ganzen Raumes
MODERNE BAUFORMEN III
räöJlS
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G. WEHLING und A. LUDWIG, DÜSSELDORF.
A. Schaaff hausenscher Bankverein Köln a. R. Teil der Stirnwand der grossen Halle.
zeigt blaue und grüne Farbentöne an Pfeilern und Wänden,
dazwischen ist grün und graugelb eingestreut mit sattem Silber
an den dominierenden und teilenden Punkten des Orna¬
mentes. Das Oberlicht ist ähnlich
in der Farbe gestimmt, nur sind die
Farben blau, grün und gelb noch ge¬
steigert. Die Öffnungen der rechten
Wandseite, mit grossen Glastüren ge¬
schlossen, gewähren schöne Durch¬
blicke in die grosse Flalle. V
V Unter den Sälen und Zimmern be¬
hauptet der grosse Sitzungssaal im
Erdgeschoss die erste Stelle. Ein be¬
weglicher Vorhang teilt einen zum
Ablegen hergerichteten Vorraum ab.
Wie diesen Vorraum, so überwölbt
auch den Saal eine flache Tonne mit
vertieften Kassetten und Gurtbogen,
die gleich den tapezierten Wänden mit
Grün auf Grau ausgestattet sind. Eine
niedrige Vertäfelung aus fast schwarz
poliertem Holz umzieht den ganzen
Raum. An der Stirnwand ist in einer
tiefen Nische ein grosses Sofa ein¬
gebaut mit grossem Aufwand von
Holz, in das Photographien eingelassen
sind und das eine Uhr trägt. Zwei
wohl überflüssige lebensgrosse Sta¬
tuen flankieren die Nische. Solche
Monumentalmöbel wirken in ihrer
Kompliziertheit zumeist störend. Es
ist der letzte Rest des Paneelsofas
unserer Väter. Besser organisiert
der grosse Beleuchtungskörper den
Raum: acht Laternen, die in gerader
Linie über dem langen Konferenztisch
angeordnet sind. Im Erdgeschoss fin¬
det sich noch ein reich ausgestattetes
Direktionszimmer in nussgrau ge¬
beiztem Holz und einer lebhaft grünen
Tapete mit Wandschränken und vier
mächtigen Schreibtischen. In der ersten
Etage dient ein in Grau, Blau und
Silber ausgestatteter Raum zu Konfe¬
renzen der Direktion. Hier liegen
auch eine Anzahl kleinerer Konferenz¬
zimmer für den Empfang der Kunden,
ganz isoliert und schallsicher mit
Oberlicht, so dass man vor allen Indis¬
kretionen bewahrt bleibt. Glänzende
Leistungen sind die verschiedenen
Tresore und die Stahlkammer. Sie
liegen im Erdgeschoss und haben vor¬
gelagert einen grossen für das Pub¬
likum bestimmten Raum. Dieser ist,
ähnlich wie in der Dresdner Bank in
Berlin, in acht mit Schreibpult und
Sessel möblierte Kojen geteilt, in
denen die Kunden sich der erspriesslichen Arbeit des Coupon-
abschneidens ungehindert hingeben können. Die Tresore dürften
auch den gewagtetsten Einbrecherkniffen widerstehen. Selbst die
G. WEHLING und A. LUDWIG. DÜSSELDORF.
A. Schaaffhausenscher Bankverein Köln a. R. Vorraum zur Stahlkammer.
MODERNE BAUFORMEN III
67
gefürchtetste Waffe der Bankräuber „Thermit“ muss hier ver¬
sagen. Thermit entwickelt anstandslos 2700° Hitze und öffnet
in wenigen Minuten die dicksten Panzerplatten. Granit, der
bei älteren Banken als einbruchsicherer Belag gilt, schmilzt wie
Butter, sobald er mit Thermit in Berührung kommt. Wehling
hat sich mit einer Kombination von Stahl — gegen Angriff mit
Bohrern — - und Steinmauern — gegen Thermit — geholfen.
Die Stahlschichten sind möglichst nach hinten gelegt, sodass
das Thermit, wenn es vielleicht bis dahin gelangte, auf dem
langen Weg die Wirkung verlieren würde. Aussen herum
dagegen liegen starke Steinmauern, die durch Thermit nicht
nur nicht zerstört, sondern durch Versinterung noch verhärtet
würden. Zwischen Stein und Stahl liegt noch eine weitere
Mauer aus Beton. Die Türen, Böden und Decken sind in
gleicher oder ähnlicher Weise gesichert. V
V Die elektrische Lichtleitung zu den Tresoren ist so ange-
Detail vom Plafond im Direktionszimmer.
Pfeilerdetail mit Beleuchtungskörper aus dem Treppenhaus (rechts).
legt, dass die Tür nur geschlossen werden kann, wenn die
Verbindung mit der Stromleitung unterbrochen ist, sodass man
sicher sein kann, dass der geschlossene Tresor keinen Strom ent¬
hält. Von einer Heizung, deren Anlage immer schwache Stellen
in den Mauern mit sich bringt, konnte Abstand genommen werden,
da die Tresore nicht an Aussenwänden liegen, also nicht ab¬
kühlen. Jeder Tresor besitzt ausser der Haupttür noch eine
Schlupftür, für den Fall, dass sich die Haupttür aus irgend
einem Grunde nicht öffnen lässt. Der Effektentresor geht
durch drei Etagen und hat eine Vorrichtung zum Herunter¬
lassen oder Heraufschaffen der eisernen Schränke. Die An-
MODERNE BAUFORMEN III
4J ^
G. WEHLING und A. LUDWIG, DÜSSELDORF.
A. Schaaffhausenscher Bankverein Köln a. R. Detail aus dem
Direktionszimmer.
lagen sind so gross gemacht, dass die Bank noch tüchtig
wachsen kann, ehe alle Räume gefüllt sind. V
V Die grösste Aufmerksamkeit widmete Wehling der Hygiene,
um den hundert Beamten der Bank jede nur denkbare Er¬
leichterung zu verschaffen. Die fensterlose Halle erhält ihre
Luftzufuhr durch eine grosse Ventilatoranlage, die von der
Gartenseite zugänglich ist. Hier präsentiert sich die Hinter¬
front des Gebäudes aus Heilbronner Sandstein und gleich¬
farbigem Zement. Das Hauptmotiv geben die hochragenden
Schornsteine der Zentralheizung. Die Heizung selbst ist
ausserhalb des Gebäudes angelegt, damit bei einem etwaigen
Unfall, Platzen eines Kessels etc. die Bank nicht in Mitleiden¬
schaft gezogen wird. Das weit vorstehende Hauptgesims ist
durch herausgestreckte U-Eisen gebildet, die, wie alles Eisenwerk
der Fassade, blau angestrichen sind. Auf diese Eisen ist dann
ein Zementbeton gebracht worden und die Rinne aufgelegt.
Unter dem Gesims zieht sich ein angetragener Fries hin mit ein¬
gesetzten Glasmosaikverzierungen nach dem Patent Wehling,
von dem wir in Nr. 6 bereits berichtet haben. Die alten Karia-
thyden der Vorderfront sind im Mittelteil auf Wunsch der Be¬
steller leider wieder verwendet worden. In die ganze Ein¬
fassungsmauer der Rückseite ist ein 10 Meter breites Loch ge¬
brochen, das durch ein sehr starkes Gitter geschlossen ist. Die
arg schmale Strasse und der Garten erhalten dadurch wechsel¬
seitig mehr Luft und Licht. Damit der Garten nicht durch
Einbringen von Kohlen beschmutzt wird, ist darunter her ein
Tunnel bis zur Strasse angelegt worden. Die Kohlen werden
von der Strasse direkt in diesen Tunnel geworfen und fort¬
geschafft. Ebenso werden durch diesen Tunnel Asche und
Schlacken entfernt. V
V Neben Licht und Luft wurde auch für jede andere Bequem¬
lichkeit bestens gesorgt. Jeder Beamte besitzt in den geräu¬
migen Garderoben einen eigenen, praktisch eingerichteten
Schrank für Kleider, Schuhe u. s. w. mit durchbrochener Tür¬
füllung. Von den Garderoben gelangt man in den Waschsaal
und den Klosett- und Pissoirraum, oder direkt durch die Neben¬
treppe zu den Geschäftszimmern. Alle diese Räume sind
gross und sauber nach englischem Muster angelegt. Für je
vier Personen ist ein Waschbecken, für je fünf ein Pissoirstand,
für je acht ein Klosett vorgesehen. Die Waschbecken, mit
Warm- und Kaltwasserzuleitung, sind möglichst glatt genommen,
darüber befinden sich Spiegel. Die Wasserleitungsrohre sind
exakt angebracht und sichtbar gelassen. Die Klosetts haben
nach innen schlagende Türen, die immer offen stehen, wenn
das Klosett frei ist. Die Türen haben unten Luftraum und
G. WEHLING und A. LUDWIG, DÜSSELDORF.
A. Schaaffhausenscher Bankverein Köln a. R. Toiletteraum der Direktion.
MODERNE BAUFORMEN III
69
sind mit der oberen Kante 1,60 m
hoch. Wird das Klosett in normaler
Weise benutzt, so genügt diese Tür
vollständig zum Abschluss. Die Pis¬
soirs sind halbkreisförmige Nischen
aus gebranntem Ton ohne die unprak¬
tischen Becken. — Auch ein Früh¬
stückzimmer ist für die Beamten ge¬
schaffen worden; kurz, es ist alles
getan, um das Dasein in diesem Hause
der Arbeit zu erleichtern. V
V Mehr in diesen wesentlichen Vor¬
zügen und in der reinbaulichen Arbeit,
dem glänzenden Grundriss und dem
Sinn für Komfort, als in den Eigen¬
schaften des Dekorateurs scheinen
uns die Vorzüge Wehlings bei diesem
grossen Werk zu liegen. Die Orna¬
mentik, die sich dem Zuge der Zeit
anschliesst, hätte sehr viel einfacher
sein können und trotzdem den Zweck
nicht weniger gut erreicht. Ja, das
reiche Material wäre dabei vermutlich
noch besser zur Geltung gekommen.
Wie Messel bei dem Wertheim-Haus
so haben Wehling & Ludwig hier, in
dem Wunsch, die Konstruktion durch
einen symbolischen Schmuck zu heben,
zuweilen mehr verhüllt als geschmückt,
um den Bestellern die moderne Pille
G. WEHLING und A. LUDWIG, DÜSSELDORF.
A. Schaaff hausenscher Bankverein Köln a. R. Beamtenclosetts und Pissoirs.
ihre schöne Erfindung Gefallen der Kölner zu erleichtern, das sich nach dem Schmollen
Vielleicht war es nötig, des ersten Augenblicks immer unverhohlener zu erkennen
zu versüssen und das giebt. Freuen wir uns jedenfalls, dass sich endlich einmal ein
grosses Institut im Herzen derlndustrie
gefunden, das tüchtigen Baumeistern
unserer Zeit eine zeitgemässe Aufgabe
gab. Es ist zu wünschen, dass dieser
Erfolg die merkwürdigerweise noch
immer zurückhaltende reiche Industrie
der Rheinlande und Westfalens veran¬
lasst, an dem grossen Nutzen teilzuneh¬
men, den ihm die moderne Baukunst
Deutschlands in so vielerlei Art und
demWesen der Grossindustrie rationell
angemessen, zu bringen vermag. V
Vitzthum.
G. WEHLING und A. LUDWIG , DÜSSELDORF.
A. Schaaff hausenscher Bankverein Köln a. R. Stahlkammer.
UNSERE TAFELN.
Tafel 65 Oberer Teil des Treppenhauses
(rechts).
66 Vestibül (rechts).
67 Sitzungssaal im Erdgeschoss.
68 Gartenfront.
69 Grosse Halle.
70 Treppenhaus (rechts).
71 Unterer Teil des Treppenhauses
(rechts).
„ 72 Blaues Sprechzimmer im 1. Stock.
Die Tafeln 67 und 71 sind nach der
Natur aufgenommen und aquarelliert von
G. ROSSMANN, Architekt, DÜSSELDORF.
70
MODERNE BAUFORMEN III
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Grundriss des Erdgeschosses vor dem Umbau.
G. WEHLING & A. LUDWIG, DÜSSELDORF.
Grundrisse des A. Schaaffhausenschen Bankvereins Köln a. R. nach
dem Umbau.
65
— . Bl
66
MÜNZ 4 GEISER, STUTTGART.
INV: G. WEHLING &. A. LUDWIG,
DÜSSELDORF
68
MÜNZ 4 GEI6ER, STUTTGART
INV: G. WEHLING & A. LUDWIG, DÜSSELDORF
69
STUTTGARTER VEREl NS- SUCH DRUCKEREI.
INV: <3. WEHLING & fl. LUDWIG • DÜSSELDORF.
70
JULIUS HOFFMANN,
VERLAG, STUTTGART
INV: G. WEHLING & A. LUDWIG, DÜSSELDORF
71
JULIUS HOFFMANN .
VERLAG. STUTTGART
IMV: Q. WEHLINQ & A LUDWIG
DÜSSELDORF.
72
%3#
▼
INV: G. WEHLING & A. LUDWIG, DÜSSELDORF
JULIUS HOFFMANN,
VERLAG, STUTTGART
3AHRG- MONAT/HEFTE für ARCHITEKTUR. HEFT: I
H. P. BERLAGE.
Es hat den Anschein, als ob Holland der modernen Baukunst
neue Wege weisen wolle. Nicht dass man sonst in und ausser
Europa müssig zugesehen hätte — England und Amerika sind
ja in der gesamten Bewegung anerkanntermassen zeitlich voran¬
gegangen, Belgien hat mächtig experimentiert, in Deutschland
haben sich viele bemüht — aber in Holland konnte sich in
den letzten Jahrzehnten aus vielerlei Gründen manches freier
entwickeln als in sämtlichen Nachbarstaaten, und es hat sich
nach einer sehr besonderen und, wie wir glauben, fruchtbaren
Richtung entwickelt. Gar vieles muss eben Zusammenwirken
zu der Zeiten Reife: ökonomische Notwendigkeit, Reaktion
auf vorhergegangene Perioden, Interesse und Bildungshöhe
des grossen Publikums, Einsicht an leitender Stelle sind voraus¬
zusetzen, und schliesslich lehrt die Geschichte einen immer
wieder, dass dies doch nur Faktoren sind, die einzelnen be¬
gabten Menschen den Weg bereiten, dass Positives nach
wie vor der Kraft weniger Künstler zu verdanken ist, deren
höher entwickelter Kombinationssinn das Gärende zur Klärung
führen kann, deren Geist alles das beherrschend erfasst, was
die Menge nur ahnte. Berlage, glauben wir bestimmt, ist eine
solche Natur. Er hat die
zahlreichen Anregungen und
Ansätze, welche sich allent¬
halben in der Architektur
sowie in der Malerei, der
Literatur, Skulptur und Klein¬
kunst boten, verstanden, die
allen gemeinsame moderne
Essenz daraus zu destillieren
vermocht, seine Kunst damit
von neuem verquickt und so
dem latentVorhandenen greif¬
bare Gestalt gegeben. Was
ihm das Ausland schenkte,
machte er heimischer Art
dienstbar. Siegreich hat er
den Feldzug gegen den her¬
gebrachten geistlos akademi¬
schen Kram einerseits, gegen
den schrankenlos wütenden
Kunstsnobismus anderseits
eröffnet und ist kühn fort¬
geschritten vom Wollen zur
Tat. V
V In Holland, das man draussen so gerne beneidet um seine
gute, feste Tradition, sah es mit der Baukunst vor 20 Jahren
ebenso trostlos aus wie im ganzen Kontinent. Was der aus¬
ländische Reisende für Tradition ansehen mochte, war im
Grunde Romantik. Dass er irre werden konnte, lag nur darin
begründet, dass diese holländische Romantik nicht wie sonst
vielfach zunächst gotische, sondern von Anfang an Renaissance¬
formen bevorzugte. Hier zu Lande hatte man ja keinen Grund,
das Mittelalter heraufzubeschwören. Nicht mit dem Rittertum,
sondern mit dem vermögenden Patrizierstand, nicht mit goti¬
schen Kathedralen und finsteren Burgen, sondern mit grossen
Bürgerpalästen und ehrsamen Rathäusern beschäftigte sich die
romantische Phantasie. Aber in einer Hinsicht berührte sie
sich mit der deutschen. Was sie aus alter Kultur herüber¬
nahm und besonders bevorzugte, war nicht das Tiefwesentliche,
sondern die auffallende Äusserlichkeit. Etwas Dilettantisches
haftet diesen Bauten an, etwas Sinnlos-Gewolltes. Nicht in Ver¬
hältnissen und Massen ist die Verwandtschaft gesucht, sondern
in reichlich verteilten Schmuckformen. Man verzierte auch
hier drauf los; verschnörkelte Spitzgiebel erhielten an jeder
freien Stelle Cartouchen und
Obelisken, Facettensteine und
Kugeln. An die einfache
Pracht schlicht-solider Back¬
steinfronten, wie sie sich noch
heute an den Grachten man¬
cher holländischen Stadt fin¬
den, dachte niemand mehr.
Und doch hatte sich dort
wirklich die gute Tradition
bis tief ins 18. Jahrhundert
hinein unversehrt erhalten.
Es ging genau wie in Deutsch¬
land. Das Musterbuch, das
nur Details einzelner aus-
sergewöhnlicher Elitebauten
brachte, hatte den Architek¬
ten das Skizzieren und Beob¬
achten abgewöhnt, und das
Schlimmste und zugleich Tra¬
gikomische dabei war, dass
diese Musterbücher alsbald
zum grössten Teil aus deut¬
scher Werkstatt kamen. Frei-
H. P. BERLAGE, AMSTERDAM.
Wohnhaus Hymans in Groningen.
_ !
72
MODERNE BAUEORMEN III
H. P. BERL. y Neue Börse in Amsterdam.
Cs
lieh ging man hier zu Lande durch das gute Material un
ein immerhin noch etwas holländisches Gewissen in solch
Dingen geschickter damit um, als etwa in Düsseldorf o
München, aber jedem etwaigen Rest einer Tradition mussten
diese blöden Vorlagen den Todesstoss geben. V
Ausser solcher bedenklichen retrospektiven Kunst gab es
die traurigen Produkte der ganz nüchternen Bauspekulanten,
denen ein Gebäude nur eine Geldfabrik ist, deren Vorzüge
nach der Billigkeit der Herstellung und der Höhe der zu er¬
zielenden Miete gemessen werden. V
V Dann kam auch hier neues Leben und ein neues Geschlecht.
Zunächst waren es junge Maler und Literaten, die sich darum
kümmerten, weil es ihnen nicht verborgen bleiben konnte,
in welch schroffem Gegensatz die frischentfaltete Blüte der
Schwesterkünste dieser jämmerlichen Maskerade gegenüber¬
stand. Der Einfluss der neuen kunstgewerblichen Bewegung
in England und die damals immer stärker hervortretende Ver¬
ehrung des einzigen Mannes in Holland, welchem niemals der
Sinn für das Grosse und Erhabene gefehlt hatte: Cuypers,
wirkten zusammen — Cuypers hatte 1882 das „Rijks Museum“,
1885 den Amsterdamer Bahnhof fertiggestellt und war damit
dem Publikum näher getreten als durch seine katholischen
Kirchenbauten, an denen er sich geschult hatte. Seit langer
Zeit sprach und schrieb man zum erstenmal wieder über
moderne Architektur, als einer Kunst, die dasselbe Interesse
verdient wie die Malerei. Es wurde gehadert und gelobt,
verhöhnt und gepriesen, es bildeten sich Parteien. Die Basis,
welche ich oben andeutete, war gelegt. V
V Aber auch Cuypers war am Ende ein vorzüglicher Roman¬
tiker. Durch Religion und Erziehung nicht dem Stil des
17. Jahrhunderts zuneigend, in seinem Herzen überzeugter
Gotiker, gelang es ihm nicht, das eigentlich Holländische, viel
weniger das eigentlich Modern-Holländische zu berühren. Hol¬
ländisch, calvinistisch, puritanisch, nüchtern, glatt und schlicht
konnte er nicht sein, modern aber wollte er nicht, dass man
ihn hiesse. Er ist und bleibt der Altmeister, der uns zwar
MODERNE BAUFORMEN III
73
wiederum gelehrt hat, seine Kunst
an und für sich als eine mächtige
zu ehren, der aber von den vielen
Strömungen um die Jahrhundert¬
wende unberührt blieb. — V
V Nicht so Berlage. Aufgewach¬
sen in der Zeit schlimmsten Verfalls,
als niemand ausser Cuyper einen
Begriff hatte vom Ziel architekto¬
nischen Strebens, niemand sonst an
die Sempersche Poesie des Raumes
in grossem Sinn dachte, studierte er
am Züricher Polytechnikum vor allem
„Italienische Renaissance“. Semper*
sehe Ideen, aber ohne Sempers Geist,
regierten damals die meisten Hoch¬
schulen. Da war vom Palazzo Pitti
und Strozzi die Rede, wurden Profile
abgezeichnet und memoriert und
nach bestandenem Examen reisten
die fleissigen Schüler heim mit
mancherlei technischen Kenntnissen,
den Kopf voll historischer Erinne¬
rungen und mit dem erklärlichen
Verlangen — diese alsbald zu ver¬
werten. Noch heute stehen in Am¬
sterdam frühe Bauten von Berlage,
die nichts von seiner späteren Art
zeigen. Da arbeitete er noch mit
Kompositkapitellen und Renaissancegebälk, versteckt das Eisen
hinter wuchtigen Steinsimsen und verwendet den ganzen
H. P. BERLAGE, AMSTERDAM.
Haus der Niederl. Allg. Lebensversicherungsgesellschaft im Haag.
H. P. BERLAGE, AMSTERDAM.
Speisezimmer aus einem Hause in Arnheim.
Formenschatz, auf den er später verzichten wird. — V
V Die 80er Jahre brachten die Bekehrung. Eine subtile
Gefühlskunst, die jeder Konvention
ewige Feindschaft predigte, hatte in
Literatur und Malerei gesiegt. Wer
fein empfand und sich dem Zeitgeist
nicht entziehen wollte, musste zur
Einsicht kommen. Berlage fühlt sich
dem jungen Geschlecht verwandt, er
besinnt sich auf das Wesen seiner
Kunst. Was ihn seine Lehrer nicht
hatten lehren können, das errang er
sich jetzt durch eigene Arbeit. V
V Im Jahre 1892 baute er für die
„Allgemeine Lebensversicherungs¬
gesellschaft“ das erste Haus am
Damrak. Damals kannte man ihn
nur im engeren Kreise. Man sprach
von ihm wie von manchem Kollegen
in Amsterdam, schätzte ihn als tüch¬
tigen Praktiker und kümmerte sich
nicht viel um seine Kunstweise. Dies
jüngste Gebäude aber, an so expo¬
nierter Stelle, dazu noch in auffallen¬
dem Material (grauem Sandstein)
errichtet zwischen den Backstein¬
bauten, stellte ihn plötzlich abseits
von seinen zünftigen Fachgenossen.
— Was es sein mochte, darüber
74
MODERNE BAUFORMEN III
H. P. BERLAGE. AMSTERDAM.
Eingang der Villa Park Wyck in Amsterdam.
wurde sich das Publikum und die Kritik damals noch nicht
klar, aber es war etwas an diesem Bau, das unerwartet und
deshalb stimulierend wirkte. Die reichprofilierten Gesimse
fehlten, die Cartouchen waren vergessen, statt von schweren
Konsolen wurde der Balkon nur von schmalen Eisenträgern
gestützt. Die Wände waren zu glatt, der Raum zwischen den
Fenstern zu kahl, die Silhouette zu stumpf, kurz es schien
hier einer abermals neuern zu wollen, und das liess man sich
doch nicht ohne weiteres gefallen. An Cuypers Kunst hatte
sich die offizielle Kritik gewöhnt, ja man fing im protestan¬
tischen Holland an, die Religionsfrage ausser Spiel zu lassen,
und wagte sich sogar daran, die Grossartigkeit seiner Entwürfe
zu bewundern, und nun sollte schon wieder etwas anderes
kommen. Das schlimmste war die in den Augen der Menge
ganz absurde Plastik, die mit jeder Tradition im Streit schien.
Der Pelikan oben war kaum als solcher zu erkennen, behauptete
man, er wirke „nicht natürlich“, die andern Details schalt man
ägyptisch oder indisch, jedenfalls aber steif und unelegant.
Offenbar hatte sich der Baumeister in Zijl einen Bildhauer
ausgesucht, der wie er selbst gegen alles Hergebrachte revol¬
tieren wollte. Den Feinden dieses neuen Werks leuchtete
der geistige Zusammenhang mit der damals noch heftig be¬
fehdeten jungen Literatur sofort ein. Viele aber fühlten
doch auch, dass hier etwas besonderes geleistet war. Zum
erstenmal sah man auf holländischem Boden ein Haus, dessen
Stil man mit der üblichen Nomenklatur nicht bestimmen konnte.
Hier hatte ein Künstler versucht, sich vom Ballast der histo¬
rischen Details zu befreien. Was er von der alten Kunst, was
er auch indirekt vielleicht von Cuypers gelernt hatte, war die
Einsicht, dass in allererster Linie die Wand, die Fläche wieder
zu Ehren kommen müsse, dass eine Mauer nicht durch die
Fülle angeklebter Verzierungen, sondern durch rhythmische
Gliederung und gute Verhältnisse der Durchbrüche zum Kunst¬
werk ausgestaltet werden könne. Er hatte gelernt zu entsagen,
und es war ihm gelungen, einen Bildhauer zu finden, der
etwas anderes konnte als mehr oder weniger „chic“ im alten
Stil arbeiten. Zijl hatte lebendes Gefühl für die Plastik in
ihrer Verbindung mit der Architektur. Auch er hatte über
sich gebracht, sich zu beherrschen, sich unterzuordnen. Das
Streben nach jener schönen Harmonie der alten Baukunst, in
der edle Ruhe waltete, trat hier zutage. Seit jener Zeit
wusste man in Holland, was Berlage wollte, er hatte sich
selbständig gezeigt in seinem Suchen nach der Schönheit Küsten.
Er hatte dem Publikum seinen eigenen Stil gezeigt. V
V Und doch war das Ganze nur ein erster, verhältnismässig
schwacher Versuch. — Das Material war ungewöhnlich und
gestattete freiere Formgebung, unholländische Effekte. Die
Details gehörten zwar keinem streng abgezirkelten Formen¬
kreis an, aber schliesslich fiel einem doch bei näherer Be¬
trachtung allerlei Anlehnung auf: Romanische Tierkapitelle,
halb indisch-buddhistische Konsolen, frühmittelalterliche Motive
waren nebeneinander verwendet. Hier und dort war Über¬
flüssiges geschehen: Träger, die nichts trugen, waren deko¬
rativ angebracht, die Ecklösung mit einem Baldachin wirkte
überladen, die Disposition der Räume schien nicht einwandfrei.
Für Berlage bedeutete dies nur einen Anfang. Er wusste nun,
um was es sich handelte. Durch weitere Aufträge derselben
Gesellschaft im Haag und in Amsterdam hatte er Gelegenheit,
grosse Backsteinbauten auszuführen, und damit kam er erst
völlig auf heimischen Boden. Zunächst sucht er auch hier nur
die ruhige Wirkung der Fläche, im Kontrast zur beliebten
Zierfassade, zur Geltung zu bringen. Die gerade Linie, bei
starker Betonung der Horizontalen, dominiert. Er verbannt
jeden weichen Schwung, bricht scharf und eckig ab. Kühne
Backsteinbogen tragen das Ganze, massige Brüstungen be¬
krönen Türme, gedrungene Zwerggalerien durchbrechen die
obere Wand. Noch bleibt viel vom Alten, wie romanische
Bogenfensterchen mit Säulenstellung zeigen, und dazu kommt
etwas Feierlichernstes, verbunden mit der drohenden Wucht
eines alten Herrschersitzes. Berlages Sympathien für die
Zeiten gewaltiger nordischer Architektur leben sich aus. Für
uns haben diese Bauten entwickelungsgeschichtlich hohen
Wert und Interesse. Immer mehr findet sich der Meister.
Mit dem Fassadenstil hat er gebrochen, jetzt opfert er auch
seine historischen Liebhabereien. Logisch und rationell soll
alles dastehen. Kein Zweifel am Zweck, kein Zweifel an der
inneren Einteilung darf aufkommen. Die unpraktischen Zwerg¬
galerien, die romanischen Schalllöcher, so bestechend der Reiz
ihrer prachtvollen Schattenwirkung auch sein möge, sind ihm
fürderhin sinnleere Spielereien, alte Schwächen. Er wird immer
H. P. BERLAGE, AMSTERDAM.
Portal von der Neuen Börse in Amsterdam,
H. P. BERLAGE, AMSTERDAM.
Treppenhaus der Niederl. Allg. Lebensuersicheriingsgesellschaft zu Leipzig.
nicht wie Brücken, Lokomotivschuppen und dergl. zu den sog.
reinen Nutzbauten gerechnet werden. V
V Dem eigenen Raumgefühl, seinem Talent für die Wirkung
der Verhältnisse hat Berlage in diesen imposanten Hallen ein
glänzendes Denkmal gesetzt. Noch sind die früher genannten
Stileigentümlichkeiten, das Herb-eckige der Linie, das Mathe¬
matische des ganzen Baukörpers gewahrt, aber im Vergleich
zu den älteren Bauten ist hier vieles feiner, milder, geschmei¬
diger geworden, abermals legte er eine Strecke zurück auf
dem einmal gewählten Pfad. V
V Nach diesem Werk wird der vorurteilsfreie Beobachter
Berlage am meisten schätzen. Wie er sich trotz aller Fehler
im einzelnen doch im grossen und ganzen mit dem unregelmäs¬
sigen Grundriss abgefunden, wie er sich glücklich bemühte,
die Zierform aus der Konstruktion zu entwickeln, und wie ihn
doch bei allem System und Theoretisieren ein feines Gefühl
leitete, muss sogar einen eingefleischten Akademiker treffen.
Namentlich das letztere ist wichtig. Es steckt System in diesem
Bau, ein Grundprinzip tritt überall hervor. Das Motiv ist ent¬
wickelungsfähig, weil ihm nicht bloss eine persönliche Schrulle
zu Grunde liegt, sondern unsere heutigen Zustände und
MODERNE BAUFORMEN III I
ernster und ehrlicher mit sich selbst. Die kurze Zeit, in der
das allgemeine künstlerische Leben in Holland einen gewaltigen
Aufschwung genommen, verfliesst. Das Ziel ist erreicht, neue
Wege sind gefunden. Andere Interessen treten in den Vorder¬
grund. Viele Künstler selbst wenden sich allmählich öko¬
nomischen und sozialen Fragen zu. Statt ,,1’art pour Fart“
heisst es jetzt „l’art pour le peuple“. Zweckdienlich, praktisch,
logisch , luxusfeindlich , streng soll die Kunst sein. Das war
die Richtung, deren Reflexe den schon früher bewusst dahin¬
steuernden Berlage berührten, als er den Auftrag erhielt, die
Neue Börse zu bauen. V
V Die Börse ist ein kulturgeschichtliches Monument und ent¬
hält doch zugleich ein Stück Geschichte eines einzelnen Künst¬
lers. Hier ist nicht der Ort, diesen Bau in seinen Teilen
wieder zu behandeln. Tugenden und Mängel, beide sind be¬
dingt durch den Drang der Zeit und die Grenzen der Kraft
eines Individuums. Die Börse in Amsterdam musste so kommen
als ein Denkmal des Besten, was das Ende des vergangenen
Jahrhunderts erstrebt und errungen: Klarheit und Logik, Be¬
freiung von der Last eines Erbteils, das wir nicht erworben
und also nicht mit Nutzen besessen haben, Überwindung der
zimperlichen Scheu vor den Errungenschaften neuer Technik
und den Möglichkeiten neuer Materiale, auch an Bauten, welche
MODERNE BAUFORMEN III
H. P. BERLAGE, AMSTERDAM.
Sitzungssaal der Niederl. Al/g. Lebensversicherungsgesellschaft zu Amsterdam.
Stimmung des Jahrhunderts, der Wis¬
senschaft, der sozialen Reformen und
des freien Gedankens. V
V Das ist, was man, ohne in tech¬
nische Besprechungen sich zu ver¬
lieren, von Berlage sagen kann. Er
mag nicht der erste gewesen sein, der
so dachte und arbeitete, er ist der
erste, dem es gelang, ein grosses Werk
so zu vollbringen. Nicht mit Worten
und kleinen Ansätzen, sondern durch
kräftige Taten bricht man dem Neuen
Bahn. V
V Andere werden weiter gehen. Die
sachgemässe Kritik hat vieles mit
Recht getadelt. Einige haben ihm
vorgeworfen, dass er in der Sucht,
nichts zu verbergen und alles logisch
zu lösen, vielfach roh und schroff
geworden sei, andere wieder meinten,
es hätte sich das Problem eleganter,
weniger verzwickt, weniger störrig
lösen lassen. Er selbst wird dies am
wenigsten leugnen. Aber es ist besser,
ein Pionier zu sein in neuentdecktem
Lande, als später auf glattem Wege
daherzukommen und zu verbessern,
was schon geschehen ist. Ausserdem
kann ein Mann, der bis heute nicht
Neigungen, denen darin Rechnung
getragen wird. Das Prinzip ist streng
und mathematisch, aber es ist doch
nicht beengend, weil es lebend ist
und es jeder Künstler selbst ent¬
wickeln kann. Gerade das Allzu¬
mathematische der Gotik, der man
nur zu oft das Ausgerechnete und
daher Gefühllose anmerkt, ist hier
vermieden. - Das Hauptsächliche an
der Börse sind nicht die zahlreichen
Schwächen und Fehler, die vielen
weniger glücklichen Lösungen und
misslungenen Details, das Hauptsäch¬
liche ist die Zusammengehörigkeit
mit den Erscheinungen unserer Zeit
auf anderem Gebiet. Stimmungskunst
im van der Veldeschen, Olbrichschen
Sinn ist dies nicht. Das Zufällige im
Temperament des einzelnen gehört
nicht hierher. Der Maler mag sich
gehen lassen , bald melancholische,
bald tändelnd-frivole, bald feierliche
oder schwungvolle Linien schaffen,
das ist für die Allgemeinheit unfrucht¬
bar. Hier aber zwischen diesen ehr¬
furchtgebietenden Wänden, glatten
Pfeilern und weitspannenden Eisen¬
bogen umfängt uns die weitmächtigere
H. P. BERLAGE. AMSTERDAM.
Sitzungssaal der Niederl. Allg. Lebensversicherungsgesellsdiaft zu Amsterdam.
Sp
Pf 1
MODERNE BAUFORMEN III
77
abliess zu ringen, noch manches er¬
reichen, und wir wissen nicht, wie
sich seine Kunst weiter entfalten wird.
V Berlages Sinn ist aufs Grosse ge¬
richtet. Er fühlt sich frei, wenn er
grossartige Portale schaffen kann, da¬
zu gedacht, einen Menschenstrom
gleichsam saugend zu verschlingen,
wenn zwischen Riesenwände sich
lichte Bogen spannen und der Mensch
im Raum verschwindet. V
V Wenn er Wohnhäuser bauen soll,
schadet ihm diese Seite seines Talents
mehr, als sie ihm nützt. Was dort
kühn und stolz erscheint, wird hier
nur zu leicht unwirtlich und schroff.
Alle seine Schwächen treten dann
stärker hervor, und an keinem seiner
kleineren Häuser finden wir dasselbe
stärkende Gefallen wie an seinen
grossen Bauten. Dennoch muss man
auch hier bewundern, wie jeder Teil
von neuem durchdacht und durch¬
gearbeitet ist, der gedankenlose Ab¬
klatsch vermieden, das strenge Orna¬
ment hübsch und dezent verwertet
wurde. Das beste an diesen Villen
und Wohnbauten aber ist die Farbe.
Lustig und eminent holländisch (man
sehe sich nur den unverfälschten
Anstrich in unsern Dörfern, Zaandam, Volendam etc. darauf¬
hin an) ist die ungebrochene Buntheit. Die krassen Rot und
Blau, auch ein starkes Grün sind mit dem Backsteinton oder
dem weissen Putz in Einklang gebracht. — Alles wirkt zum
heitern Gesamteindruck mit: die blinkenden Lattenzäune der
Grundriss zu Tafel 80.
Gärten, die bunten Türen und Läden, das rote oder gelbe
Ziegeldach oder die graue Strohdecke, alles zeigt jene
gesunde Farbenfreudigkeit, die sich auch im Ausland zum
Glück wieder eingestellt hat. Innen herrschen Ruhe und die
prächtige Wirkung echten Materials, eine gewisse Nüchtern¬
heit auch, die zum Holländer, d. h. zur unverdorbenen Art,
gehört — Sehnsuchtslinien und suggestive Traumzimmer in
schillernden Tönen passen nicht zu Berlages Kunst, die weder
für verweichlichte Dekadenten noch für den prahlenden Par¬
venü taugt. Ob er heute noch eine Backsteinwand im Zimmer
unverkleidet lassen würde, wie er es früher getan, erfolgreich
fürs Auge, aber unangenehm für alle Gefühlsassoziationen,
möchten wir bezweifeln. Darin erkennt man doch in erster
Linie noch die kampfbereite Reaktion auf den papiernen
Tapetenplunder. Berlage ist zwar mehr als bloss ein Neuerer
aus Hass gegen das Bestehende, aber er war doch schliesslich
ein Revolutionär, und so hat er die Übertreibung, schon aus
Lust den Streit zu provozieren, nicht immer vermieden. V
V Was man auch an seiner Kunst rügen möge, das eine muss
sich doch ein jeder vergegenwärtigen, worauf es uns vor
allem ankommt: Sie trägt weder die verhüllende, gotische
Gugel, noch sonst ein geborgtes Prachtgewand. Der Künst¬
ler selbst webte ihr das schlichte Ehrenkleid unseres Zeit¬
alters. V
Amsterdam. Willem Vogelsang.
vvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvv
MODERNE BAUFORMEN III
UNSERE TAFELN.
V Die Nummern 73, 74, 75 und 76, ein T - 'dhaus und seine
innere Ausstattung nach Entwürfen von A. , Lindgren, einem
der Mitglieder des finnischen Architektentrios GESELL1US,
LINDGREN & SAARINEN, HELSINGFORS, stehen im Zu¬
sammenhang mit einem Artikel „Der neue Stil in Finnland“,
den wir in der folgenden Lieferung zum Abdruck bringen
werden. Ein weiterer vollständiger Wohnhausentwurf wird
neben einer Reihe photographischer Aufnahmen nach aus¬
geführten Bauten die Abhandlung begleiten. V
V TAFEL 77. FRITZ SAMBALE, MÜNCHEN ist der Ur¬
heber dieses Einfamilienhauses, das unter Wahrung der länd¬
lichen Gesamterscheinung doch ein gewisses repräsentables
Aeusseres aufweist. V
V TAFEL 78. Nach Entwürfen von MAX BENIRSCHKE,
DÜSSELDORF. 1. Eingang eines Landhauses. Material:
Rauher Putz mit eingelassenen blauen Kacheln, Türumrahmung
gelber Sandstein, Türe und Fensterrahmen aus Holz, eisernes
Dach. 2. Eingang eines Gartenhauses. Material : Rauhputz,
grün und grau gestrichene Holz-Säulen und -Türe, grün gla¬
sierte Ziegel, eiserne Träger und Beschläge. V
V TAFEL 79. 1. Grabkapelle der Familie von Porscheck in
Heilbronn. 2. Grabkapelle der Familie Wegner in Osnabrück.
Erbaut von den Architekten BEUTINGER & STEINER, HEIL¬
BRONN-DARMSTADT. V
V TAFEL 80. Landhaus von PAUL BURCKHARDT, BASEL.
Hervorzuheben ist hier die reine Belassung der einzelnen
Materialien: Bruchstein und Verputzmauerwerk, rote Ver¬
blender, Holz und Eisen, alles ist in seiner eigenen Gestalt
verbaut. Darin und auch in der reizvollen Verteilung der
Massen äussert sich ein gesundes Können. V
H. P. BERLAGE, AMSTERDAM.
Partie aus dem Hofe der Neuen Börse in Amsterdam.
Grundrisse zu Tafel 77.
.
1
INV: FRITZ SAMBALE • MÜNCHEN-
INV: MAX BENIRSCHKE DÜSSELDORF.
79
JULIUS HOFFMANN,
VERLAG, STUTTGART
MÜNZ & GEIGER, STUTTGART,
INV: BEUTINGER & STEINER, HEILBRONN-DARMSTADT
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INV: PAUL BURCKHARDT- BASEL-
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DER NEUE STIL IN FINNLAND
Dieselben Kräfte, die im letztverflossenen Jahrhundert in
Europa eine so tiefeingreifende Umgestaltung auf dem
Gebiete der Skulptur, Malerei und Musik hervorriefen, haben
auch dazu beigetragen, bei uns in Finnland die neue Richtung
in der Architektur zu schaffen: es sind dies die zwei mäch¬
tigsten Strömungen im geistigen Leben des XIX. Jahrhunderts
— die Nationalitätsidee und der Realismus. V
V Gestatten Sie mir vorerst einige Worte über die Nationa¬
litätsidee zu sagen. Das Zeitalter der Aufklärung hatte den
Völkern Europas einen Alles nivellierenden Geist eingegeben ;
eine lichte Verstandes-Humanität, die aller Sinne erfüllte,
bewirkte dass alle einander verstanden, erzeugte eine Ver¬
brüderung zwar nicht der Völker, aber der gebildeten Klassen.
Jean Jacques Rousseau war kein französischer Philosoph, er
gehörte der ganzen Menschheit an. Voltaire — ebenso zu
Hause am Hofe zu Sanssouci wie in Paris oder Ferney,
regierte die ganze Welt mit
dem Szepter seines Geistes
und Witzes. Goethe bewun¬
derte Napoleon, den Unter¬
drücker seines Vaterlandes,
und nie hat ein französischer
Dichter so begeistert den
grossen Korsen besungen wie
Heinrich Heine. V
V Mit einem Wort, die Men¬
schen von dazumal waren
überall zu Hause - ausge¬
nommen bei sich selbst. Die¬
ses änderte sich aber, als um
die Mitte des XIX. Jahrhun¬
derts die Nationalitätsidee
aufkam. Das Grundprinzip
dieser Idee ist ja, dass jedes
Volk, so gering es auch sei,
versuchen möge eine Eigen¬
art zu bewahren und zu ent¬
wickeln , denn auch das
kleinste Volk ist eine Indi¬
vidualität und hat als solche
gewiss eine Mission in der
Weltgeschichte zu erfüllen.
Ueber dieBerechtigung dieses
Satzes lässt sich wohl nicht streiten, wenn man auch zugeben
muss, dass er Europa nervös gemacht hat. Auf dem Gebiete
der Kunst hat dieser Gedanke gewirkt wie die Frühlingsstürme
im Norden: er hat die glatten, gleissenden Eisflächen der
Schablone gebrochen und hat allüberall neues, frisches Leben
hervorgezaubert. Ich denke hierbei vor allem an Wagners
Musik, an Böcklins Malerei, an Norwegens Dichtung, an Frank¬
reichs moderne Skulptur, an Finnlands neue Architektur. V
V Die andere der grossen, leitenden Ideen und Strömungen
in unserem Jahrhundert war der Realismus. Auch die Kunst
war in der ersten Periode des letztverflossenen Jahrhunderts
in Formalismus ausgeartet. David, Thorwaldsen, Canova,
Winckelman hatten zwar die Kunst aus den Banden des Ba¬
rocks und des Rokoko befreit und sie geläutert, verjüngt den
elyseischen Feldern des Klassizismus zugeführt. Nun aber
waren die grossen Meister tot und die Kunst lief Gefahr, unter
der Kleinlichkeit und Unbe¬
deutendheit der Epigonen zu
ersticken. Alles hatte sich
auf eine gewisse Manier ver¬
steift, überall Nachahmung
und Schablone , nirgends
frisches, pulsierendes Leben,
nirgends Eigenart, urwüch¬
sige Natur. Da kam der Rea¬
lismus wie ein befreiender
Sturm. Wir können ja zu¬
geben, dass dieser Sturm auch
manches Unheil angerichtet,
mehr noch als die Nationali¬
tätsidee, aber vieles haben
wir dem Realismus zu ver¬
danken. Hier sind dieWurzeln
des neuen Stiles zu suchen.
V Auf dem Gebiete der
Literatur führte der Realis¬
mus den Künstler wieder der
Natur und der Wahrheit zu
und ganz ebenso auf dem
Gebiete der Architektur. Der
Realismus verlangte von der
Baukunst vor allem , dass
sie natürlich sei, |das heisst
MODERNE BAUFORMEN III
GESELLIUS, LINDGREN & SAARINEN, HELSINGFORS.
Wohnhäusergruppe in Helsingfors.
Bauten schaffe, die ihrer Bestimmung entsprechen und nicht
etwas anderes, Fremdes vorstellten, wie es früher gang und
gäbe war und er forderte von der Baukunst, dass sie wahr
sei, vor allem was das Material betreffe. Während man früher sich
edle Steinarten u. s. w. — wie auf dem Theater Vortäuschen Hess,
verlangte man jetzt nur echte, unverfälschte Ware, mit einem
Wort Natur. Die beiden erwähnten Ideen haben mit ver¬
schiedener Stärke bei verschiedenen Völkern gewirkt. Italien
hat, unabhängig von seiner grossen nationalen Zukunft, sich ganz
dem Idealismus ergeben. Dänemark hat sich von der
Nationalitätsidee beeinflussen lassen , hat sich aber lange
gegen den Realismus aufgelehnt, ln
Schweden verhielt es sich beinahe
umgekehrt: während die realistische
Richtung in Literatur und Kunst sich
in den 80ger Jahren machtvoll Bahn
brach, hat sich die Nationalitätsidee
erst vor kurzem merkbar gemacht.
Das Land, das beide Ideen zu kräftiger
Blüte brachte, war — England.
Hier fasste der neue Stil zuerst festen
Boden. Hier entfaltete er sich immer
freier, immer prachtvoller und zeitigte
eine unübersehbare Menge wunder¬
voller Bauten. Von hier aus hat er sich
über die ganze Welt verbreitet.
Belgien, Holland, Deutschland
und Oesterreich griffen die frem¬
den Anregungen auf, sie je nach
ihrer Eigenart weiterbildend. Aber
es verging eine geraume Zeit, ehe
man auf dem Kontinente die neue
Architektur entdeckte. Dies war ganz
natürlich, denn bisher hatte man beob¬
achtet, dass ein neuer künstlerischer
Ausdruck sich nur dann Bahn brechen
und die Völker erobern konnte, wenn
Frankreich sich seiner bemächtigt,
ihn „lanciert“ hatte. Die Franzosen
aber sind bekanntlich ein sehr kon¬
servatives Volk und hegen ein tiefes,
oft geradezu unüberwindliches Miss¬
trauen gegen neue Ideen, die nicht
ihrem eigenen Boden entsprossen
sind. Hierzu kommt, dass Frankreich
auf eine reiche und ruhmvolle Ge¬
schichte der Baukunst zurückblicken
kann. Ein Land, das so viele und
schöne Stilarten geschaffen wie Frank¬
reich, war selbstverständlich wenig
geneigt, sich sofort zu einem neuen,
von aussen importierten Stil zu be¬
kennen. Bis heute gibt es auch auf
französischem Boden erst wenige
Merkzeichen einer gesunden neuen
Baukunst. V
V Ganz anders lagen die Dinge in
den Ländern, deren Kultur von gestern
ist und die von jeher gewohnt sind, ihre Kulturmittel aus dem
Auslande zu beziehen. Dies war der Fall in Finnland, das keine
Traditionen auf dem Gebiete der Architektur, keine Akademie
und keine erdrückenden Vorbilder besass. Was Wunder, dass
ein neuer Stil hier fruchtbaren Boden fand und dass neue Ideen
hier alsbald kräftig sich ausbreiteten. V
V Ich sagte soeben: keine Traditionen, keine Vorbilder. Da¬
mit verhält es sich so: die 'Baukunst ist bisher in Finnland
sehr stiefmütterlich behandelt worden. Die Mehrzahl der
Privathäuser in Finnland ist bis auf den heutigen Tag aus
Holz, von unscheinbarem, einförmigem Aeussern. Der finnische
MODERNE BAUFORMEN III
Bauernstand hat keinen architekto¬
nischen Stil geschaffen, nur eine
spärliche Ornamentik. Während der
schwedischen Herrschaft wurden hier
wohl einige Burgen und Kirchen
gebaut, so in Abo, in Wiborg, Ta-
vastehus, Nyslott, aber diese Bauten
sind ziemlich einfacher, wenig be¬
merkenswerter Konstruktion mit An¬
klängen an den romanischen Stil.
Das eigentümlichste für Finnland
sind vielleicht die hier und da auf
dem Lande vorkommenden, meist aus
dem Mittelalter stammenden kleinen
Kirchen aus groben, grauen Stein¬
blöcken aufgeführt und mit einem sehr
hohen und spitzen Dach versehen,
was diesen Bauten inmitten der sie
umgebenden Landschaft ein male¬
risches Aussehen verleiht. V
V Im Anfänge des vorigen Jahrhun¬
derts führte ein deutscher Architekt
namens Engel den pseudoklassischen
Stil ein, von dem mehrere öffentliche
Gebäude in Helsingfors so z. B.
der Senat und die Universität — zeugen.
Später, besonders im Laufe der 80er
Jahre kamen andere Stilarten auf, vor
allem die modernisierte italienische
Renaissance, die sich dannbesonders in
Helsingfors ausbreitete. Was das Ma¬
terial betrifft, so kamen bisher merk¬
würdiger Weise die einheimischen
Steinarten nur wenig — bei Fassaden
gar nicht — zur Anwendung und doch
strotzt das Land von Granit. Erst vor
kurzem liess eine hiesige Bank die
Fassade ihres Hauses ganz mit Granit
bekleiden und eine andere Bank wen¬
dete zu demselben Zwecke heimische
Sandsteine an. V
V Um die Zeit der letzten Pariser
Weltausstellung machte sich eine neue
Richtung in der finnländischen Archi¬
tektur deutlich bemerkbar. Das Ver¬
dienst hierzu gebührt dem Künstler¬
trio Gesellius, Lindgren & Saarinen,
das kühn mit den Traditionen und der Schablone brach, um in dem
finnländischen Pavillon der Welt eine neue Spielart der Baukunst
zu zeigen. In der Tat: das Gebäude erinnerte wirklich in keinem
Zuge an bekannte Architekturformen. Alles daran war neu, ur¬
sprünglich, wie aus der Erde gewachsen, an eine entschwundene
oder ferne Kultur erinnernd, die sich eben aus der Barbarei empor¬
gerungen hat. Breit und einfach war der Umriss, ländlich und
bäuerlich das Ornament, wie es einem Hause geziemt, das ein
hauptsächlich von Bauern bevölkertes, weltentrücktes, auf weiten
Strecken wenig kultiviertes Land repräsentieren soll. Wie
originell war das Dekor mit seinen der Fauna und Flora des
GESELLIUS, LINDGREN & SAARINEN, HELSINGFORS.
Wohnhäusergruppe in Helsingfors.
Landes entnommenen Motiven: den Bären, Eichhörnchen und
Fichtenzweigen. V
V Schon an diesem Gebäude treten die charakteristischen
Merkmale der neuen Richtung zu Tage: die Vorliebe für das
Primitive, das Archaistische und Nationale, sowie für natür¬
liches Material — eine glückliche Mischung der oben betonten
Strömungen — des Nationalismus und Realismus. V
V Nach den oben angedeuteten Entwickelungslinien der finn¬
ländischen Baukunst wird man es natürlich finden, dass eine
Richtung der Architektur, die bei uns national sein will, durch¬
aus archaistisch werden muss, denn die wenigen Bauten älterer
MODERNE BAUEORMEN III
GESELLIUS, LINDGREN & SAARINEN, HELSINGFORS
Wohnhäusergruppe in Helsingfors.
Zeit hier zu Lande stammen ja aus dem frühen Mittelalter.
Diese Bauten sind es, die sich im Laufe der Jahrhunderte so
dem allgemeinen Bewusstsein eingeprägt haben, dass man ihre
Bauart als national, als einheimisch empfindet. Der Künstler
brauchte nur dem Ganzen noch einen ländlichen, an die Wälder
Finnlands erinnernden Charakter zu verleihen und der „natio¬
nale Stil“ war da, war buchstäblich „aus dem Boden gestampft“.
Man wird sagen, das sei das „Ei des Columbus“. Ganz recht,
aber alles Bedeutende, besonders die grossen Entdeckungen,
nehmen sich hinterher immer so aus. Man muss nur ver¬
stehen auf die Idee zu verfallen, und das hat das Künstlertrio
Gesellius, Lindgren und Saarinen im rechten Augenblicke
getan. Deswegen stehen sie jetzt auch an der Spitze der
neuen Bewegung auf dem Gebiete der finnländischen Baukunst.
Helsingfors. J ■ Ahrenberg.
UNSERE TAFELN.
V Im Anschluss an den im Heft 10 veröffentlichten Landhaus¬
entwurf (Tafel 73 — 76) von den Architekten GESELLIUS,
LINDGREN & SAARINEN, HELSINFORS, geben wir heute
ein zweites Projekt der gleichen Künstler, das im Laufe des
kommenden Jahres bei Moskau erbaut werden soll. Und zwar
stammen diesmal Entwurf und Ausführung sämtlicher Blätter
(Tafel 81, 82, 83, 84, 85, 86) von Eliel Saarinen. V
V Die bodenständige Eigenart, die den Lindgrenschen Studien
eigen ist, spricht auch aus den Bildern von Saarinen; aber
dieser lässt bei aller Liebe für die heimische Ueberlieferung
und bei aller Herbheit ihrer Formgebung schon mehr das
Streben nach Verfeinerung und auch manche Verarbeitung
fremdländischer Anregungen erkennen. In dem Lindgrenschen
Hause mit seinen aus unbehauenen Stämmen gefügten Wänden
und dem auch in den Innenräumen stets sichtbar gelassenen
Balkenwerk hat die bäuerisch primitive Konstruktion lediglich
reichliche ornamentale Bemalung erhalten. Saarinen geht
weiter; er begnügt sich nicht mehr mit der verzierenden
Malerei; er greift zum Schnitzmesser, zu Intarsien, zu ge¬
stickten und gewebten Wandbekleidungen und ähnlichen deko¬
rativen Mitteln und stattet damit seine noch immer einfachsten
Konstruktionsformen aus. Den Charakter des Holzhauses
GESELLIUS, LINDGREN & SAARINEN. HELSINGFORS.
Portal von der Wohnhäusergruppe in Helsingfors.
MODERNE BAUFORMEN III
GESELL! US, LIN DÜREN & SAARINEN, HELSINGFORS.
Einfahrtstor eines Hauses in Olafsborg.
behält auch er noch unverändert bei. Dagegen ist er in der
Farbe vielseitiger und frischer. Als am besten gelungen darf
wohl die warm getönte Halle (Tafel 82 u. 86) bezeichnet werden
und das ganz in Grün und Grau getauchte „Studio“ (Tafel 85).
GESELLIUS, LINDGREN & SAARINEN, HELSINGFORS.
Schrank im Direktionszimmer der Versicherungsgesellschaft
„Poljola“ in Helsingfors.
PROFESSOR HERMANN BILLIN G, KARLSRUHE.
Portal der Handelsschule Kirchheim u. Teck.
Das Aeussere des Baues ist wiederum rein national in Form
und Material. Das Grundmauerwerk von unbearbeiteten Granit-
Bruchsteinen geht in verputztes Mauerwerk über. Turm und
Säulen sind ver^chindelt und bilden dadurch einen eigenartigen
Uebergang zum ziegelgedeckten Dache. V
V Im übrigen sprechen unsere Abbildungen mehr als Worte
vermögen; wir überlassen es daher dem Beschauer, selbst auf
die zahlreichen Feinheiten und reizend erfundenen Kleinig¬
keiten zu kommen, die alle in den Bildern stecken. V
V TAFEL 87. Professor HERMANN BILLING , KARLS¬
RUHE, gebührt das Verdienst, uns in der neuen Handelsschule
in Kirchheim u. T. (Württbg.) wieder ein von der erstarrten
Form der letzten Jahrzehnte befreites Schulhaus gegeben zu
haben. Weisse Putzflächen mit graugelben Kunstsandsteinen,
weisses blau ornamentiertes Holzwerk, ein gelb beschindelter
Giebel und ein rotes Biberschwanzdach: also durchaus übliche
Materialien sind es, womit die glückliche Wirkung erzielt wird.
Besonders geglückt ist das Portal mit der in Eisen geschmie¬
deten Türe. V
V Auf TAFEL 88 bringen wir einen pikant dargestellten Ent¬
wurf zu dem Hause eines Junggesellen von dem Architekten
OTTO SCHÖNTHAL, WIEN. Die sonst ein wenig über¬
raffinierte Kunst Schönthals ist diesmal dem Thema entsprechend
MODERNE BAUFORMEN III
GESELLIUS, LINDGREN & SA AR IN EN. HELSINFORS.
Schlafzimmer und Grundrisse des Landhaus-Projektes von Eliel Saarinen (Tafel 81 — 86).
MO
Grundrisse zu Tafel 88.
BEDBOGti EJOOR PIrtK
gemässigt und arbeitet mit bescheidenen Mitteln, die aber
immerhin mit viel Geschick ausgenützt sind. V
vvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvwvvvvvvvvv
V FÜNFHÄUSER-GRUPPE IN LUDWIGSBURG, nach den
Plänen von FR. HAUSSER erbaut vom Baugeschäft Christian
Hausser in Ludwigsburg. In dem Bestreben, billige Ein¬
familienhäuser bei gediegener Ausstattung zu schaffen, wurden
zwei Typen gewählt; das eingebaute Reihenhaus und das
Eckhaus mit Mietwohnung im Erdgeschoss und Einfamilien¬
wohnung in den zwei Stockwerken darüber, wobei nur der
Eingang und das Erdgeschoss ge¬
meinsam sind. Die Gruppe besteht
aus zwei Eckhäusern und drei
Reihenhäusern mit wechselnder
Grundrisseinteilung. Das Sockelge¬
schoss enthält die Wirtschaftsräume ;
über dem Hauptwohnstock, dem
Erdgeschoss, liegen im ersten Stock
die Schlaf-, Bade- und Kinderzimmer
und im Dachstock die Fremden¬
zimmer und Gesindestuben. Die
Fläuser sind durchweg in massiver
Bauart von neuartigem Hohlback¬
steingemäuer, die Decken bis unter
das Dach in Betoneisen-Schwemm¬
stein ausgeführt. Zentralwarmwasser¬
heizung und Warmwasserbereitungs¬
anlage, Gaskamine, Eichen-Parkett-
böden und Inlaid - Linoleum auf
Gipsestrich erhöhen die Bequem¬
lichkeit der Innenausstattung. Im
Grundriss zu Tafel 87.
— z
“H
-
J UM ZIMMER.
nnvEMtlSTtR.
FR. H AUSSER. LUDWIGSBURG.
Fimfhäuser-Gruppe an der Bismarckstrasse in Ludwigsburg (Wiirttbg.).
iKrstody
Aeussern wurde versucht, durch Aufteilung der Baumasse
und durch sparsame Gliederung die einzelnen Häuser für sich,
nach ihrer Verwendung und doch alle zusammen wieder als
ein Ganzes erscheinen zu lassen. Den bescheidenen Mitteln
entspricht die Anwendung einer flotten Putztechnik, die nament¬
lich in der Nähe zur Geltung kommt. Hinter jedem Haus ist
ein kleiner von dem Sockelgeschoss zugänglicher Wirtschafts¬
hof mit dahinter liegendem Garten, der auch vom Wohnstock
aus betretbar ist. Der Versuch zeigt, dass mit derartigen
einzelnen Baugruppen die Möglichkeit gegeben ist, die
Vorzüge der freien und geschlossenen Bauweise zu ver¬
einen. V
MODERNE BAUFORMEN III
C. F. W. LEON HARDT, FRANKFURT A. M.
Entwurf zu dem Wohn/iause eines höheren
Beamten einer Provinzial - Hauptstadt. Die
Ausführung sieht in den verputzten Mauer¬
flächen einzelne rote Sandsteinwerkstücke vor,
wie Säulchen, Tragsteine, Fensterkreuze u. s. w.
Das Holzwerk ist farbig lasiert und das Dach
mit Schiefer eingedeckt , womit auch zum Teil
die Giebel bekleidet sind.
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81
Art aast et ml huchpanz Stuttgart
JULIUS HOFrMflNN-
VERLAS STUTTGART
INV: GESELLIUS • LINDGREN Sc SAARIN EN • HELSINGFORS-
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STUTTGARTER VEREINS-8UCH0RUCKERE1
INV. : OTTO SCHÖN1THRL, WIEN.
DAS NEUE THEATER IN DORTMUND.
Nimmer entbehre die strebende Stadt der veredelnden Künste!
Opferfreudiger Sinn baute den Musen dies Heim.
Mit diesen Weiheworten griisst uns Dülfers neuestes Werk
vom Giebelfeld des Vorbaues. „Die strebende Stadt.“
Wie weise gewählt! Vor hundert Jahren ein Städtchen von
kaum viertausend Seelen und heute eine der bedeutendsten
Industriestädte Deutschlands, die in einem staunenswerten
Aufschwung zu einer Einwohnerzahl von rund 170000 ange¬
wachsen ist. Es liegt etwas Beängstigendes in solchen nackten
Zahlen, nicht zum wenigsten
beängstigend auch für ein er-
spriessliches Gedeihen der
Künste. Wie oft mussten ihre
zarten Keime im Rauche
eines qualmenden Essenwal¬
des ersticken. Aber dass
Dortmund nicht seiner im¬
merhin bedeutenden künst¬
lerischen Vergangenheit ver-
gass, welche seine Reinoldi-,
die Dominikaner- und die
Marienkirche geschaffen, wel¬
che uns so tüchtige Maler
wie die Gebrüder Dünwegge
schenkte und welche die
Stadt zu dem berühmtesten
Stapelplatz belgischer Erz¬
kleinkunst im Mittelalter er¬
hob, dafür ist das neue
Theater ein mächtiger Zeuge.
An Stelle eines dem Aufent¬
halt der Musen unwürdigen
Gebäudes hat Dortmund aus
dem Kreise seiner opferfreu¬
digen Bürger heraus ein
prächtiges Haus zum Musen¬
tempel sich geschaffen, das
— es darf getrost ausgespro¬
chen werden — keinen Ver¬
gleich mit dem Theater irgend
einer anderen deutschen Stadt
forderung zu einem Wettbewerb für das neue Theater, zu dem
sämtliche Dortmunder Architekten zugelassen und noch eine
Anzahl von Fachmännern, welche sich auf dem Gebiete des
Theaterbaues schon einen gewissen Ruf erworben hatten, ein¬
geladen worden waren. Das Preisgericht, zu welchem Ge¬
heimer Baurat Wallot-Dresden, Geheimer Baurat Schmieden-
Berlin, Baurat von der Hude-Berlin, Obermaschinenmeister
Brandt-Berlin, sowie die Mit¬
glieder der DortmunderThea-
terkommission zählten, be¬
schloss auf Grund eines ab¬
geänderten Bauprogrammes
einen zweiten engeren Wett¬
bewerb zwischen den Siegern
im ersten Kampfe: Moritz,
Dülfer und Fellner & Hel¬
mer, der zugunsten des Pro¬
jektes Dülfer ausfiel. Am
l.Juli 1902 begannen die Erd-,
im Frühjahr 1903 die eigent¬
lichen Bauarbeiten, nachdem
diesämtlichen Entwurfszeich¬
nungen, Kostenanschläge und
Konstruktionsberechnungen ,
auf Grundlage deren der Ver¬
trag mit der Stadtvertretung
zum Abschluss kam, beendigt
waren. Dülfers Projekt hat
bis zu seiner endgültigen Ver¬
wirklichung mehrere nicht
unwesentliche Wandlungen
durchgemacht, auf welche
alle hier einzugehen der
Raum nicht gestattet. Eines
wichtigen Punktes des ersten
Projektes werden wir weiter
unten gedenken. Als be¬
sonders glücklich schon in
der zweiten Bearbeitung des
Dülferschen Projektes und in
der endgültigen Ausführung
heben wir die Anlage des
zu scheuen braucht. V
V Im Juni 1901 erliess der
Magistrat Dortmund eine Auf-
PROFESSOR MARTIN DÜLFER, MÜNCHEN.
Theater in Dortmund, Hauptfoyer.
88
MODERNE BAUFORMEN III
Verwaltungsflügels hervor, welcher sich in bogenförmiger
Grundrissform direkt an das Bühnenhaus anschüesst, ferner
die höchst zweckmässige Verbindung des Kulissenmagazins
mit der Bühne durch Zwischenschiebung einer Art Neben¬
bühne, die eine günstige rasche Erledigung von szenischen
Vorarbeiten ermöglicht. Und schliesslich bezeugt ein Blick
auf den Grundriss die geschickte Ausnützung der Boden¬
verhältnisse und die subtile Verbindung der einzelnen Bau¬
trakte untereinander. Wenn man die einzelnen Projekte
miteinander vergleicht, so kann man wohl verfolgen, wie
Dülfer mit dem Einleben in die Aufgabe stetig erstarkte,
wie er in technischen wie in künstlerischen Fragen zu immer
klareren präziseren Formen sich steigerte, kurzum sich selbst
stets übertraf. Dülfers neues Stadttheater in Dortmund ist
ein abgeklärtes, durchaus reifes Kunstwerk. V
V Den ersten Eindruck, den der Beschauer beim Anblicke
des Theaters von der Hauptschauseite an dem Hiltropwall ge¬
winnt, ist der einer absolut selbständigen Ausdrucksweise.
Freilich nicht in dem Sinne vollständiger Negierung der histo¬
rischen Stilarten, sondern im Sinne einer weisen Wahl an¬
passungsfähiger Elemente, die jedoch niemals in ängstlich¬
sklavischer Weise nachgebildet erscheinen, sondern nur als
lebensfähige Keime neuer Aus- und Umbildungen dienten.
Ruhige, sachliche Erwägungen führten Dülfer man möchte
sagen zwanglos zu einer Gestaltung des Aussenbaues im
Geiste einer neuen Antike. Er meditiert: „Ein Theater hat
im wesentlichen nur in den Abendstunden seinen Zweck zu
erfüllen, es muss daher eine Formgebung erhalten, die von
den Gepflogenheiten, wie sie uns traditionell aus den architek¬
tonischen Musterwerken für Paläste oderähnlichen Prunkbauten
geläufig sind, sich entfernt. Öffnungen zum Einlass des Tages¬
lichts sind deshalb nur soweit als nötig anzubringen. Gerade
das Masshalten in den Lichtöffnungen bietet aber auch die
Möglichkeit, grosse Mauerflächen zu bilden, die nicht un¬
wesentlich dazu beitragen eine monumentale Wirkung zu er¬
zielen.“ Diese Leitmotive in Zusammenhang mit der unum-
MODERNE BAUFORMEN III
89
stösslichen Forderung architektonischen Schaffens von innen
heraus, geben, stets mit besonderer Berücksichtigung der Si¬
tuation und der Zweckbestimmung des Bauwerkes, diesem die
endgültige Gestalt. Mächtige Mauermassen, nur mässig von
Horizontalen unterbrochen, türmen sich empor. An der in
Haustein aufgeführten Schauseite dominieren, aus einem Ru¬
stikasockel sich entwickelnd, zwei mächtige Pylonen, die nur
im oberen Teile von langgeschlitzten Fenstern unterbrochen
werden. Riesige Widderköpfe mit Gehängen schmücken den
oberen Abschluss der Pylonen, welche zwei Pantherquadrigen
krönen. Zwischen den trotzig kühnen Turmbauten springt
unter der Flucht der Fenster des mit geradem Dach ab¬
schliessenden Mittelbaues ein kleinerer von flachem Giebel
überdeckter Bau vor, der zu ebener Erde sich nach dem
Vestibül mit drei Doppeltüren öffnet; im Obergeschosse birgt
er den Repräsentationsraum, an den sich in der Mittelachse
des Theaters das Foyer anlehnt. Die Seitenrisalite des Giebel¬
baues trotzen ungegliedert in Rustika, zu der in einem ge¬
wissen freundlicheren Gegensatz der aus glatt behauenen
Quadern aufgetührte Mitteltrakt gesetzt wurde, dessen Türen
bezw. Fensterfluchten durch zwei antike Reliefs, die in
Friesform die ernste und heitere Muse verkörpern, horizon¬
tale Gliederung erhalten. In der Mittelachse legt sich dem
Bau eine Auffahrtshalle mit mässig ansteigenden Rampen vor.
Die Halle trägt einen von dem Erfrischungssaale aus zugäng¬
lichen Balkon, den an den Vorderecken zwei Kränze empor¬
haltende Genien auf schlanken Muschelkalksäulen zieren.
Von eigenartigem Reize ist die Metallausstattung der Balkon¬
brüstungen und der Träger unterhalb derselben. V
V Fasst man nun die Schauseite in ihrer Gesamtheit ins
Auge, so enthüllt sich uns aber auch die unverkennbare Ab¬
sicht des Künstlers, dass er nicht nur rein praktisch-sachliche
Erwägungen zum Ausgangspunkte seiner Bauideen nahm, son¬
dern vor allem auch dem Wesen der idealen Aufgabe eines
Theaters sichtbaren Ausdruck zu verleihen bemüht war. Ein
Haus, der Kunst geweiht — , ein Heiligtum der Offenbarung
des Hehrsten und Erhabensten, was die Besten aller Zeiten
schufen — , ein Tempel der Erbauung, dem wir uns nahen,
um uns dem Genius des Wahren, Edlen und Schönen zu
neigen, — eine Stätte unsterblichen Ruhmes. Hat jemals dieser
PROFESSOR MARTIN DÜLFER, MÜNCHEN. Zweites Konkurrenzprojekt zum Theater in Dortmund.
MODERNE BAUFORMEN III
r~
PROFESSOR MARTIN DÜ LEER. MÜNCHEN.
Theater in Dortmund. Seitenfassade nach der Eisenmarktstrasse.
Gedanke einen würdigeren Ausdruck gefunden? Man schaue
doch zurück, ja es genügt nur in unserer jüngsten Gegen¬
wart Umschau zu halten. Dass wohl die Antike der Aufgabe
eines Theaterbaues am ehesten sich fügte, dessen waren sich ja
andere vor Dülfer längst auch bewusst geworden, aber wie
losten sie den Zwiespalt, neuen Anforderungen alte Formen
anzupassen? Eine antike Tempelfassade oder auch eine
Säulenhalle im Renaissancestil wurde mehr oder weniger
unglücklich als unabkömmliches Requisit der Schauseite des
eigentlichen Nutzbaues vorgeklebt, und dieser erhielt vielleicht
einen ähnlichen Dreiecksgiebel wie die Vorhalle und Dutzende
von überflüssigen Fenstern und tödlich langweiligen Säulen¬
stellungen. Es bedarf nicht besonderer Beispiele, denn jedwede
Stadt fast besitzt ein solches, und dass es deren noch mehr
werden sollen, bezeugen Frankfurt am Main und Nürnberg;
ein Spezialist im Theaterbau sein, heisst noch lange nicht
Theaterarchitekt sein. Auch Dülfer griff zur Antike zurück,
jedoch mehr auf ihren Geist, auf die Monumentalität ihrer
Schöpfungen, auf ihre ernste Grosszügigkeit, aber er entlehnt
nicht Skrupel- und mühelos ihm tauglich scheinende Einzel¬
heiten, sondern er ringt sich männlich-stark mit dem Erschauten
zu einer neuen und nur ihm eigenen Formenwelt durch. Man
fühlt das Siegheischende und Unerschütterliche seines Kampfes,
das Trotzige: ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Die
Antike hat nicht ihn bezwungen, sondern ihr Fühlen und Formen
ist sein eigenes geworden. V
V Auch die Seitenfluchten des Baues, der beschränkten Mittel
halber nur in Putzbau hergestellt, sprechen in ähnlich ernsten
und wahren Tönen. Auch sie bekunden sich als die natür¬
liche Folgerung der hinter ihnen lagernden Räume; Fenster
nur da, wo sie der Zweck erheischt, Fisenen und Kehlen und
einige wenige ornamentale Füllungen, nirgends jener über¬
flüssige Aufwand von allen möglichen, nur Unruhe erzeugen¬
den Einzelheiten; auch hier Geschlossenheit, Einheitlichkeit,
Ruhe. Wie Dülfer arbeitet und erwägt, bekundet er namentlich
auch in der Art, wie er die Wandflächen des Bühnenhauses
durch Rippenbildungen in der Fage und Richtung der Bühnen¬
maschinerie belebt. V
MODERNE BAUFORMEN III
PROFESSOR MARTIN DÜLFER, MÜNCHEN.
Theater in Dortmund. Rückfassade ( Bühnenhaus ) in der Kuhstrasse.
92
MODERNE BAUFORMEN III
PROFESSOR MARTIN DÜLFER, MÜNCHEN.
Theater in Dortmund. Vorhalle im Parterre.
V Vom Vestibül steigen wir auf Marmorstufen zu dem Foyer
empor, dessen stattlicher, den Zuschauerraum umrahmender
Wandelgang der Vollzahl der Besucher jedes Ranges ge¬
nügenden Raum zur Promenade bietet. Ruhige Vornehmheit
zeichnet ihn aus; geschliffene Spiegel in kostbar eingelegtem
Rahmenwerk und einfache, aber elegante Beleuchtungskörper
in blankem Messing bilden die hauptsächlichste Zier. Nach
der Schauseite des Gebäudes hin erweitert sich das Foyer in
der vollen Breite des Mitteltraktes zu einem Repräsentations¬
und Erfrischungssaale auserlesensten Prunkes. Vier Paare
jonischer Säulen teilen den Raum in zwei Teile, deren einer
eine kassetierte Tonnendecke, der andere eine Flachdecke
trägt. Ein lichtes Grau bildet den Grundton des Raumes,
dem Spiegeleinlagen und die Beleuchtungskörper erhöhten
Reiz verleihen. An den beiden Schmalseiten der Halle sind
elegante Buffets aus bräunlichem Kubamahagoni angeordnet.
Die eine Längsseite gewährt von reizenden Baikonen aus dem
zweiten Rang Überblick über den Saal. Eine ganz entzückende
Wirkung übt schliesslich der weiche Teppich aus, dessen
kräftiges Kirschrot sich an allen Teilen des Raumes magisch
widerspiegelt. Es sind Effekte so aparter Art, mit denen
Diilfer hier operiert, dass eine Steigerung ohne in das Triviale
zu verfallen, sich kaum mehr ausdenken lässt. V
V Ein Gleiches gilt von dem Zuschauerraume. Wer ihn aus
den Wandelgängen betritt, ist gebannt von der wunderbaren
Farbenharmonie, zu der sich die Wände, die Brüstungen, die
Decke und der Vorhang im Lichte zahlloser Beleuchtungskörper
einen. Doch zunächst die Anlage! Auch hier erscheint Diilfer
als Neuerer und, wie sich mit Sicherheit erwarten lässt, als ein
Bahnbrecher, als künftiges Vorbild. Die Neuerungen bekun¬
den sich zunächst in der Lagerung der Decke, welche parallel
zu dem von der Bühne nach rückwärts aufsteigenden Parkett¬
boden angelegt ist und zwar in der Weise, dass die Decke fast
unmittelbar zur Bühnenöffnung führt. Hierdurch werden der
Blick und die ganze Aufmerksamkeit aller Beschauer schon
durch die wichtigsten Grenzen des Innenraumes mit unmerk¬
lichem Zwange nach der Bühne* als dem Haupt- und Mittel¬
punkte des Hauses gezogen, die Geschlossenheit des Raumes wird
ohne jeden Eindruck der Enge erhöht, die Akustik verstärkt und
endlich und insgesamt werden Darsteller und Zuschauer, das Spiel
und der Genuss am Spiel in unmittelbare und intensivere Be¬
ziehung zu einander gesetzt. Die Neigung der Decke zur Bühne
veranlasste Diilfer, zu einer schon bei dem Meraner Theater
angewandten und erprobten Neuerung mit noch grösserer Be¬
rechtigung zu greifen. Er liess nämlich, um dem Gedanken,
PROFESSOR MARTIN DÜLFER. MÜNCHEN.
Theater in Dortmund. Zuschauerraum, Proszeniumsloge u. Seitenbalkons.
MODERNE BAUFORMEN III
93
«Ws**
PROFESSOR MARTIN DÜLFER, MÜNCHEN.
Theater in Dortmund. Eintrittshalle mit Kasse.
dass die Wand die Stütze der Decke
ist, sichtbaren Ausdruck zu geben,
die Seitenlogen des dritten Ranges
wegfallen, sodass nicht wie in anderen
Theatern die Logenbrüstungen den
Anschluss der Decke und Wand dem
Gesichte verhüllen, und jene förmlich
in der Luft zu schweben scheint, son¬
dern so, dass die tektonische Glie¬
derung völlig klar zutage tritt. Es
dehnt sich also der dritte Rang nur
in der Breite des Zuschauerraumes
aus. V
V Schliesslich vermied Dülfer den oft
ausserordentlich störenden Eindruck,
den die Kojeneinteilung der Ränge
in Logen durch schroffe Zwischen¬
wände hervorruft, dadurch, dass hier
die niedrigen Zwischenwände ohne
jede strengere architektonische Durch¬
bildung mit dem Tone der Wände und
der Sessel Zusammengehen. Hierdurch
erscheint der Innenraum einheitlicher,
geschlossener und die Logen, ent¬
sprechend dem Gedanken, dass sie vor¬
zugsweise von Abonnenten belebt
werden, die in ständigem Gesell¬
schaftsverkehr mit einander sind, stehen sozusagen in familiärem
Kontakte. Dies trägt nicht zum wenigsten dazu bei, dem Zu¬
schauerraum trotz seines Reichtums und der Pracht seiner
PROFESSOR MARTIN DÜLFER. MÜNCHEN.
Theater in Dortmund. Haupttreppe.
Ausstattung auch das für die eigentliche Bestimmung des Theaters
unentbehrliche Gefühl des Behaglichen und des Stimmungsvoll-
Gemütlichen zu geben. V
V Die Wände sind mit einem zart¬
rosa Stoff bespannt und von grauem
Velvet eingefasst und werden durch
schablonierte Stofffriese belebt. Die
Brüstungen sind in lichtem Grau ge¬
halten und erglühen am unteren Rande
in unzähligen elektrischen Birnen, die
aus einem schmalen antikisierenden
Wellenbandfries sich entwickeln. Das
Mittelfeld der Decke, umgeben von
den Bildern des Tierkreises, öffnet
sich scheinbar nach dem sattblauen
Himmel, der durch Verwendung von
Gold-, Silber- und Stahlfeilsplittern
mit seinen unzählbaren Gestirnen und
dem Band der Milchstrasse aufblitzt
— eine äusserst reizvolle Erscheinung.
Die übrige Decke ist im lichtem Grau
mit flachen Feldern und ornamentalen
Relieffüllungen in Weiss und Gold
gehalten. Gegen die Bühne geht die
Decke in eine Kassettierung mit
Sternen über, die ebenfalls aus tief¬
blauem Grunde im Lichte herab¬
hangender Kristallglühkörper erstrah¬
len. Zu dem Lichterspiel der Decke
und der Brüstungen bilden endlich
Glühlichtguirlanden an der Hoch-
MODERNE BAUFORMEN IIS
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- .
PROFESSOR MARTIN DÜLFER, MÜNCHEN.
Theater in Dortmund. Zuschauerraum Proszenium.
wand, die sich in Spiegeln noch zu vermehren scheinen, die
V erbindung.
A Es ist unmöglich, aller Einzelheiten
wie etwa der Ausgestaltung der Pro¬
szeniumslogen oder der Schablonen¬
musterung der Wandstreifen zu ge¬
denken, das vermag nur ein Bild oder
eigentlich nur die Wirklichkeit selbst
zu sagen. Und da muss man sich
schliesslich fragen, ob man mehr Be¬
wunderung der sprühenden Formen¬
fülle oder dem Raffinement farbiger
Wirkungen oder der fein abwägenden
Verwertung und Vielgestaltigkeit der
Lichtquellen zollen soll. Dülfer ist zu
ernst in seinem Schaffen, als dass er
sich mit einem einmal geglückten
Wurf zufrieden gäbe; das beweist ein
Vergleich mit dem Zuschauerraum
des Meraner Theaters, auf den hier
leider, so belehrend es auch wäre,
nicht eingegangen werden kann. Es
genügt zu sagen, Dülfer blieb nicht
stehen, Dülfer drängt vorwärts, Dül-
fers Kunst ist nie tote Nachahmung,
sie lebt und pulsiert wie jene, an der
sie erstarkte, aus der sie erkeimte:
darum erscheint sie auch, wenngleich
von alter Kunst genährt, niemals alt,
sondern neu, jung und durchaus per-
A
sönlich. Deshalb bedarf er auch nicht
des jetzt so häufig geübten Ver-
schleierns der Anklänge an Altes. Wo
er der Alten bedarf, enthüllt er es
klar, seine Kunst ist wahr und offen;
wir glauben ihr, denn sie überzeugt.
A Wir haben für unsere Betrachtung
der Innenräume des Theaters nur
die vornehmsten und wichtigsten der¬
selben herausgegriffen. Nicht weniger
klar aber offenbart sich Dülfers Eigen¬
art auch in den naturgemäss be¬
scheidener durchgebildeten Räumen
wie in den Wandelgängen, den Gar¬
deroben- und Kassenräumen. Die
vorhandenen Geldmittel zwangen hier
zu ernstem Haushalten, und trotzdem
empfindet man hier nicht die heutzu¬
tage so oft beobachtete puritanerhafte
Nüchternheit reiner Zweckbauten.
Zierlich gezeichnete eiserne Gitter
und Brüstungen, mannigfaltig gebil¬
dete Beleuchtungskörper in Eisen,
Messing, Glas, Kristall, geschliffene
Spiegel in originellen Rahmen, Kunst¬
verglasungen in eleganter Zeichnung,
zweckentsprechende Holzmöbel und
Einrichtungsgegenstände geben den
Räumen eine ruhige, gediegene Lebensfreudigkeit; alles ist
mit gleicher Liebe und Sorgfalt durchdacht und ausgeführt.
PROFESSOR MARTIN DÜLFER. MÜNCHEN.
Theater in Dortmund. Zuschauerraum von der Bühne gesehen.
MODERNE pBAUFORMEN III
95
Wenn man die Nägelmusterung der
Türen, die Schablonierung der Wände,
oder die Zeichnung einer Türinschrift
sich besieht, möchte man sagen, man
merkt die Freude der Arbeit an jedem
Hammerschlag, an jedem Pinselstrich.
Man fühlt ordentlich, wie das Interesse
an der Arbeit auch die ausführenden
Kräfte ergriff. Auch sie verdienen hier
eine flüchtige Erwähnung. Es beteilig¬
ten sich vorzugsweise Dortmunder
und Münchener Geschäfte. Letztere
kamen namentlich für solche Arbeiten
in Betracht, bei welchen zur Erlangung
durchaus künstlerischer Durchbildung
die Herstellung derselben unter den
Augen Dülfers wünschenswert er¬
schien. Mit den Malerarbeiten war
Carl Habs in Dortmund betraut; von
ihm rührt auch die Ausgestaltung des
gestirnten Himmels im Zuschauerraum
her. Hässel - München und Dejmek-
Dortmund führten die Stuckierung der
Innenräume aus, während Rappa&Co.
in München die Stuckierung des Aeus-
seren besorgten. Bildhauer Frick von
letztgenannter Firma führte die Quad¬
rigen und figürlichen Reliefs an der
Vorderseite mit Benützung antiker
Vorlagen aus, Bildhauer Forlivesi-
München fertigte die Kränze haltenden
Genien, von FideliusEnderle-München
stammen die Steinbildhauerarbeiten.
Die reizvollen Beleuchtungskörper mit
über 1000 Lichtern führten die Mün¬
chener Firmen Wilhelm & Comp, für
den Zuschauerraum, Steinicken& Lohr
für das Foyer, die Treppen und Wandel¬
gänge aus. Die zierlichen Kunst¬
schmiedearbeiten stammen von der
Firma E. Häusner-München,die Kunst¬
verglasungen von Katz-Dortmund. In
die Herstellungdes bequemen Theater¬
gestühls und der übrigen Möbel hatten
sich Dortmunder und Berliner Werk¬
stätten geteilt. V
V Die Bühneneinrichtung, führte die
Aktiengesellschaft Eisenwerk - Mün¬
chen aus. Ihre Vorzüge zu schildern
ist nicht unsere Aufgabe; es mag
genügen hier festzustellen, dass sie
alle erdenklichen Einrichtungen, wel¬
cher eine neuzeitliche Bühne bedarf,
besitzt. Die Proszeniumsöffnung ist
1 1 m breit und 8,55 m hoch, die Bühne
hat eine Breite von 24 m bei einer
Tiefe von 16,20 m und einer Höhe von
PROFESSOR MARTIN DÜLFER, MÜNCHEN.
Theater in Dortmund. Wandelgang und Garderobe.
-
PROFESSOR MARTIN DÜLFER. MÜNCHEN.
Theater in Dortmund, Zuschauerraum. Detail der Decke.
MODERNE BAUFORMEN III
PROFESSOR MARTIN DÜLFER, MÜNCHL
Theater in Dortmund. Hauptfoyer.
TV.
38 m, vom Biihnenkeller bis zum Giebel gemessen. Nicht
unerwähnt bleibe hier die zweckmässige Anordnung von Logen¬
einbauten auf der Bühne für die Re¬
gisseure, Inspizienten und den Be¬
leuchtungsinspektor. Diese Logen
bilden als Portalmantel eine archi¬
tektonisch mit zum Zuschauerraum
gezogene Vertiefung der Proszeniums¬
öffnung. In der Beurteilung des
Werkes muss vor allem Staunen er¬
regen, dass bei einer Umbauung von
rund 61000 cbm und bei einem Zu¬
schauerraum von 1200 Sitzen nur
1 180 000 Mark das Architekten¬
honorar mit eingerechnet — aufge¬
wandt wurde, eine Summe, die im
Verhältnisse zur Ausstattung mässig
erscheinen muss. V
V Ein architektonisches Werk lässt
sich in seiner Zweckmässigkeit, in
seinen Vorzügen erst dann völlig er¬
messen, wenn es seiner Bestimmung
übergeben wurde. Das neue Theater
in Dortmund wurde am 19. Septem¬
ber d. J. eröffnet und hat bei völlig
besetztem Hause seine Probe glänzend
bestanden. Dülfers Erwägungen und
Neuerungen, die Disposition der
Räumlichkeiten und ihre Ausstattung
haben sich in allen Teilen restlos
bewährt. Wir glauben nicht zuviel zu
sagen, wenn wir behaupten, dass Dül-
fer mit seinem neuesten Werke in die
erste Reihe, ja auf den ersten Platz
der Theaterarchitekten Deutschlands
gerückt ist. Jedenfalls ist es über allen
Zweifel erhaben , dass die Theater¬
baukunst der Zukunft Dülfers Neue¬
rungen auf dem Gebiete rein bühnen¬
technischer Errungenschaften als auch
in den Vorzügen des Zuschauerraumes
und den sich angliedernden Räumen
kaum mehr ganz umgehen oder un¬
beachtet wird lassen können. Sie
bedeuten eine der wichtigsten Etappen
in der Baugeschichte der Theater. Wir
könnten nichts freudiger begriissen,
als Diilfer, der stetig gewachsen ist,
mit seinen Aufgaben — von seinem
mit Friedrich von Thiersch geschaf¬
fenen Haus Bernheimer-Miinchen an¬
gefangen bis zu seinen prächtigen
Theatern in Meran und Dortmund — ,
einmal und baldigst zu einem Theater¬
bau in grösseren Verhältnissen be¬
rufen zu sehen. Als Meister, der er
schon ist, würde er untrüglich auch
da sich beweisen. V
V Noch ein Wort zu dem Theater in Dortmund. Die Lage
des Hauses an drei Strassenflächen führte zu einer reichen
PROFESSOR MARTIN DÜLFER. MÜNCHEN.
Theater in Dortmund. Foyer der oberen Ränge.
MODERNE
PROFESSOR MARTIN DÜLFER, MÜNCHEN
Theater in Dortmund.
Grundriss vom Parterre und ersten Stod ? (Balkon).
MODERNE BAUFORMEN III
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Fassaden und Grundrisse zu Tafel 96.
Aussprache architektonischer Gedanken. Was in Dülfers Macht
stand, geschah. Wir möchten nur wünschen, dass auch die
Umgebung dem prächtigen Werke Rechnung trage. Hierher
rechne ich als eine zwingende, unumstössliche Forderung die
Ausführung des von Dülfer geplanten Anbaues an der rechten
Seite des Theaters in der Flucht der Schauseite, welcher ein
Theater- und Tagesrestaurant mit Cafe und Lesesälen enthalten
sollte. Von allen sonstigen Vorteilen abgesehen, würde dies
auch noch dem Gesamtbilde des Baues zugutekommen. Auch
die projektierte figürliche Ausgestaltung des Brunnens an der
reizenden Partie der Kuhstrasse müsste und sollte sich durch¬
führen lassen; ebenso wäre dort und in der übrigen Umgebung
des Theaters die Anlage von geschmackvollen und passend auf¬
gestellten Beleuchtungsmasten wünschenswert. Das sind nicht
nur Anregungen und Forderungen, das sind auch Pflichten der
Stadt Dortmund und ihrer opferfreudigen Bürger, gegenüber
Jenem, der ihnen so Herrliches geschaffen hat. Wer dürfte
da auf halbem Wege stehen bleiben?!
München. Dr. Philipp Al Halm.
UNSERE TAEELN.
V TAFEL 89: inv. Professor MARTIN DÜLFER, MÜNCHEN.
Geplanter Ausbau des neuen Theaters in Dortmund. V
V TAFEL 90: inv. Professor MARTIN DÜLFER, MÜNCHEN.
Neues Theater in Dortmund. V
V TAFEL 91: inv. Professor MARTIN DÜLFER, MÜNCHEN.
Zuschauerraum des neuen Theaters in Dortmund. V
V TAFEL 92: inv. Professor MARTIN DÜLFER, MÜNCHEN.
Hauptfoyer des neuen Theaters in Dortmund. V
V TAFEL 93: inv. ANTON PÖSSENBACHER, MÜNCHEN.
Kaminpartie einer Halle. V
V TAFEL 94: inv. WUNIBALD DEININGER, WIEN. Ent¬
wurf zu einem Landhause. V
V TAFEL 95: inv. EDGAR WOOD, MANCHESTER. Halle.
V TAFEL 96: inv. BRUNO TAUT, STUTTGART. Entwurf
zu einem Schulhause. V
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93
JULIUS HOFFMRNN.
VERLAG. STUTTGART
STUTTGARTER VERE' NS-BUCHORUCKEREl.
INV: RMTON PÖSSENBRCHER • MÜNCHEN.
94
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MOCHPHNZ- STUTTGART
INV. WUNIBALD DEININGER,
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