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263
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Monatshefte
der
Comenius- Gesellschaft.
xO
Zweiter Band.
(18930
Leipzig,
R. Voigtländer'8 Verlag*
(In Commission.)
1893.
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Inhalt des zweiten Bandes.
t
CO
'4
Seit«
A. Abhandlmigreii.
Keüer, Ludw., Die Comenius-Gesellschaft. Geschichtliches und Grund-
sätzliches . : 1
Rovers, M. A, N., Ein Friedensspruch 27
Radlaehy 0., Der Aufenthalt des Comenius in Lüneburg im August
1647 und die Wiederaufnahme seines Briefwechsels mit
Valentin Andreae 57
Heinzelmann, W,, Goethes religiöse Entwickelung. Dargestellt von W. H. 105
Loserthy Johann^ Die kirchliche Reformbewegung in England im
XrV. Jahrhundert und ihre Aufnahme und Durchfuhrung
in Böhmen 151
Richter, Mert, Zwei Bilderbücher für den Unterricht vor dem Orbis
pictus 167
Lettau (Königsberg i. Pr.), Johann Georg Hamann als Geistesver-
wandter des Comenius 201
Baehring, Bemh.., Christian Karl Josias Freiherr von Bunsen .... 214
Lange, Friedrich Albert, Geschichte und Bedeutung der Schulkomödie
vor und nach Comenius 259
B. Qneilen nnd Forsehungen.
Kvacsäla, Joh., Zur Lebensgeschichte des Comenius, Autobiographisches
aus den Schriften des Comenius zusammengestellt von
J. K. 39. 73. 137. 178. 226. 273
ۥ Kleinere Mitteiliingen.
KeUer, Ludwig, Dr. S. J. Hingst f 47
Wittmer, Gustav, Anna von Mahrenholtz-Bülow f 48
Radlaeh, 0., Der Protest des Comenius gegen den Vorwurf, er sei ein
Sektierer, beleuchtet aus den Beziehungen Andreaes zu
Nürnberg. Ein weiterer Beitrag zum Verständnis seines
Lüneburger Briefes 127
Kemper, 0., Der Inselname Capharsalama in Joh. Val. Andreaes Schrift
„Reipublicae christianopolitanae descriptio" (1619) .... 186
Aus neueren Handschriften - Verzeichnissen (Briefe von und an Val.
^^ Andreae in Wolfenbüttel) 233
r^ StOtzner, Paul, Ratichiana 283
■ ,^ cT 587699 „„„.„.Google
rV Inhalt.
Seite
D. Litteraturbericlite.
Hartrnann, G., Leibniz (Moüat). — Loserth, Anabaptismus in Tirol
(Loterth). — (W, B,\ Zur neuesten Comenius-Litteratur. —
Wül 5. Monroe, Amerikanische Comenius-Litteratur. — Neuere
Erscheinungen auf dem Forschungsgebiet der C.-G. ... 81
Anton Gindeiy über Comenius {W, B,) — loubeh-Noväk, Leben des
* Comenius. — Neueste Comenius-Litteratur 239
Loserth y Hubmaier (Detmer). — Dörpfeld, Beiträge. — Lange, Über
Apperception. — Hauff e, Pädagogik Schleiermachers. —
Spencer, Von der Freiheit zur Gebundenheit. — Dieeseu,
A. H. Niemeyer. — Lay, Psychologische Grundlage. —
Flügel, Über die Phantasie. — Züler, AUg. Pädagogik (Hothegger) 291
E« Zur Bflcherknnde unseres Arbeltsgebiets.
Hohlfeld, Paul, Von und über Krause 191
Brügel, G., Litteratur über Val. Andreae seit 100 Jahren 249
F. Nachrichten 50. 95. 144. 198. 254. 307
9. Eingesandte Bflcher und Anflsfttze 303
Personen- nnd Ortsregister 313
Für die Schriftleitung verantwortlich: Diakonus Jos. Müller in
Hermhut i. S.
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Monatshefte
der
Comenius-Gesellschaft-
n. Band. — 1893. — Heft 1 und 2.
Die Comenius-Gesellschaft
Gesehiehtliches luid Grundsätzliches
von
Ludwig Keller.
Das Bedürfnis, den zurückgelegten Weg von Zeit zu Zeit
rückschauend zu überblicken, macht sich am Beginn eines neuen
Jahresabschnittes stärker als sonst geltend. Es ist nicht nur der
Wunsch, sich selbst und anderen über das EiTeichte Rechen-
schaft zu geben, der dabei mitwirkt; ebensosehr Mit der Um-
stand ins Gewicht, dafs die klare Erkenntnis der vergangenen
Entwicklung für die richtige Beurteilung der zukünftigen überaus
wertvoll ist: nur der, der weifs, woher er kommt, wird wissen,
wohin er geht.
Weiter als der Mehrzahl unserer Mitglieder und Freunde
bekannt sein wird, reichen die Entwürfe und Anfänge unserer
Gesellschaft zurück. Allerdings mufs hier festgestellt werden,
dafs die Bestrebungen, welche zu Prag im Jahre 1870 behufs
Gründung eines „Comenius- Vereins^ an das Licht traten, mit
unseren Plänen in keinerlei äufseren Zusammenhang standen.
Im genannten Jahre veröffentlichte Herm. von Leonhardi, Pro-
fessor der Philosophie an der deutschen Universität Prag, einen
„Aufruf an Erzieher und Freunde der Erziehung zu recht-
zeitiger Jubelfeier dreier um Menschen- und Menschheitsbildung
Moutihefte der Comenint-GesellMban. 1896. 1
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2 Keller, Heft 1 u. 2.
verdientester Männer, Comenias, Krause und FröbeP)".
Lieonhardi fordert, dafs gemäfs der in dem „Weckruf des
Comenius gegebenen Anleitung alle Menschenfreunde zur Be-
ratung gemeinsamer Angelegenheiten aller Orten Vereine bilden
und schlägt vor, sie Comenius -Vereine, Krause -Vereine oder
Fröbel -Vereine zu nennen. Diese Pläne, die dann zur Gründung
des allgemeinen Erziehungsvereins führten, waren uns zu der
Zeit, wo wir in die ersten Erwägungen über unser Unternehmen
eintraten, unbekannt.
Andere Umstände und andere äufsere Bedingungen, aber
doch verwandte Erwägungen waren es, die zur selbständigen
Wiederaufnahme des älteren Gedankens führten und die That-
sache, dafs die Kreise, in welchen die gleichen Pläne reiften,
unabhängig voneinander waren, liefert den Beweis, dafs nahe-
liegende Interessen und Befürfhisse auf diesem Wege nach Be-
friedigung und äufserer Gestaltung rangen.
Der Anblick des unmenschlichen Bruderhasses, mit dem die
Nationen Österreich-Ungarns und insbesondere Böhmens sich
gegenüberstanden, hatten in dem Herzen Leonhardis den Wunsch
befördert, zur Beschwörung dieser Plage den Geist des Comenius
wachzurufen.
Als wir etwa fünfzehn Jahre später im Westen Deutschlands
die gleichen Wege einschlugen, da waren es die Folgen der
schweren religiösen Kämpfe, deren Wahrnehmung den Anstofs
für unser Vorgehen bildete. Die Gegensätze der christlichen
Konfessionen hatten unter der Wucht eines langen und schweren
Ringens eine Schärfe so bedrohlicher Art gewonnen, dafs man
sich in die Zeiten zurückversetzt glauben konnte, die dem grofsen
Religionskriege des 17. Jahrhunderts vorausgingen. Diese Gegen-
sätze durchdrangen und zersetzten alle Beziehungen des Lebens ;
fast so schroff wie in Österreich-Ungarn die Nationalitäten standen
sich in einzelnen Teilen Deutschlands die Angehörigen derselben
Nation in Hafs und Mifstrauen einander gegenüber, und der Kampf
schien nur mit der völligen Niederwerfung des einen oder des an-
deren Gegners enden zu können. War es nicht naheliegend, zur
Beschwörung solcher Gefahren auch hier auf Comenius zurück-
zugreifen, der schon durch seine Schicksale ein warnendes Bei-
*) Wir haben den Aufruf im Auszug abgedruckt im Jahrgang 1892,
S. 217 der Monatshefte der C.-G.
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1893. ^io Oomenius-GeselUchaft 3
spiel war für die, welche leichten Herzens in den ReligionshaTs
des 17. Jahrhunderts wieder einlenkten — auf Comenius, dessen
Name nie in den Hader der Parteien hinabgezerrt war und den
selbst die strengsten Vertreter des curialen Systems mit Achtung
nannten*)?
Es war kein zufälliges Zusammentreffen, dafs unsere Pläne um
dieselbe Zeit festere Gestalt gewannen, wo Friedrich Fabri
seine Schrift: „Wie weiter? Kirchenpolitische Betrachtungen zum
Ende des Kulturkampfes" (Gotha, Perthes) veröffentlichte, nämlich
im Jahre 1887. Wer diese Schrift liest, wird rasch erkennen,
dafs sie neben den Erörterungen über die damalige kirchen-
politische Lage eine Fülle wichtiger Grundsätze enthält, die
für alle Lagen und Verhältnisse ihre Gültigkeit bewahren, und
wer schärfer zusieht, dem kann es nicht entgehen, daCs diese
Grundsätze auf dem Boden comenianischer Überzeugungen er-
wachsen sind.
Das Schwergewicht der Fabrischen Erörterungen lag nicht in
dem von ihm bereits im J. 1876 erhobenen Widerspruch gegen die
Kirchenpolitik der damals herrschenden Männer, den sog. Kultur-
kampf, sondern in den Prinzipien, auf Grund deren dieser Wider-
spruch erfolgte. „Die nachfolgenden Erörtenmgen," sagt Fabri,
sind ein Friedenswort, und wenn es auch unvermeidlich war,
da und dort mit einer etwas scharfen Kritik sich den Weg durch
^) Aloys Boleslas Balbinus, S. J.y schreibt in seiner Bohemia docta:
„Comeniua hat überaus viel herausgegeben, nichts aber, was gegen
den katholischen Glauben wäre, und so scheint es mir immer, wenn
ich seine Schriften lese, als wollte er keine Religion weder bevorzugen
noch verdammen.^ (Quam plurima edidit, nihil tamen unquam, quod catho-
licae fidei adversaretur, ac mihi opera ejus legen ti semper visus est ita
comparatus scripsisse, ut nuilam notare aut damnare religionem vellet.)
Baibin empfiehlt die Werke des Comenius und sagt, sie seien in jeder
Beziehung aufserordentlich lesenswerth. — Balbinus, geb. 1621, starb am
29. Nov. 1688 zu Prag. Näheres über ihn in der Biblioth^que de Compagnie
de Jesus. Nouv. Edit. par C. Sommervogel S. J. Bibliogr. Tom. I., Sp. 792 ff.
Die bekannteste Ausgabe der Bohemia docta ist zu Prag im Jahre 1780 er-
schienen. — In einem Bericht über das Keligionsgespräch zu Thom (1644)
giebt ein ungenanntes Mitglied der Gesellschaft Jesu eine ungünstige Be-
schreibung der beteiligten protest. Abgeordneten; über Comenius bemerkt
er dagegen nur, er sei ein geistvoller (ingeniosus) Mann und in der Er-
ziehungslehre ausgezeichnet erfahren; nur sei ihm unbewufst, ob Comenius
in der Theologie mehr verstehe wie andere, (Altes und Neues von theolog.
Sachen, 1746, S. 36 ff.)
1*
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4 Keller, Heft 1 u. 2.
unser kirchenpolitisches Gestrüpp zu bahnen, so wird der un-
befangen und gerade denkende Leser, wie ich hoffe, doch den
Eindruck emp£EUigen, dafs der Verfasser sich bestrebt, nach der
Regel: , Wahrheit in Liebe' zu urteilen. Unter allen Umständen
wissen wir, dafs es auch noch höhere Dinge giebt als Kirchen-
politik und dafs die ultima ratio des Eirchenbegriffes für alle
Zeiten von dem, den wir als unseren einzigen Herrn und Meister
bekennen, mit den Worten ausgesprochen wurde : , Wo zwei oder
drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter
ihnen'. In dieses innere Heiligtum kann glücklicherweise kein
Kulturkampf, selbst keine wirklich ,diokletiani8che Verfolgung*
störend eingreifen."
Diese Überzeugungen waren und sind in Deutschland weniger
als in Holland und England das Gemeingut weiterer Kreise, und
wir begegneten uns mit Fabri in dem Wunsche, ihnen auch
anderwärts allgemeinere Geltung zu geben. Diese Ideen besafeen
ihre Geschichte; es hatte Zeiten gegeben, wo sie hervorragende
geistige Vertreter gefunden hatten, Zeiten auch, wo sie von ent-
gegengesetzten Anschauungen zurückgedrängt waren. Um ihnen
in der Gegenwart eine kräftige Ausbreitung zu sichern, gab
es verschiedene Wege, einer war der, dafs man versuchte, sie
von neuem durch den Mund der grofeen Männer zu verkünden,
die sie einst erfolgreich vertreten hatten. Da wir von der
Macht, welche grofsen geschichtlichen Überlieferimgen inne-
zu wohnen pflegt, überzeugt waren, jso schien uns dieser Weg
viele Vorzüge zu bieten, und wir hatten die Freude, darüber
alsbald ein Einverständnis mehrerer angesehener Männer zu er-
zielen; die wärmste Zustimmung kam zunächst aus Holland, wo
Chr. Sepp imd Dr. S. J. Hingst, ersterer einer der an-
gesehensten Kirchenhistoriker und letzterer ein hochverdienter
Jurist dieses Landes, unsere Bestrebimgen billigten.
Nachdem unter uns hierüber eine Einigung herbeigeführt
war, war es der Verfasser dieses Aufsatzes, welcher dem Ge-
danken dadurch festere Formen gab, dafs er im Jahre 1889
vorschlug, zur Lösung dieser Aufgabe eine Gesellschaft
zu gründen und durch diese zunächst das Andenken des Co-
menius zu neuem Leben zu erwecken; die bevorstehende
Jahrhundertfeier konnte — so war meine Erwägung — in er-
wünschter Weise die Möglichkeit zur Ausführung dieses Ge-
dankens bieten; gerade die Ideen und Schriften des Co-
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1898. I^e Comenias-Gesellschaft 5
menias in Sachen der VolkBerziehung schienen mir der
Erneuerung besonders wert und bedürftig; sie mufsten, wenn
dies gelang; einen heilsamen Einflufs auf eines der wichtigsten
Gebiete des Volkslebens, nämlich die Erziehung und Erziehungs-
lehre, üben und zugleich dieser Wissenschaft und ihren Vertretern
mehr und mehr diejenige Stellung im Kreise der übrigen Wissen-
schaften sichern, auf die sie ihrer Bedeutung nach einen be-
rechtigten Anspruch besafs.
Aber es waren doch nicht allein die Schriften des Comenius,
deren Herausgabe uns vorschwebte: wir wollten den comenia-
nischen Geist und damit zugleich den G^ist imd die Ge-
sinnung aller ihm innerlich verwandten Männer wecken und in
diesem Geist die philosophischen, pädagogischen und wissen-
schaftlichen Fragen der Gegenwart betrachten und behandeln.
In dem ersten Entwurf der Satzungen unseres beabsichtigten
Unternehmens — er wurde im Frühjahr 1889 aufgestellt —
spiegeln sich die Ziele, die uns vorschwebten, ziemlich deutlich
wieder. Der § 1 dieses Entwurfs lautete ungeftlhr folgendermafsen :
„Die Gesellschaft hat den Zweck, im Geiste des Co-
menius durch Förderung litterarischer Veröffentlichungen
dXr die Pflege des geistigen und sittlichen Lebens zu
wirken."
In einem mir vorliegenden Brief vom 26. Februar 1889
werden diese Sätze dahin erläutert, dafs es darauf ankomme,
durch die beabsichtigte Gesellschaft alle Wissenschaften, mit
Ausnahme von Politik und Dogmatik, zu pflegen, dafs
aber vor allem Philosophie, Erziehungslehre, Sitten-
lehre und Gesellschaftslehre in Betracht zu konmien
hätten. Um weiteren Kreisen anzudeuten, in welchem Sinne die
Gesellschaft ihre Aufgabe zu erfassen gedenke, wurde deshalb
noch im Frühjahr 1889 der Gedanke in Erwägung gezogen,
durch den Zusatz „Comenius-Gesellschaft für Wissenschaft
und Volkserziehung" die Thatsache zu betonen, dafs
unsere Gesellschaft sich nicht in der Weise der Shakespeare-
oder Wiclif-Gesellschaft auf Comenius beschränken und etwa
eine Kommission zur Herausgabe seiner Werke darstellen wolle.
Indessen überwog zuletzt die Erwägung, dafs die einfache
Bezeichnung Comenius-Gesellschaft die Idee, die uns vorschwebte,
deutlich genug anzeige und dafs der Name des Comenius ein
Programm bestimmter Art in sich schliefse.
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6 KeUer, Heft 1 u. 2.
Es war nicht blofe die seltene Vereinigung eines lebendigen
religiösen, wissenschaftlichen und erziehlichen
Interesses, die uns an Comenius vorbildlich erschien, auch nicht
allein die bahnbrechende Bedeutung, die er auf dem Gebiete
der Erziehungslehre gewonnen hat, sondern vor allem fiel für
uns die Thatsache ins Gewicht, dafs er einer der hervorragendsten
Vertreter einer Geistesrichtung war und ist, die in allen Jahr-
hunderten vorhanden gewesen ist und deren Festhaltung wir in
den Kämpfen der Gegenwart für eine Pflicht aller Freunde des
Vaterlandes wie der Menschheit hielten.
Es ist nicht ganz leicht, diese Geistesrichtung mit wenigen
Worten zu charakterisieren. Man kennzeichnet sie nicht richtig,
wenn man ihr wesentlichstes Merkmal in einer weit-
herzigen Toleranz sucht, auch nicht, wenn man sie undog-
matisch nennt, obwohl sie auch diese Kennzeichen besessen
hat. Aber es giebt eine Weitherzigkeit, die zugleich religiös
gleichgültig, einen Humanismus, welcher vom Christentum nicht
viel mehr als einige Sittenlehren übernommen hat, die auch Eigen-
tum irgend einer Philosophenschule sein können, die sonst zum
Christentum im Gegensatze steht. Was Comenius kennzeichnet,
ist vielmehr die glückliche Verbindung eines starken ethischen
Interesses, das mit Toleranz und Weitherzigkeit Hand in Hand
geht, und eines tief gewurzelten religiösen Bedürfnisses, das
im Christentum die Religion, nicht eine unter vielen, erkennt,
sowie zugleich die hohe Achtung vor der fremden Überzeugung,
die stets geneigt ist, mehr das Verbindende als das Trennende
zu betonen. Zweifelhaftes aber lieber zurückzustellen als zu be-
streiten.
Die Verbindung dieser Eigenschaften ist, so oft sie sich auch
in einzelnen hervorragenden Persönlichkeiten aller christlichen
Kirchen und Parteien vorfindet, doch keineswegs eine charak-
teristische Eigenschaft aller Konfessionen und Kirchen als solcher.
Bei den Schwierigkeiten, auf welche hohe sittliche Forderungen
bei der Masse der Menschen zu stofsen pflegen, haben die Kirchen,
die auf die breiteren Schichten rechnen müssen, sich meist ge-
nötigt gesehen, in der Theorie oder in der Praxis das Interesse
des Gemüts oder des Verstands in den Vordergrund zu rücken,
und die Sittenlehre in ihrer vollen Strenge innerhalb engerer
Kreise zur Betonung zu bringen. Daher die Erscheinung, dafs
die altchristliche Ethik in dem Augenblick, wo die Kirche zur
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1898. IWe Comenius-Gkselbchaft ^
Weltkirche wurde, und den Bedürfhissen des Weltreichs, dessen
Erbschaft sie antrat, sich anpafste, in vielen Punkten von der
Strenge nachliefs, welche die Männer der alten Zeit sich zur
Pflicht gemacht hatten. Es ist ja nicht zu leugnen und soll nicht
geleugnet werden, dafs solche Forderungen der Gefahr des Mifs-
brauchs ausgesetzt sind und oft einen gesetzlichen und unter
Umständen einen verderblichen Charakter annehmen. Aber ab-
gesehen davon, dafs eine Zurückstellung der ethischen Seite,
selbst wenn sie auch nur in der Praxis gehandhabt wird, der
Gefahr des Mifsbrauchs nach anderen Seiten hin in gleichem
Mafse unterliegt, läfst sich doch nicht verkennen, dafs die ent-
schiedene Betonung der ethischen Interessen dem Charakter des
ältesten Christentums am meisten entsprach, vorausgesetzt natür-
lich, dafs man nicht Gebot auf Gebot häufte, ohne dem Gemüt
den Trost zu geben, welcher mit und durch Christus den Menschen
zu teil geworden war.
Es ist zu allen Zeiten die schwierigste Aufgabe fUr die
christlichen Bekenntnisse gewesen, die Klippen, die auf beiden
Seiten drohen, zu vermeiden. In besonders glücklicher Weise
aber ist die Aufgabe von derjenigen Geistesrichtung gelöst worden,
als deren Vertreter Comenius dasteht. Es ist das Kennzeichen
der besseren Geister dieser Richtung, dafs sie sowohl der Gefahr
einer toten Rechtgläubigkeit wie derjenigen eines öden
Moralismus entgangen sind.
Hieraus lassen sich leicht alle übrigen Eigenschaften erklären,
durch die sich Comenius und die religiösen Gemeinschaften, die
er vertritt — wir fassen sie unter dem Namen der alt evan-
gelischen Gemeinden zusammen — von den übrigen Zeit-
richtungen trennten, und durch die sie ihre geschichtliche Bedeu-
tung gewonnen haben.
Man weifs, dafs die herrschenden Kirchen in geistiger und
religiöser Beziehung in erster Linie auf die übersinnlichen
Dinge gerichtet waren, und dafs sie ihre Anhänger gewöhnt
hatten, vornehmlich mit den Kräften des Gemüts und der Phan-
tasie ihre Glaubens weit im jenseitigen Leben sich auszugestalten.
Die gläubige Hingabe an die Lehren der Karche und die Er-
füllung der kirchlichen Pflichten, an welche die einstige Seligkeit
gebunden war, stand durchaus im Mittelpunkt aller Interessen.
Dadurch ergab sich von selbst, dafs die Teilnahme für die
diesseitige Welt, für die Beziehungen der Menschen zu den
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8 Keller, Heft 1 u. 2.
Menschen und für die uns umgebende Natur eine Beeinträch-
tigung erlitt, die sich gerade in denjenigen Zeitabschnitten recht
deutlich gezeigt hat, wo die Eirchenlehre die Gbmüter am meisten
und vollständigsten beherrschte.
Dieser Betonung des Jenseitigen und Übersinnlichen gegen-
über lebte in Nebenströmungen des kirchlichen Christentums
eine Überlieferung, welche die Überzeugung festhielt, dafs der
Stifter unserer Religion die Aufrichtung des Beicbes Ctottes auf
Erden als Gegenstand seines Berufs bezeichnet und damit die
Neugestaltung der menschlichen Gesellschaft als
Zielgedanken Gottes hingestellt hatte. Die treibenden Kräfte in
diesem Gottesreich sollten die Liebe, der Glaube und die
Hoffnung sein, von welchen der Glaube aufhört im Schauen
und die Hoflftiung in der Erfüllung, von denen aber die Liebe
ewig bleibt, und die somit das höchste unter allen Geboten ist.
Der Weltzweck Gottes, wie ihn Christus uns verktlndet hat —
sagten sie — ist nicht blofs auf die jenseitige Welt, auch nicht
auf eine Anstalt gerichtet, die das Heil durch äufsere Mittel
darreicht, sondern auf die Sammlung eines Volks, das seinen
Willen thut und auf die Aufrichtung eines Reichs, in welchem
die Menschen in Frieden bei einander wohnen.
In der starken Betonung des Gottesreichs — der BegriflF
tritt in wechselnden Formen und Namen auf und wird sehr oft
durch bildliche Redewendungen angedeutet — tritt das vor-
herrschende Interesse jener Kreise ganz unzweideutig zu Tage.
Hand in Hand mit dieser Idee des „Tempels des Weisheit"
geht die Ablehnung jenes rein transcendenten Gottesbegriffs, wie
er durch die herrschende Kirchenlehre ausgebildet worden war.
Die Betonung der Innerweltlichkeit Gottes ist ein ge-
meinsames Merkmal der Richtungen, von denen hier die Rede
ist und das sich auch beiComenius wiederfindet*). Der Spruch,
dafs Gott „Anfang, Mitte und Ende aller Dinge sei" ist ein
Grundgedanke aller altevangelischen Gemeinschaften und der
ihnen geistesverwandten Strömungen und Schtden. Ihr System
durchzieht der Gedanke, dafs eine grofse Harmonie das All um-
fafst, „da die Dinge in Gott sind wie im Urbild, in der Natur
wie im Abbild" (Plato).
^) Vergl. den Artikel Hohlfelds, Comenius und Krause, Monatsheft«
der C.-G. 1892, S. 7.
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1893. ^e Comenius-Gesellschaft. 9
Mit diesen Ideen hängt nun die Betonung der Erziehung
und der Erziehungslehre und die eigenartigen Qnmdsätze,
welchen Comenius in dieser Wissenschaft im Anschlufs an die
Überlieferungen seiner Religionsgemeinschaft zuerst Bahn ge*
brochen hat, auf das engste zusammen. Auf ihnen beruht die Ach-
tung vor der Menschennatur und die Schätzung des Wertes,
den jede Menschenseele, wie zerrüttet auch immer sie sei, vor
Gott besitzt, — auf ihnen der Begriff der Entwicklung und
seine Übertragung auf die Erziehung, welche von so grofsen
Folgen gewesen ist, — auf ihnen die Wertschätzung aller Natur-
dinge und alles Naturgeschehens, durch die dem grofs-
artigen Ausbau der Wissenschaften von der Natur die Wege ge-
ebnet worden sind, — auf ihnen die Betonung des Orundsatzes
der Freiwilligkeit, — auf ihnen endlich jene weitherzigen,
aller toten Bechtgläubigkeit abholden Bestrebungen, die dem
Frieden der Völker, der Kirchen und der Stände ge-
widmet sind.
Im Herbst 1890 waren wir soweit, dafs wir zur Abfassung
eines Aufrufes und zur Aufstellung der Grundzüge unserer Ge-
sellschaft schreiten konnten. Am 10. Oktober 1890 wurde ein
Entwurf im Druck an eine gröfsere Zahl von Vertrauensmännern
geschickt, und in kurzer Zeit hatte er eine stattliche Reihe von
Unterschriften gefunden. Es liefse sich vieles dafür sagen, dafs
dieser 10. Oktober 1890 als der eigentliche Stiftungstag
unserer Gesellschaft anzusehen ist; er ist wichtiger als der
10. Oktober 1891, wo die Gesellschaft ihre erste vertrauliche
Vorversammlung zu Berlin abhielt, und den ersten Entwicklungs-
abschnitt unseres Unternehmens zum Abschlufs brachte.
Diese erste Entwicklung hatte sich nicht auf die Weise voll-
zogen, wie wir sie uns anfänglich gedacht hatten. Die Zahl
unserer Mitglieder wuchs rasch, und es bewahrheitete sich die
Thatsache, dafs Comenius viele Freunde und Anhänger besab;
aber je mehr die Zahl sich vergröfserte, um so weniger erwies
sich der engere Rahmen einer blofs wissenschaftlichen Ge-
sellschaft, den wir ursprünglich ins Auge gefafst hatten, als
angemessen; es galt, die Bedürfnisse aller unserer Mitglieder
thunlichst zu befriedigen und womöglich alle Kräfte zur Mitarbeit
in den für sie geeigneten Formen heranzuziehen.
In diesem Entwicklungsabschnitt nun wurden uns die Ent-
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10 Keller, Heft 1 u. 2.
würfe bekannt, die aus Anlafs der Comeniusfeier des Jahres
1871 von einer Anzahl damaliger Comeniusfreunde aufgestellt
waren, und die in einem Aufsatz der Leipziger Illustrierten
Zeitung vom 15. August 1874 niedergelegt sind.
In diesem Aufsatz war der auch uns vorschwebende Gedanke
der Vereinsbildung bestimmt ausgesprochen, auch der HoflF-
nung Ausdruck gegeben, dafs dieser Verein bei der Feier des
300jährigen Geburtstags aller Orten sich in voller Wirksamkeit
befinde. Es war darin aber auch zugleich ein Gesichtspunkt betont,
der unseren Plänen gegenüber neu war, nämlich die Thatsache,
dafs Comenius selbst in seinem Allgemeinen Weckruf (der Pane-
gersie) zur Durchführung seiner Grundsätze die Bildung einer
Vereinigung gefordert hatte, welche die Vertreter aller Par-
teien, Konfessionen, Nationen und Stände umfassen
sollte.
Die Frage trat an iins heran, ob es nicht angänglich sei,
unser Unternehmen im Sinn imd Geist des „Weckiufs" zu er-
weitern und wenigstens die Möglichkeit offen zu lassen, dafs sich
die Comenius-Gesellschaft, wenn Wind und Wetter ihr günstig
waren, zu einer Fortsetzung des Werks gestalte, dessen Bau
Comenius einst begonnen hatte, selbst wenn uns die Vereinigung
„aller Edlen aus allen Nationen", wie sie Comenius forderte,
ein unerreichbares Ideal blieb.
Es schienen in der That überwiegende Gründe dafür zu
sprechen, auch in dieser Beziehung thunlichst auf den Wegen zu
bleiben, die Comenius uns gezeigt hatte und so an alte und be-
währte Überlieferungen anzuknüpfen. Es ward demgemäfs ver-
abredet, die Pforten unserer Gesellschaft nicht blofs solchen
Männern zu erschliefsen , die durch wissenschaftliche Interessen
sich zu ihr hingezogen fühlten, sondern sie für alle offen zu
halten, die im Geiste des Comenius für das Wohl der Menschheit
wirken wollten. Es wurde beschlossen, neben den früher aus-
schliefslich ins Auge gefafsten Quellenwerken eine periodisch er-
scheinende Zeitschrift (die Monatshefte) und „Mitteilungen" der
Comenius-Gesellschaft herauszugeben und die Beitragssätze diesem
Plan entsprechend herabzusetzen und mehrere Sätze flir ver-
schiedene Klassen von Mitwirkenden einzufiihren.
Auch ward die Bildung provinzieller und örtlicher Organi-
sationen ins Auge gefafst und bestimmt, dafs denjenigen, die
sich solchen Abteilungen ohne Anspruch auf die Lieferung der
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1893. Die Comenius-Gresellschaft. H
wissenschaftlichen Veröffentlichungen anzuschliefsen wünschen,
gegen Zahlung von 3 Mk. die „Mitteilungen der Comenius-Gesell-
schaft" zugänglich gemacht werden sollen. Endlich, und das war
das Wichtigste, wurden der Gesellschaft auch gemeinnützige
Ziele gesteckt und beschlossen, dafs sie sich auf dem Felde der
Volkserziehung und der freiwilligen Bildungspflege
bethätigen solle.
In gewissem Sinn kamen die Aufgaben, welche unsere Gesell-
schaft sich nunmehr im Anschlufs an Comenius' Weckruf ge-
stellt hatte, dadurch zu einem äufseren Ausdruck, dafs sie
jenes Denkzeichen, das Comenius der Gesamtausgabe seiner
Schriften vorgesetzt hat und dessen wesentliche Stücke sich
auch in dem von ihm geführten Siegel wiederfinden*), zu dem
ihrigen machte.
In dem Weckruf heifst es, dafs die „Vereinigung aller Edlen"
auf einem dreifachen Weg gedacht werden müsse, auf dem
Weg der Einheit, dem Weg der Selbständigkeit und dem
Weg der Freiwilligkeit. „Die Einheit," filhrt Comenius
fort, „und die auf sie gegründete Vereinigung ist das Ebenbild
Gottes; denn Gott ist ein Wesen und doch alles, er ist alles
und doch eins; der Weg der Selbständigkeit ist der Weg
der Unabhängigkeit von der Aufsenwelt, welche verlangt, dafs
der Mensch das Geistesauge in sich habe und nicht geborgtes
Licht zurückstrahle ; was die Freiwilligkeit betrifft, so ist
die Freiheit ein Theil des Wesens der Gottheit, welches Gott
seinem Ebenbilde eingedrückt hat; er erinnert den Menschen,
aber er zwingt ihn nicht, er mahnt ihn vom Bösen ab, aber er
hält ihn nicht gewaltsam zurück ; und wie er selbst der mensch-
lichen Natur keine Gewalt anthut, so ist es ihm zuwider, wenn
der Mensch vom Menschen Gewalt leidet"
Man erkennt hier die Zusammenfassung der wesentlichsten
Grundsätze, auf welchen die religiöse und sittliche Weltanschauung
des Comenius beruht und aus der sich seine Eigenart erklärt.
') Das Siegel findet sich an einem Briefe des Comenius vom 25. Ok-
tober 1656, der im Staatsarchiv zu Posen aufbewahrt wird. Auf demselben
sind der Berg und die drei Bäume (Erde), sowie Sonne, Mond und Sterne
klar erkennbar; am oberen Rande steht: J. A. C. Ich verdanke diese
Kenntnis der Güte des Herrn Archivrats Dr. Prümers in Posen. Wir
haben das Siegel als Abzeichen für die „Mit teilungen'^ un-
serer Gesellschaft in Gebrauch genommen und werden es auch
sonst als Denkzeichen der Gesellschaft für kleinere Drucksachen verwenden.
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12 Keller, Heft 1 u. 2.
Diese Gedanken nun sind in dem erwähnten Denkzeichen sym-
bolisch zur Darstellung gebracht, und er hat sie damit gleichsam
zu seinem Wahlspruch gemacht
Zwei ineinander liegende Kreise, ein äufserer und ein innerer,
umschliefsen die bildliche Darstellung des Weltalls mit Erde,
Sonne, Mond und Sternen. Das Ganze versinnbildlicht die Gott-
heit, die Einheit und das All. Die Sonne, die Urheberin
und Erzeugerin des Lichts, ist Symbol der Unabhängigkeit.
Das Bild deutet an, wie die Strahlen der Sonne und ihres Lichts
die dunklen Wolken besiegen, die ihren Regen auf die Erde
ergie&en. Aus dem von drei Bäumen gekrönten Bei^, hinter
welchem sieben Sterne und die leuchtende Sonne aufgehen, er-
giefst sich aus doppelt geöflftieter Höhle ein Quell, an dessen ge-
zacktem Uferrand sieben Lilien wachsen. Zwischen dem äufseren
und inneren Kreise steht der Spruch: „Omnia sponta fluant, absit
violentia rebus**, der den Grundsatz der Freiwilligkeit zum
Ausdruck bringt.
Es war für die Entwicklung unseres Unternehmens ein er-
freuliches Zeichen, dafs die Wahl dieser Losimg allgemeiner Zu-
stimmung begegnete.
Während sich diese innere Entwicklung unserer Gesellschaft
vollzog, hielt sie die Lösung der Aufgaben, die sie sich gesteckt
hatte, fest im Auge. Die erste und wichtigste bestand in der
Förderung der Jahrhundertfeier, die am 28. März 1892
bevorstand. Es war von vornherein ausdrücklich ausgesprochen,
dafs die Comenius-Gesellschaft das Andenken der grofsen Männer,
in deren Geist sie zu wirken wünschte, nicht blofis durch den Neu-
druck ihrer Schriften oder durch Lebensbilder, sondern auch durch
die Errichtung von Denkmälern und durch Gedenkfeste
pflegen wollte.
Der Rechenschaftsbericht über die Thätigkeit und die Er-
folge unserer Gesellschaft, dessen wesentliche Punkte ich in
dieser Form bekannt machen möchte, hat daher in erster Linie
die Schritte zu erwähnen, die zur Förderung der Feier geschehen
sind. In Rücksicht darauf, dafs unseren Lesern die erzielten
Ergebnisse durch die Tagespresse hinreichend bekannt geworden
sind, kann ich mich in dieser Beziehung kurz fassetp.
Bereits im Frühjahr 1891 war die Jahrhundertfeier an den-
jenigen Orten, welche mit der Geschichte des Comenius enger
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1893. I^ie Comenius-Öesellschaft. 13
verknüpft waren, gesichert; aber eine allgemeine Feier hielten
um diese Zeit selbst solche Männer, die dem Unternehmen sehr
wohlwollend gegenüberstanden, für undenkbar. Ihr könnt, sagte
man uns, weder die religiösen Empfindungen irgend einer der
bestehenden Kirchen noch (aufserhalb Mährens und Böhmens) die
nationalen Leidenschaften in Bewegung setzen, und wer wird
heute ftir einen Apostel des Friedens schwärmen, wo alles von
Haus und von Gegensätzen erftlUt ist?
Alle diese Vorhersagungen sind zu Schanden geworden : die
Jahrhundertfeier hat in der That einen einzigartigen Verlauf ge-
nommen, und unsere Gesellschaft kann mit diesem ersten Er-
gebnis ihres Auftretens zufrieden sein. Unter allen gebildeten
Völkern, bei Mitgliedern aller Bekenntnisse, Parteien und Stände
hat der Ruf, den wir ergehen liefsen, Wiederhall gefunden, und
in tausend und aber tausend Herzen hat sich das Bild des grofsen
Mannes eingeprägt
Die Welt hast du geächtet einst durchmessen
Von Mährens Bergen zu des Nordens Reich,
Heut will die Welt an deinem Werke bauen,
Und Nord und Sud soll deine Siege schauen!
Was der Dichter voraussah, ist zur W^irklichkeit geworden :
Nord und Süd hat seine Siege geschaut und kein Mifston hat
sich in die Freude gemischt, mit der die geistige Auferstehung
dieses Propheten eines glücklicheren Weltalters weit und breit
begrüfst ward. So ist die alte Vorhersagung von Gottfried Wilhelm
Leibniz spät zwar, aber in ungeahntem Umfang wahr geworden :
Dich, Comenius, wird, dein Thun, dein Hoffen, dein Wünschen
Ehren und preisen dereinst, wer zu den Guten sich zählt.
Nachdem das Ergebnis, das uns vorschwebte, erzielt worden
ist, kommt es wenig in Betracht, dafs viel Arbeit und viel Geld
dazu notwendig gewesen sind. Beides ist von den Freunden des
Unternehmens zur Verfügung gestellt worden, und man wird
über die Einzelheiten bei anderer Gelegenheit genügende Aus-
kunft finden.
Die bei dem Vorsitzenden eingegangenen Berichte über die
Feier bestätigen, dafs die Träger der Bewegung allerorten
gerade diejenigen Männer gewesen sind, die bereits im Jahre
1891 Mitglieder der Comenius -Gesellschaft geworden waren.
Die Zahl unserer Mitglieder betrug bereits am 1. Februar 1892
etwa 650 Personen und Körperschaften, und die Summe der
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14 Keller, Heft 1 u. 2.
Beiträge, die allein im Jahre 1891 oder für 1891 eingegangen
sind, belief sieh auf rund 6200 Mk. — ein Betrag, der zur Be-
streitung der Kosten der Jahrhundertfeier nicht ausreichte, son-
dern noch einen Zuschufs von etwa 2800 Mk. aus den Einnahmen
des Jahres 1892 notwendig machte. Ich glaube kaum, dafs die
Gesamtausgabe von 9000 Mk. , welche flir die Jahrhundertfeier
von der Gesellschaft gemacht worden ist, angesichts der erzielten
Erfolge als zu hoch betrachtet werden wird. Man kann sich ein
Bild von den Kosten und der Arbeit, die uns erwuchsen, machen,
wenn man erwägt, dafs etwa siebzig verschiedene Drucksachen
in mehr als 100000 Abzügen versandt worden sind.
Unter jenen 650 Mitgliedern waren Angehörige von 14 Na-
tionen vertreten. Die ßegierungen der verschiedenen Staaten
hatten durch ihre obersten Schulbehörden in freundlichem Sinne
zu der Sache Stellung genommen. Aus dem Königl. Preufs.
Kultusministerium waren die Herren Wirkl. Geh. Oberregierungsrat
Dr. Schneider und Geh. Oberregierungsrat Dr. H ö p f n e r Vor-
standsmitglieder der Gesellschaft geworden *) ; aus dem Erziehungs-
bureau der Vereinigten Staaten war dessen Chef, Herr Dr. W.
T. Harris, beigetreten; aus Österreich hatte der k. k. Ministerial-
rat Ritter v. JireCek in Wien, sowie der Vizepräsident des
Landesschulrats für Ungarn, Herr Prof. Dr. G. Heinrich in
Budapest den Anschlufs bewirkt, aus Italien hatte der Minister
des Unterrichts, Herr Dr. Pasquale Villari, seine Mitwirkung
in Aussicht gestellt, ebenso aus Schweden der vormalige Volks-
schulinspektor Herr Dr. C. J. Meyerberg in Stockholm und
aus Norwegen der Departements-Chef im Kirchen- und Unterrichts-
ministerium, Herr D. F. K n u d s e n. Das Kaiserlich Russische
1) Der Deutsche Reichs-Anzeiger vom 18. März 1892 (Nr. 68)
brachte mit gesperrter Schrift folgende Notiz : „Auf den 28. März d. J. fällt
der 300jährige Geburtstag des Amos Comenius. Die Verdienste dieses
Mannes um das Schulwesen und insbesondere um die Volks-
schule sind so grofs und so allgemein anerkannt, dafs gerade
die Lehrerbildungsanstalten durch eine angemessene Fest-
feier sein Andenken zu ehren berufen sind. Der Minister der
geistlichen etc. Angelegenheiten hat den Königlichen Provinzial-Schul-
kollegien Abschrift einer von dem Königlichen Provinzial-Schulkollegium
zu Breslau an die Seminardirektoren und Präparandenanstalts- Vorsteher der
Provinz Schlesien erlassenen Cirkularverfugung vom 16. Februar d. J. über
die Feier des dOOjährigen Geburtstags des Amos Comenius zur Kenntnis-
nahme und mit der Veranlassung zugehen lassen, bei den ihnen unter-
stellten Lehrer- und Lehrerinnen-Bildungsanstalten etc. auf eine angemessene
Feier dieses Tages hinzuwirken."
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1893, I^ie Comenius-Gesellschaft. 15
Ministerium der Volksaufklärung hat in dem von ihm heraus-
gegebenen Journal im Januar 1892 einen empfehlenden Aufsatz
über die Comenius-Gesellschaft abdrucken lassen. Diesem Beispiel
waren die übrigen deutschen Staaten zum gröfseren Teil ge-
folgt; namentlich hatten aus dem Eönigl. Sachs. Kultusministerium
Herr Geh. Rat Dr. Bornemann und aus Strafsburg der Präsi-
dent des Oberschulrats flir Elsafs-Lothringen Herr Richter seine
Zustimmung zu erkennen gegeben, und die Oberschulbehörden
anderer Staaten (Würtemberg, Baden, S.-Altenburg
u. s. w.) hatten eine thätige Teilnahme an den Tag gelegt.
Um ihre finanzielle Mitwirkung für die Gesellschaft sind bis
heute die Staatsregierungen nicht ersucht worden ; zu den Kosten
der Jahrhundertfeier hat das Königl. Preufs. Kultusministerium
auf Antrag des Festausschusses eine Beihilfe von 500 M. bewilligt.
Es ist dagegen um so eherHoflFnung vorhanden, dafs bezügliche
Gesuche der Gesellschaft einer freundlichen Aufnahme begegnen
werden, je mehr wir auf wissenschaftliche oder gemeinnützige
Leistungen hinzuweisen imstande sind. Wie in den Jahren
1871 und 1872 die Comenius-Stiftung zu Leipzig durch die Regie-
rungen verschiedener Staaten unterstützt worden ist, so wird
in gleicher Weise gewifs auch unser Unternehmen die gleiche
Mitwirkung erfahren.
Auch eine Reihe von Städten, an ihrer Spitze Amsterdam,
Prag, Danzig, Elbing, Lissa und Prerau, bethätigten
vom ersten Augenblick an ihr Interesse durch finanzielle Mit-
wirkung; inzwischen sind weiter beigetreten: Fulnek in Mähren,
Kassel, Leipzig, Mühlhausen in Thüringen, Posen und
Stettin. Es ist nicht zu bezweifeln, dafs weitere Gesuche
weitere Beitritte zur Folge haben werden. Die Stadt Berlin hat
für die Jahrhundertfeier im März 1892 1000 Mk. bewilligt. Die
Städte Halle und Nürnberg haben den Beitritt abgelehnt.
Seit dem Februar 1892, wo, wie bemerkt, die Zahl unserer
Mitglieder 650 betrug, hat sich eine stetige und regelmäfBige
Zunahme vollzogen. Die Zahlen betrugen:
am 15. April 1892: 749 Mitglieder,
„ S.Juni „ 796
„ 12. August „ 856
„ 2. Nov. „ 910
„ 31. Dez. * „ 940
Unter diesen Mitgliedern befanden sich am Schlufs des
Jahres 1892 eine verhältnismäfsig grofse Zahl — etwa 215 —
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16 Keller, Heft 1 u. 2.
körperschaftliche Mitglieder ^ was wir als günstiges Anzeichen
deuten dürfen. Diese Zunahme erfolgte, obwohl natürlich gleich-
zeitig durch Tod, Ausscheiden u. s. w. der übliche Abgang sich
vollzog. Wir haben durch den Tod unter anderen folgende
Mitglieder verloren: Dr. Friedr. Fabri, Univ.-Prof. in Bonn;
Reg.- u. Schulrat Dr, Falkenheiner in Kassel; Dr. Frick,
Direktor der Franckeschen Stiftungen in Halle ; Dr. S. J. H i n g s t ,
Mitglied des obersten Gerichtshofs im Haag; Dr. J. Albert van
Kampen, Gymn.-Prof. in Gotha; Dekan F. Kübel in Efs-
lingen; Redacteur August Lammers in Bremen; Schuldirektor
Bruno Marquart in Dresden; Oberst a. D.Neuland, Berlin;
R. H. Quick, Redhill, England; Reinecke, Stadt- und Kreis-
Schulinspektor, Berlin; Dr. Ed. Robert, Rechtsanwalt, Mascara,
Algier; Pastor W. Teutschländer in Bukarest; Militärober-
pfarrer Dr. Tube in Danzig; Prof. Dr. Weinkauff in Kök;
Dr. jur. Ernst Emil Wendt in London.
Es waren zum Teil ausgezeichnete Männer, Namen von
bestem Klang und zum Teil gerade solche Männer, die den
ersten Anfängen unserer Gesellschaft besonders nahe gestanden
haben.
Die Summe der Einnahmen des Jahres 1892 läfst sich in
dem Augenblick, wo dieser Berictt abgeschlossen wird, noch nicht
genau übersehen. Bis zum 31. Dezember 1892 waren im ganzen
rund 5500 Mk. für 1892 eingegangen; da aber in unseren Rollen
noch eine Anzahl von Mitgliedern verzeichnet steht, deren
Beiträge noch ausstehen, so werden die Einnahmen unter Vor-
aussetzung eines vollständigen Eingangs sich noch um etwa
500 Mk. erhöhen. Von diesen Einnahmen sind, wie oben be-
merkt, etwa 2800 Mk. zur Förderung der Jahrhundertfeier ver-
wandt worden; der Rest ist fUr die VeröflFentlichungen der Ge-
sellschaft und fUr Verwaltungszwecke verwandt worden. Ein
Kassenbericht, der die genaueren Zahlen giebt, soll im März
oder April der ÖflFentlichkeit übergeben werden.
Nachdem zu Ende März 1892 die erste und vornehmste Auf-
gabe der Gesellschaft mit dem Schlufs der Jahrhundertfeier gelöst
war, traten sofort wichtige weitere Aufgaben an uns heran,
nämlich vor allem der Ausbau Unserer Organisation,
die Anknüpfung freundlicher Beziehungen zu ver-
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1893. ^e Comenius-Gesellschaft 17
wandten Bestrebungen und der Beginn unserer Ver-
öffentlichungen.
Wenn auch zu Beginn des Jahres 1892 die allgemeinen Ziel-
punkte und die Mittel, um sie zu erreichen, durch die mit dem
Aufruf versandten Vereinbarungen festlagen, so blieben
doch im einzelnen noch vielerlei nähere Bestimmungen notwendig.
Diese wurden in den Satzungen gegeben, die im März 1892 ent-
worfen und durch Beschlufs des Gesamtvorstands mit dem
1. April 1892 vorläufig in Kraft gesetzt wurden*). Von un-
mittelbar praktischer Bedeutung wurden von den neuen Anord-
nungen, die sie enthalten, zunächst diejenigen, welche über die
Zweiggesellschaften (Abteilungen) und über die Landes-
und Ortspflegschaften handelten (§§ 16—28). Wenige
Monate, nachdem die Satzungen in Kraft getreten waren, wurde
die erste Zweiggesellschaft zu Amsterdam unter dem Vorsitz
von Herrn Dr. Rogge, ordentlichem Professor der allgemeinen
Geschichte an der dortigen Universität, ins Leben gerufen und
ihr unter dem 6. November 1892 ein Gründungspatent verliehen.
Gleichzeitig wurden in Gemäfsheit der §§ 28 und 29 der
Satzungen in etwa fünfzig Städten Landes- und Ortspflegschaften
eingerichtet und Bevollmächtigte der Gesellschaft ernannt.
Die Namen der Herren werden wir durch die „Mitteilungen"
veröflFentlichen. Die Geschäftsordnung, welche für die Bevoll-
mächtigten entworfen worden ist, nat im Oktober 1892 die Zu-
stimmung des Gesamtvorstandes gefunden. Die wichtigsten Be-
stimmungen derselben sind diejenigen, welche auf die Ein-
richtung von Comeni US-Kränzchen abzielen.
Einen besonders wichtigen Fortschritt unserer Organisation
bezeichnet die „Geschäftsordnung für den Gesamtvor-
stand der C.-G.", die im dritten Heft unserer Monatshefte vom
Jahre 1892 (Geschäftl. Teil, S. 63 ff.) veröflfentlicht worden ist.
Durch die Bestimmungen derselben sind sowohl die wissen-
schafdichen, wie die gemeinnützigen Ziele klarer umschrieben
worden. In letzterer Beziehung heilst es in § 4, Absatz 2:
„Zum Zweck gemeinnütziger Bethätigung kann der
Vorstand in gröfseren Orten unter Mitwirkung der hier-
') Abgedruckt in den Monatsheften der C.-G., Heft 1, Geschäftl. Teil,
S. 11 ff.
Monatflhefte der Comenios-OeteUsohaft. 1898. 2
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18 Keller, Heft 1 u. 2.
für geeigneten Gesellschaftsorgane Einrichtungen treflFen,
welche! solchen Personen die wissenschaftliche Weiter-
bildung erleichtern, die eine Hochschule nicht haben be-
suchen können oder die ihre akademischen Studien bereits
beendigt haben und auf diese Weise durch feste Vor-
trags-Cyklen für Bildungspflege und Volkserziehung
wirken. Nähere Bestimmungen bleiben vorbehalten."
Es wird eine der Aufgaben des Gesamtvorstandes sein, die
Schritte zu erwägen, die unter Mitwirkung der Herren Bevoll-
mächtigten und der Comenius-Eränzchen in der angedeuteten
Richtung etwa geschehen könnten.
In Sachen der wissenschaftlichen Unternehmungen und ihrer
Lösung ist die Bildung von Sektionen, welche die Geschäfts-
ordnung ins Auge fafst, von Wichtigkeit (§ 22 ff.). Da diese
Sektionen selbständige Einnahmen haben und selbständige Aus-
gaben machen können, so ist die Möglichkeit geboten, dafs sie
bestimmte Forschungsgebiete — ich erinnere z. B. an die Ge-
schichte bestimmter Religionsgemeinschaften oder bestimmter
Persönlichkeiten — selbständig in Angriff nehmen, sofern gerade
für solche Gebiete bei Patronen und Gönnern unserer Gesellschaft
besonderes Interesse vorhanden ist und besondere Mittel flüssig
gemacht werden. Es sind einstweilen vier Sektionen ins Auge
gefafst:
A. eine philosophisch-historische Sektion,
B. eine theologisch-historische Sektion,
C. eine Sektion für Erziehungslehre und Schulgeschichte,
D. eine Sektion flir Volkserziehung und Bildungspflege.
Die Sektion A umfafst auch die Geschichte der sog. exakten
Wissenschaften, der Staats- und Rechtsphilosophie und der Ge-
sellschaftslehre; die Sektion D auch die Volkssprachen.
Mit der Bildung der Sektionen soll im Herbst 1893 der An-
fang gemacht werden.
Der Aufruf zur Jahrhundertfeier und die Einladung zur
Teilnahme an unserer Gesellschaft war seit dem Juni 1891 ohne
Unterschied der Nation und Konfession an solche Körperschaften
und Personen gesandt worden, bei denen wir einiges Interesse
voraussetzen konnten. Es war natürlich, dafs unsere Pläne dort
lebhaftere, hier geringere und anderwärts gar keinen Wiederhall
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1893. I^ie Comeniua-GeBelUchaft. 19
fanden und aus den Rückäufserungen, die in unsere Hände ge*
langten^ liefs sich über die betreffenden Kreise ein einigermafsen
sicheres Urteil gewinnen. Es mufs dabei hervorgehoben werden,
dafs sich diese Kreise nicht in erster Linie nach der Kon-
fession, sondern nach dem Beruf schieden. Die Männer, die
durch ihre wissenschaftliche oder praktische Thätigkeit auf dem
Gebiet der Erziehung mit den Grundsätzen des Comenius be-
kannt geworden waren, bethätigten bald und vielseitig ihre
Teilnahme, gleichviel ob sie katholisch oder evangelisch waren;
ebenso waren die österreichischen und besonders die böhmisch-
mährischen Landsleute des ComeniuS; gleichviel, ob reformiert,
lutherisch, katholisch oder freigeistig, warme und eifrige Parteigänger.
Auch die Vertreter aller gemeinnützigen Bestrebungen,
die in Comenius einen ihrer Vorkämpfer erkannten, wie die
Bildungsvereine, Schulvereine, Sprachvereine,
femer die zahlreichen und gut organisierten Anhänger Fr ob eis
und Herbarts, die Freunde Krauses, der Verein für
Knabenhandarbeit u. s. w. nahmen eine freundliche Stel-
lung zu unseren Bestrebungen ein und führten uns manche
Mitglieder zu. Besonders rührig zeigten sich die Lehrer-
vereine, von welchen gegenwärtig schon gegen 60 der Gesell-
schaft angehören.
Erfreulich mufste es auch für den Gesamtvorstand sein,
dafs eine gröfsere Zahl angesehener Geschichtsvereine in
richtiger Würdigung der wissenschaftlichen Bestrebungen unserer
Gesellschaft, zum Theil aus eigener Veranlassung, zum Teil auf
Anfrage sich in freundliche Beziehungen zu uns setzten.
Von den gröfseren Vereinen, mit welchen unsere Gesellschaft
schon jetzt in freundnachbarliche Beziehungen getreten ist, nenne
ich aufserdem dieGesellschaft für deutsche Erziehungs-
und Schulgeschichte, den „Verein für wissenschaft-
liche Pädagogik", die „Gesellschaft für Verbreitung
von Volksbildung", den „Verein für Volkserziehung"
in Augsburg; mit anderen Vereinen schweben Verhandlungen.
Der interkonfessionelle Charakter unseres Unternehmens trat darin
klar zu Tage, dafs keines von unseren 215 körperschaftlichen
Mitgliedern (mit einer einzigen Ausnahme) gefragt hat, ob und
eventuell welchen kirchlichen Charakter die Gesellschaft trage *).
') Man hat es unserer Gesellschaft zum Vorwurf gemacht, dafs auch.
2*
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20 KeUer, Heft 1 u. 2.
Andererseits zeigte es sich allerdings bald, dafs Comenius
einer Religionsgemeinschaft angehört hatte, die, wie G. A. Lind-
ner in seiner Lebensbeschreibung sagt*), „nicht katholisch, nicht
protestantisch, nicht reformiert, sondern einfach christlich
war", und dafs es unter allen Konfessionen auch heute noch
Viele giebt, die für diesen Standpunkt Verständnis und Sym-
pathie besitzen.
Eine Art gemeinsamer Teilnahme von seiten bestimmter
Religionsgemeinschaften konnte der Natur der Sache nach nur
so weit zu Tage treten, als deren Überlieferungen sich in dem
einen oder andern Sinn mit denjenigen der böhmischen Brtlder
und ihres letzten Bischofs berührten; dazu gehörten vor allem
die Reformierten, sofern sie nicht strenge Calvinisten waren,
und die Brüdergemeinde. Die Reste der böhmischen Brüder
hatten sich nach Auflösung der Unität zum gröfseren Teil den
Reformierten angeschlossen, denen sie sich von je innerlich am
verwandtesten gefühlt hatten, und die in vielen Ländern weit-
herzig genug waren , um den Brüdern in ihren Gemeinden auch
dann Aufnahme zu gewähren, wenn diese die Anerkennung
streng calvinistischer Grundsätze ablehnten. Comenius selbst
hatte seine wissenschaftliche und theologische Ausbildung an den
reformierten Hochschulen Herbom und Heidelberg er-
worben und seine letzte Ruhestätte in einer reformierten Kirche
(zu Naarden) gefunden, und so war es ganz erklärlich, wenn manche
reformierte Geistliche sich berechtigt hielten, auch innerhalb
ihrerKirche der Jahrhundertfeier ftlr den Bischof der glaubens-
verwandten Brüder zu gedenken und den Anschlufs ihrer Gemein-
den an die Gesellschaft zu bewirken. Was bei den Reformierten
vielfach geschah, das wurde innerhalb der Brüdergemeinde aller-
orten vollzogen: ein lebhaftes Geftlhl der Zusammengehörigkeit
mit den älteren böhmischen Brüdern brach sich Bahn, und eine
Grofs logen und Logen unter ihren Mitgliedern seien. Die That-
Sache ist richtig; aber es ist nicht ahzuseben, inwiefern daraus für die
Gesellschaft eine Benachteiligung erwachsen soll. Diese Befürchtung
fiiefst, wie es scheint, aus einer Beurteilung der Freimaurer, die
Comenius in einen Gegensatz zu diesen stellt. Wie weit ein solches
Urteil zutriflft, kann hier ununtersucht bleiben. Wir glauben nicht, dafs
der Anschlufs von Grofslogen und Logen erfolgt sein würde, wenn es richtig
w&re.
*) G. A. Lindner, Joh. Arnos Comenius, sein Leben und Wirken.
Neu herausgegeben von Bötticher. Wien 1892, Pichler. Vorwort.
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1893. I^ie Comenius-Gesellschaft 21
rege Teilnahme wurde von allen Gemeinden an dem Jubiläums-
tage in und aufserhalb der Kirchen bekundet, während allerdings
nur die Unität als solche, nicht aber einzelne Gemeinden, der
Comenius-Gesellschaft beitrat
Auch darf nicht unerwähnt bleiben, dafs die deutschen Men-
no niten, die italienischen Waldenser und die hollän-
dischen Remonstranten sich der Thatsache erinnerten, dafs
in früheren Jahrhunderten engere Bande als in spätei'en Zeiten
zwischen den ,,Brüdern" in Böhmen und denjenigen in Italien,
der Schweiz und in Holland vorhanden gewesen waren, und da
unsere Vereinbarungen ausdrücklich versprachen, dafs die zu
gründende Gesellschaft auch die ältere und älteste Geschichte
pflegen wollte, war es natürlich, dafs von dieser Seite uns gleich-
falls Teilnahme bewiesen ward. Die Jahrhundertfeier und das
Zusammenwirken in unserer Geselbchaft haben in allen diesen,
durch ungünstige geschichtliche Entwicklungen getrennten Gemein-
schaften das Bewufstsein verwandten Ursprungs, ver-
wandter Grundsätze und verwandter Aufgaben offen-
bar gekräftigt, und vielleicht wird die gemeinsame Arbeit
diese Wirkungen noch verstärken und vertiefen.
Wenn wir nun schliefslich unseren Blick auf die VeTr offen t-
lichungen richten, welche von der Gesellschaft seit ihrem Be-
stehen veranlaist worden sind, so wäre es unbillig, wenn man
dazu nur die Monatshefte zählen wollte.
Wir lassen den Aufruf, der in 20 000 Exemplaren in
deutscher, französischer, englischer, tschechischer und unga-
rischer Sprache verbreitet worden ist, in dieser Beziehung auf
sich beruhen; aber die Rundschreiben, Protokolle und
Berichte, welche der Verwaltungsausschufs nach imd nach
veröflFentlicht hat, dürfen doch deshalb nicht übergangen werden,
weil sie keineswegs blofs geschäftliche, sondern zum Teil wichtige
grundsätzliche Fragen betrafen. Sie haben eine Reihe von Ver-
öffentiichungen mittelbar veranlafst, die auch insofern als
unsere Publikationen gelten dürfen, als sie von Mitgliedern
der Gesellschaft verfafst und zum Teil auf Kosten der Gesellschaft
in gröfserer Zahl verbreitet worden sind.
Hierher gehören eine Anzahl von Abhandlungen und Vor-
trägen über Comenius, die in der Litteraturübersicht von Heft 4
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22 Keller, Heft 1 u. 2.
S. 295 ff. des Jahrg. 1892 unserer Monatshefte mit aufgeführt wor-
den sind. Hierher gehören femer die beiden Festspiele von
Paul Risch, Comenius in Lissa (Verlag von G. W. Ltider, Ber-
lin, Prinzenstrafse 42) und von Georg Fritze (Frankfurt a./0.
in Komm, bei G. Hamecker & Co.), sowie die Festgedichte,
welche durch das Preisausschreiben unserer Gesellschaft
vom 14. Januar 1892 ins Leben gerufen worden sind.
Die ^wissenschaftlichen Publikationen der Gesellschaft wurden
dann im März 1892 mit dem ersten Jahrgang der „Monats-
hefte der Comenius-Gesellschaft" eröflFhet, und jetzt
liegt davon der erste Jahrgang als Band von 25 Bogen
(Lexikon-Oktav) vor. Wenn wir uns im Jahre des Jubiläums
vorwiegend mit der Person und den Werken des Comenius be-
schäftigt haben, so lag das in den Verhältnissen begründet; dafs
wir nicht populäre, sondern wissenschaftliche Aufsätze ge-
bracht haben, ist uns , wie mehrfache Zuschriften ergeben haben,
verdacht worden; wir werden in Zukunft das Arbeitsgebiet im
Sinne unseres Arbeitsplanes erweitern, aber unseren Monats-
heften den wissenschaftlichen Charakter bewahren und den Be-
dürfnissen weiterer Kreise durch die Herausgabe von Mit-
teilungen der Comenius-Gesellschaft entgegenkommen.
Der Beschlufs des Gesamtvorstandes vom 19. November,
welcher diese Erweiterung unserer Veröffentlichungen ermöglicht
hat, beweist, dafs wir in jeder Weise bemüht sind, den Anforde-
rungen zu entsprechen, welche billigerweise gestellt werden
können. Wir bitten unsere Mitglieder, auch ihrerseits eine thätige
Mitarbeit eintreten zu lassen.
Die Urteile, welche in der Presse sowohl über die Gesell-
schaft wie über die Monatshefte laut geworden sind, waren bis-
her durchweg in freundlichem Sinne gehalten. Wir halten es
nicht ftar angemessen, durch Abdruck solcher Urteile unseren
Bemühungen einen Hintergrund zu geben.
Jedenfalls steht es fest, dafs auch solche Männer, die der
Gesellschaft einstweilen nicht angehören, wie z. B. Professor
0. Willmann in Prag, sich in sympathischer Weise über die bis-
herigen Veröffentlichungen der Gesellschaft geäufsert haben.
Bei Unternehmungen, wie das unsere es ist, hat die Gesell-
schaftsleitung vor allem die Pflicht, ihre ersten Schritte vorsichtig
zu setzen. Es kann nicht darauf ankommen, binnen zweier
Jahre blendende Erfolge zu erzielen, sondern das Bestreben mufs
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1893. ^iö ComeniuB-Gesellschaft. 23
dahin gehen, eine Grundlage zu schaffen, auf der allmählich
weitergebaut werden kann. Es ist leicht, gerade auf unserem
Arbeitsfeld, das mit religiös-philosophischen Fragen sich nahe be-
rührt, starke Leidenschaften zu wecken; aber es ist schwierig,
eine leistungsfähige Organisation unter Wahrung eines einmütigen
Handelns ins Leben zu rufen, zumal wenn der Kreis der Mit-
glieder rasch einen Umfang erreicht, wie es bei uns bereits der
Fall ist. Bisher ist es gelungen, die Auffrischung vergangener
und die Fortsetzung bestehender Gegensätze zu vermeiden, und
wir betrachten es als unsere wichtigste Aufgabe, auch ferner die
glückliche Stimmung der verflossenen Gesellschaftsjahre fort-
zusetzen und jede Störung des Einvernehmens hintanzuhalten.
Keiner Gesellschaft pflegen die Kinderkrankheiten erspart
zu bleiben, und wir rechnen gleichfalls auf solche. Aber es ist
für solche Fälle doch wichtig, wenn die Kinder mit einer guten
Konstitution zur Welt gekommen sind. Wenn Zwischenfillle ein-
treten, so wird an den Tag kommen, dafs wir seit 1890 nicht
ohne Vorbedacht einen grofsen Teil unserer verfügbaren Kräfte
auf die Organisationsfragen und deren Austragung verwandt
haben , und dafs die bisherige Einmütigkeit einen starken Rück-
halt gegenüber störenden Kräften darbietet. Dieser Erfolg ist
wichtiger als einige Bände von Publikationen, die wir in der
gleichen Zeit mit geringeren Opfern an Arbeit und Geldmitteln
hätten herstellen können.
Die Gesellschaft findet auf dem Gebiet, auf dem sie sich
gemäfs ihrem Arbeitsplan zunächst zu bethätigen beabsichtigt,
ein weites, wenig angebautes Feld vor. Comenius steht mit
Baco und Leibniz an der Schwelle des Zeitalters, mit welchem
die neuere Entwicklung der Wissenschaften begonnen
hat, jener Entwicklung, die im Gegensatz zur mittelalterlichen
Weltanschauung mehr auf die Erkenntnis des Seienden als' des
Übersinnlichen, mehr auf das Wesen der Natur als auf das Über-
natürliche gerichtet war.
Diese Geistesrichtung, die im eigentlichsten Sinne die Neu-
zeit eingeleitet hat, hat in manchen ihrer späteren Vertreter die
Neigung gezeigt, die Klräfte des Gemüts, wie sie sich in der
Religion bethätigen , zu unterschätzen und insbesondere die
christliche Religion nur nach den Lehren zu beurteilen, wie sie
in den Bekenntnissen der verschiedenen Kirchen formuliert worden
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24 Keller, Heft 1 u. 2.
waren. Indem sie damit in eine ähnliche Einseitigkeit verfielen,
wie sie die Träger der mittelalterlichen Weltanschauung gegen-
über dem Naturerkennen und den Erfahrungswissenschaften an
den Tag legten, haben sie viele und wichtige BIräfte des Menschen-
lebens in ihrer Wirkung unterschätzt und ihren Gegnern starke
Waffen in die Hand g^eben.
Es ist von der gröfsten Wichtigkeit, festzustellen, dafs die
Männer, auf die die neuere Geistesrichtung sich mit Recht als
ihre Bahnbrecher beruft, den späteren Nachfolgern hierin nicht
vorangegangen sind. Diese Männer wufsten wohl, dafs auch
solche Dinge , die sich mehr dem Gemüt des Menschen als dem
Verstände erschliefsen und sich als Forderungen des Gefühls
aufdrängen, im Leben der Völker eine grofse Bedeutung gewinnen
und für den Einzelnen die gleiche Gewifsheit wie irgend welche
Sätze der Erfahrung erlangen können.
In dem Umfang, in dem es gelingt, das Andenken und den
Geist von Baco, Comenius und Leibniz wieder zu beleben, werden
die Errungenschaften der modernen Wissenschaften vor den Ge-
fahren gesichert sein, welche ihnen von denjenigen Mächten
drohen, die den scholastischen Wissenschaftsbetrieb heute wie ehe-
mals als allein gültig ansehen, und deren Vertreter sich vor-
läufig nur als zurückgedrängt, aber nicht als überwunden be-
trachten.
Aber hiermit ist das Arbeitsgebiet der Gesellschaft nicht er-
schöpft: es erstreckt sich vielmehr auf alle verwandten geistigen
Strömungen, die seit vielen Jahrhunderten vorhanden waren, und die
bald in kirchlichen Nebenströmungen, bald in wissenschaftlichen
Schulen und Gesellschaften nach äufserer Gestaltung und Geltend-
machung rangen. An dem System, dessen Erforschung wir beab-
sichtigen, haben seit den altchristlichen Zeiten unzählige Geschlechter
gebaut und gearbeitet — die Einzelnen wie die Menschheit mit
ihreü Plänen umspannend. Wie für jede Geistesrichtung hat es
auch für sie Zeiten der Blüte wie des Verfalls gegeben, aber nie-
mals ist sie gänzlich verschwunden, und trotz schwerer Kämpfe
haben ihre Ideen sich von Jahrhundert zu Jahrhundert mächtiger
und mächtiger entfaltet.
Wir haben die Männer, die wir zu den vornehmsten Trägem
dieser Strömungen zählen, in dem Rundschreiben des Verwaltungs-
ausschusses vom 23. Juli 1892 namhaft gemacht^) und können
») Abgedruckt in den Monatsheften der C.-G., Geschäftl. Teil S. 71 ff.
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1893. ^le ComeDius-GkselUchaft. 25
daher hier darauf verweisen. Dort sind auch die wesentlichen
Charakterztige, die "bei Allen wiederkehren, kurz geschildert
Sowohl die Vertreter der sogenannten älteren deutschen Mystik
wie Tau 1er und Eck hart und die sogenannten Neuplatoniker
des Humanismus, wie die sogenannten Naturphilosophen des
siebzehnten Jahrhunderts und der ältere Pietismus Arndts und
Speners, wie endlich die Vorkämpfer der sogen. Aufklärung
von Thomasius bis Schleiermacher sind beherrscht von
dem Streben, eine über dem Streit der Nationen und Kirchen
stehende christliche Denkweise auf der Grundlage echter Huma-
nität zur Geltung zu bringen, und sie sind einig in der Über-
zeugung, daCs dies Ziel vor allem durch die freie Bew^ung der
Wissenschaft und auf dem Wege einer naturgemäßen Volks -
erziehung erreicht werden müsse. Daher kehrt die Vorliebe
des Comenius für die Erziehungslehre bei allen gleichmäfsig
wieder ; aber auch seine Betonung der Mutterspracheab Mittel
zur Hebung der Volksbildung, seine Hinneigung zu den exak-
ten Wissenschaften und endlich der Grundsatz, dafs alles
Wissen auf das Leben zu beziehen sei, treten bei allen in
gleicher Bestimmtheit hervor. Daher sind in den Reihen dieser
Männer die Bahnbrecher der Erziehungslehre und die Begründer
der exakten Wissenschaften zu suchen, und wenn unsere Mathe-
matiker, Astronomen, Botaniker und Chemiker nach
den Männern forschen, die ihre Wissenschaften von den antiken
Überlieferungen und der scholastischen Methode befreit haben,
so begegnen sie eben den Richtungen, in deren Geist unsere
Gesellschaft ihre Aufgabe zu lösen entschlossen ist.
In einer Zeit, wo für die geistigen Errungenschaften jener
Männer von mehr als einer Seite ernste Gefahren heraufziehen,
schien es wünschenswert, diejenigen unter sich in Beziehung zu
setzen, die sich mit den geschilderten älteren Richtungen noch
heute eins wissen. Die Anregung, die wir in diesem Sinne ge-
geben haben, ist bisher auf fruchtbaren Boden gefallen.
Aber wenn wir imstande sein wollen, in die Entwicklung
des wissenschaftlichen und thätigen Lebens selbständig ein-
zugreifen, dürfen wir uns bei den bisherigen Erfolgen nicht be-
ruhigen. Wir haben, nachdem der allgemeine Rahmen für unser
Unternehmen nunmehr geschaffen ist, den Wunsch, den Ausbau
des Ganzen durch die Schaffung örtlicher Organisationen
zu vervollständigen. Wir bitten daher unsere Mitglieder wie
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26 Keller, Die ComeniuB-Gresellschaft Heft 1 u. 2.
unsere Freunde, auf diesen Punkt ihre Thätigkeit zu richten.
Die Einrichtung der Abteilungsmitglieder, wie sie oben
geschildert ist, erleichtert den Anschlufs unter den bescheidensten
Opfern.
Wir waren und sind uns der Schwierigkeiten, auf die bei
dem vorhandenen Wettbewerb jede neue Gesellschaftsbildung
stofsen mufs, vollauf bewufst Indessen finden wir die Berech-
tigung zu unserem Vorgehen darin, dafs wir ein Unternehmen
vertreten, das im Gegensatze zu den zahllosen Fachvereinen den
ganzen Menschen zu erfassen geeignet ist Unsere Gesell-
schaft kann, da sie von ihrer Thätigkeit und ihren Versammlungen
keine Wissenschaft und keine Kunst ausschliefst, die zur Bildung
des Geistes und des Charakters oder zur Pflege des Gemüts
dienen kann, gegen die Zersplitterung, an welcher unser
Vereinswesen krankt, ein Gegengewicht bilden. Wir wollen
und können weder mit den bestehenden wissenschaftlichen
und gemeinnützigen . Vereinen, noch mit den Lehrer-
vereinen, Bild ungs vereinen. Schulvereinen, Sprach-
vereinen u. s. w. in Wettbewerb treten, wohl aber kann unsere
Gesellschaft der Boden werden, auf welchem sich die Vertreter
der Fach vereine zu gemeinsamem Vorgehen berühren. Auch
werden die Vorteile des grofsen, viele Länder umfassenden
Zusammenhangs denjenigen bald zum Bewufstsein kommen, die
sich zum Beitritt entschliefsen.
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Ein Friedensspruch.
Dargestellt von
Dr. M. A. N. Bovers (in Holland).
In seiner interessanten Abhandlung : Dieinterkonfessio-
neUen Friedensideale des Johann Arnos Comenius
(Monatshefte der C.-G. 1892, Heft 2) benutzt Karl Mämpel die
berühmte Schrift des Comenius „ünum necessarium**.
Im achten Elapitel derselben heifst es: „Summa concordiae
Christianorum lex est trina: servare in Omnibus necessariis uni-
tatem, in minus necessariis libertatem, in omnibus erga omnes
caritatem."
Woher dieser Wahlspruch ? Lange hat man vergebens nach
seinem Urheber gesucht
Im Jahre 1847 hielt der berühmte holländische Professor
der Remonstranten, des Amorie van der Hoeven, einen Vortrag,
der grofsen Beifall erregte. Aus demselben citiere ich folgende
Zeilen: „Einheit im Notwendigen, Freiheit im Zweifelhaften,
das sind die beiden Säulen, die am Eingange des Gottesgebäudes
stehen, dessen Grundstein Christus ist: das Gesims, welches beide
Pfeiler verbindet, ist die Liebe. In Allem die Liebe. Ein
Spruch, so inhaltsschwer, so ausdrucksvoll, der in wenig Worten
die Auflösung des grofsen Fragesttickes giebt, wie der Friede in
der Kirche, die Vereinigung der geteilten Christenheit zu stände
kommen soll? — ein Spruch, wert in Marmor gemeifselt, oder
besser, in alle Christenherzen graviert zu werden, würde der
bei uns nicht die Sehnsucht erregen , den klaren Kopf imd das
edele Herz desjenigen kennen zu lernen, aus welchen er hervor-
gegangen jst?"
Freilich, der Redner selbst war zu der traurigen Folgerung
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28 Rogers, Heft 1 u. 2.
gekommcD, dafs der Spruch ein Findling sei und bleibe. Trotz-
dem aber äufserte er den Wunsch, ein wissenschaftlicher Verein
möge einen Preis ausschreiben für denjenigen, dem es gelingen
würde, den rechten Vater zu entdecken.
Lange meinten die Gelehrten, den Autor des hochgepriesenen
Wahlspruches müsse man im christlichen Altertum suchen.
Ziemlich allgemein erkannte man den Kirchenvater Augustinus
als den Urheber desselben an. Allein in dessen zahlreichen
Schriften suchte man vergebens danach *). Auch wurde Augusti-
nus' jüngerer Zeitgenosse und Bekämpfer, Vincentius von Leri-
mum, von dem der bekannte Spruch herrührt: „wir müssen
festhalten an dem, was überall, immer und vpn allen geglaubt
worden ist**, genannt*). Aber auch diese Behauptimg stellte sich
als unrichtig heraus*), gleichwie die Meinung derer, welche dem
Episcopius, dem ersten Professor am Seminar der Remonstranten
in Amsterdam, die Vaterschaft des Spruches zuschrieben, der die
geliebte Losung vieler Remonstranten geworden ist*).
Dem Dr. Friedrich Lücke, dem bekannten Theologen in
Deutschland, gebührt die Ehre, den Autor des Wahlspruches,
nach dem man so lange vergebens gesucht, entdeckt zu haben ^).
Nach ihm soll es Rupertus Meldenius sein, der sich um das Jahr
1625 in seiner „Mahnung zum Kirchenfrieden** an seine Mit-
bekenner der Augsburger Konfession richtete*). Es wird uns
>) Vergl. Prof. Kist in „Kerkelijk Archief*, X, S. 358.
') U. a. von Dr. H. Thiersch in ^Vorlesungen über Katholicismus und
Protestantismus", 1846, I, S. 176.
■) Vincentius* Commonitorium wurde von van der Hoeven wieder-
holt gelesen, aber nirgendwo hatte er den Spruch „In necessariis nnitas"
gefunden (a. a. 0. S. 4 ff.).
*) Vergl. Joannes Tidemann in „De Remonstranten en het Re-
monstrantisme". Auch wurde Georg Calixtus genannt Dafs der
Spruch in einem der Werke des irenischen Theologen Hermann Witsius,
der zuerst Professor in Franeker, nachher in Utrecht und Leiden war, vor-
konmien sollte, ist allerdings nicht unmöglich.
*)Über das Zeitalter, den Verfasser und die wahre Be-
deutung des kirchlichen Friedensspruches: „In necessariis unitas,
in dubiis libertas, in omnibus Caritas^, 1851. Seine Gründe waren f&r
Viele nicht überzeugend, u. a. nicht für Friedrich Böhringer, der noch im
Jahre 1878 den Spruch dem Augustinus zuschrieb. (Vergl. Aurelius
Augu stinus, S. 420.) Oder hat er etwa die Schrift Lückes nicht gekannt?
•) Paraenesis votiva pro pace ecclesiae ad Theologos
Augustanae Confessionis.
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1893. Ein Friedensspruch. 29
in diesem Büchlein eine nichts weniger als erquickliche Skizze
gegeben von den Lutheranern und ihren Theologen. Sie werden
aufgefordert, nach „Liebe** zu streben, „verbunden mit frommer
Vorsicht und ungeheuchelter Demut". Wenn wir — so lautet
Meldenius' Ansicht — im Notwendigen die Einheit, im Nicht-
notwendigen die Freiheit, in Allem die Liebe behaupteten, wie
viel besser würde es sich dann mit den Christen verhalten ! Jetzt
wird sogar der wegen seiner Frömmigkeit bekannte Johannes
Amd, der Autor der „Vier Bücher vom wahren Christentum**,
verketzert! Anstatt der Spur Christi folgen die Ketzerjäger dem
Wege Bileams! Lafst uns lieber die Zahl der flir alle verbin-
lichen Glaubensartikel einschränken als auf die Differenzen in
den Eärchen zu achten! Nur im Notwendigen ist die Ein-
heit eine Forderung.
Aber was gehörte dazu? Nicht ohne Verwunderung lesen
wir, dafs unser friedlicher Theologe von jedermann fordert
als etwas Unentbehrliches für die Seligkeit: a) dasjenige, was
mit Sicherheit aus deutlichen Zeugnissen der heiligen Schrift ge-
folgert werden kann; b) diejenigen Dogmen, welche auf kirch-
lichen Concilien festgesetzt und in symbolische Bücher aufge-
nommen sind; c) die Lehrsätze, welche einstimmig von allen
rechtgläubigen Theologen anerkannt werden.
Unter das Nicht notwendige oder Zweifelhafte zählt
Meldenius: a) dasjenige, was in der Schrift nicht deutlich gelehrt
wird; b) Dogmen, über welche ältere Theologen keine be-
stimmte Überzeugung ausgesprochen haben; c) das, was zur
Beförderung der Liebe, der Frömmigkeit und der Erbauung
nicht dienlich sein kann.
Ein jeder wird der Meinung sein, dafs die Klarheit in diesen
Sätzen zu wünschen übrig läfst. Wem z. B. ist es einleuchtend,
was in der Schrift deutlich und was darin undeutlich ge-
lehrt wird? Derjenige, welchem nach diesem der Ehrenname
eines orthodoxen Theologen gebührte, würde von jenem bisweilen
verketzert werden. Über alles, was zur Erbauung und Beför-
derung der Frömmigkeit gehört, hat laut der Geschichte schon
öfter Meinungsverschiedenheit bestanden. Und diejenigen, die
keine Fremden in der Elirchengeschichte sind, werden sich er-
innern, dals die eine Kirchenversammlung nicht selten abgebrochen,
was die andere aufgebaut hatte; dafs die Einstimmigkeit der
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30 Rovers, Heft 1 u. 2.
symbolischen Bücher oft zu wünschen übrig Hefs. Und welche
sind am Ende diese altem Theologen , deren Aussprüche als
Autoritäten anerkannt werden müssen? Gehören sie zu den drei,
vier oder ftinf ersten Jahrhunderten? Oder können z. B. die-
jenigen aus dem achten Jahrhundert auch etwa mitgezählt
werden ?
Es ist klar: unter denjenigen, die früher oder später, sogar
noch in unserer Zeit, den Wahlspruch mit Freude begrüfsten,
haben die meisten nicht gewufst, was Meldenius unter den ne-
cessaria verstand. Würde sonst der obengenannte Professor
der Remonstranten geschrieben haben: „Die in unserm Spruch
empfohlene Toleranz ist eine Frucht eines höheren Geistes. Sie
wird durch die christliche Liebe gezogen, welche das ganze
Leben des Christen, sein Denken, Sprechen, Fühlen, Handeln
beseelen und veredeln soll. Der Spruch verurteilt nicht blofs
allen Formelzwang, sondern überzeugt auch von der Überflüssig-
keit und Schädlichkeit aller Formeln oder festgesetzten Lehrsätze.
Aus der römischen Petruskirche und der protestantischen Paulus-
kirche wird sich die Evangelisch-katholische Johanniskirche ent-
wickeln. Sie wird mit der Überschrift geschmückt sein:
„Einheit im Notwendigen,
Freiheit im Zweifelhaften,
In Allem die Liebe!"*)
Seit dem 16. Jahrhundert bis auf unsere Zeit hat es nicht
an Versuchen gefehlt, Katholiken und Protestanten, Lutheraner
und Reformierte in einer Kirche zusammen zu bringen und zu
vereinigen. Es werden sich viele solcher friedfertigen Vorschläge
erinnern, wenn sie die Namen Cassander, Calixtus, Leibniz,
Bossuet, König Friedrich Wilhelm III. von Preufsen nennen
hören. Die Wahlsprüche aber, deren man sich bediente, waren
gerade so schwebend und unbestimmt, wie das Notwendige
und das Nicht-Notwendige. Ein paar Beispiele mögen ge-
nügen. Vor allem hiefs es, man müfste Abfall und Ab-
weichung von der ursprünglichen Lehre wohl unterscheiden,
letztere würde keine Veranlassung zur Trennung sein ! Funda-
mentale und nichtfundamentale Glaubensartikel dürften
ja nicht miteinander verwechselt werden. Wenn nur das W e s e n t -
1) a. a. 0. S. 23, 32, 40.
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1893. Ein Friedensspruch. 31
liehe bewahrt bliebe, könne das Gleichgültige, das keinen
Einfluüs aufs Leben ausübte, aufgegeben werden. Zwischen den
Beschlüssen den allgemeinen Kirchenversammlungen der ftlnf ersten
und jenen der folgenden Jahrhunderte liege eine grofse Kluft:
erstere seien bindend, während man den letzteren keine Auto-
rität zuerkannte.
Aber genug hierüber. Diese und ähnliche Versuche, um zu
vereinigen, was getrennt war, wie gut die Absicht auch sein
mochte, mufsten wegen ihrer Halbheit scheitern. Doch kann
man die Urheber, die zur Versöhnung mahnten, mit Recht die
Wegbereiter einer besseren Zeit nennen, die das Wesen
der Religion in etwas Besserem erkannten als in irgend einem
Bekenntnis einer gemeinschaftlichen Lehre.
Einen Augenblick müssen wir die Aufinerksamkeit auf eine
Schrift richten, deren Verfasser J. v. DöUinger, der grofse Theo-
loge der katholischen Kirche, ist^). Wenn auch nach Döllinger
eine Verbindung zwischen der (seit so vielen Jahrhunderten ge-
trennten Kirche des Ostens und des Westens infolge der Unfehl-
barkeitserklärung des Papstes eine Unmöglichkeit ist, so brauchen
wir deshalb die HoflFnung auf eine Union zwischen Katholiken
und einem Teile der Protestanten nicht aufzugeben. Einzelne
Zeichen der Zeit geben nach Döllinger das Recht zu dieser Er-
wartung. Der Unterschied in den Dogmen ist nicht so grofs,
wie man sich das so gewöhnlich denkt. Denn die Mutterkirche
erkennt alle diejenigen als ihre Mitglieder an, die das Sakrament
der Taufe empfangen haben, und wenn sie sich auch durch Un-
wissenheit oder Irrtum von ihrer sichtbaren Gemeinschaft ent-
fernt haben. Von beiden Seiten ist Annäherung unverkennbar.
Schon sind viele Protestanten, wo es sich um die Lehre der
Rechtfertigung blofs aus dem Glauben handelt, uns näher ge-
treten. Einige Theologen unter ihnen können sich mit der Lehre
der Läuterung nach dem Tode einverstanden erklären und em-
pfehlen das Gebet für die Toten auch mit Rücksicht auf die
Lebenden. In der anglikanischen Kirche wird der Wert der
Beichte immer mehr anerkannt. Die protestantischen Diako-
nissinnen sind den barmherzigen Schwestern der katholischen
Kirche ziemlich ähnlich ; bei letzterer sind die Orden, welche die
*) Über die Wiedervereinigung der christl ichen Kirchen ,
1888.
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32 Rovers, Heft 1 u. 2.
Krankenpflege und den Unterricht übernommen haben, wohl die
bedeutendsten. DöUinger und seine Geistesverwandten würden
keinen Anstofs daran nehmen, das Abendmahl unter beiden Ge-
stalten zu bedienen, wie es auch in der Kirche des Ostens ge-
schieht Der Cölibat der Priester braucht kein Hindernis filr
eine Union zu sein, weil dieses, weit davon entfernt, ein gött-
liches Gesetz zu sein, immer als kirchliche Verordnung betrachtet
worden ist. Im Einklang mit der Lehre der sichtbaren und un-
sichtbaren Kirche würden DöUinger und seine Freunde zu den
Gliedern der anderen Blirchen also sprechen mögen: „Seht, als
Getaufte sind wir alle hüben und drüben Brüder und Schwestern
in Christus, Glieder der allgemeinen Kirche. Lafst uns in diesem
grofsen Garten Gottes über die konfessionellen Zäune hinweg ein-
ander die Hände reichen, und reifsen wir diese Zäune nieder,
um vollends uns umarmen zu können. Diese Zäune sind die
Lehrunterschiede, bezüglich welche entweder wir irren, oder
ihr: solltet ihr die Irrenden sein, so machen wir euch daraus
keinen sittlichen Vorwurf, denn infolge eurer Erziehung und
Umgebung, eurer Kenntnisse und eures Bildungsstandes kann und
wird wohl das Festhalten an diese Lehren entschuldbar, selbst
gerechtfertigt sein. Lafst uns also gemeinsam prüfen, vergleichen,
suchen imd forschen; wir werden am Ende die köstliche Perle
des religiösen Friedens und der kirchlichen Eintracht finden und
dann mit vereinigten Händen und Kräften den jetzt noch mit Un-
kraut überwachsenen Garten des Herrn, die Kirche, reinigen
und bebauen." Aber die Zahl der Gegner einer solchen Union
— der Autor kann es nicht leugnen — ist Legion. Er rechnet
zu ihnen zuerst diejenigen, besonders in England und Amerika,
welche in dem Papst und dem Papsttum noch immer den prophe-
zeiten Antichrist und den darauf folgenden Abfall der Gläubigen
sehen, dann die Ultramontanen, die sich unter dem Banner der
Jesuiten zusammenfinden, endlich die liberalen Protestanten, die
sogar die Lehrsätze verwerfen, welche von allen christlichen
Kirchen angenonmien sind. Dafs für letztere in der von DöUinger
mit heifser Sehnsucht verlangten Union kein Platz sein kann, ist
klar: sie soll ja nach ihm auf der Grundlage der heiligen Schrift
und des sogenannten apostolischen Glaubensbekenntnisses beruhen
— und letzteres nach der Lehre der alten Kirche vor ihrer
Trennung aufgefafst. Für die principieUen Unterschiede zwi-
schen Protestanten und Katholiken hat der gelehrte Schriftsteller
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J893. Ein Friedensspruch. 33
kein offenes Auge. Und wenn er die Zeit einmal erwartet, wo
im Kölner Dom Bekenner des Katholizismus und des Protestan-
tismus gemeinschaftlich ein Tedeum anstimmen werden — so
können wir diese Hoffnung nicht teilen.
„Einheit im Notwendigen, Freiheit im Zweifelhaften, in bei-
den die Liebe" — wir kommen jetzt zu der Beantwortung der
Frage: Kann diese Losung die unsrige sein?
Dafs zwischen den Gliedern einer religiösen Gemeinschaft,
sie sei welche sie sei, einige Übereinstimmung bestehen mufs,
darüber werden wir alle einig sein. Mich dünkt, niemand unter
uns wird das Beispiel des „Freien religiösen Vereins" in Boston
nachahmungswürdig nennen, dessen Vorstand nicht blofs aus
Unitariem, Quäkern und freisinnigen Juden besteht, sondern
auch Materialisten unter ihre Mitglieder zählt, also Männer,
welche die Religion eine Thorheit nennen. Oder müssen
wir hierin einen Beweis sehen der übergrofsen Toleranz
dieser Gemeinde? Wir haben es im Gegenteil mit einer Ver-
bindung der heterogensten Bestandteile zu thun. Ein religiöser
Verein, der weifs, was er will, ergiebt sich nicht der Führung
solcher Personen, von denen einige das Recht der Religion ver-
neinen. Wie würde man z. B. von einer Akademie der Wissen-
schaften denken, welche einen Präsidenten erwählt hätte, der jede
wissenschaftliche Untersuchung eine Thorheit schilt? Was von
einem Verein zur Enthaltung von geistigen Getränken, dessen
Sekretär dem Arbeiter gern täglich seinen Schnaps gönnte?
In den ersten Jahren der religiösen Richtung, die man (in
Holland) als die moderne bezeichnet, hörte man fortwährend auf
der Kanzel : „Nicht auf die L e h r e , sondern auf das Leben kommt
es an." Es war erklärlich, dafs Hafs gegen jede Lehrheiligkeit
diesen Gegensatz hervorrief. Allmählich aber begannen viele ein-
zusehen, dafs es zwischen beiden einen engeren Zusammenhang
giebt, als man im Anfang meinte — wenn auch das Leben
die erste Stelle einnehmen mufs. Oder hat die Religionsgeschichte
nicht etwa gelehrt, welchen grofsen Einflufs die religiösen Vor-
stellungen auf das Leben ausüben können! Kann es uns wunder
nehmen, dafs ein Plato, Griechenlands gröfster Philosoph, die
Erzählungen des Kindermörders Kronos, des Ehebrechers Zeus,
der wollüstigen Aphrodite für die Blinder geftlhrlich achtete?*).
*) Im zweiten Buche seiner Politeia.
Monatshefte der Comenine Oenellschaft. 1888. 8
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34 Eovers, Heft 1 u. 2,
Wie viele Unsittlichkeiten wurden in Israel im Namen des
Naturgottes Jahwe verübt! Die erhabeneren Vorstellungen der
edelsten Propheten über Jahwe, den Heiligen, der Gefallen findet
an Bannherzigkeit, Wahrheit und Gerechtigkeit, der das Böse
hafst und das Gute liebt, haben auf das sittliche Leben des
Volkes einen günstigen Einflufs ausgeübt. Und Jesus' Predigt:
Gott ist Liebe, ist der Vater aller Menschen, auch der Niedrigsten,
der Verachtetsten, der am tiefsten Gesunkenen, wenn sie reue-
voll zu ihm kommen, hat sie nicht eine wohlthätige Wirkung
gehabt auf das gegenseitige Verhältnis in der Familie und der
Gesellschaft, wenn sie auch nur ganz allmählich eingedrungen ist?
Der Fehler der älteren Rechtgläubigkeit bestand nicht darin, dafs
sie den religiösen Vorstellungen Wert beilegte, sondern dafs sie
ihre Bedeutung überschätzte, oft zum Nachteil für das Leben ;
dafs sie ihre Dogmen einem jeden aufdrängen wollte, ohne Rück-
sicht auf die Rechte, welche die Kinder einer späteren Zeit
haben, ihren Glauben zu bekennen, ebensogut als die Väter,
die in ihren Bekenntnisschriften dem ihrigen Ausdruck gegeben
hatten. Wir wissen, dafs alle unsere Vorstellungen von Gott
mangelhaft sind, wenn wir auch die einen den andern vorziehen;
unser Sprechen über Gott ist nur ein Stammeln. Gott ist grofs,
und wir begreifen ihn nicht; unser Wissen ist Stückwerk —
diese Konfession bleibt die unserige. Keinem Menschen ist es
vergönnt, das Wesen Gottes zu ergründen. Aber würden wir
deshalb nichts mehr über Gott bezeugen, als z. B. I^aust in seiner
Antwort auf Gretchens Frage:
Wer darf sagen :
Ich^glaub' an Gott?
Magst Priester oder Weise fragen,
Und ihre Antwort scheint nur Spott
Über den Frager zu sein.
Wer darf ihn nennen ?
Und wer bekennen:
Ich glaub' ihn?
Wer empfinden
Und sich unterwinden
Zu sagen: ich glaub* ihn nicht?
Oder werden wir auf die Stimme hören der Männer unserer
Zeit — sie nennen sich Agnostiker — , die unge&hr also sprechen :
Das Dasein Gottes steht fest, wissenschaftlich ist es nachweisbar.
Er ist die unbegreifliche und allgegenwärtige Kraft, aus welcher
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1893. Ein Friedensspruch. 35
alles entstanden ist — aber uns bleibt es untersagt, etwas Sicheres
über ihn zu wissen. Wir können nicht sprechen von einem
Gotte, der Liebe ist, von des Menschen Gesinnung Ihm gegen-
über, von einem Streben, Ihn zu lieben. — Aber ich frage:
können wir mit heiliger Ehrfurcht zu einer Kraft hinaufblicken,
die uns ganz unbekannt ist? Uns ihr anvertrauen? Wird der
Glaube an das Dasein jener ewigen unendlichen Kraft unserem
Leben wohlthätig sein, wird er uns mit Mut und froher Hoflfhung
für die Zukunft erfüllen? Uns ermuntern, uns einer heiligen
Lebensaufgabe zu widmen?
„Einheit im Notwendigen" — was heifst das? Schlagen wir
ein paar Schriften aus unserer Zeit auf — vielleicht geben sie
einiges Licht.
Vor einigen Jahren wurde in New- York ein Verein gestiftet
„Society for ethical Culture" von Felix Adler, der als Rabbiner
auferzogen, sich in der Synagoge nicht zurecht finden konnte.
An der Spitze einer Abteilung jenes Vereins zu Chicago steht
William Salter, dessen Name nicht unbekannt ist*). Mit den
freisinnigen Christen hielt er keinen Schritt, weil sie mit ihren
Reformationsplänen zu zögernd waren. Salter steht nicht auf der
Grundlage der Religion. Er wünscht auf die ewigen Gesetze
zu bauen, welche sich in der sittlichen Natur des Menschen offen-
baren.
Die „Society for ethical Culture" setzt sich das Ziel: „dem
Guten zu dienen, unabhängig von den religiösen Lehrsätzen
der Vergangenheit." Sie will die Arbeit der sittlichen und gesell-
schaftlichen Reformation auf sich nehmen, welche die christlichen
und jüdischen Kirchen im Stich gelassen hätten. Jene Kirchen
zu bekämpfen, ist nicht ihr Zweck. Wer mit ihr zu arbeiten
wünscht, mufs „in vollem Ernste denken und fühlen" wie die
Stifter, mufs ihren „Ideen und Absichten** völlig Glauben schenken.
Für diejenigen, welche ihnen in Religionsfragen nicht beipflichten
können, ist die Gelegenheit eröfihet, sich ihnen auf dem Gebiete
der Wohlthätigkeit anzuschliefsen.
Wenn wir auch in mancher Hinsicht dem Streben dieses
Vereins unsere Sympathie nicht versagen wollen, so würden die
') Greorge v. Gizycki bearbeitete Salters Vorlesungen und gab sie
heraus unter dem Titel: Religion der Moral.
3*
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36 Rovers, Heft 1 u. 2.
wenigsten unter uns sieh ihr ansehliefcen wollen. Können wir
das Bekenntnis ablegen: Wir denken und empfinden wie ihr?
Der Behauptung, dafs die alten Religionen nur noch bei Unge-
bildeten und wenig Entwickelten Sympathie erwecken, werden
viele nicht beistimmen. Ist der Wahlspruch : „wir wünschen dem
Guten zu dienen," nicht ziemlich unbestimmt? Unter den von
Salter sogenannten veralteten Kirchen und Religionen wird doch
wohl keine der Sache des Bösen zu dienen beabsichtigen.
^ In seinem letzten Werke ^) sagt Rauwenhoff, der leider zu
früh von uns hinweggerufen worden ist, dafs die religiöse Gemein-
schaft auf Übereinstimmung beruht, nicht blofs in allgemeiner
Geistesrichtung, sondern auch in der Betrachtung des Übersinn-
lichen. Sie kann unmöglich aufserhalb einer gemeinschaftlichen
Glaubensvorstellung bestehen. Eine religiöse Gemeinschaft kann
sich nicht blofs auf Gesinnung oder Gemütsbewegung gründen.
Freie Frömmigkeit kann zwar eine Zeitlang als Wahlspruch des
Vereins gelten — allein sie ist nur ein Nothafen, wo man auf die
Dauer nicht zusammenwohnen kann. Bei der Religion handelt
es sich nicht blofs um Gesinnung, sie ist immer mit einer ge-
wissen Vorstellung des Übersinnlichen verbunden. Keine religiöse
Gemeinschaft kann also bestehen, wo das Charakteristische der
Religion sich nicht behaupten kann. Eine religiöse Gemeinschaft
umMst alles, was für ihre Glieder Religion bedeutet Das speci-
fisch Religiöse heifst nach RauwenhoflF die Verherrlichung der
sittlichen Ordnung als der höchsten Macht. Aber Übereinstim-
mung in der Denkweise über das Übersinnliche bedürfen die
Glieder einer religiösen Gemeinschaft fast noch mehr wie gleich-
artige Gesinnung im Gemütsleben.
Der Bremer Theologe Moritz Schwalb rechnet unter die
„notwendigen Dinge**, welche allen Protestanten gemein sein
müssen: den Glauben an Gott; das Bewufstsein, dafs wir Gottes
Geboten folgen und uns nützlich machen müssen; Hafs gegen die
katholische Hierarchie, deren Aberglauben und Mifsbräuche ; Ver-
ehrung fiir den Menschen Jesus und seine wahren Vorgänger und
Nachfolger*).
„Einheit im Notwendigen** — das ist also der Aussage jener
1) Wijsbegeerte van den godsdienst, 1888. Dr. J. R. Hanne
gab eine deutsche Übersetzung heraus.
«) Kanzelreden, 1888.
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1893. Ein Priedensspruch. 37
Schriftsteller gemäfs etwas Notwendiges. Aber die Frage: Was
versteht man darunter? wird selbst von Geistesverwandten ver-
schieden beantwortet. Und keine jener Antworten hat
uns vollkommen befriedigt. Mancher wird z. B. den
Glauben an die sittliche Weltordnung nicht als das Wesen der
Religion betrachten. Er wird die Frage stellen: Ist die Ver-
ehrung einer übersinnlichen Macht, als Wesen dargestellt, nicht
das Merkmal, das den Religionen gemein ist? Und wenn auch
unsere Vorliebe för die römische Hierarchie nicht grols ist, bei
niemandem unter uns wird die Forderung, in dem Glaubens-
bekenntnis auch dem Hafs gegen diese Ausdruck zu geben,
Beifall finden.
„Freiheit im Zweifelhaften**. Unter den nicht notwendigen
Dingen — wir werden darüber alle einverstanden sein — ver-
steht man mehr, als man früher meinte. Den grofsen Konzilien
der ersten Jahrhunderte erkennen wir ebenso wenig eine, die
Gewissen bindende Autorität zu, als denen der folgenden Jahr-
hunderte. Das sogenannte apostolische und idle späteren
Glaubensbekenntnisse haben in unseren Augen nur eine histo-
rische Bedeutung.
Keine Religion ohne Gottesdienst — hat die Geschichte der
Religionen es nicht gelehrt? Würde der Kultus ohne ReUgion
einigen Wert haben? Zxun Kultus gehören das Gebet und das
Lied. Das Gebet hat man abwechselnd genannt: das Unterhalten
einer geistigen Gemeinschaft mit Gt)tt; die Betrachtung der Lebens-
erfahrung vom höchsten Gesichtspunkte; die Ausdrücke einer
nachdenklichen und jubelnden Seele u. s. w. Aber das gemein-
schaftliche Gebet kann wohl nicht anders sein als das Aus-
sprechen eines Wunsches vor Gott Natürlich ist es kein Bitten
um allerlei eiteln Tand, um Befriedigung egoistischer Wünsche;
die Bitte ist ein Flehen um Frieden und Gemeinschaft mit ihm;
um das Beste was es giebt : Dein Reich komme ! Dein Wille ge-
schehe 1 Aber können wir in dieser Weise eine ^unendliche Macht**
anreden, von der wir nichts wissen, ein „Ideal** anbeten oder das
„Gute** oder auch eine „höhere Welt**?
Es giebt Menschen, die das Gebet aus unseren Gottesdiensten
entfernen wollen. Die Haltung derselben verrät allerdings, dals
sie keinen Anteil daran nehmen. Andere dagegen behaupten, das
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38 Rovers, Ein Friedensspruch. Heft 1 u. 2.
Hauptgewicht des Gottesdienstes liege für sie mehr im Gebet als
in der Predigt, ihre Zahl wird aber wohl nicht grofs sein.
Wir kommen zu unserer Schlufsfolge. Man hat recht, er-
staunt zu sein über die Naivität derjenigen, welche noch in
unseren Tagen uns zur Rückkehr zu dem Wahlspruch auffordern:
Einheit im Notwendigen, Freiheit im Zweifelhaften! Dafs dies
eine Unmöglichkeit ist, davon sind wir jetzt hoffentlich überzeugt.
Lafst uns unsere Principien schätzen und ftir sie ringen — wenn
nur mit ehrlichen Waffen I Aber vergessen wir ja das schöne
Dichterwort nicht: Verachte keine Form, womit ein
armes Herz emporringt von der Erde.
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Quellen und Forschungen.
Zur Lebensgeschichte des Comenius.
Autobiographisches aus den Schriften des
Comenius.
Zusammengestellt von
Prof. Dr. J. Evacsala in Preasburg.
(Fortsetzung.)
vm.
37.
Novum (in Synodo quidem sed non Synodale)
Visionum examen, et auid ibi statutum.
1. Altero mox mense, iJovembri, perierunt, duo Reges quos
Ecclesiae oppressae Vindices fore spes erat; Gustavus Adol-
phüs Sueciae, qui in pugna ad Lützen occubuit 16. No-
vembris; et Fridericus Bohemiae, 25 eiusdem dysenteriä
exstinctus Moguntiae. —
2. Quae res incredibilem attulit non tantüm multis moerorem,
sed et nobis qui eos ut Liberatores respectare coeperamus terro-
rem. Qui autem 6 nostris Visioniun hostes erant, irridere nos,
tanquam spe nosträ delusos.
3. Accidit verö ut sequenti Vere (Anno 1633 mense Aprili)
Synodus celebraretur Ostrorogi : ubi duo Fratrum (alter Bohemus
alter Polonus,) in Synedrio de praeteritis illis vanis Visionibus,
controversiam movent, condemnarique (ne aliquando res haec,
vel apud posteritatem , omnibus nobis iam viventibus malam
inurat notam) petunt. Respondebant mitiores, semel esse de-
cretum silentium, refricari hoc non oportere. ÜH
iterum: Decretum esse silentium, donec t)eus et dies
quid statuendum esset, detegeret. Jam autem de-
texisse utr6que illo quem Revelationes istae nomi-
närant, e vivis sublat6. —
4. Hi rursum: Ita sane, tragaediam tamen ipsam
nondum finitam. Posse Deo non deesse Organa, per
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40 Kvacsala, Heft 1 u. 2.
quae decreta exsequatur sua: neque Vaticinia illa
ex toto vanitatis condemnari posse, nisi ex totofal-
sitatis convicta. Quod erit, si praesens Gentium
commotio sine primariis illis praedictis eventibus
(I. Antichristi eversione, II. Turcarum ac Judaeorum
conversione, III. Evangeliique ad omnes Gentes pro-
gressu ac triumpho) sedata fuerit. Nondum ullam
Ecclesiam, aut Consistorium, vel Academiam, novos
id genus Prophetias penitus reiecisse, aut condem-
nasse: nos cur primi esse vellemus? et quae id genus.
5. Uli denuo: Alios non aequ^ propö haec tangere
atquenos. Et quoniam aliqui nostrüm haec approbare exteris-
que communicare (aliis non approbantibus) fuissent ausi, hoc ipsum
(non approbata haec fuisse omnibus) referendum esse in monü-
menta. Nos iterum ad totam provocare Synodum cuius
h!c pars esset tantüm. Etc.
[6. N. B. Ut melius haec percipiantur, sciendum est, negotia
in Synodis nostris ita fuisse administrata , ut post constitutas
Propositiones (de quibus deliberandum erat) Antistites Eccle-
siae, Seniores cum Consenioribus pecuHari loco
Sessiones suas, tanquam Ecclesiasticus Senatus,
haberent! reliqui autem Pastores omnes, Ecclesiam
repraesentantes, seorsim, communiter in Templo
suas agerent. Tandem ad formandas communes ex utrinque
deliberatis conclusiones omnes in unum conveniebant. Demumque
quod ita communibus calculis decretum fuit, Constitutionis vim
habuit. Cum ergo bis haec nova de Visionibus condem-
nandis, in solo Synedrio mota agitari incipiret, provocaba-
mus nos ad totum Pastorum Caetum.]
7. Quod ne fieret (novi dissidii metu) medium k pruden-
tioribus repertum fuit tale. Consignatio aliqua in Synodi
huius Actis ut fieret, absque condemnatione tamen
cuiusquam; aut etiam ipsius rei, Deo adhuc com-
mittendae. Hoc tantüm fine, ut si quid aliquando
secus eveniat, memoria exstet non a tota Ecclesia
haec talia fuisse approbata. Cui moderato consilio nos
reliauos acquiescere pacis amore (et quia sie Deo et veritati
nihil praeiudicari visum) aequum fuit. —
Hist. Revel. p. 131—132.
38.
De reliquo Christinae Poniatoviae Vitae cursu et obitu.
1. Sex illi e Bohemis et Moravis nüper ordinati Ministri
(de quibus LXI. 4) ut ne in otio essent, pars eorum Polonicis
Ecclesiis ministrare jussi fuerunt, pars mittebantur ad disperses
visitandum: Vettere iam coniugato, nobiscumque habitaturo,
cessit Typographei Ecclesiastici (e Moravia huc translati)
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1893. Zur Lebensgeschichte des Comenius. 41
cura, ad Libros bonos , pro tempore hoc necessarios, in lucem
promovendum. Qua in re industriosum ille se (sicut et Christina
in Familia aienda fidam illi adiutricem) praestitit.
2. Vixeruntque Coniuges hi (placidissimis utrinque moribus)
summa concordia, aliis in exemplum, annos duodecim^ mensesque
duos. Neque thoro illorum divina defuit benedictio: natis ex eo
filiis duobus, Daniele et Georgio, paternum avitumque re-
ferentibus nomen (Georgius enim Vetterus, horum Avus,
optime de Ecclesiis nostris [totaque Gente] meritus, inter alia
eruditionis pietatisque suae monumenta, Psalmos Davidicos, felicis-
sima parapnrasi et rhytmis, ad Gallicas melodias aecommodatos,
reliquit): filiabusque tribus, Johanna, Sophia, Dorothea:
quos omnes ad mores bonos, et Dei metum honestissime educare
non intermisit.
Hist Revel. p. 138. 134.
39.
Hlud Poetae „Excitat auditor Studium, laudataque
Virtus crescit" si verum est, verificari etiam in me debuit:
nempe ut tot et tanti applausus (in re , meö judiciö , non tantä)
ad aliquid majus et melius adderent calcar. Coepi ergo cogitare,
an fortfe si quid realioiis Eruditionis, interiorisque Sapientiae (ad
similem aliquam harmoniae coneinnitatem redactum) propinari tenta-
retur, aequ^ placiturum esset? Enatumque inde luit desiderium
conficiendi JANUAM RERUM, sive SAPIENTIAE PORTAM ; stu-
diosae Juventuti eö servituram, ut postquam ope Januae Lin-
gua r um Res externe discriminare didieissent, inleriora dehinc
rerum inspectare, et quid per essentiam suam res quaeque sit
attendere, consuescerent. Quod Studium si per omnia (ad omnia
scitu et factu, credituque et speratu necessaria, comprehendendum)
extenderetur , sperare coepi pulcherrimam quandam Encyclopae-
diolam, seu Pansophiolam, bono usu condi posse. Quo proposito
meo per studiosos quosdam Moravos, in Angliam delatos, cognito
Vir eximius, S. H. datis ad me litteris, Delineationem aliquam
futuri Operis requisivit. Communicavi ergo, uti sequitur.
PANSOPHIAE PRAELUDIUM Quo sapientiae universalis ne-
cessitas, possibilitas, facilitasque (si ratione certä ineatur) breviter
ac dilucid^ demonstratur.
Op. Did. I. p. 403-404.
40.
•Haec ita privatim amico in Angliam, privatam sub cen-
suram, communicata, redierunt ad me in Poloniam Oxonien-
sium typis descripta: cum apologia, salubri fine factam esse
publicationem hanc, ad praetentandum vadum, cognoscendaque
in re tarn inusitati argumenti tanto plurium doctorum et sapien-
tum virorum judicia. Quae et subsequuta fuerunt agminatim,
variis e Regnis, pleraque praeter spem benigna: unum et
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42 Kvacsala, Heft 1 u. 2.
alterum maligiiius. Erat qui scriberet: Majus beneficium
Dei Humano generi datum non esse, post Verbi
Divini lucem, atque haac verioris ac plenioris
lucis viam tarn clare ostensam: urgendum itaque
esse Comenium, Opus ut absolvat. Alii, Non solius
unius Comenii humeris relinquendum esse tantum
Onus, quaerendos Collaboratores, constituendum-
que Collegium Pansophicum, etc. Ego indignari amico,
qu6d me objecisset multitudini , et non sivissßt tacit^ meam de-
texere telam, sicuti cum priore opella, Januae Linguarum,
erat factum. Sentiebam enim me Judiciorum varietate distrahi:
sed et lentescere, cum Collegii ransophici fieret spes, nee
me6 arbitratu jam fore procedendum, antequam scirem quid
pluribus Ulis, et me doctioribus, placiturum esset Non ergo
sum progressus, praeterquam in particularibus ouibusdam: ut
eratPhysica ad lumen divinum reformanaa, opusculum
Lipsiae excusum et mox Parisiis et Amsterdami, recusum. Item-
que Astronomia ad lumen phjsicum reformanda et
alia nounulla. Erat et qui scriberet (ad Hartlibium, Job an-
Adolphus Tassius, apud Hamburgenses Mathematum Pro-
fessor): Fervet jam per omnes Europae angulos Pan-
sophicum, et melioris Didacticae, Studium. Quod
si nihil etiam plus praestiterit Comenius, quam
quöd tantam stimulorum segetem in omnium sparsit
animos, satis fecisse putandus est etc.
Haec inquam omnia me, nescio quomodo, ä fervore primo
remissiorem fecerunt : cum plures illos exspectans, mihi sofi non
esse sudandum putarem. Unum erat permolestum, quöd reperti
fuerunt (et quidem domi apud nos in Polonia) qui valde suspectnm
reddentes totum Pansophicum propositimi, Divinorum cum
humanis, Theologiae cum Philosophia, Christianismi
cum Gentilismo, et sie Tenebrarum cum luce, peri-
culosam fore misturam, dictitarent Pertraxerantque suam
in opinionem aliquot e Nobilitate, mihi publica dicam scribentes :
ut mihi non tantum in Synodo causa esset dicenda, sed et
scribenda,
Conatuum Pansophicorum.
DELUCIDATIO in gratiam Censorum facta.
Quae tandem ita satis fecit Ecclesiae, ut quod priüs in occulto,
et meö veluti unius ausu, agere orsus eram jam Ecclesiae autho-
ritate munito mihi agendum esse viderem, bonis coeptis beni
apprecantibus omnibus bonis.
Op. Did. 1. p. 453-456.
41.
Venerat anno 1635 e dispersis pro Evangelio Bohemis unus,
Daniel Stolcius, Medicus Constantinapoli usque ad nos Poloniam
exulatum perque menses aliquot nobiscum commoratus Dantiscum
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Ig93. Zu^ Lebensgescbichte des CTomeniiis. 48
et Borussiam se transtulit. Ubi cum in nobilem Bohemum,
Ehrenfiriedum Berbisterfium virum militarem ac strenuum ad
superstitionem usque devotum et dogmate Pauli Felgenhaweri
iam infectum, incidisset, ab eodem ipse quoque iisdem mysteriis
imbutus fuit Is igitur novo hoc nectare inebriatus, aliisque id
f)ropinandiun ratus, misit ad me, ceu inchoatae amicitiae pigiius
ibellum Felgenhaveri Wahrheit und Weisheit : nihil nisi ludicium
anonymo authore exquirens. Legi expendi rescripsi, bona inesse
multa, sed latere heterodoxias anguem in herba. Ad quod ille,
me ad haec indocilem videns, nihil reposuit. Sed quia fratrem
germanum, quem secum habebat, medicinae itidem studiosum
eodem venenato dogmate infecerat, ille tanquam novo musto
plenus uter illorum in blasphemias ebullientem spiritum continere
non potuit, (juin antequam patrum suorum omniimique Christiano-
rum de Chnsto vero Hommis Filio et Homine ndem proterve
fugillans, nos stercoreum habere Christum et simih'a putida,
eructaret. Quae res utrumque illum apud orthodoxes Fratres
merito exosiun reddebat, excedere Dantisco, et in oppidum Risen-
burg (Prabuty) secedere necessum haberet, me omnium istorum
eatenus penissime ignaro, et tamen apud meos heterodoxiae quo-
que suspicionem incurrente. Nam quia Stolcius initam mecum
notitiam forte iactaret, epistolamque unam et alteram, ostentaret,
factum est, ut in complicitatis suspicionem nescio cuius credulitas
me traheret susurratumque id in Borussia ita fuit, ut e Lithvania
tandem ad Superattendentes Poloniae majoris scriptum fuerit, cur
hominem haereticum inter se tolerarent, aut illi non attendant
melius? Annon satis tristem statum per Socinianos experiatur
Ecclesia, iterumque per contrarium errorum turbae sint dandae?
Felgenhaverum misse Dantisci apud complices suos, evocatumque
ab Ulis Comenium etiam comparuisse, et Felgenhavero baptizasse
filiam. Egisse etiam patronos eorum, ut quod Felgenhawero
sperandum non erat, Comenio obtingeret, publicae Cathedrae
honor: sed offecisse magistratum, machinationemque illam fuisse
firustra. Consequens ergo istius conventiculi fuisse, ut Felgen-
haver in Germaniam, Comenius in Poloniara rediret, et quae
praeterea nugacissimae nugae scribebantur. Venit ergo cum hac
epistula Sunperattendens M. Orminius Lesznam, inquisitionem
ea de re habiturus . Habitaque est et reperta putidissima men-
dacis famae vanitas, postquam Comenium nunquam in vita (illum
usque in diem) Dantiscum vidisse omnium testimoniis constabat.
Imposita tamen mihi fuit, tum confratrum voluntate ac mandato,
tum famam in Ecclesiae conspectu honestam tutandi desiderio,
necessitas, Stolcium denuo monendi, et ab haeretica curiositate
dehortandi. Factum, scripsi, absurdique dogmatis (in quod in-
cautus fuit prolapsus) enormitatem quam clare potui ostendi:
Stolcio nihil toto anno ad illa respondente. Vertente demum
anno rescripsit, epistolam meam se in Saxoniam ad authorem
dogmatis, ut pro se responderet misisse, illum autem responsum
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44 Kvacsala, Heft 1 u. 2.
hucusque distulisse, demumque sibi redditom ad me mitti, si ar-
gumenti Felgenhaveri nova haec solvi poterunt se ad veritati
sese reconciliandum ne fore difficilem. Factum ergo, responso
illius responsum fuit Felgenhaverianaeque haUucinationes (priores
et posteriores) elare ostensae et nodi ita soluti fuerunt, ut quod
responderet Felgenhaver non reperiret : praetenso : sibi non datum
esse linquis loqui, nolle se hoc scriptorum genere certare, Stol-
cius tarnen ut agnita in veritate persisteret Sed Stolcius eum
haerere videns cum erroneo suo dogmate deseruit, sedemque in
Hungariam transtulit, inter antiquae fidei consortes antiquo suo
Christo d'eav&QiüTtq} ad exitum usque vitae suae serviens Epe-
riesina in urbe: ubi relicta eins vidua adhuc (nee enim aliter
scio) vivit.
A dextris et sinistris p. 5 — 9.
IX.
42.
5. Quinquennio pöst *) prodiit Schefferi contra Virtutem Re-
surrectionis Christi tractatus, ad me quoque (liberales enim
sunt in suis communicandis, sine exemplo: magnis
intei^ se hoc fine institutis collectis, ut Libri excudi,
gratisque hinc inde spargi poßint) missus.
De Quaestione p. 61.
(Libellus Comenii) Scriptus fuit anno 1638, ad prohibendiun
scandala quae Melchioris Schefferi Silesii (rec^ns ad
Socinismum conversi, fervideque Orthodoxiam oppugnare aggressi)
editus ea de quaestione libellus Ek^clesiis nostris dabat. Et quidem
scriptus Superiorum jussu, idiomateque eddem qu6 Scheflterus
ediaerat Germanico. Dedicatus deinque illi qui apud Antistites
meos potissimum, ut Provincia haec demandaretur mihi, ursit,
D. Jon. Schlichtingio : qui eum mox (cum peculiari ad Meseri-
censes et Sverinenses quorum Ecclesias Scheflferus imprimis tur-
babat) praelo subjici curavit
De Quaestione etc. Dedicatio ad Wolzogenium.
43.
Reperi ergo schedas lusionis cujusdam Scholasticae, ciun
ante annos circiter 20 Lesnensi in Schola (meo tunc sub regi-
mine) Scenica etiam vigere inciperent exercitia. . . . intra unius
anni spatium idem hie Diogenianus Ludus ter fuit in illustrium
hospitum, illustrem D. Comitem nostrum visitantium et haec
spectare expetentium, gratiam, ad repetendum flagitatus.
Praef. ad Diog. Gyn. ed. 1658.
44.
6. Trienniö circiter post venit ad nos ex ultima Russia
(per milliaria fortfe centum) D. Jonas Schlichtingius, Soci-
») post 1632, ergo 1637.
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1893. Zur Lebensgeschichte des Comenius. 45
nianorum velut Patriarcha, filium (adolescentem 18 annorum)
Scholae nostrae traditurus. Cujus inspectio suprema quia per id
tempus mihi demandata fuit, me ille convento calamitates suas
et suorum (quod illis Racoviae Schola et Typographeum essent
ablata illique in dispersionein dati) questus tuit, filiumque suum
ad institutionem nostram admitti petiit Factum, cum consensu
quorum intererat, cautioneque interpositä ne quid turbaret. Ipse
interim D. Jonas mihi Libros suos, quibus Academiae
Wittebergensis Refutatio Smalcii refutabatur (in
erecta Typogr. nescio ubi in Russia excusos) donavit, lectionem
eorum commendans. Respondi, Non vacare mihi, nee esse
volupe labyrinthis istis oberrare. Rogabat ergo saltem
Praefationem, qua dogmatis deTrinitate (Tertulliani aevo
nati) originem primam ostenderet, perlegere vellem; ut
postridie inter valedicendum meam audire posset sententiam.
Legi ergo: ut ne iterum conquerendi, Nos legere nolle, et
tamen condemnare, ansam haberet. Quia verö sub finem
praedictae praefationis ad Christianos, qui circa fidem
in Christum vel in excessu vel in defectu peccant,
exhortationem adjunxerat, ut ad se, tanquam mediam tenentes
viam, regrediantur : dixi, Nos teuere medium, qui utrum-
que de Christo, et Deum esse, et hominem esse,
juxta Scripturas credimus. In excessu autem pec-
care illos, qui Deum tantum esse volunt, humani
praeter apparentiam in eo nihil agnoscentes, ut
Marcionistae et Felgenhaver. In defectu autem
illos, qui divinitatem Christi negant, factitium tan-
tum et titularem Deum confitentes. Hle, Non se esse,
qui Christo debitum honorem detrahant, sed in
Transvlvania quosdam qui adorandum esse negant,
nee adorant Quaesivi: Annon illi pars Vestri sunt?
Respondit: Exierunt de nobis, quia non fuerunt de
noois. Ego iterum: Nonne hinc apparet, mi Domine,
?uibu8 gradibus ä Fide recedatur? Ario nimium
uit Visum Christo parem cum Deo aeternitatem
concedere, amputavit ergo quicquid Mundum ante-
cessit: in principio illum ex nihilo, demumque alia
per ipsum, facta dictitans. Sed Photino, etSocino
Vestro, illud etiam nimium visum: amputärunt
iterum omnia usque adMariam, in hujus utero exor-
tum illi primum tribuentes, divinos tamen illi ho-
nores (propter donatam divinitatem) concedentes.
Ecce autem, Francisco Davidis, et qui illum e
Vestris sequuntur, etiam hoc nimium visum: negant
itaque illi adorationis honorem. Quod si sie semper
aliquid de honore Christi detrahere pergemus, non
Video quid remansurum sit, nisi purus putus Ma-
homedismus (nondum dicam Atheismus).
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46 Kyacsala, Zur Lebensgeschichte des CTomenius. Heft 1 u. 2.
Quippe Turcae etiam JesumMariae filium maio-
rem Mose credunt, Dei naturalem filium non credunt; Ad
quae D. Schlichting nihil, nisi Cavillationem esse, dixit
Ego tarnen quomodo haec cavillatio sit, et ex tali opinionum
de Christo semper in minus mutatione, quid nisi totalis tandem
abnegatio sequi possit, hunc usque in diem videre non possiun.
Ita tunc ab invicem discessimus; Quae verö ab illius aiscessu
meditatus eram, illique submissum fuit, explicui edita nuper De
Vno Christianorum Deo, Patre, Filio, et Spiritu S. confessione mea.
De Quaestione etc. p. 61 — 63.
45.
7. Anno 1641 aggressus me fuisti Tu ipse, Generose Domine *) :
inter alia multa etiam Quomodo articulus de Trinitate
(in OperePans.) tractandus esset, inquirendo. Respondi:
Juxta Scripturas. Tu iterum. An ergo juxta vulgares
hypotheses? Respondi cum Apostolo: IJihil possumus
adversus Veritatem, sed pro Veritate. Ad quae Tu:
Non decet tantus error tantum Virum. Ego: Mi Do-
mine, In divinis nemo faciliüs decipitur, quam qui
sibi aut aliis eruditionis nomine placet .Tu contra
adeö importune instare, mihique erroris pertinaciam exprobrare:
ut commotior ego, Vobis (inquam) vere pervicacia tribui
debet, gui etiam convicti ceditis non tamen. Quaere-
bas: Vbi nam convicti? Respondi: Vel in nupero con-
tra Schefferum scripto tot falsitatum deprehensi
estis, nee tamen a V eritate oppugnanda desistitis.
Ibi Tu: Meo nomini parci: si autem refutari vellem,
fieri posse. Dixi, Fiat, fiat: nihil mihi parcite. Ecce
autem hucusque nihil , praeter illam erga me commiserationem
Vestram.
De Quaestione etc. p. 63—64.
^) Wolzogen.
(Fortsetzung folgt.)
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Kleinere Mitteilungen.
I.
Sybrand Jan Hingst
Wir haben in dem Leitaufsatz dieses Heftes den Namen von
Dr. S. J. Hingst neben den Namen Fabris und Christ. Sepps
an hervorragender Stelle nennen müssen. Da sein Name in
Deutschland weniger bekannt ist als wünschenswert wäre, wollen
wir hier eine kurze Skizze des merkwürdigen Mannes geben.
Sybrand Jan Hingst war im Jahre 1834 zu Amsterdam ge-
boren und stammte aus einer Weberfamilie alttäuferischen Ursprungs
in Friesland; er selbst pflegte gern gerade diese Abstammung zu
betonen, und es kann auch nicht bezweifelt werden, dafs sie flir
seine ganze Geistesrichtung von Wichtigkeit geworden ist H. war
Juris von Fach — er hatte im Jahre 1859 zu Leiden den Dr. juris
erworben — und durchlief die Stufen seiner Laufbahn rasch bis
zu dem höchsten Posten eines „Raadsheer in den Hoogen Raad" im
Haag, den er seit 1883 inne hatte. Die juristischen Fachzeit-
schriften Hollands besafsen in ihm einen hervorragenden Mit-
arbeiter, und Juristentage seiner Heimat pflegte er gern zu be-
suchen. Aber seine Interessen reichten weiter. Sein Geist um-
fafste frühzeitig das ganze Gebiet der Philosophie, und zwar
bezeichnete er sich selbst als Anhänger Kants, von dessen
Wiederbelebung er viel erhoffte; seit dem Beginn der achtziger
Jahre wandte er sich mit der rastlosen Thatkraft, die ihm eigen
war — er beherrschte die wichtigere Litteratur dreier Sprachen,
der deutschen, holländischen und französischen in ungewöhnlichem
Umfang — den religiösen und kirchenpolitischen Fragen
zu und betrieb dies Studium mit der Unparteilichkeit und Sorg-
falt, wie sie dem geschulten Juristen eigen zu sein pflegt; er
fiihlte sich den kämpfenden Religionsparteien gegenüber gleich-
sam als Richter, nicht als Anwalt oder als Partei, und seine
reiche Lebenserfahrung befähigte ihn zu einem sachlicheren und
gerechteren Urteile, als es von den Studierzimmern philologisch
geschulter Dozenten aus ge&llt zu werden pflegt. Er wufste
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48 Keller: Sybrand Jan Hingst. Heft 1 u. 2.
das Richtige und Falsche der Prinzipien sehr klar von den
Mängeln der durch schwache Menschen versuchten Durchführung
zu unterscheiden und als Mann, der selbst im praktischen Leben
zu wirken gewohnt war — sein Lebensweg war durch Schicksale
aller Art ein schwerer für ihn gewesen — wufste er zu be-
urteilen, welchen Hindernissen die praktische Gestaltung auch
der lebensvollsten Ideen zu begegnen pflegt. Gleichzeitig aber
suchte er alles, was sein Fleifs aus der Litteratur erarbeitet hatte,
für das thätige Leben nutzbar zu machen, und keinerlei Wissen
schien ihm Werth zu besitzen, wenn man es nicht zur Veredlung
der Menschen und ihres Daseins nutzbar machen könne. In dem
Nachruf, welchen der Generalstaatsanwalt ihm widmete, heifst es,
dafs Hingst neben seinen ausgezeichneten Gaben als Beamter
ein Mensch von edelster Gesinnung war, der trotz eignem Leid
immer darauf bedacht blieb, anderen zu helfen. In ihm lebte ein Stiick
jenes alten Feuergeistes, der erleuchtet und erwärmt, ohne zu
zerstören, der hohen Opfermutes, aber keines Fanatismus fähig
ist — ein Stück comenianischen Geistes, wie er uns in
den grofsen Kämpfen früherer Zeiten auch gerade in seinem
Vaterland wohl begegnet, der heute aber immer seltener ge-
worden ist Als Hingst am 12. Januar 1890 die Augen schlofs,
fühlten seine Freunde weit und breit, wie viel sie an ihm ver-
loren hatten. Vieles, was seine stille, aber rastlose Hingabe ge-
schaffen hatte, trat allen noch einmal vor die Seele, Wir schätzen
es als eine glückliche Fügung, dafs zwei in ihrer Art so seltene
Männer wie Fabri und Hingst an der Wiege der Comenius-
Gesellschaft gestanden haben, fUr deren Grundgedanken sie mit
gleicher Wärme eingetreten sind. Es ist tief zu beklagen, dafs
sie der Durchführung unserer gemeinsamen Pläne ihre starke
und erfahrene Hand nicht mehr haben leihen können. K.
II.
Bertha von Marenholtz geb. von BOlow.
Am 9. Januar dieses Jahres starb in Dresden nach längerem
Leiden und im fast vollendeten 82. Lebensjahre Freifrau von
Marenholtz-Bülow, Excellenz, deren Name mit dem An-
denken Friedrich Fröbels für alle Zeit innig verknüpft sein
wird. In Wort, Schrift und That hat die Verewigte für den Ge-
danken einer neuen Erziehung zeitlebens rastlos gewirkt und
sich besonders um Erhaltung und Befestigung der Lehre
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1893. Wittmer: Bertha von Marenholtz. 49
Fröbels im In- und Ausland hoch verdient gemacht. Ihre zahl-
reichen Schriften geben Zeugnis von der hohen Einsicht, mit
welcher sie deren ibedeutung fUr unsere Zeit erkannte, und die
von ihr begründeten Erziehungsvereine, sowie die Fröbelstiftung
in Dresden, mit dem Seminar fUr Eindergärtnerinnen und der
Bildungsanstalt für Banderpflegerinnen, zeigen, wie sehr sie es
verstand, ihre Gedanken auch praktisch zu verwirklichen. Auch
die Zeitschrift „Die Erziehung der Gegenwart" wurde von ihr
begründet Um zu beweisen, dafs der Fröbelsche Kindergarten
nicht etwa nur ftlr die höheren Stände bestimmt, dafs er viel-
mehr auch berufen sei, eine Grundlage für die gesamte Volks-
bildung zu werden, rief Frau v. Marenholtz die sogenannten
Volkskindergärten ins Leben, deren erster im Jahre 1860 in
Berlin von ihr gegründet wurde imd die später in zahlreichen
Städten zum Segen der ärmeren Bevölkerung Eingang fanden.
Überall aber war sie bemtlht, die Lehre Fröbels vor der so
nahe liegenden und leider auch in der Mehrzahl der Kinder-
gärten eingetretenen Verflachung und Verkünstelung zu bewahren
und das ihr zu Grunde liegende tiefere pädagogische Prinzip zur
Geltung zu bringen.
Wohl haben viele gegenüber den religiösen, politischen und
sozialen Wirren der Zeit die Notwendigkeit einer neuen Er-
ziehung anerkannt und sind eifrig bemüht gewesen, eine solche
herbeizuftlhren, gewifs aber hat niemand mit mehr Hingabe und
Begeisterung sein ganzes Leben in den Dienst dieser Idee
gestellt, als es von Seiten dieser seltenen Frau geschah, deren
Name in der Geschichte deutscher Kultur einen Ehrenplatz ver-
dient. Ihr Herz schlug für ein Menschheitsideal, und so dürfen
wir in ihr auch die würdige Jüngerin eines Comenius erkennen,
dessen hohe Verdienste um das Erziehungswesen auch von ihr
in vollem Mafse gewürdigt wurden.
Möge das Andenken der Verstorbenen überall ein gesegnetes
seinl G. Wittmer.
MouaUliefte der Comeaiu^-Oesellschftft. 1893.
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Nachrichten.
Der Professor der Theologie an der UniversUät Tübingen, Lic iheol«
Alfred Hegler hat vor kurzem eme Schrift Aber „Geist nndSdirift bei Sebastiai
Franek^ (Freiburg, J. C. B. Mohr) verö£Pentlicht Das Budi ist als eine
hervorragende wissenschaftliche Leistung zu beeeichnen. Der Verfasser
weist mit Recht darauf hin, dals Francks Gedanken und Anschauungen
für die geschichtliche, die psychologische und die systematische Forschung
ein grofses und allgemeines Interesse darbieten. Für das Arbeitsgebiet
unserer Gesellschaft steigert sich dies Interesse noch dadurch, dafs sich hm
Franck und seinen nächsten Geistesverwandten« Denok, Bunderlin u» s. w.
eine Auseinandersetzung über die wichtigsten grundsätz-
lichen Fragen zwischen den Anschauungen Taulers, £ckharts, der
„deutschen Theologie" und den ursprünglichen Gedanken Luthehs (aus
denen Franck geschöpft hat) und der späteren protestantischen Dogmatik
vollzieht, wie sie in den reformatorischen Staatskirchen seit 1580 Gestalt
gewonnen hat.
Wir beabsichtigen daher, in den Monatsheften eingehender auf Heglers
Schrift zurückzukommen. Heute wollen wir nur darauf hinweiset^, da&
das Buch eich schcm deshalb auch für weitere Kreise eignet» weil der
Verfasser seine Gedanken in so klarer und ansprechender Form vor-
trägt, wie es bei deutschen Gelehrten leider nicht alizuhäufig ist. — Wie
sehr die hier erörterten Fragen die wissenschaftliche Aufmerksamkeit heute
auch in anderen Ländern auf sich ziehen, beweist das im Jahre 1890 er-
schienene Werk von J. H. Maroni er (Rotterdam): Het inwendig Woord.
Fenige Bladziiden nit de Geschiedenis der Hervorming (Amsterdam, Hol-
kemaX dessen Inhalt sich ebenfalls wesentlich aufDenck, Franck und Bunderlin
erstreckt Das Buch giebt einen vortrefflichen, sorgfältig gearbeiteten
Überblick über die in Frage kommenden Erscheinungen und wird im Zu-
sammenhang mit Hegler und den in der Contemporary Review (London, Isbister
u. Co.) im März 1891 und Dezember 1892 erschienenen Abhandlungen
von Richard Heath über Denck und den sog. Anabaptismus zu besprechen
sein. — Erwähnen wollen wir noch, dafs die Teylersche G^ellschaft im
Haag in Anerkennung der Wichtigkeit der Frage für die gesamte theo-
logische Entwicklung im Jahre 1887 eine Preisfrage über das ;,innere
Worf^ ausgeschrieben hat, dafs sie aber, als die eingelaufenen Arbeiten
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1898. Nachricbt6iH 51
ihren An^rdchen nacht genügten, die Frage gegen ihre sonstige Gewohn-
heit lüoht erneuert, sondern zurückgezogen hat.
. Im Jahre 1679 erschien [zu Nürnberg bei Michael und Joh. Friedr.
Endter eine Aligabe de» Orbis pictis mit folgendem Titel: Joh. Arnos
Comenii |- Orbis 8en<| sualium pictus [ quadrilinguis , | Hoc est: | Omnium
fiindamentalium in mundo rerum et in | vita acttonnm | Pictura et Nomen-
clatura, | Germanica, Latina, Italioa | et Gallica. | Cum Titulorum juxta,
atque Yocabuloram Indice. | • (Folgt eine Titelvignette, welche das Weltall,
Sonne, Mond und Sterne, darstellt, aber von der Vignette, der ersten drei
Ausgäben abweicht.) CumgratiaetPrivilegio SacCaes. Majestatis et Sereniss.
Electooris Saxonici* Noribergae etc.
Auf der Rückseite des Titelblattes steht folgendes Gedicht:
Äd
Nobüem et Clm Dn. Autarem
Novi ego, Te per imiUa patiy düecU Tepati pro vera Christi
religione tut,
AUamem haec anifmim tum firanginU: promtius inde
proeedU, magni grande läboris Opu$.
Jtaim et OoMus demtrdbuniwr: in uno quod bona tot mentis
sint cwmuUxta Viro
Amicae memoriae causa
Imque f.
Joh* Michael DUherrus.
Hien^uf folgt die Widmung der Übersetzung an den Bat der Stadt
Nürnberg in italienischer und französischer Sprache durch den Herausgeber
B. L. Teppaii. Aus der Widmung erhellt, dafs Teppati dem ßat zu Dank
verpflichtet war.
Da M. Dilherr bereits 1669 gestorben ist, so kann die Ausgabe von
1679 »urein Neudruck einer älteren Ausgabe sein. Da bis jetzt über die
Person des B. L. Teppati, soviel ich habe feststellen können, Näheres nicht
bekannt ist, so wäre es erwünscht, wenn einer unserer Leser imstande
wäre, weiteres Licht über diesen Mann und seine Beziehungen zu Dilherr
zu verbreiten.
Über Jaeoh Redinger, einen Anhänger des Comenlus im 17. Jahrb.,
hat Regierungs- und Schulrat F.. Sander in der Beilage zur Allg. Zeitung
vom 2. und 3. Sept. 1892 (Nr. 205 u. 206) zwei Artikel veröffentlicht, auf
die wir die Leser der Monatshefte au^erksam machen wollen. Redinger
war bisher so gut wie unbekannt. Sander wurde dadurch auf ihn geführt,
dafs er in den Büchereien der ihm in Bunzlau unterstellten Lehranstalten
eine deutsche Übersetzung des lateinischen Urtextes der Schola ludus des
Comenlus fand, welche zu Frankenthal im Jahre 1659 gedruckt und der
berühmten Kurprinzessin Elisabeth Charlotte (Liselotte, später
Herzogin von Orleans) und dem Kurprinzen Karl von der Pfalz ge-
widmet war-, Verfasser dieser und einiger gleichzeitig entdeckter Über-
setzungen war Jacob Kedinger. In der Widmung an die fürstlichen Ge-
schwister heifst es, dafs „kurerbliche Durchlaucht nicht nur glücklich an-
4*
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52 Nachrichten. Heft 1 u. 2.
gefangen, die lateinische Sprache samt den Dingen nach des weltberühmten
Comenius kurzem und leichtem Lehrwege zu lernen, sondern auch mit
gnädigster Beiwohnung des ersten Spiels, so den siebenten Aprilen in Franken-
thal gehalten worden, ihre günstige Zuneigung zu dieser Spielschule" und
zu der gesamten neuen Lehrart „bezeuget**. Sehr merkwürdig tritt in
diesen Übersetzungen die Begeisterung des Comenius und aller seiner
Schüler für die Matterspraebe und ihre Pflege, hier also für die
deutsche Sprache hervor. „Es ist eine Schande," sagt Redinger, „dafs
so viel tausend gelehrte Männer in allen teutschen Landen sind, die ihre
edle uralte Sprach nicht besser und mehrer sammeln^. Im Nachwort der
„Spielschule" (Schola ludus) heifst es: „Günstige Leser. Ich hätte in Über-
setzung dieser Spielschule alles gern mit rechten eigentlichen teutschen
Wörtern gegeben. Wo selbiges nicht oder nicht wohl geschehen, so messet
die Schuld teils höchstem Eilen, teils meiner Unwissenheit und nicht unser
vollkonmiensten wortreich es ten Sprache zu, von welcher der Hochweise und
Wohlgeübte Komenius im andern Teile seiner Lehrwerken am 45. Blatt
wohl sagt (Opera didactica Amst. 1657, 11, 45 in der Novissima linguarum
methodus von 1648 Cap. IV § 26): >Die teutsche Sprach könnte ihrer un-
erschöpften Reichtumen geniefsen, so sie dieselbige zu brauchen wüfste
wegen der Menge eingliedriger Stammwörtern und Glückhaftigkeit der
Wörterdoppelung, welche andern unbekannt; die mit ihr selbst vergnügt
und allzeit fertig ist, die allerdeutlichsten Namen jeden Dingen auf-
zugeben.' Aus dem lateinischen Wortlaut der Stelle geht deren Sinn deut-
licher hervor. Comenius sagt (a. a. 0.): Jam si quaestio sit, quaenam
lingua aliis omnibus praecellat, difBcillima fueritresponsio . . . Germanica
ob radicum monosjUabarum copiam, vocesque componendi ignotam aliis
felicitatem, seipsa contenta et ad indenda quibusvis rebus significantissima
nomina semper prompta, inexhaustis suis frui posset divitiis, si
uti sciret.
Wir verweisen im übrigen in betreff der Bestrebungen wie der Person
des Redinger auf die erwähnten Aufsätze Sanders.
In der „Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz
Posen", herausgegeben von Dr. Rodgero Prümers, 7. Jahrg., 2. u. 3.
Heft, April bisSept 1892 (Posen, J. Jolowicz) veröffentlicht Ernst Luck-
f i e 1 einen Aufsatz über „Die Geschichte des Sodnianismas in Orofspolen".
Es war in Polen dem Lälius Socinus mit Hülfe dortiger Magnaten gelungen,
weite Kreise far seine Auffassung der Lehre Christi zu gewinnen, und sein
Neffe Faustus Socinus hatte es verstanden, der Gemeinde eine feste Ver-
fassung zu geben. Der Arbeit ist eine Untersuchung der Quellen zur Ge-
schichte des Socianismus beigefügt. Wir machen hier auf diesen Aufsats
auch deshalb au^erksam, weil Comenius^ frühere freundliche Beziehungen zu
dieser Gemeinschaft und einigen ihrer Vertreter weit weniger Beachtung ge-
funden haben als die späteren, die sich zu einer entschiedenenGegner-
schaft gestalteten. Wir verweisen in Bezug auf die früheren Beziehungen,
welche freundschaftlicher Art waren, auf die Monatshefte 1892, S. 278 ff.,
wo Comenius selbst darüber berichtet und unter anderem sagt, er habe
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1893. Nachrichten. 53
die Institutionen des Ostorodius und das Neue Testament der Socinianer
„non sine vario tentationum assultu, conscientiaeque vacillatione, victoria
tarnen fidei tandem" gelesen. WäreComenius der Versuchung erlegen,
so würde er in den Untergang jener Gemeinschaft, der sehr bald und nicht
ohne deren eigenes Verschulden, eintrat, verwickelt worden sein, und er
hätte niemals die universelle Bedeutung gewinnen können, die er that-
sächlich gewonnen hat. Eine Opposition, deren Widerspruch bei ein-
zelnen Lehrsätzen einsetzt und deren Wesen sich zum grölfiten Teil
auf die Verneinung gewisser Dogmen zuspitzt, wird stets, so begründet
manchem die Bestreitung scheinen mag, der Gefahr ausgesetzt sein, ihre
Kräfte im Kampf um eben diese Sätze zu zersplittern und selbst einen
dogmatischen Charakter anzunehmen, der nur die Köpfe erhitzt, aber die
Herzen kalt läfet; sie wird aber auch, indem sie den Zusammenhang mit
der Überlieferung zerreifst, auf der Bahn der Verneinung leicht weiter ge-
führt werden, als ihren Stiftern vorgeschwebt hat und als es angänglich
ist, wenn die gemeinschaftsbildende Kraft aufbauender Gedanken erhalten
bleiben soll. Eine Gemeinschaft kann ebenso durch die Betonung wie
durch die Bestreitung gewisser Lehrformeln den Charakter einer Be-
kenntnisgemeinschaft gewinnen und damit in der einen oder der an-
dern Beziehung eine Gefährdung der Bekenntnisfreiheit herbeiführen. Nur
dort, wo der Charakter der Gesinnungsgemeinschaft grundsätzlich
in den Vordergrund gestellt und Lehr formein weder so noch so in den
Mittelpunkt gerückt werden, kann Bekenntniszwang mit allen seinen
Folgen einigermafsen vei^nieden werden.
Pastor H. Stockmann in Borssum bei Emden teilt uns folgendes mit:
„Der ostiriesische Chronist Eggerink Beninga schreibt: ,Anno Christi
MDXXn am avende Omnium sanctorum is Helmer (Häuptling) zu Borssum,
welke omtrent 63 jaer olt was, uth dussen jammerdal verscheden. Richtede
sick na dem olden und nyen Testament, lange vor der tyd eer Map-
tinns Luther begunde to schrjven, is dar oock bestandlic wente an
dat einde by gebleven. Heeft van de insettinge des Pauwstes gantsch
nicht geholden.' Eggerink Beninga war Zeitgenosse des Helmer und später
durch seine Heirat mit der Erbtochter Besitzer von Borssum; er kannte
also den alten Helmer genau.^
Die Bibelausgaben, die dieser Häuptling gelesen hat, sind höchst
wahrscheinlich nicht in lateinischer, sondern in deutscher Sprache ge-
schrieben gewesen. In diesem Zusammenhang mag darauf verwiesen sein,
dafs die Bibelübersetzung, die im Jahre 1562 zu Emden bei Nie. Biestkens
erschienen ist, sich in wichtigen Teilen nicht an die lutherische, sondern
an die vorlutherische deutsche Bibel anlehnt, die also um 1560 noch
in Emden bekannt war. Näheres bei Keller, Die Waldenser und die
deutschen Bibelübersetzungen. Leipzig 1886, S. 152 ff.
In Nr. 222 u. 223 der Allgemeinen Zeitung vom 11. und 12. August
1892 (Beilage -Nummer 186 u. 187) hat Theodor Ritter von StefanoviC-
Vilovsky unter dem Titel „Studien cur Geschiehte des Bogomilisrnns**
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54 Nachrichten. Heft 1 Ü. 2*
zwei Aufsätze yeröffentlicht, die wir hier nicht unerwähnt lassen
dürfen. Der Verfesser schöpft zum Teil aas slawischen Quellen, die in
der deutschen Litteratur noch keine genügende Beachtung gefunden haben.
Die Schrift Bogomili i Patareni von Dr. A. ßaCki (Rad Ingo ela-
venske akademije zuanosti i unyetnosti. 1869, u Zagreba) habe ich
hier zum erstenmal erwähnt gefunden^ Herr von Stefano vi5 zeigt sich in
seiner Beurteilung der Bogomilen von seinen Quellen, die fast durchweg
von gegnerischer Seite stammen, sehr abhängig; immerhin hat er die
Bedeutung dieser „€k)ttesfireunde^ — der Name Bogumil heifst Glottes-
freund — doch richtig erkannt, auch auf die Zusammenhänge mit Pa^
tarenern, Katharern, Waldensern, Taboriten und bdhmisehen
Br&dern richtig hingewiesen. „Die höchste Aufgabe des zukünftigen Ge-
sohichtschreibers des Bogomilentums," sagt er am SchluTs, „müiste darin
bestehen, den roten Faden zu finden, der sich durch die ersten Eefor-
mationsversuche der paulicianischen und bogomilisehen Lehre bis zur
neueren Beformation (des 16. Jahrhunderts) hindurchzieht und dem Bogo-
milismus eine weitaus gröfsere Bedeutung verleiht, als sie bisher im all-
gemeinen vorausgesetzt werden konnte. '^ Über diesen „roten Fad^i^ findet
sich Näheres bei Keller, Die Beformation und die älteren Reformparteien.
Leipzig, S. Hirzel, 1885.
Der Yerwaltungsausschufs der Comenius- Gesellschaft hält es für
seine Pflicht, mit verwandten und befreundeten Unternehmungen in freund-
liche Beziehung zu treten. Die ersten Schritte sind in dieser Richtung dar
durch bereits geschehen, dafs der Vorsitzende durch Schreiben vom 18. Ok-
tober d. J. den historisclieii Vereinen nnd Gesellsehaften DentscUands nnd
Österreichs von der Errichtung der Comenius -Gesellschaft Kenntnis ge-
geben und sich bereit erklärt hat, mit ihnen in Schriftenaustausch
zu treten. Darauf haben verschiedene Vereine — wir werden das Ver-
zeichnis demnächst veröfientlichen — alsbald in entgegenkommendem Sinne
geantwortet, und es ist Aussicht vorhanden, dafs weitere Vereine dem ge-
gebenen Beispiel folgen werden. In dem Schreiben vom 18. Oktober heifsl;
es unter anderm: „Die Gesellschaft, die gegenwärtig über 900 Mitglieder
zählt, hat sich, wie der im 1. Heft unserer Zeitschrift (Monathefte der C.-G.
1892) abgedruckte Arbeitsplan ergiebt, in erster Linie geschichtliche
Aufgaben gestellt, und ihre Ziele berühren sich daher in manchen wich-
tigen Punkten mit denjenigen der Geschichts- und Altertumsvereine. Es
wird nicht viele Landschaften und gröfsere Städtp des Reiches geben, iii deren
Geschichte nicht die Männer, deren Andenken die Gesellschaft vornehmlich
pflegen will, Spuren ihrer wissenschaftlichen oder praktischen Thätigkeit
hinterlassen haben. Insofern die Gesellschaft dem Wirken dieser Männer
nachzugehen beabsichtigt, kann sie auf diesem Gebiete der Provinzial-
und Stadtgeschichte ergänzend zur Seite treten und durch ihre Zeitschrift
zur Aufklärung mancher bisher weniger beachteten geschichtlichen Er-
scheinungen mitwirken."
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1893. Nachrichten. 55
BtfithtigJBLng.
Wir hatten Monatshefte 1892 S. 219 eine Übersicht über den Verlauf
der Jahrhundertfeier in den Zweigvereinen des AUg. deutschen Sprach-
vereins gebracht und zu Braunschweig bemerkt, dafs Herr Oberlehrer
K. Scheffler als Bedner angetreten sei. Herr Scheffler bittet uns, mitzu-
teilen, dafs nicht er, sondern Herr Museumsdirektor Professor Dr.
Riegel des Comenius gedacht und einen Hinweis auf die Bedeutung
des Tages in einer kurzen Ansprache gegeben habe.
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Pierer*tohe Hofbaohdnioker«L Stephan Geib«l A Co. in AlUnburg«
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Monatshefte
der
Comenius-Gesellschaft.
IL Band. — 1893. ^ Heft 8.
Der Aufenthalt des Comenius in Lüneburg im August
1647 und die Wiederaufhalime seines BriefWeclisels mit
Valentin Andrea
von
O. Rsdlaoh^ Pfarrer in Zethlingen (Altmark).
Der im Jahre 1872 als Professor in Marburg verstorbene
Kirchenhistoriker Ernst Ldw. Theod. Henke, welcher durch sein
kirchengeschichtliches Hauptwerk: „Gkorg Calixtus und seine
Zeit", 2 Bde., Halle 1858 — 60, sich als einer der vorzüglichsten
Kenner des siebenzehnten Jahrhunderts erwiesen hat, erwähnt
in der Vorrede zu dem von ihm schon im Jahre 1883 heraus-
gegebenen und der theologischen Fakultät zu Jena gewidmeten
Briefwechsel des Georg Calixtus, dafs der gelehrte Herzog August
von Braunschweig, der Grtlnder der Wolfenbütteischen Bibliothek,
eine besondere Liebhaberei hatte, Autographa bertlhmter Männer
zu sammeln. So seien die grofsen Sammlungen besonders von
Briefen • gelehrter Zeitgenossen des Herzogs entstanden , welche
sich noch auf dieser Bibliothek befinden.
Es unterliegt keinem Zweifel, dafs aus diesen Briefsamm-
lungen noch manches Gold für die Comeniusforschung gewonnen
werden kann, befinden sich doch unter denselben neben zahl-
reichen Briefen von deutschen Staatsmännern jener Zeit, Ge-
lehrten verschiedener Art, Philologen, Ärzten, Polyhistoren und
Theologen, von denen wir z. B. nur Dur aus nennen, über den
derselbe Henke den Artikel in Herzogs Realencyklopädie für
protestantische Theologie geliefert hat, ganz besonders zahlreiche
Monatsliefte der Comenias-Oesellscliaft. 1898. 5
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58 Radlach, Heft 3.
Briefe Valentin Andreas, von dem von Criegem mit Recht sagt,
dafs für Valentin Andrea Herzog August von Braunschweig und
Lüneburg dasjenige bedeutete, was Lorenz und Ludwig von Geer
für CoBiienius waren.
Bei der Bedeutung, welche Valentin Andrea fUr Comenius
gehabt hat, kann der jetzige Stand der Comeniusforschung nicht
mehr mit Hofsbachs Bearbeitung sich zufrieden geben, sondern
mufs ein ähnliches Werk fordern, wie es Henke in seinem „Gteorg
Calixtus und seine Zeit" geschaffen hat, der in seinem (flir die von
der Münchener historischen Konmiission herausgegebene all-
gemeine deutsche Biographie I. S. 441 ff".) über Valentin Andreae
gelieferten Artikel, welcher eine der letzten Arbeiten aus Henkes
Feder ist, noch die Fundamente zu einer Neubearbeitung des
Mannes gelegt hat, den Comenius in Opp. did. I. S. 442 als
einen „virum fervidi et defaecatae mentis" bezeichnet, auf den
er öfter in seinen Werken zu sprechen kommt, so dals man ihm,
um mit Kleinert zu reden, die Genugthuung anspürt, sich mit
diesem reformatorischen Geiste in fortwährender Verbindung und
inniger Geistesgemeinschaft zu wissen, und durch den, wie von
Criegem : „ Joh. Amos Comenius als Theolog" Cap. 7 in längerer
Ausführung trefi*lich nachzuweisen begonnen hat, Comenius nach
allen Richtungen seines Geisteslebens einen befruchtenden Einflufs
erfuhr.
Aufftüligerweise ist die von Henke Seite XIV seiner Ein-
leitung zu dem Briefwechsel des Georg Calixtus gemachte Be-
merkung von der Comeniusforschung bis jetzt nicht beachtet
worden, in welcher Henke hervorhebt, dafs unter den von Herzog
August gesammelten Briefen sich auch ein Brief des Comenius
befindet Dies läfst sich besonders auch daraus erklären, dafs
der Katalog der Wolfenbüttler Bibliothek unter den Werken,
welche dieselbe von Comenius besitzt, diesen Brief bis jetzt nicht
aufgezählt hat Wir haben die durch Henke gegebene Andeutung
als Fingerzeig benutzt und in dem Handschriftenbande Extravag. 54
der Wolfenbüttler Bibliothek, welcher die Überschrift trögt:
„Autographa et exempla epistolarum doctorum Virorum ad alios
eruditos ordine alphabetico digesta, in quarum numero etiam
Epistola autogr. Phil. Melanchtonis** am 28. Juli d. J. einen Brief
des Comenius gefunden, welchen er von Lüneburg aus am
22. August 1647 an Valentin Andrea geschrieben hat. Henke
scheint anzunehmen, dafs sämtliche Briefe Autographa sind.
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1893. I^' Aufenthalt des Comeoias in Lüneburg etc. 59
Aus der Überschrift, welche der Sammler dem Bande gegeben
hat, geht aber schon hervor, dafs eine Anzahl Briefe nur Ab-
schrifiten sind. Während der Brief des Melanchthon, welcher
in dem citirten Sammelband sich befindet, ohne Zweifel ein
Originalbrief ist, der auch sonst die Sputen von den Taschen
und Händen der Tabellarii trägt, die ihn befördert haben,
scheint der mit ihm vereinigte Brief des Comenius nur eine
Abschrift zu sein. Dieselbe ist nur an einigen Stellen weniger
deutlich, sonst aber sehr gut erhalten und macht den Eindruck,
als habe eine zweite Hand diejenigen Stellen sorgsam nach-
getragen, welche der erste Schreiber leer gelassen hat, da er sie
vielleicht nicht lesen oder verstehen konnte. Durch gütige Mit-
hülfe des Herrn Bibliothekar Dr. Milchsack haben wir die Über-
einstimmung unserer Abschrift mit der Wolfenbüttler Handschrift
festgestellt. Der Text giebt überall einen guten Sinn. Wir haben
nichts fortgelassen und nichts hinzugesetzt Nur der Schlufssatz
erscheint in der Handschrift unverständlich, denn er scheint zu
lauten: possim, suam, Velim. Wir haben das Komma hinter
suam fortgelassen und in dem dargebotenen Text des Briefes Air
„suam" „nedum" gesetzt. Auch scheint das Jahr der Absendung
„1644" zu lauten, was aber schon auf Grund der in dem Brief
angeführten Thatsachen, auf welche wir weiter unten hinweisen
werden, nicht angeht. Laut Patera, Briefwechsel des Comenius,
Prag 1892, S. 82, schreibt Comenius an Tobias Andrea aus Elbing am
16. August 1644: „herique reversus, jam rursum ad convocationem
Evangelicorum generalem Orlam Lithvaniae (sexaginta inde leucas
distantem locum) abeo." Die erwähnte Synode in Orla, auf
der Comenius anwesend war, wurde am 24. August 1644 ab-
gehalten. Er berichtet darüber an Hotton imterm 18./28. Sept. 1644.
Wir lesen deshalb nicht „1644", sondern „1647".
Der Brief selbst bringt neues und bisher unbekanntes bio-
graphisches Material zu unserer Kenntnis und mufs schon durch
diese besonderen Angaben, wodurch er die bisherige Kenntnis von
dem Lebensgang des Comenius erweitert, allen Freunden und
Verehrern dessdben willkonmien sein.
Nicht weniger wichtig sind die allgemeinen Bemerkungen,
welche Comenius in demselben abgiebt. Seine reciperationes,
wie er am Schlufs seines Schreibens die in seinem Briefe dar-
gelegten Gründe zu seiner Rechtfertigung nennt, lassen uns nicht
blofs klar erkennen, in welcher Ehrfurcht, in welcher Liebe und
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60 Radlach, Heft 3.
in welchem Vertrauen er dem Valentin Andrea stets zugethan
gewesen ist, sondern sie zeigen auch, wie Comenius bei allem
Streben für Einigung und Versöhnung, so dafs er als „membrum
ecclesiae illius, quae alios condemnare non didicit** darüber seufzt,
„quod satanae machinationes in distrahendis nobis plus possunt,
quam in coadunandis Spiritus Christi**, doch auch wieder mit be-
sonderem Nachdruck seinen konfessionellen Standpunkt als ein
Glied derjenigen Kirche betont „quae reformationem suam non
a Luthero aut Calvino, sed ab Husso centum ante Vestram annis
coepit**.
Was die objektive Forschung im allgemeinen von Comenius
bis jetzt festgestellt hat, wird durch unsem Brief nur bestätigt^
und behält somit auch im Hinblick auf unsem Fund von Criegem
recht, wenn er S. 58 sagt: „Es ist nicht anzunehmen, dafs zu
dem Bilde von Comenius neue Züge hinzukommen würden, wenn
wir noch mehr Schriften von ihm auffänden. Der Gedanken-
kreis, in welchem er sich bewegt, ist bekannt.**
Als Comenius unsem Brief in Lüneburg schrieb, befand er
sich in einem körperlfch angegriffenen Zustande. Der Ruf der
heilkräftigen Quelle zu Hornhausen, eines in dem früher Halber-
städtischen Gebiet gelegenen Fleckens, der etwa eine Stunde von
Oschersleben entfernt ist, war selbst bis an die sarmatischen Ge-
stade gedrungen und hatte manche Bekannte des Comenius ver-
anlafst, dies Bad aufzusuchen. Es war ein Soolbad, das nach
mündlicher Überlieferung noch im Anfang unseres Jahrhunderts von
vielen Kranken besucht wurde. Nach der Sage sollen die Ge-
nesenen ganze Berge von Krücken zusammengetragen und daraus
ein Freudenfeuer angerichtet und ihre Loblieder dabei angestimmt
haben. Wahrscheinlich war Comenius von rheumatischen Affek-
tionen heimgesucht. Schon im März 1645 finden wir ihn auf
dem Krankenlager. Die bekannten Sorgen der zuletzt ver-
gangenen Zeit hatten ihn besonders angegriffen. Auf Zureden
einiger Freunde schliefst er sich einer Reisegesellschaft an, welche
in den ersten Augusttagen 1647 die Reise antritt, den etwa zwei-
bis dreitägigen Weg zu Schiff von Elbing nach Lübeck wählt,
aber bald sich genötigt sieht, in Lüneburg Halt zu machen, denn
hier treffen sie mehrere Reisende, welche schon von Hornhausen
zurückkehren, „sequiora quam pro spe nostra nobis enarrantes**,
und Schlechteres erzählen als Comenius erwartete. Wir haben
den Herrn Archivrat Dr. Jacobs in Wernigerode a. H. um eine
Erklärung dieser Stelle gebeten. Derselbe schreibt uns: „Über
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1893. I^ Aufenthalt dee Comenius in Lüneburg etc. 61
die Bedeutung von sequiora braucht man sich wohl nicht den
Kopf zu zerbrechen. Bad Homhausen war im Jahre 1646 auf-
gekommen und sofort zu gewaltigem Ansehn gelangt. Aber am
Ende des Jahres verschwanden die (20) Quellen sofort wieder, um
dann im Juni 1689 noch einmal hervorzubrechen. Die Einrich-
tungen in dem halbwüsten Dorfe waren sehr notdürftige. Allen
halfen die Quellen auch nicht, und so lauteten die Urteile über
Bad Homhausen verschieden. Wunderbares berichtet davon Aug.
Hauptmann in seiner ^^Sedula gratiosanun fontium qui Homhusii
pervestigatio", Leipzig 1647. In der Bibliothek zu Wernigerode
befindet sich Pröhles Chronik von Homhausen. Genügendes mit
Abb. V. J. 1646 bei G. Schmidt, Kunstdenkm. der Prv. Sachsen.
Oschersleben 1891, S. 144—147." Aus dieser Erklärung geht
schon hervor, dafs unser Brief nicht 1644 geschrieben sein
kann.
Die unerwartete Unterbrechung seiner Badereise sollte aber
für Comenius nicht ohne Gewinn sein, da er in Lüneburg mit
einem vortreflFlichen Mann, Johann Stern mit Namen, bekannt
wurde, der sich mit seinem Bruder Heinrich um die Kirche Jesu
Christi „studiisque pietatis", d. h. und durch seine Bestrebungen
zur Hebung der Frömmigkeit verdient gemacht hat und immer
noch, wie Comenius hinzufügt, verdient macht.
Das Zeugnis, welches Comenius den Gebrüdem Stern in
Lüneburg ausstellt, bestätigt voll und ganz schon ein Blick in
die Geschichte der asketischen Litteratur jener Zeit. Die Gebrüder
Stern sind nämlich Verlagsbuchhänder, welche für die asketische
Litteratur des 17. Jahrhunderts eine ähnliche Bedeutung haben,
wie für das Gebiet der poetischen Nationallitteratur David Müller
in Breslau, der durch seine rührigen und umsichtigen Verlags-
arbeiten den schlesischen Dichtem, besonders dem Martin Opitz
und dem Johann Heermann den Weg geebnet hat Sagt doch
Joh. Heermann in der diesem Perthes oder Cotta des 17. Jahr-
hunderts aufgerichteten Ehrenschrift, dafs „David Müller sich ein
unsterblich Lob zu Wege gebracht hat durch die Unkosten, so er
auf den Verlag vieler nützlicher Schriften verwendet und damit
nicht allein der löblichen Stadt Breslau, sondern auch dem ganzen
Lande und der christlichen Kirche gedient hat." Auch können
wir den Gebrüdem Hans und Heinrich Stern in Lüneburg die
Gebrüder Michael und Johann Friedrich Endter in Nümberg
an die Seite stellen, von denen Michael Endter durch Comenius
das Zeugnis erhält, dafs er „durch eine korrekte und saubere
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62 Radlach. Heft 3.
Ausgabe des orbis pictus und die dazu besorgten Figuren und
Bilder'' gewissermafsen dem berühmten Schulbuch erst die Bahn
geebnet hat
Dafs Comenius sich an Johann Stern so schnell anschliefst,
so dafe er ihn dem Valentin Andreae gegenüber als den „communis
amicus et fautor" bezeichnet, hat ohne Zweifel seinen Hauptgrund
darin, dals er in Stern einen Mann gefunden hat, mit dem er
sich in der Hauptrichtung seines Geistes und seines Strebens bald
eins fühlen mufste. Denn hatte Comenius nach der ersten in
Zürich 1629 erschienenen deutschen Übersetzung der „Übung
der Gottseligkeit" des englischen Bischöfe Lewis Bayly dies Werk
1630 ins Tschechische übersetzt, so fand er hier in Lüneburg
eine andere der ersten geistlichen Schriften Englands, welche den
Weg nach dem Kontinent zurückgelegt haben, „das güldene
E^einod" des Lnmanuel Sonthom, das nach den bedeutenden
Forschungen des jetzigen Würzburger Dekans H. Beck (vgl. dessen
Abrife der religiösen Volkslitteratur Gotha 1891 S. 181) in Lüne-
burg 1620. 1630. 1632. 1634. 1653. 1679. 1680. 1683. 1696. 1703
aufgelegt wurde. Und wenn uns bald nach dem Fortgange des
Comenius aus Lüneburg, dort auch 1649 die erste Lüneburger
Ausgabe von Baylys Übung der (Gottseligkeit begegnet, so haben
wir dies vielleicht auf den Verkehr des Comenius mit Stern
zurückzuführen. Konnte mit Recht E^einert (Studien und Kritiken
1878 S. 89) den Comenius als „Vorläufer der pietistischen Be-
wegung bezeichnen, die in so vielfacher Beziehung (auch in
didaktischer) an Comenius direkt angeschlossen hat^, so finden
wir eben in Stern einen Verlagsbuchhändler, der durch die
zahlreichen Artikel seines grofsen Verlags dem Pietismus die
Bahn hat brechen helfen und gewissermafsen die Hebeanmien-
dienste bei der Geburt einer neuen Zeitrichtung geleistet
hat, die im Gegensatz zu der toten Orthodoxie unter Speners
Führung das Losungswort „des thätigen Christentums" auf ihre
Fahne schrieb. In Lüneburg freilich, das A. H. Francke als
seine geistliche Geburtsstadt bezeichnet hat, wo ein Jahrzehnt nach
Franckes Fortgang Joh. Seb. Bach als Diskantist im Schülerchor
des Michaelisklosters sein Brot verdiente, sollten noch harte Kämpfe
zwischen diesen beiden Richtungen geführt werden. Sie gingen
so weit, dafs als der Superintendent Caspar H. Sandhagen, der
früher in Bielefeld mit Breckling und mit Labadie in innigem
Verkehr gestanden hatte, und imter dessen Amtsführung Joh.
Duraeus von Cassel aus seinen Friedensgedanken in Lüneburg
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1893. ^^ Aufenthalt des Comenios in Lüneburg etc. 63
Bahn machen wollte, nach Schleswig als Generalsuperintendent
abgegangen war, sein Nachfolger, der Freund Speners, W. Pe-
tersen 1692 abgesetzt wurde, der mit einer Post 6000 Thaler
Missionsgelder nach Pennsjlvanien sandte, die aber auf dem
stürmischen Meere verloren gingen, unter dessen Einflufs das
„Unum necessarium^ des Comenius zum erstenmal in deutscher
Sprache 1690 in Lüneburg erschien, der aber in einen ähnlichen
Fehler wie Comenius verfiel, indem er den Weissagungen eines
Edelfräuleins von Asseburg Glauben schenkte, womit weder
Spener noch die orthodoxen Gegner einverstanden waren. Letz-
tere veröffentlichten sogar ihre Ansichten darüber in besonderen
Thesen.
Die Lüneburger Chronisten haben dem Stern keine beson-
dere Aufinerksamkeit geschenkt. Nach Maneckes, des fleifsigen
Sammlers Lüneburgischer Nachrichten, Beschreibung und G^
schichte der Stadt Lüneburg 1816 S. 31, „waren seit Ende des
16. Jahrhunderts die Gebrüder Stern in Lüneburg konzessionierte
Buchhändler, begaben sich aber nachmals des Geschäfts, und in
der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts fand sich dort der Buch-
händler Cubach, berühmt wegen eines edierten und vielmals auf-
gelegten Gebetbuches." Allein wir haben in den Bauernhäusern
der Altmark noch Werke aus dem 18. Jahrhundert gefunden,
welche in Lüneburg bei Cornelius Johann Stern aufgelegt sind,
so z. B. aus dem Jahre 1727 die bekannte im 17. Jahrhundert
auch in Lüneburg öfter aufgelegte Praxis Evangeliorum Martin
Mollers, die bis nach Ungarn und nach Holland hin verbreitet
war. (Siehe das Vorwort zur Eislebe/ Ausgabe 1857 Band H.)
Erzählte mir doch z. B. im Jahre 1888 ein Ältester der grofsen
evangelischen Gemeinde Zauchtel bei Fulnek in Mähren, die^s
ihre Väter und Mütter die alten Erbauungsbücher „Molleres" ge-
nannt hätten, welche unter den Dielen der Wohnzimmer oder
in anderen Winkeln vor Erlafs des Toleranzedikts Joseph H
verborgen gehalten wurden.
Es würde sehr lohnend sein, die Buchhändler Stern in
Lüneburg in einer Monographie zu behandeln. Leider ist das
Archiv der Druckerei in alle Winde zerstreut. Folgende wenige
Notizen, welche in der Lüneburger Druckerei aufbewahrt werden
und von dem weiland Direktor Dr. Volger henilhren, verdanken
wir der gütigen Mitteilung des Herrn Oberlehrer Th. Meyer in
Ltlneburg: „N. N. Stern wird 1580 als Buchhändler imd Buch-
binder genannt Hans Stern legt 1602 einen Buchladen auf dem
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64 Radlach, Heft 3.
Sande an. Dessen Söhne Johann und Heinrich gründen 1614
die Buchdruckerei. Bis dahin wurden ihre Verlagsartikel in
Goslar gedruckt. Erstes Privilegium von Herzog Christian 1625.
Eine andere Buchhandlung und Buchdruckerei (Michaelsen),
welche 1627 gegründet wurde, bestand nicht lange. Ein bedeu-
tendes Privilegium erhielten die Sterne 1634 und dieses ist mehr-
fach erneuert und selbst vom Kaiser bestätigt 1645. Spätere
Buchhandlungen und Druckereien bestanden nicht lange. Be-
sonders berühmt sind die Bibelausgaben (mehr als 12). 1650
wurde Johann Stern wegen seiner Verdienste um die Eimst
geadelt."
Während aber Comenius von dem Joh. Stern sagt, dafs er
ein Mann sei „optime de Ecclesia Jesu Christi studiisque pietatis
meritus et adhuc merens" erwähnt J. G. Bertram in seiner grofsen
Kirchengeschichte Lüneburgs Braunschweig 1719 den Buchhändler
Stern gar nicht. Nur im XI. Kap. : „Von des Superintendenten
D. Petri Rhebinders Leben, darin auch der Streit mit Christian
Hohburg enthalten" erwähnt er die Stemsche Buchdruckerei. In
dieser Druckerei war der wegen Irrlehre aus Ülzen vertriebene
und besonders durch seinen „Spiegel der Mifsbräuche beim
Predigtamt" (worin er im Gegensatz zu dem starren Amtsbegriff
der Orthodoxen zu dem entgegengesetzten Fehler kam), durch
seine Postilla mystica und andere auch im 18. Jahrh. öfter auf-
gelegte Schriften bekannt gewordene Christian Hohburg seit
1640 als Korrektor angestellt Die Verteidigung dieses Mannes,
der sich im Hause des Stern befand, als Comenius bei ihm war,
hat später Gottfried Arnold in seiner „Unpartheyischen Kirchen
und Ketzerhistorie" übernommen, der aber, wie schon Buddeus,
der Verehrer des Comenius, in der Sprache des Perückenstils
geurteilt hat, „sich zu sehr per affectum contrarium abriepieren
liefs und wie andere die Ketzer heruntermachen, er solche stets
excusire und den Damnantibus die Schuld beimesse und daher
die Wahrheit verfehlen müsse." Gewifs hätte Stern dem wegen
Irrlehre abgesetzten Hohburg keine Stelle als Korrektor in seiner
Buchdruckerei gegeben, wenn er ihm nicht in gewissem Sinne
zugeneigt gewesen wäre. Vermutet doch Bertram mit Recht,
dafs Hohburg als Korrektor der Stemschen Druckerei eine An-
zahl seiner Schriften drucken liefs, die er unter dem erdichteten
Namen eines EHias Prätorius (Schulze) ausstreute.
Es war aber noch ein anderer Umstand, der den Comenius
in Lüneburg gern Halt machen liefs. Als Exulant fand er hier
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1893. l^er Aufenthalt des Comenius in Lüneburg etc. 65
besonderes Verständnis und Mitgefühl vor und hoffte gewifs auch
manches Neue über die Zustände in Böhmen und in Mähren zu
erfahren. Denn Lüneburg war es, welches schon im Jahre 1622
den M. Georgias Cratzsch, welcher, nachdem er zu Hörn in
Nieder-Östreich 8 Jahre das Diakonat und 7 Jahre das Pastorat
treulich verwaltet und infolge kaiserlichen Befehls vom Febr.
1621 innerhalb 8 Wochen sein Amt aufgegeben und nach dem
5 Meilen von Hom entfernten Znaim in Mähren mit seiner Fa-
milie geflüchtet war, als Pastor an der Michaeliskirche angestellt
hatte. In Lüneburg hatte Sigismund Scherez, einer von den
vier letzten evangelischen Geistlichen, welche auf kaiserlichen
Befehl Prag räumen mufsten, nachdem am 24. Oktober 1622 die
beiden deutschen Kirchen Augsburgischer Konfession in Prag
eingezogen waren und darauf, wie der Bericht sagt, „die 4 evan-
gelisch teutsche Prediger zu Prag nach ihrer Beurlaubung sich
mit ihren lieben Zuhörern christlich und öffentlich auf freyem
Felde geseegnet", zuerst als Pastor an der Lampertikirche, darauf
als Superintendent eine gesegnete Wirksamkeit gefunden. Mit
Recht hat H. Beck in seinem schon oben zitierten trefflichen
Werk dem Sigismund Scherez, dessen bedeutendste Arbeit: „Seelen
Arztney wider die Melancholey" zuerst Lüneburg 1630 erschien
und zuletzt Lüneburg 1715 wieder aufgelegt wurde, besonders
hervorgehoben. Die Buchhändler Stern waren es, welche für
die Verbreitung der Schriften des Scherez eintraten, der ähnlich
wie Comenius sein Vaterland und seine verlassene Gemeinde
nicht vergafs und von Lüneburg aus „2 christliche Sendschreiben an
die Evangelischen Präger etc." sandte und auch eine Schrift ver-
fafste: „Constantia Veritatis Evangelicae an die hinterlassenen
Evangelischen Präger", welche Stern 1628 in Lüneburg druckte
und gewifs dabei die meisten Kosten aus seiner Tasche hergab.
Als Comenius, wie er schreibt, mit Stern „de selectioribus
dei organis ecclesiaeque luminibus reliquis" sprach und dabei des
wenige Jahre zuvor verstorbenen Scherez, des damals noch in
frischer Kraft in Hannover wirkenden Justus Gesenius, dessen
Bedeutung die in Göttingen 1883 erschienene gekrönte Preis-
schrift des jetzigen Bonner Professors E. Bratke uns in verdienst-
voller Weise an das Licht gestellt hat, des Calixt, des Meyfart,
des Saubert, des Lütkemann, des in dem nahen Zelle 1621 ver-
storbenen Generalsuperintendenten Joh. Arndt gedachte, dem im
Jahre 1619 Valentin Andreae seine Respublica Christianopolitana
gewidmet hat, von dessen „Warem Christentum" Valentin Andreae
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66 Radlach. Heft 3.
schon bald nach seinem Erscheinen einen Auszug herausgegeben
hat, auf den Comenius selbst in seiner Didactica magna cap. XXIV
N.24, ohne Arndts Namen zu nennen, hinweist, „incidit Tui quoque
mentio", wurde auch Valentin Andreae erwähnt. Als Stern von
Comenius hörte, dafs er dessen Schriften sehr schätze und dafs
er mit diesem selectum organon ecclesiae früher in brieflichem
Verkehr gestanden habe, holte er des Andreae letzte Briefe hervor,
welche den Comenius mit Trost und doch auch wieder mit Traurig-
keit erfüllten. Mit Trost, weil er daraus erfuhr, dafs Andreae
„zwar noch lebe und Gott lebe und das Werk Gottes beständig
treibe", mit Traurigkeit aber, weil die Briefe erzählten, dafs
Andreae aus den warmen Bädern ohne Hoffiiung auf Besserung
zurückgekehrt sei. Diese Angabe läfst uns wiederum darauf
schliefsen, dafs Comenius den Brief nicht 1644 geschrieben hat,
sondern erst 1647, denn in diesem Jahre kam Valentin Andrea
um seine Entlassung ein. Eine andere Zeitbestimmung für den
Brief finden wir aus der Veranlassung desselben.
Während Comenius im Hause des Stern in der evangelischen
Kirchenharmonie des Herzog August d. J. herumblättert ^), stöfst
er auf die „Studtgartiae die Lucae 18. Oct. 1644" geschriebene Vor-
rede des Joh. Valentin Andreae.
Schon mehrere Jahre vorher hatte Valentin Andreae mit dem
Herzog August über die Evangelienharmonie korrespondiert. Wie
er sich dadurch den Weg zu einem näheren Verhältnis zum
Herzoge bahnte, zeigen für die Jahre 1639 — 42 die Mitteilungen
Henkes aus seinen Briefen in der deutschen Zeitschrift f. ehr. W.
1852. S. 268 ff., wo auch (S. 261) Proben aus der Kirchenharmonie
gegeben sind, die besonders deshalb so genannt wurde, weil bei
jeder evangelischen Perikope die Parallelstellen aus den übrigen
Evangelien herangezogen und eingemischt waren. Andreae hebt
in seiner Vorrede des Herzog August Verdienste hervor und sagt,
') Evangelische Kirdien Harmonie [das ist: der Jioch-heüigen Skrift
unterschiedene Texte und \ Worte: | welche von unsem Gottseligen \ Vorfahm
aus den GesMchtshüchem der Evangelisten | und aus den Briefen der Aposteln
sowohl auch aus den Skriflen \ des aüen und ersten Bundes oder Testa-
mentes vor vielen hundert Jahren her- | ausgezogen u, s. w. Dies Werk
besteht aus zwei TeUen, welche 1646 vollendet wurden. „In der Fürstlichen
Hof Stadt zu Wolfenbüttel druckten und verlegten dieselbige Hans und
Heinrich die Sterne." Nach der schriftlichen Mitteilung des Herrn Ober-
bibliothekars Professor v. Heinemann in Wolfenbüttel ist die Buchhändler-
familie der Sterne in Wolfenbüttel dieselbe, die auch für Herzog August
in Wolfenbüttel Allerhand verlegt hat.
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1893. ^^ Aufenthalt des Comenios in Lüneburg etc. 67
nachdem er auf den trefflichen Druck und die schönen Kupfer,
welche das ganze Werk enthält, hingewiesen hat, von denen be-
sonders das Titelbild mit seiner Darstellung über Luc, 10, 41 u.
42 „Unum necessarium" beachtenswert ist, so dafs wir es verstehen,
weshalb der katholische Kaiser Ferdinand IIL den Verleger Stern
wegen seiner Verdienste um die Kunst adelte: „Dum aliqui in
arenä potius magna vi brachia tollere hastasque vibrare; alii
ingenii aciem tricis, argutiisque ostentare; alii, infelix lolium
Scholasticae Pan-sophiae, in Lutheri despectum serere; alii ad po-
pulum phaleras projicere, et personare tintinnabulis, malunt, Sere-
nissimus Augustus noster, lactantem gregem Christi, ad laeta
pascua ducere; cytharam suam ovans, (ut ut etiam Michaiis ge-
nius rideat) pulsare et in atriis Domini, cum psallentibus stare,
supra magnalia Mundi , elegit, nobileque donarium Dominicae
Passionis, in Sanctuario Dei, deposuit/ Als Comenius dies in
dem neu erschienenen Werke las, stand Stern neben ihm und
zeigte ihm die Stelle von dem „infelix lolium Scholasticae Pan-
sophiae", d.h. dem unglücklichenSchwindelhafer der scholastischen
Pansophie, „illudque de nobis dici voluit", denn er war der Meinung,
diese Stelle beziehe sich auf die Pansophie des Comenius, „cum
de Pansophia a Petro Laurembergio edita intelligi non possit", da
sie auf die von dem bekannten Rostocker Professor der Poesie
Petrus Lauremberg herausgegebene Pansophia, sive paedia philo-
sophica sich nicht beziehen könne ; enthält doch des Petrus Laurem>
berg Pansophie, wie Comenius in seiner Dilucidatio sagt, „nichts
von dem Gegenstande wahrer Weisheit, nichts vom Quell der-
selben, von Christo, nichts vom zukünftigen Leben und dem
Wege dahin.** Comenius erstaunt darüber, liest selbst und liest
immer wieder und findet nicht, was er sagen soll oder wie er
diese Worte des Andreae verstehen soll. Den Schwindelhafer seiner
scholastischen Pansophie soll Comenius nach der vor aller Welt
ausgesprochenen Anklage des Andreae zur Verachtung Luthers aus-
säen 1 O dafs sein lieber Valentin, der so eifrig für die rechte Zucht
eintritt, auch ihm gegenüber die gradus admonitionis beobachtet
hätte I Denn „Si quid exorbitasse quis videtur, monendus est in
occultoprius mandante Christo etc." Auf Matth. 18, 15 — 17, diesen
locus classicus der Schriftlehre über die Kirchenzucht weist Co-
menius seinen Valentin fast wie in zarter Ironie hin, wenn
überhaupt ein Mann wie Comenius ironisch werden konnte.
Aber heiliger Eifer und heiliges Feuer ergriff ihn, ein Feuer,
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68 Radlach, Heft 3.
welches wir bei den Propheten des alten Bundes und bei den
Aposteln, besonders bei Paulus, öfter lodern sehen. „Male-
dictus sit, qui in despectum cujusquam e minimis proximis
nedum tanti organi Dei tentaverit aliquid! Amen." Ver-
flucht sei, welcher zur Verachtung eines der leicht zu erreichen-
den kleinsten, geschweige eines so grofsen Rüstzeuges (wie
Luther war) etwas unternimmt, schreibt Comenius.
Stern bietet sich an, die Bestellung des Briefes an Andreae
zu besorgen und auch weitere Briefe zwischen Andreae und Co-
menius zu befördern, stand er doch mit Danzig in direktem Ver-
kehr, da er z. B. den von dem Diakonus an der Johanniskirche
in Danzig, Martin Statins, besorgten Auszug aus den Schriften
des Stephan Prätorius unter dem Titel: „Geistliche Schatzkammer
der Gläubigen" in Verlag genommen hatte, welche 1636 in Lüne-
burg bei Joh. u. Heinrich Stern (715 Seiten aufser den ver-
schiedenen Vorreden) zuerst erschien und 1642. 1644. 1652. 1687
bei ihm aufgelegt wurde und noch in unserem Jahrhundert meh-
rere Auflagen erlebte. Comenius benutzt diese gute Gelegenheit,
an Valentin Andreae zu schreiben, und dies um so mehr, als er
„von der ungeschminkten Frömmigkeit des Andreae überzeugt
ist und nur einem müfsigen Ohrenbläser es zuschreiben kann,
wenn Andreae über ihn eine falsche Meinung gewonnen hat."
Ehrfurcht, Liebe und Vertrauen zu Valentin Andreae sind es,
welche die Feder des Comenius führen. Venerabilissime Domine,
vir eminentissime, quem patris loco pridem jam venerari coepi,
vir optime, vir Dei, vir clarissime, excellentissime vir, o mi Va-
lentine, dilecta deo anima, so redet er ihn an. Er erinnert ihn
an das Jahr 1634, an die traurigen Zeiten nach der Nördlinger
Schlacht, da auch Andreae wie einst Comenius in Fulnek sein
Hab und Gut und seine reiche Bibliothek verlor und auf unweg-
samen Bergeshöhen umherirrte, fortwährend den Feind auf den
Füfsen. Andreae hat selbst seine Leiden beschrieben unter dem
Titel: „Memoria virgae divinae urbi Calvae inflictae" und
„Threni Calvenses". Comenius scheint diese seiner Zeit weit
verbreitete Beschreibung gelesen zu haben. Denn wenn Andreae
beim Rückblick auf das Jahr 1634 sagt: „Ich aber gleichsam
triefend imd voll Lebensüberdrufs ans Ufer geworfen, finde, indem
ich der mühevollen Lebensfahrt und der täglichen neuen Ge-
fahren mit Beklommenheit gedenke, nichts, was mich die Fort-
setzung des Lebens einem seligen Tode könnte vorziehen lassen,
als den göttlichen Willen, dem wir alle gehorsam sein müssen," und
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1893. I^ Aufenthalt des Comenius in Lüneburg etc. 69
wenn Comenius, der erst drei Jahre zuvor gehört, dafs Andreae
noch lebe und „in altiore specula" auf einer höheren Warte,
nämlich der eines Hofpredigers in Stuttgart, sich befinde, der aber
in der Zeit nach 1634, wie er im Anfang seines Briefes betont,
der Meinung war, dafs Andreae an das sichere Ufer geworfen
und zu Strafsburg gestorben sei, so dafs für Comenius nichts
anderes übrig blieb, als im Gehorsam gegen den götth'chen Willen
Trost zu suchen, — ist nicht die ganze Einleitung des
Briefes, mit dem Comenius die Korrespondenz mit seinem
Valentin wieder aufnimmt, gleichsam ein Echo aus der Brust des
Freundes, der, wenn er dem Andreae gegenüber in unserem Briefe,
wie er auch an anderen Orten gethan hat (siehe Kleinert, Studien
und Kritiken 1878 S. 21 u. 37) die altehrwürdige kirchliche Zucht
der Brtiderkirche als ihr bestes Palladium hochhält und auf die
alle Kraft für den Ausbau des kirchlichen Lebens verzehrenden
dogmatischen Kämpfe der beiden evangelischen Hauptkonfessionen
hinweist, auch in dem Streben für die Aufrechterhaltung kirch-
licher Disziplin und in der Verurteilung der unfruchtbaren dog-
matischen Zänkereien sich eins weifs?
„Salus nostra Christus", so lautet die Überschrift des Briefes.
Sie ist für einen avtjQ TtoXvxQOTtog, wie Comenius war, „qui in
terris neminem adorat Magistrum**, da „unus ille in coelis sufficit
Matth. 28, 9—10, qui propriam salutem in timore et tremore ope-
rari satis habet" Philipp 2, 12 keine blofse Formel. Wie Paulus
die Kolosser 3,17 ermahnt: Alles, was ihr thut mit Worten oder
mit Werken, das thut alles in dem Namen des HErrn JEsu, wie
Luther öfter über seine Briefe das kleine Wörtlein „JEsus"
schrieb und Valentin Andreae die Buchstaben C. S. (Christus
Salus) an den Anfang vieler seiner Briefe setzte, so stellt Come-
nius auch diesen Freundschaftsbrief in das Lieht dessen, „qui
omnia videt", der ihm zu seiner parrhesia (1 Joh. 3, 21) zur
freudigen Aussprache Kraft und Mut giebt, so dafs er nichts
zum Schein äufsem, noch irgend etwas übergehen kann, ge-
schweige will.
Der Brief hat folgenden Wortlaut:
Joalus nostra vJhristus!
Venerabilissime Domine. Intermissum per tot
annos üterarium commercium, reassumendi occasionem insperatö
mihi subministravit Divina Providentia.
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70 Radlacb, Heft 3.
Cum enim post immissam Patriae Vestrae horrendam illam
(Anno 1634) tempestatem , ego Te inprimis trepidus cogitarem,
et mox ejectum Te in tutum littus^ ibi (Argentorati) ad meliorem
Vitam evocatum, audirem: acquiescendum fuit Divinae Voluntati.
Et quanquam a triennio jam yersari Te adhuc in terra viven-
tium, et constitutum in altiore specula, cognovissem, mihi tarnen
in Sarmatiä constitnto nihil adeo, praeterque ut Tua causa Deum
laudarem, et Christum pro Te exorarem, erat reliquum. Nunc
cum salutiferi Homhusani fontis fama plures e nostris quoque
oris evocaret, suader^tque amicorum non nemo sibi mecomitem,
adjunxi me, firmioris quoque valetudinis^ quam qua fruor, desi-
derio. Sed superato mari Baltico, plures habuimus redeuntium
inde, quo nos festinabamus , obvios, sequiora quam pro spe
nostra nobis enarrantes : qu6 factum, ut hac in urbe gradum
steterimusy ad nostra redituri, aerumnä^que Vitae pro divini bene
placiti arbitrio toleraturi. Dum ego hie sum, incido in notitiam
Viri optimi, D. Johannis Sternii, optime de Ecclesia Jesu Christi
studiisque pietatis (una cum dilecto fratre suo) meriti et adhuc
merentis. Inter sermones de selectioribus dei organis ecclesia^que
luminibus reliquis, incidit Tui quoque mentio: cujus scripta cum
esse mihi in pretio, adeöque aliquod epistolare nobis intercessisse
commercium, ille intellexisset : depromsit tuas ultimas, quae me
et solatio et maerore affecerunt: nempe cum vivere quidem, et
vivere Deo, et agere constanter opus Dei ; sed afflictä esse vale-
tudine, ^ thermisque nuper nuUä meliorationis spe rediisse
narrarent, Deum itaque, ut ipse opem ferret, T^que melioribus
adhuc servaret rebus, rogavi : atque id suspiriis meis ä miseratore
nostro requirere non desinam. Quam enim spem de Te semel
concepi, meisque jam tum expressi, eam non dimitto, selectum
Te esse organon Dei, et fore evidentius, si refrigerii tempora
reducat Dominus.
Sed veniam dabis, vir eminentissime, quem patris loco
pridem jam venerari coepi, si in sinum Tuum effudero, quid
simul acciderit. Inter versandum manibus Harmonicum Evan-
gelium opus Augustissimi Principis, reperta est Praefatio Tua, in
cujus medio ostendit mihi adstans amicus, de infelici lolio Scho-
lasticae Pansophiae, in Lutheri despectum sato, locum: illudque
de nobis dici voluit, cum de Pansophia k Petro Laurembergio
edita intelligi non possit. Obstupui ad haec : legi et relegi ipsemet :
nee inveni, aut invenio, quid dicam, aut quomodo verba ista in-
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1893. ^^ Aufenthalt des Comenias in Lüneburg etc. 71
telligam. Si de Pansophiola nostra, cujus Prodromum forsan
vidisti, intelligenda illa sunt: miror, nee mirandi finem invenio^
quomodo Verba illa calamo Tuo alias tarn circumspecto excidere
potuerunt, aut quomodo tanta suspicio incidere potuit in animum
tarn Dei amantem, tarn charitatis Christi observantenu Infelix
lolium nasci in agro nunquam adhue viso quomodo dici potest?
Sed fuerint san^ Scholastica illa lolium*: quod sequitur, in Lutheri
despectum, quid sibi vult obsecro? Maledictus sit, qui in de-
spectum cujusquam e minimis proximis, nedum tanti organi Dei
tentaverit aliquid I Amen. Ego sank in terris neminem adoro
Magistrum : unus ille in coelis mihi sufficit. Nee tarnen propterea
despectui habeo quenquam, in quo vel minimum Christi sit.
Membrum Ecclesiae illius, quae alios condemnare non didieit^
propriam salutem in timore et tremore operari satis habens.
Ecclesiae inquam, quae reformationem suam non k Luthero aut
Calvine, sed abHusso, centum anteVestram annis coepit; vobis-
cum autem eo tan tum non plene coaluit, quia mox ab initio
scindi coepistis, non constituendae disciplinae, vitaeque vere
christianae et mansuetae introducendae, sed Disputationum fer-
vori intenti. Meminisse potes, Vir optime, ab initio statim me
protestatum, sectarium me non esse, Te unä sectas, ut satanae
opus, abominari. NuUi nomen dedi, nulli bellum indixi;
ingemisco tantum, quod satanae machinationes in distrahendis
nobis plus possunt, quam in coadunandis Spiritus Christi. Mise-
reatur nostri Deus, ut k Vertigine nostra tandem aliquando
liberemur! Ignosce Vir dei parrhesiae meae! ignosce zelo! Si
de me ista scripsisti, ita de tua sine fuco pietate persuasus sum,
ut non Tibi laesae charitatis culpam tribuere audeam, sed alicui
male feriato susurroni^ qui talia persuasit. Sed utinam absti-
nuisses tamen in publice! Labes haec est seculi nostri, nihil in
spiritu lenitatis cum invicem agere, sed tragice. At verö utinam
saltem Viri tanti, quantus Tu in oculis Ecclesiae (spero et Dei)
macidam hanc eluere incipiant ! Si quid exorbitasse quis videtur,
monendus est in occulto prius, mandante Christo: si non audiat,
ne plures quidem salutaria monentes, deferendus est ad Eccle-
siam, priusquam condemnetur. Si ergo privatim me monuisses,
Vir clarissime, qui me tibi velut in discipulum dederam (cert^
enim per Te, gratiä Dei, multum profeceram, ad meliora et
veriora cum videndum, tum desiderandum) osculatus fuissem
candorem Tuum. Nunc, si aliter factum, turbari me non mira-
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72 Radlach, Der Aufenthalt des ComeDias in Lüneburg etc. Heft 3.
beris quippe cui k nemine, mortalium minus, quam ä T^, tale et
tantum praejudicium exspectare venisset in mentem.
O mi Valentine, Vir Dei, utinam me et mea omnia tam nude
videas, atque videt qui omnia videt! quam longfe alia videres,
quam metuit Tua illa pro veritate colesti (ne quid per ulla clan-
destina machinamenta detrimenti capiat) solicitudo! Videbis
autem, si me et Te aliquo adhuc tempore vivum volet Dens. Te
enim adhuc inter primarios mihi designo censores, si quando
opuscula mea videre debebunt lucem. Te inconscio et inconsulto
nihil (in majoribus) dabitur in publicum: si modo non aspemari
Te coeptam in Christo amicitiam cognovero. Facies ergo ut sit,
unde id certus esse queam *).
Has meas ad Te curare promisit communis amicus et fautor, D.
Stemius: Tuas ad me, si rescribere, voles, curabit idem. Haec
cum jam inter nos communicandi reperta sit via, si placet Tibi
eä uti. Rogo autem ne displiceat: non quöd mea adeö intersit,
amicitias ambire (fugio potius conversationes et ut vocant corre-
spondentias, qua datur: nee enim sufficio, rebus intentus: atque
id forsan est, quod quibusdam male suspicandi ansamdedit): sed
ne de nobis triumphet satan, si quos eodem spiritu agi videt,
divellat tamen. Ita tib nudavi animum meum, excellentissime
Vir, ut conceptas ex tam amici ante hacViri, tam inimico simili
affectu reciperationes meas nudfe videas. Ita me natura tinxit, ita
Spiritus simplicitatis, qui Christi est, roboravit, ut simulare et dissi-
mulare nihil possim, nedum Velim.
Vale dilecta Deo anima et, si simplicitas
mea meretur,
redama
n
Tae Tuae
Lunaeburgi, 22. Aug. 1647.
constanter
observantissimum
j» vJomenium.
^) Es ist wahrscheinlich, dafs Andreae dieser Bitt« entsprochen und die
erbetene Aufklärung in einem Antwortschreiben gegeben hat. Wir bitten
unsere Leser, £ei11s einer derselben Gelegenheit haben sollte, Nachforschungen
über diesen Punkt anzustellen, dies nicht zu unterlassen. Wir sind für
jeden Fingerzeig dankbar. Die Schriftleitung.
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Quellen und Forschungen.
Zur Lebensgeschichte des Comenius.
Autobiographisches aus den Schriften des
Comenius.
Zusammengestellt von
Prof. Dr. J. KYBcaala in Pressburg.
(Fortsetzung.)
in. In England.
I.
46.
Edito Pansophiae Prodromö, pärque varia Europae Regna
sparso, cum plerique Eruditorum Operis delineationem approba-
rent, absolvi vero illud ab homine uno desperarent, eoque Col-
legium Eruditorum HOC AGENTIÜM erigi suaderent,
operosus in ea re fuit qui Prodomum in lucem promoverat,
strenuus rerum qua datur i^yodidKvrjg, D. S. H. ut quam plurima
excitatiora Ingenia huc alliceret. Factum ergo tandem, ut unum
et alterum nactus me quoque ad se, Anno 1641, magnis obtesta-
tionibus evocaret. In quam profectionem cum consensissent
raei, veni Londinum ipso Autumnalis aequinoctii die: ibique de-
mum me Parlamenti jussu fuisse vocatura intellexi. Sed quia
Parlamentum, Rege in Scotiam digresso, ad trimestre fuit dimis-
sum, detentus eram ad ibidem hiemandum, amicis apparatum
Pansophicum (quam tenuis ille fuit) lustrantibus. Qua occasione
tractatus nobis sub manu fuit natus hoc titulo.
VIA LUCIS.
Hoc est, Rationabilis disquisitio, quomodo Intellec-
tualis animorum Lux, Sapientia, tandem sub Mundi
vesperam per omnes mentes et gentes feliciter
spargi possit
Nempe ad intelligenda melius illa Oraculi verba Zachariae
14. V. 7. Et erit, ut vespere fiat lux.
Monatshefte der Comeniue^esellscliaft. 1893. 6
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74 Kvacsala, Heft 3.
Cougregatum interim Parlamentam , praesentiaque nostra
cognita, jussit nos exspectare, donec impetrato a negotiis otio,
aliquot e medio sui Viris doctis et aapientibus audiendi nos, fun-
damentaque consilii nostri cognoscendi dari posset commissio.
Communicant etiam in antecessum cogitationes suas de assignando
nobis collegio aliquo cum reditibus, unde aliquot Viri docti ac
industrii, undecunque Gentium evocati, sustentari honeste possent :
sive in perpetuum. Sed et nominabatur Londini Sabaudeum;
extra Londinum vero Winthoniense ; rursumque propius Urbem
Chelseum, cuius et redituum Inventaria nobis communicata fuere :
ut nihil certius videretur, quam processurum Magni Veru-
lamii, de aperiendo ubiubi Gentium Universali
Collegio, de Seientiarum Augmentis unicfe solicito,
consilium.
Op. Did. IL (De Novis . . . Occasionibus, p. 1).
47.
Londino 8./18. Octobr. Anno 1G41.
Primam navigationem non ex voto successisse, meque
ab ipsis Norwegiae littoribus per totum Balticum mare, mil-
liaribus prope centum, procellarum vi retractum fuisse, credo te
iam ante cognovisse. Cum vero Amicorum Gedanensium
(post communicatas et intime perpensas in utramque partem ra-
tiones) consiliis, propriaeque conscientiae stimulis adactus, denuo
me mari, et maris dominatori, seu deferendum quo vellet, seu mer-
gendum abysso, si ita liberet, credidissem, factum est, ut paucos
intra dies Insulae hujus portum attigerim, sospesque amicos
sospites, DEI benignitate repererim, Hartlibium, Duraeum,
Habnerum, Pelleum et Haakium. Cum quibus quanquam
pactum iniveram, ut meam praesentiam ne proderent, solis nobis
ut vacare possemus, dies aliquot saltem : frustra tamen id precau-
tum ibamus: quia res statim dimanavit ad plures, mihique et
salutatores admittendi et salutandos adeundi necessitas incubuit.
Vivo itaque jam hie, ut notus inter notos; quanquam (nee te
celem, ut sit, quod rideas) pauciores me salutant quam salutarent,
si aut me Anglich loqui posse crederent, aut suae latinitati
magis fiderent, aut denique me minus aestimarent. Sed dum me
nescio quem sublimem Philosophum aut Oratorem sibi
fingunt conspectumque subire verentur, isto complurium errore,
aliorum vero interea absentia mihi cum amicis intimis saepiüs
conveniendi, consiliaque (ut interim datur) conferendi, otium non
deest. De redeundo ante hyemem omnis mihi spes praecisa est.
Quid interim autem hie, exacto propemodum jam mense
videre, audire, cognoscere, contigerit, strictim referam, publica
primum, postea quaedam nostra.
Angmus hie mundi multa habet prae aliis terris singularia
et admiranda. Me maxim^ afficiunt ea, quae gloriam DEI,
florentemque Ecclesiae et Scholarum statum (aut jam praesentem
aut uti se omnia dant, certo futurum) concernunt. Speciatim si
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1893. 2ur Lebensgeschichte des Comenius. 75
quaedam retulero, scio tibi (et amicis Dei) non ingratuni
niturum. Haec sunto.
1. In freqventandis sacris, Diebus Dominicis, incredi-
bilis fervor. Centum et viginti templa parochialia
habet haec Urbs: in quibus omnibus Auditorum tantus est con-
cursus (san^ de illis, quae oculis vidi, rem compertam loquor) ut
locus non capiat.
2. Et plerique omnes (dicerem sine exceptione omnes, sed
vidi paucos quosdam excipiendos) Biblicum afferunt co-
dicem, Berrhoensium exemplo, omnia Evangelizantium
conferentes, cum Scriptura, nempe si quid majoris momenti
obveniat. Quare et Textum praelecturus Concionator bis in-
dicat librum, caput, versiculum; demumque cum omnes
invenerint legere pergit! Quod si brevior fuerit (saep6 enim
unicum versum sioi Concionator sumit) bis etiam relegitur.
Similiter si quid valde emphaticum, aut memorabile in media
concione occurrit, et inquirere quosdam videt Concionator,
subsistit paulnlüm, dum inveniant: tum ostenderc ad oculum, quod
instituit mysterium, aut loci alicüjus ad praxin usum, pergit.
Ita Ministri ficciesiarum non nisi elaboratissimas habere conciones
et Auditores vald^ attenti esse consuescunt.
3. luvenum et Virorum bona pars conciones calamo
excipiunt et quidem verbo tenus. Inventa enim hie est ante
annos 30. (sub Jacobo) et jam etiam inter Rusticos invaluit,
Tachygraphiae ars, quam illi Steganographiam vocant,
qua (non literarum sed characterum, voces integras significantium
beneticio) Hngvae celeritatem manu imitantur. Discunt autem illam
in urbibus propemodum omnes, simul atque vulgatam Scripturam
in schola didicerint, annum circiter addentes ad Steganogra-
phiam addiscendam.
4. A concionibus, plerique Patres familias cum suis
domesticis domi concionem habitam repetunt: quandoque duae
vel tres familiae in unum congressae.
5. Librorum in suä lingv& de omnibus argumentis ingentem
habent copiam: ut dubitem ullam gentem illis paria fa-
cere, praesertim si Theologicos respiciamus libros. ilon plures
profecto nundinarum tempore Francofurti patent ofBcinae libra-
riae, quam h!c quotidi^. Etiam Verulamij opera nuper Anglice
prodiere De scientiarum augmentis.
6. Verbi divini sitis adeo hie accenditur (nedum ut satietas
capiat aut fastidium) ut permulti ex Illustrium ordine Ci-
vesque et Matronae ipsae, quo h fontibus ipsis dulciüs et
tutiüs aquas vitae hauriant, Graecae et Hebraicae Hngvae
dent opera m. Ne putes autem hujus rei exemplum exstare
duntaxat unum et alterum: multa sunt, indiesque latiüs sacra
haec contagio serpit
7. Biblicum textum in lingvä suä, ut habeant quam accura-
tissimum fontibusque per omnia respondentem, et notis brevis-
6*
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76 Kvacsala, Heft 8.
simis ad marginem illustratom, in eo nunc Viri aliquot selecti
et Parlamenti autoritate, ad id designati, elaborant Ubi
tarnen humani aliquid prudentiam politicam pati animadvertitur.
Terminum illis perbrevem mensium aliquot tantum ad rem tantam
conficiendam praefixerunt. Sed sperem Drorogatum iri.
8. De retormandis in toto regno ocholis, consilia fervidi
agitant eodem iine, quo et nostra pridem desideria tendere non
ignoras. Nempe ut omnis Juventus informari, nulla negligi possit
informatioque ipsa sie iiat: Ut Christianismi fundamenta
profundius solidmscj^ue in tenellis animis ponantur: qu6 ministerii
Ecclesiastici efficacia major posthae appareat.
9. Peculiarem item Scholam illustrem moliuntur (de
loco nondum convenit Londini, an extra) pro Nobili ju-
yentute seorsum ä plebeorum misturä instituendä.
10. Informatorium ad parentes de providä primae infantiae
curä et sapienti ad uberiorem culturam praeparatione ex n>8tro
Informatorio (von der Mutter Schul) antequam huc venissem,
jam paratum fuit: sed ad praelum nondum datum melioribus aut
cert^ plenioribus eogitationibus ansam dabit
11. Vir DoctissimusN. Harisson obtulit Parlamente
novam quandam inventionem suam, eamque miram, autores
omnes, quotouot alicujus pretij extant uUa in lingua, in unum
redigendi Inaicem, cujus beneficio, de quäcunque re incidat
necessitas, cujnscunque Mortalium (qui modo cogitationes suas
mundo communieärunt) cognosci sententia, et promt^ reperiri
possit. Delecti fuerunt ä Parlamente Commissarii Viri
rerum gnari, qui pleniüs negotium hoc cognoscerent Cumque
retulissent rem hanc bonis niti fundamentis, foreque inprimis
utilem, ad concinnandum Pansophicum opus (ita id express^
actum accepi) decretum est hoc opus adomandum permitti. Sed
soluto (ad ^ usque Octob.) Ordinum conventu specialius nihil-
dum e& in re actum est. Ego ipsum con venire Harissonum,
remque plenius coräm cognoscere aveo, sed abesse cognovi ab
Urbe. Ubi rediisse audivero, convenire non intermittam. Audio
ipsum Autorum eviscerandorum catalogum jam habere,
quorum numerus ad sexaginta millia, (audita nunc refero,
nondum comperta) ascendit. Amici fore putant, ut ex utraque
Academiä Studiosi aliquammulti deligantur, qui distributos
inter se Autores Harissoni sub directione sie resolvant
12. Adest quoque nobis Vir in Orientalibus lingvis ad mira-
culum versatus, Germanus natione, qui annis superioribus 6
Turciä et Tartariä redux, cum Judaeis illorum locorum hactenus
literario utitur commercio. Quicum sint Carraei k nostris
Pharisaicae sectae Judaeis plusquam ipsi Christiani, aut uUi
Gentiles odio habentur, e6 quöd Talmud um non recipiant.
Uli ab annis aliquammultis , refutationem Talmud i paratam
habentes, ut et notas quasdam pulchras super totam Scripturam,
adhuc scribunt ad hunc nostrum orantes et obsecrantes, ut sibi
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1893. Zur Lebensgescbicbte des Comenius. 77
consilio non deesse velit: ubinam gentium ista imprimi possint:
Quandoquidem Pharisaei, ne id in Italia, Germania,
Polonia, fiat, summopere cavent. Res haec innotuit jam de-
putatis hic h Parlamento: qui adomare eum scriptum, quo
res haec Parlamento toti proponi possit, jusserunt. Speramus
fore, ut propter spem conversionis Judaeorum, ea quoque ratione
promovenda, negotium hoc promotionem inveniat.
Ita vides, Ordines Regni hujus negotia sua politica in con-
ventu hoc suo tam prolixo sie tractare, ut simul Pomoeriorum
Regni CHRISTI ampliandorum cura eosdem non destituat. DEUS
ipsis gratis suä adsit, ne auid noxi^ k salutari scopo aberrent
ullä in re. Sed hic trepidare nonnullos anxiosque expectare
eventum, ex Ulis, quae adjiciam, agnosces.
13. Episcopale negotium multum facescit omnibus hic ne-
gotii: dumquidamin su&dignitate integri relinqui: alii in to-
tum removeri, nomen et rem; alii retinere nomen et offi-
cium pastorale, abscindi pompam mundanam, et reditus
tantos, et provenientem inde luxum et negotiorum politicorum tracta-
tionero, volunt. Maxima tamen pars Procerum, Populus autem
feri universus, abolitionem universalem urgent. Tam exosos se, et
totum hunc Ordinem, vario dignitatis suae abusu, et super con-
scientias dominio, et contra publicam libertatem, (pro su& tantum
asserendä praeminentiä, ut ajunt) molitionibus reddiderunt. Ipse
noster Lincolniensis (inter Episcopos Doctissimus, Poli-
tissimus et Politieissimus ab Archi - Episcopo ante triennium
Episcopatu suo exutus et in Carcerem compactus, ä parla-
mento tamen anno superiore liberatus) mal^ eo nomine audire
incipit, suntque, qui illi malfe ominentur: non solüm scilicet de-
graaationem, unä cum caeteris, sed et novos forsan carceres.
Deprehensa enim sunt occulta quaedam, partim et aperta satis
contra Parlamentum molimina. Ego tamen meliora, et opto
Viro optimo et spero. Cum me nuper ad prandiiun et collo-
quium cum D. Duraeo et Hartlibio invitässet, nihil adeo
nisi modest^ de illis rebus discurrentem audire fuit. Dixit
tantum nescire se, vivis an mortuis annumerandus nunc esset cum
Fratribus: Si mitius res caderent, nonnullam nobis et nostris
promotionem promittens. Hoc addendum etiam, Volitare hic et
quotidi^ ferme novos prodire de reformand& ecclesift et amovendis
Episcopis Tractatus, tam sacris quam politicis rationibus con-
stantes. Etiam unus est repertus, qui de causis irae divinae,
quae peste quoque certis locis immissa (etiam in Urbe hac cir-
citer aucentos hebdomatim sepeliunt; suburbia enim infecta sunt
et quaedam in urbe plateae; ubi domus ^uidem infectae occlu-
duntur, necessaria tamen omnibus subministrantur) esse exserit,
disserens, inter alia Po pul i et Magna tum peccata hoc reeenset,
avod abominationem illam in loco sacro, Episcopos seculariter
aominantes, gregem Domini dissipantes potius, qvam pascentes,
memorat, miütumque äuget.
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78 Kvacsala, Heft 8.
14. Archi-Episcopus Laudus carcere adhiic detinetur,
nullä liberationis spe. Interim enim dum Parlamentum solutum
fuit, Commissarii ordinati sunt^ qui in ejus acta melius etiam in-
quirant, querelasque et gravamina varia (quibus Parlamentum
vacare non poterat audiendis) cognoscant. Quod factum. Ajunt-
que ob venire talia, ut de salute ejus desperent.
15. I>ecretum Parlämenti ante dimissionem factum de
amoliendis e templo per Archiepiscopum introductis cere-
moniis, altaribus, crucibus, etc. jam fer^ ubique bis diebus ex-
secutioni mandatum est. In quodam hie Londini templo
fenestra fuit, in cujus religiosam et admodum artificiosam pic-
turam impensa fuisse ajunt 4000 librarum h. e. 16000 Impe-
rial. Eas integr^ solvere promittebat Regis Hispaniae Le-
eatus hic residens, si habere fenestram eam integrfe posset.
Sed nescio quis super abundans populi Zelus, sprevit ob latam
f^ecuniam, fenestramque illam confregit, ex idolomanicis rebus
ucrum non esse captandum autumans.
Haec
Dn. Comenius ex Anglia:
ubi nunc vLvit, ad Amicos Lesnae
in Polonia agentes.
Druckschrift der Leipziger Univ.-Bibl.
IV. In Schweden und Elbing.
n.
48.
Verumenimvero interveniens de Hibemia tumultuante, tru-
cidatisque nocte una plusquam ducenis Anglorum millibus,
rumor, subitaneusque Regis Londino discessus, et exarsuri iamiam
cruenti Belli plena indicia, consilia haec disturbaverunt, meque
ad meos reditum festinare coögerunt. Accidit tamen ut e Svecia
in Poloniam, et hinc in Angliam, ad me missae venirent literae:
quibus Magnanimus et Strenuus Vir, D. Ludovicus de Geer, me
ad se in Sveciam invitans, studia mea (et si quos mihi associare
vellem Vires doctos, unum et alterum) fovendi offerebat prompti-
tudinem. Consilio itaque cum amicis communicato abii : sed iUis,
ut ad nihil praeterquam Pansophica me adhiberi paterer, obte-
stantibus.
Delatus in Sveciam (in Augusto Anni 1642) reperi novum
Maecenatem domi suae Nortcopingae : a quo benigne acceptus,
Kost dierum aliquot deliberationes Stokholmiam, ad Illustriss.
legni Cancellarium, D. D. Oxenstiernium ; itemque Academiae üpsa-
liensis Cancellarium, J. U. D. Johannem Skyte, missus fui. Qui
me (jjuadriduanis exercuerunt colloquiis : maxime autem prior ille,
Aquilonaris Aquila, tam acriter in utriusque propositi (Didactici
et Pansophici) fundamenta inquirens, qualiter a nemine Erudi-
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Ig93. Zu' Lebensgeschichte des Comenius. 79
torum adhuc erat factum. Primo bidno Didactica examinabat,
tali tandem conclusione: Animadverti ego ab ineunte
aetate, violentum quiddam esse usitatam studiorum
Methodum: sed ubi res haereat, deprehendere non
poteram. Missus tandem a Rege meo, gloriosae me-
moriae, in Germaniam Legatus, variis cum doctis
Viris ea de re contuli. Cumque mihi Wolfgangum
RatichiumMethodi emendationem moliri esset rela-
tum, non erat animo meo quies, donec Viri prae-
sentia potirer: sed qui colloquii loco Volumen
mihi grande, in quarto, legendum obtulit Devoravi
ego illam molestiam: pervolutatöque to t6 Librö,
vidi eum Scholarum morbos non male detegere, re-
media tamen quae afferebat non sufficere vide-
bantur. Tua firmioribus nituntur fundamentis:
perge etc.
Respondi, Fecisse me in his quod potui, ad alia iam esse
transeundum. lUe, Scio te maiora moliri: legi «nim
Prodromum Pansophiae tuae. De quo cras agemus,
nunc publica me avocant
Postridie conatus Pansophicos, sed maiori severitate, exami-
natürüs quaestionem praemisit, Potesne contradicentem
ferre? Possum, respondi: etideoProdromus ille (non
3uidem a me sed at amicis) praemissus fuit, ut iu-
icia et censuras experiri Hceret Quas si alias
undecunque admittimus, quidni a Viris adultae
sapientiae, et heroico judicio? Coepit ergo contra me-
lioris rerum Status, ex recte instituto Pansophiae studio conceptam
spem, dissertare: tum Politicas primum profundae considerationis
ODÜciens rationes ; deinde vero Scripturarum divinanmi testimonia,
quae sub Mundi finem tenebras potius, et deteriora quaeque,
quam lucem et emendatnm renun statum, praenuntiare videntur.
Ad quae omnia data sie excepit responsa, ut his concluderet
verbis: Nemini adhuc talia venisse puto in mentem.
Insiste his fundamentis: aut sie yeniemus aliquando
in consensum, aut nihil superesse patebitviae. Con-
silium tamen meum est (addebat) ut Scholis prius grati-
ficari, Latinae linguae studia ad majorem facilitatem
deducere, eoquemaioribusillistantoexplanatiorem
viam parare, pergas. Quod idem D. Cancellarius Aca-
demiae urgere non destitit: sicut et hoc, ut si cum familia
migrare noUem in Sveciam, propius tamen me admoverem, in
Borussiam concedendo, nominatim Elbingam. Quo utroque con-
silio cum Maecenas mens (ad quemNortcopingam fui reversus) ac-
quiescendum putaret, seriöque ne quid secus fieret, seu loci,
seu pensi primum absolvendi respectu, oraret, recepi tandem;
spe, intra unum et alternm annum tricarum fore finem.
Sed haec mea Svecis gratificandi facilitas Anglicanis amicis
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80 Kvacsala, Zur Lebensgeschichte des Comenius. Heft 3.
vehementer displicuit, retrahereque me conati sunt prolixä, ratio-
num praegnantissimä, epistolä: Specimen in Didacticis
datum esse sufficiens, plenius omnia rectificandi
patere iam satis viam: nondum in realibus. lila
rosse alios agere, exsurgereque iam passim aemu-
atione mutuä ad industriam sese provocantes Di-
dacticos: Pansophiae vero nequiaem fundamenta
satis adhue esse deteeta. Infinitoque plus utilitatis
in publicum ab explanatis sapientiae verae viis
redundaturum, quam a literulis Latinis: et quae prae-
terea. Addebat S. H. Qu6 moriture ruis? minoraque
viribus audes? Poötico hoc solaecismo inconsiderantiam mihi
exprobrans. Oavisus ego hac regiam in viam revocatione, com-
municavi epistolam hanc in Sveciam: sp^ue indubiä, rationibus
bis accessuros. Pansophicis me totum readidi. Sive continüa-
turus, sive saltem (si me Scholasticis immorari vellent, et fort^
immori contingeret) ut Pansophiae fundamenta (quae nondum
satis deteeta querelas audivi) melius eruta exstarent, ignora-
rique amplius non possent. Venit autem h Svecia responsum:
quo in proposito Didactica prius absolvendi persistere jussus
sum: Potiora auidem potius, priora tamen prius,
agi oportere. Non per maiora iri ad minora, sed
contra etc. Parendum itaque fuit, et invito mihi in logo-
machiarum luto haerendum, octennio integro: postquam tamen
prius deteeta melius Pansophiae fundamenta (sub titulo Pan-
sophiae DiatyposiS; Ichnographica et Orthogra-
phica) typis Dantiscanis luci exposui, Anno 1643: quae mox
Amsterodami et Parisiis recusa fuere. —
Op. Did. 11. De Novis Occasionibus p. 1. — 3.
(Fortsetzung folgt.)
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Litteraturbericht.
Hartmann, Gustav, Leibniz als Jurist und Rechtsphilosoph.
Tübingen 1892. H. Laupp. 8®. 1 Bl. und 121 S. Preis
2 Mk. — Inhalt: L Einleitung (8. 3—6). II. Früheste
juristische Jugendschriften (S. 6 — 16). HI. Die nova methodus
discendae docendaeque jurisprudentiae (S. 16 — 31). IV. Leib-
nizens legislative Projekte (S. 31 — 44). V. Vielseitigkeit der
späteren rechtswissenschaftlichen Einzelschriften von Leibniz
(8. 44 — 64). VI. Die Prinzipien des Rechts bei Leibniz (8. 64
— 105). VU. Einflufs der Leibnizischen Jurisprudenz auf seine
Philosophie (8. 105—121).
In der vorliegenden 8chrift, dem Sonderabdruck aus der Fest-
gabe der Tübinger Juristenfakultät zum 50jährigen Doktoijubiläum
Rudolf V. Jherings, entwirft der hochverehrte Herr Verfasser
ein meisterhaftes Bild der glänzenden Thätigkeit Leibnizens auf
dem Felde der positiven und philosophischen Rechts- und Staats-
lehre. Nur ein Kenner des in den vielbändigen Sammlungen von
Dutens^Erdmann^Foucher de Gareil, Gerhardt, Klopp
u. A. enthaltenen Quellenmaterials und der beträchtlichen ein-
schlägigen Litteratur, etwa von Guhrauers vortrefflicher Lebens-
beschreibung an (1846) bis auf die Arbeiten zeitgenössischer Ge-
lehrter, ist befähigt, die Gediegenheit und Gründlichkeit der Ab-
handlung Hartmanns in vollem Umfange zu würdigen. Frische
und kernige Darstellung, edle Sprache, selbständige und zugleich
gesunde Auffassung, wohlerwogenes Urteil, Verbindung der speku-
lativen und empirischen Betrachtungsweise, scharfsinnige und licht-
volle Analyse gerade der schwierigsten und verwickeltsten Probleme,
feiner Takt und pietätsvoller Sinn zeichnen das Buch in ungewöhn-
lichem Grade aus und sichern ihm seine Bedeutung auf Jahre
hinaus.
Bildet somit Hartmanns Studie den Schlufsstein der bis-
herigen und den Ausgangspunkt für jede weitere Untersuchung auf
dem fraglichen Gebiete, so darf dieselbe einen noch höheren Wert
in anderer Richtung beanspruchen: das Werk verdient als beredtes
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82 Litteraturbericht. Heft 3.
Zeugnis eines mutigen Kämpfers gegen den „fanatischen Historismus
und Positivisraus" unserer Tage den £hrennamen einer wissen-
schaftlichen That!
Schon vor 65 Jahren schrieb Sylvester Jordan in seinen
„Versuchen über allgemeines Staatsrecht" : „Die Geschichte würde
ohne Philosophie zur geistlosen Masse, und die Philosophie ohne
Geschichte zur praktisch unbrauchbaren Schwärmerin." Vgl. Mol-
lat, Lesebuch. Ergänzungsheft. 1893. S. 12.
Kassel. Georg MoUat
J. Loserth, Der Anabaptismus in Tirol von seinen Anfängen bis
zu seinem Erlöschen. Aus den hinterlassenen Papieren des
Hofrates Dr. Jos. Ritter von Beck. Archiv f. öst. Gesch. Bd.
78, S. 427 ff., u. Bd. 7% S. 127 ff.
Als Land der Glaubenseinheit wird Tirol vielfach gepriesen.
Wer etwa vermeint, dafs dieser religiöse Zustand aus sich selbst
friedlich sich entwickelte, und dafs liebevolle Hut die Seelen im
alten Glauben bis auf unsere Tage erhielt, ist im gewaltigen Irr-
tum befangen. Ströme von Blut sind dahingeflossen und der Rauch
der Brandstätten hat das ganze Land überschattet. Tausende von
Menschen haben ihre Heimstätte und ihre Habe verloren und ob-
dachlos ins Elend hinauswandem müssen. In gewissenhafter histo-
rischer Forschung entrollt uns der Verfasser auf dem Boden ehrlicher
archivalischer Arbeit ein Bild davon in gesättigten Farben.
Gegen Ende des zweiten Jahrzehnts des sechzehnten Jahr-
hunderts gewinnt die Lehre Luthers in Tirol Eingang und Ver-
breitung. Die Stimme des gewaltigen Mannes fand erst damals
Wiederhall in den Felswänden des schönen Berglandes. Durch
Wanderlehrer und Sendboten haben wir uns den Einzug der
Lehre des neuen Evangeliums zu denken. Als einer der ersten
tritt ein gewisser Konrad von Schwaben uns in Tirol ent-
gegen. Er zieht 1520 bis 1521 in den Gegenden von Meran,
Brixen und Sterzing umher. In ähnlicher Weise wirkte im Inn-
thale Dr. Jacob Straufs zuerst in der Bergstadt Schwarz, später in
Hall. Auf Drängen des Bischofs von Brixen wird er von der Re-
gierung in Innsbruck ausgewiesen und zieht nach Sachsen. In die
Lücke tritt Dr. Urban Rhegius. Er ist ein Eiferer gegen Ablafs-
handel, Courtisanenwirtschaft,' gegen die lateinische Sprache und den
Pomp in der Kirche, gegen den Marienkult u. s. w. Auch er wird
bald gezwungen, dem Lande Tirol den Rücken zu kehren.
In Innichen verbreitet der dortige Chorherr Messerschmidt luthe-
rische Traktate, wofür er nach Brixen in Haft kam.
Überall ist offenkundige Hinneigung zu Neuerungen zu be-
merken, so im Zillerthal, zu Brixen, Bruneck, Taufers, Kufstein,
Kitzbüchel, Sterzing, Meran u. a. 0. — Die Regierung läfst ein-
schreiten mit Bezug auf das Edikt von Woi-ms und die Nürnberger
Reichstagabschiede von 1523 und 1524. Zu Ende des folgenden Jahres
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1893. Litteraturbericht. 83
aber hatte Erzherzog Ferdinand zu klagen, dafs die ,,lutheri8che
Sekte" von Tag zu Tag in Tirol mehr um sich greife. Mit der
fortschreitenden Befriedung des Landes nach dem Bauernkrieg wur-
den die Zuzüge fremder Prädikanten immer seltener. Die neue
Lehre, auf enge Kreise beschränkt, verlor ihren Halt im Lande und
zählte allmählich nur noch in den gröfseren Städten, in einzelnen
Edelhöfen und Schmelzhtitten heimliche Anhänger. Offen trat sie
nirgends auf. An ihre Stelle trat leise und allmählich der sog.
Anabaptismus. Die ersten Anfänge desselben fallen in das Jahr
1527; er scheint aus der Schweiz eingedrungen zu sein und machte
seinen Weg im Innthale. Mit den Evangelischen auf gemeinsamem
Boden stehend, kämpften dessen Anhänger gegen die leichte Sittenlehre.
Sie duldeten kein Laster; gegen ihre Feinde haben sie nur Worte
des Friedens. Mit den im Mai und August 1527 erflossenen Man-
daten meinte die Regierung die Bewegung einzudämmen. Im nächsten
Jahre erfolgt die erste Hinrichtung. Niemand durfte die Täufer „hausen,
herbergen, atzen oder tränken**. Ihre Versammlungsstätten wurden
niedergebrannt. Von da an ülngt der Zug nach Mähren an, um
sich wieder rückzustauen, wieder zu ergiefsen und so fort. Stetige
Flutungen sind bis zum Erlöschen der Täuferei von einem in
das andere Land wahrnehmbar. So grofse Strenge auch das „Regi-
ment" in Innsbruck walten liefs, so breitet sich doch die neue Lehre
südlich und nördlich des Brenners im Lande aus. Sterzing, Hall
und Kitzbüchel sind die Mittelpunkte. Mit grofsem Nachdruck be-
trieb man ihre Bekämpfung, denn ihre Anhänger sah die Regierung
nicht allein als Ketzer, sondern auch als Rebellen und Aufrührer
gegen die staatliche Ordnung an. Mit dem Jahre 1529 sah mau
das Blut der „Märtyrer" allenthalben fliefsen und die Scheiterhaufen
ge^n den Himmel lohen. Es war keines Bleibons mehr im Lande. Der
gröfste Teil zog nach Mähren (Austerlitz), ein Teil nach Südtirol
(Trient) und ins Venetianische. Mit gröfster Strenge folgt man allen
Spuren ; nicht allein „das Volk**, sondern auch Leute höherer socialer
Stellung fühlen ihren Druck. Güterbeschlagnahmen sind an der
Tagesordnung. Missionspredigten werden allenthalben veranstaltet,
Beichtzwang wird strenge gehandhabt 1530 kann die Regierung an
König Ferdinand mit Genugthuung berichten: „Mer ob 700 Manns
und Weibspersonen sind in dieser Grafschaft Tirol an mer orten zu
Tod gericht, theils des Landes verwisen und noch mehr in das Elend
flüchtig worden, die ire gueter, eines teils auch ihre Kinder waislos
verlassen.**
Aber trotz alledem glimmt es fort im Etsch- und Eisackland,
auch im Pusterthale lassen sich die Täufer wahrnehmen. 1532 wird
eine streifende Rotte von 400 Mann aufgestellt, die im ganzen Lande
alle verdächtigen Leute aufzuheben hat.
Das traurigste Kapitel bildet in der Geschichte der Täufer-
bewegung der Münsterische Aufstand und sind die Folgen des Vor-
gehens jener Schwärmer und Unholde entsetzlich. Er gab allen den
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84 Litteraturbericht. Heft 3.
Täufern feindlich gesinnten Mächten die schneidigste Waffe in die
Hand. An allen Orten erklärte man: es werde nun deutlich ge-
sehen, wie das fromme, heilige Wesen der Täufer nichts sei als
Scheinheiligkeit, ihre Furcht vor dem Schwert nur eitle Spiegel-
fechterei.
1536 gelang es der Regierung, eines hervorragenden Täufers
Namens Jacob Hutter, habhaft zu werden; er wird zu Innsbruck,
nachdem er alle Grade der Tortur tiberstanden hatte, durch das
Schwert hingerichtet. Nach dessen Tode tibemimmt Onophrius
Griesinger, den man aus Mähren herbeigerufen hatte, die führende
Rolle. 1538 rollt sein Kopf in den Sand. Zwischen 1548 — 62
steht Hans Mändl an der Spitze der Bewegung, nach diesem Hans
Kräl. Endlich nach vielen vergeblichen Versuchen gelingt es der
Regierung im Anfange des 17. Jahrhunderts, der Täuferei Herr zu
werden. Im Jahre 1604 wurde von Brixen aus eine letzte scharfe
Untersuchung einzelner in Religionssachen verdächtiger Personen
angeordnet.
Die nächsten Jahre bieten nur wenige Materialien, die über das
Vorkommen und die Verbreitung der Wiedertäufer in Tirol Auskunft
geben. Grofs wird diese Verbreitung in keinem Falle mehr gewesen
sein. Wie es scheint, war nahezu alles, was mit dem Täufertum
noch irgendwie in Zusammenhang stand, hinweggezogen.
The od. Unger.
Zur neuesten Comenius-Litteratur.
Man begegnet wohl der Meinung, es sei das Comenius- Jubiläum
nur künstlich durch den Eifer weniger Comenius-Schwärmer ins Werk
gesetzt worden ; der Gefeierte sei mit seinen Gedanken und Bestre-
bungen von unserer Zeit längst tiberholt und vermöge sie nichts
mehr zu lehren. Die so denken, sollten einmal die lange Reihe
von Schriften tiberblicken, welche tiber C. aus Anlafs der Jubelfeier
erschienen sind ; das Verzeichnis derselben ftillt ganze Seiten dieser
Hefte. Sie sollten, was noch besser wäre, beliebige dieser Schriften
lesen, in allen wtirden sie den Gedanken wiederfinden, dafs die
Menschen unserer Tage nichts Besseres thun könnten, als sich die
Gesinnung aneignen, welche den C. beseelte, und dafs viele seiner
Lehren noch heute höchst beachtenswert seien.
Ich greife aus der grofsen Zahl der Bticher ein kleines Schrift-
chen heraus von einem wtirttembergischen Pfarrer, Lic. theol. F r i e d r.
Hummel, der ein anziehendes Lebensbild des C. entwirft
(Verlag von Hugo Klein in Barmen, 32 Seiten). Er bekennt
gleich im Vorwort, welcher innige Wunsch ihm die Feder in die
Hand gedrtickt hat: „Die edlen Ztige der altehrwtirdigen Leidens-
gestalt d ti r f e n uns nicht verlöschen ; sie m ti s s e n deutlich hervor-
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1893. Litteraturbericht. 85
treten, damit auch heute alle Bekenntnisse und alle Stände erkennen,
woher Feindschaft und Streit kommen und in welcher Tiefe sie über-
wunden werden sollen."
Ich nehme ein anderes Lebensbild, gleich jenem eine Volks-
schrift, aber ausführlicher (65 S.), von anmutiger, leichter Darstel-
lung, verfafst von Rudolf Stähelin (Basel, Verlag von R. Reich,
1898). Wie urteilt er über die pädagogischen Forderungen und
Grundsätze des C. ? „Sie waren für das Schulwesen jener Zeit der
Anbruch eines neuen Tages, dessen Licht auch für unsere Gegen-
wart noch nicht erloschen, vielleicht gerade mit seinen besten Strahlen
noch nicht einmal zum Durchbruch gekommen ist** (S. 85), Von
höchster Bedeutung aber für unsere Zeit scheint ihm dies, dafs sich
um das Andenken des C. zu friedlichem Gedankenaustausch eine
Gemeinde samjnelt, an der die verschiedensten Geister und Rich-
tungen, die Männer der Aufklärung, wie die Herrnhuter, die Slawen
wie die Deutschen, Recht und Anteil zu haben sich bewufst sind
(vergl. S. 65).
Eine mehr für gelehrte Kreise bestimmte Arbeit ist die von
F. Grund ig, Rektor der Mittelschule in Erfurt: Job. Amos
Comenius nach seinem Leben und Wirken, eine Jubi-
läumsgabe zu seiner SOOjähr. Geburtstagsfeier (Gotha, C. F. Thie-
mann, 1892, 90 S.). Der Verfasser vertieft sich gründlich in die
Gedanken des C, giebt kurze, klare Übersichten über den Inhalt
seiner bedeutenderen Werke, erörtert im Anschlufe daran päda-
gogische Zeit- und Fundamentalfragen und kommt zu dem Schlufs,
dafs ein allgemeineres Zurückgehen auf die wohlbegründeten An-
schauungen des C für eine einheitliche Eutwickelung unserer Päda-
gogik nur von Segen sein könnte, da die pädagogischen Hauptfragen
der Gegenwart bei ihm bereits mehr oder minder eingehende Be-
achtung gefunden haben.**
Denselben Gedanken findet man in knapper Darstellung aus-
geführt in einem Aufsatz der englischen Monatsschrift Education
(Dezember 1892), herausgegeben von Frank H. Kasson und Frank
H. Palmer, Boston, 50 Bromfield Street, London: Edward Arnold,
18 Warwick Square, Paternoster Row. Der Verfasser, Will. S.
Monroe, zeigt an der Hand der Didactica Magna, der Jauua, des
Orbis Pictus und der Schola Infantiae, dafs C. der Evangelist der
modernen Pädagogik genannt zu werden verdient. Der Aufsatz ist
auch im Sonderabdruck erschienen : Comenius, The Evangelist
of Modern Pedagogy,
Ich nehme eine andere Abhandlung: „Das pädagogische
System des Comenius** von R. Rifsmann, Rektor in Berlin,
8. Heft im 5. Bande der Sammlung pädagogischer Vorträge, hrsg. von
Wilh. Meyer-Markau, Bielefeld, Verlag von A. Helmichs Buchhandlung.
Der Verfasser entwickelt aus der Didactica Magna das pädagogische
System des C, er unterwirft es einer scharfen Kritik, aber er mufs
anerkennen, dafs die Didactica Magna in den meisten ihrer Einzel-
heiten selbst heute noch keineswegs als tiberlebt angesehen werden
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86 Litteraturbericht. Heft 3.
darf" , „dafs sich zu beinahe allen pädagogischen Streitfragen un-
serer Zeit, bis auf die modernsten, aus ihr Beläge heranziehen
lassen." Doch scheint mir seine Kritik unserem C. manchmal Un-
recht zu thuu. So behauptet er (S. 25), dafs C. die Sittlichkeit im
wesentlichen als etwas mehr Äufserliches auffasse, als das Vermögen,
wie er selbst schreibe, klUglich Bewegungen und Handlungen,
äufsere und innere, eigne und fremde zu lenken. Wenn auch die
inneren Bewegungen zu ihr gehören, wie kann sie eine äufserliche
sein? Er tadelt „den Utilitarismus des Comenianischen Bildungs-
prinzips" (S. 30). Allein eine Prüfung aller einschlägigen Stellen
dürfte dem Verfasser ergeben, dafs das Comenianische Ntitzlichkeits-
prinzip durchaus ethischer Art ist. Nur was dazu nützt, den
Menschen weise, für das Leben weise und tugendhaft und fromm
zu machen, soll in den Unterrichtsstoff aufgenommen werden. Sein
Nützlichkeitsprinzip liegt in dem Lebensideal, dem C. selbst in den
schwersten Anfechtungen treu geblieben ist, in dem Lebensideal, das
noch heute so viele Herzen für ihn entzündet. Die Comeniusfeier
war nur die Gelegenheit, dafs vieler Herzen Gedanken über C.
offenbar wurden.
Da bekannte der eine in schlichtem, einfachem Wort, dafs er zu
C. als zu einem Vorbilde aufschaue : Wir lesen es in dem Gedächt-
nisblatt, das W. Latt, Lehrer in Herzkamp, seinem Andenken
widmet (Heft 4 der pädagog. Abhandlungen in Helmichs Verlag, Biele-
feld). Da drängte es einen anderen, seinen Mitbürgern zu zeigen, wie
gerade sie allen Grund hätten, „die Lichtgestalt des C. nicht zu
vergessen." W. P e i p e r , Kgl. Sem. -Direktor in Koschmin, schilderte
mit warmen Worten C, den grofsen Schulmann Posens, im
Frühling seiner Jugendzeit, in der Arbeit des Mannes, in der Ernte
seines Alters (Verlag von R. Tränkner, Koschmin, 1891).
Da bezeugte ein dritter, dafs von C. jenes Lob, welches einst dem
Hauptmann von Capemaum nachgesagt wurde, in erweitertem Sinne
gelte: „Er hat sein Volk und alles Volk lieb gehabt, und die
Schule hat er uns geistigerweise miterbaut. Es ist Dr. G. Schu-
mann in seiner Broschüre zur SOOjähr. Jubelfeier des C. (Heusers
Verlag, Neuwied und Leipzig, 1892, 40 S.). Er will uns gerade
das vor Augen malen, worin sich des C. „Leben und Leiden als
Mensch und Christ und sein Streben als Erzieher besonders aus-
prägt," damit „wir in den wirren Fragen der Gegenwart uns seinen
feurigen Glauben, seine feurige Liebe und seine getroste Hoffnung
bewahren".
Doch nicht blofs seine Gesinnung, sondern auch eine grofse
Summe seiner Vorschläge zur Besserung kann uns zur Richtschnur
dienen. In dieser Überzeugung entwirft Dr. J. Wafsner, Ober-
lehrer am Gymnasium in Rendsburg, in der Generalversammlung
des Vereins von höheren Unterrichtsanstalten Schleswig- Holsteins ein
fesselndes Bild von der geistigen Entwickelung des grofsen Schul-
mannes und christlichen Theologen, und versichert, dafs auch die
Gymnasiallehrer noch aus jeder Seite der Werke des C. ftlr ihre
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1893. Litteraturbericbt. 87
Kunst lernen können, und erhebt im Blick auf unsere kirchlichen
Verhältnisse die leider berechtigte Frage: „Wo ist die ökume-
nische Richtung, die, ohne zu verflachen, unablässig
an der Verwirklichung der christlichen Idee des
grofsen Gottesreiches arbeitet? Wo namentlich bei
uns Protestanten der Zug jener weiten, tiefen Liebe,
die über das Trennende hinüber nur auf das Einigende
schaut? Wo jenes lebendige Gemeinschaftsgefühl, das den Ge-
ringsten wie den Höchsten gleichmäfsig umspannt?" Wer diesen
Vortrag des Dr. Wafsner (Buchdruckerei des Halleschen Waisen-
hauses) gelesen hat, wird der Generalversammlung J3nes Vereins
Schleswig-Holsteinischer Lehrer Dank wissen, dafs sie seinen Sonder-
abdruck aus den „Lehrproben und Lehrgängen von Fries u. Meier"
beschlofs.
Auch Dr. E. Lentz, Oberlehrer in Bartenstein, ist der Über-
zeugung, dafs das Studium des C. ftlr die Gymnasiallehrer höchst
heilsam wäre. Dann würde man nicht über so viele pädagogische
Mifsgrifife aus den ersten Amtsjahren zu klagen haben. Er spricht
dies aus in seinem Vortrage in der Generalversammlung
des Vereins von Lehrern höherer Unterrichtsanstalten
Ost- und Westpreufsens, in welchem er den SchuFplan und
die Methode des C. entwickelt (vorrätig bei Gustav Fock, Leipzig,
Magazingasse 4).
Das Studium des C. ist für unsere Zeit notwendig. Das ist der
Grundton einer vortrefflichen Festrede, welche Dr. Wilh. Roh-
meder, Rektor der Handelsschule und Stadt- Schulrat zu München
gehalten hat (Verlag von A. Helmich, Bielefeld). Er zeigt in ihm
„das Verhältnis des C. zu den wichtigsten Schul- und Erziehungs-
fragen der Gegenwart** und kommt zu dem Ergebnis, dafs C. „für
die vielen noch ungelösten Erziehungsfragen der Gegenwart als Weg-
weiser dienen kann".
Ich schliefse diesen vielstimmigen Chor von Comenius-Kennern
mit dem schönen, umfassenden Grundgedimken der Festrede von
F. Sander (Beilage der fortgesetzten Nachrichten der Königlichen
Waisen- und Schulanstalt zu Bunzlau über das Schuljahr 1891/92).
Sander stellt C. dar nicht blofs als einen edlen Typus seines Jahr-
hunderts, sondern auch als einen Propheten Älr die folgenden
Jahrhunderte, zumeist f\Xr das unsrige, als einen Propheten des
modernen Erziehungs- und Schulwesens sowohl wie der christlichen
Humanität. Wer sich mit C. beschäftigt, dem wird es aus der Seele
gesprochen sein, was Sander sagt: „Je tiefer man in dieses
Mannes Schriften eintaucht, desto mehr wächst die ehr-
furchtsvolle Bewunderung vor seinem ahnenden, vor-
ausschauenden Seherblick." Und wer die Schwere der Auf-
gaben empfindet, welche die Glaubensspaltung in unserem Volke
uns stellt, der wird Sander von Herzen beistimmen, wenn er am
Schlüsse seiner Rede sagt: „Sollen wir diese Aufgaben lösen,
so müssen wir uns an Männer halten wie den edlen
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88 Litteraturbericht Heft 3.
Brüderbischof, der innig und verständig, fromm und
weise fUr den wahren Frieden der Völker und der
KirchendenWegwies." W. B.
Die neueste amerikanische Comenlus-Lltteratiir.
(Zusammengestellt von Will 8. Monroe in Palo Alto, Califomien.)
Bardeen, C. W., The Text-Books of Comenius. Educational Review, New-
York, March, 1892.
Butler, Nicholas Murray, The Place of Ck>meniu8 in the History of Edu-
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Gregor, Francis A., Comenius: a Pioneer of Leaming. Chicago Times,
Chicago, March, 1892.
Hanos, Paul H., Permanent Influences of Comenius. Educational Review.
New- York, March, 1892.
Hark, John Max, John Amos Comenius: His Private Life and Personal
Characteristics. Addresses and Proceedings of the National Educational
Association. New- York, 1893.
Klose, Edwin G., John Amos Comenius : His Life, Services to the Brethren^s
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Iiang, Ossian H., Comenius: His Life and Principles of Education. New-
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Maxwell, W. H., The Text-Books of Comenius. Syracuse, 1893.
Monroe, Will S., Comenius, the Evangelist of Modem Pedagogy. Boston,
1892.
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Neuere Erscheinungen.
Zusammengestellt mit besonderer Rücksicht auf das
Forschungsgebiet unserer Gesellschaft^.
Die mit * bezeichneten haben der Schriftleitung vorgelegen.
Die Verfasser, deren Namen mit einem f bezeichnet sind, waren oder sind
Mitglieder der Comenius-Gesellschaft.
Die eingehende Besprechung einzelner Erscheinungen bleibt vorbehalten.
*tBaeliring, Bernhard, Christian Karl Josias Freih. von Bunsen. Lebens-
bild eines deutsch-christlichen Staatsmannes. Dem deutschen Volke
dargeboten. Leipzig, F. A, Brockhaus. 1892.
Baninann, Volksschulen, höhere Schulen und Universitäten. G^ttingen,
Vandenhoeck & Ruprecht. 1892.
*Beard, Charles, Die Reformation des 16. Jahrhunderts in ihrem Verhältnis
zum modernen ' Denken und Wissen. Zwölf Hibbert- Vorlesungen.
Übersetzt von Fr. Haiverscheid. Berlin, G. Reimer. Mk. 6. — .
^fBenrath, K., Bemardino Ochino von Siena. Ein Beitrag zur Geschichte
der Reformation. Mit Orig. -Dokumenten, Portr. u. Schriftprobe. 2. Aufl.
Braunschweig, Schwetschke & Sohn. 1892. (XII, 323 S., gr. 8.)
Mk. 7.-.
Bibliothek, philosophische, od. Sammlung der Hauptwerke der Philosophie
alter und neuer Zeit. Begründet von J. H. v. Kirchmann. 180. u.
181. Heft (41. Bd.) gr. 8^ Berlin, Philos.-histor. Verl., Dr. R. Salinger.
Preis Mk. 1.-.
Ren6 Descartes Prinzipien der Philosophie, 1. u. 2. Teil. In geometr.
Weise begründet durch Benedict Spinoza. Mit einem Anhang: Meta-
physische Gedanken des Letzteren, in welchem sowohl die in dem
allgemeinen wie in dem besonderen Teile der Metaphysik vorkommen-
den schwierigen Fragen kurz erklärt werden. Übersetzt u. erläutert
von J. H. V. Kirchmann. 2. Aufl. (XXVI, 158 S.)
^ Es ist hier die Litteratur seit 1890 berücksichtigt, einige wenige
ältere Erscheinungen ausgenommen. Die Comenius-Litteratur und Ver-
wandtes, was wir schon früher erwähnt und besprochen haben, ist hier nicht
noch einmal aufgeführt. Portsetzung und Ergänzungen folgen in
den nächsten Heften.
Monatshefte der Comenia^-Gesellschaft. 1893. 7
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90 Neuere Elrscheinungen. Heft 3.
Bibliothek der katholisohen Pädagogik. Bd. 4: a) Joh. Mich. Sailers
pädagogisches Erstlingswerk, ein Vorläufer seiner Erziehungslehre.
. Neu herausgeg. u. m. einer Einleitung u. Anmerkungen versehen von
Dr. L. Kellner, b) Franz von Fürstenberg. Sein Leben und seine
Schriften. Herausgeg. von J. Esch. Freiburg, Herder. 1892.
Book, Geh. Reg.-R. Ed., Stimmen hervorr. Schulmänner dieses Jahrhunderts,
zur Beachtung f. Lehrer u. Laien bei der Erziehung u. dem Unterrichte
der Jugend gesammelt u. hrsg. gr. 8 ® (VIII, 160 S.). Leipzig, Akadem.
Buchh. (W. Faber). Mk. 3.—.
*Breoht, Th., Kirche und Sklaverei. Ein Beitrag zur Lösung des Problems
der Freiheit Barmen, H. Klein. 1890.
Brano, G., Dialoge v. Unendlichen, dem All und den Welten (delP infinite,
universo e mondi), übers, u. m. Anmerkung, versehen v. Ludw. Kuhlen-
beck. Berlin, Lüstenöder. 1893. Mk. 6.—.
♦fBuBsy, de, J. J. Wijsgeerige Wetenschap en persoonlijke Overtuiging.
Rede, uitgesproken den 30. September 1892 etc. Amsterdam 1892.
DiUmanny Ed., Eine neue Darstellung der Leibniz*schen Monadenlehre auf
Grund der Quellen. Leipzig, O. R. Reisland. 1892.
^Döllinger, Ign. v., Beiträge zur Sektengeschichte des Mittelalters. 2 Bde.
München, C. H. Becksche Buchhandlung. 1890.
Döllinger, Ign. v., Das Papsttum. Neubearbeitung von Janus, „Der
Papst und das Concil'^, im Auftrag des inzwischen heimgegangenen
Verfassers von J. Friedrich. München, C. fl. Becksche Verlagsbuch-
handlung. 1892.
*tDörpfeld, F. W., Beiträge zur pädagogischen Psychologie in mono-
graphischer Form. Erstes Heft. Denken und Gedächtnis. Gütersloh,
Bertelsmann. 1891.'
^'fDreyer, Otto, Undogmatisches Christentum. 4. Aufl. 1890. Braunschweig,
Schwetschke & Sohn. Mk. 2.—.
fEhlers, Kons.-Rat, Pfr. D. R., Der Menschen Sohn, Christus, Gottes Sohn.
Vortrag. 8«, 16 S. Frankfurt a. M., Kesselring. 1892. Mk. -.30.
*f Ellissen, O. A., Friedrich Albert Lange. Eine Lebensbeschreibung. Mit
Porträt F. A. Langes. Leipzig, Jul. Baedecker. 1891.
Baier, Encyklopäd. Handbuch des gesamten Tumwesens. 1. Lfg. Wien,
Pichlers Wwe. & Sohn. 1893.
FiBoher, K., Greschichte des deutschen Volksschullehrerstandes. 2. Bd.
Hannover, C. Meyer (G. Prior). 1892.
*t^ügel, O., A. Ritschis philosophische u. theolog. Ansichten. 2. Aufl.
Langensalza, Beyer & Söhne. 1892. (III, 156 S. 8».) Mk. 2.—.
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Gand 1892. 32 S. 8^
Feith, P. R., Levensbericht van S. J. Hingst. (Sonderabdruck aus den
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1889/90.) Leiden 1892.
Pranoke, August Hermann, Kurzer und einfältiger Unterricht. Mit einer
Einleitung herausgeg. von Albert Richter. Leipzig, Rieh. Richter.
18921 Nr. X der Neudrucke Pädagog. Schriften. Mk. —.80.
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1893. Neuere Ersclieiuungeu. 91
^fFrederioq, Dr. Paul, InquisitiohaereticaepravitatisNeerlandica. Geachie-
denis der Inquisitie in de Niederlanden tot aan liare herrinrichting
onder K. Karl V. (1025—1520). 1. Deel. Gent, J. Vuylsteke. 1892.
XVI, 114 S. 8». Fr. 3.-.
*Frerioli«, G. E., Op het vierde eeuwfeest van Menno Simons geboorte.
Sonderabdruck aus d. Zondafi^sbode 1892. Meppael, Kuiper en Taconis.
fFriok, weiL Dir. D. Dr. 0., Pädagogische und didaktische Abhandlungen.
Hrsg. V. Dr. Georg Frick. 1. Bd. gr. S^. (VII, 580 S. m. 2 Tab.)
Halle a. S., Buchh. d. Wabenhauses. 1892. Mk. 9.—.
Graae» D. G. H., Die selbständige Stellung der Sittlichkeit zur Religion.
(Aus „Jahrb. f. Protestant Theol.") gr.8« (VI, 219S.). Braunschweig,
C. A. Schwetschke & Sohn. Mk. 5.—.
Orünberg, Pfr. Lic. Paul, Phil. Jac. Spener. 1. Bd. VIII, 531 S. Göt-
tingen. Vandenhoeck & Ruprecht. 1893. Mk. 10.—.
Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristl. Litteratur. Hrsg.
von Osk. V. Qebhardt und Adf. Harnaok. 9. Bd., 2. Heft. gr. 8^
Leipzig, J. C. Hinrichs Verlag.
IX, 2. Bruchstücke des Evangeliums und der Apokalypse des Petrus
von Adf. Harnaok. (III, 78 S.) Mk. 2.—.
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St. Paul in London.) Vortrag. 4^ 16 S. Leipzig, Teubner.
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Freiburg i. B., J. C. B. Mohr. 1892. (VIII, 88 S.), 8^ Mk. 1.— .
7*
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92 Neuere Erscheinungen. Heft 3.
Hübsch, G., Die Reformen und Reformbestrebungen auf dem Gebiete der
Volksschule im ehemaligen Hochstift Bamberg 1757—1795. IX, 209 S.
Bamberg, Buchners Verlag. 1891. Mk. 3.—.
tHummel, F., Die Bedeutung der Schrift von Carl Schwarz über das
Wesen der Religion für die Zeit ihrer Entstehung und die Gegenwart.
Gekrönte Preisschrift Braunschweig, Schwetschke & Sohn.tol890.
Jahrbuch, Pädagogisches, 1892. (Der pädagog. Jahrbücher 15. Bd.) Hrsg.
V. d. Wiener pädagog. Gresellschaft. Red. von Ferd. Franck. gr. 8®
(X, 228 S. m. 1 Bildnis). Wien, Manz. Mk. 3.—.
Jahrbuch des höheren Unterrichtswesens in Österreich m. Einschlufs der
gewerblichen Fachschulen u. der bedeutendsten Erziehungsanstalten.
Bearb. v. Realsch.-Prof. Joh. Neubauer u. Realsch.-Dir. Dr. Jos. DiviS
6. Jahrg. 1893. gr. 8» (X, 280 S.). Prag, F. Tempsky.
Jahresberichte der Geschichtswissenschaft, im Auftrage der Historischen
Gresellschaft zu Berlin, hrsg. v. J. Jastrow. 14. Jahrg. 1891. Berlin,
Gaertners Verlag. (Lex. 8®.) Mk. 30.—.
Kants Reflexionen zur kritischen Philosophie. Aus Kants handschriftlichen
Aufzeichnungen herausg. von Benno Erdmann. 2 Bde. Leipzig,
0. R. Reisland. 1892.
*tKieferndorf, Ph., Der Eid. Vortrag, geh. zu Ludwigshafen a./Rh. am
17. Nov. 1891. Worms, Komm, bei R. Reis. 1892. (II, 74 S.). 8«.
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Philosophie. Aus d. handschriftl. Nachlasse des Verf. hrsg. v. Dr. Paul
Hohlfeld u. Dr. August Wünsche. Mit einem Anhange: Die
Philosophie der Kirchenväter und des Mittelalters. Leipzig, Otto
Schulze. 1893.
Krause, Karl Christ. Frdr. , Anschauungen od. Lehren u. Entwürfe zur
Höherbildung des Menschheitslebens. Aus dem hdschr. Nachlafs des
Verf. hrsg. v. Dr. Paul Hohlfeld u. Dr. Aug. Wünsche. 3. Bd.
1892. gr. 8». 320 S. L. B. E. Felber. Mk. 6.—.
*Kuenen, A., Volksreligion und Weltreligion. Fünf Hibbertvorlesungen.
Berlin, G. Reimer. Mk. 5. — .
liängin, Th., Die Sprache des jungen Herder im Verh. z. Schriftsprache.
Freiburg. Diss. Leipzig, Fock. 109 S. Mk. 1.50.
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gegeben von Eugen Wolf f. 2. Reihe, Heft 4. Kiel und Leipzig,
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* — , Veme und Inquisition. Programm über die Preisverteilung. Halle
1893.
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Aussprüche Melanchthons , hauptsächlich nach Aufzeichnungen von
Johannes Matthesius. Gotha, F. A. Perthes. 1892.
*tI*o8erth, J., Doktor Balthasar Hubmaier u. die Anlange der Wiedertaufe
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1893. Neuere Erscheinungen. 93
in Mfihren. Aus gleichzeitigen Quellen und mit Benutzung des wiss«
Nachlasses des Hofrats Dr. Josef Ritter von Beck. Bonn 1893. Ver-
lag der hist-statist. Sektion.
Magaain, pädagogisches, Abhandlungen vom Gebiete der Pädagogik und
ihrer Hülfiswissenschaften. Hrsg. v. Priedr. Mann. 14. — 19. Heft,
gr. S^. Langensalza, H. Beyer & Söhne.
14. Die Überfüllung der gelehrten Berufszweige. Von Dr. Alb.
Wittstock. (37 S.) Mk. — .5a — 15. Comenius u. Pestalozzi. Fest-
rede, geh. V. Prof. 0. Hunziker. (31 S.) Mk. —.40. — 16. Das Recht
der Volksanfisicht. Nach den Verhandlgn. d. Württemberg. Kammer
im Mai 1891 v. Dr. E. v. Sallwürk. (23 8.) Mk. —.25. — 17. Histo-
rische Richtigkeit u. Volkstümlichkeit im Geschichtsunterricht. Vor-
trag von Dr. F. Rossbach. (32 S.) Mk. —.40. — 18. Lehrplan der
sechsstufigen Volksschule zu Halle a. S. für den Unterricht in Ge-
schichte, Geographie, Naturlehre, Raundehre, Deutsch. Aufgestellt v.
Rekt Dr. Wohl r ab e. (32 S.) Mk. —.40. — 19. Die Bedeutung des
Unbewufsten im menschlichen Seelenleben. Von H. Roth er. (23 S.)
Mk. —.80,
Masius, Herrn., Bunte Blätter. Altes und Neues. Halle a. S. 1892. V,
384 S. 80. Mk. 6.40. — Darin u. a. : Die Einwirkung d. deutsch. Huma-
nismus auf d. deutsch. Gelehrtenschulen. — Ulrich Zwingli, insbeson-
dere als Humanist und Pädagog. — Erasmus als Sittenlehrer.
*tKo11at, Georg, Mitteilungen aus Leibnizens ungedruckten Schriften.
Neue Bearbeitung. Leipzig, H. Haessel. 1893.
fPaolsen, Einleitung in d. Philosophie. Berlin, Hertz. 1892. Mk. 4.50.
fPfleiderer, Otto, Die Entwicklung der protest. Theologie in Deutschland
seit Kant und in Grofsbrittanien seit 1825. Freiburg, Mohr. 1891.
ChziBtoph, Karl, Wolfgang Ratkes (Ratichius) pädagogisches Verdienst.
Diss. 8^ 52 8. Leipzig, C. F. Fleischers Sortiment. Mk. 1.—.
tKein, W., Am Ende der Schulreform? Betrachtungen, gr. 8» (lU, 92 S.).
Langensalza, H. Beyer & Söhne. Mk. 1.50.
tBein, Prof. Dr. W., Sem.-Lehr. A.Piokei u. B. 8oh eller, Theorie u. Praxis
des Volksschulunterrichts nach Herbartschen Grundsätzen. I. gr. 8<^.
Leipzig, H. Bredt. — I. Das erste'Schuljahr. Ein theoretisch-prakt. Lehr-
gang für Lehrer u. Lehrerinnen, sowie zum Gebrauch in Seminaren.
5. Aufl. (X, 280 S.) Mk. a— .
fBeinhcurdt, Die Umgestaltung des höheren Schulwesens. Vortrag. Frank-
furt, Diesterweg. 1892.
*Bo8iB, Harkort, Der Tribun der preuss. Volksschule. Dortmund, Ruhfus.
Mk. 1.—.
Bühl, F., Kant über den ewigen Frieden. Rede. Königsberg, Leupold.
1892. 15 S.
tSaader, F., Briefwechsel Friedr. Lückes mit den Brüdern Jacob u. Wilh.
Grimm. Hannover-Linden, Manz & Lange. 1891. Mk. 5.-.
Sohaarsohxnidt, Dr. Emil, Die Unsterblichkeit der Menschenseele. Leip-
zig, Max Spohr. 1892. (34 S.) Mk. —.60.
Sohleiermaoher, Fr., Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter
ihren Verächtern. 7. Aufl. Berlin, G. Reimer. Mk. 2.—.
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94 Neuere Erscheinungen. Heft 3.
*Bohmoller, 0., Die Lehre vom ReicAe Gk)tte8 in den Schriften des Neuen
Testaments. Bearbeitung einer v. der Haager Gesellschaft zur Ver-
teidigung d.christl. Religion gestellten Aufgabe. Leiden, E.J.Brill. 1891.
Servet , M. , Wiederherstellung des Christentums. 1. Bd. Zum erstenmal
übersetzt von Dr. Bernh. Spiefs. 323 8. Wiesbaden 1892. Mk. 5.—.
Theologie, deutsche, d. i. ein edles Büchlein v. rechten Verstände, was
Adam und Christus sei und wie Adam in uns sterben und Christus
erstehen soll. Mit den Vorreden Dr. Martin Luthers und Joh. Amds«
2. Aufl. gr. 16<>. 179 S. Stuttgart, J. F. Steinkopf. 1892. Mk. 1.60.
♦tThudiohum, F., Femgericht und Inquisition. Giefsen 1869.
♦f— Das heilige Femgericht. Histor. Zeitschrift, hrsg. v. H. v. Sybel
und M. Lehmann. 1892. 68. Bd. S. 1-57.
Stange, Karl, Die christliche Ethik im Verhältnis zur modernen Ethik:
Paulsen, Wundt, Hartmann. Preisgekrönt von der theol. Fakultät zu
Göttingen am 1. Juni 1892. gr. 4». VT, 99 S. Göttingen, Dieterichs
Verlag. 1892. M. 2.—.
tStötsner, Paul, Beiträge zur Würdigung v. Joh. Balth. Schupps lehrreichen
Schriften. III, 95 S. Leipzig, R. Richter. Mk. 1.80. -
Trager, J., Die Familienrechte an der öffentl. Erziehung. Ein Wort der
Verständigung im schulpolit. Kampfe. 2. Aufl. Mit einem Vorwort
von W. Rein. gr. 8^ IX, 104 S. Langensalza, Beyer & Söhne.
1892.
fUhlig, Dr. G.,Gymn.- Direkt., Die Einheitsschule mit lateinlosem Unterbau.
XXrV, 104 S. gr. 80. Heidelberg, Winter. 1892. Mk. 2.—.
♦Volksbibliothek, religiöse, hrsg. vom Bibliograph. Bureau zu Berlin unter
Rädaction von C. Werckshagen. I. 5. 8®. Berlin, Bibliogr. Bureau.
5. Schleiermacher. Eine Auswahl aus seinen Predigten, Reden und
Briefen. Zusammengestellt und eingeleitet von Pred. Kurt Stage.
(IV, 95 S.)
Walther, Die deutsche Bibelübersetzung des Mittelalters. Braunschweig.
1890—1892.
*tZiegler, Th., Geschichte der christl. Ethik. Zweite, durch ein Sachreg.
vermehrte Ausgabe. 8^ XVI, 607 S. Strafsburg i. E., Verlag von
K. J. Trübner. Mk. 9.—.
tZiegler, Theob., Sittl. Sein u. sittl. Werden. 1891 od. 92.
fZiegler, Theob., Religion und Religionen. Fünf Vorträge. Stuttgart,
Cotta. 1893. Mk. 2.—.
*2Eiller, Tuiskon, Allgemeine Pädagogik. Dritte, neubearbeitete und mit
Anmerkungen versehene Auflage der Vorlesungen über allgemeine
Pädagogik, hrsg. von Dr. Karl Just. Leipzig, Heinr. Matthes. 1892.
Zittel, Karl, Der Sonntagabend. Religiöse Betrachtungen für denkende
Christen, hrsg. von D. Emil Zittel, Dekan in Karlsruhe. 1. Bd. Berlin,
G. Reimer. Mk. 4.—.
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Nachrichten.
über einen interessanten Handschriftenfnnd berichtet Herr
Lehrer Ed. Peck in Holeschau (Mähren) in der Beilage zu Nr. 5 der
tschechischen Zeitschrift „Komensky". Herr Prof. Spohrer, ehemals
Erzieher beim Grafen von Vrben, jetzt in Holeschau privatisierend,
zeigte dem Berichterstatter mehrere alte Handschriften meist in böhm.
Sprache, die er in Ungarn erworben hatte und bat ihn, da er selbst
der böhm. Sprache nicht mächtig ist, um nähere Auskunft über die-
selben. Die Sammlung enthält folgende Stücke:
1. Zehn Briefe des Comenim an Nik. Drahik aus den Jahren 1664
— 1670, viele derselben tragen aufser dem Datum des Comenius
Unterschrift und Siegel.
2. Die Schrift des Comenius: ^Theatrum universUatis rerum, t. j.
DivacUo sveta a vSechnech vSudy predifmych veci jeho, kterdi na
nebi^ na zemi, pod zemi, u voddch, v povetri a kdekoli v svHi
J8ou aneb se deji a düi budou od poödtku svHa ai do skondnf
jeho a ai na vekyvikäv.^ [Theatr. univers, rerum, d. i. Schau-
platz der Welt und aller ihrer grofsen Wunder, die wn Himmel,
auf Erden, unter der Erde, im Wasser, in der Luft und wo
immer sonst in der Welt sind oder geschehen und geschehen
werden von Anfang der Welt bis zu ihrem Ende und bis in
Ewigkeit.] Handschrift 110 S. in 4®. Vgl. meine Bücherkunde
des Comenius Jahrg. 1892, L Monatsheft S. 20 Nr. 2.
3. Eine tschech. Übersetzung der Ädmonitio fratema des Comenius.
Vergl. meine Bticherkunde a. a. 0. S. 47 Nr. 111.
4. Viele Briefe von verschiedenen Personen (Junius, Muratus, Fabri-
cius, Mediiansk^, Veterinus u. a.) an Drahik,
5. Briefe Dräbiks an verschiedene Personen (Comenius, Kotal,
de Geer u. a.).
6. Tagebuch DräbUcs von 1652—1668.
7. Zeugnis des Bürgermeisters und Rates der Stadt Meseritsch
über Drabiks ehrenhafte Gebart.
8. Ein amtliches Protokoll mit Drabik in Prefsburg, worin an-
gegeben ist, dafs Comenius „eo; pago komnia^ stamme (latein.).
9. Verschiedene Briefe der Herren von Zerotin, Georg Bafanides^
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96 Nachrichten. Heft 3.
LaurenHus de Geer (engl.) und der Grafen Pembrok und Moni-
gomery (engl.).
10. ^ManuducHo in revdaHonum Nicolai Drabicii considerationem
quadripariUam per quaesHones succvndaj^
11. Ein Erlafs des Herrn Georg Rakoczi an die Exulanten aus
Mähren, unter welchen Bedingungen sie sich auf seinem Grund
ansiedeln dtlrfen.
12. Synodalpredigten, gehalten bei der Weihe und Ordination von
Kirchendienern der Brüderunität.
13. Register der Eibenschtitzer Brüdergemeinde 1600.
14. j^Krdtkif spis o elatem a budcmcim jU nastävajicim veku, sepsani)
läa 1584 od W.(Uifna) B.(udovce) z B.iudova"). [Kurze Schrift
von dem goldenen und zukünftigen, bereits anbrechenden Zeit-
alter, geschrieben im Jahre 1584 von Wilhelm Budovec von
Budova,]
15. Ein gröfserer Band enthält folgende Handschriften :
a. „0 püvodu jednoty hrairskd a rddu v ni.^ [Von dem Ur-
sprung der Brüderunität und der Ordnung in ihr.]
b. j^Sepsimi 6r. Jana Blähoslava o rozdüe jednoty bratrske od
luteryanske,*^ [Schrift des Br. Joh. Blahoslav von dem Unter-
schied zwischen der Brüderunität und den Lutheranern.]
c. „Zpräva o nau^eni tech, hteri od nekterych Waldensk^mi
naz^dni hyvaji . , . od jich StarSich uövnena leta 1496.^
[Nachricht von der Lehre derer, die von einigen Waldenser
genannt werden . . . von ihren Ältesten verfafst im Jahre
1496.]
d. „0 mreutSm hrfcku opilstvf atd,^ [Von der häfslichen Sünde
der Trunksucht etc.] 1560.
Die übrigen 5 Schriften finden sich auch unter den Hand-
schriften der Unitätsbibliothek in Hermhut.
Aufser diesen Handschriften werden noch 2 Druckschriften ge-
nannt :
Orhis sensudlium pictus trüinguis aus dem Jahre 1708 und
die von Comenius veranstaltete Übersetzung der Offenbarungen
Kolters ins Tschechische. S. meine Bücherkunde des Comenius
a. a. 0. S. 23 Nr. 18.
Nach neueren Nachrichten hat das böhm. Museum in Prag
diese ganze Sammlung von Hand- und Druckschriften für 600 fl.
erworben und wird demnächst im Casopis ^esk^ho Musea eine ein-
gehendere Beschreibung derselben veröflfentlichen. J. M.
Die Sammlang von Autographen and historischen Dokumenten aus dem
Besitz des Grafen Ludwig von Paar, die am 20. — 25. März 1893 durch das
Antiquariat von Albert Cohn in Berlin (W. Mohrenstr. 53) versteigert
worden ist, gehört zu den merkwürdigsten, die je in den Handel ge-
kommen sein mögen. Sie enthält auch in Bezug auf das Forschungs-
gebiet unserer Geselbchaft so wichtige Stücke, dafs wir unsere Leser
auf den vorzüglichen Katalog, den das genannte Antiquariat kürzlich
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1893. Nachrichten. 97
yersandt hat, hinweisen wollen. Unter Nr. 976 und 977 finden sich
zwei Stücke von Comeniis Hand, ein lateinischer Brief an Nigrinus vom
19. September 1668, worin unter anderem von der Reise Hesen thalers
(s. Monatshefte 1892, Heft 4, S. 287 ff.) nach England und Amsterdam die Rede
ist, und ein Stammbuchblatt vom 20. Mai 1651 für Matthias Zimmermann.
Unter Nr. 917 findet sich ein Brief Luthers an Pirkheimer vom 20. Febr.
1519, also aus sehr früher Zeit, wo Luthers Beziehungen zu den Huma«
nisten und deren Societfiten noch sehr freundschaftlicher Art waren. L.
schreibt: „Den in Basel erfolgten Nachdruck meiner Schriften wirst Du
gelesen haben. Sie sind so gut herausgegeben, dafs sie mir selbst gefallen.
So haben diese vorzüglichen Alchymisten verstanden, aus Kupfer Gold zu
machen. Den Sylvester nennen sie sehr drollig den Magirum Pallacii
statt Magistrnm Pallacii" u. s. w. Femer sind aus der Zeit der Reformation
vertreten: Melanchthon, Graf Herm. v. Neuenahr, Peutinger,
Pirkheimer, Reuchlin, Eobanus Hessus, Savonarola, Stau-
pitz, Zwingli, Erasmus u. s. w. Aus dem 17. Jahrhundert seien Ca-
lixtus, Descartes, Aug. Herm. Francke, Kepler, Leibniz, Sau-
bert und Spener genannt; daran schliefsen sich aus unserem Arbeits-
gebiet Thomasius und Zinzendorf, auch Basedow, Joachim
H. Campe und Job. Gottl. Fichte. Besondere Erwähnung verdient ein
sehr seltenes Stück, das im Katalog auch teilweise fisicsimiliert ist, von
Sebastian Franck. Es ist ein Brief aus dem Jahre 1583 an den Bürger-
meister von Ulm, worin er bittet, ihm das Seifensieder-Handwerk zu ge-
statten; er wolle, was er von Gott habe, nicht vergraben, sondern schrift-
lich dem Volk Gottes mitteilen; in diesen gef^riichen Zeiten könne er das
nicht, wenn er mit einem Amt „verstrickt" sei u. s. w. Endlich machen
wir auf die Stücke Nr. 1285 — 1247, welche H erd er betreffen, noch besonders
aufmerksam ; es sind darunter Briefe an Lavater und Fr. H. Jacobi von hohem
persönlichen und sachlichen Interesse. So schreibt er an Jacobi am
29. Mai 1783: „Wollen Sie, lieber Jacobi, so schicken Sie mir Ihre Zeich-
nung von Hemsterhuis gezeichnet; sie soll über Lessings Büste in meinem
Zimmer hangen, in dem nichts ist als Luther, Hamann, Lessing, der Graf
und die Gräfin von Bückeburg und die regierende Herzogin" .... Diese
Proben werden zur Charakteristik der wichtigen Sammlung vom Stand-
punkt unserer Gesellschaft aus genügen.
Amerikanisehe Gesellsehaft für Kirehengesehichte. Ein eigen-, ja viel-
leicht einzigartiger Verein ist die amerikanische Gesellschaft für Kirchen-
geschichte, die nicht auf dem Boden eines bestimmten Bekenntnisses steht,
sondern Glieder aller in Amerika vertretenen kirchlichen Gemeinschaften
umfafst. Diese Gesellschaft wurde vor vier Jahren gegründet und zählt
jetzt 140 Mitglieder. Die letzte Jahresversammlung wurde am 29. und
80. Dezember 1891 in der Columbischen Universität zu Washington abge-
halten. Unter den zur Verlesung gekommenen Abhandlungen waren
folgende von besonderm Interesse: „Die religiösen Motive des Christoph
Columbus" von W. K. Gillet, Professor an der Universität Newyork.
Sehr eigenartig war der Vortrag des Professor« Th. Davidson, eben-
falls aus Ne?iryork, über „Christliche Einigkeit und das Himmelreich".
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98 Nachrichten. Heft 3.
„Die Verteilung Amerikas durch päpstliche Bullen" behandelte Pro-
fessor J. Gordon vom theologischen Seminar zu Omaha, Nebraska. Er
zeigte, wie der. Papst die einzelnen Teile Amerikas willkürlich an Könige
und Fürsten verteilte, und dafs in frühern Zeiten das ßesitzrecht oft auf
diese päpstlichen Verwilligungen gestützt wurde.
Der in der lutherischen Kirche bekannte Verfasser der Geschichte des
Ministeriums von Newyork, Pastor Nicum, veranlafste durch einen ge-
schichtlichen Überblick über die Lehrentwicklung der evangelisch-lutheri-
schen Kirche in Amerika eine lebhafte Besprechung.
Mit grofsem Interesse lauschte man auch den Worten von Barr
Ferren aus Newyork, dessen Vortrag den „christlichen Gedanken in der
Baukunst" behandelte.
Am zweiten Tage der Versammlung fand nach einem Empfang bei
Präsident Harrison im Kapitol die Aufoahme neuer Glieder statt, darunter
die beiden Professoren der Kirchengeschichte an der neuen katholischen
Universität zu Washington, und des Herrn H. K. CarroU, des Spezial-
agenten der Regierung zur Sammlung der kirchlichen Statistik.
Die wichtigste Handlung der Gesellschaft war der Beschlufs, eine
Geschichte aller religiösen Gemeinschaften Amerikas herauszugeben. Als
Publikations-Komite wurden ernannt Dr. Ph. Schaff, die Bischöfe
Hurst und Potter, Professor Fischer, Dr. Wolf und die Pastoren
H. C. Vetter und S. M. Jackson. Diese haben die Aufgabe, geeignete
Persönlichkeiten zur Abfassung von Monographien aus den verschiedenen
Kirchenkörpern zu wählen und die Herausgabe des ganzen Werkes zti be-
aufsichtigen. Diese Kirchengeschichte ist auf mindestens zehn Bände zu
je etwa 500 Seiten berechnet. Der Geschichte der gröfsem Kirchen (Bap-
tisten, Kongegrationalisten, Lutheraner, Methodisten, Presbyterianer, Episko-
palen und römischen Katholiken) wird je ein Band gewidmet, zwei oder
mehr Bände den kleineren Kirchen und, wenn thunlich, ein Band einer
gedrängten Geschichte der christlichen Kirche in Amerika, worin nament-
lich auch die Beziehungen zu Europa, die charakteristischen Merkmale des
amerikanischen Kirchenwesens, das Verhältnis der Kirche zum Staat be-
handelt werden sollen. Eine Reihe anerkannt tüchtiger kirchlicher Schrift-
steller hat bereits ihre Mitwirkung zu dem Werke zugesagt. Wir nennen:
für die lutherische Kirche Professor H. E. Jakobs, die römisch-katholische
Kirche Professor Th. O'Gorman, die deutsch -reformierte Professor
J. H. Dubbs. (Chronik d. christl. Welt.)
Die „Theologischen Studien und Kritiken", Jahrg. 1893, Heft 1,
S. 125 ff. bringen einen Artikel über J ean de Labadie und die Brüder-
gemeinde, den wir der Beachtung unserer Leser empfehlen. Der Ver-
fasser — Max Bajorath — hat die Geschichte der Labadieschen Gemeinde-
stiftung und der Gemeinde Zinzendorfs genau studiert, und der mit grofser
Unbefangenheit durchgeführte Vergleich beider Gründungen bietet inter-
essante Punkte genug dar. Labadie, geb. 1610, gehörte einer vornehmen
französischen Adelsfamilie an, war im Jesuitenkolleg zu Bordeaux erzogen
und blieb Mitglied des Ordens bis zum Jahre 1640; im Jahre 1650 trat
er in Montauban zu den Reformierten über. Die Schicksale Zinzendorfs
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1893. Nachrichten. 99
sind bekannt ; merkwürdig ist, dafs er seit seinem Pariser Aufenthalt (1719
bis 1721) mit eben den Kreisen in naher Fühlung stand, mit denen einst
auch Labadie befreundet gewesen war. Wir können hier auf die Ergeb-
nisse des Vergleichs, der zu Gunsten der Brüdergemeinde ausfällt, nicht
näher eingehen. Nur eins wollen wir hervorheben. In den heute üblichen
Darstellungen dieser „Schwärmer" wird deren „Weltflucht" und ihr Gegensatz
gegen das reformatorische Lebensideal betont. Bajorath ist auf Grund
seiner sorgfältigen Untersuchungen zu anderen Ergebnissen gelangt. Bei
aller Betonung sittlicher Lebensführung blieben beide Gemeinschaften den
Geschäften des Tags und dem „geselligen Leben" zugewandt. „Sowohl
die Labadisten wie besonders die Hermhuter sehen wir als tüchtige Ar-
beiter, brauchbare und gewissenhafte Handwerker, ernsthafte Lehrer, Ärzte
und Beamte geachtet und geschätzt". Und in Zinzendorf erkennt der Ver-
fasser (S. 166) thatsächlich einen Nachfolger der Reformatoren, „der in der
Gremeinde wieder religiöses Interesse und aufrichtige Bethätigung warmer
HerzensfrOmmigkeit weckte."
Ein Lehrstahl für ^.Gescliiehte des Christentoms** ist an der Universität
Rom neu geschaffen und durch einen Erlafs des Unterrichtsministers Martini
zum erstenmale definitiv besetzt worden. Berufen wurde Prof. B. Labanca,
seither Lehrer der Moralphilosophie an der Universität Pisa. Ein Teil
der italienischen Presse begrüfst diese Thatsache freudig und spricht die
Hoffnung aus, das Studium der Geschichte des christlichens Glaubens und
Lebens werde den Gebildeten die Fragen der Religion wieder näher bringen.
Programm der Teylerschen Theologischen Gesellsehaft z« Haarlem,
fftr das Jahr 1893. — Die Direktoren der Teylerschen Stiftung und die
Mitglieder der Teylerschen Theologischen Gesellschaft haben in ihrer
Sitzung vom 21. October 1892 ihr Urteil abgegeben über die vier bei ihnen
eingegangenen Abhandlungen zur Beantwortung der zwei ausgeschriebenen
Preisfragen. Sie hatten verlangt eine: „Geschichte der niederlän-
dischen Bibelübersetzung vor der Staatenbibel," und erhielten
darauf eine Antwort in holländischer Sprache mit einem aus Jerem. XXIll,
29 entlehnten Motto.
Wurde auch des Autors Fleifs und Ausdauer gern anerkannt und ge-
lobt, so konnte doch das Endurteil nicht anders als ungünstig ausfallen
und ihm der Preis nicht zuerkannt werden.
Die drei anderen Abhandlungen behandelten die Frage: „Welches
ist nach christlichen Principien das wünschenswerteste
Verhältnis zwischen Philanthropie und Staatssorge?"
Auch diesen Abhandlungen konnten die Direktoren einen Preis nicht
zuerkennen.
Darauf beschlofs man, als Preisaafgabe zu stellen:
„Eine Geschichte der niederländischen Bibelüber-
setzung bis zur Herausgabe der Übersetzung nach
Luther im Jahre 1523",
und den Ablieferungstermin auf zwei Jahre hinauszuschieben, so dafs die
Arbeiten vor dem 1. Januar 1895 erwartet werden.
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100 Nachrichten. Heft 3.
Als neue Preisfrag;e, worauf die Antworten vor dem 1. Jannar 1894
eingesandt werden müssen, wird angeboten:
„Ziemlich allgemein wird angenommen, dafs mehrere
bei den Juden nach dem Exil vorkommende Vorstellun-
gen, namentlich betreffend die Eschatologie, die An-
gelologie und die Demonologie, dem Einflufs des Par-
sismns zuzuschreiben sind.
Inwiefern ist diese Hypothese hinreichend begrün-
det, oder ist es möglich, die genannten Vorstellungen
ganz oder teilweise aus der inneren Entwickelung der
Israelitischen Religion befriedigend zu erklären?"
Der Preis besteht in einer goldenen Medaille von fr. 400 an innerem
Wert
Man kann sich bei der Beantwortung des Holländischen, Lateinischen,
Französischen, Englischen oder Deutschen (nur mit Lateinbcher Schrift)
bedienen. Auch müssen die Antworten vollständig eingesandt werden,
da keine unvollständigen zur Preisbewerbung zugelassen werden. Alle ein-
geschickten Antworten fallen der Gesellschaft als Eigentiun anheim, welche
die gekrönte, mit oder ohne Übersetzung, in ihre Werke aufnimmt, sodafs
die Verfasser sie nicht ohne Erlaubnis der Stiftung herausgeben dürfen.
Auch behält die Gesellschaft sich vor, von den nicht preiswürdigen nach
Gutfinden Gebrauch zu machen, mit Verschweigung oder Meldung des
Namens der Verfasser, doch im letzten Falle nicht ohne ihre Bewilligung.
Auch können die Einsender nicht anders Abschriften ihrer Antworten be-
kommen als auf ihre Kosten. Die Antworten müssen nebst einem ver-
siegelten Namenszettel, mit einem Denkspruch versehen, eingesandt werden
an die Adresse: Fundatiehuis van wijlen den Heer P. Teyler van der
Hülst, te Haarlem.
Die FrenfHischen Jahrbücher sind mit Beginn ihres 86. Jahrg. (1898)
aus dem Verlag von Georg Reimer in den von Walther in Berlin über-
gegangen. Mit diesem Wechsel hat sich zugleich eine Änderung des Pro-
gramms vollzogen. Während die Jahrbücher ft^her nur Originalaufsätze
brachten, wollen sie in Zukunft auch aus den Fachzeitschriften solche
„Schätze der Wissenschaft heben, deren künstlerische Form sie geeignet
macht, nicht nur dem Fachmann, vielmehr der Nation Licht zu spenden**.
In Ausfuhrung dieses Vorhabens bringt das Januarheft den Wieder«
ab druck einer Abhandlung, welche Ad. Harnack in den Sitzungs-
berichten der Berliner Akademie über die neuentdeckten Bruchstücke
des Evangeliums und der Apokalypse desPetrus hatte erscheinen
lassen. Der Umfang der Jahrbücher wird vergröfsert und der Preis von
18 auf 20Mk. erhöht. Die Schriftleitung fuhrt wie bisher Prof. H. Del-
brück. Heft 1 enthält aufser dem genannten Wiederabdruck Aufisätze
von Delbrück, Rud. Hildebrand, Will. Scharling, Alex. Tille und Rud. Wach;
letzterer handelt über die Beschimpfung von Religionsgesellschaften.
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1893. Nachrichten. IQl
Entgegnung.
In dem Aufsatze „Das Verhältnis der Didactica magna des Comenius
zur Didaktik Ratkes" (Monatshefte der Comenius-Gesellschaft III, 8. 176
gedenkt der Verfasser — Herr A. Israel — der Arbeit des Unterzeichneten
über Comenius in einer Weise, die ein Schweigen unmöglich macbt. Ich
habe auf S. 89 meines Buches von einer „Schrift** Ratkes (De studiorum
rectificanda methodo consilium) gesprochen und zwar lediglich deshalb, um
Comenius' eigene Angabe (Opp. did. I, 3) hervorzuheben. Ob die Worte
De Studiorum etc. Bruchteil gewesen sind oder nicht, ist gleichgültig; sie
decken sich mit dem Inhalte dessen, was Comenius in Uerborn von Ratke
gelernt hat, und das ist die Hauptsache. Herr Israel behauptet nun, ich
hätte wahrscheinlich die Bezeichnung „Schrift Ratkes" von Dr. G. A. Lindner
entlehnt; diese Annahme trifft nicht zu, da ich das in Frage kommende
Buch Lindners nur dem Titel nach kenne. Die Herrn Israel anstöfsige
Benennung ist aber schon vor Lindner gebraucht und üblich gewesen, wie
ein Blick in die Schrift Eugen Pappenheim-* „Arnos Comenius, der Be-
gründer der neuen Pädagogik", Berlin 1871 (S. 3) beweist. Ganz dieselbe
Bezeichnung wählt auch Dr. Th. Lion in dem 10. Bande der Bibliothek
pädagogischer Klassiker (Langensalza, H. Beyer, 1875) S. 10. Seit dieser
Zeit ist der bequeme Ausdruck „Schrift Ratkes" in Anwendung gekommen.
Da Comenius schon vor Ablauf des Jahres 1612 Herbom verliefe, so kann
unter der „Schrift Ratkes" nur dessen Memorial an den Reichstag ver-
standen werden, denn die Berichte der Jenenser und Giefsener Akademieen
erschienen zu einer Zeit, da sich Comenius schon in Heidelberg aufhielt.
Die als wahrscheinlich bezeichnete Anlehnung an Lindner glaubt Herr
Israel auch in der Anführung der 9 Artikel, auf welchen Ratkes Lehr-
kunst beruht, entdeckt zu haben. Lindner hat dieselben angeblich aus
Raumers Geschichte der Pädagogik geschöpft. Herr Israel hätte das auch
bei mir annehmen können. Nach Raumers Vorgange (Bd. II, S. 30—36,
Stuttgart 1843) ist die Annahme von 9 Punkten geläufig geworden. Hätte
ich ein weitschichtiges Werk über Comenius schreiben wollen, so würde
ich nicht ermangelt haben, sämtliche Artikel aufzufuhren. Die Schrift
Schumanns „Die echte Methode Ratkes" ist in Hannover erschienen. Ich
hatte nur diejenigen Punkte ins Auge zu fassen, die zu einer Parallele
zwischen Ratke und Comenius geeignet erschienen. Aus diesem Grunde
schlofs ich ausdrücklich zwei der angeführten Punkte aus, was Herr Israel
verschweigt. Schumann führt in seiner Geschichte der Pädagogik 10
Punkte an: ich nahm jedoch Abstand, Ratkes Grundsatz: „Alles mit vor-
hergehendem Gebet" in einer Arbeit über Comenius zu erwähnen; man
hat schon vor Ratke die Schule mit Gebet angefangen. —
Den Schlufs des Vergleichs bilden folgende Sätze, die zwar nicht mit
„Anlehnung an Lindner" bezeichnet sind, aber dafür auch desto weniger
Gnade in den Augen des Herrn Recensenten fanden: „Ratke ward bei
seinen pädagogischen Bestrebungen vom Glücke nicht so begünstigt wie
sein jüngerer Zeitgenosse; er mufste es noch erleben, dafs die Comenia-
nischen Schriften, besonders die grofse ünterrichtslehre und „die geöffnete
Sprachenthür" seine Erfolge nicht nur in den Schatten stellten, sondern
bald in das Meer der Vergessenheit gelangen liefsen. Da ich nun selbst
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102 Nachrichten. Heft 3.
S. 89 anführte, dafs Katke 1635 starb, die grofse Unterrichtslehre aber erst
1657 im Druck erschien, da femer die Janua erst 4 Jahre vor Ratkes Tod
vollendet wnrde, so war damit für Herrn Israel der Beweis der Urteils-
losigkeit des Verfassers vorhanden! Ich erlaube mir, folgenden Gedanken-
gang, der jene beanstandeten Sätze hervorrief, darzulegen.
Die grofse Unterrichtslehre ward schon in den Jahren 1627—1628
vollendet, und Comenius war kein Geheimniskrämer, wie Ratke, der aus
allerhand Gründen sich auf keinerlei Mitteilung einliefs. Comenius stand
vielmehr in engem Verkehr mit der gelehrten Welt; ihm war der Ge-
dankenaustausch geradezu ein Bedürfnis. Männer, wie Georg und David
Vechner, J. Ravius in Gera, L. Schneider in Leipzig, S. Evenius in
Weimar, J. Mockinger in Danzig, J. Docem in Hamburg und Samuel
Hartlieb in London waren über die Bestrebungen und Elrfolge des Co-
menius auf das genaueste unterrichtet und sorgten in ihren Kreben für
die weitere Ausbreitung der Comenianischen Ideen. Hartlieb war von dem
schliefslichen Erfolge der Comenianischen Bestrebungen so sehr überzeugt,
dafs er den Plan fafste, eine Art Gelehrtenkollegium nach den Ideen des
Baco von Verulam zu gründen, das aus den hervorragendsten Gelehrten
Europas zusammengesetzt werden und Comenius zum Leiter haben sollte.
Comenius war femer seit 1614 im Dienste der Schule thätig und unab-
lässig bemüht, das Schulwesen der Brüderunität zu heben. Dafs dabei die
Geistlichen und Lehrer derselben in den Ideengang des Comenius ein-
geweiht wurden, mithin auch Kenntnis von dem Inhalte der Didaktik und
Janua erhielten, versteht sich von selbst. Hierdurch wurde die Kenntnis
der Schriften des Meisters ungleich mehr gefördert, als durch eine Druck-
legung derselben in damaliger Zeit geschehen konnte. Nur so ist es zu
verstehen, dafs die Janua in kurzer Zeit eine so beispiellose Verbreitung
finden konnte. Schon im Jahre 1642, also 7 Jahre nach Ratkes Tode, be-
richtet der Orientalist J. Galius in Leyden dem Comenius, dafs die Janua
in das Arabische übersetzt sei und den Mohammedanern so sehr gefiele, dafs
Übersetzungen in das Türkische, Persische und Mongolische in Aussicht
stünden. Man kann also doch wohl sagen, dafs die Janua bereits 1635
Ratkes Erfolge habe in den Schatten stellen können.
Schliefslich sei noch erwähnt, dafs Comenius vergeblich versuchte,
einen Briefwechsel mit Ratke anzuknüpfen (1629). Liegt die Annahme so
fem, dafs Comenius, um einen Gedankenaustausch anzuregen^ die Resultate
seiner jahrelangen, mühsamen Arbeit dem Ratke mitteilte? Ratke war nach
dem bösen Ausgange des Unternehmens in Köthen in seinem Ansehen
schwer geschädigt; die Blicke der um das Wohl der Schule besorgten
M&nner wandten sich einem neuen Sterne zu, vor dessen Glänze das Licht,
das Ratke angezündet hatte, schnell erblafste — dem Comenius.
Ich weifs sehr wohl, dafs meine Arbeit über Comenius nicht ohne
Mängel ist, und bin wohlwollenden Beurteilem gegenüber sehr dankbar
gewesen, unberechtigte Ausstellungen dagegen werden mich zur Abwehr
allzeit bereit finden.
Hannover, 14. Februar 1893. W. Kayser.
Auf die vorstehende Entgegnung habe ich folgendes zu erwidern:
1. In seinem Buche schreibt Herr Kayser: „Ratkes Schrift: De
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1893. Nachrichteu. 103
Studiorum recüficanda methodo consilium (Ratschläge, die Verbesserung des
Lehrverfahrens betreffend), welche von den Giefsener Professoren Helwig
und Jung, sowie von den Jenaischen Gelehrten Grawer, Brendel, Walter
und Wolf günstig beurteilt worden war, lernte Comenius . . 1612 kennen."
In seiner Entgegnung lesen wir: „Seit dieser Zeit ist der bequeme Aus-
druck „Schrift Ratkes" in Anwendung gekommen. Da Comenius schon
vor Ablauf des Jahres 1612 Herbom verliefs, so kann unter der „Schrift
Batkes" nur dessen Memorial an den Reichstag verstanden werden, denn
die Berichte der Jenenser und Giefsener Akademieen erschienen zu einer
25eit, da sich Comenius schon in Heidelberg befand." Herr Kayser scheint
gar nicht zu bemerken, da& seine neuerliche Auslassung der früheren
vollkommen widerspricht. Ich kann nach wie vor nicht unterlassen,
ihn und natürlich auch alle anderen, auf die er sich beruft, in dem Ge-
brauche des bequemen Ausdruckes „Schrift Ratkes^ zu stören. Hätte er
„Vogts Quellen zur Geschichte des Didaktikers V Ratichius" zu Rate ge-
zogen oder hätte er in einer Bibliothek nachgefragt, so hätte er erfahren,
dafs es eine Schrift Ratkes De studiorum etc. nicht giebt.
Übrigens ist es selbstverständlich, dafs es auch nicht erlaubt ist, unter
diesem Titel Ratkes Memorial zu verstehen , das gar kein Buch ist und
dem Titel De studiorum gar nicht entspricht.
2. Es ist mir nicht sehr wahrscheinlich, dafs Herr Kayser die auch
von mir angezogene Schrift Schumanns benutzt hat, denn es könnte ihm
dann nicht entgangen sBin, dafs Schumann die Ausgabe der Methodus
quadruples von 1617 vor sich hatte, während Raumer nur die von 1626
kannte, und es bleibt mir völlig unerfindlich, warum er, da er doch seinen
Abschnitt „Comenius-Quellen" überschrieben hat, diese wirkliche
und fast einzige Quelle, aus der Comenius seine Kenntnis
der Lehrkunst Ratkes geschöpft hat, nicht angezogen hat.
Seine Aufzählung der „neun Punkte" deckt sich bis auf geringfügige
sprachliche Abweichungen genau mit der Aufzählung bei Raumer und
Lindner.
Wenn daher Herr Kayser oben schreibt: „Aus diesem Grunde schlofs
ich ausdrücklich zwei der angeführten Punkte aus, was Herr Israel ver-
Bchweigt", so ist das ganz unverständlich : weder hat Herr Kayser weniger
Punkte aufgezählt ab Raumer und Lindner, noch hatte ich etwas zu ver-
schweigen!
3. Die Didactica magna ist allerdings 1628 vollendet worden, aber be-
kanntlich in böhmischer Sprache! Die Übersetzung ins Lateinische
erfolgte drei Jahre nach Ratkes Tode, der Druck 22 Jahre später. Ob
meine Ausstellungen an den Kayserschen „Quellenangaben" denmach „un-
berechtigt" waren, mufs ich dem Urteil der Leser anheimstellen.
Zschopau, 10. März 1898. Israel.
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Pierer 'sehe Hofbuchdruokerei. Stephan Geibel A Co. in Altenburg.
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Monatshefte
der
Comenius-Gesellschaft.
n. Band. -^ 1893. — Heft 4 u. 5.
Goethes religiöse Entwiciciung.
Dargestellt von
Prof. Dr. W. HeinBelmann in Erfurt.
Wenn es die Aufgabe der Comenius-Gesellschaft ist, für alle
diejenigen Bestrebungen wissenschaftlicher und praktischer Art
einen zusammenfassenden Mittelpunkt zu bilden, welche auf die
Pflege und Förderung einer den Anforderungen und Bedürfnissen
der Neuzeit entsprechenden, zugleich echt menschlichen und echt
christlichen Volkserziehung und -Bildung im weitesten und
tie&ten Sinne des Wortes gerichtet sind, wenn sie zu diesem
Behufe ihre Aufinerksamkeit besonders den bedeutenden Männern
der Vergangenheit zuwendet, welche im Sinne und Geiste des
Comenius das Ziel allgemein menschlicher Bildung auf dem
Grunde einer ebenso weitherzigen, über dem Streite der Parteien
xmd Konfessionen erhabenen, als sittlich fruchtbaren christlichen
Denkweise zu erreichen suchten und in dieser Richtung bahn-
brechend und erziehend auf Mit- und Nachwelt eingewirkt haben,
so dürfen neben den im Programme der C.-G. verzeichneten
Männern unsere drei grofsen klassischen Dichter Lessing, Schiller
und Goethe einen wohlbegrtindeten Anspruch darauf erheben,
auch ihrerseits in diesen Blättern berücksichtigt zu werden.
Vor allem steht hier wohl unser gröfster deutscher Dichter
als Begründer einer Weltlitteratur in seiner ganzen religiösen
und sittlichen Denkweise dem auf ein Völker und Zeiten um-
MoBataheffce der Comenina-OesellBcliaft. 189S. 8
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106 Heinzelmann, Heft 4 U. 5.
spannendes Christentum der That abzweckenden, echt welt-
bilrgerlichen Gesinnung des Comenius am nächsten. "Eß ist be-
kannt, wie Qoethe selbst im kleinen Kreise sich ofk und gern
als Erzieher versuchte, wie sein Geist sich stets mit besonderer
Teilnahme pädagogischen und didaktischen Fragen zuwandte^)*
Aber weit höher als diese im engeren Sinne erziehende und
erziehungswissenschaftliche Thätigkeit sind die bedeutenden er-
ziehlichen Einwirkungen anzuschlagen, die noch jetzt fort und
fort von ihm durch Vermittelung seiner poetischen und prosaischen
Meisterwerke auf die weiten Kreise der Gebildeten unseres Volkes,
sowie aller Kulturvölker ausgehen. Und nicht gering dtlrfen wir
diejenigen Nachwirkungen anschlagen, welche sich auf dem be-
deutsamsten und umfassendsten, ftlr das sittliche Handeln über-
haupt, wie insbesondere für das Werk der Erziehung im engeren
Sinne mafsgebenden Gebiete des religiösen Lebens bewegen.
Es ist wahr, Goethes Stellung zu den höchsten Fragen des
Lebens ist in den drei Perioden, die man in seinem Dichten und
Denken unterscheidet, eine verschiedene, und wer ihn nach
einzelnen mtlndlichen oder brieflichen Äufserungen, nach einzel-
nen, vortlbergehende Stimmungen und zeitweilige Anschauungen
widerspiegelnden poetischen Ergtlssen beurteilen wollte, würde
einen geteilten, ja nicht selten befremdenden Eindruck em-
pfangen. Die widersprechendsten Urteile von rechts und von
links hat der Dichter daher über sich ergehen lassen müssen,
sobald es sich um seine Stellung zum Christentiun handelte.
Aber es ist eben verfehlt und unstatthaft, den Genius mit der
Elle eines, ob auch noch so schulgerechten dogmatischen oder
kritischen Alltagsverstandes messen zu wollen. Je tiefer eine
Persönlichkeit angelegt ist, je gewaltigere Gegensätze in ihr ver-
einigt sind, desto mehr darf sie fordern, lediglich nach sich selbst
beurteilt zu werden, und nur dem echt geschichtlichen Sinne,
der es gelernt hat, sich liebend in fremde Eigentümlichkeiten
zu versenken, und der es versteht, mit philosophischem Blick
die einzelnen, sich scheinbar widersprechenden Momente der
Entwicklung im grofsen Zusammenhange des Ganzen zu schauen,
erschliefsen sich die Geheimnisse des persönlichen Lebens.
Von diesem Gesichtspunkte rein geschichtlicher Be-
^) Vergl. die beiden Monographien von Langguth: Goethes Päda-
gogik, Halle 1886; Goethe als Pädagog, Halle 1887.
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1893. Groethes religiöse Entwicklnng. 107
trachtung versuchen wir es, die religiöse Entwicklung
Goethes nach ihren Hauptmomenten darzulegen. Wir dürfen
uns dabei auf die in religiös - sittlicher Hinsicht wichtigsten
Perioden seines Lebens und Dichtens, auf die erste und auf die
dritte, beschränken. Unsere Hauptquellen für die Darstellung
sind in Bezug auf die erste, die Jugendperiode, Goethes Selbst-
biographie, „Wahrheit und Dichtung", welche ergänzt wird durch
die gleichzeitigen Briefe und die wichtigsten odenartigen Gedichte,
die er während der ersten zehn Übergangsjahre in Weimar ab-
gefafst hat. Für die Darlegung der religiösen und sittlichen
Weltanschauung des Dichters in der dritten Periode, der sog,
Periode der Vollendung, benutzen wir die vortreffliche Monographie
von O. Hamack^).
Goethe sagt am Schlufs von „Wahrheit und Dichtung":
„Man hat im Verlaufe dieses biographischen Vortrages umständ-
lich gesehen, wie das Kind, der Knabe, der Jüngling sich auf
verschiedenen Wegen dem Übersinnlichen zu nähern gesucht;
erst mit Neigung nach einer natürlichen Religion hingeblickt;
dann mit Liebe sich an eine positive festgeschlossen ; femer durch
Zusammenziehung in sich selbst seine eigenen Kräfte versucht
und sich endlich dem allgemeinen Glauben freudig hingegeben.''
Die „natürliche Religion", von welcher der Dichter hier redet,
ist der Deismus der Aufklärungszeit, die „positive" Religion, der
er sich sodann zuwendet, ist das Christentum in der Form der
Brüdergemeinde. Unter der „Zusammenziehung in sich selbst"
versteht er die Bildung eines eigenen, von dem kirchlichen
Christentum abweichenden Standpunktes. Endlich unter dem
„allgemeinen Glauben** ist jedenfalls nicht die bereits frtlher von
ihm überwundene abstrakte Denkweise des vulgären Rationalismus
zu verstehen, der mit der natürlichen Religion des Deismus zu*
sammentrifft, sondern die mehr dem Pantheismus verwandte
religiöse Weltanschauung, wie sie der Dichter allmählich an der
Hand des Philosophen Spinoza und auf Grund anderer Einflüsse
gewinnt.
Goethes Jugend fkUt in die Zeit der beginnenden Herrschaft
*) Otto Harnack, Qoethe in der Epoche seiner Vollendung (1805 —
1882). Versuch einer Darstellung seiner Denkweise und Weltbetrachtung.
Leipzig, 1887.
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108 Heinzelmann, Heft 4 u. 5^
des vulgären Rationalismus, der von den drei Artikeln
des apostolischen Glaubensbekenntnisses nur den mit den Juden
und den Muhammedanem uns gemeinsamen ersten Artikel fest-
hielt, aber häufig nicht einmal im Sinne einer lebendigen alt-
testamentlichen Frömmigkeit, d. h. des Theismus, sondern im
Sinne des Deismus, jener abstrakten und unlebendigen Vor-
stellung, nach welcher Gott zwar von der Welt unterschieden^
aber zugleich ohne lebendige, persönliche Beziehung zu derselben
gedacht wird. Man hielt nur den verblafsten Gedanken einer
Vorsehung und eine Fortdauer der menschlichen Seele nach dem
Tode fest; aber eine geschichtliche Offenbarung Gottes zum Heile
der Menschheit ward geleugnet, weil der Mensch, wie man
meinte, an sich und von Natur gut, einer Erlösung nicht be-
dürftig war. Die Bibel ward in der wiUktlrlichsten Weise
behandelt und durch eine platt verständige, zum Teil aber-
witzige Auslegung ihres prophetischen und poetischen Gehaltes
entkleidet, die Gesangbuchslieder entstellt und verwässert und
ihres erbaulichen, wie dichterischen Wertes beraubt. An Stelle
der Religion trat mehr und mehr eine dürre und geistlose
MoraL „Tugend und Weisheit" war die Losung in Earche und
Schule; etwas Besseres und Höheres kannte man nicht. Diese
von England und Frankreich eingeführte Lehre ward damab
vielfach auch von lutherischen Geistlichen in Anbequemung an
den Zeitgeist von Kanzeln und Kathedern verkündigt. Der in
Welt und Kirche herrschende Geist trieb viele Glieder der
Kirche in den Separatismus hinein. Die „Stillen im Lande" —
so nannte man sie — sonderten sich ab von der Kirche und
thaten sich zusammen zu kleinen Privatgemeinden. Seit der
Mitte des 17. Jahrhunderts, als die kirchliche Rechtgläubigkeit
in Deutschland infolge der theologischen Zänkereien immer mehr,
erstarrte, hatte bereits der sog. Pietismus eines Spener und
A. H. Francke in diesem Sinne, doch innerhalb der Schranken
der kirchlichen Ordnungen, zur Belebung der Kirche gewirkt.
Vergebens. Der rationalistische Geist drang immer mehr ein in
die Kirche; Zinzendorf wählte den Weg einer eigenen Gemein-
schaftsbildung und pflegte in seiner Brüdergemeinde eine von dem
öffentlichen Bekenntnis der Kirche vielfach abweichende, aber
lebendige evangelische Frömmigkeit. Wie stand es in Frank-
furt a. M,, dem Geburtsort Goethes?
Frankfurt galt damals noch als Hort lutherischer Recht-
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1893* Goethes religiöse Entwicklung. 109
gläubigkeit; aber diese war fast völlig zu toter Orthodoxie er-
starrt, und gleichzeitig drang der Deismus ein, der seine Lehren
unter dem Deckmantel der kirchlichen Autorität um so besser
verbreiten konnte. Kein Wunder, dafs sich der junge Goethe
von dieser Art von Religion abgestofsen fühlte. Eine Zeit lang
bewährte sich noch der Einflufs der häuslichen Sitte. Der Knabe
ward durch den ernsten, streng kirchlichen Vater und durch die
gemütvolle heitere Mutter fromm erzogen. Er erzählt, wie er
sein kindliches Morgengebet knieend und mit gefalteten Händen
verrichtet habe. Aber frühe erwachten Zweifel in seiner Seele.
Als die entsetzlichen Nachrichten von dem Erdbeben von Lissabon
an sein Ohr drangen, da geriet sein Glaube an die Güte Gottes
gegen alle Menschen ins Wanken; auch konnte ihm niemand auf
seine kindlichen Fragen eine befriedigende Antwort geben. Da
beschliefst eines Tages der 7jährige Knabe, sich auf seine Weise
„dem grofsen Gotte in der Natur*' zu nähern und bringt ihm
üuf dem schönen, pyramidalischen^ mit allerhand Naturprodukten
ausgestatteten, von Räucherkerzen gekrönten Musikpulte seines
Vaters bei Sonnenaufgang jenes bekannte, rührende Morgen-
opfer dar.
Bald wird er mit der Bibel näher bekannt Sein früh
erwachter, reger Forschungstrieb wirft sich zunächst auf das alte
Testament. Er liest im hebräischen Grundtexte die Geschichte
der Erzväter, und das Leben Josephs reizt ihn zum ersten
dichterischen Versuch. Ja, der 14jährige Knabe überrascht bald
nach seiner Konfirmation den erstaunten Vater mit einer umfang-
reichen Sanmilung selbstgedichteter geistlicher Oden und Lieder.
Denn schon Klopstocks „Messias** hat seine Phantasie erfüllt und
begeistert ihn zu dem ersten bedeutenderen poetischen Versuch,
der die Überschrift trägt: „Die Höllenfahrt Christi". Li diesem
Gedichte wird der Erlöser mit Klopstockschem Pathos, aber in
«iner nicht ungewandten Sprache, als majestätischer Beherrscher
des Höllenreiches dargestellt.
Die durch Klopstock empfangenen religiösen Eindrücke
<5hristlicher Art hätten auf der Universität Leipzig, die der
kaum 16jährige Knabe bezieht, durch den frommen Geliert
vertieft imd ergänzt werden können. Aber die im Sinne der
Aufklärungszeit moralisch -verständige, dabei etwas weichlich-
sentimentale Weise dieses persönlich hochachtbaren, in jener
Zeit sehr einflufsreichen , doch nicht durchweg geschmackvollen
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110 Heinzelmann, Heft 4 U. 5.
Vertreters des kirchlichen Christentums wirkte befremdend auf
den gesunden Sinn des jungen Goethe. Gleichzeitig verleidete
ihm nun sein sarkastischer Freund Behrisch durch herben Spott
die ungelenke Odenpoesie eines Ramler und verwandter Dichter
der Zopfzeit. Kurz, Goethe wandte sich von Geliert ab und
brach so zugleich mit dem gesamten religiösen wie ästhetischen
Ideal der Aufklärung, welche den Zweck des Dichtens in das
spiefsbürgerliche Horazianische „Ergötzen und Nützen** setzte.
Es war das, sachlich angesehen, ein Vorteil für den kiLnftigen
Dichter, aber im Augenblick persönlich ein sittlicher Schaden
£Ür den Menschen Goethe. Denn indem er mit der gefeiertsten
Autorität jener Zeit brach, schwand ihm allmählich, wie er sagt,
alle Autorität, und er begann selbst an den gröfsten und besten
Männern zu zweifeln, ja zu verzweifeln.
Damit trat der Dichter ein in die Periode innerer Gärung,
aus der sich sein eigener Standpunkt entwickeln sollte. Die
innere Aufregung in Verbindung mit seinen zerrissenen Studien
und seiner unregelmäfeigen Diät stürzte ihn in eine gefilhrliche
Krankheit. Da wurde er durch seinen Freund Langer, den
späteren Nachfolger Lessings in Wolfenbüttel, auf eine eingehende
und zusammenhängende Beschäftigung mit der Bib el hingewiesen,
als das nächst dem Studium der Alten wichtigste Mittel höherer
Bildung. Kaum genesen, folgte der Dichter diesem Rate. „Mit
Gefühl und Enthusiasmus" las er, wie er sagt, das Neue Testament
Da lernte er die Bibel zuerst als ein göttliches Buch verehren, als
ein Ganzes göttlicher Offenbarungen schätzen und liebgewinnen;
das Gespenst der Aufklärung lag hinter ihm. Die Kritik des
Rationalismus konnte ihm vor der Hand nichts mehr anhaben;
er durchschaute ihre wissenschaftlichen Mängel und — ihre
Unwahrheit. Diese Vorliebe für die heilige Schrift ist ihm
zeitlebens geblieben, sie ist ihm in seinem Leben wie in seinem
Dichten trefflich zu statten gekommen. Er würdigt in „Wahrheit
und Dichtung" die hohe Bedeutung der Bibel für seine gesamte
höhere Bildung folgendermafsen : „Ich für meine Person hatte
sie lieb und wert; denn fast ihr allein war ich meine sittliche
Bildung schuldig, und die Begebenheiten, die Lehren, die
Symbole, die Gleichnisse, alles hatte sich tief bei mir ein-
gedrückt und war auf die eine oder andere Weise wirksam
gewesen. Mir mifsfielen daher die ungerechten, spöttischen und
verdrehenden Angriffe."
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1893. Goethes religiöse Entwicklung. Hl
Was Langer in Leipzig begonnen hatte , das war eine
Freundin der Mutter Goethes berufen fortzusetzen. Als der
junge Goethe im Jahre 1768 krank und mifsmutig, mit
der Liebe zur Bibel im Herzen und mit viel ungelösten
Zweifeln im Kopfe, nach Frankfurt zurückkehrte, trat er dem
oben erwähnten Kreise der in Frankfurt seit Speners Wirken
in dieser Stadt nicht ausgestorbenen „Stillen im Lande"
näher, welche, durch die dürre Moral des Rationalismus aus der
öffentlichen Kirche getrieben, christliche Gemeinschaft pflegten
auf Grund eines lebendigen, persönlichen Glaubens an Christum,
den Heiland. Goethe äufsert sich über sie: „Sie suchten sich
der Gottheit besonders durch Christum mehr zu nähern, als es
ihnen unter der Form der öffentlichen Religion möglich zu sein
schien. Die mehr oder weniger Abgesonderten — auch einige
Geistliche der Stadt neigten sich zu ihnen — waren immer die
Minderzahl; aber ihre Sinnesweise zog an durch Originalität,
Herzlichkeit, Beharren und Selbständigkeit ** Besonders im
Handwerkerstande hatte diese Richtung Freunde, aber auch der
berühmte Jurist Friedrich Karl v. Moser, seit 1751 in Frankfurt,
ein Freund Hamanns, sowie der Legationsrat Moritz und andere
angesehene Männer der Stadt gehörten zu diesen „verbundenen
Christen*.
Den Mittelpunkt dieses Kreises bildete Fräulein von
Klettenberg. Sie war durch schwere Lebensschicksale zum
lebendigen Glauben an den Heiland geführt. Von Hause aus
ein flatterhaftes Weltkind ohne Ruhe und ohne Halt, hatte sie
den Frieden der Seele in der christlichen Religion gefunden.
Der Friede Gottes, der in dieser schönen Seele wohnte, wirkte
wie ein stiller, aber unwiderstehlicher Zauber auf ihre Um-
gebung. Auch auf Goethe verfehlte er seine Wirkung nicht.
Die Freundschaft mit Fräulein v. Klettenberg giebt dem unruhig
suchenden Jüngling in den nun beginnenden Jahren des Sturmes
und Dranges einen innem, gemütlichen Halt. Sie verbreitet
ihren stillen Glanz über die Jahre 1768—1773. Es ist die Zeit
der gröfsten Annäherung des Dichters an das positive Christen-
tum. Fräulein v. Klettenberg hatte den Gegenstand ihrer Für-
sorge an dem unruhig Zweifelnden gefunden und sagte ihm offen,
seine Unruhe komme daher, dafs er noch „keinen versöhnten
Gott habe". Von Hause aus tief religiös angelegt und in seinem
leidenden Zustande doppelt empfänglich, hofite Goethe in der
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112 Heinzelmann, Heft 4 u. 5.
Brüdergemeinde zu finden, was ihm die Kirche und das
Leben, auch das elterliche Haus nicht bot. Er besuchte die
geschlossenen Andachten mit dem Legationsrat Moritz in der
Frankfurt benachbarten Kolonie Marienborn und ward von leb-
hafter Zuneigung ergriffen. Denn einmal war es eine Reihe
trefflicher Männer, die er hier kennen lernte, sodann fesselte ihn
der poetische Zauber der Geschichte der Brüdergemeinde und
ihr Zurückgreifen auf die Zustände der Urkirche. Vor allem
aber gefiel ihm die herrschende Pflege des Religiösen in der
Form des Gefühls, der warmen Empfindung des Herzens im
Gegensatze zu der trockenen moralisch-verständigen Behandlung
religiöser Dinge in der Kirche.
Das Herz des Dichters war gewonnen, aber das Gewissen
war nicht getroffen. Ihm widerstand, bei seiner durch die
herrschende Zeitrichtung begünstigten Ansicht von der an-
geborenen Güte der menschlichen Natur, die augustinische Lehre
von dem natürlichen Verderben des Menschen durch die Sünde,
zu der sich auch die Brüdergemeinde bekannte. Goethe konnte
und mochte nicht glauben, dafs es mit der menschlichen Natur
so schlimm bestellt sei. Mit anerkennenswerter Offenheit spricht
er sich über diesen wichtigen Gegenstand selbst im 8. Buche
von „Wahrheit und Dichtung" aus. Er hielt sich zwar nicht
für fehlerfrei, aber im ganzen doch für gut und meinte daher,
für seine Person zur Not auch ohne einen Erlöser und Versöhner
vor Gott und Menschen bestehen zu können. Da ihm mithin
das auf die Erkenntnis der Sünde gegründete Bedürfnis eines
Heilandes fehlte, so können wir uns nicht wundem, dafs er den
entscheidenden Schritt der unbedingten persönlichen Hingabe an
Christus als an den alleinigen Heiland der Welt und auch
seinen Heiland nicht gethan hat.
Doch lag es in der Natur der Sache, dafs ein so gewaltiger,
reich begabter imd zugleich religiös so angeregter Geist, wie
Goethe es war, das lebhafte Bedürfiiis empfand, dem Gegenstande
seines Glaubens auf dem Wege des Wissens näher zu kommen.
Er benutzte dabei alle Hilfsmittel, die ihm geboten wurden. Sein
Blick filllt auf Arnolds „Kirchen- imd Ketzergeschichte". Als
Freund des Besonderen und Charakteristischen — und dieser
damals sehr ausgeprägte, echt romantische Zug seiner Natur
wirkte wohl auch bei seiner Hinneigung zu den Herrnhutem
mit — gewinnt er nunmehr ein lebhaftes Interesse an den von
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1893. Gh>ethes religiöse Entwicklung. 113
der Kirche verurteilten önostikern, jenen Lehrern des
2. Jahrhunderts, welche das Christentum in ein religions-
philosophisches System zu bringen suchten, in dem orientalische
und griechische Ideen mit christlichen Vorstellungen verquickt
sind. Er liest und liest und baut sich selbst an der Hand der
Gnostiker ein religionsphilosophisches System auf, das er uns
am Ende des 8. Buches in seinen Qrundzügen mitgeteilt hat In
diesem System spielt Lucifer eine ziemlich hervorragende, Christus
dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Der Gnosticismus hat
einen geheimen Zug zum Pantheismus. Diese Studien in
Verbindung mit gleichzeitiger Lesung alchymistischer Bücher,
wozu ein durch ein Geheimmittel gehobener Krankheitsanfall
die Veranlassung gab, rufen eine neue Revolution in seinem
Kopfe hervor und geben zugleich den ersten Anstofs zu seinem
„Faust". Die dürre Steppe des Deismus der Aufklärung hat er
verlassen. Nunmehr gerät er in das Fahrwasser des Pantheismus,
des mächtigsten Faktors der modernen Bildung.
Körperlich leidlich hergestellt, im Herzen hermhutisch, mit
pantheistischen Ideen im Kopfe, bezieht er im Herbste 1770 die
Universität Strafsburg. Er ist durch Fräulein v. Klettenberg
an deren dortige IVeunde empfohlen. Es waren Männer hallischer
Richtung, die mehr die sittliche Seite des Christentums, Bufse
und Heiligung, betonten, während Zinzendorf in der Brüder-
gemeinde mehr den Glauben an die in Christus geoffenbarte
Liebe Gottes hervorkehrte. Bis in den Sommer hinein ver-
nehmen wir Nachklänge des Frankfurter Lebens aus den Briefen
an seine Freundin; er geht regelmäfsig zum Abendmahl und
pfl^ Gemeinschaft mit den dortigen Kreisen der „Stillen im
Lande". Aber bald machten sich andere Einflüsse geltend: er
lernte die Schriften Rousseaus kennen. Rousseau war ebenso
wenig wie Voltaire Atheist, er wollte sogar Theist sein ; er pries
die Schönheiten der Bibel, wenigstens einiger Abschnitte des
Neuen Testaments, und setzte das Wesen der Frömmigkeit in
das Gefühl; aber er erklärte sich entschieden gegen die Erb-
sünde, feierte die ursprüngliche Güte der menschlichen Natur
im G^ensatze zu der verderbten Gesellschaft jener Zeit und
seftzte sich dadurch zugleich in Widerspruch mit dem kirchlichen
Dogma. Und gerade das gefiel dem jungen Goethe. t Er glaubte
nunmehr g^en den Pantheismus geschützt imd doch zugleich
in seiner Hinneiguung zur Brüdergemeinde nicht beeinträchtigt
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114 Heinzelmaim, Heft 4 u. 5.
zu sein. Später hat er der Roosseauschen Weltanschauung in
seinem „Werther** ein bleibendes Denkmal gesetzt ^ aber ihr
zugleich nach ihrer sittlichen Seite in dem Schicksale dieses
liebenswürdigen Schwächlings den vollgültigsten Totenschein aus-
gestellt.
Wichtiger indes noch als diese Einwirkung Rousseaus wurde
für den jungen Goethe der Mann, welcher dem ungestümen
Sturm und Drang des durch die erhebenden Strafsburger Ein-
drücke mächtig angeregten, für alles Grofse und Schöne so warm
empfindenden Dichters erst die rechte Richtung geben und ihn
auch in religiöser Hinsicht weiter führen sollte. Herder (der
damals zum Zwecke einer Augenkur in Strafsburg weilte) hat
das Verdienst, eine zugleich wissenschaftliche und geistvolle
Betrachtung der heiligen Schrift angebahnt zu haben, in der
sich das religiöse Interesse mit dem litterarischen und poetischen
bertlhrt, indem er den Inhalt der einzelnen biblischen Schriften
mehr als es bisher geschah aus dem Standpunkte und Geiste
des Altertums heraus entwickelte und einer Auffassung Bahn
brach, welche der persönlichen und schriftstellerischen Eigenart
der einzelnen Verfasser der biblischen Bücher mehr gerecht
wird. Mit dem Blick auf das Ganze verband er den auf das
Individuelle. Von dieser Seite aus lehrte er den jungen Goethe
die heilige Schrift würdigen und gab dadurch dem bereits durch
Shakespeare in ihm geweckten Sinne für das Charakteristische
die Richtung auf den höchsten Gegenstand. Besonders machte
er ihn auf die hohen poetischen Schönheiten des alten Testa-
mentes aufinerksam. fbdlich wies er ihn auf die Schriften des
tiefsinnigen Hamann hin, dem Herder selbst die fruchtbarste
Anregung für seine Ansichten über die Bibel und über die
Volkspoesie zu verdanken hatte.
Die eingehende Beschäftigung mit diesem durch und durch
positiven, auf die Erkenntnis des Realen und geschichtlich Be-
stimmten in der göttlichen Heilsoffenbarung gerichteten Geistes
vollendete Goethes Abneigung gegen die geistlose Kritik des
Rationalismus. Ernstlich prüfte er nunmehr die einzelnen Bücher
der heiligen Schrift nach ihrer Wirkung auf sein Inneres, sein
Gemüt; durch diesen Begriff ward ihm, wie er sagt, die Bibel
erst recht zugänglich. Wollte sie ihm auch noch nicht als ein
Ganzes entgegentreten, so nahm er doch an den verschiedenen
Charakteren der einzelnen Bücher keinen Anstofs mehr.
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.1893. Goethes religiöse Entwicklung. 115
Nach Frankfurt zurückgekehrt legte er nun seine religiösen
Anschauungen in den von ihm mit seinem Schwager Schlosser
gegründeten „Frankfurter Gelehrtenanzeigen" und der theo-
logischen Abhandlung „Brief des Pastors N. N. an den Pastor
N. N/ dar. Dort charakterisierte er seinen subjektiv-
religiösen Gefühlsstandpunkt gegenüber dem positiv-
evangelischen Bekenntnis und der Aufklärung. Hier setzt er
der heuchlerischen Toleranz der religiösen Gleichgültigkeit die
wahre Toleranz gegenüber , die aus dem christlichen Glauben
stammt. „Dieser Glaube," sagt er, „ist das Empfinden der
göttlichen Liebe, die vor so viel hundert Jahren unter dem
Namen Jesus Christus eine kleine Zeit als Mensch herumzog,
die sich in das Elend der Welt mischte und auch elend ward,
damit das Elend mit ihr herrlich gemacht werde." Dem Zweifel
an der künftigen Seligkeit der Heiden sucht er durch die Lehre
von der dereinstigen Wiederbringung Aller, d. h. von der
endlichen Seligkeit aller Menschen zu begegnen. Der letzte
Gedanke, übrigens auch von Zinzendorf und dem BVäulein
V. E^ettenberg wie auch von Klopstock, aber auf dem Grunde
eines christlichen Optimismus vertreten, war bei Goethe zugleich
die notwendige Folge einer religiösen Weltbetrachtung, in welcher
das ästhetische Element das ethische beherrscht, die Rücksicht
auf das Gefühl die auf die sittliche Selbstbestimmung und
Selbstverantwortiichkeit des einzelnen Menschen überwiegt, und
wirft ein helles Schlaglicht auf den Schlufs des „Faust", von
dem der Dichter, wie er kurz vor seinem Tode erklärt, bereits
den Plan um diese Zeit festgestellt hat
Als gärender Faust ging Goethe nach Wetzlar, mit dem
Gedanken an Lotte und Maximiliane kehrte er wieder zurück.
Kestner, Lottes Mann, schreibt: „Er strebt nach Wahrheit, hält
jedoch mehr vom Geflihl derselben als von ihrer Demonstration."
Im Frühjahr 1773 brach Goethe mit dem klettenbergschen Kreise.
Den Anstofs gab dazu ein Gespräch über die Sünde und den
Gegensatz von Natur und Gnade. Nun erst erkannte er die
E^uft, die ihn von diesem Kreise trennte. Ihm war, wie er sagt,
die Natur auch im Gegensatz zur Gnade „in ihrer Herrlichkeit
erschienen" ; in dem klassischen Gedichte „Der Wanderer" hatte
er ihr soeben ein Denkmal gesetzt Er löste das Band. Nur
Fräulein von Klettenberg selbst hörte nicht auf zu hoffen, und
als Goethe sich scherzhaft ihr gegenüber als Heide bezeichnete.
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116 Heinzelmann, Heft 4 U. 5.
sah sie das lieber, weil mehr Wahrheit darin sei, als in seiner
Anbequemung an die christliche Ausdrucksweise, welcher die
innere Überzeugung fehle. In gleichmäfsiger Freundlichkeit und
Milde begegnete sie ihm und schien nicht im mindesten um sein
Seelenheil besorgt zu sein. Im Dezember 1774 entschlief sie
sanft. Goethe widmete ihr in „Werthers Leiden" einen Nach-
ruf: „Ach, dafs die Freundin meiner Jugend dahin ist!" — läfst
er den Werther klagen — „Ach, dafs ich sie gekannt habe. Nie
werde ich sie vergessen, nie ihren festen Sinn und ihre göttliche
Duldung." In „Wilhelm Meisters Lehrjahren" setzte er ihr später
ein bleibendes Denkmal in den „Bekenntnissen einer schönen
Seele".
Mit der Lösung dieses Freundschaftsbandes durch den Tod
hatte das nähere persönliche Verhältnis Goethes zu diesem Kreise
seine Endschaft erreicht. Wie tief es ihn damals angegangen
sein mufs, erkennen wir aus einer Äufserung an Eckermann
kurz vor seinem Tode, in der er sein Bedauern ausspricht, die
Beziehungen zu diesem Kreise nicht mehr gepflegt zu haben, da
sie ihm doch eine Zeit lang die Ruhe seiner Seele gegeben hätten.
An die Stelle jener Einwirkungen trat nunmehr der Philosoph
Spinoza. Von da an datiert seine bestimmtere Hinneigung
zum Pantheismus. Scheidet der Deismus Gott streng von
der Welt und die Welt von Gott, so begeht der Pantheismus
den entgegengesetzten Fehler, indem er Gott und Welt ineinander-
wirrt und die Persönlichkeit Gottes sowie die Willensfreiheit
des Menschen leugnet. Alles Einzelne ist nichts als eine Er-
scheinungsform des Allgemeinen, des Alllebens, eine verschwindende
Welle im Meer. Goethe hat nie daran gedacht, sich als Mensch,
als sittliche Persönlichkeit, zum Pantheismus zu bekennen, als
solcher ist er durchaus T h e i s t ; aber auf seine Naturforschung
hat diese Denkweise einen bedeutenden Einflufs ausgeübt imd
von da aus zu Zeiten, namentlich in der 2. Periode seines Denkens
und Dichtens, der klassisch-realistischen (1786 — 1805), auch seine
sittlichen und ästhetischen Anschauungen beherrscht. In der
3. Periode (1805 — 1832) entwindet er sich mehr und mehr den
Umstrickungen des geftlhrlichen Feindes. Wenn er sich aber
als Dichter und Denker panth eistisch äufsert, so liegt dieser
Äufserung meist eine gewisse Berechtigung durch den bewufsten
G^ensatz zu der unlebendigen, abstrakten und mechanischen
Weltbetrachtung des Deismus zu Grunde, welche ebenso dem
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X893. Gtoethes religiöse Entwicklang. 117
universellen Denken wie dem persönlichen Empfinden des Dichters
widersprach.
Dem widerspruchsvollen Deismus, dem die Gottheit müfsig
im Himmel thront und in epikureischer Selbstgenügsamkeit nicht
thätig und liebend in den Weltprozefs eingreifen kann oder will,
nicht dem echten, lebendigen Theismus, nach welchem Gott
über die Welt schlechthin erhaben in persönlicher Selbständigkeit
dieselbe nicht nur geschaffen hat, sondern sie auch lebendig all-
wirksam durchdringt und sie nach seinen Liebeszwecken leitet,
gilt das Gedicht „Prometheus"; nicht der wahre und lebendige
Gott des Theismus, nur der eingebildete Gott des Deismus wird
von dem Hohn und Spott des Titanen getroffen. Und bekennen
wir Christen uns zu einem Gotte, der sich allüberall in Natur
und Menschenwelt offenbart und wirksam erweist mit seiner
„ewigen Kraft und Gottheit" und dabei doch ewig klar bewufst
in sich selbst ruht als persönlicher Quell alles Lebens, so können
wir es Goethe nur danken, wenn er energisch protestiert gegen
die unlebendige, mechanische Naturbetrachtung des Deismus mit
den bekannten herrlichen Worten:
Was w&r' ein Gott, der nur von aufsen stierse,
Im Kreis das Ali am Finger laufen liefse!
Ihm ziemfs, die Welt im Innern zu bewegen,
Natnr in Sich, Sich in Natnr zu hegen,
So dafs, was in Ihm lebt und webt und ist,
Nie Seine Kraft, nie Seinen Geist vermifst.
Wir können es ihm nur herzlich danken, wenn er ferner
in so köstlicher Weise im Famulus Wagner die dürren Moralisten
auf Kanzel und Katheder gegeifselt hat:
Ja, eure Keden, die so blinkend sind,
In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,
Sind unerquicklich, wie der Morgenwind,
Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt.
Wir wollen es uns immer aufs neue merken:
Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen.
Wenn es nicht aus der Seele dringt
Und mit urkräftigem Behagen
Die Herzen aller Hörer zwingt. —
Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen.
Wenn es euch nicht von Herzen geht.
Goethen war es heiligör Ernst mit seinem Dichten ; er schrieb
seine Werke mit seinem Herzblut, er beichtete auch die Schuld
seines Lebens, die aus der Überfülle seines liebebedürftigen
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118 Heinaelmann, Heft 4 u. 5«
Herzens hervorging, deren Grund er uns unverhüllt, wie z. B.
im „Werther" und „Tasso" in einem zeitweiligen Mangel an sitt-
licher Selbstbeherrschung angiebt und deren verderbliche Folgen
er uns nicht verschweigt. In der Überfülle des Gefühls
verkennt er zu Zeiten die heilige Grenze, den festen Unterschied
zwischen Gott und Mensch, Gut und Böse und wirrt Sinnliches
und Geistiges durcheinander, wie in dem bekannten pan-
theistischen Glaubensbekenntnisse des Faust an
Gretchen :
Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen:
Ich glaub ihn.
Wer empfinden
Und sich unterwinden
Zu sagen: Ich glaub ihn nicht?
Der Allum^asser,
Der Allerhalter,
Fafst und erhält er nicht
Dich, mich, sich selbst? —
Erfüll davon dein Herz, so grofs es ist,
Und wenn du ganz in dem Grefühle selig bist,
Nenn es dann, wie du willst,
Nenn's Glück! Herz! Liebe! Gott!
Ich habe keinen Namen
Dafür! Gefühl ist aUes;
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut.
Gewifs, das ist alles recht schön und gut, wie Gretchen sagt,
Wenn man's so hört, möcht*s leidlich scheinen,
Steht aber doch immer schief darum;
Denn du hast kein Christentum.
„Gefühl ist alles.** Wohl; das Gefühl besagt mehr als
der Verstand fassen kann, und fromme Gefühle sind etwas
Köstliches. Aber, müssen wir entgegnen, nicht alle Gefühle sind
fromm; es ist ein grofser Unterschied zwischen sinnlichen und
sittlichen Gefühlen. Aus dem Herzen kommen gewifs sehr schöne,
reine, fromme Gefühle, nämlich wenn das Herz darnach ist,
fromm und rein; aber aus dem Herzen komöaen bekanntlich
auch unreine Gefühle und arge Gedanken. Und welches Unheil
diese Gefühle und Gedanken in der Welt anrichten, nun, das
lernen wir am besten an Faust selbst.
So verbessert der Dichter Goethe nicht selten den Denker
Goethe; indem er uns das Gute wie das Böse an seinen Wir-
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1893. Goethes religiöse Entwicklung. 119
kungen zeigt, wird er uns ein Ftlhrer zur wahren Selbsterkenntnis
und damit ein Führer zur Wahrheit aus Gott Aber weder in
die Tiefen noch auf die Höhen des menschlichen Herzens konnte
er uns so als Dichter führen, wenn er sie nicht als Mensch
erlebt; erfahren hätte. Goethe selbst hatte ein gut Stück von
Faust und Werther in sich; er wandelte nicht selten an Abgründen,
und Lavater hatte Grund, an Herder zu schreiben: „Rette mir
Goethe, den Unvergleichlichen; doch Du kennst ihn, den furcht-
bar Erhabenen — Einzigen."
Aber er drang aus der Tiefe immer wieder siegreich in die
Höhe, wie als Denker, so als Mensch, damit er als Genius
imstande wäre, die Geheimnisse des Menschenherzens uns zu
deuten, des trotzigen und verzagten Herzens ebensowohl wie
der nach dem lebendigen Gott dürstenden, nach Gott geschaffenen
Seele. So erfährt er's in Weimar bald, nachdem er einige Wochen
in Saus und Braus unter Eitel- und Lustbarkeiten hingebracht
hat, dafs alle weltliche Lust nichts als glänzendes Elend ist und
wahrer Friede nur von oben kommt. Seine Gott entstammte
Seele seufzt in „Wanderers Nachtlied" :
Der du yon dem Himmel bist,
Alles Leid und Schmerzen stillest,
Den, der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquicknng fallest,
Ach, ich bin des Treibens müde!
Was soll alPder Schmerz und Lust?
Süfser Friede,
Komm, ach komm in meine Brust!
So schreibt er unterm 12. Februar 1776 vom Hang des
Ettersberges an Frau von Stein. Und auf der Rückseite lesen
wir, von anderer Hand geschrieben, die Antwort auf diesen
Gebetsseufzer, von der frommen Mutter der EVau von Stein —
das Ja und Amen auf des Menschen Goethe tiefstes Sehnen, das
der Dichter ausspricht: „Den Frieden lasse ich euch, meinen
Frieden gebe ich euch, nicht gebe ich, wie die Welt giebt. Euer
Herz erschrecke nicht und flirchte sich nicht.** Joh. 14, 27.
Gewifs, der Friedeflirst hielt seine schützende Hand über
diesem wunderbaren Menschen, auch wo er an Abgründen wandelte,
und sandte ihm zur rechten Zeit, wie eine Fräulein von Kletten-
berg, so jetzt eine Frau von Stein. Sie gab dem unruhig
Buchenden Herzen des pantheistisch angehauchten Stürmers und
Drängers eine Zeit lang Ruhe. Das Wertherfieber, der Faustes-
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120 Heinzelmann, Heft 4 u. 5.
drang, der Prometheustrotz lag hinter ihm. Er wird stille über
den Wassern, und „in dem See weiden ihr Antlitz alle Gtestime".
Erhabene, echt religiöse Stimmungen kommen über
ihn, als er zwei Jahre später mitten im Winter auf dem Brocken
ist — die Kuppe des Berges frei , von der Sonne beschienen,
hoch thronend über der in Wolken gehüllten Welt, wie ein Altar
des Herrn, einladend zum Preise des Schöpfers, da schreibt er
in sein Tagebuch: „Was ist der Mensch, dafs Du sein gedenkest!
— Was soll ich vom Herrn sagen mit Federspulen, was für ein
Lied soll ich von ihm singen, im Augenblick, wo mir alle Prosa
zur Poesie und alle Poesie zur Prosa wird?** Und nun stinunt
er seine Leier, greift voll in die Saiten und singt ein Lied zum
Preise des Herrn, jene Ode, die ihresgleichen nicht hat, „Harz-
reise im Winter", Das „Edel sei der Mensch, hilfreich und
gut" — er hat's bewährt aufs neue, wie sonst oft, durch Wohl-
thun in der Stille, indem er dem unglücklichen Plessing in
Wernigerode, dem Menschenfeind, Trost zusprach. Wie empfindet
er doch die Not dieses Unglücklichen wie seine eigene Not!
Ach, wer heilet die Schmerzen
Des, dem Balsam zu Gift ward?
Der sich Menschenhafs
Aus der Fülle der Liebe trank?
Erst verachtet, nun ein Verächter,
Zehrt er heimlich auf
Seinen eignen Wert
In ungenügender Selbstsucht
Er betet fiir ihn:
Ist auf deinem Psalter,
Vater der Liebe, ein Ton
Seinem Ohre vernehmlich,
So erquicke sein Herz!
öfine den umwölkten Blick
Über die tausend Quellen
Neben dem Durstenden
In der Wüste.
Er denkt an die Gefahren seiner Winterreise, an die gnädige
Bewahrung, an den Dank, den er dem Schöpfer opfern durfte
auf dem Brockenaltar, und preist die schützende Nähe des Vaters
der Liebe, der ihn sicher leitete:
Mit der dämmernden Fackel
Leuchtest du ihm
Durch die Furten bei Nacht,
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.1893; Goethes, religiöse Entwicklung. 121
Über grundlose Wege
Auf Öden Gefilden;
Mit dem tausendfiärbigen Morgen
Lachst du ins Herz ihm;
Mit dem beizenden Sturm
Trägst du ihn hoch empor;
Winterströme stürzen vom Felsen
In seine Psalmen,
Und Altar des lieblichsten Danks
Wird ihm des geförchteten Gipfels
Schneebehangener Scheitel,
Den mit Geisterreihen
Kränzten ahnende Völker.
Das ist der wahre Goethe, der hier zu uns redet, der
mit dem tiefinitftLhlenden, frommen, deutschen und von Natur
doch christlichen Herzen — das ist unser Goethe; nicht
der herzlose Zweifler Faust, der allem Heiligen flucht und den
Frieden der Unschuld untergräbt. Das ist der wahre Goethe,
nicht der Titan Prometheus, der der Götter spottet im Bewufst-
sein eigener Kraft;, sondernder, welcher in der Ode „Grenzen
der Menschheit^ sich im demütigen Bewufstsein der eigenen
Schranken ehrfurchtsvoll vor der Gottheit beugt und anbetet in
fronmier Scheu:
Wenn der uralte
Heilige Vater
Mit gelassener Hand
Aus rollenden Wolken
Segnende Blitze
Über die Erde s&'t,
Küss' ich den letzten
Saom seines Kleides,
Kindliche Schauer
Treu in der Brust
Denn mit Gittern
Soll sich nicht messen
Irgend ein Mensch.
Das ist der wahre Goethe, nicht der naturtrunkene Pantheist,
der tlber der Herrlichkeit des Lenzes den Meister aller Schöne
Tergifst, sondern der fromme Theist, der sich durch des
Lenzes Pracht aufwärts an das Herz des Vaters im Himmel
ziehen läfst:
Hinauf! hinauf strebt*8.
Es schweben die Wolken
Abw&rts, die Wolken
MonaWiefle d«r ComraSoi-GeMllfduift 1908. 9
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122 Heinzelnunm, Heft 4 tl. 5.
Neigen sich der sehnendeB Liebe.
Mirl mir
Ib eurem Schofte
Aufwärts!
Um&ngend mnfuigenl
Aufwärts an deinen Busen,
Allliebender Vatert
Und das ist endlich auch der wahre Goethe, der aufrichtig
gegen sich selbst tlber den inneren sittlichen Zwiespalt
der Sünde im Herzen sich nicht durch Rousseau oder sonst
wen hinwegtäuschen läfst, noch sich selbst hinwegtäuscht, sondern
der in demütiger Beschämung bekennt:
Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen;
Die eine h<, in derber Liebeslust,
Sich an die Welt, mit klammernden Organen;
Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
Zu den Gefilden hoher Ahnen.
Doch wer kann sie ausreden, die Herrlichkeit der Goethe-
schen Poesie, die lockende Stimme des Genius aus dem oberen
Heiligtum, der im Bunde, wenn auch im geheimen und unbewufeten,
mit dem christlichen Glauben, ahnend die Wahrheit aus Gott
bekennt, die ihm von oben ins offene Herz sich senkt, und den
Denker Goethe selbst zu Zeiten staunen macht!
Aber auch der Denker verharrt nicht immer im Irren, durch
manch bangen Zweifel dringt er zur Wahrheit Die dritte
Periode der Entwicklung seines Lebens, die Periode der
Vollendung, in welcher an die Stelle Spinozas die Einwirkung
eines Kant und Leibnitz tritt, zeigt uns den Dichter auf der
Höhe seiner sittlich gereiften Weltanschauung, und hier
nimmt auch die Religion eine bedeutende Stellung ein. Davon
zum Schlufs noch einige Andeutungen.
„Fruchtbare Thätigkeit," die der „Entfaltung der Eigenart"
ebensowohl wie dem „Nächsten in Liebe dient", und den Menschen
also „wahrhaft frei macht" — das ist des Lebens ZieL So
hören wir*s in den „Wanderjahren" :
Und dein Streben, sei*8 in Liebe,
Und dein Leben sei die That!
Thu deine Pflicht in deinem Beruf! Pflicht aber ist keine
äufsere sittliche Nötigung zur rechten That, sondern: Pflicht ist,
wo man liebt, was man sich selbst befiehlt. Nun reden zwar
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. 1893. Goethes religiöse Entwicklung. 128
zwei Stimmen in unserer Brust; der Hang zur Sünde zieht uns
nach unten; aber es giebt nicht blofs eine Erbsünde , es giebt
auch eine Ebrbtugend. Daron zeugt das Gewissen in uns:
Sofort nun wende dich nach innen!
Das Oentrum findest du da drinnen,
Woran kein Edler zweifeln mag;
Wirst keine Regel da vermissen,
Denn das selbständige Gewissen
Ist Sonne deinem Sittentag.
Auf diese Stimme gilt's zu lauschen im Kampf des Lebens
und ihr unentwegt in dem beharrlichen Streben eines festen
Charakters zu folgen. Und wie gelangt man dahin, ein solcher
Charakter zu werden? Durch die Religion. Die Frömmigkeit
ist Führer zur Sittlichkeit, Mittel, um durch die reinste Gemüts-
ruhe zur höchsten Kultur zu gelangen. Der Trieb zur Religion,
das Bedürfnis gläubiger, völliger, dankbarer Hingabe ist tief ein-
gegraben in des Menschen Herz:
In unsres Busens Keine wogt ein Streben,
Sich einem Hohem, Reinem, Unbekannten
Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben,
Enträtselnd sich den ewig Ungenannten;
Wir heifsen^s fromm sein.
Wesen der Frömmigkeit ist dankbare Hingabe des Herzens,
tiefe Ehrfurcht vor den Offenbarungen Gottes über
ims, neben uns, in uns und unter uns. Denn die Welt ist ein
Spi^el der Herrlichkeit des Schöpfers, wenn auch alles Ver-
gängliche nur ein Gleichnis des wahren, ewigen Seins ist; Natur
und Menschengeist sind ein Abglanz des ürlichtes. Mit Ehrfurcht
sollen wir daher jedem einzelnen Menschen begegnen, denn er
trägt Gottes Bild; mit Ehrfurcht vor allen den grofsen Genien,
den schöpferischen Geistern, denn ihre Gaben stammen von Gott,
Aber höher als das Talent steht die Sittlichkeit Die göttliche
Offenbarung des höchsten Prinzips der Sittlichkeit verehrte Goethe
in der Person Christi: ,jDie Hoheit der Person Christi ist
so göttlicher Art, wie das Göttliche nur je auf Erden erschienen
ist." Die christliche Religion ist nach Goethe „ein mäch-
tiges Wesen für sich, woran sich die gesunkene und leidende
Menschheit von Zeit zu Zeit immer wieder emporgearbeitet hat!"
Sie ist erhaben über alle Philosophie und bedarf von ihr keiner
Stütze. Wie hoch er die Bibel stellt, wissen wir. Sie ist ihm
nicht nur ein Volksbuch, sondern das Buch der Völker, das
9*
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124 Heinzehnanu, Heft 4 U. 5.
wichtigste Mittel zur Erziehung der Menschheit
Ihr gegenüber soll man keine Kritik üben, sondern aus ihr sich
aneignen, was man filr seine sittliche Kultur und Stärkung ge-
brauchen kann. Sie wird allen Fortschritt menschlicher Kultur
überdauern. Die Evangelien sind ihm durchaus echt: denn
in ihnen schimmere und leuchte die sittliche Kultur des Christen-
tums; in ihnen sei „der Abglanz einer Hoheit göttlicher Art
wirksam, welcher von der Person Christi ausging. ** Die gröfste
und segensreichste That Gottes im Verlauf der Geschichte der
Menschheit* ist nächst dem Eintritt des Christentums in die Welt
die Reformation. Sie ist eine im höchsten Sinne befreiende
und kulturfbrdemde That, so recht eine That des deutschen
Volkes, dessen Wesen ist die persönliche Freiheit.
Die Zukunft der Menschheit, ihr letztes Ziel, ist ein
allumfassender sittlicher Weltbund, in welchem die Ehrfurcht vor
dem Göttlichen, Glaube und thatkräftige Liebe ihre volle Ver-
wirklichung gefunden hat.
Zuletzt wird es dahin kommen, dafs alles nur eins ist. Denn
„sobald man die reine Lehre und Liebe Christi, wie sie
ist, wird begriffen und in sich eingelebt haben, wird man sich
als Mensch grofs und frei fühlen." „Auch werden wir alle nach
und nach aus einem Christentum des Glaubens und des Wortes
zu einem Christentum der Gesinnung und der That
konmien."
Ziehn wir einst im Engelchor,
Geht*8 nach einer Weisel
Dahin flihrt Goethe zuletzt seinen Faust ein — und der
Chor der Engel singt:
Grerettet ist das edle Glied
Der Greisterwelt vom Bösen:
Wer immer strebend sich bemüht,
Den können wir erlösen;
Und hat an ihm die Liebe gar
Von oben teilgenommen,
Begegnet ihm die sel'ge Schar
Mit herzlichem Willkommen.
„In diesen Versen," sagt Goethe am 6. Juni 1831 zu Ecker-
mann, ,,i8t der Schlüssel zu Fausts Rettung enthalten: In Faust
selber eine immer höhere und reinere Thätigkeit bis ans Ende,
und von oben die ihm zu Hülfe kommende ewige Liebe. Es
steht dieses mit unserer religiösen Vorstellung durchaus in Har-
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1893. Goethes religiöse Entwicklung. 125
monie^ nach welcher wir nicht blofs durch eigene Kraft selig
werden, sondern durch die hinzu kommende göttliche Gnade."
Blicken wir von hier aus zurück auf den im Vorstehenden
dargelegten Gang der religiösen Entwicklung Goethes und auf
die schlie&lichen Ergebnisse seines Denkens und Forschens auf
dem religiös - sittlichen Gebiete, so dürfte zunächst soviel ein-
leuchten, dafs diejenigen, welche den grofsen Dichter zum klassi*
sehen Vertreter einer religionslosen Sittlichkeit, einer auf die
eigene Kraft des Menschen gestellten Humanität stempeln
möchten, im Unrechte sind. Was er selbst in einem seiner letzten
Gespräche mit Eckermann ausdrücklich betont, dafs er das
Reinmenschliche nie im Sinne einer vom Übersinnlichen
losgelösten Sittlichkeit aufgefafst und verstanden habe, das wird
nicht blofs durch die erhabensten Erzeugnisse seines dichterischen
Genius — und wir erinnern noch besonders an den tief-religiösen
Gehalt der von uns hier absichtlich unberücksichtigt gelassenen
„Iphigenie**, seines klassischen Epos „Hermann und Dorothea**
und jener wundervollen Erzählung aus seinen letzten Lebensjahren,
welche die Überschrift „Novelle" trägt — vollauf bestätigt, sondern
es wird auch durch eine unbefangene und zugleich umfassende
Betrachtung seines gesamten Lebens und Denkens aufser Frage
gestellt. Denn wer, wie Goethe, als Dichter dem religiösen
Element einen so breiten Spielraum in seinen Werken anweist,
und als Mensch den religiösen Fragen trotz aller Kämpfe,
Zweifel und Irrtümer mit so reger Teilnahme bis an sein Lebens-
ende zugewandt bleibt, der beweist damit zugleich, dafs ihm die
Religion nicht ein im Grunde überflüssiger und störender An-
hängsel des Lebens, nicht blofs ein Gegenstand rein wissenschaft-
lichen, kritischen Interesses oder auch ein nicht ganz wertloser,
nun einmal nicht zu entbehrender Schmuck des Lebens, nicht
blofs ein kräftiges Reizmittel zur Sittlichkeit ist; ihm ist die
Religion in Wahrheit Herzenssache, persönliche Ange-
legenheit des Innern Lebens, der erkennt in der Religion
ein selbständiges Lebenselement der menschlichen Natur, ja die
höchste Angelegenheit der Menschheit und hat damit
trotz aller begrifflichen Schwankungen den imzureichenden Stand-
punkt eines mehr intellektuell, ästhetisch oder ethisch gefärbten
Rationalismus grundsätzlich verlassen.
Aber wir müssen noch einen Schritt weitergehen. Die in
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126 Heinzelmann, GK>6tbe8 religiöse Entwicklung. Heft 4 U. 5*
den Qrundzttgen dargelegte theistische Weltanschauung^
welche sich .der Dichter in seiner dritten^ ethisch -praktischen
Lebensperiode, der Periode der Vollendung, im Gegensatze zu
dem von ihm erfolgreich bekämpften Deismus, wie zu dem von
ihm sittlich immermehr überwundenen Pantheismus an der Hand
von Kant und Leibniz herausgearbeitet hat, trägt auf Schritt
und Tritt so unverkennbar die Einwirkungen des christlichen
Geistes an sich und tritt zuletzt so warm fdr das Christentum
selbst als die gewaltigste Eulturmacht und das höchste Prinzip
der Sittlichkeit in die Schranken, dafs wir ihr das Prädikat
einer echt christlichen Denkweise nun und nimmermehr
versagen können. Und wenn wir auch gern zugestehen wollen^
dafs seine religiös -sittliche Weltanschauung schwerlich in den
engen Rahmen irgend eines besonderen kirchlichen Bekenntnissen
passen möchte, so müssen wir doch einerseits dem Dichter selbst
ein volles Recht zugestehen, denen gegenüber, welche ihn emen
Heiden nannten, sich offen als einen Christen zu bekennen,
und dürfen andererseits mit Genugthuung daraufhinweisen, dafa
das von ihm als letztes und höchstes Ziel der Menschheit
bezeichnete und angestrebte „Christentum der Gesinnung und
der That**, das universelle und weitherzige Reichgottes-
Christentum der Bibel, d. h. das praktische Christentum
des Glaubens, der sich in der weltumfassenden Liebe kräftig
und wirksam erweist, wie zur Hebung und Linderung des Welt-
elends, so auch zur Förderung aller echt menschlichen Interessen,
zum Wachstum des Guten, Wahren, Schönen, alles Edlen und
Grofsen in der Welt, — verstehen wir recht — kein anderes
ist, als das, welches der ihm geistesverwandte und schon durch
das langjährige Interesse des Dichters für die Brüdergemeinde
und ihr praktisches Christentum so nahestehende Comeniu&
zu pflegen und zu verbreiten sich zur Aufgabe gemacht hat
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Kleinere Mitteilungen.
Der Protest des Comenius gegen den Vorwurf,
er sei ein Seictierer, beleuchtet aus den Beziehungen
Andreas zu Nürnberg.
fiiB weiterer Beitrag zum VerstäBdiiis seines LMielbnrger Briefs
von
O. Badlaoh, Pfarrer in Zethlingen (Altmark).
Neben Ernst Ludwig Theodor Henke ist der grofse Theologe
und Polyhistor A. Tholuck derjenige, welcher unter den Theo-
logen dieses Jahrhunderts sich am tiefsten in die Zeit des 17. Jahr-
hunderts versenkt hat, indem er lange Zeit hindurch seine
historischen Studien auf den Ursprung einerseits des Pietismus^
andererseits der Aufklärung und schliefslich des Rationalismus
richtete. Selbstverständlich hat Tholuck auch über Valentin Andrea
sein wohlbegründetes Urteil abgegeben. Er sagt (Lebenszeugen
der luth. Kirche, 1859, S. 832): „Andrea ist lutherisch-orthodox
— seiner Yerwandtschaftspietät nach würde er schon als Enkel
eines Jakob Andrea nicht anders gekonnt haben. ^ Der im Jahre
1890 verstorbene Gtöttinger Kirchenhistoriker Wagenmann stimmt
Tholucks Urteil zu, wenn er in Herzogs Realencyklop., 2. Aufl.,
L, S. 894 noch hinzufügt: Andrea ist voll Antipathie gegen den
Calvinismus. Auch von Criegem hebt an mehreren Stellen hervor,
dafs Andrea mit vollem theologischen BewuTstsein der rechten
lutherischen Lehre zugethan gewesen ist ^). Dies Urteil erscheint,
wenn wir das Abhängigkeitsverhältnis des Comenius von Andrea
^) Von neuesten Darstellonffen des Lebensganges V. Andreas, welche
der 3()0jährige Grebnrtstag desselben hervorgeruten hat, ist auTser Glöcklers
Arbeit zu nennen: A. Landenberger: J. V. Andrea, ein schwäbischer Gottes-
gelefarter, Bannen 1886, und F. Wurm: J. V. Andrea, ein Glaubenszeuge
aus der Zeit des dOjfthngen Krieges, Calw 1887. Wir berücksichtigen diese
Arbeiten hier nicht, weü sie die historische Forschung über Hossbach und
Tholuck nicht hinausgeführt haben.
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128 Radlach, Heft 4 u. 5.
ins Auge fassen , zunächst auffällig. Wir möchten den Valentin
Andrea, wenn wir zum erstenmal von Criegems Urteil hören,
„dafs Comenius in allen Richtungen seines Geisteslebens von
Andrea einen befinichtenden Einflufs erfuhr**, denjenigen
Lutheranern beigesellt denken, welche der milderen Melanch-
thonischen Richtung ergeben waren und mit den strengeren
Lutheranern im Streit lagen. Allein wenn wir Andrea in seinem
Lebenslauf rühmen hören, wie viel ihm der tägliche Umgang mit
dem Professor D. Hafenreffer, der auch seines Vaters und Örofs-
vaters Freund gewesen, in den Jahren 1612 und 13 in Tübingen
für Geist und Herz ausgetragen hat, müssen wir uns schon vorher
sagen, dafs Andrea sich auch an Hafenreffer angeschlossen hat,
von dem Thomas Lansius in der Gedächtnisrede rühmt ^), „dafs
er all sein Denken und Thun auf die Ausbreitung des reinen
orthodoxen Glaubens und auf das Heil und Wachstum de» christ-
lichen Staats richtete, dafs er sehr oft das schreckliche Unheil,
welches über Deutschland konmien würde, mit Trauer und tiefen
Seufzern vorhersagte** und der vergeblich, wie wir hinzufügen,
vor Ausbruch des 30jährigen Krieges in der Schrift: „EViedbott
— oder ernstliche Erinnerung aufs Gottes Wort — dafs wir
Christen fiiedlich und einig miteinander leben — und keiner den
andern mit Worten und Waffen freventlich verletzen solle, Frank-
furt 1613, Stettin 1615 und 1630 in 4<>** seine Stimme erhob.
Wir müssen diese Bemerkungen vorausschicken, weil gerade
aus den Beziehungen Valentin Andreas zu Nürnberg, aus seiner
inneren Anteilnahme an den Kämpfen, welche sein Freund Johann
Saubert mit den „Sektierern** in Nürnberg einerseits, mit den
„Philippisten** andererseits zu bestehen hatte ^), hervorgeht, dafs
Tholuck und Wagenmann und von Criegem Recht haben, wenn
sie sagen : Andrea ist lutherisch-orthodox. Aus den Beziehungen
Valentin Andreas zu den Strafsburger Theologen, mit denen er
der Konkordienformel anhing, kann dies noch greifbarer bewiesen
werden. Wichtiger für uns ist die Frage, welche Auffassung
hatte Comenius über die Stellung des Andrea zu den kirchlichen
und religiösen Fragen seiner Zeit? Ist er etwa in seiner Auf-
fassung, um in der Weise seines Ltlneburger Briefe zu reden,
einem müfsigen Ohrenbläser gefolgt, wie er solches von Andrea
annehmen mufste, wenn dieser ihn wirklich für einen „Sectarius**
halten sollte? Nein, Comenius kannte Andreas Stellung genau,
deshalb weist er mit besonderer Entrüstung den ihm unter-
geschobenen Angriff auf Luther ab. Deshalb erinnert er den
Andrea an die Streitigkeiten innerhalb der lutherischen und der
») Witten: Memor. theolog., Frankfurt a. M. 1674, S. 151.
*) Siehe Hossbach, Yal. Andrea, S. 129. Andreas Selbstbiographie,
heransg. von Rheinwald, S. 221: „Sauberti mei luctam cum Philippopnüis,
Apap satellitibus, qui nunquam Luthero fidi, nunquam a cuniculis abstinentes,
inter molesta numeraverim."
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1893. ^^ Protest des Comenius etc. 129
reformierten Scholastik, welche mehr für die Reinheit der Lehre>
als für die Reinheit des Lebens kämpfte, deshalb bezeichnet er
sich in seinem Briefe als einen Christen, der keinen irdischen
Lehrer anbetet, der aber dabei zugleich ein treues Glied der-
jenigen Kirche ist, welche ihre Gestalt 100 Jahre vor Luther und
Calvin, von Hufs erhalten hat und stellt sich gleichsam mit diesem
Bekenntnis dem Bekenntnis des Andrea: „Christianus mihi nomen,
Lutheranus cognomen** an die Seite.
Wie aber Comenius über seinen lieben Valentin, den er wie
einen Vater verehrte, nicht im Unklaren war, so mufste auch
Andrea den Bischof der böhmischen Brüder kennen. Und bei
welcher Gelegenheit sollte Comenius dem Andrea gegenüber, wie
er aus Ltlneburg schreibt, gegen den Vorwurf protestiert haben,
dafs er ein Sektierer sei? Nach unserer Auffassung weist diese
Stelle des Ltlneburger Briefs nicht blofs auf einen früheren, ver-
loren gegangenen Brief des Comenius hin, sondern sie wird auch
verständlich aus den Nürnberger Streitigkeiten, die während der
Amtszeit Sauberts stattfanden, an welchen Andrea mit seinen
Freunden inneren Anteil nahmen. „Du verabscheust die Sekten
als Satans Werk**, schreibt Comenius. Andrea hatte sich ffewifs
dieses Ausdrucks in einem Briefe an Comenius bedient, schreibt
er doch z. B. an J. Schmidt in Strafsburg: „Längst wäre Nürn-
berg in einem Sektenchaos , ja im calvinistischen Eothe unter-
gegangen, hätte nicht der Eifer der geistlichen Oberhirten es
hoch erhalten*).**
Mit welcher Teilnahme Valentin Andrea das Amtsleben seines
Freundes Joh. Saubert in Nürnberg, seine fortgesetzten Kämpfe
für die Reinheit lutherischer Lehre sowohl als für die Reinheit
lutherischen Lebens, seine Korrespondenzen mit gleichgesinnten
Freimden wie: Gerhard, Höe. Höppfner in Leipzig, Mey&rt,
Daniel Dilger in Danzig, Kefsler in Schweinfurt, J. Schmid in
Strafsburg, Schleupner in Hof, Walther in Celle, Hirsch in Eis-
leben, Meisner in Wittenberg, Lälius in Ansbach und Joh. Schröder
in Rostock verfolgte, ist schon aus der von Valentin Andrea nach
Sauberts Tode verfafsten Schrift: Umbra Sauberti, 1647, zu er-
kennen und mufs besonders aus Ep. ad Saubertum cod. ms.
Hamb. weiter erforscht werden.
Aus den Visitationsakten von 1669 in der Nümberffer Stadt-
bibliothek ist zu ersehen, welcher Art die „Sectarii" in Nürnberg
waren. Saubert bezeichnet sie als Weigelianer. Tholuck sagt:
„Es sind Separatisten aus redlichem Mifsmut über die Verderbnis
der Kirche, andere mit latudinarischen Ansichten über Abend-
mahl, Beichte und andere Dogmen." Sie waren nicht plötz-
lich aufgetreten. Theophrastus Paracelsus imd Lautensack,
ersterer noch ein Zeitgenosse Luthers, besonders aber Valentin Weigel
1) £p. ad J. Schmid, n., cod. ms. Hmb., citiert bei Tholuck. .
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ISO Eadlach, Heft 4 u. 5,
gehörten zu ihren geistUcben Vätern^). In der Halleschen üni"
versitätsbibliothek befindet sich in zwei Bänden eine Sammlung
nttrnbergischer kirchlicher Dokumiente von dem Nürnberger Senior
Job. Fabricius zusammengetragen. Aus diesen Dokumenten ist
zu ersehen, dafe allem Anschein nach auch Mennoniten aus Holland
in Nürnberg sich befanden, welche in der deutseben Eaufinanns-
stadt ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatten. Auch gegen diese
richtete sich der Streit Sauberts. Die Anschauung , welche sie
vertreten, ist aus der Erklärung eines gewissen Van der Houven
zu ersehen. Dieser erklärte bei einer Vorladung vor dem
Ministerium: Er habe mit der Augustana nichts zu thun, da sie
nur verdamme, er aber niemanden verdamme. Den Katechismus
habe er schon vor 40 Jahren auswendig gelernt, könne aber sein
Christentum darauf nicht genugsam gründen ; im Neuen Testament
finde er einen weit gröfseren Schatz, daraus er sich erbaue.
Andrea in der Umbra Sauberti bezeichnet diese G^ner folgender-
malsen: ,In bis facile familiam ducunt qui a Wigelio nomen
habent, monstrosae ac plane Chymicae sive fumivendae sectae
asseclae: Ex Photinianis, Flaccianis, Puritanis, Swenckfeldianis,
Catabaptistis aliisque higus farinae faecibus congestae, Lutheranis
potissimum infestae.*^
Die andere Seite des Kampfes war gegen die mildere luthe-
rische Richtung, die sogenannte philippistische, gerichtet. Diese
Richtunff repräsentierte schon im Reformationsjahrhundert den
eigentlichen Charakter der Nürnberger Kirche. Der oben ge-
nannte Senior Johann Fabricius gehörte zu derselben Familie,
deren Vorfahren schon durch vier Generationen der gemäfsigt
melanchthonischen Richtung eedient hatten und deren Stammvater
Job. Fabricius mit Philipp Melanchthon befreundet gewesen war *).
Als die Nürnberger im Jahre 1624 dem Georg Calixt eine
Professur in Altdorf antrugen, konnten sie deshalb mit Recht
schreiben: „Ek^clesiae Ditionis Reipublicae Norib. neque Calvini
doetrinam neque Formulae concoraiae placita nonnullis in locis
cum scriptis jD. M. Lutheri et Phil. Melanthonis p. m. minus
convenientia hactenus amplexae sunt*)."
Wenn nun aber Andrea seinen Freund Saubert auch in dem
Kampfe nach dieser Seite hin unterstützt und z. B. an J. Schmid
schreibt: „In Nürnberg herrschte einst Philippus^ und Luther
wurde ausgeschlossen. Nach heftigen Kämpfen ist Luther endlich
angenommen, obwohl bei den Mächtigen sich Philippus noch
immer im Hintergrunde versteckt hält Ich bitte Euch, kommt
dem bedrängten Luther, an den sich die philippistischen Mäuse
machen, zu Hülfe, richtet wenigstens den Mut unseres Saubert
auf;" wenn er ferner den Pfarrer an der Sebalduskirche in Nüm-
*) Dorner: Geschichte der protest. Theologie, München 1867, 8.601.
«) Herzogs Realencvklop., 2. Aufl., IV., S. 482.
') Georg Caliztus' Briefwechsel, herausgegeben von Henke, Halle
1833, S. 13.
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1893« ^^^ Protest des Comenius etc. 131
berg, mit dem ihn die engsten Familienbande umschlossen , da
Bein Sohn Gottlieb Sauberts Tochter Barbara geheiratet hatte,
in der Umbra Sauberti als ein exemplum doctrinae Orthodoxae
rühmend hinstellt, kann da noch ein Zweifel übrig bleiben,
welcher kirchlichen Richtung Valentin Andrea angehörte?
Andrea war lutherisch-orthodox im eminenten Sinne. Und
wenn vonCriegern den Andrea und den Comenius als mystisch-
praktisch bezeichnet, so hat Andrej sich g^enüber der Vernach-
lässigung des Gemüts, welche eine Folge des ausgeprägten Forma-
lismus und des Ausschlusses des subjektiven Faktors bei dem
Ausbau der späteren lutherischen Theologie war und ihr die
Wärme und Lebendigkeit nahm, mit Bewufstsein zu Luthers
Standpunkt zurückgewendet, dessen mystischer und theosophischer
Zug bei seinen Epigonen verloren gegangen war^),
Nicht auf dogmatischem Gebiet ist die Übereinstinmiung des
Andrea und des Comenius zu suchen, denn deutlicher kann sich
Comenius darüber nicht aussprechen, als er es in depi Ltlne-
burger Brief gethan hat, sondern auf dem ethischen. Wenn
Eleinert von dem Pädagogen Comenius sagt, dafs der ethische
Standpunkt für ihn der dominierende ist') und dies ebenso von
dem Pädagogen Andrea gilt, dann müssen wir diesen Standpunkt
auch bei den Theologen Andrea und Comenius als den dominie-
renden bezeichnen. Die Theologie beider ist auf die Weltaufgabe
>) Aas einer Stelle in Valentin Andreas Theophilus 1649, p^. 5,
7, 88, welche zuffleieh beweist, dafs Comenius dem Andrea in seinem Lune-
buiger Brief nicht etwas Neues schrieb, wenn er ihn an die Streitigkeiten
über die rechte Lehre und an die mangelnde Sorge för das rechte Leben
erinnerte, sondern nur bekannte Thatsaiäen andeutete, über welche AndreÄ
dieselben Ansichten wie Comenius hatte, geht dies besonders hervor.
Andrea in seinem Theophilus klagt und warnt: ,,Beligio exspirare penitua
videtur .... Multa sunt, quae possint ad Lutheri meutern mstitutionem-
que revocari, quae temporum vitio paulatim obsolescunt. Duo omnium
maxime renovata vel repetita exoptarem. ünum, ut ad verbi divini regulam
et conscientiae normam vel leges vel rationes politicae magis adqptarentur,
majorque harmonia divini humanique instituti conspiceretur , . . Alterum,
ut non tantum de publica verbi divini annunciatione, verum etiam private
singulorum institutione recte curanda major esset solicitudo, quae et praedi-
cationi aptiores et fidei certiores omninoque Christianae religionis ma^s
eruditos redderet . . . Dolendum, id semper agere Satanam. ut ubi vita
lucet, doctrina caliget, ubi doctrina pura, vita sordeat . . . Cnristiana dis-
ciplina, cui serio omnes omnis ordinis nomines animum addicere et incumbere
ei quoquo studio et cura decet. Fieri hoc posse ausim sperare, si idem
zelus emendationis vitae, qui consensus olim et concordiae inter Evangellcos
eanciendae ecclesiae proceres accenderet/ Andere Citate aus dem Theo-
philus siehe bei von Criegenij S. 342, wo von Criegem den wichtigen Zu-
satz macht: Andrea katechisiert aus seinem Eusebius alle Lehrsätze der
lutherischen Dosmatik heraus in einer den Freund der lutherischen Kirche
fast peinlich beehrenden Weise, denn man nimmt gar zu sehr die Absicht-
lichkeit wahr. Es soll eben eine Verwahrung gegen jede Heterodoxie sein.
In ähnlicher Weise hat auch Comenius sich wegen seiner pansophischen
Bestrebungen seiner Kirche gegenüber rechtfertigen müssen.
*) Herzogs Realencyklop^ 2. Aufl., Band HL
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132 Kadlach, Heft 4 u. 5.
des Christentums gerichtet, wie die Ethik sie verzeichnet. Der
Theologie des Andrea und des Comenius ist die Pädagogik der-
selben entsprossen wie Pallas Athene aus dem Haupte des Zeus
in voller Rüstung und mit einem Speere. bewaflFnet hervorging.
Ein weiteres Licht zur Erklärung der Beziehungen des
Andrea zu Comenius, zum Verständnis der Liebe, mit welcher
t)eide einander zugethan waren, so dafs das Herz des Comenius,
des Hirten der vertriebenen mährischen Brüder, mit dem Herzen
des Andrea, des schwäbischen Hofpredigers, zusammenschlug wie
das des bethlehemitischen Hirten David und das des Königs-
sohnes Jonathan, giebt uns ein Blick auf die österreichischen
Exulanten in Nürnberg. Dafs Andrea mit Nürnberg in Be-
ziehung trat, mufs uns um so weniger auftällig sein, als Nürnberg,
wie Andrea in der ümbra Sauberti sagt, in damaliger Zeit die
Wonne des deutschen Reichs und das Auge unter den bedeuten-
deren Städten war*). „Nürnberg war nicht blofs ein Handels-
Slatz ersten Ranges, neben dem Wohnsitz des Mercur Wohnsitz
er Pallas und schon seit einer langen Reihe von Jahren der
Sammelplatz hervorragender Männer, sondern es war auch ein
Asyl und eine vornehme und willkommene Herberge für die,
welche um ihres Glaubens willen verbannt worden waren.** Wie
für viele alte Städte Deutschlands, wie z. B. Ulm, wo nach W.
Gröfslers Angabe das dortige Münsterarchiv die noch nicht aus-
geschöpften Quellen verborgen hält,- so hat für das kirchliche
und für das bürgerliche Leben Nürnbergs die Aufnahme der aus
den österreichischen Staaten um ihres Glaubens willen Verbannten
den gröfsten Segen gebracht^). Eine ähnliche Bedeutung, welche
die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts um ihres Glaubens
willen vertriebenen Franzosen für Berlin hatten, hatten in der
ersten Hälfte des Jahrhunderts, in der Zeit wirtschaftlichen
Niedergangs, für Nürnberg die Bekenner des evangelisch-lutheri-
schen GlauDens, welche aus den habsburgischen Erblanden,
namentlich Steyermark, unter Ferdinand H. im Jahre 1629 in
Ntlmberg ein Asyl fanden. Während man im allgemeinen in
damaliger Zeit auf protestantischer Seite nicht toleranter war als
auf katholischer Seite , so hatten doch auch in Nürnberg vier-
hundert evangelisch - reformierte Christen ihre Herberge auf-
schlagen dürfen. Auf ihren ausgedehnten Handelsreisen hatten
die Nürnberger lutherischen Kaufherren auch andere Bekennt-
nisse verstehen und dulden gelernt. Was Amsterdam damals im
*) Illustris Noriberga, orbis Germani deliciae et insigniorum urbium
ocellus . . . Est enim illustris Noriberga non tarn primae notae emporium
et Mercurii iuxta Palladisque sedes, quam Heroum jam a longa annorum
Serie atriam, sed et Christi Exulum asjlum et hospitium nobuissimum et
percommodnm.
*) In dem „Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit", 1855, befindet
sich ein beachtenswerter Aufsatz, welchen auch Tholuck citiert hat, „über
die österreichischen Exulanten in Nürnberg".
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1898. ^^ Protest des Ck>ineniu8 etc. Jgg
vollen Sinne schon übte, das bahnte sich in Nürnberg an: der
Oedanke der Toleranz, die Bejahung der von dem Kostocker
Professor Joh. Tarnow im Jahre 161p aufgeworfenen Frage : An
in republica christiana a magistratu politico salva conscientia
plures quam una tolerari queant religiones.
Und in welchem äufserlichen Zustande haben wir uns di&
Nürnberger Exulanten vorzustellen? Es waren nicht blofs Pastoren,
welche mit Kindern und Büchern Nürnberg aufgesucht hatten
und zwar in solcher Zahl, dafs z. B. bei einer Beerdigung einer
gewissen Elisabeth Kraus 39 exilierte Geistliche der Leiche
folgten, auch viele von dem hohen Adel Österreichs hatten ihrem
Vaterlande den Rücken &;ekehrt Während die Angehörigen der
tschechischen Nation sich mehr den Ländern polnischer Zunge
zuwandten und zum Teil auf den Besitzungen aes edlen Grafen-
hauses der Leszcynski und besonders auf deren Hauptsitz Lissa
sich niederliefsen, wo der Wohlstand sich so hob, dafs 1637 im
Juni der Grundstein zum Bau eines grofsen Rathauses gelegt
werden konnte, sehen wir einen grofsen Teil von den tapferen
und glaubensstarken Nachkommen der Männer, welchen Luther
einst eine seiner Hauptschriften gewidmet hatte: „An den christ-
lichen Adel deutscher Nation, von des christlichen Standes Besse-
rung", sich nach Nürnberg wenden. Folgende Namen vertriebener
österreichischer Adelsfamuien , welche in Nürnberg sich nieder-
gelassen hatten, werden von Tholuck genannt: von Dachsberg^
Dietrichstein , Heberstein , Hostelsberg , Jörger , KhevenhüUer^
Leiningen, Liechtenberg, Prank, Praunfalk. Rauchenberg, Rägk*
nitz, Stubenberg, TeuflFenbach, Welz, Winaischgrätz, Zinzendorf,
Valentin Andrea nennt 65 verschiedene Familiennamen und be-
weist dadurch, wie genau er den Kreis der Nürnberger Exilierten
kannte. Die Angehörigen des österreichischen Adels hatten längere
Zeit ihr endliches Schicksal vorausgesehen, ihre Güter veräußert
und ihre Gelder nach Nürnberg mitgebracht, wo sie ansehnliche
Gebäude und Güter erwarben und bedeutende Schutzgelder
zahlten. So gab a. B. Graf Heinrich von Zinzendorf fUr ein
Halbjahr 500 Goldgulden, Freiherr von Windischgrätz ftlr die^
selbe Zeit 600 Reichsthaler.
Was Lissa in Polen, das zu einem Haupthandelsplatz für
den Verkehr nach Preufsen und den Ostseeprovinzen sich heraus-
bildete, auf der einen Seite der Länder war, in welchen Ferdinand H,^
der Sohn der Jesuiten, seinen Scepter führte, das war auf der
anderen Seite in Mittelfranken Nürnberg. Zwischen beiden
Städten war nicht blofs äulserer Handelsverkehr, es fand auch
ein reger Austausch der litterarischen Erzeugnisse statt. Liefsen
doch z. B. die Hinterbliebenen des in Lissa verstorbenen Dichter»
Johann Heermann alle ungedruckten Werke, welche dieser Poly-
histor hinterlassen hatte, und es sind deren nicht wenige, bei den
Gebrüdern Endter in Nürnberg erscheinen. Und wenn wir bei
Joh. Heermann: „Sechserlei Sonntagsandachten, Lissa bei Funke
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184 Hadlach, Heft 4 u. 5.
1642^ einem reichen berühmten Kaufmann Thomas Brun aus
EVankfurt a. M. begegnen, der auf seiner Reise öfter bei Joh.
Heermann in Lissa einkehrt, ihn tröstet und bedeutende Gaben
«um Bau der Ereuzkirche flir die vertriebenen Schtesier nach
Lissa bringt, sollte dieser Kaufmann bei seinen Reisen von Frank-
furt a. M. nach Lissa durch Nürnberg gekommen sein, ohne auch
hier auf die köstlichste aller Perlen hinzuweisen, welche die Ver-
bannten nicht blofs nach Nürnberg, sondern auch nach Lissa
mitgebracht hatten?
Bei seinem Aufenthalt in Nürnberg lernte Andrea den Kreis
der Exulanten kennen, trat zu ihnen in nähere Beziehungen und
gewann zweifelsohne auch aus ihren Schilderungen ein Ver-
ständnis fUr die Lage des Comenius und der Brüderkirche. In
der „Umbra Sauberti" hebt Andrea die Beziehungen Sauberts
zu dem österreichischen Baron von Rägknitz hervor, den er be-
sonders rühmt Dies war allem Anschein nach für Tholuck die
Veranlassung, auch den Baron Gallus von Rägknitz unter seine
„Lebenszeugen der lutherischen Kirche vor und während des
dreifsigjährigen Krieees" aufzunehmen. Auf Grund einer Leichen-
rede und der Nachrichten, welche in dem sta-ndesherrlichen Archiv
des Grafen von Giech in Thurnau sich befinden, weist Tholuck
in dem Lebensbilde des steyripchen Exulanten Gallus von Rägknitz,
der ein sehr wohlhabender Mann und Besitzer eines ansehnlichen
Hauses und Gartens in Nürnberg war, darauf hin, dafe zwischen
diesem Exulanten und Andrea ein besonders nahes und inniges
Verhältnis bestand. Die Söhne des Barons statteten Andrea auch
in Stuttgart Besuche ab.
Zu diesem Exulantenkreise gehörte auch ein Altersgenosse
der Söhne des eben genannten Gallus von Rägknitz, Justinianus
von Weltz, der Vorkämpfer der lutherischen Heidenmission,
welcher im Anschlufs an die Schriften Andreas : Invitatio fratemi-
tatis Christi ad sacri amoris candidatös, Argentorati 1626, und
Invitationiff ad fi'atemitatem Christi pars altera, Argentorati 1628,
seinen -Vorschlag zu einer Christerbaulichen Jesusgesellschaft,
behandelnd die Besserung des Christentums und Bekehrung des
Heidentums" schrieb*).
Es wird einem anderen Kapitel angehören, darzulegen, wie
bei Comenius die MissionsgedanKcn , sein Verlangen, das Licht
des Evangeliums in die Heiden weit hinauszutragen, hindurch-
klingt und auch an nicht wenigen Orten deutlich ausgesnrochen
wird. Wie das Schiff, welches den ersten Missionar der Heiden-
welt an die Gestade der heidnischen Hauptstadt des alten Römer-
reichs trug, das Panier der Zwillinge, den Castor und Pollux,
hatte (Apostelgeschichte 28, 11), so sind im Lichte der neueren
Missionsgeschichte Andrea und Comenius das Panier des Schiffs,
*) Siehe W. Grössel: Justinian von Weltz, Leipzig 1891, S. 34 und
S. 184.
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1898. ^^ Protest des Comenius etc. 135
zu dessen Ausrüstung Georg Calixt, als er am 19. Mai 1629^
wenige Tage nach dem Frieden zu Lübeck, das Prorektorat der
Universitä Helmstädt zum erstenmal übernahm, durch seine Antritts-
rede ,,tiber die Bekehrung der NichtChristen" das Signal gab,
in welches Justinian von Weltz als Steuermann eintrat, der in
Holland den Breckling, der sich an Taulers, Luthers und Valentin
Andreas Schriften genährt hatte, in seine „ Jesusgesellschaft" auf-
nahm, welcher wieder Aug. Herm. Francke, den grofsen Pädagogen
und Begründer der ostindischen Mission, zum Einsteigen und
Mitfahren einlud. Ebenso müssen die Missionsbestrebungen
Petersens in Lüneburg, welche wir in unserer ersten Abhandlung
angedeutet haben, in diesen Kreis eingeschlossen werden. Und
als nun der Enkel des Comenius, der Mitbegründer der Akademie
der Wissenschaften in Berlin, Daniel Ernst Jablonsky gemeinsam
mit Leibnitz in den Stiftungsbrief dieser Akademie die Missions-
aufgabe, Math. 28, 19^20, mit aufnahm, sollten nicht die Missions-
^edanken des Freiherrn von Leibnitz auf die Befruchtung durch
Comenius hinweisen, der, angeregt durch Andrea und den Fufs-
stapfen desselben folgend, auch in diesem Punkte Andrea gegen-
über gegen den Vorwurf protestieren konnte', dafs er ein Sek-
tierer sei*)?
Gerade die heifse Liebe und unverbrüchliche Treue des der
Herde bestellten Hirten, der einige Jahre später in dem „Testa-
ment der sterbenden Mutter**, als die Gemeinde in Lissa den
Katholiken ihre Kirche aushändigen mufste, die Weisung giebt,
sich den bestehenden evangelischen kirchlichen Gemeinschaften
mit willigem Dienst anzuschliefsen und „der Stadt Bestes zu
suchen" ; die Weite des Blicks, der bei Comenius und bei Andrea
die Ferraentierung der Menschheit durch das Christentum all-
seitig fordert; das Bestreben, die persönliche Frömmigkeit nicht
zu etwas Isoliertem werden zu lassen und des ethischen Geistes
voll, der allein aus dem Glauben geboren wird, als treuer Sohn
seiner Kirche die sittlichen Aufgaben derselben zu erftlllen, das
Kulturleben zu reinigen und innerlich zu weihen, der Humanität
die Bahnen zu öffiaen, ist der Grund, dafs Comenius von sich
sagen durfte, er sei kein Sektierer*).
*) Das Hauptthema der Korrespondenz zwischen Aug. H. Francke und
Leibnitz in den Jahren 1697 — 1714 bildet die Heidenmission. Siehe:
Guhrauer, Freiherr von Leibnitz, Berlin 1846. Plath: Die Missions*
fedanken des Freiherm von Leibnitz, Berlin 1869. Über die Abhändg-
eit des Leibnitz von Comenius nach einer anderen Richtung. Siene:
D. P. Kl ein er t, Zur christlichen Kultus- und Kulturgeschichte, Berlin
1889, S. 301.
^) Über die Stichworte „cultura nnd humanitas^ bei Comenius siehe:
j). P. Kleinerts Abhandlung in den „Studien und Kritiken", 1878, S. 38.
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Quellen und Forschungen,
Zur Lebensgeschichte des Comenius.
Autobiographisches aus den Schriften des
Comenius.
Zusammengestellt von
Prof. Dr. J. Eyacsala in Preesbiirg.
(Fortsetzung.)
IV. Die Zeit in Elbing.
1.
Anno 1642 contigit me peregre esse^ et per dies aliquot
cum Nobilibus Polonis quinque conversari. Quorum cum tres
Euangelici essent (Adam Suchodolski et duo Reczicii) duo So-
ciniani (Lubienietski et Wiszowaty) variorum discursuum occasio
fiiit. Tandem Uli de migrando in minorem Poloniam mecum
agere, ingentibus promissis allicere, fidemaue suam (de annuo
lautissimo stipendio) chirographi cautione ooligare: maxime hie
occupato Wiszowaly. Quod ut frustra esse vidit, manui meae
inter valedicandum chartulam inseruit, cui Lucianicum quiddam^
et in religionem Christianam valde ludibriosum inscriptum Aiit,
hoc sensu.
Vulgaris Theologiae hypotheses.
Deus condito primüus Homini praescripsit legem servatu
impossibilem. Quam cum transgressus esset, adeo implacabiliter
Uli fuit iratuSy ut eum aetemis crudatibus addiceret. Reversus
tarnen ad se^ ut reo iUi parcere passet, in proprium Füium de-
saeviUj ob alienam culpam illum ad mortem usque contundenst
eo fine, ut cnUsquis crederet ita esse actum^ poneae relaxaätionem
aeeiperet. Baec annon cogitatu absurda, impia et in Deum plas^
hema sint^ etiam atque etiam videndum. Schedulam hanc multis
ostendiy satanica in salutis mysterium odia mecum mirantibus»
De QuaesUone etc. p. 64. 65.
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1893. Zur Lebensgeschichte des Comenius. 137
2.
1. Cum ver6 aliis quoque communicare vellet *), retractus est
peculiari Visione I Julii: e6 qu6d nondum tempus esset illa vul-
gandi (Rev. XTV. V. I^ 2, 3). Deo judicia sua adhuc exercente
acriter (V. 4 ad 8). Mittenda tarnen illa esse ad J. A. C. confe-
renda cum aliis ab ore Dei profectis &c. &c. (V. 9. &c): cum
novis mandatis dePopulo poenitentiae serio admonendo (V. 14. &c.):
Scripturisque ab omnibus diligenter hoc tempore (& quare id,
V. 20) legendis. Rev. XIV.
2. Degebam ^o tunc Elbingae Borussorum (ä Puchovia cen-
tum circiter miliaribus) omnium quae ibi fierent ignarissimus.
Fratres ergo melius de bis persuasi (nominatim Paulus Hladik
Consenior, Vir timoris Dei plenus) parendum Oraculo rati Re-
velationes eatenus factas (numero XIV) transcribi curant, & ad
me mittunt, meum quoque requirentes Judicium & consilium.
(NB. Quomodo schedae illae in alienas manus in Polonia inci-
dissent; servataeque tamen sint^ monui annotatiunculä ad Rev.
xvm.)
3. Ego istis cognitis expavi, novarum turbanim metu. Priora
enim illa, Cotteriana et Poniatoviana, alt6 jam apud nos sepulta
erant silentiö: ut k novo hoc emergente non post et non concuti
animus. Graham tamen Deum ut nos ne desereret: relegendoque
missa jam , quid facto videretur opus cogitabam , ne vel ingrati
reperiremur si Dei hoc esset opus^ vel expositi ludibriis si secus.
4. Rescripsi deinde Fratribus, illorum circa examen hujus
rei tam acre prudentiam laudans, utque porr6 etiam saluti suae
invigilarent orans. Quantum ad publicas pi^eces, paenitentiaeque
exercitia, cum illa per se placeant Deo semper, praesentique hu-
miliationis nostra statui imprimis conveniant, posse tant6 dili-
gentiüs institui : ut si divinitus horum admoneamur, ne reperiamur
immotigeri. Sed et si fort^ ab aliquo deceptionis spiritu ista ve-
niant, tant6 magis fervidis orationibus esse opus, ut ne inducamur
in tentationem.
5. Enim ver6 nihil factum est, quantum ad publicas istas
{>rece8 & jejunia: praevalente illorum consiliö, qui opus hoc si-
entid tegendum, & sie si posset exstinguendum, putabant
Lux e ten. HL p. 28.
3.
Rektum mihi fuit, Christinam Visiones suas revocare, op-
probrioque ducere, si quis in memoriam revocet, Ego veritatis
cognoscendae causa seorsum eam (etiam marito arbitro remoto,
ut liberius confitentem habere possem) alloquutus, exquisivi dili-
*) seil. Drabicius.
Monftkuhefte ier ComeniiM-OMeUscluift. 1808. 10
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138 Kvacsala, Heft 4 u. 5,
genter. Respondit, Mirari se, si talibus susurris fidem adhibeam :
aliter autem esse de me persuasum. Verum esse quibusdam se
respondisse silentio, cum sciat ludibrii causa quaestiunculas mo-
veri etc. etc. Animadverti ergo illum immerito inconstantiae ar-
gui : quod magis etiam ex marito eius cognoscere fuit, qui qualia
inter se colloquia de spe Israelis instituere soleant, retulit
Lux e ten. IL p. 128.
4.
6. Ad historiam revertendo placuit Deo Christinam ad aeter-
nas, dudum adamotas nuptias, tandem evocare. Postquam enim
toto matrimonii tempore bona fuisset usa valetudine, eaepit (mense
Junio anni 1644) catarrhis et tussi molestari, quae invitis etiam
Medicis in occultam febrim (hecticam vocant) degeneravit, Uli-
que 6 Decemb: beatam analysin attulit.
Lux e ten. IL p. 128.
5.
Mihi testis est ille, qui omnia nostra contuetur, me cum pri-
mum accepissem Librum Tuum lectionisque facto initio quantas
res negotium hoc concemat, et c^uanta fiqucia tu rem geras. imo
et Quam multa pulchre, solide, pie, moveas, (multa enim nahes
valae bona) viderem: me (horrore quodam correptum) lectionem
continuare non ausum, nisi postquam me cum eodem libro Tuo
humi coram Deo prostrassem, caecitatem deprecatus. Rogavi enim
humilime Deum, si Te mihi cum nova Veritatis luce stUbmitteret,
ut aperire dignaretur oculos meos : sin, ut me conservaret in veri-
tate sua. Multo minus scribere ad eundem libnmi Tuum, haec
quae legis, induci animum, nisi iterum iterumque exinanitis Omni-
bus sensibus meis, Deoque resignato regendi me, et flectendi quo
Teilet, mentem, voluntatem, calamum, arbitrio. Et adhuc eo sum
animo, ut si errare, (sive ex parte, sive ex toto) deprehensus
fuero, gloriam dem Deo. Hunc mihi animum conserva, qui eum
dedisti, o Deus.
Judicium de regula fidei ed. 1658. p. 86.
6.
Ego membrum illius Ecclesiae sum, quae tertio iam seculo
(a temporibus Hussi) Deo suo in spiritu et veritate servire con-
tenta, de Veritatis praerogativa cum aliis contendere non quae-
sivit: aliena litigia tacite spectans, utque Deus ipse Lucem suam
tenebras, Veritatemque, errores tandem eluctari laceret suspirans.
Polemicum ergo aliquid in publicum scribere mihi nunquam ve*
nerat in mentem : nisi cum editos Valeriani Magni de Christianae
Fidei REGULA libros examinandi ac cepsendi mihi esset im^
Eosita necessitas. Cum autem consignatum de iis Judicium pu-
lico exponere juberer, non aliter quam avwvvuußg'Yohxi: eo quod
meus a rolemicis abhorreret genius. Respondebatur, Non pole-
micum esse hoc scriptum, acerbum et odiosum, sed placidum et
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1893. Zu^ Lebensgeschichte des Comenius. 139
lonicabile: tandem si noUem meo^ poBse alio quocunque nomine«
Placuit ergo Huldrici Neufeldii nomen, meo Cabalistice respon-
dens: editumque sie fuit. Sed rescivit authorem Valerianus, illi-
^ue propterea nihil offensus non Bolum respondit satis placide
{nihil praeterquam allegationum incuriam taxans) sed etiam salu-
tari ahquoties curavit amice. Quin etiam alii Romano - Catholici
moderatum hoc scriptum coUaudarunt, interque alios Cujaviensis
EpiscopuB, Regni Senator illustris etiam sapiens: aui cum Gedani
■aa sesquiennium residentiam haberet, le^enaaque ilii ECHO nostra
offeretur, legit etiam perlegit totam, iudiciumque benigne tulit iis
verbis : Absit a me, ut haereseos condemnare velim virum docere
et doceri paratum.
Jud. de reg. fidei ed. 1658. Prae&tio.
V. Der zweite Aufenthalt in Lissa. Comenius in Ungarn.
7.
Anno 1649^ Martinus RuaruSy suos in Mig. Polonia visitatum
•e Borussia veniens, etiam me salutare dignatus, demum in coUo-
quio nomen suum (nee enim noveram de facie) prodidit. Sed post-
3uam me ab amicitia sua vidit alieniorem, discessit: litteris me
e via resalutans, ad quas nihil respondi.
De Quaestione etc. p. 65.
8.
De Atrio Latinitatis.
Cum editionem huius iam iam moliremur, intervenit Vocatio"
in Hungariam^ eamque intercepit. Differamus itaque in sequentia.
Judicia, novaeque Disquisitiones. Duo solum triave attin-
gam, tanquam publicos iterum novae industriae stimulos.
I. Dlustrissimus Posnaniae Palatinus, D. D. Christophorus Opa-
linsky de Bnin, magnanimus et sapiens heros, composuerat (lingua
Satria) Satyrarum libros X. corruptissimos patriae mores graphice
epingensy et nescio quid publici mali praesagiens (patuit revera
hoc tali tanti Viri scripto, Omnem bonum Politicum prophetam
esse). Cumque hos typis exscribendos Lesnam misisset^ famulus
nobilis et literatus Didactica nostra sub prelo sudare videns, Do-
mino id retulit. Quae occasio fuit literis me compellandi, tum et
accersendi ad se^ et de studiorum ratione conferendi. Summa
fuit: Imbutum se puerum fuisse literis methodo Jesuitarum, quam
tamen Vir factus probare (dispendiose compendiosam illorum do-
cendi rationem appellans) non posset. Constituisse proinde, pro
filiis et agnatis suis, Nobilique iuventute, in oppidx) Sirakoviae
Gjmnasiolum, tribus Classibus instructum ftmdare; eoque fine
Cracoviensi ex Academia evocare Vires tres doctos. Quum autem
lecta Linguarum Methodo novissima nostra non posset non pro-
bare consilia, volle se futurum illum Scholae suae Rectorem ad
me mittere, quomodo editi Latino Germanice libelli (Vestibulum
10*
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140 Kvacsala, Heft 4 u. 5*
et Janua L. L.) Latino-Polonice adomari queant, deliberatfim»
Factum : venit Üle, ratio inita, approbanteque Illustrissimo Maece-
nate, et impensas subministrante , Libelli editi, Schola inchoata,
floruitque usaue dum inopinata Suecorum (Anno 1655) irruptione,
cruentoque illam sequuto bello, dissiparetur. Qua de re scripta
ad me Illustrissimi Viri epistolas (A numero vel XI) nisi eius-
dem furiosi belli absumsissent flammae (Lesnensi excidio) pateret
Viri summi ad omnia exquisita summus ardor, et ad expendendum
iudicium acre, cum eloquentiae purissima suavitate. Sed perie-
runt illae, periisseque doleo.
n. Aliam reperio (servatam inter ilia quae tumultuarie, nulla
vero delectu, in terram coniecta fuere) a Regii in Borussia Fisci
praefecto datam ad me Dantisco L Febr. 1650, cuius partem hie
exscribi patior. Ita ordiebatur:
Contigit mihi nuper videre aliquot philuras Lexici tui, quod
iam sub prelo fervet. Utinam quantocyus prodeat integrum!
Passim enim expetitur summis desideriis, prout omnia tua: ita ut
nuper in Aula Kegia Magnus quidam Vir, et Secretarius Regius,
quamvis Religioni Romanae addictissimus, mentione tui iniecta im*
pense me rogarit, ut quaecunque a te ederentur sedulo conqui-
rerem, et ad se transmitterem. Se enim Tua omnia magni facere,
Nepotesque suos non nisi Comeniana methodo institui velle. Hoc
vero est rectae rationis robur apud omnes, ut captivet, vincat et
constringat nolentes, volentes ducat, alliciat et volupfeitibus per-
fundat. Ego sane id pro tenuitate raea praevideo, hoc ipsum
Lexicon, validam fore machinam evertendae logomachiae, quae
hactenus plus satis inquinavit triticum Domini, cuius radix igno-
rantia, altrix humana authoritas, quam nonnullis verae Eruditioni,
aut Divinae rationi, postponere piaculum est. Sed forte non con-
temnendus erit usus Tuorum Scriptorum in evellendis hisce Zi-
zaniis: quod praestet Aeterna illa Veritas, ut tandem aliquando
possimus et recta sentire, et recte loqui. Erupit hic haud ita
pridem nonnullorum speciosus conatus, docendi per artificium me-
moriae localis, invenitque quosdam ex Magistratu praecipuos fau-
tores : sed postquam Tua Didactica lecta est, visa est facilior haec
via, per iteratos actus doctrinam inculcandi, quam tot reflexioni-
bus operosis memoriam confundendi. Cumque sermo mihi esset
cum primario, et vere docto Viro, ordinis Senatorii, de Didactica
seu Methodo Tua Linguarum, isque in laudes eins erumperet,
quaesivi ex illo. An contradicant isti Artifices? aut quid de ea
iudicent? Respondit, Contradicant? Impossibile est: hic enim
Vir quicquid loquitur, loquitur cum ratione, omnemque contra-
dicendi ansam praecidit, dum naturam et sanam rationem, et se-
quitur ipse, et monstrat aliis, iudicioque Orbis exponit omnia etc.
ni. Accidit sub idem tempus, ut cum Pax Imperii biennio
ante Monasterii conclusa, demumque sub ingressum huius anni
(1650) Noribergae ad plenum firmata, esset, inter publici gaudii
varie a variis erecta, aut erigi tentata, monumenta, prodiret etiam
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1893. Zur Lebensgeschichte des Comenms. 141
Lipsiensi Catalogo Librorum (inter proximis nundinis prodituros)
scriptum quoddam tali titulo:
Petri Colbovii von Gadebusch aufs Mechelnburg Sende-
Schreiben an den Wol Erwtirdigen . . . Herrn Johannem Amosum
Comenium u. s. w.
Mirabar id scribi, cum ego epistolam talem vidissem nullam,
venit tarnen post, non in epistolae, sed libri forma. Rescripsi,
editionem dissuadens, antequam recoctis consiliis fluidius quiddam
constitueretur. Coepimusque permutatis inter nos epistolis agitare
consilia, quomodo quam optime constitui possent omnia. Sed
Srofectio mea in Hungariam interrupit haec, meliorum desiderio:
um erigendae ibi Pansophicae Scholae constanter amici facerent
spem, qua plenus animus minora haec tanto fervore agi non per-
mitteret. Hie igitur de istis tum temporis occasionibus loqui
desisto.
Op. Did. II. 459. 460.
9.
1. Fortuita hominum respectu occulta Providentiae vi disponi,
non ignorant qui voces Dei in Scripturis non Ignorant „cursuique
operum Dei pie attendunt: qualia nis ipsis in rebus, de quibus
loquimur, innumera observare est; hoc etiam quod nunc merao-
randum venit.
2. Pace Monasterii & Osnabrugae sexennio agitatae, tandem-
que terminatae, ultima publicatio incidit in Januarium anni
1650. Qua Bohemiae Regno, cum incorporatis provinciis, haere-
ditatis nomine Austriacae Domni relictis, dispersi propter Even-
gelium k spe reditüs aeternum exclusi, ouid iam agendum esset
deliberare coeperunt: superstites nempe Ecclesiarum Superatten-
dentes cum reiiquis Auditorum suorum, ex Baronali et Equestri
ordine. Petebant ergo in Polonia exulantes ab exulantibus alibi,
in primis Hungaria, ut e medio sui aliquot prudentiores (ex or-
dine Politieo & Ecclesiastieo) mense Martio mitterent, ad certi
aliquid concludendum. Comparuerunt alii, ex Hungaria nemo:
Senium & morbos eorum, qui maximfe idonei huc essent, causati.
Addebant: adfuisse se Fratrum in Polonia Synodis per hos exilii
annos aliquoties, justum esse quoque aliquando se in Hungaria
visitari, Nominatim ad se Confratrem suum Comenium mitti
postulabant: quippe Moravum, et Moravorum causa Antistitem
ordinatum; sibi ver6 per annos jam 25 non conspectum. Cujus
absentiam tolerari potuisse vivo CoUegä, Laurentio Justino ; nunc
illo evocato requiri omninö, ut gregem suum intervisat, si non ad
cohabitandum, ordinis tamen stabiliendi causa etc.
3. Huic Fratrum Moravorum postulato mox assensum dabant
Bohemi, & qui aderant Poloni : eundumque esse, & de actis hujus
Convocationis ibi quoque deliberandum , concluserunt. Maxime
postquam eo ipso temporis puncto ä Sigismundo Racoci venirent
Comenium ad coUoquia, et de Scholarum suarum reformatione
consultationem, evocantes literae.
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142 Kvacsala, Heft 4 u. 5.
4. Ab bis igitur vocationem, ab illis missionem nactus, com-
mendavi me Deo, perque Silesiam & Moraviam festinanft, Ska-
licium (primam Hunganae liberam urbem) pridie Pascbatos attigi,
& cum dispersonun populo (praesentibus aliquot Baronibua & h
Nobilitate^ Pastoribusque) festi solemnitatem peregi: iis quorum
in primis causa veneram in ultimum reservatis. Ubi conBÜium
non fuit aliud (sicut & nobis in Polonia, & alibi) nisi ut ab bo-
minibus in Universum derelicti, uni Deo tant6 firmius adbaereamus,
illius nos voluntati plenissimi resignantes, ad vitam et ad mor-
tem etc.
5. Alter similis conventus (sed major, Pastorum circiter vi-
ginti) erat octidu6 post in ditione Viduae Racocianae, Puchovii :
ubi per dies sex varii de conclamato undique flatu nostro ser-
monibus^ mutuisque ad poenitentiam, patientem, spemque in Deo
(etiamsi nos occidat) exbortationibus habitis: valedicturus ego
illis signiticavi, Mihi quidem propositum fuisse ad Principem
Sigismundum (ä quo vocatorias naberem) divertendi, sed itineris
longinquitate absterreri, ä negotiis vero meis revocari. Constituisse
itaque negotiö per literas expeditö, festinare donumi. Ulis ut pro-
fidie ad communes preces, nosque invicem spiritui gratiae com-
mendandum, redire liberet.
6. Instant Uli. perseverandum esse in absolvendo suspecti
itineris proposito: literam esse mutam, non tanti fieri atque prae-
sentiam vivam: se principis matris indigere gratiä^ ampliandum
potius quam minuendum favorem, et quae id genus plura. Re-
spondi: me ergo adhuc deliberaturum, quomodo ultimum formati
possit consilium. Ita quietae noctis voto valedixi, apud cognatos
pemoctaturus meos.
7. Ecce autem exeuntem me illorum unus, Nicolaus Drabicius,
comitatur, impense ut propositum ne mutem orans. Quaesivi,
quid praecaeteris sua interesset, ut praecaeteris tam instaret?
Kespondit, quia te in Sigismundi Racoci notitiam venire opto.
Quare id? Ille, ceu invitus & effari verecundans, tandem: quia
iUe Rex erit Ego consistens, illumque intuitus : Quid mi Frater
audio? nondum tu ä somniis tuis evigilasti? (Nihil enim ampliiis
de bis materiis voce aut scripto cum lUo egeram, nee eorum plus
quam ad me missum fuit primitus videram, vanitatis illa apud
me aequ^ ut caeteri condemnans, eo qu6d propheticam styli gravi-
tatem, vel qualis Cottero & Christinae in est, non attingere even-
tusque multo etiam minus responderet, viderentur.) Dixi ergo:
Patri priüs Coronam offerebas: eä spe delusus ad filium jaln ibis?
Vide per Deum quid agas, ludificareque te et alios desiste.
8. Eruperant Viro lacrymae: oculisque & manibus sublatis,
Bis me lacrymis meis abluere possem, inquit, quantum earum
jam effusum est, ut misero mihi parceret Dens: sed impetrare
non possum. An erffo adhuc ista pateris? Respondit: Ultra
annum est quod nihil patior, scio tarnen nondum esse tinem.
Quaero unde id sciat? IUe, Dominus dixit: consignataque in ad-
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1893. Zar Lebensgesehichte des Comenius. 143
ventum tuum (adductorum enim Te in hanc terram) seryari, et
tibi tradi, jussit En trado! Offertque Chartas illas, posteriores
Visiones continentes, pluresque promittentes, rogans legere vellem.
Annen haec fingis obsecro? dixi. Hie Deum testem invocat
Quaero, quando id de adventu huc meo auditum? Ille, Annö
abhinc tertio, mox ä Principis morte, quam ladibriorum in-
patientiä exurere ista vellem, Dominus vero pro hibebat : Invenies
ibi scriptum.
9. Attonitus erg6 Chartas illas recipio, vespertinis^ue horis
inter amicorum colloquia consumtis, mane demum inspicio, lego,
ruminor, interque suspiria & ut Deus vias meas dirigeret vota &
preces, animum mutari sentio : offerentibus se pro suscipiendo ad
Principem itinere tot causis, quas priüs non observäram. Quae
cogitata mea ciun Fratribus ad preces congregatis communicarem,
gratulabantur, laetisque iter meum prosequebantur votis.
10. Ingressus ignotas vias, decimä die residentiam Princi-
pissae, Patakum, Deo duce attigi: sie ä Principibus (Matre &
Filio) Theologisque, & aliis Viris doctis & bonis, octiduo toto ha-
bitus, ut ad cohabitandum illis aliquandiu (instabant enim) re-
ditum non recusare promitterem, si per rerum apud nos statum,
assensumque illorum quorum pars sum, licebit Ad illos itaque
literis me instructum dimittunt, deinde ver6 per Cursores festi-
nationem ita urgent, ut non redire non possem: detentus apud
eos (Scholasticis in laboribus) quadriennium.
Lux e ten. IIL p. 40 £
(Fortsetzung folgt)
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Nachrichten.
Im Januar -Heft der „Deutschen Rundschau" veröfiFentlicht Prof.
Dr. Otto Pfleiderer in Berlin eine Charakterzeichnung des kürzlich ver-
storbenen EfDSt Renan, auf die wir unsere Leser aufmerksam machen. Der
geistige Entwicklungsgang Renans hat etwas Typisches. Im Priester-
Seminar zu St iSulpice erzogen, war er von früh auf mit einem streng
katholischen Eifer erfüllt. Als er, beseelt von dem Streben nach Wahr-
heit, zu erkennen glaubte, dafs sein bisheriger Standpunkt unhaltbar sei,
warf er, wie es in solchen Fällen zu gehen pflegt, alles über Bord, was
seine geistlichen Lehrer ihn gelehrt hatten. Aber in zwei Punkten zeigt
sich doch der Unterschied dieses hervorragenden Geistes von der gewöhn-
lichen Freigeisterei, in die der Regel nach ein solcher Entwicklungsgang
auszulaufen pflegt. Er sah nämlich ganz richtig ein, dafs eine Philosophie,
wie sie sich der Vernunft erschliefst, selten starke Antriebe zu einer opfer-
fähigen Gesinnung bietet und zur Volkserziehung mithin unbrauchbar ist,
und femer hat er doch, alles in allem genommen, ein gutes Stück des
Christentums in seine neuen Überzeugungen mit hinübergenommen, mehr
jedenfalls als die Mehrzahl derer meint, die sich auf einzelne seiner Äusse-
rungen stützen, um alles zu verneinen. Man lese nur den Schlufs des „Lebens
Jesu", wo er geradezu sagt, dafs „die Gründung der wahren Religion"
(also nicht blofs die Gründung einer Religion) Jesu Werk sei. Besonders
wichtig ist es unter diesen Umständen, dafs wir aus seinen „Jugend-
erinnerungen" erfahren, wer die Männer waren, die nach der Abstofsung
seiner Jugendansichten ihm die Führer zu der neuen Lebensanschauung
(wenigstens theilweise) wurden. „Herder", sagt er, „war der deutsche Schrift-
steller, den ich am besten kannte. Seine weiten Blicke entzückten mich,
und ich sagte mir oft mit lebhaftem Bedauern: ach, dafs ich nicht .wie ein
Herder denken und zugleich christlicher Prediger bleiben kann ! . . . . Ich
möchte um alles Christ sein, aber orthodox kann ich nicht sein. Wenn
ich Denker, so frei und kühn wie Herder, Kant und Flehte, sich
Christen nennen sehe, so hätte ich Lust, ein Christ von dieser Art zu sein.
.... Ich gestehe , dafs ich in einigen deutschen Schriftstellern die wahre,
für uns passende Form des Christentums gefunden zu haben glaube.
Könnte ich den Tag erleben, wo dieses Christentum eine alle Bedürfiiisse
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1893. Nachrichten. 145
xmserer Zeit befriedigende Gestalt gewänne! Könnte ich selbst 2u diesem
grofsen Werke mitwirken!"
Die historisch-nationalökonomische Sektion der Fürstlich Jablonows-
kischen Gesellschaft in Leipzig hat für die Jahre 1893—1896 folgende
PreisaufgabeD gestellt:
1. Für das Jahr 1893. — Die allmähliche Einführung der deutschen
Sprache in öffentlichen und privaten Urkunden bis um die Mitte
des 14. Jahrhunderts.
2. Für das Jahr 1894. — Darstellung der Entwicklung, welche der
Gewerbfleifs in Polen seit dem Aufhören der polnischen National-
selbständigkeit gehabt hat.
3. Für das Jahr 1895. — Darstellung des griechischen Genossen-
schafts- und Vereinswesens auf Grund der schriftstellerischen und
besonders der inschriftlichen Quellen, welche ebenso sehr die Arten
und die Organisation der Genossenschaften, wie ihre zeitliche und
räumliche Entwicklung berücksichtigt.
4. Für das Jahr 1896. — Eingehende Untersuchung der wirtschaft-
lichen, sozialen und politischen Bewegung in irgend einer gröfseren
deutschen Stadt des ausgehenden Mittelalters mit besonderer
Rücksicht auf die Wirkungen des seit Ende des 14. Jahrhunderts
aufkommenden kapitalistischen Individualismus.
Die anonym einzureichenden Bewerbungsschriften sind, wo nicht die
Gesellschaft im besonderen Falle ausdrücklich den Gebrauch einer anderen
Sprache gestattet, in deutscher, lateinischer oder französischer Sprache zu
verfassen, müssen deutlich geschrieben und paginiert, femer mit einem
Motto versehen und von einem versiegelten Umschlag begleitet sein, welcher
auf der Aufsenseite das Motto der Arbeit trägt, inwendig den Namen und
Wohnort des Verfassers angiebt. Jede Bewerbungsschrift mufs auf dem
Titelblatte die Angabe einer Adresse enthalten, an welche die Arbeit für den
Fall, dafs sie nicht preiswürdig befunden würde, zurückzusenden ist. Die
Zeit der Einsendung endet mit dem 30. November des angegebenen Jahres,
und die Zusendung ist an den Sekretär der Gesellschaft (für das Jahr 1893
Professor Dr. W. Röscher, An der I. Bürgerschule 4) zu richten. Die Re-
sultate der Prüfung der eingegangenen Schriften werden durch die Leip-
ziger Zeitung im März oder April des folgenden Jahres bekannt gemacht.
Die gekrönten Bewerbungsschriften werden Eigentum der Gesellschaft.
Der GesehiehtsoDterricht als Vorbereitang zur Teilnahme am 'öffent-
liclieii Leben. Die durch den kaiserlichen Erlafs an das preufsische Staats-
ministerium vom 1. Mai 1889 und durch die Berliner Schulkonferenz zur öfiFent-
lichen Diskussion gestellte Frage, ob bezw. inwieweit die Schule politisch
vorbilden und sozialpolitisch beeinflussen soll, beschäftigte die für den
5. April nach München einberufene Versammlung von Historikern. Aus
den bezüglichen Thesen veröfiFentlichen wir die folgenden. Direktor Mar-
tens nimmt fast die gleiche Stellung ein, die im Erlasse des Kaisers zum
Ausdrucke kam. „Der kulturgeschichtliche Unterricht," so lautet die betr.
These, „berücksichtigt bezüglich der sozialpolitischen Entwicke-
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146 Nachrichten. Heft 4 u. 5.
lang, indem er die einschlägigen Thatsachen aus der alten, mittleren und
neueren Greschichte bewufst unter den sozialpolitischen Gesichts-
punkt stellt, die wirtschaftlichen Verhaltnisse vornehmlich des deutschen
Volkes, so dafs nicht nur das Verständnis für die soziale Frage der
Gegenwart geweckt, sondern auch die Mittel und Wege zur Be-
kämpfung der heutigen Sozialdemokratie auf dem Grunde des
verantwortungsvollen Staatsbewufstseins gezeigt werden." Demgegenüber
stellt Prof. Dove folgende These auf: „Beim Vortrage der neuesten, für
die oberste Schulstufe bestimmten Geschichte ist eine kundige, jedoch
durchaus objektive, von aller Tendenz freie Erläuterung der
gegenwärtig in Staat, Kirche, Recht, Volkswirtschaft u. s. w. bestehenden
Ordnungen und Verhältnisse von Seiten des Lehrers angebracht und er-
wünscht Dieselbe wird indessen nur dann sichern Nutzen stiften, wenn
Studiengang und amtliche Prüfung der künftigen Lehrer der neueren
Historie ausdrücklich auch auf das Gebiet der Staatswissenschaften
erstreckt werden." Prof. Kaufmann formuliert daneben noch folgende
Sätze : „Bei der Geschichte der neuesten Zeit ist schon auf der Mittelstufe
Kenntnis zu geben von der Verfassung des Reiches und des Landes. Auf
der Oberstufe ist diese Kenntnis zu vertiefen und durch Vergleichung
mit den politischen Ordnungen anderer modemer Staaten einerseits und
des Mittelalters und Altertums andererseits zu erläutern." „Die an sich
wünschenswerte Einführung in mancherlei Formen und Pflichten des
öffentlichen Lebens ist nicht Sache des Geschichtsunterrichts.^
„Erkennt man das Bedürfnis an, so ist zu erwägen, ob nicht nach dem
Muster anderer Staaten auf der Mittelstufe eine Stunde für bürgeriiohe
G^schäftsaufsätse und Gesetzeskunde einzuführen sei." Schärfer noch als
Prof.Dove protestiert endlichProf. Kaufmanngegen jede kirchliche
und politische Tendenz im Geschichtsunterricht. Er erklärt
sich gegen jeden Versuch, die Jugend zu bestimmten Ansichten über
politische, kirchliche und soziale Fragen undParteien zu er-
ziehen und verlangt volle Unabhängigkeit für den Lehrer und
gemeinsamen Geschichtsunterricht für die verschiedenen Konfessionen.
Schliefslich wurde folgender Antrag des Professors Stieve mit grofser Majorität
angenonunen: Der Geschichtsunterricht kann und soll nicht in der Weise
als Vorbereitung zur Teilnahme an den Aufgaben des öffentlichen Lebens
dienen, dafs er in systematischer oder auf eine bestimmte Gesinnung hin-
zielender Weise für dasselbe vorbereitet; er hat vielmehr zu dem frag-
lichen Zwecke lediglich diejenigen geschichtlichen Kenntnisse zu über-
mitteln, welche zur späteren Teilnahme am öffentlichen Leben befähigen,
und die Neigung zu dieser Teilnahme entwickeln." Der Schlufspassus :
„insbesondere hat er (der Geschichtsunterricht) auch die Liebe zum Vater-
lande und ein strenges Pflichtbewufstsein gegen den Staat zu en^ecken"
wurde auf Antrag des Professors Quidde-München abgelehnt.
Herr Lehrer Riehard Aron in Berlin 0. 34 besitzt eine wertvolle
Sammlung von Ausgaben comenianischer Schriften. Wir teilen im nach-
folgenden eine Auswahl daraus mit:
- Comenius, J. A., Auffgeschlossene Güldene Sprachen -Thür u. s. w.
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1893. Nachrichten. 147
Ausgef. von Zacharias Schneider. Die 7. Ausfertig. Leipzig, 1639.
— , Janua linguae Graecae, Secnndnm methodnm k Dn. Comenio inventam
constmeta atqne reserata & L. Z. Schneidero, Leipzig 1642. — , Janua lingua-
mm reserata. Oum Graeca yersione Theodori Simonii Holsati, Secunda
hac editione recognita et innomeris in loeis emendata et Gallica nova Steph.
Cnrcellaei. Amstelodami 1643. — , Janua aurea quinque linguarum reserata.
Nath. Dhuez et Theod. Simon. Francof , 1644. — , Latinae Linguae Janua
reserata. Remm & Linguae Structuram exhihens ordine nativo. Ex mente
Autoris ad leges methodi Janualis proponenda, in Sehola Olsnensi Siles.
Olsnae, 1647. — , Janua aurea reserata. Sive compendiosa Methodns Lati-
nam, Gkillicam etc. etc. Genevae, 1663. — , Janua linguarum reserata
aurea Coloniae Agrippinae, 1662. — , Janua Linguarum reserata. Pro
compendiose Lingua Latina cum Rebus docenda. Belgicft versione & Joh.
Seidelio omata. Amsterdam, 1691. — -, Janua linguarum reserata aurea.
Editio postrema. Cöln, 1692. — , Pansophiae prodromus, et Conatuum
Pansophicorum Dilueidatio. Lugduni Batav., 1644. — , Orbis Sensualium
Pictus. Latino-Gallico-G^rmanico-Polonice. Bregae Silesiorum, Typis
Tschomianis, Impensis Caspari Mölleri Bibliopolae Wratislav., 1667.
— , Orbis sensualium pictus quadrilinguis. Noribergae, 1679. — , Orbis
sensualium pictus. Noribergae, 1708. — , Orbis sensualium pict Nori-
bergae, 1740—45. — , Orbis sens. jHctus. Noribergae, 1777. — , Orbis pictus
in Hungaricum et Gkrmanicum translatus. Die Welt in Bildern. In die
ungarische und deutsche Sprache übersetzt und hin und wieder verbessert.
Po* sonjban, 1831. — , Neuer Orbis pictus für die Jugend oder Schauplatz
der Natur, der Kunst und des Menschenlebens in 322 lithogr. Abbildungen etc.
nach der früheren Anlage des Comenius bearbeitet von J. £. Gaiier.
3. Aufl. Reutlingen, 1835. — , Neuer Orbis pictus für unser philosophisches
und aufgeklärtes Jahrhundert Kaklogallinien, 1790. — , Die Welt in
Bildern. Ein lehrreiches und angenehmes Geschenk fEbr Rinder gebildeter
Eltern. Enth. 121 sauber kolor. Kupfer. Berlin, 1832. ^, Versuch eines
Mementarbuches für Kinder durch Abbildung der merkwürdigsten Dinge
und derselben deutschen, lateinischen, französischen und italiänischen Be-
nennungen. Nürnberg, 1770. 6000 Holzschnitte. — , Januae in linguam
Graecam Yestibulum ad Dn. Comenii methodum adomatum ÄZ. Schnei-
dero. Lipsiae, 1640. — , Portael der Saecken en Spraecken -Yestibulum
rerum et Linguarum — Die Vortühre der Sachen u. Sprachen. Amstelod,
1678. — ,* Vorpforte der Schul -Unterweisung. Nach den Gesetzen der
neuesten Lehrart u. mit vielen Kup£Per-Bildni8sen erklaert von Jacob
Redinger. Noribergae, Chr. Gerhardt, 1678. — , Sententiae Vestibuli J.
A. Ü. Multo emendatiores, quam hactenus alibi, excusae, cum vocabulis,
i regione appositis, in usnm juventutis scholasticae. Wemigerodae, 1738.
— , Unum necessarium Editio quarta. Jenae, 1713. — » I^ Einige Noth*
wendige. Leipzig, 1725. — , Das Einige Nothwendige. Frankfurt-Leipzig
1755. — , Kurz gefafste Kirchen-Historie der Böhmischen Brüder, wie
solche J. A. C. lateinisch beschrieben. Schwabach, 1738. — , Joh. Theoph.
Eisner, Martyrologium-Bohemicum oder die Böhmische Verfolgungs - (be-
schichte von 894—1632 etc BerUn, 1766. — , Labirynt Sweta a Rag
Srdce. Berline, 1757. — , Comenii philosophisch-satyrische Reisen durch
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148 Nachrichten. Heft 4 u. 5.
alle Stände der menschlichen Handlungen. Berlin n. Potsdam, 1787. — ,
Das wiedergefundene Paradies oder Uebergang aus der Welt ins Herz. 1760.
— , Das Labyrinth der Welt und des Herzens Paradies. Aus böhmischer
in deutsche Sprache übertragen von J. Nowotny. Spremberg, 1871. — ,
KssaflPt Vmjragjcy Matky Gednoty Bratrske. Berlin 1757. — , Höchst-
Terwundersame Ofienbahrungen. Welche Einer Böhmischen Edel-Jungfer
Nahmens Christina Poniatovia In denen Jahrgängen 1627, 1628, 1629 ge-
schehen u. s. w. Nebst beygefugter Historischer Erzählung u. Erläuterung
dess berühmten Mit-Gliedes der Böhmischen Brüderschafft Johann Amos
Comenius. 1711. — Zwey wunder Tractätlein | deren das Erste begreiffet
Englische Erscheinungen und Reden Christoph Rotten u. s. w. Das Ander
Himmlische Offenbarungen und Gesichte einer GottsfÖrchtigen Jungfrawen
aus Böhmen (Chr. Poritowsken) n. s w. Im Jahr 1682.
Für eine Bücherkunde der Janua, des Orbis pictus und anderer
Schriften, die uns noch fehlt, sind hier Fingerzeige gegeben, die sich
vielleicht aus anderen Privat- oder öffentlichen Sammlungen ergänzen lassen.
Es ist der Zweck dieser Zeilen, zur Aufstellung einer Bücherkunde der
Janua und des Orbis pictus anzuregen.
Wir haben bereits früher (M. H. 1892 S. 224) auf die freundlichen Be-
ziehungen hingewiesen, in welchen Comenius zu den sog. Hutterischen
Brüdern in seiner mährischen Heimat stand, die er, wie er selbst bezeugt,
wohl kannte. Von um so gröfseren Interesse ist für uns das Buch über die An-
fänge dieser „mäh rischen*' Brüder, welches Prof. Dr. Johann Loserth soeben
veröffentlicht hat; es fuhrt den Titel: Doetor Balthasar Hnbmaier und die
Anfänge der Wiedertaufe in Mähren. Aus gleichzeitigen Quellen und mit
Benützung des wissenschaftlichen Nachlasses des Hofrates Dr. Josef
Bitter von Beck von Dr. J. L. Herausgegeben von der historisch-statis-
tischen Sektion der k. k. mährischen Gesellschaft zur Beförderung der
Landwirtschaft, der Natur- und Landeskunde. Brunn, Verlag der hist-
statist. Sektion 1893. Das Buch ist auf Grund eines reichen, bisher unbe-
nutzten Materials bearbeitet und bt ein wichtiger Beitrag zur Reformations-
geschichte überhaupt. Wir werden eingehender darauf zurückkommen.
Dp. Theodor Arndt, Prediger an St.-Petri in Berlin, hat im Verlag von
Georg Reimer unter dem Titel: „Das Glfiek, Ein Wort für die ideale Welt-
anschauung^, eine kleine Schrift erscheinen lassen, auf die wir die Auf-
merksamkeit unserer Leser lenken möchten. Es ist im wesentlichen die
Wiedergabe eines Vortrags, den Arndt am 20. Januar 1898 im Berliner
Unions- Verein gehalten hat. Der Verf. beabsichtigte durch seine Schrift
in einigen Punkten eine Ergänzung zu der Arbeit zu geben, die er im
vorigen Jahr unter dem Titel „Die Religion der Sozialdemokratie'^ (Ev.-
soz. Zeitfragen 11, 6. Lfg., F. W. Grunow) hat erscheinen lassen. Er will
versuchen : 1. Das Problem des Glückes selbst klar zu stellen, 2. die Wege
zu beschreiben, auf denen man seine Lösung versucht hat, und 3. anzu-
deuten, auf welchem Wege wir als evangelische Christen die Lösung finden
werden. Besonders lesenswert ist der zweite Abschnitt, der in kurzen
Zügen eine Reihe von Versuchen schildert, die gemacht worden sind, um
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1893. Nachrichten. 149
auf dem Wege der Natarwissenschaft oder der philosophischen Speku-
lation die Wege zu ergründen, die zum Glücke hinführen.
Die russische 2ieit8chrift „Gimnasija^ (Journal für Philologie und Pä-
dagogik, Beval) enthält in der Oktober-Nummer 1892 die Fortsetzung der
von MeschofP bearbeiteten „Bibliographie der Pädagogik", welche eine
Übersicht über die russischen Erscheinungen in den letzten beiden Jahr-
zehnten bietet. In Deutschland existiert, soviel uns bekannt ist, eine
ähnliche bibliographische Übersicht nicht; gleichwohl wäre es erwünscht,
wenn allmählich wenigstens für die Volksschule oder die Gymnasien oder
die Universitäten oder die Geschichte der Erziehungslehre von Zeit zu
Zeit bibliographische Übersichten veröffentlicht werden könnten.
Beriehtignng.
Wir hatten (Monatshefte der C.-G. 1892 S. 282) die Vermutung aus-
gesprochen, dafs die Abhandlung Carl Hüllemanns über Valentin Andreae
als Pädagog, welche im J. 1884 zu Leipzig erschien, auf die Anregung
des Criegemschen Buchs über Comenius zurückgehe. Bezugnehmend auf
diese Äusserung teilt uns Herr Dr. Hüllemann unter dem 18. März 1893 mit,
dafs er genötigt sei, zu erklären, dafs ihm nicht Herr Lic Dr. von Criegem,
sondern Herr Gelu Hofrat Prof. Dr. Masius die Anregung zu seiner Arbeit
gegeben habe. Die Schriftleitung.
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Pier«r*sohe Uof buohdruokerei. Stephan Geibel A Ck>. in Altenburg.
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Monatshefte
der
Comenius • Gesellschafte
II. Band. -- 1893. — Heft 6 u. 7.
Die kirchliche Reformbewegung in England im XIV. Jahr-
hundert und ihre Aufnahme und Durchführung in Böhmen.
Akademische Antrittsrede, gehalten am 2. Mai 1893 von
Dr. Johann Loserth,
o. 0. Professor der allgemeinen Geschichte an der k. k. Karl-Franzeus-UniversiUt
in Graz.
Indem ich das mir übertragene Lehramt der allgemeinen
Geschichte an der hiesigen Universität antrete, darf ich wohl
flir den heutigen Vortrag ein allgemeineres Thema wählen, als
es dem Gegenstande dieser Vorlesungen entspricht. Man wird
es begreiflich finden, dafs ich es jenen Studien entnehme, die ich
seit mehr als zehn Jahren gepflegt habe : der kirchlichen Reform-
bewegung in England im letzten Drittel des XIV. Jahrhunderts
und ihrer Aufnahme und Durchführung in Böhmen.
Mit Recht wird es als eine der wichtigsten Aufgaben ge-
schichtlicher Forschung bezeichnet, die Einwirkungen darzulegen,
die ein Volk in Bezug auf seine politische und kulturelle Ent-
wicklung von anderen höher stehenden Völkern erfahren. Diese
Aufgaben sind freilich nicht immer leicht zu lösen. Man weifs
heute, in welcher Weise sich semitische Einflüsse in Griechen-
land, griechische in Rom, römische bei den germanischen Völker-
schaften Geltung verschafft haben. Wenn man auf den phöni-
zischen Ursprung der griechischen Bezeichnungen fiir einzelne
Metalle, Pflanzen und Thiere oder für jene Dinge hinweist, die
auf Gewerbe und Handel, Münze, Mafs und Gewicht Bezug
Monatshefte der Comeniofr-Gesellschaft. 1893. 11
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152 Loserth, Heft 6 u. 7.
nehmen, oder wenn man deutsche Lehenwörter, wie z. B. Ziegel,
Mauer u. s. w. auf ihren lateinischen Ursprung zurückführt, so
weifs man zugleich, welcher Art diese Beeinflussung gewesen, und
findet sie begreiflich, denn diese Völker wohnten entweder als
Nachbarn nebeneinander oder kamen doch sonst miteinander in
mannig&chen Verkehr. Seltener sind die Einwirkungen von Völkern
aufeinander, die durch grofse Bäume voneinander getrennt sind
und zwischen denen es auch sonst wenig Berührungspunkte giebt
Ziemlich vereinzelt ist wohl der Fall, dafs Ideen und Rich-
tungen, die aus einem fremden, durch grofse Länderstrecken und
Meere getrennten Lande stammen, so mächtig und nachhaltig
auf ein Volk einwirken, dafs es in kürzester Zeit, man könnte
fast sagen, seine frühere Eigenart grofsenteils preisgiebt.
Das trifft beim Wiclifismus zu, der von bestimmten Personen
aus England nach Böhmen verpflanzt, hier als Husitismus er-
scheint und als solcher das böhmische Volk in eine von der
bisherigen durchaus verschiedene Richtung drängt.
Unter den Reichen der abendländischen Christenheit bot das
böhmische dem Oberhaupte der Kirche bis an die Wende des
XrV. Jahrhunderts geringen Grund zu Beschwerden. Ja die
Zeit Karls rV. wird geradezu die goldene Zeit der böhmischen
Kirche genannt. Hier gab es eine feste hierarchische Ordnung;
hier zählte man eine solche Menge kirchliche Körperschaften,
wie in keinem anderen Lande der Nachbarschaft Die Kirchen
und Klöster besafsen einen schier unermefslichen Reichtiun; denn
alle die Jahrhunderte hindurch hatte sich der fromme Sinn der
Filrsten und Herren des Landes an der Gründung neuer und
der Bereicherung älterer Klöster bethätigt. Hier hörte man wenig
von oppositionellen Strömungen, und wo sich eine solche kund-
gab, galt sie der verfallenden Elirchenzucht, nicht dem Bestände
der gesamten kirchlichen Ordnung.
Eine Wendung, jäh und unvermittelt, trat am Ende des
XIV. Jahrhunderts ein. Noch zum Jahre 1392 meldet das Zeit-
buch der Prager Hochschule: „Und dazumal wurde auch der
Magister Hus durch die Ablafspredigten betrogen. Er beichtete
auf dem Wischehrad und reichte dem Beichtvater die letzten
4 Groschen, so dafs ihm nichts als trockenes Brot zur Nahrung
blieb»).«
^) Für das folgende verweise ich auf mein Buch : Hus und Wiclif, und
namentlich auf die Einleitungen zu meinen Ausgaben von Widifs Buch
von der Kirche, den Predigten, De Eucharistia und Opus Evangelicum.
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1893. I^ie kirchliche Reformbewegimg in England etc. 153
Wenige Jahre später kamen die ersten reformatorischen
Schriften Wiclifs ins Land. Wie im Fluge eroberten die neuen
Ideen alle Gömüter und erzeugten jene tiefe Bewegung, die alles
mit fortrifs: Alt und jung, arm und reich, hoch und niedrig
schlofs sich an; politische und kirchliche, sociale und wissen-
schaftliche und nicht zuletzt auch nationale Beweggründe wirkten
zusammen. Der Name des englischen Magisters befand sich in
Aller Mund. Seine Lehren vernahm man in den Sälen der
Fürsten, in den Kollegien und von den Kathedern der Priester,
in den Schulen der Studenten, unter den Haufen des gemeinen
Volkes, ja selbst in den der Ruhe geweihten Räumen der Mönche.
Von seiner Gelehrsamkeit, seiner scharfen Dialektik wurden
Wunderdinge erzählt, vornehmlich aber von seinem Eifer für
das Gesetz Christi. „Mich zieht, sagt Hus, zu ihm der Ruf, den
er bei den guten Priestern hat" „Mich locken seine Schriften
an, durch die er die Menschen zu Christi Gesetz zurückzuführen
sucht, und besonders die Geistlichen, auf dafs sie irdischer Herr-
schaft entsagen und gleich den Aposteln nach dem Leben Christi
leben. Es zieht mich an seine Liebe zu dem Gesetze Christi,
und dafs er behauptet, dafs dieses avich nicht in dem geringsten
Punkte falsch sein könne."
Die Lehren des Engländers auszubreiten, dazu war nun Hus
der geeignete Mann. Von der beherrschenden Stellung, die er
in Böhmen einnahm, zeugt sein stolzer Ausspruch vor dem ver-
sammelten Konzil: „Frei bin ich hieher gekommen, und wenn
ich nicht hätte hieher kommen wollen , nicht jener König dort
(Wenzel) und auch nicht dieser da (Sigismund) hätte mich
zwingen können, denn gar zahlreich und mächtig sind die böh-
mischen Herren, die mich lieben. Auf ihren Schlössern hätte
ich mich leicht schützen mögen." Diese Liebe war freilich nicht
ganz uneigennützig; denn wenn die Enteignung der böhmischen
Kirche von ihrem gewaltigen Länderbesitze erfolgte, so mufste
er, wie es auch geschah, an die Herren des Landes fallen.
Husens Ideen in Bezug auf die Reformation der Kirche,
nahmen einen immer kühneren Flug: über den Boden seiner
engeren Heimat hinweg wollte er die ganze abendländische Kirche
in die Reform einbeziehen. Dafs diese aber keine andere war
und keine andere sein sollte als der reine und unverfälschte
Wiclifismus, das werden die folgenden Ausftihnmgen ergeben.
Als Hus im Herbste des Jahres 1414 nach Konstanz zog,
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154 Losertb, Heft 6 u. 7.
war sein Vorhaben nicht so sehr darauf gerichtet, sich selbst
bezüglich seiner Lehre vor den yersammelten Vätern zu recht-
fertigen, als vielmehr die ganze Versammlung für diese zu ge-
winnen. Zu dem Zwecke bereitete er drei Reden vor, die er
auf dem Konzil zu halten gedachte: die eine will die Mittel an-
geben, den Frieden zu gewinnen, dessen die christliche Welt so
notwendig bedurfte; die zweite giebt Rechenschafk über seinen
Glauben, und die dritte, die wichtigste von allen, behandelt die
Frage, ob das Gesetz Christi, d. h. die hl. Schrift, genüge, die
christliche Welt zu regieren. Indem er die Frage bejaht, betont
er mit Nachdruck, dafs es unmöglich sei, die Einheit in der
Kirche herzustellen, Reiche und Länder zu regieren, Völker zu
beglücken und einzelne Personen zu befriedigen, wenn dies nicht
durch das Gesetz Christi geschehe. Ihm darf nichts hinzugefügt,
nichts weggenommen werden; die sonstigen Gesetze dürfen nur
Geltung besitzen, wenn sie mit der hl. Schrift in Übereinstimmung
sind. Die Folge ist, dafs alles andere abgeschafft und ausgetilgt
werden müsse.
Auf diesem Grunde bauen die Taboriten weiter: das evan-
gelische Gesetz, lehren sie, ist an sich völlig genügend zur Re-
gierung der streitenden Kirche. Es bedarf nicht der Ceremonieen,
die aus dem alten Bunde stammen, nicht der Bräuche, die später
hinzukamen, die aufreizend sind, das Gesetz Christi mindern
und hindern und mehr Schaden anrichten als nützen. Was in
Gottes Gesetz nicht enthalten ist, muüs abgeschafft werden, so
der Prunk bei den gottesdienstlichen Handlungen u. dgl. Auf
der Versammlung zu Konopischt erklären die taboritischen
Priester: Wir sind nicht zusammengekommen, um wegen der
Bücher einzelner Doktoren zu streiten, sondern um die hl. Schrift
bezüglich der streitigen Punkte zu vergleichen, denn wir wissen,
dafs auch die Pseudopropheten ihre irrigen Lehren auf die Worte
der Apostel begründen: „Den hl. Doktoren aber glauben wir
nur insoweit, als ihre Lehre in der hl. Schrift begründet ist,
denn auch sie können betrogen werden und betrügen. Dem
göttlichen Gesetze beugen wir unseren Nacken, allen Menschen-
tand aber, der in der Schrift nicht begründet ist, wollen wir
abthun."
Woher hat Hus, woher haben die Taboriten diese Lehre ge-
nommen? An hundert und noch mehr Stellen sagt Wiclif : Gottes
Gesetz, d. i. die Bibel, reicht aus zur Regierung dieser Welt
Wäre irgend ein Mensch so weise wie Salomon, so hochbetagt
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1893. 1^16 kirchliche Refonnbewegimg in £ngland etc. 155
wie Methusalem^ er müfste erkennen, dafs auch nur ein kleiner
Teil des Evangeliums ausreicht, imi das, was er will, zu erlernen.
Besser als durch Traditionen, die menschlicher Fürwitz erdacht
hat, wird die christliche Welt durch Christi Gesetz regiert; die
anderen Gesetze haben nur insoweit Geltung, als sie mit Gottes
Gesetz übereinstimmen. In der Kirche soll es keine weltliche
Satzung geben. Die beste Regierung hier auf Erden war zur
Zeit der Apostel, denn sie und ihre Jünger kannten kein anderes
Gesetz als das Evangelium. Wenn man nichts anderes
von Gottes Gesetz besäfsQ, als allein die Berg-
predigt: sie könnte genügen, um ganz ohne
menschlichen Zusatz die Pilgrime auf Erden zu
lenken. Jede Wahrheit sowie jedes Irrtums Vernichtung ist
aus dem Evangelium zu entnehmen. Das soll jeden Gläubigen
aufinuntem, das Evangelium kennen zu lernen. Ohne die
Kenntnis des Evangeliums gleichen die Menschen den Tieren:
„Du magst nun ein päpstlicher Gesetzgeber, ein kaiserlicher, könig-
licher oder ein Landesgesetzgeber sein, wenn Dein Gesetz etwas
gelten soll, so mufs es da ausdrücklich gelehrt werden. ** Giebt's
eine gröfsere Gotteslästerung als zu sagen, Gottes Gesetz reiche
nicht aus zur Regierung der christlichen Welt? Es reicht voll-
ständig hin, da es alle und jede einzelne Wahrheit enthält, die
Gesetze des Papstes aber lenken von der Kenntnis des göttlichen
Gesetzes ab. Da gebe es Leute, wie die Bettelmönche, die
lehren, Gottes Gesetz sei falsch und zur Regierung der christ-
lichen Welt erst dann hinreichend, wenn es durch sie selbst und
ihre Leitung unterstützt wird. Diese Leute verachten Christi
Gesetz, das nun in England verbreitet wird — eine Anspielung
auf seine Bibelübersetzung ; dafür erheben sie die Satzungen des
Antichrists, die ja auch sonst viele Gönner haben. Das gnaden-
reiche Wort des Herrn, wie es in der Bibel enthalten ist, wird
verschmäht und menschliche Erdichtung an seine Stelle gesetzt
Christi Gesetz allein ist kurz, leicht zu fassen, nutzbringend, die
Söhne der Kirche nicht belastend; da braucht man keine dick-
leibigen Folianten, keine in der Weltlichkeit aufgehenden Diener,
nur solche, die Gottes Gesetz verstehen, prüfen und jedes andere
abweisen. Nur der Mensch, der die reine Absicht auf Christi
Gesetz hat und den Vorsatz, hierin bis ans Ende zu verharren,
darf hoffen, zur Seligkeit zu gelangen. Wenn jemand, und sei
es auch ein Engel vom Himmel, dem Gesetze Gottes Satzungen
hinzufügt, die im Evangelium weder explicite noch implicite ent-
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156 Loserth, Heft 6 u. 7.
halten sind, der müht sich ab um schlechte Gesetze. So ge-
nügen denn die vier Evangelien vollständig zur Leitung dieser
Kirche.
In diesem Sinne finden sich in allen Werken Wiclifs aus
dessen letzten Jahren zahlreiche kräftige Stellen; besonders häufig
kommt er in seinen Predigten auf den Satz zurück, dafs Christi
Gesetz völlig genügt zur Regierung dieser Welt und dafs die
menschlichen Satzungen nur dann einen Wert haben, wenn
sie auf der Schrift begründet sind. Das ist der Gedanke, der
in zahlreichen Abänderungen immer wiederkehrt und zu dessen
Erläuterung er noch im letzten Jahre seines Lebens selbst ein
„dickleibiges** Buch, das Opus Evangelicum, geschrieben hat.
Diese Lehren und dieses Buch waren es, aus dem Hus, und
mehr noch als dieser, die taboritischen Lehrer, geschöpft haben.
Aus diesem Buche hat Hus die Anregung zu seiner Rede: De
sufficiencia legis Christi ad regendam ecclesiam erhalten, und
wenn ihn die auf dem Konzil versammelten Väter hätten anhören
wollen, so würden sie Wiclifs Worte vernommen haben. Denn
jeder einzelne Hauptsatz in dieser Rede stimmt nicht nur sinn-
gemäfs, sondern auch wortgetreu mit Wiclifs Sätzen zusammen.
Die ganze Reform des taboritischen Gottesdienstes, bei dem
nun zunächst abgethan wurde, was aus „Gottes Gesetz" nicht
zu erweisen war, geht, wie man sieht, auf die Anregungen des
englischen Meisters zurück. Freilich muTsten schon die tabori-
tischen Vorstände erkennen , wie gefährlich es sei , wenn jeder
einzelne Priester das Evangelium als Richtschnur in der Hand
hält Wie viel aber warfen sie nun selbst zu Boden, was die
Jahrhunderte hindurch in ganz Böhmen mit besonderer Inbrunst
verehrt worden war. Denn was sagte die Bibel von dem „eitlen**
Prunk, der nun in der Kirche entfaltet wurde, von den grofs-
artigen Tempelbauten, die nicht zur Frömmigkeit einladen, son-
dern zerstreuen, die nicht die Demut, sondern die unerträgliche
Hoffart desEllerus beweisen? Sieht man nicht an dem Turmbau
zu Babel, dafs Gott diese Bauten verschmäht? oder wo haben
die Apostel zugelassen, dafs solche Bauwerke aufgeftlhrt werden,
die in der Schrift keine Begründung haben? Haben nicht, lehrt
Wiclif, die Märtyrer im Kerker gebetet? Hat sich nicht Johannes
der Täufer in der Einsamkeft der Wüste zu erbauen vermocht,
haben nicht die Väter des alten und neuen Bundes ihre Gebete
unter freiem Himmel verrichtet? Oder war etwa Christus, wenn
er die Nacht im Gebete verbrachte, in einem Tempel eingesperrt?
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1893. I^ie kirchliche Reformbewegung in England etc. 157
In allen diesen Dingen schufen die Taboriten, den Lehren ihres
englischen Meisters folgend, gründlichen Wandel. Nunmehr
wurde die Messe weder an diesen Prunkstätten, noch in den von
Gold strotzenden Gewändern und in den bisher üblichen Formen
gehalten. All das mufste fallen : „quod olim in primitiva ecclesia
sancti messando conficiebant communiter sine vestibus iam ad
hoc consuetis", weil die Apostel weder vom Introitus, noch vom
Kyrie eleison, von den Präfationen, Kollekten u. s. w. etwas
wufsten und sich einzig und allein mit dem Vaterunser begnügten.
Wozu braucht man diese Orden, lehrte Wiclif, als er in
seinen letzten Lebensjahren mit immer steigender Schärfe die
Bettelmönche bekämpfte, in' denen er nichts anderes als die ge-
fügigen Werkzeuge des römischen Absolutismus erblickte. Eine
jede Pflanzung, die nicht der himmlische Vater gepflanzt hat,
mufs ausgerottet werden. Solche Pflanzungen sind die Orden,
erdacht, die Einheit der Elirche zu zerstören. Die Mönche be-
lasten die Kirche, sie verhindern, dafs das Evangelium frei wie
in der alten Kirche gepredigt werde, sie haben ihren Ursprung
in arge Lügen verhüllt, sie ziehen ihre Sekten — so nennt
Wiclif stets die Orden — der allgemeinen evangelischen Lehre
vor. Statt in Armut zu leben, bauen sie prächtige Paläste.
Brecht den Verkehr mit ihnen ab, ruft er den Seinigen zu,
nehmt ihnen die Temporalien weg, vernichtet sie, denn sie sind
ein Hindernis der kirchlichen Einheit; und so lehrt Wiclif fast
in allen seinen zahlreichen Büchern und Flugschriften aus den
Jahren 1378 — 1384, erstens, dafs die Orden überflüssig seien,
zweitens dem Gesetze Christi widersprechen, drittens verderb-
lichen Lastern frönen, den einzelnen Mitmenschen, der Elirche
und dem Staate zur Last fallen und daher vernichtet werden
müssen ^) — alles Lehren, welche die Taboriten leider nur allzu
wörtlich befolgt haben. „Item, lautet einer ihrer Artikel, man
mufs die Klöster der Ketzer zerstören und ebenso die über-
flüssigen Kirchen und Altäre, die Bilder, die man offen oder
insgeheim aufbewahrt, die goldenen und silbernen Kelche, die
^) Über diese Punkte verbreitet sich ausführlicher mein Aufsatz : Der
Kirchen- und ELlostersturm der Husiten und sein Ursprung. Zeitschr. für
Gesch. u. Politik 1888, 4. Heft. Vgl dazu noch die Stelle Senn. IV, 4:
Nunqnam erit secura pax in ecclesia militante, antequam ist! fratres
apostate fundamentaliter heretici et blasphemi a sancta matre ecclesia sint
proscripti.
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158 Loserth, Heft 6 u. 7.
stolzen Ornate und diese ganze Brutstätte des Antichrist und
die Simonis tische Schlechtigkeit , die ja nicht von dem hinmi-
lischen Vater herrührt"
So fiel nun, was sich an Klosterstiftungen im Lande vor-
fand, der neuen Richtung zum Opfer. Alle die zahlreichen Orden
verschwanden: Johanniter, der deutsche Ritterorden, die Kreuz-
herren, Prämonstratenser, Augustiner, Benediktiner, Cistercienser,
Dominikaner, Minoriten, Karthäuser, Karmeliter, Cölestiner u. a.
Sie alle wurden ausgetilgt „Und alle Klöster, sagt eine gleich-
zeitige Quelle mit einiger Übertreibung, wurden zerstört, mit
Ausnahme von dreien, nämlich zwei Minoritenklöstern und dem
Augustinerkloster in Wittingau.
Der ganze reiche Besitz fiel in Laienhand, wie es der dritte
von den bekannten vier Prager Artikeln voraussetzt: Dem Klerus
mufs aller weltlicher Besitz, den er gegen Christi Befehl seinem
Amte zum Schaden und zum Nachteil des weltlichen Arms in
Händen hat, genonmien werden ; die Geistlichkeit muls zur evan-
gelischen Regel und jenem apostolischen Leben zurückgeführt
werden, das Christus und seine Apostel gewandelt"
Anregung zu dieser Lehre und deren Begründung haben die
Husiten gleichfalls den Schriften Wiclife entnommen. Es giebt
kaum eine Schrift aus seinen letzten Jahren, in der er nicht
mit allem Nachdruck für die Sekularisierung des gesamten
Kirchengutes eingetreten wäre. In den mannigfaltigsten Wen-
dungen spricht er von dem Verderben der Kirche seit den Tagen
der Konstantinischen Schenkung, von dem Gift, das der Kirche
damals eingeflöfst wurde. „Der Teufel hat den Kaiser Konstantin
verführt, dafs er die Kirche mit irdischen Gütern belastete."
Jetzt vergifst der Klerus, in weltliches Treiben versenkt, seine
Pflicht, als evangelische Lehrer zu wirken. Alles Übel in der
Kirche stammt von dieser „Verkaiserung", d. h. von der Be-
lastung mit irdischen Gütern her. Das mufe ein Ende haben.
Der gesamte Klerus darf kein Eigentum haben*), er mufe ein
armes Leben führen; der weltliche Besitz des Klerus ist ein
*) Omnis clericus debet vivere vitam pauperem et vel nihil possiderc
in proprio sicut Christus, vel si possideat, elemosinam capere de illis, et
paupere et parce ut egenus, et residuum prudeuter ministrare pauperibus.
ünde sub colore dotacionis introducta fuit carybdis diaboli, in qua sunt
multi derlei ad nimium dampnum ecclesie devorati. Senn. I, 315; II, 65, 298.
Pol. Works 95. 295. 703. 714. De Eucharistia 319. 10.
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1893. 1^*6 kirchliche Reformbeweguug in England etc. 159
Raub an den Armen, denn diesen^ nicht den Klerikern, gehören
die Gtiter der Kirche. Alles Gut, das in der toten Hand liegt, darf
zur Verteidigung des Reiches, wenn es notthut, verwendet
werden. Die Dotation der Kirche steht im Widerspruche zur
Lehre und dem Beispiel Christi und der Kirche in der ersten
Zeit ihres Bestehens. Würde der Klerus leben in evangelischer
Armut, wie zur Zeit der Apostel, so würden alle Streitigkeiten
unter den Völkern aufhören. Während Christus und die Apostel
ein armes Leben der weltlichen Herrschaft vorzogen, stolziert
unsere Geistlichkeit einher, hoch zu Rofs, mit reisigem Gefolge,
Königen gleich. Jede weltliche Gewalt, lehrt er an anderer
Stelle, ist ihr untersagt, denn sie ist das Gift, an dem sie zu
Grunde geht. Weder die Notwendigkeit, dafs der Kaiser seine
Elrone aus den Händen des Papstes empfange, noch dessen An-
spruch auf die Weltherrschaft ist in der hl. Schrift begründet.
Die weltliche Herrschaft der Päpste rührt nicht von Gott, son-
dern vom Kaiser her. In Bezug auf weltliche Dinge steht die
weltliche Macht über dem Klerus; die geistliche Gewalt hat
andere Grundlagen und verfolgt ganz verschiedene Zwecke.
Ich will hier, sagt Wiclif an einer Stelle, die Grenzen beider
Mächte nicht näher berühren, aber das sage ich kühn, dafs
weder das G^eschrei unseres Klerus noch die hl. Schrift uns be-
wegen zu glauben, dafs der Papst gröfser sei als der Kaiser, sei
es in irdischen, ja selbst in göttlichen Dingen. Die Civilgewalt
des Königs über den Klerus hat Wiclif in mehreren gelehrten
Schriften ausführlich dargelegt. Diese Gewalt des Königs ist
ein Ausflufs der königlichen Macht überhaupt. Der König wäre
nicht Herr von ganz England, wenn mehr als der vierte Teil
des Landes, welcher der toten Hand gehört, seiner Gewalt ent-
zogen würde. Dem Klerus sind die Privilegien und Temporalien
nur bedingungsweise gegeben; erfüllt er die Bedingungen nicht,
so verfallt er der Strafe, und diese besteht in der Einziehung
der Güter der toten Hand. Solcher Einziehungen kenne die
englische Geschichte gar viele: Wiclif erinnert an die Vorgänge
unter Wilhelm dem Eroberer, Eduard III., ja an die unter
Richard IL
Nicht die weltliche Herrschaft, sondern die Predigt des
Evangeliums ist die des Priesters würdige Aufgabe. Und wie
ernst es Wiclif mit dem Predigtamte nahm, zeigt das Institut
der armen Priester oder Wanderprediger, das er ins Leben rief,
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160 Loserth, Heft 6 u. 7.
wofern er nicht vielleicht, woran ich übrigens zweifle, an wal-
densische Übung anknüpft. Alle Segnungen und Weihungen des
Wachses und Brotes, der Palmen und Kerzen, der Stäbe und
Taschen sind kein notwendiger Bestandteil des Glaubens, wich-
tiger als alles das ist die Predigt. Die Pseudoprälaten aber
wissen, warum sie das Evangelium links liegen lassen, denn es
lehrt die Nachfolge Christi, die ihnen nicht zusagt. Diese Pflicht
erfüllten Wiclifs arme Prieper, ein Verein, dessen Mitglieder
keine Weihe und kein Gelübde band.
Barfufs, gekleidet in einen langen groben Tuchmantel von
dunkelroter Farbe, dem Zeichen harter Arbeit und der Armut,
einen langen Stab in der Hand, der ihren Hirtenberuf andeutete,
wanderten sie von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf und pre-
digten in Kirchen, Kapellen und Mefshäusem von der Herrlich-
keit des Gesetzes Gottes.
Aber nicht blofs Priester, auch Laien wurden 'zum Predigt-
amte berufen — und auch in dieser Beziehung waren die Tabo-
riten Wiclifs gelehrige Schüler: wir hören von üngelehrten,
selbst Frauen, die sich bei den Taboriten das Predigtamt an-
mafsten und Priester ausweihten. . Lehrte doch ihr Meister, dafs
zu einem Dienst in der Kirche die göttliche Berufung und Voll-
macht vollkommen ausreichend sei. Es gebe eine Einsetzung
durch Gott selbst, auch wenn der Bischof dem Prediger die
Handaüflegung nicht erteilt hat.
Damit kommen wir zu dem Satze, dafs Wiclif sowohl als
seine böhmischen Schüler von der gesamten bestehenden Hierr
archie nichts wissen wollen. Wie sagt doch Wiclif an einer
bezeichnenden Stelle: „Vom Papste und den Kardinälen, von
den Mönchen, den begüterten sowohl als den Bettelbrüdem,
erinnere ich mich nicht, gelesen zu haben, dafs die hl. Schrift
ihrer gedenkt."
Die hierarchische Gliederung der bestehenden Kirche verwirft
Wiclif grundsätzlich. Der Primat ist ihm begründet auf einem
frivolen Irrtum des Antichrist; so nennt er den Papst. Man
mufs, lehrt er, diesen Irrtum aufgeben und sich an die Schrift
halten. Den bekannten Satz von der Schltlsselgewalt des Papstes
nennt er einen locus a sinjiali similitudine ; mit dem römischen
Bischof habe das nichts zu thun. Er spottet über die Wahl
eines solchen Oberhauptes durch die Kardinäle. Woher haben
denn diese ihre Berechtigung? Als sich Judas erhängt hatte
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1893. 1^6 kirchliche Keformbewegung in England etc. 161
und die Apostel einen Nachfolger wählten , geschah das nach
eifrigem Gebete durch das Los^ das über die zwei Würdigsten
geworfen wurde. Alle Priester sind vollständig gleich. Eine
Über- und Unterordnung giebt es nach Gottes Gesetz nur in der
Laienwelt Nicht so in der Elirche. Alle Apostel, Priester und
Presbyter sind Genossen und dtlrfen nicht um höheres Ansehen
oder höheren Vorrang streiten. Der Primat rührt vom Kaiser
Konstantin her; der Christ mu(s sich an das Gesetz Christi
halten, das er im Briefe an die Galater im 2. Kapitel ausgedrückt
findet. Es soll in der Kirche nur Priester und Diakonen geben.
Einstens wurden in der Kirche alle Priester Bischöfe genannt.
Priester und Diakone haben die besondere Erlaubnis von Gott,
das Evangelium zu predigen.
Ja, wie verhielt sich nun zu diesen Lehren die Kirche?
Die Kirche, Was ist denn die Kirche? Wenn die Leute heut-
zutage, sagt Wiclif, von der Kirche reden, so verstehen sie imter
ihr Prälaten und Priester, besitzende Mönche, Stifbsherren und
Bettelbrüder und alle, die eine Tonsur tragen, mag auch ihr
Wandel noch so ruchlos sein und dem Worte des Herrn zuwider-
laufen. Dagegen nennt man die weltlichen Leute nicht Männer
der Elirche, mögen sie auch noch so treu nach Gottes Gesetz
leben und in vollkommener Nächstenliebe sterben. Aber nichts-
destoweniger sind doch alle die, so einstens im Himmel selig
sein werden, Glieder der hl. Kirche und sonst niemand mehr*).
In diesen und ähnlichen Worten wendet er sich in verschiedenen
Schriften gegen die landläufige Vorstellung, als ob man unter
der Kirche nur die sichtbare katholische Kirche zu verstehen
habe, d. h. die hierarchisch gegliederte Gemeinschaft; derselben,
oder als ob Kirche und Geistlichkeit gleichbedeutend wären, also
nur die Mitglieder der Geistlichkeit der Kirche angehören würden,
die Laien aber von ihr ausgeschlossen wären. Diese falsche
Auffassung, lehrt Wiclif, haben auch Männer, die innerhalb der
Kirche einen hohen Rang einnehmen, und doch liege es zu Tage,
dafs so viele Irrtümer, in welche die Christen verfallen, lediglich
eine Folge dieser Auffassung seien. Und gerade in diesen Tagen,
ftlhrt er fort, ist es notwendig zu sagen, was denn eigentlich die
') Aus meiner Einleitung zu Wiclifs Buch De Ecclesia. Dentsch im
24. Bande der Mitteilungen d. Vereins für Gesch. der Deutschen in Böhmen.
4. Heft.
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162 Loserth, Heft 6 u. 7.
Kirche sei, und ein richtigeres Verständnis von dem, was die
Kirche ist, anzubahnen, das Volk im Glauben an die Kirche zu
unterweisen und alle wider sie erhobenen Angriffe abzuwehren.
Um diese Ausführungen zu würdigen, mufs man sich erinnern,
dafs Wiclif sich in den Jahren 1377 und 1878 den empfindlichsten
Angriffen der gesamten Hierarchie — damals sagte man also:
der Kirche — ausgesetzt sah. Die Hierarchie ist aber nicht die
Kirche. Und den Unterschied zwischen dem , was Kirche ist,
und was die grofse Menge unter Kirche versteht, darzulegen,
ist der Zweck seiner Darstellung im Buch von der Kirche, jenem
berühmten Werke, das die längste Zeit hindurch nur durch das
matte Plagiat des Magisters Johannes Hus bekannt war, und für
dessen Inhalt dieser vornehmlich den Feuertod erlitten hat.
Nur wenige Punkte aus dieser Schrift mögen hier angeführt
werden, und nur, um zu zeigen, wie ihr Inhalt in Böhmen in
die Wirklichkeit umgesetzt wurde. Die Kirche, so beginnt
Wiclif, ist die Gesamtheit aller jener, die von Ewigkeit her zur
Seligkeit bestinmit (prädestiniert) sind. Sie enthält drei Teile:
Die triumphierende, schlafende und streitende Kirche, die Seligen
im Himmel, die Seelen im Fegefeuer und die im Kampfe mit
der Welt begriffenen Christen.
Kein von Ewigkeit her Verworfener (prescitus) hat Teil an
dieser Kirche. Es ist nicht dasselbe: „von der Kirche sein*
und „in der Kirche sein": Nicht jeder, der in der Kirche ist,
ist auch von der Kirche, sondern umgekehrt; denn wie im
menschlichen Körper manches ist, Auswurf und Ähnliches, was
kein Bestandteil des Körpers ist, so können auch in der Kirche
Verworfene sein, die dereinst vom Leibe der Kirche entfernt
werden müssen.
Kein Ort imd keine menschliche Wahl macht jemanden zum
Gliede der hl. allgemeinen Eärche, sondern allein die göttliche
Prädestination.
Es giebt nicht mehrere, sondern nur eine einzige allgemeine
(katholische) Kirche und aufser dieser kein Heil. Haupt der
Kirche ist Jesus Christus.
Kein Papst darf behaupten, dafs er das Haupt der Kirche
sei; denn er weife nicht einmal, ob er prädestiniert, also über-
haupt auch nur Mitglied der Kirche sei. Wäre irgend ein Christ
mit Christus Haupt der Kirche, so wäre diesiB ein Monstrum,
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1893. I^ie kirchliche Reformbewegung in England etc. 163
da sie zwei Häupter besäJBe. Daher haben die Apostel in ein-
mütiger Weise sich nur Diener dieses Hauptes und der Kirche
genannt, und nie hat einer von ihnen die Behauptung gewagt,
dafs er das Haupt oder der Verlobte der Kirche sei. Kein
Christ kann, sei es durch eine Wahl oder irgend eine Satzung
bestimmen, dafs der Papst das Haupt oder auch nur ein Mitglied
der Kirche sei, denn die Mitgliedschaft beruht auf der Prä-
destination und Gnade Gottes. In diesem Tone und auf Grund-
lage dieser Vorb^riffe geht es weiter.
Kein zweites Buch seines englischen Lehrmeisters — vielleicht
die Predigten ausgenommen, hat Hus in dem Mafse angezogen,
als das Buch von der Kirche. Welchen überwältigenden Eindruck
es auf ihn gemacht, sieht man daraus, da£s er in der gleichen
Absicht wie Wiclif ein Buch „von der Kirche" geschrieben, das
genau wie das seines Lehrers 23 Kapitel enthält und fast Wort
für Wort diesem entlehnt ist. Mit Ausnahme weniger polemi-
scher Stellen gegen seine böhmischen Widersacher ist alles das
geistige Eigentum des Engländers.
Dieses Buch ist das Hauptlehrbuch der husitisch-taboritischen
Parteien geworden. An dem Wiclifschen Begriff von der Eärche
zerschellten die Versuche, die der König Wenzel zu Anfang des
Jahres 1413 machte, um den kirchlichen Frieden wieder-
herzustellen. In dem Buch von der Klirche fanden sich jene
Grundsätze, die, wenn sie durchgeführt wurden, der bisherigen
Stellung des Klerus im Lande ein Ende bereiten mufsten. Dafs
dieses Ende ein Ende mit Schrecken war, dafür haben die hef-
tigen Angriffe Wiclifs auf die Bettelmönche gesorgt, die sich in
seinen Predigten fanden. Diese Predigten Wiclifs aber wurden
nach dem Feuertode des Hus als dessen eigene Lehren im Volke
verbreitet.
Indem man diese Lehren Wiclifs in Böhmen in die Wirk-
lichkeit übersetzte, zerfiel die kirchliche Ordnung, wie sie bisher
bestanden. Die Welt erschrak vor der Wucht, mit der die
vernichtenden Schläge auf das bisherige Regiment gefuhrt wurden,
und der Wut, mit der man selbst an das ehrwürdigste Dogma
der Kirche griff — an die Abendmahlslehre.
Gegen diese Lehre, nach welcher kraft der Weihe Brot und
Wein in den Leib und das Blut Christi derart verwandelt werden,
dafs nur noch die sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften von
Brot und Wein — die Accidenzien ohne Subjekt — zurück-
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164 Loserth, Heft 6 u. 7.
bleiben, trat Wiclif in einen mit den Jahren sich immer mehr
zuspitzenden Widerspruch. Brot und Wein, lehrt er, seien nach
wie vor den Segensworten des Priesters vorhanden. Woher
stammt der Widerspruch Wiclifs, was bezweckt er mit ihm,
und wie wurde seine Lehre in Böhmen aufgenommen?
Mit dem Kampf gegen die herrschende Lehre meinte Wiclif
die Stellung der Hierarchie seiner Zeit in ihren Grundfesten zu
erschüttern. Er will der „heidnischen** Meinung entgegentreten,
als sei jeder Priester imstande, den Leib Christi zu „machen**,
eine Meinung, die damals allgemein geteilt und von den Priestern,
wie Wiclif sagt, in gewinnsüchtiger Weise verwertet wurde.
Der Gedanke, dafs ein Priester Gott „machen** (conficere) könne,
erscheint ihm als ein schauerlicher; denn hierdurch wird erstens
dem Priester eine überschwengliche Vollmacht zuerkannt, als
sei er imstande, er, ein Geschöpf, seinem Schöpfer, ein sündiger
Mensch der Gottheit das Dasein zu geben; zweitens werde Gott
hierdurch erniedrigt, wenn man sage, er, der Ewige, könne Tag
für Tag neu geschaffen werden. Man bete, klagt er, die Hostie
an, statt des Schöpfers die Kreatur; das sei schlimmer als selbst
der Fetischdienst der Heiden. Nachdem er einmal mit der
kirchlichen Lehre von der Wandlung gebrochen, behandelte er
diesen Gegenstand mit nie ermüdendem Eifer in wissenschaft-
lichen und populären Werken, am gründlichsten in seinem Buch
vom Abendmahl, das auch in Böhmen zu grofsem Ansehen ge-
langte. Man gestatte mir einige Worte aus dieser Abhandlung
anzuführen: Bei diesem Sakramente, lehrt er, sind drei Dinge
zu scheiden, 1. das blofse Sakrament, d. i. die geweihte Hostie,
2. das Sakrament und dessen Inhalt, d. i. der Leib und das Blut
des Herrn, und 3. die Sache des Sakraments und nicht das
Sakrament, d. i. die Einigung Christi mit seinem mystischen
Körper, der Kirche. Erst wer diese Vorbegriffe kennt, wird die
Behauptungen jener Leute würdigen, die da sagen, ein Hund
oder eine Maus könne unsem Herrgott verzehren, weil sie die
Hostie fressen, d. h. Christi Leib, also Gott Wir antworten,
sagt Wiclif, diesen Leuten, dafs solche Tiere nur die geweihte
Hostie fressen, das. Sakrament, nicht den Leib Christi. Denn
so wie der Löwe, wenn er des Mensehen Leib verzehrt, nicht
auch dessen Seele verspeist, wiewohl sie in jedem Teil seines
Körpers ist, so hat man es auch vom Leib des Herrn im Sa-
krament des Altars zu verstehen; denn dieser ist auch — aber
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J893. I^i® kirchliche ReformbeweguDg in England etc. 165
in sakramentaler, spiritualer und virtueller Weise in jedem Punkte
4er Hostie vorhanden. So brechen wir also die Hostie, nicht
den Leib des Herrn, so wie wir den Sonnenstrahl nicht brechen,
wenn wir ein Krystallgeftlfs zerschlagen. Das Sakrament wird
gebrochen, nicht der Leib des Herrn. Wie es ein doppeltes
Sehen giebt, ein körperliches und ein geistiges, so giebt es auch
ein doppeltes Essen. So sehen wir im Sakrament nicht mit
leiblichen Augen den Leib des Herrn, sondern im Glauben —
durch einen Spiegel — im Gleichnisse. Und so wie ein Bild
vollständig in jedem Punkte des Spiegels ist, so ist es auch mit
dem Leib des Herrn in der geweihten Hostie: Wir berühren
und fassen ihn nicht, wir nehmen ihn nicht körperlich, sondern
geistig, aber vollständig unversehrt zu uns. In diesem Sinne
geht es weiter. Freilich, lehrt Wiclif, sagt man, das priester-
liche Ansehen werde leiden, wenn der Priester nicht mehr die
Befugnis hätte, den Leib Christi zu „machen". Wer würde
dann noch eine Messe hören, wer die Mefsstecher um teures Geld
mieten oder gar das Sakrament nach dem Brauche der Kirche
nehmen wollen? Aber giebt es wohl etwas Schrecklicheres, als
dafs jeder Priester bei der Messe den Leib des Herrn macht:
Unser Gott ist ja kein neuer Gott, sein Leib nicht neuerlich zu
machen. Was wir Priester machen, das ist nur die Weihung der
Hostie, die aber nicht der Leib des Herrn, sondern dessen wirk-
sames Zeichen ist.
Dieser Lehre war. auch Hus, wie wir aus mehrfachen Zeugnissen
wissen, lange Zeit zugethan, aber er schreckte doch davor zurück,
sie vor dem Konzil zu bekennen. Dort hat er sie preisgegeben,
und ihm folgte die gemäfsigte Partei der Husiten. Nicht so die
Taboriten. Das sind nun die wahren ScTiüler des englischen
Reformators; wie an allen anderen Lehren: von der Gemeinschäd-
lichkeit der geistlichen Orden und der Notwendigkeit ihrer Ver-
nichtung, dem Prinzip, dafs alles zu verwerfen sei, was in der
Schrift keine Begründung findet, an der Lehre vom Priestertum und
der Hierarchie, von der Bilderverehrung, vom Zehent, der an
die Geistlichkeit zu zahlen ist, vom Reichtum der Kirche, der
Verwerfung des Mefsopfers, so haben sie namentlich an der
Wiclifschen Abendmahlslehre festgehalten, und gerade in dieser
liegt der Grund, der die Taboriten von den Calixtinem schied,
denn nicht um etwas rein Äufserliches , wie um den Kelch, ist
es jenen zu thun.
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166 Loserth, Die kirchliche Refonnbewegung etc. Heft 6 U. 7.
Doch wir halten ein, so verlockend es auch ist, noch auf
weitere Punkte, namentlich auf die sociale Seite der Lehre Wiclifs
und ihre Aufnahme in Böhmen näher einzugehen. Nur auf
ein Moment möchte ich noch hinweisen, und nur um zu zeigen,
wie abhängig der Husitismus selbst in äufserlichen Dingen von
Wiclifs Lehren ist. Man weifs, welchen Eindruck es weit über
die Grenzen Böhmens hinaus machte, als 1412 während des
Ablafsstreites in Prag ein Volkshaufe, geführt von Wok von
Waldstein, demselben, den wir jüngst als einen Freund des be-
rühmten Wiclifiten Lord Cobham erwiesen haben, die päpstlichen
Bullen verbrannte, ein Beispiel, das später kein Geringerer als
Luther nachgeahmt hat. Nun — auch die Anregung zu der
Verbrennung der päpstlichen Bullen fanden die Freunde des
Hus in Wiclifschen Schriften. In seinem Opus Evangelicum
lesen wir im zweiten Buche (Kap. 37): Was aber immer dieser
Antichrist, d. i. der Papst, reden mag: Nur die evangelischen
Werke führen zur Seligkeit, diese nackten Bullen aber mit den
kalten Bildern von St. Peter und Paul höchstens zur Hölle, und
so kommt es, dafs gläubige Menschen, wenn sie sehen, dafs das
Leben solcher Leute, die der Papst als Geldein treiber in die
Welt schickt, dem Leben Christi widerspricht, diese Bullen
dem Feuertod preisgeben. Mag dann immer die Strafformel in
den Bullen lauten: NuUi hominum liceat paginam istam infringere,
solche Verbrenner der Bullen lachen darüber.
Wer nun etwa die Lage der Dinge in Böhmen beim Tode
Sigismunds mit jener beim Tode seines Vaters verglich, welch
ergreifenden Unterschied nahm er wahr. Wo war nun die einst
so mächtige Hierarchie, wo waren die stattlichen, in den Himmel
ragenden Klöster, wo der unermefsliche Reichtum des Klerus?
In Wahrheit war hier alles von unten nach oben gekehrt, so
dafs ein Mann wie Enea Silvio in lebhafte Klagen ausbricht
Und zu alledem hatte der kurze Zeitraum von kaum einem
Menschenalter genügt. Ob freilich dies Ergebnis im Sinne des
Meisters gewesen, dessen Lehren hier aus der Welt der Gedanken
in die Wirklichkeit umgesetzt wurden? Wir möchten es billig
bezweifeln. Sahen sich doch schon Wiclifs Enkel, die böh-
mischen Brüder, genötigt, den radikalen Standpunkt der
Taboriten in einzelnen Punkten aufzugeben.
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Zwei Bilderbücher für den Unterricht
vor dem Orbis pictus.
Von
Albert Bichter.
In dem Artikel „Bilderbuch" in Schmids Encyklopädie des
ges. Erz.- und Unterrichtswesens I*, S. 696, schreibt Strebel:
„Der erste, der die Bilder eigentlich in die Schule einführte und
für deren Zweck benutzte, war Arnos Comenius." Dieser Hin-
weis auf den Orbis pictus beruht aber, wie der Verfasser des
Artikels eigentlich hätte wissen mttssen, auf ganz falschen Voraus-
setzungen ^).
Wir wollen gar nicht reden von den Schulen des Altertums,
in denen z. B. Relief tafeln in Gebrauch waren, die bei der Lek-
türe Homers zur Veranschaulichung gebraucht wurden (vgl. die
Tabula Biaca in Seemanns Kulturhistorischem Bilderatlas, I. Abt.
Altertum, hsgb. von Dr. Theod. Schreiber). EHir das deutsche
Mittelalter wäre zu erinnern an die vielverbreitete Biblia pauperum,
die ebenso in Schulen wie in Familien gebraucht wurde, wenn
man Kindern die biblischen Geschichten erzählte. Aus dem
Mittelalter wird auch berichtet von einzelnen Bildern auf Papier,
die „dutzendweise, in rohen Umrissen und vermittelst der Patronen
*) Übrigens beruft sich Comenius (0. D. 11. 79) selbst auf Eilhard
Lubinus (f 1621), der, um das Lateinsprechen zu fördern, den Rat erteilt
habe, ein Buch herzustellen, in welchem die Bilder aller Dinge abgemalt
seien, mit ebensoviel hinzugefügten Sätzen, bis alle Wörter und Sätze der
ganzen Sprache erschöpft seien.
Moutehefte der Comenini-Gesellschaft. 1393. 12
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168 Richter, Heft 6 u. 7.
mit Farben überstrichen, verfertigt wurden", selbst den Ärmsten
zugänglich waren, an die Wände oder Thüren geklebt oder in
Bücher gelegt wurden. Der Schulmeister Joh. Buchstab in Winter-
thur schreibt in seiner Schrift „Von bekleidung der priester"
(1527. BL D*): „Die bilder werden gemacht zu einer under-
weisimg der ungeschickten menschen, so die geschrifften nit lesen
können, den selbigen menschen werden die bilder für die büecher
angezögt und fürgemacht, defs ich selbst kundschaft gibe, mich
von meiner ungelernten mutter die xij stück des Christenlichen
glaubens mit sampt den x hotten Gottes ufs zweien gemalten
briefen (an der wand kleben t) gelernt haben." Sotzmanns Auf-
satz „Gutenberg und seine Mitbewerber" in Raumers historischem
Taschenbuche (Jahrg. 1841) bietet dazu weiteres Material.
Mit Bildern waren zahlreiche Bücher des Mittelalters, die
der religiösen Unterweisung dienten, ausgestattet, z. B. eine Aus-
gabe von „der Sele Trost" vom Jahre 1478. Weitere Beispiele*
bietet: „Geffcken, der Bilderkatechismus des 15. Jahrhunderts"
S. 49 — 52. Auch Bücher aus anderen Wissensgebieten weisen
schon im Mittelalter Bilder auf, so ein im 15. Jahrhundert aufser-
ordentlich oft aufgelegtes Geschichtswerk: Fasciculus temporum
von Werner Rolevinck ( — merkwürdig ist, dafs die Porträts,
Belagerungsbilder etc. dieses Buches immer nach etlichen Bogen
wiederkehren, so dafs der gleiche Holzschnitt neben verschiedenen
Lebensbeschreibungen, Belagerungen etc. steht — ), so ferner die
verbreitetste deutsche Naturgeschichte des Mittelalters, das „Buch
der Natur" von Konrad von Megenberg.
Auch dem Leseunterrichte wurden schon im Mittelalter Bilder
dienstbar gemacht Johannes Müller beschreibt in seinen „Quellen-
schriften zur Geschichte des deutschsprachlichen Unterrichts"
(S. 329) eine von dem deutschen Schulmeister Christoph Huber
aus Landshut in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ge-
schriebene Handschrift der Münchener Hof- und Staatsbibliothek,
in der sich neben einem „Modus legendi", der zur Übung im
Lesen der mannigfachsten Zusammensetzungen von Vokalen und
Konsonanten bestimmt ist, auch kleine Bilder mit darüber ge-
schriebenen Buchstaben finden, bestimmt zur besseren Einprägung
der Laute. Mit dem Alphabet im Orbis pictus verglichen, ent-
sprechen diese Huberschen Bilder den Bildern in heutigen Bilder-
fibeln mehr als die Bilder bei Comenius. Während im Orbis
pictus ein Gegenstand dargestellt wird, der den betreflFenden Laut
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1898. Zwei Bilderbücher für den Unterricht etc. 169
hervorbringt (-— die Elrähe krächzet a, die Maus pfipffert i — ),
beginnt bei Huber der Name des Gegenstandes mit dem be-
treffenden Laute ( — das a steht über einem Eichenzweige mit
zwei Eicheln, bayrisch „achehi**, das i über einem Igel, das d
über einem Tintenfafs etc. — ).
Über den Wert von Bildern zur besseren Einprägung bibli-
scher Geschichten spricht sich auch Luther aus. 1522 hatte er
veröffentlicht: „Eyn bettbuchlin. Der czehen gepot Des glaw-
bens. Des vater vnsers. Des Aue Marien. Etliche verdeutschte
Psalmen. Die Epistell sanct Pauls tzu Tito, eyn Christlich leben
tzu vnterrichten." Das Büchlein ist in zahlreichen Auflagen er-
schienen; der von 1529 fügte Luther einen Kalender, ein Passional
Christi und 52 Holzschnitte hinzu. Über die Bestimmung der
letzteren aber spricht er in der Vorrede der Ausgabe von 1545:
„Ich habs für gut angesehen, das alte Passionalbüchlein zu dem
Betbüchlein zu thun, allermeist umb der Kinder und Ein<igen
willen, welche durch Bildnifs und Gleichnifs besser bewegt werden,
die göttlichen Geschieht zu behalten, denn durch blofse Wort
oder Lehr . . . Und was sollts schaden, ob jemand alle fümehm-
liche Geschichte der ganzen biblia liefs nach einander malen in
ein Büchlein, dafs solch Büchlein ein Lainbibel wäre und hiefse.^
Man möchte glauben, die Herausgeber der beiden Bücher,
von denen hier die Rede sein soll, hätten sich geradezu nach
Luthers hier angeführten Worten gerichtet, denn es handelt sich
in der That um zwei Büchlein, die den Namen Laienbibel ver-
dienen.
Der von Herzog Ernst dem Frommen 1(584 als Schulrat nach
Weimar berufene Sigismund Evenius (1613 Rektor in Halle,
1622 in Magdeburg, rettet sich bei der Eroberung Magdeburgs
1681 mit Mühe nach Esthland, wird Rektor des von Gustav
Adolf gestifteten Gymnasiums zu Riga, 1638 Rektor in Regens-
burg), ein Ratichianer, entwarf den Plan zu dem eben so grofs-
artig ausgeführten wie angelegten Weimarischen Bibelwerke und
machte Verbesserungsvorschläge für den Religions-, insbesondere
den Katechismusunterricht. Für letzteren schrieb er die 1636
in Erfurt erschienene „Christlich-gottselige Katechismusschule, d. i.
einfkltliche, verständliche Erklärung des heiligen Katechismi
Dr. Lutheri**.
Neben der grofsen, für die Erwachsenen bestimmten Bilder-
bibel, die bei Endter in Nürnberg erschien, plante aber Evenius
12*
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170 Richter, Heft 6 u. 7.
auch ein biblisches Bilderbtichiein für die Jugend. Ener vom
Herzog im Juni 1634 nach Jena berufenen Konferenz legte Evenius
seine Ideen vor, wie der Jugend und insbesondere schon den
kleinen Kindern, die noch nicht lesen konnten, das religiöse
Wissensgebiet durch Bilder veranschaulicht und dadurch um so
schneller und um so sicherer eingeprägt werden sollte. Die
Jenenser Theologen waren der Meinung, dafs eine solche Idee
„nicht zu improbieren" sei. Gleichwohl ist der Plan des Evenius
unter lebhafter Anteilnahme des Herzogs verwirklicht worden in
einem Büchlein, das 1636 zu Jena erschien unter dem Titel:
„Christliche Gottselige Bilderschule, das ist, Anführung der
Ersten Jugend zur Gottseligkeit in und durch Biblische Bilder,
aus und nach den Historien, Sprüchen der Schrift, Einstimmung
des Catechismi und nützlichen Gebrauch erklärt, forderst zu
Gottes Ehren und dann zu der christlichen Jugend frühzeitiger
Erbauung in der Gottesfurcht: Nach Ordnung und Weise, wie
es bisher in öffentlicher Übung der zarten Jugend gut, heilsam
und nützlich befunden. Auf Gutachten fllmehmer Theologen,
allen Christlichen Schulen und häuslichen Unterweisungen zum
Besten im Druck ausgefertigt. Jena im Jahr 1636."
Noch im Jahre des Erscheinens dieses Büchleins fanden zu
Weimar unter Beteiligung Herzog Ernsts weitere Verhandlungen
über die Gestaltimg des Religionsunterrichtes statt. Wie Johannes
Müller („Herzog Ernsts Special- und sonderbahrer Bericht",
Sammlung selten gewordener pädagogischer Schriften, X, 125)
nachweist, wünschte der Herzog damals Einrichtungen, die als
Vorläufer der heutigen Kindergärten und Kleinkinderschulen be-
zeichnet werden könnten, und in ihnen sollte der Verwilderung
der Jugend vorgebeugt werden durch einen schon im dritten oder
vierten Lebensjahre beginnenden Unterricht unter Zugrundelegung
der „Bilderschule". Durch „anmutige Bilder" sollte „den Kindern
gleichsam unwissend die Wissenschaft in etwas beigebracht werden",
Sprüche von der Sünde, dem Verdienste Christi, das Vaterunser
u. s. w, sollten gelehrt werden.
Zur Verwirklichung dieses Planes ist es nicht gekommen;
wohl aber wird berichtet, dafs bei einer Prüfung, die der Herzog
am 9. August 1645 mit seinen eigenen Kindern, dem vierjährigen
Prinzen Johann Ernst und der fünfjährigen Prinzessin Elisabeth
Dorothea, vornehmen liefs, beide Eander „wegen des einen oder
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1893. Zwei Bilderbücher für den Unterricht etc. 171
anderen Bildes aus der Bilderschale gute Rechenschaft und Be-
richt geben" konnten. (Gelbke, Herzog Ernst I., Bd. DI, 81.)
Ausführlicheres über diesen an Bilder angeschlossenen Unter-
richt teilt Dr. W. Boehne „Die pädagogischen Bestrebungen
Ernst des Frommen" (S. 295 f.) mit. Es heifst da: „Der damalige
alumnus gymnasii Joachim Meyer, der auch später noch vielfach
als Lehrer der fürstlichen Kinder verwendet wurde, mufste den
Prinzen Johann Ernst und die Prinzessin Elisabeth vormittags
von 10 — ^/all Uhr unterrichten. Hierzu waren drei Hauptthemata
nebst entsprechenden Bildern gegeben, nämlich „1. von des Men-
schen Verderbung, 2. von seiner Erlösung, 8. von den Mitteln
dazu**. Die Bilder wurden den Kleinen vorgelegt und ihnen
durch wiederholtes Vorsagen einige passende Sprüche eingelernt
Dann erst wurden die Bilder eingehend erklärt nach Angabe der
(genau wie im Orbis pictus) beigedruckten Zahlen. Dadurch
sollte der „Verstand** der Bilder erzielt werden. An jedem Sonn-
abend aber waren solche Bilder vorzunehmen, welche sich auf
das Evangelium des nächsten Sonntags bezogen. Dadurch hoffte
man die Kleinen besser auf den Gottesdienst vorzubereiten, dem
sie von frühester Kindheit an regelmäfsig beiwohnen mufsten.
Doch blieb dieser erste Anschauungsunterricht keineswegs auf
das religiöse Gebiet beschränkt. Vielmehr hatte man auch welt-
liche Bilder, namentlich aus der Geschichte und Naturkunde, zu
denen den EÜndem „feine, nützliche imd kurze Historien ein-
feltig, kürzlich und deutlich** vorerzählt wurden. Bisweilen sollten
sie sich allein mit denselben. beschäftigen und darüber von dem
Lehrer nachmals examiniert werden . . . Übrigens bediente man
sich dabei nicht nur gemalter, sondern auch geschnitzter Bilder
imd selbst natürlicher Gegenstände.**
Es mufs auffallen, dafs hier, wenn von Erklärung der „Bilder-
schule** die Rede ist, die biblischen Geschichten nicht erwähnt
werden, deren Erwähnung man doch vor allem erwartet. (Ein
Exemplar der Bilderschule ist uns nicht zugänglich.) Vielleicht,
dafs gerade deshalb ein mit den Gothaischen Reformbestrebungen
auf dem Gebiete des Religionsunterrichtes genau vertrauter Mann
ein anderes Bilderwerk schuf, das vorzugsweise der biblischen
Geschichte diente und das von ihm ganz ausdrücklich als Vor-
stufe für das in der Vorrede seines Büchleins warm empfohlene
«Weimarische Bilderbüchlein** bezeichnet wird.
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172 Richter, Heft 6 u. 7.
Der Verfasser des in Rede stehenden Bücheichens ist Johann
S a u b e r t , Pfarrer zu St. Sebald in Nürnberg, der von Herzog Ernst
dem Frommen mit der Revision des Druckes der bei Endter in
Nürnberg hergestellten Weimarischen Bilderbibel betraut war»
Johann Saubert war geboren 26. Februar 1592 zu Altorf, studierte
daselbst Theologie, ward 1610 Magister, studierte dann in Tübingen,
Giefsen und Jena, ward 1617 Katechet und Inspektor zu Altorf,
1618 Diakonus und Professor der Theologie am Gymnasium da-
selbst, 1622 Diakonus zu Nürnberg an der St Ägidienkirche
und Pastor an der Marienkirche, 1637 Pastor zu St. Sebald, und
starb am 2. November 1646.
Saubert ist Verfasser einer Anzahl von Erbauungsschriften,
unter denen besonders gerühmt werden die „Schola Crucis,
Christliche Kreuzesschule, gesprächsweise gestellt . . . Nürnberg
1619** und „Currus Simeonis, der Wagen Simeonis sampt einem
Geistlichen apparat und vorrath, Nürnberg o. J.** (Widmung von
1627). Im geistlichen Apparat und Vorrat sind Lieder, Gebete,
Aussprüche der Kirchenväter u« a. m. bunt durcheinander ge-
worfen. Femer werden noch von Saubert genannt: „Icones pre-
cantium, Nürnberg 1629, 1638.** „Geburtsschule, Nürnberg 1630**
und „Cjclopädia christiana, wie man sich aus den sechs Haupt-
stücken des Katechismus wider die Anfechtung verwahren könne,
Nürnberg 1634.** (Vgl. H. Beck, die religiöse Volkslitteratur, S. 1 10.)
Nicht erwähnt wird von Beck die hier in Rede stehende
Schrift, deren Kupfertitel lautet: „Lese Büchlein aus H. Schriffit,
der lieben Jugend zum besten gedruckt durch Wolffgang Endter
in Nürnberg 1639.** Ausftihrlicher ist der gedruckte Titel: „Lese-
büchlein I Für die kleine Kinder | Welche allbereit | aufs
dem gemeinen Namen- | büchlein in dem Buchstabiren genug-
sam I geübt worden, und nunmehr im Lesen | einen Anfang
machen sollen | Nürnberg | In Verlegung Wolffgang Endters
MDCXXXIX.** Der Verfasser nennt sich nur unter der auf der
Rückseite des Titels befindlichen Widmung an „Herrn Gustav**
und „Fräulein Sophia**, die „Hertzgeliebten Ehepflänzlein** des
Herrn Ghtllus, Freiherm von Räcknitz, Herrn auf Perneck u. s. w.
Das Büchelchen stellt sich zunächst in den Dienst des Lese-
unterrichts, will aber wie damals jeder Leseimterricht zugleich
religiöse Bildung vermitteln, denn es enthält nur biblischen
Lesestoff.
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1893. Zwei Bilderbücher für den Unterricht etc. 173
Die alten „ABC"- oder „Namen -Büchlein" enthielten oft
nichts als ein paar Alphabete, denen nur zuweilen ein paar Seiten
mit einzelnen Syllabierübungen folgten, und dann den Katechismus,
etliche Gebete und Bibelsprüche. Zur Erleichterung des Lesen-
lemens mufste es oft genügen, wenn dem vollständigen Abdrucke
des lutherischen Katechismus die zehn Gebote, der Glaube und
das Vaterunser ohne Luthers Erklärungen in der Weise vorauf-
gingen, dafs die einzelnen Silben durch Zwischenräume von ein-
ander getrennt waren.
Noch A. H. Francke schreibt in seiner Schulordnung für
die deutschen Schulen des Waisenhauses: „Das Lesen wird aus
dem Catechismo geübet, den die Kinder ohne dem lernen müssen
und also schon dui*chs Lesen selbst ihnen den Catechismum ein
wenig bekannt machen. Jedoch sollen sich die Kinder erst daran
exercieren, was in das ABC-Buch aus dem Catechismo gebracht
ist; hernach mögen sie auch im Catechismo selbst das Lesen
üben, da die Syllaben nicht so deutlich voneinander unter-
schieden sind."
Als man begann, mehr Soi^alt auf die Ausarbeitung der
ABC -Bücher zu verwenden, als man z. B. in dem „ABC- und
Syllaben-Büchlein flir die Kinder im Fürstentumb Gotha. Geruckt
im Jahr 1641", bogenlang einzelne Silben zur Leseübung darbot
und dieselben so ordnete, dafs unter anderen aufeinander folgten:
„zweibuchstabliche, darinnen der Erste ein coasona, der andere
ein vocalis, und andere, darinnen der erste ein vocalis und der
andere ein consona ist", femer: „Syllaben von drei Buchstaben,
darinnen der erste und letzte sind consonantes, der mittlere aber
ein vocalis", sowie „drey- und mehrbuchstäbliche, in welchen der
erste ein vocalis und zwey, drey oder mehr Buchstaben als lauter
consonantes darauff folgen" — da erst liefs man auf das ABC-
Buch noch ein besonderes Lesebuch folgen, dessen Inhalt aber
immer noch ein religiöser war.
Für die Schulen des Herzogtums Gotha liefs Herzog Ernst
der Fromme drucken: „Teutsches Lesebüchlein für die Schulen
im Fürstentumb Gotha. 1642." Es enthält auf 104 Seiten : „erst-
lich den Catechismum Lutheri, nemlichen die Sechs Hauptstück
Christlicher Lehre, Morgen- und Abends-Gebet, item Tischgebet,
die Fragstüoke und die Haufs-Tafel, zum andern die vomembste
Sprüche der Heiligen Schrifft über jedwedem Glaubens - Articul,
das Nicänische und des H. Athanasii Glaubens - Bekäntnifs und
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174 Richter, Heft 6 u. 7.
etliche Gebetlein.** Die axi^enommenen Bibelsprüche, 160 an der
Zahl, füllen zwei Drittel des Buches.
Drei Jahre vor diesem Lesebuche war bereits das Saubert-
sche erschienen. Es enthält ebenüäUs nur religiösen Lesestoff,
aber in der Hauptsache biblische Geschichte, und vor allem stellt
es mit seinen hübschen Kupferstichen das Bild in den Dienst des
Unterrichts. Was der Verfasser mit seinem Büchlein wollte, sagt
er in der „Kurtzen Vorrede an Gottselige Schulmeister und Schul-
meisterin**. Es heifst da: „Was Nutzbarkeit das gemeine Namen-
büchlein mit seinen, wiewol kindischen Figuren bey den kleinen
Schulkindern bifsher mit sich gebracht, und wie fleissig sie jhre
Lection darbey pflegen zu merken, das hat die Erfahrung bezeugt
und benebens zu diesen Gedanken Ursach gegeben, ob nicht
rathsam sey, ein Lesebüchlein aufs heiliger Schrifft zu formiren,
welches jhnen, nach dem sie im erwehnten Namenbüchlein mit
Buchstabiren das jhrige gethan, alsdann zum Lesen dienlich
seyn könte?
Es ist ja unter den recht Gottliebenden Christen unzweiffelich
waar, dafs der Kinder ewiges Heil und Seligkeit vor allen Dingen
und nach aller Möglichkeit zu befördern, massen Christus noch
jetzo in seinem Predigampt rafft: Lasset die Kindlein zu mir
konmien und wehret jhnen nicht u. s. w. Marci 10, v. 14.
Dahero nicht allein, wann sie auff diese Welt geborn werden,
die heilige Tauff, als das Bad der Widergeburt und Ernewerung
defs Heiligen Geistes, Tit. 3. vers. 5., jhnen billich ertheilt wird,
sondern es erforderts auch die höchste Nothdurfft, so bald sie be-
ginnen das Böse zu fassen, mit dem Guten unverzüglich jhnen
zu begegnen, und das Wort GOttes auff allerley Weifs und Wege
beyzubringen, ja gleichsam mit der Muttermilch einzuflössen, damit
sie, wie dort der junge Timotheus (2. Tim. 3. v. 15.) von Kind-
heit auff GOttes Wort hören und allgemach daraufs lernen Gott
erkennen, fürchten, lieben, ehren, anruffen, jhm für alle Wolthat
dancken, sich als fronmie Kinder desselben erzeigen, jhme zu
allem Gefallen leben, und vor Sünden sich mit Eifer und
Ernst hüten.
Nun kan zu solcher Übung der Gottseligkeit auch auf diese
vorgeschriebene Weifs ein sonderbarer Vortheil an die Hand ge-
geben werden.
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1893. Zwei Bilderbücher für den Unterricht etc. 175
Erstlich, alldieweil die kleine Kinder unter dem Lesen zu-
gleich (neben den Worten der heiligen Schrifft) die Sach selbst
ergreiffen.
Fürs ander, weil sie die beygefllgte Figuren jhnen steiff in
das Gedächtntlfs bilden.
Drittens, weil Gottselige Lehrmeister hiebey Anlafs haben,
einem Kind, da es einen Text durchgelesen, in der Figur die
abgebildete Historiam zu zeigen und zu sagen (zum Exempel)
Nun hast du so weit gelesen, wie Gott den Menschen geschaffen
oder wie Eva den verbotenen Apffel von der Schlangen ge-
nommen, oder wie Cain seinen Bruder erschlagen, oder wie der
Engel Adam und Evam aufs dem Paradeifs getrieben u. s. w.
Zum vierdten, weil !die Kinder hierdurch Lust bekommen,
von jhren frommen Eltern und Verwandten zu Haufs ferneren
Bericht einzuholen, welche alsdann recht in das Werck setzen
können, was S. Paulus befohlen : Ziehet ewre Kinder auff in der
Zucht und Vermahnung zum HErrn u. s. w. Ephes. 6. v. 4.
Dais aber solch Wercklein für difsmal was eng zusamm
gezogen worden, ist darumb geschehen, damit auch die Arme zu
desto ringem Kauff gelangen können.
Und mögen alsdann, wann es die Kinder jhnen bekand ge-
macht, die Fest- und Sontags-Evangelienbüchlein, Catechismi und
andere dei^leichen, sonderlich das schöne Weimarische Bilder-
büchlein, gebraucht werden.
Schliefslichen wünsche ich hiezu allen Gottseligen Schul-
meistern und Schulmeisterin und jhrer untergebenen lieben Jugend,
das Göttliche Gedeien, Geist, Gnad und Segen in Jesu Christi
Namen. Amen ! Geschrieben am dritten Tag Januarii Anno 1639."
Das Buch selbst enthält auf vortrefflichem Papier und in
musterhaft sauberem, grofsem Druck 22 Abschnitte, die der Lese-
übung halber in verschiedenen Alphabeten gedruckt sind und
deren Inhalt für die ersten 11 dem Alten, für die übrigen dem
Neuen Testamente entlehnt ist. Man könnte das Büchelchen einen
Vorläufer der „biblischen Historienbücher** nennen, wenn nicht
auch manche andere biblische Abschnitte darin aufgenommen
wären, wie sie in biblischen Geschichtsbüchern sich nicht finden,
Stücke aus den neutestamentlichen Briefen und aus der Offen-
barung Johannis, und wenn der Verfasser die von ihm berück-
sichtigten biblischen Geschichten vollständig gegeben hätte. Von
Moses wird z. B. die Geschichte seiner Auffindung durch Pharaos
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176 Richter, Heft 6 u. 7.
Tochter ausfiihrlich erzählt ; daran schliefst sich mit den Worten
fortfahrend : „Der Herr sprach zu Mose : Recke deine Hand aus
u. s. w.**, unmittelbar die Erzählung von dem Zuge durch das
rote Meer, und darauf folgt wieder unmittelbar die Gesetzgebung
auf Sinai mit den Worten: „Und da der Herr aufsgeredet hatte
mit Mose auff dem Berge Sinai, gab Er jhme zwo Tafeln defs
Zeugnüfs, die waren steinern und geschrieben mit dem Finger
Gk)ttes." Von Josef erzählt das Büchlein nur in sechs Zeilen,
wie er verkauft wird , und in zwölf Zeilen , wie er sich seinen
Brüdern zu erkennen giebt. Aus der Geschichte der ersten drei
israelitischen Könige enthält das Büchlein nur Absoloms Tod und
Salomos Gebet bei der Einweihung des Tempels. Die Geburts-
und die Leidensgeschichte Jesu sind ziemlich ausführlich erzählt.
Die Auferstehung und die Himmelfahrt sind nicht berücksichtigt.
Von den Gleichnissen Jesu finden sich nur die in Luc. 15 er-
zählten und die vom Unkraut unter dem Weizen und von den
anvertrauten Zentnern. Die beiden letzteren sind im 21. Ab-
schnitte mit Jesu Rede von seiner Wiederkunft zum Gericht und
mit Sprüchen aus dem 15. Kapitel des ersten Korintherbriefes
zu einem Ganzen verbunden. Der an der Spitze dieses 21. Ab-
schnittes stehende Kupferstich stellt das Weltgericht dar. Auf
der oberen Hälfte des Bildes sieht man den Heiland auf Wolken
thronend, umgeben von Scharen singender und musizierender
Seligen, die untere Hälfte zeigt die Qualen der Verdammten, die
von lodernden Flammen umgeben sind. Der 22. Abschnitt ent-
hält Stellen aus der Offenbarung Johannis, und der dazu gehörige
Kupferstich zeigt ein Bild des neuen Jerusalem.
Den künstlerischen Gewohnheiten des 17. Jahrhunderts ent-
sprechend finden sich auf einem und demselben Kupferstiche oft
mehrere Geschichten zugleich bildlich dargestellt So enthält
gleich der erste Kupferstich eine Darstellung des Sündenfalles,
der Vertreibung aus dem Paradiese und des ersten Brudermordes.
Auf dem zweiten Kupferstiche sind dargestellt Isaaks Opferung,
Jakobs Traum von der Himmelsleiter, Joseph wird von seinen
Brüdern verkauft und Joseph giebt sich seinen Brüdern zu er-
kennen^). Der dritte enthält die Auffindung Mosis, den Zug
^) Eine Nachbildung des zweiten Kupfers hat Referent gegeben in
seinem 1886 erschienenen Schriftchen: „Aus alten Schulbüchern*', S. 83,
wo er zum erstenmaie auf das Saubertsche Lesebüchlein aufmerksam ge-
macht hat
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1893. Zwei Bilderbücher für den Unterricht etc 177
durchs rote Meer und die Gesetzgebung auf Sinai. Der vierte
stellt dar, wie Simson die Philister mit einem Eselskinnbacken
erschlägt und wie ihm von seinem Weibe die Haare abgeschnitten
werden.
Der Text in seiner fragmentarischen Gestalt will nur der
Deutung der Bilder dienen , er will, wie dies auch der Heraus-
geber in der Vorrede ausdrücklich ausspricht, nur das Interesse
der Kinder wecken, damit sie „von jhren frommen Eltern und
Verwandten zu Haufe ferneren Bericht einholen".
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Quellen und Forschungen.
Zur Lebensgeschichte des Comenius.
Autobiographisches aus den Schriften des
Comenius.
Zusammengestellt von
Prof. Dr. J. Kyacsala in Pressburg.
(Fortsetzung.)
10.
(De Vocatione in Hungariam brevis narratiuncula.)
Rebus in Didactico studio hucusque deductis quiescere^ par-
ergisque istis Vale dicto ad magis seria redire, statueram: cum
ecce ex Hungaria, tkm k Theologis , qukm k Celsissimo D. D.
Sigismundo Rakoci (su5 & Serenissimae Matris, Transylvaniae
Principis, Viduae, nomine scriptae) literael quibus ad coUoquium,
& communicanda de Scholarum Reformatione consilia^ amanter
evocabar. Abu, meis consentientibus, imö mandantibus, & me
mittentibus: e5 inprimis quöd cum tot co6xules nostri, Moravi,
per Serenissimae rrincipis Oppida dispersi, benignä gratiosae
Cels. suae protegerentur umbrä, indignum videbatur non iterum
gratitudinem contestari, si quibus daretur modis. Veni igitur
ratakum mense Maio, Anni 1650, ind^que cum suis Celsitudinibus
Tokajum. Ubi, post aliquot dierum colloquia, scriptS aliquid a
m^ consignari postulatum est. Quomodo provincialis Patakina
Schola ad Pansophiae leges (visa enim illis erant et lecta, eatenus
edita) qu&m optima constitui posset? Exhibui ergo sequentem
consignatiunculam.
(Com. Op. Did. JH. p. 3.)
11.
Haec sie Principibus exhibita non displicuerunt: requisitusque
sum, ut ad consiliorum tam salutarium exsequutionem manere
yellem: non repudiatä, quam Celsissima Princeps (Su6 & Ulustris-
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1893. Kvacsala, Zur Lebensgeschichte des Comenius. 179
simorum Filiorum nomine) solemniter oblatura esset, Vocatione.
Obtendi multa, non in speciem, sed ex veritate. CÄm autem
variis urgerent rationibus, Scholae(]^ue Pansophicae hic feliciter
aperiendae fieret spes, exhibui Celsissimo Dn. Sigismundo quod
sequitur.
(Op. D. m. p. 4.)
12.
Promissa omnia, tametsi postea (in iis quae primariae inten-
tionis erant) nihil ade6 consequutum, fatis obstantibus. Quam
enim nonnisi autumnali tempore sistere me possem, Principibus
in Transylvaniam (ad hiemandum ibi) parantibus abitum, postu-
latum denaö fuit expressiüs omnia deimeari: ut quid sibi Pan-
sophica Schola vellet planissim^ patere, omniumque huc requisi-
torum ratio iniri, posset
Conscriptum itaque fuit, quod sequitur, dedicatumque illu-
strissimo Heroi, fervido horum Promotori : quem tanquam recfens
orientem fulgidum Solem adorare (respectare dico) coeperant
domestici & exteri, nihil non Bummum ab illo exspectantes, lega-
tionibusque suis illum Reges & Principes (tanquam Regalium iam
Seeptrorum, & Affinitatum , candidatum) dignati fu§re. Qui Sol
tametsi brevi postea nobis exstinetus, coeptis hisce caliginem
rursum induxit: quae tamen ibi tunc velut in occulto consiliis
agitari coepta, ea nunc luci exponi, quid vetat? ut si tanti desi-
derii tunc non assequuti fuimus seopum, hoc tamen vel inter
meliora exstet vota, vel porr6 etiam simile quid tentandi occasio-
nem ferat Fiat!
(Com. Op. Did. n. p. 5.)
13.
Anno 1651.
Videns ad Adjunctum mittitur.
Ultima Visione anni hujus (6. Dec.) mandatum fuit Drabicio
ad Sigismundum proficisci, ad illi voluntatem Dei notam redden-
dum. Quod cum per literas significasset mihi, Principes vero
(mater cum Filio) in Transylvania hicmarent, concredidi rem
hanc Locum tenenti, auem rraefectum vocant, Andreae Klobu-
cicio. Qui consilium aabat ut tecto nomine veniret, ceu filium
ad me studiorum causa deducturus : se interim de ulteriore itinere
(tantundem adhuc a nobis distabant Principes, milliaribus 40) de-
liberaturum, animumque Principis cogniturum.
2. Perscripsi haec Drabicio: ille verö denu6 ä Revelatore
monitus, 5 Januarii (anni 1641) viae se dans, 15 ejusdem ad me
pervenit: superatls cum profunda nive (alicubi & aquls a lutd)
difficilibus luctis. Beneficii Dei fuit, qu6d altera mox ab egressu
die in tres robustes Viros, pedestre iter eddöm habentes, incidit :
cumque ut se viae ignanmi in comitatum admitteret, lentioreque
gressu utentem non desererent, rogaret, officiosos habuit. Nam
non deseruerunt, donec in mea domo sisterent: piis boni senis
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180 Kvacsala, Heft 6 u. 7.
colloquiis toto itinere oblectati: ut mihi gratias sibi agenti refe-
rebant, Drabicioque pro tot bonis monitis (me praesente) gratias
agebant.
8. Ultima iilis pernoctatio sesquimilliari k me fuit, in exigua
rusticelli casa. Ubi Dominus cur eum huc mitteret signifieavit:
ut nempe dudum sibi mandata exsequi (cum illo quem sibi
auxilio misisset) inciperet, clangendo ad Qentes k Domino ad
Serdendum Bestiam electas, ad exseguendum dexterae Dei prae-
ecreta subito etc. Quam ille Visionem (No quinquagesimam)
mox eadem die & narravit mihi (ad haec pavescenti) & retulit in
scriptum.
4. Cognito illius adventu Praefectus convenit nos, amanter^
que (utpote pridem sibi notum) salutavit, consilium dans post
exantlatum tantum iter respirandi. Scripsisse enim se jam, &
scripturum denuö, illius jam significando praesentiam.
5. Quod responsum cum tale venisset, ut ex eo nihil nisi
metus & tergiversatio posset eoncipi: (petebat enim demüm sibi
yerbotenus omnia in Latinum transferri, ut de rect^ perceptis
deliberare posset) colloquebamur nos duo soli (mensulae adstando
Musei mei) quid faciendum esset Ecce autem ille, ceu re quä-
piam perculsus, componit manus, Quaero quid sit? Hie: Non
audisti Vocem? Nihil, respondi. Ille: Caenä abstinere Jubeor.
Quid? inquam ego: Semp^me Revelationi jejunium praemittitur?
Negat ille hoc semper fieri. Interim coena infertur, ille accubitu
abstinere & exire parat. Rogo ut assideat saltem, propter ser-
mones. Assedit, nihil tamen de cibo aut potu gustans.
6. Sperabamus erg6 eä nocte ipsius Dei , quid facto esset
opus, informationem: sed nihil tum mit; postridie demdm. Ubi
illi (quibusdam de Sigismundo praemissis) domum redire man-
datum: sed ita ut Ore suo deinceps etiam opus fore sciret.
Rev. LI.
7. Adii Praefectum, & illi hoc significavi : qui consilium nro-
bavit, Drabiciumque ultima Januarii dimisit I^o ver6 per illam
continuorum 16 dierum Drabicio conversationem (quod nun(][uam
ant^ oontigerat) familiariäs Virum nosse didici. Nempe hömmem
esse, non Angelum : sed hominem Dei timentem , potiiis qukm
hominum observantem: coram Deo humilem, ad versus homines
satis animosum: linguä et factis liberiorem, personas panun re-
spectantem. Verbö, peccatorem ut omnes sumus, non tamen
hypocritam ut plerique: Concionatoremque fervidum, quem sine
motu bono vix audias: caetera omnia mediocriter.
(Lux e ten m. p. 58—60.)
14.
Videns ad Principem Matrem mittitur, illamque urgere ju-
betur: et quae ibi acta, frustra fere.
Revelatione CXXXIX alloquutus eum Dominus dixit: Etiam
tua spes vacillat, de rerum per te annuntiatarum pleno eventu?
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1893. Zur Lebensgeschichte des Comenius. Jgl
0 sequere mihi, para te, ut in noraine meo illuc eas unde post-
ridie literas accipies : accepit autem Patako. Et Rev. CXLIL V. 4.
Non aliter evenient omnia atque decretum est consilio me6, contra
spem omnium hominum. 5 Silentium esse ajunt undique? sed tu
brevi audies aliud, taciturnus tantum esto, et patiens, sermones-
que humani nihil te turbent. Rev. CXLIV (die 31. Aug.) Cum
Principissa ipsemet loquere, me Racocianae Domini denuntiare
tum benedictionem, si fae^re volent jussa mea; tum intermina-
tiones; si non andient voces meas: nam in manu mea utrumque
istud est etc.
2. Egressus ergo 2 Sept venit eö II Sept. Ubi quid sit actum,
explicatum est Revel. CXIV, & annexis ei. Addam tamen hie,
quod ibi non consignatum in schedis reperio. Cum Examinatores
illi de notis ver^ divinae Prophetiae inter se convenissent (ut
Annotatione ad Rev. CXIV posui : nempe I Humilitate personae,
2 Puritate doctrinae, 8 Veritateque eventuum) dixi ego, Plura
observari posse, quae divinitatis ostendant vestigia. Quaerebant
quae lUa? Consignavi erg6 sequentia.
3. Prim6, tergiversationem Videntis nostri ad haec, tiun
credenda, tum propalanda: nisi toties iteratis monitionibus,
increpationibus, poenarumque interminationibus , non ab initio
tantum, sed adhuc. Toties enim illum adhuc cum Jeremia cla-
mare, Vae mihi mater mea; & cum Elia mortem sibi optare,
testis sum.
4(2) Nee in bis admittendis praecipitis fuisse illos, quibus ea
fuerunt detecta: trepidantes potius, tentationesque diabolicas et
metuentes et deprecantes. Impossibile videri eos, qui pro nomine
Dei afflicti, & pro veritate Verbi ejus extrema passi, aliö abduci
null5 modo voluerunt, & hucusque, ludificationibus satanae sie a
Deo exponi.
5. Tertium argumentum posueram Revelatoris constantiam,
ut qui neque personam mutat, neque revelationis modum, neque
res revelatas: exceptö qu6d hujus suae scenae personas mutari
patitur, prouti faciunt aut non faciunt quae jubet. Diabolum esse
vertumnum, ipsä levitate se prodere, ut m Genevensi puero patuit.
6 (4) Sanctitatem hie rerum, et scopi, convenientissimam esse
zelo Dei Zebaoth, et Christi ejus: inconvenientissimam (imo im-
possibilem) Diabolo, ad eversionem regni sui (abominationum
Babylonicarum) consilia nunquam subministratiuro.
7(5) Effectum in corde Videntis, illuminationem semper ma-
jorem, charitatisque erga Deum ardorem semper flammantiorem.
8 (6) Slylum ((juicquid sit) non humanum. Scire me per Dei
gratiam, quid hac in re humanum possit Ingenium, & qu&m Dra-
bicius aliis minäs possit, nisi k dictante in calamum revelatore
adjutus fuisset: ut Rev. CVII. 22 & alibi. Scire denique me
qu&m imitari haec talia nequeat tenebrarum pater Diabolus, ä
quo lucidi nihil prodire possit. &c.
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182 Kvacsala, Heft 6 u. 7.
9(7) Revelatorem hunc saep6 ad Videntis cogitata respon-
dere: ut Rev. IV. 3. & XLV. 2, 12, 13, & alias saepi. Seimus
autem Deum sibi hoe tribaere soli, quod eordium serutator sit:
Diabolo proinde honorem illum non concedendum.
10(8) Theologos inter saspecta pon^re, si quis spiritum re-
velatorem ad omnia quaesita nimis facilem, semperque respon-
dentem, habeat: Deum enim pro maiestate sua ea solum revelare
quae vult, quando vult, quomodo vult. Hunc autem Revelatorem
quaestionibus se fadgari non ferre, ä curiositate dehortari: ut
Rev. CXXIX. 2, 3.
11(9) Ad suspicionem, Non k Deo venire haec, quid ali-
quoties responderit observatione dignum esse; ut Rev. IV. 4, &
17 — & 28. Rev. V. per totum: & Rev. VL 1—6. & Rev.
CXLV. 5. &c.
12. Petebant tandem catalogum aliquem contexi, eorum quae
eminüs praedicta, reveraque impleta fuissent: quem & dedi, hie
autem non pono, quia auetiorem dandi oecasio redibit infra. Illi
autem omnious his ita actitatis nihil nisi animi pendere per-
rexerunt.
(Lux e ten. UL 134—137.)
15.
(De Studii Pansophici Impedimentis.)
Hactenus quid circa tres primas et imas Pansophicae Scholae
Classes moliti simus, explicatum est.
Patuit verö matur^, nos desiderii nostri fastigium non asse-
quuturos ; propter causas, quas involvi silenti6 praestat. Videbam
universali stuaio vix esse locum ibi, ubi frustillata sapiunt, quae-
runt, agunt, tantum non omnes : et impatientia regnat, consilia non
ematurari, sed praecipitari, urgens: Zelusque se admiscet eoruin,
qui Quäm proni sunt adorare Jovem et Mercurium idola, tam parati,
lapiaare Paulum et Bamabam, quam primum homines esse, non
idola, animadvertunt. Et denique difficile esse moliri Turrim
praecelsam, ubi vix etiam pro fundamentis iust^ ponendis neces-
saria suppetunt requisita.
2. Veniendum ergo tandem fuit eö, ut summa intendentibu's
consistendum esset circa media, et acquiescendum Scholä Triclassi.
Sed et ibi luctandum fiiit vari^ cum difficultatibus. Inter quas
prima fuit consuetus mortalium morbus, Consueta melionbus
praeferendi, & antiquä ubique chordä oberrandi, amor. Quorum
causa Methodi verae Encomia conscribillanda, publice recitanda,
fuerunt
3. Cum ver6 iterum Janualem rerum historiam fastidire vide-
rentur (Ad quid nobis plena rerum Nomenclatura? dictitantes,
Non erimus nos Philosopni &c) incogitantiae huic obviam eundo,
recitavimus De accuratae Rerum Nomenclaturae Utilitatibus ora-
tiunculum.
4. Dumque Atrialibus etiam studiis inepti <}uidam obmurmu-
rarent, elegantiasque L. L. ante perceptum etiam gustum nau-
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1893. 2^^ Lebensgeschichte des Comenius. 183
searent (iterum, Ad quid nobis Elegantia? non erimus non Cice-
rones, blaterando) causa fuit data de eleganti Elegantiarum studio
perorandi.
5. Torpor denique ingeniorum , in quibusdam intolerabilis,
occasionem dedit aureum Joachimi Fortii Kingelbergii de ratione
studii libellum publicandi, omnibusque literarum studiosis (dedi-
catione ad ipsos direeta) commendandi. Cumque illius editionis
exiguus appareret fructus, Fortium Redivivum, sive de pellenda
Scholis Ignavia, conscribendi.
6. Concinnata quoque fuerunt (dum omni ratione prodesse
quaerimus) Morum nonestorum praecepta. Itemque Seholae bene
ordinatae Leges.
7. Utque omni possibili ratione pubem iiterariam ad studiorum
amorem, in Ulis perseverandi lubentiam, excitaremus, concepimus
Vestibuli Januae Lueidarium: h. e. Nomenclaturam rerum ad
ocularem demonstrationem deduetam. Itemque Januae Linguarum
praxin Comicam, snavem, amaenam vivis repraesentationibus om-
nia Demonstrantem etc.
8. Quae omnia sicut ibi, bonö usu typis publicata sunt (ex-
ceptis Seholae Legibus) ita hie ponenter ordine.
(Op. DicL HL p. 735.)
16.
Bisterfeldius (Principi Trans, ab intimis consiliis) evocatur ad
Judicium de bis revelatis ferendum, et auale id fuerit.
Occasio mihi ad Job. Bisterf. scribendi data fuit 14 Junü,
per hominem Belgam in Aula Principis quaedam requirentem.
Uui epistolae inserueram schedulam bis verbis. Ilegi tcSv OQa-
fÄOZCJv, cum ingratam esse raateriam intelligam, nihil addo, nee
addam. Vos videritis. Feci quod debui, et cujus gratiä huc
missus fui: jamque tacere jubeor. Finis ostendet cujus toni.
Doleo tamen, Te consultöre (scio enim Te unum audiri) naec tam
pertinaci praejudicio premi, ut ne cognoscere quidem a funda-
mento rem libeat. Mini facillimum est, adeoque gratissimum (con-
scientiam testor) silere : sed ! Vale, et res eä prüden tiä moderare,
ut exitus acta probet. Deum oro, ut Te spiritü suö r^at.
2. Cum ver6 ad Principissae matris Consiliarium, Klobucicium,
rei hujus postea fieret mentio, ill^que hoc referret Principissae,
factum fuit, ut Bisterfeldius hac etiam de causa (k Transylvania
in Hungariam) evocaretur, recognitioque totius negotii penitior illi
demandaretur.
8. Venit ille scriptaque illa sibi exhiberi petiit: ut privatim,
aut noctu evolvendo (erat enim somni parcissimus, interdm autem
negotiis Aulicls distractissimus) ruminare posset. Factum: per-
volutävit ille Eotterum, Poniatoviam, Drabicium. Quanquam in
hoc non long^ progressus, ob nauseam (ut dicebat) ex eo, qu6d
omnia viderentur k conditionibus quibusdam suspensa.
4. ludicium erg6 tale tulit Kotterina verfe videri prophetica,
fiiturorum praenuntia. Sicut et Poniatoviana : quae non tantüm
Monatshefte der Comeniof-Oesellschaft. 1893» 13
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184 Kvacaala, Heft 6 U. 7.
verbis, sed et iis quae passa est propbetasse dici possit: prae-
sertim cum tot miraculosis concurrentibus res firmata sit. De
Drabicio verö dixit : Etiamsi Jesaias, Jeremias, Daniel, omnesque
israölitici Prophetae resurgerent, et talia sibi loquerentur, se illis
non habitürum fidem.
5. Interrogatus quäre? Respondit: Quia indignum est Deum
h conditione bumanae voluntätis suspendi. Fiet hoc, si hie aut
ille hoc vel illud faciet: secüs non fiet. Ego: Atqui haec est
praxis Dei, per Mosen O omnes Prophetas bona promittentis sub
conditione oboedientiae ; mala denuntiantis sub conditione im-
Joenitentiae. Allegabamque tacitae conditionis exemplum in
ona, Ninivitis eversionem praedicente. Respondit: Non prae-
dictio fuit, sed praedicatio. Ego : Lnö non praedicatio, sed prae-
dictio. Non enim dixit, Resipiscite si perire non vultis : sed cate-
goricÄ, Adhuc quadraginta dies, O Ninive subvertetur. (Jon. 3. 4.)
6. Cumaue ille hypothesi suae insisteret, Se conditionatos
Prophetas ninili facere, eoque in Cottero et Christina spiritum
propheticum agnosci posse, non item in tertio: respondi, Non de
voce Prophetae (cui titulus ille competat vel non competat) liti-
gandum esse, sed quid faciendum quando extraordinariis modis
voluntätis suae Deus (additis promissionibus aut minis) faciat in-
dicium? sive Prophetä praedicit sive praedicat. Praeterea, si Cot-
terus & Poniatovia non praedicabant, sed tantum praedicebant,
Drabicius contra : cogitari posse, illos ad praedicandum missionem
non habuisse, sicuti hie &c, &c.
7. Tandem lUe eö delapsus ut diceret, Apud Principem tali-
bus prophetiis nihil esse opus, scire Principem quid istis in rebus
agendum sit, si Deus occasiones subministraverit. Addebat: In
manu meä Principem habeo. Si hodie dicam, Tempus est, cras
Srodibit. Obstupui ad haec, testor Omnificium. Nee aliud quod
icerem habui, nisi haec duo: Vide ne tibi nimium tribuas!
(Nempe id quod Scriptura Deo tribuit, Prov. 21. I.) Vide ne
tantä häc authoritate abutaris! Ita ab invicem discessimus.
(Hlst. Ravel, p. 174 ff.)
17.
Honoratissimi D. D. Scholarchae.
Molitos iam ante complures annos fuisse nos Studiorum
puerilium compendia quaedam, & oblectamenta, non ignotum est:
& benign^ id acceptum, cum alibi, tum apud vos, in quorum
Scholas Janua Linguae Latinae recepta fuit. Superaddere coepit
ante triennium non inelegans Januae illius exercitium Vir eximius,
D. Sebastianus Macer, Scholae in Polonia Lesnensis Reotor: sub
titulo, Januae L. L. Comenianae Praxis Comica. Cujus praxis
partem primam, Mundum rerum naturalium repraesentantem, cum
sub ingressum Anni huius in Scenam produci, & in conspectu
vestro ludi, curässem : adeo placuit actio illa vobis, & spectantibus
Omnibus, ut approbato publica hoc exercitii genere, totum Rerum
ambitum, seu Discendorum Encyclopaediam, in talem autopsian,
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1893. Zur Lebensgeschichte des Comenius. 185
autopraxian^ dedaci optaretis, k m^que peteretis. Quo ego stimu-
latus, sicut et insperato Nobilis Vestrae Juventutis ad haec talia
ardore^ tametsi laooribus circa magis seria aetatique & vocationi
meae convenientiora^ occupatus sim : & ad stationem meam redire
k meis (qui me huc ad tempus miserunt) urgeor: cohibere me
tarnen non potui, quin uno et alterö Mense huc dato, omnes
Rerum materias pertransire, omniaque in Dialogos tales. Res
Veras simulachris jucundis repraesentantes, reducere proposuerim.
Nempe quia D. Macer paralyseos morbo praeventus (dolendum!)
Opus coeptum absolvere non potuit: & (][uia praxin hanc ab illo
inchoatam ad majorem simplicitatem, evidentioresque Juventutis
usus, deduci posse sperare coepi. Quod quid & auale sit ex-
Eonere, & de hujus Exercitii Utilitate, adeoque illua in Scholam
anc (& alias) introducendi necessitate, dissertare aliquid non abs
re fuerit
(Op. Did. m. 832.)
18.
Peractis cum applausu hisce Ludis (confluebant enim eminus
etiam Nobiles & Pastores, postremo autem ipsamet Celsissima
Princeps cum Aula sua, & praesentium Magnatum Corona, interesse
dignata est, eamque in Arcis area peragi voluit) abeundum mihi
erat, au5 revocabar, in Poloniam, valedicendumque Hungariae in
eorunaem hospitum frequentia. Ad quod me nonnullorum Voces,
ä discessu meo exercitia haec obsoletum iri metuentium, incita-
bant: non tantum ut sermone yaledictoriö eos animarem, sed &
Sermunculum illum typis mox exscriptum stimulo relinquerem.
Quod & factum, hunc in modum.
(Op. Did. m. 1042.)
(Fortsetzung folgt.)
13^
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Kleinere Mitteilungen.
Der Inselname Capharsalama in Joh. Yal. Andreaes Schrift
,Reipubllcae chrlstianopolitanae descriptio' (1619).
Von
cand. min. O. Kemper in Münster L W.
Bei dem Interesse, welches die Forschung gegenwärtig in
steigendem Mafse der schriftstellerischen Wirksamkeit des Joh.
Val. Andreae und deren Einflufs insbesondere auf die Entwicklung
der Ideen des Comenius zuzuwenden scheint, dürfte eine kurze
Erörterung einer zugehörigen litterarischen Einzelfrage, die Fest-
stellung der Quelle und Bedeutung des manchem unerklärlichen
Inselnamens Capharsalama wohl erwünscht sein. Veranlassung
dazu gab eine Bemerkung Dr. Ludw. Kellers in seiner Abhand-
lung „Johann Valentin Andreae und Comenius" (Monatshefte der
C.-G. Bd. I, 1892, S. 229 ff.). Aus A. Pateras Ausgabe der
Korrespondenz des Comenius findet sich dort (S. 240) ein Brief
des letzteren an Magnus Hesenthaler *) vom 1. September 1656
abgedruckt, in welchem der damals in Amsterdam weilende Co-
menius den Freund bittet, für Ankauf und Zusendung wennmög-
lich aller vorhandenen Schriften Andreaes um jeden Preis Sorge
zu tragen, die er zum Teil bereits früher besessen und studiert, dann
— wohl bei dem Brande in Lissa (1656) — verloren und in
Stettin, Hamburg und Amsterdam vergeblich aufzutreiben ver-
sucht habe, die ihm aber wegen vielfacher Bezugnahme unent-
behrlich seien. Als Titel einer derselben wird unter Nr. 4 dort
angegeben : De republica Christiana (Cataphar Salama). Zu den
in Parenthese gesetzten Worten bemerkt Keller in einer An-
merkung: „Es ist kein Grund anzunehmen, dafs Patera diese
*) Näheres über denselben bei Dr. K. HuellemaDn, Valentin Andreae
als Pädagog, II. Teil (Abhandlung zu dem Jahresberichte des Thomas-
ffymnasium^, Leipzig 1893, S. 8, Änm. 16. — s. auch Dr. Ejracsala, Joh.
Arnos Comenius, sein Leben und seine Schriften, Leipzig 1892, S. 380.
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1898. Kemper, Der Inselname Capharsalama etc. 187
Worte unrichtig gelesen habe; eine Erklärung des Sinnes giebt
P. nicht, und ich bin gleichfalls nicht imstande, eine solche zu
geben."
Die Kenntnis der korrekten Schreibart: Capharsalama oder
Caphar Salama und einige Bekanntschaft mit der hebräischen
Sprache führten zur Lösung des Rätsels. Auf den Weg der Er-
klärung der dunklen Worte aus dem Hebräischen wiesen aufser
dem Anklingen des Wortes Salama an das hebräische Substantiv
Salom [= Heil, Wohlbefinden, Glück, Friede, vergl. das ent-
Sprechende aramäische Substantiv ä*lam, def. Salama] einige auf
le Wahl der Namen bei Andreae bezügliche Bemerkungen Huelle-
manns^) und Gussmanns*).
Die Schreibweise des Wortes, wie sie in der lateinischen
Originalausgabe der „Descriptio" (erschienen Argentorati Sump-
tibus haeredum Lazari Zetzneri, Anno MDCXESl) vorliegt, konnte
ich nicht feststellen, da mir dieselbe nicht zugänglich war. Sie
findet sich aber aut dem Titel der vonHuellemann*) angeführten
vollständigen Übersetzung jener Schrift: „D.(octoris) V.(alentini)
A.(ndreae) Reise nach der Insul Capharsalama, Und Beschrei-
bung der darauf gelegenen Republic Christiansburg, Nebst einer
Zugabe Von Moralischen Gedancken in gebundener und un-
febundener Rede, Herausgegeben von D.(aniel) S.(amuel) G.(eorgi).
Ifslingen 1741. Verlegts Friedrich Christian Schall, Buch-
händler." 8^, die (als neue Titelausgabe) mit unverändertem
Text zum zweitenmal erschien unter dem Titel : D. Val. Andreae,
Prof. TheoL Tubing. *) Sonderbare Reise nach dem Lande der
Ruhe*^) und vortrefflichen Insul Capharsalama..., heraus-
gegeben von einem Anonyme. Stuttgart, 1754. bey Johann Dier-
lamm, Buchbinder." —
Zur sprachlichen Erläuterung des Namens Capharsalama
bietet J. fiirsts Hebräisches und Chaldäisches Handwörterbuch
1) A. a. 0. S. 5 beim Nachweis des Einflusses, „den neben der Civitas
SoUs des Dominikanermönchs Campanella die Utopia des Thomas Moros
auf die Andreaesche Darstellung der Christenstadt geübt hat: Hier wie dort
sind zur Benennung von Orten und Personen bezeichnende Namen
aus der griechischen und hebräischen Sprache gewählt".
^ ,,Keipublicae Christianopolitanae Descriptio^ in der Zeitschrift für
kirchl. Wissenschaft und kirchl. Leben, VII. Jahrg., 1886, S. 382, Anm. 1:
„Die meisten der von Andreae gewählten Namen sind biblischen Ur-
sprungs: Abialdon, wahrscheinlich ein Druckfehler für Albialbon, 2.Sam.28, 1,
Achban, 1. Chron., 2, 29 u. s. w."
•) a. a. 0. S. 4 f.
^) Über diese irrtümliche Bezeichnung s. Huellemann a. a. 0. S. ^
Anm. 9.
*) Vergl. die von GuTsmann (a. a. O. S. 466) angeführte Schrift des
Konst. Wahrenberg „Die glückseligste Insul auf der gantzen Welt, oder
das Land der Zufriedenheit. Gedruckt in Königsoerg 1723^ in wel-
cher eine Anzahl von Berührungspunkten mit der „Descriptio** nachzu-
weisen sei, die aber ohne Zweifel als Anklänge zufälliger Art zu betrachten
und zu erklären seien.
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188 Kemper, Heft 6 u. 7.
über das Alte Testament, 3. Aufl. bearb. von Dr. Victor Ryssel,
Leipzig 1876, Bd. I, S. 662a, Näheres in folgendem Artikel:
^•nijs = Gehöfte, eigentlich Häuserverbindung, d. h. Dorf. —
Sehr stark wird dieses Wort [ähnlich wie ^yt} = eig. das um-
hegte Lager, feste Niederlassung, jede Ortschaft ohne Mauer,
Dorf, oflFener Flecken, zur Bildung geographischer Ortsnamen
gebraucht, wie deutsch Hof (ebenda S. 43 la)]^) in späterer Zeit
in Zusammensetzungen zur Benennung kleinerer Ort-
schaften verwendet, wie bereits Jos. 18, 24 ein Beispiel vor-
kommt und wie das Wort sowohl im Arabischen als im Syrischen
ebenfalls in Ortsnamen angetroflFen wird. In der taun. Zeit
werden Ortschaften Palästinas, Phoenikiens, Syriens mit '^ zu-
sammengesetzt angeführt, als oiafij ncs (j. Sanh. 11) . . . u. a. m.;
— vergl. im N. T. und in den Apokryphen KansQvaovfx d. h.
nin: nw (Mt. 4, is), Xaq>aQaaXa^d d. h. «Tab® ids (1. Mak.7,8i),
was talm. (j. 'Aboda-Sara 44) Dbti 's heilst u. a. m."
Als Quelle, der Andreae das Wort Capharsalama entnommen
hat, stellt sich hiernach eine Stelle aus dem ursprünglich in
hebräischer oder aramäischer Sprache abgefafcten, uns in grie-
chischem Text vorliegenden l.Makkabäerbuche heraus, einer apo-
kryphischen Schrift, welche die Periode der Kämpfe des jüdischen
Volkes gegen die syrische Oberherrschaft von 175 — 135 v. Chr.
schildert und als wertvolle Geschichtsquelle betrachtet wird.
Die Stelle 1. Makkab. 7, ai lautet nach Tischendorf, Vetus
Testamentum graece iuxta LXX interpretes (ed. H, Lips. 1856,
tom. n, p. 524): xal M^vu) Ncxdvdjg ort a7texa'kvq>d^ r^ ßovlij
ccvTOVj xai i^X&ev eig avvdvTrjOvv t^ *Iovda iv 7ioXi^(f %a%a
Xaq)aQaaXa^d. Vulgata: Et cognouit Nicauor quoniam de-
nudatiun est consilium eins: et exiuit obuiam Judae in pugnam
iuxta Capharsalama. Luther: Und da Nikanor merkte,
dafs sein vornehmen war offenbar geworden, zog er wider Juda,
und that eine Schlacht mit ihm bei Caphar Salama.
Wahl, Clavis libror. Vet. Test apocryph. philoL, Lips. 1853,
p. 497 s. V. erklärt : Xaqpa^aaAa/ua, Chapharsalama, urbs palaesti-
nensis, proelio nobilis, quo Nicanorem vicit Judas Maccabaeus
1. Makk. 7, si.
Grimm, Kurzgefafstes exeg. Handbuch zu den Apokryphen
des A. Test, 3. Liefrg., Leipz. 1853, S. 114, erläutert den Namen:
„von Josephus als Tccifiti Tig bezeichnet (in Gem. Hieros. Avoda-
Zara fol. 44 col. 4 als ob« idd erwähnt*) scheint südlich von
Jerusalem im Gebirge gelegen zu haben, da Nikanor nach
dem Verlust des Treffens erst nach Jerusalem, dann von da
nördlich nach Bethoron zieht (Mich.). Mit dem in der Geschichte
^) S. auch W. Gresenius, Hebräisches und Chaldäisches Handwörter-
bach über das Alte Testament, 9. Aufl. , bearb. von Muehlau und Volck,
Leipss. 1888, S. 285.
') Keil, Kommentar über die Bücher der Makkabäer, Leipz. 1874,
S. 132, verweist noch auf Reland, Pal. illustr. p. 690.
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1893. ^^^ Inselname Capharsalama. \QQ
einer grofsen Pilgerfahrt im J. 1065 erwähnten Carvasalim kann
es nicht identisch sein, da dieses in der Nähe von Ramleh nord-
westlich bei Jerusalem lag; s. Robinson 11. S. 225."
Als Bedeutung des durch Zusammensetzung aus ics = Dorf
und «»b^ = Friede gebildeten Ortsnamens Capharsalama ergiebt
sich demnach : „Friedensdorf" *).
Nimmt man hinzu den Zusammenhang dieses Namens mit
Salem, der älteren Bezeichnung der „Friedensstadt" Jerusalem *),
so erhellt das Motiv, welches Andreae, „den Apostel des Gottes-
staates", zur Wahl gerade dieser Benennung für die Insel im
Meere, auf welcher er das Ideal eines christlichen Staates sich
verwirklicht denkt, veranlafst hat. Das deutet Andreae auch
selbst an in der Widmung der „Descriptio" an den von ihm hoch
geschätzten Joh. Arnd, wenn er schreibt^): Haec nova civitas
nostra te agnoscit et respicit, nam cum ex magna illa Hiero-
so lyma, quam ingenti spiritu, invitis sophistis, extruxisti, mi-
nuta colonia deducta sit, non potest, non omnia ad te referre,
et pro institutis legibusque gratias agere, simul etiam orare, ut,
quae supplenda emendandave ei sint, pro benevolentia communi-
care non dedigneris.
Diese Stelle lautet nach Glöklers*) Übersetzung: „Diese
meine neue Stadt verdankt Dir ihr Dasein und blickt auf Dich
hin. Denn da sie aus jenem grofsen Jerusalem, welches
Du mit erhabenem Geiste gegen den Willen klügelnder Sophisten
erbaut hast, als eine kleine Kolonie ausgeführt ist, so kann
sie nicht anders als alles auf Dich beziehen und fttr ihre Ein-
richtungen und Gesetze Dir ihren Dank sagen."
Keinen sinnreicheren und treflfenderen , zu Inhalt und Ten-
denz der Schrift passenderen Namen hätte Andreae für die Insel
als Stätte der Christianopolis wählen können, die Gufsmann*)
mit den Worten charakterisiert: „Sie ist ein Haus des Frie-
dens, der Sitz des Wahren und Guten, ein christliches Gemein-
wesen, dessen Glaube mit dem der Apostel, dessen Gesetze mit
Gottes Gesetz übereinstimmen." —
^) Diese Übersetzung findet sich, wie ich nachträglich sehe, bereits in
G. Büchners bibl. Real- und Yerbal-Handkonkordanz, herausg. v. Dr. H.
L. Heubner. 18. Aufl. ßraunschw. 1888. S. 219. — vrgL Schenkels Bibel-
lexikon L S. 507 (Lpzg. 1869) und Winer, Bibl. Realwörterbuch I. S. 223
(3. Aufl. Lpzg. 1847).
«) Geseniu8,a.a.O. S.846S.V.: „oblS, f. riTsblÖAdj.: 5)Nom.prop. s.v.a.
das vollständige oblö^T; Jerusalem Ps. 76, 3. Josephus(Archaeol. 1, 10,2):
rriv fiivtot Zolvfjia voTiQov (xdlsaav * fiQoo</Xv/na, Auch Gn. 14, 18 wird
unter obti Jerusalem zu verstehen sein."
8) Das Citat bei Gufsmann a. a. 0. S. 438.
*) Johann Valentin Andreae. Ein Lebensbild zur Erinnerung an seinen
dreihundertsten Geburtstag, entworfen von Johann Philipp Glökler, Pro-
fessor in Stuttgart. Mit emem Bildnis Andreaes. Stuttgart 1886, S. 66 f.
^) a. a. O. S 539.
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190 Kemper, Der Inselname Capharsalama. Heft 6 u. 7.
t
Es erübrigt noch eine Beantwortung der Frage, wie die
eigenartige Titelangabe : De republieaChriBtiana(CatapharSalama)
in dem oben angeführten Briefe des Comeuius an Hesenthaler
vom 1. September 1656 sich erklären lasse. Huellemann *) macht
zunächst darauf aufmerksam, „dafs A.(ndreae) sowohl in seiner Vita
als in seinem Verzeichnis für längere Titel seiner Schriften kürzere
Bezeichnungen wählt." Reipublicae christianopolitanae descripto
und Christianopolis „sind Titel ein und derselben im Jahre 1619
erschienenen Schrift", nicht verschiedene Schriften, wie irrtümlich
angenommen (Sonntag und v. Criegem).
Sodann findet Gufsmann*) in der Stelle aus einem Briefe®)
des Andreae an Comenius, datiert 16. Cal. Oct. (== 16. Sept.) 1629:
Itaque tabulas naufragii nostri vobis legendas, ac si
lubet sarciendas tradimus: satis beati, si non omnino magnis
ausis exciderimus. Hoc se solati sunt, qui novas terras erroribus
suis aperuerunt seauuturis feliciore navigatione „eine für An-
dreaes „sinnreiche Manier" . . . ziemlich deutliche Anspielung auf
die jDescriptio'".
Ehrwägt man nun die bei Andreae selbst vorkommende schwan-
kende Betitelung der eigenen Schriften*) und zieht man femer
in Betracht, dafs seit dem ersten Studium und Excerpierung der-
selben seitens des Comenius ^) nach Malsgabe der beiden Briematen
eine Reihe von Jahren verflossen ist, so ergiebt sich, dafs Co-
menius den Titel „De republica Christiana**, falls er nicht etwa
bei Andreae oder sonstwo bereits vorkam, selbst frei nach dem
Gedächtnis gebildet, da ihm der genaue Titel nicht mehr erinner-
lich war, und dafs er Cataphar [irrtümliche Schreibung statt des
richtigen : Caphar] Salama in Parenthese hinzugefügt hat, um die
gewünschte Schritt deutlich als diejenige zu bezeichnen, in welcher
Andreae das Bild seines auf der Insel im Weltmeere gelegenen
Musterstaates entworfen.
1) a. a. 0. S. 3 f.
«) a. a. 0. S. 471 f.
*) In deutscher Übersetzung citiert von Keller in der erwähnten Ab-
handlung S. 235 f.
*) VerjfL Veri Christi anismi solidae^ue Philosophiae Libertas etc. ==:
Veri Christian! libertas =^ libertas christiana <= veri Christianismi libertas.
ß) Vergl. KvacsaU a. a. 0. S. 38.
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Zur Bücherkunde.
Von und Über Krause.
Krauses handschriftlicher Nachlafs und seine
Herausgabe bis 1893.
Von
Paul Hohlfeld in Dresden.
Am 24. Juli 1822 schrieb Krause (vergl. Anschauungen III,
1892, S. 235): „Ich weifs es zwar nicht, ob es Gott gefallen wird,
meine noch ungedruckten Handschriften durch mich oder andere,
durch meine Kinder, Bekannte oder noch Unbekannte zu Rettung
und Wesenbelebigung — zum Heile — der Menschheit mitwirksam
zu machen *) : aber ich bin verpflichtet, so damit zu verfahren, als
ob dieses einst dennoch geschehe, — also diese Handschriften so
vollkommen, so berichtigt, so übersichtlich als möglich zu machen.
Dazu dient eine wissenschaftliche Inhaltangabe (raisonnierendes Re-
pertorium) und Würdigung derselben *) , und ein gemeinsames Sach-
verzeichnis ®) (ein gleichförmiger Index) dazu. Das wird dem künf-
tigen Bearbeiter Licht und Erleichterung geben."
Im Jahre 1822 hatten Krauses Handschriften die stattliche
Zahl von 60 Bänden erreicht (s. Anschauungen IH, S. 213), und
wenn auch bis zu seinem Tode (1832) ein Werk nach dem andern
gedruckt worden war, so erschien doch das Gedruckte dem Umfang
nach unerheblich gegen das Übrigbleibende. Das blofse Abschreiben
des Nachlasses würde ein Menschenalter erfordert haben!
Der Inhalt der Handschriften erstreckte sich auf das Qesamtgebiet
der Wissenschaft, der Erkenntnisquelle nach auf die reine Vernunft-
1) Ähnlich auch Anschauungen IH, S. 29 u. 212 f.
*) Der Vorsatz, dies beides auszuarbeiten, ist von Krause leider nicht
ausgenihrt worden.
') Dasselbe bildet einen wichtigen Teil des Nachlasses, einmal von
Krauses Hand, dann noch in einer Abschrift von anderer Hand.
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192 Hohlfeld, Heft 6 u. 7.
Wissenschaft (Philosophie und Mathematik), auf die Erfahrungs-
wissenschaft und die Durchdringung beider, die angewandte Philo-
sophie der Greschichte.
Krause beklagt und verwirft die eingewurzelte Trennung von
Mathematik und Philosophie. Er hat auf das eingehendste auch
Mathematik getrieben, namentlich die Kombinationslehre ^) ausgebildet,
die allgemeine Auflösung der Gleichungen ^) versucht und eine ganz
neue Betrachtung der krummen Linien, rein nach den Begriffen der
Länge, der Richtung und dem wechselseitigen Verhältnisse beider,
gefunden. Der aufserordentlich umfangreiche mathematische Nach-
lafs Krauses ist fast noch gar nicht durchgesehen, benutzt und ge-
würdigt, geschweige bearbeitet und herausgegeben worden. Eine
Programmabhandlung ilber Krause als Mathematiker, welche nicht
blofs die gedruckten, sondern auch die handschriftlichen mathe-
matischen Arbeiten Krauses berücksichtigt, von H. Hüniger in
Eisenberg (S.-A.), dem Geburtsorte Ki*auses, steht in naher Aussicht.
Die Anerkennung Krauses als Begründers und Ausbildners der
Mathematik im Sinne einer allgemeinen Wesenheitlehre, welche
neben der Lehre von der Gröfse und Grofsheit und von der Ganz-
heit bez. Unendlichkeit auch die Lehre von der Selbständigkeit
oder Selbheit und vom Verhältnis oder von der Verhaltheit im
weitesten Sinne umfafst, ist erst von der Zukunft zu erwarten.
Erschwert wird das Verständnis der Krauseschen Mathematik
durch eine Reihe neuerfundener Zeichen. Der allenthalben schöpfe-
rische Denker hat sich nämlich auch mit dem berühmten Problem
einer Pasigraphie oder, wie er selbst sagt, Wesengestaltsprache ernst-
lich und mit Erfolg beschäftigt. Es handelt sich um eine Bezeich-
nung der Gedanken lediglich durch Raumzeichen, unabhängig von
aller Lautsprache. Krauses tiefe Kenntnis der Raumlehre^) tritt
also hier in den Dienst der Bezeichnungskunst. Die vielen Werken
Krauses beigegebenen Figurentafeln sind Anfänge und Beispiele
seiner Wesengestaltsprache.
Daneben suchte er auch eine Wesenlautsprache*) zu schaffen,
d. h. eine künstliche, dem Urbilde der Sprache überhaupt und der
Wissenschaftsprache*) insbesondere entsprechende Lautsprache, un-
abhängig von und im Gegensatze zu den bisherigen natürlichen Laut-
sprachen der einzeln.en Völker bez. Sprachgenossenschaften.
Die vielen auffallenden, zum grofsen Teil recht umfänglichen
Benennungen der strengen deutschen Wissenschaftsprache®) Krauses
^) Vergl. Anschauungen II, S. 226; Lehrbuch der Combinationlehre
und der Arithmetik 1812.
«) Vergl. Anschauungen III, S. 20, 43.
') Vergl. Anschauungen III, S. 151 f.
*) Vergl. Anschauungen II, S. 157, 170.
^) Vergl. Anschauungen II, S. 175. Von der Würde der deutschen
Sprache und von der höheren Ausbildung derselben überhaupt, und ah
Wissenschaftsprache insbesondere, Dresden 1816.
•) Vergl. Anschauungen U, S. 153, 175, 190, 193.
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1893. Von und über Krause. 193
sind anzusehen und zu begreifen als ein wesentliches Mittelglied
zwischen dem gewöhnlichen Deutsch und der Wesenlautsprache,
oder als ein anschauliches und unterrichtendes Beispiel der Fort-
bildung einer Volkslautsprache *) nach den Gesetzen und dem Muster
der Wesenlautsprache, in erster Linie im Dienste der Wissenschaft.
Krause unterscheidet selbst in seinen eigenen Schriften zehn
verschiedene Weisen oder Stufen der Darstellung in deutscher Sprache
nach ihrer steigenden Wissenschaftlichkeit. Übrigens war es seine
Absicht keineswegs, die gewöhnlichen kurzen Wörter der Volks-
sprache ftir zusammengesetzte Begriffe, z. B. Hecht, ganz abzuschaffen.
Nur wollte er daneben ftir die strengwissenschaftliche Behandlung
tind zur bequemen Wiederholung die langen, wesengemäfsen Be-
zeichnungen einführen.
Die deutsche Sprache hat Krause auf das gründlichste durch-
forscht. Es gelang ihm, seinen Wissenschaftgliedbau (= System)
in reinem Deutsch darzustellen, und den bisherigen gelehrten
lateinisch - griechischen Mischmasch^) als Wissenschaftsprache der
reinen Vernunftwissenschaft (als Terminologie der Philosophie) ent-
behrlich zu machen. Er beabsichtigte, nach ganz neuen, eigen-
tümlichen, wohldurchdachten Grundsätzen ein deutsches Wörterbuch
zu schreiben: ein ürworttum der deutschen Sprache. Die beiden
Ankündigungen desselben sind noch heute beachtenswert und werden
hoffentlich in Zukunft dazu beitragen, die Wortkunde (Lexikographie)
auf eine höhere Entwicklungsstufe zu bringen.
Nachdem die Hälfte der Vorarbeiten zum ürworttum fertig
war, blieb die Ausführung wegen Mangel an genügender Beteiligung
liegen.
Die umfangreichen Vorarbeiten zum ürworttum sind der am
wenigsten wertvolle Teil des Nachlasses.
Damit verbinden wir gleich das andere Werturteil, dafs die
Wesengestaltsprache Krauses uns weit bedeutender und zukunfts-
reicher scheint, als seine Wesenlautsprache.
Der Wissenschaflgliedbau Krauses umfafst auch die gesamte
Erfahrungswissenschaft, z. B. Geschichte der Wissenschaft überhaupt
und der einzelnen Wissenschaften, der Philosophie, der Mathematik,
der Religions- und der Rechtswissenschaft, Auszüge aus den Schriften
gottinniger Menschen (der Mystiker), Nebenstellen (Parallelstellen)
zu den einzelnen Sätzen des eigenen Systems aus den Werken
früherer und gleichzeitiger Denker u. s. w.. Schätze, welche zum
grolsen Teile immer noch nicht gehoben sind.
Eine Haupteigenttlmlichkeit und ein Hauptvorzug der „Wesen-
lehre", wie Krause mit Vorliebe sein System nennt (Wesen Gott),
weil alles einzelne in Gott, im Lichte des Gottesgedankens betrachtet
wird, ist die Forderung eines harmonischen oder synthetischen Teiles
*) Vergl. Anschauungen III, 8. 84.
*) Vergl. Anschauungen II, S. 314.
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194 Hohlfeld, Heft 6 u. 7.
der Wissenschaft, einer gesetzmäfsigen Vereinigung der reinen Ver-
nunft- und der Erfahrungserkenntnis.
Krause bestreitet auf das entschiedenste, dafs die reine Ge-
schichtswissenschafty wie so oft behauptet wird, „die Lehrerin", d. h.
die Hauptlehrerin, der Menschheit sei, höchstens sei sie eine „Unter-
lehrerin". Hauptlehrerin sei vielmehr die (auf die erfahrungs-
mäfsige Geschichtswissenschaft) angewandte Philosophie der Ge-
schichte.
Durch gesetzmäfsige Verbindung der reinen Urbegriffe und
der Geschichtsbegriffe entstehen^ nun die Musterbegriffe, die ange-
wandten Ideen, so wie durch die Verbindung der Urbilder und
der Geschichtsbilder die Musterbilder oder angewandten Ideale.
Diese bieten, was die Lebenskunst erheischt, die hinreichende Be-
stimmtheit und die erforderliche Unbestimmtheit, welche nach den
sich stetig ändernden Umständen vollends durchzustimmen ist, worauf
dann das vollständig bestimmte innere Bild stufenweis in die äufsere
zeitliche Wirklichkeit übertragen werden kann.
Vor allem sind es die Urbilder „der Menschheit, des Menschheit-
lebens und des Menschheitbundes **, welche Krause am Herzen liegen.
„Urbild der Menschheit" ist der Titel eines der früheren und
zugleich der schönsten, ansprechendsten und verständlichsten Werke
Krauses.
Ende März 1808^) erfafste Krause den Gedanken des Mensch-
heitbundes mit voller Klarheit. Seine menschheitbundlichen Schriften^)
stellte er noch über seine wissenschaftlichen Werke, wenn sich jene
auch als einen Teil, und zwar als den innersten und erstwesent-
lichen Teil seiner wissenschaftlichen Leistungen, ^) ansehen lassen. *)
Um dem Urbegriffe und dem Urbilde des Menschheitbundes
schliefslich den Musterbegriff und das Musterbild ^) desselben zur Seite
stellen zu können, erforschte Krause aufs sorgfältigste die Geschichte
der Menschheit behufs Entdeckung der Vorahnungen des Menschheit-
bundgedankens und der Keime seiner geselligen Darlebung. In
diesem Sinne würdigte Krause den pythagoreischen Bund, den
Staatsgedanken bei Piaton, den christlichen Gedanken des allum-
fassenden Himmelreiches auf Erden, welcher nach seiner Ansicht in
der Ausillhrung sich freilich zu einem blofsen Heligionsvereine, der
christlichen Kirche, verengte, die Bestrebungen ®) eines Andrea, Come-
nius u. a., sowie der Freimaurerbrttderschaft. Krause glaubte 1817
die Entdeckung gemacht zu haben,') dafs die Stifter der Neu«
^) VergL Anschauungen II, S. 87; 24.
«) VergL Anschauungen II, S. 321 : III, S. 212, 269, 274.
»j VergL Anschauungen I, S. 196, ll, 8. 228.
*) Vergl. Anschauungen IH, S 41.
) VergL Anschauungen I, S. 205.
•) Vergl. Anschauungen II, S. 225: „Die menschheitbundlichen Ahn'
versuche sind stets von Wissenschaftforscnem und durch Wissenschaft be-
geisterten Gottinnigen ausgegangen."
') VergL Anschauungen II, S. 163; Kunsturkunden IV, 1821, 3—36.
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1893. Von und über Krause. 195
englischen Grofsloge (1717), Anderson und Desaguliers ') ihre Grund-
gedanken wörtlich aus Comeniua entlehnt hätten.
Das glänzendste Ebrenzeugnis aber giebt er diesem in den
Worten (Anschauungen II, S. 221) : „Comenius' Plan eines Wissen-
schaftgliedbaues verhält sich zu meinem Plane des Wissenschaftbaues
ähnlich, wie Comenius' Plan eines allgemein menschlichen Vereines
zu meinem Plane des Menschheitbundes. (S. dessen Panegersia.)"
Der handschriftliche Nachlafs Krauses nebst den mit Bemer-
kungen und Nachträgen des Verfassers versehenen Handexemplaren
der gedruckten Werke und den an ihn gerichteten Briefen wurde
in sechs mittelgro(sen Schränken aufbewahrt. Die Gefahr, dafs
derselbe in alle Winde zerstreut würde, oder unbeachtet zu Grunde
ginge, hat Krauses eifrigster Schüler, Hermann von Leonhardi,
glücklich abgewendet.
Der Nachlafs kam nach langwierigen Verhandlungen in die
Wohnung und unter die Aufsicht Leonhardis, des Schwiegersohnes
Krauses, während das Eigentumsrecht an demselben der Familie
Krause vorbehalten blieb, und wanderte mit Leonhardi von München,
wo der edle Dulder endlich von seinen unsäglichen Leiden Erlösung
gefunden hatte, nach Heidelberg und Prag.
H. von Leonhardi hat aus dem Nachlasse folgende Werke zum
Drucke befördert:
1) die vollkommen druckfertige j nur infolge äufserer Gründe
liegen gebliebene Religionsphilosophie ^) : 1834 Band I, 1836 das
Sachverzeichnis, 1843 die beiden Abteilungen von Band H.
2) 1886 die Lehre vom Erkennen und von der Erkenntnis
(eine Nachschrift von Vorlesungen an der Göttinger Hochschule).
3) 1843 die Lebenlehre oder Geist der Geschichte der Menschheit.
Femer veröffentlichte er kleinere Abhandlungen Krauses in
der von ihm herausgegebenen Zeitschrift: Neue Zeit (1869 — 1875,
11 Hefte), so die Menschheitgebote in Heft 5, den Glauben an die
Menschheit in Heft 6, den Entwurf eines europäischen Staaten-
bundes in Heft 7. Endlich veranstaltete er 1868 eine zweite, durch
die Verbesserungen und Zusätze des Verfassers bereicherte Auflage
der ersten Hälfte der „Grundwahrheiten" (1829) unter dem Titel:
„Erneute Vernunftkritik** und der ersten Hälfte der Vorlesungen
über das System der Philosophie (1828) unter dem Titel: „Empor-
leitender Teil**.
Eine zweite, unveränderte Auflage des längst vergriffenen „Ur-
bildes der Menschheit** (1811) hatte gerade 40 Jahre später (1851)
der älteste Sohn des Verfassers, Karl Krause, besorgt. 1835 gab
*) Vergl. Anschauungen II, S. 217.
*) -Die absolute ReBgionsphilosophie in ihrem Verhältnisse zu dem
gefühlglaubigen Theismus und nach der' in ihr gegebenen endlichen Ver-
mittlung des Supematuralismus und Rationalismus. Dargestellt in einer
philosopnischen Prüfung und Würdigung von Fr. Bouterwek's Schrift: die
Keli^on der Vernunft, und von Fr. Scmeiermacher's Einleitung zu dessen
Schrift: Der christliche Glaube."
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196 Hohlfeld, Heft 6 u. 7,
H. Schröder in München die völlig druckfertige Kurvenlehre Krauses
heraus (Novae theoriae linearum curvarum specimina V): dieselbe
war einst in derselben Stadt von Schelling als Präsidenten der
Akademie der Wissenschaften als unbrauchbar, ohne Umschlag durch
den Akademiediener dem Verfasser zurückgeschickt worden.
1837 veröffentlichte Leutbecher den gleichfalls völlig druck-
fertigen Abrifs der Ästhetik, und im folgenden Jahre (1838)
V. Straufs (später von Straufs und Torney) die Anfangsgründe der
Theorie der Musik, die er mit sinnigen Versen einleitete.
Verdienstvoll war, dafs Lindemann 1839 das Leben und die
Wissenschaftlehre Krauses aus des letzteren Handschriften zusammen-
stellte und herausgab.
1848 erschienen Krauses Vorlesungen über psychische Anthro-
pologie in der eilfertigen Bearbeitung und angeblichen stilistischen
Verbesserung von H. Ahrens, womit Leonhardi ganz unzufrieden
war. Wider des letzteren Willen wurden Krauses Vorlesungen
über Rechtsphilosophie 1874 von Röder herausgegeben, der wert-
volle Bemerkungen beifügte.
Nachdem Leonhardi 1875 in Smichow bei Prag gestorben war,
kam Krauses Nachlafs infolge Verabredung der von Leonhardi zur
Fortführung seines Werkes ausersehenen und darum zu Erben er-
nannten Männer 1877 in die Verwahrung P. Hohlfelds in Dresden.
Sein gesamtes beträchtliches Vermögen hatte Leonhardi laut Testa-
ment in erster Linie zum Drucke des handschriftlichen Nachlasses
seines Meisters bestimmt, und das Smichower Bezirksgericht hat in
Gemeinschaft mit einem vom Gericht ernannten Kurator der Leon-
hardischen Verlassenschaft darüber zu wachen, dafs die Erben die
im Testamente getroffenen Bestimmungen des Erblassers genau be-
obachten.
P. Hohlfeld und A. Wünsche, beide in Dresden, vereinten sich,
nachdem ihr Versuch, die „Neue Zeit" fortzuftlhren, und auch der
Plan des letzteren, eine streng wissenschaftliche Zeitschrift als Organ
der Krauseschen Philosophie herauszugeben, an dem Widerspruche
des Gerichts gescheitert war, zur Veröffentlichung von Krauses
Handschriften.
Es erschienen nunmehr in rascher Folge : 1882 die Vorlesungen
über Ästhetik (eine gröfsere Lücke in der von Krause durchgesehenen
Handschrift konnte nach dem Ankauf der vollständigen Niederschrift
Edmunds von Hagen, welcher Krauses Vortrag mittelst der Horstig-
schen Stenographie nachgeschrieben hatte, glücklicherweise ergänzt
werden) und das System der Ästhetik, welchen Hohlfeld erklärende
und vervollständigende Anmerkungen beifügte; 1883 die Dresdner
Gemäldegalerie, die Landverschönerkunst , welche Baurat Vorherr
in München herausgeben wollte, und die bereits 1832 als erschienen
buchhändlerisch angekündigt,« aber in Wahrheit noch garnicht ge-
druckt war, und die Keisekunststudien ; 1884 die Methode des
akademischen Studiums, die Vorlesungen über synthetische Logik,
welche trotz der aufserordentlichen Schwierigkeit des Verständnisses
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1893. Voö ^^^ ^^^ Krause. 197
unerwartet reichen Absatz fanden, und die Einleitung in die Wissen-
schaftslehre (von Krause früher : Einleitung in die Litteraturgeschichte
genannt); 1885 die augewandte Philosophie der Geschichte und der
analytisch - induktive Teil; 1886 die reine allgemeine Vernunft-
wissenschaft und der Abrifs des Systeraes (einschliefslich der zweiten
Abteilung, des absteigenden Teiles, welche in der 1825 bezw. 1828
vom Verfasser selbst besorgten Ausgabe gefehlt hatte); 1887 die
Geschichte der Philosophie; 1888 die Sittenlehre (1810) in zweiter,
sehr stark vermehrter Ausgabe; 1889 die neueren philosophischen
Systeme (Kants, Fichtes und Schellings), der Grundrifs der Philo-
sophie der Geschichte, Philosophische Abhandlungen (darin die drei
lateinischen Habilitationsschriften Krauses für Jena 1802; Berlin 1814
und Göttingen 1824, die erste und die dritte zugleich in deutscher
Übertragung des Verfassers, und drei Abhandlungen über Mathe-
matik) und der sehr vermehrte ableitende Teil der Vorlesungen
über das System der Philosophie (1828); 1890 das Eigentümliche
der Wesenlehre, worin Krause selbst die Haupteigentümlichkeiten
seiner Lehre kennzeichnet und dieselbe streng sachlich, wie die
Leistung eines anderen, beurteilt; 1890 — 1892 drei Bände An-
schauungen (teils Beiträge zur Lebensgeschichte des Verfassers,
teils Einzelsätze aus den verschiedensten Wissenschaften , die er
nicht sofort an der gehörigen Stelle des Wissenschaftglied baues
eintragen konnte) ; 1892 aufserdem die Anfangsgründe der Erkenntnis-
lehre; 1893 das Werk „Zur Religionsphilosophie und spekulativen
Theologie", der Abrifs der Geschichte der griechischen Philosophie
und Aphorismen zur Sittenlehre.
Mittlerweile hatte Wünsche allein 1891 die Sprachphilosophie
herausgegeben; desgl. Dr. jur. Mollat 1890 das Naturrecht (die 2. Ab-
teilung zum erstenmal, während die 1. Abteilung bereits 1803 für
sich erschienen war) und 1893 Krauses Bemerkungen und Erläute-
rungen zu Fichtes Grundlage des Naturrechts. 1891 fertigte Trömel
ein Verzeichnis zu dem emporleitenden (1868) und dem ableitenden
Teile der Vorlesungen über das System der Philosophie, nebst
Nachträgen (1889).
Damit ist aber der handschriftliche Nachlafs Krauses noch lange
nicht erschöpft. Die bisherigen Herausgeber Mollat, Hohlfeld und
Wünsche gedenken mit Gottes Hülfe rüstig weiter zu arbeiten, und
als neue Mitarbeiter sind Oberlehrer R. Vetter in Dresden und
Professor Mucke in Dorpat gewonnen. Vielleicht tragen auch diese
Mitteilungen dazu bei, neue Kräfte uns zuzuführen!
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Nachrichten.
Die Eigenart der Persönlichkeit und ihrer Bedeutung brachte es mit
sich, dafs Comenius^ Thätigkeit bisher in erster Linie von Männern be-
trachtet und gewürdigt worden ist, die von Beruf Philosophen, Gottes-
gelehrte oder Vertreter der £rziehungslehre waren. Indessen darf darüber
nicht vergessen werden, dafs der erste, der das Andenken des C. in un-
serem Jahrhundert wirksam erneuerte, von Beruf ein Geschichtschreiber
im engeren Sinn, d. h. ein Vertreter der politischen Geschichte, gewesen
ist — AntOB Oindelj. Da ist es denn nun von Wichtigkeit, dafs auch
jetzt, bei Gelegenheit der Jahrhundertfeier, Gindely abermals zur Feder ge-
griffen hat, um eine zweite Auflage seiner Arbeit : „Über des Johann Arnos
Comenius Leben und Wirksamkeit in der Fremde" zu veranstalten. Sein in-
zwischen eingetretener Tod (f am 24. Okt. 1892, s. M.H. der CG. 1892, S. 322)
hat die Ausgabe verzögert; jetzt ist die Schrift erschienen (Znaim, Foumier
& Haberler, Preis 2 Mk.) und wir werden in Kürze an anderer Stelle
darauf zurückkommen. Die Bedeutung dieser Veröffentlichung liegt,
wie bemerkt, abgesehen von ihrem Inhalt, zugleich in der Person und
der Stellung des Verfassers. Angesichts des Umstandes, dafs die politischen
Historiker die Bearbeitung der Lebensgeschichte von Päpsten, Kardinälen
und Bischöfen oder auch der Geschichte der Reformatoren und der Re-
formation als zu ihren Aufgaben gehörig betrachten, darf angenommen
werden, dafs nach Gindelys Vorgang auch noch andere Geschichtsforscher
im engeren Sinn sich dieser oder verwandten Aufgaben unserer Gesellschaft
zuwenden werden. In der That sind denn auch eine Reihe bekannter Ver-
treter der politischen Geschichtschreibung — wir nennen unter anderen
die Herren von Below (Münster), von Bezold (Erlangen), Caro (Bres-
lau), Kluckhohn (Göttingen), Loserth (Graz), Oncken(Giefeen), Watten-
bach (Berlin) — Mitglieder unserer Gesellschaft geworden.
Herr Professor Dr. Kvacsala in PreGsburg — D.M. der CG. — ist von
der Kgl. Akademie der Wissenschaften in Prag beauftragt worden, die Briefe
von und an Comenias, soweit sie an aufserösterreichischen Fundorten noch
zu ermitteln sind, behufs Herausgabe zu sammeln. Herr Kvacsala wird sich
zu diesem Zweck noch im Laufe des Sommers nach Paris, London und
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1893, Nachrichten. I99
Stockholm begeben. Die Königl. Akademie hätte den bezüglichen Auf-
trag in keine geeigneteren Hände legen können. Herr Kvacsala ist, wie
sein Buch beweist, gegenwärtig der genaueste Kenner des gesamten
Quellenmaterials zur Geschichte des Comenius. Seine Kenntnis der deutschen,
slavischen, ungarischen und französischen'.Sprache wird ihm bei seinen Ar-
beiten ein ausgezeichnetes Förderungsmittel sein. Der Briefwechsel des C,
den Patera im Jahre 1892 herausgegeben hat, umfafst kaum die Hälfte des
schon heute bekannten Stoffes. Durch Kvacsalas Reisen dürfte noch weit
mehr an das Licht kommen. Wir bitten unsere Mitglieder, zumal
die ausländischen, ihn kräftig zu unterstützen.
Dafs die beiden gröfsten Gelehrten Deutschlands und Italiens im
vorigen Jahrhundert, 6. W. Leibniz und L. A. Bluratori, im Briefwechsel
mit einander gestanden haben, war schon längst bekannt A. y. Reumont
hatte in der Kieler Monatsschrift 1854 Mitteilungen über ihn gemacht,
nachdem zuvor der Marchese Giuseppe Campori gelegentlich der Enthüllung
des Denkmals für Muratori in Modena darüber gehandelt hatte. Jetzt liegt
uns die vollständige Korrespondenz des alternden Leibniz mit dem viel
jüngeren italienischen Gelehrten aus den Jahren 1708 bis 1716 mit einigen
dazugehörigen Briefen anderer Personen in einer ausgezeichneten Ausgabe
vor, welche Herr Matteo Campori zuerst in den Atti e Memorie della
R Deputazione di Storia patria delle Provincie Modenesi. Ser. IV. T. IIL
1892 hat abdrucken lassen, dann aber auch unter dem Titel: Corrispon-
denza tra L. A. Muratori e G. G. Leibniz conservata nella R.
Biblioteca di Hannover ed in altri istituti. Modena 1892 XLHI u.
335 S. in gr. 8^ besonders herausgegeben hat.
Centralbl. f. Bibliothekswesen.
In nächster Zeit erscheint im Verlage von Herm. Heyfelder in Berlin
(R. Gaertners Verlagsbuchhandlung) ein Buch: Johann ßfiaderlin und die
Anfönge des Täufertums in Oberösterreich von Dr. Alexander Nicola-
doni, Hof- und Gerichtsadvokat in Linz a. Donau. Johann Bünderlin ist
jener originelle Vorläufer Sebastian Francks, der im 16. Jahrhundert das
„geistige Christentum^ am wärmsten zum Ausdruck gebracht hat und dem
Schellhom, Hagen, Gerbert und in neuester Zeit A. Hegler in „Geist und
Schrift bei Sebastian Franck*^ Beachtung geschenkt haben. Dr. Alex. Nico-
ladoni bringt eine Reihe bisher unbekannter biographischer Daten, weitere
ausführliche Auszüge aus bereits bekannten und nicht bekannten Schriften
Bünderlins. Nicoladonis Buch enthält endlich interessante Nachrichten über
den Gang der Reformation und der Täuferbewegung in Oberösterreich, einen
der Herde der letzteren, in den Jahren 1526 — 1531 und belegt dieselben
mit zahlreichen, bisher noch nicht veröffentlichten Urkunden. Wir werden
nach dem Erscheinen des Werkes eingehender darauf zurückkommen.
Deseartes fiber Coraenins. Comenius war, wie den Kennern seiner
Philosophie bekannt ist, nicht in allen Auffassungen mit Descartes ein-
verstanden. Insbesondere fafste C. das Verhältnis zwischen Philosophie
und Theologie anders auf als Descartes. Um so interessanter ist folgendes
Monatshefte der Comeniafl-Gesellschaft. 18d3. 14
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200 Nachrichten. Heft 6 u. 7.
Urteil des Descartea über des C. Pansophie, wie es sich bei Kvacsala,
Oomenius, Belege und Erklärungen S. 67 findet. Es ist den für die Ge-
schichte unseres Forschungsgebietes reichen Sloane-Mss. des Britischen
Museums entnommen und lautet:
Judicium de Opere Pansophico. Quemadmodum Deus est unus et creavit
Naturam unam simplicem^ cantinuam übique sibi cohaererUem et respondentem,
paucissimis eanstantem Principiis elementisque, ex quibus infinitis propemodum
reSj sed m i^ria regna Min,y Veget. et AnimaJe certo inter ae ardine gradihusque
distincta perduocit; ita et harum rerum eognüionem oportet ad simiüitudinem
wtius Creatoris et Unius Ntxturae umversamy simplicem^ coniiwuam^ non inter-
ruptam, paucis constantem principiis (imo tmico Principio principcdt) unde
caetera omnia ad specialissima usque individuo nexu et sapientissimo ordine
deducta pertnanentj ut ita nostra de rebus universis et singulis contemplatio
simiUs Sit Pictwrae vel speculo, Universi et Singularum ^usdem Partium imo-
ginem exactissime repraesentoMti. De modo autem speeuium eiusmodi con-
ficiendif naturae maxime consentaneus iUe videtur (quem et Comenius hac de re
libros mundi utriusque Majoris nimirwn et Minoris cum libro Scripturae ut
audio potissimimi consiüentem sibi digere co^jicio) qui Vestigia Creatoris in
producendis rdms accwratissme observet^ Ha ut ex rationis lumine primo
pröbetur; necessario coneedendum esse rerum conditorem et Deum^ deinde Crea-
turae eo pertractentur modo, quo Moses eas in Genesi sua procreatas luculenter
descripsit: quarum gubemationem libri profaniy praecipiAe vero sacri ad finem
usque saeculorum continuandam expUcaiü, denique ad Deum^ tamquam ad
Punctum vel Centrum unde progressus omnia educamus. Sic uti ex uno per et
ad tmum sunt omnia, ita et horum Ex, per et ad unum Contemplatio utüissima
juxta atque jucundissima est futura,^
Der soeben zur Versendung gelangte Katalog 193 des Antiquariats von
Heinrieh Kerler in Ulm, enthaltend Philosophie (Religionsphilosophie,
Naturphilosophie und Ästhetik), giebt ein Verzeichnis wertvoller älterer und
neuerer Schriften, die das Forschungsgebiet unserer Gesellschaft berühren.
Insbesondere sind die im Arbeitsplan unserer Gesellschaft unter B auf-
geführten sog. Naturphilosophen des 16. und 17. Jahrhunderts und der sog.
Aufklärung des 18. Jahrhunderts stark vertreten. Wir verweisen z. B. auf
Nr. 156— 166 (von und über B aco), Nr.283(Rob.ßoy leX Nr. 312— 315 (Bruno),
Nr.419(Coornhert), Nr. 660—735 (J. G. Fichte), Nr.895— 899 (Grotius),
Nr. 1096— 1118 (Herbart), Nr. 1304-1413 (Kant), Nr. 1588— 1616 (Leib niz),
Nr. 1657-1666 (Locke), Nr. 2507—2530 (Schleiermacher) u. s. w.
Pierer'sche Hofbuohdruckerei. Stephan Oeibel & Co. in Altenburg.
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Monatshefte
der
Comenius-Gesellschaft.
II. Band. — 1893. — Heft 8 u. 9.
Johann Georg Hamann als Geistesverwandter
des Comenius.
Von
Lettau, Königsberg i. PreuCsen.
Vergebens habe ich bis jetzt darauf gewartet, dafs von
anderer Seite auf eine Lücke in der Reihe derer, die der Arbeits-
plan unserer Gesellschaft als Geistesverwandte des Comenius
nennt, hingewiesen und somit gewissermafsen ein begangenes Un-
recht gut gemacht werden möchte. Neuerdings haben mich aber
einerseits der Hinblick auf die sich stetig mehrenden bedroh-
lichen Zeichen der Zeit, andererseits auch Verpflichtungen be-
sonderer Dankbarkeit wiederholt aufs lebhafteste gemahnt, mit
der obigen Klage nicht länger zurückzuhalten und auf eine
Persönlichkeit aufmerksam zu machen, die in ihrem äufsem und
innem Leben, in ihrem Wollen und Wirken unserm Comenius
näher als sehr viele andere steht — auf eine Persönlichkeit, die
diesem insbesondere darin verwandt ist, dafs sie emstlichst be-
strebt gewesen, „eine über den Streit der Parteien und
Kirchen jerhabene christliche Denkweise auf der
Grundlage echter Humanität zur Geltung zu brin-
gen" (s. „Arbeitsplan").
Dafs hiermit von dem in der Überschrift dieses Aufsatzes
genannten Johann Georg Hamann nicht zu viel gesagt wor-
den ist, möge an dieser Stelle vorerst in kürzerer Ausführung
xmd — wenn es wünschenswert erscheinen sollte — später ein-
gehender, vollständiger dargelegt werden.
Monatshefte der Comenins-Oesellschaft. 1393. 15
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202 ^ettau, Heft 8 u. 9.
Eine auffallende Ähnlichkeit zwischen Comenius und
Hamann zeigt sich, wie oben bereits angedeutet, zunächst
schon in ihrem äufsem Lebensgange: Sie wachsen beide in
engen Verhältnissen auf, müssen schon beim ersten Schulunter-
richt die Mängel der zu ihrer Zeit meist üblichen Lehrweise an
sich selbst und an den ihnen Nahestehenden schmerzlich er-
fahren; sie werden im spätem Leben meist dornenvolle Wege
geführt, „mit rauher Hand aus einem Gefkfs ins andere ge-
schüttet".
Wir finden sie bald im Osten, bald im Westen oder in der
Mitte unseres Kontinents; folgenreiche Anregungen erhalten sie
in England, obwohl sie dem ursprünglichen Zwecke ihrer Reise
dorthin nicht gerecht werden konnten. Die zwei gewaltigen
Kriege ihrer Zeit — der 30jährige und der 7jährige — zeigen
ihnen eindringlichst, dafs „die Sünde", insbesondere Intoleranz,
Eroberungs- und Herrschsucht, „der Leute Verderben ist". Als
ihnen sodann nach vielen Jahren voll schwerer, aber doch „köst-
licher Mühen" (Ps. 90, 10) der Osten, dem sie entstammten,
keine ruhige Heim- und SchaflFensstätte mehr gewähren wollte,
folgten sie endlich dem Rufe jugendlicher Freunde und begeisterter
Verehrer nach dem Westen, wo sie die noch übrige Zeit
ihres Lebens in erwünschtem Frieden wirken und die letzte
Ruhestätte finden sollten.
Eine bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen beiden zeigt
sich auch darin, dafs sie von den edelsten und erleuchtetsten
ihrer Zeitgenossen viel gepriesen und bewundert, ja angestaunt
wurden, und dafs dessen ungeachtet doch bald nach ihrem Tode
„die Mehrheit des Volkes diese Wurzelmänner" — um es mit
einem treflFlichen Ausdruck Sailers zu sagen — „vergessen,
ja als Schwärmer und Mystiker verspottet und Gras und Laub
andächtig auf ihre Altäre gestellt hat". Nun aber treibt die
Not der Zeit, insbesondere der Zwiespalt unter den Völkern,
der Hader unter den politischen und konfessionellen Parteien,
die lange Vergessenen und Verkannten wieder auf den Schild
zu erheben als Vorbilder und Führer, denen es von Gott ge-
geben ist, das die Völker Einigende, Läuternde und dadurch
wahrhaft Beglückende und Erhöhende zu erfassen und ein-
dringlichst zu zeigen.
Dafs im nachfolgenden vorwiegend von Hamann die Rede
sein und das Verwandte aus dem Leben und Schaffen des Co-
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1893. Hanjann als Geistesverwandter des Comenius. 203
menius als bekannt vorausgesetzt wird, bedarf wohl kaum der
Entschuldigung.
Der erste Unterricht, den Hamann erhielt, war, wie bereits
angedeutet, teils ein mangelhafter, teils ein gänzlich verfehlter.
„Konrektor Röhl," so hören wir Hamann selber klagen (s.
Schriften, von Roth herausgegeben, I, S. 155 ff.), „in dessen
Schule ich die Vorbereitung fUr eine der obem Gymnasialklassen
erbalten sollte, schmeichelte mir und sich selbst, einen grofsen
Lateiner und Griechen erzogen zu haben; sein Sohn brachte
mich weit in der Rechenkunst; aber es geht das alles verloren,
wenn das Urteil nicht entwickelt wird. Ich fand mich mit einer
Menge von Wörtern und Sachen auf einmal überschüttet, deren
Verstand, Grund, Zusammenhang und rechten Gebrauch ich
nicht kannte. Während ich mich in einigen Dingen weiter be-
fand, als ich es bedurfte, so war ich dafür in weit nützlichem
und nötigern ganz zurückgelassen — weder Historie, noch
Geographie, noch die geringsten Begriffe von der Schreibart
und Dichtkunst — ." Erst auf der Universität (Königsberg) fand
er ähnlich wie Comenius in seinem Aisted u. a. Lehrer,
die es besser verstanden, ihn allseitig anzuregen und zu fördern.
Er erwähnt zunächst mit besonderer Anerkennung den „berühm-
ten Kuntze", dessen Schüler in allen Teilen der Philosophie
und Mathematik er gewesen. Mehr noch rühmt er einen zweiten
Universitätslehrer, Professor Rappold, als einen Mann, „der
einen besondern Scharfsinn besafs, natürliche Dinge zu beur-
teilen mit der Andacht, Einfalt und Bescheidenheit eines christ-
lichen Weltweisen, und eine ungemeine Stärke, den Geist der
römischen Schriftsteller in ihrer Sprache nachzuahmen**. „In
einem kleinen Bezirk der Welt nützlich, war er zu einem gröfsern
geschickt, ihr unbekannt und verborgen, der aber sich, die
Natur und den Schöpfer desto besser kannte, sich selbst ver-
leugnete, der Natur bescheiden und unermüdlich nachging und
den Schöpfer in kindlicher Einfalt verehrte." — Wer erkennt
nicht in Rappold eine Persönlichkeit, die in mehr als einer
Hinsicht Val. Andreae und dessen Einflufs auf Comenius
in Parallele zu stellen wäre?
Die bei seiner Vorbildung erfahrenen lebhaften Eindrücke,
die allerdings einerseits trübe und hemmende, andererseits aber
erfreuliche und fördersame waren, haben wesentlich dazu bei-
getragen, dafs Hamann, ebenso wie Comenius, besondern
15*
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204 Lettau, Heft 8 u. 9.
Fleifs und Eifer auf die Lösung „des gröfsten und wichtigsten
Problems der Menschheit, der Erziehung des heranwachsenden
Gkschlechts" (Kant), verwendet hat.
Mit grofser Freudigkeit beginnt Hamann schon frühe,
in seinem 22. Lebensjahre, seine Lehrwirksamkeit, und zwar
als Erzieher der beiden Kinder einer verwitweten Baronin v. B.
in Kurland. Er bezeichnet den Anfang, den er hier in der Er-
zieherpraxis gemacht, als einen schweren, „da er sich selbst,
seine Unmündigen und eine unschlachtige, rohe und unwissende
Mutter zu ziehen gehabt". Wie gewissenhaft; er es aber dort
in seinem Berufe nahm, ersieht man aus einem Briefe, den er
mit rückhaltloser Wahrheitsliebe bescheiden mahnend an die
Baronin geschrieben hat. „Ich nehme mir die Freiheit," heilst
es darin unter anderm, „Euer Gnaden um einige Hülfe in der
Arbeit anzusprechen. Gewissenhafte Eltern erinnern sich ja der
Rechenschaft, die sie von der Erziehung ihrer Kinder Gott und
der Welt einmal ablegen müssen. Dieselben in Puppen, Affen,
Papageien oder sonst etwas Derartiges zu verwandeln, haben
wir kein Recht. Sie werden dem Hofmeister ihrer Kinder nicht
zuviel thun, wenn sie ihn als einen Menschen beurteilen, der
seine Pflicht mehr liebt, als zu gefallen sucht etc." Nachdem
die eitle Mutter, durch dieses Schreiben verletzt, Hamann
verabschiedet hatte, wurde derselbe Hofmeister der beiden Söhne
des Generals v. Witten auf Grünhof (Kurland). Herr von
Witten erkannte gar bald die Tüchtigkeit Hamanns. „Die
Fortschritte meiner Zöglinge," so schreibt Hamann erfreut an
seine Eltern, „machen den Vater glücklich und gegen mich er-
kenntlich; er redet bisweilen mit nassen Augen von uns gegen
andere, und giebt mir auf alle Weise zu verstehen, wieviel er
von mir hält."
Im übrigen urteilt er aber sehr bescheiden von seiner Er-
zieherthätigkeit: „Gott gab mir viel Geduld, Klugheit und Glück
(bemerkt er in seinem „Lebenslauf"), das wohl hauptsächlich eine
Wirkung des Gebetes meiner frommen Eltern und eine Nach-
sicht göttlicher Gnade und Langmut gewesen ist." Die prak-
tischen Lehrversuche liefsen ihn die Wichtigkeit des Erzieher-
berufes immer inniger erfassen und mehrten seine Einsicht in
denselben. Darum hat er (ebenso wie Comenius) im spätem
mühe- und unruhvollen Leben jede Gelegenheit freudig wahr-
genommen, um sowohl Kinder und Jünglinge selber zu unter-
richten, ab auch andern, namentlich seinem Bruder und seinen
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1893. Hamann als Geistesverwandter des Comenius. 205
Freunden, Rektor Lindner und Herder, didaktische Wei-
sungen zu erteilen.
„Sie wissen," schreibt er an Lindner in den „5 Hirten-
briefen über das Schuldrama" (s. Schriften Bd. H, S. 421),
„wie gern ich von solchen Dingen plaudere, die Kinder und
den gemeinen Mann angehen; denn der wahre Menschenfreund
buhlt um die Stimme des Volks, imd das Lob der Unmündigen
ist die Stärke seines Nachruhms." — Wiederholt bezeugt er
nachdrücklichst, dafs ihm der Erzieher-(Lehrer-)Beruf als der
höchste gilt „Der Wert einer Menschenseele," heifst es in den
„Briefen über das Schuldrama" (Schriften H, S. 413 ff.),
„kann nicht durch den Gewinn dieser ganzen Welt ersetzt
werden. Wie wenig kennt diesen Wert der Andriantoglyph des
Emil (Rousseau), blinder als jener Knabe des Propheten (2. Kön. 6).
Jede Schule ist ein Berg Gottes, wie Dothan, voll feuriger Rosse
und Wagen um Elisa her. Lafst uns also die Augen aufthun
und zusehen, dafs wir nicht jemand von diesen Kleinen verachten,
denn solcher ist das Himmelreich, und ihre Engel sehen allezeit
das Angesicht des Vaters im Himmel."
In ähnlichem Sinne schreibt er an Kant, der ihn aufge-
fordert hatte, eine „Kinderphysik" mit ihm zu bearbeiten (s.
Schriften H, S. 443 ff.): „Wenn Sie ein Lehrer der Kinder sein
wollen, so müssen Sie ein väterlich Herz gegen dieselben haben,
und dann werden Sie, ohne rot zu werden, sich auf das hölzerne
Pferd der mosaischen Märe zu setzen wissen (Schöpfungsge-
schichte nach I. Mos.) ; was Ihnen als hölzernes Pferd vorkommt,
ist vielleicht ein geflügeltes. — Die blinden Heiden haben vor
den Kindern Ehrerbietung, und ein getaufter Philosoph wird
glauben, dafs mehr dazu gehört, als ein Fontenellischer Witz
und eine buhlerische Schreibart. Was schöne Geister fesselt
und schönen Marmor begeistert, dadurch würde man die Ma-
jestät ihrer Unschuld beleidigen. Ein philosophisches Buch
für Kinder würde daher so einfältig, thöricht und abgeschmackt
aussehen, wie ein göttliches Buch, für Menschen geschrieben.
— Das gröfste Gesetz der Methode für Kinder besteht eben
darin, sich zu ihrer Schwäche herunterzulassen, ihr Diener zu
werden, wenn man ihr Meister sein will, ihnen zu folgen, wenn
man sie regieren will, ihre Seele und Sprache zu erlernen, wenn
man sie bewegen will, die unsrige nachzuahmen. — Nun prüfen
Sie sich, ob Sie soviel Herz haben, der Verfasser einer einfäl-
tigen, thörichten und abgeschmackten Naturlehre zu sein. Haben
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206 Lettau, Heft 8 u. 9.
Sie solch ein Herz, so sind Sie auch ein Philosoph flir die
Kinder. Sie sind in Wahrheit ein Meister in Israel, wenn Sie
es fllr eine Kleinigkeit halten , sich in ein Kind zu verwandeln
trotz ihrer Gelehrtheit." — „Es ist nichts daran gelegen," fügt er
im weitem noch hinzu, „was, noch wieviel Kinder und wir
altem Menschen überhaupt wissen, sondern alles wie! Wir
säen nicht ganze Gewächse, auch nicht ganze Früchte, sondern
nichts mehr als das Kleinste davon, den Samen, und dieser
selbst ist zu überflüssig, so dafs er verfaulen mufs, ehe er auf-
gehen kann. Er geht aber nicht auf, wenn der Boden nicht
zubereitet und die Jahreszeit in acht genommen
wird. Von diesen Bedingungen hängt also das Ge-
deihen des Samens mehr ab, als von dessen Natur
selber. Die Mittel, Kinder zu unterrichten, können
daher nicht einfach genug sein. So einfach sie sind^
ist noch immer viel Überflüssiges, Verlornes und Vergängliche»
an denselben. Sie müssen aber reich an Wirkungen
sein, eine Mannigfaltigkeit und Fruchtbarkeit zur Anwendung
und Ausübung in sich schliefsen."
Ähnlich auch noch an Lindner („Hirtenbriefe über das
Schuldrama"): „Der Unterricht in Schulen scheint recht dazu
ausgesonnen zu sein, um das Lernen zu verekeln und zu ver-
eiteln. Alle unsere Erkenntnisse hängen von der
sinnlichen Aufmerksamkeit ab; diese wiederum beruht
auf der Lust des Gemüts an den Gegenständen selbst. Ein
Knabe, der alacritatem ingenii äufsert bei einem Zeitvertreib
(Schuldrama!), gewinnt immer mehr als ein anderer, dem über
dem Cornelius Nepos Hören und Sehen vei^eht, der sich stumpf
memoriert und schläfrig exponiert."
Mit besonders innigen, eindringlichen Worten weist Hamann
immer und immer wieder auf das Urbild und das höchste Ziel
aller Erziehung hin. So schon in seinem „Lebenslauf"
(Schriften I, p. 87 ff.): „Wen der Sohn Gottes frei macht, der
ist recht frei, und wenn die Seele erst in ihm ihren Mittelpunkt
findet, so bleibt sie ihm, wie die Erde der Sonne, getreu, und
alle übrigen Neigungen richten sich wie Monde nach diesem ur-
sprünglichen und eigentümlichen Eindruck des Schwunges und
ihres Laufes. Jesus Christus ist das Haupt unserer Natur und
aller unserer Kräfte und die Quelle aller der Bewegung, die so
wenig in einem Christen still stehen kann, als der Puls im
lebendigen Menschen; und wenn wir alles vergessen, so vertritt
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1893. Hamann als Geistesverwandter des Comenius. 207
er, der Gekreuzigte, alle Weisheit und alle Kraft, alle Vernunft
und alle Sinne." — „Diesem Könige (s. Schriften VII, S. 121),
dessen Name, wie sein Ruhm, grofs und unbekannt ist, ergofs
sich der kleine Bach meiner Autorschaft, verachtet, wie das
Wasser zu Siloah, das stille geht. Kunstrichterlicher Ernst
verfolgte den dürren Halm und jedes Blatt meiner Muse, weil
der dürre Halm mit den Kindlein, die am Markte sitzen, spielend
pfiff (Matth. 11, 16. 17), und das fliegende Blatt taumelte und
schwindefte vom Ideal eines Königs, der mit der gröfsten Sanft-
mut und Demut von sich rühmen konnte: hier ist mehr denn
Salomo." —
Diese Citate dürften genügen, um erkennen zu lassen, wie
Hamann in seinen Grundanschauungen über Erziehung und
Unterricht mit Comenius übereinstimmt Dafs er auch mit
den Schriften dieses seines Vorläufers wohl vertraut gewesen
ist, ersieht man aus mehreren Bemerkungen in seinen Briefen
und Aufsätzen. So schreibt er seinem Freunde Lindner auf
dessen Bitte um Zusendung anregender Schriften (Schriften I,
S. 504): „Ihrem Wunsche bin ich nachgekommen, und schicke
unter anderm zwei Programme von M. Hahn über „Subtilität
und Schulsachen". Einige Citate aus Comenius, die er an-
führt, sind besonders merkwürdig.** — Er freut sich (s. Schrif-
ten III, S. 209), dafs er auf einer Bücherauktion die Werke
des Comenius erstanden und somit „einen wertvollen Zu-
wachs zu seiner Bibliothek erworben habe**. In seiner „Aes-
thetika in nuce*^ (Schriften H, S. 270 ff.) bemerkter, indem
er den einfilltigen Kinderglauben preist, unter anderm: „Sie
werden es wohl ohne Beweis glauben, dafs des berühmten Schul-
meisters und Philologen A. Comenius „Orbis pictus** und des
Muzelii „Exercitia** für Kinder, die sich noch im blofsen Buch-
stabieren üben, viel zu gelehrte Bücher sind**. „Wenn Sie jetzt
merken (Schriften II, S. 435, „Briefe über das Schuldrama**), war-
um eine Absonderung von den besten Anmerkungen über das
Schuldrama unumgänglich ist, damit der Ruhm iv äkXoTQi(^
'KovovL elg ta ^oc/da (H. Cor. 10, 16) aufhöre, so - bleibt uns
noch übrig, das zu erfüllen, was A. Comenius „convertere
ludicra in seria** nennt, weil wir Schulhandlungen als ein
aufserordentlich bequemes und vorteilhaftes Werkzeug voraus-
gesetzt haben, um die dramatische Poesie in ihre Kindheit
zurückzuführen, sie zu verjüngen und zu erneuern.**
Dieselben Gaben und Vorzüge, die einen Comenius be-
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208 Lettau, Heft 8 u. 9.
fähigten, ein Lehrer und Prophet nicht nur seinen Zeitgenossen,
sondern auch den nachfolgenden Geschlechtem zu werden, finden
wir auch in hohem Mafse bei Hamann» Einerseits war es
auch bei ihm die universelle Richtung seines Geistes, verbunden
mit einem unermüdlichen Lerneifer (daher die Fülle und Ge-
diegenheit seines Wissens !), andererseits der demutvolle, beschei-
dene Kindersinn und die herzliche Liebe, die ihren Ursprung
in der ewigen Gottesliebe hat, und die in Bezug auf den Nächsten
alles hofi^t, glaubt und duldet, sich nie erbittern läfst und nimmer
aufhört (1. Cor. 13).
^Hamann," so rühmt J. Paul, „war ein Heros und ein
Kind zugleich." Ahnlich Goethe: „Hamann war der hellste
Kopf seiner Zeit; er wufste wohl, was er wollte" (so in einem
Gespräch mit dem Kanzler Müller, Dezember 1824); desgL
an Moser: „Ich besitze noch zwei Schreiben Hamanns, die
von der wunderbaren Grofsheit und Innigkeit ihres Verfassers
Zeugnis ablegen." — Fr. Jacoby, der Hamann besonders nahe
stand, bezeugt von ihm: „Die ganze Art und Manier seines
Geistes hat eine auffallende Verwandtschaft mit Lessings Wesen
und Eigentümlichkeit. Diese Ähnlichkeit kommt daher, dafs
Witz und Tiefsinn, Scharfsinn und Gelehrsamkeit in den Schriften
beider innigst vereint und gemischt sind. Der Geist und die
gerade Kraft, mit der Lessing nach der Wahrheit strebt, sind
bewundernswert, indessen ist er weit vom Ziele geblieben.
Darin steht Hamann über ihm, wie er denn überhaupt ihn an
metaphysischem Tiefsinn übertrifft. Selbst Kantdarf ihm hierin
nicht gleichgestellt werden. Überhaupt zeigt sich der wahre
und volle Charakter des Philosophen deutlicher an solchen, die
zunächst nur die Wahrheit selbst und ihre eigene Befriedigung
im Auge haben, daher auch sich mehr rhapsodisch mitteilen,
als eigentliche Systeme aufzustellen pflegen." Auch Lessing
bewundert an Hamann die Vielseitigkeit seines Wissens: „Seine
Schriften," bemerkt er in einem Briefe an Herder, „scheinen
als Prüfungen der Herren aufgesetzt zu sein, die sich für Poly-
histors ausgeben; denn es gehört ein wenig Panhistorie dazu."
— Herder erkennt in mehreren seiner Briefe die geistige
Überlegenheit Hamanns an; und selbst ein Hegel, der sonst
abfilUig über Hamann urteilt, bezeugt, dafs dieser seinem
Freunde Herder an Scharfsinn und Tiefe bedeutend überlegen
gewesen sei. Er bemerkt z. B. bei Erwähnung der gegen
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1893. Hamann als Geistesverwandter des Oomenius. 209
Kant gerichteten Abhandlung Hamanns „Metakritik über
den Purismus der reinen Vernunft" : „Man^hat diesen
Aufsatz ans Licht gezogen, um darin die Quelle aufzuweisen,
aus welcher Herder seine mit grofsem Dünkel aufgetretene
und mit gerechter Herabwürdigung aufgenommene, nun längst
vergessene „Metakritik" geschöpft hat." — Niebuhr schliefst
seine Charakteristik Hamanns mit dem Zeugnis: „Hamann
ist einer der tiefsten und gewaltigsten Geister gewesen, die
Deutschland hervorgebracht hat; die originale Richtung seines
Geistes war die eines Starken, der aus einem untergegangenen
Geschlechte in ein ganz verändertes Weltall hineinlebte."
Wahrhaft erstaunlich ist die Allseitigkeit des Wissens, die
Fülle der Gelehrsamkeit Hamanns. In den sechs Jahren des
„Stilllebens im Vaterhause" (von 1759—65) machte er mit be-
wundernswerter Beharrlichkeit die umfassendsten Studien. In
jener Zeit hat er sämtliche bedeutende griechische und römische
Dichter, Philosophen und Historiker aufs genaueste studiert.
Ein vorzügliches Gedächtnis kam ihm dabei zu statten, so dafs
er mit den aus den Alten entnommenen Bildungselementen wie
mit einem ihm vollständig eigen gewordenen Momente schaltete.
Um den Geist der heiligen Schrift noch besser zu erfassen, stu-
dierte er orientalische Sprachen , besonders Hebräisch und Ara-
bisch. Dazu kam, dafs er nicht nur in der modernen Litteratur,
namentlich in der englischen, französischen und italienischen,
ungemein bewandert war — die genannten Sprachen waren ihm
vollständig geläufig — , sondern auch mit dem ihm eigenen Eifer
sich in die Systeme der neuern Philosophen, namentlich Car-
te sius, Wolf, Leibniz und Hume, vertiefte. Häufige
Citate in seinen Schriften liefern den Beweis, wie genau er mit
den sämtlichen hervorragenden Schriftstellern älterer und neuerer
Zeit vertraut war.
Grofs war bei Hamann, wie bei Comenius, „der Herois-
mus im Dulden". Auch in den drückendsten Verhältnissen
verlor er nie das kindliche, fröhliche Gottvertrauen und „wufste
sich", wie Goethe es bewundernd anerkennt, „die Hoheit des
Geistes und der Gesinnung stets zu erhalten". „Wenn Sie alles
haben, was mir fehlt," so schreibt Hamann an seinen Freund
Lindner im Jahre 1761, „so tausche ich meinen Mangel nicht
mit Ihrem Überflufs. — Dafs mich Qott in ein Feld getrieben
hat, das Dornen und Disteln trägt, erkenne ich mit Freude imd
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210 Lettau, Heft 8 u. 9.
Dank." — „Was sind sämtliche Leiden des jungen Werther,"
so schreibt er in seinen „Hierophantischen Briefen**,
„gegen den Druck, unter dem ich schon sieben Jahre in meinem
Vaterlande wie ein Palmbaum getrieben habe.**
Der kindlich grofse Sinn Hamanns, seine mafsvoUe Be-
scheidenheit, die Lauterkeit und natürliche Offenheit, die herz-
liche, aufrichtige Freude an allem Guten, wo er es auch fand,
bewirkten, ebenso wie bei Comenius, dafs er alle, die ihm
nahe kamen, gar bald gewann und fesselte, dafc er in fröhlich-
ster Unbefangenheit mit den heterogensten Naturen verkehren
konnte. Entschiedene Lutheraner und Katholiken gehören zu
seinen Hausfreunden. Ein katholischer Gutsherr befreit ihn von
Nahrungssorgen und nimmt ihn in sein Haus auf; eine katho-
lische Fürstin (GalHtzin) pflegt ihn, den Sterbenskranken, müt-
terlich und weint heifse Thränen über dem Toten ; ein berühmter
Theolog und Philosoph katholischer Konfession (Hemsterhuis)
setzt ihm die Grabschrift nach dem Vulgatatexte : „Viro Chris-
tiane — den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Thor-
heit** (I. Cor, 1, 23), und ein protestantischer König (Friedrich
Wilhelm IV.) kommt, von Liebe und Ehrfurcht getrieben, zu
seinem einsamen Grabe, läfst die Gebeine herausheben, sie
feierlich in geweihter Erde bestatten und ihm ein neues schönes
Denkmal setzen.
Mit Comenius hatte Hamann das ernste Streben gemein,
„sich zu der Einfachheit der Anschauungen, in der die Gegen-
sätze zusammenfallen, zu erheben** (coincidentia oppositorum !).
„Moses und Johannes,** so schreibt er an Jacob i — „Christen-
tum und Judentum, die Lebendigen und die Toten zu vereinigen,
— die durch den Turmbau sich verwildern in gesellschaftlicher
Zerstreuung, durch die Taubeneinfalt des Geistes gleichgesinnt,
und aus gemeinschaftlichen Sündern übereinstimmende Brüder
des Sinnes zu machen, — das ist die Aufgabe!**
Am vollkommensten findet er, ebenso wie Comenius,
diese Coincidentia oppositorum in der Gottesidee: „Die Einheit
des Weltenurhebers (s. Schriften H, S. 276) spiegelt sich bis
in dem Dialekte seiner Werke; in allen ein Ton von uner-
mefslicher Höhe und Tiefe. Ein Beweis der herrlichsten
Majestät und leersten Entäufserung ! Ein Wunder von solcher
unendlichen Ruhe, die Gott dem Nichts gleichmacht, dafs man
sein Dasein aus Gewissen leugnen oder ein Vieh (Ps. 73,
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Hamann als Geistesverwandter des Comenins. 211
21. 22) sein mufs; aber zugleich von solcher unendlichen Kraft;
die alles in allem erfüllt, dafs man sich vor seiner innig-
sten Zuthätigkeit nicht retten kann!" Und ähnlich: „Es
werde! — Erstes und letztes Wort des dreieinigen Schöpfers!
Es ward Licht! Es ward Fleisch! Es werde Feuer!
Siehe ein neuer Himmel und eine neue Erde — ohne Meer und
eine neue Kreatur! Das Alte ist vergangen; siehe! es ist alles
neu geworden. Siehe, ich mache alles neu! Herr, wo
da? — Wo ein Aas ist, da ist Er!"
Nicht ganz ohne Grund wird. geklagt, dafs der Stil Ha-
manns dunkel ist, „dafs er sich nicht selten in Rätsel verhüllt".
Indessen darf nicht übersehen werden, dafs diese von vielen,
namentlich von Gervinus, gerügte Dunkelheit Hamanns
öfter eine beabsichtigte ist. „Ein Schriftsteller," erklärt
Hamann einmal, „der eilt, heute und morgen verstanden zu
werden, läuft Gefahr, übermorgen vergessen zu -sein. Quod cito
fit, cito perit! Meine Welt möchte die Nachwelt sein, deren
Kräfte die Kinder dieses Säkuli nicht zu schmecken imstande
sind. — Man überwindet leicht das Herzeleid, von seinen Zeit-
genossen nicht verstanden und dafür mifs handelt zu werden,
durch den Geschmack an den Kräften einer bessern Nachwelt."
Zum Teil scherzend sagt er ein andermal: „Ich meide das Licht,
vielleicht mehr aus Feigheit als Niederträchtigkeit. 1) Aus
Furcht vor meinen Lesern, da ich feierlich dem grofsen Haufen
resigniert habe (odi vulgus profanum et arceo!). 2) Aus Furcht
vor solchen Kunstrichtem, die nicht so viel Spleen und Lange-
weile zu verlieren haben, wie ich — Zeilen zu pflanzen, deren
Wachstum von Samen, Boden und Wetter abhängt." — „Wäh-
rend andere" — so Dr. Win er über Hamanns Stil — „entweder
nur ein Wort gaben, weil nichts zeugend in ihre Seele filUt,
oder leere Worte, angelernt und angeflogen wie Spreu aus den
Lüften, ist bei ihm, was er lebte und erlebte, im Wort zu hellen
Blüten emporgedrungen oder in herben, bittern Tropfen er-
quollen". — „Welche Schriften müssen am meisten auf die
Wahl und den Reichtum der Sprache bedacht sein?" so fragt
Hamann einmal; er antwortet: „Die leersten, die abgeschmack-
testen, die sündlichsten ! Daher gehört es mit zu der Güte eines
vorzüglichen Werkes, alles Unnütze so viel als möglich auszu-
scheiden, die Gedanken in den wenigsten Worten und die
stärksten in den einfilltigsten zu sagen. Daher ist die Kürze
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212 I-ettau, Heft 8 u. 9^
der Charakter eines Genius selbst unter menschlichen Hervor-
bringungen, und alle Menge, aller Überflufs eine gelehrte Sünde,
Ist die Sünde nicht selbst die Mutter der verschiedenartigen
Sprachen gewesen, wie die Kleidung eine Wirkung unserer
Blöfse?«
Hamann ist, wie Comenius, gewissermafsen in sich selber
eine coincidentia oppositorum, eine geweihte Persönlichkeit, die
da, wo andere nur Dunkel und Irrtum, Verhüllung und Sterb-
lichkeit sahen, allezeit das durchscheinende göttliche Licht und
Leben mit prophetischem Tißfblick erkannte und in Kindes-
einfalt erfafste, somit von Tage zu Tage mehr in die „herrliche
Freiheit der Kinder Gottes hineinreifte und dem Ziele näher
kam, da das Verworrene, Friedlose, Wandelbare vergangen und
Himmel und Erde, Menschliches und Göttliches innig eins sein
werden". „Omnia divina, humana omnia" — einer seiner Lieb-
lingssprüche! Darum gehört er zu den Erwählten, die Gott
gesandt, „den Geist der Nationen mit den Urgedanken
des Christentums zu durchdringen" und den Frieden
unter den Völkern auszubreiten.
Von Tage zu Tage mehren sich nun die Zeichen, dafs das
Verlangen nach einem Völkerfrieden immer mächtiger wird, so-
wie der Eifer, alle Hemmnisse seines Konmiens, seien sie äufser-
Hcher oder innerlicher Art, aus dem Wege zu räumen: Die
völkertrennenden Schranken werden mehr und mehr beseitigt,
Landengen von grofsen Kanälen durchschnitten, gewaltige Ge-
birge zu Tunnelanlagen durchbohrt und die ganze Erde von
Eisenbahn-, Dampfer-, Telegraphen- und Kabellinien umzogen.
Geht man doch allen Ernstes daran, bei Gelegenheit der neuesten
grofsen Weltausstellung in einem „ersten Religions-
parlament'* die Basis „einer vollkommenen Religion aus den
Elementen der sämtlichen historischen Religionen festzustellen
und somit den Schwerpunkt für die künftige Einigung
aller Religionen der Menschheit zu gewinnen".
Freilich wohl trachtet die grofse Menge nach einem Frieden,
nach einer Völkerverbrüderung, die wesentlich auf materialisti-
scher Grundlage ruht, die alle von Gott gegebenen Völker-
eigenheiten verwischen, vernichten und ein irdisches Para-
dies herstellen soll. Das ist allerdings das Reich „des
falschen Friedens" (I. Thess. 5, 3), von dem der Seher
des neuen Bundes zeugt (s. OflF. Joh. 11, 7 ff. und entsprechend
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1893. Hamann als Geistesverwandter des Comenius. 213
n. Thess. 2), dafs es nicht lange Bestand haben kann und soll,
weil es sich von dem Urgründe alles Lebens, der ewigen
Liebe des lebendigen Gottes und seiner Gerechtigkeit
und Wahrheit losgerissen hat.
Um so mehr gilt es nun, nachdrücklichst auf die Gott-
erwählten hinzuweisen, die Herolde und Säulen des wahrhaftigen,
göttlichen und darum ewigen Friedensreiches sind; ja fUrwahr,
ihr Zeugnis hervorzuziehen, neu zu verkündigen und auszu-
breiten, das gilt es, das ist heilige Pflicht! Dafs auch Ha-
mann zu diesen Gottgesandten gehört, das möge schliefslich
noch durch die Zeugnisse zweier besonders gewichtiger und zu-
ständiger Gewährsmänner bestätigt werden.
Der berühmte Kirchenhistoriker Neander bezeugt: „Wir
wollen uns der Hoffiiung hingeben, dafs unser Deutschland, wie
zur Zeit der Reformation, die Geburtsstätte der neuen, herrlichen,
christlichen Epoche, von welcher aus sich dieselbe, in alle Länder
verbreiten soll, werden wird. Männer, wie Hamann, sollen
uns Propheten einer Zukunft, die nicht ausbleiben
wird, sein. Die Stürme des Winters, während der Same im
Schofse der Erde geborgen wird, müssen dem schöpferischen
Frühlinge Bahn bereiten. Wo Himmelskräfte herabkommen
sollen, da regen sich Mächte der Hölle."
Dem entsprechend Goethe (s. Goethes Schriften Band
XXVHI, S. 28): „Es ist gar schön, wenn ein Volk solch
einen Ältervater besitzt, wie das italienische in seinem J. B. V i c o.
Bei einem flüchtigen Überblick seiner Schriften, die mir als ein
Heiligtum mitgeteilt wurden, wollte es mir scheinen, hier seien
sibyllinische Vorahnungen des Guten und Rechten, das einst
kommen soll oder sollte, gegründet auf ernste Betrachtungen
des Überlieferten und des Lebens. Den Deutschen wird
einst Hamann ein ähnlicher Codex werden."
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Christian Carl Josias Freiherr von Bunsen.
Von
B. Baehringy Pfarrer in Mlnfeld (P&lz).
Einer der edelsten Genüsse, welchen die Kulturgeschichte
der Menschheit bereitet, ist die Erkenntnis, dafs durch das La-
byrinth der menschlichen Ansichten, Bestrebungen und Streitig-
keiten sich ein goldener Faden hindurchzieht, der zu immer
hellerem Lichte und befriedigenderer Einsicht in die erziehende
Weisheit und Liebe des himmlischen Vaters emporleitet. Freilich
giebt es immer viele, die diesen goldenen Faden nicht finden,
oder, wenn er ihnen gezeigt wird, ihm nicht folgen. Einseitige
Verstandesmenschen halten sich lieber an die konkreten Erschei-
nungen, als dafs sie ihre Hoffnung auf die Zukunft setzen.
Verbinden sie mit dieser Vorliebe für das Sichtbare Genufssucht,
so tritt infolge der häufigen Täuschungen sehr oft Mifsmut und
Unzufriedenheit ein. Die Weltanschauung des Pessimismus, der
gegenwärtig so viele ergeben sind, ist nichts, als der Versuch,
diesen inneren Zerfall mit Gott und Welt vor dem Verstände
zu rechtfertigen.
Wenn einer Ursache gehabt hätte, sich der pessimistischen
Weltanschauung zu ergeben, so war es Amos Comenius. Die
Zustände Europas waren zu seiner Zeit die denkbar traurigsten.
Auch seine eigenen Lebenserfahrungen waren so betrübend,
dafs sie ihn öfters zur Verzweiflung hätten bringen können.
Doch schrieb er, bald nachdem das Elend des dreifsigjährigen
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1893. Chr. Carl Josias Freiherr von Bunsen. 215
Religionskrieges begonnen hatte^ nicht nur seine „Betrachtungen
über die christliche Vollkommenheit" (1622), sondern im fol-
genden Jahre auch das für alle Christen- und Menschenfreunde
immer noch lehrreiche Buch : „Labyrinth der Welt und Paradies
des Herzens. Die erste deutliche Abbildung davon, wie in dieser
Welt und allen ihren Dingen nichts ist als Verwinning und
Zerrüttung, Marter und Plage, Falschheit und Betrug, Angst
und Elend und zuletzt Überdrufs an allem und Verzweiflung;
dafs aber der allein, welcher in das Heim des Herzens einkehrt
und sich da nur mit seinem Gott und Herrn einschliefst, zur
wahren und vollkommenen Ruhe und Freude des Gemütes
gelangt."
Er hatte den goldenen Faden, der aus diesem Labyrinthe
und seinen gefUhrlichen Irrgängen zum hellen Lichte heraus-
führt, gefunden, war ihm gefolgt und hatte dadurch die unver-
wüstliche Freudigkeit zu seinem reformatorischen Wirken in
der Erziehung und dem Unterricht der Jugend gewonnen. Es
war ihm zur Gewifsheit geworden, dafs nur durch diese Reform
der Kirche und der Menschheit ein bleibender Segen gebracht
werden könne. Verbesserung der politischen und kirchlichen
Gesetze, Fortschritte in der wissenschaftlichen Erkenntnis und
in den technischen Einrichtungen sind nur Mittel, die Un-
zufriedenheit der Menschen zu vergröfsern, so lange nicht durch
die Erziehung und Bildung Geist und Herz von Jugend auf in
das richtige Verhältnis zu Gott, zur Natur und zur Menschheit
gebracht werden.
Moriz Carriöre nennt in seinem Werk: „Die Kunst im
Zusammenhange der Kulturentwickelung und der Ideale der
Menschheit" (fünfter Band, S. 617), den Comenius „einen
Mann von weltgeschichtlicher Bedeutung" nicht blofs deshalb,
weil er einer der genialsten und fruchtbarsten Schriftsteller
seines Volkes war, sondern auch, weil er seine Nation in einen
lebendigen Geistesverkehr mit der germanischen und durch sie
mit allen christlichen Kulturvölkern gebracht hat Er war
durchdrungen von der Idee, dafs die Menschheit trotz aller
scheinbaren Zerrissenheit nach ihrem Grund und Wesen ein or-
ganisches Ganze bilde, und durch Erziehung zu dem Bewufstsein,
ein solches bilden zu sollen, erhoben werden müsse. Diese
Grundidee seines ganzen bewegten Lebens und vielseitigen
Strebens hatte er aber ebenso aus der Bibel wie aus seinem
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216 Baehring, Heft 8 u. 9.
eigenen vernünftigen Nachdenken gewonnen. Daher kommt er
auch auf seiner Wanderung durch das „Labyrinth der Welt"
in der genannten Schrift zuletzt zu Christus und zeigt an der
Gemeinde innerlicher Christen, die das doppelte Licht der Ver-
nunft und 'des Glaubens erleuchtet und durch das Band der
Liebe und des Friedens vereinigt ist, das Ziel aller Kultur-
entwicklung.
Eine Gesellschaft, die in Wahrheit im Geiste des Comenius
wirkt und arbeitet, kann in der That bedeutungsvoll genug
werden. Sie wird nicht blofs das Schulwesen fördern, nicht
blofs den kirchlichen Konfessionen die Idee ihrer Zusammen-
gehörigkeit zu der Einen, Heiligen, Allgemeinen Kirche zum Be-
wufstsein bringen, sondern auch unter den Nationen den Geist
des Friedens durch die Erkenntnis fördern, dafs sie alle auf-
einander angewiesen sind und nur dadurch zu voller Blüte ge-
langen, wenn sie gegenseitig als Glieder am grofsen Leibe der
Menschheit sich unterstützen und voneinander lernen.
Die nationale Idee ist, wie ein slavischer Schriftsteller, Pypin,
gesagt hat, zweischneidig, fort- und rückschrittlich zugleich. Sie
ist in hohem Grade wohlthätig, wenn sie sich regt zum Schutze
des Rechtes und der Menschenwürde, abe» äufserst schädlich,
wenn sie sich in Eigendünkel, Ausschliefslichkeit und Unduld-
samkeit verkehrt. Sie geht dann in Ungerechtigkeit und Streit-
sucht über und ruft dadurch Widerstand und Feindschaft auf
der andern Seite hervor. Mit einem Worte: sie ist wohlthätig
und schädlich, je nachdem sie als herrschenden Gedanken die Idee
der Humanität und Bildung in sich aufgenommen hat, oder sich
von dem rohen Stammestrieb beherrschen und leiten läfst.
Die Idee der wahren Humanität, kraft welcher die einzelnen
Persönlichkeiten, wie die ganzen Nationen sich als Glieder des
grofsen Ganzen der Menschheit erkennen und sich verpflichtet
fühlen, durch Werke des Friedens Bildung und Wohlstand nach
innen und aufsen zu heben, gedeiht aber nur auf dem Boden
des wahren Christentums. So schrecklich diese Religion auch
schon zu Bruderkriegen mifsbraucht worden ist und gerade zur
Zeit des Comenius mifsbraucht wurde, so bleibt sie doch, wenn
sie richtig nach dem Willen ihres Stifters verstanden wird, das
einzige Heilmittel gegen diesen Mifsbrauch, und darin zeigt sich die
Gröfse dieses edlen Menschenfreundes Comenius, dafs er trotz aller
bitteren Erfahrungen nie an der segensreichen Kraft dieser Re-
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1893. Chr. Carl Josias Freiherr von Bunsen. 217
ligion verzweifelte und nicht nur für sich selbst als seinen höchsten
Trost an ihr festhielt, sondern ihn auch unermüdlich der Welt
als einziges Rettungsmittel aus ihren Nöten anpries. All seine
Werke und seine Kunst, besonders auch seine pädagogische,
stellte er in den Dienst Jesu Christi, und bewies durch sein
Leben, dafs der Mensch nur zum Frieden gelangt, wenn Glaube
und Vernunft in ihm harmonisch zur Ehre Gottes und zum
Wohle der Menschheit zusammenwirken.
Sein Nachfolger Friedrich Froebel konnte mit gleichem
Rechte wie er bezeugen, dafs sein Hauptbestreben sei, das
Christentum zur Wahrheit zu machen. Diese wird es erst, wenn
es als „das Licht der Welt" verstanden und in alle Lebensver-
hältnisse der Menschen durch wahrhaft geistige Behandlung
hineingeleitet wird.
Zu diesen Lebensverhältnissen aber gehört notwendig auch
das Staatsleben. Dieses im christlichen Geiste zu ordnen
und zu führen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Gegenwart.
Politik lernt man, wegen der Mannigfaltigkeit der mensch-
lichen Verhältnisse und des steten Wechsels, der in denselben vor
sich geht, weniger aus Büchern als durch die Anwendung und Übung.
Einen klaren Einblick in ihr Wesen gewinnt man daher hauptsächlich
durch die Betrachtung ausgezeichneter Staatsmänner, ihres Lebens
und Wirkens. Dafs dieses unterlassen worden, ist ein empfind-
licher Mangel an der im übrigen sehr beachtenswerten Schrift
von A. Skopnik: „Politik und Christentum" (Berlin W., Ver-
lag von Conrad Skopnik. 1892.) Philosophisch - theologische
Erörterungen überzeugen weit weniger als die Thatsache, dafs
es wirklich Männer gegeben hat, die das Christentum in
geistig-lebendiger Auffassung, ohne die Befangenheit einer kirch-
lichen Partei oder Confession, mit einer weitreichenden politischen
Thätigkeit zu verbinden gewufst und dadurch wohlthätige An-
regungen nach allen Seiten hin gegeben haben. Ein solcher
Staatsmann war der zu seinen Lebzeiten viel gepriesene, nach
seinem Tode aber durch seine Gegner auf Links und Rechts
ähnlich wie Comenius in das Dunkel der Vergessenheit geflissent-
lich zurückgedrängte Freiherr Christian Carl Josias von
Bunsen.
Der Schreiber dieses hatte das Glück, mit Bunsen in
den letzten Jahren seines Lebens mehrmals persönlich zu ver-
Moiiatshefte der Comenius-Oesellschaft. 1893. 16
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218 Baehring, Heft 8 u. 9.
kehren und von ihm selbst in seine wissenschaftlichen und
politischen Ansichten eingeführt zu werden. Es waren ihm
Stunden voll höchsten geistigen Genusses, die er in den Jahren
1857 bis 1860 bei ihm zubringen durfte. Persönliche Verehrung
und Dankbarkeit hat den Unterzeichneten ermutigt, im Jahre
seines hundertjährigen Geburtstages (1892), ein kurzes Lebens-
bild dieses „deutsch -christlichen Staatsmannes^ dem deutschen
Volke darzubieten ^) in der Hofiiiung, dadurch etwas zur Klärung
unserer politischen, kirchlichen und socialen Wirren beizutragen.
Denn nach diesen drei Seiten hin hat Bunsen sehr beachtens-
werte Lehren durch Wort und That gegeben. Allen freilich
konnte er nicht zu Dank arbeiten, besonders denen nicht, welche
durch Bunsens universelles Streben ihre Parteiinteressen gefährdet
• sahen. Aber er hatte die hohe Freude, dafs sowohl Se. Majestät
der Kaiser Wilhelm IL, als Se. Königliche Hoheit, Prinzregent
Luitpold von Bayern dem Verfasser den huldvollsten Dank für
diese Arbeit aussprechen liefsen und dafs Se. Durchlaucht Fürst
Bismarck sie in einer besonderen Zuschrift an den Verfasser
freundlich willkommen geheifsen hat
Lehrreich ist das Leben und Wirken Bunsens, wie gesagt,
nach wichtigen Seiten hin. Seine einfache, fromme, naturgemäfse
Erziehung im elterlichen Hause beweist, wie wohlthätig eine
solche für die Entwicklung des Kindes ist Gottesfurcht, d. h.
kindliche Ehrfurcht vor dem Höchsten, gepaart mit dem auf-
richtigsten Bestreben , dem Allgegenwärtigen wohlzugefallen,
wurde dadurch der Grundzug seines Denkens und Thuns in
allen Lebensverhältnissen bis zum Tode. Die frische Bewegung
in der Natur, die Mithilfe bei den ländlichen Arbeiten, der offene
Sinn für die einfachen, Leib und Seele stärkenden Genüsse,
welche Feld und Wald darbieten, gaben ihm eine Ausdauer in
seinen wissenschaftlichen Studien und eine Freudigkeit bei allen
sonstigen Entbehrungen, die seinen Umgang aufserordentlich
anziehend machte. Die ungeschwächte Pietät gegen die ein-
fachen Eltern erhöhten die Achtung, die er sich mit der Zeit
in allen Lebensstellungen zu erwerben wufste. Musterhaft war
sein Leben und Streben auf der Universität. Bei aller Fröh-
lichkeit und dem vielseitigsten Umgang blieb er doch frei von
') Chr. Carl Josias Freiherr von Bunsen. Lebensbild eines deutsch-
christlichen Mannes. Dem deutschen Volke dargeboten von Bernhard
Baehring. Leipzig, F. A. Brockhaus. 1892. 210 S.
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1893. Chr. Carl Josias Freiherr von Bimsen. 219
den Thorheiten, durch welche so mancher Musensohn sich schon
an Leib und Seele zu Grunde gerichtet hat» Die Wissenschaft
betrieb er stets mit dem Hinblick auf das sittliche Bedürfiiis
des praktischen Lebens , besonders auch des deutschen Vater-
landes. Seinen eigenen Lebensgang betrachtete er stets als
eine göttliche Gnadenftihrung, die ihn zur demütigsten Dank-
barkeit verpflichtete. Sein Grundgedanke blieb unter allen
Würden und Auszeichnungen, die auf ihn gehäuft wurden, dafs,
wer Gott nicht erkannt hat in dem eigenen Lebensgang, ihn auch
überhaupt nicht erkennt, weder aus der Natur, noch aus der
Geschichte, noch aus der Bibel und Kirche. Diese innere Zu-
versicht leitete ihn bei seinen immer weiter sich ausdehnenden
Forschungen. Als er in Rom die Stufe betrat^ von der ihn sein
Lebensgang zu immer höheren Ehren und Würden aufwärts
führte, schrieb er in sein Tagebuch : „Ewiger, unendlicher Gott !
erleuchte du mich mit deinem heiligen Geist und erfülle mich
mit deiner himmlischen Klarheit! Was ich in der Kindheit
geahnt und in den Jahren der Jugend heller und heUer vor
meiner Seele gesehen habe, will ich jetzt wagen festzuhalten,
durchzuforschen, darzulegen. Deine OflFenbarungen in der Menschen
Treiben und Streben, deinen festen Gang in dem Strome der
Jahrtausende möchte ich erkennen, soweit es mir vergönnt ist
in diesem irdischen Leibe; der Menschheit freudigen Lobgesang
zu dir in den fernen und nahen Zeiten, ihre Schmerzen und
Klagen und ihren Trost an dir möchte ich klar und unbefangen
vernehmen. Sende du mir deinen Geist der Wahrheit, dafs ich
die irdischen Dinge sehe, wie sie sind, ohne Hehl und Fehl,
und dafs ich in der stillen ruhigen Wahrheit dich erkenne und
fühle. Lafs mich nicht wanken und weichen von dem grofsen
Ziele deiner Erkenntnis, lafs der Welt Freuden und Ehren
meinen Geist nicht schwächen und verdunkeln, lafs mich immer
fühlen, dafs ich nur erkenne, insofern ich bin, und nur bin,
insofern ich in dir lebe und sterbe."
Dieses Gebet offenbart seine innerste Geistesrichtung, seinen
wahrhaft frommen, vom Geiste des Christentums durchdrungenen
Charakter, dadurch aber auch seine Geistesverwandtschaft mit
Comenius.
Es kann nicht nachgewiesen werden, dafs er den Schriften
dieses Bischofs der mährischen Brüdergemeinde besondere Studien
zugewendet habe. Seine Lebensstellung führte ihn auf andere
16*
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220 Baehring, Heft 8 u. 9.
Gebiete der Weltlitteratur aus der älteren und neueren Zeit.
Aber durch die Abfassung eines „Allgemeinen evangelischen
Gesang- und Gebetbuches zum Kirchen- und Hausgebrauch**,
wozu er sich in Rom als preufsischer Gesandter bei vier Päpsten
und im Hinblick auf die dort zu begründende evangelische Ge-
meinde veranlafst fühlte, hat er bewiesen, welchen Wert er auf
den Liederschatz jener Märtyrerkirche, der Comenius als letzter
Bischof vorgestanden, gelegt hat. Es ist sein Verdienst, viele
Lieder dieser Gemeinden auch in Deutschland dem kirchlichen
Gebrauch zugänglich gemacht zu haben.
Bunsen war wie Comenius frei von jedem Pessimismus.
So viele bittere Anfeindungen er auch wegen seiner universellen
Geistesrichtung und seines Drängens, dem deutschen Volk die
ihm gebührende konstitutionelle Verfassung nicht länger vorzu-
enthalten, von Seiten der Partikularisten und Absolutisten zu
erfahren hatte, so hat er doch nie daran gezweifelt, dafs endlich
das Wahre und Gute zum Siege gelangen werde. Er hat seinen
Gegnern nie Gleiches mit Gleichem vergolten, und es gereicht
seinen jetzigen Gegnern, die sein Andenken vernichten möchten,
nicht zur Ehre, dafs sie fortfahren, durch gehässige Entstellung
unser Volk an diesem seinem Freunde und Fürsprecher irre zu
machen. Möchten sie doch bedenken, dafs sie durch nichts
mehr die Krankheit des Pessimismus fördern, als wenn sie dem
Volke den Glauben nehmen, dafs wahres Christentum mit der
zeitgemäfsen Fortbildung der Vernunft- und Gemeinderechte ver-
einbar sei.
Bunsen studierte in Göttingen mit Arthur Schopenhauer und
befreundete sich mit ihm so, dafs er mit ihm im Jahre 1811
eine Reise nach Weimar und Jena zu dessen Mutter machte.
Später gingen ihre Wege weit auseinander. Bunsen trat in den
Dienst des preufsischen Staates als Gesandter in Rom, in der
Schweiz und in England und suchte in diesen hohen, einflufs-
reichen Stellungen eine Friedenspolitik nach den Grundsätzen
des wahren Christentums zur Geltung zu bringen, wodurch er
mit den spezifisch kirchlichen Politikern auf der katholischen
wie der protestantischen Seite in den schärfsten Gegensatz geriet
Arthur Schopenhauer dagegen betrat die Bahn der philosophischen
Forschung und arbeitete mit grofsem Scharfsinn und in an-
ziehender Darstellung ein System aus, welches den Boden des
Christentums mit dem des Buddhismus vertauschte, und die be-
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1893. Chr. Carl Josias Freiherr von Bunsen. 221
stehende Welt als ein durchaus verfehltes Gebilde, das der Weise
soviel als möglich verlassen müsse, schilderte. Als Bunsen im
Herbst 1857 auf seiner Rückreise von Berlin seinen ehemaligen
Studiengenossen in Frankfurt a. M. besuchte, fiel die Unterhaltung
während des Mittagsmahles nicht erfreulich aus. Die pessimi-
stische Weltanschauung, so scharfsinnig und anregend sie auch von
Schopenhauer ausgeführt worden ist, stand mit seiner Geistes-
richtung und seiner christlichen Hofiiiung in ebenso entschiedenem
Widerspruch, wie der katholische und protestantische Jesuitismus.
In seinem Werk: „Gott in der Geschichte", oder der »Fort-
schritt des Glaubens an eine sittliche Weltordnung**, sowie in
dem einige Jahre zuvor verfafsten Werke: „Hippolytus und
seine Zeit. Anfänge und Aussichten des Christentums und der
Menschheit" und zuletzt in seinem „Bibel werk für die Gemeinde"
hat Bunsen seine christliche Weltanschauimg freilich mehr in ab-
gebrochener als in systematischer Ausgestaltung ausgesprochen.
Wir glauben, dafs er in drei wichtigen Punkten als Fortbildner
des Comenius zu betrachten ist.
Erstens hat er als Aufgabe für jeden einzelneu Menschen
wie für jede Nation das bewufste und freiwillige Eintreten in
die sittliche Weltordnung nachgewiesen. Diese ist die von Gott
bestimmte Ordnung, innerhalb welcher sich die menschliche
Freiheit zu bethätigen hat, wenn die Menschheit ihre Bestimmung,
die Erde mit ihren Kräften und Gaben sich unterthan zu machen,
erfüllen soU. „Die Weltgeschichte ist das grofse Sonnenjahr der
Menschheit. Die Philosophie der Weltgeschichte sucht die
Formel für die Sonnenbahn, das Gesetz des Fortschrittes in der
Bewegung. Der Menschengeist ist in diesen Umschwung gesetzt,
damit er den ewigen Gedanken der Gottheit oflFenbare und be-
wufst verwirkliche in der Zeit, wie die äufsere Schöpfung ihn
unbewufst verwirklicht im Raum . . . Der natürliche und geistige
Kosmos verwirklichen denselben göttlichen Gedanken. Wie der
Erde und allen Sternen ein ewiger Gedanke innewohnt, welcher
sie lenkt und zugleich zu Teilen eines organischen Ganzen
macht ; so lebt in dem Menschen eine Ahnung von seiner Stellung
zur Menschheit und von der Stellung seines Geschlechtes als
einer Einheit in dem Weltall und zu dessen erster Ursache . . .
Die Erde vollbringt ihren Umlauf um die Sonne, indem sie sich
selbst umschwingt, und sie kennt keinen Fortschritt, als durch
diesen Umschwung. Sie wird aber doch mit allen übrigen Pla-
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222 Baehring, Heft 8 u. 9.
neten in die grofse fortschreitende Bewegung des Sonnensystems,
welches nach einem geheimen, aber sicheren Mittelpunkte hin-
zieht, fortbewegt. In gleicher Weise dringt die Menschheit
vorwärts, indem Licht und Schatten wie Tag und Nacht in
ihren Teilen wechseln* Der Einzelne stirbt, die Völker vergehen ;
aber aus dem Tode der Einzelnen, wie dem Untergange der
Völker spriefst neues Leben hervor. Kein Leben anders als
aus dem Tode und zum Tode, aber aller Tod zum höheren
Leben nach der sittlichen Weltordnung, welche der Gedanke
der ewigen Liebe ist" u. s. w.
Um aber mit Bewufstsein und Freiheit in diese ihm be-
kannte Welt- und Lebensordnung einzutreten und in ihr das
Grundgebot der Gottes- und Menschenliebe zu erfüllen, dazu
bedarf der Mensch vor allem der Kenntnis der Natur und der
praktischen Einführung in ihre Ordnung. Nicht blofs Anschauung
der Natur, nicht blofs Kenntnis ihrer Erscheinungen und Kräfte
genügen, um in der sittlichen Weltordnung heimisch zu werden.
Der Mensch mufs von Jugend auf auch nach Leib und Seele
naturgemäCs erzogen werden. Er mufs seinä Kenntnis der Natur
auch bethätigen durch verständige Arbeit in und an derselben.
Er mufs Freude daran gewinnen, durch Bauen und Pflanzen
selbständig auf die Natur einzuwirken und sie sich dienstbar zu
machen. Auf diese erziehende Bedeutung geordneter Arbeit in
und an der Natur hat unter den Pädagogen besonders Fröbel
hingewiesen. Auch Bunsen setzt solche Arbeit voraus als Grund-
bedingung gesunden Menschenwesens, wenn er auch nicht Ge-
legenheit genommen, diese erste Stufe der Menschenerziehung
eingehender zu behandeln. Er hat dabei grofses Interesse der
Bodenkidtur zugewendet, die er auch selbst in der Jugend mit
geübt hat. Zur Bewahrung vor socialistischen Verirrungen
dient nichts mehr als Verständnis der Natur und ein ihrer
Ordnung entsprechendes Leben. Der Kommunismus ist eine
Ausgeburt des naturwidrigen Denkens und Lebens, das in der
modernen Welt so viele Verbreitung gefunden hat. Die
Naturordnung zeigt, dafs jedes Ding seinen bestimmten Raum
einnimmt, dafs keiner imstande ist, über die ihm gesetzten
Grenzen sich auszudehnen, dafs eines dem andern dienen mufs
und alle in einem organischen Zusammenhange miteinander stehen.
Wer sich selbst als Glied dieses grofsen Organismus der Welt,
an dem keine menschliche Kraft etwas ändern kann, erkannt
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1893. Chr. Carl Josias Freiherr von ßunsen. 223
hat, fiihlt sich notwendig auch verpflichtet, an seinem sittlichen
Verhalten gegen seine Nebenmenschen die Schranken zu be-
obachten, die ein friedliches Zusammenwirken mit ihnen zur
Pflicht macht.
Hierdurch entsteht das wahrhaft religiöse Leben. Religion
ist Gottesbewufstsein , d. h. das Wissen, dafs Gott ist und dafs
die Welt durch ihn ist, von ihm erhalten und regiert wird.
Wie der Mensch von Natur ein Bewufstsein von sich selbst hat,
sich selbst als ein Wesen ftlhlt und betrachtet, das ein eigenes
Leben besitzt, so hat er auch ein Bewufstsein von dem Dasein
und der Wirklichkeit der Welt, in der er lebt ' Sie ist
ihm keineswegs eine blofse Vorstellung. Beides aber einigt sich
in dem Gottesbewulstsein , durch welches der Mensch allein das
nötige Licht über sich selbst aus der Aufsenwelt findet. Religion
ist daher nicht blofs Innerliches, Subjektives; sie ist erst wahr-
haft, was sie sein soll, entfaltet erst dann ihr wahres Wesen,
wenn sie sich durch ein der göttlichen Weltordnung entsprechendes
Leben bethätigt.
„Ihr könnt nicht Religion haben ohne Glauben an eine
sittliche Weltordnung!" sagt Bunsen. „Ihr könnt diesen Glauben
nicht erhalten, ohne ihn zu verwirklichen. Kein Volk glaubt
wirklich an eine göttliche Ordnung, wenn sie sich ihm nicht
verkörpert im Gesamtleben. Der reinste Glaube verkümmert
oder wird zu einem fressenden Gifte, wenn die Wirklichkeit im
Staate und im Leben mit diesem Bewufstsein im grellen Wider-
spruch steht, wenn Unrecht sich auf den Stuhl des Rechtes
setzt und Lüge auf den Thron der Wahrheit. Das Evangelium
vernichtet jede unsittliche Regierungsform und Verfassung.
Sittlich ist aber nur die auf Anerkennung des Gemeinsamen
gegründete.
Die Bibel, welche diese Bedeutung der Religion für das
menschliche Leben nach allen seinen Beziehungen hin aufschliefst,
ist darum das wichtigste und heiligste Buch, welches die Mensch-
heit besitzt, „allerdings ein Buch in einfacher Rede, aber in
Worten, die nicht vergehen, weil jedes Menschenherz ihnen
Zeugnis giebt; ein Buch der Weisen, und doch jedem Kinde
verständlich, wie Gottes Natur, ein Buch, verfafst in toten
Sprachen und doch lebend in den Zungen der Völker."
Dieses heilige Buch auch unserem Volke nach seiner welt-
geschichtlichen Bedeutung und seiner Unentbehrlichkeit für die
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224 Baehring, Heft 8 u. 9.
Volkserziehung immer mehr aufzuschliefsen und zugänglich zu
machen, hat Bunsen sein grofses Bibelwerk unternommen. Man
hat noch wenig davon Gebrauch gemacht , ja alles gethan, um
seinen Eingang in die Gemeinden zu hindern. Aber es läfst
sich wohl erwarten, dafs der Stand der Volkslehrer ihm, wie
Diesterweg bereits gethan, das Interesse bewahrt und für seine
Verbreitung auch geeignete Sorge trägt. Man redet jetzt öfters
wieder von Schulbibeln. Diese haben wir bereits in den bib-
lischen Geschichten. Die Bibel selbst aber sollte als heilige
Urkundensammlung der christlichen Religion in keiner Weise
verändert, sondern nur nach ihrer ursprünglichen Gestalt wieder
hergestellt werden. Das hat Bunsen in seinem Bibelwerk, soweit
es durch die wissenschaftlichen Forschungen der Gegenwart
möglich, mit Sorgfalt und Umsicht gethan oder durch seine
Mitarbeiter thun lassen, während die kirchlichen Übersetzungen
aus Mangel an Kritik in dieser Hinsicht manche Änderungen
sich erlaubt haben, die dem Verständnis der Bibel nicht förder-
lich waren.
Comenius ist öfters wegen seiner chiliastischen Hoffnungen als
religiöser Schwärmer bezeichnet worden. Er hat sich aber an
die Bildersprache der Bibel gehalten. Seine Zeit war auch noch
nicht reif dazu, den vernünftigen Sinn dieser Sprache zu ent-
hüllen. Bunsen thut dieses in den Schlufssätzen seines „Gott
in der Geschichte". „Der Glaube an ein bevorstehendes Ende
der Welt", sagt er, „ist zu betrachten als ein fortschreitendes Gefühl
von einer kommenden Weltkrise und eines drohenden socialen^
politischen und religiösen Zusammenbruchs. Diese wird wie alle
vorhergehenden ein Weltgericht sein und eine herrlichere Entfaltung
des Gottesreichs zur Folge haben. Die Wiederbringung aller
Dinge, also der Sieg des Guten auf der Erde, ist das Ziel der
Geschichte. Der Geist ist unsterblich und sein Fortschritt un-
endlich, denn er ist ursprünglich eins mit dem ewigen, bewufsten
Gedanken des Weltalls und soll diesen Gedanken auf der Erde
verwirklichen in schrankenloser Zukunft."
„So gehe denn glaubensmutig und in Gott selig durch die
Jahrtausende, du zerrissene Menschheit, du zertretenes Volk
Gottes! Du bist doch eine gröfsere Verherrlichung des Ewigen
als alle Sonnen und Sterne, denn es strahlt aujs dir der bewufste
Geist, nach welchem die ganze Natur sich sehnt und in dir allein
offenbart sich die göttliche Liebe, welche den Gedanken der
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1893. Chr. Carl Josias Freiherr von Bunsen. 225
Schöpfung gedacht und sich in diese Wirklichkeit versenkt hat
Und du, gottbewufstes Geschlecht der nächsten und einer fernen
Zukunft, erschrick und verzage nicht, wenn das Weltgericht an-
bricht Was stttrzt, sinkt getroffen vom rächenden Blitze des
Himmels und was in Trümmer feilt, macht nur Platz dem neuen
Leben, welches im stillen Laufe von Jahrhunderten, unbeachtet
und deshalb ungestört unter ihm aufgesprofst ist. Es wird alles
reifen zu schönerer Frucht
Wem Zeit ist eine Ewigkeit
Und Ewigkeit eine Zeit,
Der ist befreit
Von allem Streit"
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Quellen und Forschunge'n.
Zur Lebensgeschichte des Comenius,
Autobiographisches aus den Schriften des
Comenius.
Zusammengestellt von
Prof. Dr. J. Kvacsala in Pressbarg.
(Fortsetzung.)
VI. Dritter Aufenthalt in Lissa.
19.
Calumnia III.
68. Grandis calumnia est, et capitale crimen intentans, quod
Panegyricus mens, Regi Sueciae scnptus, Lesnensis excidii eos,
incendiique taeda fuit Hanc diabolen recitata ex vero facti
historia diluet : recitabo itaque sancta fide. Tu mens obtrectator
attende, et ad Veritatis tribunal pudefieri disce.
69. Postquam se tota lam utraque Polonia, sicut et Lithuania
Regi Sueciae subdiderat, ad ipsum usque Regni caput Cracoviam,
reversus inde D. Job. Schlichting, Ürbis et Comitatus Lesnensis
Administrator, accersivit ad se in arcem Superattendentem Ec-
clesiarum nostrarum, D. Gertichium [avunculum Tuum] et me:
narrans nobis de heroicis Sueciae Regis virtutibus multa, et
quomodo sibi tantum Regem gratulari habeat Polonia brevique
celebranda esse Regni commitia, ad Regis coronationem pera-
gendam. Referens etiam Catholicos ipsos in laudem Regis gratu-
latoria scribere Carmina, ut Canonicum quendam Gnesnensem, et
Samuelem Twardovium Virum nobilem, nobilemque Poötam ipsum
quoque pontificium, Latine et Polonice typis iam exscriptos,
applausus etc. Indecorum fore si Euangeuci prorsus taceant.
Respondebamus non aeque tutum nobis eo descendere: instabat
tamen aliquoties me in primis eo folicitans argumentumque scrip-
tioni suggerens. Concepi ergo tandem quiddam: quod ille per-
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1893. Kvacsala, Zur Lebensgeschichte des Comenius. 227
fectum ita excepit, ut diceret; Nihil unauam sapientius scripsiBti.
Habebunt cur tibi gratias agant Catholici et Euangelici etc.
Cum adbuc tergiversarer , vocavit me iterum (post dies aliquot)
Consulemque urbis iturum esse Vratislaviam (Silesiorum ubi tum
illustrissimus Comes Dominus noster, Regni Archithesaurarius^ a
rerum in patria tumultu secedens residebat) seque scriptum illud
ad censuram iUi missurum significavit: cuius si accesserit cal-
culus nihil fore quod metuerem. Respondi, Maculaturas mitti
non posse. lUe Describi ergo cura, Considem ad crastinum ma-
nere jubebo, Quid multis? factum. Illustrissimus autem Mox,
mox, mox typis exscribi mandavit
70. Habes cuius iussu, et qua spe, Panegyricus ille scriptus
editusque fuerit Atque utinam monita fuissent secuti utriusque ! ad
illas extremitates numquam fuissent ventum. Sperabant autem
magni Uli Politici, alter Euangelicus: alter Catholicus. Si spei
non respondit eventus, quid tum? Viles animae consilia ex
eventu aestimant: quibus Te accedere indecorum, ansam vero
tam atrocis inde calumniae arripere inpium. Quid enim? prop-
terea ego, quod superiorum voluntati parui : quod Regem Sueciae
reverenter fortunam habere docui, quod omnes in tanto rerum
tumultu prudentis modestiae admonui, propterea inquam ego
Lesnae tuae incendiarius audire debeo? quis tales consequentias
nectere docuit? Nihilne viderunt qui ante te Panegyricum hunc
viderunt, saluberrimaque inesse Theologica et Politica monita
iudicarunt? Eoque illum eundem (ut plurium subiret oculos)
suis typis exscripserunt. Noribergae, Frankofurti, Londini, et ut
audio Parisiis quam tamen editionem non vidi. Omnes seil, hi
delirarunt, solus Franekeranus Professor, configendis comicum
oculis natus, sapit.
71. Quod magis, Calumniarium te ipsa adversariorum (qui
Lessnam exusserunt) confessione eonvincam: ex qua patebit I
Pontificios Panegyricum hunc ab aliquo Lesnae hospite fuisse
scriptum, non solum ante Lesnam eversam (ut inde concitari po-
tuissent) sed et post ignorasse; et forsan adhuc ignorare, nisi
id ex te buccinatore iam discant. II. Scripto illo non fuisse
irritatos, quippe quod ipsi etiam, quantum ad substantialia, lau-
darunt: excepto quod iura et libertates ad omnes in commune
etiam haereticos (suo sensu) extendi, aegre tulerunt. Faciam
utriusque fidem.
72. Sesquiennio post eversam Lesnam recepta fuit a Polonis
Cracovia, ibique paulo post excusus tractatus tali titulo:
Apologeticus contra Panegyricum Carole Gustave Magno,
Suecorum, Gothorum Vandalorumque Regi Dedicatum ad
religionis, Regis Legisque Polonae Defensionem productus.
In cujus mox ingressu authorem Panegyrici se ignorare osten-
dunt, bis verbis „Quisquis est (Polonum autem et haereticum te
coniicio) qui Panegyricum Regi Suecorum nuper dedicatum in
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228 Kvacsala, Heft 8 u. 9.
lucem edisti etc. Et paulo post: Subtraxisti tarn personae quam
nominis tui copiam etc. Ecce, ecce, ipsi adversarii Te, ob pa-
negyricum Lesnae scriptum in Lesnam eos fuisse concitatos
testantem, mendacia loqui testantur.
73. Neque Panegjrricum hunc tam absurde ab illis fuisse
acceptum, ut propterea furere vellent, fatentur eodem scripto sub-
inde, Exsignabo quaedam vel saltem ex ultimo bifolio ipsorum-
met verbis. Ne quid inusitatae infelicitatis, magnae se intermisceret
felicitati, ut timeret monuisti Gustavum, optume fecisti. Nescit
enim pennata Dea ac brevi evolatura, stabiles semper continuae
felicitatis gressus figere. Et mox: Benevolentiam quia commen-
dasti Gustavo erga Polonos, laudo animum, sine ula enim nee
retineri possunt imperia, nee manceps populi fieri spiritus, etc.
Et post unam et alteram periodum denuo: Partes defensoris in
tuendis Polonae Nobilitatis libertatibus apud Gustavum, quod sus-
ceperis multas eadem Nobilitas et habet et aget tibi gratias. Li-
bertatis enim amorem tenacissime, vel te ipso fatente retinent
mori paratiores quam illa privari. Quod autem non aliquos Po-
lonae gentis liberos esse debere, sed omnes et singulos in Uni-
versum, Proceres regni, Nobilitatem inferiorem, Civitates et
Oppida plebemque ipsam rusticanam suo modo et gradu, cen-
suisti, nee etiam deviasti. Et penes enim excelsam Abietem
humilis humi libere serpit viola etc. Illud autem quod nugaris,
ut manus libere in coelum attolantur etiam diverse de Deo sen-
tientium, dum modo Deum colant non blasphement etc. ostendit
ex caenosa lutulenti Lutheri te prodiisse hara non in Romanae
Ecclesiae Ministrum esse ara. Non enim sola irreligiositas , aut
blasphemiae interdicta esse debent, ut ais tu : sed et diversae Re-
ligionis ritus colendi Deum etc. Mox iterum : Quod in praeceptis
dederis, ut se Augustum semper, prudentem, strenuum, magna-
nimum, iustum, liberalem, pacificum, pium, dementem, tuus Rex
Eraestaret, dignus es quem posteri etiam suis concelebrent laudi-
us. Hae virtutes enim optimorum regum propriae sunt. Reli-
gione dissidentibus civibus tolerantiam retinendam cum suasisti,
denuo Romanae Ecclesiae, Orthodoxaeque Fidei bestem te
ostendisti. An ignoras advenam haeresin venerandae Matrifamilias,
Fidei Catholicae in Repub. Polona, sine gravi iniuria aequari
non posse etc. Tandem addit: In reliquo orationis tuae cursu
vela contraho. Digna enim tuo Regi suasisti : votisque salutaribus,
si illis morem gessisset prosequutus es.
74. Si Apologeticus ille (Cracoviae typis excusus) ad manum
tibi est, inspice, ista sie verbotenus scripta reperies. Quid autem
ex Omnibus istis ad verbis tuis fidem faciendam (Polonos Pane-
gyrico isto irritatos, de Euangelicis extirpandis, Lesnaque ever-
tenda, consilia coepisse) elicies, obsecro ? Annon omnia haec te
vanum, sed virulentum, Calumniatorem esse ostendun t? cuius verba
similia sagittis, comparanda juniperorum prunis (Psal, 120. 4).
Vere prunis candentibus aut potius facibus ardentibus, quibus
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1893. Zur Lebensgeschichte des Comenius. 229
pyram (cui me ceu publicum incendi arium imposuisti) sub me
accendis. Ut tua causa mihi cum Davide clamandum sit:
Hei mihi quod peregrinor tam diu, habito inter osores pacis.
Ego enim pacem diligo , aut cum loquor (etiam certe isto Pane-
gyrico meo nihil nisi pacem loquutus fui) illi ad bellum concla-
mant (v. 5, 6, 7).
75. Quod magis, Apologeticus ille Polononmi mihi adversus
!)rae8entem columniam tuam apologiae loco est Quippe ubi illi
atentur 1. Me tolerantiam suasisse. 2. Tolerantiam tamen concedi
non posse propter principium suum, Religionem nisi unam uno in
Regno tolerari non debere. 3. Qui contrarium suadeat, hostem
esse Romanae Ecclesiae, Fideique Orthodoxae. Videsne quis eos
adversus Euangelicos, illorumque in Polonia ceu metropoun Les-
nam, concitaverit? Si nihilominus meum scriptum, Tollerantiam
optans et orans occasionem dedisse dixeris: perinde feceris ataue
Olim Christiani fecissent, si Justinum Martyrem, Tatianum, Athe-
nagorum, incusare voluissent, quod suis pro se intercessionibus
Ethnicis ad Persequutiones movendas, aut continuandas , occasi-
onem dedissent. At quis illorum tam perversus, ut id faceret,
fuit? quem admodum tu faciendo te esse ostendis.
76. Nam ut te non calumniandi causa hoc adversus me scrip-
sisse, sed vere sie opinari (hac via hostilem accensum fuisse fu-
rorem) credam, adduci non possum: quia te tam puerum imagi-
nari non possum, qui Veritatis hostium indolem ignores : ut tam-
etsi illi expresse hac de causa id fieri dicerent non causa tamen
esset, sed ngoacpaaig et color? Impossibile te inter legendum
Codicem Dei et Historiam Ecclesiasticam, et Martyrologia non id
observasse. [Nisi forte sicut in prato bos gramen, apis mel, ci-
conia lacertas quaerit, ita Disputationum Magister nihil in Omni-
bus libris nisi ayllogismos, illationumque, exceptionum, et limi-
tationum formulas? Quod si etiam non causas ut causas expresse
allegantibus hostibus credendum non est [quia apud illos semper
Agnus lupo aquam turbat] quomodo alicui fratrum accusatori tale,
quid fingenti credemus? Deo et Ecclesiae te judicandum trado.
77. Antequam tamen ab hac recedo Calumnia, revoco tibi in
mentem Legem Dei, Deut. 19 v. 16 etc. quam et Erasmus trac-
tatu De Lingua allegat his verbis: Quin et Gentium leges
Calumniatorem ad talionis poenam vocant, non solum lex
Mosaica. Sceleratior est qui crimen falsum intendit proximo,
quam mendax testis: nam et hunc ille subornat. Et tamen
in Deutoronomio Deus Testern calumniae convictum iubet
eodem affici supplicio quo afficiendus erat is qui delatus erat,
81 convinci potuisset: Non miseraberis eius [inquit Deus]
sed animam pro anima, oculum pro oculo, dentem pro dente,
manum pro manu, pedem pro pede, exiges. Qua lege si standum
hie esset, quid fieret? Quia nempe Incediariis supplicium ignis
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230 Kvacsala, Heft 8 u. 9.
leges irrogant: si ego ut Incendiarius Civitatis tuae convinci
possam, flammis tradendus sum : si tu criminis falsi convinci, tu.
Ego tarnen contentus ero, si ad iustitiae tribunal illa tarn bonis
perniciosa credulitas tua, et quibus eam illivisti mendaces chartae,
tetrum denique illud in me conceptum odium tuum, tamquam
infernalis vere flamma, igne charitatis Dei exurantur.
(Vindicatio famae et conscientiae etc. p. 32 — 38.)
20.
Calumnia IV.
78. Cum te nuper privatis ad te liberis tot iniuriarum (qui-
bus me inconsiderata illa in Anti-Bibellum tuum praefatione affe-
cisti) commonefacerem, Tu respondendo aliam addidisti, alio co-
lore tinctam calumniam, bis verbis: Lesna, Lesna inquam, habet
quod de vobis conqueratur aetemum. Tam altas enim radices
apud vos egerant istae prophetiae, ut injurius in Dei providentiam
videretur, Ulis qui non crederet. Multi illorum reculis suis con-
vasatis asylo aliquo sibi prospexisssent nisi conatus illi per haec
talia fuissent sufflaminati. Hoc autem quid est? Nugari pro-
fecto et tarnen simul fortiter calumniari. Nam.
79. Totine Lesnensium Civitati prophetiae hae innotuerant?
omnesne illis fidem habendo dementari se, et a quaerendo asylo
sufflaminari, passi? At qui paucissimi de illis aliquid scibant
(non millesima certe Lesnensium pars) : pauciores etiam credebant ;
adeoque praeter unum et alterum (uti solet) nemo. Tu tamen
credulitate deceptos pronuntias: et quidem tanta confidentia,
ut aeternas super nos devoces querelas. Si hoc non est
calumniari (tam pathece in aliquem odia concitare) quid ca-
lumnia sit nescire me fatebor. Certe si qui credulitate peccasse
dici posset id, Bohemi mei essent, soli harum (quamquam quota-
cumque iterum illorum pars?) conscii: sed neque hi possunt,
conscientiae alias suae iüaturi vim. Nam cum alii agminatim
bona sua in vicinam Silesiam eveherent nostros autem quodam
idem imitari volentes exemplo meo (qui nihil emittebara, retrahi
audirem, monendos publice putavi, Providentiae divinae fiduciam
non excludere humanam prudentiam, sed includere. Die itaque
jejunii ac (toti Civitati a Magistratu in singulos menses induc-
tarium) sumpto ex Geneseos capite 32 v. I ad. 12 textu, quid ho-
mini Chris tiano in angustiis constituto faciendum sit Jacobi Pa-
triarchae exemplo docui. Nempe 1. Utendum omnibus humanae
Srudentiae mediis (in specie ursi, quomodo illa omnia sua in
uas turmas diviserit, ratione addita. Si altera hostili percussa
furore esset, altera, ut servaretur, v. 7, 8) 2. Orandum, 3. Deoque
fidendum qui et Angelonim satis habeat ad suos tutandum (v. 1. 2)
et corda hostium ad misericordiam flectere sit potens (cap. 33. 4).
80. Privatim ad quosdam meorum dicebam (non diffiteor)
Non eandem nobis atque Germanis et Polonis esse rationem.
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1893. ^^^ Lebensgeschichte des Comenius. 231
Istos enim in Silesiam profugere tamquam in patriam, ubi non
tantum linguae consortes, sed et notos atque cognatos habentes
facilius sive aperte degere, sive latere posse. Nos esse a Caesare
patria haereditariisque provinciis proscriptos: si vel captivemur,
vel bona nostra diripiantur, neminem fore, qui nostram suscipiat
causam. In angustiis itaque nos prae aliis esse, tutissimum videri
nos committere manibus Dei, sive ad vitam sive ad mortem. Hoc
totum est in quo mihi non quasiti alibi asvli culpa tribui possit:
sed a meis et me ipso, non autem ab omnibus Lesnensibus, qui
consilia mea nee requisiverunt nee audiverunt. Fuitque culpa
[si fuit] humanae imprudentiae , non autem atrocis alicuius od-
?iuam aeterna provocanda sint lamenta [ut tu pessime declamator
acis] malitiae.
81. Pudendum autem profecto hominem Theologum de di-
vinis iudiciis propter publica peccata publicis poenis regna et
populos involventibus, tam frigidum, imo perversum, ferre ludicium,
ut attractarum poenarum culpam in unum aliquem, vel paucos,
coniiciat, remque tam tragice exaggeret Deus tibi ignoscat, sive
crassa ignorantia, sive destinata malitia sie peccas. O quam aliud
erat gravissimi Theologi Superattendentis Vestri [patrui tui et
CoUegae mei] de his iudicium. Qui Lesnam augeri vicorum
amplitudine, maeniis, pompa, opibus, sed et simul crescere fastu,
luxu, dissolutis moribus, enormibusque peccatis, eoque maturescere
ad poenas, seu quam saepe privatim et publice [pro suggestu] cum
lacrymis etiam quaestus fuit; post eversionem vero factam non
vanum se fuisse vatem agnovit, divina iustiäcans iudicia. Tu autem
si absque uno aliquo hostium irritatore fuisset, Lesnam tuam in
aeterno futuram fuisse flore autumas? Plebeium et puerile iu-
dicium, ne dicam insanum, et contra Deum et proviaentiam re-
belle. Ex Propheticis enim oraculis, quae terribilium Dei
iudiciosum soleant esse causae, et cur a Domo sua inchoare illa
gaudeat Deus discere debebas Theologe. Nempe nihil venire
mali, nisi praecipiente Domino: nee esse cur murmuret vivens
homo, nisi adversus peccata sua. Scrutandas esse potius vias
nostras ut revertamur ad Jehovam [Thren. 3. 37 etc.]. Passerculum
etiam unum in terram non cadere sine voluntate coelestis Patris,
docuit Christus [Math. 10. 291. Tibi autem hominum miUia, inte-
graequae Urbes, in gratiam alicuius inprudenter aliquid sentientis,
aut facientis, pereunt? quis Theologiam hanc docuit? Publica
peccata, et publice plagae? annon correlata sunt? essentialis
nempe causa cum essen tiali cohaerens effectu suo? Nonne Theo-
logus cogitationes tales, Verbo Dei et sanctorum praxi, conformes,
fovere easdemque in popularibus et confratribus suis excitare de-
bebat? potius quam impoenitentis , castigationisaue suae culpam
in alios reicientis populi pessimos, et verbo Dei aamnatos, imitari
mores ! Imo cogitare debebas, annon tua quoque iuventutis pec-
cata incendii Lesnensis aggregare iuverint fomenta ! orareaue cum
Davide, delicta iuventutis meae, ne memineris Domine [Psal. 25. 7].
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232 Kvacsala, Zur Lebensgeschichte des Comenios. Heft 8 U. 9.
82. Quin tu potius cum profeta, et nobiscum benignitatem
Dei quam in media ira sua erga Lesna exteruit celebras?
Dicenao, Misericordia Domini est, quod non sumus con-
sumptiy quia non defecerunt miserationes eins (Thren. 3. 22).
Nunquid enim juxta plagam percutientis se percussit eam? aut
sicut interficiuntur interfectores , ita oecissi manus? (Jef. 27. 7).
(Vindicatio funae et consc. p. 38—42.)
(Schlnfs folgt)
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Kleinere Mitteilungen.
Aus neueren Handschriften-Verzeichnissen').
Die hier gegebenen Nachweisungen sollen Beiträge zur Quellenkunde
liefern; es wird beabsichtigt, solche Handschriften zusammenzustellen,
welche das Forschungsgebiet der Comenius-Gesellschaft berühren. Die
Beiträge werden fortgesetzt werden.
Herzogliche Bibliothek zu WolfenbOttel.
Nach Heinemann, O. v., Die Handschriften der Herzog-
lichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Wolfenbüttel 1884 ff.
Zar Gescbicbte Valentin Andreaes.
Ueinemann, a. O. Vol. IV Nr. 2085.
7. 4* Aug. foh Tap, verschiedenen Formats, das gröfste 34 V2 X
3P!2 cm. 602 Bl 17, Jahrh, von verschiedenen Händen.
Litterae dlyersornm ad D. Johannem Valentlnem Andreae
exaratae et transmissae de anno 1636 nsqne ad an-
nnm 1652.
Schreiber sind: Jac. Abel (f. 445 — 445'). Gottlieb Andreae,
Johannis Valentin! aius (f. 520—522, 526—574). Paul An-
dreae (f. 428—428'). Christ. Bab (f. 441). Paulus Biber-
stein (f. 324). Joh. Albert Birger ab Ayb (f. 597—597',
600—600'). Wendelin Bfllzinger abbas (f. 307—312). Petrus
Cludi (f. 602). Nie. Curaeus (f, 448—450). Joh. Deekinger
Regiomontanus (f. 409—414). Conrad Döselius (f. 407).
Michael DÄselius (f. 401—406). Tobias Domcrailius (f. 277
—279'). Henricus Effem (f. 317—319). Simon Elsaesser
(f. 426—427). Erasmus Esenwein (f. 502—503). Joh.
Georg Esenwein (f. 344 — 348). Joh. Mars. Eysengrein
(f. 455). Joh. Matth. Faber (f. 492). Georg Fauler (f. 525).
1) Vergl. MH. der C.-G., Jahrg. 1892, S. 131 ff.
Monatshefte der Comenius-Gesellschaft. 1803. 17
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234 Aus neueren Handschriften- Verzeichnissen. Heft 8 u. 9.
Theodor Flemming (f. 354—399). Petrus Frison (f. 602).
Job. Adam Geinbach (f. 497). Samuel Gerlacbius (f. 447
—447'). Matt. HafenreflFer (f. 446). Job. Jac. Hainlin abbas
(f. 281—306). Job. Hellwag (f. 325—327). Job. Christoph
Hopff, praeceptor Gflppingensis (f. 442 — 443). Job. Kaiser
(f. 439—439'). Georg Henricus Keller (f. 498). Job. Eber-
hard KnoU (f. 499—501'). Wilh. Koch (f. 408, hebräisch).
Eberhard Kopp (f. 508). Mart. Komnauer (f. 461). Job.
Christoph Kraffit (f. 438). Baltbasar Kretzmaier (f. 575—
576). Leonhard Laurentius (Lorenz) (f. 470—491). Georg
Linde (f. 510—511. 579). Job. Cornelius Marci (f. 494—
4940. Jacobus Missicz (f. 598—598'). Abraham Nethe
(f. 452—453'). Tobias Pfister (f. 340—343). Job. Puecher
(f. 496). Baltbasar Raith (f. 321). Jeremias Rebstock abbas
(f. 313-314). Valentin IMtber (f. 495). Tobias Scbaudili
(f. 440). Job. Ernst Schmieden (f. 465). Job. Henr.Scbor-
chius (f. 456—458). Job. Scbubelius (f. 328—339). Otto
Frieder. Schfitz (f. 466—469). Jean Adam Sefried de Nord-
lingen (f. 464). Thomas Silemannus (f. 463). Job. Martinus
Speidel (f. 816—316'). Elias Sprengel (f. 315). Job. Jac.
StröUn (f. 349—350', 429—437). Levin Sutor (f. 416-425).
Vitus Trexelius (f. 444-444'). Mattbaeus Varenbiler (f. 506
—507). Jobannes Vetter (f. 493 -4930. Tobias Wagner (f. 1—
274). J. Walderode (f. 577—578'). Job. Georg Weber (f.
482). Jacobus Webrn (f. 509). Marcus Widemann (f. 513
—519). Job. Lud. Wider (f. 415). Georg Zappler (f. 459
—460). Christophorus Zeller (f. 504—504'. 524—524.).
Aufserdem: 1) Mn hebräischer Brief (f. 351—353). 2) Pro-
gramma funebre D. Jacobi Andreae (f. 580 — 584). 3) Rec-
toris et Senatus Tubingensis edictum (f. 586—588'). 4) Rec-
toris et Senatus Witebergensis testimonium pro Josepho
Adiuto ex Oriente ultimo ortbodoxae fidei confessore (f. 594
—595).
Lose liegen vom noch in dem Bande Leichencarmina auf Job.
Val. Andreae von Jobannes Angelin (2), Henr. Effern (1),
Job. Georg Esenwein (1), Theodor Flemming (1), Eberhard
Knoll (1), Eberhard Kopp (1) und Gottlieb Andreae.
Prav. u. Gesch. : Gehörte früher Joh. Val. Andreae.
Ebd.: Pergamentband mit grünen Bindebändem.
Helnemann, a. O. Vol. IV (1890), Nr. 2086.
7. S. Aug. fol, Pap, verschiedenen Formats , das gröfste 35 X
20^1% cm. 503 Bl. 17. Jahrh. von verschiedenen Händen.
Enthält:
1) f. 1—39: Carmlna gratulatorla necnon dedicatoria D.
Johannl Yalentino Andreae a proplnqals et amlcls
transmlssa.
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1893. Aus neueren Handschriften- Verzeichnissen. 235
2) f. 40—503: Lltterae diTersoram ad eandem scriptae et
transmlssae de anno 1634 nsqae ad annum 1649« Vergl.
2106 (10).
Schreiber sind: Jacob Abel (f. 366). Bernhardus Albertus (f.
323). Paulus Andreae (f. 314). Andrea« Berchtold (f. 450).
Wendelin Bilffinger (f. 223—234). Frieder. Chesnel (f. 345).
Nicolaus Cunaeus (f. 154—157. 319). Joh. Jac. Dannenritter
(f. 453). Josephus Demmeler (f. 206—210). J. Dörtenbach
(f. 443). Melchior Sylvester Eckhardus (f. 253—261). Hen-
ricus Efferen (f. 265-291. 439-441). M. G. E. (f. 262—
263). Joh. Elermejer (f. 479). Matthaeus Faber (f. 351).
JosuaFaeschiur(f. 140—151. 158—161. 167 -172'). F. Gast-
purus (f. 137. 175 ). Stephan Gerlach (f. 331—332. 335—
338, 341—342). GWckberg (f. 464). Joh. Conr. Gobelinus
(f. 356). Matthias Hafenreffer (f. 152—153. 315-318).
Nicolaus Hagelmeier (f. 480). J. J. Hainlin (f. 51—129).
Christophorus Harpprechtus (f. 339—340. 343—844). Joh.
Hellwag (f. 376—384). Josua Henrich (f. 487—489). Magnus
Hesenthaler (f. 333). Joh. Conr. Hiemer (f. 442). Joh.
Phil. Hill^rus (f. 346—349). Joh. Honold (f. 481—483).
Joh. Keyser (f. 474—476). Joh. Kies (f. 162). Joh. Kircher
(f. 350). Joh. Samson Kornbeckh (f. 394-395'). Joh.
Petrus Krflger (f. 420). Joh. Wendelin Langius (f. 227).
Leonhard Laurentius (Lorenz) (f. 292—313', 424—438').
Christoph Lutz (f. 387). Erhard Machtolphus (f. 41—50).
Georg Conr. Maicterus (f. 211 — 222). Heinricus Mflglingus
(f. 354). Joh. Lud. Mflglingus (f. 370-371'). Georg Mflrdel
(f. 419). Georgius Naschold (f. 451). Daniel Osiander (f.
491). J. B. Osiander (f. 264). Lucas Osiander (f. 412—
415. 492—494). Joh. Wilh. PfaflF (f. 385). Albertus Pfitz
(f. 396—399). Joh. Ulric. Pregitzer (f. .369). Georgius Raab
(f. 352). Balthasar Raith (f. 372—375). Philippus Raumajer
(f. 163— 166. 177— 178). Jeremias Rebstock (f.465— 478). Jac.
Roth (f. 411). R. Roth (f. 421). Jac. Rothweiler (f. 484). Wilh.
Schabhart (f. 463). Tobias Schaudeli (f. 446). Joh. Schlatter
(f. 133—135). Jos. Schletterberch (f. 180—131). Joh. Cunr.
Schütz (f. 496—503). Georg Schwegler (f. 364—365).
Fridericus Söhner (f. 324. 326-330). Joh. Spalth (f. 320
—325). Joh. Mart. Speidell (f. 201—205). Elia^ Sprenger
(f. 132). Stellanus (f. 422). Joh. Jac. StrAlin (Strölin) (f.
400—410). Levinus Sutor (f. 454—461). Jos. Henr. Vieillot
(f. 490). Joh. Georg Volmar (f. 478). Joh. Bernhard
Wagner (f. 235—252). Jac. Wehm (f. 388—391). Joh.
Georg Weigenmeier (f. 448). Joh. Weiss (f. 392 —393').
Joh. Werner (f. 138). Georg Beruh. Wibel (f. 321). Theo-
philus Wibel (f. 322). Samuel Widmann (f. 367—368).
Gallus Zeaemann (f. 173—174). Christophorus Zeller (f. 179
17*
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236 -A-us neueren Handschriften-Verzeichnissen. Heft 8 u. 9»
—200). Joh. Zeller (f. 413—414. 416—417). Joh.Zuuisler
(f. 449).
Prov. u. Gesch. : Oehörie früher Joh. Val Andreae.
Ebd. : Pergamentband mU grünen Bmdebändem.
Helnemann, a. O. Vol. IV (1890) Nr. 2106.
8. 7. Aug. fol. Papier verschiedenen Formats^ das gröfsteSSX
21 cm. 554 BJl, 16. u. 17, Jahirh. Von verschiedenen Händen.
Enthält:
1) f. 1 — 2: Testimonium Ph. Melanchthonis autographum datum
Henrico Eflfrehen, 1554, die Matthiae (Febr. 24). Deest in
editione Corporis Reformatorum.
2) f. 3—4: Epistola ignoti ad Andream Musculum.
3) f. 5: Jacobus Andreae lectori pio, d. d. Bebenhusii, 1585.
Dec. 30.
4) f. 6—7: Ejusdem epistola ad Christophorum ducem Wirtem-
bergicum«
5) f. 8 — 9 : Ejusdem epistola ad Joh. Marpachium, d. d. Lypsiae,
1578. Juh 15.
6) f. 10: Epistola Johannis Andreae ad Joh. Langium 1588.
Sept 15.
7) f. 11 — 12: Epistola M. Buceri ad Heetorem Poemer Nurem-
bergensem, d. d. Argentorati, Nov. 28.
8) f. 13: Epistola M. Viti Theodori Nurinberg. ad eundem.
9) f. 14: Epistola M. Erasmi Grieninger ad fratrem suum
Josuam Grieninger, 1590. Jan. 31.
10) f. 15—554: Litterae dlyersornm ad Johannem Yalen-
tinam Andreae exaratae et transmissae de anno 1620
asqae ad annnm 1649. Vergl. 2085 und 2086 (2).
Schreiber sind: Georgius Albertus (f. 35—43). Jac. Bruno (f.
473). Georg Calixtus (f. 88—89. 92'— 93). Joh. Conr. Dam-
hauer (f. 84—87), Conradus Dietericus (f. 376—377). Joh.
Dilgerus (f. 90). Nathan Dilgerus (f. 353. 361. 363—364.
366—375'). Joh. Georg Dorscheus (f. 80—83). Joh.Duraeus
(f. 91). Joh. Eberken (f. 409-4100. Georg Erhardt (f. 474).
Henricus Faber (f. 415—423). Jac. Fabricius (f. 92).
Fulanus (f. 354-360. 365). Balthasar Gockelius (f. 378—
402'). Joh. Conr. Goebelius (f. 15 — 34). Joh. Haspelmacher
(f. 94). Jac. Henoldus (f. 403—408). Jac. HermsdorflF (f.
431). Mich. Laminit (f. 432). Joh. Latermannus (f. 97-97').
Justus Jac. Leibnitz (f. 486). Matthäus Lflther (f. 414).
Christoph Mack (f. 495—5060- Joh. Mair (f. 475-585).
Christoph Meelfuhrer (f. 292-352). Mentzer (f. 96). Mel-
chior Nicolai (f. 520—553). Heinricus Omeis (f. 487—493).
Joh. Petrus (f. 433). Joh. Saubertus (f. 98—291). Joh.
Adam Schäffer (f. 507—511). Joh. Schmidt (f. 44—79).
Conr. SchragmfiUer (f. 494). J. J. Schuele (f. 515—519).
Joh. Conr. Stalpius (f. 434). Jac. Vischer (f. 436—441).
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1893. Aus neueren Handschriften-Verzeichnissen. 237
Bemhardus Waldschmidt (f. 413). Conr. Weiniger (f. 442
—455'). Erhardus Weinmann (f. 512—514). Michael Wen-
celius (f. 435). Georg Wibel (f. 456—472). Daniel Wftlffer
(f. 411—412). Georg Zflrlin (f. 424).
Vorn eingeklebt: 1) Fama Posthuma Incomparabilis ac Orna-
tissimi Theologorum Johan-Valentini Andreae etc. auctore
G. A. 2) Eleffiae in memoriam J. V. Andreae, auctore
Johanne Schftbelio diacono Stutgard.
Prov. u. Gesch.: Wohl früher im Besitze von J, V. Andreae.
Ebd.: Pergamentband mit grünen Bindebändem.
Hetnemanu, a. O. Vol. IV Nr. 2116.
10. 5. Aug. fol. Pap. verschiedenen Formates, das größte
34X23 cm. 638 Bl 16. und T/. Jahrh. Von verschiedenen
Händen,
Enthält:
1) f. 131—198': Diyersoruin Tlroram eraditorum saeeall
reformatlonls eptstolae ad Michaelem Cellarlam, Ml-
chaelein Maestllnam et altos, Scrijptores sunt: Abbates
cenobiorum ducatus Wirtembergensis (t. 131 — 134). Besoldus
(f. 158). BuUingerus (f. 147—147'). Bucerus (f. 142—145).
Georgius Calixtus (f. 194—197). Capito (f. 136—137). Jac.
Cappelbeck (f. 156). Laurentius Coaemanus (f. 181). Ana-
stasius Demeler (f. 157). Pomponius Ellema (f. 176—176').
Thomas Finck (f. 180). Stephanus Gerlach (f. 155). Samuel
Haylandt (f. 182—185'). Tobias Hess (£ 163). Bartholo-
maeus Huberus (f. 177—178). laaom Kgitodovlog (f. 159—
—159'). Polycarpus Leyser (f. 152—153). Michael Maest-
linus (f. 186-187). Joh. Mathesius (fc 146—146'). Georgius
Mederus(f. 171— 175). M. Meinhard (f. 169— 170'). W.Mus-
culus (f. 138—141). Thomas Naogeorgius (f. 149). L. Osiander
(f. 161). Georgius Rollenhagen (f. 167— 167'). M. Schaeferus
(f. 188—188'). Hieronymus Wolfius (f. 164—166). — f. 150:
Epistola Caroli Comitis Palatini Rheni ad rectores et pro-
fessores academiae Heidelberffensis d. d. 1580. Oct 13. —
f. 135: Folium manu Ph. Melanchthonis exaratum.
2) f. 1—130'. 199—465. 489—535: Varll ordlnls eplstolae
Johannts Yalenttnl Andreae et ad eandem de aunts
1649 — 1652. Nomina scriptorum sunt haec: Joh. Val.
Andreae (f. 332—341. 362). Crafto Assum (f. 382—388').
Joh. C. Assum (f. 380—381 . 389). Joh. Heinr. Boeclerus
(f. 452—454). Conrad Breuning (f. 285). Joh. Conr. Brot-
beckh (f. 419—424. 540). Abraham Calerius (f. 206). Wolfg.
Georgius comes CastelH (f. 1). Fritz von Cram (Kramm)
(f. 5-6). Hartmannus Creidius (f. 330). J. Cronegk (Cro-
neccius, Kronegk) (f. 2—3). Nathanael Dilgerus (f. 253—
259). Johan Michael Dilherus (f. 227—228). Joh. Georg
Dorscherus (f. 222—226). Elias Ehinger (f. 455-461).
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238 -Ä-us neueren Handschriften-Verzeichnissen. Heft 8 u. 9.
Joh. Henr. Faber (f. 295—303). Job. Friscbmann (f. 895—
396). Job. Geilfufs (f. 501). M. Stepbanus Gerlacbius
(f. 502-517', 539—539'). Baltbasar GockeUus (f. 282—283').
Martinus Gosky (f. 407 — 412). Hieronymus Hainbofer (f. 91
—94). Georg Pbilippus Harsdörfer (fc 95-99). Job. Haspel-
macber (f. 210). Polycarpus Heiland (f. 391— 392'). Jobannes
Henisius (f. 415-417). Magnus Hesentbaler (f. 518-532).
Hieronymus im Hoff (f. 7—76). Jacob Honoldus (f. 286—
294). Thomas Hopfer (f. 3Q8-310'. 319). Job. Hulsemann
(f. 202—205). Kram s. Cram. — Job, Conr. Kreidemann
(f. 343—361'. 368—379). Kronegk s. Cronegk. — Thomas
Lansius (f. 397—398). Antbonius Laynarius (f. 321). Con-
rad Lesebenbrandt (f. 284). Cbristoph Mack (f. 311—315).
Job. Mair (f. 304—307'). Ludewicus de May (f. 77—90,
auch Briefe an die Herzogin Sophie Elisabeth von Braun-
scbweig imd deren Tochter). Cnristophorus Meblfübrer (f.
260—281). Petrus Mendelius (f. 489—494). HectorMicbo-
bius (f. 231). J. M. Moscherosch (f. 399—404). H. Neuw
(f. 394-3940. Melchior Nicolai (f. 234-237). Georg
Oeblerus (f. 535). Heinricus Omeis (f. 316—818). Cbristopbor.
Godefredus Pfintzing (f. 101 — 122). Jeremias Rebstock (f.
329). Jean Jacaues Keusch (Reisch) (f. 124—129). Mar-
tinus Reuschem (t. 487—500'). Eberhardus Scbafelitzkius (f.
123). Job. Conr. Saxe (f. 500a). Samuel Scballesius f. (533
—534). H.Scbmidius (f.322). Job. Schmidt (f. 211— 220').
Job. Conr. SchragmtiUer (f. 229). J. F. Selbingerus (f. 324).
Joachim StolHus (f. 325-328). J. G. Styrzel (f. 427—451).
Wendelin Sybelist (f. 413-414'). E. Theobaldus (f. 199).
Johann Otto Tuber (f. 390). Job. Henr. Ursinus (f. 323—
323). Joh. Jac. Wagnerus (f. 405—406'. 423). Bernbardus
Waldscbmidt (f. 320). J. Weinlin (f. 418). Martinus Zeil-
lerus (f. 130). Cbr. Zeller (f. 239—252'). Georgius Zier-
linus (f. 233). Vergl. 2085, 2086 (2), 2106 (10)
7) f. 537—556, 561—638: Carmina maxtmam ad partemin
honorem Jacobl Talentini Andreae, auctoribus Julio
Andreae. J. V. Andreae, Job. Conr. Brotbeckh, Marco Dol-
metscher, Elia Ebinger, Georgio Esenwein, Theodoro Flem-
ming, Martino Gosky, Georg. Pbilippo HarsdörflFer, Tobia
Pfister, J. M. Reuschero, Tobia Scbaudelio, Henrico Schmidio,
Jobanne Scbübelio, Levino Sutor aliisque. Vergl. 2086 (1).
8) f. 557—560: Ezechias rex Jnda e lethall morbo ad
Tltam reyoeatns.
Haec Deo Sospitatori canit Soteria. Manu E. Ebingero.
Brov. u. Gesch.: Wie 2085 und 2086.
Ebd.: Wie 2085 und 2086.
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Litteraturbericht.
Anton Gindely Über Comenius.
Wenn Gindely über Comenius urteilt, so wird es niemand
wagen, ohne gründliche Untersuchung ihm zu widersprechen. Er
wird es selbst dann nicht thun, wenn jener etwas an der Hand-
lungsweise des C. zu tadeln hat.
Dr. Anton Gindely (vgl. Monatshefte I 4, S. 322) gehörte zu
den ersten, welche das Leben des C. zum Gegenstande einer gründ-
lichen Forschung machten. Seine Abhandlung über des C. Leben
und Wirksamkeit in der Fremde, 1855 veröffentlicht in den Sitzungs-
berichten der philosophisch-historischen Klasse der k. k. Akademie
der Wissenschaften in Wien, wurde für alle späteren Arbeiten über
C. von mafsgebender Bedeutung. Als dann das Jahr 1890 der
Comeniusforschung einen neuen Aufschwung gab ; als Evacsala, Pro-
fessor am evangelischen Lyceum in Prefsburg, sein grofses Werk
über das Leben des C. verfafste und dabei aus bisher nicht be-
kannten Quellen wie z. B. der im Reichsarchiv in Budapest auf-
bewahrten Korrespondenz des C. schöpfte, da nahm auch Gindely
seine Forschung über ihn wieder auf, durchsuchte die im böhmischen
Museum aufbewahrte handschriftliche Korrespondenz und verbesserte
und ergänzte seine Abhandlung, in welcher er in wesentlichen
Punkten von Kvacsala abweicht.
Dafs diese Abhandlung jedem, der sich über die neuesten das
Leben des C. betreffenden Forschungsergebnisse in Kürze unter-
richten will, leicht zugänglich geworden ist, das verdanken wir der
Verlagshandlung von Fournier & Haberler in Znaim. Sie hat
durch die von ihr seit 1892 veröffentlichten „Comeniusstudien"
schon viel zur Verbreitung seines Namens beigetragen. Als sechste
Nummer dieser Comeniusstudien erschien der Aufsatz von Dr. Anton
Gindely über des C. Leben und Wirksamkeit in zweiter, neu be-
arbeiteter Auflage. Der eigentlichen Abhandlung sind hier noch
acht Beilagen angeschlossen, eine von C. aufgestellte Rechnung über
Geldsammlungen, welche in England für die böhmischen Brüder
veranstaltet waren, und sieben Briefe des C.
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240 Litteraturbericht. Heft 8 u. 9.
Gindely schildert uns in seinem Büchlein nicht blofs den Päda-
gogen, den Bischof, den Dulder; er eröffnet uns auch einen Einblick
in seine Seele, in seine GemUtsart. Und immer geschieht dies sine
studio et ira, wie man es von einem rechten Geschichtsschreiber
erwartet, was bei dem Gegensatz seines Bekenntnisses zu dem des
0. um so höher anzuschlagen ist. Doch möchte man fast meinen,
dafs in einem Punkte die Ansicht Gindelys durch diesen Gegensatz
beeinflufst sei, wenn nicht auch evangelische Gelehrte bereits die-
selbe Ansicht ausgesprochen hätten. Man liest nämlich in fast allen
Lebensbeschreibungen, dafs C. Weltentsagung gepredigt habe, und
auch in Gindelys Abhandlung lesen wir dies (S. 11). Dieses Urteil
gründet sich auf die Erbauungsschriften, die C. in jüngeren Jahren
verfafste, besonders auf die Schrift „das Labyrinth der Welt und
das Paradies des Herzens". Aber es steht im Widerspruch schon
mit den Gedanken, die er im „Faber fortunae" darlegt, es steht im
Widerspruch mit der warmen Teilnahme, die er in seinen pädago-
gischen Schriften für alle Verhältnisse des Menschenlebens an den
Tag legt ; es steht im Widerspruch mit seinem pädagogischen Grund-
gedanken, dafs die Schule für das Leben vorbereiten solle, am
meisten aber widerspricht jenes Urteil seinem eigenen Leben und
Wirken. C. war durchaus nicht der Meinung, dafs man alles in
frommer Ergebung über sich ergehen lassen solle. Er ist unaus-
gesetzt bemüht, seiner Gemeinde die Rückkehr ins Vaterland zu
erwirken. Unermüdlich arbeitet er an der Verbesserung des Schul-
wesens. Niemals verzweifelt er an der Verbesserung der Welt, und
alle seine Kräfte stellt er in den Dienst der Menschheit. Darum
ist Weltentsagung nicht das rechte Wort für das Verhältnis des C.
zur Welt. Treffender würde es geistige Weltüberwindung genannt.
So urteilt auch Kvacsala. Er sagt im Vorwort (S. IV) : „Man nannte
den C. einen frommen Dulder, man behauptete, der Grundsatz seiner
Ethik sei der Quietismus, Ergebung in Gottes Willen ; dies fand ich
nur insofern richtig, als er im Dulden fromm war, und wo mensch-
liche Hilfe nicht ausreicht, sich in Gottes Willen ergab. Aber eine
rastlose , fast über Menschenkräfte hinausgehende Thätigkeit , un-
ermüdeter, wenn auch mit dem Endziele des Friedens geführter
Kampf für die hehren Ideale des Glaubens, des Vaterlandes und
des Humanismus auf allen Gebieten, sogar auf politischem, das er-
schien als die richtige Kennzeichnung seiner Lebensbahn."
Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkte die Thätigkeit, zu
welcher sich C. durch die Weissagungen Drabiks veranlafst fühlte,
so wird man dem herben Urteil Gindelys über dieselbe nicht bei-
stimmen können. Drabik, ein Geistlicher der böhmischen Brüder,
weissagte aus Visionen, die ihm zu teil geworden seien, dafs Gott
das Haus Habsburg, den mächtigsten Feind des Evangeliums, stürzen
werde; dafs sein Sturz nahe bevorstehe; dafs sich der Noixien und
der Osten verbinden würden, um dieses Gottesgericht zu vollstrecken.
Er forderte als ein von Gott Gesandter den Fürsten von Sieben-
bürgen auf, im Verein mit Schweden gegen Österreich zu Felde zu
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1898. Litteraturbericht. 241
ziehen, die ungarische Königskrone würde der Siegespreis sein.
Viele erklärten Drabik für einen Betrüger, C. und andere glaubten
ihm ; er hatte es ja mit einem furchtbaren Eide,, den die zur Prüfung
eingesetzte geistliche Kommission ihm auferlegte, feierlich beschworen,
dafs ihm seine Offenbarungen von Gott gegeben seien. Drabiks
Gegner wiesen C. hin auf den schlechten Lebenswandel des Mannes :
Drabik war dem Trunk ergeben. Auch sonst stand er in üblem
Rufe. Aber C. entgegnete allen Ernstes, auch Bileam sei kein Ge-
rechter gewesen, und doch habe er die Wahrheit verkündigt. „So
blieb C," sagt Gindely, „förmlich blind und taub gegen vernünftige
Vorstellungen." Aber was ihn verblendete, das war nicht etwa
Eigensinn, das war vielmehr der religiöse Glaube oder besser Aber-
glaube seiner Zeit, die dadurch verursachte unfreie, sich jedes eige-
nen Urteils begebende Stellung zur heiligen Schrift und die mangel-
hafte Einsicht in das Wesen und die Bedingungen der Prophetie,
Genug, C. glaubte jenen Offenbarungen. Mufste er es unter
diesen Umständen nicht als eine heilige Pflicht ansehen, den noch
zaudernden König zur Erftlllung des prophetischen Wortes anzu-
feuern? Und als sich der Fürst nun wirklich zum Kriege rüstete;
als er wirklich einen Bevollmächtigten nach Schweden sandte; als
dieser den C. in Lissa auf des Fürsten Befehl um Rat und Wei-
sungen ersuchte, durfte C. seine Mitwirkung versagen! Mufste er
nicht auch weiterhin alles thun, was in seinen Kräften stand, um
das Bündnis herbeizuführen? Hiefs es nicht, Gott versuchen, wenn
er jetzt die Hände in den Schofs legen und zusehen wollte, ob er
auch ohne ihn sein Wort erftillen werde ? Konnte er das vor seinen
verbannten Brüdern verantworten, in denen jene Weissagungen wieder
die Hoffnung auf baldige Rückkehr ins Vaterland angefacht hatten?
Und es war nicht blofs Gehorsam gegen eine vermeintliche Offen-
barung, was ihn zum Handeln trieb. Es waren durch sie auch in
seinem Herzen Sehnsucht und Hofbung wieder mächtig erwacht.
Ach wie gern hätte er die Erhörung so hei fser Gebete noch erlebt!
Gindely nennt die zu einem Kriege gegen Österreich treibenden
Bemühungen des C. Aufhetzungen. Wer sich in die Seele des C.
versetzt, wird unmöglich so urteilen können.
Der König von Schweden eröffiiete wirklich den Krieg, doch
nicht gegen Österreich, sondern gegen Polen. C. war froh, dafs der
Krieg überhaupt begann; er zweifelte nicht, dafs auch bald Öster-
reich würde mit hineingezogen werden. Dann erfüllte sich die
Weissagung. Aber einen Krieg gegen Polen hatte er nicht ge-
wollt, auch nicht angeraten. Wir dürfen also den C. von dem Vor-
wurfe freisprechen, den Gindely gegen ihn erhebt, wenn er sagt:
„C. hatte auf diese Weise durch seine Aufhetzungen — — erreicht,
was er wünschte : der Krieg zwischen Polen und Schweden war ent-
brannt." Wohl aber werden wir Gindely zugeben müssen, dafs C.
unklug und unvorsichtig handelte, als er an den siegi*eichen Schweden -
könig ein Beglück wünschungsschreiben richtete, welches veröffentlicht
wurde. Freilich die Veröffentlichung hatte er nicht gewollt, wie
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242 Litteraturbericht Heft 8 u. 9.
Kvacsala S. 369 ausdrücklich hervorhebt. Er hatte es nur nicht
über sich vermocht , dem Stadtoberhaupt von Lissa seine Bitte um
ein Beglückwünschungsschreiben an den König entschieden abzu-
schlagen. Es scheint C. überhaupt schwer geworden zu sein,
dringende Bitten abzulehnen. Diese Schwäche tiitt ganz auffallend
hervor in der Zeit, als man ihn zur Teilnahme an dem Religions-
gespräch in Thorn bewegen wollte. Als ein Teil def Brtlder nicht
abliefs, ihn zu bestürmen, bat er den Herrn von Geer, ihn nach
Schweden zu berufen, damit er einen genügenden Vorwand ftlr seine
Nichtbeteiligung besitze. Herr von Geer berief ihn wirklich nach
Schweden. Aber bereits hatte er sich doch wieder zur Reise nach
Thorn überreden lassen (S. 47).
Diese Schwäche des C. war jedoch nur das Übermafs einer
Tugend, sie war übertriebene Sanftmut. Es gab keine bedeutende
Erscheinung^ keine bedeutende Persönlichkeit, die nicht auf C.^s
Herz sofort tiefen Eindruck machte und es eine Zeitlang ganz in
ihrem Zauberkreise hielt, bis er die empfangenen Eindrücke in
stillem, abwägendem Nachdenken in sich verarbeitet hatte. Gindely
erzählt davon sehr auffallende Beispiele. Ein angesehener Kapuziner
Namens Valerian, ein Mann von grofser Schlagfertigkeit und diploma-
tischem Geschick, hatte eine Polemik gegen den evangelischen
Glauben geschrieben; er hatte sogar in einer dadurch veranlafsten
öffentlichen Disputation mit einem evangelischen Geistlichen den
Sieg davongetragen, so dafs dieser zum katholischen Glauben über-
trat. Wieviel hatte C. bereits über den Gegenstand der beiden Be-
kenntnisse nachgedacht! Wie klar war er sich darüber! Und doch
vermochte die Schrift des Valerian noch einen tiefen Eindruck auf
ihn zu machen, so dafs es ihn trieb, noch einmal zu vergleichen,
noch einmal ohne Voreingenommenheit, ohne Selbstüberhebung zu
prüfen. Er bekennt dies auch offen seinem Gegner in einem seine
Widerlegungsschrift begleitenden Briefe, und Kvacsala wie Gindely
finden dieses Bekenntnis so bezeichnend, dafs sie es uns in Über-
setzung mitteilen (Kv. S. 280, G. S. 43): „Als ich dein Buch zum
erstenmal erhielt, sah ich, welch grofse Dinge dasselbe behandelt,
mit welchem Selbstvertrauen du die Sache führst; wie vieles du
schön, gediegen und fromm bewegst, denn vieles hast du, was sehr
schön ist. Da wagte ich nicht, das Buch weiter zu lesen, nur nach-
dem ich mich mit deinem Buche vor Gott auf die Erde warf, um
Blindheit flehend. Denn ich bat Gott so recht demütig, wenn er
mir dich mit einem Licht der Wahrheit zugesandt hat, er möge die
Gnade haben, meine Augen zu eröffnen. Um so weniger hatte ich
vor, dies Werk auf das deine als Antwort zu geben, erst nachdem
ich mich immer wieder aller meiner Sinne entäufserte und meine
Seele Gott übergab, er möge meinen Geist, Willen und meine Feder
lenken, wohin er wilP)."
*) Der Leser wird wohl selbst das Gefühl haben, dafs diese Über-
setzung der Berichtigung bedarf. Schon der Anfang erregt Zweifel Sollte
nicht am Anfang Quam primum stehen? Das wäre mit ,,sobald als'^ zu
übersetzen.
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1893. Litteraturbericht 243
Ganz derselbe war C. in seinem Verhalten gegen die Socinianer.
Gindely erzählt (S. 15), wie beharrlich sich diese bemühten, ihn
für sich zu gewinnen. Soviel erreichten sie von ihm, dafs er sich
in die Lektüre der von ihnen empfohlenen Olaubensschriften vertiefte,
und C. bekennt, dafs sie ihn doch in seinem Glauben einigermafsen
wankend gemacht hätten. Aber er eroberte ihn sich wieder, und
später erzählt er, dafs der Socinianismus auf ihn keinen Eindruck
mehr machen könne.
Wer wollte dieses Verhalten des C. als Schwäche auslegen!
Es ist vielmehr das einzig richtige, wo es sich um einen so reichen,
so geheimnisvollen Schatz handelt, wie der christliche Glaube ist.
Man lernt ihn nur kennen, indem man ihn immer wieder durch-
mustert. Es ist das einzig wahre Verhalten, wenn man femer be-
denkt, dafs wir solchen Schatz nur in schwachen, unvollkommenen
Geftlfsen bergen. Da setzt sich leicht allerlei Staub an, und das
Gold verblafst. Da ist es notwendig, ihn von Zeit zu Zeit hervor-
zuholen und vom Staube zu reinigen. Das aber war des C. Stärke,
dafs er sich seiner menschlichen Schwäche in der begrifflichen Er-
fassung seines Glaubens stets bewufst blieb. W. B.
Zivot JanaAmosaKomensk^ho. Na oslavu tHsetlet^ pam4tky
jeho narozeni napsal Fr. J. Z o u b e k. VydAno z pozöstalosti
spisovatelovy p66f „Besedy u6itelsk^ Budöe" na Smfchove. K
tisku upravilDr. Jan V. Novdk. V Praze 1892. Ndkl. J. Otty.
Lex. 8^ Str. 294. Cena 2 zl. 40 kr.*)
ZveCnely Zoubek, tento pravy „apoStol Komensk^ho" v CechAch,
poprv6 vydal zivotopis Komensk^.ho v r. 1871 o 128 str. lex. 8®,
jeni zAhy vyäel tak^ ve zpracovÄnf nemeck^m a stal se pramenem
a zdkladem pro vSechny t6mel* nÄsledujicf iivotopisy Komensk^ho a
teprve v r. 1892 byl pfedsti^en dilem Kvacsalovym, zejm^na ve
pf leine, vylfcenl veäkerych stykfi Komensk^ho a ocenfnl vesker^
spisovatelsk^ <5innosti Amosovy.
Prv6 vyddnl iivotopisu Zoubkova opfralo se sice o predchozl
*) Das Leben des Johann Amos Comenius zur Gedächtnisfeier seines
dreihundertjährigen Geburtstages verfafst von Fr. J. Zoubek, aus des Ver-
fassers Nachlafs herausgegeben von der JBeseda uCitelskA BudeC" in
Smichow, zum Druck zubereitet von Dr. J. V. Nov&k. — Prag 1892. Verlag
von J. Otto. Lex. 8o. 294 S. — Preis 2 fl. 40 kr.
Der verewigte Zoubek, dieser „Apostel des Comenius" in Böhmen, hat
zum erstenmal im Jahre 1871 eine Lebensbeschreibung des Comenius her-
ausgegeben (Lex. S^. 128 S.), die bald auch in deutscher Bearbeitung er-
schien und Quelle und Grundlage für fast alle nachfolgenden Lebens-
beschreibungen des Comenius wurde. Erst 1892 ist sie durch das Werk
Kvacsalas überholt worden, namentlich was die Darstellung der gesamten
Beziehungen des Comenius und die Würdigung seiner gesamten schrift-
steiierischen Thätigkeit betrifft. Die erste Ausgabe der Zoubekschen
Lebensbeschreibung stützte sich zwar auf die vorangegangenen Arbeiten,
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244 Litteraturbericht. Heft 8 u. 9.
prdce hlavne Palack^ho a Gindelyho, tak6 vSak o vlastni Studium
spisfi sam^ho Komensk^ho a pfisluSn^ literatury. Zoubek jiz v r*
1871 nepfestal na vypsdni vnej§ich udalostf pohnut^ho iivota Komen-
sk^ho; nei pokusil se — pokud prameny tehd4^ na snade jsoucf
dovolovaly — vylfSiti Amosa jako sjna 8v6 doby, vypsati pomeiy
prostoru a osob^ jez ho obklopovaly, pomery politick^ a spolec^ensk^,
kterym podl6hal a jei zase k vyvoji jeho ducha a k nzrkvkni a
tflbeni jeho zAmyslä pfispivaly, zvl4§t' zevrubne pak ocenil velikou
prdci jeho a to hlavne v oboru didaktiky. K tomuto zivotopisu
pridruiSil Zoubek v letech sedmdesatych a osmdesdtych vzomd ceskÄ
ztlumoSeni nejdälezitejsfch latinskych spisä Komensk^ho a rovnez
d&kladn^ jako duchapln^ monografie o rftznych strÄnk4ch jeho
6innostiy zejm^na Studie o ndboienskych , poetickych a ndrodohos-
poddfskych spisech a ideÄch Komensk^ho, kter^ Zoubkovi v litera-
tufe ^esk^ na vidy zabezpeöujf jedno z nejpfednejsfch mfst a cennym
obsahem, ryzim jazykem a slohem stejne jasnym jako lahodnym
budou trvati klassickymi. I zabfral se Zoubek stdle hloubeji ve
studia spisfi Komensk^ho a vesker6 literatury pffsluän^, pfi öemz
napofAd sn4§el opravy, doplnky a novy material k nov6mu vydÄn{
i^ivotopisu Komensk^ho^ jehoz vydänf prvö bylo poeAtkem let osmde-
s4tych rozebrdno.
hauptsächlich auf die eines Palacky und Gindely, doch auch auf selbständiges
Stuaium der Schriften des Comenius und der einschlägigen Litteratur;
Zoubek begnügte sich schon 1871 nicht damit, das bewegte Leben des Co-
menius in seinem äufseren Verlauf zu beschreiben, sondern versuchte, soweit
das die damals zugänglichen Quellen erlaubten. Amos als einen Sohn seiner
Zeit zu schildern und die Zustände von Land und Leuten, die ihn umgaben, zu
beschreiben, sowie die politischen und socialen Verhältnisse, denen er unter-
lag, die aber andererseits zur Entwicklung seines Geistes und zur Aus-
reifune und Klärung seiner Ideen beitrugen. Besonders eingehend würdigte
ZoubeK seine grofse Arbeit auf didaktischem Gebiet. — Aufserdem über-
trug Zoubek in den siebziger und achtziger Jahren die wichtigsten latei-
nischen Schriften des Comenius in musterhafter Weise ins Böhmische und
verfafste ebenso gründliche wie geistvolle Monographien über verschiedene
Seiten seiner Thätigkeit, so besonders Studien über die religiösen, dichte-
rischen und volkswirtschaftlichen Schriften und Gedanken des Comenius,
Arbeiten, durch welche sich Zoubek für alle Zeit einen hervorragenden
Platz in der bömischen Litteratur gesichert hat, und die wegen ihres wert-
vollen Inhalts, ihrer fliefsenden Sprache und ihres ebenso klaren wie an-
mutigen Stils einen dauernden klassischen Wert haben. Daneben versenkte
sich Zoubek immer tiefer in das Studium der Schriften des Comenius und
der gesamten dazu gehörigen Litteratur und gewann dadurch nach und
nach Verbesserungen, Ergänzungen und neues Material zu einer neuen
Ausgabe der Lebensbeschreibung des Comenius, deren erste Ausgabe zu
Anfang der achtziger Jahre vergriffen war.
Aber der Tod rifs Zoubek mitten aus seiner Arbeit, und in seinem
schriftstellerischen Nachlafs fand sich das Manuskript zu einer neuen Aus-
gabe der Lebensbeschreibung, aber nur bis zum Jahr 1643 fortgeführt und
auch das noch nicht völlig gleichmäfsig ausgearbeitet ; für das übrige war
sein Handexemplar der ersten Ausgabe mit seinen Anmerkungen, Nach-
trägen und Verbesserungen vorhanden. Dieses Material wurde auf Ver-
anlassung des Smichover Lehrervereins Prof. J. V. Noväk übergeben, um
es zum Druck vorzubereiten. Das konnte auf zweierlei Weise geschehen :
entweder ohne alle Zusätze, Verbesserungen und Veränderungen, also wie
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1893. Litteraturbericht. 245
AvSak smrt zasdhla Zonbka v prostfed jeho prÄce^ a v literamf
pozfistalosti jeho nalezl se rukopis nov^ho zivotopisu Komensk^ho^
dovedeny jen po rok 1643 a to jeSte ne ve v§em urovnany a sou-
merny, k ostatnlmu pak proloieny exempjaf vyddni prv6ho, pozndm-
kami, prfpisky a opravami dolozeny, Tento material pfieinenim
8mfchovsk6 jednoty uöitelsk6 byl odevzd&n prof. J. V. Noväkovi,
aby ho upravil k vyddnf tiskem, kter62 mohlo se stdti zpftsobem
dvojfm: bud beze vsech doplftküv, oprav a zmen, tedy jako
pramen historicky — a takovym by nejspiSe za vdek vzali komenio-
filov6, chtejfcf zvedeti, jakdaleko v pozndnf Komensk^ho dosp^l tak
prosluly znatel a nadSeny ctitel Amosfiv, jakym byl Zoubek — bud
upraviti kusy rukopis Zoubkfiv tak, aby byl ^etbou i pro sirsf obe-
censtvo; byl zvolen tento druhy zp&sob vydAni, Hmi se stalo, ze
m4me pfed sebon nikoli jen prdci Zoubkovu, nybrz — a to zejm^na
od str. 151 — prdci Zoubkovu a Novdkovu.
Jako prv6 tak tak6 prftomn^ druh6 vydAnf zivotopisu Komen-
sk^ho jest osnovino zpäsobem, ktery dnes vöbec jest oblfben : Podrobne
\ici se vnejsf beh zivota Komensk^ho v sedmi statfch (die hlavnfch
mist jeho pobytu: domov, Cechy, LeSno, Anglie, Le§no podruh6,
Uhry, Lesno pot^etf, Amsterodam), pfi 8emz soufasne vypisuji, se
podnety, vzuik, hlavnf obsah, hodnota jednotlivych spisöv anebo zdroj,
povaha a tendence jeho zdmysluv a Öinä, naf ez ve stati osm^ näsle-
dujf naskrze vecn^ a stffzliv^. Zdverecn^ üvahy a kone^'ne ve stati
devdt^ Seznam spisfl J. A. Komensk^ho o 138 ölslech (proti 110
cfsläm vyddnf z r. 1871); hlavnf stati tyto roz^leneny zase nejvice
die vynikdjfcfch spis&v Amosovych, kter6 vylozeny mnohem zevrub-
neji a üplneji nez ve vydAnf prv^m a to i spisy didaktick^, i n4bo-
zensk^, i filosofick^. ; prof. Nov4k hlavne v tomto smeru, s patmou
eine Geschichtsquelle — und so wäre es den Comeniusfreunden am liebsten
gewesen, die zu erfahren wünschen, wie weit ein so berühmter Kenner
und begeisterter Verehrer wie Zoubek in der Kenntnis des Comenius vor-
gedrungen sei — oder es galt, die fragmentarische Handschrift Zoubeks so
zuzurichten, dafs etwas auch für einen weiteren Kreis Lesbares daraus würde.
Das letztere Verfahren wurde eingeschlagen, und so ist es gekommen, dafs
wir keineswegs auschliefslich eine Arbeit Zoubeks, sondern — namentlich
von S. 151 an — eine Arbeit Zoubeks und Nov4ks vor uns haben.
Wie bei der ersten Ausgabe der Lebensbeschreibung, so ist auch bei
dieser zweiten die äufsere AnTage die heut allgemein beliebte: Der äufsere
Lebenslauf des Comenius wird ausführlich in sieben Abschnitten erzählt
(nach seinen hauptsächlichen Schauplätzen: die Heimat, Böhmen, Lissa,
England, zum zweitenmal Lissa, Ungarn, zum drittenmal Lissa, Amster-
dam), wobei die gleichzeitigen Unternehmungen, Ursprung, Hauptinhalt
und Wert der einzelnen Schriften, oder Quelle, Bedeutung und Richtung
seiner Gedanken und Leistungen geschildert werden. Im achten Abschnitt
folgt eine durchaus sachliche und nüchterne Schlufsbetrachtung und end-
lich im neunten Abschnitt ein Verzeichnis der Schriften des J. A. Comenius
mit 138 Nummern (gegen 110 Nummern der ersten Ausgabe von 1871).
Diese Hauptabschnitte gliedern sich wieder hauptsächlich nach den hervor-
ragenden Schriften des Comenius, die viel ausführlicher und vollständiger
als in der ersten Ausgabe besprochen werden, und zwar sowohl die didak-
tischen als auch die theologischen, als auch die philosophischen Schriften.
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246 Litteraturbericht. Heft 8 u. 9.
pflf a sv^domitosti njal se doplnSni textn Zoubkova. Sloh dila jest
jasny^ jazyk lyzf. Hojn^ pozndmky historick6 a literarni pHpadn^
dojasiiuji hlavni text a poukazuji k pramen&m, spolu jsonce toho
dokladem, jak nesmfrnß vzrostla literatura Komensk^ho od r. 1871
a jak dokonale Zonbek ji ovlMal i jak XovAk — pokud se tyfie
doby nejnovejäf — j{ vyuiiti se sna^il.
Velmi vkusna jest vyprava vnßj§f, tisk velmi zrätelny, ai nad-
bytnS V odstavce dßleny a J^islovapy; litujeme jen, Je k dflu tak
obsÄlil^mu a d&leiit^mu nebyl pridÄn ani jmenny aui viScnf rejstrfk
abecednf. Vhodn^ spis dopliiujf podobizny Komensk^ho (die obrazu
Sttssnappova) a Zoubkova (die fotografie), snfmek z4hlavi z Opera
didactica omnia a Milbauerova mapa: Cesty Komensk^ho.
Jos. Klika.
Prof. Novdk hat Damcntiich in dieser Richtung mit grofsem Fleifs und
Gewissenhaftigkeit den Text Zoubeks wesentlich vervoUst&ndigt. Der Stil
des Werkes ist klar, die Sprache fliefsend. Zahlreiche geschichtliche und
litterarische Anmerkungen erläutern den Text und weisen auf die Quellen
hin; sie zeigen zugleich, wie bedeutend die Comeniuslitteratur seit 1871
angewachsen ist, wie vollkommen Zoubek sie beherrschte und wie voll-
ständig sie NovÄk — was die neuesten Zeiten anbelangt — zu verwerten
bestrebt war.
Die äufsere Ausstattung ist recht geschmackvoll, der Druck deutlich,
der Absätze und Paragraphen sind fast zu viele; wir bedauern nur, dafs
diesem so inhaltreichen und wertvollen Werk kein Namen- und Sachregister
beigegeben worden ist. Das Buch ist in passender Weise geschmückt mit
den Bildern des Comenius (nach Süfsnapp) und Zoubeks (nach einer Photo-
graphie), mit einer Nachbildung des Titelkupfers aus den Opera didactica
omnia und mit Milbauers Karte: Die Reisen des Comenius.
Neueste Comenius-Litteratur.
Seit unserem letzten Bericht vom März 1893 (s. M.-H. der
C. 6. 1893, Heft 3, S. 84 ff.) sind eine Reihe weiterer Arbeiten
über Comenius erschienen, die wir hier einstweilen nur dem Titel
nach zur Kenntnis unserer Leser bringen können. Wir behalten
uns näheres Eingehen auf die wichtigeren Arbeiten vor. Sollten in
dieser Übersicht einige inzwischen erschienene Aufsätze fehlen, so
bitten wir unsere Leser und Mitarbeiter um Zusendung derselben;
es wird dann die Nachtragung erfolgen.
A. Deutsche Lltteratur.
Andreae, Dr. Karl, Zwei pädagogische Festreden (Beigabe zum
Jahresberichte der Königl. Lehrerbildungsanstalt Kaiserslautern
1892 — 93), darin: L Gesprochen zur Feier des 300jährigen Ge-
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1898. Litteraturbericht. 247
burtstags des J. A, Comenius, veranstaltet von sämtlichen Unter-
richtsanstalten am 28. März 1892.
Dittes, Fr. Über den Geburtsort des Comenius. Im Pädagogium.
September 1892.
Fechtner, E. Johann Amos Comenius. In der österreichisch-
ungarischen Revue XUI, 385 — 348.
Feuerbach, A. Amos Comenius und die Volksschule. Gedächtnis-
rede auf Comenius, gehalten in der Hauptversammlung des hes-
sischen Landes - Lehrervereins. Abgedruckt im Schulboten für
Hessen. 1892, No. 21 und 22 (1. und 15. November).
Gindely, Anton. Über des Johann Amos Comenius Leben und
Wirksamkeit 2. neu bearbeitete Auflage der im Jahre 1855 ver-
öffentlichten Abhandlung. Mit 4 Abbildungen. Znaim, Foumier &
Haberler (Karl Bomemann). Preis 2 Mk. (s. oben S. 239 ff.).
Grillenberger, G. Comenius, seine Quellen, seine eigene Arbeit
und sein Einflufs. Konferenzvortrag. Fürth, G. Rosenberg. 1893.
48 S. 8^
Herold, H. Welche Bedeutung hat Comenius für die Entwicklung
der Unterrichtsmethode. In der katholischen Lehrerzeitung, heraus-
gegeben von W. DUrken. 1892. No. 8 und 9.
Hunziker, 0. Comenius und Pestalozzi. Festrede, gehalten zu
Zürich am 13. März 1893. Zürich, Druck von Orell Füssli.
Kvacsala, Johann. Des Comenius Aufenthalt in Lissa. In der
Zeitschrift der historischen Gesellschaft für die Provinz Posen.
Bd. Vm (1893), S. 1—46.
Tamms, August. Johann Amos Comenius, sein Leben und seine
Bedeutung für die Volksschule. In der mecklenburgischen Schul-
zeitung, XXTTT. Jahrgang, No. 47 — 51.
Joh. Böhm, Geschichte der Pädagogik mit Charakterbildern her-
vorragender Pädagogen und Zeiten. Als Kommentar zu seiner
kurzgefafsten Geschichte der Pädagogik bearbeitet von Joh. Böhm.
Mit 103 Abbildungen. Zweite, verbesserte und vermehrte Auf-
lage. 2 Hefte. Die Geschichte der Pädagogik von Montaigne
bis zur Gegenwart. Nürnberg, Verlag von Friedr. Korn. 1893.
Diese neue Auflage ist in Bezug auf Comenius unter Berück-
sichtigung aller neueren Forschungen bearbeitet.
B. NorwegfHche Lttteratar.
Zusammeugestellt von C. Anderssen.
Hovedpunkteme i Skolens Udvikling efter Reformationen of Matias
Skard, Vorstander for Vonheims Folkehöiskole, Christiania 1884.
Paedagogikens Historie of N. Hertzberg 1890.
Johann Amos Comenius et trehundredeaars Jubilaeum af N. Hertz-
berg. Norsk Skoletidende 1892.
Comenius som Brodremenighedens Biskop. Foredrag ved Comenius-
festen i Christiania 15. Nov. 1892 (Norsk Skoletidende 1892).
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248 Litteraturbericht. Heft 8 U. 9.
Anderssen, Otto (Skolbestyrer). Johan Arnos Comenius, Den
moderne opdragelses videnskaps Grondlaegger. Foredrag ved minde-
feesten i Kristiania 15. Nov. 1892. Christiania, Alb. Cammer-
raeyers Forlag, 1893.
C. Englische Litteratar.
Foster Watson, M. A. On the development of John Arnos Co-
menius. The Educational Review. London, Office of the £d.
Review 2 Creed Lane, Ludgate Hill, E. C. 1892 Mai.
Foster Watson. Translations from Comenius. The Educational
Review. 1892 July and August.
D. Italienische Litteratar.
n testamento di Comenio. L' Italia Evangelica. Firenze 1893 Anno
XIH N« 12 (25. März 1893).
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Zur Bücherkunde.
Litteratur über Johann Valentin Andreae aus den
letzten hundert Jahren.
Zusammengestellt von
Dr. J. Brügel, Seminarrektor in Nagold.
1782 Petersen, Leben Andreaes im Württembergischen Reper-
torium der Litteratur. Stück II, S. 274 — 365.
1786 (Carl Sonntag, Generalsuperintendent zu Riga. Der Name
des Vf. ist im Buch selbst nicht genannt.)
J. V. Andreaes Dichtungen zur Beherzigung unseres Zeit-
alters. Mit einer Vorrede von J. G. Herder. Leipzig,
G. J. Göschen. LXIV, 181. Enthält in der Einleitung einen
Lebensabrifs A.'s, ist im übrigen keine Übersetzung, sondern
eine freie Bearbeitung ausgewählter Stücke aus der Mytho-
logia christiana. S. auch Werke Herders von Suphan, Band
XVI, S. 591—600.
1793 Herder, J. G., Zerstreute Blätter. Gotha bei Carl Wilhelm
Ettinger. Sämtl. Werke hrsg. von Suphan. Berlin, Weidmann.
1888. Band XVI, 131 — 191. Übersetzungsproben aus der
Mythologie und Menippus. S. 232 — 241 über J. V. Andreae
als Dichter mit Proben aus der Geistlichen Kurtzweil.
1799 Seybold, ordentlicher Professor der klassischen Litteratur
in Tübingen, Selbstbiographien berühmter Männer. Ein Pen-
dant zu J. G. Müllers Selbstbekenntnissen. Gesammelt von
Prof. S. 2. Band. J. V. Andreae nebst Beilagen. Winterthur
in der Steinerischen Buchhandlung. XVH, 392 S.
1808 (Stäudlin, J. Fr.) Dissertatio de Johannis Valentini Andreae
Theologi olim Virtembergensis consilio et doctrina morali.
Osterprogramm. Göttingen. 4**. 17 S.
1817 Immanuel Friedrich Gamm, Dr. der Theologie und Philo-
sophie, Aschenfunken aus der Bannbulleverbrennung
Luthers, zur Nachfeyer des dritten Sekularfestes , glimmend
erhalten durch das Andenken an den zweiten (Württembergischen)
Luther, Dr. Valentin Andrea, vormaligem zweiten Hofgeist-
Monatfl)iefte der Qomonlns-OeseUsehaft, 18^, ^8
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250 Brügel, Heft 8 u. 9.
Heben, von seinem Amtsnachfolger nach einem Ablauf von
179 Jahren. Ad Boreum poli 50 gi-. elevati. Den 31. De-
zember 1817. 8^ 225 S. (Enthält u. a. Übersetzungsproben
aus Menippus u. Mythologia christiana.)
1819 Wilhelm Hofsbach, Prediger an der K. Kadettenanstalt zu
Berlin, Job. Val. Andreae und sein Zeitalter. Berlin, gedruckt
und verlegt bei G. Reimer. 8^. 295 S. -- Im Text einge-
schaltet und im Anhang beigefügt sind Proben besonders aus
dem Menippus, einige auch aus der Mythologia christiana.
1821 H. Chr. Fr. Krause, Die drei ältesten Urkunden der Frei-
maurerbrüderschaft. Dresden. Band H, Abt. 2. S. 88 ff.
1827 Pabat, Carl Theodor, ord. Mitglied der hist.-theol. Gesell-
schaft zu Leipzig, Job. Val. Andreaes Entlarvter Apap (Papa)
und Hahnenruf. Eine Stimme der Warnung an das deutsche
Volk nebst Beiträgen zur Kirchengeschichte des 16. und 17.
Jahrhunderts aus den Schriften des J. V. Andreae. Leipzig
bei G. Kayser. Vorr. XH. Leben J. V. A.'s 52 S. Über-
setzung des Apap proditus 58 — 78. Des Gallicinum (Hahnen-
ruf) S. 80 — 92. Übersetzung von Bruchstücken aus Fama
Andreana reflorescens S. 100 — 145.
1836 Carl Grün eisen, Job. Val. Andreae, die Christenburg.
Allegorisch-epische Dichtung. Nach einer gleichzeitigen Hand-
schrift herausgegeben. Zeitschrift für historische Theologie
von Illgen. VL Bd. 1836. S. 281—312. — Auch als Sonder-
abdruck erschienen. Leipzig 1836.
1845 Mohl, Kobert, Die Staatsromane. Ein Beitrag zur Litte-
raturgeschichte der Staatswissenschaften. Zeitschrift für die ge-
samte Staatswissenschaft. Tübingen. Band 2. S. 24—74.
— Die Kämpfe des christlichen Herkules von Job. Val. Andreae.
— Ein altes Buch ftir die neue Zeit aus dem Lateinischen
übersetzt und herausgegeben von einem seiner Nachkommen.
Frankfurt a. M. Verlag von Heinrich Zimmer. Einl. XXXII.
Vorrede des Herausgebers Dr jur. Victor Andreae, S. V— XIV.
Vorerinnerung desselben XV — XXXH. 144 S. Mit Bildnis
und Facsimile.
1848 C.Römer, Diaconas zu Sindelfingen (Württemberg). Kirch-
liche Geschichte Württembergs. Ein Versuch. Stuttgart.
Verlag der evang. Bücherstiftung. Andr. 294 ff.
1849 F. H. Rhein wald, Dr., Joannis Valentini Andreae Theologi
Q. Württembergensis Vita ab ipso conscripta. Ex autographo
in Bibl. Guelferbytano Recondito, adsumtis codd. Stuttgartianis,
Schorndorfiensi, Tubingensi Nunc primum edidit cum icone et
Chirographe Andreano. F. H. Rheinwald. Berolini apud
Herm. Schultzium. IV, 284 S. 2 Seiten Facsimile. Die in
dem Buch bezeichneten Anmerkungen sind merkwürdigerweise
nie im Druck erschienen.
1851 Carl Grün eisen, Job. Val. Andreae. Evangel. Kalender.
Jahrbuch für 1851. S. 323 ff
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1893. Litteratur über J. V. Andreae. 251
1815 F. L. Steinmeyer, Andreaes Lebensabrifs in Pipers evan-
gelischem Jahrbuch S. 220 — 230 (Gesamtausgabe der „Zeugen
evangelischer Wahrheit". Leipzig. 4. Band. 1875. 8.258—267).
— Gustav Schwab, Lebensbild von Andreaes Mutter Maria in
Pipers evang. Jahrbuch (Gesamtausgabe der „Zeugen evan-
gelischer Wahrheit. 4. Band. Leipzig 1875. S. 267—270).
1852 G. E. G u h r a u e r , Der erste deutsche Staatsromau. Deutsches
Museum. Zeitschrift für Litteratur u. s. f. von Robert Prutz.
Leipzig. Band 2. S. 734—754.
— Derselbe, Kritische Bemerkungen über den Verfasser und
den ursprünglichen Sinn und Zweck der Fama Fraternitatis
des Ordens der Rosenkreuzer in Niedners Zeitschrift f. histo-
rische Theologie. Hamburg u. Gotha. Bd. 22. S. 298— 315.
— Henke, Mitteilungen aus dem Verkehr Andreaes mit Herzog
August, in der deutschen Zeitschrift fUr christliche Wissen-
schaft. 1852. S. 260—354.
1855 Mohl, Robert, Die Geschichte und Litteratur der Staats-
wissenschaften. Erlangen. Bd. I. S. 127 ff.
— Palmer, Pädagogische Betrachtungen und Phantasieen eines
württembergischen Theologen aus dem siebzehnten Jahrhundert,
im Süddeutschen Schulboten, herausgegeben von Völter.
Nr. 15—17.
1857 Gafs, ord. Prof. der Theol. in Greifswald, Geschichte der
protestantischen Dogmatik in ihrem Zusammenhang mit der
Theologie überhaupt Darstellung der Theologie Andreaes in
Bd. 2, S. 54—67. Berlin, G. Reimer.
1859 Tholuk, Lebenszeugen der lutherischen Kirche. Berlin.
S. 314—339.
1863 Hartmann, Julius, Dekan in Tuttlingen, Job. Val. Andreaes
Leben und Auswahl seiner Schriften. In der Evangelischen
Volksbibliothek, herausgegeben von D. Klaiber, Garnisons-
prediger in Ludwigsburg. 2. Band. Stuttgart, xVd. Bechers
^Verlag (Gustav Hoffmann). S. 571—641.
— K. W. Hochhuth, ref . Pfarrer zu Franken berg in Kurhessen,
Mitteilungen aus der protestantischen Sektengoschichte in der
hessischen Kirche. 1. Teil. Im Zeitalter der Reformation.
IV. Abt. Die Weigelianer und Rosenkreuzer. Illgens Zeit-
schrift ftlr historische Theologie, 33. Bd., giebt S. 253—262
und im folgenden Jahrgang
1864 ebendort S. 301 — 315 ein Verzeichnis der bedeutendsten rosen-
kreuzerischen Schriften (190 an der Zahl).
1872 Dr. Carl Grüneisen, Joh. Val. Andreae, Vortrag am
24. Jan. 1872 in der Stuttgarter Liederhalle gehalten. Deutsch-
land, eine periodische Zeitschrift zur Beleuchtung des deutschen
Lebens u. s. w. Herausgeg. von W. Hoffmann, Dr. d. The*)l.
und Oberhofprediger in Berlin. Wiesbaden, Julius Niedner,
Verlagsbuchhandlung. S. 168—190.
18*
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252 Bi^gel, Heft 8 u. 9.
1875 Henke, Artikel J. V. Andreae in der Allgemeinen deutschen
Biographie. Leipzig. I, 441 — 447.
1876 Ch. Palm er, Artikel „Andreae" in Schmid's Pädagogischer
Eealencyklopädie. Zweite verbesserte Aufl. l, 110 — 113.
Gotha, Verlag von Kudolf Besser.
1877 Tholuk(Wagenmann), Artikel „Andreae" in Herzogs theo-
logischer Realencyklopädie. 2. A. I, 388—395.
1878 J. V. Andreae, der christliche Bürger. Herausgegeben von
V. F. Öhler, Heilbronn.
— J. V. Andreae, Theophilus. Herausgeg. von V. F. ö h 1 e r.
Heilbronn 1878.
1881 H. F. von C riegern, Johann Arnos Comenius als Theolog.
Leipzig u. Heidelberg. Winter. Über Andreae S. 334 ff.
1883 Erich Schmidt, Zur Vorgeschichte des Goetheschen
Faust. Goethejahrbuch, herausgegeben von Ludwig Geiger.
4. Band. Frankfurt a. M., Litterarische Anstalt Rütten u. Löning.
5. 127—140. (Betrachtet Andreaes Turbo als Vorläufer des
Faust.)
1884 W. Baur, Dr. th., Generalsuperintendent der Rheinprovinz,
Das deutsch -evangelische Pfarrhaus. Seine Grün-
dung, seine Entfaltung und sein Bestand. 3. vermehrte Aufl.
Bremen, Verlag von C. Ed. Müller. S. 172—186.
— C. Hüllemann, Val. Andreae als Pädagog. 1. Theil.
Inauguraldissertation. Leipzig. 22 S.
1885 Robert Kübel, Drei Väter der evang. Kirche Württembergs
Brenz, Andreae und Bengel in V. Fr. öhlers Zeitschrift fllr
Pastoraltheologie „Halte, was du hast". 8. Jahrgang. Andreae
S. 252—268.
1886 Gafs, Geschichte der christlichen Ethik. H, 1. Sech-
zehntes und siebzehntes Jahrhundert. Die vorherrschend
kirchliche Ethik. Berlin, Druck u. Verlag v. G. Reimer.
Andreae S. 161—167.
— Joh. Phil. Glö ekler, Joh. Val. Andreae, ein Lebensbild zur
Erinnerung an seinen dreihundertsten Geburtstag entworfen.
182 S. Mit einem Bildnis Andreaes. Stuttgart, Emil Hansel -
manns Verlag.
— Wilh. Gufsmann, Pfarrer in Pfäffingen (Württemberg), Rei-
publicae christiauopolitanae descripto. Fünf Artikel in der
Luthardtschen Zeitschrift für kirchliche Wissenschaft u. kirchl.
Leben, S. 326 ff.
— Alb. Landenberge r, J. V. A., ein schwäbischer Gottes-
gelehrter des siebzehnten Jahrhunderts. Eine Geschichts-
erzählung. Zur Erinnerung an die 300jährige Geburtstagsfeier.
Barmen, Hugo Klein. Mit Bildnis.
— Richard Weitbrecht, Joh. Val. Andreae. Ein Gedenkblatt
zu seinem dreihundertsten Geburtstag. 17. Aug. 1586. In
Beyschlags „Deutsch -evangelische Blätter", Zeitschrift für den
gesamten Bereich des deutschen Protestantismus. 11. Jahr-
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1898. Litteratur über J. V. Andreae. 253
gang. Halle a. S. In Kommission bei Eugen Strien in Halle.
S. 577-602.
1887 Paul Wurm, Job. Val. Andreae. Ein Glaubenszeuge aus
der Zeit des dreifsigjährigen Krieges mit Auszügen aus seinen
Schriften u. Bildnis. Calw u. Stuttgart. Verlag der Vereins-
buchhandlung. (Calwer Familienbibliothek, 6. Bd.) 239 S.
1887 Dr. Hermann Bender, Kektor des K. Gymnasiums zu Ulm.
Gymnasialreden nebst Beiträgen zur Geschichte des Humanismus
und der Pädagogik. Tübingen 1887. Verl. der H. Lauppschen
Buchhandlung. Essay über J. V. Andreae S. 256 — 275.
1889 Christoph S ig wart. Kleine Schriften. Zweite Ausgabe.
Freiburg im Breisgau. Erste Keihe. S. 173 ff.
— Chamloth, Joh. Val. Andreae redivivus. Eine Pastoraltheologie
in Versen. S. 150. Braunschweig, Wollermann.
1891 Theologisches Handwörterbuch (Calwer Kirchenlexi-
kon I), redigirt unter Mitwirkung einer Reihe von Theologen
von Lic. Th. Paul Zeller und herausgegeben vom Calwer
Verlagsverein. 1. Band. Calw und Stuttgart, Verlag der
Vereinsbuchhandlung. Andreae S. 74 f.
1892 Geschichte der Erziehung vom Anfang bis auf unsere
Zeit, bearbeitet in Gemeinschaft mit einer Anzahl von Gelehrten
und Schulmännern von Dr. K. A. Schmid, weil. Prälat u.
Gymnasialrektor, fortgeführt von Georg Schmid, Dr. phil.
3. Band. 2. Abtheilung. Stuttgart, Verlag der J. G. Cottaschen
Buchhandlung Nachfolger. Joh. Val. Andreae als Pädagog,
bearbeitet von Dr. Julius Brtigel, Seminarrektor in Nagold
(Württemberg).
— Lic. Hummel in Schwaigern (Württemberg): Von wem
Comenius die „Fackel" erhielt und wem Comenius sie reichte.
Ein Beitrag zum Commeniusjubiläum aus Württemberg. Neue
Blätter aus Süddeutschland für Erziehung und Unterricht,
herausg. von Dr. Burk u. Dr. E. Gundert 1892. S. 112—135.
1893 Württembergische Kirchengeschichte, herausgegeben
vom Calwer Verlagsverein. J. V. Andreae S. 437 ff. (Prof.
JuL Hartmann).
— Dr. C. Hüllemann, Valentin Andreae als Pädagog. H. Teil.
Abhandlung zu dem Jahresbericht des Thomasgymnasiums.
Leipzig, (s. 1884.)
Anm. Diese Zusammenstellung macht keinen Anspruch auf Voll-
ständigkeit.
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Nachrichten.
Es sind im Laufe der letzten Monate eine Reihe von Berichten und
Bespreehan^eii über die C.-G. und ihre Schriften erschienen, auf die wir
hier im einzelnen nicht eingehen können. Nur auf einige derselben wollen
wir die Aufmerksamkeit unserer Leser lenken. In der Revue critique
vom 17. April 1893, S. 305 f. hat Ch. Seignobos eine sehr freundliche An-
zeige veröffentlicht; in No. 41 des Litterarischen Centralblattes
vom J. 1892 handelt D. Brandes über die ersten beiden Hefte unserer
wiss. Zeitschrift in empfehlendem Sinn. In der Zeitschrift für prakt.
Theologie (hrsg. von ßaumgarten-Jena, Kirmss-Berlin und Teichmann-
Frankfurt a. M.) hat Prof. Bassermann eine Besprechung veröffentlicht
(Jahrg. XV, Heft 1, S. 89 f.). Sehr freundlich spricht sich G. Müller im
Theolog. Litteraturblatt aus und ebenso Dr. Landwehr in No. 263
der Neuen Preuss. Zeitung in einem längeren Artikel. Ganz neuer-
dings hat sich der Theologische Jahresbericht, hrsg. von H. Hol tz-
mann, Bd. XII, S. 347, sehr freundlich geäussert; Lic. Kohlschmidt hat
unserer Gesellschaft einen Platz in dem Abschnitt über die Brüdergemeinde
gegeben und sagt unter anderem: „Die Besprechung der reichhaltigen und
wissenschaftlich wertvollen Monatshefte der Comenius-Gesellschaft an der
Spitze dieser Rubrik bedarf keiner Rechtfertigung." Wir möchten, um
Mifsverständnissen vorzubeugen, doch hervorheben, dafs unsere Gesell-
schaft nicht das Organ irgend einer bestehenden Kirche ist und
grundsätzlich nicht sein kann. Das vornehmste Absehen der C.-G. ist da-
hin gerichtet, einen Boden zu schaffen, auf welchem sich die verschiedenen
Bekenntnisse zu gemeinsamem Wirken berühren können. Vielleicht ist
fBr Herrn Lic. Kohlscbmidt der Umstand ins Gewicht gefallen, dafs Herr
Diakonus Jos. Müller in Hermhut Mitredakteur der M.-H. ist; Herr
Müller selbst aber hat die M.-H. nie als Organ seiner Gemeinschaft be-
trachtet — Wie sich die verschiedenen theologischen Richtungen in
einer überwiegend freundlichen Beurteilung begegnen, so ist es erfreu-
licherweise im grofsen und ganzen auch bei den verschiedenen pädago-
gidchen Strömungen und ihren Organen der Fall: wir nennen hier nur die
Anzeigen und Besprechungen in No. 2 des „Gymnasiums" von 1893,
die „Deutsche Schulpraxis" vom 12. März d. J., die „Pädagogische
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1893. Nachrichten. 255
Revue" vom 20. Dez. 1892, die „Zeitschrift für die österreichi-
schen Gymnasien", Jahrg. 1893, S. 364 u. s. w. Von den zahlreichen
Anzeigen in den Lehrer-Zeitungen und Tagesblättem können wir hier
füglich abschen ; nur sei noch auf die Beswrechung in Heft 191, Bd. LXIV
von Nord und Süd und auf den in rumänischer Sprache erschienenen
Aufsatz Meissners in dem Archiva, Organul etc., Jassy 1892, S. 515 hin-
gewiesen. — Schliefslich machen wir noch aufmerksam auf das freundliche
Urtheil E. Uannacks in seinem Vortrag über Comenius (abgedruckt im
Pädag. Jahrbuch, 1892, Wien, Manz) und auf den Artikel des M ey er-
sehen Kon v er sations- Lexikon s unter dem Stichwort „Comenius-Gesell-
schaft**
Schweden begeht im J. 1893 eine Gedenkfeier, die wir um so
weniger unerwähnt lassen dürfen, als nur durch die Wendung, die durch
das gefeierte Ereignis — es ist das Jubiläum von Upsala möte, d. h. jener
Versammlung zu Upsala im Jahre 1593, durch die die Annahme der
Reformation dauernd gesichert wurde — die Wirksamkeit des Comenius
in Schweden möglich geworden ist. In Upsala selbst wird die Jubelfeier
erst im September stattfinden. Zu Stockholm und im übrigen Lande hat
sie sich bereits am 4. April vollzogen, und zwar sind neben den Haupt-
gottesdiensten mehr oder weniger reich ausgestattete Vespergottesdienste
gehalten worden, wofür Schulinspektor R. Nor^n das Formular einer „Re-
formationsvesper" entworfen hat In Stockholm ward die Festpredigt in
der Grofskirche von Pastor primarius PehP, Präses des Stadt-Consistoriums
— Herr Fehr ist Diplom-Mitglied der Comenius-Gesellschaft und gilt als
einer der ersten Redner des Königreichs — gehalten, und es wird unsere
Leser interessieren, den Schlufs derselben kennen zu lernen.
„Wenn wir uns," sagte der Redner, „als die geistlichen Erben der
Reformation dankbar erweisen, haben wir doch weder Anlafs noch Recht,
auf den schon gewonnenen Lorbeeren auszuruhen. Eine grofse und um-
fassende Arbeit liegt vor uns. Wir haben auf dem gelegten Grunde
weiter zu bauen. Wir müssen Massen von Steinen und allerlei Zierrat
wegräumen, die den Eintritt ins Heiligtum nicht nur unnötigerweise er-
schweren, sondern manchen geradezu hindern. Denn — was nimmer ver-
gessen werden darf — die Reformation trat nicht mit einmal fertig und
erwachsen aus dem Schofs der mittelalterlichen Kirche hervor. Die bahn-
brechenden Gedanken wurden wohl von Luther besonders während der
ersten Zeit seines reformatorischen Wirkens ausgesprochen. Ein kräftiger
Wiederhall dieser hellen, vielversprechenden Frühlingstöne ward in un-
sera Gegenden vernommen, so weit als Olavus Petris Stimme drang. —
Aber bald trat eine Zurückbewegung in mancher Hinsicht ein. Die Durch-
führung der Reformation zeigt viele Ärmlichkeiten, hinter denen etliche
von ihren ursprünglichen Zügen verdunkelt, ja ausgetilgt wurden. Viel
vom katholischen Sauerteige ward in die neuen Kirchen hineingenommen
und ist noch da zu finden. Wie manche unter uns wissen es wohl noch
kaum besser, als dafs christlicher Glaube sei gleichbedeutend mit Recht-
gläubigkeit und christliches Leben mit der Ausübung der Werkheiligkeit?
Doch vieles, wenn nicht alles davon hat seinen Ursprung wohl in den
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256 Nachrichten. Heft 8 u. 9.
Schwierigkeiten, womit alles Grofse behaftet ist, das in der Menschheit
seinen Weg machen soll. Wir dürfen nicht verzweifeln. Was bedeuten
300 Jahre in einer grofsen religiösen Bewegung!... Zwischen Augustinus
und dem Vatikanum liegen etwa anderthalb Jahrtausende ....
Reform mufs immer noch die Losung sein in der Kirche der Refor-
mation, Reform auf der Grundlage des von der Reformation ans Licht
gezogenen Evangeliums Christi. Der Papst in Rom mag sich für unfehl-
bar ausgeben; unsere evangelische Kirche will von keiner Unfehlbarkeit
wissen. Thut sie das, so befindet sie sich auf einem Wege, der nach
Rom führt. Dann giebt sie auch die Treue gegen das reformatorische
Evangelium auf. Wir aber, die wir heute Reformationsfest feiern, wir
wollen uns unsers evangelischen Glaubens und der christlichen Freiheit,
zu der Christus uns frei gemacht hat, nicht berauben lassen. Wenn wir
aber die Reformation feiern, lafst uns nicht vergessen, dafs jede wirkliche
Reform, die etwas wert ist, von neuem beginnt .... So wollen wir hier
zuletzt uns der ersten der 95 Thesen erinnern, die Luther in der Morgen-
dämmerung der Reformation wie einen Weckruf in die Welt hinausgehen
liefs: Da unser Herr und Meister Jesus Christus sprach: Thut Bufse u. s. w.,
wollte er, dafs das ganze Leben der Gläubigen eine beständige Bufse sei."
In Prag erscheint seit einiger Zeit lieferungsweise im Verlag der
litterarischen und pädagcrgischen Abteilung des Central Verbandes der
böhmischen Lehrervereine ein „Kurzgefafstes pädagogisches Wörter-
bach" (struCn;^' slovnik paedagogick^), das in Heft 19 — 22 einen sehr
eingehenden Artikel über Comenius bringt. Wie das Vorwort zum 2. Band
hervorhebt, ist diesem Artikel das Comeniusjubiläum mit den dadurch her-
vorgerufenen zahlreichen Veröffentlichungen und Ausstellungen wesent-
lich zu gute gekommen. Es wird uns hier eine gute und gründliche Zu-
sammenfassung dessen geboten , was wir gegenwärtig über Comenius und
seine verschiedenen Thätigkeitsgebiete wissen. Der Artikel zerfallt in
folgende Abschnitte: 1. Das Leben des Comenius (von J. Noväk). — 2. Co-
menius als Theolog. — 3. Comenius als Philosoph. — 4. Comenius als
Pädagog. Diesem naturgemäfs ausführlichsten Abschnitt (S. 627-656) von
J. Klika ist auch ein Verzeichnis der nach Comenius sich nennenden Ver-
eine und Gesellschaften beigefügt. — 5. Comenius als Schriftsteller. —
6. Die Schriften des Comenius (nicht nur ein Verzeichnis sämtlicher 143
Originalausgaben von J. Kvacsala, sondern auch ein solches der neueren
böhmischen Ausgaben. — 7. Die Bilder des Comenius (31 Nummern). —
8. Urteile von hervorragenden Böhmen und Ausländem über Comenius. —
9. Schlufsurteil.
Bei jedem einzelnen der von verschiedenen Verfassern herrührenden
Abschnitte ist die Litteratur mit grofser Vollständigkeit angegeben. Der
erste Abschnitt ist mit den bekannten verschiedenen Abbildungen des
Comenius geschmückt, sowie mit einer von Milbauer gearbeiteten Karte
der verschiedenen Reisen des Comenius.
Der Sekretär der „hlstorisehen Kommission^ bei der kgl. bayrischen
Akademie der Wissenschaften, Herr Professor Dr. C. A. Cornelius, vet*
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1893. Nachrichten. 257
sendet den Bericht über die vierunddrei fsigste Plenarversammlung, die am
25. und 26. Mai in München stattgefunden hat. Hervorgehoben sei aus
diesem, dafs seit der letzten Plenarversammlung im Juni 1892 folgende
Publikationen durch die Kommission erfolgt sind:
1. Allgemeine deutsche Biographie, Bd. XXXIV u. XXXV.
2. Geschichte der Wissenschaften in Deutschland, Bd. XXII : Dr. August
Hirsch, Geschichte der medizinischen Wissenschaften in Deutschland.
Auf die Fülle der in erfreulichem Fortgang begriffenen Arbeiten, von
denen berichtet wird, und die zum Teil in nächster Zeit der Öffentlich-
keit übergeben werden, können wir hier nicht näher eingehen und müssen
auf den Bericht selbst verweisen.
Der Jahresbericht der ,,G68e]l8ehaft für deatsehe Erziehaogs- and
Sehnlgesehiehte^^ für 1892 stellt fest (s. Mitteilungen der Gesellschaft, Jahr-
gang III, Heft 2, S. 1), dafs im Hinblick auf die Leistungen, die sich die
Gesellschaft für ihre Mitglieder auferlegt hatte, selbstverständlich „sich am
Jahresschlufs ein Minus (dessen Höhe nicht mitgeteilt ist) ergeben mufste."
Indessen ist Hofinung vorhanden, dafs angesichts der inzwischen gestiege-
nen Mitgliederzahl (sie betrug am 4. April 1893 516) die Bedenken, welche,
wie der Bericht sagt, „ein rechter Zweifler an der Lebensfähigkeit der
Gesellschaft fniher haben mochte," sich nicht bewahrheiten werden. Die
erfreuliche Wendung, die durch die Steigerung der Mitgliederzahl
herbeigeführt ist — die Jahresbeiträge werden für 1898 auf 2580 Mk. ver-
anschlagt — ist besonders der inzwischen erfolgten Organisation der
Gruppen zu verdanken. Die höchste Mitgliederzahl hat die Gruppe
Westfalen erreicht (58), deren Leitung in der Hand des Herrn Privat-
dozenten Dr. Kappes in Münster liegt und dessen Bemühungen es gelungen
ist, viele katholische Lehranstalten und Geistliche der Gesellschaft zuzu-
führen; dann folgen die Gruppen Württemberg (36 Mitglieder), Schweiz
(36), Anhalt (29), Hessen (26) u. s. w. An der Spitze der Gesellschaft
stehen auch für 1893 die Herren Geh. Oberregierungsrat Dr. Höpfner
(der inzwischen infolge von Krankheit aus dem Staatsdienst ausgeschieden
ist) als erster und Herr J. Jahnel, Propst und fürstbischöflicher Delegat
in Berlin als zweiter Vorsitzender.
Am 25. Mai d. J. hat in Weimar die diesjährige Generalversammlung
der Goethe -Gesellsehaft stattgefunden. Der Versammlung, in welcher der
Geh. Hofrat Dr. Ruland den Vorsitz führte, wohnten Ihre Königl. Hoheiten
der Grofsherzog und die Grofsherzogin , sowie zahlreiche Mitglieder der
Goethe-Gesellschaft bei Prof Lorenz -Jena hielt den Festvortrag über
Goethes Lehrjahre und charakterisierte in geistvoller Weise Goethes
Verhältnis zu dem Grofsherzog Karl August in politischen Dingen. Der
Direktor des Goethe- und Schiller - Archivs Prof. Dr. Suphan machte
über die Xenien viele interessante Aufschlüsse und teilte die Auffindung
neuer Xenien mit. In der nächsten Schrift der Gesellschaft soll das ganze
Material veröffentlicht werden. Nach Erledigung des geschäftlichen Teils
wurde die Versammlung geschlossen.
18**
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258 Nachrichten. Heft 8 u. 9.
Die ungarische Akademie der Wissenschaften in Budapest hat Herrn
Professor Dr. Kvaesala in Prefsburg den Auftrag erteilt, das Leben des
Comenius im Anschlufs an sein bekanntes Werk in ungarischer Sprache
zu bearbeiten und herauszugeben. Die Akademie wünscht, dafs der Ver-
fasser dabei der Th&tigkeit des Comenius in Ungarn besondere Aufmerk-
samkeit schenke. £s ist erfreulich und vom Standpunkt unserer Cresell-
Schaft nur warm zu begrüfsen, dafs die ungarische Akademie durch diese
Unterstützung dem Beispiel folgt, das die Königl. Akademie der Wissen-
schaften in Prag bereits seit längerer Zeit gegeben hat (vgl. M.-H. der C.-G.
1893, S. 198).
In No. 2 bis 5 der Evangelisch-reformierten Blätter von 1893 (heraus-
gegeben von J. G. A. Szalatnay in Kuttelberg, Osten*. - Schlesien) bringt
Lic. theol. Pfr. Sebesta eine Artikelreihe über „die Beziehungen der
alten Brüderunität zu der reformierten Kirche". Längst vor
der Zeit, wo Comenius die ref. Hochschulen zu Herbom und Heidelberg
besuchte, pflegten die jüngeren Theologen der Brüder ihre Bildung dort
zu vervollständigen, zumal seit der Zeit, wo die schroffe lutherische Recht-
gläubigkeit den Melanchthonianismus in Wittenberg verdrängt hatte. Sebesta
weist vielfache Beziehungen und Berührungspunkte der beiden Gemein-
schaften nach und schliefst mit dem Hinweis auf die Thatsache, dafs an
den späteren Hauptsitzen der Brüder in Polen die letzteren und die Re-
formierten alle Leiden gemeinsam trugen. Gleichwohl wäre es erwünscht,
wenn wir noch genauere Nachrichten und besonders genauere Quellen-
nachweise erhielten, als sie Sebesta giebt; der Gegenstand wäre für eine
monographische Arbeit ein dankenswerter Vorwurf.
C^eschBftUehes.
Der nXehste Koii/>;rer8 der C.-G. wird am 22. und 23. Oktober d. J.
zu Lisss (Posen) abgehalten werden. Das Nähere ersehen unsere Mitglieder
aus der Einladung und dem Programm, das wir gleichzeitig bekannt geben.
In der Juni -Juli -Nummer der „Mitteilungen der C.-G." ist die „Ge-
schäftsordnung für die Hauptversammlungen und Kongresse
der C.-G.", wie sie nach den Beschlüssen vom April 1893 zu stände ge-
kommen ist, veröffentlicht worden. Sie ist nach § 16 mit dem 1. Juli 1893
vorläufig in Kraft getreten und hat nur so lange Giltigkeit, bis der
Vorstand oder ein von diesem bevollmächtigter Ausschufs sie geändert, ge-
bessert oder genehmigt hat — Wir bringen dies hierdurch mit dem Be-
merken zur Kenntnis der Mitglieder der C.-G., dafs Abzüge dieser Ge-
schäftsordnung auf Anfordern kostenlos zu ihrer Verfügung stehen.
Pierer*8ohe Rofbuchdruokerei. Stephan Geibel & Co. in Altenburg.
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Monatshefte
der
Comenius-Gesellschaft^
n. Band. — 1893. — Heft 10.
Geschichte und Bedeutung der Schulkomödie
vor und nach Comenius.
Von
Friedrich Albert Lange ^).
Die merkwürdige Erscheinung der deutschen Schulkomödie,
wie sie besonders im 16. und 17. Jahrhundert blühte, fiült ge-
mäfs der Natur der Sache unter einen doppelten Gesichtspunkt.
Wir haben es einmal mit einer viel verbreiteten und einflufs-
reichen Form des Dramas zu thun, und insofern ist die Schul-
komödie ein wichtiges Glied in der Entwicklungsgeschichte der
dramatischen Litteratur und der Bühnenkunst Anderseits haben
wir hier eine eigentümliche Erscheinung des deutschen Schul-
lebens, die in dieser Hinsicht wieder mit der Gesamtheit der
pädagogischen und didaktischen Grundsätze und Einrichtungen jener
Zeiten in engster Wechselwirkung steht und sich in dieser Wechsel-
wirkung entwickelt und bethätigt
Es ist auffallend, und ein Beweis davon, wie sehr eine or-
ganische Betrachtung des Schul- und Erziehungswesens, ins-
*) Wir veröffentlichen hier aus dem Nachlafs F. A. Langes einen
wertvollen Aufsatz zum erstenmal. Die Zeit der Abfassung l&fst sich nicht
genau bestimmen; doch gehört er offenbar der Periode seiner nieder-
rheinischen Lehrthätigkeit in Köln oder Duisburg an. Es ist unser Wunsch,
hiermit zugleich die Aufmerksamkeit auf diese eigentümliche Erscheinung
des deutschen Schullebens zu lenken; eine Untersuchung über die Bedeutung
des Comenius als Verfasser von Schuldramen und für die Entwicklung der
Schulkomödie würde den Aufsatz Langes vortrefflich ergänzen.
Monatshefte der Comenius-GesellschftfL 1393. 19
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260 Lange, Heft 10.
besondere auch nach seiner geschichtlichen Entwicklung hin, in
den Anfängen liegt, wenn man sieht, wie verschieden die Wür-
digung ist, welche die Schulkomödie nach diesen verschiedenen
Beziehungen bisher geftmden hat. Während die litterarhistorische
Seite dieser Erscheinung mit dem gröfsten Eifer angebaut wurde,
so dafs von da aus selbst die anerkennenswertesten Streiflichter
auf die pädagogische Bedeutung des Gegenstandes fielen, ist diese
letztere an sich so wenig beachtet, dafs nicht nur der Versuch,
sie als pädagogisches Problem eingehend zu betrachten, unter-
blieben ist, sondern dafs man sie sogar in der Geschichte der
Pädagogik kaum erwähnt findet und jedenfalls nur da, wo der
Zusammenhang ein völliges Übergehen unmöglich machte.
Wie tief aber die scenischen Darstellungen in den Gesamt-
organismus des Schullebens eingreifen mufsten, davon kann man
sich schon bei der oberflächlichsten Betrachtung leicht einen Be-
griflf machen, wenn man bedenkt, welche Zeit und Mühe dazu
gehören mufste, wie viel Einübung, Erklärung, Anleitung,
Proben, endlich Ausrüstung der Bühqe und Verschaflfung des
Materials, bis eine Schar von 20 — 50 oder gar hundert zum
grofsen Teil noch unerwachsenen Schülern ein Drama und gar
ein lateinisches vor den Spitzen der Einwohnerschaft so auf-
führte, dafs der Schulmeister, der in der Regel selbst dirigierte,
Ehr und Ansehen gewann. Selbst wo solche Aufführungen nur
einmal jährlich stattfanden, nahmen sie ein Verhältnis zum Kursus des
Jahres ein, das mit dem unsrer Redeakte und öffentlichen Prüfungen
gar nicht zu vergleichen ist; nun aber finden wir sie nicht nur
aufserdem bei allen möglichen Gelegenheiten, sondern an vielen
Anstalten auch zweimal, mehrmals, selbst wöchentlich. Nicht weniger
aber ist zu bemerken, wie die wichtigsten Eigentümlichkeiten des
Schulwesens, das sittliche Leben der Schüler, Art und Methode
des Unterrichtes, Gebrauch der lateinischen Sprache, Stellung
der Lehrer zu den Schülern und zu der Stadt gerade mit dieser
Erscheinung im engsten Zusammenhang stehen und sich gewisser-
mafsen mit der ganzen Tendenz und Organisation des Unterrichts-
wesens in ihr wiederspiegeln.
Gerade bei dieser tiefgehenden Bedeutung der Schulkomödie
ist es natürlich, dafs sie in den mannigfachsten Gestalten auftritt
und dafs ihre Grenzen schwer zu bestimmen sind. Denn wie
einerseits die Geschichte der dramatischen Litteratur zwischen der
Schulkomödie und der Volkskomödie die mannigfachsten Ver-
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1893. Geschichte und Bedeutung der Schulkomödie. 261
biDdungen und alle Stufen allmählichen Übergangs von der einen
zur andern nachweist, so sind auch tausendfache Verbindungen
und Übergänge sichtbar von der Aufführung eines vollständigen
Dramas durch die Schüler bis zu dem einfachsten Redeakt, wie
er noch heutzutage üblich ist
Um nun diese Begrenzung der Schulkomödie mit einiger
Sicherheit zu ziehen, bietet sich als das einzig stichhaltige Kri-
terium das des Zwecks, des Prinzips der Aufführungen dar.
Denn nicht nur finden wir vielfach Schulkomödien in Stadt-
lokalen, Volkskomödien in Schullokalen, diese an Schulfesten,
jene zur Fastnacht, diese von Schulmeistern, jene von Volks-
männern oder schulfremden Gelehrten gedichtet, sondern selbst
die Aufführung durch Schüler und Lehrer allein findet sich viel-
fach beim Volksdrama, während hinwiederum auch beim eigent-
lichen Schuldrama nicht selten fremde Elemente mitwirken. Hin-
sichtlich des Zweckes der Schulkomödien könnte es scheinen, als
Avalte dieselbe Vieldeutigkeit ob; denn in der That schlug
mancher Rektor gern 2 — 3 Fliegen mit einer Klappe, wenn er
durch seine Aufführungen das Volk belustigen, die Schüler üben
und sich selbst etwa neben dem Dichterruhm noch eine Erkennt-
lichkeit in klingender Münze vom Hof oder Magistrat gewinnen
konnte. Dennoch wird es sich, wo unser Material einigermafsen
ausreicht, in der Regel mit Leichtigkeit entscheiden lassen, ob
der Schulzweck das eigentliche Lebensprinzip der Erscheinung
war oder nicht.
Betrachten wir z. B. das in neuerer Zeit wieder mehrfach
ans Licht gezogene und besprochene „geistliche Spiel von den
10 Jungfrauen", wie es im Jahre 1322 von den Geistlichen und
Schülern zu Eisenach aufgeführt wurde, so sehen wir hier in
allen Zügen eines der uralten kirchlichen Dramen, wie sie ur-
sprünglich zur Verdrängung heidnischer Ergötzlichkeiten, zur
Popularisierung des Christentums, zur Bethätigung des frommen
Glaubensdranges in einer über Liturgie und Messe hinausgehen-
den festlichen Darstellung christlicher Stoffe allenthalben durch
Deutschland, Frankreich, England, Italien, Spanien von der Geist-
lichkeit selbst begünstigt und gepflegt wurden. Dafs jenes
thüringische Spiel noch eine speziellere theologische Parteitendenz
hatte, ist wahrscheinlich, während sich dagegen von einer päda-
gogischen Absicht bei der Aufführung durch die Schüler keine
Spur findet. Am wenigsten konnte dieser Zweck in Bezug auf
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262 Lange, Heft 10.
die Schüler ein didaktischer sein, da schon der Gebrauch der
deutschen Sprache im Dialog die Absicht einer Wirkung auf die
Massen des Volkes verrät, womit die Gelegenheit, grofses Ablafs-
fest und Jahrmarkt beim Beginn des Frühlings, vollkommen über-
einstimmt. Und wenn der Chronist die clerici et scholares als
die Aufführenden nennt, ist leicht anzunehmen, dafs in einem
Stück von so grofsartiger Wirkung die SchtÜer, wenigstens die
jüngeren Knaben, wohl nur Nebenrollen zu spielen hatten. —
Ähnlich verhält es sich aber mit allen Misterien und Volksspielen
des 14. und der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, auch wo
die Schüler die wichtigsten Rollen spielen. Bedenkt man, dafe
in jener Zeit noch das gelehrte Studium an sich schon selbst
den Anfänger gleichsam adelte, ihm ein höheres Selbstbewufst-
sein gab, dafs dagegen der Bürgerstand im allgemeinen noch
nicht so vielfach angeregt und durch die wandernden Elemente
durchsäuert sich zeigte, wie späterhin, so versteht man die vor-
zugsweise Beteiligung der Schuljugend richtig, indem man die-
selbe, dem ungelehrten Volke gegenüber, selbst wieder als ein
lehrendes Element betrachtet. So wirken bei den Misterien die
Schüler selbst wieder in Gemeinschaft mit ihren Lehrern oder
als Stellvertreter derselben auf die Schüler der Schule, auf das
im grofsen Ganzen zu schulende Volk. Dieser pädagogische
Zug des Mittelalters, der sich in grofsen Umrissen allenthalben
in jenen Jahrhunderten bethätigt, ist es nicht der die specifische
Schulkomödie geschaffen hat. Es ist dies vielmehr die grofse
Bewegung der neueren Zeit, vor allem eins der wichtigsten ihrer
Fermente, der Humanismus. Das Studium der Alten, das bisher
nur als Mittel gegolten hatte, gewann selbständige Bedeutung.
Die Welt der alten Römer schien in Italien aufs neue erwachen
zu wollen, und mächtige Wellen von dieser Bewegung schlugen
nach Deutschland herüber. Junge aufstrebende Geister wollten
die Schmach nicht länger dulden, von den übermütigen Italienern
als Barbaren angesehen zu werden ; pflegte doch auch das deutsche
Vaterland Kunst und Wissenschaft, waren ja auch hier Leute,
die zu reden und zu schreiben wufsten. Freilich wenige. Wenn
auch Reuchlin und Agricola sich den Italienern ebenbürtig
zeigen konnten, die grofse Masse der gelehrten und gebildeten
Welt sprach und schrieb nie Latein, das aufs äufserste ver-
kommen war. Dem mufste abgeholfen werden; die römische
Sprache, denn an eine Ausbildung der Muttersprache war ja
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1893. Geschichte und Bedeutung der Schulkomödie. 263
nicht zu denken, mufste so gepflegt werden, als gelte es, die
Städte und Gaue des Vaterlandes dem alten Latium einzuver-
leiben. Der Gedankengang, den die neuen Bestrebungen be-
folgten, war ein sehr natürlicher und konsequenter. Ohne
Sprache, ohne Beredsamkeit stand man auf jedem Gebiete zu-
rück ; verspottet bei kirchlichen und politischen Unterhandlungen,
ausgeschlossen von der Aristokratie der geistigen Bestrebungen
aller gebildeten Völker, ohne Witz, ohne Poesie, ohne wahre
Wissenschaft befand sich ein grofser Teil gerade der Männer,
die das Volk zu allen geistigen Gütern heranbilden sollten. So
betraten die Humanisten Deutschlands den einzigen Weg, der
offen schien, um sich Ebenbürtigkeit mit Italien, mit Frankreich
zu erringen. Die Sprache Ciceros mufste zur Muttersprache
werden in ihrer ganzen Eeinheit. Wie natürlich, dafs keiner
daran dachte, welche Zukunft der eigenen Muttersprache be-
schieden sei; ging es doch den Italienern mit ihrer verachteten
Vulgärsprache nicht anders. Das Extrem des Ciceronianismus
war somit nur die Übertreibung eines an sich gesunden Ge-
dankens. Wollte man sich das Gut der Alten wahrhaft neu er-
arbeiten, so gab es in der That für die Nation keinen andern
Weg als den Durchgang durch die vollkommne Beherrschung
der Sprache. Die Autoren, welche die wahre Fundgrube für die
echte alte Sprache abgaben, an denen man sich vorzüglich in
jeder Weise bildete, waren Cicero, Virgil, Terenz. Während
Cicero das Muster des prosaischen, Virgil Muster des poetischen
Stils war, blieb für Terenz eine dritte Rolle, vielleicht die wich-
tigste: von Terenz lernte man sprechen.
Der Terenz ist daher unter allen alten Autoren im 16. Jahr-
hundert am meisten in Schulen gelesen, behandelt, auswendig
gelernt. Wenn der angehende Dichter immer wieder zu Virgil
zurückkehrte, um des Hexameters und der poetischen Diktion
völlig Herr zu werden, wenn der Redner und Berichterstatter
unermüdlich sich an Cicero mafs und stärkte, so war dagegen
Terenz so recht eigentlich die Milch des Schülers an fast allen
deutschen Gymnasien. Wo man seinen zu frühen Gebrauch ver-
mied, waren die Gründe teils sittlicher, teils sprachlicher Natur.
Dafs die Bedenken ersterer Art niemals ganz verschwanden, so
sehr sie auch zu mancher Zeit zurückzutreten scheinen, liegt in
der Natur der Sache. Ludw. Vives sagt im 3. Buch seiner
Schrift „De tradendis disciplinis" : „Cajus Caesar nennt den
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264 I^ange, Heft 10.
Terentius einen Verehrer der reinen Sprache. Weit weniger
Reinheit findet sich bei Plautus. Denn der ist ein Liebhaber
des Altertümlichen und erlaubt sich viel Freiheit in den Rollen
der Sklaven, indem er das Lachen und die Heiterkeit der Zu-
schauer und dadurch den Beifall der Menge sogar durch Ver-
kehrtheit des Sprechens zu haschen sucht. Aber auch im Sinn
ist er nicht allzu lauter. Ich wünschte, dafs aus beiden das aus-
geschnitten wäre, was die jungen Gemüter mit den Lastern be-
flecken könnte, zu denen wir gleichsam durch einen gewissen
Wink der Natur geneigt sind." Vives, ein Mann, der in päda-
gogischer Hinsicht von höchster Wichtigkeit ist, da aus ihm
gleichzeitig Jesuiten und Protestanten einen guten Teil der Ge-
danken geschöpft haben, die sie nachher mit so grofsem Erfolg
in der Erziehung zur Anwendung brachten, schrieb, um wenigstens
die ersten Anftlnger von allen Unlauterkeiten der Komiker frei
zu halten, seine CoUoquia, die an vielen Schulen eingeführt waren ;
diese dienten dem Zweck, diese Unlauterkeiten wenigstens vom zar-
testen Knabenalter fernzuhalten. Die unsittlichen CoUoquia des
Erasmus dagegen wurden nur ihrer trefflichen Sprache wegen,
gleichsam als Ergänzung zum Terenz, verwendet. Sturm hat
selbst für seine Schule Dialoge geschrieben, Neanisci genannt,
die mir unbekannt sind; sie scheinen jedoch in dem Sinne des
Vives gehalten zu sein. Das grofse Gewicht, welches die Ge-
lehrten und Schulmänner jener Zeiten auf das Lateinsprechen und
-schreiben, auf die Leichtigkeit und Fltlssigkeit des ersteren,
die Korrektheit und Eleganz in beiden legten, ist keines-
wegs so gering anzuschlagen, wie dies von Raumer thut; es
hat nicht nur für die Vergangenheit als Festhaltung der Tra-
dition seine Bedeutung gehabt, sondern auch für die ganze Zu-
kunft der Wissenschaften in Europa. Der Geist der Alten war
eben trotz aller Tradition so fremd geworden, dafs es einer Ver-
tiefung in alle Denkmäler jener Zeit bedurfte, die notwendig
zum Bedürftiis der Nachahmung, der Reproduktion fiihren mufste.
Unsere heutige Wissenschaft, auch die Philologie, kann jene Re-
produktion als Nebensache betrachten ; in der That aber war sie
Thür und Thor, durch welche der Geist der Alten in seiner be-
lebenden Macht unter uns einziehen mufste; ja, wie auch im
einzelnen manche Klage über verlorene Kraft begründet sein
mag (wie man sie bei Raumer und Gervinus so häufig findet),
im ganzen hat jene Vertiefung in das Latein wohl selbst die
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1893. Geschichte und Bedeutung der Schulkomodie. 265
Kultur unserer Muttersprache mehr gehoben als gehemmt und
der ganze neuere Geist der Forschung, der seit Baco v. Verulam
so gern in Opposition gegen die Alten auftritt, verdankt den
Ciceronianern selbst mittelbar seine stärksten Triebfedern. —
War somit im allgemeinen die gewaltige Kultur der lateinischen
Sprache gerechtfertigt, so liefse sich wohl auch das Extrem einer
notwendigen Schulpedanterie im Ciceronischen Puritanismus
in ein besseres Licht stellen als in dem es gewöhnlich be-
trachtet wird, doch wtlrde das zu weit vom Gegenstande abführen.
Auf diesem Boden der Kultur der lateinischen Sprache ist nun
auch die deutsche Schulkomödie erwachsen. Was half es zu
lesen? Es mufste gesprochen werden, um sprechen zu lernen.
Dafs dazu das Lateinsprechen beim Unterricht nicht ausreicht,
liegt auf der Hand. Wie bald sind nicht die wichtigsten Phrasen
des Schulgebrauchs gelernt ! Wie wenig ist damit gewonnen für
das tägliche Leben, für den Gebrauch zu Hause, im freundlichen
Gespräch im Verkehr und Geschäft jeder Art! Das war aber
das Ideal Sturms, dafs die Knaben auch bei Spiel und Spazier-
gang Latein sprächen, sein gröfster Kummer, dafs sie zu Hause
bei Eltern und Hausgenossen Deutsch hörten. Ja Trotzendorf
scheint es wirklich in seinem kleinen Latium durchgesetzt zu
haben, dafs seine SchtÜer fast kein deutsches Wort mehr hörten.
— Die Komödie, wie sie nach der Meinung jener Zeiten im
Verse der Prosa so nahe stand, bewegte sich am meisten in den
Gegenständen des täglichen Lebens und gab recht eigentlich das
Material zu solchem lateinischen Verkehr. — Die ersten
Terenzischen Komödien liefsen Reuchlin und Geltes aufführen.
Insbesondere wird ersterer als der Begründer der deutschen
Schulkomödie gefeiert, da es ihm zuerst gelang, in Terenzischer
Form und Sprache einen modernen Stoff selbständig zu be-
handeln. Reuchlins Henno, der im Jahre 1497 aufgeführt wurde,
verdient daher in mancher Beziehung Beachtung. Der Stoff
dieses Dramas ist im wesentlichen dem alten französischen Lust-
spiel vom Advokaten Pathelin entnommen, jedoch vielfach ver-
verändert und durchaus selbständig behandelt. So hat z. B.
Reuchlin die berühmten Hammel des französischen Stückes, weg-
gelassen und dafür einen echt deutschen Zug eingeführt: der
liederliche Landmann Henno hat Geld entdeckt, welches sein
sparsames Weib Elsa zusammengeknickert und vergraben. Mit
diesem Gelde schickt er seinen Knecht, Dromo, zum Tiichhändler
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266 Lange, Heft 10.
in der Stadt. Dieser Knecht, Dromo, ist nun der Schalk des
Stückes, der die Worte des Herrn, dafs er das Geld ja keinem
andern geben soll, als ein rechter Eulenspiegel zu wörtlich ver-
steht, den Tuchhändler zugleich um das Tuch bringt und sich
nachher vor Gericht durch das bekannte „ble" statt aller Ant-
wort auf Rat eines Advokaten herauszieht. Es versteht sich,
dafs nachher der Advokat in seine eigne Grube fällt und mit
demselben „ble" um seine Bezahlung geprellt wird, ganz wie in
dem französischen Stück. Nun aber kommt ein eigner Schlufs,
in dem die poetische Gerechtigkeit vielleicht die derbsten Faust-
schläge erhält, die sie je besehen. Henno und Dromo kehren
nach Hause zurück, ersterer durch den Spruch der weisen
Obrigkeit wirklich belehrt, dafs Dromo unschuldig sei, hält den
Krämer in der Stadt für den einzigen Betrüger. Durch Ver-
mittlung Elsas und einer Nachbarin erhält Dromo sogar die
Tochter Hennos zur Frau, bekennt sodann seinen Schelmenstreich
und giebt die 8 Goldstücke zur Mitgift Hier also wieder ein
uralter, echt deutscher Zug der Gemütlichkeit. Er und sie
müssen sich kriegen, es mag biegen oder brechen ; sonst ist keine
Befriedigung. Das Original schliefst, offenbar ungleich wirk-
samer, mit dem „ble" „ble" des Schäfers und dem geprellten
Pathelin. — Die Rücksicht auf die Schüler hat übrigens Reuchlin
bewogen, das Ganze teils bedeutend abzukürzen, wodurch nament-
lich die effektvolle Gerichtsszene viel verlieren mufste, teils das
Stück möglichst von allen Unsauberkeiten des Originals zu be-
freien. Wenn darauf gestützt der Drucker vom Jahre 1498 in
seiner Vorrede an Dalberg sagt, dafs die Fabel „nihil obscenum
aut impurum" enthalte, so ist das in demselben Sinne zu ver-
stehen, in dem man auch hundertmal die völlige Reinheit des
Terenz dem Plautus gegenüber hervorhob. Es bezieht sich auf
die Worte und Ausdrücke, deren Roheit das Ohr der Himia-
nisten weniger ertrug, während dieUnsittlichkeitder dargestellten
und besprochenen Verhältnisse gar nicht vor Gericht gefordert
wurde; eine Ansicht der Dinge, die sich im Laufe des 17. Jahr-
hunderts in die entgegengesetzte verwandelt.
Dafs um dieselbe Zeit, gegen Ende des 15. Jahrhunderts,
zugleich mit den Auffuhrungen, Bearbeitungen, Ausgaben und
Nachahmungen des Terenz auch, die ersten Übersetzungen er-
schienen, zeigt, wie lebendig der Sinn für die Muttersprache und
ihre Ausbildung sich damals schon bethätigte. Dafs die Ge-
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1893. Geschichte und Bedeutung der Schulkomödie. 267
lehrten dies nicht sahen, nicht anerkannten, jedenfalls es gering
schätzten, ist eine ganz natürliche Erscheinung, wenn man be-
denkt, mit welchem Aufwand von Kräften sie sich in die alte
Litteratur hineingeworfen hatten, wie viel sie in derselben fanden
von Bildung, Eleganz, Schönheit, Geschmack, das sich in unsere
deutsche Sprache damals und noch auf lange Zeit hinaus absolut
nicht schien hineinbringen zu lassen, am wenigsten in der Poesie.
Man darf deshalb jene Männer des Lateins nicht als reaktionäre
Geister betrachten. — Wo die deutschen Bearbeitungen des Terenz
oder anderer Nachahmungen öffentlich aufgeführt werden, ge-
schieht es in dieser Zeit noch keineswegs im Interesse der Schule.
Die lateinische Komödie blieb durch das ganze 16. Jahr-
hundert die eigentliche Schulkomödie, und Doppelauf5Plihrungen,
wie wir sie bei Frischlins Stücken finden, sind stets so zu er-
klären, dafs die erste, die lateinische, allein eine eigentliche Schul-
sache ist; die deutsche, als Volksbelustigung, ist in der Regel
eine Privatuntemehmung eines Lehrers. Wie nun solche Unter-
nehmungen überhaupt möglich waren, wie es geschehen konnte,
dafs Schüler als öffentliche Schauspieler in den verfänglichsten
Stücken auftreten konnten, das ist wieder im Zusammenhang mit
allgemeinen Erscheinungen zu betrachten.
Von dem allgemeinen sittlichen Charakter jener Zeit im Ver-
hältnis zur unsrigen zu reden, würde überflüssig sein. Die Ent-
wicklung des Schul- und Erziehungswesens zeigt vom Mittelalter
an bis auf unsere Tage eine allmähliche und stetige Veränderung
hinsichtlich des Rechts der Schule an ihre Zöglinge und hin-
sichtlich ihrer eigentümlichen Stellung zu Stadt und Staat. Der
Charakter dieser Veränderung ist unleugbar der, dafs die Schule
sowohl an den Staat als an die Familie und an die Willkür der
Einzelnen ein Recht um das andere verliert, dafs sie immer mehr
von der Erziehungsanstalt zur blofsen Unterrichtsanstalt herab-
sinkt, dafs sie mehr und mehr auf die Bearbeitung einer einge-
schränkten Aufgabe in ihrem ganzen Einflüsse beschränkt wird,
dafs das Verhältnis der Eltern selbst zu der öffentlichen Anstalt
mehr und mehr zu dem eines allzeit kündbaren Kontraktes über
bestimmte und eng begrenzte Leistungen herabsinkt. Zu gleicher
Zeit und parallel mit dieser Veränderung ging eine zweite: die
nämlich, dafs mehr und mehr dem Schüler die rohe Freiheit
seines Lebens aufser der Schule entzogen, dafs er mehr und
mehr der Familie auch in dieser Hinsicht wieder untergeordnet
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268 Lange, Heft 10.
wurde. Während daher jetzt der Quartaner Fritz als gehorsamer
Sohn seines Vaters täglich zur Schule geht, um daselbst fleifsig
zu lernen, was die Eltern ftlr dienlich halten, wurde im 16. Jahr-
hundert noch der Knabe, indem er Schüler wurde, in Bezug auf
das elterliche Haus emanzipiert, während er in Bezug auf die
Schule, so weit deren Anordnungen sich zu erstrecken beliebten,
in ein strenges, durchgreifendes Dienstverhältnis trat Der
Rektor der Schule ward des Knaben Obrigkeit; er gleichsam
dessen Eigentum.
Bedenkt man nun, dafs bei der geringen Anzahl höherer
Schulen und bei dem auf dem Lande und in kleinen Städten
allenthalben grassierenden Studieneifer die Mehrzahl der Schüler
stets ortsfremd war, ein Verhältnis, das ja auch jetzt noch
den Gymnasiasten zur moralischen Frühreife zu bringen pflegt,
so ermifst man leicht, wie sehr die damalige Schülergeneratiori
von jeder heutigen verschieden sein mufste. Wie es auf den
Universitäten aussah, ist hinlänglich bekannt, und der Unterschied
zwischen Universität und Gymnasium war in mancher Beziehung
noch schwankend. Dazu die Verschiedenheit des Alters; end-
lich die abenteuerlichen Fahrten der wandernden Schützen und
Bacchanten — alles das machte bald Männer aus den Schülern,
die vom Leben in seiner Vielseitigkeit mehr gesehen und ge-
kostet hatten, als heutzutage manchem Gelehrten seiner Lebtage
begegnet. — In Strafsburg war bekanntlich in der 2. Hälfte des
16. Jahrhunderts das berühmteste Schultheater. Es war eben an
der Schule des hochverdienten Johannes Sturm, desselben, der
gern die deutsche Sprache zu gunsten der lateinischen ausgerottet
hätte, der den Cicero beneidete, dafs er in der Jugend schon
nichts als Latein gehört habe, dem die Imitation der Alten in
Schrift und Rede über alles ging. In Sturms Schulgesetzen aus
dem Jahre 1565, also noch 2 Jahre vor Erhebung des Gymna-
siums zur Akademie, steht an der Spitze der Abschnitt De
gladiatoribus et vestibus. Wir erfahren aus derselben, dafs die
Schüler der Anstalt sich eifing duellierten und mehr Fleifs auf
die Fechtstunden als auf die Lektionen verwendeten. Würfel-
spiel und Trinkgelage werden gerügt, sodann der Kleiderluxus,
soldatische Gewänder und geschlitzte Stiefel, die sich besser für
Henker passen, als ftlr ehrbare Männer. — „Deshalb," heifst es
zum Scfalufs, „wollen wir, dafs das alte Gesetz über die Kleider,
und über Messer und Dolche etc. mit diesem neuen Gesetze zu-
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1893. Geschichte und Bedeutung der Schulkomödie. 269
gleich wiederholt und erneuert und befestigt sei." — Diese Kerle,
die in martialischer Kleidung mit Dolchen und Schlägern durch
die Kneipen herumrenommierten, mochten freilich wenig durch
die Komödien der Alten zu verderben sein, wohl aber konnten
sie vielleicht trefflich agieren, wurden von manchem Schlimmeren
dadurch abgezogen und hatten eine treffliche Übung im Latein.
DaCs mit der Erhebung der Strafsburger Schule zur Akademie
die Sitten trotz der neuen Schulgesetze noch freier wurden, liegt
in der Natur der Sache. Jene Zeit der Akademie ist aber gerade
die Blütezeit des Strafsburger Theaters. Der scharfe Tadel
von Raumers mufs daher wohl zum grofsen Teil als ungerecht
erscheinen. Er hat Sturm mit dem Mafsstabe unserer Zeit ge-
messen, statt ihm den Mafsstab seiner eigenen Zeit zu ver-
gönnen. Er hat Übelstände in Sturms Erziehungsmaximen ge-
sucht, die in einem grofsen Zusammenhang mit anderweitigen
Zeitelementen in ihren bedenklichen Teilen unschädlicher, in
ihren förderlichen notwendiger waren, als sie zu irgend einer
späteren Zeit sein konnten. Wie gern übrigens Sturm alles zum
Akt, zum Drama, zum Dialog machte, sieht man auch aus dem
im Jahre 1578 abgehaltenen grofsen Examen, bei dem alle Fragen
dialogisch von Schülern an Schüler ergingen. Die theatralischen
Aufführungen fanden in der Regel wöchentlich statt. In den
oben erwähnten Schulgesetzen heifst es darüber: „Komödien und
Tragödien sollen nicht viele von den Lehrern im Gymnasium
erklärt werden, damit nicht anderes, was notwendig ist, liegen
bleibe. Es sollen aber viele von den jungen Leuten aufgeführt
und aus dem Gedächtnisse hergesagt werden. Diese Fähigkeit
werden sie erlangen, wenn jeder Klasse je ein Schauspiel vor-
gelegt wird; und die Darstellung der Personen, welche wenig
sprechen, ist leicht, mehr Arbeit haben die Darsteller der Haupt-
rollen nötig. Was von diesen aufzuführen ist, kann auf 2 oder 3
verteilt werden, damit das Gedächtnis bei mehreren angebahnt,
bei allen begründet werde. Damit die Dinge durch die täglichen
oder häufigen Aufführungen in den Geist der Jünglinge unmerk-
lich eindringen, nicht aber durch ihre Last ihn ermüden oder zu
Boden drücken mögen; in wenigen Monaten wird auf diese
Weise ein grofser Teil der Dramen in die Schulen eingeführt
werden können; ohne Erklärung der Lehrer und ohne An-
strengung und Überdrufs der Schüler. Denn was dunkel zu sein
scheint, wenn man es für sich liest, das wird entweder durch
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270 Lange, Heft 10.
Aufführung und Gewöhnung, oder durch eine kurze Erklärung
des Lehrers, oder durch Unterredung und gegenseitiges Fragen
der Schüler aufgeklärt.
Es ist jedoch Pflicht der Lehrer, sich mit denjenigen Dramen
sorgfältig bekannt zu machen , welche die Schüler aufführen
werden, und beim Erklären der Schriftsteller und beim Geschicht-
lichen aus diesen Dramen Stellen anzuführen, in denen irgend
etwas ist, entweder dunkel oder fehlerhaft, oder scharfsinnig und
gelehrt, oder unähnh'ch oder ähnlich. Denn es ist schwer zu
glauben, aber dennoch wahr: es ist wunderbar, durch eine wie
geringe Hülfe eines gelehrten und thätigen Lehrers der Schüler
eine grofse Menge wichtiger Dinge sich aneignen kann." —
In die siebziger und achtziger Jahre dieses Jahrhunderts feilt
auch Frischlins dramatische Thätigkeit Von dem Leben und
den Schriften dieses Mannes hat David Straufs ein so lebendiges
Gemälde geliefert, dafs man beim Lesen glaubt, den alten Dichter
in Fleisch und Blut wieder vor sich einherwandeln zu sehen.
Hier haben wir zum Unterschied eine eigentliche Dichtematur,
einen selbständig produktiven und nebenbei beträchtlich unruhigen
Kopf, dessen Werke daher stets über den Schulzweck hinaus-
griffen. Dennoch sehen wir Frischlin allenthalben sich wenigstens
als lateinischen Dichter gebärden. An den deutschen Bearbeitungen
war ihm wenig gelegen.
Im Jahre 1592 liefs Rollenhagen in Magdeburg die sämt-
lichen Stücke des Terenz zugleich aufführen. Diese Herrschaft
des Terenz in Verbindung mit der lateinischen Schulkomödie
dauerte in ungeschwächtem Glänze bis an die Zeiten des SOjäh-
rigen Krieges. In Ratichs pädagogischen Schriften sehen wir
den Terenz als Schulbuch noch einmal auf seiner vollen Höhe.
Von da an geht es abwärts mit seinem Einflufs, wie mit dem
Einflufs der lateinischen Sprache überhaupt. Die mannigfaltigsten
Gründe vereinten sich, dies zu bewirken.
Die deutsche Philologie, die sich in einem Agricola, Reuchlin,
Melanchthon, Camerarius und vielen andern der italienischen
schon ebenbürtig gefühlt hatte, mufste ihre besten Kräfte mehr
und mehr in theologische Streitigkeiten einschiefsen ; Frankreich
und die Niederlande überflügelten sie weit So sank im all-
gemeinen der hohe Flug humanistischer Begeisterung mehr und
mehr. Heroen des Schulwesens wie Sturm, Trotzendorf, Neander,
wurden immer seltener. Die Verheerungen des Krieges er-
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1893. Geschichte uud Bedeutung der Schulkomödie. 271
schütterten bald auch das Schulwesen in seinen Fundamenten
Durch die so allenthalben entstandenen Breschen stürmten neue
Elemente herein. Die im Volk seit der Reformation gepflegte
Muttersprache voran ; die Realien mit dem ganzen Heer der An-
forderungen des Lebens folgten unaufhaltsam. Die allent-
halben verbreiteten Grundsätze des Comenius gaben
dem ganzen Zielpunkt des Schullebens eine neue
Richtung. Endlich das Auftreten der schlesischen Dichter-
schule, der ersten, die den Mut hatte, als ebenbtlrtig neben jeder
klassischen Litteratur aufzutreten.
Katholischerseits hatte man schon früher an den heidnischen
Komödien Anstofs genommen, und hier gingen insbesondere die
Jesuiten mit Ersetzung derselben durch christliche fleifsig voran.
Eine klassische Periode erlebten diese Aufführungen auf den
Schulen der katholischen Niederlande, insbesondere in Löwen
und Mecheln gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts. Charakte-
ristisch ist hier zugleich, dafs nicht, wie in Deutschland, die
Komödie in den Vordergrund tritt, sondern die Tragödie, dafs
somit nicht Terenz, sondern Seneca Vorbild ist, wie es sich ähn-
lich auch in Frankreich und in England um diese Zeit zeigt.
In den Niederlanden hatten schon die Philologen von jeher ein
gröfseres Interesse für Seneca gezeigt, als in Deutschland.
Lipsius, später Heinsius, haben ihm beträchtliche Sorgfalt zuge-
wendet. Hugo Grotius hat den Stil und insbesondere die Metrik
des Seneca so vollständig studiert, dafs in dieser Beziehung sein
Christus patiens wohl die vollkommenste Nachahmung ist. Nicht
nur dieselben Pointen und Antithesen, dieselben rhetorischen
Fragen und Exklamationen, derselbe Flug bombastischer Worte,
sondern auch dieselben Regeln im Trimeter, im Anapäst, bis auf
Wortcäsuren und aUe Feinheiten des Wortaccentes im Verhältnis
zum Versaccent — wie sie den Senecaschen Vers so vollkommen
von allen anderen lateinischen und griechischen unterscheiden
und bestimmen. Grotius besafs auch ein so feines Ohr für diese
Metrik, dafs er an einer anonym erschienenen Tragödie, die mir
leider unbekannt geblieben ist, den Heinsius scheint erkannt zu
haben. Die unter Heinsius' Gedichten stehenden Verse sind
übrigens bei weitem minder exakt als die des Grotius, vielleicht
absichtlich wegen des Gegensatzes.
In diesem Stile sind nun auch die Tragödien des Vemuläus
(Löwen) sowie die der Palaestra scholae Mechliniensis gehalten
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272 Lange, Gesch. u. Bedeut. d. Schulkomödie. Heft 10.
und, obwohl häufige Verstöfse unterlaufen, so ist doch die for-
meUe Nachahmung weit vollkommener als die des Terenz in
Deutschland. Die Ökonomie der Stücke leidet durch den Schul-
zweck mannigfache Veränderungen, namentlich Häufung der
Personen. Erstere wurden zu Löwen, letztere zu Mecheln, wie
sich aus den Vorreden ergiebt, öffentlich aufgeführt. Ähnliche
Aufführungen scheinen an fast allen katholischen Schulen unseres
Niederrheins stattgefunden zu haben. Hier erhielt sich dann
auch die lateinische Sprache im Dialog bis ins 18. Jahrhundert
hinein, während deutsche Gesänge eingelegt wurden. Zugleich
zeigen jedoch diese Stücke, namentlich in den letzten Ausläufern
aus dem 18. Jahrhundert, einen immer gröfseren Verfall des
Geschmacks und namentlich den ganzen Opernspuk, wie er zu
jener Zeit auch auf den öffentlichen Bühnen herrschte.
Aber auch in anderen Teilen Deutschlands reichte die
Schulkomödie bis weit ins 18. Jahrhundert hinein. — Der Cha-
rakter der neuen Periode war der des Nutzens, des Guten etc.,
gegenüber dem Schönen des Humanismus. Der Zweck der Komödie
wurde, zu belehren, zu warnen, zur Tugend zu ermuntern ; endlich
besonders (unter Einflufs Frankreichs) ein anständiges, sicheres
Benehmen zu geben (Christian Weise). In der immer gröfseren
Verflachung des Nützlichkeitsprinzips ging die Schulkomödie
unter.
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Quellen und Forschungen-
Zur Lebensgeschichte des Comenius.
Autobiographisches aus den Schriften des
Comenius.
ZusammeDgestellt von
Prof. Dr. J. Kvacsala in Preesburg.
(Schlufs.)
VII. Comenius in Amsterdam.
21.
3. Ex horum, varios Vitae euripos experientium numero,
en me quoque unum! tot difficultatum fluctibus toto Vitae meae
tempore jactatum^ ut revera cum Jacobo dicere habeam : Pauci et
mali fuerunt dies peregrinationis meae. Etiam postremi, cimi ex
Hungaria in Poloniam (exilii mei sedem) reversus, ad quietem
me jamjam componerem. Novus enim me, et is quidem terribilis,
excepit gyrus, venientis ab Aauilonari plaga insperatae tempe-
statis turbo, qui atrocissimo oello involvens Poloniam totam,
vastavit totam: etiam Urbecula nostra sie eversa, ut ejus praeter
rudera exstet nihil. Et quidem tam subita oppressione, ut prae-
terquam vitam eripere liceret nihil. Ibi enim tota mea quoque
mihi periit substantia, domuncula, supellex, bibliotheca: omnes
nimirum thesauri mei coUectarum per annos amplius quadraginta
lucubrationum, praeter pauca illa, quae iam edita erant, aut opere
tumultuario in scrobem conjecta, et terra obruta, fuere.
4. Amisi ergo omnia, praeterquam illum solum qui solus est
omnia: et qui, ut se fidelem suis ostendat, castigationem suam,
utcunque duram, in bonum aliquem disponit eventum. Qualiter
mihi quoque factum agnosco, & nomen ejus laudo: dum me eo
deduxit, ubi respirare datum est ; et excitavit qui me favore dig-
nati suo, secum esse, ingratique otii taedia honesta aliqua occu-
patione lenire, voluerunt. Praesertim, si mentem recoUigere,
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274 Kvacsala, Heft 10.
operaque pridem inchoata et affecta, necdum effecta, absolvere
possem. Merito id, prohibente Apostolo, ne quis panem alienum
gratis edat (2. Thess. 3. 8).
5. Deus ergo est, Deus, qui nobis haec otia fecit! tanquam
exsertam erga me Dei manum osculor eos, qui me hoc literato
otio frui jusserunt. Ad quidnam vero adhibendo otio? Si meae
Ser omnia spontis fuissem, alia hoc anno (quem iam Amstero-
ami Deo favente exegi) effissem: sed reperi hie etiam gyros,
oui me versarunt et ad paulo alia, quam consilio destinaram, de-
nectere coägerunt. Quod paucis attingam.
6. Dolorum ego plenus de iactura eorum, quae pretiosissima
habebam, Pansophica, (perierunt enim mihi non tantum primariae
aliquot, ad mundum iam descriptae, Operis illius partes, sed et
ipsa tota materiarum Pansophicarum Sylva, Dennitionum seil,
omnium rerum, et Axiomatum, supra 20 annos magna diligentia
congestatus thesaurus) considere denuo, rerumque venas per-
sequendo harmonici illius Operis si non plenum iam systema,
pleniorem tamen quam hactenus delineationem , constituere de-
creveram. Ecce autem denuo ad puerilia illa, utut mihi toties
nauseata, Latinitatis studia retrahor! idque occasione insperata
non una.
7. Primum, quia Januae nostrae linguarum praxeos comicae,
öub titulo Schola Ludus in Hungaria institutae, postque meum
inde discessum typis descriptae, exemplar in Belgium allatum
recudi postulabatur. Ego autem infinitis id scatere mendis videns,
quin totum percurrendo redderem castigatius, temperare mihi non
potui: quae res temporis abstulit aliquid.
8. Mox Linguae Latinae radices in sententiolas redigendi, et
sub titulo Auctarium Vestibuli edendi, incidit occasio: quam ad-
iuncta praefatiuncula expressi.
9. Venerunt item ex Germania et Borussia literae amicorum,
in Opuscula nostra Didactica varie inqutri significantium , utque
Volumine uno omnia edantur suadentium. Addebant calculum
suum hie in Belgio Viri doctissimi, suis quoque ducti rationibus.
Quibus ego (quem ita finxit natura, ut aliorum fere plus tribuam
judiciis; nee usquam deesse velim, ubi mea quoque opella aliquid
in commune conferri possit) cessi: spe ductus, realium studio id
nihil incommodaturum, si haec parata iam recudantur. Sed quae
spes fefellit, temporisque moras, et principalis negotii varias re-
moras, attulit.
10. Accessit primorum quorundam Virorum, ex ipso etiam
Amplissimo Senatu, de edendo in aliquot Adolescentulis methodi
nostrae specimine, postulatum. Quod et ipsum, cum se literati
duo Viri-Juvenes experimentum facturi offerrent, recusari honeste
non potuit: factumque est, tametsi me nonnihil ob invidiae me-
tum tergiversante : et quia non datis Methodi hujus requisitis
Omnibus, successum satis ex voto sperare non poteram.
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1893. Zur Lebensgeschichte des Comenius. 275
11. Postquam vero non effugimus invidiam, repertusque est,
qui ut propositom turbaret libellos nostros illepidae Latinitatis
convincere attentaret (alibique similia mussitari amicus scriberet)
occasio data fuit temere obiecta diluendi, Apologiaeque nomine
publicandi.
12. Unde factum, ut nonnulH excitatiores facti acrius in Me-
thodi nostrae fundamenta in(j[uirere animum inducerent: amicis-
qua, proditura esse omnia Didactica nostra Volumine pleno dicti-
tantibus, Prolixa non solere Viris publice occupatis legi,
responderent. Requisita itaque a nobis Moliminum nostrorum
summa aliqua epitome fuit. Quod scribendi Novissimae L. L. Me-
thodi synopsin occasionem dedit, ad cito amabiles ejus Fines et
exquisita aa fines media, facilemque et iucundam Praxin, variosque
et solides ad alia quocjue Usus, pervidendum. Quod scriptum publi-
catum quidem est, hic tarnen id recudi non visum : quia epitome
tantum fuit superiorum, et meliores mox superuenerunt cogita-
tiones, quas potius attendi volo.
13. Nempe omnia nostra retractandi, et a melioribus inventis
minus utilia separandi, propositum. Quod sub titulo Ventilabrum
Sapientiae hic suo loco sequetur.
14. Quia vero mihi öeni merito iam omnes nudae delibe-
rationes, tanquam ad placitum discursus, displicere coeperunt, nee
aliquid labore dignum existimo nisi practicum, quod aa praesentes
mox usus faciat, venit cogitare Quonam modo omnium hactenus
actorum fructus reipsa exhiberi possit, constructa Optimi Scho-
larum Status idea, quantum posset perfecta : quam intuendo, quis-
quis vellet amethodiae labyrinthos pervidere, et declinare, sibique
commissos ad Eruditionis scopum per viam planam ducere, posset.
(Op. Did. IV. p. 5 ff.)
22.
10. Ultimus mihi tentator nuper denuo fuit larvatus quidam
Apostolus, animarum his in locis anceps: qui aliam mentibus
Religionem aliquoties me convenit, desiderium veri simulans;
donec apertius laqueos explicare incipientem a me abegi. Parcam
illius nomini, quia sibi parci vult: haec tamen ipsius etiam causa
scribo, ut si evigilare potest evigilet. Is nempe ipse est ad quem
Tu Domine Baro epistolam illam Tuam, cum anuda ad me salu-
tatione exarasti, Vestram de me spem adhuc perstare significans.
Repeto igitur haec, ut Vos vana spe laetare desinatis. Major mihi
divinae misericordia fiducia est, quam ut me humiliter sibi ad-
haerentem ita deserat, ut Vobis et Satanae ludibrium fieri per-
mittat. Ecce quo impatientiae me importunitate Vestra adegistis !
Recitare tamen haec volui, ut omnem Vestram circa me panurgiam
fuisse, esse et fore vanam, semel faudem intellecto, me missum
faciatis: alii v. ut exemplo moniti meo cavere a Vobis discant.
Nexuit mihi et aliis quiaam ille Vester his diebus Nodum Gor-
dium, quem tanquam aetemum insolubilem (Thresonica prorsus
Moualshefte der Comenins-Geselltchaft. 1893. 20
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276 Kvacsala, Heft 10.
jactantia omneB provocans) publico exposuit Cum igitur omnium
illorum quos provocat ego sim unus, mihiaue etiam libellus ille
tertiam per manum submissus sit; et Tu forsan (hujus non ig-
narus) ibi quoque spei adhue de me Tuae hasiu fundas: ecce
propono in Dei nomine Fortalicium illud Vestrum aggredi, ulti-
mamque illam Vestram oppugnandae et expugnandae Divinitatis
Christi raachinam, dissolvendi: ut vel sie tandem tum de me
evertendOy tum de aliis ad votum fatigandis, spem deponatis. Adsis
Jesu Christel Tua agitur gloria.
Clausula Tua, Domine adhuc mihi amicitiam et officiorum
promptitudinem offert Quid dicam? Hoc unum. Periculosum
est a Vobis amari, periculosum salutari, periculorum unumsculis
affici. Plus hie est quam timeo Danaos et dona ferentes.
Et tamen quia serio forte me et nos, amas, festucam nobis
oculo eximere paratus, amor autem esse debet reciprocus, serio
Tibi Christianae charitatis officio respondeam necesse est. Im-
pendam ergo aliquid porro etiam temporis eximendae oculo Tuo
(si prosperaverit Christus) trabi, ultima illa mea (de qua modo
dixi) scriptiuncula : oblad mempe nobis Irenici Irenicorum Vestri
examine.
Vale Domine! Cui non amplius dicerem Ave (Apostolo pro-
hibente) nisi adhuc Tui ad Apostolicam doctrinam reditus mihi
esset spes : quam ratam esse jube tu qui potes , Jesu Christe,
virtute Spiritus tui Sancti. Amen.
(De Qnaestione etc. p. 65 ff.)
23.
Conveniebas me in hanc urbem delatum (exulem exul, ut di-
cebas) saepius: de religione tua nihil unquam aliud, quam te
Fratribus Moravicis (Anabaptistis communionem bonorum pro-
fessis, eque Moravia per Hunsariam dispersis) dedisse nomen, ob
nietatis studia missumque Tiuc ad reconciliandum dissentes
Mennonitas, si posset. Nod improhavi: successum potius appre-
catus sum, ut tanto minus dissidiorum et sectarum in orbe Chris-
tiane esset. Demum post menses aliquot, e sermonibus quibus
dam Socinismi te suspectum habere, et ob occultatam vulpem
conversatione tua minus delectari, coepi: quod notare poteras.
Cum enim bis terue ad soliloquium me (foras ut prodiremus, ali-
quot foliola habere te ad communicandum) invitares, renui. Ve-
nisti ergo tandem ad me, mysteria tua tecum ferens, praelectio-
nemque offerens, si audire vollem. Permisi, languidus tunc, et
decumbens. Legisti ergo: me vel ad ipsum Irenici tui titulum,
conditionemque illius (de abnegando Christo, qualem adoramus)
obstupefacto. Re(]^uirebas vero ad singulas periodos iudicium
meum: ferro nolui, audire me dicens volle totum, ut iudicare
possem de toto. Toto perlecto, instabas: nolui, ruminaturum me
haec dicens, sicut et cum postea urgeres. Causa vero non fiiit
(ut falso suspicabaris, et iam propalas) quod argumentis tuis con-
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1893. Zur Lebeusgeschichte des Comeoius. 277
victus deliberandi spatia quaererem, eoque sie iam docilitatem
promisterem : sed quod Pansophica meditanti nuUis disputationem
tricis implicare me, vel alios, cx>nstitueram : cogitare potius, quo-
modo Catholica rerum veritas, ita in illo Universali Opere con-
nexa exstaret, ut errorum naevi suapte patescere tacitaque lucis
et veritatis vi dissolvi possent.
(De iterato irenico ireniconun. p. 36.)
24.
Pagina 5 mendacium impigis mihi, quod Exemplar Irenici
tui per tertiam mihi manum fuisse missum scripsissem, quam
tamen id mihi coram tradidisses. Verum est utrimique. rfam
amicus cui primum dederas, ad me aceurrens illud exhibuit,
promissum a te afferens, quam primum urbem rediissem
etiam mihi esse dandum. Respondi: Ecce redii, mittat igitur.
Simulque Librum lectitare ineipimus, conspectoque in praefactione
tua de aliis nescio quibus, me etiam, iam convictis, vanissimo
triumpho, exardescens ego, Veni mecum, (inquiebam) ut cum ho-
mine male sano de stultitia et iniquitate (omnia praecipitante) te
teste expostulem. Ivimus ergo: petii (ex promisso) exemplar:
dedisti. Legi (te andiente) praefationem , et quinam illi devicti
essent, cuius verba allegebas (simile scriptum se nondum vidisse
fassos) quaesivi. Tu subridens: Memineris forsam verborum
tuorum. Ego: Memini; sed meministine . tu quid addiderim? Ita
mihi scriptum hoc videri comparatum, ut Socinismo valide promo-
vendo serviturum sit, si refutari non poterit; aut subruendo, si
poterit? Respondebas: Sed ego praesuppono refutari non posse.
Ego: Cur autem non exspectasti, an aliquis, et quomodo re-
futurus esset? Aut cur non totum posuisti dilemna meum? Plus
in te iudicii requisivissem. D. Zwickere. Inique adversus me
egisti, clam de me, et falso, triumphans. Atque te non nominavi.
Sed ostendisti digito, et nominabis ad alios, uti vobis mos est,
Orthodoxis etiam viris moderatius vobiscum agentibus, affricare
maculam. Tandem dixi: Quia hac in me publice ausus es, ta-
cere non potero, et conscientiae meae et famae habenda mihi est-
ratio , ne de me seu vivo seu mortuo triumphet satan. Ita a te
cum amico discessi, nee ex eo tempore te oculus vidit mens.
(De iterato iren. iren. p. 42.)
25.
De ultimo Drabicii acerrimo Ebcamine.
Cum a Prineipis Racocii morte (cui Drabicius Victorias
et Regnum promisisse visus est: ille autem non iussa, sed pro-
hibita faciens in conflictu cum Turcis oecubuit, anno 1660) vati-
cinia Drabicii tanto magis suspeeta reddi ineiperent confratresque
illius, omnia per Hungariam turbari videntes, sibi prae aliis me-
tuerent; atque ut ne propter unum pati necesse haberent omnes
providendum putarent, consilium iniverunt amovendi a se sus-
20*
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278 Kvacsala, Heft 10.
f>icionem complicitatis. Primarius itaque inter illos, Johannes Fe-
ines, Pastor ruchoviensium Exulum conscripsit, idiomate Latino
tractatum, sub titulo Ignis Fatuus Nicol. Drabicius. Quo demon-
strare annisus est, Omnes Drabicii Revelationes aut mera illius
Cerebri figmenta esse, aut mere Satanicas illusiones. Quem trac-
tatum non per Hungariam tantum sparsit et plerisque quod voluit
persuasit: sed in Silesiam, Poloniam HoUandiam misit, Ecclesiis-
que Belgicis dedicatum typis describi voluit Uli tarnen, a quibus
hoc officii requirebat, inconsultum id rati assensum negarunt:
tum maioris incendii metu, tum quia irreverentius agere visus est
causam, quae trepidatione potius & suspiriis, ac gemitu, quam
supercilio et ludibriis, agi digna videbatur. Praesertim cum Dra-
bicianae Visiones idem illi denuntiarent, quod Jeremias contra di-
centi sibi Hananiae, mortem eodem anno, quia adversus Dominum
loquutus esset (cap. 28. 16) quae et insequuta fuit utrobique: ibi
mense septimo, hie autem a denuntiatione prima (anno 1660, oct. 16
facta) mense decimo septimo: anno nimirum 1662 Äprilis 6.
2. Casu hoc non exterritus unus ex eiusdem Ecclesiae Seni-
oribus, Paulus Vet^rinus (primarius Feiini et aliorum adversus
Drabicium instigator) causam cui Pastor immortuus fuit continu-
andam suscepit: diversisque ad diverses scriptis et missis epistolis
(vemacule iam) criminationes amarulenter iteravit, editionemque
Ignis Fatui admodum ursit, assumpto in auxilium (alibi habitante)
Medice, Josephe Securie.
3. Quae res cum novas adeo daret turbas, ut novorum dissi-
diorum, odiorum schismatum, eoque scandalorum prae oculis es-
sent initia : imo ipsi etiam nos (de Revelationibus istis melius per-
svasi, nonnihil nütare, Drabicioque, Nobis, Ecclesiae, metuere
inciperemus communicatis ergo inter invicem consiliis decrevimus,
Ad Deum esse tandem pleno humilitatis affectu deferendam cau-
sam hanc. Et quidem primum indicto nobis, dispersique populi
reliquiis, ieiunio ac precibus (quo solo armorum genere Dae-
monia in Christi nomine eiici. Dominus docuit Matth. 17. 21).
Deinde adhibito ad controversiis finem inponendum divinitus
ordinato medio, Juramento (Heb. 6. 16).
5. Et quia per eosdem dies redibat iuniorum fratrum unus
in Hungariam, a nobis missus Sam. Junius, data illi fuit in-
structio talis. (Primo.) Informabit fratres (ubiubi congregatos)
de moderne Controversiae statu, et quid nobis factu opus videa-
tur: cum requisitione fratemae cooperatienis ad scandala tellen-
dum. 2. Controversiae statum in eo versari, Utrum Fr. Nico-
laus Dr. divinitus aliquid patiatur revera, an vero proterve ac
impie Revelationes fingat? Nonnulli pii sperant prius : Paulus V.
amrmat posterius. Videndum igitur, quibus fiindamentis nitantur,
hie et illi. (3). Priorum argumenta potissima sunt quatuor.
(a) Pingi talia non posse, tanta rerum et styli sublimitate, ut haec
non hominem sonare videantur: nee uUum exemplum exstare
simile. (b) Aut si haec ab aliquo forsan extraordinarie ingeniöse
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1893. Zur Lebensgeschichte des Comenius. 279
fingi possent, a Drabicio tarnen non posse, ostendunt alia eius
(ex gr. epistolae, aut si quid novorum scribere tentat:) tarn ab
Ulis quae OracuU nomine proferuntur diversa, ut plumbum est,
aut lutum ab auro. (c) Si Visiones fingere sciret Drabicius,
sciret etiam defendere (haec enim eiusdem sunt artis) : nescit au-
tem, nisi aut impatientia et fletu, aut murmure et convitiis, in
convitiatores suos regestis. (d) Si fingere posset tarn concinne
res et verba, posset longe taoilius Vitam, ad sanctitatem simu*
latam pseudoprophetis propriam. Keseit autem, ad scandalum
usque quod inde sumunt eius osores, eum hoc nomine infamantes.
Et forte haec ideo sie fieri Divina permittit Providentia, ut argu-
mento sit Simulatorem non esse, (e) Si denique fingere posset
praedicta, non tamen praedictis dare posset veritatem et eventum :
praesertim in rebus tantis, commotionem gentium, nova bella, in-
teritus tot personarum et familiarum etc. (4) Argumenta, quae
in Contrarium P. V. habet duo sunt, (a) Miüta non impleri: id
quod non veracis Dei, sed mendacis hominis, esse vestigium.
(d) Ipsum Drabicium ista non credere, nee pro Divinis hfiS)ere:
si emm crederet, viveret secundum ista. Sed respondent, qui
ultra corticem rem expendunt (tametsi ingemiscant ita fieri) ad
primum argumentiim, Minutiora esse, quae non impleri ducuntur,
respectu eorum quae nimis implentur: de accensa nimirum sie
flamma irae, Dei adversus Mundi peccata, ut non exstingvenda
sit donec alii post alios consumantur populi etc. Item de horri-
biliter castigandis immorigeris, nominatim Racociana Domo: de
Turca venture, si Christiani abominationes abolere nolint & alia
immunera. Non impleri ea potissimum quae sub conditione pro-
missa fuerunt : ubi culpa non in promittentem, sed in conditiones
non praestantem, cadit Si quid secus videtur, fortassis mysteria
subesse, deteganda suo tempore. Quicquid circa instrumenta
Providentiae sit, scopujn tamen persistere immote, et ad illum
Sroprius semper veniri (per alia licet, atque alia media) in evi-
enti esse.
(5.) Quantum ad Vitam Drabicii: respondent illum se non
facere Angelum, cum sciant esse hominem. Sufficere, quod quae
illi obiiciuntur naevi sint, non scelera. Quanquam X>eum ne
propter flagitium quidem (humana infirmitate admissa, et per
poenitentiam rursum elüta) alienare prorsus Spiritum suum a pro-
phetis, Davidis ostendit exemplimi : qui adulter licet et homicida,
reconciliatus tamen per poenitentiam Deo, Dei esse organon non
desiit Drabicium oudum novimus vehementis esse naturae, pro-
nae ad excessum in virtutibus et vitiis. Et quid tandem, si hie
etiam subsit mysterium? Ut ad annutiandum Mundo ultimae
gratiae tempora, ubi Dens plenissimam reconciliationem promittens
(delere propter semet ipsum omnes defectiones populi sui, et non
recordari peccaturum eius, Jes. 43, 24 etc. et 59, 12 etc., Jer. 31, 34,
Ezech. 36, 19. 20 etc.) tamen huc del^erit personam, cui peccati
reliquias adhaerere et nihilominus tamen gratiae dona huc effundi,
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280 Kvacsala, Heft 10.
omnes videndo, in philanthropiae Dei admirationem et adorationem
tanto magis abripiantur?
(6.) Ne tarnen scientes volentes ad indebita conniveamus, con-
tentionibusque ac factionibusque, vel profanitati, fomenta reliqua-
mus, aut tandem incerti semper circa haec flactuemus, decretum
esse Deo Vindici solvendum committere nodum hunc : invocando
iunctim, ardentissimoque tandem cordis affectu, et unanimi oris
elamore Deum, ut causam hanc velut inter Eliam et Baalitas
olim igne Zell dignoscere dignetur. Cui fini precandi formolam,
solis verbis divinis conceptam, ad eos (ut et alios disperses) mitti.
Effundant igitur coram Deo animas suas, utque Pater misericor-
diam diutius nobis illudi ne patiatur, propter Christum orent, omnes.
(7.) Veniendum dehinc erit ad examen, quäle nondum fuit:
per institutum divinitus controversias terminandi medium, Jura-
mentum (Heb. 6. 16). Quod quia in re tam extraordinaria extra-
ordinarium esse necessum est, praescriptam esse illius formulam,
e divinis Scripturis ad rem praesentem spectantibus. Cuius mit-
titur Exemplar: Fr. Drabicio ita ut est offerendum. Quod si
admittet, et secundum illam formam Jusiurandum praestabit, eoque
modo ConsQientiae suae Testem ac Vindicem Aetemum illum in
coelis habitantem sistet, officii nostri erit Deo id honoris habere,
ut ipsi iudicium et vindictam permittamus, cui soli eam deberi
ipse testatus est Deut. 32. 85. Ultra id si quid P. V. requirere,
Deoque ipso sapientior videri rolet, videat, ne ipsius Dei (gla-
dium ultionis manu illius extorquere quaerens) iustam in se pro-
vocet vindictam.
(8.) Contra vero si Fr. Dr. iuramentum hoc praestare et se iusto
ludicii Deo submittere recusaverit: debet ad nos refferri, ut aliud
quaeratur consilium. (9.) Si denique idem Fr. in se descendens
aliquid de suo fuisse additum (seu parum seu multum) recordari
poterit et fateri volet, debebit illi offerri conditio, quam Dens
rrophetae suo Jeremiae fictionum itidem suspecto, obtmit: nempe
ut separet pretiosum a vili, triticum a palea si quasi os Dei esse
velit (Jer. 15, 19: et 23. 28). Nam ex Capitibus Jeremiae 15 et
17 et 48, satis evidens est Jeremiam, tametsi a plerisque propheta.
Dei haberetur, non nullis tamen et in non nullis suspectum fuisse,
quasi de suo aut in gratiam aliomm aliquid afBngeret : exprobra-
tumque illi fuisse Non omnia impleri (Jer. 5, 13 et 17, 15)
Contra quod ille Deum testem invocabat, nihil se loquutum nisi
verba Dei (Cap. 15, 16 et 17, 16). Deus nihilo mmus videre
suadet, annon pretioso admiscuerit vile aliauid, atque si factum
est separare illud: reliqua autem commenaare sibi, cui rationes
suae satis constant, cur aliquando aliter quam loquutus fuit faciat :
Cap. 18. Si ergo secundum hanc normam Fr. Drabicius incedens,
erratum aliquod circa dicta et scripta sua (in eo quod non omnia pro-
tcrve finxerit, testem in Coelis nobis sistens) fateri volet, illud
etiam aperte ad nos referri debet
6. Addita epistola ad Pastores et Seniores Ecclesiae utrius-
que, Puchoviensis et Lednicensis.
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1893, Z"' Lebensgeschichte des Comenius. 281
8. Responsum ministrorum V D. cum Senioribus Ecclesiae
Puch. et LednicensiSy ad Superattendentem snum tale fuit
Obedientiam filialem, cum voto protectionis divinae in tantis
undique calamitatum plenis temporibus Ect. Dilecte in Christo P.
literae Tuae ad nos iunctim datae, subscriptionibusque R. R. Pa-
trum I. B. et N. G. et D. V. firmatae : readitae nobis sunt manu
dilecti fratris S. J. feliciter ad nos 8Julii appellentis. E quibus
intellecta voluntate Vestra, Patres Venerandi, fecimus quod a nobis
requisitum fiiit, iuxta instructionem datam. De cuius totius actus
processu ecce Vos informamus sinceri, puraque conscientia, sie
prorsus ut res actae sunt.
1. Primum ego Puchoviensium Pastor mox ea die, qua vestras
accepi, accersitis Ecclesiae meae Senioribus, et Symmista, illis
praesentibus literas ad nos coniunctim spectantes resignavi, per-
ceptisque contentis postridie mane F. F. Lednicenses scripsi, ve-
nisseque ad nos missum Confratrem, singularia ad omnes nos
afferentem mandata, docui utque se ad nos sistere vellent oravi.
Factum, venerunt eadem 9 Julii, ad vesperam: ubi ego ad Fr.
Drabicium spectantes eidem in manum tradidi, et ad mecum per-
noctandum invitavi: reliquos quid negotii sit cras percepturos
esse dicens.
2. Die Julii 10 peractis in Coetu sacro precibus publicis,
ingressi sumus in meam, Pastoris, Domum: ubi peracta cum Fr.
Drabicio consalutatione (quia in templo commode fieri non potuit)
dixi; Arduum nos prae manibus habere, negotium, denuo itaque
ab invocatione misericordiae Dei, ad impetrandam Spiritus S.
gratiam inchoaturos. Ubi Fr. Drabicius, Orate vos hie, ego in
cubiculum secedam, et meas quoque preces peragam: exiitque.
3. Nos ergo praemisso Cantu, Veni sancte Spiritus, pro-
cubuimus in genua omnes, gemitusque nostros (Oratione huc desti-
nata) ad Dominum fudimus.
4. Peracta suplicatione consedimus, Pastorque loci, gratiis
actis quod rogati comparuissent, quid agendum esset docuit. Tum
lecta est communis illa epistola: dehinc Juramentum Drabicio
fraescriptum (a cuius horrore perterriti plerique obstupuimus).
►emum EV. Samuel legendam dabat Instructionem suam.
5. Deliberatione super his rebus interposita accersitus est
Fr. Drabicius: perque rastorem loci interrogatus, An literas a
R. R. Superattendentibus ad Consessum hunc datas audire , con-
tentaque percipere vellet? Annuit: addito, non ignorabam ego
ab aliquot iam septimanis quid mecum futurum sit. Dominus
enim indicavit mihi, si prascissem, mecum sumpsissem ut videretis.
Ego: sit illud suo loco.
6. Praelegebatur itaque Uli, primum epistola communis, dehinc
Juramenti formula. (Antequam tamen haec legeretur, monebam
et rogabam, ut omnia attente expenderet! Inesse enim terribilia
(agique hie de animae salute). Demum Instructio Samueli J.
data. Ad quae omnia quum ille nihil prorsus responderet, denuo
fuit, interrogatus. An vellet secundum praescripta hie secum
agi? Respondit directe, Ita volo.
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282 Kvacsala, Zur Lebensgeschichte des Comenius. Heft 10.
7. Quo audito tertia fuit proposita quaestio, An ergo Reve-
lationes suas omnes pro divinis naberet et haben vellet? Asse
veretne adhuc, omnia illa iussu Omnipotentis Dei Jehovae, qui
non tantum misericors sed et iustus est, sibi dicta et scripta esse,
sine ullis additamentis? Respondit: Assevero. Quin imo reeipio in
animam meam, nihil a me additum esse: neque nequidquam
lucri causa, aut in alicuius gratiam vel odium, esse loquutum.
8. Progressi ulterius interrogavimus, An id iuramento tali,
quäle praescriptOm est, firmare vellet? Denuo autem eum ad-
hortati sumus, ne se praecipitaret, deliberate ageret, imo et de-
liberandi spatium sumeret, indulturos esse nos. Respondit: Nihil
deliberatione opus. Assurgensque , et manum utramque coelum
versus attoUens ita loquutus est. Reeipio in animam meam, quic-
quid Revelationibus a me scriptis inest, non a me ipso, excogitatum,
nee de meo quidquam additum esse, sed ea sola, quae Dominator
Dominus scribi iussit Credoque firmiter, sanctam benedictam
Trinitatem omnia ista pro suis agnituram, utpote quae ab ipsa
aetema Sapientia scribi iussa sunt.
9. Progressus inde ad mensam, sumtaque Juramenti formula
in manum, pronuntiavit ordine, clare, distincte omnia (nihil
omittens, potius hinc inde nonniüla, vehementioris asseverationis
causa superaddens) tanto Zelo, ut nos praesentes videndo et audi-
endo haec attoniti staremus: aliqui etiam nostrum tremerent et
plorarent. In medio vero illius iuramenti prospexit e fenestra
(quae aperta fuit) Coelimi versus, Videtis ne Amici! videtis ne?
clamans: nos vero quid vidisset non interrogavimus. Cum ad
ultima venisset verba, de Adversario suo, ibi flebat: cimi priora
omnia, de se, magna fiducia et animositate pronuntiasset
10. Finito iuramento consedit, vultumque in mensa ponens
chartam illam (unde iuramentum recitaverat) ter osculatum faciei
supposuit. Tum vero (nobis omnibus attonitis, et silentibus)
surripuit se, et Psalmum 123 incinuit (Ad te levavi oculos qui
habitas in coelis. Sicut oculi servorum ad manus Dominonun
suorum, ita oculi nostri ad Dominum Deum nostrum, donec mise-
reatur nostri. Miserere nostri Domine, miserere nostri ! quia mid-
tum repleti sumus despectione. Multum saturata est anima nostra
sannis et opprobriis, et contemtu Superborimi.) Quem quum nos omnes
concineremus, finitusque esset, ille procidens in genua (et nos cum
illo) ardentissimas ad Deum fudit preces, ut Deus ab approbriis
liberaret nomen suum cet.
Quae omnia ita esse acta, conscientia manuque testamur om-
nes nos subscripti, 16. Julii (1663) Puchoviae
Lucas Calesius, Paulus Laurinus p. t. Pastor
Bk5cL Lednic. Pastor, Eccles. Puchoviensis Conf. Helv.
Tobias Jeffon V D. M. Ezeohiel Alfeus
Wenzel Gottfried Bielsky Paulus Vetterin
de Karissow Nicolaus Pilsina
Samuel Junius Paulus Horatschek.
(Lux e ten. HL 478 ff.)
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Kleinere Mitteilungen.
Ratichiana.
Von Dr. P. Stotaner in Zwickau i. 8.
Es sei mir gestattet, im Nachfolgenden einige Ergänzungen
beziehentlich Berichtigungen zu dem trefflichen Litteraturbericht
zu geben, den Gideon Vogt im ersten Bande dieser Monats-
hefte S. 148 ff. veröffentlicht hat*
Unter Nr. 14 führt Vogt einen Jenaer Bericht an, der ohne
Orts- und Zeitangabe erschienen sei, 47 Seiten in 12® habe und
in Zwickau (auf der Ratschulbibliothek) aufbewahrt werde. Ich
habe nun bereits in meiner Ausgabe des Giefsener imd Jenaer
Berichtes (Ratichianische Schriften I, Leipzig 1892) von diesem
Druck bemerkt dafs er in Magdeburg 1614 erschienen sei, ohne
jedoch dort näher auf diesen Punkt einzugehen. Das sei nun
an dieser Stelle nachgeholt.
In seiner ersten Ausgabe der „Quellen- und Hülfsschriften
zur Geschichte des Didaktikers Wolfgang Ratichius" (Programm
des Kasseler Gvmnasiums 1882) gedenkt Vogt des Zwickauer
Exemplares noch nicht, wohl aber ftihrt er daselbst unter Nr. 15
einen Druck an, der mit jenem vielfach übereinstimmt. Es heifst
dort von diesem so: „[Reiche xylogr. Titelverzierung: Oben das
Bild eines Jagdhorns, unten das Bild einer Stadt.] Bericht von
der Didactica, | Oder | Lehr Kunst WOLFGANGI | Ratichij,
darinnen er Anlei- | tung gibt, wie die Sprachen | gar leicht vnd
geschwinde | können ohne sonderlichen | Zwang vnd Verdrufs
der I Jugend fortgepflan- | tzet werden." Wenn Vogt, wie ich
annehme, ganz genau beschreibt, so weicht diese Ausgabe von
der obengenannten Zwickauer, die ich als einen Magdeburger
Druck bezeichnete, in folgendem ab. Zunächst in Bezug auf die
Abteilung der Worte auf dem Titelblatt; in dem mir vorliegenden
Exemplar der Zwickauer Bibliothek ist so eingeteilt: „Bericht | Von
der Didactica, I Oder | Lehr Kunst | WOLFGANGI | Ratichij, |
darinnen er Anlei- | " u. s. w., der Rest stimmt mit Vogts Angabe
genau überein. Dann aber trägt das Oval des reichverzierten
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284 Stötzner, Heft 10.
Titelblattes (oben ein Hörn, unten eine Stadt) noch folgende Um-
schrift: OFFICINA- AD INSIGNE- | AVRES CORNV- 1 CON-
CORDIA • RES • I PARViE • CRESCVNT •
Diese Umschrift samt dem Bilde des Homes darüber verrät
nun auch den Druckort des BUchelchens. Nämlich auf dem
letzten Blatt des „angehenckten kurtzen Berichtes etlicher Herrn
Professoren der löblichen Vniversität Giessen von derselben Ma-
teria" sehen wir das nämliche, von einem Kranze umrahmte
Hörn in etwas vergröfserter Gestalt; darunter aber stehen die
Worte: „Zu Magdeburjgk, bey | Levin Braunfs, Buchhänd | lers
Im Jahr | 1614." Die Buchdruckerei zum „goldenen Hörn"
ist aber die Braunfssche in Magdeburg gewesen, und das Jahr
1614 gilt natürlich auch für den Jenaer Bericht, als dessen An-
hang nach den eben angeführten Worten der Giefsener anzu-
sehen ist
Also: 1. Nr. 14 in Vogts Bericht ist 1614 in Magdeburg
erschienen, und zwar im Verein mit Nr. 6, dem Giefsener Be-
richt, der demnach nicht als eine selbständige Ausgabe, sondern
als Anhang zu Nr. 14 zu betrachten ist. 2. Der in Vogts
älterem Verzeichnis (Kassel 1882) unter Nr. 15 beschriebene
Druck des Jenaer Berichtes ist, wie durch das Hörn bewiesen
wird, auch in Magdeburg bei Levin Braunfs gedruckt, scheint
aber mit dem Exemplare der Zwickauer Bibliothek nicht völlig
übereinzustinmien , so dafs vermutlich zwei Ausgaben des Be-
richtes aus Magdeburg kommen — abgesehen natürlich von dem
im Jahre 1621 bei Wendelin Pohl erschienenen.
Unter Nr. 88 erwähnt Vogt „M. Joh. Wem. Krausens Anti-
quitates et Memorabilia Historiae Franconicae. Hildburghausen.
1753. 4^" Der Titel ist nicht vollständig angegeben, und doch
wäre das nötig gewesen, da unter demselben Haupttitel noch ein
zweiter Band 1755 erschienen ist. Es heifst nämlich nach den
von Vogt angeführten Worten „Antiquitates .... FranconicÄc"
weiter: „Darinnen | Insonderheit der Ursprung, Einrichtung und
Merkwürdigkeiten | der Stadt | Eifsfeld | Von denen ältesten bifs
auf die ietzige Zeiten aus bewährten Urkunden | abgehandelt
worden I von ! Johann Werner Kraufs. | Hildburghausen, | Ver-
legt b. Johann Gottfried Hanisch, Herzog:l. Sachs, privilegirter |
Hof-Buchhändler 1753." Den Inhalt, soweit er für die Geschichte
des Ratichianismus von Belang ist, hat Vogt in dem mehrerwähnten
Programm S. 28 in kurzen Worten angedeutet. Ich will hier
nur eine Stelle daraus (S. 255 f.) anführen , die auf die Thätig-
keit Ernst des Frommen und seiner Mitarbeiter ein helles Licht
wirft: „So war Herzog Ernst genöthiget, sich nach solchen
Männern umzusehen, die dem Ratichio seine Kunst-Griffe ab-
gelemet, auch in praxi sattsam geübet hatten. Was er gesucht,
das hat er an vorgenannten Evenio, Brunchorst und Reyher
glücklich gefunden. Im Hauptwerck, was die Schul-Sachen be-
trifft, hatten sie einen Zweck, alles nach des Ratichii Lehrart
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1893. Ratichiana. 285
einzurichten: Ein jeder aber hatte sein besonders Gesehäffte,
Evenius arbeitete so zu reden mit dem Herzog im Cabinet, und
entwurff die verschiedenen Schul - Methoden , Instructiones und
Verordnungen, die im Nahmen höchstbesagten Herzogs zum Vor-
schein kommen, und praeparirte dameben etliche Candidaten zum
Schulwesen; Reyher hatte seine volle Arbeit in der Schul mit
dociren, ausser der Schule mit Verfertigung der Schulbücher
nach dem Sinn des Ratichii, davon hernach soll geredet werden :
der Hof-Prediger Brunchorst aber hatte nebst seinem Predigt- Amt
vornehmlich mit Besuchung der Schulen zu thun, obs darinnen
recht zugieng nach der neuen Lehrart. Wenn der Herzog im
Land herum reisete, wie Seine löbliche Gewohnheit war, so
mufste der Hof-Prediger stets dabey seyn, und auf alles acht
geben, was in Kirchen und Schulen jedes Orts passirete und
etwa einer Besserung bedurffte.** — Aber auch der 1755 er-
schienene Band der Antiquitates .... Franconicae ist für die
Geschichte des Ratichianismus nicht ohne jede Beziehung. Der
Titel ist auch in seinem deutschen Teile dem bereits angeführten
des ersten Bandes gleich, nur heifst es nach den Worten „der
Stadt" hier weiter : „und Dioeces | Königsberg, Sonnenfeld, Beh-
ringen | und Schalckau | von denen .... HilAurghausen, 1755. |
Zu finden in der privilegirten Hof-Buchhandlung." Königsberg
in Franken ist aber auch eine von den Stätten gewesen, wo der
Ratichianismus eine Heimstätte fand. Zum Beweise dafür dient
ein Briefwechsel, der in naher Beziehung zu diesem Bande der
Ant. Franc, steht Derselbe wird auch von Vogt a. a. O. er-
wähnt; es heifst dort: Das Hauptsächlichste aus diesem Brief-
wechsel ist ohne Zweifel noch erhalten in Krausens „Nachricht
von dem Ratichisnismo zu Königsberg, extrahiert aus dessen
Königsberger Historie in MSto." in der Bibliothek zu Weimar. —
Nebenbei bemerkt, ist dies Citat Vogts nicht ganz genau und
auch die Angabe über die Herkunft dieser Handschrift ist es
nicht. Das Original von „M. Johann Werner Krausens weil.
Diaconi zu Königsberg in Franken, Nachricht von dem Ratichia-
nismo daselbst, als Königsberg noch unter Weimarische Landes-
hoheit gehörte, extrahiert aus dessen Königsbergischer Historie
in Meto." Hegt vielmehr im Goethe-Archiv zu Weimar. Die
Handschrift der Weimarer Bibliothek enthält nur eine Abschrift
davon, besorg durch „Th. Kräuter, im Oktbr. 1845".
Doch ich wollte darthun, dafs auch der zweite Band der
Ant Franc, nicht ohne Belang für den Ratichianismus sei. Er
ist 68 in sofern, als man aus ihm hinreichende Belehrung em-
pfängt über einige Persönlichkeiten, die zu jenem Briefwechsel
und zu den Ant. Franc, in Beziehung stehen. Der im Goethe-
Archiv im Auszug .erhaltene Briefwechsel fand nämlich statt
zwischen dem weimarischen Generalsuperintendenten Abraham
Lang und seinem Schwiegersohn Mag. Gregorius Ewald,
der von 1613 bis 1641 Superintendent zu Königsberg war. Jener
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286 Stötzner, Ratichiana. Heft 10.
ist einer der erbittertsten Gegner des Ratichius gewesen ^ der
vielleicht das Umsichgreifen der Lehren des Didacticus im Weima-
rischen erfolgreich gehindert haben würde, wenn ihn nicht schon
1615 ein plötzlicher Tod hinweggerafft hätte; dieser war ein
nicht minaer eifriger Anhänger der neuen Lehre. Aus dem
zweiten Band der Ant Franc, ist nun ersichtlich, dafs der Enkel
dieses Magister Ewald ein Mag. Johann Werner Krause war, der
1732 als Diakonus zu Königsberg starb. Es werden von ihm
folgende historische Arbeiten aufgeasählt, die sämtlich nicht ge-
druckt worden sind:
I. Königsbergische Annales, 2 Folianten.
II. Lebensbeschreibungen der Beamten u. s. w. in der Stadt
und Amt Königsberg.
in. Beschreibung des Amts, der Cent, der Stadt Königs-
berg u. s. w.
IV. Genealogica derer vom Adel, die im Amt Königsberg
Unterthanen haben.
Der Verfasser der Ant Franc, schliefst dann die Lebens-
beschreibung des Mag. J. W. Krause mit den Worten: „Und
diese gegenwärtige Königsbei^sche Kirchen- und Schul-Historie
ist meistentheils seine Arbeit." Dieser Verfasser nennt sich aber
auch Mag. J. W. Krause, und der Zeit nach ist es wohl des
1742 verstorbenen Diakonus BLrause Sohn, der im ersten Bande
der Ant. Franc, als derzeit (1753) lebender Superintendent zu
Eifsfeld bezeichnet wird. Daher erklärt sich, daüs er jenen Brief-
wechsel Ewalds, als seines Urgrofsvaters, besafs.
Die Sache liegt nun demnach kurz so: Die Antiquitates et
mem. bist. Franconicae sind verfafet von dem J. W. Krause, der
1753 Superintendent zu Eifsfeld war; die Königsbergische Q^
schichte in Msto, aus der Goethe einen Auszug besafs, hat zum
Verfasser den Vater dieses Superintendenten, den 1732 zu
Königsberg verstorbenen Diakonus Krause. Diese Königsbergische
Geschichte aber ist jedenfalls dasselbe Werk , welches oben als
Königsbergische Annales bezeichnet worden ist Ob dies und
die anderen handschriftlich hinterlassenen Werke des altehr-
würdi^en Chronisten seines Heimatlandes noch vorhanden sind,
ist unbekannt Sind sie aber verloren, so ist doch ihr wesent-
licher Inhalt erhalten, einesteils in dem zweiten Bande der Ant.
Franc, andernteils in dem Manuscript des Goethe-Archivs und
dessen Abschrift auf der Weimarischen Bibliothek.
Endlich will ich noch bemerken, dafs zu der neuesten Litte-
ratur über Ratichius im vergangenen Jahre noch eine Leipziger
Dissertation von Carl Christoph hinzugekommen ist, die den Titel
führt: „Wolfgang Ratkes päaagogisches Verdienst".
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Litteraturbericht.
Loserth, J. : Dr. Balthasar Hiibmaier und die Anfänge der
Wiedertanfe in Mähren. Brunn 1893. VUI, 217 S. 8^.
Vorliegende Schrift will einige Bausteine zusammentragen zu
einer unparteiischen Darstellung der Geschichte der Wiedertäufer,
die vollständig erst dann geliefert werden kann, wenn die Forschung
sich nicht weiter nur beschränkt auf die Schriften der Gegner des
Anabaptismus, sondern sich ausdehnt auch auf die zahlreichen, zum
guten Teile noch gänzlich unbekannten Schriften der Taufgesinnten
selbst. Mit gründlicher Beherrschung der einschlägigen gedruckten
Quellen und Litteratur und mit Verwertung reichen ungedruckten
Aktenstoffes giebt der Verfasser hier ein Bild von dem Leben und den
Anschauungen B. Hubmaiers, einer der hervorragendsten Persönlich-
keiten unter den Führern der sog. Wiedertäufer, und verbreitet
sich dabei eingehend über die anabaptistischen Bewegungen in den
österreichischen Vorlanden und in Mähren, den Hauptschauplätzen der
Wirksamkeit Hubmaiers. Dabei ist der reiche litterarische Nachlafs
des verstorbenen Ritters von Beck ausgiebig benutzt worden, eine
umfangreiche Sammlung von Materialien zu einer Geschichte der
Wiedertäufer in den einzelnen Provinzen Österreichs.
Das Buch zerfällt in zwei Teile. Es behandelt im ersten die
Wirksamkeit Hubmaiers in Waldshut. Der Verfasser wiederholt
hier zum guten Teile das, was er in seinem Aufsatze „Die Stadt
Waldshut und die vorderösterreichische Regierung in den Jahren
1523—1526* (Archiv für österreichische Geschichte, Bd. 77 (1891)
S. 1 — 149) niedergelegt hat, holt aber zugleich nach, was er dort
versprach, die biographischen Angaben über Hubmaier und eine
kritische Betrachtung seiner Lehren und Schriften. Die Anfänge
der Reformation in Waldshut, ihr Fortschritt, die langen, erfolglosen
Verhandlungen zwischen der Stadt und der vorderösterreichischen
Regierung, endlich die Einnahme und Bestrafung von Waldshut,
alles das ist fast unverändert aufs neue wieder zum Abdruck ge-
langt, aber überall da mit bemerkenswerten Zusätzen vermehrt, wo
Hubmaier besonders thätig oder ratend eintritt. Gleich im ersten
Kapitel ist Hubmaiers früherer Lebensgang, seine Wirksamkeit als
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288 Litteraturbericht. Heft 10.
Domprediger in Kegensburg, sein heftiges, fast fanatisches Auftreten
daselbst gegen die Juden, eingehender berücksichtigt worden. Ge-
nauer wird verfolgt, wie er zunächst während seines ersten Aufent-
halts zu Waldshut (1521) noch völlig die hergebrachten Gebräuche
der Kirche beobachtet, wie er aber allmählich durch die Lektüre
der Paulinischen Briefe, der Schriften Luthers und dui*ch persön-
liche Beziehungen zu Männern wie Busch, Erasmus u. a. schon
während seines zweiten Aufenthalts in Regensburg (1523) sich der
neuen Lehre zugeneigt zeigte, in der er sich dann in eifrigem Verkehr
mit Zwingli mehr und mehr befestigte, so dafs er im Religionsgespräch
zu Zürich (Okt. 1523) scharf gegen die Bilderverehrung und den Opfer-
charakter der Messe auftrat, sich aber immer noch gemäfsigt verhielt und
vor allzu raschen Reform schritten warnte. Im zweiten Kapitel werden
die 18 sogenannten Schlufsreden hinzugefügt, das christliche Leben
betreffende Sätze, über die Hubmaier noch im Jahre 1523 mit der
Waldshuter Geistlichkeit disputieren wollte. Sie sind ganz im
Zwinglischen Geiste gehalten; und auf ihrer Grundlage führte nun
Hubmaier die kirchlichen Neuerungen in Waldshut im Sinne der
Schweizer Reformatoren durch, um so erfolgreicher, da er in allen
seinen Bestrebungen wirksamen Rückhalt an Zwingli und nach-
drückliche Unterstützung seitens Zürichs gewann. Auch weitere
26 Schlufsreden werden aufgeführt, die im November 1523 erschienen
und an Eck gerichtet waren und die f'rage behandelten, wer in
Glaubeussachen Richter sein solle. Mit keinem Worte war bisher
der Kindertaufe gedacht. Entscheidend aber für die Geschicke
Hubmaie rs und Waldshuts wurde es, als Hubmaier sich Ende 1524
nach persönlicher Bekanntschaft mit Münzer und im Anschlufs an
Männer wie Grebel, Manz, Röublin, den Wortführern des sog. Anabap-
tismus anschlofs und damit sich und der Stadt jede Sympathie und
jede Unterstützung der Partei Zwingiis entzog, so wenig er auch
zu den Fanatikern der Wiedei'taufe gerechnet werden darf. Dafür
giebt den besten Beweis das fünfte Elapitel des ersten Buches, sowie
das zweite des zweiten der vorliegenden Arbeit, in denen der Ver-
fasser eine dankenswerte Übersicht über den Inhalt der meist schwer
zugänglichen Streitschriften darbietet, die über die Taufe zwischen
Hubmaier und Zwingli gewechselt worden sind. Der Teilnahme
Hubmaiers am Bauernkriege ist auch hier ein besonderes Kapitel
gewidmet, in dem der Verfasser ebenso wie in seinem früheren
Aufsatze zu dem Ergebnis gelangt, dafs die Gegner Hubmaiers
diesem manches zur Last legten, woran er in Wirklichkeit unschuldig
war, dafs Hubmaier nicht als der Verfasser des Artikelbriefes und
der zwölf Artikel der Bauern zu betrachten ist, wenn er sich auch,
zumal unter dem Einflufs Münzers, den Inhalt derselben zu eigen
gemacht hat. Der Anschlufs Hubmaiers au den Anabaptismus zu-
sammen mit der Niederlage der Bauern bei Grielsen am 4. No-
vember 1525 beschleunigten den Fall des nun völlig isolierten
Waldshut. Schon am 5. Dezember war die Stadt in den Händen
der vorderösterreichischen Regierung. Hubmaier entkam mit genauer
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1898. Litteraturbericht. 289
Not nach Zürich, mufste dort einen erzwungenen Widerruf seiner
über die Taufe gehegten Ansichten leisten und wandte sich dann
über Konstanz und Augsburg nach Mähren. Im Juli 1526 traf er
in Nikolsburg ein.
Der Wirksamkeit Hubmaiers in dieser Stadt ist der zweite Teil
der vorliegenden Schrift gewidmet. Hubmaiers Person steht im
Mittelpunkt der Darstellung, die aber auch sonst noch erwünschte
Beiträge zur Geschichte der kirchlichen Neuerungen in Mähren
giebt, wo, wie besonders in Nikolsburg, schon seit 1524 umfang-
reiche evangelische Gemeinden bestanden. Der Verfasser filgt bio-
graphische Skizzen über Martin Göschl, Hans Hut u. a. bei. Vor
allen Dingen aber sind die Aufschlüsse wichtig, die wir hier über
die Stellung erhalten, die Hubmaier zu den radikalen Richtungen
innerhalb der Taufgesinnten einnahm. Denn so grofs am Anfang
der Zudrang zu ihm war, so erstanden ihm doch auch bald unter
den Wiedertäufern selbst zahlreiche und heftige Gegner, da er ent-
schieden gegen die chiliastischen Schwärmereien, gegen die Mifs-
achtung der weltlichen Obrigkeit, gegen die Verweigerung des
Kriegdienstes und des Steuerzahlens zu Kriegszwecken auftrat und
sich damit in scharfen Gegensatz zu der radikalen Partei unter
Hans Huts Führung setzte. Der Verfasser läfst hier Hubmaier
selbst recht ausgiebig das Wort und giebt eine vollständige Über-
sicht über dessen litterarische Wirksamkeit. In der kurzen Zeit
seines Aufenthalts in Nikolsburg hat Hubmaier nicht weniger als
18 Schriften veröffentlicht. Sie sind sehr verschiedener Art. Zu-
nächst setzte er seine Verfechtung der Spättaufe — er lehnt den
Namen Wiedertaufe ausdrücklich ab, denn die Kindertaufe sei keine
Taufe — gegen Zwingli und dessen Anhang in mehreren Abhand-
lungen fort, fafst auch in den „zwölf Artikeln des christlichen
Glaubens" nach Art des apostolischen Symbolums sein Glaubens-
bekenntnis zusammen und gab in seiner „kurzen Entschuldigung**
eine Widerlegung aller seit Jahren gegen ihn erhobenen Anklagen
und Verleumdungen. Erbaulichen Inhalts ist sein „kurzes Vater-
unser**. Lehrhaften Zweck verfolgt sein „Unterricht auf die Worte:
Das ist der Leib mein**, in dem Hubmaier 15 verschiedene Mei-
nungen über die Lehre vom Abendmahl bespricht. Die „Form zu
taufen *| und die „Form des Nachtmahls** schildern die Art und den
Sinn, in denen zu Nikolsburg und anderswo von Hubmaier und
seinen Anhängern Taufe und Abendmahl gehalten wurden. Die
Pflicht der christlichen Nächstenliebe wird in den Schriften von der
„brüderlichen Strafe** und von dem „christlichen Bann** erörtert;
die Freiheit des Willens und die Unerläfslichkeit der guten Werke
neben dem Glauben gegen deren Bekämpfer in zwei Traktaten
energisch verteidigt und endlich verficht das Buch „von dem
Schwert** die Berechtigung resp. die Notwendigkeit für den Christen,
das Schwert zu führen, und eine ordentliche, gerechte und fromme
Obrigkeit zu achten. Von all diesen mehr oder minder umfang-
reichen Werken wird der Inhalt kurz charakterisiert mit Beibringung
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290 Litteraturbericht Heft 10.
der hauptsächlich hervorstechenden Stellen. Wir erkennen da in
Hnbmaier einen beredten und überzeugungsvollen Anhänger der
Spättaufe, sonst aber einen Mann, der im Gegensatz zu radikalen
Bestrebungen gern und bestimmt in gemäfsigte Bahnen einlenkt.
Hubmaiers Wirksamkeit in Mähren war nur von der kurzen
Dauer eines Jahres. Schon im Juli 1527 safs er in Wien als Ge-
fangener. In seiner letzten erhaltenen Schrift „Rechenschaft an
den König" giebt er im Januar 1528 noch einmal bündig sein
Glaubensbekenntnis in 27 Artikeln. In allem will er sich ganz an
die alte Kirche anschliefsen , nur die Artikel von der Taufe und
dem Abendmahl will er einem allgemeinen Konzil vorbehalten
wissen. Dem festen Entschlufs König Ferdinands, die Wiedertäufer
in seinen Landen auszurotten, ist er zum Opfer gefallen. Seine
Waldshuter Vergangenheit und seine hartnäckige Verweigerung eines
Widerrufs in Sachen der Taufe und des Abendmahls beschleunigten
seine Verurteilung. Am 10. März 1528 erlitt er standhaft den Tod
auf dem Scheiterhaufen.
Dem verdienstvollen Buche, das am Schlufs noch Nachrichten
ttber die energische Verfolgung der mährischen Wiedertäufer seitens
der österreichischen Kegierung giebt, sind 15 Beilagen beigefügt,
die für die Geschichte Hubmaiers wichtige Akten aus Schweizer,
deutschen und österreichischen Archiven enthalten. Bemerkt sei
noch, dafs der Verfasser eine ausführliche Geschichte der Wieder-
täufer in Österreich überhaupt zu liefern verspricht, wofür ihm auch
die reiche Materialiensammlung des verstorbenen Ritters v. Beck
zur Verfügung steht.
Münster i. W. Dr. H. Detmer.
Dörpfeld, F. W. , Beiträge zur pädagogischen Psychologie in
monographischer Form. Erstes Heft: Denken und Gedächtnis.
4. Auflage. Gütersloh, Druck und Verlag von C. Bertelsmann.
1891. XXVIH, 179 S. 8^
Die bekannte Monographie Dörpfelds liegt in neuer Auflage
vor, ein Zeichen, dafs dieselbe einem wirklichen Bedürfnis der
Lehrerwelt entspricht. Wenn auch der Referent den Standpunkt
Dörpfelds nicht teilt — derselbe ist nämlich der Herbarts — aner-
kennt er doch gerne, dafs der Verfasser durch vorliegende Mono-
graphie einen wertvollen Beitrag zur pädagogischen Psychologie
geliefert hat. Die zum Schlüsse seiner Monographie gezogene kurze
Summe der Lehre vom Denken und Gedächtnis: „Wer im Unter-
richt das Memorieren vernachlässigt, ist ein Thor; — wer aber
das Denken vernachlässigt, ist ein zweifacher Thor, und wenn er
dazu beim Repetieren die judiciösen Memoriermittel nicht be-
nutzt, ein dreifacher**, ist wohl unanfechtbar. Man darf dem Ver-
fasser nur Dank dafür wissen, dafs er so erfolgreich gegen den
didaktischen und insbesondere den Memorier-Materialismus zu Felde
gezogen ist.
Czemowitz. Hochegge r.
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1898. Litteratiirbericht. 291
Hauffe, Gustav, Das Verhältnis der Pädagogik Schleiermacher' s
zu den Prinzipien Pestalozzi's. Soest, Wilh. Tappen. 1892.
182 S. 8^
Während Pestalozzis Schriften und Lehren verhältnismäfsig tief
in das Volk und die Lehrpraxis eingedrungen sind, läfst sich das
gleiche von Schleiermachers pädagogischem System nicht behaupten.
Bei dem tief sittlichen und religiösen Gehalt der Schleiermacherschen
Anschauungen ist dies sehr zu bedauern. Gleich Pestalozzi war
auch er erfüllt von einer unerschöpflichen Liebe zum Volke, von
glühender Begeisterung für seinen Beruf und erkannte in der
Familie, besonders in der Mutter, die Bedingung für alle erspriefs-
liche Erziehung. Beide Denker stellen auch die erzieherische
Thätigkeit unter den Gesichtspunkt eines künstlerischen Wirkens.
Die meisten Forderungen Schleiermachers, welche er als Zweck und
Endziel der Erziehung hinstellt, treffen oft überraschend mit denen
Pestalozzis zusammen. Nur zeigt sich Schleiermacher im Aufbau
des Systems überlegen, besonders auch dadurch, daTs er gleich grofs
in der Theorie wie in der Praxis war, was sich von Pestalozzi nicht
behaupten läfst. Die Schleiermachersche Theorie ist, so spekulativ
sie dargestellt ist, doch auch ausführbar. Sie kommt demnach einer
Beschreibung der vernünftigen Praxis gleich.
Hauffe giebt bezüglich der wichtigsten Fragen aus der Theorie
der Erziehung eine vergleichende Darstellung der Ansichten beider
Denker. Seine Zusammenstellung ist meist recht geeignet, die
Eigenart derselben hervortreten zu lassen.
Czernowitz. Hochegge r.
Lange, Karl. Über Apperception. Eine psychologisch -pädago-
gische Monographie. Vierte, verbesserte Auflage. Plauen, Druck
und Verlag von G. E. Neupert. 1891. IV, 242 S. 8«.
Selten hat eine Monographie eine Keihe von Auflagen erlebt.
Es ist ein erfreuliches Zeichen dafür, wie sehr das psychologische
Literesse in pädagogischen Kreisen gewachsen, dafs eine Schrift, wie
die vorliegende, do zahlreiche Abnehmer fand. Sie verdient aber
auch höchste Beachtung, man könnte sie geradezu als klassisches
Muster einer mit gründlicher Sachkenntnis gearbeiteten Monographie
hinstellen. Aus ihr kann nicht blofs der Pädagog, sondern ebenso
der Psycholog vom Fach lernen. Wie wünschenswert wäre es, dafs
wir auch für andere Teile der Psychologie und insbesondere auch
der psychologisch - pädagogischen Theorie ähnliche Einzelunter-
suchungen hätten! Der Verfasser giebt zunächst eine treffliche
Analyse des Wesens und der Arten der Apperception, die er als
diejenige seelische Thätigkeit bezeichnet, durch welche einzelne
Wahrnehmungen, Vorstellungen oder Vorstellungsverbände zu ver-
wandten Produkten unseres bisherigen Vorstellungs- und Gemtits-
lebens in Beziehung gesetzt, ihnen eingefügt und so zu gröfserer
Klarheit, Regsamkeit und Bedeutung erhoben werden. Sodann be-
Monatshefte der Oomenius-Oesellsohaft. 1893. 21
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292 Litteraturbericht. Heft 10.
spricht er die Bedingungen der Apperception und zeigt^ welche Be-
deutung überhaupt die ganze Geistes- und Gemütsverfassung fhr
den Verlauf der geistigen Aneignung hat, wie femer neben den
psychischen Bedingungen auch physische Vorgänge nicht übersehen
werden dürfen. Ihre eigentliche Motivirung findet die Monographie
durch den Absdinitt, welcher die Bedeutung der Apperception fhr
die geistige Entwicklung des Menschen bespricht. Lange zeigt, dafs
die Apperception auf allen Stufen der Geistesentwicklung wirksam
ist. Sie leistet uns wesentliche Dienste bei der Erwerbung neuer
Anschauungen, wie auch bei der Verarbeitung und Durchbildung
des erworbenen Seeleninhaltes. Mit Hülfe der Apperception erheben
wir uns erst von seelischer Unfreiheit zu geistiger, sittlicher
Freiheit, so dafs nur durch sie wahre Bildung ermöglicht wird.
Daraus ergiebt sich, dafs alles Lernen der Hauptsache nach ein
Appercipieren ist und die Hauptaufgabe des Lehrers darin besteht,
den Vorgang desselben regelmäfsig und sicher im Schüler einzu-
leiten und zu Ende zu führen. In dem Kapitel „Die Apperceptions-
theorie in ihrer Anwendung auf die Pädagogik" zeigt Lange, dafs
die Forderung, den Apperceptionsvorgang möglichst zu fördern, auf
alle Gebiete des Unterrichts sich erstreckt und die meisten und
wichtigsten didaktischen Grundsätze in sich schliefst, somit als ein
oberster Grundsatz gelten kann. „Jene allgemeinen Imperative z. B.,
in welche eine Richtung der neueren Pädagogik ihre Theorie zu-
sammenzufassen pflegt, jene Sätze, wie: „Vom Bekannten zum Un-
bekannten!" »Vom Nahen zum Entfernten!" „Vom Leichten zum
Schweren !" lassen sich, soweit sie Wahres enthalten, zumeist zurück-
führen auf die Forderung: Sorge für leichte und gründliche Apper-
ception! und es kommt ihnen nur in dem Grade Gültigkeit zu, als
sie diesem Grundsatze entsprechen."
Ein geschichtlicher Abrifs, welcher die Entwicklung des Apper-
ceptionsbegrifles von Leibniz bis auf Wundt darstellt, bildet eine
willkommene Ergänzung des systematischen Teils der Abhandlung.
Die neueste Auflage kann insofern als eine verbesserte be-
zeichnet werden, als sie die Ergebnisse der physiologischen Psycho-
logie unter den Bedingungen der Apperception eingehender würdigt,
femer bei der Theorie der Kulturstufen eine teilweise Umarbeitung
erhielt und endlich die Grenzen genauer abzustecken bemüht ist,
innerhalb deren dem Verfasser die Bearbeitung eines Lehrstoffes nach
den formalen Stufen allein zulässig erscheint.
Czemowitz. Hochegge r.
Spencer,* Herbert , Von der Freiheit zur Gebundenheit. Vom
Verfasser genehmigte Übersetzung durch Dr. Wilhelm Bode. Berlin,
Leonhard Simion. 189L 30 Pf.
Der englische Philosoph weist auf eine auffällige Erscheinung
hin: die Klage über die Schlechtigkeit der Dinge nimmt um so
mehr zu, je mehr diese Dinge sich gebessert haben. Solange die
Frau noch das Lasttier des Mannes und vollständig unterdrückt war,
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1893. Litteraturbericht. 293
klagte man nicht über die unfreie Stellang derselben ; solche Klagen
wurden erst rege in der Gegenwart, wo die Rücksicht gegen die
Frau obenan steht. Ähnliches beobachten wir auf dem Gebiete des
Erziehungs- und Unterrichtswesens. In der Gegenwart, da man die
weitgehendsten Vorkehrungen für eine ersprjefsliche Erziehung ge-
troffen, klagt man über die mangelhaften MaTsregeln auf diesem
Gebiete. Niemals hat man auf dem Gebiete des Volksschulwesens
so viel geleistet, wie in unserer Zeit ; in Kulturstaaten werden sämt-
liche Mitglieder in die elementaren Grundlagen der Bildung ein-
geführt — da entstand der Ruf, dafs das Volk aus Mangel an
Bildung verkomme. So verhält es sich im allgemeinen mit den ge-
sellschaftlichen Zuständen. Die Unzufriedenheit mit dem Zustande
der gesellschaftlichen Ordnung läfst die Frage offen, ob die gegen-
wärtigen Mifsstände nicht geringer sind als diejenigen, welche wir
in einer anderen gesellschaftlichen Ordnung zu tragen hätten. In
der That würde die Verwirklichung der socialistischen Idee einen
Rückschritt von der Freiheit zur Gebundenheit bedeuten. Es ist
zwar in den gesellschaftlichen Einrichtungen eine Umwandlung un-
vermeidlich und wünschenswert, aber diese Umkehrung kann sich
nur als langsamer Entwicklungsprozefs vollziehen. Plötzliche Um-
stürze gefUhrden die Gesellschaft und die daraus hervorgehenden
Einrichtungen haben auch keinen Bestand. Wie die Geschichte
lehrt, verwandeln sie sich langsam öder schnell in das Gegenteil, in
das, was eben durch den jeweiligen Entwicklungszustand der Ge-
sellschaft bestimmt ist Möchten dies auch diejenigen vor Augen
haben, welche unser Unterrichts- und Erziehungswesen mit Ver-
kennung und Mifsachtung der historischen Entwicklungsgesetze aller
gesellschaftlichen Verhältnisse auf vollständig neue Grundlagen zu
stellen beabsichtigen ! Auch im Erziehungswesen taugen solche Ver-
suche nichts und können nur zu bedenklichen Hemmungen der Ent-
wicklung, dem dasselbe unterworfen ist, führen.
Czernowitz. Hochegge r.
Dicescu, Toma. August Hermann Niemeyers Verdienste um das
Schulwesen. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktor-
würde der philosophischen Fakultät der Universität Leipzig. Leip-
zig, Verlag von Gustav Fock. 1891. 178 S. 8^
Die gediegene Abhandlung berührt zunächst die Geschichte von
dem Ursprünge und dem Stifter der Franckeschen Schulen in Halle,
kennzeichnet die Einrichtung derselben, die in ihr herrschende Zucht
und Lehrart und wendet sich dann Aug. Herm. Niemeyer zu, welcher
die Frankeschen Stiftungen zu neuer Blüte brachte. Eine quellen-
mäfsige Geschichte des Lebens und der Entwicklung des hervor-
ragenden Pädagogen legt uns dar, wie Niemeyer das ward, was er
war. Wir lernen letzteren auf dem Boden seiner Thätigkeit als
Theologen kennen, in seinem Bestreben, die Bildung des Predigers
wie des Religionslehrers zu veredeln , ferner als Reformator der
Halleschen Stiftungen. Dicescu hebt die Eigenart der Anschauungen
21*
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294 Litteraturbericht. Heft 10.
Niemejers gegenüber seinen zeitgenössischen Pädagogen (Kousseau
und Pestalozzi) hervor, besonders auch seine Verdienste auf dem
Gebiete der nationalen Bildung und der allgemeinen Didaktik^
femer bespricht er seine Wirksamkeit als Kanzler und Rektor der
Universität Halle; im Schlufsabschnitt werden uns einige Kernpunkte
aus seinem pädagogischen Vermächtnis, „Grundsätze der Erziehung
und des Unterrichts^, vorgeführt und gezeigt, dafs der pädagogische
Standpunkt Niemeyers dem eines auf den Boden der Erfahrung sich
stutzenden Eklektizismus gleichkommt.
Dicescus Dissertation kann als wertvoller Beitrag zur Geschichte
der Pädagogik bestens empfohlen werden.
Czemowitz. Hoch egg er.
Lay, W. A. Psychologische Grundlagen des erziehenden Unter-
richts und ihre Anwendung auf die Umgestaltung des Unterrichts
in der Naturgeschichte. Eine Festgabe zur Comeniusfeier 1892.
Btthl (Baden), Verlag der Aktiengesellschaft Konkordia. 1892.
XI, 112 S.
Die Pädagogik darf sich nicht verschlieisen der allgemeinen
wissenschaftlichen Bewegung und den Fortschritten derselben, ins-
besondere soll sie mit der Philosophie in engem Zusammenhang
stehen. Nur dann werden Erziehung und Unterricht kulturgemäfs
sein. Gerade bezüglich dieser Forderung kann uns, so bemerkt
Lay, Comenius ein leuchtendes Vorbild sein. „Comenius suchte das
Wohlergehen seines Volkes und das der Menschheit zu begründen
durch den Unterricht der Jugend, und zwar durch einen Unterricht,
der den Fortschritten der Philosophie und der Naturwissenschaften
seiner Zeit entsprach, der nach Lehrverfahren und nach Lehrstoff
kulturgemäfs gestaltet war." Zwei Gebiete sind es, welchen in der
Gegenwart grofse Pflege zu teil wurde und die sehr aufgeblüht sind :
die Biologie und physiologische Psychologie. Beide haben ftir die
Pädagogik grofse Bedeutung. Der Biologie wendet die Methodik
seit einigen Jahren ihre Aufinerksamkeit zu, während die Ergebnisse
der physiologischen Psychologie noch nicht gehörige Berücksichtigung
für die Theorie der Pädagogik gefunden haben. Lay meint, dafs
man durch die physiologische Psychologie auch ein tieferes Ver-
ständnis für das Hauptwerk von Comenius, für die Didactica magna
erreichen werde. Die physiologische Psychologie besitzt nämlich
gröfste Bedeutung für die Erkenntnislehre. Das Erkenntnisproblem,
welches in der Gegenwart für alle Wissenschaften grundlegend ge-
worden ist, hat seinen Ausgang in den Ideen des Comenius und
seiner Zeitgenossen. „Die heutige Erkenntnistheorie gleicht einem
vielgegliederten Baum, den Comenius blofs als das von der Samen-
schale eingeschlossene Keimpflänzchen kannte. Erst wenn wir die
einzelnen Teile dieses Baumes und ihre Funktionen kennen, sind
wir imstande zu beurteilen, wie weit Comenius die noch unent-
wickelten Teile und ihre Funktionen richtig erkannt habe. Wir
sind dann aber auch imstande, alles, was er gedeutet hat, besser
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1893. Litteraturbericht. 295
zu erklären, bestimmter zu erfassen und erfolgreicher zu pflegen."
Wir werden nur im Sinne des Comenius handeln, wenn wir den
Zusammenhang mit der Psychologie und Erkenntnistheorie be-
wahren. In diesem Sinne will nun Lay durch vorliegende Arbeit
eine Anregung geben. Der Verfasser benützt die Ergebnisse der
physiologischen Psychologie, um die Entwicklung der Anschauung,
des Verstandes, des Gemütes, und zwar des sittlichen, ästhetischen
und religiösen Interesses darzustellen. Von diesen Grundlagen aus
erschliefst er, wie der Stoff und das Lehrverfahren beschaffen sein
mufs, damit der natnrgeschichtliche Unterricht alle jene Seiten des
Bewufstseins allseitig und intensiv erfasse und entwickle. Lay zeigt
sich in seinen psychologischen Anschauungen vorwiegend durch
A. Kiehl und W. Wundt beeinflufst. Neben dem mannigfache An-
regung gewährenden Abschnitte, welcher die psychologische Grund-
legung und die methodischen Grundsätze entwickelt, bespricht die
Abhandlung auch die Mängel und Gefahren der heutigen Reform-
bestrebungen. Die Reformlitteratur unserer Tage steht nach des
Verfassers Ansicht nicht entschieden genug auf dem psychologisch-
ethischen Standpunkt. Der Schlufsabschnitt bringt die methodische
Behandlung eines speziellen naturgeschichtlichen Themas.
Lays Abhandlung ist als eine wertvolle Bereicherung der
pädagogischen Litteratur zu bezeichnen.
Czernowitz. Hochegge r.
Flügel, 0. Über die Phantasie. Ein Vortrag. Langensalza,
Herm. Beyer & Söhne. 1892. [Pädagogisches Magazin. Ab-
handlungen vom Gebiete der Pädagogik und ihrer Hilfswissen-
schaften. Herausgeg. von Friedrich Mann. 10. Heft.] 24 S. 8®.
Der bekannte philosophische Schriftsteller der Herbartschen
Schule schildert uns in recht anregender Form die Erscheinungen
des Phantasielebens und weist auf die Bedeutung desselben für die
G^istesentwicklung und Beschaffenheit hin. Die Phantasie scheint
ihm gleich bedeutsam für die intellektuelle, wie für die Gefühls-
und Willensseite. Die Phantasie sei die Vorschule zu allem Wahren,
Schönen, Guten. Besonders bemerkenswert für die Pädagogik und
Didaktik ist die Beeinflussung der Apperceptionsthätigkeit durch die
Phantasie. Die AufPassung der Dinge vollzieht sich in der Weise,
dafs wir die neuen Vorstellungen mit Hülfe der alten in uns bereits
vorhandenen aufnehmen. Hierbei finden Ergänzungen und Deutungen
des Wahrgenommenen durch Hinzugedachtes statt, und zwar ganz
unwillkürlich oder auch infolge eines besonderen Willens. Nament-
lich die unwillkürliche Phantasiethätigkeit bestimmt die Form der
appercipierten Vorstellungen in überraschender Weise. Flügel bringt
hierför reichlich Belege. Die Abhandlung sei der pädagogischen
Welt bestens empfohlen.
Czernowitz. Hochegge r.
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296 Littoraturbericht. Heft 10.
Ziller, Tuiskon. Allgemeine Pädagogik. Dritte Auflage der Vor-
lesungen über allgemeine Pädagogik. Herausgeg. von Dr. BLarl
Josty Direktor der städtischen Schulen zu Altenburg. Leipzig.
1892. Verlag von Heinrich Matthes [W. H. Voigt]. XVI,
430 S. 8^
Zillers klassisches Werk, das 1876 zuerst ausgegeben wurde,
erschien nun in neuer Auflage unter Justs trefflicher Leitung.
Die dritte Auflage bringt noch etliche Zusätze aus Zillers Nachlafs,
die bei der zweiten Auflage übersehen worden waren, femer findet
darin die seither erschienene Litteratur fleifsige Berücksichtigung;
freilich ist dabei nur auf diejenige Litteratur Rücksicht genommen,
welche entweder der Zillerschen Richtung angehört oder ihr ver-
wandt ist In diesem Sinne zog der Herausgeber vor allem die
Arbeiten im Jahrbuche des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik,
das noch immer als Mittelpunkt der Zillerschen Bestrebungen gelten
kann, zur Benutzung heran.
Möge auch die neue Auflage gleich anregend wirken, wie es
sonder Zweifel die älteren gethan haben.
Czemowitz. Hochegge r.
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Zur Bücherkunde.
Neuere Litteratur über den Humanismus.
Zusammengestellt von Dr. A. Bömer.
Im Folgenden sind Erscheinungen von 1890 bis Ende 1892 verzeichnet.
— Eine vollständige Bücherkunde ist hier nicht beabsichtigt. Vielmehr
sind aufser allg. Schriften, Lebensbeschreibungen u. s. w. nur solche Werke
und Aufsätze berücksichtigt, die auf die religiöse, philosophische, pädagogische
und naturwissenschaftliche Thätigkeit der Humanisten Bezug haben.
1) AUgemeines. — Sammelwerke. — Mehrere Humanisten«
Abel, E.y Litterarhistorische Denkmäler. Bd. 2. Herausgegeben
von der Ungarischen Akademie. Budapest 1890. XV, 381 8.
8**. 6 Mk. [Apologetische Werke italienischer Humanisten.]
Barrili, Anton Giulio, H rinovamente letterario italiano: lezioni
universitarie. Genova, A. Donath. 1890.
Carriere, M., Zur Philosophie der Renaissance. (Zeitschrift für ver-
. gleichende Litteraturgeschichte und Benaissancelitteratur. Neue
Folge in. Berlin 1890. 8. 236—241.)
Gallo is, Les g^ographes allemands de la Kenaissance. Paris,
Leroux 1890. XX, 270 S.
Geiger, L. , Vorträge und Versuche. Beiträge zur Litteratur-
geschichte. Dresden, Ehlermann 1890. XVI, 318 8. S^. [Darin:
Erasmus in Italien. — Ulrich von Hütten. — Humanismus an
der Universität Heidelberg.]
— Zur Geschichte des Studiums der hebräischen Sprache in
Deutschland während des 16. Jahrhunderts. [Viele für die Ge-
schichte des Humanismus wichtige Andeutungen.] (Zeitschrift für
die Geschichte der Juden in Deutschland. IV. 1890. 8. 111
—126.)
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298 Bömer, Heft 10.
Hartfelder, Karl, Konrad Celtis und Sixtus Tucher. (Zeitschrift
ftlr vergleichende Litteraturgeschichte und Renaissancelitteratur.
N. F. m. 1890. 8. 331—349.)
— Das Ideal einer Humanistenschule. (Die Schule Colets zu
St. Paul in London.) Vortrag gehalten zu München am 22. Mai
1891 in der pädagogischen Sektion der 41. Versammlung
deutscher Philologen und Schulmänner. (Verhandlungen der
41. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner. Leip-
zig, Teubner 1891. 16 S. 4«.)
— Zur Gelehrtengeschichte Heidelbergs am Ende des Mittelalters.
(Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. N. F. VT. Frei-
burg i. B. 1891. S. 141—171.)
Hipler, Fr., Beiträge zur Geschichte des Humanismus, aus dem
Briefwechsel des Johannes Dantiscus. Braunsberg 190. 104 S.
(Auch in Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde
Ermlands. 1890. 8. 471—572.)
Hueblin, E., Picus Mirandula und Angelus Politianus. (Archiv
für Stenographie. 1890. November Nr. 1, 2 und Dezember
Nr. 1, 2.)
Kallenbach, J. , Les humanistes polonais. Indices lectionum
1891/92. Freiburg i. S., Libr. de Tuniversit^ (P. Friesenhahn).
Klette, Th., Beiträge zur Geschichte und Litteratur der italienischen
Gelehrtenrenaissance. Bd. HI. Die griechischen Briefe des
Franciskus Philelphus. Nach den Handschriften zu Mailand
(Trivulziana) und Wolfenbüttel. Mit Notizen zur Biographie
Philelphs und der Gräcisten seiner Zeit. Greifewald, Abel 1890.
VI, 180 S. 8^
Lateinische Litteraturdenkmäler des 15. u. 16. Jahrhunderts.
Herausgegeben von Max Hermann und Siegfried Szamatölski.
Berlin, Speyer u. Peters. 1891 ff.
1) Gull. Gnapheus, Acolastus. Herausg. von Job. Bolte. 1891.
2) Eckius dedolatus. Herausg. von Siegfr. Szamatölski. 1891.
3) Thomas Naogeorgus, Pammachius. Herausg. von Job Bolte
und Erich Schmidt. 1891.
4) Phil. Melanchthon, Declamationes. Herausgeg. von K. Hart-
felder. 1891.
5) Euricius Cordus, Epigrammata. Herausgeg. v. Karl Krause
1892.
6) Jac. Wimphelingius, Stylpho. Herausgeg. von Hugo Hol-
stein. 1892.
Loesche, G. ^ Die Bibliothek der Lateinschule in Joachimsthal.
Ein Beitrag zur Geschichte des Humanismus und der Schule in
Böhmen. (Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs-
und Schulgeschichte. H. 1892. S. 207—246.)
Masius, Herrn., Bunte Blätter. Altes und Neues. Halle a. S.
1892. VU. 384 S. 8*. [Darin: Die Einwirkung des deutschen
Humanismus auf die deutschen Gelehrtenschulen. — ^ Ulrich
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1893. Neuere Litteratur über den Humanismus. 299
Zwingli, insbesondere als Humanist und Pädagog. — Erasmus
als Sittenlehrer.]
N ^ ve, F., La renaissance des lettres et Tessor de T Erudition ancienne
en Belgique. Louvain, Charles Peters ; Berlin, Mayer & Müller ;
Paris, Leroux. 1890. 439 S. gr. S^.
0 eh 1er, Die Bedeutung des Humanismus für die Reformation und
den Protestantismus. (Protestantische Kirchenzeitung für das
evangelische Deutschland 1891, Nr. 7.)
Pardo deBarzan, Emilia, Los pedagogos del renacimiento :
Erasme, Rabelais, Montaigne. Conferenzia. Madrid, Fortanet
1891. 44 S. 4^
Re i n de 1 1 , Wilh., Luther, Crotus und Hütten. Eine quellenmäfsige
Darstellung des Verhältnisses Luthers zum Humanismus. Mar-
burg, Ehrhardt 1890. 134 8. 8^.
Schaff, Ph., The Renaissance. The revival of leaming and art
in the 14 and 15 centuries. New-York, Putnams Sons. 1891.
Voigt, G., n risorgimento deirantichitli classica. Trad. diD. Val-
busa, con aggiunte e correzione 'inedite delPautore. Vol. 2.
(ultimo). Firenze, Sansoni. .1890. 502 S. 8^
Werner, J., Der christlich-sociale Agitator Johann Eberlin von
Günzburg im Kampfe mit den freisinnigen Humanisten und
revolutionären Bauern. (Kirchliche Monatsschrift. X. 1891.
Nr. 7.)
2) Einzelne Humanisten.
Hartfelder, Karl, Unedierte Briefe von Rudolf Agricöla. (Aus-
zug.) Heidelberg 1890.
Sudhoff, K., Benedict Aretius. (Zeitschrift für vergleichende
Litteraturgeschichte und Renaissancelitteratur. N. F. III. 1890.
S. 143—145.)
Wegele, F. X. von, Aventin. (Bayerische Bibliothek, her. von
K. von Reinhardstöttner und K. Trautmann. X. Bamberg,
Buchner. 1890. 68 S.)
Heinrichs, R. , Der niederrheinische Humanist und Schulmann
Mathias Bredenbach und sein Urteil über die Reformation.
Beitrag zur Reformationsgeschichte. Frankfurt a. M., Fösser.
1890. 80 S. 8^
Brown, H., George Buchanan, humanist and reformer. A bio-
graphy. Edinburgh, Douglas. 1890. 398 S. 8**.
Bud^, E. de, Un humaniste fran^ais au XVP si^lo: Guillaume
Bud^. (Biblioth^ue universelle suisse. 1890. September.)
Benoist, A., Quid de puerorum institntione senserit Erasmus.
Grenoble, Allier. 1890. 163 S. 8^.
Glöckner, G., Das Ideal der Bildung und Erziehung bei Eras-
mus von Rotterdam. Dissertation. Leipzig 1890. IV,
97 S. 8^
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300 Bömer, Heft 10.
Haarhaus, Jul. R, Erasmus von Rotterdam, der erste moderne
Mensch diesseits der Alpen. (Wissenschaftliche Beilage der
Leipziger Zeitung 1891, Nr. 90.)
Hartfelder, Karl, Desiderins Erasmus von Rotterdam und die
Päpste seiner Zeit (Historisches Taschenbuch. VI. Folge.
11. Jahrg. Leipzig 1892. S. 121—162.)
— Friedrich der Weise von Sachsen und Desiderius Erasmus von
Rotterdam. (Zeitschrift für vergleichende Litteraturgeschichte
und Renaissancelitteratur. N. F. IV. 1891. S. 203 — 217.)
Jebb, R C, Erasmus. Lecture in the Senate House. Cambridge,
June 11, 1890. 54 S. 8<>.
Kan, J. B. , Erasmiana. Rotterdam, Wenk. 1892. Programm.
56 S. 4<>.
Richter, Arthur, Erasmusstudien. Dissertation von Leipzig. Dresden,
Joh. Fafsler. 1891. XXIV, 64 S.
L e g r a n d , E., Cent dix lettres grecques de Fran^ois F i 1 e 1 f e. Pub-
likes int^gralement pouy la premi^re fois, d'apr^s le Codex
Frivulzianus 873, avec traduction, notes et commentaires. Paris,
Leroux. 1892.
Fritzsche, 0. F., Glarean. Sein Leben und seine Schriften.
Frauenfeld, Huber. 1890. VIII, 136 S. mit Portrait. 8<*.
Lefranc, Abel, Ulrich de Hütten ä Paris 1517. (Bulletin de
la soci^t^ de Thistoire du protestantisme fran^ais 1891.)
Szamatolski, Siegfr. , Ulrichs von Hütten deutsche Schriften.
Untersuchungen nebst einer Nachlese. (Quellen und Forschungen.
67. Heft. Strafsburg i. E., Trübner. 1891.)
V o t s c h , Ulrich von Hütten nach seinem Leben und seinen Schriften
geschildert. Hannover, Hahn. 1890. X, 75 S.
Hartfelder, Karl, Über Melan cht hon s Ratio discendi. (Zeit-
schrift ftlr Kirchengeschichte. Bd. 12. 1891. S. 562—566.)
— Aus einer Vorlesung Melanchthons über Ciceros Tusculanen.
(Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und
Schulgeschichte. 1. Jahrg. Berlin 1891. S. 168—177. — Be-
merkungen dazu von E. Voigt, ebend. S. 269.)
— Melanchthoniana paedagogica. Eine Ergänzung zu den Werken
Melanchthons im Corpus reformatorum. Leipzig, Teubner. 1892.
Ba hl mann, P., Die Sprichwörter aus des Johannes Murmellius
„Pappa puerorum". (Germania 35. N. R. 23. 1890. S. 400
—402.)
Des MUnsterischen Humanisten Johannes Murmellius De magistri
et discipulorum Epigrammatum Über. Zum ersten Male in
einem Neudrucke herausgegeben von A. Bömer. Münster,
Regensberg 1892. 40 S. 8^
Desselben Opusculum de discipulorum officiis, quod Enchiridion
scholasticorum inscribitur. In einem Neudrucke heraus-
gegeben von A. Bömer, ebendas. 1892. 67 S. 8^
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1893. Neuere Litteratur über den Humanismus. 301
M u r e t u 8 , institutio puerilis ad M. Antonium fratris filium, con tra-
dnzione di G. Cavazzoni Pederzii^i. (Per nozze.) Modena,
Stab. tip. lit. 1890. 13 S.
Der Briefwechsel des Conradus Mutianus, gesammelt und bearbeitet
von weil, Gymn.-Lebrer Dr. Karl G i 1 1 e r t. Herausg. von der
historischen Kommission der Provinz Sachsen. Halle a. S.,
0. Hendel. 1890. (Auch unter dem Titel: Geschichtsquellen
der Provinz Sachsen. Bd. 18.)
Pico della Mirandola, His life. By bis Nephew, Giovanni
Francesco Pico. Edit with notes by J. M. Ri gg. London,
Nutt 1890. XL, 96 S. 8®.
Platter, Tb., Briefe an seinen Sohn Felix. Herausgegeben von
A. Burckhardt. Basel, Detloff. 1890. VI, 106 S.
Geiger, L., Zur Biographie des PomponiusLaetus. (Zeitschrift
für vergleichende Litteraturgeschichte und Renaissancelitteratun
N. F. IV. 1891. S. 215—217.)
Hartfelder, Karl, Der Karthäuserprior Gregor Reisch, Ver-
fasser der Margarita philosophica. (Zeitschrift für die Ge-
schichte des Oberrheins. N. F. 5. 1890. S. 170—200.)
Distel, Th., Eine Reu chl in Übersetzung aus dem Jahre 1495.
Lucian XII. Todtengespräch, auch Nachrichten ttber die Ver-
deutschung einer Demosthenischen Rede. (2ieit8chrift fllr ver-
gleichende Litteraturgeschichte und Renaissancelitteratur. N. F.
in. 1890. S. 360—361.)
Geiger, L., Ein ungedruckter Brief Reuchlins. (Zeitschrift für ver-
gleichende Litteraturgeschichte und Renaissancelitteratur. N. F.
rV. 1891. S. 154—157.)
— Ungedrucktes von und über Reuchlin. (Ebendas. N. F. IV.
1891. S. 217—226.)
Czihak, E. von, Die Beziehungen des Markgrafen Ernst Friedrich
von Baden-Durlach zu dem Humanisten Nikolaus Reufsner.
(Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. N. F. 5. 1890.
S. 249—254.)
Erichson, A., Ein neues Dokument über Beatus Rhenanus.
(Zeitschrift für Kirchengeschichte. Bd. XH. 1891. S. 211
—218.)
Trumpp, P., Sadolet als Pädagog. Programm der Studienanstalt
zu Schweinfurt 1891. 46 S. 8®.
Man ein i, Girol, Vita di Lorenzo V a 1 1 a. Firenze, Sansoni. 1892.
VI. 839 8. S^.
Jakob Wimphelings pädagogische Schriften übersetzt, erläutert
und mit einer Einleitung versehen von Joseph Freundgen.
(Sammlung der bedeutendsten pädagogischen Schriften aus alter
und neuer Zeit Mit Biographieen , Erläuterungen und er-
klärenden' Anmerkungen herausgeg. von J. Gänsen, A. Keller,
Beruh. Schulz. Bd. XTTI.) Paderborn, Ferd. Schöningh. 1892.
573 S. 8^
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802 Bömer, Neuere Litteratur üb. d. Humanismus. Heft 10.
Holstein, Hugo, Eine unbekannte Schrift Wimpbelings. (Central-
blatt flir Bibliotbekswesen. VH!. 1891. S. 344—347.)
— Zur Biographie Jakob Wimpbelings. (Zeitschrift für vergleich.
Litteraturgeschichte und Renaissancelitteratur. N. F. IV. 1891.
S. 227—252.)
Neff, J., Udalricus Zasius. Ein Beitrag zur Geschichte des
Humanismus am Oberrhein. 1. 2. Programme des Gymnasiums
in Freiburg. 1890 u. 1891.
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Eingegangene Schriften.
Die an anderer Stelle dieser Hefte besprochenen oder erwähnten Schriften
sind hier nicht noch einmal aufgeführt^).
(Vgl Monatshefte 1893, S. 89 ff.)
Die Schriftleitung behält sich vor, über einzelne Werke noch besondere
Besprechungen zu bringen.
Bodnär, Sigmund, Das Gesetz unseres geistigen Fortschritts. Aus dem
Ungarischen übersetzt von Julius Lechner von der Lech. Leipzig,
Alfr. Janssen. 1893.
CiBaf, Ferd., Na Poplach! KÄzani die Soudcu 16, 20, je2 R 29. Vahi
shuczi moravskö poboöni jednoty Gustav-Adolfskeho Üstavu V Lyst&li
dne 1. Öervna 1893 vykonal. 1893.
Clifford, John, The origin and growth of English Baptists. (From a
Volume of Eight Lectures on „The English Baptists; who they are
and what they have done"), Edited byJ. Clifford. London, E. Marl-
borough.
CUlford, John, The Coming theology or the primitive Christian faith etc.
London, Clarke and Co.
Dechent, Dr. H., Cassiodorus Reinius, Gründer der Frankfurter Nieder-
ländischen Gemeinde Augsburger Konfession (f 15. März 1594). Zur
Erinnerung an seinen 300jährigen Todestag. (Frankf. Ev.-lutherischer
Kirchenkalender auf das Jahr Christi 1894. Hrsg. v. ev.-lutherischen
Prediger-Konsistorium. VI. Jahrg.)
Flügel, 0., Die Sittenlehre Jesu. 3. Aufl. Langensalza, Hermann Beyer
u. Söhne. 1892. M. 1.20.
Qlokler, Joh. Phil., Johann Valentin Andreae. Ein Lebensbild zur Er-
innerung an seinen 300. Geburtstag. Mit einem Bildnis Andreaes.
Stuttgart, Hänselmann. 1886.
Heinzelmann, Prof. Dr., Über den deutschen Volkscharakter. Vortrag,
gehalten am 26. Jan. 1892 in der dffentl. Sitzung der Kgl. Akademie
gemeinnütziger Wissenschaften zur Vorfeier des Geburtstages Sr. Maj.
des Kaisers. Erfurt, Karl Villaret. 1893.
1) Das Verzeichnis der zur Besprechung in den „Mitteilungen der
C.-G." eingesandten Schriften s. am Schlufs der Mitteilungen Nr. 10.
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804 Eingegangene Schriften. Heft 10.
HUty» Prof. Dr. C, Über die Grundgedanken der schweizerischen Er-
ziehung. Separatabdruck aus demPolit. Jahrbuch d. Schweizerischen
Eidgenossenschaft. (Jahrg. 1893.)
Hodermann. Richard, Bilder aus dem deutschen Leben des 17. Jahr-
hunderts. L Eine vornehme Gresellschaft. (Nach Harsdör£Eers €re-
sprächspielen). Mit einem Neudruck der Schutzschrift für die Teutsche
Spracharbeit. Paderborn, Ferd. Schöningh. 1890.
Horscli, John, The Mennonites, their Historj, Faith and Practise. Men-
nonite Publishing Company, Elkart, Indiana. 1898.
Hülsmann, J., Beiträge zur christlichen Erkenntnis für die gebildete G^
meinde. Aus Aufzeichnungen und Briefen v. J. H. Mit biographischer
Charakteristik u. dem Bildnis des Verf. Braunschweig, C. A. Schwetschke
u. Sohn. 1890.
Geschichtsblätter des deutschen Hugenotten-Vereins. Erstes Zehnt 1891.
Magdeburg, Heinrichshof en.
Heft 1. Vereins-Statuten. Einleitung zu den G^schichtsblättem.
Die Hugenotten in Magdeburg. Von Prediger Dr. Henri Tollin.
Heft 2. Die französisch(walloni8ch)-reformierte Kirche in Emden
von Pastor J. N. Pleines,
Heft 3. Die Waldenser und ihre Kolonie Walldorf von Konsist.-
Rat Robert in Frankfurt a. M. und Pfarrer W. Dittmar in Walldorf.
Heft 4. Die französische Kolonie in Berlin von Prediger Lic. theol.
Dr. med. Tollin und Amtsrichter Dr. jur. B^ringuier.
Heft 5. Geschichte der wallonisch-reformierten Kirchengemeinde
zu Magdeburg von Bode, Prediger a. D.
Heft 6. Die französisch-reformierte Kirchengemeinde in Erlangen
von .Pfarrer Joh. Stursberg. Mitglieder- Verzeichnis des deutschen
Hugenotten-Vereins.
Heft 7. 1) Die wallonische Gemeinde zu Otterberg von J. Knecht,
protest. Pfarrer zu Otterberg. 2) Die Statuten des deutschen Huge-
notten-Vereins.
Heft 8. Die wallonisch-französische Fremdengemeinde in Bremen
von Pastor J. Fr. Iken.
Heft 9. Die üranzösische Kolonie in Karlshafen von Pfarrer
Rudolf Franke.
Heft 10. 1) Die hugenottische Kirchenordnung oder La discipline des
^lises reform^es de France, deutsch v. Dr. H. Tollin. 2) Register zum
I. Zehnt der Hugenottischen G^schichtsblätter.
Geschichtsblätter des deutschen Hugenotten- Vereins. Zweites Zehnt. 1893.
Magdeburg, Heinrichshofen.
Heft 1. Geschichte der wallonisch-reformierten Gemeinde zu
Annweiler von Pastor Lic. Fr. W. Cuno.
Heft 2. Die wallonisch-französische Fremdengemeinde in St Lam-
brecht-Grevenhausen von Pfarrer Th. Gümbel.
Heft 3. Geschichte der französischen Kolonie von Halberstadt
von Lic. theol. Pastor H. Tollin.
Heft 4. Geschichte der wallonisch-ref. Gemeinde zu Heidelberg
von Pastor Lic. Fr. W. Cuno.
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1893. Eingegangene Schriften. 305
Heft 5. Die französisch-reforni. Gemeinde zu Grofs- und Klein-
Ziethen in der Mark Brandenburg von Pfarrer Devaranne, Angermünde.
Heft 6. Die wallonische Gemeinde in Stade von Oberlehrer
Dr. C. H. Wilh. Sülem, Hamburg.
TheologiBoher Jahresberiobt. Unter Mitwirkung von Baur, Böhringer
u. s. w. hrsg. V. H. Holtzmann. Bd. XII. 1892. Histor. Theologie.
Interkonfessiones, bearbeitet v. Lic. Osk. Kohlschmidti Pfarrer in Den-
stedt bei Weimar. Braunschweig, C. A. Schwetzschke u. Sohn. 1893.
(Sonder-Abdruck.)
Kipper, Dr. Paul, Pastor, Abbruch und Aufbau. Beiträge zur konmien-
den Reformation. I. 2. Aufl. 1891. (Vni u. 60 S.) H. u. IH. 1893.
(X u. 162 S.) Berlin, Richard Wilhelmi.
Koeber, Raphael von, Leo Tolstoi und sein unkirchliches Christentum.
Hrsg. mit einer Nachschrift: Die Flucht aus dem brennenden Cirkus von
Hübbe-Scbleiden. Braunschweig, C. A. Schwetzschke u. Sohn. 1890.
Kraase , Karl Christ. Friedr., Der Begriff der Philosophie. Aus dem hand-
schriftlichen Nachlasse des Verf. hrsg. v. Dr. Paul Hohlfeld u. Dr. Aug.
Wünsche. Leipzig, Otto Schulze. 1893.
Krause, Karl Christ. Friedr., Aphorismen zur Sittenlehre. Aus dem hand-
schriftlichen Nachlasse des Verf. hrsg. v. Dr. P. Hohlfeld u. Dr. Aug.
Wünsche. Leipzig, Otto Schulze. 1893.
Krause, Karl Christ. Friedr., Der Erdrechtsbund an sich selbst und in
seinem Verhältnis zum Ganzen und zu allen Einzelteilen des Mensch-
heitslebens. Aus dem handschriftlichen Nachlasse des Verfassers hrsg.
V. Dr. Georg MoUat. Leipzig, Otto Schulze. 1893.
Kvaosala, Joh., Des Comenius' Aufenthalt in Lissa. Sonderabdruck aus
der Ztschr. der Hist. Ges. f. d. Provinz Posen. Jahrg. VIH, S. 1 ff.
lAndwehr, Hugo, Bartholomäus Stosch, kurbrandenburgischer Hofprediger
1612—1686. . Ein Lebensbild von H. L. Sonderabdruck aus den For-
schungen zur brandenburgischen u. preufsischen Geschichte. VI, 1.
Leipzig, Duncker u. Humbio t. 1893.
Iiea, Henry Charles, The Absolution Formula of tbe Templars. (Reprinted
from Vol. V. Papers of American Church History Society.) The
Knickerbocker Press 1893.
Ijea, Henry Charles, The Spanish Inquisition as an Alienist. (Reprinted
from the Populär Science Monthly for July 1893.)
Lea, Henry Charles, The Taxes of the Papal Penitentiary. (Reprinted
from the English Historical Review July 1893.)
Maisch, Religiös-sociale Bilder aus der Geschichte des deutschen Bürger-
tums. Leipzig, Verlag v. Reinh. Werther. 1893. 2. Abt.
Meille, W., Le R^veil de 1825 dans les vall^es vaudoises du Pi^mont. Ra-
cont^ k la g^n^ration actuelle par W. M. Turin 1893.
Meister, Ferd., Beiträge zur Geschichte des Gymnasiums zu St. Maria
Magdalena Sonderabdruck aus der Festschrift zur 250jährigen Jubel-
feier des Gymnasiums zu St. Maria Magdalena zu Breslau am 30. April
1893. Breslau 1893.
Miobelsen, Carl, Neun Träume. Eine Einleitung. Leipzig, Verlag von
Alfred Janssen. 1892.
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306 Eingegangene Schriften. Heft 10.
Monroe 9 Will. S. (Leland Stanford Junior University. Palo Alto Cali-
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Fappenheim, Eugen, Friedrich Fröbel. Aufsätze aus den Jahren 1861 —
1893. Berlin, L. Oemigkes Verlag. 1893.
Ffei£fer, Wilh., Die Theorie und Praxis der einklassigen Volksschule.
Eine kritische Beleuchtung der einklassigen Volksschule nach ihrem
Wesen und den Bedingungen ihres Gedeihens nebst einer praktischen
Darstellung des gesamten Volksschul-Unterrichts unter Zugrundlegung
eines einheitlichen Lehrplansystems. Erster Teil: Die theoretische
Grundlegung. Gotha, Thienemann. 1887. Zweiter Teil: Die theo-
retische Grundlegung. Ebenda. 1889.
Baiuch, Alfr., Otto Frick als Erneuerer des Seminarium praeceptorum. Aus
Lehrproben und Lehrgänge hrsg. von Frick u. Meyer. Heft XXXVI.
Sohaefer, Peter, Das geschichtliche Anrecht der Kirche und des Staates
auf die Volksschule. Köln, Komm.- Verlag v. Alb. Ahn. 1892.
Schwarz, Gottfried, Der christliche Staat. Heidelberg, J. Höming. 1892.
SeidenBtioker, Osw., German- American Events, principally of Pennsyl-
vania, up to 1870. Collected and chronologically arranged by Osw. S.
Sadhoff, K., Ein Beitrag zur Bibliographie der Paracelsisten im 16. Jahr-
hundert. Sonderabdruck aus dem Centralblatt für Bibliothekswesen.
1893. Heft 7 und 8. S. 316 ff. Heft 9. S. 385 ff.
Sudlioff. Karl, Zu Hohenheims Geburtstag. Beilage Nr. 261 zur Allgem.
Zeitung vom 10. Novbr. 1893.
Taylor, W., Doctrine on the atonement as set forth by St. Paul in the
fifth Chapter of bist Epistle to the Komans, with a Paraphrase of
the Chapter. For students of theology London 1893.
Wilke, Edwin, Zum 15. November, dem Todestage des Amos Comenius.
Comenius in Preufsen. Abgedruckt in der „Volksschulfreund", hrsg.
von E. Krantz. 1893. Nr. 46 u. 47.
Wohlwill, Emil, Joachim Jungius. Festrede zur Feier seines 300. Ge-
burtstags am 22. Okt. 1887 im Auftrage der Hamburger Oberschul-
behörde gehalten von Dr. E. W. Mit Beiträgen zu Jungius* Bio-
graphie und zur Kenntnis seines handschriftlichen Nachlasses. Harn-
bürg und Leipzig, L. Vofs. 1888.
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Nachrichten.
Im Vorworte zum 3. Bande seiner Geschichte Karls V. entwickelt
Henn. Banm^rtei den Gedanken, dafs es nötig sei, för die Erschliefsung
der Quellen der anderthalb Jahrhunderte von Maximilian I. bis zum West-
fölischen Frieden endlich in grofsem Mafsstabe Fürsorge zu treffen. Da die
zunächst berufene Wiener Akademie diese besonders für Karls V. Zeit drin-
gende Aufgabe nicht scheine übernehmen zu wollen, falle es dem Deutschen
Rei che zu, in diese Lücke zwischen den Monumenta Germaniae und neueren
preufsischen Unternehmungen einzutreten. Es wäre dagegen nun vielleicht
einzuwenden, dafs doch wenigstens ein erheblicher Teil dieses Gebietes
das besondere Arbeitsfeld der Münchener historischen Kommission in ihren
Reichsakten und Witteisbacher Korrespondenzen bildet, und dafs ein
anderer Teil sich vortrefflich zu provinzialen und lokalen Publikationen
eignet. Immerhin aber bleibt ein bedeutender reichsgeschichtlicher Stoff be-
sonders in auswärtigen Archiven zu heben, und in diesem Zusammenhang
regt Baumgarten noch einen anderen Gedanken an, der gewifs sorgsamste
Beachtung verdient. Ähnlich wie schon seit langer Zeit England und
Belgien, neuerdings auch Holland und Frankreich, Arbeiter aussenden, um
alles, was sich in den Archiven und Bibliotheken Europas für ihre €re-
schichte findet, verzeichnen zu lassen, so solle es auch seitens Deutsch-
lands für unsere neuere Geschichte geschehen, und der nächste Schritt
dazu würde sein, dafs man den grofsen Botschaften in London,
Paris und Madrid historische Kräfte beigäbe, gleichsam histo-
rische Attaches neben den militärischen und technischen, welche den Auf-
trag erhielten, die Anfragen deutscher Forscher zu beantworten und die
von ihnen gewünschten Abschriften oder Auszüge zu erleichtem. In Rom
ist dafür ja schon von Staats wegen gesorgt durch das preufsische historische
Institut. Ähnliche Einrichtungen in erheblich geringerem Umfange und
ohne die in Rom Vorherrschenden direkten Publikationsabsichten würden
ohne Zweifel in Paris, London und Madrid der deutschen Geschichts-
wissenschaft die allerwichtigsten Dienste leisten können.
(Deutsche Ztg. f. Geschichtswissensch.)
Der rührige Verein „Comenimn'^ in Prag hat zwei weitere stattliche
Bände (VI und VII) publiziert: J. A. Komensk^s „Ecclesiae slavonicae ab
ipsis apostolis fundatae, ab Hieronymo, Cyrillo, Methodio, propagatae,
Monatshefte der Comenins-Oesellschaft. 1898. 22
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308 Nachrichten. Heft 10.
bohema in genta potissimum radicatae, et in unitate Fratrum Bohemorum
fastigatae, brevis historiola", ins Böhmische übertragen von Jaroslav Bidlo,
und J. A. Komensk^s „Haggaeus Redivivus" nach den Manuskripten heraus-
gegeben vom Historiographen Josef Müller in Hermhut. Wir werden auf
die Schriften des Vereins demnächst im Zusammenhang zurückkommen.
In den früheren Auflagen des bekannten Handbuchs von Oberweg-
Heinze} „Grundrifs der Geschichte der Philosophie", war der Name des
Comenius nur gelegentlich bei Aufführung der Schrift von Franz L. Kvet,
Leibniz und Comenius (Aus den Abhh. d. K. Böhm. G^s. d. Wissensch.)
Prag 1857 erwähnt. In die neueste Auflage (Berlin 1888) ist ein Abschnitt
über Comenius als Philosoph aufgenommen (HI, 164). Es ist indessen zu
hoffen, dafs bei der nächsten Auflage dieser Abschnitt eingehender aus-
fallt. Wir wollen hier nur hinweisen auf die Ausführungen von Walter
Müller, Comenius, ein Systematiker der Pädagogik, Dresden 1887,
H. Hahn er, Natur und Naturgemäfsheit bei Comenius und Pestalozzi,
Chemnitz 1890 (Leipz. Diss.) und K. A. Schmid, Geschichte der Erziehung
u. 8. w. III, 2 S. 218.
Wilhelm Tilthej, Einleitung in die Geisteswissenschaften, Bd. I, Leip-
zig 1883, S. 28, bemerkt über die Bedeutung des Bacon und Comenius
für die Gliederung der Wissenschaften Folgendes: „Versuche ..., die Ge-
samtgliederung der Wissenschaften zu entdecken, welche die geschichtlich-
gesellschaftliche Wirklichkeit zum Gegenstande haben, sind von der Philo-
sophie ausgegangen. Sofern sie von metaphysischen Prinzipien her diesen
Zusammenhang abzuleiten versuchten, sind sie dem Schicksal aller Meta-
physik anheimgefallen. Einer besseren Methode bediente sich schon Bacon,
indem er mit dem Problem einer Erkenntnis der Wirklichkeit durch Er-
fahrung die vorhandenen Wissenschaften des Geistes in Beziehung setzte
und ihre Leistungen wie ihre Mängel an der Aufgabe mafs. Comenius
beabsichtigte in seiner Pansophia*) aus dem Verhältnis der inneren Ab-
hängigkeit der Wahrheiten voneinander die Stufenfolge, in welcher sie im
Unterricht auftreten müssen, abzuleiten, und wie er so im Gregensatz gegen
den falschen Begriff der formalen Bildung den Grundgedanken eines künf-
tigen Unterrichtswesens (das leider auch heute noch Zukunft ist) entdeckte,
hat er durch das Prinzip der Abhängigkeit der Wahrheiten voneinander
eine angemessene Gliederung der Wissenschaften vorbereitet. Indem
Comte die Beziehung zwischen diesem logischen Verhältnis von Ab-
hängigkeit, in welchem die Wahrheiten zueinander stehen, und dem ge-
^) Vgl.M.-H.d.C.-G., n.Bd., S. 200.— In der „Zeitschrift für Kirchenge-
schichte" Bd. Xn, 2. Heft, Gotha 1890, S. 362-380 hat Dr. Eduard Bodemann
„Briefe Leibnizens und offizielle Aktenstücke zur Geschichte der Antoinette
Bourignon" (1616—1682) nebst einleitenden Bemerkungen über ihr Leben und
ihre Lehre veröffentlicht, aus denen wir hervorheben : „Dort (in Amsterdam)
entsagte sie dem katholischen Kultus, verkehrte viel mit den Labadbten,
Comenius und anderen Chiliasten, auch mit Cartesianem, konnte aber, da
sie selbst^ ,die Mutter der Gläubigen* und Stifterin einer eigenen neuen
Kirche sein wollte, mit keiner Sekte sich einigen."
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1893. Nachrichten. 809
Bchichtlichen Verhältnis der Abfolge, in welchem sie auftreten, der Unter-
suchung unterwarf: schuf er die Grundlage für eine wahre Philosophie der
Wissenschaften Mill, Littr^, Herbert S p e n c e r haben das Problem
des Zusammenhangs der geschichtlich -gesellschaftlichen Wissenschaften
aufgenommen." 0. Kemper.
Man hat bisher wenig darauf geachtet, dafs Beziehungen der
böhmischen Brüder in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu den
Reformierten am Niederrhein vorhanden gewesen sind und noch weniger
ist es allgemein bekannt, dafs die religiöse Bewegung am Niederrhein bis
zum Jahre 1535 (vor dem Eindringen des Calvinismus) ebenso wie in Hol-
land sich wesentlich in der Form jener Brüdergemeinden vollzog, die
von ihren Gegnern Täufer oder Wiedertäufer genannt wurden und deren
innere Verwandtschaft mit den böhmischen Brüdern schon daraus erhellt,
dafs auch die letzteren bis zum Jahr 1535 die Taufe auf den Glauben
(Spättaufe) übten. Es ist vor kurzem eine kleine Schrift erschienen, die
wichtige neue Beiträge zur Geschichte der Täuferbewegung am Nieder-
rhein enthält, nämlich die Münstersche Dissertation von Karl ßembert, Die
Wiedertäufer im Herzogthum Jülich, Kapitel II und UI. Münster,
Buchdruckerei von Joh. Bredt 1893. Man sieht schon aus dem Titel, dafs
Herr Dr. Rembert zum Zweck der Promotion nur einen Teil (das 2. und
3. Kapitel) einer von ihm fertig gestellten Arbeit zum Druck gegeben hat;
das nicht gedruckte 1. und 4. Kapitel behandeln die wichtige Vorgeschichte
bezw. die Geschichte der Jülicher Täufer von 1550—1705. Es liegt auf der
Hand, dafs die jetzt vorliegenden Kapitel erst im Zusammenhang der ganzen
Arbeit in das rechte Licht treten werden und dafs eine Kritik, die sich
lediglich auf das gedruckte Stück erstreckt, dem Verfasser nur schwer ge-
recht werden kann. Bei der geschichtlichen Bedeutung, die der sog. Ana-
baptismus für die Reformation überhaupt, besonders aber für die nieder-
rheinische besitzt, bleibt die Drucklegung der ganzen Arbeit wünschens-
wert. Wir hoffen auf die Sache zurückzukommen und wollen einstweilen
hier nur die Aufmerksamkeit auf die kleine Schrift lenken. Der Teil der
Rembertschen Arbeit, der gedruckt vorliegt, läfst in Bezug auf Sorgfalt
der Ausführung und Schärfe des Urteils auch für den Rest des Ganzen
das Beste erwarten.
Das (bereits früher angekündigte) Buch von Dr. Alexander Nico-
ladoni, Johannes Bünderlin von Linz und die oberösterreichischen Täufer-
gemeinden in den Jahren 1525—1531 ist nunmehr erschienen. (Berlin SW.,
R. Gärtners Verlagsbuchhandlung 1893, VI u. 314 S. S9). Die Bedeutung
der Schrift liegt darin, dafs durch dieselbe abermals eine bisher wenig be-
kannte, aber sehr merkwürdige Persönlichkeit aus der grofsen Bewegung,
die man unter dem Namen des Anabaptismus zusammenzufassen pflegt, in
helles und zum Teil ganz neues Licht gesetzt wird. Man hatte sich ge-
wöhnt, die Führer jener Bewegung bisher in Bausch und Bogen zu be-
trachten und aufser ihren Namen kannte die allgemeine Geschichte wenig
von ihnen. Seit zehn Jahren sind zunächst Ochino (Benrath) und Denk
22*
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310 Nachrichten. Heft 10.
(Keller), dann Seb. Castellio (Buisson), Seb. Franc k (Hegler), Balth.
H u b m a i e r (Loserth) und j etzt auchBünderlin zum Gegenstand besonderer
monographischer Arbeiten gemacht worden und es stehen weitere bezüg-
liche Arbeiten in Aussicht. Wir kommen auf Nicoladonis Buch zurück.
0. Hnnziker weist in seinem zu Zürich am 18. März 1892 gehalte-
nen Vortrag über Comenius und Pestalozzi auf ein merkwürdiges Urteil
eines schweizerischen Zeitgenossen über Comenius hin. Der zürcherische
Pfarrer Felix Wyss (1596—1666) verfefste im Jahre 1661 einige Distichen
zu der Ausgabe der Janua und des Atrium, die Wilhelm Frey damals ver-
anstaltete. In einem dieser Verse heifst es
Magno Comenio debentur magna
— gewifs ein seltenes Urteil über einen noch lebenden Gelehrten. — Wir
bemerken bei dieser Gelegenheit, dafs wir Comenius gern gelegentlich
im Urteil seiner Zeitgenossen, seiner Freunde wie seiner Gegner, schildern
möchten; eine Zusammenstellung solcher Urteile aus der ganzen Welt
würde gewifs viel Interessantes bieten.
Litteratur über Joh. Valentin Andreae aus den letzten hundert Jahren.
Ein Nachtrag zu dem Artikel Bd. 11 der M.-H., S. 249—253.
1) 1784. J. V. Andreae, Abrifs eines rechtschaffenen und thätigen Christen-
tums. 2. Aufl. Tübingen 1784.
2) 1864. J. Val. Andreae, Das gute Leben eines rechtschaffenen Dieners
Gottes. Neu herausgeg. von J. C. M. Laurent. Stuttgart 1864. Be-
sonderer Abdruck aus Vilmars pastoraltheolog. Blättern.
3) 1873. J. Val. Andreae, Mahnruf an die Diener der evangel. Kirche.
Herausgeg. von Pfarrer Öhler. Stuttgart 1873.
Radlach, Pfarrer in Zethlingen.
Professor Dr. E. Comba in Florenz hat in diesem Jahre eine Ge-
schichte der Waldenser in italienischer Sprache erscheinen lassen, die
Ende dieses Jahres in deutscher Übersetzung vorliegen wird. In der
„LTtalia Evangelica" ist eine Art Vorrede des Verfassers veröffentlicht wor-
den, aus der wir einige Stellen in deutscher Übersetzung folgen lassen:
„Wir sagen hier das, dafs, nachdem die Waldensergeschichte von hun-
dert Schriftstellern geschrieben worden ist, es sich hier zum erstenmal
darum handelt, dieselbe vollständig und auf Grund einer geduldigen Quellen-
sammlung zu erzählen.** „Diese Versicherung möge weder zu kühn noch
paradox klingen. Es ist eine sehr einfache Thatsache. Unter den vielen
Geschichtsschreibern, die an* die sogenannten „undenkliche** Zeit fest ge-
glaubt haben und gern von ihr sprechen, giebt es nicht einen, der sie
eigentlich schildert. So sagte noch vor vierzig Jahren ein Mann, der die
Waldenser sehr liebte und Waldenser unter seinen Schülern hatte, als er
der Kollege Vinets zu Lausanne war, und sich für ihre Mission interes-
sierte und über die Waldensergeschichte schrieb und seine Schriften von
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1 893. Nachrichten. 311
manchem in Italien, von Viktor Emanuel angefangen*), verehrt sah,
der Professor J. J. Herzog: ,Sicher ist, dafs die alte Geschichte der VVal-
denser noch zu schreiben ist/ Wenn sie nicht geschrieben wurde, wurde
sie doch studiert. Der gegenwärtige Versuch, diesen Teil der allgemeinen
Waldensergeschichte zu erzählen ist eine Frucht, man verstehe wohl, der
vergleichenden Prüfung der bis jetzt angestellten Nachforschungen. . . ."
„Ferner war auch die Epoche der Reformation sehr unvollkommen ge-
schildert, und auch da benutzten wir die von den Spezialgelehrten erziel-
ten Resultate. Bezüglich der Zeiten, welche die Reformation von der
französischen Revolution trennen und dieser folgen bis zum Jahre der Ver-
fassung und der Waldenseremancipation gab es nicht viel Neues zu sagen.
Muston, Monastier und Bert haben sich wahrhaftig hinreichend infonniert
gezeigt. Nichtsdestoweniger handelte es sich auch hier darum, einige
Schlufsfolgerungen zu werten und die Erzählung da und dort klarzustellen
und zu vervollständigen. Endlich stellten die bedeutsame Epoche der Ver
kündigung unserer Freiheiten, die Anbahnung der Waldensermission, ihre
Pflanzung, die entstandenen Spaltungen und die Diskussion, die darüber
entstand, ein sehr bedeutendes Moment für eine aufmerksame Prüfung dar.
Diese Prüfung lieferte den Stoff zu einer neuen Seite, wenigstens für die
jungen Leser." Gerber, Pfarrer.
Zur Nachrieht.
Auf Grund des § 17 der Geschäftsordnung für den Gesamtvorstand
der C.-G. übernimmt der unterzeichnete Vorsitzende vom 1. Jannar 1894
an die Herausgabe der Monatshefte unter Mitwirkung des Redaktions-
ausschusses und eventuell eines stellvertretenden Schriftleiters.
Es werden vom genannten Zeitpunkt an einige wichtige Änderungen
eintreten:
1. Gröfsere QueUenstttcke^ die wir bisher in der Abteilung „Quellen
und Forschungen" gebracht haben, werden in Zukunft den Einzelschriften
der C.-G. zugewiesen werden. Kleinere Quellenstücke (Briefe u. s. w.)
werden unter den „Kürzeren Mitteilungen" erscheinen.
2. Der dadurch gewonnene Raum wird der Abteilung Abhandlung^
nnd Aufsätze zu gute kommen.
^) Im September d. J. weilte König Humbert I. in den Waldenser-
thälem und wurde hier von den Waidensem mit Herzlichkeit begrüfst.
Humbert verkehrte mit den königstreuen Waidensem mit grofser Leutselig-
keit und nannte sie „primissimi" d. i. die allerersten unter seinen Unter-
thanen. In Torre Pelfice betrat der König die „Casa Valdese", zu deren
Bau er beigetragen hatte und in der u. a. zahlreiche Denkwürdigkeiten
aus der Verfolgungszeit ausgestellt sind. ,
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312 Nachrichten. Heft 10.
3. In der Abteilung Litteratnrberieht, die gegen früher eine Erweite-
rung erfahren wird, soll über die gesamte litterarische Thätigkeit, die auf
dem Forschungsgebiet unserer Gesellschaft herrscht, thunlichst genau Buch
geführt werden; die Begutachtung wird in die Hände angesehener Fach-
männer übergehen.
4. Die Schriftleitung wird denjenigen Teilen unseres Arbeitsgebiets,
die für die Historiker, die Philosophen und die Pädagogen in gleicher
Weise von Bedeutung sind, ihre besondere Aufmerksamkeit zuwenden.
Zu den Fragen, die auf den genannten Gebieten heute die Wissenschaft be-
wegen, werden wir auf Grund der comenianischen Weltanschauung, die
für unsere Gesellschaft das einende Band bildet, klar und bestimmt Stellung
zu nehmen suchen.
5. Die Ausgabe der Hefte wird regelmäfsig zum Beginn des Monats
erfolgen. Die Ausgabe von Doppelheften bleibt einstweilen beibehalten.
Münster, am 20. November 1893.
Archivrat Dr, Keller,
Vorsitzender der Comenius-Gesellschaft.
Pierer*8oh« Hofbaohdruckerel. Stephan Geibel & €k>. in Altenbuxg.
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Personell- und Orts -Register
zum zweiten Band (1893) der Monatshefte.
Das RogistfT iBt im Hinblick auf die Namen geschichtlicher Personen und Ortsnamen bearlieitt't.
Namen von Personen und Orten, die eine historische Bedeutung im Zusammenhang unserer
Forschungi'n nicht besassen, sind w<'gg(?blieben.
Die Buchs talien C und K, F und V, I, J imd Y sind verbunden.
A.
Abel, E. 297.
Abel, Jac. 233. 235.
Adiutus, Jos. 234.
Adler, Felix 35.
Agricola, Rud. 2G2. 270. 299.
Ahrens, H. 196.
Albertus, B. 235.
Albertus, G. 230.
Alfeus, Ezechiel 282.
Altdorf 130. 172.
Amsterdam 15. 17. 47. 132. 180.
245. 273 ff.
Anabaptistae 270. (s. Cata-
baptistae.)
Anderson 195.
Anderssen, C. 247.
Anderasen, O. 248.
Andreae, Karl 240.
Andreae, Victor 250.
Andreae, Gottl. 233. 234.
Andreae, Jac. 127. 234. 230.
Andreae, Job. Val. 57 ff. 127 ff. 131.
149. 186 ff. 203. 233 ff. 238. 249 ff.
310.
Andreae, Jul. 2^38.
Andreae, Maria 251.
Andreae, Paul 233. 235.
Andreae, Tobiaf» 59.
I Angelin, Job. 234.
i Aretius. Benedict 299.
i Arndt, Job. 25. 2J). 05. 00. 94. 189.
Arndt, Tbeod. 148.
I Arnold, Gottfr. 64.
I A ron. Eich. 140.
, Asseburg, Edelfräulein von 03.
Assum, Crafto 237.
, Assum, Job. C. 237.
Augsburg, 289.
' August, Herzog von Braunscbweig
u. Lüneburg 57. 58. 06. 07. 251.
1 B.
i Bab, Christ. 233.
Bach, Job. Seb. 02.
Baco, R., von Vcrulam 23. 24. 74.
I 75. 102. 200. 205. 308.
' Baehring, B. 89. 214 ff.
Bahlmann, P. :300.
I Bayly, Lewis 02.
Baibin US, Aloys Boleslas, 8. J. 3.
Bamberg 92.
Bardeen, C. W. 88.
Barrili, iVnton Giulio 297.
Basedow, Job. Bcnib. 97.
Bassermann, H. 254.
Beard, Charles 89.
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314 —
Bebenhausen 236.
Beck, H. 62. 172.
Beck, J. von 82. 93. 148. 287. 290.
Below, G. von 198.
Bender, Herrn. 253.
Ben gel 252.
Beninga, Eggerink 53.
Benoist, A. 299.
Benrath, K. 89.
Berbisterfius, Ehrenfried 43.
Berchtold, Andr. 235.
Berlin 9. 15. 49.
Bert 311.
Bertram, J. G. 64.
Besoldus 237.
Bezold, Fr. von 198.
Biberstein, Paul 233.
Bielefeld 62.
Bielsky, Wenzel Gottfr. 282.
Biestkens, Nie. 53.
Bilffinger, Wendelin 235.
Birger ab Ayb, Joh. Alb. 233.
Bisterfeld, Joh. 183.
Blahoslav, Joh. 96.
Bode, Wilh. 292. 293.
Boeclerus, Joh. Heinr. 237.
Böhm, Joh. 247.
Bömer, A. 297 ff. 300.
Boyle, Rob. 200.
Bolte, Joh. 298.
Bougre, Rob. le 90.
Bourignon, Antoinette 308.
Bouterwek, Fr. 195.
Brandes, D. 254.
Breckling 62. 135.
Bredenbach, M. 299.
Brescia, Arnold von 91.
Breslau 61. 227.
Breuning, CJonr. 237.
Brixen 82. 84.
Brotbeckh, Joh. Conr. 237. 2m,
Brown, H. 299.
Brügel, Jul. 249 ff. 253.
Brun, Thom. 134.
Brunchorst, Hofpredigor 284.
Bruno, G. 90. 200.
Bruno, Jac. 236.
Butzer, M. 236. 237.
Buchanan, G. 299.
Buchstab, Joh. 168.
Bud6, E. 299.
Bud6, Guillaume 299.
Budovec, Wilh. 96.
Bückeburg, Graf u. Gräfin von 97.
Bülzinger, Wendelin 233.
Bünderlin, Joh. 50. 199. 309.
Bullinger, Heinr. 237.
Bunsen, Christ. Carl Josias Frei-
herr von 214 ff.
Burckhardt, A. 301.
Bussy, J. J. de 90.
Butler, Nicholas Murray 88.
ۥ K.
Cavazzoni, G. 301.
Kaiser, Joh. 234.
Kayser, W. 101. 102. 103.
Calerius, Abraham 237.
Calesius, Lucas 282.
Calvin, Joh. 60. 71. 129. 130.
Calixtus, Georg 28. 30. 57. 58. 65.
97. 130. 135. 236. 237.
Calixtiner 165.
Kallenbach, J. 298.
Calw 68.
Camerarius 270.
Campanella, Joh. 187.
Campe, Joachim H. 97.
Kampen, J. Albert van 16.
Kan, J. B. 300.
Kant 47. 92. 93. 122. 126. 144. 197.
200. 204. 205. 208. 209.
Capharsalama 186 ff.
Capito, Wolfg. F. 237.
Cappelbeck, Jac. 237.
Karl IV., Kaiser 152.
Karl V., Kaiser 91.
Karl, Pfalzgraf bei Rhein 237.
Karl, Kurprinz von der Pfalz 51.
Karl August, Grossherzog von
Sachsen -Weimar 257.
Karl Gustav, König von Schweden
226. 227. 228.
Caro, Jak. 198.
Carri^re, Moriz 215. 297.
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315 -
Cartesius 209.
Cassander, Georg 30.
Kassel 15. 62.
Castelli, Graf W. G. 237
Castellio, Sebast. 310.
Catabaptiatae 130. (h. Ana-
baptistae.)
Kchrbach, Karl 91.
Keyser, Job. 235.
Cellarius, Mich. 237.
Keller, A. 301.
Keller, G. H. 234.
Keller, Ludw. 1 ff. 47. 48. 53. 54.
90. 186. 190.
Geltes, Conr. 265. 298.
Kemper, O. 186 ff. 308. 309.
Kepler, Job. 97.
Khevenbüller, Familie von 133.
Chesnel, Friedr. 235.
Christian, Herzog von Braiin-
schweig u. Lüneburg 64.
Christiania 248.
Christoph, Herzog von Württem-
berg 236.
Christoph, K. 93. 286.
Kieferndorf, Ph. 92.
Kies, Job. 235.
Kircher, Job. 235.
Cisaf , Ferd. 303.
Kitzbüchel, Stadt i. Tirol 82. 83.
Kleinert, Paul 58. 62. 69. 135. 181.
Klette, Tb. 298.
Klettenberg, Fräulein von 111.
113. 115. 119.
Klika, Joe. 256.
Klobusitz, Andr. 179. 183.
Klopstock 109. 115.
Klosfe, Edwin G. 88.
Kluckhohn, Aug. von 198.
Cludi, Petrus 233.
KnoU, Job. Eberh. 234.
Knudsen, D. F. 14.
Cobham, Lord 166.
Koch, Wilh. 234.
Codemanus, Laurent ius 237.
Königsberg i. Pr. 203.
Colbovius, Petrus 141.
Colet 91. 298.
I Comba, E. 310.
Konstanz 153.
1 Coornhert 200.
Kopp, Eberh. 234.
Cord US, Euricius 298.
Kornbeckh, Job. Samson 235.
Kornnauer, Mart. 234.
Kotter, Christoph 96. 137. 142. 148.
183. 184.
Krakau 139. 226. 227. 228.
Kral, Hans 84.
Kr äfft, Job. Christoph 234.
Cram, Fritz v. 237.
Cratzsch, G. 65.
Kraus, Ebsabeth 133.
Krause, Job. Werner 284. 285. 286.
Krause, Karl 298.
Krause, K. Chr. Fr. 2. 92. 191. ff.
250. 305.
Kreidemann, Job. Conr. 238.
Creidius, Hartmann 237.
Kretzmaier, Balth. 234.
Criegern, H. F. v. 58. 60. 127.
128. 131. 149. 190. 252.
Kritodoulos, Isaak 237.
Cronegk, J. 237.
Crotus 299.
Krüger, G. 91.
Krüger, J. P. 235.
Cubach, Buchhändler 63.
Kübel, F. 16.
Kübel, Rob. 252.
Kuencn, A. 92.
Cunaeus, Nicolaus 235.
Curacus, Nicolaus 233.
Kvacsala, J. 39 ff. 73 ff. 1.36 ff.
178. 186. 190. 198. 200. 226 ff. 239.
240. 242. 247. 256. 258. 273 ff. 305.
Kvet, F. L. 308.
Dachsberg, Familie v. 133.
Davidis, Franciscus 45.
Dalberg, Job. v. 266.
Damhauer, Job. Conr. 236.
Dannenritter, Job. Jac. 235.
Dantiscus, Job. 298.
Danzig 15. 42. 43. 139. 140.
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— 316
Deckinger, Joh. 133.
Demeler, Anastasiuß 237.
Demmeler, Josephus 235.
Denck, Hans .50. 91. 309.
D^saguliers, Joh. Theoph. 195.
Deflcartes 97. 199. 200.
Detmer, H. 287 ff.
Dicescu, To'ma 293. 294.
Dicsterweg, Adolf 224.
Dietericus, Conradus 236.
Dietrich, Veit 236.
Dietrichstein, v. 133.
Divis, Jos. 92.
Dilger, Daniel 129.
Dilger, Joh. 236.
Dilger, Nathan 236. 237.
Dilherr, Joh. Mich. 51. 237.
Dilthey, Wilh. 308.
Distel, Th. 301.
Dittes, Fr. 247.
Docem, J. 102.
DöUinger, J. v. 31. 32. 90.
Dörpfeld, F. W. 90. 290.
Dörtenbach, J. 235.
Döselius, Conrad 233.
Döselius, Michael 233.
Dolmetscher, Marcus 238.
Domcrailius, Tobias 233.
Dorner 130.
Dorscheus, Joh. Georg 236. 237.
Drabicius, Nicolaus 95. 96. 137.
142. 179. 180. 181. 183. 184. 240.
241. 277. 278. 279. 280. 281.
Dreyer, O. 90.
Dresden 48. 49.
Dürken, W. 247.
Du raus Joh. 57. 62. 74. 77. 230.
Eberken, Joh. 236.
Eberlin, Joh. 299.
Eck, Dr. 298.
Eckhardus, Melch. Sylv. 235.
Eckhart 25. 50.
Evenius, S. 102. 169. 170.284.285.
Effern, Heinr. 233. 234. 235. 236.
Ehingcr, Elias 237. 238.
! Ehlers, Rud. 90.
Eibenschütz 96.
Ey sengrein, Joh. Mars. 233.
Elbing 1.5. 59. 60. 79. 136 ff.
Elermejer, Joh. 235.
Elisabeth Charlotte von der Pfalz
51.
Elisabeth Dorothea, Prinzessin von
Sachsen -Weimar 170. 171.
Ellema, Pomponius 237.
Ellissen, O. A. 90.
Elsaesser, Simon 233.
Eisner, Joh. Theoph. 147.
Endter, Joh. Friedr. 51. 61.
Endter, Michael 51. 61.
Endter, Wolfg. 169. 172.
Endter, Gebr. 133.
Eperies 44.
Episcopius, Simon 28.
Erasmus, Desiderius 93. 97. 229.
264. 288. 297. 299. 300.
Erdmann, Benno 92.
Erhardt, Georg 2,36.
Erichson, A. 301.
Ernst der Fromme, Herzog von
Sachsen-Gotha 169. 170. 171.
172. 173. 284. 285.
Ernst Friedrich, Markgraf von
I Baden -Durlach 301.
Esenwcin, Erasmus 2.33.
Esenwein, Georg 234. 238.
Esenwein, Joh. Georg 233.
Euler 90.
Ewald, Gregorius 285. 286.
I F. V.
Faber, Heinr. 236.
, Faber, Joh. Heinr. 238.
Faber, Joh. Matth. 233.
Faber, Matthaeus 235.
Fabri, Friedr. .3. 4. 16. 47. 48.
Fabricius, Joh. Andr. 9.5. 1.30.
Fabricius, Jac. 236.
Faeschius, Josua 235.
Falkenheiner, Dr. 16.
Valerian, Kapuziner 242.
Valerianus Magnus 1.38. 139.
Valla, L. 301.
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- 317
Varenbüler, Matthaciis 2M.
Fauler, Georg 233.
Vechner, David i02.
Vcchner, Georg 102.
Fechtner, E. 247.
Fehr, Pa>«tor prim. 255.
Feith, P. R. 90.
Felgenhauer, Paul 43. 44. 45.
Felinos, Joh. 278.
Ferdinand, König 83. 290.
Ferdinand IL, Kaiser 132. 133.
Ferdinand III., Kaiser 67.
Ferdinand, ?>zherzog 83.
VernuläuR 271.
Vetter, Joh. 234.
Vetter, R. 197.
Vetter, Mitglieder der Familie 40.
41.
Vetterinus, Paulus 95. 278. 279.
280. 282.
Feuerbach, A. 247.
Fichte, Joh. Gottl. 97. 144. 197. 200.
Victor Emanuel, König von Italien
310.
Vico, J. B. 213.
Vieillot, Jos. Heinr. 235.
Vives, Joh. Ldw. 263. 2(34.
Filelfe, Fran^ois 300.
Villari, Pa«quale 14.
Finck, Thomas 237.
Fischer, K. 90.
Vi scher, Jac. 236.
Flemming, Theodor 234. 23S.
Flügel, O. A. 90. 2<)5. 303.
Vogt, Gideon 103. 283. 299.
Voigt, E. 300.
Volmar, Joh. Georg 235.
Voltaire 113.
Fortius, Joachim 183.
Foster Watson, M. A. 248.
Votsch 300.
Franck, Ferd. 92.
Franck, Heb. .50. 97. 199. 309.
Francke, A. H. 62. 90. 97. 108.
135. 173.
Frankenthal 51. 52.
Fra necker, Sta<^U i. Holland 227.
Frankfurt a. M. 108. 111. 11.3. 115.
Frederichs, Jul. 90.
Fredericq, Dr. Paul 91
Frey, Wilh. 310.
Frerichs, G. E. 91.
Frick, Georg 91.
Frick, Otto 16. 91. 306.
Friederich, König von Böhmen 39.
Friedrich Wilhelm III., König
von Preussen 30.
Friedrich Wilhelm IV., König
von Preussen 210.
Friedrich der Weise, Herzog von
Sachsen 300.
Friedrich, J. 90.
Frischlin 267. 270.
Frischmann, Joh. 238.
Frison, Petrus 234.
Fritze, Georg 22.
Fritzsche, O. F. 300.
Fröbel, Friedr. 2. 48. 49. 217. 222.
306.
Fürstenberg, Franz v. 90.
Fulanus 236.
Fulneck 15. 68.
O.
Galius, J. 102.
Gallitzin, Fürstin 210.
Gallois, 297.
Gänsen, J. 301.
Gastpurus, F. 235.
Gebhardt, Oscar v. 91.
Geer, Lorenz de 58. 95. 96. 242.
Geer, Ldw. de 58. 78.
Geiger, L. 297. 301.
Geilfuss, Joh. 238.
Geinbach, Joh. Adam 234.
Geliert, Chr. F. 109. 110.
Georgi, Daniel Samuel 187.
Gerber, Pfarrer 311.
Gervinus 211. 264.
Gerlach, Samuel 234.
Gerlach, Stephan 235. 237. 238.
Gertichius, D. 226.
Gesenius, Justus 65.
Giech, Graf v. 134.
Gi essen 283. 284.
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— 318 —
Gillert, K. 301.
Gindely, Ant. 198. 239 ff. 244. 247.
Gizycki, George v. 35.
Glarean, H. L. 300.
Glöckberg 235.
Glöckler, Job. Phü. 252.
Glöckner, G. 299.
Gnapheus, Gull. 298.
Gobelinus, Job. Conr. 235.
Gockelius, Baltb. 236. 238.
Goebelius, Job. Conr. 236.
Göscbl, Martin 289.
Goetbe, J. W. v. 105 ff. 208. 209.
213. 252. 257. 285. 286.
Gosky, Martin 238.
Graue, G. H. 91.
Grebel, Conrad 288.
Gregor, Francis A. 88.
Grieninger, Erasmus 236.
Grieninger, Josua 236.
Griesinger, Onophrius 84.
Grillenberger, G. 247.
Grotiuß, Hugo 200. 271.
Grünberg, Paul 91.
Grüneisen, Carl 250. 251.
Grundig, F. 85.
Gubrauer, G. E. 81. 251.
Gussmann, Wilb. 187. 189. 190. 252.
Gustav Adolph, König von Schwe-
den 39. 169. 241. 303.
H.
Haakius 74.
Haag 47.
Haarhaus, Jul. R 300.
Habnerus 74.
Habsburg, Haus 240.
Hähner, H. 308.
Hafenreff er, Matthias 128. 234.235.
Hagelmeier, Nicolaus 235.
Haylandt, Samuel 237.
Hainhofer, Hieronymus 238.
Hainlin, Job. Jac. 234. 235.
Halle 15. 169. 293. 294.
Hamann, Job. Georg 97. 111. 114.
201 ff.
Hanisch, Job. Gottfr. '284.
! Hannack, E. 255.
Hanne, J. R. 36.
Hannover 65.
Hanus, Paul H. 88.
Hark, John Max 88.
Harisson, N. 76.
Harnack, Adf. 91.
Harpprecht, Christoph 235.
Harris, W. T. 14.
Harsdörfer, Georg Phil. 238.
Hartenstein, G. 91.
Hartf eider, Karl 91. 298. 299.
300. 301.
Hartlieb, S. 42. 74. 77. 102.
Hartmann, Gust. 81. 82.
Hartmann, Jul. 251. 253.
Hase, Karl v. 91.
Haspelmacber, Job. 236. 238.
Hatch, E. 91.
Hauffe, Gußt. 291.
Hauptmann, Aug. 61.
Hausrath 91.
Heath, Rieb. 50. 91.
Heberstein, Familie v. 133.
Heermann, Job. 61. 133. 134.
Hegel 208.
Hegler, Alfr. 50.
Heidelberg 20. 237. 258. 297. 298.
Heiland, Polycarpus 238.
Heinrich, G. 14.
Heinrichs, R. 299.
Heinsius, Daniel 271.
Heinzclmann, W. 105.
Hell wag, Job. 234. 235.
Helmstädt 135.
Helwig, Christoph 103.
Hemsterbuis 97. 210.
Henke, E. Ldw. Tb. 57. 58. 66. 127.
130. 251. 252.
Henisius, Job. 238.
Henner, C. 91.
Henoldus, Jac. 236.
Henrich, Josua 235.
Herbart, Job. Frdr. 91. 93. 200.
290. 295.
Herborn 20. 103. 258.
Herder, J. G. 92. 97. 114. 119. 144.
205. 208. 209. 249.
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819
Hermann, Max 298.
Hermsdorf, Jac. 236.
Herold, H. 247.
Hertzberg, N. 247.
Herzog, J. J. 57. 130. 131. 310.
Hesenthaler, Magnus 1)7. 180. 190.
235. 238.
Hess, Tobias 237.
Hessus, Eobanus 97.
Hiemer, Job. Conr. 235.
Hillerus, Job. Pbil. 235.
Hilty, C. 304.
Hingst, S. J. 4. 16. 47. 48. 90 91.
Hipler, Fr. 298.
Hladik, Paulus 137.
Hocbegger, Rud. 91. 290 ff.
Hocbbutb, K. W. 251.
H odermann. Rieb. 304.
Höe V. Hobenegg 129.
Hoeven, Amorie van der 27. 28.
Höpfner, Dr. 14.
Hoff, Hieronymus im 238.
Hobburg, Cbristian 64.
Hobenbeim, Tbeopbrast v. 129.
Hoblfeld, Paul 92. 191 ff. 305.
Holstein, Hugo 298. 302.
Holtzmann, O. 91.
Honold, Job. 235.
Honoldus, Jac. 238.
Hopfer, Tbomas 238.
Hopff, Job. Cbristopb 234.
Horatscbek, Paulus 282.
Horscb, Jobn 304.
Hossbacb, Wilb. 58. 127. 128. 250.
Hostelsberg, Familie v. 133.
Hotton 59.
Houven, van der 130.
Huber, Bartbol. 237.
Huber, Cbristopb 168. 169.
Hubmai er, Baltbasar 92. 148. 287. ff.
310.
Hueblin, E. 298.
Hübscb, G. 92.
Hüllemann, Carl 149. 186. 187.
190. 252. 253.
Httniger, H. 192.
Hulsemann, Job. 238.
Humbert I., König von Italien 311.
Hume, David 209.
Hummel, F. 84. 92. 253.
Hunziker, O. 93. 247.
Hus, Job. 60. 71. 129. 138. 152.
153. 154. 155. 156. 162. 163. 165.
166.
Hut, Hans 289.
Hütten, Ulr. v. 297. 299. 300.
Hutter, Jac. 84.
J. I.
Jablonsky, D. E. 135.
Jackson, S. M. 98.
Jacobi, Fr. H. 97.
Jacoby, Fr. 208. 210.
Jan US 90.
Jastrow, J. 92.
Jebb, R. C. 300.
Jeffon, Tobias 282.
Jena 283. 284.
Jireßek, H. v. 14.
Imboff (8. Hoff.)
Innicben, Stadt i. Tirol 82.
Innsbruck 82. 83. 84.
Joacbimstbal 298.
Jörger, Familie v. 133.
Jobann Ernst, Prinz von Sachsen-
Weimar 170. 171.
Jordan, Sylv. 82.
Josepb II., Kaiser 63.
Israel, A. 101. 102. 103.
Jungius, Joacbim 103. 306.
Juni US, Sam. 95. 278.
Just, Karl 94. 296.
Justinus, Laurentius 141.
Labadie, Jean de 62. 98. 99.
Labanca, B. 99.
Längin, Tb. 92.
Laetus, Pomponius 301.
! Lavater 97. 119.
j Lagard e, Paul de 92.
I Lay, W. A. 294. 295.
Laynarius, Antbonius 238.
Laminit, Micb. 236.
Lammers, Aug. 16.
i Landenberger, Alb. 252.
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B20
Landwehr, Hugo 254. 305.
Lang, Abraham 285.
Lang, Ossian H. 88.
Lange, Karl 291. 292.
Lange, Frdr. Alb. 90. 259 ff.
Langius, Joh. 236.
Langius, Joh. Wendelin 235.
Lansius, Thomas 128. 238.
Latermannus, Joh. 236.
Latt, W. 86.
Land, W., Erzbischof 78.
Lauremberg, Petrus 67. 70.
Laurie, S. S. 88.
Laurinus, Paulus 282.
Lautensack 129.
Lea, Henry Charles 92. 305.
Lednic (?) 280. 281.
Lefranc, Abel 300.
Legrand, E. 300.
Leibniz, G. W. 13. 23. 24. 30. 81.
82. 90. 93. 97. 122. 126. 135. 199.
200. 209. 292. 308.
Leibniz, Justus Jac. 236.
Leiden 47.
Leiningen, v. 133.
Leipzig 15. 236.
Leyser, Polycarp 237.
Lentz, E. 87.
Leonhardi, Herrn, v. 1. 2. 195. 196.
Leschenbrandt, Conrad 238.
Lessing, G. E. 97. 105. 110. 208.
Lesczinsky, siehe Lissa, Grafen v.
Lettau, Fr. 201 ff.
Leutbecher, J. 196.
Liechtenberg, Familie v. 133.
Lincoln, Bischof v. 77.
Linde, Georg 234.
Lindner, G. A. 20. 205. 206. 207. 209.
Lion, Th. 101.
Lipsius, Justus 271.
Lissa, Grafen v. 44. 133.
Lissa 15. 22. 43. 44. 78. 133. 134.
135. 139 ff. 186. 226 ff. 241. 242.
245. 247. 258. 305.
Locke, John 200.
Loesche, G. 92. 298.
Löwen 271. 272.
I London 73. 74 ff.
, Lorenz, Leonh. 234. 235.
Loserth, Joh. 82. 92. 148. 151 ff.
; 198. 287 ff.
Lubienietski, Herr v. 136.
Lubinus, Eilhard 167.
Luckfiel, Ernst 52.
Lübeck 135.
Lücke, Frdr. 28. 93.
Lüneburg 57 ff. 127 ff. 135.
Lütkemann 65.
Luther, Matthäus 236.
Luitpold, Prinzregent von Bayern
218.
Luther, Martin 50. 53. 60. 67. 68.
69. 70. 71. 82. 92. 94. 97. 99. 128.
129. 130. 133. 135. 166. 169. 173.
188. 2-28. 249. 255. 256. 288. 299.
Lutz, Christoph 235.
ack, Christoph 236. 238.
acer. Beb. 184. 185.
achtolphus, Erhard 235.
ämpel, Karl 27.
ändl, Hans 84.
aestlinus. Mich. 237.
agdeburg 283. 284.
ay, Ludewicus de 238.
aicterus, Georg Conr. 235.
air, Joh. 236. 238.
ancini, Girol 301.
anz 288.
arci, Joh. Comel. 234.
arcionistae 45.
M
M
M
M
M
M
M
M
M
M
M
M
M
M
M
M
M
M
M
M
M
M
M
M
M
M
M
arenholtz, Hertha v., geb. v.
Bülow 48. 49.
aronier, J. H. 50.
arpachius, Joh. 236.
arquart, Bnino 16.
asius, Herrn. 93. 149. 298.
atthesius, Joh. 92. 237.
axwell, W. H. 88.
echeln 271. 272.
ederus, Georg 237.
edfiansk]^ 95.
egenberg, Konrad 168.
ehlführer, Christoph 236. 2m.
eyer, Joachim 171.
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— 321 —
Meycr-Markau, Wilh. 85. 91.
Meyerberg, C. J. 14.
Meyfart, Joh. Matthaeus 65. 129.
Meinhard, M. 237.
Meister, Ferd. 305.
Melanchthon, Phü. 58. 59. 92. 97.
130. 236. 237. 270. 298. 300.
Meldenius, Rupertus 28. 29. 30.
Mendelius, Petrus 238.
Mennoniten 130.
Mentzer 236.
Meran 82.
Meseritz 44.
Messerschmidt, Chorherr 82.
Michelsen, Carl 305.
Michobius, Hector 238.
Milbauer 246. 256.
Mirandula, Picus 298. 301.
Missicz, Jac. 234.
Mochinger, Joh. 102.
Möglingus, Heinr. 235.»
Möglingus, Joh. Lud. 235.
Mohl, Robert 250.
MoUat, Georg 81. 82. 93. 197. 305.
Moller, Martin 63.
Monastier 311.
Monroe, WilL S. 85. 88. 306.
Montaigne, M. E. 247. 299.
Montgomery, Graf 96.
Moscherosch, J. M. 238.
Morus, Thomas 187.
Moser, Friedr. Karl. v. 111. 208.
Mucke, Prof. 197.
Mühlhausen i. Thür. 15.
Müller, David 61.
Müller, G. 254.
Müller, Jos. 254. 308.
Müller, Walter 308.
Münzer, Thomas 288.
Mürdel, Georg 235.
Muratori, L. A. 199.
Muretus 95. 301.
Murmellius, Joh. 300.
Musculus, Andreas 236.
Musculus, W. 237.
Muston, A. 311.
Mutianus, C. 301.
N.
Naarden 20.
Naogeorgius, Thomas 237. 298.
Naschold, Georg 235.
Neander, A. 213. 270.
N^ve, F. 299.
Neff, J. 302.
Nethe, Abraham 234.
Neubauer, Joh. 92.
Neuenahr, Graf Herrn, v. 97.
Neufeld, Huldricus 139.
Neuland, Oberst a. D. 16.
Neuw, ä. 238.
Nicoladoni, Alexander 199. 309.
Nicolai, Melchior 236. 238.
Nicolsburg 289.
Niebuhr, B. G. 209.
Niemeyer, A. H. 293. 294.
Nigrinus, C. 97.
Novdk, J. V. 243 ff. 256.
Norköping 78. 79.
Nowotny, J. 148.
Nürnberg 15. 51. 127 ff. 140. 172.
O.
Ochino 309.
! Oehler, V. F. 252. 299.
I Oehler US, Georg 238.
' Omeis, Heinr. 236. 238.
Oncken, Wilh. 198.
I Opalinsky de Bnin, Christoph 139.
Opitz, Martin 61.
j Orminius, M. 43.
Osi ander, Daniel 235.
Osiander, J. B. 235.
Osiander, Lucas 235. 337.
Ostorodius 53.
' Ostrorog 39.
Oxenstiema 78.
Pabst, Carl Theodor 250.
Palacky 244.
Palmer, Ch. 252.
Pappen heim, Eugen 306.
Paracelsus siehe Hohenheim.
i Pardo de Barzan, Emilia 299,
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322 —
Patera, A. 51». 180. VM
Paul, J. 208.
Paulsen, Friedr. 93.
Peiper, W. 86.
Pelleus 74.
Pembrock, Graf 06.
Pestalozzi 93. 247. 291. 294. 308.
310.
Petersen, W. 63. 135.
Petri, Olav 255.
Petrus, Job. 236.
Peutinger 97.
Pfaff, Job. Wilh. 235.
Pf in tzing, Christophor. Godefr. 238.
Pfistcr, Tobias 234. 238.
Pfitz, Albert 235.
Pfleiderer, Otto 93. 144.
Pbilelpbus, Franciscus 298.
Pbotinus 45.
Pilsina, Nicolaus 282.
Pypin, Schriftsteller 216.
Pirkbeimer, W. 97.
Platter, Felix 301.
Platter, Tb. 301.
Poemer, Hector 236.
Politianus, Angclus 298.
Poniatovia, Cbristina 40. 137. 142.
148. 183. 184.
Posen (Stadt) 11. 15.
Prätorius (Scbulze), Elias 64.
Prätorius, Stepban 68.
Prag 1. 15. 65. 166.
Prank, Familie v. 133.
Praunfalk, Familie v. 133.
Pregitzer, Job. Ulric 235.
Prerau 15.
Preuscbcn, E. 91.
Pröblc, 61.
Prümers, R. 11. 52.
Pucov (Mäbren) 1^0. 281. 282.
Puecber, Job. 234.
Puritaner 130.
Q.
Quick, R. H. 16.
Raab, Georg 235.
Rabelais 299.
Raßki, A. 54.
Räköczi, Georg 96. 277. 279.
Räköczi, Sigismund 14L 142. 178.
179. 180.
Rakow, Stadt i. Polen 45.
Radlacb, O. 57. ff. 127. ff. 310.
Rägknitz, Gallus v. 134. 172.
Rägknitz, Freiberm v. 133.
Rafanides, Georg 95.
Ravius, J. 102.
Raitb, Baltb. 234. 235.
Rappold, Prof. 203.
Raticbius, Wolfgang 79. 93. 101.
102. 103. 270. 283 ff.
Raucbenberg, v. 133.
Raum aj er, Pbil. 235.
Raum er, Karl v. 168. 264. 269.
Rauscb, 5llfr. 306.
Bauwenboff 36.
Rebstock, Jerem. 234. 235. 238.
Reczik, Herrn v. 136.
Redinger, Jacob 51. 52. 147.
Reyber, Andreas 284. 285.
Rein, W. 93. 94.
Reindell, Wilb. 299.
Reinecke 16.
Reinius, Cassiodorus 303.
Reiscb, Gregor 301.
Reiscb siebe aucb Reuscb.
Rembert, Karl 309.
Renan, Ernst 144.
Reucblin 97. 262. 265. 266. 270. 301.
I Reuscb, Jean Jacques 238.
Reusebern, Martinus 238.
Reuscberus, J. M. 238.
Rcussner, Nicolaus 301.
I Rbebinder, Peter 64.
I Rbegius, Urban 82.
Rbeinwald, F. H. 128. 250.
Rbenanus, B. 301.
Ricbter, Alb. 90. 167 ff.
Ricbter, Artbur 300.
Ricbter, Präsident 15.
. Riebl, A. 29.5.
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323
Risch, Paul 22.
Riaenburg 43.
Rissmann, R. 85.
Ritschi 90.
Robert, Ed. 16.
Röther, Val. 234.
Roublin 288.
Rovers, M. A. N. 27 ff.
Rogge, Dr. 17.
Rohmeder, Wilh. 87.
Rollenhagen, Greorg 237. 270.
Rosenkreuzer 251.
Rotal 95.
Roth, Jac. 235.
Roth, R 235.
Rothweiler, Jac. 235.
Rousseau, J. J. 113. 114. 122. 294.
Ruarus, Martinus 130.
Sadolet 301.
Savonarola 97.
Sailer, Joh. Mich. 90. 202.
Sallwürk, E. v. 93.
Salter, WiUiam 35. 36.
Sander, F. 51. 52. 87. 93.
Sandhagen, Caspar H. 62.
Sdros-Patak 143. 178. 181.
Saubert, Joh. 65. 97. 128. 129. 130.
132. 134. 172. 174. 176. 236.
Saxe, Joh. Conr. 238.
Skard, Matias 247.
Schabhart, Wilh. 235.
Schaefer, M. 237.
Schäffer, Joh. Adam 236.
Schafelitzkius, Eberhard 238.
Schaff, PhiL 98. 299.
Schallesius, Samuel 238.
Schaudelius, Tobias 234. 235. 238.
Schcffer, Melchior 44. 46.
Schclling 196. 197.
Scherez, Sigismund 65.
Schiller, Frdr. v. 105.
Schlatter, Joh. 235.
Schlciermacher, Daniel 25. 200.
291.
Schleiermacher, Fr. 93. 94. 105.
Schleswig 63.
Schiet terberch, Jos. 235.
Schlichting, Joh. 44. 226.
Schlichting, Jonas 44. 45. 46.
Schleupner, D. 129.
Schmid, K. A. 253. 308.
Schmidt, Erich 252. 298.
Schmidt, G. 61. 253.
Schmidt, H. 238.
Schmidt, Joh. 236. 238.
Schmieden, Joh. Ernst 234.
Schneider, Karl 14.
Schneider, Zacharias 147.
Schopenhauer, Arthur 220.
Schorchius, Joh. Heinr. 234.
Schragmüller, Conr. 236.
Schragmüller, Joh. Conr. 238.
Schröder, Joh. 129.
Schübelius, Joh. 234. 237. 238.
Schuele, J. J. 236.
Schütz, Joh. Conr. 235.
Schütz, Otto Friedr. 234.
Schulz, Bemh. 301.
Schumann, G. 26.
Schuppius, Joh. Balth. 94.
Schwab, Gust. 251.
Schwalb, Moritz 36.
Schwarz, Carl 92.
Schwarz, Gottfr. 306.
Schwegler, Georg 235.
Schw.enckfeldianer 130.
Skyte, Joh. 78.
Sebesta, F. 258.
Securius, Joseph 278.
Sefried, Jean Adam 234.
Seidcnsticker, Osw. 306.
Seignobos, Ch. 254.
Selbingerus, J. F. 238.
Sepp, Chr. 4. 47.
Servet, M. 94.
Sybelist, Wendelin 238.
Sigismund, Kaiser 153. 166.
Sigwart, Christoph 253.
Silemann, Thomas 234.
Simons, Menno 91.
Smalcius 4.')-
Smichow 244.
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- 324 —
Socinianer 45. 243.
Socinus, Faiißtus 52.
Socinus, Lälius 45. 52.
Söhn er, Friedr. 235.
Sommervogel, C. 3.
Sonntag, Carl 249.
Sonthom, Immanuel 62.
Sophie Elisabeth, Herzogin von
Braunschweig 238.
Spalth, Joh. 235.
Speidel, Joh. Mart. 234. 235.
Spencer, Herbert 292. 293. 309.
Spener, Phü. Jac. 25. 62. 63. 91.
97. 108. 111.
Spiess, Bemh. 94.
Spinoza 107. 116. 122.
Sprenger, Elias 234. 235.
Stähelin, Rud. 85.
Stalpius, Joh. Conr. 236.
Statins, Martin 68.
Staupitz, Joh. v. 97.
Stefanovic-Vilovsky, Th. v. 53.
54.
Steinmeyer, F. L. 251.
Stellanus 235.
Stern, Gebr. 61. 62. 63. 64. 65. 66.
67. 68. 70. 72.
Stern, Cornelius Jobann 63.
Sterz ing 82. 83.
Stettin 15.
Styrzel, J. G. 238.
Stockholm 78.
Stockmann, H. 53.
Stötzner, Paul 94. 283 ff.
Stolcius, Daniel 42. 43. 44.
Stollius, Joachun 238.
Stosch, Barthol. 305.
Strälin, Joh. Jac. 234. 235.
Strassburg 69. 70. 113. 114. 128.
134. 236. 268. 269.
Srauss, V. 196.
Strauss, Jac. 82.
StrÖlin siebe Strälin.
Stubenberg, Familie v. 133.
Sturm, Joh. 264. 265. 268. 269. 270.
Stuttgart 134.
Suchodolski, Adam 136.
Sudhoff, K. 299. 306.
I Suphan, Dr. 257.
j Sutor, Levin 234. 235. 238.
I Szalatnay, J. G. A. 258.
Szamatölski, Siegfr. 298. 300.
1 T.
I Taboriten 154. 157. 16a 165. 166.
' Tamms, Aug. 247.
Tarnow, Joh. 133.
Tassius, Johan Adolphus 42.
Tauler 25. 50. 135.
Teyler, P. van der Hülst 99. 100.
, Teylersche Gesellschaft 50. 99.
' Teppati, B. L. 51.
Teuffenbach, Familie v. 133.
Teutschländer, W. 16.
Theobaldus, E. 238.
Thiersch, H. 28.
Tholuck, A. 127. 128. 129. 132.
133. 134. 252.
Thomasius, Chr. 25. 97.
Thorn 3. 242.
Thudichum, F. v. 92. 94.
Tirol 82 ff.
Tokai 178.
Tollin, H. 304.
Tolstoi, Leo 305.
Trexelius, Vitus 234.
Trotzendorf 265. 270.
Trumpp, P. 301.
Tube, Dr. 16.
Tuber, Joh. Otto 2:^.
Tucher, Sixtus 298.
Tübingen 128. 234.
Twardovius, Samuel 226.
IJ.
Unger, Theod. 82. 83. 84.
Ursin US, Joh. Henr. 238.
W.
Wagner, Joh. Bomh. 23Ö.
Wagner, Joh. Jac. 238.
Wagner, Tobias 234.
Waldenser 96. .310. 311.
Waldcrodc, J. 234.
Waldschmidt, Bemh. 237. 238.
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— 325
Waldßtein, Wok v. 16G.
Wassner, J. 86. 87.
Wattenbach, W. 198.
Weber, Joh. Georg 234.
Wehrn, Jac. 234. 235.
Weigel, Valentin 129. 130.
Weigelianer 129. 251.
Weigenmeier, Joh. Georg 235.
Weimar, 285. 286.
Weinkauff, Fr. 16.
Weiniger, Conr. 237.
Weinlin, J. 238.
Wein mann, Erhard 237.
Weise, Christian 272.
Weiss, Joh. 235.
Weitbrecht, Rieh. 252.
Weltz, Herrn v. 133.
Weltz, Justinianus v. 134. 135.
Wencelius, Mich. 237.
Wendt, Ernst Emil 16.
Wenzel, Kaiser 1.53. 163.
Werner, Joh. 235. 299.
Wibel, Georg 237.
Wibel, Georg Bemh. 235.
Wibel, Theophil. 235.
Wiclif, Joh. 151 ff.
Widemann, Marcus 234.
Wider, Joh. Lud. 234.
Widmann, Samuel 235.
Wilhelm IL, Kaiser 218.
Willmann, O. 22.
Wimpheling, Jac. 298. 301. 302.
Windischgrätz, Herrn v. 133.
Winer, Dr. 211.
Wyss, Felix 310.
Wiszowaty, Herrn v. 1,36.
Witsius, Herm. 28.
Witten, General v. 204.
Wittenberg 234. 258.
Wittmer, G. 48. 49.
Wittstock, Alb. 93.
Wolf, Adam 103. 209.
Wolf, Hieronymuß 237.
Wolfenbüttel 57.
Wolzogen, Freiherr v. 44. 46.
Wülffer, Daniel 237.
Wünsche, Aug. 92. 196. 197. 305.
Wundt, Wilh. 292. 295.
Wurm, Paul 253.
Z.
Zappler, Georg 234.
Zasius, üdalricus 302.
Zauchtel bei FuUiek 63.
Zeaemaan, Gallus 235.
Zeillcrus, Mart. 238.
Zeller, (Christoph 234. 235. 238.
Zeller, Joh. 236.
Zerotin, Herm v. 95.
Zetzner, Lazarus 187.
Ziegler, Theob. 94.
Zierlinus, Georg 238.
Ziller Tuiskon 94. 296.
Zimmermann, Matthias 97.
Zinzendorf, N. L. v. 97. 98. 99.
108. 113. 115.
Zinzendorf, Graf Heinr. v. 13.3.
Znaim 65.
Zoubek, Fr. J. 243 ff.
Zürich 288. 289.
Zürlin, Georg 237.
Zwisler, Joh. 236.
Zwicker, J. Ad. D. 277.
Zwingli, Ulrich 93. 97. 288. 289.
298. 299.
Buchdnickcrei tou Johannes Bredt, Münster i. W.
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Monatshefte
der
Comenius-Gesellschaft.
Herausgegeben von Ludwig Keller.
Dritter Band.
(1894.)
Leipzig,
R Voigtländcr's Verlag.
(In Commiaeion.)
1894.
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Inhalt des dritten Bandes.
A. Abhandlunifren. Seit«
Keller, Ludwig, Ziele und Wege. Rückschau und Umschau am
Beginn des neuen Gesellsehaftsjahres 1
Reinhardt, Karl, Die Schulordnung in Comenius' Unterrichtslehre
imd die Frankfurter Lehrpläne 1(5
Becker, Bernhard, Schleiermacher und die Brüdergemeine. ... 45
Nebe, A., Comenius' Studienzeit in Herbom. Neue Beiträge zur Ge-
schichte seiner Geistesentwicklimg 78
Lange, Friedrich Albert, Über den Zusammenhang der Erziehungs-
Systeme mit den herrschenden Weltanschauungen verschiedener
Zeitalter. (Aus dem Nachlass) 107
Natorp, Paul, Condorcet's Ideen zur Nationalerzichung. Ein Schul-
gesetzentwurf vor 100 Jahren 128
Hummel, Friedrich, Thomas Carlyle imd der Umschwung der Ge-
sellschaftsauffassungen des englischen Volkes im 19. Jahrh. . . 147
Keller, Ludwig, Die böhmischen Brüder und ihre Vorläufer . . .172
EUissen, O. A., Friedrich Albert Lange als Philosoph und Pädagog 210
Kawerau, Waldemar, Die Anfänge der Universität Halle .... 230
Steig, Reinhold, Zu Herders Schriften 253
Bah Im an n, F., Bemerkungen der Fürstin von Gallitzin und Bernhard
Ch^erbergs zu einer Abhandlung des Abb^ Marie über Kinder-
erziehung 259
Nicoladoni, Alexander, Hans Sachs und die Reformation . . . 279
Mämpel, Karl, Abälard imd Lessing. Eine religionsgeschichtliche
Parallele 291
Sander, Friedrich, Comenius, Duraeus, Figulus. Nach Stamm-
büchern der Familie Figulus-Jablonski 300
B. Bespreehnngen,
^chmid, Gi^schichtc der Erziehung. Dritter Band (Hochogger) 31
Nicoladoni, AI., Johannes Btinderlin von Linz (Loscrth) 96
Landwehr, H., Die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms, des Grossen KurfQrstcn (Jleidc-
mann). — Schnitze, Fritz, Deutsche Erziehung (Hochegger) 2128
Natorp, Religion innerhalb der Gremien der Humanität (Ellissen). — Comenii Lesnae
excidium. Hrsg. v. Nescmann (W. Bötticher). — Zwei Abhandlungen des Co-
menius, Obers, von C. Th. Lion (K. Milrapel). ~ Uphues, Richtungen der
psychol. Forschung der Gegenwart (Hochegger). — Stötzner, ZuJ. B. Schupps
Schriften (Aron) 207
Krause, K. C. F., Abhandlungen und Einzelsfttze über Erziehung und Unterricht
(Wcmicke), — Vogel, A., Darstellung der Pädagogik PesUilozzis. — Der».,
Herbart oder Pestalozzi (Hocheggi»r). — Gille, A. , Aufgabe und Methode der
Pftdagogik als Wissenschaft (Hochegger). — Christoph, K., W. Ratkes päda-
gogisches Verdienst (Aron) 327
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IV Inhalt.
ۥ littemturberiehte. seite
Neuere Wiclif-Litteratur. — A. H. Newinan, Mediaeval Sect«. — W. Dilthey, Auf-
fassung und Analyse dos Menschen im 15. und 16. Jahrh. — Fr. Hubert, P.
P. Vergerio. — H. Heineck, Melanchthons Ethik. — Ehwald, Eobanus
Hessus. — E. Gehmlich, Lateinschulen des 16. Jahrh. — H.Holstein, Zur
Gelehrtengeschichte Heidelbergs. — Zum 40()jahr. Geburtstag Hohenheims. —
Jul. LOwenberg, Sebastian Franck. — Bernh. Becker, Christliche Volks-
untenreisung 87
Wolkan, Kirchenlied der böhmischen BrOder. — Müller, Deutsche und tschechische
Gesangbücher der böhmischen BrOder. — G. Burkhardt, Die Brüdergemeine.
~ H. C. Lea, A formulary oft he papal penitentiary. — Max von Wolff ,
Lorenzo Yalla. — Georg Lud ewig, Die Politik Nürnbergs im Zeitalter der
Reformation. -- Edwin Tausch, Bebastian Franck und seine Lehrer. — Jos.
Beber, Comenius' Sittenvorschriften für die Schule in Saros-Patak. — Hülle-
mann, Val. Andreae als PAdagog. Theil U. - Fr. von Weech, Erziehung
der Kinder des Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz. — W. Dilthey, das
natürliche System der Geisteswissenschaften im 17. Jahrh 100
„Ketzer" und ,, Sekten". — Fredericq, Geschiedenis der Inquisitie etc. — Wiese,
.Alex. Hegius. — Börne r, Murmellius. — Becher, Erasmus über Erziehung.
— Hartfelder, Otto Bninfels. — Gothein, Tb., Campanella. — Zum Er-
ziehungswesen der Brüdergemeine. — C. Werckshagen, Religiöse Volks-
bibliothek. — O. Francke, Herder und das Weiraarische Gymnasium. —
Skaltsuni, Die Entstehimg des Menschen. — Huber , Dogmenlose Sittenlehre 156
Ad. Henschel, Petr. Paul. Vergerius. — K. A. Kopp, P. P. Vergerio. — Max
Lehnert, G. di Conversino von Ravenna. — Karl Wotke, die pädagogischen
Grundsätze des Johannes Murmellius. — Anton Zingerle, Der Humanismus
in Tirol. — K. Hartfelder^ D(»r humanistische Freundeskreis des Desiderius
Erasmus in Konstanz. - Max Radlkofer, Die humanistischen Bestrebungen
der Augsburger Ärzte im 16. Jahrh. - AI fr. Schröder, Der Humanist Veit Bild. 332
D. Naehriehten.
Besprechung der M. H. der CG. in der Theologischen Litteraturzeitung. - Sonstige
theologische Urteile Ober die Publikationen der C. G. — Einige Urteile W. Dil-
theys üb<>r ('omenius, Fröbel und Pestalozzi. — Hinweis auf die Bedeutung von
Comenius Schrift Via Iuris aus 1641 (zuerst gedruckt .\m8terdam, 1668) . . , 106
Hinweis auf Christian Thomasius und die Jahrhundertfeier der Universität Halle. —
Wilhelm Sehrader Ober Thomasius und A, H. Francke. ~ Friedrich des Grossen
Urteil über Leibniz und Thomasius. — H. von Treitschke u. Wilhelm Röscher
Ober Leibniz, Thomasius, Spener und Pufendorf. — Bartholoroaeus Stosch. —
Das Gymnasium Schönaichianum zu Beuthen und seine Beziehung zu der Brüder-
schule in Lissa 235
Friedrich Berbig über die Latein-Schule zu Crossen. — Ein Urteil Moritz Ritters über
die böhmischen Brüder. — Hermann von der Hardt (geb. 1660) in seinen Briefen.
— 250 jähr. Stiftungsfest des ,, Blumenordens" in Nürnberg 275
Zu Hans Sachs' Schrift ,,Ein Gespräch eines Evangelischen mit einem Lutherischen" etc.
— Thomasius und Herder als Wiederentdecker des Hans Sachs. — Neuere Ar-
beiten über Abälard. — Achenbachs (Jeschichte der Stadt Siegen. — J. Kvacsalas
Comenius-Forschungen. — Ein Tagebuch Karls von Zierolin von 1691. — Tanger-
mann, Natur und Geist. — Schüler des Comenius als Rektoren der Lateinschulen
zu Beuthen, Crossen imd Lauban im 17. Jahrh. — ,,Lehr-Gesänge von der
Nachfolge Christi" von Philipp von Zesen. — Georg Phil. Harsdörffers und
Ph. V, Zesens Beziehungen zu Comenius. — Eine seltene Comenius-Ausgabe. —
Die böhmischen Brüder und die Reformierten. — Die ,,walden8ische Form" der
,, Lehre der zwölf Apostel". - Ein Antiquariate-Katalog von Rosenthal . . . .S35
E. Inhalt neuerer Zeitschriften 43. 105. 170. 238. 278. 342
F. Personen- und Oits-Begrister . 343
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^
<C >^e
Monatshefte
Comenius-Gesellschaft-
III. Band. -^ 1894. ^ Heft 1.
Wege und Ziele.
Rückdchau tind Umschau am Beginn des neuen GeseUschaftsjahres.
Von
Ludwig Keller.
Es giebt viele Au^ben in der Entwicklung der Nationen,
die weder allein durch die staatlichen noch durch die kirchlichen
Organe gelöst werden können, die vielmehr in besonderem Mass
auf die freiwillige Mitwirkung angesehener Männer angewiesen
sind, wenn sie Aussicht auf dauernden P>folg haben sollen.
Zu diesen Aufgaben gehören diejenigen, die sich die Comenius-
Gesellschaft gesteckt hat. Unter den mancherlei Ratschlägen, die
auch im abgelaufenen Gesellschaftejahr an uns gelangt sind, ist
uns nicht selten auch der entgegengetreten, dass wir den starken
Arm des Staates oder der Kirche für die Zwecke in Bewegung
setzen möchten, die uns vorschweben und der Ruf nach Staats-
hülfe, der heute allgemein ist, hat sich auch unter uns erhoben.
Wir sind nun weit entfernt, zu verkennen, dass ein Unternehmen,
das sich mit den wichtigsten Zielen staatlicher und kirchlicher
Interessen im Einklang weiss, von dorther eine wirksame Förde-
rung erfahren kann, und wir beabsichtigen, seinerzeit bezügliche
Schritte zu thun; aber wir sind der Ansicht, dass der wichtigste und
schwerste Teil der Arbeit auf dem Wege freier Mitwirkung
gethan werden muss, und dass diejenigen Bestrebungen, die sich
aus eigner Kraft nicht halten können, auch mit staatlichen oder
kirchlichen Mitteln in der Regel nur ein künstliches Dasein fristen.
Ks giebt gerade in Deutschland nicht sehr viele grössere
wissenschaftliche und zugleich gemeinnützige Uuternehmimgen, die
Monatshefte der Comenius-CieselltMihaft. 18U1. i
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2 Keller, Heft 1.
nicht in dieser oder jener Form ihre wesentliche Stütze in der
Mitwirkung der öffentlichen Organe finden. Der Nutzen, der in
Bezug auf Ansehn und Geldmittel damit verbunden zu sein pflegt,
ist ja in vielen Fällen erheblich, aber nicht minder gross sind die
Bedenken, die stets damit verknüpft sind, vor Allem die Gefahr,
dass nicht die freiwillige Hingabe an selbsterwählte Ziele, sondern
Interessen anderer Art zu vor\viegenden Triebfedern werden.
Wer das, was die Comenius- Gesellschaft in ihrer nunmehr
dreijährigen Wirksamkeit geleLstet hat, billig beurteilen will, darf
nicht vergessen, dass das Erreichte ausschliesslich oder fast aus-
schliesslich durch freie Mitarbeit opferwilliger Männer erzielt
worden ist. Gewiss giebt es viele andere GeseUschaften und
Unternehmungen, die das (ileiche von ihren Mitgliedern sagen
dürfen; aber es ist doch wohl sicher, dass die Mehrzahl derselben
in der Befriedigimg politischer, nationaler oder confessioneller
Tagesströmungen ihren Mitgliedern eine Gegenleistung gewährt,
die wir nicht bieten konnten. Wer für unsere Sache Opfer ge-
bracht hat, bei dem haben solche Antriebe sicherlich in wenigen
Fällen den Ausschlag gegeben; jedenfalls waren diejenigen, die
dem Beginn unseres Unternehmens nahe gestanden haben, sich
darüber klar, dass sie nicht mit dem Strom der Tagesinteressen,
sondern gegen ihn sich bewegen müssten.
Wir sind uns der Schmerigkeiten, die in dies(»n Verhältnissen
lagen, sehr wohl bewusst gewesen. Man hat uns gesagt: es wird
nicht möglich sein; aber wir haben geantwortet: es muss mög-
lich sein, denn es ist Pflicht. Gerade in einer Zeit, die von
politischen und confessionellen Leidenschaften in bedrohlichem
Masse erfüllt ist, schien es notwendig, das Bild eines Mannes von
Neuem zu beleben, der das Elend, das aus der übermässigen
Steigerung solcher Leidenschaften erwächst, in dem Janmier des
80jährigen Kriegs erfahren und sozusagen am eignen Leib die
Früchte kennen gelernt hatte.
Auch Comenius hatte in seiner Zeit alle die Hindemisse
kennen gelernt, die heute vorhanden waren. Gleichwohl wird heute
kaiun Einer sein, der wünschte, dass Comenius den damaligen
Zweiflern sein Ohr geliehen imd seine Harfe an die Weiden ge-
hängt hätte. Es war ihm sicherlich so gut bewusst, als es uns
bewusst ist, dass es bequemer und angenehmer ist, mit dem
Strom als gegen ihn zu schwimmen. Wer möchte ihn heute an-
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1894. Woge und Ziele. H
klagen, dass er den schwereren We^ gewählt hat nnd wer von
ihm sagen, dass er nicht trotz zeit weiligen Misserfolgs
nnd schwerer Kämpfe grosse Erfolge erzielt hat?
Ich weiss nicht, ob es unter unsem Freunden imd JVßtgliedem
manche gegeben hat, die der Hoffnung lebten, dass die natürlichen
Schwierigkeiten, die in den eingescldagenen Wegen lagen, in kurzer
Zeit zu überwinden seien. Jedenfalls hat die Gesellschaftsleitung
eine solche Ansicht nie gehegt, und sie hat nichts gethan, um sie
in ihren Mitgliedern hervorzurufen. Wer die Geschichte kennt,
der weiss, dass Ideen, wie sie Comenius vertrat und wie wir sie
in seinem und seiner Freunde Sinn vertreten wollen, den Leiden-
schaften der Ma«se nicht schmeicheln, und dass Schritt für Schritt
um sie gekämpft werden muss; aber der in den geschichtlichen
Entwicklungen Erfahrene weiss nicht minder, dass dieselben Ideen
im Lauf der Jahrhunderte eine ausserordentliche Zähigkeit und
Tragkraft bewiesen haben, und dass sie sich von Jahrhimdert zu
Jahrhundert ein breiteres Feld erkämpft haben. Wenn wir uns
heute in einem Zeitpunkt befinden, der ihrer Entfaltung weniger
günstig zu sein scheint, so darf man nicht vergessen, dass früher
als man denkt andere und bessere Zeiten kommen können. An
der Weltanschauimg, wie sie Comenius und die ihm geistesver-
wandten Männer vertreten, haben seit uralten Zeiten unzählige
Männer gebaut und gearbeitet — die Einzelnen, wie die Mensch-
heit mit ihren Plänen umspannend; wir wollen ohne Rücksicht
auf den Erfolg des Tags an diesem Werke weiterbauen, in der
sicheren Ueberzeugung, dass Gedanken und Ziele,
die eine vielhundertjährige Geschichte haben, weder
heute noch morgen untergehen, und dass jeder ernsten
Arbeit, die für solche Ziele kämpft, früher oder später
der Erfolg nur selten fehlt
Ist es zu viel gesagt, wenn wir behaupten, dass die Richtig-
keit des letzten Satzes sich schon jetzt in den Erfolgen unserer
Bestrebungen bewahrheitet hat?
Wie viel Menschen gab es noch vor wenigen Jahren, die
von Comenius mehr als den Namen kannten? Wie gering war
verhältnismässig die Zahl der Schriften, die denen zur Verfügimg
standen, die sich nähere Auskunft über ihn verschaffen wollten!
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4 KeUer, Heft 1.
Wie sehr ist das heute anders geworden. Wii* haben durch die
Jahrhundertfeier, die ganz und ausschliesslich ein Werk unserer
Gesellschaft war, in tausend und abertausend Herzen das Bild
des Mannes wachgerufen; wir haben eine Fülle guter Bücher an-
geregt und zum Teil unmittelbar gefördert, und wir haben dahin
gewirkt, dass jetzt nicht blos in der mährischen Heimat, sondern
auch in anderen Städten Denkmäler und Denkzeichen sich für den
grossen Mann erheben.
Da wir den Namen des Comenius gewählt hatten, lun die
Weltanschauimg zu kennzeichnen, deren Emeiienmg und Pflege
die Aufgabe imserer Gesellschaft sein sollte — es war eine Zeit
lang auch der Name Herder- Gesellschaft für die Pflege
der Wissenschaften und der Volkserziehung in Erwägung
gekommen — so war für ims in der That an diesem Ergebnis
viel gelegen. Der Name war unbrauchbar zur Kennzeichnung
unserer Ziele, wenn das Bild des Mannes unbekannt blieb, dessen
Streben Avir zu dem unsrigen gemacht hatten. Dem haben wir
durch die Jahrhundertfeier kräftig entgegenge\vdrkt imd damit die
ei*sten Schritte gethan auf dem Wege, der uns vorschwebte. Aber
freilich nur die ersten Schritte: denn noch immer ist der Name
wie das Charakterbild des grossen Bischofs nicht so bekannt, als
er es verdiente imd als es im Interesse imseres Unternehmens
wünschenswert wäre.
Weder im Rahmen des Schulupterrichts wird die Kenntnis
des Mannes und seines Werkes den Schülern vermittelt, noch wird
ihm in der Litteratur derjenige Platz eingeräumt, den er als bahn-
brechender Geist an der Schwelle der neueren Geschichte bean-
spruchen darf. El* ist weniger bekannt und genannt als Leibniz,
der ihm doch seinerseits das höchste Lob spendet, und weit
weniger als die grossen Männer des ausgehenden 18. Jahrhunderts,
die auf dem Gebiet der schönen Litteratur oder der Philosophie
ihre Namen imsterblich gemacht haben.
Man weiss, dass auf den Namen von Shakspeare, Schiller,
Goethe u. s. w. Stiftungen und Gesellschaften gegründet worden
sind, und dass diese Gesellschaften sich zum Teil in blühendem
Zustand befinden. Nichts liegt näher (wie es denn thatsächüch
vielfach geschieht), als anzunehmen, dass die Comenius-Gesellschaft
sich in ähnlicher Weise me jene auf die Herausgabe und Erläute-
rimg comenianischer Schriften beschränken, oder wie die Scliiller-
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1894. Wege und Ziele. 5
Stiftung für einen bestimmten und beschi-änkten Kreis gemeinnützig
^virken will. Beide Annahmen sind unzutreffend und verdunkeln
die in imserem Programm klar und bestimmt ausgesprochenen
Zielpunkte.
Die Comenius - Gesellschaft hat den Zweck, Menschen-
bildung imd Volkserziehung im Geiste des Mannes, dessen
Namen sie trägt, zu fördern und zu pflegen imd diejenigen Männer
aus allen Landern imd Kirchen zu gemeinsamem Wirken zu ver-
einen, die sich in der (iesinnimg wie im Streben mit ihjo eins
wissen.
Diese Zweckbestiummng bringt es mit sich, dass unsere (t(*-
seUschaft sich nicht auf die Vertreter irgend eines bestimmten
Berufs oder Standes, nicht auf eine bestimmte Confession und
nicht auf eine bestinunte Partei einschränken kann und will; sie
hat aber auch die natm^j^cmässe Folge, dass sie sich weder auf die
eine noch auf die andere ausschliesslich stützen kann. Während
die Mehrzahl der Vereinsbildungen auf dem Znsammenschluss
bestimmter Berufsarten oder InttTcssengruppen beruht und dadurch
bis zu einem gewissen Grad erleichtert N\ird, muss imsere Gesell-
schaft unter verschiedenartigen Berufen imd bestehenden Gruppen
ihre Mitglieder suchen, und sie kami das einigende Band lediglich
in geistigen Interessen und Bedürfnissen finden. Es ist zweifellos
leichter, eine Gesellschaft für ein abgegränztes Wissensgebiet,
z. B. für medizinische oder mathematische Wissenschaften oder
selbst für Philosophie oder Erziehungslehre ins Leben zu rufen,
als die Vertreter coiiKmianischer Geistesrichtung aus allerlei Volk
zu sammeln, zumal wenn diese Geistesrichtung von anderen Strö-
mungen bewusst oder unbeN\'usst ziuückgedrängt ist und auf die
FreiwiUigkeit der Mitwirkenden besonderer Werth gelegt A\ard.
Auch diese Umstände muss man im Auge behalten, wenn
man die nachfolgenden thatsächlichen Mitteilungen in Rücksicht
auf die Bedeutimg der erzielten Ergebnisse prüfen und betrach-
ten will.
Am Schluss des Jahres 1891 — als Stiftungstag hat der
10. Oktober 1891 zu gelten — hatte die (Gesellschaft imgefähr
550 Mitglieder und die Höhe der zugesagten Jahresbeiträge betrug
etwa 8800 Mk.
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6 KeUer, Heft 1.
Gegen Schliiss d(*s Jahres 1892 war die Mi^liederzahl auf
etwa 850 gestiegen, luid die Suninie der Jahresbeiträge war auf
etwa 5000 Mk. gewaehsen. In beiden Jahren (1891 und 1892)
hatte die Gesellsehaft eine zienilieh erhebliehe Einnahme aus ein-
maligen Beiträgen, die ihr ziuu Teil von „Patronen," zum Teil
von „Stiftern," die auf Lebenszeit beitraten, zuflössen, zimi Teil
auch von anderen Freunden gezahlt wiuden.
Am Hchluss des Jahi-es 189H betrug die MitgHederzahl nahezu
1000 Personen und Körperschaften, und die Summe der zugesagten
Jahresbeiträge war auf etwa 6000 Mk. gestiegen, l'^nter dieser
Zahl befanden sich nicht weniger als 285 körj)ei-schaftliche Mit-
glieder, was als gCmstiges Alizeichen zu deuten ist.
Die Jahresabschlüsse unseres Schatzmeister's haben sich in
den beiden vei-ftossenen Jaliren günstig gestidtet: trotz der sehr
erheblichen Ausgaben, die uns durch die Jahrhundertfeier erwachsen
sind und trotz der grossen Kosten, die wir behufs Gründung der
Gesellschaft aufgewandt haben, weisen beide Abschlüsse einen be-
scheidenen Uberschuss auf. Wenn wir also in dieser Beziehung
vorsichtig gewirtschaftet haben, so ist es andererseits freilich
einstweilen nicht gelungen, ein Stammkapital zu schaffen, und
es wird in der Zukunft eine dringende Aufgabe sein, unser Unter-
nehmen durch die Schaffung eines Vermögensgrundstocks weit<»r
zu befestigen. Wir wollen nicht unterlassen, schon heute
unsere Freunde und Mitglieder um ihre thätige Mitwir-
kung für diese Aufgabe ausdrücklich zu bitten. Der Herr
Schatzmeister wird alle einmaligen Beiträge, die ihm mit dieser
Bestimmung zugehen, dem Vennögensstock überweisen.
Es ist nicht ganz leicht, einen richtigen Massstab für die
Beiuieilung dieser Ergebnisse zu gewimien, lun so weniger, weil
die Eigenart unseres Unteniehmens einen Vergleich mit anderen
CJeseUschaften zweifellos ei-schwert. Thatsächlich sind die Vor-
bilder für unser Unternehmen weniger iji heutigen Gesellschaften
verwandter Art als in älteren Entwürfen imd Bildungen zu suchen,
wie sie sich teils in des Comenius „Weckruf," teils in jenen älteren
sogenannten „Akademien" finden, wie sie vor der Errichtung der
Royal Society und der nachmals emchteten „Königlichen Akade-
mien der Wissenschaften" bestanden und deren Mitglied einst auch
Comenius gewesen ist. Die Vereine, die wir heute zum Vergleich
heranziehen könnten, sind nach ganz andern Vorbildern geschaffen
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1894. Woge und Ziele. 7
worden und haben meint unter ganz anderen Voniussetzungen eine
eigenartige Entwicklung genommen.
Wenn man trotzdem Vei^leiche anstellen will, so könnten
unter Anderen etwa folgende heutige (Tesellschaften in Betracht
kommen: das Freie deutsche Hoehstift für Wissensehaften,
Künste und höhere Bildung (Frankfurt a. M.), die Görres-
gesellschaft zur Pflege der Wissenschaften im katho-
lischen Deutschland mid die Gesellschaft für Verbrei-
tung von Volksbildung, die fivilich ihre vornehmste Aufgabe
in der Volkserziehung findet, während bei uns mngekehit die
Pflege der Wissenschaften vonielmilich betont wu'd; endlich könn-
ten im Hinblick auf den letztei'uv'ähnten Gesichti^punkt auch noch
der litterarische Verein in Stuttgart und die Gesellschaft
für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte hinzuge-
zogen werden.
Leider steht mir für die Mehrzahl der genaimten (xesell-
schaften kein genügendes Material zur Verfügimg; sie sind fast
sämtlich viel älter als unsere Gesellschaft und lun sicher zu gehen,
wäre es notwendig, zu wissen, wie sich ihi' Mitgliedei-stand, ihre
Einnahmen und ihre Leistungen am Schluss des dritten Gesell-
schaftsjahres dargestellt haben.
Die Görres- Gesellschaft besass im Jahre 1892, also nach
siebzehnjähriger Thätigkeit (gest. 1875) ungefähr 3000 MitgHeder
mit Jahresbenträgen von etwa 25000 Mk.; der litteraiische Verehi
in Stuttgart (gest. 1839) hatte im Jahre 1888 etwa 370 Mitglieder
mit einer Einnahme von etwa 7500 Mk., das Freie deutsche
Hochstift (gest. 1859) hatte im Jahre 1892 etwa 1650 Mitglieder
imd ungefähi" 3000 Mk. Einnahme; die Gesellschaft für deutsche
Erziehungs- und Schulgeschichte, die fast ebenso alt ist wie die
Comenius- Gesellschaft, besass nach ihrem letzten Jahresbericht
etwa 516 Mitglieder und 2500 Mk. Jahres-Eimiahme.
In einer Zeit wie der unsrigen, die gewohnt ist, die Be-
deutimg einer Sache vorwiegend nach Zahlen und Geldsummen
abzusehätzen, ist es mierlässlieh, auch ziffermässig das Wachstum
eines Unternehmens zur Anschauung zu bringen. Feiner tiefer
dringenden Betrachtung (Tscheinen freilich andere Dinge wichtiger,
vor Allem der Wille und die geistige Ki^aft, für die Erreichung
der vorgesteckten Ziele gemeinsam zu arbeiten und die Erfolge,
die in dieser Richtung aufzuweisen sind. Die Probe auf dieses
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8 Keller, Heft 1.
Exenipol muss an den Veröffentliehungen der Geßellschaft
j^eraacht werden.
Die Aufnahme, welche unsere Veröffentlichungen innerhalb
wie ausserhalb unseres Mitgliederkreises gefunden haben, spiegeln
sich in den Besprechungen und Kritiken wieder, die darüber
ei'schienen sind. Ich v^erweise hier unter Anderen auf die Be-
sprechungen in Nr. 41 des Litt. Centralblatts (1892), in der Revue
critique vom 17. April 1898 S. 305 f., in der Academy (London)
vom 18. Februar 1898 Nr. 1085, auf die Zeitschrift für praktische
Theologie (Jahrg. XV, S. 89), auf das Theol. Literaturblatt vom
19. August und 2. Dezember 1892 imd vom 7. Juli 1893, die
Theol. Tydschrift Bd. 27 (1893) 8. 451/58, und auf den Theol.
Jahi'csbericht Bd. XIl, S. 347. Ebenso finden sich freundliche
Besprechungen in der Wissensch. Beilage der Leipziger Zeitung
vom 25. Mai 1893, in der Zeitschrift für Realschulwesen Bd.
XVIL, Heft 9, in der Zeitschrift Gymnasiiun (1893 Nr. 2), in
den Ijchrproben und Lehrgängen, 1893, 37, S. 120 f., in der Zeit-
schrift für die österreichischen Gymnasien (1893 S. 364) und in
den Deutschen Blättern für erziehenden Unterricht 1892 Nr. 44.
Anzeigen und Besprechungen in der Tagespresse, die zum Teil aus-
führliche Artikel gebracht hat, übergehen wir hier und bestätigen
nur, dass die (Jesamtaufnahme durchweg als eine freimdliche be-
zeichnet werden kann.
Dabei müssen wii* freilich hier offen bekennen, dass weder
die Monatshefte noch die Mitteilungen bisher das Ziel, das
ihnen gestellt ist, erreicht haben; Niemand fühlt mehr als die
Nächstbeteiligten selbst, da.ss ihr Wollen hinter dem Kömien weit
zimickgeblieben ist und dai>s in Zukmift vieles besser werden
nuiss. Wir sind aber glücklichen\'eise im Stande, schon jetzt für
das kommende Jahr wesentliche Fortschritte in Aussicht stellen
zu können. Auf keinem Felde hat sich während des let^tverflos-
senen Jahres das innere Wachstum miserer Gesellschaft deut-
licher gezeigt, als in der Zunahme der wissenschaftlichen Mit-
arbeit an unseren Zeitschriften.
Wir waren zwar von vornherein in der Lage, eine Fülle
hcrvon-agender Kräfte als Mitglieder in imserer Gesellschaft zu
besitzen, auch war ja oft genug gesagt, was und wie wir es zu
bringen wünschten; aber den Strom der Mitarbeit, der bisher in
andere Canäh» geflossen war, in ein neues Bett zu lenken und
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1894. Wejfe und Ziele. 9
eine Mitarbeiterschaft zu finden, die verntändnisvoll die Stoffe
und den Ton zu treffen wusste, wie sie durch die Eigenart des
Unternehmens bedingt waren, war in der kiu'zen FVist, die zwischen
der constituirenden Vei*sammlung vom 10. Oktober 1891 imd dem
Januar 1892 (wo das 1. Heft erscheinen sollte) lag, völlig unmög-
lich; grössere wissenschaftliche iVrbeiten lassen sich höchstens an-
regen, niemals „bestellen," und sie fordern eine Vorbereitungszeit,
wie sie der Schriftleitung eben nicht zur Verfügung stand; die
Nachwirkungen dieser Verhältnisse haben sich leider noch fast
zwei Jahre lang gelti»nd gemacht.
Seit der zweit(»n Hälfte des verflossenen Jahn^s aber ist hierin
ein erfreulicher Wechsel eingetreten. Es hatte ims zwar auch bis
dahin nicht an Beiträgen gefehlt, aber sie wan*n vielfach weder in
Rücksicht auf die Stoffe noch auf die Behandlungsart im Sinn
des Unternehmens, wie es der Gesellschaftsleitimg vorschwebte*.
Mehr und mehr aber hat sich seit dem angegebenen Zeitpmikt
das Verständnis für Haltung und Ton, wie wir ihn wünschen
müssen, verbreitert und wir verfügen für den Beginn des jetzt
laufenden Jahrs über eine Reihe wertvoller Arbeiten, die
entweder bereits eingesandt oder zugesagt sind.
Da das Jahr 1894 zweifellos uns noch weitere Anerbietun-
gen bringen wird, so müssen wir fast fürchten, dass die uns bis-
her zur V(»rfügmig stehende Bogenzahl nicht ausreicht Anderer-
seits können wir uns freilich, so lange die Mcmatshefte zu dem
jetzigen, ungewöhnlich billigen Prt^s von jedem Mitglied bezogen
werden kömien, keinerlei weitere Ausgaben für die Zeitschrift
auferlegen, ohne andere» wichtige Interessen der Gesellschaft zu
schädigen.
Unsere Mitglieder und Freunde wissen, dass unser Absehen
auf die Fördenmg geschichtlicher Erkenntniss in besonderem Mass
gerichtet ist; aber es kommt uns in gleichem Masse auf die Klar-
stellung der comenianischen Grundsätze und der comenianischen
Weltanschauung an, durch die wir einen Massstab imd eine
Richtschnur für die Beurteilung derjenigen P>agcn zu gewinnen
wünschen, die heute auf dem (iebiete der Philosophie, der Re-
ligion und der Erziehung die Welt bewegen.
Wii' werden daher solchen Aufsätzen besonders gern unsere
Spaltern öffnen, die» die philosophischen, religiösen imd pädagogischen
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10 KeUer, Heft 1.
Fragen und Aufgaben der Gegenwart im Lichte comenianischer
Prinzipien behandeln und wir haben die Abhandlung Karl Rein-
hardts über die Schulordnung in Conienius Unter-
richtslehre und die Frankfurter Lehrpläne auch desshalb
gerade am Beginn des neuen Gesellschaftsjahres veröffentlicht, um
anzudeuten, in welcher Art wir andere Fragen venvandter Art
behandelt sehen möchten. ^) Dass wir unter comenianischer Welt-
anschauung auch diejenige von Leibniz, Herder, Fichte,
Krause und Schleiermacher verstehen, haben \vir ja oft genug
ausgesprochen. Es gilt, die geistigen Errungenschaften dieser Männer
für die Gegenwart fruchtbar zu machen und ihre Gedanken, so-
weit sie für die vielfach veränderten Bedürfnisse noch verwendbar
erscheinen, als Wegweiser und Richtlinien zu verwerten. Zu den
Grundsätzen dieser grossen Männer zurückkehren, heisst heute
zweifellos in vielen Fällen fortschreiten.
Unsere Gesellschaft hat sich, vvie bereit« in dem Aufruf
gesagt worden war, die doppelte Aufgabe gestellt, erstens dem
Geist des Comenius und der ihm innerlich verwandten
Männer unter uns von Neuem lebendige Verbreitung zu
verschaffen und zweitens in diesem Geist bildend und
erziehend auf das heutige Geschlecht zu wirken. Aber
wir haben von vornherein austlrücklich betont, dass die letztere
Aufgabe erst dann mit einiger Aussicht auf Erfolg in Angrifl' ge-
nommen werden soll und kann, wenn es gelungen ist, die erstere
ihrer Lösmig näher zu führen. Auch habeji wir stets gesagt, dass
der 8chweq)unkt dieser erziehenden Thätigkeit in den örtlichen
Organisationen (Abteilungen und Comenius-Kränzchen) liegen
muss und es liegt auf der Hand, dass solche Organisationen, wenn
sie Bestand haben sollen, nicht von heute auf morgen geschaffen
werden können. Behufs Vorbereitung geeigneter Massregeln
') Sehr wünschenswerth wäre im Hinblick auf heutige Bedürfnisse
ein Aufsatz über den Unterricht in der Sittenlehre nach Comenius
(Did. magna c. 2;i), oder die allgemeine Volksschule nach den For-
derungen des Comenius, ebenso in Betreff der Jdeen des C. über
Universitäten und Universitätswesen (Did. magna c. 31), ferner über
die Unionsversuche des Grossen Kurfürsten im Liebte come-
nianischer Grundsätze u. s. w.
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1894. ^Vege und Ziele. U
imd zur Anregung einer Erörterung über A\'ege und Ziele schien
es 7A\ eckmässig, schon jetzt niit der Schaffung eines Organs
vorzugehen, das dem Meinungs - Austausch dienen könne, und
so wurde zu Beginn des Jahres 1891] mit der Herausgabe der
Mitteilungen der C.-G. begonnen, \vie sie bereit8 in den
Satzungen vorgesehen und ins Auge gefasst waren. Ich darf den
Inhalt im Wesentlichen als bekannt voraussetzen. Wir haben
versucht, in den Leitaufsätzen die Zielpunkte festzulegen und die
Wege zu besprechen, die behufs Förderung der Volkerziehung
sich für uns als gangbar er^veisen könnten; auch haben wir
aus der Geschichte der humanitären Bestrebungen früherer Zeiten
einige Beiträge geliefert Vor Allem aber kam es uns darauf
an, zu betonen, dass alle praktischen Massregebi, die unsere
Gesellschaft denmächst etwa ergreifen könnte, sich auf die För-
dei-ung der allgemeinen Bildung des nachschulpflichti-
gen Alters beziehen müssen. Hier klafft in dem bestehenden
Schulwesen eine Lücke, die zunächst auf dem Wege der frei-
willigen Bildungspflege auszugleichen ist Als Vorbilder
schweben uns jene englischenVolkshochschulen vor, die seit den
fünfziger Jahren diuch Maurice und Kingsley ins Leben gerufen
worden sind.
Die Erweiterung unserer Vei-ötfentlichungen, wie sie mit der
Herausgabe der Mitteilungen eintrat — es werden am Schlüsse
des Jahres 1898 etwa 12 Diiickbogen davon vorliegen — hat
uns wesentliche finanzielle Opfer auferlegt. Wir hoffen, dass unsere
Mitglieder die neue Einrichtung zur Gewinnung neuer Mitglieder
kräftig benutzen werden.
^ Endlich Weise ich noch kurz darauf hin, dass mit dem Jahre
1893 auch eine Folge von Vorträgen und Aufsätzen aus
der Comenius-Ge seil Schaft zu erscheinen begoimen hat, die
sich als weitere Ei-gänzung unserer Veröffentlichungen darstellen.
Diese Sammlung ist in erster Linie dazu bestinunt, solche Per-
sonen und Körperschaften für die Ziele unserer (xesellschaft zu
interessieren, die einstweilen noch nicht Mitglieder sind. Wir
wollen diese Vorträge an Freunde unserer Sache kostenlos ver-
teilen und die Schriftleitung stellt auf Anfordern allen Mitgliedern
Abzüge zu diesem Zweck kostenlos zur Verfügung.
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12 KeUer, Heft 1.
Bei der Beurteilung unserer Schriften darf die Thatsaehe
nicht ausser Ansatz gelassen werden, dass die Gesellschaftsleitung
auch im Laufe des Jahres 1893 sich der Förderung dieser Seite
unserer Thätigkeit nicht ungeteilt widmen konnte. Vielmehi* hatte
sie gleichzeitig eine zweite Au%abe von gleicher Wichtigkeit im
Auge zu behalten, nämlich den Ausbau unserer Organisation.
Durch die Satzungen, wie sie auf Gnmd der mit dem Auf-
ruf im Juni 1891 veröffentlichten „Vereinbarungen" im März 1892
beschlossen worden waren — sie sind im Jahrgang 1892 der
Monatshefte, Geschäftl. Teil S. 11 ff. abgedruckt — waren nur
die Grundzüge der Organisation vorläufig festgelegt worden,^) der
weitere Ausbau der dort getroffenen Bestimmungen blieb den Ge-
schäftsordnungen vorbehalten, die zu entwerfen waren.
Es erwies sich zunächst als notwendig, das wissenschaftliche
wi(* das gemeinnützige Arbeitsgebiet der Gesellschaft bestimmter
abzugränzen, und wir haben das Rundschreiben vom 23. Juli 1892,
wie die hierher gehörigen Programm -Aufsätze der Mitteilungen
vom Januar/Februar und Juni/ Juli 1893 bereits besprochen oder
erwähnt.
Weiterhin war eine Geschäfts-Ordniuig für den Gesamt-
Vorstand und eine solche für die Congresse imerlässlich, und
die ei-stc^re wurde vom Vorstand im Oktober 1892 (abgedruckt in
den Monatsheften 1892 (xesehäfti Teil S. 63 ff.), die letztere im
April 1893 (abgedruckt in den M. M. der C. i}. 1893 S. 103 ff.)
genehmigt. Mancherlei Beratungen und Erörterungen wurden durch
diese Angelegenheit notwendig.
In den S§- 28 und 29 der Satzungen war die Eim'ichtung
örtlicher Organisationen vorgesehen, und es ^ar eine wich-
tige Aufgabe der Gesellschaftsleitimg, an Orten, wo hierfür die
Möglichkeit vorhanden zu sein schien, die (Miileitenden Mai^^sregeln
zu treffen. Wir hab(»n zunächst di(» in sj. 28 der Satzimgen vor-
gesehene Ernennung von Bevollmächtigten ins Auge gefasst,
und ich freue mich, mitteilen zu können, dass wir bereits etwa
in 50 deutschen und ausserdeutschen Städtern angesehene Männer
fiir die Übernahme dieses Ehrenamts gewonnen haben. Wir
*) Der §. 30 unserer Satzungen lautet : „Diese Vereinbarungen treten mit
dem 1. April 1802 vorläufig in Kraft und bleiben nur solange in Geltung,
bis die Hauptversammlung oder ein von dieser l>evollmächtigter Ausschuss
sie genehmigt, geändert oder verbcsscit hat."
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1894. Wege lind Ziele. 13
haben die Namen zum Teil bereit« veröffentlicht; demnächst wird
die vervollständigte* Laste herausgegeben werden.
Um miseren Bevollmächtigten die Geschäftsführung zu er-
leichtem, ist seit einigen Monaten die Einrichtimg getroffen worden,
dass ihnen die Erhebung der Beiträge u. s. w. durch geschäfts-
führende Buchhandlungen abgenommen wird, wo sie sich mit
einem solchen Geschäft selbst in Verbindimg setzen.
Wir haben die Absicht, vom kommenden Jahre ab unsere
Kräfte für eine neue grosse Aufgabe zu sammeln: für die Her-
stellung einer Gesamt-Ausgabe der Werke des Comenius.
Wir würden dieser Au^be vom ersten Augenblick an näher
getreten sein, wenn es sich nicht als notwendig erwiesen hätte,
zunächst da« Verständnis für die Bedeutung des Mannes überhaupt
wieder zu wecken. Erst nachdem dies gelungen ist — man kann
freilich fragen, ob es heute schon völlig gelungen ist — ist es
möglich, an eine so umfassende Aufgabe auch niu* zu denken.
Es hätte nahe gelegen, dass die wissenschaftlichen Akademien
derjenigen Staaten, die einst von der Thätigkeit des gi'ossen Mannes
Nutzen gezogen haben, vor Allem Deutschland, Oestreich-
Ungarn, England, Holland und Schweden, den Plan entworfen
und mit Hülfe staatlicher Mittel durchgeführt hätten. Da es nicht
geschehen ist und auch jede Aussicht fehlt, dass es in absehbarer
Zeit geschehen wird, fällt der Comenius-Gesellschaft um so mehr
die Pflicht zu, als sie alle hervoiTagenden Com e niu s-Fors eher der
genannten Länder, d. h. alle die Kräfü», auf die auch jene Akade-
mien angewiesen sein würden, in sich vereinigt, während ihr freilich
die finanziellen Mittel für o'm so grosses Werk einstweilen fehlen.
Wenn nun aber die Gesellschaft jene Forscher zu einer
Commission für die Comenius- Ausgabe unter dem Vorsitz
eines angesehenen Gelehrten vereinigt, sollte dann nicht die finan-
zielle Mitwirkimg der genannten Staaten im Interesse der Wissen-
schaft wie der Volkserziehung erreichbar sein?
Gewiss, die Aufgabe ist gross und schwierig. Aber ich
möchte die Zweifler daran erinnern, dass die Mehrzahl in den
Jahren 1890 und 1891 sowohl eine allgemeine Jahrhundertfeier,
wie namentlich die (xründung emer grösseren Gesellschaft für fast
unausführbar gehaltc^n hat und doch — wie sind ihre Erwartungen
und Befürchtungen getäuscht worden. Kami es jetzt nicht ähnlich
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14 KeUer, Heft 1.
^ehen? Jodenfalls wird die Herstellung einer Gesamtausgabe da-
durch sehr erleichtert, dass der Markt für sie sich über die
ganze gebildete Welt erstreckt und dass die hohen und
niederen Schulen in allen Ländern allmählich das Bedürfnis fühlen
werden, ein Exemplar in erreichbarer Nähe zu besitzen.
Die GeseUschaftsleitung behält sich je nach der weiteren
Entwicklung vor, eine ausserordentliche Hauptversamm-
lung zur Berathung dieser Sache einzubenifen.
Bei der Einrichtung miserer GeseUschaft sind, wie ich wieder-
holt betone, die Anregungen von ausschlaggebender Bedeutung
gewesen, die Comenius selbst in seinem Allgemeinen Weck-
ruf (der Panegersie) gegeben hat In dieser Schrift hatte Come-
nius die Bildung einer Vereinigung gefordert, die die Vertreter
aller Parteien, Konfessionen, Nationen imd Stände um-
fassen sollte.
Obwohl wir mm der Ansicht waren, da^s die „Vereinigung
aller Etilen aus allen Nationen," wie sie Comenius forderte, ein
für uns unerreichbares Ideal bleiben werde, so schien es uns doch
richtig, thunlichst auf den Wegen, die uns Comenius gezeigt hatte,
zu bleiben. Die Gesellschaft durfte, wenn sie dem Ideal des
C^omenius einigermassen nahe kommen wollte, weder als ausschliess-
lich gelehrte, noch als ausschliesslich gemeinnützige Gesellschaft
erscheinen — von d(T Vertretimg einseitiger Parteiinteressen ganz
zu schweigen.
Die Gesellschaftsleitimg ist bisher von dem Gedanken durch-
drungen gewesen, dass sie die Aufgabe habe, das Werk fortzu-
setzen, dessen Bau Comenius einst begonnen hat, den Bau jenes
„Tempels der Weisheit," in dem die Nationen, die Stände und die
Kirchen in Eintracht beieinander wohnen können. Man weiss, wie
sehr dem grossen Manne das „Apostelamt unter dem Kleinvolk,"
wie er es nannte, am Herzen lag; aber dieses Amt war ihm doch
nur ein Mittel für den höheren Zweck, der ihm vorschwebte, näm-
lich für das „Prophetenamt des Friedens," dem er diente. Der
W^eg, den er dazu wählte, war jener „Königliche Weg des Lichtes
und des Friedens, der Weg der Einheit, Einfachheit und Frei-
willigkeit," wie er ihn in seinem Weckruf geschildert, wie er sich
in seinem Wahrzeichen, das nunmehr auch das Denkzeichen imserer
Gesellschaft ist, in sinnbildlichen Zeichen wiederspiegelt.
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1894. Wege und ZieXe. 15
Wie woit OS uns bisher jjelungen ist, diesen Zielen uns zu
nähern, mag der Beurteilung der Zukimft anheimgesteUt bleiben;
wir haben naeh unseren Kräften dafür gearbeitet und manche
Untei-stützimg bei gleichgestimmten Männern gefunden. Möge auch
für die kommenden Jahre uns die nötige Mitwirkimg und Gottes
S^gen nicht fehlen !
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Die Schulordnung in Comenius' Unterrichtslehre
und die Franlcfiirter Lehrpläne.
Von
Dr. Karl Beinhardt,
(fVinnasial-I>irektor in Frankfurt a. M.
Die Frage, ob es zweckmässig ist, den fremdsprachigen
Unterricht mit einer neueren Sprache zu beginnen imd den An-
fang des Lateinischen auf das zwölfte» oder dreizehnte Lebensjahr
zu verschieben, wird augenblicklich vielfach erörtert Eine Neu-
ordnung des höheren Schulwesens auf dieser Grundlage scheint
aus mancherlei Gründen, pädagogischen, national-ökonomischen und
politischen, wünschenswert *).
Man hört nun gewr>hnlich sowohl von Laien wie von Fach-
leuten, von Anhängern einer solchen Reform wie von iliren Gegnern
die Ansicht äussern, dass dieser Plan etwas durchaus Modernes sei,
eine Erfindung imseres ebenso eifrig und einseitig gepriesenen wie gi*-
scholtenen Zeitgeistes. Dem ist nicht so; der Gedanke ist vielmehr
schon recht alt. Dieser Sachverhalt mag manchen von denen, die
über diese Frag(* geredet und gescluieben haben, bekannt gewesen
') Wir verweisen b(»hiifp weiterer Orientirung hier auf die Aupfühnui-
j^en, die Friedrich Paiüpen in seiner höchst beacht<}nRwertcn Schrift:
Ober die gegenwärtige Lage des höheren Schulwesens in Preussen. Berlin,
R. Gaertners Verlag, WX^ (Preis öOPfg.) gegeben hat. Paulsen bespricht
dort das sog. Altonaer oder Frankfurter System und Reinhardts Lehrpläne
in zustimmendem Sinn. -- Auch Prof. Dr. J. Baumann in Göttingen
spricht in seinem Buch Volksschulen, höhere Schulen und Univer-
sitäten. Göttingen, Vandenhoek und Ruprecht 1803 (M. 2. 40) mit Ach-
timg von dem Frankfurter Versuch und billigt dessen Grundgedanken; das
ist bei der sonstigen Haltung des Buches doppelt bemerkenswert.
Die Schriftleitung.
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1894. Reinhardt, Die Hchulonlnung in Oonieniiis' etc. 17
senil ;^) aber nii'gend ist in(»in(»s Wissens bei solchen Erörterungen
auf den Mann hingewiesen worden, dem hierin die Erstlingschaft
zukommt. Und doch ist es kein geringerer als Johann Arnos
Comenius. Die Schulordnung, die er in seiner grossen
Unterrichtslehre entwirft, stimmt in wesentlichen Punk-
ten mit dem Lehrplane überein, der in Deutschland zu-
erst an dem Realgymnasium in Altona eingeführt worden
ist, und der in ausgedehnterem Masse augenblicklich an
mehreren höheren Schulen in Frankfurt a. M. die Probe
zu bestehen hat.
Die Grundzüge dieses neueren Reformvei-suches sind in Kürze
folgende:*)
In den drei unteren Klassen der höheren Schulen wird nur
eine fremde Sprache und zwar eine neuere, die französische, ge-
lehrte Auf diese Weise wird ein gemeinsamer Unterrichtsgang
für die drei unteren Klassen sämtlicher höheren Schulen herge-
stellt. Die sechs ersten Schuljahre des Knaben, vom sechsten bis
zum zwölften Lebensjahre, sind den Dingen gewidmet, die ihm
diu'ch die Anschauung nahe liegen, und deren Anwendung sich
auf das ganze Leben erstreckt.^)
Der Unterricht im Lateinischen, und damit der eigentliche
Gj-nmasialkursus beginnt erst nach vollendetem zwölften Lebens-
jahre. Zwei Jahre, die Klassen Unter- und Obert<^.rtia, sind
vornehmlich der Aneignmig des Lat(Mnischen ge^vidmet, das in
wöchentlich 10 Stunden gelehrt wird. Damach, also nach vollen-
detem vierzehnten Lt»bensjahre, beginnt im G^Tunasium das Grie-
chische, das vier Jahn» hindurch in w(*>chentlich 8 Stunden ge-
trieben wird.
Man wird versuchen, einen inneren Zusammenhang z^vischen
den fremden Sprachen, die gelehrt werden, herzustellen, so dass
das Französische eine Vorschule für das Lateinische und diese
beiden Sprachen wieder ein(». Vorbereitung für das Griechische
') Der 8chreiber dieser Zeilen bekennt, dass er durch die Ani-egung
eines hiesigen I^hrers, des Herrn Philipp Zimmermann, veranlasst worden
ist, die grosse ünten*ichtslehre des Comenius auf den bezeichneten Gesichts-
punkt hin durchzuarbeiten.
•) Näheres wolle man in dem Schriftchen des Verfassers „Die Frank-
furter Lehq)läne," bei Moritz Diesterweg, nachlesen.
^) Frankfurter Lehrpläne S. 22.
Monatshefte der (JomeniiKH-GeaeUschaft. 1894, 2
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18 Reinhardt, Heft 1.
bilden. So hofft man, in den beiden Jahren der Tertia eine sichere
Ausbildung; im Latxnnischen zu erzielen und in Untersekunda die
Elemente des Griechischen zur festen Aneignung zu bringen.
Bei der ersten Sprache, dem Französischen, geht man vom
gesprochenen Worte aus imd versucht, den Knaben vom Hören
zum Sprechen und Lesen und von der praktischen Anwendung
der Sprache zum bewussten Aneignen der Sprachgesetze zu führen.
In den alten Sprachen wird man nach kurzer Vorbereitungs-
zeit m(")glich8t bald zimi Schriftsteller und zu eindringenden Übun-
gen an der Sprache selbst übergehen.
Überall wird man sich vergegenwärtigen, dass Übung imd
Gewöhnung die Grundlage des Spracheidernens sein muss, und
dass das tiefere Erfassen der sprachlichen Gesetze und die eigent-
liche sprachlich-logische Bildung die Aufgabe eines reiferen Alters
und der obersten Klassen ist. ^)
Wie im Gymnasium das Griechische, so beginnt im Real-
gymnasium das Englische erst in Untersekunda. Es wird also
nach dem zwölften Lebensjahre ein Übergang zwischen allen höhe-
ren Schulen mid nach dem vierzehnten Lebensjahre noch ein Über-
gang zwischen Gymnasium und Realgymnasium möglich sein.
Diese Schuloi-ganisation hat, wie gesagt, eine grosse Ähn-
lichkeit mit derjenigen, die Comenius in der grossen Unterrichts-
l(»hre entwickelt. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen beiden
b(»st(»ht nicht; ob ein mittelbarer angenommen werden darf, ist
schwer zu entscheiden. Wer Gelegenheit gehabt hat, den ver-
wickelten und wunderlichen Wegen geistiger Beeinflussung nach-
zuspüren, der wird einen solchen Zusammenhang auch dann nicht
leugnen, wenn es unmöglich wäre, ihn nachzuweisen. Jedenfalls
ist es wichtig genug, Comenius' Ausführungen kennen zu lernen.
Da seine Gründe zum grossen Teil auch für unsere Verhältnisse
noch zutreffen, so ist es für die Vertreter der genaimten Schul-
reform eine erfreuliche Bestätigung der Richtigkeit ihrer Ansich-
ten, dass sie sich auf demselben Wege wissen, den der Vater der
neueren wissenschaftlichen Pädagogik schon dereinst fiir den besten
erklärt hat.
Bekanntlich ist Comenius der erste gewesen, der die For-
denmg einer allgemeinen Volksschule, einer gleichmässigen und
'j Frankfurter Lehrpiäne S. 21 und JS. 17.
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1894. I^i« Schulordnung in Comenius* I^nterrichtslehre etc. 19
gemeinsamen Vorbiidmig aller Angehörigen derselben Nation, auf-
gestellt und ausführlich begründet hat. Von den Lehrgegenständen
und der Unterriehtsdauer in dieser Schule handelt er im 29. Kapitel
der grossen Unterrichtslehre. ,^weck und Ziel der Volksschule,"
heisst es dort § 6'), „wird sein, dass die gesamte Jugend vom
sechsten bis zum zwölften oder dreizehnten Lebensjahre
in den Dingen unterrichtet werde, deren Anwendung sich
auf das ganze Leben erstreckt." Als die Gegenstände des
Unterrichts in dieser Schule bezeichnet er: Übung im mündlichen
und schriftlichen Gebrauch der Muttersprache; Rechnen und Geo-
metrie; Religions- und Sittenlehre; einige Kenntnis vom Wesen
des Staates, in dem di(» Kinder h»ben; Geschichte und Geographie;
Handfertigkeitßunterricht. Am Schlüsse des Kai)itels fügt er hinzu
(S 19)^): „Alles einzelne hierüber sparen \vir für eine andere Zeit
Niu" wollen wir einstweilen daran erinnern, dass, wenn einige
Knaben die Sprachen der Nachbarvölker zu lernen haben,
dies hier geschehen möge, etwa im zehnten, elften und
zwölften Lebensjahre, nämlich zwischen der Volksschule
und der Lateinschule,"
Ebenso spricht er sich im 22. Kapitel, das von der Methode
der Spracherlemung handelt, dahin aus, dass vor dem Lateini-
schen eine neuere Sprache zu lernen sei (§8 ff.): „Was die
Vielsprachigkeit betrifft, so wird folgender Unterrichtsgang die Er-
lernung verschiedener Sprachen km*z und leicht machen: Jede
Sprache muss für sich allein gelernt werden; nämlich zuerst die
Muttei-sprache, dann diejem'ge, welche an Stelle der Muttersprache
anzuwenden ist, also die Sprache eines Nachbarvolkes. Denn
ich halte dafür, dass die Umgangssprachen den gelehrten
vorauszuschicken sind. Dann die Lateinische, darnach die
griechische, hebräische u. s. w., immer eine nach der andern,
nicht zugleich, sonst verwirrt die eine die andere^). End-
') J. A. Comenii Opora didactica omnia, Amsterdam l(i57. P. I. Didac-
tica magna, p. 173. — Die Übersetzung von Lindner mit Einleitung (Päda-
gogische Klassiker B. I, Wien, Pichier) ist gelegentlich zu Rate gezogen.
*) Opera did. P. I p. 176: Particidariora quaequc in aliud tempus re-
servamus, hoc Interim monentes, ut si qui pueri ediscendis vicinarum gentium
Unguis operam daie debcbunt, id hie fiat, circa aetatis annum decimum, unde-
cimum, duodecimum: ncm|)e inter scholam vcrnaculam et latinam.
'') Opera did. P. I p. 128: Quaelibot lingiia scoi-sim dincatur; primo
2*
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20 Reinhardt, Heft 1.
lieh jedoeh, wenn sie dureh Übung befestigt sind, können sie vor-
teilhaft durch vergleichende Wörterbücher und Grammatiken in
Beziehung gesetzt werden."
So eifrig Comenius die allgemeine Volksschule befürwortet,
so erkennt er also doch die Notwendigkeit einer besonderen Unter-
weisung für diejenigen Schüler an, die die neueren Sprachen zu
lernen haben. Dieser Unterricht soll in die Zeit vom neunten bis
zum zwölften Lebensjahre fallen, also genau entsprechend den drei
imteren Klassen des Frankfurter Lehrplans.
Wenn wir daneben den Vorschlag finden^), in diesen drei
Jahren mehrere Umgangssprachen nach einander in Angriff zu
nehmen, so widerspricht das in gewissem Sinne dem eben von
ihm aufgestellten trefflichen Grundsatze, den er von seinem didak-
tischen Vorganger Ratichius übernommen hatte, dass es unrichtig
ist, die Elemente mehrerer Sprachen neben einander oder, was
dasselbe ist, in zu rascher Folge nach einander zu lehren. Erst
wenn in der einen Sprache Sicherheit erlangt ist, darf man ziu*
Erlernung einer zweiten übergehen, sonst tritt eine gegenseitieg
Stönuig und Verwimmg ein. Diese Wahrheit hat man leider bei
der Organisation des modernen G^nnnasiums in den ersten Jahr-
zehnten unseres Jahrhunderts zu wenig beachtet Das imrichtige
Streben, mit den verschiedensten Sprachen, alten imd neuen, mög-
lichst frühzeitig zu beginnen, hat dahin geführt, dass in imsem
höheren Schulen zwölfjährige Knaben gleichzeitig in drei fremden
Sprachen unterrichtet werden. Die Wirkung dieses Unterrichts-
ganges musste sein, dass das Erlernen der Elemente der ver-
schiedenen Sprachen sich auf eine grosse Zahl von Jahren aus-
dehnte, und dass das lange Verweilen in einer mu* vorbereitenden,
wenig Fortschritt zeigenden Thätigkeit vielfach den Lerneifer der
Jugend hemmte. Denn das spornende Gefühl des erreichten Er-
folges lasst bei dieser Methode allzu lang auf sich warten.
Es ist also eine Rückkehr zu einer alten W^eisheit und kein
aus Neuerungssucht entspringendes Experimentieren, wenn wir, wie
nempo vemaciila, tum qiiae vemaculao loco iisiirpanda ost, puta vicinao
gentis lingua. Praemittendas enim censco lingua» vulgares doctis.
Tum latina et post hanc graeca, hel>raea etc. semper alia i>ost aliam, non
simul: alias confuudet haec iilam.
') Opera did. L p. 121) init.
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1894. l^i^ Si'hulordnung in Comeuius' Untorrichtslehre etc. 21
dies iii de« Frankfuiter Li'hrpläiu*n jresehioht, den Vorschlägen des
Comenius folgend einmal den Versuch machen, die eine Sprache
nach der andern äu lehren und mit den klassischen Sprachen
nicht eher zu begimien, als bis die allgemeine Vorbildimg zu
einem gewssen Abschlüsse gekonmien und in der Muttersprache
und wenigstens einer neueren Sprache eine tüchtige spi-achliche
Grundlage gewonnen ist
Das Haupthindernis, das einer solchen Unterrichtsgestaltmig
in den Augen vieler, die es enist nehmen mit der Erhaltmig
imseres tüchtigen Schulwesens, im Wege steht, ist die Befürchtmig,
die beiden alten Spmchen, das I^ateinische und Griechische, und
damit die himianistische Bildung, die Grundlage unserer geistigen
Kultur, komme zu kurz, wenn der Kursus des eigentlichen Gym-
nasiums (»rst nach dem vollendett^n zwölften Ix^bensjahi'e einsetze.
Der Schn^iber dieser Zeilen t^^'Ut die» Überzeugung, dass die Auf-
lösung unseres geistigen Zusanunenhangs mit dem Altertimi und
das Aufgeben der humanistischen Bildung eine der schwersten
Schädigimgen wäiv, die unser Volk und das gesamte Geistesleben
der modernen Kulturvölker treffen könnte. Aber er ist ebenso
überaeugt, dass die gegenwärtige Verfassmig der Gymnasien nicht
geeignet ist, c^iner solchen Gefahr mit dauerndem Erfolge eiitgegen-
zuwii'ken.
Wir sind neuerdings in den pädagogischen Auseinander-
setzungen und in der Beurteilung von Ijchrj^länen allzusehr in das
äussere Zählen nach Jalireskui*sen mid Stimdenzahlen gekommen;
solche Statistik macht befangen. Wie viel mehr Anlass hätte Come-
nius zu der Besorgm's haben müssen, ob (»s ihm gelingen könne,
mit seinen sechs »Jahreskui'sen das Ziel zu eireichen, das er sich
stecken musste. Er ist ja in manchen Dingen durchaus nicht den
Humanisten zuzuzählen, weder nach seinem eigenen Wesen noch
nach der hen-schenden Zeitrichtung. Aber eine allseitige Beben -
schung des liateinischen in Woil und Schrift setzt er als selbst-
verständliches Ziel seiner Schule voraus. In lateinischer Sprache
soll in den oberen Klassen der Unterricht in allen den Gegen-
ständen betrieben werden, von denen später die Rede sein wird.
Auch im Griechischen verlangt er Verständnis der Schriftsteller.
Und doch will er das Lateinische ei*st nach vollendetem zwölften
Lebensjahre beginnen und das Griechische zwei Jahre später. Er
ist überzeugt, dass unter Zugnmdelegmig seines Untemchtsganges
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22 Reinhardt, Heft 1.
die Elemente des Lateinischen in zwei Jahren, die des Griechi-
schen in einem Jahre bewältigt werden können*).
Allerdings schreibt er eine methodische Behandlmig des
Sprachunterrichts vor, von der man sich leider oft und weit ent-
fernt hat, und die man in unserer Zeit vielfach als neue Entdeckung
preisen hört, obwohl sie schon so alt ist. Man wird diese Regeln
auch jetzt nicht ohne Nutzen lesen.
,Jede Sprache,** sagt er Kap. 22 § 11 ff.^), „muss mehr durch
den Gebrauch als durch Regeln gelernt werden, das ist, durch
Hören, Lesen, Wiederlesen imd diu'ch möglichst häufige mündliche
und schriftliche Nachahmungsversuche.
,J)och sollen die Regeln den Gebrauch stützen und befestigen.
Das gilt besonders von den gelehrten Sprachen, die wir aus Büchern
schöpfen müssen, aber auch von den Umgangssprachen; denn auch
die italienische, französische, deutsche, böhmische, ungarische
können in Regeln gefasst werden wie dies bereits geschehen ist.
„Die Spraclu*egeln sollen grammatisch, nicht philosophisch
sein. Das ist, sie sollen nicht S(*harfsinnig nach Begründung und
Urspnmg von Worten, Ausdrücken und Konstruktionen forschen,
warum es sich so oder so notwendig habe gestalten müssen, sondern
sie sollen einfach darlegen, was vorkommt mid wie es vorkommt.
Jene scharfsinnige Erwägmig der Gründe und inneren Verknüpfung,
des Regelmässigen und Unregelmässigen, das sich in den Dingen
und Worten findet, geht den Philosophen an und hält den Lernen-
den nur auf.
,J)ie bereits gelernte Sprache muss die Richtschnm* bilden
für die Festsetzung der Regeln einer neuen Sprache, sodass nur
die Unterscheidung zwischen dieser mid jener aufgezeigt wird.
Denn die Wiederholuni? des Oemeiusanien ist nicht nur un-
nütz, sondern sogar sehädleh, weil sie den Ueist durch den
Schein einer grösseren WeitschweiUgkeit und Abweichung,
als thatsächllch vorhanden ist, schreckt. Z. B. braucht man
in der griechischen Grammatik durchaus nicht die Begriffsbestim-
mmigen des Nomens, des Verbmns, der Kasus imd Tempora zu
wiederholen, oder syntaktische Regeln, die nicht« Neues bringen,
•) Opera did. I. p. 129: Latinae (linguae) Studium absolvi potest biennio,
graecae uno anno.
'') Opera did. I. p. 121).
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1894. r^if^ Schulordnung in Comenius' rntonichtelehre etc. 28
weil man das Vorstäiidnis hi(»rfür vonuissctzen kann. Es sollen
also nur die Regeln aufgestellt werden, in denen das Grieehisehe
von dem bereits bekannten Lateinischen abweicht. Dann wird
man die griechische Grammatik auf einige Blätter zusannncimehen
können, mid es wird alles bestimmter, leichter imd fester sein.
yfiie ersten Übungen in einer neuen Sprache müssen an
einem bereits bekaimten Stoffe vorgenommen werden ....
„Alle Sprachen können also nach derselben Methode gelernt
werden: nämlich durch den Gebrauch, durch Hinzufügung der
leichtesten Regeln, die nur den Unterscliied von der bekamiten
aufweisen, und durch Übung an bekaimten Stoffen."
In diesen Sätzen schiessen gewiss manche Bemerkungen über
das Ziel hinaus; aber ebenso wahr ist, dass wir noch kaum den
Anfang gemacht haben, die elementaren Sat^ilehren der fremden
Sprachen, die der Knabe lernen muss, so einzurichten, dass die
nächstfolgende sich auf der vorhergehenden aufbaut Die Be-
rechtigimg dieser Fordeiimg aber wird wohl niemand bezweifeln;
sie findet sich auch in den neuen preussischen Lehr{)länen S. 23
und 28.
Ebenso richtig ist die Bemerkung, dass man ini Anfangs-
unteiricht einer fremden Sprache nur das Thatsächliche in einer
einfachen, natürlichen Weise beibringen, die tiefere spraclüich-
logische Bildung aber dem späteren Alter vorbehalten soll. Wie
damals eine klügelnde Philosophie, so ist in unserer Zeit eine scharf-
sinnige Sjjrachfoi-schung dem Elementanmterricht in den fremden
Sprachen oft mehr hinderlich als föixlerlich gewesen.
Der augenblicklich wieder geführte Streit über die Frage:
ob kurze, ob lange Grammatiken, wii*d etwas einseitig zu Gunsten
der kurzen entschieden. Richtig scheint aber doch, dass eine Ele-
mentargrammatik, nach der der Knabe eine Sprache zu lernen hat,
nur die Hauptregeln und die Gnmdgesetze deutlich und klar vor
Augen bringen, und nicht die Eigentümlichkeiten hi bunter Mannig-
faltigkeit als ein Heer von Ausnahmen und Besonderheiten vor-
führen soll. Den Reichtum der Sprache in Ausdrücken imd Wen-
dungen, in Abweichungen, die doch wieder auf die Gnmdgesetze
zurückgehen, kann man niu* an der Sprache selbst, am Schrift-
steller, nachweisen und beobachten und auffassen. Eine systema-
tische Belehnmg darüber muss notwendiger Weise ebenso un-
vollständig bleiben, wie sie mizweckmässig ist.
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24 Reinhardt, Heft 1.
Comenius ißt mit seinem Vorselilag(* einer allj^emeinen, mög-
liehst gleiehmässigen Vorbildung aller Knaben bis zum zwölften
oder dreizehnten Lebensjahre nicht dm'chgedrungen. Nm* eins hat
die Bewegung, die von ihm und Ratichius ausging, erreicht, dass
die bis dahin allgemein herrschende Sitte abkam, den lateinischen
Unterricht schon mit den sechsjährigen Knaben zu beginnen imd
an dieser fremden Sprache das Abc, das Lesen und Schreiben zu
lehren, ohne irgend welche Vorkenntnisse in der Muttersprache.
Nicht ohne langes Widerstreben der damaligen Vertreter der alten
Lateinschule und der alten Methode wiuxie der Beginn des Latei-
nischen allmählich wenigstens vom sechsten auf das neunte bis
zehnte Lebensjahr verschoben.
Obgleich also Comenius Zustände voraussetzt, die mit den
unseren nicht völlig übereinstinunen, so lohnt es doch, die Gründe
kennen zu lernen, mit denen er seine Schulorganisation empfiehlt,
denn ziun Teil sind sie auch jetzt noch gültig und auch auf unsere
Verhältnisse anwendbar.
1. „Wir beabsichtigen," sagt er Kap. 29 §. 2,^) „eine ge-
meinsame Ausbildung aller, die als Menschen geboren sind, zu
allem Menschlichen. Alle sind also gemeinsam zu führen,
soweit sie gemeinsam geführt werden können, damit sie
sich gegenseitig ernmtigen, aufmuntern und anspornen.
2. Wir wollen alle zu allen Tugenden bilden, auch zur Be-
scheidenheit, Eintracht und gegenseitigen Gefälligkeit. Deshalb
darf man sie nicht so frühzeitig auseinanderreissen, auch darf man
nicht einzelnen die Gelegenheit geben, vor anderen selbstgefällig
zu werden imd andere gering zu achten.
3. „Um das sechste Lebensjahr henuu bestiimnen zu wollen,
für welchen Beruf einer geeignet ist, für die Wissenschaft oder für
ein Gewerbe^, scheint (^ine Übereilung zu sein. Hier zeigen sich
noch nicht genügend di(» Kj-äfte und Xeigimgen des Geistes, beide
treten später besser hervor. So kaim man auch in einem Garten,
so lange die Pflanzen noch ganz zart sind, nicht erk(»nnen, welche
man ausjäten, welche man stehen lassen soll, sondern erst, wenn
sie herangewachsen sind. Auch werden nicht aUein die Kinder
der Reichen imd Adligen und der Beamten zu solchen Stelhmgen
geboren, dass ihnen allein die Lateinschule ofl^en stehen sollte.
') Opera did. P. I. p. 172.
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1894. I^i<* Schulordnung in Coiucnius' rnterrichtÄlehrr etc. 25
während die übrigen gewissernmjssen hoffnungslos ziirüekgewiesen
werden. Der Wind weht, wohin er will, und er beginnt nieht
immer zu einer bestunmten Zeit zu wehen.
4. ,J)er vieile Gnmd ist, dass unser allgemeiner Lehrgang
nicht lediglieh jene meist so uufnichtbar geliebte Nymphe, die
lateinische Sprache, zunf Ziel hat, sondera einen Weg sucht für
die gleich massige Ausbildung der Muttersprachen aller Völker,
damit je mehr und mehr jeder Athemzug Gott lobe. Diese AI)-
sieht aber darf nicht durch ein so willkürliches Ulx'i-springen der
ganzen Muttersprache* gestört werden.
5. „Fünftens: jemand eine fremde Sprache lehren wollen,
bevor er di(* einheimische fest inne hat, ist gerade so, als ob du
deuien Sohn wolltest reit<'n lernen lassen, ehe er gehen kann.
Besser ist es zu sondeni. Wie Cicero sagt, dass er niemand
die Beredsamkeit beibnngen könne, der nicht ordentlich zu sprechen
verstehe, so bekennt unsere Methode, dass sie niemand Lati^inisch
lehren könne, der nicht seine Muttersprache kennt Denn diese
soll zu jener hinüber leiü^n.
6. „Endlich, da wir eine sacldiche Ausbildimg ei*streben, so
können unsere Schüler ebenso gut durch den äusseren Kreis der-
selben gefühlt werden mit Hülfe von Büchern, die in der MutttT-
spi-ache geschrieben sind, und die die Bezeichnungen enthalten.
Später werden sie die lateinischen Wörter um so leichüT ver-
stehen, da Urnen die Sachen bekaimt sind und sie sich nur die
neuen Namen anzueignen haben. Und während sie bisher die
Dinge mu* auf empirischem Wege» kennen gelernt haben, werden
sie mm die innere Begiündung in schöner Steigerimg liinzu-
fügen."
Die lelztgenannü' Aufgabe, das innere Verständnis der Dinge
zu ei-sclüiessen , also die eigentlich \vassenschaftlich(» Vorbildung
zu geben, und als notwendiges Werk- imd Rüstz(Mig dazu die
Keimtnis der gelehrten Sprachen zu vermitteln, fällt der auf die
Mutt(*rsprachschule folgenden höheren Schide, dem (iynmasium,
zu. Es soll einen sechsjährigen Kursus, vom zwölften
oder dreizehnten bis zum achtzehnten oder neunzehnten
Lebensjahre und dementsprechend sechs Klassen haben.
(Kap. 27 §. 2 und H; Kap. 30 J< 4.) ')
') Opera did. 1. p. Hio im, 177 — 17S.
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26 Reinhaidt, Hoft 1.
Die vei*schiedonen Ziele der Miittci-sprach- oder Volksschule
und des Gymnasiums charakterisiert Comenius treffend durch fol-
gende Bestimmungen (Kap. 27 §.6)^): „In der Muttersprachschule
soll der iimere Sinn, die Einbildimgskraft und das Gedächtnis nebst
ihren vollziehenden Organen, der Hand und der Zunge, geübt
werden und zwar diu-ch Lesen, Schreiben, Zeichnen, Singen,
Rechnen, Messen, Wägen mid mannigfache Gedächtnisübungen.
Im Gymnasimn soll das Verständnis und die Beiuieilimg aller
durch die Sinne gesanmielten Gegenstände durch Dialektik, Gram-
matik imd Rhetorik, sowie durch die übrigen realen, auf dem
Wege des »Was« und des »Weshalb«: überlieferten Künste imd
Wissenschaften gebildet werden."
Genauer werden im 30. Kapitel die Grundzüge des sechs-
klassigen Gymnasiums entworfen. 2) Es wird dem Leser vielleicht
nicht imwillkommen sein, auch hieriiber einiges zu hören, obgleich
die Vergleichimgspimkte mit den modernen Verhältnissen hier
geringer sind.
Die Lehrgegenstände sind zimächst die des mittelalterlichen
Triviums. Gi-ammatisch sollen die Schüler so weit gefördert wer-
den, dass sie im Lateinischen und in der Muttersprache von allen
spmcldichen Beziehimgen Rechenschaft abzulegen im stände sind,
im Griechischen und Hebräischen so weit es zum Verständnis der
Schriftsteller nötig ist. Von der Methode der Spracherlernung ist
bereits die Rede gewesen.
Di(» Dialektik imd Rhetorik, also die tiefere sprachlich-logische
Ausbildung, fällt den beiden obersten Klassen zu, die infolgedessen
auch die Bezeichnmig Dialectica mid Rhetorica führen.
Nach dem Trivium wei-den die Gegenstände des Quadriviimis
genannt, Arithmetik, Geometrie, Musik und die Anfangsgriinde
der Astronomie. Aber die Schüler sollen noch weiter gefördert
werden, sie sollen auch in Physik (Naturgeschichte»), Geographie,
Geschichte^ Ethik und Theologie unterrichtet werden. Die realen
Fächer sind mehr den mittleren Klassen übei-wiesen, die davon
die Namen Physica und Mathematica haben. Die Geschichte soll
sich durch alle Klassen ziehen. Die vierte Klasse von unten heisst
Ethica.
») Ib. j). ]f)5.
-') Opera did. I. j). 170 ü'.: Bcholac latiiiae delineatio.
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1894. I^ic Schulordnimg in Comenius' Unterrichtslehi-e etc. 27
,Jn allen diesen Fächern," sagt Comenius,^) „möchten wir
dem Jüngling nach Vollendung dieses sechsjährigen Kursus, wenn
auch keine volle Bildung, so doch wenigstens eine feste Gnmd-
lage für eine zukünftige Ausbildung geben. Demi Vollkommenheit
lässt das jugendliche Alter nicht zu, da längere Erfahrung nötig
ist, um die Theorie durch die Praxis zu befestigen, auch kann
innerhalb einer Zeit von sechs Jahren das ganze Meer der Bildimg
unmöglich erschöpft werden."
Am Schlüsse des Gynmasial-Kursus soll eine Reifeprüfimg
darüber entscheiden, ob der Schüler die Befähigung zum Studium
auf der Universität hat, mid für welches Fach er besonders ge-
eignet ist. Es ist dies wohl der erste derartige Voi-schlag, der
sich in der pädagogischen Litteratur findet. „Es wäre geraten,"
heisst es Kap. 31 2), „dass gegen End(» der klassischen Schule von
der Schulobrigkeit eine öffentliche Priifung der Geistesanlagen
(ingeniorum) veranstaltet würde. Nach ihi*em Urteil müsste ent-
schieden werden, welche Jünglinge zvu* Univei-sität entlassen, und
welche für andere Berufsarten bestimmt werden sollen. Bei den-
jenigen, die ihre Studien fortsetzen sollen, wäre gleichfalls auszu-
sprechen, wer sich der Theologie, der Staatswissenschaft, der
Medi^sin u. s. w. widmen soll, je nachdem sich die Neigung der
Natur kund giebt, oder auch die Notwendigkeit der Kirche oder
des Staates es erfordert"
Wer den hier besprochenen Schulplan im einzelnen prüft, wii'd
allerdings manche offene Frage, manches Unausgeglichene, ja auch
Widersprüche finden. So sollte man nach Kap. 22 glauben, dass
der Aneignimg der lateinischen Sprache zwei volle Jahre imd die
beiden unteren Klassen vornehmlich gewidmet wären. Statt dessen
führt nm* die unterste Klasse den Namen Grammatica, imd nur
in diesem einen Jahre bildet das Lateinische den Hauptgegenstand
des Unterrichts. So sollen auch in einem Jahre die beiden Lehr-
bücher bewältigt werden, die Comenius selbst für den lateinischen
Anfangsimterricht entworfen hat, das Vestibulum und die Janiui.*^)
Bestimmte Angaben über die Klasse, in der das Griechische ein-
setzen soll, vermissen wir hier ganz.
') Opera did. I. p. 177.
^ Opera did. I. p. 182.
•^ Opera did. I. p. 179.
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28 Reinhardt, Heft 1.
C\)meuiiis selbst hat die Lücken und Mängel dieses Grund-
risses wohl empfunden. Er entschuldigt sich damit, dass die Praxis
das Übrige von selbst an die Hand geben werde. Leider ist aber
dieser Entwurf durch d\o Schuld des Verfassers niemals in der
Praxis versucht w^orden. Die „pansophische Schule"*) in Patak in
Ungarn, die Comenius selbst leitete», hat zwar in ihrer Anlage
manche Ähnlichkeit mit dem besprochenen Plane, doch ging sie
wieder von anderen Gnmdlagen aus, \vm*de auch wenige Jahre
nach der Eröflfhimg durch den Tod des Patrons, des Fürsten Räköczy
wieder aufgelöst.
Der vielbeschäftigte, mstlos thätige Mann verlor das Nächste
liegende, Erreichbare aus den Augen über allzu weitausgi'eif enden
Plänen und unei'füllbaren Hoffnungen. Auch urteilte er gewiss
in vielen Dingen einseitig und befangen. Nichtsdestoweniger
haben seine pädagogischen Bestrebungen, vor allem seine grosse
UnteiTichtslehre auf die ganze nachfolgende Zeit befruchtend gc»-
wirkt und Gedanken angeregt, die wie Keime langsam sich ent-
wickelnd allmählich das ganze Unterrichtswesen durchdrungen und
lungestaltet haben. Das Buch ist trotz mancher Absonder-
lichkeiten auch jetzt noch eine Fundgrube trefflicher
pädagogischer Lehren.
Zu den gesunden (iedanken dieses Werkes, die noch der
Erfüllung harren, rechnen wir die besprochene Schidorganisation.
Wenn Comenius in einer Zeit, in der das Lateinische die herr-
schende Sprache aller Gelehrsamkeit mid höheren Bildung war,
im Inü^ress(» der .Vllgemeinheit und aus triftigen pädagogischen
Griinden verlangte, dass die Erlernmig neuerer fiemder Sprachen
dem Ijat<4nisch(»n vonuigi^he, und dass der Lat^'inuntcrricht erst
nach voUendeti'm zwöften I^beusjalu'c begimie, wie soll man sich
in unserer Zeit einer solchen Fordenmg vei'schliessen, wo der
praktische Gebrauch jener Sprache allen Boden verloren hat imd
die äusseren VtThältnisse inuner heftiger auf eine solche Lösung
der Schulfrage hindrängen?
Vtm den zahlreichen Schülern, die jetzt in Preussen Lateinisch
und Griechisch lernen, erreicht nach amtlicher Feststellung 2) nur
'j Siebe darüber ()j)era did. P. III. p. 3 — 114.
'•) Lehrplänc und Lehraufgaben nebst Erläuterungen, S. ()7. In den
doit g(»gebenen Zahlen sind die Roalg\*innasien und Oberrealschulen allerdings
nnt gerechnet. Ninnnt man die (ivinnasien für .sich allein, ko ergeben sich
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1894. l^i^ ftchulordniing in Oonionius' Unterrichtwlohre etc, 29
etwa ein Fünftel das Ziel der Schule; fast \'ier Fünftel treten
ohne den Abschluss der Reifeprüfim|r erreicht zu haben ins Ijcben,
also mit einer Schulbildung, die wenigstens in Hinsicht der beiden
alten Sprachen als eine unvollkommene und imzweckmässige be-
zeichnet werden muss. Die Hälfte wieder von den Letzteren er-
reicht nicht eiiunal das Zeugnis für den einjährigen Militärdienst,
bleibt also in den ei*sten Elementen der alten Sprachen stecken
und hat für eine mühselige Arbeit keinerlei äusseren und einen
kaum nennenswerten inneren, geistigen (iewinn.
Dieser Zustand schädigt nicht am wenigsten die, die wirk-
lich Lateinisch und Griechisch lernen wollen; er drückt das Niveau
der klassischen Bildung im allgemeinen herab und mehrt das Heer
derer, die aus eigener Erfahrung sich berechtigt glauben, dem
unterrichte in den alten Sprachen allen Wert abzusprechen. Come-
nius nannte schon für seine Zeit die lateinische Sprache eine vulgo
tam impotenter adamata nvmpha; was würde er zu unserem Ija-
teinlemcn sagen?
Dass solche Verhältnisse nicht auf die Dauer bestehen bh^iben,
darf man wohl als sicher betrachten. Sie werden früher oder
später beseitigt werden diuvh die Macht, die den praktischen Be-
dürfnissen inne zu wohnen pflegt Die zahlreichen Angriffe, die
sich heutzutage g(*gen den Unterricht in den alten Sprachen über-
liaupt richten, sind ein SjTuptom der Missstimmung; sie finden
immer neue Nahnmg in dem Zwang, den unsere Schulorganisation
auf die Beschäftigung mit den alten Sprachen ausübt. Der Gnmd
aber dafür, dass so zahlreiche Schüler den Gymnasien und Real-
gjTnnasien zugeführt werden, die niemals die Elemente des Lateini-
schen und Griechischen überwinden, liegt darin, dass der Unter-
richt in diesen Sprachen zu früh beginnt, eh(* sich (»rkeimen lässt,
jTJinz ähnliche Verhältniszahlen. In dem jener Berechnunj; zu (ininde ge-
legten Schuljahre 1880/90 betrug die Gesanitfrequenz der preus^sischen (lym-
nasial-Anstalten (Gynnianien und Progynniasien) 8.")81)7. der (ienanitabgang
15345, mit Ausnahme derer, die auf Gymnasial- Anstalten übergingen oder
starben. Von den Abgehenden erreichten 3580 = 23,3 v. H. das Zeugnis der
Reife; 4142 =^21 v. H. traten nach Erlangung des Zeugnisses zum einjähii-
gen Dienst ins lieben über; 7623 =40,7 v. H. verliessen entweder vorzeitig
die Gymnasien, um auf Real- oder sonstige Schulen überzugehen (3081), oder
sie traten ins Leben, ohne selbst das Zeugnis zum einjährigen Dienste er-
langt zu haben (3(>42). (Nach dem Centralblatt für die Untemchtsverwahung
in Prcussen, 1800 Heft 7. S. 44 ff.)
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30 Reinhardt, Die ftchulordniing in Comenius' etc. Heft 1.
wohin Neigung und Begabung den Knaben weist, und femer darin,
dass unser Schulsystem den Übergang von den lateintreibenden
auf die lateinlosen Anstalten so sehr erschwerte
Es muss also ein Mittel gefunden werden, wodurch die Nöti-
gung zu einer so vorzeitigen Entscheidung aufgehoben und eine
Scheidung der Geister ziu* rechten Zeit ermöglicht wird. Und
dieser Weg liegt in der Organisation, die schon Comenius empfohlen
hat; er bezeichnet ihn mit den Worten: „alle Schüler müssen ge-
meinsam geführt werden, so weit sie gemeinsam geführt werden
können."
Comenius verteidigt sich nicht einmal gegen den Einwurf, den
Schülern, die erst mit dem dreizehnten Lebensjahre das Lateinische
beginnen, möchte es unmöglich werden, die nötige Beherrschung
dieser Sprache und des Griechischen zu gewinnen. In unserer Zeit
dürfte eine solche Besorgnis noch \del weniger begründet sein,
vorausgesetzt, dass in dem sechsklassigen Gymnasium die beiden
alten Sprachen den ihnen gebührenden Platz erhalten. Es kommt
mehr auf die Art imd den Geist, auf die Anspannimg und den Eifer
an, womit eine Sache betrieben wird, als auf die Zahl der Jahre.
Wo jene Eigenschaften fehlen, wo das Literesse sich zersplittert,
da hilft auch die Zahl der Jahre nichts, wie wir dies ja erleben.
Die PVcunde der humanistischen Bildung sollten vor allen
mit Hand anlegen, dass, wenn das alte G^^mnasium sich gegen-
über der Macht der Thatsachen als unhaltbar erweist inzwischen
nach einem schon vor Jahrhunderten vorgezeichneten Plane unter
günstigem Schutze ein Neubau entstehen kaim, in dem die altem
Sprachen eine zwar weniger weitläufige, aber desto sicherere Stätte
finden zu künftigem erfolgreichen Gedeihen.
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Die Schmid'sche Geschichte der Erziehung.
Dritter Band.^
Eine Besprechung von
Rud. Hochegger,
ünivorsitfltB-Profossor in ( >M»mowitz.
Das ausgezeichnete Werk K. A. Sclimids schi-eitet unter
G. Schmids Ixntiuig rüstig vorwärts. Die Bearbeitung des Werkes
ist freilieh infolge der verschiedenartigen Verfasser, denen die ein-
zelnen Abschnitte anvertraut sind, nicht ganz gleichmässig, doch
war die Wahl der Bearbeiter eine glückliche, so dass die einzelnen
Beiträge durchweg als treffliche und beachtenswerte Leistimgen zu
bezeichnen sind.
Die erste Abteilung des dritten Bandes enthält folgende
Monographien: 1. Unterricht und Erziehung in der Gesellschaft
Jesu während des 16. Jahrhunderts. Von Prof. Dr. Georg Müller
in Dresden. 2. Bildiuig und Bildungswesen in Frankreich während
des 16. Jahrhundeils. Von Oberschulrat Dr. Ernst v. Sallwürk
in Karlsruhe. (Michel de Montaigne von G. Sc hm id.) 3. Das Schul-
wesen in England im 16. mid 17. Jahrhundert von Georg Seh m id.
(Francis Bacon von Pfarrer Karl Sandberg er in Stuttgart)
Müllers Abhandlung fusst durchweg auf eifrigem Quellen-
studium und veiTät in deren Verarbeitung eine wohlthuende
Objectivität. Die Frage nach der Entstehung des jesiutischen
Schulwesens, nach den Quellen der Pädagogik der Jesuiten, ist
bisher nirgends in befiiedigend(T Weise gelöst worden. Müller
unterzieht sich dieser wichtigen und interessanten, aber auch schwie-
rigen Aufgabe in dankenswerter W^eise. Er zeigt einesteils, welch
mannigfaltigen Einfluss das Leben und die Erfahrungen des Ignatius
von Loyola auf die Gestaltung der Ordensanschauimgen bezüg-
lich der Erziehimg ausgeübt haben, andern teils, wie die allgemei-
nen kirchlichen Einrichtungen, insbesondere die der Mönchsorden,
*) Schmid, K. A. Geschichte der Erziehung vom Anfang an bis auf
unsere Zeit, bearbeitet in Gemeinschaft mit einer Anzahl von Gelehrten und
Schulmännern. Fortgeführt von Dr. Georg Schmid. III. Band. 1. Abtei-
lung. Stuttgart. J. G. Cotta's Nachfolger. 1892. VI — 439 S. III. Band.
2. Abteilung. Ebd. 1892. VI — .Sil S. gr. 8".
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82 Hoohegger, Heft 1.
welche Ignatius genau stiidirt und die auch in den Bestimmungen
des No\4ziate8 massgebend wiu*den, von Bedeutung waren. iVls
beeinflussende Factoren kommen femer in Betracht: die spanischen
Ritterorden, die Universitäten, in erster Linie die von Faris, der
stark religiös und kirchlich gefärbte Humanismus in den Nieder-
landen, das spanische Schulwesen. Die Jesuiten schlössen sich
mit kluger Politik an die bestehenden Einrichtungen an und bilde-
ten sie dann in ihrem Sinne um. Nur so war es ihnen möglich,
so weitreichende Erfolge zu erzielen. Der Orden beschäftigte sich
vornehmlich mit dem höheren Schulwesen. Selten begegnen wir
Ansätzen zu Volksschulen, dagegen suchten die Jesuiten die Er-
ziehung der Fürsten in die Hände zu bekommen, wohl lun dadm-ch
die leitenden Kreise für die Bestrebungen des Ordens zu gewimien.
Es sandte namentlich auch der Adel seine Söhne in ihre Schulen.
Müller bespricht ziemlich eingehend die Ratio studiorum, die Or-
ganisation des Schulwesens, der Lehrbücher, der einzelnen Lehr-
fächer, die Erziehungspolitik, die Grundsätze der Erziehung-, imd
des Unterrichtes. Der Verfasser anerkennt, dass die Jesuiten unter
Benützung der mittelalterlichen Überliefenmg der humanistischen
pädagogischen Strömungen ein System geschaffen, das in seiner
Einheitlichkeit und Geschlossenheit sich eines kaum geahnten Er-
folges erfreute.
Hochbedeutsam imd gediegen ist auch Sallwürks Abhandlung.
Im 16. Jahrhundert gehen Bildung imd Unterricht ganz und gar
von der Universität aus. Sie bestimmt nicht nur das höhen*,
sondern auch das niedere Unterrichtswesen. Das Leben der Uni-
versitäten spielte sich wesentlich in den Kollegien ab, die nicht
bloss Pensionat^*, sondern wirkliche Unterrichtsanstalten darstellten.
Im 16. Jahrhundert gelangte in ihnen der Himianismus zur Gel-
tung. Man kam namentlich auf die Griechen ziu'ück, die der
neuen Bildung ihr besonderes Gepräge geben. Sallwürk bespricht
ausführlich die wissenschaftlichen Zustände Frankreichs zu jener
Zeit und den Einfluss des Humanismus auf Philosophie, Theologie,
Rechtsgelehrsamkeit, Medizin und Sprachstudiiun. Er deutet zu-
gleich an, wie mit der ei-sten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine
Reaktion eintrat, welche die fi'cie G(*staltung der Wissenschaft,
wie sie der Humanismus anbahnte, vernichtete, und zeigt uns die
(jründe, warum Frankreichs Secundanmtemcht lateinisch blieb
und der Jesuitismus sich desselben bemächtigen konnte und auf
zwei Jahrhunderte hinaus bestimmte. Bevor diese Reaktion ein-
trat, machte Petrus Ramus den Vereuch einer Neubegründung
des höheren Unterrichtes in freiem und nationalem Sinne/7 Sall-
würk widmet dem Petrus Ramus, als der glänzendsten Erscheinung
des französischen Hmnanismus, eine liebevoU ausgeführte Lebens-
beschreibung und Würdigimg seiner Verdienste als \delseitiger
Gelehrter und als Vorkämpfer (»iner modernen Unt(UTichts\veise,
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1894. J^J*" Schmid'Bche (Tej^chiehto clor Erziehung. 88
Don ersten Einf^riff in die mittelalterliche Ordnung des höheren
Studienwesens bedeutet die Errichtung des Collie* de France durch
Franz I. Erst di(» neuere F\)rschung, besonders die Untersuchun-
gen Abel Lefrancs, hat Lieht über die Entstehimg und Einrich-
tung dieser Anstalt gebracht Von gi'össter Bedeutimg für die
Entwicklung des französisch(»n Unterrichts wesens waren die Be-
ziehungen der Jesuiten zu ihm. Der Orden wandte sich nach
Paris, dem glänzendsten Sitze des Humanismus, hier wuchs er
geistig heran und ward ein ebenbürtiger Gegner des letzteren.
Sallwürk schildert den Kampf zwischen der Pariser Universität
imd dem Jesuitismus. Der Orden zeigte viel Geschick, fähige
Köpfe herauszufinden und seinen Zwecken dienstbar zu machen.
Von der Bedeutung der Gesellschaft Jesu für das französische
Bildungswesen kann man sich nach Sallwürk kaum einen zu hohen
Begrifl' machen. Die Studienreform Heinrich IV., welche die Schule
zu einer staatlichen Angelegenheit machte», brachte wohl eine ge-
wisse Ordniuig in das französische Unterrichtswesen, regte aber
das wissenschaftliche Leben nicht dauernd an.
Die Fülle von Leben und Hoffnung, mit welcher der Hiunanis-
mus in die geistige Bewegimg des 16. Jahrhunderts eingetreten ist,
drückt sich in Eabelais' Schriften aus. Sallwürk widmet ihm eine
ausführlichere Darstellung. Im Anschluss daran lernen wir als päda-
gogische Theoretiker Frankreichs im 16. Jahrhundert Jacob Sado-
letus, Claude Baduel, Pierre Saliat und Gaucher kennen. —
Michel de Montaigne findet im Werke besonders eingehende
Berücksichtigung, wohl wegen des Einflusses, den er auf die nach-
folgenden pädagogischen Theoretiker (J. Locke und Rousseau) aus-
übte. Der Abschnitt über Montaigne entstammt der Feder G. Schmids
und bildet eine wertvolle Ergänzung zur Charakteristik des franzö-
schen Bildungswesens in jener Periode.
Der letzte Teil des Bandes gibt uns ein genaues Bild der
äusseren imd inneren Oi^anisation der durch die „königlichen Inter-
junctions'^ von 1585 im Sinne der neuen Zeit organisirten eng-
lischen Universitäten. Wir bekommen guten Einblick in den In-
halt und die Methode des Unteirichts in jener Zeit. Der Verfasser
verwertet hierbei höchst interessante Quellen.
In dem Abschnitte „Grammatikschulen" zeichnet uns G. Schmid
auch mit grosser Anschaulichkeit ein Bild von dem Unterricht und
der EiTziehung einer grossen Schule aus dem Jahre 1560, das bis
weit ins 17. Jahrhundert für England als typisch betrachtet werden
kann. Unter denen, welche auf dem neubelebten humanistischen
Boden erwuchsen, sind für die Geschichte der Erziehung Bog er
Ascham, Richard Mulcaster und John Milton besonders be-
achtenswert. Francis Bacon dagegen sagte sich von der Autori-
tät des Altertums los und wurde der Verkünder der modernen
Weltanschauimg. Bacon ist Herold des neuzeitlichen Realismus,
Monatshefte diT Comenius-Gt'sollschaft. Iö91. '~i
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84 Hochegger, Heft 1.
der Begründor oiner selbständigen, anf indnctiver (Jrnndlage sich
erhebenden Wissenschaft. Sandberger gibt uns eine allgemeine
Würdigimg der Baconschen Gesamten schauung und charakterisirt
dann die Stelhmg, welche Bacon zu den Fragen der Erziehimg
und des Unterrichts genommen hat. IWon zeigt sich auch hierin
als Oeist von eigenartigem Gepräge: die Bedeutung seiner be-
züglichen Gedanken liegt im Methodischen. Er verlangt durch-
weg, dass in pädagogischen Dingen die gegel)ene WirkUchkeit
zum Ausgangs])unkt genommen wercU». Er wurd(» hierin Vorläufer
des C'omenius. Ix»tzterer ist offenkundig von Baco beeinflusst,
was er auch dimkbarst anerkannte. Es sind nach Sandberger nicht
nur einzelne Aussenmgen, in welchen Ctmienius seine xVbhängigkeit
von Bacon bekennt, sondern seine pädagogischen Werke sind voll
von Anklängen; seine ganze (Tcdankenrichtung und Ausdnicks-
weise ist von Bacon beeinfliisst; dies tritt namentlich in der „Pan-
sophici libri Delineatio" hervor.
Die zweite Abteilung des dritten Bandes enthält: 1. Wolf-
gang Ratke (Ratichius). Von Schulrat August Israel. 2. Johann
Arnos (%)menius mit seinen Vorgängern J. H. Aisted und
J. V. Andrea. Einleitung von Seminarrector Dr. Julius Brügel.
Johann Heinrich Alstcd. Von G. Schmid. Johann Valen-
tin Andrea. Von Jul. Brügel. Joh. Amos Comenius. Von
Jul. Brügel.
Israel gibt uns eine durchgängig auf sorgfältiger Quellen-
untersuchung fusseiuU» und durch Benutzung aller einschlägigen
Literatur geklärte Darstellung des Lebens und der Lehrart Ratkes.
Sie kann als die best(^ und vollständigste bezeichnet werden, die
wir besitzen, durch si(» findet auch die Raumei'sche manche Be-
richtigung.
Von grösstem Interesse ist der Abschnitt über Comenius,
dem mehr als zwei Drittteile des Bandes gewidmet sind. Die
Einleitung zeigt, wie die Didaktik des Comenius in tiefem Zu-
sammenhang mit der Umwandlung der gesamten Weltanschauung
zu Ende des L5. und Begimi des 16. Jahrhunderts steht. Comenius
war sich wohl bewusst, der Bannerträger einer neuen Zeit zu sein,
vergleicht er doch selbst sein Unternehmen mit der That eines
Columbus. Mit Begeistening schliesst (*r sich dem „gi'ossen Ge-
dankenerreger meiner Zeit," Lord Bacon, an, von ihm erhält er die
Methode und Richtung für seine Bestrebungen. Neben Bacon war
auch Ludwig Vi ves, der sich ebenfalls gegen die Autoritätsherrschaft
des Aristoteles erklärt, für Comenius von Einfluss. Nicht ohne
nachhaltende Anregung für letzteren zeugte sich auch das Studium
Campanellas, besonders aber empfing er Einwirkungen von Ratke,
Aisted und Andrea. In Betreff des Verhältnisses zu Ratke ver-
weisen wir auf die Ausfühnmgen, die Israel in den Monatsheften
der Comenius -Gesellschaft Bd. I (1892) S. 178 ff. gegeben hat.
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1894. I^ie SchinidVche (te^hichte der Erziehung. 35
Von ungleich grösserer Bedeutung ist die Einwirkung Aisteds
und Andi'eäs. Aisted beeinflusste ihn nämlich sowohl durch seine
Vorlesungen, die Coinenius in lierborn zu hören Gelegenheit hatte,
wie durch seine zahlreichen Schriften, besondei-s dui'ch seine Uni-
versal-Encyklopädie. Zwischen Ix»hrer und Schüler herrschte eine
Übereinstinmuuig in den grössten Fragen, „in der Ableitiuig aller
Wissenschaft aus der göttlichen Quelle und ihrer Beziehung auf
sie, in der Hinleitung namentlich der Erziehung auf Gott und dem
entsprechend in der hohen Schätzung der Schule als einer göttlichen
(d. h. gottgewollten) Einrichtung und in dem warmen Herzen, das
beide ihr entgegenbringen. Dem entspricht auch die bei dem
Systematiker Aisted so auffallende Wanne der Sprache, die auch
in den oft sehr gelungenen Wortspielen imd Vergleichungen eine
nicht zu verkeimende Parallele bei beiden Mämiern bildet . . . Die
Ausfährung des Satzes vom Menschen als Mikrokosmus ist bei
Comenius (in der Physicae Synopsis S. 208) ein(» ganz analoge,
wie bei Aisted." Auch in der eigentlichen Didaktik finden sich
auffallende Ubereinstimnuuigen zwischen beiden Denkern; was
Comenius voraus hat, ist nur der einheitlichere Aufbau, die folge-
richtigere Zusammenfassimg, die ihm als diu'chaus pädagogisch an-
gelegter Natiu* eigen war.
Wenig oder gai* nicht wurde bisher die pädagogische Be-
deutung Andreas gewürdigt, während der Genaiuite einen Ehren-
platz in der Geschichte der Pädagogik beanspruchen darf. Seine
„goldenen" Schriften bildeten insbesondere für Comenius eine helle
Leuchte. Manche sehen in Andrea geradezu die Wurzeln der Kraft
füi* Comenius. Brügel sagt in dem Ergebnis seiner Untersuchung
über Andrea: „Es sind nicht um* einzelne Berührungspunkte, die
sich zwischen Andrea und Comenius ergeben, sondern eine durch-
greifende Übereinstimmmig ihrer ganzen Anschauung, dergestalt,
dass Andi'cä zuerst in genialem Wiu^ die Giimdgedanken aus-
spricht, welche Comenius in einen giösseren Zusammenhang gefasst
und ausführlich begründet hat, w(*lche darzustellen und praktisch
anzuwenden seine Lebensai-beit unter sechs Nationen gewesen ist.
Andrea hat den Grund gelegt, auf welchem Comenius den be-
wundernswerten Bau seiner Didaktik aufgeführt hat." Brügel hat
sich durch seine Abhandlung entschieden ein Verdienst ei-worben und
die Am*egimg zn weitergehenden Untersuchungen gegeben, welche
darthmi werden, inwieweit sich jenes bisherige Ergebnis über die
Abhängigkeit des Comenius von Andrea aufrecht halten lassen
wird. Die Untersuchung ist erst angeregt, noch keineswegs ab-
geschlossen *).
M Vgl. L. Keller, Joh. Val. Andrea und Comenius. Monatshefte der
Comenius-Gesellschaft. Bd. I. S. 229 ff.
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36 Hochegger, Die SchmUrsche CJoschichte der Erziehung. Heft 1.
Die Abhandlung über (A)memu!? giebt ein auf Grund der
Quellen und besten Bearbeitungen entworfenes, mit Liebe aus-
geführtes Lc^bensbild des Pädagogen, tritt dann der Pädagt^k
desselben näher, bespricht anhangsweise dessen pansophische Be-
strebungen und schliesst mit einer Würdigung der Leistungen und
der Bedeutung des Comenius. Die Darstellung ist klar und sach-
gemäss gehalten und gehört ziun Besten, was über ihn geschrieben
wurde. Es ist freilich zu bedauern, dass die Veröffentlichung
nicht bis nach der kurz nach Ausgabe des Bandes abgehaltenen
Jubelfeier der dreihimdertsten Wiederkehr des Geburtstages des
grossen Mannes verschoben wiude. So konnte die zahlreiche
Literatur, manche Quellenergänzung und mancher dankenswerte
Beitrag zm* Entstehungsgeschichte und zum Verständis der Come-
nianischen Lehre, nicht mehr benutzt werden. Der Verfasser
anerkennt rückhaltlos die Bedeutung des Comenius für die Gegen-
wart, er zollt auch den Bestrebungen der Comenius-Gesellschaft
die gebührende Würdigung. Möge Niemand, der sich für Comenius
interessiert, versäumen, vorUegenden Band des Schmid'schen Werkes
zur Hand zu nehmen.
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B. Litteraturbericht.
Wir beabsichtigen, die wichtigeren Erscheinungen unseres Fornchungs-
gebiete durch kurze Hinweise an dieser Stelle der Aufmerksamkeit unserer
Leser zu empfehlen und bitten die Herren Verfasser imd Verleger um Zu-
sendung der hierher gehörigen Litteratur.
1. Neuere Wiclif-Idtteratur. Über die iieuertMi Wiclif-Studieii
hat Prof. Dr. J. Loserth in Graz seit dem Jahre 1885 wiederholt be-
richtet, und wir könjien unn an dieser Stelle denhalb darauf be-
^<ch^aIlken (soweit es sich um die bis Ende 1892 erschienenen Schriften
handelt), auf jene Berichte zu verweisen. Der erst^» findet sich in
der historischen Zeitschrift 1885 Bd. 53, 48 — 62, der zweite ebendort
1889 Bd. 62, 260- 278, der dritte und letzte in der deutschen Zeit-
schrift für Geschichtswissenschaft 1898 Bd. 9, 111 — 113. — Aus
diesen Berichttni erhellt, welch' grossen Aufschwung die Wiclif-Literatur
seit der Begründung der Wiclif-Society genommen hat. Die früher
sowohl in England wie anderwärts stark vernachlässigte Wiclif- For-
schung zählt jetzt eine Reihe angesehener Mitarbeiter, in England
die Leiter der Gesellschaft F. J. Furnivall, M. Burrow und F.
D. Matthew sowie die Gelehrttm Harris, Lane, Poole, Pollard,
Sayle, in Deutschland die Herrn R. Beer, Buddensieg, Herzberg-
Fränkel, Loserth und Schnabel, in Polen Dziewicki, in Böhmen
A. Patera. Wir können uns nicht versagen, den Eingang und den
Schluss des letzterwähnten Loserthschen B(»richts hierher zu setzen.
„Wer jene Studien überblickt, sagt L., die seit den letzten vier Jahr-
hunderten über das Leben und di(* Lehren Wiclif s auf englischer
Erde erschienen shul, der nmss wohl sagen, dass Alt-England diesen
, Morgenstern der Reformation*, wie es ihn heute gern nennt, bis
auf die letztt»n zwei Jahrz«»hnU* herab in einer geradezu seltsamen
Weise vernachlässigt hat .... p]rst jetzt, nachdem die Hauptmasse
der bahnbrechenden Werke Wiclifs gedruckt vorliegt, ist man in der
Lage, seine Bedeutung voUkonnnen zu ermessen, seinen Werdegang
zu schildern und den Einfluss genau festzustellen, den er auf das
Husitentum gewonnen Es ergibt sich, da^^s Hus bis auf
die geringfügigsten Dinge die Li^hrtni sein(»s Meisters wortgetn»u auf-
genommen hat. Selbst da« nationale Element, das hn Husitentum
eine so bedeutende Rolle spielt, geht auf Wiclif zurück. Dass die
Taboriten lehre im Wesentlichen nut jener Wiclifs identisch ist,
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B8 Litteraturbcricbt. Heft 1.
habe ich in meiner Ausgabe De Eiieharistia nachgewiesen." Bei dem
nahen Zusammenhang der Taborilenlehre mit der der böhmischen
Brüder, haben die Arbeiten der Wielif-Boeiety für unsere Gesell-
schaft noch (»in gesteigertes Interesse. Die Thatsache, dass sich durch
das angebHche „Sektenchaos" der Wiclefiten, Husiten, Taboriten,
böhmischen Brüder u. s. w. eine gemeinsame Überliefenuig religiöser
Überzeugungen, die in allen wesentlichen Punkten übereinstinnnen,
wie ein rother Faden hindurchzieht — wir fassen sie unter dem
Namen der „altevangelischcu Glaubenslehre" zusanunen — tntt inuner
deutlicher an das Licht. K.
2. In Bd. 4 der American Society of Church Historv — wir haben
die Arbeiten dieser Ciesens<*haft schon früher (s. M. H. der C. G. 1893
8. 97) erwähnt - - veröffentlicht Albert Henry Newman, Prof.
der Kirchengeschichte an der Universität Toronto in Canada, eine sehr
interessante Übersicht über die neueren Forschungen zur Sektenge-
schichte des Mittelalters unter dem Titel: Recent Researches con-
cerning mediaeval sects. Es ist ein Vortrag, den Newmann zu
Ende 1891 in einer Versammlung der oben genannten Gesellschaft
gehalten hat. Die Übersicht reicht daher nur bis zu dem genannten
Zeitpunkt. Der Vortrag enthält zugleich eine gute Orientirung über
die verschiedenen auf diesem Gebiet schwebenden Streitfragen und
beweist, dass auf diesem Gebiet seit zehn Jahren mit grossem Eifer
und Erfolg gearbeitet worden ist. So sehr auch die Ansichten über
den Wert der mittelalterlichen Reformparteien noch auseinandergehen,
so bricht sich doch allmählich die Überzeugung inmier allgemeiner
Bahn, dass ihre Bedeutung für das abendländische Geistesleben grösser
gewesen ist als man fmher angenonunen hat; sit* können daher die
erhöhte Aufmerksamkeit weiterer Kreise mit Recht beanspruchen.
K.
3. Ein Aufsatz, den Wilhelm Dilthey in SUmus Archiv Bd. IV.
Gi)4 ff. u. V. 337 ff. unter dem Titel: „Auffassung und Analyse
(\e^ Menschen im 15. und 1 6. Jahrhundert" veröffentlicht hat,
verdient die besondere Aufmerksamkeit unserer Mitglieder. Dilthey
will durch diese Erörterung sich einen Weg bahnen, um zu erkennen,
„wie die Menschheit aus der theologischen Metaphysik des Mittelalters
dem 17. Jahrhundert, der Begründung der Herrschaft des Menschen
über die Natur, der Autonomie des erkennenden und handelnden
Menschen, der Ausbildung eines natürlichen Systems i) auf dem
Gebiet von Recht und Staat, Kunst, Moral und Theologie entgegen-
geschritten ist" (V, 341). Für diese Erkenntnis erscheint ihm das
Hervorbrechen des „religiös -universalen Theisnuis" am Beginn des
16. Jahrhunderts besonders wichtig; wir müssen erkennen, „wie sich
Luther diesem Theisnuis entgegen warf, wie dieser Standpunkt aber
') Über dieses natürliche System selbst hat Dilthey in einem beson-
deren Aufsatz gehandelt, den wir weiter unten erwähnen.
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1894. Litteraturl>ericht. 39
von Zwiiigli in gewissen (iivnzen mifjf<'n<>innuMi und von den SokU^n,
zumal denen der refonnirten Kiroht\ fortgebildet worden ist; mit
«lienen Sekten und dem reformierten (reiste steht dann an
den meisten Stellen die Fortgestaltung dieses Standpunkts
während des 17. Jahrhunderts in klar erkennbarem histo-
rischem Zusammenhang** (V, S. 841, vgl. S. 880). Nach einer
Schildennig i\on italienischen und französischen Humanisnuis (Petrarca,
Montaigne u. s. w.) konunt I)ilth(»y eingehender auf di'W deutschen
Humanisnuis zu sprechen; treffend ist das Bild von Erasmus ge-
zeichnet; Dilthey zeigt, wie diesem Freigeist ih^t^ 1 G. Jahrhunderts doch
allmählich da^^ grösste Problem seiner Zeit, das wahre Christentum,
zum Mittidpunkt der (Gedankenwelt wurde, und wie er das Wesen des
(Christentums in <lem fan«l, (V, 848; vgl. 8Sl f.) was Christus selbst
gelehrt hatte (Erasmi Opp. ed. ('leric. V, 25) oder wie geistesver-
wandt^ Zeitgenossen sagten, in den „Herrnworten"; mit Recht wird
auch die Bedeutung Conrad Mutians betont. Bei der Bt^sprechung
d(M* religiösen Eigenart Luthers bemerkt Dilthey sehr richtig gegen-
über den Anhängern Ritschis (\\ 850), dass dit» Lehre von der Sünde
und dem Unvermögen do^ Menschen zum (Juten ein mönchisches
Lebensideal zur Voraussetzung hat; auch auf die nachdrückliche Bo-
tonung der eigenartigen Bedcnitung Zwingiis machen wir aufmerksam,
der sich dann eine Würdigung Deucks und Francks (S. 888 ff.)
anschliesst, die wohl manch(»r P]rgänzung bedürftig wäre, aber doch
sehr beachtenswert ist. K.
4. Vornehnüich veraidasst durch die Mängel der panegyrischen
I^»bensbeschreibung Vergerios von Chr. H. Sixt hat Friedrich
Hubert es unternonnnen, das I^ben und Wirken dies(\s merkwürdigen
Mannes und früheren päpstlichen Nuntius einer kritischen UnU^suchung
zu unterziehen. Dixa Buch liegt vor unter dem Titel: Vergerios
publicistische Thätigkeit, nebst einer bibliographischen
Übersicht ((löttingen, Vandenhoeck u. Ruprwht 1893). Hubert
fand hl den im vorigen Jahr von Friedens bürg herausgegebenen
Nunciaturbericht<Mi eine nützliche Vomrbeit. Das Hauptgewicht hat
er auf die schriftsttdlerisclu» Thätigkeit Vergerios gelegt. Vergerio ist vor
allem Volksschriftsteller. Als charaktristisch kennzeichnet Hubert die
Bevorzugung der Muttersprache, die Einfachheit und Klarheit
des Ausdrucks und namentlich die Frische und Lebendigkeit der
auf die Anschauung iU^i^ Lesers Avu'kenden Darstellung — den
Freunden des Comenius wohlbekannte pjgenschaften aller hervor-
mgenden VertrettM- diesc^r (jeistei^richtung. Es ist bekannt, da>js
Vergerio nach seinem Übertritt (1548) sich innerlich den böhmischen
Brüdern besonders nah verwandt fühlte. Eine reiche Bücherkundc^
von Vergerios Schriften, die meist als kleine Flugschriften erschienen,
beschliesst Huberts V(M-(lienstliches Werk. Wir beabsichtigen, wenn
thunlich, di(* Beziehungen Vergerios zu den Brüdern gelegentlich
näher zu verfolgen. B. u. K.
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40 Litteraturhoricht. Hoft 1.
r>. Die l^'^niversitäts-Bibliothek von Gent hat <las dankenswerte
Werk einer umfassenden Bibliographie des Erasmus unternommen.
Die bisherigen Resultat(^ dieser ^ibliotheoa Brasmiana^ liegen in
Listen vor, die gegenwärtig zur Vervollständigung und ev. Berichtigung
an die Vorstände der Bibliotheken u. s. w. gesandt worden sind.
B.
6. In den „Philosophischen Monatsheften" (Bd. 29. 1893, 8. 129
bis 177) veröffentlicht Hermann Heineck Melanchthons Ethik
in ihrer ältesten Fassung auf Gnmd einer Handschrift, die aus
dem Nachlass des verstorbenen Gröper-Laserow durch Schenkung an
das städtische Museum in Nordhausen gekommen ist. Da^ Manuskript
stammt aus dem Jahre 1582. Die erste Ausgabe erschien 1538.
Achtzehn Kapitel enthält diese mehr, als die Handschrift^ zwölf aus
der Handschrift fehlen in ihr. B.
7. Einen kleinen Beitrag zur Charakteristik des Eobanus Hes-
sus, der uns seiner reformatorischen Bestrebungen wegen hier angeht,
liefert Ehwald in einem Programm des Herzogl. Gymnasium Emesti-
num in Gotha (1893) durch Mitteilung eines Briefes von Hessus an
einen jungen Studenten Namens Mauricius Sydel aus einer Gothaer
Handschrift. Auch der grosse „Prac^eptor Gemianiae" hat sich dieses
„studiosissimus iuvenis" in einem derselben Handschrift angehörigen,
im (.^orpus Reformatorum (H. S. 550 ff.) .-K-hon veröffentlichten Schrei-
ben angenommen, das Ehwald als Gegenstück zu Eobans Brief
wiederholt hat. B.
8. Die 20. Lieferung des „Pädagogischen Magazins," herausge-
g(»ben von F. Mann (Langensalza 1893) bringt bemerkenswerte „Bei-
träge zur Geschichte des Unterrichts und der Zucht in den Latein-
soholen des IB. Jahrhunderts" von E. Gehmlich. — Pädagogisches
Interesse bietet auch ein Aufsatz von Karl Wotke im 1. Hefte der
„Oesterreichischen Mittelschule" (1893) über den einflussreichen Gua-
rino von Verona als Lehrer. B.
9. In einem Aufsatz „Zur Gelehrtengeschichte Heidel-
bergs beim Ausgang des Mittelalters" (Gymnasial-Programm von
Wilhelmshaven 1893) lenkt Hugo Holstein unsere Aufmerksamkeit
auf die erste Periode des Heidelberger Humanismus (1456 — 1480),
indem er die Persönlichkeiten hervorhebt, die damals in der altbe-
rühmten Neckarstadt vorübergehend oder dauernd für die neue Rich-
tung thätig gewesen sind. Aus ihrer Zahl seien hier wegen ihrer
Verdienste auf pädagogischem Gt»biete genannt: Stephan Hoest, Pallas
Spangel und besonders der eifrige Vorkämpfer des deutschen Huma-
nismus Jakob Wimpfeling, der durch sein Auftreten gegen den ein-
seitigen Formalismus so .segensreich für die Verbessening des Jugend-
miterrichtes gewirkt hat. B.
10. Es ist erfreulich, dass der vierhundertjährige Geburtstag
Hohenheüns — er ist bekannter unter dem Namen Paracelsus — ,
dessen Wiederkehr uns das Jahr 1893 gebracht hat, von einer Anzahl
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1894. Litteraturbericht. 41
angeseh(Mier Organe <ler offen tlicheii Meinung in gebührender Weise
beachtet wonlen ist. Tn der Beilage Nr. 261 zur AI lg. Zeitung
vom 10. Nov. 1H9H hat Dr. Karl SudhofT, der heute wohl der be-
kannteste Paraeelsus-Forseher sein durfte — Dr. Sudhoff ist Diplom-
Mitglied der (-.-(J. — einen Aufsatz gebracht, und in der Illustrir-
ten Zeitung vom 9. Dez. 189.3 (Nr. 20:32) findet sich ein Bild und
ein Artikel von Dr. Ad. Kohut. Ebenso bringen die National-Zeitung
in ihrer Sonntags-Beilage zu Nr. 708 vom 17. Dez. 189.3 und Vom
Fels zum Meer Heft 4 (Ludwig Kareil) freundlich gehalt^^ne Artikel.
— In dem Arbeit**progranun der (1-G. ist der Name Hohenheims
ausdrücklich genannt, und wir beabsichtigcMi unsen» I^»ser über den
Fortgang der Paracelsus- Forschungen regelmässig zu unterricht^Mi.
K.
11. Wir haben wiederholt darauf hingewit»sen, dass die Männer,
die die exakten Wissenschaften von den antikcMi Cberliefeningen befreit
haben, und die mithin die Begründer <ler heutigen Mathematik, Astro-
nomie, Botanik, Chemie u. s. w. geworden sind, gerade unter den
historisch(*n Persönlichkeiten zu suchen sind, die wir zu den Geistes-
V(»rwandten do^ C'omenius zählen. Zu jenen Wissenschaften gebort
auch die Geographie. Der Nestor unter i\^n heutigen (xeographen,
Julius Lowenberg in Berlin (geb. 1800), hat soeben eine kleine
Schrift veröffentlicht (Sanmdung gtuneinverständlicher wiss. Vortrage,
hrsg. v. Virchow und Watt^nbach, Neue Folge, Heft 177), die in
mehrfacher Beziehung für uns von Interesse ist; der Titel lautet:
„Das Weltbuoh Sebastian Franoks. Die erste allgemeine Geographie
in deutscher Sprache von J. Löwenberg." Es handelt sich um da^
zuerst im J. ir)'34 erschienene „Weltbuch, Spiegel und Bildnis des
ganzen Erdbodens" . . ., das rasch vier deutsche Auflagen und drei
holländische Übersetzungen erlebte, bereits nach zehn Jahren 1544
aber durch die bekannte (-osmographie des Seb. Münster eine sach-
lich nicht begründete Zurückdrängung erfuhr, um später in unver-
dienter Weise vergessen zu werden. Wie hoch Seb. Francks Leistung
über <lerjenigen Münsters steht, hat vor Jahren bereits H. W. v. Riehl
(Freie Vorträge I, 1873, 135 ff.) in sehr treffender Weise dargelegt.
Dass Franck jetzt mehr und mehr unt4*r di^n (leographen diejenige
Würdigung findet, di(» er verdient, ist um so (»rfreulicher, als ihm
die Historiker (wie die Geschichte der deutschen Historiographie von
F. X. Wegele beweist) die ihm gebührende Wertschätzung immer noch
vorenthalten. Wir verweisen in Betreff Julius Löwen bergs und seiner
kleinen Schrift auf den Aufsatz eines ungenannten Verfassers in der
Leipziger 111. Ztg. Nr. 2632 vom 9. Dezember 1893. — Einige
andere SeitcMi Franckscher Geistesarbeit haben H. Wiskemann (Dar-
stellung der in Deutschland zur Zeit d. Ref. herrschenden national-
ökonomischen Anschauungen. Lpz. 1861) und Friedr. Lat<»ndorf (Seb.
Franci de Pythagora disput. illustrata 1868 u. S. F.V erste namen-
lose Spruch Wörtersammlung 1876) behandelt. K.
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42 Litteraturbericht. .Heft. 1.
12. Dr. Bernh. Beoker hat im th(K)logischen Seminar dor
Brüdergemeine zu Gna<ienfel(l, denken Direktor er int, zwei Vorle.«<un-
gt»n über die „Christliche Volksunterweisung als Bindeglied
zwischen der Reformation und dem Pietismus** gehalten, die hei
C. Bertelsmann in Gütersloh (1891. 8. 54 S.) als besondere kleine
Schrift erschienen sind. B. hat damit auf eine Seite der Entwicklung des
Pietismus hingewiesen, die noch nicht genügend gewürdigt worden ist.
B. knüpft an die mit Göbels Gesch. des christl. Lebens in der rhein.-
westf. Kirche 1849 — 1860 übereinstimmende Auffassung Albrecht
Ritschip an, wonach der Pietismus nichts ist als eine abgeschwächte
Form derselben Richtung, wie sie im 1(5. Jahrb. unter dem Namen
des Anabaptisnms aufg(*treten ist und die Göbel als eine Fort*<etzung
mittelalterlicher Reform bestrebungen ansieht. Während Göbel den
»Pietismus" als einen Fortschritt evangelischen Lebens betrachtet hält
Ritschi ihn für einen Rückfall, für halbkatholisch und für eine Ent-
artung der Reformation. Dem gegenüber sucht Becker nachzuweisen,
dass zwischen dem älteren sog. Pietisnms Andreas, Speners, Franckes
und der deutschen Refonnation ein positiver Zusammenhang besteht, und
er zeigt ihn auf in der Geschichte der Volks Unterweisung und
Volkserziehung. „Mit der pietistischen Bewegung," sagt Becker
S. 39, „traf jene von Baco und Montaigne her angeregte Schulreform
zusanunen, deren Tendenz im Allgemeinen dahin ging, die Schule zur
Schule für das Leben zu mm'hen. Männer wie Ratke, Hei wich,
Jung sind die Vertreter dieser Reform, die schon in Andrea und
namentlich Comenius sich innerlich nahe mit dem Pietismus berührte.
. . . Er, ein Vertreter der Aufklärung im edelsten Sinn des Wortes,
der von sich sagte: „rationalis sum, non rationalista" ist der eigentliche
Führer jener S<*hulreform und vertritt zugleich in seiner Frönmiigkeit
den Herzensernst des Pietismus" ... B. wendet sich entschieden
gegen die neueren Gt^ner dieser sog. „Pietisten," als deren Kennzeichen
mit Vorliebe ein Spiel mit der Jesusliebe, eine mönchische Askese
und quietistische Beschaulichkeit hingestellt werden. „Wenn solche Er-
scheinungen bei Einzelnen bemerkbar sein mögen — an wem lag die
Schuld? Die Unterdrückung und Verfolgung war es, die die ,Recht-
gläubigen* ihnen angedeihen Hessen, durch welche hier und da ein
engherziger Methodismus grossgezogen wanl. Seinem Stern und Wesen
nach ist der sog. Pietismus weiter nichts als ein ernstes Streben
nach einer sittlich- religiösen Reform der Gesellschaft auf
dem Wege der Volkserziehung^* (S. 53). — Die Vorträge sind
in den Jahren 1889 und 1890 gehalten und können wann empfohlen
werden. K.
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1894.
Inhalt iipiierer Zeitschriften.
4;{
C. Inhalt neuerer Zeitschriften.
All|:^inelne aSeltuiiff. KtMlagv^. Nr.
27.') 2W}. Inhalt: Lugo Brentano, M&n- '
cboner voIk.HwirthKchAftlicho Studion. - Auj?. ;
Conrady, Pio (ieHchichti' dor Sianu'^'n.
I>pr HypnotisnuH im Recht. Fr. Fecht,
Zur Erinnonin); an Julius Frflbel. Anton
Bettelheim, Zu Ehren von Hennann Kurz.
— Eine Oricntrpi.s4\ A. Hrezina , üIht
neuere Met«*oriten. K. Werner, Diunmnt
und Kubin. Der Ri>nian einer Kaineriii.
H. Jansen, MarokkaniMehe Frauen. L u d - i
wig Busse, Han» Vaihinjjern Coniinen-
tar tu KantH Kritik der reinen Vernunft. ,
2. Bd. Hugo Arnold, l>er Vidkskriej; |
an der Loin« im Uerl>.Mt 1H7«». — Max I>ietz,
Claudio Montevei-di. Adolf Bastian,
Über Fetischismus. VolkHwirths*chaftliihe
Literatur. MitteilunK«*n , Nachrichten , Be-
sprechungen.
BaUeein de 1» »o^i^t^ d'Mwtolre
YandolaeiLa Tour). Inhalt: IX (Mai Juni
1><H2) E. Arnaud, Hist*iirt* des premien-s
|>enM''Cution» des Vaudois lutheriens du Com-
tat Venaissin et de In Prcjvenc«' d'apnV <le
noureaux document«*. F*. R i v o i re , Missione
del Seimtore (iiulio O'san« Barben nelle valli
Valdesi, 1625 1H27. E. de Bude, Sejimr
des Vandois du IMemont en Suis.«*«' 172^* 17.'C{.
W. Meille, l'n pnK-As au sujet de .bau
I/'ger. Etüde hist4>rique. J, Ja IIa, Tu
precursore «K'l pu'*<'i.Hmo nelle Valli al secoN»
XML Bulletin X: (Aout lK9:ii AIcuni
tlocumenli relalivi alla |K«rs4H'uciom' (\uldes«')
del löfiO- I.'ilil. — Reh^vemeut nionu-ntane et
extinction des Kplises Vandois^'.s dans I«' Val
Pragela, d'apn^'S des (b>cuments inedits.
Liste des Vaudois i-xiles en M>1»S et U\UU,
liW-e des Archives Natioiuiles de la Haye. -
Vaudois allemands en Boheme v<'r> Tan V.iUK
Traduction de l'allemand (Zeitschr. f. K.-<H'scb.
XIV, l). Perouse. Communaute de Vau-
dois en WurtemU'rg. Traduction dt* l'allenuuul.
Bibliographie.
nUttelluniceii dor 4«eH<-llHetaMf%
für deutMotae Ersletaiinfi^N- und
Hclial|i;esr1ilcll(e. (B<>rlin, A. Hofmann
\ Co.). m. 2 8: H. F. Wagner, (reschichte
des Volksschulwesens im Enwtifte Salzburj?.
F. W. E. Roth, Ordnungen und Xoiiī'n
7.ur .Schulgeschichti' des Rheingaue?* t I.Vit) bin
U)17). Ernst (tehmlich, ZeugnisM- fHr
Ijchrer der 1^'ipzigi'r Epliorie aus den Jabn'ii
1738, \l'ti\, 1757 und I8<)7. Hugo Isen-
bart, Justus MJiwrs Brief an W. von Edels-
heim Aber Erziehimg für's praktische U*b«'n.
Ernst (rehmlich, Zur Geschichte der
Schule des Städtchens Taucha lK«i l/^ipzig. —
B, Kaisser, Instruktion für den Schulmeister
in Scbeer vom Jahre 16&L — F. Aseherson,
Vorlesungen Db«*r deutsche Erziehtmgs- und
Schulg<'schichte an deutschen l'nivei-si tüten im
Winters«Mnester IHIJI 02 und Sommer-S«>niest4'r
1802. (i.'schllftlicber Theil. P. Bahl-
maun, Schüler - Regeln aus dem Endi* des
15. Jahrhunderts. H.Becker, Die Zerbstir
I^andschulen um die Mitte des 17. Jahrb.
R. Pahner, D«^r Versuch des Hencogs Ernst
des Frommen von (ititha zur (rrQndung eines
adi'ligi'n Fräuleinstifts um UVUK R. May,
Schulkomödien der Jesuiten in Neiss4' {\H^\
bis 17<H»i, Kohlewey, Schulordnung«'n
der Stadt Königslutter. 1. Ciewtz«* für den
Schülerchor vom Jahr 1770. Schulmönzeii-
Rechenpf«'unig»\ - Zur Cisiijjanus-Litteratur.
l'i'ls'rsicht der im Jalin» 1K»1 im Bucb-
luindel erschienenen Werke zur (leschichte d»r
Erziehung und de?* rnterrichts. tJeschöft-
licher Theil.
Rei'ue intemallonale de l^ennelic-
nement. Red. Edmond Dreyfus - Brisac.
i:{e anne«'« Nr. U): Ed. Drey f us-Bri sac,
de la metbode ii apporter dans l'etude des
questions d'enseignement. Frank d'Arv*'st,
l'education nati<»nale. E. .Si ropeno, hist^iire
d'une «'cole tvntrale. Apen;»! sur l'organi-
sation de l'universite de Copt'nhague. Cor-
iTspondanc«' internati<»nale. Revue n'-tn»-
spective des ouvniges d«' reiis<ngnement.
Cbronique <Ie r»'ns«'ignement , Nouvelles et
inforniation;*. .\ctes et documents offici<'ls.
BibliograplUe.
Jataretiborietat Aber da» liöliere
liicilulweiien , herausg»'gebi'n v<m (\»nr.
Rclhwisch. 7. .labrg. 1S«.)2. H. Bender,
Schulg«'.Hchichte. ('. Ret b wisch, Scbul-
verfassung. L. Witte, Evaiig. Religion>-
b'lm«. J. N. Brunner, Katholische Re-
ligiouslehn*. R. Jona;«, D<'Utsch. H.
Ziemer, I.4itein. .V. von Bamberg.
<iri<»cliiseb. IL Lftsrbborn, Französisch
und Englisch. E. Schmiele, (iescliichtc.
. (>. Bobn, Enlkunde. A. Thaer, Ma-
thematik. K. Noack, K. Ihner und
A. Thaer, Nntunvissenscbaft. F. Flinzer,
Z<Mcbnen. - IL Bei 1er mann, «Jesang.
C. Euh'r, Tiinien und (b'sundheitspflege.
Archiv fiir ftuterreieliinelie Oe-
nclllctate. Band 70. Dop seh, Entstehung
und rharjikter des (»stern-lchiscben I^imdivcUl^.
(J. Winter, JM'V Ordo consilii von \'uAK
J. Loserth, l>'r Anabapstismu?« in Tirol
vom Jahre löiH\ bis zu seinem Erlöschen. -
Krones, Zur (rcscbichti' des .Jesuitenordens
in Ungarn H)45 Hi7l. Wertheim er,
Wien und da« Krieg^jahr IHl:l. Ad. Beer,
Di«' handelspolitischen FV'ziehungen Oester-
reichs zu den Deutschen Staaten unter Maria
Theresia.
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44 Zur Nachrieht. Heft 1.
D. Zur Nachricht
Aus dem EiNehoiniin^plan der Monatshefte 1894.
Einposaiult oder ziijrosagt sind unter anderen folgende Aufsätze:
R. Aren (lierlin), Conienius im l'rteil seiner Z<Mtgenossen. — Bemh. BaehriiifEr
(Minfeld), Zur Erinnerung an Jaeob Frohsehaninier. - Bemh. Beeker
((inadenfel(l), Sehleiennaeher und die Brüdergemeine. - Wilhelm Be§reinanii
(Rf)sr(>ek), i'ber den (lebraueh und die Bedeutung des Wortes „Pansophie".
— Ueorjf Fillissen (Einl)eek), Friedrieh Albert Lange als Philosoph und
Pädagog. - Wendelin Foerster (Bf>nn), l^ber die Verhandlungen der
\VaIdens(T mit Oeeolampad und Butzer ira Jahre 1.'):^. -^ Ludwig Keller
(Münster), Die Akademien und Sinlalitäten der Xatuq)hilosophen des 17. Jahrh.
l>is zur Entstehung der Royal Society in London. — Haekenberg: (Hotten-
bach), F. \V. Dörpfc^lds letztes Werk. - Fr. Hummel (Schwaigern), Zur
s(>zialj)olitischen Erziehung des englischen Volkes im H>. Jahrhundert. —
IIii^o Landwehr (Berlin), Johann Duraeus und die Unions- Bestrebungen
des 17. Jahrh. — Friedrich Albert Lan^e, Tber den Zusammenhang der
Erziehungssysteme mit den herrschenden Weitanschauungen der verschiedenen
Ziitalter (aus dem Nachlass). K. .Melehers (Bremen), Comenius und
Pestalozzi. — Paul Natorp (Marburg), l^ber ('ondr>rc(»t. - (iraf Leo Tolstoi,
Das Kaffeehaus von Surat. Aus dem Kussischen übersetzt von E. von Loev.
— Jaeob Wyehirram (I^ipzig), Ludwig Vives als Vorläufer des Comenius.
Ans dem Inhalt des ersten und zweiten Bandes.
Unser Arbeltj^plan (S. 111— Vlll). - P. Hohlfeld, J. A. (^omenius
und K. ('. F. Krause. — K. Mllmpel, Die interkonfessionellen Friedens-
ideale des J. A. Comenius. — A. Israel, Das Verhältnis der grossen Unt<^r-
richtslehre des Conienius zu der Didaktik Katkes. — Ludwig Keller, Johann
N'alentin Andreae und Comenius. — Jos, Müller, Zur Bücherkunde des
Conienius. — Ed. Bodemann, Km (Jedicht von I^ibniz auf Comenius. --
Jos. Müller, Die Bilder des Comenius. — Litteratur-Berichte: Die
Comenius -Litteratur in allen Sprachen seit 50 Jahren. — Die gedruckte
Litteratur über Wolfgang Ratichius. — Kritiken, Bespreehungren, Naeh-
riehten (darin die Satzungen der Cd.).
Ludwig Keller (Münster), Die Comenius-desellschaft. (leschichtliches
und Grundsätzliches. — M, A, K. Rovers (Ctrecht), Ein Friedensspruch.
— W. Heinzelmann, (Joethes religiöse Entwickelung. — Johann Loserth
((Jraz), Die kirchliche Reform l)ewegung in England im XIV. Jahrhundert
und ihre Aufnahme und Durchfühnmg in Böhmen. Akademische Antritts-
rede. — Lettau (Königslx'rg i. Pr.), Johann (Jeorg Hamann, als Geistes-
verwandter des Comenius. - Bemh. Baehrlngr (Minfeld), (-hristian Karl
Josias, P'reiherr von Bunsen. - Friedrich Albert Lan^e, Geschichte und
Bedcnitung der Schulkomödie vor und nach Comenius. Zur Bileherkunde:
Die neuere Litteratur ül)er K. Chr. Fr. Krause (^Hohlfeld). — Litteratur
über Valentin Andreae seit loO Jahren. — <{nellen und Forsehungren. —
Kleinere Mitteilungren. — Kritiken und Bespreehungren. — Nnehriehten.
IhiclKliiifkfn'i voll ,1olijtniu<s Bii'dt, Mnn^tcr i, Wostf.
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Monatshefte
der
Comenius-Gesellschaft
III. Band. ^ 1894. ^ Heft 2 u. 8.
Schleiermacher und die Brüdergemeine.
Von D. Bemh. Becker.
I.
In der Nacht vom 24. Mai 1770 ging ein preussischer
Ilusarenlcutnant mit seinen Leuten über die Weichsel, um aus dem
polnischen Grenzort Seitersdorf eine von römisch-katholischen
Gutsherrn schwer bedrängte Gemeinde reformierter Pfälzer auf
preussisches Gebiet herüber zu holen. Er folgte dabei einem Be-
fehl Friedrichs des Grossen, der durch den schlesischen Feld-
prediger Joh. Gottlieb Schleiermacher auf jene Glaubensgenossen
aufmerksam gemacht worden war. So entstand die Kolonie Anhalt
bei Pless in Oberschlesien, deren kircldiche Bedienung Schleier-
macher selbst übernahm, indem er 1778 dahin übersiedelte. Sein
Sohn Daniel Ernst stand damals im 10. Lebensjahr. In diese
Zeit fällt der Anfang der Beziehungen seiner FamiUe zur Brüder-
gemeine.
Sein Vater trat aus Anlass einer Kollekte, die er für jene
Gemeinde sammelte, in Verbindung mit angesehenen reformierten
Männern; einer dei'selben, der Antistes Emanuel Merian in Basel,
übersandte ihm eine im Jahr 1769 erschienene Schrift: La saine
doctrine, tir^e des ^rits des plus c^l^bres docteurs de F^glise
r^form^e. Verfasser derselben ist der Prediger der Brüdergemeine
Jeremias Risler, ein Mann, der nach Zinzendorfs Tode dessen nur
zu bald vergessene theologische Grundanschauungen hochgehalten
und auf den S^-noden der Brüdergenu^ine mit Nachdruck vertreten
hatte.
Monatshefte der t\>iueiiiu8-(ie8t'llschaft. 1894. A
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46 Becker, Heft 2 u. 3.
Jene Auszüge aus den Schriften reformierter Theologen lassen
deutlich erkennen, dass er sich bei der Auswahl von Zinzendor-
fischen Anschauungen, namentlich bezüglich der Auffassung der
christlichen Gotteserkenntnis, leiten liess. Von da an begann die
Schleiermacher'sche Familie auf die Brüdergemeine aufmerksam zu
werden, in der sie „ein singuläres Phänomen in der Christenheit^'
zu erkennen glaubte. Der dem Prediger Schleiermacher unterstellte
Lehrer Christoph Pauli war ein Vertreter brüderischen Christen-
tums; seine Sohne gehörten der Brüdergemeine an; er selbst stand
in Verbindung mit dem Gemeinort Gnadenfrei in Schlesien.
Die Familie Schleiermachers, nicht am wenigsten die Kinder,
wünschten diesen Ort kennen zu lernen. Als die Mutter mit ihnen
dort einen längeren Besuch machte, erhielt ihr Sohn, namentlich in
religiöser Beziehung, so tiefgehende und entscheidende Eindrücke,
dass er sich entschloss, der Brüdergemeine auf alle Fälle als Mit-
glied anzugehören, auch wenn er nur ein ehrsames Handwerk in
derselben erlernen könne.
Thatsächlich trat er in seinem 15. Lebensjahre in das Päda-
gogium der Brüdei^emeine zu Niesky in der Obcrlausitz ein. Er
bietet das Bild eines Pädagogisten, wie er sein sollte, im Sinne
der damaligen Zeit In edler Freundschaft mit dem späteren
Brüderbischof von Albertini verbunden, giebt er sich als ächter
Schüler des Neuhumanismus mit frischer Begeistenmg dem Studium,
namentlich der griechischen Klassiker, hin und pflegt zu gleicher
Zeit ein inniges religiöses Leben, das seinen einzigen Beziehungs-
pimkt in Christus hat Nicht im mindesten wird dadurch seine
jugendliche Frische und Fröhlichkeit im Kreise der gleichgestimm-
ten Kameraden beeinträchtigt Im Gegenteil ermahnt er seine
im Gnadenfreier Schwestemhause lebende Schwester Charlotte, ja
nicht zu melancholisch zu sein, damit die Leute nicht in der An-
sicht bestärkt würden, dass die Hermhuter sämtlich Kopfhänger
seien.
Der Umgang mit dem Heiland ist es, der ihm zu harmo-
nischem inneren Leben verhilft Nur wenn dieser gestört wird,
fühlt er sich innerlich bedrängt „,Jch will sie alle zu mir ziehen,
hiess es in der gestrigen Losung", schreibt er an seine Schwester;
„das Nvird er in Gnaden auch an mir erfüllen; er ist auferstanden,
zu helfen allen Elenden auf Erden, das giebt mir auch ein Recht
an ihn; er Lst meine Zuvei-sicht alleine, der Gott, für mich am
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1894. Schleiermacher und die Brüdergemeine. 47
Kreuz erblasst." — „Ach erfüllte Jesu Liebe unsere Herzen Tag
und Nacht! Wären wir ihm nur ganz zur Freude, stünden wir
immer in einem ganz ungestörten Umgang mit ihm, könnte uns
nichts auch nur einen Augenblick von ihm abbringen".*)
In seinem „vergnügten Gange" fühlt er sich nur dann ge-
stört, wenn er sieht, er ,^ebe den Heiland nicht genug^^; er sei
ihm nicht ganz ziu* Ehre, und „wenn der tagliche Umgang mit
ihm nicht ungestört und imunterbrochen fort geht Aber, so oft
man zu ihm kommt, als ein Sünder, der blos aus seiner Gnade
selig ist, so oft man sich einen Gnadenblick von ihm ausbittet,
so geht man nie leer von ihm, er wird nie untreu, so oft wir es
auch werden". 2)
Bei dieser inneren Gesinnimg ist ihm auch „der Schritt in
ein anderes Chor" (d. h. seine Aufnahme in den besonderen Bund
der „ledigen Brüder*^ „nichts Geringes, sondern vielmehr ein An-
lass ernster religiöser Selbstprüfung, die ihn zu dem Bekenntnis
treibt: „Niemand ist seliger als ein Sünder — hört es und glaubt
es, ihr Menschenkinder — der Gnade hat".^)"
Nachdem Schleiermacher in das theologische Seminar der
Brüdergemeine in Barby eingetreten war, erfolgte bald ein voll-
ständiger Umschwung seiner Anschauungsweise; von tief greif en-
den Zweifeln wurde er heimgesucht; in den stillen Bäumen des
Brüderseminars kämpfte er einen schweren Kampf durch, dessen
letzte Entscheidung von durchgreifender Bedeutung für die Ent-
Nvickelung der evangelischen Kirche des 19. Jahrhunderts wurde.
Durch die eigentümliche Art der brüderischen Frömmigkeit
und der auf derselben ruhenden humanistischen Bildungsweise ist
er nicht verursacht worden. Dieselben waren vielmehr im stände
gewesen, dem von Haus aus kritisch gerichteten Knaben zur vollen
innem Befriedigung zu verhelfen* Jene Zweifel waren schon in
den Kinderjahren aufgetaucht; durch gewisse überlieferte kirchliche
Lehrsätze wurden sie angeregt, mit denen das Nachdenken des
Knaben sich nicht befreunden konnte.
Es handelt sich namentlich um die Lehre von den unend-
lichen Strafen und Belohnungen, von dem genugthuenden Straf-
leiden Christi, von dem natürlichen Verderben und den über-
*) Au8 Schleicnnachei"s Leben in Briefen. Berlin 1860. I, 32. *) a. a.
O. I, 28. ") a. a. O. I, 34.
4*
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48 Becker, Heft 2 u. 8.
natürlichen Gnadenwirkungen. Die Frage nach den letzteren war
in ihm allerdings erst durch die von ihm besuchten Gnadenfreier
gottesdienstlichen Versammlungen angeregt worden. Während
seiner Studienzeit im Pädagogium waren diese Zweifel vollständig
verschwimden; nun erst im Zusammenhang mit dem beginnenden
theologischen Studiiun tauchten sie \vieder auf und störten die
innere Ruhe seines Jugendlebens. Es handelte sich namentlich
um zwei Punkte der überlieferten kirchlichen Lehre, um die Be-
hauptung einer metaphysischen Gottheit Christi und um die seines
genugthuenden Strafleidens.
Schleicrmacher war im Pädogogium durch Kohlreif zu
einer nüchternen Betrachtung religiöser Fragen angeleitet worden.
„Ich war damals lauter glühende Phantasie und hoffte, er werde
mein Feuer noch feuriger blasen, aber nein, er führte mein Gemüt
an der Hand der Geschichte und verständiger Vorstellungen zu
einem stillen Ernst und zu ruhigen Überlegungen zurück." i) Im
Seminar sah er sich gehindert, diesen Weg selbständig weiter
zu gehen. Er klagt über die „etwas zu grosse Eingeschränktheit
in der Leetüre"; man könne sich über den gegenwärtigen Stand
der Exegese und Dogmatik nicht genügend unterrichten. ^^) Schliess-
lich sah er sich zum völligen Bruch mit den angezweifelten Lehren
der Kirche getrieben. „Ich kann nicht glauben, dass der ewiger
wahrer Gott war, der sich selbst nur den Menschensohn nannte,
ich kann nicht glauben, dass sein Tod eine stellvertretende Ver-
söhnimg war, weil er es selbst nie ausdrücklich gesagt hat, und
weil ich nicht glauben kann, dass sie nötig gewesen; denn Gott
kann die Menschen, die er offenbar nicht zur Vollkommenheit,
sondern nur zum Streben nach derselben geschaffen hat, immöglich
darum ewig strafen wollen, weil sie nicht vollkommen geworden
sind."'"^) So schreibt er an den bekümmerten Vater und fügt
später noch hinzu, er „habe Zweifel gegen die Versöhnungslehre
und die Gottheit Christi", sie seien natürlich aus seiner Lage ent^
standen. „Wie konnte ich aufs blosse Wort glauben, dass an
allen den Einwürfen unserer Theologen, die von kritischen exe-
getischen und philosophischen Gründen unterstützt sein sollen,
nichts, gamichts sei?" Er könne selbst nicht untersuchen, in-
wiefern neuere Einwürfe imgegründet seien, weU er nichts der-
') a. a. O. I, 144. ') a. a. (). I, HU. =') a. a. U. 1, 42 t\\
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1894. Scbleiermacher und dio Brudorgemeine. 49
gleichen lesen dürfe und man sich nicht einmal damit einlasse,
ihm seine eigenen Zweifel zu widerlegen. Was die Gottheit Christi
betreife, so komme es darauf an, was man damals für einen Be-
griff* mit den Worten vlog i^eov verband. j,Das8 man wenigstens
nicht immer die Einheit mit dem göttlichen Wesen meinte,
sieht man daraus, dass die Apostel diese Worte auch häufig von
den Christen gebrauchen". ^)
Es handelt sich bei diesen Erlebnissen des geistig reich be-
gabten Jünglings nicht blos um theoretische Zweifel, sondern um
unabweisliche Forderungen seines religir)seu Lebens. Es galt das-
selbe „zu retten gegen die vereinigte Macht der Welt und des
skeptischen Verstandes"; es handelte sich um eine „Wirkimg des
Wahrheitsgefühls ohne alle Lust oder Unlust zu dem, was nun
kommen würde". Das eitle Wesen in der Welt fürchtete er, und
hätte er einen ähnlichen Winkel gewusst, wie die Hermhuter, er
wäre lieber dorthin (als nach Halle) gegangen.*^) Seine in der
Brüdergemeine entstandene und entwickelte Frömmigkeit war es,
die ihm half , als er „anfing den väterlichen Glauben zu sichten
und Gedanken und Gefühle zu reinigen von dem Schutt der Vor-
welt".»)
Der Christus, mit dem er täglich als mit seinem Heilande
verkehrt hatte, erschien ihm fremd, wenn er sich ihn unter dem
Gesichtspunkt der metaphysischen Gottheit vorstellen sollte; der
Gedanke, dass der Heiland als der Unschuldige um der Unvoll-
kommenheit der übrigen Menschen \nllen von Gott abgestraft
worden sei, kränkte ihn in seinen religi(*)sen Gefühlen. Weil er
die Religion als Sache des Gemüts kennen gelernt hatü», als engstes
Angeschlossensein an die acht menschliche, geschichtlich offenbare
Person des Heilandes, den Träger der göttlichen Liebe, konnte er
sich mit Vorstellungen nicht zurecht finden, welche die l(»bendige
nahbare Pei-son dieses Heilandes in einen metaphysischen Begriff*
aufzulösen schienen und ihn als einen solchen hinstellten, dessen
Hauptaufgabe in diesem Leben es gewesen sei, einem blossen Ge-
rechtigkeitsbedürfnis zum Opfer gebracht zu werden. Er glaubte
mit diesen Vorstellungen brechen zu müssen. Schon damals bahnte
sich in ihm eine andere Anschauungsweise an. Wold wäre es die
Aufgabe der leitenden Männer des Seminars gewesen, dem inner-
•) a. a. O. I, 53 ff. ') a. a. (). I, 318- ') t^ämtliche Workc I, 202.
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50 Becker, Heft 2 u. 3.
lieh Kämpfenden nieht nur mit seelsorgerliehem Rat zur Seite zu
stehn, sonderq ihm auch die nötige wissenschaftliche Anleitung
zu gewähren, um ihm zum rechten Verständnis der religiösen
Bedeutung jener Lehren zu verhelfen auf Grund der von ihm
namentlich gewünschten exegetischen Arbeit.
Es war dem theologischen Seminar der Brüdergemeine nicht
beschieden gewesen, die von Zinzendorf teils dargebotene, teils
angeregte grundsätzliche Auffassung der christlich -theologischen
Fragen wissenschaftlich fortzubilden und den Versuch zu machen,
die auf dem Boden der „Herzensreligion" mögliche Ein-
heit und Einigung zwischen dem christlich-religiösen
Glauben und der philosophischen Bildung ernstlich zu
suchen. Indem man fest auf jenen . überlieferten kirchlichen
Lehrsätzen stand, suchte man sich gegen die Wirkungen der (am
Ende des vorigen Jahrhunderts) mächtig emporstrebenden deutschen
Bildung, die auch auf theologischem Gebiet einen diux^hgreifenden
Einfluss äusserten, streng abzuschliessen, indem man die Ertrage
derselben lediglich für verbotene Frucht erklärte. Man sah in
Schleiermachers Anschauungen ein „schädliches Gift^' und sagte
ihm, dass er, im Fall eine Änderung nicht einträte, „auf kein
längeres Hiersein, keine Schonung, kein Mitleid zu hoffen hätte". ^)
Schleiermacher musste das Seminar verlassen. Sein Freund Alber-
tini behauptet, dass man ihn nicht edelmütig behandelt habe, sein
Oheim Stubenrauch klagt darüber, dass man bei den Brüdern
nicht verstehe, einen Zweifelnden richtig zu behandeln, und der
ehrwürdige Direktor des Pädagogiums Zembsch äusserte später,
dass sein KoUege am theologischen Seminar nicht genug bedacht
habe, „dass ein Theologus nicht anders wird, als durch den Zweifel".
Diese Männer weisen in der That auf einen vorhandenen Mangel
hin. Im Pädagogium der Unität hatte man es vermocht, die Ein-
heit zwischen der brüderischen Herzensreligion und dem uneinge-
schränkten humanistischen Studium zu finden; darum entwickelte
sich Schleiermacher zu einem geistesfrischen innerlich harmonischen
Jüngling; noch im höheren Alter sah er mit Freude auf die drei
„seiner schönsten Jugendjahre" 2) zurück. Wie viele alte Schüler
dieses Instituts können ihm das von Herzen nachfühlen! Dem
Barbyer Seminar war die ungleich schwerere Aufgabe gestellt,
') a. a. O. I, 52. *) a. a. 0. II, 21.
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1894. Schleiermacher und die Brüdergemeine. 51
seinen himiamstiseh gut gebildeten Schülern gegenüber die rechte
Vermittelung zwischen der neuen philosophischen Bildung der Zeit
und dem Brüderglauben zu finden. Es vermochte diese Aufgabe
nicht zu lösen; daran scheiterte damals nicht nur Schleiermachers
Bildungsgang, sondern auch der manches anderen trefflichen Jüng-
lings in seinem Freundeskreis.
Wenn Schleiermacher sich später als Theolog die Aufgabe
gestellt hat, die rechte Verbindung zu finden zwischen dem christ-
lichen Glauben und der neuen Kultur, so war das der unmittel-
bare Ertrag seiner Jugendentwickelung in der Brüdergemeine, in
der er trotz aller Kämpfe diejenige Auffassung des Christentums
sich angeeignet hat, die allein jene Verbindung wirklich ermöglicht,
der zufolge Christ nicht derjenige ist, der eine bestinmite Summe
vorgeschriebener Dogmen annimmt, sondern derjenige, der von
Herzen bekennen kann: Ich weiss, dass mein Erlöser lebt.
n.
Schleiermacher erkennt in den Erlebnissen, die er als Mit-
glied der Brüdergemeine gemacht hat, die für sein geistiges Leben
entscheidenden Vorgänge.
In Gnadenfrei wurde der Grund zu einer Herrschaft der
Phantasie in Sachen der Religion gelegt, die ihn bei etwas weniger
Kaltblütigkeit wahrscheinlich zu einem Schwärmer gemacht haben
würde, der er es aber verdankt, dass er seine Denkungsart, die
sich bei den meisten Menschen imvermerkt aus Theorie und Be-
obachtung bildet, weit lebendiger als das Ergebnis und den Ab-
druck seiner eigenen Geschichte ansehen kann ^). „Es giebt
keinen Ort," bezeugt er, „der so wie dieser die lebendige Er-
innerung an den ganzen Gang meines Geistes begünstigte, von
dem ersten Erwachen des Bessern an bis auf den Punkt, wo ich
jetzt (1802) stehe. Hier ging mir zuerst das Bewusstsein auf von
dem Verhältnis des Menschen zu einer höheren Welt, — hier
entwickelte sich zuerst die mystische Anlage, die mir so wesent-
lich ist, und die mich unter allen Stürmen des Skepticismus ge-
rettet und erhalten hat Damals keimte sie auf, jetzt ist sie aus-
gebildet, und ich kann sagen, dass ich nach allem wieder ein
») a. a. O. I, 7.
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52 Becker, Heft 2 u. :5.
Hermhuter geworden bin, nur von einer höheren Ordnung." ^) Auf
der ,JIerrnhutischen Universität" gedieh ,^ein inneres Leben zu
der Freiheit von den Fesseln des Buchstabens". "^) „Es ist mir doch
ganz eigen zu Mute," schreibt er von Ebersdorf aus (80. Äug. 1805),
„wenn ich in einer Brüdergemeine bin; der grösste Teil meiner
Jugend und der entscheidende Moment für die ganze Entwickelung
meines Lebens steht vor mir. Dieser Durchgangspunkt erscheint
mir, wie zufällig er auf der einen Seite zu sein scheint, auf der
andern so notwendig, dass ich mich gar nicht ohne ihn denken
kann." ^)
Diese Überzeugung begründete eine persönliche Anhänglich-
keit Schleiermachers an die Brüdergemeine, der er zum öftem
lebendigen Ausdruck verlieL Es freut ihn, dass der Bekannten-
kreis seiner Schwester Charlotte in Gnadenfrei auch ihm vertraut
ist. Er hört gern von all' den lieben Menschen, die er dort kennt
„Diese schlesischen Gestirne tragen nicht wenig bei, mir meinen
hiesigen (Berliner) Himmel zu erheitern, und des Abends im Freien,
wenn der Mensch gestimmt ist, in ferne Welten zu schauen, seh
ich gar oft nicht weiter als nach Gnadenfrei und was daran liegt,
nicht ohne Wünsche, denen ich gar oft die Flügel beschneiden
muss. Durch das Teleskop, womit Du meine Sternwarte aus-
rüstest imd imterhältst, mache ich immer neue Entdeckimgen in
jenen lieblichen Sternbildern, neue Vollkommenheiten gehen mii*
oft auf, wie ungesehene Nebelflecke bisweilen vor das Rohr treten,
und Stunden ausgezeichneter Glückseligkeit nehme ich wahr, wie
der Beobachter das wachsende Licht mancher Sterne sieht" ^)
Auch an Herrnhut erinnert er sich gern, an den Ort selbst,
an den Anblick der ehrwürdigen Männer der Unitäts- Ältesten-
Konferenz und an die herrliche Umgebung. „Doch alle Natur-
schönheiten sind nichts gegen die Menschen, und wie viele liebe
Leute hast Du in Niesky und Herrnhut nicht gesehen. Es ist alles
zu wenig, was Du sagst, und ich möchte alles weit ausführlicher
und detaillierter wissen." -') Viel Freude machte es ihm, als er zu
Ostern 1805 den ehrwürdigen Direktor Zembsch in Barby wieder
sah, der ihn höchst liebreich aufnahm und ihm gestand, „dass
unsere Zeiten doch die brillantesten des Pädagogiums gewesen
») a. a. O. I, 294. ') a. a. O. II, 21. ^) a. a, O. II, 331. *) a. a.
O. I, 149 (Berlin Aug. 1797). ^ a. a. O. 1. B. 2. Aug. 1798.
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1894. Schleiernlacher und die Brüdergemeine. 5H
wären".*) Er gedenkt des alten Lehrers nach dessen Tode mit
dem schönen Wort: „Nächst einem Staatsmann wirkt doch nicht
leicht jemand mehr als ein tüchtiger Schulmann, und in einer so
langen Laufbahn." 2) Vor allem war es aber der ihm eng ver-
bundene Jugendfreund Albertini, der dauernd der Gegenstand
seines liebevollen Gedächtnisses bleibt. Im Jahre 1798 schreibt
er an seine Schwester Charlotte: „Dass Du Albertini nicht gesehen
hast, thut mir sehr weh; gar zu gern wüsst^ ich, wie er lebt mit
seinem Amt, mit seiner Frau, und ob er Kinder hat, und ob er
noch an mich denkt. Wie oft erinnere ich mich bei meinen ge-
meinschaftlichen Lesereien mit Schlegel und mit der Herz an
unsere niesky'schen Studien. Weit auseinander sind wir freilich
jetzt und ausser aller Verbindung; aber wie es im Gnmde seines
Herzens aussieht, das weiss ich doch recht genau, und sein ganzes
Wesen kann ich mir, wie es jetzt sein muss, sehr lebhaft denken.
Er möchte seinen alten Pylades mehr verändert finden, wenn wir
noch einmal zusammenkämen." ^) Als Dichter ist Albertini in der
Familie seines Freundes geschätzt. Die Gattin liest mit den
Kindern nach dem Frühstück ein Kapitel aus der Bibel und einige
Lieder aus Albertini*). Sie sieht in ihm den „heiligen Sänger",
aus dessen Liede „Nimm der Morgennite Flügel" sie zitiert.^)
Ihr Gatte mleilt über diese religiösen Gedichte, die Versifikation
sei in denselben „gemeinmässig vernachlässigt"; „aber es sind die
geistreichsten Sachen und wahrhaft lyrische Kompositionen darin,
so dass ich sagen möchte, einen solchen Dichter hat diese Form
des Christentums noch nicht gehabt"^).
Nachdem ihm Bischof Christlieb Reichel den Tod seines
Freundes gemeldet hatte, schrieb er an jenen: „Es ist ein herber
Verlust für die Gemeine und für gar viele liebe fromme Seelen
ausserhalb derselben. Aber es geht ja immer wieder eine neue
Saat erfreulich auf, und das Werk des Herrn, wenn es auch nicht
zu allen Zeiten gleich frölilich zu gedeihen scheint, kann und A\ird
auch nicht darunter leiden, wenn einzelne Arbeiter oft mitten aus
der kräftigsten Wirksamkeit abgerufen werden. Namentlich ist
mir das schon lange klar, dass in der Gemeine, wie in der Kirche
überhaupt, weit weniger auf d(un Hervortreten einzelner beruht,
») a. a. O. IV, li:{, -) a. a. O. TV, 15(). '•') a. a. O. I, ISO. ') a. a.
0. II, 396. ") a. a. O. II, 408. •) a. a. O. IV, 290.
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54 Becker, Heft 2 u. 8.
als auf der Treue und dem richtigen Verstand am Evangelium in
der Masse, ja dass das Bedürfnis einzelner ausgezeichneter Rüst-
zeuge immer mehr abnehmen muss. Noch mehr gilt das freilich
in der Brüdergemeine, wo gewisse Maximen einmal feststehen
und, Gott sei Dank, die inneren Reibimgen nicht so heftig sein
können. Indessen dieser Glaube stillt doch das schwer betroffene
Herz nicht gleich, sondern es will sein Recht haben, und so habe
ich dem geliebten Freunde schon manchen Seufzer nachgeschickt,
imd in jedem Heft der Gemeinnachrichten freue ich mich, wenn
ich noch ein Wort aus seinem lieben Mimde finde, und fürchte
zugleich, es möchte das letzte sein." — An die gemeinsamen
Jugenderlebnisse mit Albertini zurückdenkend versichert er: „ich
kann nur sagen, dass unerachtet aller skeptischen Anregungen,
die sich in uns entwickelt hatten, ihm doch bei unserer Trennung
sein Bleiben in der Gemeine unerschütterlich gewiss war." —
„Was nun in eben dieser Beziehung mich betrifft, so ist es mir
in den mancherlei Kämpfen, die ich auf meiner Bahn nicht ver-
meiden kann, und bei den vielfältigen Miss Verständnissen der
Exaltierten von beiden Seiten, zwischen denen ich mich durch-
winden muss, jedesmal eine kräftige Ermimterung, wenn ich irgend
eine Ahnung davon merke, dass wir ein Ziel vor Augen haben
imd für dasselbe Werk arbeiten."*)
in.
Auf der Grundlage dieses lebendigen innem Zusammenhangs
mit der Brüdergemeine hat Schleiermacher sein grosses Lebens-
werk gethan, und es ist unverkennbar, wie dabei allenthalben
Gedanken und Gesichtspunkte hervortreten, die deutlich genug
den brüderischen Einfluss erkennen lassen. Namentlich ist es das
zentrale Gebiet der Kirche, das des Gottesdienstes, an das
er mit einem diu'ch die Anschauung brüderkirchlicher Kultus-
formen geschärften Auge herantritt.
,Jn der Jahrhundertnacht," schi*eibt er an seine Schwester,
„habe ich besonders viel an Dich imd an die Gemeine überhaupt
gedacht, wie ich allemal in der Neujahrsstunde imd am Oster-
morgen besonders thue, wegen der schönen und allein zweck-
^) a, a. O. II, 455.
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1894. Schleierraachcr und die Brüdergemcine. 55
massigen Art, wie beides bei Euch begangen wird." Er horte
nach der Predigt im Dom das von Niemeyer veränderte „Herr
Gott Dich loben wii^* singen; „aber da dachte ich wieder mit
Seufzen an die Gemeine zurück. Weil das so selten gesungen
wird, wusste kein Mensch Bescheid; die Leute warteten immer
erst auf <fie Musik, imd die meisten wurden durch die Wieder-
holungen und Nachspiele so konfus, dass sie um ganze Zeilen vor
oder ziu-ück waren." ^) Es fehlt ihm der schöne geordnete Ver-
lauf der liturgischen Gottesdienste, an die er in der Jugend ge-
wöhnt war, in denen die Gemeine als solche zu gemeinsamer
und wechselseitiger Thätigkeit gelangt
Im Jahre 1805 beschäftigte er sich mit dem Plan, in Halle
einen akademischen Gottesdienst einzurichten, der zugleich muster-
giltig für die spätere gottesdienstliche Thätigkeit der jungen Theo-
logen sein sollte. Kurz vorher besuchte er Barby und feierte
dort das Osterfest „Schöne heilige Tage waren das für mich,
voll merkwürdiger Erinnerungen imd unmittelbaren schönen Ge-
nusses." Er preist „die herrlichen Gottesdienste am Charfreitag,
das mit schöner sinnvoller Kirchenmusik und wenigen Lieder-
versen unterbrochene Ablesen der Passionsgeschichte ohne alle
Rede, nur zuletzt in der Todesstunde Christi ein kräftiges Gebet,
ganz auf die grosse Idee der Versöhnung gegründet Am Sonn-
abend das Liebesmahl am Grabe Christi und am Ostermorgen beim
Aufgang der Sonne die Feier der Auferstehung auf dem Kirch-
hof. — Wahrlich, liebe Charlotte, es giebt in der ganzen Christen-
heit zu unserer Zeit keinen öffentlichen Gottesdienst, der acht
christliche Frömmigkeit würdiger ausdrückte und sichrer erweckte,
als in der Brüdergemeine! Und indem ich mich ganz in himm-
lischen Glauben und Liebe versenkte, musste ich es recht tief
fühlen, wie weit wir andern zurück sind, bei denen die armselige
Rede alles ist, imd diese noch an ärmliche Form gebunden, allem
Wechsel der Zeit sich unterwerfend und so selten von dem rechten
lebendigen Geist beseelt." In Bezug auf die Abendmahlsfeier er-
klärt er : „man feiert kein Abendmahl als nur dort". Der Gedanke
der „Gemeinde" lebt fort in Schleiermacher, und danun fühlt er
sich so tief befriedigt von einem Gottesdienst, der diesen Gedanken
zur kultischen Darstellung bringt, in einer Weise der Feier, die
») a. a. O. I, 264.
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58 Bocker, Heft 2 ii. 8.
an den Höhepunkten ehristlicher Anbetung das belehrende Wort
des Predigers gänzlich zurücktreten lässt hinter das Moment ge-
meinsamer Betrachtung, Anbetung und Lobpreisung, in der
aUe selbstthätig zu einem Akt lebendiger Gottes verehrimg sich
zusammcnschliessen.
Im Blick auf den in Halle einzurichtenden Gottesdienst
muss er sich sagen: „wie unselig beschränkt bin ich in meinen
Mitteln, und wie innig bedauere ich, dass ich nicht das Schönste
und Beste von dort mit hinüber nehmen kann".^) In seinem
späteren „Gutachten über die Mittel, dem Verfall der Religion
vorzubeugen" macht er diesen Gesichtspunkt für die ganze Kirche
geltend, indem er allenthalben die Gemeinde zu grösserer Selbst-
bethätigung am Gottesdienst, namentlich in der Form des gemein-
samen Gesangs, heranziehen möchte. Er verweist auf das Beispiel
der Brüdergemeiiie. „Dass in dieser besonders der Vortrag des
gemeinschaftlichen religiösen Gesangs in einem solchen Grade wie
sonst nirgends bedeutend und ausgebildet ist, das gesteht un-
bedenklich, wer nur Gelegenheit hatte, den Versammlungen einer
wohlorganLsierten Gemeine von dieser Kirche beizuwohnen. Schon
dies ist eine gute Bürgschaft dafür, dass sie auch mit der religiösen
Poesie selbst auf dem reichten Wege sein werden. Noch g(» wisser
offenbart sich dieser Vorzug dadiu-ch, dass sich der Gesang bei
ihnen zur Sclbstündigkeit emporgearbeitet hat und nicht nur der
Rede zm* Umgebung dient, sondern ganze Zusammenkünfte allein
ausfüllt. Ihre Singstunden, wo Vei*se aus verschiedenen Liedern
zu einem Ganzen zusammengereiht werden und unter einem ver-
ständigen A nordner auch der Wechsel der Melodien einen dem
poetischen angemessenen musikalischen Eindruck hervorbringt,
machen einen grossen religiösen Eindruck, und ist eine solche
mehr wert als viele Predigten. Doch die Aussicht, dergleichen
in imsern öffentlichen (Gottesdienst zu übertragen, liegt allzu fem,
und vergebliche Wünsche beschweren nur das Herz". 2) Seine
Äusserung, dass man kein Abendmahl feiere als nur dort, ist wohl
auch nur daraus erklärlich, dass ihm in der Brüd(»rgemeine eine
Feier vor Aug(»n trat, die unbeeinflusst durch dogmatische Diffe-
renzen die allein sachgemässen Gedanken der christlichen xoivovla
zum vollen litiu^schen Ausdnick bringt,
') a. a. O. II, 22. -) ^äintl. VVcrko V, 108.
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1894. Schleiermacher und die BrüdergemeiDe. 57
Der Gedanke der freien und selbstthäti^en Gemeine ver-
anlasste Schleiermacher ferner schon 1798 gegen seinen Oheim
Stubenrauch die Forderung einer vom Staat freien Kirche
auszusprechen. Der Oheim konstatiert, dass das gegenwärtige
Kirchentum „der ursprünglichen Absicht Jesu gar nicht entspreche.
Wenn man dieser treu geblieben wäre, so würden, wie in den
ersten Zeiten vor Konstantin, lauter einzelne hie imd da zerstreute
christliche Gemeinden auch jetzt noch sein; und dann könnte und
würde jede Gemeinde selbst sich ihre Lehrer bestimmen, so wie
es auch in den folgenden Jahrhunderten an allen Orten, wo
ecclesia pressa war, geschehen ist, und noch jetzt bei den Dis-
senters in England und bei den Brüdergemeinden aller Orten ge-
scliieht, ohne dass sich der Staat darum bekümmert oder Gefalir
leidet". ^) Der Oheim hält die Lockenuig der Verbindung, die der
Staat mit der Kirche eing(»gangen ist, gegenwärtig für unthmilich.
Schleiermacher dagegen beharrt auf seiner Ansicht imd bezeichnet
in den „Reden über die Religion" 1795 jene Verbindung als „die
Quelle alles Verderbens"-.) „Hinweg also mit jeder solchen Ver-
bindung zwischen Kirche imd Staat ! Das bleibt mein katonischer
Ratsspnich bis ans Ende, oder bis ich es erlebe, sie wirklich
zcrtrmnmert zu sehen" ^). Er verlangt die Aufhebung des Gegen-
satzes von Geistlichen und Laien, den Wc^gfuU des Symbolzwangs.
Bis eine Neubildung erfolgt, tröstet der Blick auf die schon vor-
handene Gemeinschaft wahrhaft religiöser Menschen, die schon
jet;5t untereinander „ein Bund von Brüdern" sind*). Er musste
sich wohl später überzeugen, dass eine solche vollständige T^rennimg
der Kirche vom Staat zunächst nicht möglich sei; um so mehr
wandte er sich nun der Aufgabe zu, die evangelische Kirche imter
dem Gesichtspunkt ächter christlicher Gemeinschaft innerlich aus-
zubauen.
Schon 1803 forderte er eine Union der evangelischen Kirche,
die nicht auf dogmatischem, sondern auf kultischem Wege er-
folgend wesentlich in der Gemeinschaft des Abencbnahls bestehen
soUte, von dem er mit Recht sagte, dass es widersinnig sei, das-
selbe als ein „dogmatisches Abzeichen" zu betrachten^).
*) Aus Bchleierm. Loben in Briefen III, 53. -) Sänitliehe Werke I, 340.
') a. a. O. I, 348 vgl. 380 und die spätere Milderung S. 5S2. ') a. a. O. I, 35;").
^) Vgl. seine 2 „un vorgreifliehen Gutachten". 8. W. V. bes. S. 70, 8. 73
unten u. S. 78.
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58 Becker, Heft 2 u. 8.
Auch in den 1803 auf offizielle Aufforderung hin entworfenen
Vorschlägen zu einer neuen Kirchenverfassimg dringt er auf Los-
lösung von der Bevormundung des Staates und auf Herstellung
einer neuen Kirchenverfassung auf Grund einer „den Bedürfnissen
der Gegenwart angemessenen Erneuerung des gesamten kirchlichen
Gemeinschaftslebens". Die Gemeindeglieder sollen zur kirchlichen
Verwaltung herangezogen werden. Der Staat solle wenigstens die
inneren kirchlichen Angelegenheiten freigeben, damit die Kirche
unter diesem Gesichtspimkt „als ein sich selbst regierendes Ganzes"
dastehe. Die Gemeinde läßst er insofern zu ihrem Recht kommen,
als ihr die freie Wahl von Kirchenältesten zusteht; die Kirchen-
zucht, die „als etwas schlechthin FreiwilUges der bürgerlichen
Freiheit oder Ehre keinen Eintrag thun darf*, soll von der Ver-
sammlimg der Kommunikanten ausgeübt werden; aus 3 von der
Synode oder ihrem Ausschuss vorgeschlagenen Geistlichen soll
die Gemeinde ihren Lehrer wählen. Vorausgesetzt ist auch hier
wieder „Union der protestantischen Kirche im preussischen Staat".
Der Gemeinde wünscht er femer einen Anteil an der Gestaltung
des Gottesdienstes zu sichern. „Denn was ist auch natür-
licher, als dass in den Grenzen des Rechten und Schicklichen
jede Gemeine sich ihr Gotteshaus einrichte" u. s. w.,^) aber frei-
lich, wenn dies geschehen soll, müssen auch die Gemeinen gehörig
organisiert sein. Es muss vor allem „eine neue lebendige Ver-
fassung der Earche" gegründet werden, „aus welcher das andere
alles von selbst, wie und wenn es recht ist, hervorgehen wird."^)
Er wünscht eine Presbyterial- und Synodalverfassung, durch welche
die Gemeinde wenigstens annähernd zu ihrem Rechte kommt
Als er sich davon überzeugen musste, dass auf eine Durch-
führung seiner kirchlichen Verfassungsgedanken nicht zu rechnen
war, wiu-de in ihm der Gedanke an die Brüdergemeine, in der er
verwirklicht sah, was der Landeskirche fehlte, wieder sehr lebendig.
In seinem „Gespräch zweier selbst überlegender evangelischer
Christen" 1827 äussert er sich darüber rückhaltlos. A. hält es für
unwahrscheinlich, dass B. (Schlciermacher) die evangelische Kirche
je verlassen könne. B. antwortet: „Vollkommen richtig! Auch
möchte ich aus der evangelischen Kirche so eigentlich nicht aus-
») Schenkel, Fr. Schloienuacher. Elbcrfcld 1808. H. 347 ff. -) H. W.
V, 180 ff. Vgl. auch Ö. W. V, 219 ff.
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1894, Schleiermacher und die Brüdergemeine. 59
ziehn, nur aus dieser Gestaltung derselben bei uns u. s. w." A.
Wie willst Du das ohne auszuwandern bewerkstelligen? imd aus-
wandern kannst Du doch in Deinen Verhältnissen nicht! B. Die
L()8ung des Rätsels liegt Dir doch ziemlich nahe: Die Brüder-
gemeine gehört ja zur evangelischen Kirche, sie ist in unserem
Land einheimisch und wohl angesehen imd hat doch mit unsem
allgemeinen kirchlichen Einrichtungen nichts zu thun. A. Das
heisst freilich, sich in Ruhe begeben; aber das ist nicht Dein
Ernst B. Warum nicht? Was mich betriflft, ich könnte mit den
Meinigen sehr gut unter ihnen leben. Aber freilich geht das nicht
für alle die, denen es bei ims zu stark zu rauchen anfängt; denn
ein so starker und plötzlicher Zuwachs und auf solche Weise
würde dort keine Aufnahme finden. Auch meinte ich das ja
nicht, sondern nur, lun Dich durch die Ähnlichkeit auf das zu
führen, was ich meinte, zog ich sie herbei.
A. Also doch eine Sekte, eine Spaltung?
B. Eine Spaltimg? Kaum. Eine Sekte? Gar nicht
A. Nimm es mit den Worten nicht so genau! Sind sie
doch kaum in der katholischen Kirche recht genau bestimmt
Aber sollte Dich nicht gerade das Beispiel der Brüdergemeine
von solchem Vorhaben gänzlich abbringen? Hast Du nicht die
Klagen über den dortigen VerfaU laut genug von allen Seiten
gehört? und ist es nicht auch natürlich, dass auf solcher Tren-
nimg von der grossen Gemeinschaft mannigfaltiger Unsegen ruhen
muss?
B. Lass Dir doch nichts einreden von Verfall! Wo ein
solches Werk blüht wie das Missionswesen der Brüder, wo ver-
hältnismässig so viel klare und tiefe religiöse Gemüter gefunden
werden, wo solche Erzeugnisse zum Vorschein kommen, wie
Albertinis geistliche Lieder und Garves christliche Gesänge und
seine neuen Liturgien, da ist kein Verfall. Den Unsegen einer
gänzlichen Trennung von der grossen öffentlichen Gemeinschaft,
wenn auf irgend eine Weise ein separatistisches Wesen daraus
entsteht, gebe ich Dir gern zu. Dergleichen möchte ich nicht
stiften oder herbeiwünschen; aber eben so wenig ist dergleichen
auch dort vorhanden. Bekennen sie sich nicht wie wir zu dem
augsburgischen Symbol? Haben sie nicht die lebendigsten Ver-
bindungen in unserer Kirche selbst? Sehen sie es als eine
Glaubens verändenmg ^n, wenn jemand in ihre Gemeinschaft zu
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60 Becker, Heft 2 u. 8.
treten begehrt, oder nur als ein Verlangen nach einem bestimmten
Zusammenleben und einer eigenen Anfassung und Fühnmg?*'
Schleiermacher denkt an die Bildung einer staatsfreien Kirche
in der Weise der Brüdergemeine. Es ist ihm Gewissensfordenmg,
diesen Gedanken im Ernst auszusprechen, da bei den gegen-
wartigen öffentlichen Zuständen „der Geist der evangelischen Kirche
nicht bestehen kann". „Wir sagen es unserm Herrn und König
rein heraus, ebenso unumwunden als unterthänig, dass, wie wir
ihm auch von Herzen zugethan wären und ihm mit Leben und
Blut ergeben in allem, was zum weltlichen Regiment gehört, so
sei es doch gegen unser Gewissen, mid nach langem Kampf sei
unser Herz darin fest geworden, dass wir in einer kirchlichen
Verfassung nicht bleiben können, wo die beiden Schwerter so
wenig gesondert seien. Denn die Hülfe, welche, um Ordnung zu
erhalten, nachdem die Bischöfe das Werk der Reinigung der Kirche
nicht mit angreifen wollten, von den weltlichen Herrn, ohnerachtet
diese, wie Luther selbst sagt, nicht berufen seien, geistlich zu
regieren, doch begehrt werden musste, sei durch die Länge der
Zeit zu einer Vermischimg beider Regimenter gediehen, welche
unser Gewissen beschweren. Und nachdem nun durch Gottes
Hülfe nach mehr als 3 Jahrhmiderten das Werk der Kirchen-
verbesserung auf der einen Seite, auf der andern aber die all-
gemeine menschliche Entwickelung soweit gediehen sei, dass solche
Hülfe hie und da könne entbehrt werden, so bäten wir nur um
den vom Gesetz verheissenen Schutz des Gewissens und mn die
Vergünstigung, eine solche evangelische Gemeinschaft unter uns
aufzurichten, in welcher alle Ordnung und alles positive Regiment
nur von der Gemeine selbst ausgehe und dim;h ihre Selbst-
bevollmächtigten verwaltet werde.
A. Und Du bist sicher, dass Du nicht zweifelst, die Re-
gienmg werde eine solche Spaltung genehm halten?
B. Ich darf nicht zweifeln, denn das Gesetz ist da. Und
warum sollte die höchste Gewalt nicht einer andern kleinen Anzalil
evangelischer Unterthanen dasselbe gestatten, was doch jenen, die
zur evangeUschen Brüdergemeine gehören, schon eingeräumt ist?
Ich darf nicht zweifeln, denn die väterliche Billigkeit des Königs
steht neben dem Gesetz.
Schleiermacher führt bis in einzelne Züge liinein aus, wie
er sich diese neue Brüdergemeine denkt, indem er imter andern
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1894. Schleiermacher und die Brüdergemeine. 61
auch die Befreiung von der Eidespflicht (abgesehen vom Diensteid)
in der Weise der Mennonitcn fordert Der Staat soll das Recht
des Einblicks in die inneren Verhältnisse derselben haben. „Wir
stellen ihm also, auch wenn er nach den andern Mitgliedern gar
nicht fragt, doch unsem Geistlichen, oder wenn es auch mehrere
sind, alle und ein Paar Altesten. Ich weiss nicht einmal, ob die
Brüdergemeinen dies thun, und mit denen vergleiche ich meine
Gemeinschaft geradezu, wenigstens was unsem Staat betrifit" Er
setzt die Möglichkeit näherer Verbindung mit ähnlichen Gemeinen
im Ausland; ,4ch glaube, die Regierung wird davon gar keine
Notiz nelunen, auch wenn wir einen Zentralpunkt errichteten, der
im Ausland seinen Sitz hätte; denn mit den Brüdergemeinen ist
es ebenso. Jedoch wollten wir nichts dagegen haben, jeder be-
treffenden Regienmg von allen Verhandlimgen und Beschlüssen
Kenntnis zu geben u. s. w.; ich glaube aber nicht, dass die
Brüdergemeinen ihre Synodalverhandlimgen jemals der Regierung
mitteilen". Je mehr die Reformation sich in Deutschland aus-
wirkt, um so notwendiger ist „die Trennung der beiden Regimente.*"
,3ewusstlos in der tiefsten Unschuld aber aus dem richtigsten
Geistesantrieb hat vor 100 Jahren die evangelische Brüdergemeine
sich zu einer solchen freien gestaltet. Jetzt und in unsem Ver-
hältnissen kann dasselbe nur mit dem klarsten Bewusstsein ge-
schehen." „Aber," setzt er hinzu, „eben deswegen auch nur,
wenn einer hinreichenden Anzahl evangelischer Christen diese
^ Freiheit eine wahre Gewissenssache wird geworden sein. Ohne
ein solches Fundament, ohne die innere Notwendigkeit, bei der
gar keine Willkür mehr ist, sondern das acht reformatorische
4iier stehe ich, ich kann nicht anders* allein hervortritt, der-
gleichen untemelmien zu wollen, wäre sträflicher Vorwitz und
würde sich auch strafen. Darum ist es auch besser zu schweigen
imd unsere heutige Rede nicht auszubringen."^)
Schleiermacher hat so wenig wie Luther^), an dessen Ge-
danken über eine ächte Christengemeine die seinigen erinnern,
daran gedacht, diesen Plan auszuführen, aber ebenso steht fest,
dass ihm die Brüdergemeine stets als das Ideal einer staatsfreien
Gemeinde- imd SjTiodalkirche erschienen ist Sie war auch in
') 8. Bd. V, (UO ff. 0 Vgl. Kolde: Luthers Gedanken von der ecclesiola
in ecelesia in Zeitschrift für Kirchengcschichte 18. Band 4. Heft. 8. 552.
Monntshofto dor ("omoniaa-CTOSPllschaft, 180-1. 5
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62 Becker, Heft 2 u. 3.
dieser Beziehung seine geistige Heimat, deren Schätze er ver-
geblich für die Umgestaltung der Grosskirche zu verwerten ge-
sucht hat. Seine Darlegungen in jenem „Gespräch" sind die
letzte Konsequenz des Gedankens, den er schon im Jahre 1811
ausgesprochen hatte, dass die Brüdergemeine „dem Geist der Zeit
gemäss umgebildet etwas ganz Herrliches und Beneidenswertes
sein"^) könnte. Der Mann, der der evangelischen Kirche zuerst
die Anregung zu einer sachgemässen Verfassungsbildung gegeben
hat, war in der That in höherem Grade „Hermhuter", als seine
Zeitgenossen annahmen.
IV.
Schleiermacher nennt sich einen „Ex-Hermhuter" ^j^ ^q^ aber
wieder ein „Hermhuter" geworden sei, wenn auch „von einer
höheren Ordnung".^) Er sucht das, was er in der Um-
schrankimg dieser kleinen Gemeinschaft gelernt hat, in die Potenz
des allgemein Gültigen zu erheben. Es war das Eigentümliche
jener Gemeinschaft in den Zeiten ihrer ersten Kraft gewesen, dass
sie das in ungewöhnlicher Starke sich geltend machende religiöse
Leben herausgehoben hatte aus seiner Verquickimg mit einer alt-
überlieferten, schliesslich auf dem Nicänum ruhenden Dogmatik,
mn es rein an sich selbst und für sich selbst zu besitzen. Des-
halb hatte man dasselbe lediglich an die Heilandsperson ge-
bunden, in der die Liebe Gottes sich voll offenbart Auf diesem
Boden war es auch dem wissenschaftlich forschenden und philo-
sophisch gebildeten Manne möglich, wenn er anders ein über-
zeugter Christ war, zur harmonischen Einheit des inneren geistigen
Lebens zu gelangen, die einen Zwiespalt zwischen Kopf und Herz
nicht kennt Je mehr innerhalb der Brüdergemeine die statutarische
Fprm des evangelischen Christentums Einfluss erlangte, um so
näher trat die Gefahr an sie heran, grade dem geistig bedeutenden
Mann die Freiheit der Lebensbewegung zu beschränken, und
Schleiermacher frohlockt in seinen Monologen darüber, dass er im
schönen Genuss jugendlicher Freiheit „hinweggerissen" habe „die
falsche Maske, frevelnder Erziehung langes mühsames Werk."^)
Es handelte sich bei jenen jugendlichen Kämpfen in der That um
•) Briefe II, 331. ') a. a. O. IV, 32. '') a. a. O. I, 294. *) S. W. I, 398.
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1894. SchleieiTnac'her und die Briidergemeine. 68
die Wiedergewinnung eines unschätzbaren Gutes, um die Freiheit
eines Christmenschen, seine geistige Habe so zu gestalten, dass
kein hemmender Zwiespalt das auseinander reisst, was eng zu-
sammengehört, die Festigkeit des auf persönlicher Uberzeugimg
nihenden Glaubens und die Freiheit der wissenschaftlichen Forsch img.
Schleiermacher entnahm aus jenen Kämpfen die grosse acht brü-
derische, schon von Zinzendorf in Angriff genommene Aufgabe
der Versöhnung zwischen Glauben und Wissen.
Nach seinem Austritt aus der Brüdergemeine gab ihm sein
Barbyer Jugendfreund von Brinkmann bald Gelegenheit, sich über
diese Frage auszusprechen. Brinkmann vertrat insofern den da-
mals herrschenden Standpunkt, als er von einer gegenseitigen
Beziehung der Theologie und Philosophie überhaupt nichts wissen
wollte. Der fromme Christ, meint er, brauche die Philosophie
nichty und der philosophische Kopf gehe seinen eigenen Weg.
Schleiermacher kann dem nicht zustimmen und hält dem Freunde
vor: „Aber hast Du denn vergessen, dass es zwischen beiden
noch ein Mittelding gebe, einen frommen Kopf oder einen philo-
sophischen Christen?" Er weist Brinkmann auf einen andern von
diesem selbst erwähnten Barbyer Jugendfreund Ulrich von Sprecher
hin, der ein solcher philosophischer Christ gewesen sei. Er tritt
unter diesem Gesichtspunkt für die Notwendigkeit einer philo-
sophisch orientierten Dogmatik ein.^) Indem er selbst an einer
solchen später arbeitete, gelangte er für sich ziu* vollen Klarheit
über diesen Punkt. Jacobi hatte an Reinhold geschrieben: „Gern
tauschte ich mein gebrechliches philosophisches Christentum gegen
ein positives historisches und begreife nicht, dass es gleichwohl
bisher nicht von mir hat geschehen können. Du siehst, lieber B.,
dass ich noch immer derselbe bin. Diu^chaus ein Heide mit dem
Verstände, mit dem ganzen Gemüte ein Christ, schwimme ich
zwischen 2 Wassern, die sich mir nicht vereinigen wollen, so
dass sie gemeinschaftlich mich triigen, — sondern wie das eine
mich unaufhörlich hebt, so versenkt zugleich auch unaufhörlich
mich das andere." 2)
Schleiermacher, dem dieser Brief mitgeteilt wiu'de, erwidert:
„Sie sind mit dem Verstmide ein Heide, mit dem Gemüte ein
Christ. Dagegen erwidert meine Dialektik: Heide imd Christ
1) Briefe II, 28. '') a. a. O. II, 340 (ohne Datum).
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64 Becker, Hoft 2 u. 3.
sind als solche einander entgegengesetzt auf demselben Gebiete,
nämlich dem der Religion; haben auf dieses Verstand und Gefühl
so gleiche Ansprüche, dass sie sich teilen könnten in die entgegen-
gesetzten Formen? — Die Religiosität ist Sache des Gefühls; was
wir zum Unterschied davon Religion nennen, was aber immer
mehr oder weniger Dogmatik ist, das ist nur die durch Reflexion
entstandene Dolmetschung des Verstandes über das Gefühl; —
wenn Ihr Gefühl christlich ist, kann dann Ihr Verstand heidnisch
dolmetschen? Darin kann ich mich nicht finden. Mein Satz
dagegen ist also der: Ich bin mit dem Verstände ein Philosoph;
denn das ist die ursprüngliche und unabhängige Thätigkeit des
Verstandes, und mit dem Gefühl bin ich ganz ein Frommer und
zwar als solcher ein Christ und habe das Heidentum ganz aus-
gezogen oder vielmehr nie in mir gehabt" Jakobis Zustand habe
darin seinen Grund, dass sein Verstand nicht über die Natur
hinaus wolle. „Meiner will aber auch nicht darüber hinaus, —
aber weil ich durchaus in keinen Widerspruch hinein will, so habe
ich mich auf den Fuss gesetzt, mir von einem andern nachweisen
zu lassen, wo die Natur ein Ende hat. Weim mm mein christ-
liches Gefühl sich eines göttlichen Geistes in mir bewusst ist,
der etwas anderes ist, als meine Vernunft, so will ich nie auf-
geben, diesen in den tiefsten Tiefen der Natur der Seele aufzu-
suchen, imd wenn mein christliches Gefühl sich eines Gottessohnes
bewusst wird, der von dem Besten imser eines anders als diu^ch
ein noch besser imterschieden ist, so will ich nie aufhören, die
Erzeugung dieses Gottessohnes in den tiefsten Tiefen der Natur
aufzusuchen und mir zu sagen, dass ich den andern Adam wohl
eben sobald begreifen werde, als den ersten oder die ersten Adams,
die ich auch annehmen muss, ohne sie zu begreifen. Dies ist
meine Art von Gleichgewicht in den beiden Wassern." Er giebt
zu, dass diese Art des Gleichgewichts auch nichts anderes sei,
„als ein wechselweise von dem einen gehoben, von dem andern
gesenkt werden; aber. Lieber, warum wollen wir uns das nicht
gefallen lassen? Die Oscillation ist ja eine allgemeine Form alles
endlichen Daseins, und es giebt doch ein unmittelbares Bewusst-
sein, dass es niu* die beiden Brennpunkte meiner eigenen Ellipse
sind, aus denen dieses Schweben hervoi^ht, und ich habe in
diesem Schweben die ganze Fülle meines irdischen Lebens". Er
sehliosst mit den Worten: „Verstand und Gefühl bleiben auch
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1894. Schleie rm acher und die Brüdergemeine. (>5
mir nebeneinander, aber sie berühren sich und bilden eine gal-
vanische Säule. Das innerste Leben des Geistes ist für mich nur
in dieser galvanischen Operation, in dem Gefühl vom Verstände
und dem Verstände vom Gefühle, wobei aber beide Pole immer
von einander abgekehrt bleiben."^)
Es kann sich unter dem Gesichtspunkt der wünschenswerten
Einheit von Glauben und Wissen nie um die Vereinerleiung
zweier Vermögen handeln, von denen jedes sein eigentümliches
Gebiet ein für allemal inne hat Derjenige aber, der sich von
Christus dem Erlöser hat weisen lassen, „wo die Natur ein Ende
hat", gelangt zu einer lebendigen Personalunion beider Vermögen,
welche die schlechthin einheitliche und harmonische Fülle seines
inneren Lebens bedingt Wie der galvanische Strom, obwohl aus
der Berührung zweier ungleichartiger Körper entstehend, als
schlechterdings einheitliche Kraft sich oflTenbart, so ist das Werk
des christusgläubigen Denkers aus einem Guss; einen „Zwiespalt
von Kopf und Herz" kennt er nicht. Unter diesem Gesichtspunkt
erklärt Schleiermacher mit Beziehung auf ein Wort seines ver-
ehrten Lehrers Zembseh in Niesky: „Ein Theologus wird nicht
anders reif, denn durch Zweifel und Anfechtmig; das ist ein altes,
wahres, herrliches Wort. Die Zweifel entstehen in einer von dem
Ganzen der jedesmaligen wissenschaftlichen Forschimg mitbewegten
Theologie, wie Gott sei Dank unsere pi*otestantischc immer sein
und bleiben muss, doch von selbst, und daher ist nichts wünschens-
werter, als dass eine jede Ansicht vorgetragen, und zwar der
theologischen Jugend gerade in jenen Jahren der lebendigsten
Erregung mit aller Schärfe und Strenge, deren sie fähig ist, vor-
getragen werde, so es mu* ernsthaft und treu von ernsten „gewissen-
haften wahrheitliebenden Männern geschieht" 2) •
Allein auf diesem Wege einer energischen, aber von treuen
Männern geübten Wissenschaftspflege, die nicht zu dem „Gelichter**
der ,4eichtsinnigen Frevler und ungründlichen Wort- Krämer** ge-
hören, 3) kann das Ziel erreicht werden, das der evangelischen
Kirche gesteckt ist „Wenn die Reformation, aus deren ersten
Anfängen unsere Kirche her\^orgegangen ist, nicht das Ziel hat,
einen ewigen Vertrag zu stiften zwischen dem lebendigen Glauben
und der nach allen Seiten frei gelassenen, imabhängig für sich
') a. a. O. II, 349 (ohne Datum. 1818). ') S. W. V, 24ü. ') a. a. O. 24ü.
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66 Becker, Heft 2 u. 8.
arbeitenden wissenschaftlichen Forschimg, so dass jener nicht diese
hindert, und diese nicht jenen ausschliesst: so leistet sie den Be-
dürfnissen unserer Zeit nicht Genüge, und wir bedürfen noch
einer andern, wie und aus was für Kämpfen sie sich auch ge-
stalten möge. Meine feste Überzeugung ist, der Grund zu diesem
Vertrage sei schon damals gelegt, und es thue niu* Not, dass wir
zum bestinunteren Bewusstsein der Au%abe konunen, um sie auch
zu lösen." 1)
Schleiermacher selbst ist sich dieser Aufgabe gerade durch
seine brüderische Herkunft mehr als die meisten seiner Zeitgenossen
bewusst gewesen. Er macht den Versuch, zu einer christlichen
Gesamtanschauung der Dinge zu gelangen, deren Gnmdzüge schon
in den „Keden über die Religion" (1799) vorliegen. — Schleier-
macher trat während seines Berliner Aufenthalts in rege Beziehung
zu den Kreisen der Romantiker, deren Weltanschauung allerdings
dem religiösen Glauben der Brüdergemeine sehr fem stand. Seine
Reden über die Religion sind imverkennbar beherrscht von der
Reflexion auf den Gegensatz des Unendlichen und des Endlichen,
welcher das Denken der romantisch gerichteten Zeitgenossen in
massgebender Weise beherrschte. Indessen, Schleiermachers Fröm-
migkeit hatte damals noch „den fatalen Anstrich von herrn-
hutianischer", die einem Manne wie Niemeyer in Halle „herzlich
zuwider" ^) war, und als die Reden erschienen waren, meldete der
Verfasser seinem Freunde Brinkmann : „Da giebt es in Königsberg
einen Kriegsrat Scheffher, dem man als einem vertrauten Freimd
von Hippel lange Zeit an den Werken des letzteren einen be-
deutenden Anteil zugeschrieben hat, der hat in den Reden neben
allem Übrigen auch herrnhutische Ideen gespürt Das ist
doch von einem solchen Weltkinde wirklich sehr scharf sichtig." '*)
Man kann in der That jene Reden ebenso gut als den ersten
kräftigen Ansatz dazu auffassen, dem schimmernden Lande der
Romantik den Rücken zu kehren, lun wieder die sittlich-religiöse
Gesinnimg der Jugendzeit zur herrschenden Geltung kommen zu
lassen. Die Romantik kennt nach Schleiermachers Auffassimg
nur die ,^aturreligion" ; „meine Religion ist so durch imd durch
Herzreligion, dass ich für keine andere Raum habe."^) Indem er
diese Herzreligion aussprechen will, greift er in der ersten Rede
•) S. W. V, C18. ') Briefe 4, 108. '') a.a.O. IV, (iL ') a.a.O. I, 202 (1799).
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1894. Schleiermacher und die Brüdergemeine. B7
zui'ück auf seine religiöse Erfahrung in der Jugendzeit, die er
innerhalb der Brüdergemeine gemacht hatte. „Frömmigkeit war
der mütterliche Leib, in dessen heiligem Dunkel mein junges
Leben genährt und auf die ihm noch verschlossene Welt vor-
bereitet wurde ; in ihr atmete mein Geist, ehe er noch sein eigen-
tümliches Gebiet in Wissenschaft und Lebenserfahrung gefimden
hatte; sie half mir, als ich anfing, den väterlichen Glauben zu
sichten und Gedanken und Gefühle zu reinigen von dem Schutt
der Vorwelt; sie blieb mir, als auch der Gott und die Unsterb-
lichkeit der kindlichen Zeit dem Auge verschwanden; sie leitete
mich absichtslos in das thätige Leben; sie zeigte mii*, wie ich mich
selbst mit meinen Vorzügen imd Mängeln in meinem ungeteilten
Dasein heilig halten solle, und nur durch sie habe ich Freund-
schaft und Liebe gelernt" ^) Dieser Frömmigkeit verdankt er
schlechterdings alles., was sein Leben wertvoll macht. — Wenn
er nun daran geht, das Wesen dieser Frömmigkeit zu zeichnen,
den Charakter wirklicher religiöser Vergesellschaftung nachzuweisen,
sind es wieder die Brüdergemeinen, auf denen sein suchendes
Auge ruhen bleibt. „Vielleicht ist sogar nur in einzelnen ab-
gesonderten, von der grossen Kirche gleichsam ausgeschlossenen
Gemeinheiten etwas Ahnliches in einem bestimmten Raxun zu-
sammengedrängt zu finden."'^)
In der That hat er dasselbe Interesse, das dieser und be-
sonders ihrem Stifter lu^prünglich eigen war. Es kommt ihm
darauf an, die Religion in ihrem reinen ansich zu begreifen,
indem er sie aus der Verquickung mit jeglicher bestimmten Dog-
matik herauslöst. Das ist die leitende Tendenz seiner Reden;
sie entstanunt nicht der Romantik, sondern ist dieser an sich
entgegengesetzt und auf eine ursprüngliche Wirkimg seiner „herrn-
hutischen" Frömmigkeit zvunickzuführen. Die Religion ist eine
Angelegenheit des Gemüts, die allem reflektierenden Denken
gegenüber in absohiter Selbständigkeit verharrte Der alles be-
herrschende Grundsatz lautet: „Unmittelbar in der Religion ist
alles wahr, denn wie könnte es sonst geworden sem? Unmittelbar
aber ist nm*, was noch nicht durch den Begriff hin-
durchgegangen ist, sondern rein im Gefühl erwachsen."'^)
') S. W. I, 152. -) 8. W. I, :}28. vgl. die spätere Erkläning iS. 304.
^ S. W. I, 20(5.
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68 Bec^ker, Heft 2 u. 8.
Demgcmäss erkennt Schleicrmacher seine Hauptaufgabe darin, „in
dem gegenwärtigen Stiu-me philosophischer Meinungen die Unab-
hängigkeit der Religion von jeder Metaphysik recht darzustellen
und zu begründen". ^) Andrerseits ist dieser reinen Religion eigen-
tümlich, unersättlich zu sein und alle Lebensbewegimgen des
Menschen zu begleiten. „Jede Unterbrechung der Religion ist
Irreligion ; das Christentum hat zuerst und wesentlich die Forderung
aufgestellt, dass die Frömmigkeit ein beharrlicher Zustand sein
soll im Menschen und verschmäht auch mit den stärksten Äusse-
rungen derselben zufrieden zu sein, sobald sie niu* gewissen Teilen
des Lebens angehören und nur diese beherrschen soll. Nie soU
sie ruhen, und nichts soll ihr so schlechthin entgegengesetzt sein,
dass es nicht mit ihr bestehen könne ; von allem Endlichen sollen
wir aufs Unendliche sehen, allen Empfindungen des Gemüts, woher
sie auch entstanden seien, allen Handlungen, auf welche Gegen-
stände sie sich auch beziehen mögen, sollen wir im stände sein,
religiöse Gefühle imd Ansichten beizugesellen. Das ist das
eigentliche höchste Ziel der Virtuosität im Christentum."*^) Die
Religion, sobald sie sich ausgestaltet, bewegt sich diu'ch Willens-
entscheidungen hindurch zu Begriffsbildimgen und schaflft dadurch
eine alles umfassende sittlich-religiöse Lebenshaltung, die in allen
nur möglichen I^rfahrungen und Lagen sich als stets parat erweist.
Schon Zinzendorf hatte seinerzeit den Gedanken ausgesprochen,
dass der ReKgion allen andern Erscheinungen des geistigen Lebens
gegenüber eine eigentümliche Selbständigkeit zukomme, dass die-
selbe femer eine Äusserung des Gemütslebens sei, die zunächst
mit den Bedürfnissen der philosophischen Denkweise nichts zu
thun habe. Auch im Christentum handelt es sich um den Gemüts-
eindruck, den die Person Christi als des Heilandes, in welcher die
entscheidende Offenbanmg Gottes vorliegt, im Frommen her\'or-
bringt. Unbekmnmert mn den Beweis dafür und die Einwendungen
dagegen wendet sich diesem das ganze Gemüt zu; damit ist die
Grundlage für Willensentscheidungen und religiöse Erkenntnis
gelegt. 3)
Sein geistvoller Schüler und Biograph, Ludwig von Schrauten-
bach, der Freund Karl Augustes von Weimar, geht in seinen
') Briefe III, 284, ^) 8. W. I, 42Ü. '') Vgl. Becker: Zinzendorf. Leipzig
1886. S. 38 ff. ()4 ff.
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1894. Schleierraacher und die ßrüdergenieine. 69
„Reli^onsidoen eines Ungelehrten" ^) verwandte Wege. Er hat sieh
das Selbstzeugnis ausgestellt: „Wenn ich kein Hermhuter wäre,
wäre ich ein sehr elender Mensch". Daraus lässt sich schliessen,
woher seine religiöse Gedankenbildung den entscheidenden Einfluss
erfahren hat. Auch er lässt die Religion dadim^h zu stände
kommen, dass die Gottheit den Menschen in der Tiefe seines
Wesens, im Gemüt — da, wo „das kostbarste menschliche
Selbstbewusstsein" ruht — wirkimgskraftig berührt Da
thun sich „die Genusswerkzeuge des Geistes" auf, ein „erstes
Wollen" entsteht, das sich fortentwickelnd zu dem entscheidenden
Willensakt der Hinwendung zu Gott werden muss, in welchem
„der höchste Punkt menschlicher P^ntschliessung" vorliegt Die
Verwirklichung derselben kann freilich nicht des Menschen eigene
That sein. „An dieser Stelle scheitert die natürliche Religion."
Auch Schrautenbach hat sich wie Zinzendorf und Schleiermacher
von Chiistus weisen lassen, „wo die Natur ein Ende hat". „Das
menschliche Gemüt bedarf der wirksamen Thatsache", und diese
liegt vor in Jesu Christo, der die Menschen mit Gott versöhnte.
Was diese „Hermhuter^* aussprachen, hat der Herrnhuter
von einer höheren Ordnung, ohne ihre Gedanken zu kennen, that-
sächlich in die Höhe einer an Kant geschulten umfassenden
wissenschaftlichen Weltanschauung erhoben, die den Gebilde-
ten unter den Verächtern der Religion zeigen sollte, welches hohe
Gut sie verworfen hatten. — Indem Schleiermacher seine wissen-
schaftliche Anschauung weiter ausbildete, verfolgte er immer ent-
schiedener die Bahnen jener „vomicänischen Denkart", die er so
gern zum Allgemeingut gemacht hätte; diese verzichtet darauf,
„an Bestimmungen zu binden — d. h. die Kirche danach öffnen
und schliessen zu wollen, — welche im Streit die Majorität ge-
habt haben, da doch in diesen Dingen der Streit, wenn er einmal
entstanden ist, als ein unendlicher gesetzt werden muss, imd jede
Majorität nur momentan ist"*-*). Er war sieh vollkommen klar
darüber, dass auch in der Brüdergemeine die „nicänische Denkart"
bis auf einen gewissen Grad Platz gegriffen hatte; war er doch
selbst in Konflikt mit derselben geraten.
An der sonst vielfach angefochtenen Eingeschränktheit der
') im Auszug horau8gogcbon von D. Honuann Plitt. Gotha 187(5.
') Briefe IV, 373.
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70 Becker, Heft 2 u. H.
gOHellschaftlichen Verhältnisse innerhalb der Brüdergemeine findet
er nichts Erhebliches zu tadeln. ,Jn der Gemeine," schreibt er
an seine Schwester Charlotte, „wird der Mensch gebildet durch
Einsamkeit und stilles Nachdenken; in der Welt kann er es nur
werden durch die mannigfaltigste imd zusammengesetzteste Thätig-
keit Es sind zwei verschiedene Wege, aber beide sind gut, und
jeder Mensch hat nur darauf zu sehen, dass er den einschlage,
der seiner Natur am angemessensten ist, und dass er sich auch
dann hübsch dahin stelle, wo er diesen verfolgen kann." Kleinig-
keiten, die der Mensch in der Welt gar nicht wahrnimmt, „bringen
Euch schon zum Nachdenken und decken Euch etwas auf, — was
allerdings ein grosser Vorzug ist — und ich danke es meinem
Aufenthalt in der Gemeine, dass ich ihn in einem höheren Grade
besitze, als irgend ein Mensch vielleicht, den ich in der Welt
kenne; bei ihm muss alles erst in eine merkliche Thätigkeit
versetzt werden, ehe er es wahrnehmen soll".^) Was er diesem
Leben in der Gemeine verdankt, bezeichnet er seinem Freunde
von Brinkmann noch näher: „Insofern man irgend etwas Inneres
kann äusseren Umständen zu verdanken haben, glaube ich, dass
wir hiervon immer etwas auf Rechnung der Gemeine setzen
können. Das zeitige Insichselbstschauen und in einem solchen
Detail, wie es fast nur dort möglich ist, bildet gewiss den reifsten
Menschenbeobachter. Es scheint mir gcwissermassen eine Pesta-
lozzische Anstalt zu sein; die Verhältnisse sind sehr einfach und
nur wenige, in die man gesetzt wird ; aber man lernt sie gründlich
behandeln und gelangt zur Fertigkeit und ziu* Besonnenheit, die
hernach mit dem vermehrten Stoff in der Welt bald ebenso sicher
lunzugehen weiss." Er hätte gern mit einer ihm bekannten Dame
in Schlesien, v. Tschiersky, davon geredet, wie viel wert es ihm
sei, in der Gemeine gewesen zu sein; er stiess aber bei ihr auf
grosse Hartnäckigkeit „Sie wollte alles nur auf das gute Lernen
beziehen und auf die Bewahrung vor dem Bösen; imd dies war
doch offenbar das Wenigste. Nicht einmal so weit konnte ich
mit ihr kommen, dass ich sie aufmerksam darauf machte, wie viel
wert es wäre, dass man zeitig lernte, die Welt von einer Idee
aus zu betrachten, sondern sie meinte, dabei könnte wenig Gewinn
sein, wenn man die Idee hernach fahren Hesse."
•) a. a. O. 1, 208 ff.
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1894. Schleiermacher und die Brüdergemeine. 71
Hier traf Schleiermacher auf den Widerspruch, der in der
Geraeine gegen ihn erhoben wurde; das war ihm sofort klar.
„Hier hätte es nun gegolten," fährt er fort, „ihr mein Glaubens-
bekenntnis abzulegen über das eigentliche Esoterische des Heilandes
und der Gemeine, wenn ich Zeit gehabt hätte. Wirklich bin ich
überzeugt, dass die Hermhuter, von denen der Mühe wert ist
zu reden, recht guten Gnmd haben in der Religion, nur frei-
lich in der Theologie und Christologie ist er sehr schlecht;
aber das ist ja das Exoterische. Dass sie beides nicht voneinander
ti'cnnen können und, imi mit Zembsch zu reden, die Sohlen doch
immer für den Grund und Boden halten, ist schlimm, und ich
glaube nicht, dass es mir, wie Dir, hätte gelingen können, zwischen
der Scylla imd Char}'bdis hindurch zu kommen, am wenigsten im
Gespräch. Billige ich von dem, was sie sagen, den esoterischen
Gehalt, so ziehen sie es mit auf das Esoterische, mid es wird
wenigstens eine genommene Heuchelei, wenn auch keine gegebene.
Wollte ich ihnen aber mein Exoterisches geben, in einer andern
als ihrer exoterischen Sprache, so ist ja der offenbar gegebene
Skandal der Freigeisterei gar nicht zu vermeiden." „Ich gestehe
Dir gern, der Brüder immässiges Anhängen an ilu-em Exoterischen
imd meine eigene Unfähigkeit, imter dieser Bedingung zwischen
der Heuchelei und dem Anstoss hindurch zu kommen, ist das
Euizige, was meinen Wunsch, einmal wieder unter den Herren-
hutern zu leben, zurück hält Deim das auf allen Seiten so er-
bärmliche Wesen in der Welt, dem ich zwar nihig imd ohne
Ansteckung zu fürchten zusehe, aber das mich doch auf mancherlei
Weise stöi-t, und in das ich nicht thätig eingreifen kann, wäre
sonst für mich ein mächtiger Bewegimgsgrund dazu."^) Wenn er
später (1805) an denselben Freund schreibt, dass ihm bei einem
Besuch in Gnadenfrei „das zerstörende Piinzip in der Gemeine
stärker als sonst entgegengetreten" sei, meint er wohl das Über-
handnehmen der „nicänischen Denkungsart", die den Nachdruck
auf das Exoterische legt, denn er knüpft diese Bemerkung un-
mittelbar an die Erwälmung eines „alten nieskyschen Schul-
kameraden" an, „aus dem, ohneraehtet er mit Albertini imd mir
wetteiferte, nicht recht viel geworden zu sein scheint". 2) Hier
wird deutlich, was ihn von der damaligen Brüdergemeine schied:
») a. a. O. IV, 874 (14. Dez. 1803). ^) a. a. O. IV, 173.
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72 Becker, Heft 2 u. :].
dio in derselben herrschende dogmatische A uff assungs weise. Man
lässt diese mit der Sache selbst, mit dem christlich -religiösen
Glauben, unmittelbar zusammenfallen, sodass die Verständigung mit
einer anders gearteten erkenntnismässigen Auffassung des Christen-
tums ausgeschlossen ist Das ist die Kluft, die Schleiermacher
von der Brüdergemeine schied, sodass er daran dachte, eine neue
Freikirche zu bilden, die bei aller innern Verwandtschaft mit der
der Brüder doch nicht mit ihr zusammenfallen sollte.
Schleiermacher hat trotz dieser DiflFerenz seine innere Stellung
zur Brüdergemeine nicht geändert In seiner „Weihnachtsfeier**
(1806) ist Josef offenbar der „hermhutisch" Fromme, der als
Vertreter eines unbefangenen Gemütschristentums die wissen-
schaftlichen Erörterungen der Freunde ablehnt zu Gunsten eines
luunittelbaren Genusses der Weihnachtsfreude. „Ich bin nicht
gekommen. Reden zu halten, sondern mich zu freuen mit Euch;
und Ihr kommt mir, dass ich es ehrlich sage, wunderlich und fast
thöricht vor, dass Ihr dergleichen treibt, wie schön es auch mag
gewesen sein." Das „schlechte Prinzip" ist nämlich anwesend,
„dieser Leonhard, der denkende reflektierende dialektische über-
verständige Mensch". „Und die armen Frauen haben sich das so
müssen gefallen lassen", während sie mit schönem Gesang hätten
die Herzen der Hörer erquicken können, der die Frömmigkeit
weit inniger zum Ausdruck gebracht hätte, als lange Reden das
je vermögen. ,4Commt deim, und das Kind vor allen Dingen mit,
wenn es noch nicht schläft, und lasst mich Eure Herrlichkeit
sehen und lasst uns heiter sein und etwas Frommes und Fröh-
liches singen.** ^) Vorher hatte Eduai'd einen Satz ausgesprochen,
der den versöhnenden Gedanken enthält: „Wohl aber können in
der Kirche sein, die nicht die Wissenschaft in sich haben; denn
sie können jenes höhere Selbstbewusstsein in der Empfindung
besitzen, wenn auch nicht in der Anschauung**.-)
Als Schleiermacher daran ging, sein Hauj>twerk, die Glaubens-
lehre, zu entwerfen, hat er einen Gedankenzusammenhang aufge-
stellt, der sich von dem, was das „Exoterische" der Brüder war,
allerdings weit entfernt. Richtet man dagegen sein Hauptaugen-
merk auf die Konzeption der theologischen Grundgedanken, so sieht
man sich zu der Behauptung veranlasst, dass er auch in diesem
•) S. W. I, 524 ff. -) a. a. O. S. 522.
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1894. Schleierraacher imd die Brüdergemeine. 73
Werke Erkenntnisse erneuert hat, die seit den Tagen Luthers und
Melanchthons niemand mit solcher Energie vertreten hatte, als der
Stifter der Brüdergemeine, Zinzendorf.
Seine Theologie hat bei allem Widerspnichsvollen ihrer Fas-
sung im einzelnen einen Gedanken zur prinzipiellen Grundlage,
der mit folgerichtiger Konsequenz in fast allen seinen Schriften
wiederkehrt
Das Christentum ist ihm die auf Grund des von Christus
her gewonnenen entscheidenden Gemütseindrucks sich bildende
Lebensgemeinschaft mit der Person des geschichtlichen und ver-
klärten Heilands. Christliche Gotteserkenntnis kann daher mit
innerer Notwendigkeit niu* aus der Person dieses Heilandes ge-
wonnen werden, und zwar ausschliesslich von einem, der als Mit-
glied der christlichen Gemeine in Gemeinschaft mit ihm steht.
Wenn er von diesem Boden aus eine Theologie anstrebt, so kann
das nur „Gemeintheologie" S(»in, d. h. eine Theologie, welche ihre
Erkenntnisse auf Grund der religiösen Erfahrung der Gemeine aus
der Person des Heilandes herleitet. Ihr Inhalt wird bezeichnet
durch die Formel: Lamm, Blut und Gemeine, d. h. sie entfaltet
den Umkreis der Heilswahrheiten, die durch den Zusammenhang
der drei Gnmdf aktoren , des Heilandes, der Versöhnung und der
in der Versöhnmig stehenden Gemeine gebildet wird. Indem die
Gemeine den Zusammenhang dieser Heilswalu-heiten vertritt, ge-
langt sie zur vollen Erkenntnis der Gottheit und wird zu einer
Lebensmacht, die befähigt ist, eine sittlich-soziale Emeuenmg der
ganzen Menschheit bis in die Gebiete der imgesehichtlichen Völker
hinein zu imtemehmen.
Schleiermacher hat schon in seiner „Kurzen Darstellung des
theologischen Studiiuns" 1810 den Satz aufgestellt, dass jedenfalls
unter dem Gesichtspunkt der exegetischen Theologie die normale
Dignität im schlechthinnigen Sinne nur Christus zugesprocheji
werden könne. ^) Später stellt er fest, dass die Person Christi als
die „wahre Offenbarung" die einzige Erkenntnisquelle im Christen-
tum ist „Das Wort Joh. 1, 14: Wir sahen seine Herrlichkeit u. s.w.
ist der Keim alles Dogmas und giebt sich selbst für nichts
anderes, als für die in Rede übertragene Affektion. Ja, auch was
Christus von sich selbst sagt, wäre keine christliche Wahrheit ge-
») S. W. I., 58.
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74 Becker, Heft 2 u. 8.
worden, wenn es sich nicht sogleich durch diese Affektion be-
währt hätte. Diese ist also und bleibt mir das Ursprüngliche im
Clu^stentum, und alles andere ist nur von ihr abgeleitet. Die
wirksame d. h. auf eine bestimmte Art afficierende Erschei-
nung Christi ist die wahre Offenbarung und das Objek-
tive. Von jedem andern Zeugnis gilt dasselbe, wa« die Samariter
von der Frau und ihren Worten sagen. Wer eben nicht glaubt,
dass ich an dem historischen Christus festhalte, hat auch
kein Wort von meinem Buche (Glaubenslehre) und von
meiner Methode verstanden." i) Auch Lücke gegenüber
wiederholt er den Grundsatz, „dass der Spruch Joh. 1, 14 der
Grundtext der ganzen Dogmatik" sein solle. 2) In dem Dissensus,
in welchem er mit Sack über dessen Apologetik geraten ist, giebt
er den Gnmd „aus dem sich, wie mir scheint, alles entwickeln
lässt, was zwischen uns streitig ist" in folgenden Worten an: „Ich
nehme nämlich nur eine göttliche Offenbainmg an in der Person
Christi, sie nehmen auch eine besondere an in der Schrift, die
für mich in dieser Hinsicht gar nichts Primitives ist Auf diesem
Punkt aber stehe ich nicht nur für mich imerschütterlich fest,
sondern ich möchte auch alles Mögliche thun, um ihn andern so
klar zu machen, wie er mir selbst ist, weil ich überzeugt bin, dass
wir dann erst auf dem rechten Fundament der evange-
lischen Theologie feststehen."^)
Es ist demnach nicht zu bestreiten, dass für Schleiermacher
die Gotteserkenntnis aus der Person Christi das allein brauchbare
Fundament der evangelischen Theologie war.
Warum, fragt man, hat er seine Glaubenslehre so entworfen,
dass dieses Fimdament als solches nicht ohne weiteres von vorn-
herein kenntlich gemacht wiu-de? Eben diese Frage ist es, mit
der sich Schleiermacher in seinem zweiten Sendschreiben an Lücke
vom Jahr 1823 beschäftigt. Schon als er zuerst die Glaubens-
lehre ausarbeiten wollte, hat er lange geschwankt, ob er den ein-
zelnen Teilen die Stellung geben sollte, die sie nun haben, oder
ob er sie lunkehren sollte, mit dem zweiten Teil (Entwickelung
der That«achen des frommen Selbstbewusstseins, wie sie durch
den Gegensatz [von Sünde und Gnade] bestimmt sind)
') Au8 Bchlcicrm. Leben in Briefen IV, 335 (182.')). '^) S. W. II,
011 (1820). '') Aus Schleiemi. Leben IV] 403 ff.
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1894. Schleiermacher und die Brüdergemeine. 75
anfangen, und mit dem ersten (Entwickelung des frommen Selbst-
bewusstseins, wie es in jeder christlich-frommen Gemütserregung
immer schon vorausgesetzt wird, aber auch immer mit
enthalten ist") schlicssen. Das Grundgefühl jedes mündigen
Christen müsse doch dieses alte sein, dass in keinem andern Heü
und kein andrer Name den Menschen gegeben sei, als der Jesu
Christi. Wäre nicht hiervon auszugehen das Ordnungsmässigste
für ihn gewesen, da er so bestimmt ausgesprochen hat, dass Christen
ihr gesamtes Gottesbewusstsein nur als ein durch
Christum in ihnen zu stände gebrachtes in sich tragen?
In Folge davon wäre der Vater zuerst in Christo geschaut
worden. Die ersten bestimmten Aussagen über Gott hätten die
spezifischen Heilslehren enthalten, und die sogenannten metaphy-
sischen oder natürlichen Eigenschaften Gottes wären zuletzt ab-
gehandelt worden. Er hat sein Werk nicht so entworfen, und in
Folge davon ist er in der Weise missverstanden worden, dass seine
Dogmatik eigentlich Philosophie sei, und dass sie das Christentum
demonstrieren wolle. Er selbst hatte das nicht erwartet, da er
deutlich genug gesagt zu haben glaubte, dass der erste Teil zwar
ziun Gebäude selbst gehöre, aber niu* als Eintritt und Vorsaal;
die dort gegebenen Sätze seien nur unausgefüllte Rahmen und
bekämen ihren wahren Gehalt niu* durch die Beziehvmg auf das,
was erst hernach vorgetragen werde. Bei der umgekehrten Auf-
einanderfolge der Teile wären diese Missverständnisse nicht mög-
lich gewesen, denn keiner hätte dann verkennen können, dass die
Darstellung des eigentümlich christlichen Bewusstseins wahrhaft
und wirklich der eigentliche Zweck des Buches sei. Wäre nament-
lich die Einleitung noch schärfer von der eigentlichen Glaubens-
lehre gesondert worden, „so würde dann gewiss dem schlimmsten
und grellsten Missverständnis, dass nämlich seine Glaubenslehre
eine spekulative Tendenz habe und auf einem spekulativen Grunde
ruhe, möglichst vorgebeugt worden sein." Er gesteht, dass er
durch die gegenwärtige Gestalt des Buchs seiner ursprünglichen
Neigung ein grosses Opfer gebracht habe. Er hätte dasselbe
lieber so eingerichtet, „dass den Lesern möglichst auf jedem
Punkt hätte deutlich werden müssen, dass der Spruch Joh.
1, 14 der Grundtext der ganzen Dogmatik ist, so wie er
dasselbe für die ganze Amtsführung des Geistlichen sein solle.
Wie es jetzt ist, gehören hierzu Kombinationen, die ich, so ein-
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76 Becker, Heft 2 u. 8.
fach sie auch sind, doch, wie ich leider sehe, nicht von allen
erwarten kann."
Zwei Gründe haben ihn davon abgehalten, jene andere an
sich richtigere Anordnung zu treffen; da indessen der eine nur
eine Grille sei imd der andere nur eine Unfähigkeit, „so tröste
er sich um so leichter damit, dass früher oder später ein anderer
kommen wird, der diese bei weitem vorzüglichere Stellimg mit
Lust und Glück durchführt" i)
Die positive Begründung des thatsächlich befolgten dogma-
tischen Verfahrens kann hier nicht weiter erörtert werden. Es
genügt noch einmal festzustellen, dass er in der That in Joh. 1, 14
den „Keim der Dogmatik" sah und damit feststellte, dass alle
christlichen Glaubenssätze nur aus der Wirkung hergeleitet werden
können, welche die Person des Heilandes auf den Frommen ausübt
Es gehören, seinem Urteil zufolge, „Kombinationen" dazu,
um darzidegen, dass er selbst diesem Grundsatz gefolgt ist
Versuchen wir in der Kürze wenigstens eine solche Kom-
bination, indem wir feststellen, was, abgesehen von dem philosophi-
schen Unterbau, der eigentlich theologische Ertrag seiner Glaubens-
lehre ist.
Offenbarung ist nie irgend welche Lehrmitteilung, sondern
vielmehr die Selbstdarstellung einer von Gott erfüllten Persön-
lichkeit, die durch ihre geschichtliche Erscheinung auf das fromme
Selbstbewusstsein in massgebender Weise einwirkt Innerhalb der
christlichen Religion ist es die Person Christi als des &lösers, die
den gesamten Offenbarungsinhalt an die Menschen heranbringt
Das Christentum ist daher diejenige Glaubensweise, in welcher
alles bezogen wird auf die diu*ch Jesum Christum vollbrachte
Erlösung; sein Zweck erschöpft sich in der lediglich von Christus
her sich vollziehenden Auswirkung des Erlösungsprinzips in imd
an der Menschheit
Wie alle Religionen, so kann auch die christliche niu* in der
Form der Gemeinschaft zur Darstellung kommen. Demgemäss
bezieht sich die erlöserische Thätigkeit Christi zunächst auf die
christliche Gemeinde, deren Aufgabe au6h nur wieder in der Ver-
breitung dieser erlösenden Wirksamkeit bestehen kann. Indem
das Christentum in dieser Weise Christus- und Erlösungsreligion
•j 8. W. II, 005 ff. .
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1894. Schleiermacher und die Brüdergeraeine. 77
ist, stellt es sich zu gleicher Zeit stets in der Form des Bewusst-
seins der Gemeinschaftlichkeit aller Erlösten dar.
Innerhalb der Gemeinde erkennt der Gläubige auf Grund
der durch sie vcrmitt<»lten ursprünglichen Wirkung des Erlösers
und aus der Selbsterfahrung derselben, was Sünde und Übel zu
bedeutc^n haben; hier ergreift er die Kraft der erlösenden Gnade
und erkennt, dass sein Leben im Zusammenhang mit allem Ge-
schehen in der Welt im Katschluss des Gottes, der die Liebe ist,
beschlossen liegt. Hier erfasst er im Glauben die Wahrheit, dass
auch mitten in dem grössten Zerfall der öffentlichen Verhältnisse
doch eine von Christi Vollkommenheit ausgehende stets gleich-
artige Wirkung diu-ch Vermittelimg der Gemeinde der Erlösten
sich auslebt, der schliesslich der Erfolg der Weltüberwindung nicht
mangeln wird.
Auch bei Schleiermacher bilden daher der Erlöser, die Er-
lösung imd die in der Erlösung hergestellte, auf ihr ruhende und
durch sie wirksame Gemeinde einen schlechthin unauflöslichen
Zusammenhang, der als solcher den Kern der dogmatisch-theolo-
gischen Gesamtanschauung bildet und aus dem Keim von Joh. 1, 14
erwachsen ist
Es begegnet uns hier dieselbe Tendenz, zu einer schlechthin
cluisto-centrischen Fassung der Glaubenslehre zu gelangen, die
auch in Zinzendorfs theologischen Gedanken die treibende Kraft
bildete. Seine Begriffsbildung im Einzelnen ist eine andere, in-
sofern namentlich, als er als Lutheraner nicht den Gedanken der
Erlösimg, sondern den der Versöhnung in den Mittelpunkt stellt.
Unter den zahlreichen Verdiensten Schleiermachers ist das
nicht das geringste, dass er von seiner „vomicänischen" Denkweise
aus wieder ein besseres Verständnis der sogenannten „Neben-
parteien" in der Kirche und ihrer Bedeutung für die Gesamtent-
wickelung erschlossen hat, die dem spezifisch nicänischen Stand-
punkte des SjTnbolzwangs verborgen bleiben muss; wo dieser sich
geltend macht, erscheinen jene kleinen Kirchengemeinschaften meist
als imbotmässige, Verwirrung stiftende Sekten, während thatsäch-
lich häufig in ihnen Wahrheiten ziun Ausdruck kommen, denen
die Grosskirche, sei es widerwillig oder nicht, doch einmal gerecht
werden muss, zum Heil für die Christenheit.
Gnadenfeld, im Jidi 1893.
Munat8hoft4.> d«T Cuiitouiu8-(T<>s«'llschaft. 18«)1.
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Comenius' Studienzeit in Herborn.
Neue Beiträge zur Geschichte seiner Geistesentwicklung
von
Dr. A. Nebe in Elberfeld.
,^w. Gnaden, erhaltende diese Akademie, thun der ganzen
reformierten Christenheit einen grösseren Dienst, als wenn Sie
etliche tausend Reuter und Knechte zu Felde hielten," i) so schrieb
1596 Johann Fontanus aus Amheim dem Gründer der hohen
Schule zu Herbom, dem Grafen Johann dem Älteren von
Nassau-Katzenellenbogen. Das war keine leere, ungeschickte
Schmeichelei für den edlen Fürsten, der einst als würdiger Mit-
arbeiter seines grosseren Bruders Wilhelm vonOranien für
die Befreiung der Niederlande gekämpft hatte und mm seit einer
Reihe von Jahren seine reiche Kraft auf enger begrenztem Gebiet
in der Verwaltung seiner nassauischen Stammlande bethätigte. Seine
hochherzige Schulgründung in Herbom hatte trotz ihres erst acht^
jährigen Bestehens einen schönen Aufschwung genommen, waren
doch in der letzten Zeit jährlich an 60 lernbegierige Jünglinge der
Johannea zugeströmt, nicht nur aus allen Gauen Deutschlands,
sondern auch aus Böhmen, Mähren, Ungarn, Dänemark, Friesland,
Holland, Frankreich und der Schweiz. 2) Man kannte und schätzte
damals überall, wo die reformierte Lehre festen Fuss gewonnen hatte,
das bis dahin fast unbekannte, kleine Landstädtchen im anmutigen
Dillthal, das von bewaldeten Ausläufern des Westerwaids umgeben
*) vgl. J. H. Stcubing, Gesch. d. hohen Schule Herbom, Hadamar
1823, S. 128; wichtige Ergänzungen zu diesem Werk bietet die Topographie
der Stadt Herbom, Marburg 1792 von demselben Verfasser; einen Neudmck
der Schulgesetze von 1584 und 1609 giebt F. Zimmer in der Festschrift
zur Feier des Comenius- Jubiläums. Herbom 1892.
') vgl. die Matrikel in A. v. d. Linde 's Katalog der Nassauer Dmcke
I, Wiesbaden. iaS2, S. 340 ff.
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1894. Nobe, Couienius* Studienzeit in Herborn. 79
und von einem stattlichen Sehloss übeniigt wird. Ohne jede Ein-
schränkung nennt ein Kenner wie Tholuck (Akad. Leben IT, 303)
Herborn „unter den reformierten hohen Schulen bei weitem die
bedeutendste." Durch den in allen Verfolgiuigen bewährten Caspar
Oleväan, der bei der Gründung Graf Johanns rechte Hand ge-
wesen war, hatte die Schule ihr für alle Zeiten charakteristisches
Gepräge aufgedrückt erhalten, sie war eine Schule „um Fort-
pflanzimg der reinen Lehre und unserer christlichen Religion an-
gerichtet" Selbst als sich eine besondere juristische Fakultät
entwickelte mid in der philosophischen Fakidtät auch medizinische
Professoren thätig waren, blieb die Theologie die beherrschende
und für die Entwicklung der ganzen Schule entscheidende Wissen-
schaft.
Die hohe Schule war aber nur ein Teil der ganzen Gründung;
in enger Verbindung mit ihr stand das Pädagogium,^) welches in
fünf (zeitweise sechs) Klassen zerfiel, die denkbar günstigste Vor-
bereitmigsstätte für die Hochschide, deren Einrichtungen vielfach
als mustergültig angesehen und z. B. in Hanau und Bremen nach-
gebildet wurden. In der untersten Klasse spielte die Muttersprache
noch die Hauptrolle, während sie in den beiden folgenden all-
mählich zu Gimsten der lateinischen zurücktrat, die in den beiden
höchsten ihre Alleinherrschaft nur mit dem Griechischen teilte.
Das Lob, das ein dankbarer Schüler des Pädagogiums aus dem
Anfang des 17. Jahrhunderts, Caspar Sibel,^) ihm zollt, war wohl-
verdient Fleiss und Lehrgeschick der Lehrer, eine milde imd
doch ernste Schulzucht verliehen ihm hohes Ansehen und ver-
schafften ihm zahlreiche Schüler von nah und fern; die erste
Klasse, die unter Leitung des Pädagogarchen stand, der zugleich
*) Die Gesetze desselben bei Zimmer a. O. S. 9 ff. und 21 ff., eine
kurze Beschreibung des Lehrplans bei A. Nebe, Vives, Aisted, Comenius
in ihrem Verhältnis zu einander. Progr. Eilberfeld 1892.
^) vgl. die von L. Scheibe veröffentUchte Probe aus C. Sibels Lebens-
beschreibung in der Festschrift zur Feier des 300 jährigen Bestehens des
Gymnasiums zuElberfeld. 1893 S. 70: Paedagogeum iUud Herbomense tunc
t^mporis (1G05) admodum florebat praeceptorum eruditorum diligentia, disci-
pulorum tum frequentia, timi praeclara laudabilique institutione ac disciplinae
scholasticae observatione atque exercitio. Sola classis prima ab octoginta
discipulis frequentabatur , quorum plerorumque genis barba increscebat; ac
haud facile quis ex illa classe ad publicas lectiones promovebatur et admitte-
batur, qui pure et cnicndato non 8criborct Latine et Graooe.
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80 Nebe, Heft 2. u. 3.
eine Professur bekleidete, zahlte in manchen Jahren 80 Schüler,
um deren Lippen, wie Sibel hervorhebt, zumeist der erste Flaum
sichtbar ward. Das ist keine müssige Bemerkung, sondern ein
bedeutsamer Hinweis darauf, dass es hier nicht auf die Erziehung
frühreifer Wunderkinder abgesehen war, wie sonst oft, sondern
auf Erziehung und gründliche Bildung des Geistes durch religiöse
und sprachlich -humanistische Unterweisung, mit der Kräftigung
des Körpers in „ehrlichen" Spielen und Leibesübimgen Hand in
Hand ging. Erscheinimgen, wie die des Heinrich Dauber, der 1621
in seinem elften Jahre ziu- Hochschule entlassen eine hebräische
Dissertation geschickt verteidigen konnte, und des Johann Heinrich
Aisted, der 14jährig 1602 Student wurde, waren in Herbom nm*
vereinzelt und bestätigten als Ausnahmen die Regel. Schon da-
durch, dass der Pädagogarch zugleich Professor war, wurde der
Gefahr vorgebeugt, dass nur unvollkommen vorbereitete Zöglinge»
zur hohen Schule übergingen.
Das Eigentümliche der Herbomer Schidanstalten war, dass
sie „gleichsam in zweyen gliedern vertheilet", dennoch ein um-
fassendes System bildeten, das den Schüler von dem Abc bis zu
den Geheimnissen der väer Fakultäten zu führen geeignet war.
So war hier im Keime das Ideal vorhanden, das der berühmteste
Schüler der Herbomer Hochschule mit kühnem Seherblick als die
Schule der Zukunft erkannte und mit geschickter Hand in seinen
Gnmdzügen zu zeichnen verstand.
Das bis jetzt vorhandene Material über die Anwesenheit des
Johann Amos Comenius in Herbom, das J. Kvacsala in seinem
Werke (S. 16 ff.) mit gewohnter Umsicht und Gründlichkeit aus-
genutzt hat, wird durch einen glücklichen Fund wesentlich be-
reichert In dem Königl. Staatsarchiv zu Wiesbaden befindet
sich nämlich die bisher ganz unbekannte älteste Schrift des
Johannes Amos Marcomanno-Niwniczenus, wie er sich da-
mals noch nennt, ein zierliches Quartheft von 6 Blatt, das in
Christoph Corvins Dmckerei 1612 gedruckt wurde und Proble-
mata miscellanea behandelt; und auch die zweite Herborner
Disputation, von der man nur den Titel: Sylloge Quaestionum
controversarum , Philosophiae viridario depromptamm (Resp.)
Johannes Amos, e Marcomannis Niwnicenus. Herbomae
1618" kannte, ein 24 Seiten starkes unscheinbares Schriftchen in
12^ hat sich in der Köuigl. Landesbibliotlu^k in Wiesbaden er-
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1894. Comeniu»' Studienzeit in Herborn. 81
halten (bei v. d. Linde a. O. No. 599 und 58). Beide Schriften
verdanken ihre Entstehung der in Herbom sehr geschätzten Ein-
richtung öffentlicher Disputationen, die wöchentlich am Samstag
stattfanden (Zimmer a. O. 15, 19, 31); ausdrücklich war in den
Schulgesetzen bestimmt, „die öffentlichen und privaten Disputa-
tionen solle man nicht leicht versäumen, da dort die Urteilskraft
vor allem geschärft und eine klare Ausdrucksweise erlernt werde,"
ja die Stipendiaten waren im Falle des Fernbleibens mit Sperrung
der Freitische bedroht Unterscheidet sich auch der Inhalt der
beiden Disputationen nicht wesentlich von dem der gleichzeitigen
Herbomer Schulschriften, und kaim die spitzfindige Behandlimg
aller möglichen philosophischen Fragen kaum auf allgemeineres
Interesse rechnen, so erfreut doch die gewandte lateinische Form,
die in ihrer anschaulichen Bildlichkeit und ihren geschickten Wort^
spielen manchmal lebhaft an die späteren Schriften des Comenius
gemahnt; auch lassen die Widmimgen und die beigefügten Lob-
gedichte ein schönes Streiflicht auf die persönlichen Beziehimgen
des jungen Studenten zu schien Genossen und Lehrern fallen, so
dass wir jet^t ein ziemlich klares Bild von dem Aufenthalt des
Comenius in Herbom gewinnen.
,Joannes Amos Nivnizensis" wurde am 30. März 1611 von
dem damaligen Prorektor Joannes Jacobus Hcrmannus in die Ma-
tiikel der hohen Schule eingetragen (v. d. Linde a. O. S. 389), an
demselben Tage wie Daniel Thelermenus a Zhorze Satecenus,
Matthaeus Titus Straznicensis und Joannes Litomil Litomislenus.
Der Name des jungen Giufen von Kunowitz, als dessen Begleiter
und Ratgeber Comenius im Dezember 1610 aus seiner mährischen
Heimat nach Herbom gezogen war, findet sich nicht in der Ma-
trikel, wohl deshalb, weil er das Pädagogium besuchte. Wie wir
jet^t aus der Widmung der Schrift Sylloge etc. erfahren, hatte
sich der edle Bischof der böhmischen Brüder, Dr. Johannes
Lanecius (Lanetius) den ausziehenden hoffnungsvollen Jünglingen
als treuer Berater mid wohlwollender Gönner erwiesen und ver-
folgte ihre Studien auch femerhin mit ermmitemder Teilnahme, so
dass Comenius ihm die erwähnte Disputation „als Zeichen seiner
Dankbarkeit imd Beweis seiner dauernden Hochachtung** widmet und
sein Ijandsmann Matthaeus Titus in dem beigefügten Glückwimsch-
gedicht ihn geradezu als den Beschützer ihrer Studien bezeichnet,
der an dem Streben des Amos bf^sonderes Wohlgefallen finde. Auf
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82 Nebe, Heft 2. ii. 3.
die zarteren Beziehungen, die sich zwischen dem jungen Studenten
und der Familie des Lanecius zu knüpfen begonnen hatten, weist
der Schluss des Widmungsschreibens, in dem er den Lanecius
„mit seiner süssen Gemahlin und Tochter" der Hut des Heilands
empfiehlt
Der glückliche Umstand, dass mehrere böhmische Brüder
zugleich in Herbom studierten, und die väterliche Füi*sorge, die
ihnen ihr Bischof aus der Ferne angedeihen liess, mussten be-
wirken, dass Comenius bei seinen Studien nie den Zusammenhang
mit seiner Heimat und seiner Mutterkirche verlor, deren Diener
er werden wollte, und „treu die Wege einhielt, die ihm durch die
eignen Überlieferungen gewiesen waren", die Richtung auf das
„Praktische." Von dem festen Zusammenhalten der jungen Tsche-
chen, die zusammen nach der nassauischen Schule gezogen waren,
zeugt ausser dem von Kvacsala (J. A. Comenius, Anm. S. 64) ver-
öffentlichten Gedichte des Comenius auf Johannes Litomil vom
Jahre 1612 das oben erwähnte Lobgedicht des Matthaeus Titus auf
„seinen Landsmann und engverbundenen Freund" Amos 1613, in
welchem im Wortspiel mit diesem Namen seine Liebe zur Weis-
heit gefeiert wird, die ihn wiederliebe und ihm die Liebe aller
verschaffe.
Aber es war nicht zu befürchten, dass im engen Kreise der
Sinn sich verengerte; ein äusseres Gegengewicht dagegen bildete
schon eine eigentümliche Einrichtung der Herbomer Hochschule,
die sog. gräfliche Communität Dies war eine öffentliche Speise-
anstalt für die Studenten, die unter Aufsicht des Senates stand.
Hier speisten nicht nur die Stipendiaten, sondern auch die Mehr-
zahl der übrigen Studenten in drei nach der Höhe des Kostgelds
verschiedenen Abteilungen. „Über einem Tisch sollen 10 Personen
sitzen," so bestimmten die Convictsgesetze (vgl. Steubing, hohe
Schule S. 76 ff., 319 ff.), und natürlich genug war es, dass zwischen
den Tischgenossen sich schnell ein engeres Verhältnis entAvickelte.
Auch Comenius gehörte der Communität an. Heinrich Pithan nennt
ihn in dem Gedicht, welches am Schluss der Problemata von 1612
steht, seinen „höchst erwünschten Tischgenossen" und feiert ihn
dann wegen seiner Frömmigkeit, Gelehrsamkeit und Treue, wegen
seines reinen Herzens, seines glühenden Wissenstriebes und seiner
liebenswürdigen Bescheidenheit und bittet ihn zum Schluss um
seine fernere Freundschaft, die er von Herzen zu erwidern ver-
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1894. Oomenius' Studienzeit in Herborn. 83
spricht Dieser Pithan aus Siegen, der drei Jahre vor Comenius
in die Herbonier Matrikel eingetragen worden war, hat sich später
seines Freundes würdig gezeigt mid glaubensmutig die schweren Ver-
folgungen getragen, die von den Katholiken über ihn verhängt wurden,
als er 1620 Kaplan in seiner Vaterstadt geworden war: er musste
fliehen, hatte aber späten- die Genugthuung, nach kurzer Wirksam-
keit in Dillenburg und Herborn als erster Kaplan nach Siegen
zurückkehren zu dürfen (vgl. Steubing, Stadt Herbom S. 197).
Auch die Widmung dieser Erstlingsschrift lässt uns erken-
nen, wie leicht es Comenius gelang, Anschluss zu gewinnen: als
„Zeugnis seiner Hochachtung und Dankbarkeit" überreicht er die
Disputation zwei jungen polnischen Adligen, Stanislaus und Andreas
Jahodinskym (hi der Matrikel 1. Aug. 1610: Jahodniski) de Matcze
und deren gelehrtem und erfahrenen Erzieher Daniel Bresler aus
Danzig, „seinen Freunden und Gönnern," die er in einem geschick-
ten lateinischen Gedichte feiert
Begreiflich ist es, dass der hochbegabte, vielseitig angeregte
und rastlos arbeitende junge Student gerade die tüchtigsten, gleich-
strebenden Genossen unwiderstehlich an sich zog; was sein Lands-
maim Titus rühmte, dass die sicheren Zeugnisse seiner Studien der
ganzen Schule sichtbar seien, war ja keine hohle Schmeichelei
Einer der bedeutendsten seiner Mitschüler, Justus (in der Matrikel
4. Okt. 1610: Jodocus) Reiffenbei^er, ein Pfarrersohn aus dem
nahe bei Herborn gelegenen Haiger, der ein halbes Jahr vor Co-
menius* Ankunft aus dem Pädagogium zur hohen Schide überge-
gangen war, scheint sich ihm besonders eng angeschlossen zu haben,
obwohl seine eigentlichen Studiengebiete, Rechtswissenschaft und
Politik, von denen des jungen Tschechen weit ablagen. Ein
„niveum pectus," wie Comenius selbst, hat er nach Beendigung
seiner Studien in Bremen und Heidelberg, wo er 1616 zum Doctor
jiuis promoviert wurde, durch seine juristische Lehrthätigkeit in
Herborn, Rinteln, Bremen und Franeker ebenso grossen Ruhm
erworben, wie durch seine auf umfassenden Studien benihenden
Werke (vgl. Allg. Deutsche Biographie 27, S. 685). Der zweiten
Disputationsschrift des Comenius fügte dieser Reiffenberger 1613
ein schwungvolles Lobgedicht auf ihn, „den einzig treuen Freund,"
bei, in das er die beiden Anagramme auf den Namen des Johannes
Amos Moravus: „Amas Musas. Inde honor" oder „Ov-a: omas
omine Musas" geschickt zu verweben weiss.
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84 Nebo, Heft 2 u. 8.
Bei der verhältnismässig geringen Zahl der Studenten konnte
es kaum ausbleiben, dass sich fast alle gegenseitig kannten, selbst
wenn sie nur kurze Zeit zusammen iii Herboni studiert hatten.
Als Comenius auf seiner Orientienmgsreise nach Polen 1624,
angelockt durch die Nachrichten von dem neuen Propheten Chiistof
Kotter, Sprottau besuchte imd zufällig den Namen des dortigen
Pastors Mag. Menzel vernahm, wurde trotz 13 jähriger, erfahrungs-
reicher Zwischenzeit sofort in seinem Geist die Erinnerung an die
Studienzeit in Herbom wachgerufen. Zwei Schlesier, Joachim und
Abraham Menzel, hatten nämlich, wie er sich entsann, gerade um
die Zeit, wo er dorthin kam, sich ziu* Heimreise angeschickt
Der Sprottauer Pastor war wirklich sein Studiengenosse, und als
willkommener Gast seines Hauses verlebte Comenius in frommen
Gesprächen einige Tage in einer namenlosen Seligkeit, die er noch
nach 30 Jahren mit der „Wonne der Unmittelbarkeit" beschreibt
(vgl. Kvacsala a. O. 36 und Monatshefte I, 117).
Wohl möglich, dass sie in den Gesprächen mehr als einmal
die alten Herbomer Erinnerungen aufleben Hessen, wiu*zelte doch
Comenius wenigstens mit seinen chiliastischen Anschauungen
diu-chaus in den Eindrücken, die er von seinen zwei bedeutendsten
Herbomer Lehrern während seiner zweijährigen Studienzeit em-
pfangen hatte. „Von dem frommen Theologen Piscator und
dem grossen, aber christlichen Philosophen Aisted" hat er, wie
er später in seiner letzten Schrift (de zelo sine scientia et char.
p. 8) am Rande des Grabes erklärt, zuerst diesen Trost der Kirche
sich angeeignet, „dass dem Volke Gottes noch eine Ruhe vor-
handen sei" (Hebr. 4, 9); ein Trost, der ihm ein Stecken und Stab
für seine ganze Lebenszeit sein sollte.
Schon aus dieser Stelle konnte man erkennen, dass Comenius
nicht einseitig theologische Studien in Herborn getrieben hatte;
jetzt tritt aus seinen Disputationsschriften das mit voller Klarheit
ans Licht, dass er sich den philosophischen Studien im Um-
fange und Sinne der damaligen Zeit mit einem imgewöhnlichen
Eifer ergeben hatte, als könne er das ganze Meer der Wissen-
schaften mit einem Male erschöpfen. Das beweist zimächst das
Vorhandensein der Schriften selbst, da nach den Schulgesetzen
(Zimmer a. O. S. 19) in der Regel von den Professoren eine Auf-
forderung zur Abfassimg einer Disputationsschrift erging; der Fall,
dass zwei verschiedene Lehrer der Philosophie denselben Schüler
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1894. Comeniuö' Studienzeit in Herborn. 85
erwählten, seheint nieht allzu häufig vorgekommen zu sein. Zudem
wird fast in allen Lobgedichten auf Comenius gerade diese be-
wundernswerte Vielseitigkeit seiner Studien immer ^vieder betont:
Der Vorsitzende bei der ersten Disputation, Prof. Gutberleth, be-
ginnt sein Gedicht mit einem Hinweis darauf, wie Comenius gerade
dadurch sich wertvolle Schätze zu eigen mache, dass er huma-
nistische und theologische Studien zu verbinden fortfahre, und
sein Lieblingslehrer Johann Heimich Aisted, unter dessen Vorsitz
die zweite Disputation stattfand, leit<?t gar in seinen geschmack-
vollen Distichen in dorischem Dialekt den Ruhm des jungen
Amos, der einst zum Himmel emportönen werde, davon
ab, dass er nach süssem vielseitigen Wissen dürste.
„Jhm war der lieblichste Frühling des ganzen Lebens, die
blühenden Jahre der Jugend, in unnützem Schultreiben elendiglich
verkommen", wie er selbst später klagt (Did. mag. XI, 13). Als
ihm nun in Herborn vergönnt war, Besseres zu schauen, mochte
ihm die Erinnenmg an die unwiederbringlich verlorene Lebenszeit
wohl „Seufzer aus der Brust emporsteigen lassen, Thränen aus
den Augen pressen und Kummer im Herzen wachrufen", aber
ebenso verstand es sich für ihn, dass er mit dem Feuereifer und
der Zähigkeit des slaxischen Naturells nun beharrlich „den Schaden
der verlorenen Zeit auszufüllen" strebte. In der That waren die
philosophischen Lehrer, die während seiner Studienzeit in Herborn
wirkten, wohl geeignet, diesem Streben entgegenzukommen luid
ihrem Schüler bleibende Anregungen für die Zukunft zu geben.
Der 1572 in Hersfeld geborene Heinrich Gutberleth war seit
1601 in Herborn thätig, anfangs an dem Pädagogium, seit 1605
an der hohen Schule, wo er mit kurzer Unterbrechung bis 1619
Logik, Physik, Geschichte und die Ars oratoria vertrat Wie
man ihn schätzte, zeigte sich darin, dass er 1606 an das nach
Herborner Muster eingerichtete akademische GjTnnasium in Hanau
berufen wurde, wo er zwei Jahre blieb, und dass er 1619 als
Rektor der lateinischen Schule nach Deventer kam, wo er bis zu
seinem Tode 1635 wirkte, zuletzt als Professor der Philosophie
am neugegründeten Athenaeum. Seine Hauptthätigkeit suchte
imd fand er in der Anleitung seiner Schüler zu philosophischen
Studien; wir kennen nicht weniger als 38 Disputationsschriften,
die unter seiner Anleitung entstanden sind; durch fortwährende
Übmig imd Anwendung der Aristotelisch-Ramischen Dialektik auf
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86 Nebe, Heft 2 u. 8.
philoHophische Fragen aller Art suchte er seine Schüler zum
wissenschaftlichen Denken zu befähigen. Seine schriftstellerische
Thätigkeit beschränkte sich auf handliche Auszüge der von ihra
vertretenen Wissenschaften; so erschien ein Discursus logicus, eine
Ethik und eine Physik, daneben schrieb er eine Pathologia, d. h.
eine Lehre von den menschlichen Aflekten, und vollendete kurz
vor seinem Tode seine Chronologie, die 1639 in Amsterdam ge-
druckt ward. (Vgl. de Wal in der Deutsch. Biogr. 10, 213 und
V. d. linde a. O. 148 ff.)
Viel bedeutsamer für des Comenius gesamte Geistesent-
wicklung wurde aber der jüngere Vertreter der Philosophie,
Johann Heinrich Aisted, der kurz zuvor wie ein leuchtendes
Meteor neben den alten Sternen der Herbomer Schule erschienen
war. Durch mehrere völlig unabhängig von einander fast zu der-
selben Zeit entstandene Untersuchungen über diesen weniger durch
Tiefe als durch Vielseitigkeit ausgezeichneten Mann ist jetzt der
massgebende Einfluss, den er auf Comenius geübt hat, festgestellt
und wohl allseitig anerkaimt ^) 1588 in Ballersbach nahe bei
Herborn geboren, hatte er schon 1602 die Hochschule seiner
Heimat bezogen und nach einer ausgedehnten Studienreise seine
schnell gereiften Kräfte in den Dienst der Anstalten gestellt,
denen er die Anfänge seiner Bildung zu verdanken hatte. Nach
zweijähriger Wirksamkeit als Leiter des Pädagogiiuns wurde er
1610 ausserordentlicher Professor der Hochschule imd entwickelte
als solcher vermöge seiner persönlichen Liebenswürdigkeit, seines
umfassenden Wissens und seines anregenden Unterrichts eine
ungemein fruchtbare Lehrthätigkeit, mit der eine ausgedelmt«
SchriftsteUerei Hand in Hand ging. Schon 1618 wurde er ordent-
licher Professor der Philosophie; vier Jahre später, nachdem er
sich auf der grossen Dordrechter Synode bewährt hatte, bekam
er den Auftrag, neben seinen philosophischen auch theologische
Vorlesimgen zu halten. Nachdem der gieise Piscator 1625 ge-
storben war, wurde die Theologie sein eigentliches Lehrfach; aber
nur noch kurze Zeit >viu'de seine imschätzbare Kraft der Heimat
erhalten; die furchtbaren Verheerungen, die der grosse Krieg auch
») Vgl. J. Kvacsala, Ungar. Rovuo 1889, 028 ff.; A. Nobc, Vivcs,
Alnted, Comenius u. 8. w.; G. Schmid in der (Teschichto der Erziehung
181)2, 100 ff.
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1S94. Comenius' Studienzeit in Horborn. 87
über Herborn hereinbrecheD liess, vertrieben ihn 1629; aber in
Stuhl -Weissenburg in Siebenbüi'gen fand er eine neue Stätte für
seuie akademische und litterarische Wirksamkeit, die er bis zu
seinem Tode 1638 in alter Kraft fortführte. Es war bekannt,
wie Comenius von ihm auf den verschiedensten Gebieten Anre-
gung empfangen hat, und noch hat sich ein Brief des einstigen
Schülers an seinen Lehrer aus dem Jahre 1633 erhalten (vgl.
Kvacsala a. O. 179), der Rest eines ursprünglich wohl regeren
Briefwechsels, der beweist, wie innig das Verhältnis der beiden
im Alter niu* wenig verschiedenen Männer auch noch nach Jahren
war. Nun hegt in den Disputationen des jmigen Amos ein neuer
Beweis für diese Thatsache vor, der zugleich davon zeugt, wie
übermächtig anfangs der Eindruck des Lehrers war, und wie
kräftig er seinen Schüler in seine Kreise zu bannen verstand.
Seine Werke hat der Schüler gründlich studiert und holt aus ihnen
sein Rüstzeug, auch seine Neigungen haben sich übertragen, nicht
nur sein Gefallen an den logischen Spitzfindigkeiten und Spielereien
in der Art der Ars magna des LuUus finden wir bei ihm wieder,
nicht nur gelegentliche etymologische Wortspielereien wie „men-
dacium ... est quasi ad versus raentem ire", was doch recht an
die von Aisted gegebenen Deutungen lepus, lapis und \^pes als
levi-pes, laedi-pes imd voli-pes erinnert, kehren bei ihm wieder,
sondern auch er schwört wie jener auf Keckermann und weiss
den Spanier Vives zu schätzen wie sein Lehrer, der gelegentlich
das rühmende Wort sprach: „Vives qui vivet, quoad literae vivent."
Wie Aisted wiederholt ein Wort des Vives als Motto oder Schluss-
wort einer Schrift gebraucht hat, so setzt Comenius auf den Titel
seiner Erstlingsschiift einen Ausspruch aus dem Hauptwerk des
grossen Spaniers De disciplinis. Da bei dem Ausspruch das Buch
genau angegeben ist, in dem sich die Stelle findet, wird man
nicht zweifeln dürfen, dass damals schon Comenius Vives kennen
und schätzen gelernt hatte, obwohl man nach der Vorrede zur
Physik annehmen zu müssen glaubte, dies sei zuerst 1628 in der
Verbannung geschehen (vgl. Kvascala a. O. Anm. S. 15). That-
sächlich sind auf der Herborner Bibliothek noch jetzt eine Anzahl
von Schriften des Vives vorhanden, und dass der junge Herborner
Student diese Bibliothek, die nach wie vor in dem alten Raum, auf
dem Schloss, aufbewahrt wird, eifrig benutzt hat, zeigt seine grosse
Belesenheit, die in den beiden Disputationsschriften schon hervortritt.
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88 Nebo, Heft 2 ii. ;l
Um wenigstens einen allgemeinen Eindruck von dem zu
verschaffen, womit sich der Geist des Comenius in Herbom
beschäftigte, lassen wir die in den Disputationen behandelten
(juaestiones folgen.
In der imter Gutberleth's Vorsitz abgehaltenen sind es
folgende :
1. Quomodo venuu sit: Ai*s imitatur Natiu^ra, cum tamen
alibi Ars Naturae opponatur?
2. Quaestio Meta[)hysica: An idem ens possit realiter
a sc ipso differre?
8. Quaestio Metaphysica: An causae possint producere
effectum sc praestantius? Neg.
4. Quaestio Logico-Physica : An anima rationalis sit forma
hominis? Affir.
5. Quaestio Logica: An in hoc versu Martialis: Ebrius es,
nee enim faceres hoc sobrius imquam, ebrius sit ha-
bitus, sobrius privatio? Affir.
6. Quaestio Logica: An dentur syllogismi propra? Affir.
7. Quaestio Rhetorica: An principalis et proxunus finis
Rhetoricae sit bene dicere an bene persuadere?
8. Quaestio Ethica: An omnis, qui falsum dicit, men-
tiatur? Neg.
Die unter Alsted's Voi*sitz abgehaltene Disputation behandelte:
1. Umvei*8alianc cognoscat intellectus tantum an singula-
ria etiam?
2. Omnisne cognitio a sensu incijnat?
8. An inter Substantiam et Accidens detur mediiuu? Eo
inficias.
4. Quid sit locus?
5. Utnun angeli sint in loco?
6. Mimdusne quoad essentiam in mentc sit divina, cxti*a
autem quoad existentiam?
7. An dentur in caelo orbes reales?
8. Per emissionemne fiat visio an per immissionem?
Als Beigaben sind ausserdem angehängt folgende Thesen:
Gram. 0})tativus modus Latinis superfluus est et inutilis.
Rhet 1. Rhetorica, Oratoria, Poetica diversae sunt artes. Male
ergo confimduntur. 2. Hyperbolen, quod Keck, affimiat,
tropum esse negamus.
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1894. Conienius' Studienzeit in Herbom. 89
Log. Praedicamentales tabulao lumen sunt Logicae ideoque inibi
tolerandae.
Phys. 1. Corpora caelestia non sunt calida nee frigida formaliter
sed x'irtiialiter. 2. Locatio potius quam locus est corporis
affectio. 3. Corpus donec verum nisi uno loco esse nequit
4. Proprietates qui toUit, natiutim tollit.
Metaph. 1. Entis darf principia asseveranter asserimus. 2. Ut
accidens sine substantia, sie substantia sine accidentibus
subsistere non potest. 3. Maximum et minimum naturale
non datiu*. Jac. Mart. Met. Ex. p. 372.
Arith. 1. Unitas est numerus et non est niunenis. Recte intelHge,
utrumque venim erit. 2. Denarius numerus est perfectus.
Continet enim omnes nim[ierorum formas: parem, imparem,
quadratum, cubicum, linearem, planum primum, compositum.
Dn. Praeses Elem. Math.
Geomet. Punctum est principium lineae: idemque ejusdem est ad-
junctum: diverso respectu.
Geograph. Paradisum in sphaera obliqua positum fuisse, plausibile:
nee tamen in aeris regione.
Astron. Lunae motus omnium planetarum perplexissimus.
Astrol. Astrologiae scientiam qui vanam putant, vani ipsi putandi.
Eth. Virtus heroica a communi specie non diflFert: quia /uäXXov
xal fjrtov non variant speciem. —
Unverkennbar spiegelt sich in diesen Fragen und Sätzen
Aisteds encyklopädische Richtimg wieder, und sie zeigen von neuem,
\vie tief Comenius nicht nur auf dem Gebiet der Theologie,
Pädagogik, Sprachvergleichung und Physik, sondern auch in seinen
encyklopädisch - pansophischen Bestrebungen, deren Anfänge er
selbst nach Herbom legt, von seinem „überaus teueren und hoch
zu verehrenden Lehrer^*, wie er ihn auf dem Titel der Sylloge
nennt, beeinflusst wurde. Aber der verwandte Zug zwischen diesem
und jenem zeigte sich auch darin, dass beide alles Wissen und
Forschen in den Dienst der Theologie stellten. Für Aisted hätte
es kaimi der ausdrücklichen Weisimg der Schulgesetze an die
philosophischen Professoren bedurft, „sie sollten zeigen, dass die
Philosophie der Theologie» als Dienerin untergeordnet und nicht
als Herrin vorgesetzt sei", und ebenso wenig war für ihn die
Mahnung nötig, „dass sie \nelmehr auf das Praktische in den
Wissenschaften ihr Augenmerk zu richten hätten, als dass sie sich
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90 Nebe, Heft 2 u. 8.
mit frivolen Spitzfindigkeiten und Erfindungen, bei denen man sich
nur zu leicht in ein Nicht« verliere, abgäben" (vgl. Zimmer a. O.
S. 18). Und wir können uns denken, mit welcher Bewegung der
geistverwandte Arnos vor der Immatricidation dem Rektor Hemiannus
das in den Gesetzen vorgeschriebene heilige Gelübde ablegte, „er
werde etwas dem wahren (Jlauben von Gott und der h. Trinität,
wie es in der Schrift und dem apostolischen Glaubensbekenntnis
enthalten sei, Entgegengesetztes weder öflPentlich noch privatim
bekennen, auch sein Leben nach dem im Dekalog zusammen-
gefassten Gebote Gottes richten und nüchtern, gerecht und fromm
lebend (Vgl. Zimmer a. O. S. 18.)
Leider ist es uns inuner noch nicht vergönnt, zu erkennen,
wie weit er von den theologischen Professoren in Herbom Ein-
wirkimgen zu erfahren hatte. Bedeutend genug waren sie, um
ihn zu fesseln, vor allem der trotz seines Alters noch jugendlich
frische und unermüdlich thätige Johannes Piscator (1546 bis
1625), aber auch sein Strassburger Landsmann, Johann Jakob
Hermannus (1553 — 1680), der zugleich Pfarrer in Herbom war
und die praktische Theologie vertrat, und der bedeutend jüngere
Georg Pasor (1570 — 1687), der durch seine „grosse Gabe im
Unterrichten" und seine „ausgezeichnete Kenntnis der alten
Sprachen" eine hoch angesehene Stelle in Herbom eiimahm und
sich durch die Erforschimg des Sprachidioms des neuen Testa-
mentes nach wissenschaftlichen Gnmdsätzen bleibenden Ruhm er-
warb (vgl. Deutsche Biographie 25, 194). Es scheint sehr wold
möglich, dass dieser Mann, dessen Lexikon zum N. T. allerdings
erst ein Jahrzehnt später erschien, mit dazu beitrug, in dem selbst
vor den schwersten Au%aben nicht zurückschreckenden Geiste
des Amos«den Entechluss reifen zu lassen, einen Thesaurus der
böhmischen Sprache zu schreiben, der ein vollständiges Lexikon,
eine genaue Grammatik, sowie die Elegantias und Emphases der
Idiotismen mid die Adagia umfassen sollte, — ein Entschluss,
der nach Comenius' eigner Angabe schon in Herbom gefasst wurde.
Wenn, wie anzunehmen ist, Hermannus in die Fusstapfen
seines Vorgangers Wilhelm Zepper getreten war, so widmete er
auch dem Schulwesen eingehende Aufmerksamkeit, wozu er als
Inspektor der Herbomer Diözese auch eine äussere Nötigung fand.
Seit Wilhelm der Reiche 1530 in den nassauischen Landen die
Reformation eingeführt hatte, war die Besserung des Schulwesens
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1894. ComeniuH' Studienzeit in Herborn. 91
eine der Lebensaufgaben dieses Fürsten geworden, da er in ihm
eine der Hauptgrundsäiilen der Kirche und eines wahrhaft religiös-
sittlichen Lebens sah. Die Visitationsordnung des Grafen Johann
des Alteren bestimmte daher geradezu: ,J)ie Befehlshaber und
Superintendenten sollen in alle Städte, Flecken und Dörfer selbst
reisen und unter anderem auch die Schulen besichtigen" (vgl.
C. W. Lorsbach, Beitr. zur Gesch. d. ehemaligen lat. Schule zu
Siegen, Progr., Siegen 1849, 9). Für den praktischen Theologen in
Herborn war es mithin Pflicht, auch pädagogische Fragen in den
Bereich seiner Vorlesungen zu ziehen, und Zepper miterliess es
nicht, in dem Werke De politia ecclesiastica, in dem er „das Bild
einer nach dem Worte Gottes verfassten Kirche in sehr an-
sprechender imd beherzigenswerter Weise" ausführte, auch das
Schulwesen eingehend zu behandeln. Möglich ist es, dass des
Comenius Bekanntschaft mit den Plänen des Ratichius durch
Hermannus' Vorlesungen vermittelt wurde.
FAn sicheres Zeugnis für bleibende Einwirkung liegt aber
mu* für den edlen, tief gelehrten und in mancher Prüfung be-
währten Johannes Piscator vor; auf ihn führt Comenius seine
chiliastischen Anschauungen zurück. Die jungen Böhmen und
Mähren scheinen sich ihm besonders eng angeschlossen zu haben,
von Comenius Freunde Matthaeus Titus wurden zwei Disputationen
unter seinem Vorsitz abgehalten, ausserdem je eine von Elias
Acontius Trebiensis Moravus, Jacobus Junior Petrozelinus e Marco-
mannis Budvicenus und Johannes Philemon Lovosicenus Bohemus
(vgl. V. d. Linde a. O. 1518, 1514, 1411, 1483, 1484). Über-
haupt war ja in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts
gerade Piscator der Hauptanziehungspunkt für die in Herbom
studierenden Jünglinge, mit dem der Ruhm der Schule aufs engste
verknüpft war.
Dankbaren Herzens hat Comenius. Zeit seines Lebens die
reichen Anregungen anerkannt, die er in dem unscheinbaren
Städtchen an der Dill empfangen hatte. Unbewusst hat er die
oft ausgesprochene Dankbarkeit auch bethätigen können. 1651
erschienen in Herbom „apud haeredes Christophori CorNÖni" die
Rudimenta Grammaticae Latinae Philippo - Ramaeae : una cum
Vestibulo Joan. Amos Comenii (vgl. v. d. Linde a. O. 1609),
offenbar für den Unterricht am Pädagogium bestimmt. So kamen
die Vorbessonnigen dos Ix»hrbetnebs, zu d(nieu Comenius einst
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92 Nebe, Heft 2 u. 8.
selbst in Herborn angespornt worden war, nach Jahren den dortigen
Anstalten wieder zu gute. Wohl mochten Schfder und Lehrer
nicht ahnen, dass der Verfasser des Büchleins einst in den engen
Mauern der Stadt geweilt hatte, um reiche Wissensschatze ein-
zusammeln, die er zum Wohle der gesamten Menschheit und auch
zum Ruhme der Herbomer Schule verwendete : aber für uns bleibt
es ein eigentümlich anmutender Gedanke, dass an der Statte, wo
sich Comenius gebildet hatte, er andere bilden half.
Zum Schluss mögen die Titel, Widmimgen und Gedichte
der beiden Disputationsschriften folgen:
Titel der Schrift vom Jahre 1612:
Evv rfj Tov Oeov TiaXd/LLfj
Problemata haec miscellanea, fretus auxilio et patrocinio
clarissimi \nri, Dn. M. Henrici Gutberlethi, in inclyto in-
clji:orum ac generosiss. Comitum Na8so\dorum Athenaeo Herbor-
nensi Logices et Physices Professoris ordinarii, Praeceptoris sui
honorandi, publicitus veritatis lance pensiculandum studiosis offert
Johannes Amos Marcomanno-Niwniczenus.
Lud. Vives lib. L de causs. corr. art Nulla est tarn facilis
aut hurailis ars, in qua non infinita occultantiu*, quae multa acuta
iiigenia diutLssima exercere possunt.
Herbomae Nassoviorum, Ex officina typographica Christo-
phori Corvini MDCXII.
Widmung.
Magnifica strenuitate, generis et natalium splendore nobilissimis
dominis, Stanislao et Andreae Jahodinskym de Matcze,
equitibus Polonis etc. fratribus germanis ut et viro eruditionc solida,
humanitate eximia, renunque usus experientia praestantissimo,
Dn. Danicli Breslero Dantiscano, illorum ephoro meritissimo,
dignissimo : DominLs, Amicis, et Factoribus suis peramanter colendis
in perpetuum obscrvantiae et amoris /btagrvQioVf L. M. Q. (lubens
meritocpie) inscribit et dedicat Author et Respondens.
Praeclaro, o juvenes, virtutura nomine clari
Quosque omat verae nobilitatis bonos.
En vobis mea Miisa offert, quae, munera mentis,
O utinam vestris digna forent meritis.
At mihi cum desint dona aurea, charteum honoris
Signum et perpetui hoc munus amoris erit.
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1894. Comenius' Studienzeit in Herborn. 93
Sed peto, non donum, ast mentem spectate ferentis,
Vile illud: vestro haec digna favore venit.
Sumite jam donum hoc et laeto sumite vultu,
Quum vires desint, saltem animus placeat.
Gutberleths Gedicht auf Arnos.
Praeses ad Dn. Respondentem.
Humanam Hophiam cum sacrae jüngere pergis,
Pulchra para^^ animo munera, Amose, tuo.
Quid melius vera sophia sub sole? quid, inquani,
Nobilius? vel quid dignius esse potest?
E mundo sophiam qui toilit, luminis expers
In densis tenebris palputat ille raiser.
Ergo noster Arnos recte sibi consulit, omne
In Sophia Studium dum po8uis.se juvat.
Heinrich Pithans Gedicht auf Arnos.
Ad monun suavitate et eruditionis spiendore ornatiss. D».
Respondentem amicum et commensalem exoptatissimum.
Si quem commendat pietas, doctrina, fidesque:
Commendandus erit comprimis noster Amosus.
Si quem condecorat sincerum pectus, et ardcns
In litcris Studium, laudatque modestia grata:
Non erit immerito celebrandus noster Amosus.
Hinc te commendo: dignis hinc laudibus omo:
Hinc et amicitiae connecto vincula nostrae.
Fac maneas talis mihi, qualis, amice, fuisti :
Hoc ego sincero promitto corde vicissim.
Apponebat q^iXiag Svexa
Hcnricus Pithan Nassovius.
Titel der Schrift vom Jahre 1613.
Sylloge quaestionum controversarum e Philosophiae viridario
depromptarum : Pro quarum veritate sub clypeo doctiss. \Tri
Johannis Henrici Alstedi, Philosophiae in incluto Nassovi-
onim Lyceo Professoris solertissimi, Praeceptoris sui charissimi,
multumque honorandi, in publico philosophantium acroaterio pug-
nabit
Johannes Arnos, e Marcomannis Niwnicenus.
Ad quam pugnam ömnes sanioris Philosophiae castra sequentes
peramanter invitat
Tov (pdooo(peiv ovdkv f]diov h ßicp,
Herbomae Nassovionim, CIO 10 CXTII.
Monnt^lM'fU' diT ('onifiiiiis-(H'M>llMrhnft. WM. 7
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94 Nebe, Heft 2 u. 3.
Widmung.
Viro reverendo, clarissimo, Du. Johanni Lanecio^ ecclesi-
arum orthodoxarum, quae per Moraviam, Antistiti gravissimo,
dignissimo, fautori benigno, salutem et observantiam.
En tibi, optime Maecenas, grati animi signum, perpetuae
observantiae monumentum. Benefactoribus deberi gratiam} vetus
est verbum. Sed tibi quid a me, qui me duduni, qui nunc etiam
promoves, diligis, omas, et in futurum quoque studiis meis pro-
spicis, reddi potest? Praeter verba nihil. Non nuda tamen verba,
sed cum verbis animum, et sie me ipsum tibi offero. Exhibeo
nunc etiam pagellas hasce philosophicas, ingenii exercendi gratia
a me conscriptas: ens grati animi publicum testem exstare volo.
Demitte ergo te, magne Maecenas, et hoc quicquid est muneris,
manu benevola accipe; sed non nisi ut pignus, ut certi obsequii
arrham. Me etiam ii^ posterum provehere, studia mea animare, et
cuirendi addere calcar ne desiste. Sic te dulcissima cum conjuge
filiaque sospitet aeterna salus Christus, inque suae Ecclesiae bonum
et nostrum solatium Nestoreos in annos conservet Sic voveo
et opto.
Tuae qui Reverentiae observantiss.
Johannes Amos.
Aisteds Gedicht auf Amos.
lüjdwrjs "EgQixog 6 'AXoxridiog dajQioxi nQo^qxavsX Iwdwjj rdi *AfioK
Tiavxoöajtq. dgez^ ifi/^hovri anovd^.
AvtondrcoQ ßdoiXevg xßadiav fisQdjteaaiv iÖcoxs
d lyf aXiav yXvxegäg novXvfia&rjfiomfvag.
"OXßidg kad Syz(og oififjuv 3teq>iXa/ih^og *Afid>g
diyf(6Srjg yXvxsgäg JiovXvfia^/xoavvag.
'ÜQavog dojegdeig, xou yä jioXvdaidaXog, vSojq,
Avzavrdg x avrov vvxxa xai ^fiOQ ?x^i.
'Aftcog, divofm aeZo xai mgarov dvtißodosi\
JTQdoaü) yoQ q?iXd€tg zdv dgetav egardv.
'Ev 'EgßÖQvg, vovfitfviq, 'lavovagiov hsi
h aoQxov oixovofiiag qx^Y-
Titus' Gedicht auf Amos.
Ad pietate et eruditione omatiss. juvenem, Dn. Johannem
Amos, sympatriotam et amicum conjunctissimum.
Non quod am es Sophiam minim est, Am ose, vcnustam:
Pulchrior haec Venere est, digna et amore tuo, ,
Innumerosque suis fructus cultoribus adfert,
Dmu redamat miris eondecoratque mcKÜs.
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1894. Comeniiis* Studienzeit in Herborn. 95
Haec quoque te redamat, facit ac, ut ameris ab illis,
A quibus assiduo culta labore fuit.
Haec te Lanetio studionun sane patrono
Nostrum commendat de meliore nota.
Hincque places aliis, Btudii qui pignora cernunt
Ccrta tul, toti conspicienda scholae.
Te complector ob hanc ego nee minus ipBus Amore
Magno, desistam nee memor esse tui.
Tu Sophiam pergas modo condecorare nitentem:
Sic collustrabit teque nitore suo.
Dona tVae VItae Contingant prospera fatIM
AnnVs et Is faVste CeDat AMose tibi.
Gratulabundus apponebat Matthaeus Titus Moravus.
Reiffeubergers Gedicht auf Arnos.
Sortilegia Lycophrontica Johanni Arnos, Juveni insigniter
literato et venustate morum politissimo, amico unice charo, amoris
testificandi gratia composita a Justo Reiffenbergero Nassovio.
Johannes Arnos Moravus, ävayQafifAatio^elq
1. Amas Musas. Indc honor. (v. in d. verso.)
2. Ova: omas omine Musas.
Sit laus, ingcnuis artibus addere
Linguarum Studium, quanta decentium
O Amose tibi constat, ut arbitror,
lucundissime : Sedulo
Nam conjungis amico quoque foedere
Linguarum Studium notitiae artium,
Imbutus quibus es non sine gloria
Et cultus satis artibus.
Hoc nostrae cathedrae pulpita non negant,
Et novere, quibus mens calet, optimas
Scrutari et varias res studiosius,
Praesentesque docent theses,
Sublimes quibus in res scrupulosius
Indagas, nitido et commemoras stylo,
Quae multos alios latent.
Macte acri studio ac ingcnio tuo,
O Amose, quod inquirit in ardua
Rerum; te juvenem sie comitabitur
Non vilis sed Honos decens:
Musas quandoquidem (nomine proprio
Sic testante) sacras promptus ovansquo amas.
Ac omas Ciarias omine nominis;
Gaudo et laotus ob hoc ova.
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Johannes Biindeiiin von Linz/)
Eine Besprechung von
J. Loserth,
Univ. -Professor in Gras.
Dr. Alexander Nicoladoni in Linz hat das vorliegende
Buch allen denen zum Dank geschrieben, die sich über die Anfänge
der Reformation in Obenisterreich eingehender zu belehren wünschen,
und da man bisher über die Wirksamkeit Bünderiins und über die
Entstehung der oberösterreichischen Täuferbewegimg — von den
Arbeiten Becks und zum Teil auch Jacke Is abgesehen — kaum
etwas Ausreichendes wusste, so werden auch die Fachgenossen das
Buch willkommen heissen. Schon die in der zweiten Hälfte mit-
geteilten Aktenstücke bringen nach mehreren Seiten hin Belehrung.
In ihrer Mitteilimg liegt vornehmlich der Wert der Nicoladonischen
Arbeit Indem ich deren Verdienste willig anerkenne, kann ich
nicht verschweigen, dass ich ihren Standpunkt nicht ganz zu teilen
vermag. Es scheint mir immer noch zu gewagt, das Täufertum
an die älteren, dem katholischen Kirchentum widerstrebenden Rich-
timgen in dem Sinne anzuknüpfen, als wären sie einfach eine
Fortsetzung dieser. Zu verkennen ist ja nicht, dass an einem und
dem anderen Orte alte Strömungen mit den neuen zusanunen-
flossen, aber verallgemeinem darf man da nicht. Es konmit ge-
legentlich der Fall vor, dass die ältere Oppositionspartei sich in
bewusstem Gegensatz zu allen kommenden Neuerungen hält Und
dann, nirgends ist das Täufertum tiefer ins Volk gedrungen, als
in Tirol, wo man von alten Oppositionsparteien bisher noch nichts
entdeckt hat Ein anderer Übelstand liegt meiner Ansicht nach
in der Abgränzung des Stoffes überhaupt. Die Täuferbewegimg
in Oberösterreich lässt sich nicht gut von der in den anderen
Ländern Österreichs abtrennen; sie gehört vielmehr als ein Teil
zu diesem Granzen; erst wenn sie in solcher Weise dargestellt
wird, erscheint manches jetzt noch Dunkle heU und deutlich. Erst
*) A. Nicoladoni, Johannes Bünderlin von Linz und die oberöster-
reichischen Täufergemeinden in den Jahren 1525—1531. Berlin 1893. Gärtners
Verlagsbuchhandlung.
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1894. Iy).scrth, JohanneH Bünderlin von Linz. 97
dann sieht man, dass, was hier geleugnet wird, die oberöster-
reiehische Bewegung mindestens mittelbar mit der in Oberdeutsch-
land beziehungsweise der Schweiz zusammenhängt Stand ja doch
der vornehmste Dogmatiker der Partei leib- und lebhaft im Kampfe
mit Zwingli selbst, und sind die späten^n Lehrsätze zum grossen
Teil eine Frucht dieser Kämpfe gewesen. Endlich finde ich eine
Anzahl vereinzelter Iritümer; leider bin ich nicht in der Lage,
über sie förmlich Buch zu füliren und Rede zu stehen, da es mir
hier in Rom an den alleniotwendigsten Behelfen fehlt und ich mich
da, wo ich einzelnes vorbringe, auf mein Gedächtnis verlassen muss.
Doch zimächst einiges über den Inhalt: Wie billig, geht der
Verfasser zunächst auf die Anfänge Bünderlins ein, behandelt
dessen Namen in den verschiedenartigen Fassungen und schildert,
soweit dies überhaupt möglich ist, Bünderlins Studien in Wien.
Die Hochschule hatte hier durch die Bemühungen Maximilians I.
einen mächtigen Aufschwung genomnien, der freilich nicht anhielt
Als Maximilian starb, dasselbe Jahr, da Bünderlin aus Wien ab-
zog, trat ein Rückgang ein. Bünderlins Studien dürften kaum
gelehrte Zwecke verfolgt haben: Wir finden, dass er niemals die
Doktorwürde erlangt hat. Ob er dann, wie Nicoladoni meint, seit
1519 als fahrender Scholar in Oberösterreich herumzog, ist freilich
nicht sicher. Gewiss ist, dass wir ihn 1526 im Lande treffen.
Hier hatte die neue Richtung allerorten Wiu'zel geschlagen: in
den Schlössern des Adels, den Häusern der Büi^er und nicht am
wenigsten in den Hütten der Bauern. Bald sah man unter diesen
die ernsten Gestalten einhergehen, die durch eigentümliche Gruss-
und sonstige Zeichen vor den übrigen auffielen — die sogenannten
Wiedertäufer — , denn wie in Oberdeutschland, so erschien auch
hier vielen die Tagesarbeit eines Luther und Zwingli nur als
Stückwerk. Man müsse dem Volk die Bibel in die Hand geben
und ein Leben wie das der Christen in den Zeiten der ersten
Kirche begiimen. Was Häusser einstens irrtümlicher Weise von
Zwingli gesagt hat, da wo er den Gegensatz zwischen diesem und
Luther heraushebt: Zwingli verwerfe alles das, was sich nicht auf
die Bibel stützen und aus ihr erweisen lässt, das gilt in Wahrheit
von den sog. Wiedertäufern. Hie Schrift, Hie Schrift, ruft Zwingli
höhnend ihnen zu und wurde zu einem Verteidiger der Kinder-
taufe, von der die Bibel ausdrücklich nichts erwähnt Diese
Partei gewami in allen deutschen Ijanden mächtig an Boden.
Die Spättaufe war ihnen nicht der Endzweck, sondern nur das
Bundeszeichen und das Mittel, um diesen Endzweck, nämlich die
Herstellung der alten Kirche, zu erreichen. Wie die Apostel, so
ziehen nun ihre Sendboten aus, und so entstehen in Steyer und
Freistadt, Linz und AVels, Enns und Gallneukirchen,
Gmunden und Grein, Perg imd Lembach kleine Gemeinden,
über die der Verfasser schätzenswerte Mitteilungen beibringt Dann
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98 Loserth, Heft 2 ii. 3.
trat die schwere Verfolgung der Jahre 1527 und 1528 ein. Bän-
derlin tritt verliältnismässig wenig hervor. Wir finden ihn in
Augsburg, begleiten ihn nach Nikolsburg, wo er auf Huts Seite
gegen Hubmaier stand; dann zog er nach Strassburg; von dort —
ausgewiesen — ging er nach Constanz. Über seine letzten Schick-
sale ist nichts Näheres bekannt
Am eingehendsten hat der Verfasser die litterarische Wirk-
samkeit Bünderlins behandelt: „Dessen Gott ist der Gott der
Mystiker, ein transcendentaler Gott, den man nicht mit den Sinnen
erschauen, nicht mit dem Verstände erfassen kann, der sich aber
der Intuition, dem innersten Herzensgefühl, der frommen sehn-
süchtigen Betrachtung offenbart; er ist das AU, aas dem alles
geflossen ist, das alles umfasst, in das alles zurückkehrt. Die
Gabe, der Gottheit auf intuitivem Wege inne zu werden, sei lu*-
sprünglich jedem Menschen eigen, denn er ist ja ein Teil der
Gottheit, ihr Wesen lebt auch in seinem" etc. In dieser Art
zeichnet der Verfasser die Ideen Bünderlins, von denen er dar-
thut, dass durch sie Sebastian Franck^) und Theophrastus
Paracelsus angeregt wurden. Mehr noch finde ich sie in den
theologischen Schriften Ascherhams wieder.
Im einzelnen finden sich einige seltsame Versehen und
Irrtümer. Wie kann Hubmaier vor Ferdinands I. Verfolgungen
in Steyer in Osterreich Schutz gesucht haben? Da wäre er ja,
man erlaube den Ausdruck, dem Löwen in den Rachen gefallen.
Hubmaier weilt nur als Durchreisender in Steyer. Seine Absichten
waren auf Mähren gerichtet. Dort herrschte bis zur Schlacht
bei Mohacs Ferdinand I. noch nicht, und dort konnte ein jeder
unbehelligt nach seiner Weise seinem Glauben leben. In Oster-
reich war Hubmaier immer in grosser Gefahr — nicht als Tauf-
gesinnter oder als Zwinglianer, wofür man ihn damals noch hielt,
sondern als Rebell, der dem Kaiser die Stadt Waldshut, wie seine
Feinde sagten, habe abwendig machen wollen. Dass die Ge-
schichtsbücher so wenig von Oberösterreich melden, ist ja natüi'-
lich: es heisst ihre Natur verkennen, wenn man übersieht, dass
sie das offizielle Buch nur einer Partei der Wiedertäufer sind —
der Huterischen Brüder.
*) Es ist ein besonderes Verdienst Nicoladonis, dass er für den geisti-
gen Zusammenhang zwischen Bünderlin und Seb. Franck zuerst die Beweise
beigebracht hat. N. druckt einen Teil des Briefes ab (S. 123 ff.), den Franfck
im Jahre 1531 an Joh. Campanus geschrieben hat, aus dem sich klar ersieht,
wie hoch Franck selbst die Bedeutung Bünderlins für seine eigne Geistes-
entwicklung schätzte. Franck nennt den Bünderlin seinen „Bruder im
Glauben." Leider enthält der Abdruck des Briefes viele offenbare Druck-
fehler. Für die Würdigung Francks ist damit ein wichtiger neuer Faktor
gewonnen. Die Scnriftleitung.
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1894. Johannes Bündcrlin von Linz. 99
Die Aktenstücke, die den zweiten Teil des Buches füUen,
stammen aus dem Haus-, Hof- und Staatearchive, den Archiven
des Unterrichts- und Finanzministeriums, den Passauer Akten des
Münchener Reichsarchivs, des Nürnberger Kreisarchivs (Ansbacher
Akten), den Archiven von Steyer und Freistadt und dem Statt-
haltereiarchiv in Innsbruck.
Roni, am 28. November 1893.
J. Loserth.
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B. Litteraturbericht.
Wir beabsichtigen, die wichtigereD Erscheinungen unseres Forschungs-
gebiets durch kurze Hinweise an dieser Stelle der Aufmerksamkeit unserer
Leser zu empfehlen und bitten die Herren Verfasser und Verleger lun Zu-
sendung der hierher gehörigen Litteratur.
13. „Das deutsehe Kirchenlied der böhmischen
Brüder im XVI. Jahrhunderte" von B. Wolkan (Prag, A.
Haa^e, 1891) will nachweisen, dass Michael Weisse, der 1531 das
erste Gesangbuch der deutschen Gemeinden unter den böhmischen
Brüdern herausgab, zugleich auch der Verfasser der in dem Gesang-
buche von 1544 enthaltenen Lieder und Job. Hörn, der Herausgeber
dieser neuen Ausgabe, aus der Reihe deutscher Liederdichter zu
streichen sei, und dass die Lieder Weisses mehr, als bisher auf Grund
der Angaben des Lissaer Gesangbuchs von 1693 angenommen wurde,
den Anspruch haben, als originelle deutsche Dichtungen zu gelten.
Den Schluss dieser Untersuchungen bildet ein Verzeichnis der deut-
schen Kirchenlieder der böhmischen Brüder mit Angabe jener prote-
stantischen Gesangbücher, in welche jene Aufnahme gefunden haben.
Auffallend ist dabei, dass die niederdeutschen Gesangbücher die
Lietler der böhmischen Brüder besonders bevorzugen. Die Schrift
hat den Beifall katholischer und protestantischer Fachgenossen, wie
Bäumker, Kawerau, Achelis u. a. gefunden; nur Truhlar wendet
sich un Casopis cesk^ho musea 1891 (p. 527 — 532) gegen die Aus-
führungen des Verfassers, namentlich in der Abhängigkeitsfrage der
deutschen Lieder von den tschechischen, ohne wirklich sachliche
Gegengründe vorzubringen. Wie wir hören, wird Wolkan in einem
demnächst erscheinenden Buche: „Geschichte* der deutschen Litteratur
Böhmens bis zum Ausgange des XVI. Jahrhundert^" gegen Truhlar
Stellung nehmen und die Frage neuerdings erörtern.
14. Wichtig für die Frage, ob die deutschen Kirchenlieder der
böhmischen Brüder Übersetzungen aus dem Tschechischen sind, ist
die Untersuchung Müllers, die derselbe im „Dictionary of Hymno-
logy, edited by J. Julian" (London, John Murray 1892) veröffentlicht
hat; sie giebt zunächst eine kurze Übersicht der Geschichte der
böhmischen Brüder bis zum Jahre 1621, verzeichnet die deut*tchen
und tschechischen Gesangbücher der Brüdergemeinden vom Jahre 1501
bis 1639 und endet mit einer Vergleichung der deutschen Gesang-
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1 894. Litteraturbericht. 1 0 1
bücher mit den tschecbiscben. Unabhängig von Wolkan kommt der
Verfanner zu dem Ergebnis, dasB in Weißses Gesangbuch nur
12 Lieder sich finden, die als Übertragungen bezeichnet werden
können, wobei es oft schwer, ja unmöglich ist, zu entscheiden, ob
Weisse direkt da« tschechische oder das auch dem tschechischen Lieile
zu Grunde liegende lateinische Original übersetzt habe; in dem
Homschen Gesangbuche von 1544 finden sich nur 7 Lieder, die als
Übertragungen betrachtet werden können, während da** grosse Gesang-
buch von 15G6 97 Lieder aufweist, die in eine Parallele zu tschechi-
schen oder lateinischen Kirchenliedern gestellt werden können.
W.
15. Eine Übersicht über die Geschichte der böhmischen Brüder
giebt G. Borkhardt im ersten Teile seines Buches: Die Brüder-
gemeine (Gnadau, Ünitäts-Buchhdlg. 1893, Preis 2 M.), das sich als
8. Auflage der zuerst 1774 erschienenen „Kurzgefassten Nachricht
von der evangelischen Brüder - Uuität" bezeichnet. Bei dem rein
praktischen Zwecke, den die Schrift verfolgt, und dem geringen
Seitenausmass, welches der älteren Geschichte der Brüdergemeinden
zugedacht ist, dürfen wir darüber hinwegsehen, wenn manche neueren
Forschungen wenig beachtet sind und auf die Darstellung wichtiger
Abschnitte in der Lehre der böhmischen Brüder, wie der Abend-
mahlslehre, ganz verzichtet wird. In den Kri^sen der heutigen
Brüdergemeinde wird die Übersicht das Interesse für die „alte
Unität", wie Burkhardt die böhmischen Brüder im Gegensatz zu der
seit 1722 entstandenen heutigen Unität nennt, hoffentlich von neuem
anregen. Das Archiv der Unität in Hermhut besitzt viele wichtige
Aktenstücke, die, wie wir hoffen, allmählich zur Veröffentlichung
gelangen werden. W. und K.
16. A formulary of the papal penit«*ntiary in the thirteenth
Century. Edited by Henry Charles Lea, LL. D. Philadelphia, L(»a
Brothers and Co. 1892. 8<> XXXVUI und 183 SS. — Der Ver-
fasser hat Recht, wenn er in der Vorrede bemerkt, dass ihm wenige
mittelalterliche Dokumente begegnet seien, die in so mancher Beziehung
unterrichtend sind wie dieses. Es ist eine Samndung von 358 päpst-
lichen Entscheidungen in Recht**fällen der verschiedensten Art, die
uns nicht nur einen Blick in die rechtlichen und sittlichen An-
schauungen und die Kulturzustande des 13. Jahrhundert*;, sondern
auch in die Mittel und Wege bieten, mit denen die Curie die von
ihr erworbene Machtstellung zu sichern suchte. Das Buch enthält
(S. 50 ff.) einige Abschnitte, die auch für die Geschichte der In-
quisition wichtig sind. Eine ausführliche Einleitung des Herausgebers
erleichtert die Benutzung.
17. Das Umfassendste, wai« bislang über Lorenzo Valla ge-
schrieben, war Poggialis „Memorie intomo alla vita e agli scritti di
Lorenzo della Valle. Piacenza 1790". In neuerer Zeit hatten vor
allen Vahlens epochemachende Untersuchungen wertvolle Ergänzungen
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102 Litteraturbencht. Heft 2 u. 8.
geliefert. Gegenwärtig liegt eine zu8ainmenfa?8en(le Arbeit von l£ax
von Wolff vor: „Lorenzo Valla. Sein Leben und seine
Werke. Eine Studie zur Litteraturgeschich te Italiens
im XV. Jahrhundert. Leipzig, Seemann 1893." Valla war
ausgezeichnet als Philolog, Philosoph und Kritiker. Uns interessiert,
er in den beiden letztgenannten Eigenschaften als „einer der ersten
und kühnsten Pioniere des modernen Greistes in der Wildnis des
sinkenden Mittelalters", der in seiner Schrift über die Lust den
offensten Naturalismus gepredigt, im Dialoge über die Freiheit des
Willens der mittelalterlichen Dogmatik ins Gesicht geschlagen und in
der bekannten Kritik der Constantinischen Schenkungsurkunde durch
die aus der Nichtigkeit des Schriftstücks gegen die Hierarchie über-
haupt gezogenen Folgerungen in nicht geringem Masse der Reforma-
tion den Weg zu bahnen geholfen hat. Die jüngste italienische Valla-
Litteratur, namentlich Mancinis „Vita di Lorenzo Valla. Firenze 1892",
hat Wolff leider nicht mehr benutzt. B.
18. Auf Anregung unseres leider zu früh für unsere Gesell-
schaft verstorbenen Diplom-Mitgliedes, Prof. Dr. A. v. Kluckhohn in
Göttingen, hat Dr. Georg Lndewig die Politik Nürnbergs im
Zeitalter der Reformation (von 1520 — 1534) einer neuen
Untersuchimg unterzogen (Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht 1893).
Es kommt dem Verfasser vornehmlich, wie der Titel besagt, auf die
Haltung an, die die Stadtregierung in den politischen Händeln jener
Zeit zu den Nachbarn und den grösseren Mächten eingenommen hat;
immerhin kann der Verfasser nicht umhin, auch die religiösen Be-
wegungen in der Stadt wenigstens zu streifen und da Nürnberg
längere Zeit auch ein Sitz der religiösen Volksbewegungen war, die
zum Forschungsgebiet unserer Gesellschaft gehören, so wollen wir
die Aufmerksamkeit unserer Leser auf diese sorgfältige Arbeit und
auf die massvolle und unparteiische Darlegung der betreffenden
Strömungen lenken. Sehr richtig bemerkt der Verfasser, dass sich
die Stadtregierung als Vertreterin des strengsten Luthertums be-
trachtete und dass ihr die Reformierten für nicht besser als Wieder-
täufer und Sektirer galten; gleichwohl hielten sich Nachwirkungen
aus der vorreformatorischen religiösen Bewegung sehr lange in Nürn-
berg und im 17. Jahrhundert waren die Zweifel, die in Wittenbei^,
Leipzig und anderwärts an der luth. Rechtgläubigkeit des nürn-
bergischen Ministeriums auftauchten, sehr begründet. Die Männer,
die um 1524 das Stadtregiment leiteten — die Seele aller Mass-
regeln war der Ratsschreiber Lazarus Spengler — haben auf die
religiöse Entwicklung nicht nur Nürnbergs, sondern ganz Oberdeutsch-
lands einen grossen Einfluss ausgeübt. K.
19. In einer Haller Doktor- Dissertation behandelt Edwin
Tausch ,^eba8tian Franok von Donauwörth und seine Lehrer^'
(Verlag von Mayer u. Müller m Berlin 1893. Preis 1.50). Tausch
weist mit Recht nachdrücklich auf die Verwandtschaft Francks mit
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1 894. Litteraturbericht. 1 ()8
dem Gedankenkreise der Humanisten hin, wobei freilich die Frage
offen bleibt, ob Franck von den Humanisten abhängig ist; ebenso
nachdrücklich betont Tausch aber auch die Ideengemeinschaft Francks
mit den deutschen Mystikern, mit Tauler, Staupitz, und der
deutschen Theologie; auch die Zeitgenossen Denck, Entfelder
und andere sind nach Tausch nicht zu übersehen. Die Bedeutimg
Bünderlins als Lehrer Fmncks (s. oben S. 96 ff.) hat Tausch noch
nicht hinreichend hervorgehoben. Wir ersehen aus der der Schrift
beigegebenen Nachricht, dass Herr Dr. Tausch ein grösseres Werk
über die religiöse Weltanschauung der Reformation vorbereitet K.
20. Vor kurzem hat Dr. Joseph Beber, Direktor der höheren
weibl. Bildungs-Anstalt in Aschaffenburg, einen Beitrag zur Comenius-
Litteratur veröffentlicht unter dem Titel: Des Johann Amos Co-
menius Sittenvorschriften für die Schule zu Saros-Patak,
mit einem einleitenden Berichte über des Comenius Thätigkeit in Un-
garn vom Jahre 1650 — 1654 (Aschaffenburg, Wailandtsche Druckerei
Akt-Gesellschaft 1893. 41 SS. 8^ Preis 60 Pf.). Die Schrift ent-
hält eine Ausgabe und eine wohlgelungene deutsche Übersetzung
der Praecepta morum in usum juventutis collecta, die in der Amster-
damer Ausgabe von 1657 abgedruckt sind, imd die Comenius während
seines Aufenthalts in Ungarn im Jahre 1653 verfasst hat Die Ein-
leitung (S. 1 — 19) zeigt uns in Reber einen in der Comenius-Litteratur
wohl bewanderten Gelehrten, dessen Name, wie wir hoffen, auf diesem
Gebiete von uns nicht zum letzten Mal erwähnt wird. K.
21. Valentin Andrea ward von den Zeitgenossen, die sich im
Besitz des rechten Glaubens wussten, vielfach und nachdrücklich der
Heterodoxie beschuldigt. Er hielt es für notwendig, sich in einer
besonderen Schrift gegen diese in jener Zeit äusserst gefährliche
Anklage zu verwahren und schrieb im Jahre 1622 eine Schrift
Theophilus, seu de Christiana Religione sanctius colenda, Vita tem-
perantius instituenda, et Literatura rationabilius docenda Consilium.
Erwägungen verschiedener Art bestunmten ihn, die Drucklegung hin-
auszuschieben und die Abhandlung zunächst handschriftlich näheren
Freunden mitzuteilen. Da geschah es, dass das eigne Exemplar dem
Verfasser bei dem Brand von Calw verloren ging, so dass er wähnte,
das Büchlein sei ganz verloren. Da brachte ihm um das Jahr 1645
(genauer zwischen 1642 — 1649) sein Freund Magnus Hesenthaler
(vgl. über ihn M.H. der CG. 1892 S. 237 ff.) ein Exemplar des
Theophilus von einer Reise mit; der Besitzer war kein anderer als
Comenius gewesen. (Näheres bei Hüllemann, Val. Andreae als
Pädagog, Teil II, Leipzig 1893, S. 8.) K.
22. In der „Ztsch. für die Geschichte des Oberrheins" Bd. 47 (Jahrg.
1893) Heft 1 bringt Fr. v. Weeoh einen Aufsatz über die Erziehung
der Kinder des Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz; es finden
sich darin die ausführlichen Anweisungen, die der Kurfürst den Er-
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lU4 Littcraturbericht. Heft 2 u. H.
ziehern und Erzieherinnen seiner beiden Kinder, des Kurprinzen Karl
und der Prinzessin Elisabeth Charlotte (der berühmten Liselotte), in
den Jahren 1657 — 1668 ert(»ilte. Einer der Erzieher war Ezechiel
Spanheim (f 1710), der als Diplomat und Gelehrter bekannt genug
ist (s. über ihn den Aufsatz von H. v. Petersdorf in der A. D. B.
35, 50 ff.). K.
23. Wie eine Fort'^etzung und Weiterführung des (unter Nr. 3)
besprochenen Aufsatzes liest sich die Abhandlung, die Dilthey unter
dem Titel: „Das natürliche System der Geisteswissenschaften
im siebzehnten Jahrhundert" in Steins Archiv f. Gesch. d. Philo-
sophie V. (1892), 480—502 veröffentlicht hat. Dilthey versteht unter
jenem „natürlichen System der Geisteswissenschaften" eben die Denk-
weise, wie sie in Leib niz, Grotius und andenm lebendig war, mithin
gerade das System, dessen Vorkämpfer und Vertreter für unsere
Gesellschaft im Mittelpunkt des Interesses stehen. „Bewundert und
viel gescholten," sagt Dilthey S. 481, „ist dies System doch der gross-
artige Ausdruck der nunmehr erreichten Mündigkeit des menschlichen
Geistes in Religion, Recht und Staat." „Wo die neue Ordnung der
Dinge zu fester Gf'stalt hat gebracht werden sollen, von der Errich-
tung der selbständigen niederländischen Föderation bis zur Ausarbei-
tung des Landrechts Friedrichs des Grossen, da hat es mitgeholfen."
Es bestätigt, nach Dilthey, die Macht, die eine in sich geschlossene
Weltanschauung gewinnen kann. „Die Abwendung des heutigen
Beamtentums und unserer Bourgeoisie von den Ideen und ihrem
philosophischen Ausdruck mag sich so vornehm geberden, als sie
wolle: sie ist nicht ein Zeichen des Thatsachensinns, sondern der
Geistesarmut: nicht nur naturmächtige Gefühle, sondern auch ein
geschlossenes Gedankensystem geben der Sozialdemokratie und dem
Ultramontanismus vor den andern politischen Kräften unserer Zeit ihr
Übergewicht." — Die Schilderung des Urspmngs dieser Weltanschau-
ung, wie sie Dilthey giebt, ist sehr anziehend ; wir machen besonders
auf die Schilderung Coornherts aufmerksam (S. 487 ff). „Der erste
Schriftsteller," sagt er mit Recht, „welcher nach dem einsamen Se-
bastian Franck diesem Gefühl der Sehnsucht nach Frieden und der
durch dasselbe bedingten Hingabe der Geister an die gemeinsame
moralische Grundlage aller Confessionen einen wirksamen Ausdnick
gab, war der Niederländer Coornhert." Es ist erfreulich, dass Dilthey
hier wie in seinem früheren Aufsatz manche Namen wieder in ihre
Rechte setzt, die ihnen nie hätten verloren gehen sollen; wir ver-
weisen auf die Schilderungen von Koolhaes, Arminius, Epis-
copius, Chillingworth, Jeremy Taylor, Roger Williams, Jean
Bodin und andere heute halb vergessene Männer. K. .
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1894.
Inhalt neuerer Zeitschriften.
105
C. Inhalt neuerer Zeitschriften.
Archiv fttr G««elilctate der PMIo-
»opble. Bd. VII, Heft 2. 1894: Fordinand
Bümralor, Zur orphischen Kosmologie. —
H. Diol», Über Demokrits Dämonenglauben.
— Johannes Drftseke, Patristische Hera-
klei tos-Spumi. Harald Höffding, Die
Kontinuität im philosophischen Entwicklungs-
gange Kants. — A. Espinas, La philosophie
de Taction au V. si^le av. J. Ch. — Paul
Tannery, Sur la Composition de la Physique
d'Aristote. — LOwenheim, Der Einfluss
Demokrits auf GaUlei. — WilhelmDilthey,
(liordano Bruno und Spinoza. - Jahresbericht
über sämUiche Erscheinungen auf dem Gebiete
der Geschichte der Philosophie.
Preuimliiehe Jatorblleber. 05. Bd.,
1. Heft. Januar 1894: G. v. Schulze-
GaevernitK, Der Nationalismus in Russ-
land und seine wirtschaftlichen Trflger. —
Civis, Ein katholisches Kloster. Wil-
helm Dilthey, Die Glaubenslehre der Re-
formatoren. - OttoHarnack, Eine neue
Fanst-Erklftrung. — Th. Frant/., Ist der
RechUanwalt ein Zwischenhftndlt'r ? — S c h i f -
fer, Replik. A. v. Kries, Rechtseinheit
und Gerichtsverfassung. - Paul Schlen-
ther, Aus den Berliner Theatera. - - Besprech-
ungen und politische Correspondenz.
Arehler voor Ncderlandiu*be Kerk-
Si:oHehled«iilfi. 4. deel. Aflevering. 4. 189.3:
F. Pyper, Een overblyfsel van de goodsoor-
deelen in Nederland. - F. L. Rutgers, De
Nederlandsche vertaling van Calvyns geschrif ten
tilgen de Pseudo-Nicodemieten. — H.C. Rogge,
Naschrift. — J. J. van Toorenenbergen ,
D<* brievenschat der Nederlandsche Ilervormde
g<»meente te I^onden. — Overzicht van ge-
schriften bein'ffende de Nederlandsche Kerk-
goschiedenis over de jaren 1889-1893.
Zeltucbrlft nir exakte Philo-
Mopble. Bd. 20, Heft .3. 1893: Alexis
Schwarze, Am Ausgang des 19. Jahrhunderts.
Ein Beitrag zur Zeitphilosophie. — L. Prei s ,
Kritische Bi>iträge zur Analyse der (iefOlile.
- Theodor Simon, Widersprliche und
Schwankungen in Lotze's Lehre von den
Dingen. — Besprechungen.
ReTae International de Fenaeli^ne-
ment. Red. Edmond Dreyf us - Brisac. 13e
ann^ No 12: Sommaire: H. Schiller, la
n^forme de l'enseignement secondaire en Prasse
en 18^)2. ~ Charles Dupuis, la loi mili-
taire et le licence en droit. — Sur la nöcessiti?
d'un enseignement national en Suisse (memoire
inMit du comte d'Autraignes) , publik par
M. L^once Pingaud. — Circulaire du 20
novembre relative aux corps de facultas. —
Chronique de l'enseignement. - Nouvelles et
informations. — Actes et document« officiels.
— Bibliographie.
Neue Jatarbllefaer für Pfallolo^le
lind PüdaffOi^k. Hrsg. von Alf r. Fleck-
eisen u. R. Richter. 147. u. 148. Band.
11. Heft. Inh. : C. Schirlitz, Die Reihen-
folge der fünf ersten Reden in Piatons Sym-
posion (Schluss). - (). Keller, Zu Strabon
(XIV. m)). — F. Hultsch, Zur SyntÄxis
des Ptolemaios. - J. O e r i , Zu Demosthenes
(Olynth. I 55 7). — C. Krauth, Verschollene
Länder des Altertums. 1. Die Ostgrenze der
Oikuinene und der Araxes (Schluss). - M.
Rüben söhn, eine Übersetzung des Paulus
Diakonus aus der griechischen Anthologie. -
H. Lewy, Zu Hesiodos. ~ F. Wilhelm,
Zu Tibullus (Lygdamus) (III. 6.) — W. S te r n -
köpf. Zu Ciceros Pompeiana (§ 33). — F.
Polle, Zu Phiidrus Fabeln (V. 7. 4.). — C.
F. W. MO Her, Zu Pomponius Mela. — P.
D. Ch. Hennings, Zu Ciceros Cato major
(JS '28). — E. Goebel, Zu Ovidius MeU-
morphosen (XV 839) und Germanicus (Phaen.
508). — Ders. , De Germanici phaenomenon
prot)emio. Fr, Spiro, Ein Reformator des
italienischen Unterrichtswesens. — Hartz,
Der (.'onjunctivus dubitativus in der Schul-
grammatik. — Fritz Nowack, Zusammen-
hängende Stücke oder einzelne Sätze im la-
teinischen Elementaranterricht? — Ferd.
Bronn er, (Joethe's römische Elegien und
ihre Quellen (Schi.). ~ Otto Franke, Aus
dem Nachlasse des Dessauer Philanthropins.
Eine Auswahl von Briefen (Forts.). — R*.«-
«»nsionen.
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Buchdruckeivi von Johannes Brodt, Münster i. W.
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Monatshefte
der
Comenius-Gesellschaft
III. Band. -o 1894. ^ Heft 4 ii. 5.
Ueber den Zusammenhang der Erziehungssysteme
mit den herrschenden Weitanschauungen
verschiedener Zeitalter.
Von
Friedrich Albert Lange. ^)
Die Erzioluuig lebt in jedem Volke als die einfache That-
saehe seiner sittlieh(Mi Fortpflanzung. Unt<T der Pflege staatlicher
Ordnungen und eines erziehenden Standes hebt sie sich zur Kunst.
Diese Kunst hat zu ihrem Gögenstande den Menschen in seiner
natürlichen Entwicklung; als Ziel den Menschen in seiner
idealen Vollendung. Als die höchste menschliche Kunst
wird sie somit auch wohl mit Recht die vtTachtetste sein; denn
(»in jeder ist berufen sie zu üben und k e i n (» r vermag es ; der
grosse Haufe aber ist ui seiner Weise berechtigt, den Wert einer
Kunst nach den Leistungen ihrer Virtuosen zu messen. Trotz
ihres unvollkommnen Zustandes muss nun diese Kunst, wie jede,
eine Wissenschaft als ihre Theorie erzeugen, die J^ädagogik.
Anthropologie» und Ethik sind Voraussetzungen derselben; also
^) Der vorliegende Aufsatz, der da» Datum des 24. Oktober 185,')
trägt, ist offenbai* identiiwh mit der Auf zeich niuig, die Lange seiner An-
trittsvorlesung als Frivatdoeent in Bonn zu (Irund gelegt hat; Lange»
begann seine Vorlesungen eben im Oktober 185ö. Dien hat aueh schon
O. A. Ellissen (Friedrich Albert I^nge, I^eipzig 18JH, S. 91) vermutet,
Kllissen hat auch mit Recht auf den reichen Inhalt des Aufsatzes auf-
merksam gemacht, der hier zum ersten Mal gedmckt wird. — Die entschie-
dene Hervorhebung der Bedeutung der Erzichungslchre als Wissenschaft,
MonatHhofio der Comeiiiiis-CK-m-llsthsifi. 1S«»1. C;
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los l^ige, Heft 4 11. 5.
kann sie ci-st mit der Philosophie und durch dieselbe wirklieh
(entstehen. Aber sie muss auch mit der Philosophie entstehen;
denn weder ist ein(^ Anthropologie vollständig, welche den Mensehen,
wie er in der (lesellsehaft leiblich und geistig sieh heranbildet,
nicht beachtet, noch eine Ethik befriedigend, welche keine Mittel
zur Erreichung ihrer Ideale kennt, noch endlich eine Politik
z^veckdienlich, welche es vei^sst, den für gut erkannten Zustand
des Staates durch eine weise Ordnung der Erziehung erhalten und
fortbilden zu lassen.
Wie steht es nun aber mit dieser Nothwendigkeit dör Phih>-
sophie und der Pädagogik in der Geschieht*'? Bekanntlich fügt die
Geschichte sich oft weit schwerer noch in einen dialektischen
Kahmen, als etwa die lebendige Natur sich in den Systemen der
Botaniker und der Zoologen unterbringen lässt. Und in der That
sehen wir z. B. Kant, der alles kritisierte, lediglich ex officio
Pädagogik lescMi nach einem Leitfaden seines Vorgängers. Fichte
fällt völlig aus dem Himmel seines idealistischen Systems, wo er
die Pädagogik zum (icgenstande hat. Schelling hat dieselbe ver-
gessen und Hegel, der als GNTimasialrektor seine I^gik schrieb,
wurde als Professor der Philosophie von der Cholera dahingeraflTt
über dorn Vorsatze anch eine Pädagogik zu schreiben. Freilich
ist dieser Vorsatz allein, von dem ^ms Thaulow berichtet, mehr
als Alles, was Kant und Ficht<^ gethan haben, weil er den Ge-
danken an die Nothwendigkeit dieses Stückes für die Philosophie
selbst bei (»inem Manne \ne Hegel war, voi-anssetzen lässt. Im
auffallendsten Gegensatz zu dieser allgemeinen Unterlassungssünde
der Philosophie sehen wir auf der andern Seite ein Heer von
Autodidakten in verschiedenen Stämmen, Rousseau, Basedow,
Pestalozzi an der Spitze, ^ogf^n Alles auf dem Felde der Erziehung
und des Unterricht** Bestehende mit schonungsloser Energie an-
rennen. Niemand war un(»rzogener als Basedow, niemand ungelehrter
die der Aufsatz enthält, verdient ebenso sehr Beachtung, wie der richtige
(ledanke, daf*8 die OeHchichte der Erziehungnlehre da** Thor sei, durch düjn
sie allein ihren würdigen Einzug in den Kreis der älteren imd bevorzugten
Wissenschaften halten könne. Auf das interessante Ui'teil über Comenius
machen wir besonders aufmerksam; Comenius ist der einzige, dessen System
Lange ein „eignes, wahrhaft philosophisches Prinzip" zuerkennt.
— Wir haben die Rechtschreibung, wie sie sich in Langes Urschrift findet,
beibelialten zu sollen geglaubt. Anmerkung der Schriftleitung.
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1894. Ül)or (Ion Zusammenhang der Erziehungssystenie etc. 1()9
als Pestalozzi, und welcho Rolle sf)ielten iliof^e Männer in der Er-
ziehung und I^ehre, ohne die Philosophie nur im mindesten um
F>laubniss zu fragen^!
Nachdem gegenwärtig der Sturm unserer Idealphilosophie
mit seiner berausehenden Wirkung vorüber ist, dürfte (»s zur Ab-
r(»chnung mit der Vergangenheit vor der Eröiftiung neuer Blätter
wohl einer der uiehtigsten Punkte sein, die Philosophie für die
Vernaeldässigung der Pädagogik, diese hinwiederum für das Wagnis
ihres selbständigen Auftretens zur Reehensehaft zu ziehen, indem
wir erforschen, welche umeren oder äusseren Verhältnisse diesen
forsch einungen zu Gnmde liegen. Eine» vollständige L(*)sung dieser
Frag(* setzt freilieh eine Geschichte* d(T Pädagogik voraus, zu der
auch von Raumer nur das Titelblatt und die schätzenswerthesten
Beiträge geliefert hat. Für die heutige Untersuchung kann es
sich daher nur um die Andeutung der Gnmdan schauung handeln,
von der wir ausgehen.
Wenden vär uns nun zur Gewinnung des richtigen Aus-
gangspunktes zu den Völkern der alten Welt, insbesondere den
Griechen imd den Hebräern, so zeigt sich hier auf jeder Stufe
eine völlige Harmonie der Erziehungsprinzipien mit der gesammten
Weltanschauung, und die Philosophen auf der einen Seite, die
Propheten auf der andern sind vor Allem auch I^ehrer und Erzieher.
Bei den Hebräern war es bei vöUigcT Einheit d(»s religiösen
und des nationalen Be\msst«ein8 das Gesetz Gott<»s, was die AVeit-
anschammg des auserwählten Volkes in allen Teilen bestimmt<'
und durchdrang. Die Erzi(»hung der Kinder Avar, \n(» auch PaluKT
in seiner Pädagogik sehr richtig bemerkt, im Ganzen keineswegs
ein Hauptaugenmei*k der Einrichtungen des alt(*n Bundes ; aller-
dings giebt das (lesetz nirgeAdwo spezielle Voi*schriften über
Schuleinrichtungen und Methoden; aber wenn Palmcr diese Be-
merkung dadurch erklärt, dass er sagt, „w(m1 alle sich Gott gegen-
über im Stande der Erziehung wissen, so kommt es zu keiner
wirksamen Unterscheidung zmschen IVIündigen und Unmündigen
innerhalb des Volkes", so kann man wohl kaum mehr inv gehen.
Vielmehr muss derselbe Geist der Erzi(»hung durch das Gesetz,
der eben das ganze Volk als unmündig erscheinen lässt, in der
Erziehung sich wiederum als Faktor vorfinden; daher denn die
Jugend, man könnte sich fast mathematisch ausdrücken, in ehier
H
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1 10 Lanjre, • Heft 4 u. 5.
potenzirt*»!! ITninündigkeit untor einer potenzirten Zucht des
(iresetees stehend erscheinen muss. Dass mit diesem Charakter
(»iner züchtigenden Erziehimg die einschlagenden Stellen des alten
Testamentes vollkommen übereinstimmen, bedarf gar keines Nach-
weises. Palmer hat sich, indem er nach ünterweismigslehren und
Schulmethoden ausschaute, verleiten lassen einen Theil für das
(lanze zu nehmen. Das Moment der Bildung ist bei den Hebräern
noch nicht ausgebildet, wenigstens nocJi nicht in der Zeit der
Gesetzgebung; daher der Mangel jener speziellen Vorschriften;
das Moment der Zucht aber, das erste, wodurch die Erziehung
als be^\'usste Kunst sich über das natürliche Wachsenlassen erhebt,
das Fundamentalelement wirklicher Erziehimg, ist bei den Hebräern
bedingt durch den Gang der göttlichen Fühnmg in ihrem ganzen
Volksleben hell ans Licht geü'cten.
Im Gegensatz hiezu zeigt sich nun leicht das Element der
Bildung als das eigenthümlich hellenische. Man wende uns nicht
die Strenge der spartanischen Zucht ein, als ob diese uns vielmehr
die Erziehung der hellenischen Jugend von der entgegengesetzten
Seite zeige ! Kraft, Schönheit, Kriegstüchtigkeit und Gewandtheit
in den Künsten der Musen, das waren die Zwecke der Spartaner
\ne der übrigen Hellenen in der Erziehimg; also wesentlich
Bildung, bildnerische Vervollkommnung des rein Mensclilichen
in Ijcib und Seele. In dem Vorherrschen dieser Weltanschauung
von der Kallokagathie als dem wahi-en und höchsten Ziel aller
Erziehung beruht in Wahrheit mehr als in allem Andeni die
Einheit der griechischen Stämme. Daher war dieses Land ein
wahres Land der Gymnasien, an deren gemeinsame Bestrebungen
sich die gemeinsamen Nationalspiele, die Blütenfeste der ge-
wonnenen Bildung, verherrlichend anschlössen. Der rauhe Charakter
d<»8 dorischen Stammes, der alles beherrschende Staatszweck modi-
ficirten die Bildungsweise Spartas, aber der Grimdcharakter blieb
derselbe. Das Vorherrschen des Staatßzweckes ist übrigens ein
zweiter, den Griechen mit den Römern gemeinsamer Charakterzug,
während bei den Hebräern im Grunde der Staat selbst in der
Religion aufgeht Ganz analog damit entspricht dem religiösen
Element der Hebräer auch wieder die eigentliche Familien-
erziehung, die bei den Griechen vöUig ziuiicktritt. Dem staat-
lichen Prinzip entspricht die Schulerziehung, die hinwiederum
bei den Hebräern ei"st spät in einiger Ausdehnung sich findete
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] 894. Ober den ZuHamuienhang der Erziehungssysteuie ote. Hl
Aber wir haben die Griechen neben dieser nationalen Be-
deutung noch in einer zweiten wichtigen Hinsicht zu betrachten:
als die Trager der alten Philosophie. Wir brauchen kaum zu
eriimeni, dass bei einem Volke, wo so vollkommen die äussere
Form der Entwicklung dem iimeren treibenden Geiste entsprach,
auch hinsichtlich des Verhältnissen d(»r Philosophie zur Pädagogik
dieselbe Harmonie stattfindet. So lange die Philosophie in ver-
einzelten Aussprüchen der Weisheit auf einer vorbereitenden Stufe
sich fand, war es nicht anders mit der Pädagogik ; die physischen
imd metaphysischen Fragen der ei-sten Systeme berührten die Er-
ziehung wenig, weil sie das geistige Leben des Menschen noch
wenig berührten; ein Philosoph wie Pvthagoras aber widmete dem
Erziehungswerke seine wärmste Sorge. Als eigentliche Wissen-
schaft wiixi sodann die Pädagogik vorbereitet mid gleichsam
ins Dasein genötigt durch die Sophisten; allseitig bearbeitet und
theoretisch wie praktisch begründet dui-ch Sokrates; ausge-
führt in wirklichen Uchtvollen Systemen durch Plato und Ari-
stoteles. Fmlich büsste, seit die Sophisttni die Erziehimg von
dem Standpunkt unbewusster Sicherheit verrückt hatten, die Praxb*
derselben ihre urwüchsige Gesmidheit mehr und mehr ein. Aber
das Princip der Subjectivntät, eine nothwendige Emmgenschaft für
den ferneren Fortschritt der Menschheit, war einmal gewonnen
und wurde durch Soki'ates Hand aus dem Wüsten gezogen und
zimi Guten gewendet. Die griecliische Nation eilte der Erfüllung
ihrer Aufgabe entgegen.
Eine Verfolgung unserer Frage durch die Systeme des Plato
und Aristoteles hinduirh würde lediglich einer Daret^llung der-
selben gleichkommen; dazu aber reicht für unseni heutigen Zweck
die Zeit nicht hin. Hat doch Kapp in seiner gründlichen Dar-
stellung der Erziehungslehre Piatos diese schon von vornherein
für identisch erklärt mit der praktischen Philosophie desselben,
em ähnliches Verhältnis aber für Aristoteles nachgewiesen, der
mu* das Ideal der Ethik und Politik in strengerer Scmderung \'on
den pädagogischen Mitteln zur EiTciehimg desselben aufstellt.
Das aber msg noch hervoi-gehoben werden, dass gerade die Staats-
pädagogik dieser beiden Philosophen in ihrem umfassenden Begriff,
sich gegenseitig ei-gänzend, den eigentlichcMi Gipfelpunkt d(T philo-
sophischen Arbeit (iriechenlands überhaupt bildet. Hier zeigen
sich die beiden Ideale, denen Hellas nachgerungen, die Kallokagsithie
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112 Lango, Hoft 4 u. 5.
als Ziel einer vollendeten Bildung, die Glückseligkeit der Einzelnen
und Harmonie des Ganzen als Folge eines vollendeten Staat«-
lebens, mit wissenschaftlichem Bewu88t«ein erfasst, in Eins ver-
schmolzen und als möglich gedacht durch den Begriff einer voll-
endeten Pädagogik. Auf dieser Höhe angelangt stamit man mit
Recht, wie die durch Jahrtausende sich hinziehende Bewundermig
für die Griechen so selten bei diesem Brennpunkte ihres geistigen
Lebens ver>veilt hat. Hegel gedachte» die Pädagogik wieder in
diesem umfassenderen Sinne einer Staat*<pädagogik zu nehmen;
aber unserer neueren Idealphilosophie wai* es nicht vergönnt, sich
mit dieser letzten Krone zu schmücken.
Wie in seiner ganzen Entwickelung, so ist Hellas auch noch
gi-oss und vorbildlich schöpferisch in seiner Decrescenz. Vom
thatkräftigen Leben zur Kunst, von der Kunst zur Philosophie,
von der Philosophie zur Gelehrsamkeit, von dieser endlich zur
auflösenden, aber auch aussäenden Po])ulari8irung seiner Schätze
zieht sich ein Kreislauf für die Nachwelt gleich wichtiger »-
scheinmigen. Die Stiftung gelehrter Schulen zu Alexandria war
noch eine letzte volle Lebensäussenuig des in so vielen Stadien
bewährten Geiste*». In Byzanz imd besonders in Itom fand die*
Aussaat statt, von deren Ernte Nvir zehivn. Die eigenthümlichc
Entwickelung Koms wird durch dieses Ferment so bestimmt, dass
sie niu* nach der Versetzimg mit demselben direkte mid ent-
scheidende Bedeutung für die? späteren Nationen hat> obwohl gar
manches hier ntx^h zu verfolgen von Interesse wäre.
AVir eUen dazu, die Bedeutung des nmi sich verbr(»iti»nden
Christenthums für die Entwickelung der Pädagogik zu be-
trachten und nach einem Blick auf den allgemeinen Charakter
des Mittelalters zu dem schwierigeren Theile unserer Frage über-
zugehen.
Im Christentum stellte» sich die Ve?i*schmelzung deT Ideen
des gereiften Judenthums mit den Schätzen des klassischen Alter-
thums dar ; teils in der einfachen Form ihre^s ui-spriingUchcn Wesens,
teils in einer transsce^ndenten Iden» eler Verklärimg: das Gesetz
wird Freiheit, dei* (iehorsam Liebe, als des Gesetzes Erfüllimg.
Die reine MensehlichkeMt bestimmt sich zur Gottmense»hlichkeit ;
die Bildung zur Heiligtuig eles ganzen Daseins.
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1894. Über den Zusainiueühaug der Ei-ziohiuigs8ystoine etc. 1];{
In Uebereinstimniiing mit dieser Vei-schnielzung (Tgiebt nun
das Christenthiim für die Entwickehuig der pädagogischen Idee
von vornherein die Synthese der beiden oben g(»trennt erkannten
Momente, der Zucht und der Bildung. Die Zucht selbst wiixl als
die wahre Bildung und die Bildung als eine neue Zucht des
Geistes erkannt. Die Familie und die Schule, das religiöse und
das staatliche Element, erhalti»n in gegenseitiger Bedingmig und
hannonirender Ergänzung ihre wahre Bedeutung. Wenn aber
mit dieser Synthese zugleich gesetzt und gefordert wird, dass die
Zucht zur Freiheit, die Bildung zur Heiligung werde, so ist doch
nicht gesagt, dass diese vollend(*tere Konn auch historisch gleich
gegeben sei. Bedenkt man, dass dieser ganze n(»ne Reichthmn
entwicklungsfähiger Keime, diese Welt neuer Ideen, die nach
Formen zu ilurr Ausprägung drängten, nicht auf einem schon
gebildeten und vorbereiteten Boden sich entfaltt*n, sondern viel-
mehr unt<ir einer Reihe von neuen, ungebändigten Völkern all-
mählich aufgehen sollten, so begi-eift man leicht, dass als Durch-
gangsform ein neues Gesetz und neue Bildungsschulen das ganze
Leben dieser Völker umspannen und durchdringen musst(»n, während
die Vollendung des ChristtMithums nur im Mysterium dem Glauben
gebot(»n war. So sehen wir wieder das ganze Mittelalter im
richtigen Lichte» nur unter dem Gesichtspunkte der Pädagogik. —
Hier könnte man vielleicht wieder mit Palmer schliessen, „dass
es eben desshalb, weil Alle sich (liristus gegenüber im Stande der
Uiunündigkeit fühltc^n, es zu keiner wirksamen Unterscheidimg
zwischen Mündigen und Umnündigen gekonmien sei"; aber davon
weiss die Geschichte andei*s zu erzähl(»n.
Der Ritterschlag, das Meisterstück, die Priesterweihe, die
Doktorwürde — lauter Documenti» einer scharfen Sondermig der
relativen Mündigkeit auf den verschied(*nsten G(*bieten. Bei dem
naiven Chai*akter dieser Zeit, dem Vorwalten der gegebenen ob-
jektiven Lebensverhältnisse war die Philosophie selbst nicht frei
imd daher nicht auf dem Stiindpunkt der Wissenschaft. Tr(»tzdem
dass sie in der Erarbeitung neuer Formen und Begriffe für die
überlieferten Ideen und Anschauungen ein ungeheueres Feld durch-
pflügte, blieb sie deimoch wesentlich eine Kunst. Auf demselben
Standpunkt der naiven Kunst finden wir somit auch die Jugend-
erziehung. Alles hatte seine fest bestinnnt(»n Regeln, mit dcMien
der Meister handlieh umzusj)ringen wusste, olux; das Bedürfniss
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114 Lango, Hoft 4 u. 5.
oiiUT wissenschaftlichen Bejicründunjic dei-solben zn empfinden. Wir
k(*)nnen diese Stufe etwa mit dem Zustand der Erziehung in Sparta
oder in Griechenland überhaupt vor dem Auftret^Mi der Sophisten
vei-gleichen. Aber auch da« Mittelalter soUti» dem Durchbnich
der Subjectivität (»ntgeg<Mireifen, und es erfolg* die Refonnati()n.
Längst schon war ein Seufzen nach ihr durch alle edh^-en Ge-
müther gegangen. Keine Sitten in d(»r Kirche, reines Lat<»iji in
den Schulen wünschte man mehr und mehr. Der von Italien
über Frankreich her sich verbi-eiti'nde Humanismus begegnete
namentlich in Deutschland, wo ein Tauler und (ireiler prophetisch
redeten, dem Mysticismus. An allen Orten bildeten sich in
steigender Flamme neue Ueberzeugimgen. Ueberzeugungen , die
mit unmittelbarer (jlaubensgewissheit die Seele von Männern er-
griffen, welche in der Schule des Gehorsams gereift und gestählt
waivn.
Neben dem humanistischen und dem religiös-philosophischen
Elemente machte sich als ein drittes das politische geltend. Im
Volke verlangt(»n indessen alle edleren Elemente vorab nach
liiutenmg der SittiMi und grösserer Innigkeit des Gottesdienstes,
Die Mystiker, welche dies vor Allen zu gewähren schienen, fanden
deshalb grossen Anhang; aber gerade sie waren es auch, in denen
das philosophische Bewusstsein von der Geltung des Subjectes
am meisten zu Tage kmn. Unter ihnen entwickelte sich, wie gar
manche Stellen ilu'cr Schriften beweisen, ein Hass gegen die Ge-
lehrsamkeit, die an sich clumikterlos und zum Dienst*» des Stärkeren
geneigt schien. P^ine Ei'schütterung der damals herrschenden
(irelehrsamkeit war also von dieser Seite gc^geben. Die Scholastik
und das Mcmopol des I^ttunischen erJitt<Mi ein(»n zweiten Stoss
von der entgegengesetzten Seit<s dm-ch die Humanisten. Diese
entdeckten das Griechische wie eine ncnie \V(4t, zogen den wahren
Aristoteles ans Licht, tmd weit<T schreitend kamen sie dazu, den
Gegensatz ihres eigenen Treibens, den Realismus selbst ans Licht
zu fördern. Denn wer lebte mehr in der Natur selbst als die
Alten? Wer hatte ein offeneres Auge für alle Dinge des I^ebens
als namentlich die (iriechen? Von diesen selbst lernte man es,
die Physik, die* (leographie, die Astnmomie und vor ^Vllem die
Mathematik zu schätzen. Es gab j(»doch unter den Humanisten
eine äusserste Hechte, die Cicerom'aner, welche schon Ei*asmus
bekämpfte. Dies(»n g<4iöit<' im \Ves(»ntlichen Johannes Sturm an,
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1894. Über den /usaninienhang der ErziohuiijrHsystemo ott*. Ho
währond Molanchthon der Hauptvei-trctcr der fivienMi Richtung
war. Wir werden nun der R(*ihe nach nehen, wie die verschiedenen
Richtunfj:en und Bestrebungen auf dem (iebiete d(»r Pädagogik,
und namentlich in den Schulen, ihren Ausdruck fanden.
Wir beginnen billig mit den eigentlichen Schulmäimeni und
unter diesen mit dem berühmten Johannes Sturm. In diesem
Manne finden wir das am wenigsten fortgt^schiittene Klement der
• Reformation, den (iredanken einer grossen Verbesserung und
Ijäutenmg ohne wesentlich neue Pruicipien auf das Schulwesen
angewandt. Zu bemerken ist hier gleich, was bei Trot^iendorf ims
\viedenmi beg(»gnen wird, dass im (legensatzc* gegen die classische
Einfachheit der f]ntwickhmg keineswegs jeder Hauptvertreter einer
Richtung dieselbe durch alle Lebensgebiete klar und consequent
diu'chführt. Im Grossen und Ganzen aber gleicht sich diese In-
consequenz aus. So ist hier gleich Stunn auf pädagogischem
Gebiete Vertreter der äussei-st^^n Reichten in der B(»wc»gung, wäh-
rend dereelbe Mann in seinem hohen Alt<»r noch lüs Kämpe gegtni
den überhandnehmenden Dogmatismus mit Heftigkeit auftritt und
darüber seines Amtes entsetzt mrd. — Sein Ideal als Zweck aller
Schulbildung war Frömmigkeit, Kenntnisse und Kunst der Rede;
aber das letztere unter diesen ist es, was ihm ans Herz gewachsen
ist, die Kunst der Rede, näher bestimmt als cicen)nische Gewandt-
heit und Eleganz im Schreiben und Sprechen, v. Rimmer hat
treulich nachgewiesen, wie sehr dieses Streben all seine Ein-
richtungen und Bemühimgen lenkt und bestinunt, wie gering in
der That di^s scheinbai'c Streben nach Realismus war, wie ver-
nachlässigt der Untemcht in der Muttersprache. Aber gerade
durch diese Concentration seines Strebens leistete Sturm Be-
deutendes.
Meister in seinem Stotfe, unermüdlich im Amte, geschickt
luid erfinderisch in belebenden Methoden, war er zugleich der
Träger einer der gi'osscn Bestrebungen seiner Zeit, der Reform
der barbarischen Latinität, und dadurch wuclis sein Einfluss ins
Unemiessliche. ZahHose Schüler strömten ihm zu ; manche Schulen
nnisste er einrichten, andre kamen an scäne Schüler, andre nahmen
seine Ordnungen zimi Muster; der Einfluss derselben erstreckte
sich über ganze Länder.
Die fortgeschrittenere Richtung des Humanismus, zu der
F^rasmus in Deutschland den Hauptanstoss gegeben hatte, finden
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116 Lange, Heft 4 ii. 5.
wir, wio schon erwähnt, in Melanchthon repräsentirt. Obschon
dieser Mann das Rectorat des Nürnberger Gymnasiums ausschlug,
weil er einer solchen Rolle nicht gewachsen sei, wird doch er
mit Recht als der pnieeeptor Gennaniae gefeiert, und sein dü^ekter
und indirekter Einfluss auf die ganze Natm* des Gymnasialwesens
war wohl der grösste und entscheidendste, der von einer einzigen
Persönlichkeit ausgeübt wurde. Seine Schöpfungen waren nament-
lich auch desshalb so dauerhaft, weil die grosse realistische Bildung,
die er als ächter Humanist sich envorben hatte, ihn ein festes
Verhaltniss zwischen diesen Elementen durch eine fi'eilich ent-
schieden subordinirende Anerkennung der Realien . finden Hess.
Dadurch wurde di(* Autorität des Ijateinischen in der That gegen
die Angriffe, die hi der Zeit lagen, mehr geschützt als geschwächt.
Die Einführung des Griechischen war, namentlich als Keim füi*
die Zukimft, wichtiger, weil diese Sprache, indem sie die wahren
Quellen der Bildmig eröffnete, die römische Schulfonn von Seiten
der Wissenschaft ebenso übeiflüssig zu machen drohte*, wie dies
in andern Zweigen des Lebens bereits geschehen oder ebenfalls
vorbereitet war. Man schreibt sogar dem Melanchthon nicht mit
Unrecht die Absicht zu, durch eine Herausgäbe des Aristoteles
eine ähnliche Reformati<m zu Stande zu bring(*n für die Philo-
sophie, wie Luther sie für die Theologie durch seine . Bibelüber-
setzung zu Stande gebracht. Jedenfalls hat sehi Wirken einen
Hauptantheil an der Beseitigung der pseudoaristotelischen Scho-
lastik. Unter den Mämiern, die Melanchthons Richtung in der
consequenten Wirksamkeit eines langen Lebens verfolgten tmd
ausbildeten, war Michael Neander der bedeutendstes bei ihm
findet sich eine gründliche Betreibung der Realien mit Virtuosität
im sprachlichen Untemcht verbunden.
Vielleicht die merkwürdigste aller Ei*scheinungen auf dem Ge-
biete der neueren Pädagogik bildet die Schule Trotzendorf s zu
Goldberg in Schlesien. Hier haben auf die eigenthümlichste Weise
die politischen Id(H»n der Zeit, mitten in einer reui pädagogischen
Welt, einen Ausdnick gefunden. Der Grundgedanke, die Schide
als eine Republik zu oi-ganisiren, die unbedingte GleichsteUmig
der vornehmsten adeligen mit den geringsten bürgerlichen Schülern,
die spezielle» und sorgfältige Gesetzgebung, die Benutzung der
Schüler, nicht nur, wie auch Sturm es that, zu Deciu-ionen und
Monitoren, scmdern zu einer grossen Reihe der mannigfaltigsten
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1S94. • über den Ziiöainnionhang der Ei-ziehungHsystomo «'tc. 117
Aeniter, ja endlich die Einsetzunjic f('»rnilicher (jeriVbishöf e , in
denen Schüler über Schüler ohne Ansehen der Person zu Recht
süssen — alles das konnte nur imter dem J^intiuss einer so all-
seitig und namentlich auch politisch so bewegtc»n Zeit sich gestalten
und Anerkennimg finden. Freilich war die politische Richtung
des Geistes bei Trotzendorf in die Pädagogik nicht nur ein-
gegangen, sondern auch völlig in derselben aufgegangen; sein
ganzes I^ben, namentlich auch sein hartnäckiger Kampf gegen
Sch\venkf(»ld zeigt ein treues Halten mit der soliden Front der
Refonnation gegen Abwege und Extreme. Deimoch that er in
seinen Schuleinrichtungen, was er that, mit gutem Bewusstsein
und Hess als gcwaltigcT dictator perpetuus in seiner R(»publik
keine seiner {Einrichtungen zum Schein oder gar zum Spott werden.
Es wird als seine ausdrückliche Absicht erwähnt, durch diese
Fomien die Schühu* für das politische Ix»ben vorzubilden und
ihnen Ehrfurcht gegen Gesetze und Behörden zur Gewohnheit zu
machen. Auch war in der That Trotzendorf' jedenfalls ein wenn
auch für die Staat s^^^rksamkeit verlomes politisches Talent, Zu
der gi-ossartigen Gabe dor Orgimisation, die sich in seinen Ein-
richtungen zeigte, gesellte sich ein solches Herrschertalent, dass
Melanchthon von ihm sagte, er sei zum Regieren einer Schule?
wie Scipio zum Regieren eines Lagei*s geboren, und in der That
mochte bei einer so grossaitigen Anstalt die erforderliche I^eitungs-
fähigkeit der eines Feldhen'n nicht so unähnlich sein. Trotzendorf
soll sich gerühmt haben, wenn er eimnal alle seine Scholaren
zusammenberiefe, wollte er ein Kriegsheer zusammenbringen, das
auch wider die Türken g<*nug s(»i. Der chanikteristische Irrthum
eines späteren Ijebensbeschreibers zälJt zu Trotzendorfs Schülern
den grossen Wallenstein. Das Jjateinspreehen trieb übrigens
Trotzendorf in seiner Anstalt bis zum Extr<»m, so dass es ihm
fast gelungen scheint, (he Mutterspmclu» aus seinem sehlesischen
Latium zu verbannen. — Dies ist um so merkwürdiger, da es an
sich ganz gewiss in den Consecjuenzen der Refonnation lag, die
Autorität der lateinischen Sprache von ihrer Höhe zu stürzen imd
die Muttei-sprache zu j)flegen und hervorzuziehen. Ebenso nnisste
es mit dem Geiste der Ciuellenforschung und des selbständigen
IJntersuchens übereinstimmen, an die Stelle der ganz(»n Wort-
gelehrsamkeit und des vermittelten Realisnnis sofort eine wirk-
liche» Rückkehr zu der Natur selbst und zu den Dingen des I^'Ixmis
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IIH Lange, Heft '4 u. 5.
zu setzen. Die gramnuitiHehe Meth<Kle al« eine künstlich ver-
nütt^lnde musste derselbe Angriff treffen. Und in der That finden
sich Elemente zu all diesen Angriffen wirklich in der Reformations-
zeit vor und zwar besondei-s bei Luther. Die Ausführung dieser
Angriffe hätten jedoch dein linken Flügel, den Mystikern, nach
dem naturgemassen Zusammenhang mit deinen Weltanschauung
müssen anheimfallen. Aber theils die Verfolgungen, welche diese
Männer zu erdulden hatten, theils ihr schon erwähnter Hass gegen
die Gelehrsamkeit überhaupt Hessen sie zur Gründung eigner
Schulen nicht kommen. Das Nachwirken ihi-er Ideen aber, die
nie ganz erloschen, war ohne Zweifel eins der >\'ichtigsten Elemente,
aus denen nach fast einem vollen Jahrhunderte das Wirken des
Ratich und des Comenius hervoi-ging. Dass insbesonden» Ratich
nicht bloss so blindlings auf seine didaktische Methode verfallen,
zeigt unter Anderm der dritte Punkt seines Memorials an das
deut«che Reich, in dem er zu zeigen verspricht, wie im ganzen
Reich einträchtige Sprache, Regierung und Religion einzuführen
und zu erhalten sei. Noch deutlicher ist der allgemeine i-eligiös-
philosophische Ausgangspunkt bei Comenius, der theils als ein
Kind der mährischen Brüdergemeinde von vornherein auf einem
der Mystik genäh(»rten Boden stand, theils bei Aisted, seinem Lehrer
zu Herbom, chiliastische Ideen einsog und in der That durch
seine Pansophie nichts geringeres beabsichtigte, als der Zeit der
allgemeinen Erlösung und der Ruhe von allem Streit und Hader
Bahn zu machen. Ratichs ganzes didaktisches Wirken ruht auf
zwei Angel|)unkten : die Begründung alles Unterricht« auf die
Muttersprache und die radicale Umstossung der giiunmatischen
Methode. Sein Radicalismus in letzterer Hinsicht verbunden mit
seiner persönlichen Ungeschicklichkeit Hessen seine Pläne aUent^
halben scheitern und die grammatische Methode besteht in Deutsch-
land unangef ochtiMi bis auf den heutigen Tag ; denn von Hamiltons
Erfolgen kann man, was die Erziehung im grossen Ganzen betrifft,
absehen. Der Irrthum, der hier zu Grunde lag, bestand diurin,
dass in der alten grammatischen Methode da« wesentlichste Ele-
ment, die grammatische Bildung, übersehen wurde. Sollte jene
Methode mu* zur Erlernung der Sprache an sich dienen, so hätte
Ratich recht gehabt, trotz seines Misslingens; aber was man ihm
und ähnlichen Theoretikern niemals klar entgegnen konnte, sagt<'
ein fester Instinct jedem Schulmann um so deutlicher. Das
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lKd4. I'Imt don ZiiHajumenhaiig der Erziehiin^ystomo etc. 119
bessere, ji:eiKtijfe Theil der Spmehbildunjj:, das bewusste Ergreifen
der Formen übersah Ratieh gegen das materielle Element« des
blossen Anleniens. Wir können somit das Unzeitgemässe, welches
von Räumer b(n Ratieh findet, ganz speeiell bezeichnen und be-
stimmen als ein Element des Materialismus, in das der gute Ratieh
unversehens bei seinen Refonnen verfiel. Ratichs Verfahren würde
daher zei^emäss sein in keiner andern Sphäre als in einer
materialistischen oder wenigstens einer rein materiellen, d. h. einer
solchen, die das geistigen» Princij) in naiver Absichtslosigkeit
unaogebaut lässt, wie vermuthlich die Sphäre der kaufmännischen
Schüler des glücklicheren Hamilüm, der nach zwei Jahrhimderten
mit derselben Methode viel (ield verdient<\
Comenius, Ratichs glücklicherer Nachfolger in der Theorie
der Didaktik, war eine grosse Persönlichkeit Seine reichen
Lebenserfahnmgen, sein tiefes Gemüth, seine umfassenden Studien
verbanden sich mit dem tiefsten Xachdeuk<»n, das in der Noth
der Zeiten stets ehuMi neuen Sporn und Antrieb fand.
Das grösste Ziel seines Strebens war, die Pansophie, ein
allumfass(»ndes n^ligiös philosophisches Werk, zu schreib<*n, dessen
Titel, wie er ihn im prodromus piuisopliiae aufstellt, zugleich wohl
am prägnant4'sten seine Id(»ale dai*stellt. Das Werk sollte heissen :
^ansophiae Christianae templum, ad ipsius suprenu* Architecti,
Omnipot<Mitis Dei ideas, normas, legcsque exstruendum; et usibus
katholicae Jesu Christi P^cclesiae, ex omnibus gentibus, tribubus,
populis et Unguis, collectae et coUigendae, consecnmdum." Das
immer zusammenhanglosei-e Auseinandergehen d(»r Wissenschaften
sollte hier durch Aufstellung eines neuen auf die ewigen Funda-
mente alles Wissens gegründeten Systems für inuner wieder in
Einheit verwandelt werden, in dieselbe Einheit, die er für Nationen
imd Conf(\ssionen so heiss ersehnte, und deren Verwirklichung er
sich je länger je mehr in baldiger Zukunft dachte. Comenius geht
somit bei allem Zusanunen hange mit der Reformationsbewegung und
mit Baco v(m Verulam wesentlich doch von einem eignen, wahrhaft
philosophischen Princip aus, von der Setzimg der Einheit
in dem ursprünglichen Wesen aller Wissenschaft und alles geistigen
Ix'bens. 1) Dieses Bestreben der Einigung ist es nun auch, was
^) Wie nmg es sein, dass trotzdem Comenius in der Geschichte der
Philosophie keineswegs die ihm gebührende Beachtung gefiniden hat?
Anm. der Schrift leitung.
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120 Lange, Heft 4 u. 5.
scfiio hoohbenihmt jijewordenon didaktischen Leistungen eharak-
terimrt. Dureh Baeo mächtig dazu angeregt, über den alten ver-
niittelten Realismus, den wir bei Melanchthon fanden, hinauszu-
gehen und die Ding(» aus der Natiu* selbst zu entnehmen, blieb
er doch nicht dabei st(»hn, diesen wahren Realismus in die Schulen
aufzunehmen, sondern der Aufgabe von Jahrhunderten voraus-
greifend, suchte er sofort eine Synthese der streitenden Richtimgen.
Denn es ist keineswegs eine äusserliche Nebeneinanderstellung und
Gleichberechtigung der Sachkenntnisse \md der Sprachen, sondern
ein einheitlicher Gang des Unterrichts, durch Sachen die Sprachen
und durch Sprachen die Sachen, was (»r in seiner janua reserata,
dem orbis pictus und andern Lehrbüchern bezweckt. Das viel-
bewegt<» Iv<»ben und die praktische» Natur des Comenius hemmten
die ideale Ausbildimg seines Systems, zu der es seiner Anlage
nach allein fähig gewesen wäre; dennoch blieb sein Einfluss auf
die Schulen ein höchst bedeutender und weit über Deutschlands
Grenzen hinausreichender.
Die sämmtlichen theoretischen und praktischen Reform-
versuche und Systeme, die wir bisher im (iefolge der Reformation
auftreten sah(Mi, bezogen sich mit Ausnahme des Trotzendorfschen
auf die Didaktik, also auf das Sc hui leben. Nachdem somit
das Christenthum eine Synthese der Gnmdelemente der allge-
meinen Pädagogik gegt^ben hatte, treten seit der Reformationszeit
die Motive der angewandten Pädagogik der Reihe nach historisch
auf und zwar beginnend nicht etwa vom Familienverhältnisses
sondern vom Schulverhältnisse; bei Locke und Rousseau tritt
sodann das einfache Erzieherverhältniss, bei Basedow die Erziehungs-
anstalt, bei Pestalozzi die h'amilie in den Vordergrimd; eine auf-
steigende Linics in der das einfachste aber auch am höchsten
stehende Verhältiiiss zuletzt kommt. — Das Familien verhältniss
fand übrig(»ns, weim auch noch nicht in principieller Ausführung,
eine besondere Berücksichtigiuig durch Luther. In Lehre und
Beispi(»l wirkte dieser kraftig für den wahren neutestamentlichen
Geist der Familienzucht, wonach die Liebe im Gegensatz zur
strengen Gesetzlichkeit in den Vord(*rgnmd treten soll. — Werfen
wir nun noch einen Blick auf die Erziehung der Jesuiten, deren
Schulen gleichzeitig mit denen der Reformation einen grossen Ruf
erlangten! Man thut diesem Orden Unrecht, wenn man scuhmi
Eifer für die Schulen h^diglich in dem Zweck dvv Ausbreitung
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1894. Übor don Zusammenhang der Erziehiingssyntteme etc. I2l
seiner Prineipien will bej^ründot finden. Die katholische Kirehe
hatte ihrei'seits die Nothwendigkeit einer Reformation auch an-
(»rkannt nnd als Hauptträger dieser Gegenreformation wurden die
Jesuiten von selbst zu berufenen Pflegern der Wissenschaften.
Das Streben, d(T Reformation hierin den fUng abzulaufen und zu
zeigen, wie eine Reform der Sitten imd der Bildung bei einem
verschärft hierarchischen Grimdprincii) bestehen könnte, gab ihnen
doppelte En<»rgi(». So sah man bald das Schauspiel, dass Jesuiten
die elegantesten Ijateiner wurden, während die kölnischen Scho-
lastiker kurz vor der RefoiTnation einen Lehrer nach dem andera
verjagt hatten, weil er ihr barbarisches Lat(»in angriff*. Selbst in
den Naturwissenschaften, namentlich grade in der Astronomie,
gehörten bald Jesuiten mit zu <len berühmtesten Namen. In dieser
Richtung auf Restaiu^tion der Wissenschaften lag der positive»
Benif der Jesuiten für das Schulleb(*n, daher auf diesem Felde
auch ihre I^eistungen so glänzten, dass Stunu alles andre über-
sehend sie fast wie Gesinnungsgeno8S(»n begrüsst und Baco von
Verulam nichts Besseres in Hinsicht des Untemchtes zu empfehlen
weiss als Nachahmung der Jesuitenschulen. Die südlichen macchia-
vellistischen Prineipien dieses Ordens machten jedoch seine sitt-
liche Erziehung um so verdächtiger; namentlich sieht der ger-
manische Stamm sein Ideal der Sittlichkeit so bestimmt in einem
entgegengesetzten Lichte, dass ein(* Schrift wie die Apologie
Macchiavellis durch Macaulay mit allem Appelliren an die Ver-
schiedenheit der Nationalitäten mir unseni Verstand bewegen kann;
auf dem religiösen Gebiete aber erscheinen diese Elemente mit
Recht noch schwärzer als auf dem politischen.
Während so die sämmtlichen Grundideen, die in der Refor-
mationszeit lagen, früher oder später, dauernder oder vorüber-
gehender auf dem pädagogischen Gebiete ihren Ausdruck fanden,
begann schon die neuere Philosophie sich zu entfalten. Zwei
Richtungen lassen sich unterscheiden, von denen die eine mit
einem Glanzpunkte anfangend sich in einc^n schmählichen Ausgang
zu verlieren scheint, während die andere immer höher und breiter
anwachsend erst in der nächst v(»rgangenen Generation mit einem
Lichtpmikte endigt.
Baco von Verulam, eui ehrwürdiger Name, trotz der irdi-
schen Mängel, die dem Charakter dieses Mannes anklebten, schrieb
in den ei-st<'n JahriMi des 17. Jahrhunderts seine instauratio magna.
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122 Lango, Heft 4 u. 5.
Dio Philosophie wurde (hireh ihn ziini ei*steii Male seit Aristoteles
mit einem grossen entseheidenden Erfolge auf die breite realistische
Basis gesetzt; seine Pyramide der Philosoj)hie , die von der un-
zähligen Vielheit der ü'dischen Dinge ausgeht und sich mit all-
mähliger Verjüngung bis zu der (xottheit selbst als ihrer letzten,
einheitlich sehliessenden Spitze erheben soll, gleicht dem babylo-
nischen Thurmbau, der von der Erde in den Himmel ragen imd
den Geschlechtern der Stei'blichen ein Symbol ihrer Einheit sein
soll. Und es fanden sich bald die Titanen, welche Berge ver-
setzten, um d(»n gewaltig(»n Grund zu legen, (xaliläi und Kepler
wai'cn Zeitgenossen Bacos, und von ihnen bis auf nnsere Tage
zieht sich (nne Kett<' von riesigen Arbeitern, das Fundament jenes
Baues zu eirichten. Die exacten Wissenschaften traten ins Leben
und das Studium der Natur gewaim eine Bedeutung, die die Alten
nicht geahnt hatten. Aber auch Baco hatte keinen Massstab für
diese Ausführung des Gebäudes. Die Geschichte entwindet ihm
Titel und Rechte des Bamneisters, so sehr auch seine Weiherede
ihm das Andenken und den Dank einer fernen Zukunft sichert
Die gtmze wahrhaftige Bedeutung Bacos liegt daher in den Prin-
cipien d(»r Rückkehr zur Natur, in der Ei-findung der Induction
und in alle dem was auf das Fundament seines Baues, zu dem
allein die Principien aus der Zeit koimten mit Sicherheit gegriffen
werden, Beziehung hat. Wer wird bei dieser Lagc^ der Sache
eine Pädagogik von ihm fordern? Die Philosophie spricht ihn
frei, und imr der gemeine Verstand imd das allgemein menschUche
Gefühl der Sittlichktut haben es mit ihm zu thun, wenn er über
das Ideal der Jesuitenschulen nicht hinausgeht.
Anders steht es mit Locke. — Bacos Philosophie enthielt
immerhin in ihrer gigantischen Tendenz, in der Setzung der blossen
Möglichkeit, auf menschlichem Wege aus der Natur zu Gott zu
steigen, den Keim einer Afteq^hilosophie, den später die Materia-
listen zur Nothreife brachten. Durch die rächende Ironie der Ge-
schichte sollte ein Pygmäenthum daraus werden, und hier bildete
Ix)cke ein Mittelglied; selbst noch eine stattliche Erscheinung.
Seine Empirie hat der Welt ihre Dienste gethan und den gesunden
Menschenverstand gefördert; aber während die reine Empirie ge-
duldig und bescheid(»n ist, indem sie die höchsten Resultate findet,
wird der Empirismus zum üsmpator, indem er sich als letztes
j)liilosophisclies Princip eonstituiii:. Im Fortschritt gegen Baco
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1894. Über den Zusammenhang der Erziehungssysteme etc. 123
wandte sich übrigens Locke vorwiegend dem Reiche des Geistes
zu, und die Pflicht, Pädagoge zu werden, die ihm daraus erwuchs,
hat er treulich erfüllt Auch ist der Zusammenhang seiner Ge-
danken über Erziehimg mit seinem philosophischen Standpunkte
überhaupt klar und leicht zu übersehen. Wie der Empirismus
nur das nächste Resultat des Forschens will und anerkennt, so
entspricht ihm auf dem Gebiete der Ethik das Nützlichkeits-
princip, welches nur ein nächstes, relatives Gut als Gegenstand
des menschlichen Willens begreift Daher denn das letzte Ziel
der Erziehung hier bei Gesundheit, äusserlichem Glück imd mög-
lichst freiem Gewissen stehen bleibt, während in den Mitteln eine
sündliche Verlockung zum Guten durch Ehrgeiz und äusseren
Vortheil vorherrscht
An Locke reihen sich die Materialisten mit einer Synthese
von Menschengeist und Natiu». Sie haben die Philosophie schon
fertig, während die Geschichte, oft durch den Arm derselben
Männer, noch immer Bacos Fundamente 1^ Ihre Systeme sind
daher wie ein Strohdach über dem Sockel eines Domes, wodurch
dann freilich aus dem Ganzen eine Scheune wird. Ihre pädago-
gischen Consequenzen tauchen in dem Strudel der französischen
Revolution am offensten auf.
Legte nun Baco von Verulam eine Art von babylonischem
Thurmbau an, so ist es dem zweiten grösseren Stamme der Philo-
sophie eigenthümlich, mit der Spitze zu beginnen und so, nicht
wie irdisch^ Bauleute pflegen, aus der Wolkenhöhe des Princips
zu der irdischen Vielheit der Dinge hinabzusteigen. Betrachten
wir aber diese Principien näher, die Selbstgewissheit bei Cartesius,
die Substanz bei Spinoza, die Urmonade bei Leibniz, das Ich
bei Fichte, das Absolute bei Schelling und Hegel, so sehen
¥rir in ihnen allen einen Geist der abstrakten Theorie vorwalten,
der von vornherein die praktische Philosophie als einen äusseren
Anhang, eine nur gezwungene Folgerung, überhaupt als Nebensache
erscheinen lässt Auf diesem Standpunkte muss die Pädagogik
zwar für eine vollkommene Diu^hführung des Systems bis auf
den Boden der wirklichen menschlichen Existenz im Leben immer
noch als ein nothwendiger Theil erscheinen, sie kann jedoch, in-
sofern sie lediglich als Theil der praktischen Philosophie be-
trachtet wird, ebenso wie diese überhaupt Nebensache sein
und im Nothfalle den Fachmännern zur Bearbeitung überlassen
Monatobefte der Coini»nias-G«>8cll8chaft. 1894. ij
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124 I^nge, Heft 4 u. 5.
werden, wie etwa eine Reehtephilosophie den Juristen. Aber die
Pädagogik ist auch als eine rein theoretische Wissenschaft
denkbar, indem die Entwickelung des Bewusstseins durch die Alters-
stufen des einzelnen Menschenlebens nicht nur an sich, sondern
in ihrer Wechselwirkung mit einem bereit« gereiften Selbstbewusst-
sein unter den verschiedenen pädagogischen Grund Verhältnissen
verfolgt und wissenschaftlich dargestellt wurde. Die Hegeische
Philosophie in ihrer allumfassenden Tendenz wäre zu diesem Stück
Arbeit verpflichtet gewesen, imd die Nachfolger jenes Meisters
hätten an der Ausfiilhmg dieser Lücke eine würdigere Aufgabe
gehabt, als am Zurückgehen auf die gewohnte Fonu einer prak-
tischen Kunstlehre. — Letztere hätten wir unter allen am ehesten
von Kant erwarten dürfen; die praktische Richtung seiner Philo-
sophie verpflichtete ihn nicht weniger dazu, als sein Amt ihn ver-
anlassen musste. Die Aufregimg der Zeit in pädagogischer Hin-
sicht forderte ebenfalls heraus; aber Kant mochte es nicht lieben,
sich in den Lärm der streitenden Parteien zu mengen.
Andere Gründe dieser Versäumniss der Philosophie liegen
in Thatsachen, die in ihrem historischen Znsammenhange so weit
greifen, dass sie hier höchstens angedeutet werden können. Die
höheren Schulen und die Universitäten standen zur Reformations-
zeit in einem weit näheren, innigerem Zusammenhang als jetzt Der
imgeheure Fortschritt der Wissenschaften, insbesondere auch ausser
den Naturwissenschaften der klassischen Philologie in Deutscliland,
ei-zeugten einen Standesunterschied, eine um so grössere Geschieden-
heit, je weniger die Schulmethoden trotz aller Verbesseningen
Schritt zu halten vermochten, — Man bedenke nur das eine Bei-
spiel: das treff Hellste Gymnasium würd(^ sich nicht niu* gegen die
grosse Masse seiner Schüler, sondern auch gegen den Wortlaut
bestehender Gesetze versündigen, wenn es in der Mathematik
Kapitel beriiliren würde, bei denen die Wissenschaft, wie sie von
Fachmännern getrieben wird, ihre ersten Anfänge hat. Wie aber
einem Schüler keine Almung davon gegeben werden kann, was
die Mathematik seit Newton und Leibniz eigentlich ist, so müssen
ihm, wenn anders überhaupt noch ein Zweck erreicht werden soll,
die wahren Geheimnisse fast aller Wissenschaf um noch vorent-
halten bleiben. Die menschliche Schwachheit hat es herbeigeführt,
dass von diesem relativen Sinken des Stoffes unserer Schulen eine
gewisse vornehme Geringschätzung die Kunst des Unteirichts und
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1894. Übor den Zusammenhang der ErziehungsBystemo etc. 125
(lor Erziehung selbst betroffen hat. Indem die Meister dieser
Kunst aus Wirkung alter Tradition naeh wie vor ihre wahre
Wurzel in der Wissensehaft selbst suchen, die sie vertreten, wird
einerseits der tiefere Fall der öffentlichen Hochschätzung mit oft
be^vimderungswürdiger Anstrengung gehemmt; andererseits aber der
Kunst die letzte Kraft entzogen. So kam es, dass im Laufe des
vergangenen Jahrhunderts die Pädagogik, von der Philosophie so-
wohl wie von den Fachgenosscfn im Stich gelassen, Abenteurern
in die Hände fiel, wie eine res nullius, mit der man nach Gut-
dünken schalten kann. Es hat dies in etwa sein Gutes gehabt,
da das Bessere einmal doch nicht sein sollte. Je mehr man ohne
die Voraussetzungen irgend einer philosophischen oder gelehrten
Schule an die Sache gieng, desto sicherer bemächtigte sich ihrer
der herrschende Geist der Zeit und prägte ihr seinen Stempel auf.
Insbesondere gilt dies von Basedow und Pestalozzi. Rousseau
als Pädagoge bleibt in mancher Beziehung eine räthselhafte Er-
scheinung. Ebenso wie Basedow imd Pestalozzi ohne bestimmten
philosophischen Ausgangspunkt, wollte er sich nicht dem Geist
seiner Zeit tiberlasscm, sondern erklärte derselben im Gegentheil
auf allen Pimkten den Krieg. Nicht niu* fand er, wie auch Ba-
sedow imd Pestallozzi, die Erziehung verkehrt, sondern er machte
es förmlich zum Princip, die Uebel alle in dem Abfall der ganzen
Gesellschaft v<m der Natur und die Heüung einfach in der totalen
Umkehnmg des Ueblichen zu suchen. Rousseaus Hass der Ge-
sellschaft, sein Princip der Natürlichkeit, sein Pelagianismus waren
\iel zu originell in ihrer Entstehung, zu unrein in ihrer Durch-
führung, als dass ihm eine bestimmte Stelle, die Vertretung einer
bestimmten Stufe in der Entwicklung der Pädagogik gebührte,
und doch war sein Einfluss vielleicht grösser, als der irgend eines
pädagogischen Theoretikei-s. In ihm concentrirt<^ sich Manches,
das theils auf einer früheren Stufe der Erkenntniss versäumt, theils
anderweitig schon vorbereitet war. So wurde z. B. die Natürlich-
keit ein Schlagwort von mächtiger Wirkung, weil es einerseits
an die Ciiltur der Leiblichkeit anklang, die bei einer praktischeren
Richtung der Philosophie schon von Spinoza hätte gepredigt werden
können imd die Locke nicht vergessen hatte, anderseits an die
Vemunfterziehung Basedows, die durch den deutschen Rationalis-
mus im Wesentlichen gefördert wurde. „Natürlich** ist im Uebrigen
jede Zeit, die ihre Aufgabe erkennt, und diese Aufgabe war damals
9*
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126 Lange, Heft 4 u. 5.
nichts weniger als ein Rousseau'sches Au^ben der CSvilisation.
In Deutschland hatte sich aus den nie erioschenen Elementen der
subjectiven Mystik einerseits der Pietismus entwickelt, den A. H.
Francke in imposanter Weise pädagogisch vertrat, anderseits der
Rationalismus, der jedoch erst durch sein Zusammentreffen mit
der Wolf sehen Philosophie und mit der französischen Aufklärung
zu jenem breiten Strome wurde, der ganz Deutschland über-
schwemmte. Ihn vertrat in der adäquatesten Form Basedow und
mit ihm der ganze Philanthropismus. Diese beiden Richtungen,
die Franckesche sowie die philantropische begegnen sich in Beför-
derung des Realismus, dessen Ueberhandnehmen dimjh die Bedürf-
nisse des Lebens noch täglich neue Nahrung erhält Als principielle
Vertreter der Bürgerschulen kann man besonders A. H. Francke
und den Prediger Semler zu Halle ansehen; neben ihnen eine
Reihe verdienter Männer aus der ersten Hälfe des vorigen Jahr-
hunderts. — Auch die Volksschule sollte sodann einen be-
sonderen Aufschwung erhalten durch Pestalozzi, der zugleich als
Vertreter des Familienverhältnisses in der Erziehung schon oben
erwähnt wurde. Pestalozzis Wirkung auf die Erziehung war wesen-
hafter und dauernder, als die seines Vorgängers. Sein Streben
statt des Scheinwissens ein achtes, statt eines Wustes unverarbei-
teter Kenntnisse die wahren Elemente und durch diese eine un-
trügliche Methode zu finden, erinnert schlagend an Kants Unter-
nehmen auf dem Boden der Philosophie. Und in der That, um
hier Zusammenhänge anzunehnien, muss man sich nicht dadurch
beirren lassen, dass Pestalozzi die Kant'sche Philosophie niemals
studirt hatte. Die gewaltig treibende Kraft seiner Liebe zum Volk
hatte Pestalozzi zum Pädagogen gemacht; sein Ideal schwebte ihm
anfangs so undeutlich vor, dass er sich freute über jede Hülfe
zur Verdeutlichung und allmählich kam eine solche Menge viel-
seitig gebildeter Männer mit ihm in Berührung, dass er in der
That der treibenden Feder eines Uhrwerks zu vergleichen ist,
dessen Gang ein mannigfaches Räderwerk regelt Am eigenthüm-
lichsten gehört ihm eben seine Hervorhebung der Familiener-
ziehung, und wenn auch die stille Wirkung derselben weniger
öffentlich beachtet wurde, als seine übrigen Leistungen, so ist sie
vielleicht nur um so tiefer gegangen.
So wären denn auch die Hauptmomente einer angewandten
Pädagogik trotz aller Unbildeu der Zeiten historisch ans Licht
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1894. Über den Zusammenhang der Erziehungsßysteme etc. 127
getreten, einer organischen Synthese noch harrend. — Es ist ab-
sichtlich geschehen, dass wir Herbarts in dieser Untersuchung
keine Erwähnung gethan. Ueber das System dieses Mannes ist
noch nicht abgeschlossen.
Die Gegenwart mit ihren Arbeiten luid Aufgaben tritt hier
in unmittelbare Verbindung mit dem bereits Geleisteten. Diese
Aufgaben sind gross, in der Theorie wie in der Praxis. Sie be-
dürfen daher eines kleinen Anfangs, stillen Schaffens und schwei-
gender Aufmerksamkeit auf die Zeichen der Zeit Die Geschichte
der Pädagogik aber ist das Thor, durch das die Wissenschaft
selbst in den Kreis der grossen Wissenschaften einzig wieder
einen würdigen Einzug halten kann.
Bonn, den 24. Oktober 1855.
Fr. Albert Lange.
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Condorcet's Ideen zur Nationalerziehung.
Ein Schulgesetzentwurf vor hundert Jahren.
Von
Dr. Paul Natorp,
Univoreitfitfi-Professor in Marburg.
,^eder, der als Mensch geboren, ist zu demselben vornehm-
sten Zweck geboren: Mensch zu sein." Dieser Satz der Didactica
magna, als Grimdsatz aufgestellt, um das uneingeschränkt allgemeine
Recht auf Bildung „zu allem Menschlichen" darauf zu gründen,
scheint er nicht die „Erklärung der Menschenrechte" vorauszu-
verkünden?
In der That, nii^end in der seitherigen Geschichte finden
Comenius' organisatorische Forderungen für das Bildungswesen
genauere Analogien, als in den grossen schulpolitischen Entwürfen
der französischen Revolution. Dieselben Grundgedanken begegnen
uns da: streng allgemeiner, auf den unteren Stufen auch gemein-
samer und inhaltlich gleicher Unterricht für die ganze Nation,
gemeinsam und gleich auch für beide Geschlechter; Aufhebung
jedes Klassenvorrechts in Bildungssachen, indem nicht, wer mehr
aufwenden kaim, von Anfang an eine bessere, auf höhere „Zielleistun-
gen" hinaussehende, höhere „Berechtigungen" gewälu'ende Bildung
beanspruchen darf, sondern die gleichen Bildungswege Allen ohne
Unterschied des Standes und Vermögens, lediglich nach dem Masse
der Befähigung offen stehen, die allemal höhere Stufe imr dem
zugänglich ist, der die unteren zuvor ordnungsmässig durchlaufen
hat; dem St<jff nach möglichst allseitige Gestaltung gerade des
grundlegenden Unteiiicht«, damit jeder besonderen Begabung Ge-
legenheit geboten sei, sich rechtzeitig kundzugeben und die ihr an-
gemessene Entwicklung zu finden; daher Berücksichtigung auch der
Bildung zur physischen Arbeit; endlich Einführung einer allge-
mein(»n, vom religiösen Bekenntnis unabnängigen sittlichen, des-
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1894. Natorp, Condorc^t's Ideen zur Nationalerziehung. 129
gleichen \nrtsehaftlichen, rechtliehen, politischen Unterweisung, als
für Alle gleich unerlässlich.
Ob hier ein Einfluss des Comenius vorliegt, und wie dieser
vermittelt ist, oder ob selbst ohne einen solchen das gleiche sichere
Veitrauen auf di(» Macht der Vernunft im Menschen zu den
gleichen demokratichen Folgenmgen in der Bildungsfrag(* gefuhrt
hat, wäre wohl der Untersuchung wert; zunächst ist gewiss die
erstere Annahme die wahrscheinlichere. Hier soll darauf nicht
weiter eingegangen, sondern nur ein(»r jener Entwürfe, der zugleich
hochsinnigstc», wissenschaftlich durchdachteste und für die Bildimgs-
fragen unserer Zeit belehrendste, vorgeführt wei-den, der des be-
rühmten Mathematikers, Encyklopädisten und Girondistenführers
Condorcet, der Nationalversammlung vorgelegt am 20. und 21.
April 1792.
Die Forderimg einer umfassenden Organisation der „National-
erziehung** gehört zum eisernen Bestand des revolutionären Pro-
gramms. Eine Reihe darauf zielender Entwürfe ist schon vor
dem Ausbruch der Revolution zu verzeichnen, wie ja alle ihre
Hauptideen lange vorher fertig waren. Noch sehr bescheiden ver-
langt der durch Rolland 1768 dem Parlament vorgelegte Bericht
(Compte rendu ou plan d'<^ducation ) für jeden Franzosen, selbst
für den Handarbeiter, „eine gewisse" Bildung, d. h. wenigstens
Lesen und Schreiben. Helvetius und Diderot arbeiteten in den
siebziger Jahren theoretische Ent^^ürfe in ziemlich radikaler Rich-
tung aus. Endlich Turgot stellt in dem duixjh Dupimt de Nemom-s
nach seinen Weisungen etwa 1775 ausgearbeit<*ten Verfassungs-
entwurf Foi-derungen für das l^nterrichtswesen, die denen seines
Freundes und (iesinnungsgenossen Condorcet begiviflich sehr nahe
stehen. Nur zehn Jahre, meinte Turgot, brauche das von ihm
angestellte System in Wirksamkeit zu sein, um die Nation auf
eine Stufe zu erheb(»n, dass sie nicht wiederzuerkennen sei.
Die Revolution gab der so in allen Edlen schcm lebendigen
Begeisterung für die Sache der Nationalerziehung neue Nahiiuig;
schien sie doch bemfen, jene Idee aus dem Stadium des frommen
Wunsches und der akademischen Erörterung in das der organisa-
torischen That überzuführen. Die Forderung Rousseaus, die Volks-
souveränität, war mit einem vSchlage zur Anerkennung gelangt;
man gab sich keiner Täuschung darüber hin, dass sie, samt Frei-
heit und (ileichheit, ein le(T(\s Wort blieb, so lange nicht der
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130 Natorp, Heft 4 ii. 5.
ganzen Nation auch der Anteil an Bildung verliehen war^ der
allein sie in stand setzte ^ die ihr zugebilligten Rechte in Besitz
zu nehmen und sie zu ihrem Heil, nicht zu ihrem Verderben zu
gebrauchen.
So formuliert die Konstitution vom August 1791 unter ihren
Grundartikeln die Forderung: ,,E6 soll ein öffentlicher Unterricht
geschaffen und eingerichtet werden, gemeinsam für alle Bürger,
unentgeltlich für die allen Menschen unerlasslichen Unterrichts-
gegenstande; die dafür bestinmiten Anstalten sollen in einer der
Einteilung des Königreichs entsprechenden Anordnung stufen-
massig verteilt werden/' Kaum einen Monat später legt bereits
TaUeyrand einen umfassenden Organisationsplan der Konstituieren-
den Versanmilung vor. Er bezeichnet klar den Nationalunterricht
als notwendige Ergänzung ziun allgemeinen Stimmrecht Die Un-
gleichheit soll von Seiten der Erziehung zuerst, zwar nicht auf-
gehoben, aber gemildert, die Freiheit des Individuums erst dadurch
begründet werden, dass man ihm ein Bewusstsein, dass man ihm
eine Vernunft giebt Daher sind allenthalben bis zum kleinsten
Dorf Schulen zu errichten. Der Unterricht muss auch dem G^en-
stand nach allseitig sein; jeder muss, zwar nicht alles lernen,
aber die Möglichkeit haben, alles zu lernen. Für den Untenicht
der weiblichen Jugend ist auf gleicher Linie, wie für den der
Knaben, Sorge zu trs^en. Auch Einrichtungen zur Fortbildung
für die Erwachsenen werden ins Auge gefasst
Der Entwurf kam nicht zur Durchberatung und Beschluss-
fassung; die Konstituierende hinterliess die Angabe ungelöst der
Gesetzgebenden Versammlung, welche alsbald Condorcet mit der
Ausarbeitung eines neuen Gesetzentwurfs betraute. Er war ge-
rüstet; seine leitenden Grundsätze hatte er soeben in fünf Ab-
handlungen (Sur Finstruction. publique) in der Biblioth^ue de
l'homme public 1791 — 92 ausführlich dargelegt; es kam nur noch
auf eine knappe, eindringliche Fassung an, die ihm vorzüglich
gelungen ist^)
Die wesentlichen Vorzüge dieses Entwurfs, durch die er
seine zahlreichen Voigänger und Nachfolger überragt, bestehen,
^) Man findet jene Abhandlungen sowie den Entwurf, dem eine ein-
gehende Begründung vorangeht, im 7. Bande seiner durch CJondorcet O'Connor
und Arago herausgegebenen Werke, S. 169 ff.
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1894. Condorcet's Ideen zur Nationalerziebung. 131
abgesehen von der fast mathematischen Strenge und Eleganz des
Aufbaus, in drei Dingen: in der entschlossenen Durchführung der
Idee einer völligen Gleichheit, einer thatsachlichen Aufhebung,
nicht bloss Milderung der Klassenunterschiede im Bildungswesen;
in der Behauptung seiner strengen Unabhängigkeit von staatlicher
wie kirchlicher Gewalt mid Begründung auf die einzige Grundlage
der Wissenschaft und Pädagogik; endlich in der umfassenden
Berücksichtigung des Unterrichts der Erwachsenen, des Fortbil-
dungswesens.
Diesem Manne ist die Gleichheit etwas mehr als ein tönen-
des Wort Er begreift, was so allgemein damals übersehen wurde,
dass die blosse Rechtsgleichheit eine leere, unrealisierbare An-
weisung bleibt, so lange die doppelte Ungleichheit des Besitzes
und der Erziehung ungeschwächt fortbesteht. Die erstere zwar
hält er für unüberwindlich; aber eine grössere Ausgleichung des
Besitzes, meint er, werde sich eben dann ergeben, wenn die gleichen
Bildungswege ohne Rückhalt Allen, einzig nach dem Masse der
Befähigung, erschlossen werden. Gesetze vermögen die Gleichheit
nicht zur Wahrheit zu machen, Bildung allein vermag es. Ihre
möglichste Verbreitimg wird, so glaubt er, nicht allein den Port-
schritt der Wissenschaft und damit der Technik in ungeahntem
Masse beschleunigen, sondern ihn zugleich für immer weitere
Kreise nutzbar machen und so von selbst dahin wirken, die Un-
gleichheit zu verringern. Sie wird eine grössere Gleichheit der
Erwerbstüchtigkeit und damit des Besitzes zur Folge haben (Oeuv.
VI 250), während ohne diese Voraussetzung die Wirkung der
freien Konkurrenz die gerade entgegengesetzte sein muss. Das
Elend ganzer lOassen wird nicht mehr möglich sein, der extreme
Vermögensimterschied, der notwendig den Einen in die Gewalt
des Andern bringt, von selbst verschwinden, die Zahl derer, die
für ihre Existenz nicht auf die tagliche Arbeit angewiesen sind,
wird sich so verringern, dass niu* gerade genug Personen übrig
bleiben, um sich ganz den Wissenschaften oder solchen Berufen,
die eine lange Ausbildung fordern, zu widmen (VI 527 ff. 592).
So hält der begeisterte Anhänger von Locke, Smith und Turgot
am Individualismus grundsätzlich fest, ohne der wirtschaftlichen
Ungleichheit ein Loblied zu singen. Allerdings eine völlige Auf-
hebung der sozialen Unterschiede vermag er sich nicht zu denken.
Die Alten, bemerkt er einmal (VII 197), konnten von einer voU-
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182 Natorp, Heft 4 u. 5.
kommoncn (Tlciehheit der Erziehung träumen, ja sie zum Teil
durchführen, aber nur auf der Gnmdlage des Sklaventimis; in
einer Gesellschaft, wo auch die Arbeit freien Mensehen zufällt,
ist eben damit eine Ungleichheit der I^bensstellung gegeben, die
eine völlige Gleichheit der f]rziehimg ausschliesst.
Soweit es aber in den Grenzen dieser allgemeinen Anschau-
ung möglich ist, macht er Ernst mit der Beseitigung jedes Klassen-
\oiTechts im Bildungswesen. Die durchs Ges(»tz ausgesprochene
Gleichheit der politischen Kechte kaim allein zur Wahrheit werden
durch einen öffentlichen l^nteriicht, der möglichst gleichmässig
und allgemein, zugleich möglichst vollständig ist; der Allen die
für Alle mögliche, allen Befähigten die höhere Erziehung bietet.
Gemeingut muss zum wenigsten die Bildung sein, die einen jeden
in den Stand setzt, seine bürgerliche Unabhängigkeit zu behaupten ;
deren Mangel ihn der (iewalt des besser Untemchteten schutzlos
preisgäbe. Ohne das bleibt die Gleichheit ein trügerisches Wahn-
gebilde und herrscht in Wahrheit eine sehr reelle Ungleich-
heit, indem die Gewalt in den Händen weniger Unterrichteter, die
ununterrichtete Masse ein Sjnelball wüster Agitatoren bleibt.
Weiter ist die Gesellschaft auch schuldig, den zu den einzelnen
Berufsarten vorbereitenden Untemcht möglichst jedem dazu Be-
fähigten zugänglich zu machen, also auch diesen Unterricht mög-
lichst zu vemllgemeinern.
Wenn daher schon die Verfassung die Unentgeltlichkeit für
die erste l^ntemchtsstufe feststellte, so schreibt Condorcet sie für
alle Stufen vor, ausdrücklich in der Absicht, „die Ungleichheit,
die aus dem Besitzunterschied stammt, zu mildern, und die Klassen,
die er zu trennen die Tendenz hat, \mter einander zu mischen"
(Vll 491). Begabte, aber unbemittelte Schüler, sollen überdies,
als dl^ves de la patrie, in eignen (übrigens auch für Andere zu-
gänglichen) Anstalten auf Staatskosten unterhalten werden, um die
höheren I'nterrichtsstufen durchlaufen zu können (21 H. 493). Ohne
solche Massregeln, meint er, würde man zwar auch Gelehrte,
Philosophen, aufgeklärte Staatsmänner haben, aber die Masse des
Volks wird allen ihren IiTtümern ])reisgegeben bleiben, und so,
mitten auf der Höhe der Aufklärung, das Vorurteil die Herrschaft
führen; „man wird immer zwei Völker haben, verschieden an
Bildung, Sitten, Charakter und politischer Überzeugung." -~ Fast
dasselbe hat einst Plato als die unausbleibliche r^olge der gn>ssen
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1894. Condorcet's Ideen zur Nationalerziehung. 1-58
Besitzungleichheit, der Entblössui^r der Arbeitenden vom Benitz
der Arbeitsmittel, erkannt; wir haben uns überzeugt, wie auch
Condorcet sich auf den Einfluss dieses letzten Gnmdes der Un-
gleichheit auf Schritt und Tritt hingewiesen sah. Es ist der I^unkt,
wo er über den Liberalismus fast schon liinaus mid dem Sozialis-
mus ganz nah ist.
Das Sti-eben nach nir>glichster Ansgleichimg der sozialen
Untei*schiede bestiunut nun auch seine sehr beachtenswert<»n Vor-
schläge inbetreff des Unterrichts der Erwachsenen. Denen vor-
züglich, die, durch Armut verhindert, einen über die untersten
Stufen hinausgehenden Unterricht nicht geniessen durften, sollen
zum Ersatz allsonntägliche Untemchtsstunden geboten werden, an
denen alle Erwachsenen, Vollzugs weise die heranwachsende, nicht
mehr die Schule besuchende Jugend unentgeltlich teilzunehmen
berechtigt ist; also eine organisiert!» Fortbildungsschule, ange-
schlossen an sämtliche vorhandenen Untemchtsanstalten , zuei*st
und hauptsächlich die der beiden ersten, etwa unserer Volks- und
Bürgerschule entsprechenden Stufen. Dieser Unterricht soll m"cht
bloss dazu dienen, die in den entsprechenden Schulen gewonnenen
Keimtnisse zu befestigen, sondern sie in jeder Richtung weiterzu-
führen, .sowohl in gemeinnützigen (jcgenständen aus dem natur-
wissenschaftlich-t(»chnischen Gebiet, als in den Grundlagen der Ge-
sundheitspflege, der Moitü, der Staats- und Rechtskunde, endlich
— ein besondei's glücklicher Gedanke — in den Element<»n der
Erziehungslehre. Vonuissetzung dazu wäre eine sehr gründliche
und umfassende Lehrervorbildung; über dieses erst wesentliche Er-
fordernis geht (.Nmdorcet offenbar zu leicht hinweg. Er glaubt, es
genügten zu seiner Absicht gute Hülfsbücher, die dem Lehrer in
die Hand gegeben werden; aber mit den besten Büchern und
sonstigen Hülfsmittelu wäre offenbar nicht geholfen ohne eine grosse
Selbständigkeit des Lehrei*s, die nur dni'ch gi'ündliche Vorbildung
erreicht wei*dc»n kann. Kür die höh(»ren Lehnuistalten schlägt
Condorcet, ausser (ebensolchen bloss für Erwachsene bestimmten
öffentlichen L(»hrstunden, noch die einfache Eim*ichtung vor, däss
an den gewöhnlichen Unterrichtsstunden der einzelnen Fächer
jeder Erwachsene (ohne Verpflichtung die Aufgaben mitzumachen)
teilnehmen darf.
Ohne Zweifel hat die Oi-ganisation des Untemchts der Er-
wachsen(»n eine gi-osse Zukunft. Wie inuner man über das Ideal
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134 Natorp, Heft 4 u. 5.
des Ausgleichs, ja der völligen Gemeinschaft des materiellen Be-
sitzes denken mag: dass eine möglichst weitgehende Gemeinschaft
des geistigen Besitzes der Nation nicht ein utopisches Ideal, son-
dern eine unumgängliche Notwendigkeit ist, wenn es überhaupt
eine Nation geben soll, dürfte nachgerade von allen Seiten zuge-
standen sein. Wir haben nun zwar Fortbildimgsschulen, hier und
da selbst obligatorisch für die Heranwachsenden. Aber dass sie
dem vorhandenen Bedürfnisse in keiner Weise genügen, darüber
herrscht wohl kaum Meinungsverschiedenheit Die in England,
Nordamerika, Australien und anderwärts mit gutem Erfolg ins
Werk gesetzte, täglich wachsende Bewegimg für ,, Ausdehnung
des Universitätsunterrichts" versucht dieselbe Au%abe in wirk-
samerer Weise zu lösen. ^) Und schon wäre eine wenn auch bis
jetzt nicht grosse Partei deutscher Hochschullehrer bereit, diese
Einrichtung, mit den durch die Eigenart unserer Zustände
bedingten Änderungen, auf heimischen Boden zu verpflanzen.
Allein, denken wir uns auch alle die Schwierigkeiten glücklich
überwunden, die sich der kräftigen und allgemeinen Durchführung
einer solchen Einrichtung gerade bei uns entgegenstellen werden,
immer bliebe sie, selbst bei so umfänglicher privater oder öffent-
licher Unterstützung, wie man sie heute kaum zu träumen wagt,
eine vereinzelte, unregelmässig und ungewiss wirkende Massregel.
Ein Gutes würde sie immerhin stiften: sie würde den Universi-
täten und sonstigen Hochschulen die ihnen zur Zeit fast aus den
Augen entschwundene Aufgabe der Nationalbildung mahnend ins
Gedächtnis rufen; sie würde die Lehrer der höheren und höchsten
Stufe an den Gedanken einer Verpflichtimg gegen die gesamte
Nation, nicht bloss gegen den verschwindenden BmchteU, der in
der bevorzugten Lage ist, ihren Unterricht aufsuchen zu können,
wieder gewöhnen. Allein die thatsächliche Wirkung auf die Er-
höhung des Bildungsstandes der Nation würde immer eine gering-
fügige bleiben. Nicht leicht aber ydrd man sich ein System aus-
denken können, welches eine zugleich einfachere und umfassendere
Möglichkeit der Fortbildung für alle einer solchen bedürftigen
Erwachsenen böte, als das von Condorcet vorgeschlagene. Selbst
die schon bezeichnete Schwierigkeit: das Erfordernis einer weit
•) Vgl. den Artikel „Volkshochschulen" in den M.M. der CG. 1893
S. 78 ff. Die Schriftleitung.
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1894. Condorcet*ft Ideen zur Nationalerziehung. 135
höheren als der bisherigen Lehrerbildung, ist an sich nicht un-
überwindlich; ja es darf ein besonderer Vorzug dieses Systems
genannt werden, dass es Anforderungen an die Bildung des Volks-
lehrers stellt, deren Erfüllung ihn erst auf eine dieses schonen
Namens ganz würdige Höhe stellen würde; dass ^s nötigen würde,
den Volksschullehrer mindestens zu der Stufe der Allgemeinbildung
zu erheben, die heute vom Geistlichen verlangt wird. Merkwürdig
ist, dass Condorcet nicht darauf gekommen ist, die Lehrer der
höheren Stufen für die Volksbelehnmg mitheranzuziehen. Das Zu-
sammenwirken der Lehrer aller Kategorien an derselben grossen
Aufgabe und eine entsprechende Gemeinsamkeit oder doch enge
Verbindung ihrer pädagogischen Vorbildung würde weitere unbe-
rechenbare Vorteile mit sich bringen, es würde vor allem dahin
wirken, den jetzt so verderblichen Einfluss des Standes- und
Klassenvorurteils auf imser Bildungswesen zu verringern und end-
lich ganz zum Verschwinden zu bringen.
Man kann heute nicht lunhin, bei dem allen vorzüglich an
die Aufgaben der Arbeiterbildung zu denken. Es bestätigt von
neuem den ScharfbUck Condorcets für die soziale Seite der Bil-
dmigsfrage, dass auch er dies Ziel hauptsächlich ins Auge fasst
Er geht von der Ansicht aus, dass gerade die Handarbeit eines
Gegengewichts in gehaltvoller geistiger Beschäftigung dringend
bedarf. Diese hat für den Arbeiter ganz so die Bedeutung der '
Erholung, wie körperliche Anstrengung für den vorzugsweise geistig
Beschäftigten. Gerade der Industriearbeiter wird dazu lebhaftes
Interesse mitbringen, vielleicht mehr als der mit Bildung schon
übersättigte Sohn der besitzenden Klassen. An sich fördert gerade
die grössere Einfachheit der Lebensweise den natürlichen Einklang
des leiblichen, seelischen und geistigen Lebens (344). Allein die
höhere Entwicklung der Industrie zwingt zu immer weitergehender
Arbeitsteilung, sodass für den Einzelnen zuletzt nur rein mecha-
nische Verrichtimgen übrig bleiben, die keinerlei geistige Anregung
bieten; so würde die Vervollkommnung der Technik für einen
grossen Teil der Menschen zu einer Ursache der Verdummung
werden; sie würde eine Menschenklasse erzeugen, unfähig sich über
die gröbsten Interessen zu erheben; sie würde eine erniedrigende
Ungleichheit nach sich ziehen, die zu einer Saat beständiger, ge-
fährlicher Unruhen wird, wenn nicht ein starkes Gegengewicht
in einer ausgedehnteren Erziehung geschaffen wird, die gegen die
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1H6 Natorp, Heft 4 u. 5.
iiim*ttbart» Wirkung der Eintönigkeit der täglichen BeHchäftigung
kräftige Hülfe bietet (463). Die Wecknng geistiger Interessen
wird den Arbeiter anregend beschäftigen, ihm reinere Sitten, rich-
tigeren Verstand, gesunderes Urteil beibringen. Der freie Mensch,
der sich selber leitet, bedarf mehr der Anfklänmg, als der Sklave,
der sich der Fühnmg Anderer übcrlässt. l^^indet man nicht den
Weg, die Massen aufzuklären, so sind alle Anstrengungen ver-
geblich. Nur der Moment des Übergangs bietet Schwierigkeiten;
denn man möchte das Volk in l^nwissenheit erhalten, um es besser
zwingen zu können (388 f.). — Auf die Bedeutung dieser E^rwägungen
für unsere Zeit braucht wohl nicht erst aufmerksam gemacht zu
werden. Leider sind wir, trotz so dringender Mahnungen, wie
die Ereignisse jedes Tages sie an ims richten, von durchgreifenden
Massregeln zur Höherbildung der arbeitenden Klassen noch weit
entfernt, obgleich weder die starke Nachfrage auf Seiten des
Arbeiterstands länger bestritten werden kann, noch etwa an ver-
wendbaren Kräften auf seiten der höher gebildeten Schichten
Mangel ist. Es ist fast die letzte Hoffnimg, dass endlich der
Zwang des \V(»ttbewerbs mit den Nachbarvölkern uns über die
Notwendigkeit einer besseren Arbeitcrbildung gründlicher aufklären
wird, als die sonnenklarsten theoretischen Griinde es vermögen.
Zu wenig beachtet, obwohl nicht ganz vergessen ist bei
(/Ondorcet die Arbeit selbst als ein Faktor imd zwar ein
(inmdfaktor aller Bildimg, ihr wesentlicher Einfluss auf die leib-
liche und sittliche Ausbildung des Individuums wie die gesunde
(lestaltung des gesamten sozialen Emähnmgsprozesses. Darin
steht die klassische deutsche Pädagogik : Pestalozzi, Fichte, selbst
Schleiermacher auf höherer Stufe. Diese Männer begriffen ganz,
dass ein(» wahre Nationalerziehung sich nicht anders als auf dem
(irunde d(T Arbeitsbildung aufbauen kann. Condorcet ist hier
noch in der einseitigen Schätzung der Kopfbildimg befangen, die
das Erbteil des Aufklärungszeitalters war.
Dagegen bewährt sich sein Sinn der Gleichheit wieder aufs
best<» in der gnmdsätzlichen Forderung der gleichen und wenigstens
für die ei-stc Stufe auch gemeinsamen Bildung beider Geschlechter.
Die Frau bedarf der gleichen Bildimg wie der Mann, 1. um auf
gleicher Linie mit ihm für die Erziehung der Kinder ausgerüstet
zu sein, 2. um die Ungleichheit in der Familie (zwischen den
Eheleuten, den Geschwistern, zwischen Mutter und Sohn u. s. f.)
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1894. Condorcet's Ideen zur Nationalerziehung. 137
zu beseitigen, 8. die Gemeinschaft unter den Ehegatten zu fördern,
4. ganz an und für sich, weil nun einmal beide gleiches Recht
anf Bildung haben (218 ff.). Ursprünglich dacht<» sich wohl Con-
dorcet den Unterricht auch auf allen Stufen gemeinsam. Der
Verein der Geschlecht^T im Unterricht scheint ihm nicht bloss
unbedenklich, sondern in mancher Hinsicht sogar höchst förder-
lich; die Trennung ist für die grosse Masse des Volkes auch im
übrigen Leben nicht vorhanden, und in den oberen Standen hat sie
nicht etwa sittliche, sondern zum Teil recht unsittHche Gründe,
wie die Besorgnis vor Mesalliancen. Sein Gesetzentwurf bleibt
jedoch hier bei sehr bescheidenen Fordenmgen stehen; er ver-
langt lediglich Teilnahme der Mädchen am Unterrichte der ersten
Stufe imd fasst auch da die Gemeinsamkeit des Unterrichts nur
für solche klemere Orte ins Auge, wo nur eine Schule unterhalten
werden kann.
Eigenartig und bedeutend ist ferner die gnmdsätzlich strenge
Durchführung der Unabhängigkeit der gesamten Unterrichtsver-
waltung von der öffentlichen G(^walt. Nicht nur sorgt sein Ent-
wurf auf jede Weise für eine anständige soziale Stellung des I^h-
rers ; nicht nur sichert er ihm volle Unabhängigkeit der politischen
Thätigkeit zu, sondern die ganze Schulverwaltung, wie Condorcet
sie plant, ist eine nach jeder Richtung selbständige; das Schul-
wesen wird in hr>chst kühner und ongineller Weise ganz auf eigene
Füsse gestellt. Jede höhere Stufe des I^hrstandes wählt entwed(T
geradezu die Lehrer der folgenden Stuf(»n, nämlich jede der vier
Ivlassen der „Xaticmalgesellschaft der Wissenschaften und Künste'^
(Akademie) die Lyceal- (Hochschul-) Professoren d(T (entsprechenden
Fächer, diese (Ho Professoren der Institute (höheren Schulen); oder
sie bestimmt wenigstens di(» leiste der Wählbaren, nämlich die In-
stitutsprofessoren für die Sekimdär- und Primärschulen (Elementiir-
schulen höherer und niederer Ordnung), während die Wahl im
ersteren Falle den G(Mueinden, im letzteren den Familien vorständen
zufällt. Ebenso steht die Aufsicht über die Schulen einer jeden
Ordnung den Professoren der nächst höheren Ordnung zu. Da
die centrale Behöi'de, die Nationalgesellschaft, sich mit völliger
Freiheit selbst ergänzt, so ist damit das ganze System auf eigene
(inmdlagen gestellt, einzig der öffentlichen Meinung verantwortlich,
deren Kontrole nach Condorcets Meinung auch genügt. So soll die
Denkfreiheit unverkürzt bleiben, d\v Bildungsangelegcnheiten von
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138 Natorp, Heft 4 u. 5.
den wechselnden politischen Einflüssen, von der Vormundschaft
der Unbildung, von der Herrschaft der besitzenden Klassen frei
erhalten werden (498 Anm. 512 ff. 321). Eine ziemlich weit-
gehende Lehr- und Lemfreiheit (320. 322) soll in gleicher Rich-
timg wirken.
Vollends die bedenklichste Antastung der persönlichen Frei-
heit, ja eine wahre Tyrannei würde Condorcet darin sehen, wenn
der Staat, nach den extremen Vorschlagen damaliger Revolutionäre,
die ganze Erziehung der Bürger selbst dem Inhalt nach bestimmen,
wenn er die politische, moralische, religiöse Überzeugung autori-
tativ vorschreiben wollte. Die religiöse Unterweisung soll ganz
der Familie überlassen bleiben, die Moral völlig von Religion
unabhängig und nur so weit gelehrt werden, als sie beweisbare
Wahrheiten enthält; die Verfassung soll einen Gegenstand des
Unterrichts zwar bilden, aber sie soll nur als thatsächüch geltend
mitgeteilt und erklärt, nicht als ewige Vemunftwahrheit, als eine
Art politischer Religion, als „Tafeln, die vom Himmel gefallen
sind, die man anbeten und an die man glauben muss" (455) über-
liefert werden. „So lange es noch Menschen giebt, die nicht aus-
schliesslich ihrer Vernunft gehorchen, die ihre Meinungen auf
fremde Meinung hin annehmen, hätte man umsonst alle Ketten
zerbrochen, umsonst auch würden die autoritativen Meinungen
nützliche Wahrheiten sein; das Menschengeschlecht bliebe nichts-
destoweniger in zwei Klassen geteilt: die, welche ihre Vernunft
gebrauchen, und die, welche glauben; Herren imd Sklaven.** Mit
der ganzen Kraft seiner Beredsamkeit tritt er besonders für die
strenge Unabhängigkeit des Moralunterrichts von jeder besonderen
religiösen Lehrmeinung, überhaupt gegen jeden Anteil des öffent-
lichen Unterrichts an der letzteren ein (besonders 203 ff., 483 ff.).
Meint man selbst, dass die Moral der Stütze der Religion bedarf,
so will man doch nicht sagen, die Wahrheit der sittlichen
Grundsätze hänge vom religiösen Dogma ab; man meint vielmehr
nur, die Religion biete mächtigere Beweggründe, um rechtschaffen
zu sein. Nun denn, lasse man diese Beweggründe (durch den
Gottesdienst) ihre ganze Kraft entfalten; sie werden darum nicht
geringere Wirkung thun, weil sie nur verstärken, was Vernunft
und innerer Sinn ohnedies gebieten (vgl. 254). Als unerlässlich
könnte man höchstens die gemeinsamen Bestandteile aller Religion,
den Glauben an ein höchstes Wesen und die religiösen f^mpfind-
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1894. (V)ndorcet'8 Ideen zur Nationalerziehung. 139
ungen gegen dieses in Anspruch nehmen, nicht die religiösen
Mythologien. Aber auch das Erstere einzuräumen trägt er Be-
denken ; die deistischen Philosophen oder Vertreter der natürlichen
R(»ligion . sind über den Begriff Gottes und seines sittlichen Ver-
hältnisses zum Menschen nicht einiger als die Theologen ; also sei
es am Ende besser, diese ganze Angelegenheit, ohne irgendwelche
äussere Beeinflussung, der Vernimft und dem Gewissen jedes
Einzelnen zu überlassen.
Diese Ansicht ist bekanntlich in der Schulgesetzgebung der
dritten Republik zum Siege gelangt; sie zählt auch in Deutschland
viele und achtbare Anhänger. Doch ward man, bei voller An-
erkennung ihrer leitenden Gründe, sich ihr anzuschliessen Bedenken
titigen. Indem man das trennende Dogma aus der Schule ent-
fernt, meint man einen wesentlichen Zweck der Schule, die Pflege
des Gemeinsinns, zu fördern. Man übersieht, dass da« Dogma,
aus der Schule verwiesen, nur desto nachdrücklicher ausserhalb
seinen trennenden Eanfluss geltend machen wird, zumal es ^in
solcher Ausweisung nur Feindseligkeit erkennen kann. Man ver-
gisst, dass Religion, wenn überhaupt noch eine thatsächliche Macht,
ihrer Natur nacb einen bestinunenden Einfluss auf das ganze
geistige und sittliche Leben des Menschen beansprucht, folglich
sich dem Ausschluss von einem so wichtigen Lebensgebiet wie
die Schide nur mit aller E^raft widersetzen kann. Also erreicht
man gerade nicht eine Stärkung, sondern nur eine weitere
Schwächimg des Gemeinschaftsbewusstseins. Man verkennt andrer-
seits die sehr entschiedene Wirkung aller echten Religion gerade
auf die Schaffung und Erhaltung innerer Gemeinschaft. Religitm
hat von jeher nicht die Trennung, sondern die Gemeinschaft
zwischen Mensch und Mensch, ohne jede \veitere Bedingung, ver-
treten. Die christliche Religion zumal, die es vermag, ihren Gott
geradezu durch die Liebe, d. i. die Gemeinschaft, zu definieren,
diu'ch^die Gemeinschaft, die wir allein kennen als die Gemein-
schaft zwischen Mensch und Mensch, diese Religion darf man
doch nicht beschuldigen, dass sie wesentlich und notwendig
trennend, nicht einigend wirke. Was trennend gewirkt hat und
fortwährend wirkt, ist das Dogma, nicht die Religion. Giebt es
also irgend eine Möglichkeit, das Dogma aus der Schule fernzu-
halten, ohne die Religion zugleich über Bord zu werfen, so ist
offenbar dies der richtige Weg und nicht die Verbannung der
MoQAtähcfte der Coineiiuis-Gosc'llHchaft. 1894. \()
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140 Natorp, Heft 4 ii. 5.
Religion. Das hießse, nach dem alten, immer noeh zutreffenden
Bild, das Kind mit dem Bad ausschütten.
Gerade Condorcet, meine ich, hätte das einsehen müssen,
stände ihm nicht die persönliche Erfahrung eines edlen f^nflusses
der Religion allzu fem. Er denkt doch nicht daran, die Moral
imd die Politik aus der Schule zu verbannen, trotzdem er sich
gegen ihre autoritative Beibringung, als für die Überzeugimg des
Einzelnen verbindlich, mit so grossem Recht venvahrt Die Schule
darf nicht Überzeugung fordern oder gebieten, sie soll vielmehr
die Kräfte entwickeln und die Mittel an die Hand geben sich
selbständig zu überzeugen. Das gilt gleichennassen für die drei
Gebiete: Moral, Politik, Religion, die alle aus demselben letzten
Quell: Wille und Gemüt des Menschen und zwar des gesellten
Menschen, unter der Leitung selbsteigener Einsicht erwachsen
müssen, wenn sie etwas wert sein sollen. Was immer aus diesem
Grunde naturgemäss henorspriesst, das und nicht mehr darf die
Schide lehren; ,4ehren^, das heisst ja, wie wir seit Plato wissen
sollten, aus dem eigenen Bewusstsein des Zöglings entwickeln,
nicht wie aus einem Gefäss in ein andres einschütten. Was sich
äusserlich mitteilen lässt: die überlieferten, historischen Formeln
der moralischen, der religiösen Überzeugung, die geltenden Be-
stimmungen einer gegebenen politischen Verfassung zu gegebener
Zeit, das soll die Schule zwar mitteilen, aber, wie Condorcet im
letzteren Fall richtig sagt, nicht „als vom Himmel gefallene Tafehi,
die man anbeten und an die man glauben muss", sondern als
etwas, wovon sich zu überzeugen oder nicht in die Freiheit eines
Jeden gestellt ist, immerhin mit der warnenden Erinnerung, es
ernst damit zu nehmen, sich nicht früher, weder für noch
wider, zu entscheiden, als man sich die volle Reife dazu zu-
trauen darf. Die Kenntnisnahme von den wichtigeren religiösen
Lehrmeinungen ist unentbehrlich, schon um die Geschichte, aber
auch lun die Gegenwart in irgend welchem Masse zu verstehen;
aber die Schule soll auch so viel als möglich verständlieh
machen, wie man zu solchen Anschauungen gekommen ist, und
was man daran zu haben glaubt Man sollte in religiösen ebenso
wie in moralischen und politischen Ansichten, die man sich selber
nicht anzueignen vennag, dennoch den Andern verstehen lernen;
nur dann wird die Verschiedenheit der Überzeugimg in diesen so
tief ins Leben greifenden Gebieten nicht das Bewusstsein der
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1894. Condorcet'H Ideen zur Nationalerziehiuig. 14l
Gemeinschaft aufheben, sondern es, wie das unter Freunden oft
der Fall ist, eher starken; denn nichts kraftigt so sehr das Gefühl
des unzerstörlichen Zusammenhangs des Lebens jedes Einzelnen
mit dem Leben Aller, als das Ringen an gemeinsamen Aufgaben
von dieser Tiefe der Bedeutung, und zwar auch, wenn man nicht
in der schliesslichen Entscheidung einig gehen kann. Also auch
das Dogma ist nicht in dem Sinne aus der vSchule zu verbannen,
dass man von seiner Existenz überhaupt absehen dürfte; das wäre
den Thatsachen gegenüber nicht wahr und würde überdies nichts
helfen, da es sich auf anderen Wegen doch, ja dann erst recht
Gehör verschaflFen würde. Dagegen muss der Unterricht aufhören
dogmatisch in dem Sinne zu sein, dass die Überzeugung vom
Dogma Ziel des Unterrichts wäre ^).
Ganz davon zu trennen ist die Forderung eines von Re-
ligion unabhängigen Unterrichts in der Sittenlehre.
Einen solchen hat selbst Comenius, der fromme Zögling der
Brüdergemeinde, verlangt, wie denn Luther und im Grunde alle
grossen Kirchenlehrer die Unabhängigkeit der sittlichen Erkenntnis,
in weiten Grenzen auch des sittlichen Lebens von der Religion
imbefangen anerkannt haben. Auch das Eigentümliche der Religion
selbst wird fühlbarer, wenn die rein human begründete Sittenlehre
in ganzer Unabhängigkeit daneben steht. Hier also wird man
Condorcet nur beitreten können. Auch von der Art des geplanten
Moralunterrichts giebt er (234 flF. 459) eine nicht unrichtige, nur
allzu skizzenhafte Vorstellung.
Zu schroflF erklärt Condorcet: die Aufgabe der Schule sei
Unterricht und nicht Erziehung. Gewiss liegt die Erziehimg
nicht ebenso wie der Unterricht in der Hand der Schule. Aber
wiederum sind die menschlichen Kräfte auch nicht so getrennt,
dass ein richtig geleiteter Unterricht überhaupt ohne Einfluss auf
die Erziehung bliebe, oder umgekehrt eine Erziehung völlig ohne
Verstandesunterrieht auch nur denkbar wäre. Die Schule trägt
demnach immerhin das Ihrige zur Erziehung bei, nicht bloss durch
die Disziplin und den stillen aber sicheren Einfluss der Arbeits-
*) Ausführlicher findet man die Frage behandelt in meiner ^soeben
bei J. C. B. Mohr (P. Siebeckj in Freiburg i. B. eivcheincnden Schrift:
„Religion innerhalb der Grenzen der Humanität. Ein Kapitel zur
Grundlegmig der Sozialpädagogik."
10*
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142 Natorp, Heft 4 u. 5.
gemeinschaft, sondern auch, obwohl mehr mittelbar, durch den
Gehalt des Unterrichts selbst
Wir würden noch Manches auszusetzen finden, wollten wir
auf das Einzelne des Unterrichtsplanes, wie Condorcet ihn ent-
\virft, näher eingehen. Vor allem tritt uns überall eine doch sehr
einseitige Geringschätzung des humanistischen Faktors der Bildung
entgegen, während nach der realistischen Seite von ihm, der ganz
in diesem Gebiete zu Hause ist, gewiss zu lernen wäre. Ich gehe
darauf, wie gesagt, nicht ein, sondern gebe nur noch, um eine
etwas lebendigere Anschauung vom Ganzen seiner Absicht zu
liefern, einen kurzen Abriss seines Systems.
Das gesamte Bildungswesen gliedert sich nach diesem Ent-
wurf in fünf Stuf en. Primärschulen sollen an jedem Ort von
400 Einwohnern errichtet werden. Man lernt darin in vierjährigem
Kursus Lesen, Schreiben, Rechnen, Anfangsgründe der Natiu4cunde
und Ökonomie in enger Beziehung, in den Dorfschulen zum Land-
bau, in den Städten zu Gewerbe und Handel. Die Elemente der
Messkunde und Maschinenkunde sind darin einbegriffen. Dazu
kommt Moral nebst Elementen der Politik.
Eine Sekundärschule erhält jeder Distrikt, überdies jede
Stadt von 4000 Einwohnern. Sie führt den Unterricht in den-
selben Fächern fort, namentlich mit Rücksicht auf die weiter-
gehenden Bedürfnisse des Handwerks und des Handels. Zeichnen,
Geschichte und Geographie Frankreichs und der Nachbarländer
kommt hinzu, der Moralunterricht erweitert sich bis zu den An-
fangsgründen der Sozial Wissenschaft, insbesondere Verfassungs-
kunde. Der Physikunterricht soll auf dieser Stufe bereits die
Höhe erreichen, dass er „das majestätische Ganze des Systems
der Naturgesetze vor unseren Augen enthüllt, enge imd irdische
Vorstellungen von uns fernhält, die Seele zu unsterblichen Ideen
emporhebt, und sich so noch mehr zu einer Schule der Philo-
sophie als zu einer bloss wissenschaftlichen Lehre gestaltet" (2G4).
Eine sehr einfache Logik, nämlich einige Beobachtungen über die
Form des Schluss Verfahrens, über die Natur wissenschaftlicher
Sätze und die Grade der Gewissheit oder Wahrscheinlichkeit,
deren sie fähig sind (266), schliesst sich an den Mathematik- und
Physikunterricht an.
Die dritte Stufe bilden die Institute, deren jedes Departe-
ment mindestens eines erhalten soll. Sie behandeln in vier
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1894. CondorcetV Ideen zur Nationalerziehung. 143
getrennten Kursen, unter denen man nach Bedürfnis und Fähig-
keit wählen, aber auch mehrere oder selbst alle verbinden
darf, 1. Mathematik und Naturwissenschaften: reine Mathematik,
mathematische Physik, Experimentalphysik mid Chemie, Natiu*-
geschichte der drei Reiche; 2. moralisch-politische Wissenschaften :
Philosophie („Analyse der Empfindungen und Begriffe, Moral,
wissenschaftliche Methodenlehre oder Logik, allgemeine Prinzipien
der Staatsverfassungen"), Gesetzkundc nebst Staatsökonomie und
Handel, Geographie und Geschichte; 3. „Anwendung der Wissen-
schaften auf die Künste", nämlich Medizin, Kriegskimst, Techno-
logie, graphische Geometrie; 4. Litteratur und schöne Künste:
allgemeine Theorie der schönen Künste, allgemeine Grammatik,
Latein (niu* ausnahmsweise auch Griechisch), neuere Sprachen nach
lokalem Bedürfnis. Ausführlich rechtfertigt er die starke Bevor-
zugung der exakten Wissenschaften, die Ziuiickstellung der Sprachen.
Ihm will nicht einleuchten, dass das tiefere Studium der alten
Sprachen, der Schönheiten des Stils der Klassiker u. s. w. zu
den Dingen gehöre, deren Kenntnis für jeden Gebildeten, für
jeden, der sich den leitenden Berufen widmet, unerlässlich sei;
die dafür sonst aufgewendete Zeit scheint ihm nicht länger ver-
fiigbar, seitdem es so viel wichtigere Dinge zu lernen giebt. Wir
wollen darüber nicht mit ihm rechten, auch das Urteil über das
System der getrennten Kurse lieber den Praktikern überlassen.
In dieser Allgemeinheit ist das System für uns sicher imverwend-
bar; dagegen liesse sich eine gewisse Annähermig daran jiuch
ohne Bruch mit unsem Überlieferungen wohl denken. Es ist nicht
einzusehen, weshalb nicht ein begabter Gvmnasiast an dem besseren
mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht einer realistischen
Anstalt, ein begabter Realschüler am klassischen Unterricht des
Gymnasiums sollte teilnehmen dürfen. Umgekehrt könnte der
weniger Befähigte bei Beschränkimg auf eine kleinere Zahl von
Fächern wenigstens in diesen Ordentliches leisten, während er
jetzt durch die Vielgestaltigkeit der Anforderungen verwirrt und
gedrückt wird, so dass er schliesslich in keinem Fach mehr etwas
Erträgliches zu stände bringt. Immer aber müsste ein Grimd-
stock gemeinsamen Unterrichts bleiben; die freie Auswahl dürfte
sich nur auf solche Fächer erstrecken, die nicht als allgemein
verbindlich gelten können. Wenn aber, so wäre es denkbar, die
höhere Schule auf einer anständigen Höhe zu erbalten, ja über
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144 Natoq), Heft 4 u. 5.
ihren heutigen Stund in allen wesentlichen Fächern emporzuheben
ohne die gefürchtete Uberbürdung; während man jetzt z. B. in
Preussen die Anfordenmgen fast in allen Fächern ermässigt, da-
durch aber die höhere Schule und damit unausbleiblich auch die
Universität, also überhaupt das ganze Unterrichtswesen um eine
Stufe herabdrückt
Jede der genannten drei Schulen hat einen vierjährigen
Km'sus; sie sollen regelrecht vom neimten bis einundzwanzigsten
Jahre durchlaufen werden können. Die vierte imd höchste Stufe
des Unterrichts bilden die Lyceen. In dieselben vier Klassen
geteilt wie die Institute, umfassen sie in möglichster Vollständig-
keit den ganzen Umkreis der Wissenschaften. Noch über ihnen
steht, als letzte Staffel des ganzen Systems, die National-
gesellschaft der Wissenschaften und Künste, die centrale
Vertretung der nationalen Wissenschaft, der zugleich die Ober-
leitung des gesamten Schulwesens zufällt, ohne dass sie selbst am
Unterricht beteiligt wäre. Sie zerfällt wieder in dieselben vier
Klassen wie die Lyceen und Institute. Sonst entspricht sie in
jeder Hinsicht dem, was wir eine „Akademie" nennen.
Als seine letzte Absicht bezeichnet Condorcet: die Gleich-
heit zu verwirklichen durch Verbreitung der Aufklärung. Wenig-
stens im achtzehnten Jahrhundert, fügt er hinzu, habe er wohl
keinen Tadel deshalb zu besorgen, dass er lieber alles auf eine
höhere Stufe bringen und befreien, als durch Niederhalümg und
Zwang habe gleichmachen wollen. Schliesslich erhebt er sich zu
dem für ihn höchsten Standpunkt der Betrachtung: dem des un-
b^enzten Fortschritts des Menschengeschlechts. ,Jst diese un-
begrenzte Vervollkommnung unserer Gattimg, wie ich glaube, ein
allgemeines Naturgesetz, so darf der Mensch sich nicht länger als
ein Wesen betrachten, das auf ein vorübergehendes und vereinzeltes
Dasein beschränkt, das bestimmt ist, nach einem Wechsel von Glück
und Unglück für sich, Nutzen und Schaden für die, die der Zufall
neben es gestellt hat, zu verschwinden; er wird zu einem thätigen
Glied des grossen Ganzen, zum Mitarbeiter an einem e\\igen Werk.
In einem Dasein eines Augenblicks, an einem Punkte des Kaumes,
vermag er, kraft seiner Arbeit, alle Käume zu umspannen, mit allen
Zeitaltem in Verbindung zu treten und noch lange, nachdem sein
Andenken von der Erde verschwunden ist, zu wirken."
Es ist die Begeisterung desjgrossen geschichtlichen Moments,
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1894. Conclorcot'8 Idoon zur Nationalerziohiing. 145
die ihn zu solch kühnem Zutrauen fortreisst. „Ein jj^lückliches
Ereignis hat auf einmal den HoflFnimgen des Menschengeschlechts
eine unabsehbare Liuifbahn ei*ötfnet; ein Augenblick hat den
Abstand eines Jahrhunderts zwischen den Menschen von gestern
und den von heute gesetzt. Sklaven, zum Dienst oder Vergnügen
eines Herrn abgerichtet, sind envacht und sehen mit Erstaunen,
dass sie keinen mehr haben, empfinden auf einmal, dass ihre
Kräfte, ihr Fleiss, ihre Gedanken, ihr Wille fortan niu" ihnen
selbst gehören ... Es ist nicht die Revolution einer Regienmgs-
form, es ist die Revolution der Überzeugung und des Willens;
nicht den Thron eines Gewalthen'schers stosst sie um, sondern
den des Irrtums und der frei\villigen Knechtechaft ; nicht ein Volk
hat seine Kette zerbrochen, die Freunde der Vernunft in allen
Völkern haben einen gi'ossen Sieg errungen : das sichere Vorzeichen
eines allgemeinen Triumphes . . . Das Reich der Wahrheit
naht; nie ist die Pflicht sie zu sagen dringlicher gewesen, weil
es nie nützlicher gewesen ist; darum müssen, die ihr Leben ihr
geweiht haben, Allem mutig entgegen gehen lernen . . ."
Solcher Glauben gab noch dem Verfolgten, dem als Opfer
der Tyrannei des ,ySchreckens" Fallenden erhabenen Trost und
liess ihn bis zum letzten Atemzug an der hohen weltgeschicht-
lichen Bedeutung der Revolution nicht ine werden. Als Ge-
ächteter in mühsam bewahrter Verborgenheit brachte er noch
seinen kühnen geschichtsphilosophischen Entwiu^ (Es(iuisse d'un
tableau historique des progr^ de Pesi)rit humain, Oeuv. VI) zu
Papier, dessen stark imgeschichtlicher Charakter durch die Umstände
seiner Entstehung doch einigermassen erklärlich wird. Endlich
auch in seinem Versteck nicht mehr sicher, begab er sich auf
unstete Irrfahrt, wurde jedoch bald aufgefunden und als verdächtig
festgenommen. Ein rascher, wie angenommen wird, selbstgcsuchter
Tod im Kerker am 28. März 1794 ersparte der Revolution für
diesmal die Schande, einen ihrer glühendsten, hochsinnigsten
Gläubigen in mibegreiflicher Verblendung hingemordet zu haben.
Sein Ent\vurf blieb, gleich so vielen nachfolgenden, ohne prak-
tische Folge. Verdient er daioim, ja verdient die ganze Schulpolitik
der Revolutionszeit die harten Vorwürfe, die man wider sie ge-
schleudert hat?i) Es ist hier nicht vom politischen Standpunkt
*) fc). bes. Alb. D u r u y, L'instnictioii publique et la r^volution, Paris 1882.
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146 Natorp, Condorcot's Ideen etc. Heft 4 ll. 5.
darüber zu urteilen. Jedenfalls für die Geschichte der pädagogi-
schen Ideen bleibt diese Zeit und bleibt insonderheit Condorcet
hoch wichtig. Hat doch die dritte Republik fast in jeder Hin-
sicht auf die Entwürfe dieses Zeitalters, nicht zuletzt auf Condorcet^
ziuückgegriffen und manche seiner Gedanken mit unstreitigem
Erfolg in die Wirklichkeit übertragen. Aber auch munittelbar ist
ihre Fortwirkung wohl zu spüren. Deutschland hat die Idee der
„Xationalerziehung*^ aufgenommen, fast von dem Augenblick an,
wo in Frankreich das Todesurteil über sie gesprochen schien.
Name und Begriff begegnet bei Pestalozzi schon vor der Revo-
lution; selbst in einem preussischen Ministerialbericht von 1799
taucht er auf; und in Fichtes Reden an die deutsche
Nation erreicht er seinen Höhepunkt.
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Thomas Carlyle
und der Umschwung der Gesellschaflsauffassungen des
englischen Volkes Im 19. Jahrhundert.
Von
Lic. theol. Friedrich Hummel.
Wer der Losung ,yMeiischenbildung und Volkserziehung^*
folgt, wird nicht fernab vom Schauplatz den thätigen Lebens einem
lehrhaften Wissenschaftsbetrieb huldigen, sondern, so oft er kann,
auf die buntbewegten .Pfade der Menschen- und Völkergeschichte
treten. Er wird auf alle Kräfte des Volkslebens achten, welche
als Mitbildner für seinen Zweck in Betracht kommen. Wenn er
dann innerhalb eines bestimmten Volkes und in einem überseh-
baren Rahmen die B(»deutung und Einwirkung dieser Mitbildner
besonders eigenartig vor Augen gestellt sieht, so wird er diesem
Bilde besondere Aufmerksamkeit zuwenden. So geht es heute
manchem in Beziehung auf England Die Eigentümlichkeit des
englischen Volkes ist so ausgeprägt, die politischen und gesell-
schaftlichen, vornehmlich aber die geistigen Bewegungen sind so
lehrreich, dass wir ein Recht haben, gerade auch von dem Boden
unserer Bestrebungen aus in jenes Feld hinüberzublicken. Eben-
dort lässt sich im einzelnen die Probe» dafür schauen, wie ein
umfassendes Bildungsstreben auf private und auf (iemeinschaftshilfe
sich stützen, wie es mit dem Genossenschaftswesen Fühlung haben,
imd wie es die verschiedenartigsten Kräfte und Kreise in den
Dienst am grossen „Tempel der Weisheit und Liebe" nehmen
kann. Oder bet<men wir ausdrücklich die sittliche Seite, welche
in unserem Eintret<Mi für Menschenbildung und Volkserziehung
enthalten ist, so ist es doch wohl die Bekämpfung der Selbst-
sucht, was den innersten Trieb im Leben der Einzelpersönlichkeit
wie in dem Leben des Volkes ausmachen soll. Nun aber sehen
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148 Hiuiimol, Heft 4 u. 5.
wir dort ein Land, wo deutlieher als andenviirts die Losung
fruchtbar geworden ist: Heraus aus Eigennutz und Schlaff-
heit zur Arbeit an Menschenwohl und Menschenbildung!
Darum thun wir wohl, auf diese Thatsache zu achten.
Mit solchen Gedanken betrachten wir einige Blätter aus dem
klar und tief angelegten, hochbedeutsamen Werk des Professor
Dr.Gerhard von Schulze-Gävernitz „Zum sozialenFrieden.
Eine Darstellung der sozialpolitischen Erziehung des englischen
Volkes im neunzehnten Jahrhundert" (2 Bde. Leipzig, Verlag
von Duncker und Humblot. 1890.) Wir entnehmen demselben
einige hauptsächliche, mit unseren Besti'ebungen sich berührende
Gedankenreihen.
Durch die Einführung der Grossindustrie war die Umge-
staltung der englischen Gesellschaft in den ersten Jahrzehnten
unseres Jahrhunderts vollendet worden. Jene hatte zunächst die
alte gewerbliche, dann die politische und soziale Gesellschafts-
ordnimg ins Wanken gebracht. Der Kampf um die Macht ent-
brannte zwischen der bisherigen Aristokratie und der neu auf-
kommenden Grossindustrie. Die Demokratisierung der Verfassung
fand in der Reformbill des Lord Rüssel (1831) ihren Stützpunkt.
Die „klassische Nationalökonomie" der Smith, Ricardo und
Malthus aber hatte die Wirkiuig, die Herrschaft der Arbeitgeber
zu begründen. Man dachte sich da die Menschen ausschliesslich
von egoistischen Trieben, dem Erwerbstrieb und dem Geschlechts-
trieb, beherrscht und in eben diesem Stück alle ganz gleichartig.
Deswegen erwartete man von der Freigebimg des Wettbewerbs
die schönste gesellschaftliche Harmonie; man fasste eine Ein-
mischung in das Arbeiterwesen als EingriflF in das „Eigentiun des
ai*men Mannes" und hielt schliesslich gar die Unterstützung der
Armen für zweckwidrig, weil durch sie die „überschüssige Be-
völkerimg** aufrecht erhalten werde. Eine solche Denkweise musste
die oberen und unteren Klassen in der Tiefe trennen. „Zu keiner
Zeit imd an keinem Ort haben Besitz imd Bildung — und zwar
bona fide — ihre Pflichten gegenüber den unteren Klassen in
gleicher Weise abgelehnt wie die Mittelklassen des englischen
Volkes in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhimderts" (I. S. 4i)).
Eine äusserliche imd innerliche Entartung der Nation di^ohte. Der
Klassenkampf loderte wild auf. In den dreissiger Jahren erstand
die erste sozial-revolutionäre Arbeiter|)artei auf dem Boden Eng-
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1894. Thoniai* Carlylo und der UniHchwung etc. 149
lands, die der Chaiiisten. Die Uiinihen wiii*den so stark, dass
Engels in seinem Buch über die Lage der englischen Arbeiter
(1848) „einen Kiieg der Armen gegen die Reichen" pi^ophezeite
und meinte, das Jahr 1852 oder 1858 als das Jahr seines Aus-
bruchs bezeichnen zu können. Eine friedliche Lösung schien kaum
mehr möglich.
Aber schon bahnte sich eine bessere Zukunft an. Infolge
der Erhebung des Ai'beiters zu gesellschaftlicher und politischer
Gleichberechtigung mit den oberen Klassen envachsen die äusseren
Formen für die Neugestaltung des Lebens der Nation. Daneben
vollzieht sich ein gewaltiger Umschwung des Denkens. In
Thomas Carlyle tritt zum ersten Mal die neue soziale Gesell-
schaftsauffassung in Gegensatz zu der herrschenden individualisti-
schen. Diese äusseren und inneren Entwicklungsreihen beeinflussen
sich gegenseitig ursächlich. Und diese ganze wechselseitig ge-
ordnete Entwicklung geht, sagt Schulze -Gävernitz, dem Ziele
entgegen, an Stelle des sozialen Krieges den sozialen Frieden
treten zu lassen.
In seinem ersten Buch behandelt Schulze-Ciävernite „Thomas
Carlyle als Theoretiker und Sozialpolitiker" ^). Dieser
Mami war in Wahrheit, wie schon Goethe erkannte, „eine
moralische Macht von grossei* Bedeutimg'^ Carlyle war der be-
herrschende Geist der ganzen Aera. Er hat die Gedanken und
den Willen seiner Volksgenossen beeinflusst wie seitdem kein
zweiter. Das Auftreten der Sozialrevolutionären Partei bildet den
Hintergrund für sein Wirken. Dort in gährender Zeit kämpfte
er wie ein Jesajas des neimzehnten Jahrhunderts gegen die indi-
vidualistische Weltanschauung imd deren Zuspitzung in der
„klassischen Nationalökonomie". Und in seiner Gesellschafts-
anschauung verkörpert sich die heraufschreitende Zukunft. Auf
Carlyle gehen alle diejenigen zuriick, welche die Beurteilimg der
Erscheinmigen vom kapitalistischen Standpunkt venverfen und
durch eine solche vom Standpimkt der Arbeit ei*setzen. Er ver-
anlasst den Umschwung der Geistesbewegung, welcher die neuere
') Vergleiche von demselben Verfa^er „Thomas Carlyles Welt-
und Gesellschaf teannchauung." Mit Porträt. Band V der Sammlung von
Biographien: Führende Geister, herausgegeben von Dr. Bettelheim (Dresden,
L. Ehlermann. 1893).
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150 Hummel, Heft 4 u. 5.
GeiH)8«enschaftöbewegimg, die Universitatsbewegung, den englischen
Positivismuö imd Sozialismus trägt. So sehr aber bei ihm die
sozialpolitische Seite im Vordergrund steht, so tief wuraelt er
in einer umfassenden Lebens- und Weltanschauung. Und
diese ist eine originale. Von der deutschen Philosophie, von
Kant, den Kantianern, besonders von Goethe nimmt er Formen;
aber der den Engländern angeborne Sinn für die „positiv" festr
gestellte Thatsache bewahrt ihn vor unpraktischer FiUlung. Am
ehesten kann man sagen, dass sich Inhalt in jene Formen aus
der Quelle des Puritanismus ei-giesst, welcher in Carlyle den
zeitgemässen Ausdruck findet Schauen wir aber auf jene Formen,
so begegnet uns der entscheidende BegriflF des Organismus, welchen
deutsches Denken in die europäische Gedankenwelt eingeführt hat.
Diesen Begriff benützt Carlyle, um von seinem Standort aus zu
zeigen, wie der Mensch als Einzelwesen durch die Selbst-
sucht, als Teil eines Organismus durch Glaube und Liebe
geleitet werde. „Glaube" ist ihm die „Annahme", „Liebe" das
„Erfassen" eines ausserhalb des einzelnen Indi\dduum8 liegenden
Wertes. Als gesellschaftliches Wesen, ruft Carlyle, lebt der
Mensch nur dadurch, dass er Glauben hat! Dieser Glaube allein
ermöglicht die altruistische, d. h. die nicht auf das eigne,
sondern auf fremdes Wohl gerichtete Lebensauffassung, den
Grundgedanken des Christentums; denn er ist ja an sich
die dem Indi\Hidualismus entgegengesetzte Weise, zu wollen und
zu wirken.
„Zu wollen und zu wirken" — wir halten iiuie. Nicht an
der christlichen Glaubenslehre wollen wir die Anschauung Carlyles
messen. Wir möchten aus dem Gewebe seiner Gedanken nur
einige Fäden für die psychologische bezw. pädagogische Betrachtung
herausnehmen und einen Augenblick festhalten. Es ist wirklich
so, wie Carlyle sagt, und durch ihn selbst bewährt: In der
Wissenschaft wie im praktischen Leben sind diejenigen die Führer,
welche, am meisten von altruistischen Grundlagen ausgehend, um
einer Sache willen erkennen, um eines Wertes willen handeln!
Uns tritt ein Grosser vor das Geistesauge, aus welchem diese
Wahrheit in besonderem Sinne helle leuchtet: Comenius. Dieser
Mann hat denselben Gedanken in die Pädagogik eingeführt
Und merkwürdig, auch bei ihm hing das zusammen mit seinem
Begriff des Organismus, mit seiner Forderung der „Entwicklung**.
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1894. Thomas Carlyle und der Umschwung etc. 151
Er hat gelehrt, alle Teile einer Gruppe als abhängig und wechsel-
seitig sich ergänzend anzusehen. Und vor ihm stand ein Organis-
mus des Wissens, da bei jeder Wissenschaft das Dreifache sein
soll: die idea das Urbild, das Objekt der W^issenschaft; ideatum
das Abbild, das Produkt der Wissenschaft; ideans das produ-
zierende instrumentum, der Geist, die Hand und die Zunge. Darum,
weil er die letz^enannten organisch zusammennahm, fasste er das
Wissen mit der bildenden und mit der Redekunst in einen Be-
griff des Bildens zusammen. Er wollte auch hierin Wort und
Sache nicht trennen. Er wollte um der Sache willen er-
kennen. Und um des Wertes willen handeln. Das kam
zuletzt von seiner Forderung her, die jungen Ebenbilder (imagun-
culos) Gottes zu erziehen und sie, den in ihnen durch gottliche
Kun^t gezogenen Umrissen von Güte, Macht und Weisheit gemäss,
zu vollenden. Bei Comenius heisst wissen etwas bilden können,
und darum lautet seine I»sung : ,J)urch Thun gelangt der Mensch
erat zum wahren Sein". ,J)ie That ist das Ziel des Menschen",
sagt Carlyle, imd es giebt „keine wahre Erkenntnis ohne altruisti-
sches Wollen"! „Das Thun aller muss zusammengeordnet werden
durch die Liebe", ruft Comenius. Die Idee des Organismus
ti'eibt aus der systematischen und praktischen Pädagogik des
Comenius Blüten und Früchte hervor. Die Idee des Organismus
führt von Carlyle aus, indem dieser vor allem auf den Menschen
als gesellschaftliches Wesen schaut, zu den Forderungen einer
praktischen Sozialpolitik und weiter zu einer sozialen Pädagogik.
Nun ist nach Carlyle die Geschichte der Menschen von dem
(legensatz zwischen Gemeinsinn (Altniismus) und Eigensucht
(Individualismus) beherrscht Auf „positive" Zeiten folgen „nega-
tive", auf solche des Glaubens und der Hingebimg Zeiten des
Unglaubens und der Selbstsucht Den erateren verdanken die
gesellschaftlichen Erscheinungen ihre Entstehung, den letzteren
fällt ihre Auflösimg anheim. Ek^olg hat allein das soziale Handeln,
d. h. die Arbeit Das innere Wesen des sozialen Missstandes
aber ist das, dass an die Stelle des gesellschaftliehen Thuns das
ungesellschaftUche, eigensüchtige getreten ist Besondere der freie
Arbeitsvertrag, ruft Carlyle immer wieder, erschöpft die Beziehung
z\\'ischen dem Arbeiter und dem Arbeitgeber nicht Im Blick
auf den „Pauperismus", „die sichtbare Erscheinung der Sünde des
sozialen Systems", verteidigt Carlyle die damals auftauchenden
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152 Hummel, Heft 4 u. 5.
Arbeiterorganisationen. Er achtet es für seine Lebensau^abe,
soziale Gesinnung äu predigen und die Gewissen wachzimifen,
damit die zerrissenen Bande zwischen den oberen und den unteren
Klassen wieder geknüpft werden. Wir können nicht alles einzelne
anführen. Auf dem Gebiet des äusseren und inneren Geschehens
ist dort Carlyle der Vater jener grossen Bewegungen geworden,
welche seit Mitte des Jahrhunderts den Besitzenden ihre Pflichten
gegen die unteren Klassen ans Herz legten und auf die Her-
stellung eines friedlichen Verhältnisses hinstrebten. Carlyle hat
den Anstoss zu dem Umschwung gegeben, welcher seitdem in
England erfolgt ist
In seinem zweiten Buch, das „die sozialen Richtungen
der Gegenwart" behandelt, schildert Schulze-Gävemitz, wie von
diesem Umschwung nicht niu* die konservativen und gemässigt
liberalen Richtungen erfasst wurden, sondern wie auch die Radi-
kalen ihm ihren Zoll bezahlten. An die Stelle des älteren Radi-
kalismus, wie er theoretisch durch Bentham, politisch in der
Lehre vom Geschehen-Lassen diuxih John Bright, Cobden u. a.
vertreten wurde, tritt der Positivismus und der Sozialismus. Seit
den siebenziger Jahren hat letzterer einen Vorsprung vor dem
ersteren gewonnen. Aber in nächster Zukunft erwarten die Posi-
tivästen eine den Sozialismus in gutem Sinn überholende Weiter-
ent\v'icklimg und messen hiefür vornehmlich den Gewerkvereinen
die gi-össte Bedeutung bei
Obwohl diese letzteren neuerdings gewisse Fühlung mit der
Sozialdemokratie genommen haben, fällt Schulze-Gävemitz doch
mit Bestimmtheit sein Gutachten dahin, dass in England der
Sozialismus ein Mittel der friedlichen Fortentwicklimg abgiebt
Der Gnmd liiefür liegt nach ihm in folgenden Thatsachen:
„1. Die englischen Arbeiter befinden sich seit fünfzig Jahren
wirtschaftlich in einem Aufschwmig, welcher ilmen die Grundbe-
hauptung sozialrevolutionärer Bestrebungen unannehmbar macht,
die nämlich, dass die Lage des Arbeiters unabänderlich schlecht
sei und nach Natiu^esetz immer schlechter werden müsse.
2. Sie besitzen zudem die Macht und sind daran, die poli-
tische Schulung zu erwerben, mittelst deren sie mögliche Forde-
nnigen auf Gnmd des Bestehenden verwirklichen können.
8. Die öffentliche Meinung, insbesondere ihre
Führer in Universitäten und Kirche, betrachten infolge
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1894. Thomai^ Carlyle und der Umschwung etc. 158
des von Carlyle und der Menge seiner Nachfolger ein-
geleiteten Umschwungs die sozialen Verhältnisse nicht
mehr vom Standpunkt des Kapitals. Sie neigen vielmehr
eher einer Betrachtung vom Standpunkt der Arbeit zu, welche in
Bezug auf die GesetÄgebimg Sozialismus heisst, ebenso wie eine
von den besitzenden Mittelklassen ausgehende Betrachtung zu der
Lehre vom Geschehen-Lassen führte. Dies beseitigt Klassengegen-
säty.e und erhöht die Aussicht friedlicher Fortschritte."
Diese Punkte sind wert, dass auch unter uns \dele, und nicht
bloss die Führenden im Volk, genau darauf achten. Sie kommen
eben thateächlich ernstlich in Betracht; in naheliegendem Sinn
auch für die Fragen der Volksbildung und Volkser-
ziehung. Gehen die beiden erstgenannten Pimkte uns mehr
mittelbar an innerhalb des Rahmens unserer Gesellschaft, so legt
sich der letzte uns unmittelbar nahe, manchem unter luis sehr
nahe. Durch Vermittelung der geistigen Erzieher des Volks,
unter welchen wir z. B. noch die Kingsley, Hughes, Maurice,
Ludlow nennen, hat in England jene sittliche, im Kern anti-
individualistische, Reformbewegung immer weitere Kreise gezogen,
und kraft dieser Wirkung wird nirgends von den gebildeten
Klassen so umfassend und besonders so planmässig er-
zieherisch auf dem sozialen Boden gearbeitet wie heute
in England. „Drei Gebiete sind es," sagt Schulze - Gävernitz
(I. S. 430), „auf welchen die höchst praktischen Bestrebungen
sich bewegen: Einmal Sorge für angemessene Unterhaltung der
arbeitenden Klassen an Abenden und Feiertagen; sodann Soi^e
für die körperliche Ausbildung durch Befördenmg der nationalen
Spiele, Anlage von Spielplätzen und Parks, durch Besuch der
Wohnungen und Anzeige von Übertretungen der sanitären Gesetze.
Am wichtigsten aber sind die zahlreichen Bemühungen um Er-
ziehung und Fortbildimg, wodiu'ch der Volksschulimtt^rricht er-
gänzt, die geistige Stufe gehoben und damit auch das äussei'c
Fortkonmien erleichtert wird."
Es ist schon früher in den „Mitteiluuj^en" der Comenius-
(lesellschaft (1893, 1. IT.) auf jene Erzieher in England hingewiesen,
welche ,4nnerlich den Gedanken der comenianischen Geistesrieh-
tung nahe standen." Und mit Beziehung auf die sog. englische
Universitätsbewegung ist uns die Sache der „Volkshochschulen"
ebendort die vor Augen gestellt worden („Mitteilungen" 1893,
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154 HuDiinel, Heft 4 u. 9.
IV.). *) Wir können wirklich von der Probe auf Ekiglands Boden,
bei aller Verschiedenheit der Verhältnisse, Weles lernen. Es be-
reitet sich ja in der That eine gesellschaftliche Ordnung vor,
welche die Entfernung zwischen den verschiedenen Klassen ver-
mindern will. Es hat vor allem die allgemeine Schulpflicht, sowie
das allgemeine und gleiche Wahlrecht den unteren Ständen ein so
grosses Gewicht gegeben, dass notwendig auch der Bildungsdrang
emporgeht und nach Teilnahme am geistigen Besitz der Mensch-
heit strebt Da ist es thatsächlich im Geist des Comenius, wenn
die nach ihm sich nennende Gesellschaft auf eine grössere Gleich-
mässigkeit der Geistesbildung hinarbeitet Es ist femer eine
Forderung ebenso der Liebe wie der Weisheit, dass die Oben-
stehenden mehr und mehr auch Vergnügungen und Erholungen
mit den Geringeren teilen lernen. Und es ist eine nicht zu unter-
schätzende Aufgabe, die Pflege der körperlichen Übungen im Dienst
der Volkserziehung fruchtbar zu machen. Hoffentlich lässt sich
die freiwillige Rßtarbeit der Comenius-Gesellschaft so oi-ganisieren,
dass sie in vereinbartem Anschluss an andere Kreise und Ein-
richtungen, vornehmlich an die Universitäten, willige Kräfte für die
Hebung der Bildung im Mittelstand imd in den imtoren Standen
zur Verfügimg steUt Können nicht auch wir wahr machen und
bethätigen, dass die Arbeit der Volksbildung daran mit-
hilft, die Kluft zwischen den Oberen und Unteren
innerlich zu überbrücken? Sollte nicht allmählich ein Teil
d(»s Wissenschaftsbetriebs durch den Umschwung heilsam beein-
flusst werden, der seit Thomas Carlyles Wirken von der indi-
vidualistischen zu der sozialen Gcsellschaftanschauung sich voll-
zieht? Weim wir auch auf diesem geistigen Gebiet unsere
Schuldigkeit thun, tragen \rir mächtig dazu bei, dass die Zeiten
näher rucken, da wir vom sozialen Frieden reden dürfen.
In seinem dritten Buch verfolgt Schulze - Gävernitz die
Äusserungen des in England bonrkten Umschuimgs im Umkreis
des gesellschaftlichen I^ebens und zeigt, wie die Entwicklung auf
den sozialen Frieden hinausweise. Verfasser hat diese Hoffnung
in seiner erwähnten Schrift über Arbeiterbildung (S. 22) einen
') Verfasser darf vielleicht auf die Ausführung in seiner Schrift „Wai*
lässt sich zur Pflege einer gediegenen, echt volkstümlichen Bildung in den
Arbeiterkreison thun?" (Heilbronn, Eng. Halzer 18J):i) Seite 104 f. hinweisen.
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lj^94. Thomas Carlylo und der Umschwung eU'. 155
,^lzii sicher blickenden Optimismus" genamit Schubse-Gävemitz
hat dagegen erwidert („Christliche Welt", 1893, Nr. 47, S. 1129):
Dass England die Gefahr eines gewaltsamen sozialen Zusammen-
bruchs überwunden habe und, seiner Ansieht nach, in friedlicher
Fortentwicklung begriffen sei, sei ja noch nicht das ferne Endziel,
sondern eine Etappe, von welcher aus nur um so schwerere Ziele
sichtbar werden. Den Sozialpolitikern Englands, erklärt Gävemitz,
thun sich sofort auf der geöffneten Bahn friedlicher Entwicklung
die schwersten Probleme auf, wie etwa das der Lohnsteigerung
gegenüber dem ausländischen Mitbewerb, das der ungelernten
Arbeit u. s. f. Verfasser gesteht^ dass diese Auffassung ihn über-
zeugt hat. Demi wirklich wird in England der Damm sichtbar,
welcher die revolutionäre Sturmflut aufhalten kann. Mag er
Jahrzehnte lang von dem Wogcnprall umtost, in manchen Teilen
gar von demselben bedeckt werden, er ist da und hält fest. Wir
müssen betonen, dass seine unerschütterlichen Grundlagen in der
sittlich -religiösen Persönlichkeit ruhen. Aber wir wissen auch,
dass das Aufführen desselben nicht am wenigsten jenen Bestre-
bungen zu verdanken ist, die im Sinne Carlyles und Kingsleys
in uneigennützigster Weise und ohne Parteigeist für Menschen-
bildung und Volkserziehung gearbeitet haben. Das ist eine
Leuchte auf den Pfaden derjenigen, die im Sinne des
„Weckrufs" des Comenius alle Parteien, Konfessionen
und Stände aufrufen, echt sozial zu denken und zu han-
deln und mit ernsten Bildungsbestrebungen an das Volk
heranzugehen.
Aus der Idee des Organismus hat Carlyle soviel Kraft ge-
holt für Gedanke imd That Er wollte ein organisches Volks-
leben. Auch wir dienen der Sache des organischen Volkslebens
mit unseren Bildimgsbestrebungen. Zu den Lebensbedingungen
dieses Organismus gehört auch die Anwendung einer echt sozialen
Erziehungslehre, wie sie in dem „Tempel der Weisheit" eines
Comenius mitbefasst ist Von der auf englischem Boden geschauten
Probe aus strahlt die Hoffnung, da.ss die Besitzenden lernen werden,
auf fremdes Wohl zu denken, und dass die unteren Klassen dahin
gelangen, das hohe Gut der Freiheit gegen alle, auch gegen die
revolutionäre, Vergewaltigimg zu verteidigen.
MunaUhefU' der O)ineniiis-Gi'»oll»chafi. 181*1.
11
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B. Litteraturbericht.
Wir beabeichtigen, die wichtigeren Erscheinungen unseres Forschungs-
gebiete durch kurze Hinweise an dieser Stelle der Aufmerksamkeit unserer
Leser zu empfehlen und bitten die Herren Verfasser und Verleger um Zu-
sendung der hierher gehörigen Litteratur.
24. Seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, genauer seit
dem Jahre 1885, haben die Forschungen über die Geschichte der
Katharer und Waldenser einen grossen Aufschwung genommen. Es
ist nicht ohne Interesse, zu sehen, unter welchen Namen und Titoin die
betreffenden Schriften an das Licht treten. Es ist sonst üblich, dass
die Geschichtsforscher, gleichviel welcher Kirche oder Partei sie an-
gehören, zur Bezeichnung einer Richtung oder Gemeinschaft, deren
Geschichte sie schreiben, diejenigen Namen wählen, die sich jene
Richtungen oder Gemeinschaften selbst gegeben haben, und es gilt
als Anstandspflicht, Scheltnamen, wie sie in heftigen Kämpfen
von der siegreichen Partei leicht in Umlauf gesetzt werden, zu ver-
meiden. Zu solchen Parteibezeichnungen und Scheltnamen gehören
die Namen „Ketzer** und „Sekten**, in denen die denkbar schärfste
Ablehnung im Sinn der mittelalterlichen Kirche ausgesprochen wird;
selbst die Namen „Katharer** und „Waldenser** sind in jenen Jahr-
hunderten Scheltnamen gewesen, da es bis zum 16. Jahrhundert nie
eine Gemeinschaft gegeben hat, die sich so genannt hätte. Es ist
ganz erklärlich, wenn diejenigen neueren Historiker, die die altkirch-
liche Beurteilungsweise der Ketzer teilen und beibehalten, auch die
von der überlieferten Streittheologie gebilligten Kunstausdrücke bei-
behalten; wer als unparteiischer Geschichtsschreiber sich weder auf die
eine noch auf die andere Seite stellt, sollte es sich hier wie anderswo
zur Pflicht machen, entweder solche Bezeichnungen zu wählen, die
neutraler Art sind oder die von jenen „Ketzern** selbst gebraucht
wurden. Oder wie würden heutige Protestanten es bezeichnen, wenn
römisch-katholische Schriftsteller Bücher unter dem Titel: „Geschichte
der lutherischen Ketzerei** u. s. w. veröffentb'chen wollten? Da zu
den satzungsgemässen Aufgaben der CG. die Erforschung der Ge-
schichte der böhmischen Brüder und ihrer Vorläufer — das sind
eben die sog. Ketzer des Mittelalters — gehören, so werden wir noch
oft Veranlassung haben, auf diese Namenfrage zurückzukommen. Wir
werden aber selbstverständlich die wissenschaftlichen Anstandsregeln,
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1 894. Latteraturbericht. 157
die sonst gelten, auch auf die „Ketzer" ausdehnen und keinen Schelt-
namen ohne erläuternden Zusatz gebrauchen oder zulai*Hen.
25. Eine Geschichte der altevangelischen Greineindeu in den
Niederlanden oder wichtige Beitrage dazu liefert Prof. Dr. Paul
Frederioq (D.-M. der CG.) in seinem Werk: „Geschiedenis der In-
quisitie in de Nederlanden tot aan bare Herinrichting onder Keizer
Karel V (1025 — 1520), Eerste Deel, De Nederlandsche Inquisitie
tydens de elfde, twaalfde en dertiende eeuwen. Met twee Kaarten.
Gent, J. Vuylsteke 1892." Fredericq hat im Jahre 1888 die Ur-
kunden und Akten zur Geschicht<* der Ketzerverfolgung in den
Niederlanden (1025 — 1520) herausgegeben, und auf der so gewonne-
nen Grundlage baut sich jetzt die Geschichte der Inquisition auf,
deren erster Teil unter obigem Titel vorliegt. Die AHbeit hat, wie
F. im Vorbericht selbst bemerkt, eine erhebliche Förderung durch
das grosse Werk von H. C. Lea,*) History of the Inquisition in the
Middle Ages, New- York 1888 ff., das gerade während der Aus-
arbeitung erschien, erfahren. Sie ist dem hervorragendsten heute
lebenden Vertreter der niederländischen Kirchengeschichte, Herrn Prof.
Dr. Acquoy in Leyden, gewidmet und verdient die Aufmerksamkeit
nicht bloss der holländischen Geschichtsforscher. Sie kann in der
Fassung wie in der Bearbeitung des Themas als Vorlage für Be-
arbeitungen der Inquisition in anderen Ländern und Provinzen dienen,
wie denn z. B. eine nach ähnlichen Gesichtspunkten bearbeitete Ge-
schichte der südfranzösischen oder auch der oberrheinischen und nieder-
rheinischen Inquisition sehr interessante Ergebnisse liefern würde.
Nur müsste man der Geschichts-Darstellung ebenso, wie es Fredericq
gethan hat, die Herausgabe der Urkunden vorausschicken.
26. Unter den humanistischen Reformatoren auf dem Gebiete
des Schulwesens um die Wende des 15. Jahrhunderts hat hellen
Klang der Name des Alexander Hegius, des langjährigen Vorstehers
der Schule von Deventer. Über 2000 begeisterte Jünglinge haben
dort zu seinen Füssen gesessen und die empfangenen Lehren weithin
getragen, nach des Meisters Beispiel mit der herrschenden Schul-
methode brechend und frisches neues Leben in die mittelalterlichen
Formen bringend. Die zerstreuten Nachrichten über diesen zwar
nicht hervorragend begabten, aber lun so unennüdlicheren Schulmann
hat Joseph Wiese in einer Erlanger Dissertation zusammengestellt:
,J>er Pädagoge Alexander Hegius und seine Schüler. Berlin
1892." Nach Darlegung des meist auf die Schulstube beschränkten
Lebens seines Helden giebt Wiese einen kurzen Auszug aus seinen
philosophischen, didaktischen und pädagogischen Werken, die 1503
zusammen unter dem Titel „Dialogi" von Jakob Fabri herausge-
*) Inzwischen ist von H. C. Lea (der unserer Gesellschaft ebenfalb
angehört) noch erschienen: Chapter from the religious history of Spain,
connected \vith the inquisition. Philadelphia, Lca Brothers and Co. 1890.
ir
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158 Litteraturbericht. Heft 4 u. 5.
geben und ziemlicb selten geworden sind. Besondere Erwähnung
verdient die den Dialogen angehängte „Invectiva in modos significandi,"
ein Pamphlet gegen die damaligen sogenannten Modisten, die, anstatt
sich an das Thatsäehliche zu halten, mit spitzfindigen Reflexionen
Grammatik trieben. B.
27. Unter des Hegius Schülern hat am wirksamsten Johannes
Murmellius in Münster diesen Kampf fortgesetzt. Seine erbitterteste,
aus einstiger Hochachtung langsam umgeschlagene Feindschaft galt
dem „Doctrinale" des Alexander de Villa Dei, dem Kanon der
bisherigen Grammatiker. Dasselbe ist neuerdings von dem bekannten
Murmelüus-Biographen D. Reichling mit einer sehr bemerkenswerten
Einleitung jiber Umfang, Ziel und Methode des grammatischen
Unterrichts im Mittelalter, sowie das Leben und die Schriften Alexan-
ders als 12. Band der Monumenta Germaniae paedagogica
(Berlin, 1893) abgedruckt worden. Murmellius drang gegenüber diesem
weitschweifigen Lehrbuch überall auf natürliche Gestaltung und Be-
lebung des Unterrichts, und wenn er auch seiner Zeit gemäss über
die Begeisterung für das Lateinische eine gesunde Pflege der Mutter-
sprache vergessen hat, so erinnert er doch in der genannten Beziehung
und wegen mancher übereinstimmenden Lehren im einzelnen, auf die
ich hier nicht näher eingehen kann, schon an Comenius und seine
Anhänger. Ich habe vor kurzem mit einer neuen Ausgabe der vor-
züglichsten seiner grösstenteils äusserst selten gewordenen Werke
begonnen. (Ausgewählte Werke des Münsterischen Huma-
nisten Johannes Murmellius. Herausgegeben von A. Bömer.
Heft 1 ff . Münster, Regensberg 1892 ff.) Das 1. Heft hat
eine für „verschollen" gehaltene kurze Sammlung von Epigrammen
über die Pflichten des Lehrers und der Schüler gebracht. Heft 2
enthält das treffliche „Enchiridion scholasticorum", in dem von Mur-
mellius die Grundsätze aufgezeichnet sind, nach denen er mit so
grossem Erfolge an der Domschule zu Münster unterrichtet und er-
zogen hat Eben finde ich eine Übersetzung der pädagogischen
Werke des Murmellius von J. Freundgen angekündigt, in der
„Sammlung der bedeutendsten pädagogischen Schriften
aus alter und neuer Zeit (Paderborn, Schöningh)", auf die
bei dieser Gelegenheit nochmals aufmerksam gemacht sei. Die im
3. Hefte meiner Ausgabe veröffentlichten „Elegiae morales" kommen
für uns höchstens wegen ihres ethischen und didaktischen Charakters
in Betracht Da*» nächste Heft wird mehrere Kapitel aus der be-
kannten „Pappa puerorum" bringen. Wa.s Comenius im 19. Ab-
schnitt seiner grossen Unterrichtslehre (Übersetzung von J, Beeger
und F. Zoubek S. 141 f.) lebhaft empfiehlt, dass Bücher in Gesprächs-
form verfasst werden möchten, davon finden sich hier die Anfänge.
Nachdem im 1. Kapitel nach Stoffen geordnet die gebräuchlichsten
lateinischen Wörter mit deutscher Übersetzung und hier und da mit
veranschaulichenden Erläuterungen zusammengestellt sind, folgen im
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1894. Litteraturbericht. 159
2. Kapitel „Oratiunciilae variae pueroruiii uj*ui exponitae, Mancherley
redlin zu gebrauch der Kinder ausgelegt." Teils in einfacher Rede,
teils in Form von Rede und Antwort werden die den Knaben zu-
nächstliegenden Stoffe der Unterhaltung behandelt. Durch solche
Gespräche ist es, wie Comenius an der bezeichneten Stelle näher
ausführt, möglich, Inhalt und Darstellung der kindlichen Auffassung
anzupassen, denn „nichts ist vertraulicher und natürlicher, als das
Gespräch." An die „Oratiunculae" schliessen sich in den beiden
folgenden Kapiteln der Pappa bemerkenswerte „Praecepta moralia"
und „Protrita quaedam proverbia." Noch im Laufe des Jahres soll
das Büchlein herausgegeben werden. B.^
28. ,^ie Ansichten des Desiderius Erasmus über tue
Erziehung nnd den ersten Unterricht der Kinder" untersucht
Richard Becher in einer verdienstvollen Leipziger Dissertation von
1890, über deren Ergebnisse wir einige berichtende Worte nicht
schuldig bleiben dürfen. Erasmus selbst hat ein System seiner Er-
ziehungslehren nicht gegeben, Becher musste sein Bild nach 5 ver-
schiedenen Schriften des grossen Pädagogen entwerfen; es sind die
Werke: „De ratione studii" (1518), „Declamatio de pueris ad virtutem
ac literas liberaliter instituendis idque protinus a nativitate" (1529),
„De institutiono matrimonii christiani" (1526) und „De civilitate morum
puerilium" (1530), von denen er das bislang am wenigsten beachtete
zweite für das bedeutendste hält. Nach Darlegung dessen, was Eras-
nuis von der Person des Erziehers und des Zöglings verlangt, geht
Becher über zu dem Erziehungs- und Unterrichts werke selbst, in dem
Erzieher und Zöglinge zu einander in Beziehung treten. In seiner
Auvschauung, dass das Lateinische und Griechische der Mittelpunkt
des Unterrichtes sein und sich mit dem siebenten Jahre sogleich an
die Vorbereitungsperiode, den Sprech-, Lese- und Schreibunterricht,
anschliessen müsse, zahlte Erasmus der herrschenden humanistischen
Bewegung seinen Tribut, in vielen Teilen der Unterrichtsmethode aber
war er soiner Zeit voraus und zwar so weit, dass ihn die Mitlebenden
nicht verstanden haben. Seine eindringliche Mahnung, den Unterricht
freundlich zu gestalten, den Kindern nur Angenehmes zu bieten, sie
durch Zuhülfenahme des Spiels die Schwierigkeit ihrer Aufgabe nicht
verspüren zu lassen, machen ihn zum Vorläufer Lockes luid der
Philanthropinisten. Die Betonung des Anschauungsunterrichtes stellt
ihn Comenius an die Seite. Damit Erzählungen im Geiste der Kinder
haften bleiben, soll ihnen der Lehrer den Inhalt derselben auf einem
Bilde vor Augen führen, die einzelnen Gegenstände mit lateinischen und
griechischen Namen nennen, auch eine kurze Beschreibung derselben
hinzufügen. Es ist dieselbe Idee, die den Orbis pictus des Comenius
ins Leben gerufen hat. Den Schluss von Bechers Arbeit bilden
die Ansichten des Erasmus über die moralische Erziehung der Jugend,
bei denen sich eine besondere Fürsorge für das weibliche Geschlecht
vorteilhaft bemerkbar macht. B,
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160 Litteraturbericht. Heft 4 u. 5.
29. Da*« Nachrtpiel der zwischen Enü^mus und Hütten ent-
brannten litterari**chen Fehde ist der Gegenstand eines Aufsatzes von
Karl Hartfelder ini 4. Hefte der Zeitschrift für die Greschichte des
Oberrheins von 1898: „Otto Bnmfels als Verteidiger Hnttens'*
(S. 565 — 578). Auf Huttens leidenschaftliche „Expostulatio'' gegen
den Abtrünnigen der evangelischen Sache hatte Erasmus schlagfertig
mit seiner „Spongia ad versus aspergines Hutteni" geantwortet, aber
Keine wohlgezielten giftigen Pfeile hatten den Gegner nicht mehr
lebend erreicht. Die Sache des Toten machte einer seiner Schüler,
Otto Brunfels aus Mainz, damals noch Pfarrer zu Neuenburg am
Rhein, aber im Herzen schon der neuen Lehre zugethan, zu der
seinigen. Er blieb eine „Responsio pro Ulricho Hutteno defuncto
ad Erasmi Roterodami Spongiam" nicht lange schuldig. Hütten ist
ihm ein leuchtendes Ideal, Erasmus der Inbegriff aller Untugenden.
„Erasmus ist treulos, Lug und Trug geht von ihm aus, aus seinem
Munde kommt es warm und kalt zu gleicher Zeit, mit der einen
Hand hält er ein Brod hin, während er mit der anderen einen Stein
verbirgt u. s. w." Trotz aller Mängel verfehlu* die Schrift ihre Wir-
kung nicht. Der tiefgekränkte Erasmus hat sie Brunfels nie ver-
gessen können, auch nicht als dieser später im Auftrage des Rates
zu Strassburg, wo er eine lateinische Schule errichtet hatte, sich mit
ihm auseinanderzusetzen suchte. — Hartfelders Hoffnung, an anderem
Orte das Leben Brunfels' einmal ausführlicher behandeln zu können,
hat sein zu früher Tod vereitelt. B.
30. Eane Skizze von der Bedeutung und dem Leben Thomas
Campanellas (f 1639) bringt die Zeitschrift für Kulturgeschichte
4. Folge Bd. I S. 50 — 92 aus der Feder Eberhard Gotheins in
Bonn, die wie alles, was Gothein schreibt, in anziehender Weise
und aus einer Fülle reichen Wissens heraus den gewählten Vorwurf
behandelt Herder war es (wie Gothein hervorhebt), der vor fast
100 Jahren eine Reihe von Sonetten des grossen italienisch(?n Natur-
philosophen unter uns von neuem bekannt machte, nachdem sie
zuerst von Valentin Andreae (der auch Campanellas Sonnenstaat
nachgeahmt hat) ins Deutsche übertragen worden waren. Herder
berief sich für seinen Versuch, den vergessenen Dichter Italiens von
neuem zu beleben, auf das Urteil von Leibniz, der Campanella
als Philosophen neben Baco und weit über Descartes und Hobbes
gestellt hatte. Es ergiebt sich hieraus wie aus der ganzen Schilderung
Gotheins, dass wir mit gutem Grund den Namen Campanellas in
dem Arbeitsprograimn der CG. genannt halK»n. Campanella, der
sowohl den Vertretern voltärianischer Aufklärung wie der kirchlichen
Rechtgläubigkeit unsympathisch war, ist lange Zeit in seiner Heimat
wie anderwärts vergessen gewesen; heute feiert man in ihm neben
Bruno einen der hervorragendsten Vertreter italienischer Philosophie
im 17. Jahrhundert und einen Märtyrer der Gedankenfreiheit. Es
verdient envähnt zu werden, diiss Campanella ein Schüler des
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1894. Litt^raturbericht. IHl
Beriiarclino Telesio war, der in Cosenza und in Neapel sog. Aka-
demien (Sodalitäten) gestiftet hatte, die sich der Pflege philosophi-
scher Studien widmeten. Als Campanella in spanischer Gefangen-
schaft als „Revolutionär" schmachtete, waren es zwei Deutsche,
Rudolf von Bünau und Tobias Adami aus Weimar, die sich
des Gefangenen und seiner Schriften annahmen, und die seinen
Büchern in Deutschland eine Zuflucht verschafften. Campanella hat
seinen Freunden, die Evangelische waren (der Mönch kannte für
diese nur den Namen „Lutheraner**), in mehreren Sonetten seinen
Dank abgestattet, deren eins folgende Strophen enthält:
Von Rom nach Ostia ging ein alter Mann,
Den Rauber überfallen und verwunden.
Ihn traf ein Mönch. Der betet seine Stunden
Und geht, als ob er tief im Buche sann.
Ein Bischof kam, sah ihn von oben an
Und segnet ihn, statt dass er ihn verbunden.
Ein Cardinal, der heuchelnd Leid empfunden:
Er folgt dem Dieb, dess Beute er gewann.
Ein deutscher Lutheraner nahte jetzt,
Der nicht von Worten, nur vom Glauben hält.
Der hat ihn aufgehoben und geletzt.
Wer war sein Nächster wohl in dieser Welt?
So ist die Hand mehrmals der Mund geschätzt,
Die Einsicht sei dem Wollen nachgesetzt.
Es ist die That, die jedem wohlgefällt.
Du weisst nicht, ist dein Glaube andern wahr,
Die gute That nur stellt Gewissheit dar.
Es ist eigentümlich, dass da« Naturerkennen dieses Mannes,
der doch innerlich Galilei, Kepler, Gilbert und andern so nah stand,
so sehr gering war; er berührt sich in diesem Punkte mit dem
gleichen Mangel bei Comenius. Gleichwohl veröffentlichte Tobias Adami
Campanella« Schriften mit den höchsten Lobsprüchen — derselbe
Adami, der zugleich ein Schüler Bacos und ein Bewunderer von
Galilei, Kepler und Paracelsus war. „Unter den vielen, die Leibniz
Monadenlehre beeinflusst haben, gebührt Campanella doch wohl der
erste Platz", sagt Gothein.
Wie sehr Campanella von den Ideen und Hoffnungen des
Urchristentums erfüllt war, zeigen folgende schöne Strophen:
Kehrt zur Vernunft! Dann könnt ihr innig beten:
„Es komme uns dein Reich, darin dein Wille
„Auf Erden wie im Himmel sich erfülle,
„Wo alles reift, was wir in Hoffnung säten,
lind vor der Dichter Auge wird dann treten
Die dunkle Zeit aus dunkler Zukunft Hülle;
Das Unschuldsalter kehrt, in heiliger Stille,
In frommer Kraft, um das die Väter flehten.
Dann freut der Philosoph sich jenes Staates,
Den er beschrieb als beste Republik,
Um den die Erde immer noch betrogen.
Anf Zion schauen, fi*oh des Gottesrates,
Dann die Propheten Israel im Sieg,
Frei, wie es aus Egypten einst gezogen.
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162 Litteraturbcricht. Heft 4 u. 5.
Mail sieht, wie auch bei Canipanella die Uov des „Reiches
Gottes" oder, wie ajidere Zeitgenossen sagten, des Tempels der
Weisheit, ebenso im Mittelpunkte des Gedankenkreises steht, \y\e
bei allen Männeni, die zum Forschungsgebiet unserer Gesellschaft
im engeren Sinn gehören. K.
31. In der Unterhaltungs- Beilage der Täglichen Rundschau
vom 26. u. 27. Januar d. J. findet sich ein längerer Aufsatz eines
„alten Nieskyers" über die Universitäts-Aiistalten der Brüder-
gemeinde EU Niesky, die wir der Beachtung unserer Leser empfehlen.
Die Praxis der brüderischen Erziehung beruht auf einer Jahrhunderte
langen Erfahrung, und die Grundsätze haben sich an denjenigen jungen
Leuten, die den brüderischen Anstalten anvertraut w^orden, in hohem
Grade bewährt; die bedeutendste und wichtigste Anstalt ist aber
diejenige in Niesky. Der ungenannte Verfasser des Aufsatzes nennt
unter den Männern, die sich um das Erziehungswesen der Brüder-
gemeinde besonders verdient gemacht haben , August Gottlieb
Spangenberg (f 1792) und Gottfried Polycarp Müller (f 1747),
den*der Verfasser als Freimaurer bezeichnet. Über Polycarp Müller
hat Otto Kaemmel in der Allg. D. Biographie XXII, 669 gehandelt;
Kaemmel nennt ihn einen entschiedenen Vertreter des Naturrechts
und kühnen Neuerer auf dem Gebiete des Schulwesens; er war am
14. Juni 1684 geboren, studierte in Leipzig und Aitdorf bei Nürn-
berg, wurde Mitglied des Blumenordens, den Harsdörfer 1644
errichtet hatte, und übernahm im Jahre 1713 die Direktion des
Gymnasiums in Zittau. Von hier wegen seiner religiösen Anschau-
luigen durch die Lutheraner verdrängt (1738), siedelte er nach
Herrnhut über, wo ihn die Gothaer Synode von 1740 an Zinzen-
dorfs Stelle, der damals nach Amerika ging, zum Bischof wählte.
Er hat dann auf das Erziehungswesen der Brüdergemeinde einen
grossen Einfluss gewonnen, und wir werden geni gelegentlich in
unseren Monatsheften das Andenken des merkwürdigen Maimes
erneuem. K.
32. Die ,3eligi5se Volksbibliothek", die vom Bibliographi-
schen Bureau zu Berlin unter Redaktion von C. Werckshagen
seit 1892 herausgegeben wird — es sind bis jetzt sechs Bändchen
erschienen — beabsichtigt, dem neuerwachten religiösen Interesse
dadurch entgegenzukommen, dass sie versuchen will, das beste der
religiösen Litteratur der verschiedenen Zeiten und Richtungen der
Gegenwart von neuem zugänglich zu machen. Es sind in der Siuimi-
lung bisher folgende Schriften erschienen:
I. 1. Dr. Rudolf Schramm, weil. Domprediger zu Brt»men, Zur
Erneuerung des Christenthums. Eine Auswahl aus seinen
Schriften. Berlin. Verlag des bibliographischen Bureaus.
1892. II — 97 S. 8«.
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1 894. Littoraturbericht. 168
I. 2. Charles Kingnloy. Ein rdigiön-noziales Charakterbild von
Dr. A. Kalthoff, Pantor an St. Martini in Bremen. Ebd.
1892. II — 09 S.
I. 8. Dr. Eduard Reuss, weil. Prof. der Theologie zu Stra^s-
burg. Ges^chichte I^raelH bi« zum Exil. Rede über den
Wahlspnieh. Ebtl. 1892. II — 78 S.
I. 4. Blait*ePaseal. Reden und Aufsätze von Dr. M. Schwalb.
Ebd. 1892. 62 S.
I. 5. Rchleierm acher, Eine Auswahl au»< seinen Predigten,
Rtnlen und Briefen. Zusammengesttült und eingeleitet von
Curt Stage. Ebd. 1898. IV — 95 S.
I. 6. Wie Jesus von Nazareth der Messias mler Christus wurde.
Fünf biblische Betrachtungen von E. Zittel. Ebd. 1898.
II — 94 S.
Die ausgegebenen Heftt» sind sehr wohl geeignet, dem Unter-
nehmen Freunde zu ge>^'innen. Die Schriften sind gut gewählt und
mit trefflichen p]inleitungen versehen. In Rudolf Schramm lernen
wir einen Geistlichen kennen, der die Gedanken der Hegel-Schleier-
macherschen Schule volkstündich zu gestalt(*n versucht hat, in
Charles Kingsley den christlichen Socialismus in eigenartiger Ge-
stalt, in Eduard R(»uss den ausgezeichneten theologischen Historiker.
Da« Heft über Pascal bringt namentlich auch eine charakteristische
Auswahl von Originalstellen aus Pascals „Gedanken". Dass Schleier-
macher in der „Religiösen Volksbibliothek" Berücksichtigung ge-
funden hat, begrüssen wir vom Standpunkt unserer Gesellschaft aus
mit besonderer Genugthuung. Es wäre nur zu wünschen, da>Js der
Genannte, von dem so tiefe religiöse Anrt^gungen ausgingen, auch
noch durch seine religiösen Hauptwerke in obiger Sammlung die
gebührende Vertretung finde. Hochegger.
83. Zur Würdigung von Herders bahnbrcx'hender Binleutung
auf pädagogischem Gebiete, welcher zuletzt Dr. Fr. Kotz, Seminar-
oberlehrer in Waidenburg, in einer Leipziger Dissertation (Die päda-
gogische Bedeutung Herders. Waidenburg 1891. 99 S. 8®) eine
ausführlichere Darstellung gewi(hnet hat, tragen zwei kürzlich er-
schienene kleinere Schriften bei: Dr. Otto Franoke, Herder und
das Weimarische Gymnasium. Sammlung gemeinverständlicher wissen-
schaftlicher Vorträge, begründet von Rud. Virchow und Fr. von
Holtzendorff, herausgegeben von Rud. Virchow und Wilh. WatU^nbach.
Neue Folge. Achte Serie. Heft 183 (Hamburg, Verlagsanstalt und
Druckerei A.-G. [vorm. J. F. Richter], 1898. 8G S. 8«. Preis 50 Pf.)
und Dr. Horst Keferstein, früher Seminaroberlehrer in Hamburg,
jetzt in Jena: Eine Herder- Studie mit besonderer Beziehung auf
Herder als Pädagog. Pädagogisches Magazin. Abhandlungen vom
Gebieten der Pädagogik und ihrer Hülfswissenschaften. Herausgegeben
von Friedrich Mann. 18. Heft. (Langensalza, Dnick und Verlag
von Hermann Beyer & Söhne. 1892. 87 S. S^), Francke's im
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164 Litteraturbericht. Heft 4. n 5.
Weimarer VolksbihUings verein 1892 gehtdtener Vortrag giebt naob
einer Skizzierung der schon in Herder*** Reisetagebuch (1769) ent-
haltenen Refonngedanken eine Darlegung seiner Reform des Weimar-
schen Gymnasiums mit besonderer Berücksichtigung des Unterrichts-
planes im Anschluss an die Bchulreden. Kefersteins Studie entwirft
in umfassenderer Weise ein Bild der von Begeisterung für ein hohes
Erziehungsideal erfüllten und in seinen Ideen vielfach mit Männern
verwandter Geistesrichtung wie Comenius, Schleiermacher etc. sich berüh-
renden Persönlichkeit Herders, entwickelt sodann seine Anschauungen
über die erziehlichen Aufgaben des Staates, der Kirche, Schule, Kirnst
und Wissenschaft (S. 1 1 ff.) und charakterisiert endlich (S. 25 ff.) die
wichtigsten seiner didaktis(»hen Gnindsätze und methodischen Ansichten
im allgemeinen wie hinsichtlich der einzelnen Fächer nach ihrem Wert
auch für die gegenwärtige Bewegung auf dem Gebiete der Schulreform-
bestrebungen. Wie Francke einleitend betont, dass Henler „in seinen der
Bildung unseres Volkes dienenden Schriften zwar nicht die heutzutage
bestehende Gährung in Sachen der höheren Schulen voraus verkündet
hat, dagegen — was viel mehr ist — die brennenden Fragen unserer
Zeit in einem der seinigen entsprechenden Umfange mit einer un-
endlichen Fülle von Gedanken geradezu vorweggenommen hat" (8. 4),
so bemerkt Keferstein: „In seinem «Ideal einer Schule» ist die
Grundlegung des Unterrichts durchaus auf vaterländische Sprache
und Litteratur, Geschichte, Naturwissenschaften und Mathematik ge-
richtet; darnach tritt erst der fremdsprachliche Unterricht und zwar
mit Französisch als der vorangestellten Sprache ein. Man meint
sich in Gesellschaft durchaus moderner didaktischer Bewegungen zu
befinden, wenn man sowohl auf Herders Gesamtprogramm des Unter-
richte, als auf die Reihenfolge sieht, in welcher er die Fächer und
wiederum einzelne Teile derselben im Lehrplane auftreten lassen
will . . . Wenn gegenwärtig selbst auch für Gymnasien der deutschen
Sprache und Litteratur, wie der Geschichte ein grösserer Raiun zu-
gewiesen werden soll, wenn man den Beginn mit dem altsprachlichen
Unterricht weitc^r hinausrücken und diesen selbst von einer vorwiegend
granmiatisch-philologischen Richtung befn^ien, dagegen die aus reich-
h'cher Lektüre zu gewinnende Kenntnis di^i^ Inhalts aitklassischer
Autoren zur Hauptsache machen will, so darf man getrost die didak-
tischen Anschauungen Herders in alle dem wieder erkennen und
denselben auch in diesem Bezüge als einen Bahnbrecher bezeichnen".
(S. 26 f.) O. Kemper.
34. /. 2KAAT20YNH, liegt yeveoeiog rov äv&Qihnov. ^Ag/noviai
XQiOTiaviajuov xal htian^jutjg. Athen 1893. Gewiss hat es für
manchen deutschen Gelehrten Reiz, die modernsten Streitfragen der
Philosophie und Naturwissenschaft, die sich freilich mit den ältesten
berühren, in der Sprache des Plato und Aristoteles erörtert zu sehen.
Dazu giebt das Buch Skalt**unis Gelegenheit. Wem das Altgriechische
gtdäufig ist, der wird sich in <lie Schriftj*prache der hellenischen Ge-
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1894. Littoraturboricht. 165
lehrten unserer Tage sehr ra^^ch hiiiemle^en , und e^ ist nur zu be-
dauern, dass griechische Bücher noch so schwer ihren Weg nach
Deutschland finden. Umgekehrt geht es, was freilich leicht erklärlich
ist, besser. So haben die Bücher und die Theorien eines Häckel,
Moleschott, Büchner in Griechenland Einzug gehalten und Anhänger,
Übersetzer, Verbreiter gefunden. Der Zweck des Buches „Von der
Entstehung des Menschen" ist es, diese materialistische Schule in
Griechenland zu bekämpfen. Skaltsuni stützt sich dabei vielfach
wieder auf deutsche Gelehrte, so auf Kant, Fr. A. Lange, Du Bois
Reymond; aber auch Franzosen, Engländer, Italiener werden herbei-
gezogen. Der Verfasser s(»lbst hat früher schon in italienischer
Sprache eine Streitschrift gegen den Materialismus (L*uomo ed il
Materialismo) veroffentlich|. Sein Standpunkt ist der christliche, den
er, wie der Neben titel andeutet, für wohlvereinbar mit einer wissen-
schaftlichen Weltauffassung hält. O. A. Ellissen.
35. Unter dem Titel: »^ogmenlose Sittenlehre für Schule
und Haus" veröffentlicht F. P. Huber im Verlag des biblio-
graphischen Bureaus (Berlin, 1892. 8^. VII — 165 S.) eine Schrift,
deren Standpunkt sich als der der sogenannten Aufklärungszeit kenn-
zeichnet. Das oberste Gesetz des Sittlichen ist die allgemeine Wohl-
fahrt und das Grundgebot desselben, unter den möglichen Hand-
lungen immer nur diejenige zu wählen, welche, idle Folgen erwogen,
das Wohl des Ganzen am meisten befördert. Diese Obersätze der
Sittenlehre ergeben sich aus der Natur des Menschen und sind für
jeden gesunden Menschenverstand einleuchtend. Nur das, was alle
Menschen ohne weiteres einsehen, kann für sie verpflichtend sein.
Ein Sittengesetz, dessen Obersätze auf Voraussetzungen beruhen, die
nicht be>viesen werden können, fällt und steht mit der Annalime
oder Verwerfung jener Obersätze. Die Autorität, nicht die Über-
zeugung entscheidet. Damit erstirbt aber die wahre Sittlichkeit, deren
Lebenshauch ja die innere Freiheit ist. Der Verfasser bespricht im
einzelnen die wichtigsten Probleme der Individual- imd Sozialethik.
Man würde vielleicht Hubers Ethik am besten als Ethik des ge-
sunden Menschenverstandes kennzeichnen. Sie teilt die Vorzüge und
die Mängel eines naiven Empirismus. Wer noch auf dem Stand-
punkte (ler Auffassung des Zeitalters der Aufklärung steht, wer noch
den Menschen einseitig als Verstandes weseu betrachtet und vom
vernünftigen Denken allein alles Heil sowohl in intellektueller wie
auch in sittlicher Beziehung erhofft, wer ferner noch an die Möglich-
keit eines allgemein gültigen Systems - - eines Natursystems! — der
Ethik glaubt, der wird Hubers Büchlein mit grösstem Interesse lesen
und Befriedigimg daraus schöpfen. Der Beurteiler und wohl viele
andere, die den Ideen des neuen Zeitalters, das hereinbricht, sich
nicht verschliessen , haben mit der in Huber verkörperten Welt-
anschauung gebrochen. Hochegger.
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166 Nachrichten. Heft 4 U. 5.
C. Nachrichten.
Die von Adolf Harnack (Berlin) und E. Schürer (Kiel) heraus-
gegebene Theologische Llteraturzeituug — sie vertritt die Auffa**«ungen
Albrecht Ritschis — beschäftigt sich in ihrer Nr. 3 vom 3. Februar d. J.
eingehender mit unseren Monatsheften. Es ist erfreulich, dass der Bericht-
ei-statter, Prof. G. Kawerau (jetzt in Breslau), im Ganzen das günstige
Urteil teilt, das vor ihm die Theologen anderer Richtungen — wir ver-
weisen auf die früheren Besprechungen in dem Theol. Literaturblatt
Luthardts vom 19. August und 2. Dezember 1892 sowie vom 7. Juli 1893,
auf den Theologischen Jahresbericht, Bd. XII, S. 347, die Theolog.
Tydschrift, Bd. 27 (1893), S. 451—458, die Zeitschrift für praktische
Theologie, Jahrgang XV, S. 89 u. s. w. — ausgesprochen hal>en. Das
Hauptbedenken, das Kawerau hegt, ist das, dass „die Theologen unter den
Mitgliedern der CG. sehr verschiedene Richtungen repräsentieren" —
bezeichnend genug für ihn selbst wie für die G.G., der der Herr Bericht-
erstatter dies zum Nachteil anrechnet. Wir sind vielmehr der Ansicht,
dass darin ein Ijob unserer Haltung Hegt, da wir, wie die oben er-
wähnten Besprechungen beweisen, trotz dieser Verschiedenheit der Rich-
tungen allen zu Dank gearbeitet haben. Wenn man uns vorwerfen könnte,
dass wir eine einseitige Richtung vertreten, würden wir bedenklich
sein und uns fragen, ob wir wirklich auf den Wegen des Comenius uns
befinden; jetzt gehen wir über dies „Bedenken" der RitschPschen Schule
ruhig zur Tagesordnung über, obwohl wir ganz genau wissen, dass diese
Weitherzigkeit an sich Vielen zuwider ist und dass jenes „Bedenken" genügt,
um gar Manchen von unsrer Schwelle fem zu halten. Hiervon abgesehen,
meint Kawerau, sei nicht zu verkennen, da^s „für streng geschichtliche
Comenius-Forechung hier bereits ein sehr erfreulicher Anfang gemacht sei."
„Bis jetzt haben sich", fährt er fort, „der jungen Gesellschaft kundige Mit-
arbeiter und mit ihnen neue Themata so reichlich eingestellt, dass man ihr
zu diesem Anfange von Hei-zen Glück wünschen darf." .... „E^ nniss
genügen, darauf hinzuweisen, dass der Theologe neben dem Interesse, welches
er der Geschichte der Pädagogik ohnehin zuwenden muss, auch für seine
besonderen theologischen Interessen in mannigfaltiger Weise hier des Anre-
genden und Belehrenden in reichem Masse findet. Der Kirchenhistoriker
speziell wird an den Arbeiten der Comenius-Gesellschaft nicht
vorübergehen dürfen."
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1894. Nachrichten. 167
Die theologischen Urteile über unsere Behrilteu, die wir oben zu-
sammengestellt haben, stammen aus evangelischen Zeitschrift^^n. Wir finden
es ganz natürlich, dass die katholischen Blätter einstweilen zurückhalten-
der sind. Um so erfreulicher ist es für uns gewesen, dass die wissenschaft-
liche katholische Presse — die katholisch -pädagogische Presse im engeren
Sinn war bereits früher damit vorangegangen und hatte sowohl Comenius
selbst wie der C. G. freundliche Worte gewidmet — jetzt die Arbeiten
unserer Hefte in sympathischer Weise begrüsst und bespricht. Wir
verweisen in dieser Beziehung auf die Besprechung, die P. Osw. Mannl,
O. Praem. zu Pilsen, in dem von der Leo-Gesellschaft unter Bedaktion von
Dr. Fr. Schnürer herausgegebenen Österreichischen Litteraturblatt vom
15. Februar d. J. Nro. 4 über die akademische Antrittsrede Prof. J. Loserths
in Graz veröffentlicht hat, die wir in den M.H. der CG. 1893, Seite 151 AT.
abgedruckt haben. Mannl empfiehlt den Aufsatz auf das wärmste:
In den Sitzungsberichten der Königlich Preussischen Akademie der
Wissenschaften zu Berlin (XXXV. 19. Juli 1888, Berlin 1888, S. 807—832)
hat Wilhelm Dilthey einen Aufsatz über „die Möglichkeit einer allgemein-
gültigen pädagogischen Wissenschaft" veröffentlicht, der einige Urteile ttber
CometiluH, Fröbel und Pestalozzi enthält, die für uns von Interesse sind.
Dilthey sagt (Seite 825): „Auch in dem pädagogischen Genius ist etwas
ursprüngliches. Seltener vielleicht als der Dichter oder der bildende Künstler
ist er in der Geschichte aufgetreten. Sokrates, Plato, Comenius, Pestalozzi,
Herbart, Fröbel sind unzweifelhaft von dieser Art. Sie treten neben
die Dichter als Personen desselben Ranges, aber von einer ganz anderen
Gemütsbe8chaff*enheit. Die geschichtliche Kenntnis von ihnen schöpfen wir
mehr aus Schildeiiingen Anderer über sie als aus Selbstzeugnissen. Man
bemerkt, dass die Anziehungskraft, die ein Mensch auf andere ausübt, durch
die impulsive Macht bedingt ist, mit der er sich äussert und hingiebt.
In dem pädagogischen Genius herrschen daher Gemüt und Anschauungs-
kraft vor, gar nicht der Verstand ... Wir verstehen nur durch Liebe . . .
Eine ungebrochene Naivetät im Grunde der Seele nähert den päda-
gogischen Genius dem Kinde. Pestalozzi in seiner Schulstube, Fröbel
in den Thüringer Bergen, Kindei-spielc erfindend und Kinderlieder, zeigen
solche Gabe wie in einem Urphänomen. . . . Auf dem Grunde naiven Ver-
stchens * entspringt dann ein Sinnen über Seelenleben, so lebendig, so
voll Realitätssinn, dass es gegen die wissenschaftliche Analysis widerspenstig
verbleibt. Aus solchem Sinnen sind die herrlichen Jünglingsgestalten Plato's
entstanden als ein einziges Denkmal des pädagogischen Affects, dann
Pestalozzi' s Menschenbilder in dem Lienhart, dem schönsten Volksroman
aller Zeiten, und seine wie FröbeTs Phantasien über die Menschenseelc
und die Entwickelung der Menschheit: tiefsinnig, elementar, concret, wahr-
haftig, nicht nach dem Richtmass wissenschaftlicher Analyse zu messen, ein
Ding für sich in der Welt des Grübelns über Menscheiuiatur. . . . (Seite 826.)
Und nun entspringt in dem pädagogischen Genius aus immer neuer Be-
schäftigung mit Menschen- und Kinderseelcn grübelnde Erfiudsamkeit
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168 Kachrichten. Heft 4 u. 5.
mit Bezug auf die Kunstgriffe zu bilden, zu unterrichten. In der Schulstube
entspringen diese Erfindungen, Kinder vor den Augen, und das Urphänomen
solchen Erfinders ist, wie Pestalozzi, verwahrloste Kinder um sich, mit den
einfachsten, elementarsten Aufgaben ringt und die Elementarmethode erfindet.
Welch ein Kontrast: Die Aufklärung der Salons in Frankreich und dort
Rousseau phantasierend, sein Buch auf den Tischen der Weltfrauen, seine
Kinder im Findelhause, sein Leben einsame Träumerei, und die Pädagogik
der deutschen Aufklärung, das goldene Zeitalter genialer Erziehungs-
versuche, Fürsten und Minister, die helfen wollen, ein Publikum, das mit
Begeisterung folgt, und die Aufopferung echt pädagogischer Naturen,
wie Pestalozzi, Salzmann, Campe, Fröbel, welche unter Kindern in einfachsten
Verhältnissen ihr Leben mit dem mächtigen Gefühl des Fortschrei-
tens der Menschenbildung als der wichtigsten Angelegenheit
unseres Geschlechtes erfüllen. . . . (Seite 827.) Das oberste Prinzip
des Anschauungsunterrichts ist unter der Einwirkung Bacos von
Comenius und seinen Nachfolgern formuliert worden. Der Untenicht
muss dem Gang der Natur folgen, dieser aber geht von der Anschauung
zu B^riff und Wort, und zwar von dem Ganzen, das in der Anschauung
befasst ist, zu den Teilen. Die von diesem Prinzip aus gefundenen Methoden
bilden einen Hauptteil der pädagogischen Reformthätigkeit im 17. und 18.
Jahrhundert. Dann ist ein zweites Prinzip von Comenius gesehen, von
Rousseau durchgeführt worden. Der Anschauungsunterricht hat von der
nächsten Umgebung des Kindes aus das (^anze der umgebenden Welt zu
beschreiben. So ergänzt er das der kindlichen Erfahrung Gegebene vermittels
der dem Kinde geläufigen Operationen in den ihm geläufigen Richtungen.
Kn drittes Prinzip war ebenfalls von Comenius aufgestellt und ist von
Basedow durchgeführt worden. Auffassen der Objecte und Bezeichnung
derselben ist einzuüben. Viel tiefer aber reicht das von Pestalozzi auf-
gestellte vierte Prinzip. In aller Anschauung wiederholen sich Elemente.
Dass jedes dieser Elemente in höchster Energie, Reinheit und Sicherheit
hervorgebracht werde, ist die Voraussetzung, unter welcher dann die An-
Hchauung ihre höchste Vollkommenheit erreicht Diese Elemente treten in
dem Anschauuugsk reise des Räumlichen, der Zeitbestimmungen, der sinnlichen
Qualitätenkreise, der Tonreihe und der Sprachlaute auf. Übungen, welche
die vollkommene Hervorbringung dieser Elemente zum Ziel haben, sind von
Pestalozzi erfunden und von Herbart, Fröbel und vielen anderen durch-
geführt worden. Eine Ergänzung finden diese Prinzipien darin, dass auch
die Erweckung, die reine und energische Darstellung von Elementen der
inneren Erfahrung vermittels des Umgangs und der Poesie, der Religion
und der Geschichtserzählung eine wichtige Unterlage des höheren Seelen-
lebens bildet."
Comenius war, wie bekannt, im Jahre 1628 gleichzeitig mit dem
Schotten Joh. Johnston und den Gelehrten Ursinus und Stadius Mitglied
der So«ieta8 Christiaiila gewoi'den, an deren Spitze Val. Andreae stand;
diese Societät oder Brüderschaft stand auf der gleichen Stufe wie jene zahl-
reichen Akademien und Sodalitäten der Naturphilosophen, die das 17. Jahr-
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1894. Nachrichten. 169
hundert kennt. Sehr merkwürdig ist nun C.'s Schrift Vi« Inefe, die im
Jahre 1641 in England geschrieben und im Jahre 1668 zum ersten Mal zu
Amsterdam bei Christoph Conrad im Druck erschieneD ist (s. M.H. der
CG 1892, S. 34). Der volle Titel lautet: Via lud«, vestigata et vestiganda,
h. e. Bationabilis disquisitio, quibus modis intellectuah's animorum lux,
sapientia, per omnes onmium hominum mentes et gentes, iam tandem sub
mundi vesperam feliciter spargi poesit.
Die Schrift ist der Societas Londinensis, die im Jahr der Drucklegung
bereits zur Begia Societas (der heutigen Royal Society) geworden war,
gewidmet und enthält ein Vorwort an diese „Akademie", das unterzeichnet
ist: Unus ex humiljbus Viris desidenorum Comenius senex. Amsterdami
idibus Aprilis 1668. — Als einen Weg, um das „Licht" unter allen Völkern
zu verbreiten, empfiehlt Comenius eine einheitliche Organisation der
über alle Länder verbreiteten Akademien und schlägt vor, dass die englischen
Brüder sich an die Spitze stellen. Leider ist die Schrift äusserst selten imd,
soviel' uns bekannt, nur in einem Exemplar vorhanden. Wir haben den
Wunsch, einen Aufsatz über sie zu veröffentlichen, und wüixlen gern einem
unserer Mitarbeiter den Raum, den er dafür nötig hat, zur Verfügung stellen.
Am besten wäre es freilich, recht bald einen Neudruck zu veröffentlichen.
Einige Nachrichten giebt Kvacsala in Dittes' Pädagogium, 1888, Seite H\.
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170
Inhalt neuerer Zeitwhriffen.
Heft 4 u. 5.
0. Inhalt neuerer Zeitschriften.
tTIt de ReHionsfr««toelieBroeder-
sehap. (Mcppol, H. u»!! Brink.) 4. Jahrg.
4. Hoft. Inhalt: J. H. Maronior, Jan
Horman do Ridder. In Memoriam. B. T i d e -
man Jr. Ooduld. — 5. Jahrg. 1. u. 2. Heft.
Inhalt: J. H. Maroni er, De ontwikkeling
vau hot begrip des geloofs in do eorsto eeuwen
van het Chnstendoin. - J. A. Beyo rman,.
Simon Epi»copiu8. — De Algeraeene Ver-
gadering. - Onze Ix^estafel. — Verroek van
Dr. M. C. Tideman. — Berichten. G. van
Gorkon, Altjrd hetjselfde. De Ridder,
Waarom godsdienst? — Beyerman, Een
droef besluit. — De Ridder, Kuenens Moraal.
— Onze LeesUfel. - Berichten. — Heft 3.
Inhalt: 1858 6. Nowraber - 1803. De
Kemon8traatfK;he Broederschap in haar beginsel
en noel. Festrede ter herdenking van 4<)jarige
Kvangeliebediening van Prof. C. P. Tiele. —
Wf'X Wereldgericht I, door Dr. J . Herden»che*.
De wereldU^ntoonHtelling en het parlement
'"»• sjodsdiensten door Dr. J. A. Beyenuan.
IV ■ V/vm»leI. " Berichten. - Mededeeling
a I»' ^l r. Tideman. ~ Prj'svraag van de
"x^ig. ^luMtuchappy.
Xeltocbrin für Phllonopble und
pbUoMtpblache Kritik, im. Bd. 2. Heft
18»4: Ed. Höldor, Fr. Jodl's Vortrag über
das Natunveht. Theobald Ziegler,
Religionsphilosophisehes. - G. Kohfeldl,
Zur Ästhetik der Metapher. E. G r 0 n e i s e ii,
Zur Erinnerung an Hermann Ulrici. Re-
ci'nsiimen.
PbiloMophlscbes Jabrt»u€h. 7. Bd.
I.Heft. 18»4: Abhandlungen: Ti Im. Posch,
Sef'le und Leib als 2 Bestandteile der einen
Menschensubstanz gemSss der Lehre des hl.
Tliomas von Aquin. - (iutberlet, Über
den Ursprung der Sprache. v. NostitJ:-
Rieneck, I^eibnis und di«* Scholastik. —
A d 1 h o e h , Herder imd < reschichtjtphilosophie
(Schluss). Reeensionen und Referate. -
Philosophischer .Sprechsaal : M a t h i I d e v. H. ,
Die traditionelle Auffassung des Weibes.
Zeitschriftenschau. — MisctMlen imd Nach-
richten.
Heiio J«hri»ileher fllr Phllol4»ir*^
und Pildim:offlk. irio. Bd. (Pndagog. Abt.)
1. Hift 18<M: Paul Drtrwald, Der Palast
des Odysseus. - C. Steg mann. Zur lateini-
schen Schulgrammatik. - Heinrich Weiss,
Blume und BlQte. Eine sprachliche Frage aus
dem (tobiet der theoretischen Botanik. —
Ernst Hasse, Zum deutschen Unterricht
in IIa. Alfred Biese, Ein AufbIQhen
der Philosophie. - Oskar Jäger und Franr
Moldenhauer, Auswahl wichtiger Akten-
stücke zur (it»8chichte des 19. Jahrhunderts
(Berlin ISIK^), angeseigt von Alfred Bal-
damus. — Oskar jager: Pro domo.
Reden und Aufsfttxe (Beriin 1893), angi^zeigt
von Richard Richter.
Jabrbaeb der C^esellftcbaft fttr die
GeMeblebte de« ProCestantlnHiu« in
Oenterreleb. (Wien und Leipidg, Klink-
hardt.) XIV. Jahrg. (1893). Heft 1-4: Fritz
Pichler, Ein siebeigtflgiger Feldzug. —
Karl Reissen berger. Zur Geschichte der
religiösen Bewegung in Olx'röslerreich, Kärnten
und Steiermark um die Mitte des XVIII. Jahr-
hunderts. - E. Schatzmayr, Johannes
Baptist Goineo und zeitgenössische Anhänger
der Reformation in Istrien un4 Triest.
Th. Elze, Die slovenischen protestantischen
Katechismen des XVI. Jahrhunderts.
L oe 8 c h e , Bibliographie über die einschlägigen
Erscheinungen des Jahn»» 1892 mit kurzen
Nachrichten. — Bericht des Centralvorstandet*
Ober das Vcreinsjahr 1893. - F r z. S c h e i c h 1 ,
(«laubensfli^chtlinge aus den östorreichischen
(iebieten in den letzten vier Jahrhimderten.
— Heinrich GradI, Die Reformation des
Egorlandee (Schluss). — Buchwald, Eline
vermeintliche oder abgelehnte Berufung in das
Joachimsthaler Pfarramt vom Jahre 1528. -
W. A. Schmidt, Notizen über die Re-
formation und (iegenn^formation einzelner
Städte Nordwestböhmens. — Personenregister.
Ortsregister.
Mlttellanfren der (k'sellsehafit für
dentAcbe Erslebun^- und liehul*
g^eneblchte. Im Auftrage der Gesellschaft
horausgegeU'n von Karl Kehrbach. Jahrg. III
(18!»). Schluss. Heft 4. Inhalt: Konrad
Kolbe(ZQIz), Stiftungsurkunde der Schule
und des Gymnasiums zu Beuthen a. O. aus
dem Jahre IGIG. Namen und SachregisUM
zu Jahrg. III. — GoscbOftlicher Teil.
BuehdruekoHM von Johannes Bredt, Mftnstir I. W»t*lf.
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Monatshefte
der
Comenius-Gesellschaft.
III. •Band. -^ 1894. ^ Heft 6 u. 7.
Die böhmischen Brüder und ihre Vorläufer.
Von
Ludwig Keller.
In der „Geschichte der böhmischen Brüder*', welche Comenius
im Jahre 1649 herausgegeben hat/) finden sich über den Ursprung
und die Zusammenhänge dieser Religionsgemeinschaft einige Mit>-
teilungen, die zur Kennzeichnung der Geistesrichtung, aus welcher
Comenius^ Eigenart erwachsen ist, von Bedeutung sind.
Die Schriften Wiclifs, so erzählt die erwähnte Geschichte,
hätten auf die Bewegung, welche unter Führung des Joh. Hus in
Böhmen ausgebrochen sei, einen grossen Einfluss ausgeübt; nach
den Husitenkriegen sei unter den Gegnern Roms ein grosser Zwie-
spalt entstanden, da die einen nur auf den Kelch drangen, auf die /
übrigen Lehren des Hus aber wenig Wert legten, während die
Taboriten, die in Wenzeslaus Koranda imd Nicolaus Episcopius
ausgezeichnete Führer besasscn, mit wenigen andern anfingen, auf
*) Die „Historia fratram Bohemonim" — ich benutze hier, da die
ersten Ausgaben sehr selten sind, die Ausgabe, welche von J. F. Buddcus
unter dem Titel: Jo. Arnos Comenii, eccl. F. F. Boh. Episcopi, Hist. fratrum
Boh. etc. Hahie 1702 besorgt worden ist — ist nicht von Comenius, sondern
von Joh. LasitJus seit etwa 1580 verfasst. Sie ist deshalb sehr wertvoll
(leider hat Comenius die ersten sieben Bücher nicht vollständig, sondern
nur im Auszug herausgegeben), weil Lasitius bei der Abfassung von den
amtlichen Organen der Brüder mit Material u. s. w. unterstützt worden ist;
der Senior Tumovius (f 1G08) hat das ganze Werk vor der letzten Bear-
beitung einer Durchsicht unterzogen.
Monntshcftti der Coinenius-(}t'Hf»ll8chaft. 1894. 19
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172 KeUer, Heft 6 u. 7.
Einfachheit und Reinheit in allen Glaubenslehren und
Kirchengebräuchen zu dringen. Geflissentlich ward von
den Gegnern der Hass geschürt und das Volk au%ereizt g^n
die, welche ^^dem reineren Glauben" anhingen^ indem man ihnen
den verhassten Namen der Pikarden beilegte; Pikarden aber war
ein Scheltname der Waldenser, die als die allerschändlichsten
Ketzer galten.^)
Es gelang den Bemühungen der Kurie im Jahre 141^3^ so
fährt der Bericht fort, diejenigen, „die nur auf den Kelch drangen",
zur römischen Kirche zurückzuführen und mit deren Hilfe die
jetzt alleingelassenen Taboriten oder Pikarden gänzlich niederzu-
schlagen. So schien es, als ob die evangelische Lehre in Böhmen
vernichtet sei; aber im Stillen gab es viele Männer, welche ihr
Ziel fest im Auge behielten und nur auf den rechten Augenblick
warteten, um hervorzutreten und den Kampf von neuem aufzu-
nehmen; einer der vornehmsten imter diesen war Bruder Gregor,,
ein Nefle des Erzbischofs von Prag, Rokycana, der unter König
Georg von Podiebrad der einflussreichste Mann im Lande war.
Bruder Gregor und seine Freunde hofften lange, dass Rokycana
selbst ihr Führer werde, imd in der That unterstützte er die
Brüder, indem er ihnen in den schlesischen Gebirgen ein Gebiet
anwies, wo sie unbehelligt wohnen konnten, aber die angetragene
Führerschaft lehnte er ab, ja allmählich ging er in das Lager derer
über, welche die Brüder hassten imd verfolgten.
König Georg erliess strenge Befehle gegen die Brüder,
welche man ebenfalls mit dem verhassten Namen der
Pikarden belegte, und eine schwere Zeit der Verfolgung brach
für die Brüder an; in Wäldern und Höhlen mussten sie sich ver-
bergen imd erhielten den Spottnamen Jamnici oder Grubenheimer.
Trotz dieser Hindemisse hielten die Brüder in den Bergen Zu-
sammenkünfte und Synoden ab und errichteten eine feste Ord-
nung, indem sie Senioren wählten, denen sie Gehorsam versprachen.
Da aber unter den Brüdern die Überzeugung lebte, dass für
die ordnungsmässige Ausübung des geistlichen Amtes die Hand-
auflegung eines Bischofs erforderlich sei, der innerhalb der apo-
stolischen Succession und Bischofsfolge steht, so sandten sie zu
^) Man beachte das günstige Urteil der Historia über die Taboriten;
die hier angeführten Stellen finden sich in der Ausg. v. 1702, S. 11 f.
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1894. ^ie böhmischen Brüder und ihre Vorläufer. 173
dem Bischof der sogenannten Waldenser, Namens Stephanus,
der mit seinen Gemeinden an der Grenze von Osterreich mid
Mähren lebte. Die Gesandten hatten den Auftrag, dem Bischof
über die Brüder in Böhmen und ihre Schritte Bericht zu erstatten
und sein Urteil darüber einzuholen; i) „sie fanden den Bischof
Stephan und dieser legte ihnen in Gegenwart eines zweiten Bischofs
und einiger Diener (ministri) den Ursprung der sog. Waldenser
dar, die Sätze ihrer Lehre imd alle die schweren Schicksale, die
sie bisher in Frankreich und Italien erduldet; darauf hörten sie
den Bericht der unsrigen über ihre Lossagung vom Papst und den
Calixtinem an, sprachen ihre Billigung aus und wünschten ihnen
Glück; nach Übertragung der VoUmacht, Diener (Prediger) zu
wählen, machten sie jene drei Abgesandten durch Handauflegen
zu Bischöfen und sandten sie zu den ihrigen zurück."^)
Es begannen darauf Verhandlungen über eine förmliche Ver-
schmelzung, d. h. über Einrichtung einer Verfassung imd Organi-
sation, welche die Brüder in Osterreich und die „Brüder des
Gesetzes Christi" in Böhmen — so nannten sich die Brüder nach
dem Zeugnis unserer Quelle m*sprünglich ^j — in gleicher Weise
umfasste. Die Brüder in Böhmen waren in Bezug auf die Lehre
und den Eifer des christlichen Lebens im höchsten Grade mit den
Brüdern in Osterreich einverstanden, doch missfiel ihnen, dass die
letztem die Wahrheit im Verborgenen übten und dass sie aus Fmxjht
vor Verfolgungen die päpstlichen Kirchen besuchten.^) Die öster-
reichischen Brüder, hierauf hingewiesen, erkannten an, dass sie
^) Ausg. V. 1702 S. 18: Qui quid actum esset explicareut, judicium-
que de eo petercnt.
*) Nach Adr. Regen volscius, Syst. Eccl. Slav. Lib. III Cap. X (1652)
beginnt die Bischofsreihe der böhmischen Brüder f olgendermassen :
„1467 wurden von dem Waldenser -Bischof Stephanus in Österreich
ordiniert:
1. Michael Bradacius von Zamberg.
2. N. N., ein alter Waldenser-Prediger.
3. N. N., ein Priester aus dem Papsttum."
Wenn dieser „alte Waldenser-Prediger" nicht unter den Brüdern eine ange-
sehene Stellung besessen hätte, würden sie ihn wohl nicht zuerst haben
ordinieren lassen. — Hier nach Cranz, Brüder-Historie 1772, S. 91.
») A. O. S. 15.
*) A. 0. S. 18: „Placuit doctrinae puritas vitaeque Christianae Studium
summe, dispJicüit autem, quod veritatem occultarent nee profiterentur libere:
quin evitandi persecutiones studio papistica templa frequentarent etc.
12*
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174 KeUer, Heft 6 u. 7.
nicht richtig handelten und unter dem Eingeständnis^ dass sie von
der Keinheit der Vorfahren sich entfernt hätten, versprachen sie
Besserung. Es ward ein Termin festgesetzt, an welchem nach
Beseitigung der Anstände die Verschmelzung weiter betrieben
werden solle.
Aber noch ehe der Termin herangekommen war, ward von
den „Papisten", welchen die Pläne der Brüder verraten worden
waren, die Sache durchkreuzt Bischof Stephan ward verhaftet
und zu Wien verbrannt, und seine Gemeinden flohen, zum Teil
in die Mark Brandenburg, ziun Teil nach Fulnek in Mähren.
Das Zustandekommen der Verschmelzung ist nach unserer
QueDe lediglich an der Vernichtung der österreichischen Gemeinden
gescheitert Wenn die Brüder in Böhmen gleichwohl den Namen
„Waldenser" allezeit zurückgewiesen haben, so haben sie damit
nur das Beispiel befolgt, welches die Brüder in Osterreich und
alle anderen sog. Waldenser der älteren Zeiten ihnen gegeben
hatten. Unser Bericht aber kennt noch zwei andere Gründe der
Abweisung des Namens, nämlich einmal die Thatsache, dass die
Brüder in Böhmen ihren Glauben nicht ebenso wie die Handauf-
legung von den sog. Waidensem Österreichs geholt hätten (was
gewiss richtig war, aber die oben betonte wesentliche Überein-
stinmiung in der Lehre nicht ausschloss) imd sodann die Erwägung,
dass sie es für klug hielten, die Anwendimg der von den Obrig-
keiten gegen die „Waldenser" erlassenen Gesetze nicht
herbeizuführen, sondern vielmehr abzuwenden.*)
Diese DarsteUung, wie sie sich in der Brüderhistorie findet,
wird in wertvoUster Weise bestätigt und ergänzt durch Urkimden
und Briefe, welche in neuerer Zeit über diese Vorgänge aufgefunden
worden sind. 2) Durch sie erhalten wir auch Auskunft über die
Gründe, welche die Brüder bestimmten, sich gerade an den Bischof
der „Waldenser" zu wenden, und gerade diese Gründe sind für
uns deshalb vom grössten Interesse, weil die Quelle, die sie uns
*j A. O. S. 19: „quia lata et publica (ta) in Waldenses a magistratibus
decreta in se non derivanda, vitanda potius prudenter existimabant. Ordi-
nandi tarnen potestatem eoque externam succeesionem a Waldensibus se
accepisse, nunquam negabant: licet et hanc aliquando prudenter, pro
temporis ratione, silentio praeteribant."
*) S. Gell, Quellen und Untersuchungen zur Gesch.' d. böhmischen
Brüder. Prag 1878 I, 17 ff.
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1894. I^ie böhmischen Bruder und ihre Vorläufer. 175
berichtet, gleichsam amtlicher Natur und von der Brüderschaft
als solcher ausgegangen ist Im Jahre 1468 nämlich sandten die
Brüder ein Schreiben an den Erzbischof Rokycana, welches be-
stimmt war, den Schritt, den sie mit der öffentlichen Loslösung
von der römischen Kirche durch die Aufrichtimg einer eignen
Hierarchie und die Einführung der Taufe der Erwachsenen gethan
hatten, zu rechtfertigen. Ihr Vorgehen, heisst es, sei lediglich eine
Rückkehr zur wahren Kirche der ersten Christen, welche sich
bei den Waldensern erhalten habe. Um diesem Schreiben
noch grösseren Nachdruck zu geben, ward es im Jahre 1471 in
mngearbeiteter Form von den Brüdern veröffentlicht Auch hier
versichern sie, dass sie durch Wahl eigner Bischöfe und Prediger
nichts Neues begonnen, sondern sich lediglich nach dem Vorbild
der ersten Kirche gehalten hätten; mit dieser Kirche seien
sie durch die Waiden ser verknüpft; „es ist ein grosses Volk
(die sog. Waldenser) in vielen Ländern, und sie besitzen Bischöfe
und Prediger/^ 1)
Die Überzeugung der böhmischen Brüder von ihrem Zu-
sammenhang mit den altchristlichen Gemeinden ist einstweilen
ebenso unbewiesen, wie die gegenteilige Annahme mancher katho-
lischer und protestantischer Geschichtsschreiber der neueren Zeiten.
Sicher aber ist, dass die gleiche Überzeugung bei den Vorläufern
der Brüder in allen Jahrhimderten des Mittelalters wiederkehrt*)
W^ir woDen und können an diesem Orte nicht in eine wissen-
schaftliche Prüfung der Ursprungsfrage eintreten. Wohl aber
können wir auf die Ergebnisse hinweisen, welche einer unserer
^) GoU, a. O. I, 93. — Im März 1471 waren die vornehmsten Verfolger
der Brüder, König Georg und Rokycana, gestorben ; unter Georg Wladislaus,
König von Polen, begannen bessere Zeiten, sodass sie die Ketzergesetze nicht
zu fürchten brauchten. Als um 1503 die Verfolgimg wieder anbrach, ward
der Zusammenhang mit den Waidensem absichtlich verschwiegen.
*) Ausser den Stellen, auf die ich früher hingewiesen habe (vgl.
Keller, Joh. v. Staupitz und die Anfänge der Reformation. Lpz. 1888 S. 252 f.),
verweise ich hier auf den Briefwechsel zwischen den Österreich, und lombard.
Waidensem von 1368 in der Deutschen Zeitsch. f. Geschichtswiss. 1890 S. 368f.
Femer auf das Schreiben des südfranzösischen Waldensers G. Morel von 1530
bei Dieckhoff, Die roman. Waldenser S. 363 f. Dieselbe Überzeugung spricht
Rob. Oliveter in der Vorrede zur wald. Bibelübersetzung aus (1536).
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176 KeUer, Heft 6 u. 7.
bedeutendsten Kirchenhistoriker — J. von DöUinger — neuerdings
der Öffentlichkeit übergeben hat*)
Döllinger ist zu der Überzeugung gelangt, dass die „Sekten"
des Mittelalters durch eine Reihe von Mittelgliedern mit den
Sekten des ersten und zweiten Jahrhunderts verbunden sind,
und er glaubt, dass am Anfang dieser Entwicklungsreihe jene
Systeme stehen, welche als gnostische bezeichnet zu werden pflegen.
Diese Mittelglieder sind nach Döllinger die sog. Bogomilen
sowie die Paulicianer gewesen, welche nachweislich bis minde-
stens in das 4. und 5. Jahrhundert hinaufreichen. Auch ist Döl-
linger ganz anderer Meinung, als die, welche in den mittelalter-
lichen Ketzern lauter verschiedenartige Sekten sehen; nach ihm
sind vielmehr die Priscillianisten, Paulicianer, Bogomilen u. s. w.
„überall nur Verzweigungen einer einzigen grossen Sekten-
Familie, welche, wenn auch in einzelnen Meinungen von einander
abweichend, doch in allen Hauptpunkten übereinstimmen." Aber
Döllinger geht noch weiter; er hält nicht bloss die genannten
Sekten für eine Sekte, sondern behauptet im bewussten Gegensatz
gegen die weit überwiegende Zahl der neueren Kirchenhistoriker
— Gieseler, J. J. Herzog, C. Schmidt, Guericke, Engelhardt — ,
dass die Petrobrusianer und die Henricianer des 12. Jahrhunderts
gleichfalls nur Zweige jener einen Sekten-Familie seien; es sei
diurchaus willkürlich, Peter von Bniys und Heinrich von Toulouse
als Stifter besonderer Sekten anzusehen; von eignen, getrennt be-
stehenden Gemeinschaften der Petrobrusianer u. s. w., finde sich
keine Spur; vielmehr stimme ihre Lehre in allen Punkten mit der
der Bogomilen u. s. w. überein, und Peter bezw. Heinrich seien
lediglich berühmte Wortführer einer alten und weitverbreiteten
Religionsgemeinschaft Es darf ja heute aber wohl als allgemein an-
erkannt gelten, dass wir in den Petrobrusianem und Heinricianem
die Vorläufer der Waldenser zu erkennen haben. Dieser Zweig
der mittelalterlichen Ketzer, fährt Döllinger fort, hatte unter den
Webern zu Toulouse und in der Umgegend, die in der dortigen
Volkssprache Arriens hiessen, seinen stärksten Anhang.
Ebenfalls ein Zweig dieser Sektenfamilie sind nach Döllinger
die Katharer, oder doch der grössere Teil derselben. „Die Ahn-
*) Döllinger, J. v., Beiträge zur Ketzergeschichte des Mittelalters.
2 Bde. München 1890.
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1894. Die böhmischen Brüder und ihre Vorlaufer. 177
lichkeit des Lehrbegriffs der monarchischen Katharer in Italien mit
dem der Bogomilen (sagt Döllinger I, 114) ist so auffallend^ dass die
direkte Abstammung der ersteren von den letzteren als unzweifel-
haft gewiss betrachtet werden kann." Dieser bestimmte
Ausspruch eines Kirchenhistorikers von DöDingers Bedeutung fallt
um so mehr ins Gewicht, als er damit lediglich bestätigt, was
bereits im 12. Jahrhundert ein Mann ausgesprochen hat, der die
Dinge sicher besser beurteilen konnte, als irgend ein späterer
Forscher oder Ketzerrichter, nämlich Bernhard von Clairvaux.
Die Lehre der E^tharer, sagt dieser, enthalte nichts Neues,
sondern wiederhole lediglich das, was die älteren Häretiker vor-
gebracht hätten. Döllinger hält es für notwendig, manche bis-
herige Ansicht über die Glaubenslehre der Katharer zu berichtigen;
während man bisher den sog. Dualismus, d. h. die manichäische
Lehre von einem bösen und guten Gott, als das wesentlichste
und unterscheidende Merkmal der Katharer hingesteUt hatte, weist
Döllinger nach, dass diese Lehre von einem grossen Teil der
Partei zurückgewiesen worden ist und mithin keineswegs als imter-
scheidendes und wesentliches Kennzeichen gelten kann. Er ist
geneigt, diesen Dualismus lediglich als eine Schulmeinimg mancher
Katharer zu betrachten.
Und nicht bloss in Bezug auf die Zusammenhänge, sondern
auch in betreff der räumlichen und zeitlichen Ausdehnung weichen
DöUingers Ansichten von den landläufigen Meinungen weit ab.
Von der Lehre, in welcher er die Wurzel des mittelalterlichen
Sectenwesens sieht, vom Gnostizismus, sagt er, dass derselbe sich
lun die Mitte des 2. Jahrhunderts über das ganze römische Welt>-
reich, ja über dessen Grenzen hinaus ausgebreitet hatte. „Obwohl
vielfach unterdrückt", sagt er, „verbreitete sich dieses System im
Osten wie im Westen, von Persien bis nach dem römischen Afrika
und behauptete sich Jahrhunderte lang mit zäher Dauer-
haftigkeit" Er wiederholt damit nur, was Zeitgenossen wie
Cäsarius von Heisterbach (f um 1230) und der Abt Joachim
(f 1202) gesagt hatten; der letztere zählt die Katharer mit den
Juden, Heiden, Arianem, Mohamedanem und den deutschen
Kaisem zu den sechs Hauptfeinden der Kirche; sie seien tun so
gefährlicher, weil sie im Geheimen thätig seien; ihr Mittelpunkt sei
Oberitalien, von dort aus würden alle übrigen Länder angesteckt
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178 KeUer, Heft 6 iL 7.
Seitdem unter Kaiser Constantin 9ie Kirche zur Staatskirche
geworden war und der Grundsatz Gesetzeskraft gewonnen hatte,
dass jede bewusste Abweichung von dem Glauben und der Lehre
der Staatskirche ein staatliches Verbrechen sei, war im Abend-
land ein friedliches Nebeneinanderleben zweier grosser religiöser
Körperschaften unmöglich: nur im Kampf konnte sich jede selb-
ständige Strömung religiösen Lebens behaupten, imd es lag in der
Natur der Verhältnisse, dass diejenige Richtimg, welche über die
Machtmittel des römischen Reichs und seiner Nachfolger verfügte,
eine erdrückende Übermacht mitbrachte. Die römische Kirche
war entschlossen, diese Überlegenheit zur Geltui^ zu bringen:
ein Kampf auf Leben und Tod war die Folge.
Die Geschichte der Kirche ist von ihren Anhängern ge-
schrieben, und wie stets die Partei, die äusserlich siegreich aus
solchen Kämpfen hervorgeht, ihrer Auffassung der Dinge und
Personen Geltung zu verschaffen pflegt, so ist es auch hier ge-
schehen. Wir kennen die Kämpfe, die sich zwischen der römischen
Kirche imd ihren Gegnern abgespielt haben, nur oder fast nur
aus den Berichten derer, welche auf der Seite des siegreichen
Teiles fochten, und es ist ganz natürlich, dass diese Berichte sehr
viel Schlechtes von ihren Feinden zu erzählen wissen, ja dass
ihnen jedes Verständnis der gegnerischen Anschauungen fehlt, und
dass sich die Wildheit jener grossen Kämpfe in der Härte des
Urteils und der gänzlichen Verdammung des besiegten Feindes
wiederspiegelt.
Glücklicherweise trifft dies in vollem Umfange mehr die-
jenigen Berichterstatter, die unter dem unmittelbaren Eindrucke
der sich vollziehenden Kämpfe schrieben, als die wissenschaftliche
Geschichtschreibung der neueren Zeiten, die sich innerhalb aller
Kirchen eines ruhigeren Urteils zu befleissigen strebt Man kann
sogar beobachten; dass schon in früheren Zeiten die Urteile
katholischer Autoritäten wenigstens in betreff der böhmi-
schen Brüder viel von der Schärfe verloren haben, die in der
Zeit der Religionskämpfe selbst uns begegnen; es \vürde nicht
schwer sein, eine Reihe freundlicher Stimmen über sie aus älterer
und neuerer Zeit auch ausser den Äusserungen Anton Gindelys
(dessen strengkatholische Gesinnung ja bekannt ist) zu sammeln
— ganz zu geschweigen, dass einzelne hervorragende Vertreter
der Brüder, wie Comenius und andere, stets auch unter gläubigen
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1894. I^iß böhmischen Brüder und ihre Vorläufer. 179
Katholiken Freunde besessen haben. Freilich, was von den
böhmischen Brüdern gilt, kann nicht in gleicher Weise von der
Beurteilung ihrer Vorläufer gesagt werden, und doch sollte, die
einfache Folgerichtigkeit diesen Geschichtschreibem gesagt haben,
dass man Männer und Richtungen nicht zu Verbrechern und
Bösewichtem stempeln kann, deren Nachfolger man mit Ehren zu
nennen gezwungen ist
Je mehr sich die römische Kirche seit dem 12. Jahrhundert
von der religiösen Opposition bedroht sah, um so unbedenklicher
wurde sie in der Wahl der Kampfmittel. Allmählich bildete sich
die Lehre aus, dass jede bewusste Abweichung von der römischen
Glaubensregel etwas Sündhaftes sei, und unter dem Einfluss
des Thomas von Aquino^ gelangte der Satz zu kirchlicher An-
erkennung, dass jede derartige Abweichung strafwürdiger sei als
Mord, Ehebruch, Diebstahl oder irgend eine fleischliche Verirrung.
Jeder Getaufte, der in Fragen der Religion trotz empfangener
Belehrung der römischen Kirche den Gehorsam verweigerte, war
nach den Rechtsbegriffen, wie sie damals ausgebildet wurden, recht-
1 0 8. Wer einen solchen aus Eifer gegen die Kirche tötet, begeht
keinen Mord, kein Eid und keine Zusage braucht ihm gehalten
zu werden; er ist nicht fähig, Vermögen zu besitzen oder ein öffent>-
liches Amt zu verwalten, ja selbst seine Kinder gehen des Erb-
rechts verlustig; ganze Orte können, wenn sie Ketzern Herberge
gewähren, zerstört und eingeäschert werden.
Auch wenn man annimmt, dass die Inquisitoren imd Kleriker,
auf deren Berichten unsere Kenntnis beruht, von dem Streben nach
Billigkeit und Unparteilichkeit erfüllt waren, so muss man die
Schwierigkeiten ins Auge fassen, die sich einem solchen Bestreben
entgegen stellten. Diejenigen, welche sich mit Religions- und
Völkerkunde beschäftigen, wissen es, wie schwer sich zwischen
Gegnern die Verständigung über den wahren Sinn religiöser
Meinungen zumal mit einfachen Menschen vollzieht. Diese Menschen
*) Thomas von Aquino, Summa II, 2. Quacstio XI, Art. .3: Circa
haereticos duo sunt con^ideranda, unum quidem ex part^ ipsorum, aliud
vero ex parte ecclesiae. Ex parte ipsorum est pecoatum, per quod meni-
erunt non solum ab ecclesia per excommunicationem separari, sed etiam
per mortem a mundo excludi. Ex parte autem ecclesiae statim ex
quo de haeresi convincuntur, possunt non solum excoramunicari , sed et
juste occidi."
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180 KeUer, Heft 6 u. 7.
pflegen Fremden gegenüber mit Mitteilmigen über Dinge, die ihr
Heiligstes betreflen, sehr zurückhaltend zu sein, weil sie Ver-
höhnung desselben fürchten; Feinde aber, die ihnen Strafe drohen,
pflegen sie durch dunkle und vieldeutige Antworten absichtlich
irre zu leiten. Es ist nicht schwer, gerade in den Kämpfen
der Kirche mit den „Ketzern*^ solche absichtliche Irreleitungen
nachzuweisen ^).
Gewiss ist dies Verfahren nicht billigenswert, aber es ist
menschlich begreiflicher, wie das Verhalten unserer Berichter-
statter, die in vielen Fällen, wo ihnen der Sinn einer religiösen
Meinung unerklärlich blieb, den Aussagen eine Wendung gaben,
die nicht zu Gunsten des Angeklagten sprach, und die in anderen
Fällen allerlei verkehrte Meinungen, die einzelnen Gefangenen
sei es mit, sei es ohne Folter abgepresst waren, zu Lehren und
Grundsätzen der Gesamtheit stempelten oder Anschauungen, die
lediglich aus einer Anpassung an die herrschende Theorie erwuch-
sen, als wesentliche Merkmale der Partei hinstellten.
Man wird über das Wesen der mittelalterlichen Ketzer-
gemeinden und Vorläufer der böhmischen Brüder nie zu einem
sicheren Urteil kommen, wenn man nicht gerade die letzterwähnten
Punkte, nämlich die Scheidung dessen, was lediglich Anpassung
war und die Trennung der eigentlichen Lehre von den ver-
breiteten Meinungen sich zur Pflicht macht Religionsgemein-
schaften, welche Lehrgesetzen oder Bekenntnisschriften ablehnend
gegenüberstehen, auch unfehlbare Lehrautoritäten nicht besitzen,
werden stets sehr mannigfachen Lehrmeinungen unter sich Raum
gestatten müssen; gerade in solchen Gemeinschaften aber darf
nicht jede beliebige Ansicht, selbst wenn sie nicht vereinzelt vor-
kommt, zum wesentlichen Kennzeichen der Partei gemacht
werden, sondern es ist sorgfältig zu prüfen, ob anerkannte Wort-
führer sie vertreten, und ob sie eine vorübergehende Meinung oder
eine durch die Jahrhunderte sich fortpflanzende Überzeugung
darstellt. Selbst in fesigeschlossenen Kirchen hat es trotz strenger
Lehrgesetze oder unfehlbarer Lehrinstanzen allezeit verbreitete
Meinungen und Schulen gegeben, ohne dass es jemanden ein-
gefallen wäre, solche Schulmeinungen als unauslösliche Bestand-
teile der Glaubensregel zu betrachten; wird doch in der römisch-
*) Vgl Döllinger, Beiträge zur Sektengeschichte I, 95.
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1894. I^ie böhmischen Brüder und ihre Vorlaufer. 181
katholischen wie in der protestantischen Kirche behauptet, dass
Lehren wie die von den Hexen und der Hexerei^) oder von
der Sklaverei 2), bezw. Leibeigenschaft^) trotz der Thatsache,
dass sie die förmliche Billigung der höchsten kirchlichen
Autoritäten gefunden haben, nicht als wesentliche Stücke
der römisch-katholischen, bezw. protestantischen Kirchenlehre be-
trachtet werden dürfen.
Keine Beurteilung kann der Entwicklung \vie der Eigenart
der ausserkirchlichen Christen-Gemeinden der älteren Zeiten gerecht
werden, die den schweren Dnick ausser acht lässt, unter dem sie
zu leben und zu wirken gezwungen waren. In einer Gemeinschaft,
die der freien Entwicklung beraubt ist, werden die Fanatiker
stets leichteres Spiel haben als sonst. Wer die Geschichte der
römischen Kirche kennt, der weiss, dass sie Jahrhunderte hindurch
an schweren Verirrungen gelitten hat, und dass z. B. im 9. imd
10. Jahrhundert die Geliebte des Markgrafen Adalbert von Tos-
kana ein halbes Jahrhundert hindurch den Stuhl Petri mit ihren
imehelichen Söhnen und ihren Buhlen besetzte. Wenn Cardinal
Hergenröther in seiner berühmten Kirchengeschichte die Zustände
dieser Zeit, die er „eine Zeit der tiefsten Erniedrigung für den
päpstlichen Stuhl" nennt, da Stephan VTI. „nicht aus Irrtum,
sondern aus fanatischer Bosheit" gehandelt habe, aus der Unfrei-
heit erklärt, in der sich die Kirche damals befand^), so mag
daran vielleicht etwas Wahres sein. Aber die Entschuldigimg,
^) Die Bulle Innocenz VIII. Summis desiderantes vom 5. Dec. 1484
gab dem Hexenprozess als solchem die höchste kirchliche Sanktion.
"^ Die Bulle Nicolaus V. v. 8. Jan. 1454 erklärt, dass es erlaubt sei,
„alle Sarazenen, Heiden und andere Feinde Christi in ewige Sklaverei
zu verkaufen". Dieses zunächst den Portugiesen gewährte Recht ist durch
Sixtus IV. (1471— 1484), Innocenz VIII. (1484—1492) bestätigt und von
Clemens VII. (1523 — 1584) dahin erweitert worden, dass es erlaubt sei, auch
alle Ketzer in die Sklaverei zu verkaufen. Weiteres bei Keller, die Re-
formation S. 480.
^) Über die ausdrückliche Billigung der Leibeigenschaft durch die
Reformatoren s. Keller, Job. v. Staupitz, S. 312.
*) J. Hergenröther, Cardinal, Handbuch der allg. Kirchengeschichte.
Freiburg i/Br. 1879. 2. Aufl. Bd. I, S. 597. H. sagt: „Der päpstliche Stuhl
glich einem Gefesselten, dem die Schmach nicht zugerechnet werden darf,
die er erdulden muss, so lange er der Freiheit beraubt ist".
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182 KeUer, Heft 6 iL 7.
die in dieser Erklärung liegt, trifft in viel höherem Grade auf
eine Gemeinschaft zu, deren Mitglieder von der herrschenden
Mehrheit nicht nur der Freiheit beraubt waren, sondern yne ge-
meine Verbrecher behandelt wurden. Es war gar nicht zu ver-
wundem, dass in der Enge, in die sich diese verfolgten Männer
gedrängt sahen, viele Verimmgen reiften, und dass ihnen die
Förderung und Anregung völlig verloren ging, die aus der öffent-
lichen Bethätigung des religiösen Glaubens erwächst Die Ver-
immgen, die zweifeUos vorgekommen sind, sind weniger zu ver-
wundem als die Thatsache, dass es trotz des schweren Dmcks
nie gelungen ist, diese Gemeinden gänzlich zu vernichten.
Immerhin hatte die Inquisition wenigstens den Erfolg, dass
die wissenschaftliche Fortbildung und Ausgestaltung des Systems
unterbrochen und der äussere Zusammenhang der Gemeinden
zerrissen wurde. Nachdem dies isrreicht war, war eine einheit^
liehe und gleichmässige Weiterentwicklung der Partei völlig
unterbunden und die Zersplitterung in eine Reihe von kleineren
Gruppen, die von örtlichen oder provinziellen Wortführern geleitet
wurden, war fast mit Notwendigkeit gegeben. Nicht darum komite
es sich, so lange der Druck dauerte, handeln, diese Entwicklung
ganz zu hindern, sondern nur dämm, die Verschiedenartigkeit
nicht bis ziu* vöDigcn inneren und äusseren Trennung ausarten
zu lassen.
Es ist ganz natürlich, dass unter den gegebenen Verhält-
nissen die sog. Ketzer auf die Chronisten einen buntfarbigen Ein-
druck machten, imd wo man mehr das Trennende als das Ver-
bindende suchte, mochte man leicht ebensoviel Sekten unter ihnen
finden als es Schulen und Schulmeinungen unter ihnen gab.
Dieser Eindruck musste durch mehrere Umstände verstärkt
werden. In den Verhören nämlich, die vor den Tribunalen er-
folgten, tritt ein erklärliches Bestreben vieler Angeklagten zu
Tage, die Unterschiede ihrer Auffassungen von den herrsehenden
Kirchenlehren und Gebräuchen abzuschwächen. In der Lage, in
der sie sich beranden, mussten die Gemeinden ihren Angehörigen
manche Anpassung erlauben, die sie, obwohl sie den Überliefer-
ungen der Gemeinschaft nicht entsprach, nicht hindern konnten.
Dadurch kommt es, dass manche Angeklagte sowohl ihren damaligen
Richtern wie den heutigen Forschem römischer erscheinen als sie
es in Wirklichkeit wai*en.
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1894. Die böhmischen Brüder und ihre Vorläufer. 183
Ferner aber waren den Berichterstattern, auf die wir an-
gewiesen sind, nur in einzelnen Fällen die Unterschiede klar, welche
in diesen Gemeinden zwischen der Lebensordnung und den Brauchen
der „Gottesfreunde" (Wanderprediger) — wir werden diese
Einrichtung unten näher kennen lernen — und den „Gläubigen"
vorhanden waren. Je nachdem sie ein Mitglied der Gottesfreunde,
die unter sich ein geschlossenes Ganze bildeten, oder ein einfaches
Gemeindeglied vor sich hatten und schilderten, musste bei den
mannigfachen Besonderheiten, die jene von diesen trennten, ein
ganz anderes Bild der Partei entstehen, und die Versuchung lag
nahe, eine „Sekte" der Gottesfreunde und eine „Sekte" der
Gläubigen zu konstruieren.
Es kann an sich gar keinem Zweifel unterliegen, dass diese
Christen niemals im Sinn der römischen Kirche eine Einheit
dargestellt haben. Es waren nicht bloss die Verhältnisse, die
eine einheitliche und gleichmässige Entwicklung und die Her-
stellung grösserer Verbände hinderten, auch ihre Prinzipien machten
es ihnen unmöglich, eine äussere Einheit als Ziel imd Ideal zu
betrachten.
Um so beachtenswerter ist es, dass die urteilsfähigsten Zeit-
genossen und Chronisten sich mit Päpsten und Concilien in der
Überzeugung begegnen, dass die Mehrheit der mittelalterlichen
Ketzer, unter welchen Namen sie auch auftraten, sich in den
gleichen Grundgedanken begegnen^).
In der That zeigt sich unter ihnen trotz der Kämpfe, die sie
*) In einer Bulle Papst Gregors IX. vom 25. Juni 1231 heisst es:
j^xeoramunicamus et anatheinatizamus universos haereticos Catharos,
Patarenos, Pauperes de Lugduno, Passaginos, Joseppinos,
Arnaldistas, Speronistas et alios, quibuscunquc nominibus censeantur;
facies quidcm haben tes diversas, sed caudas ad invicem colligatas de varie-
tate conveniunt in id ipsum". Boehmer, Acta imp. sei. II, 665. —
Vgl. den ähnlich lautenden Beschluss in den Canones Concilii Lat. vom
HO. Nov. 1215 bei Mansi, CoU. Concil. XXII, 986 ff. — In dem Traktat
de« David von Augsburg De inquisitione haereticorum (8. XIII) heisst es:
„Cum olim una secta fuissc dicantur Pouver Ijeun et Ortidiebarii (Ortli-
baiii) et Amoetuste (Amoldistae) et Rimcharii et Waltenses et alii ex
ambicione primatus et erroris contrarietate diversis inter se opinionum alter-
cationibus conscissi in diversas hcreses divisi sunt et denominati ab illanim
autoribus opinionum cujuslibet horum scctatoros." Abhandlungen d. bist.
Kl. d. Kgl. B. Adad. d. WisH., Bd. XIV Abtl. 2 S. 216.
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184 KeUer, Heft 6 u. 7.
unter sich ausfochten, zn allen Zeiten, wo sie von Gefahren bedroht
waren, ein sehr starkes Bewusstsein der inneren Zusammengehörig-
keit, und jede vorurteilslose Prüfung lehrt, dass sie durch alle
Jahrhunderte und in allen Ländern ihre vornehmsten Grundsätze
— wir werden sie unten kennen lernen — mit ausserordentlicher
Zähigkeit festgehalten und in einer Leidensgeschichte ohne Gleichen
gegen ihre Gegner vertddigt haben.
Diese innere Verwandtschaft ist so auffallend, dass man sich
dieselbe nur dann hinreichend erklären kann, wenn man ein ge-
meinsames Entstehungsgebiet für alle diese ßichtimgen an-
nimmt. Es ist bei dem heutigen Stand der Forschung nicht
möglich, dies Gebiet bestimmt zu bezeichnen, aber die Richtung,
in welcher die Lösung zu suchen ist, wird durch die Thatsache
angedeutet, dass diese ausserkirchlichen Christen in vielen ihrer
wichtigsten Lehren sich an die Vorstellungen anschliessen, welche
von den ältesten griechischen Kirchenvätern, vor allem von
Oiigenes, vertreten worden sind. Und eben auf den Orient
weisen alle frühesten Spuren, soweit wir sie verfolgen können;
über Kleinasien, Bulgarien, Dalmatien, OberitaUen und Südfrank-
reich kommen sie nach Deutschland, Böhmen, Polen und England,
bald hier, bald dort zurückgedrängt, bald verschwindend, bald
wiederauftauchend, bald in kirchlichen Formen, bald als Brudeiv
Schaft in weltlichem Gewände kämpfend, oftriials scheiternd, nie-
mals untergehend durchdringen sie mit einzelnen ihrer Ideen zeit-
weilig gerade dann die ganze Christenheit, wenn sie dem äusseren
Anschein nach als Gemeinschaft völlig besiegt am Boden liegen.
Bei der Beurteilung ihrer Ausbreitung wie ihrer Erfolge
muss man die Thatsache im Auge behalten, dass ihr Kirchenbe-
griff — wir werden ihn alsbald kennen lernen — es ihnen er-
möglichte, den Sakraments -Kultus zeitweilig ruhen zu lassen,
ohne den Charakter als Gemeinde damit aufzugeben, und dass sie
daher stets im stände waren, ihre Wirksamkeit in Form einer
Bruderschaft fortzusetzen, wenn die Verfolgung sie zwang, den
Dienst der Sakramente oder, wie sie sagten, der „heiligen Hand-
lungen" zeitweilig einzustellen. Damit besassen sie die Möglich-
keit, sich in derselben Weise in der Form heimlicher oder ver-
borgener Gemeinden fortzupflanzen, wie die ältesten Christen unter
der Verfolgimg der Cäsaren diesen Weg besessen und beschritten
hatten. Diese Art der Fortpflanzung ist seit dem 4. Jahrhundert
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1894. ^^6 böhmischen Brüder und ihre Vorlaufer. 185
für sie im groesen und ganzen sogar die Regel gewesen; nur in
kürzeren Zeitabschnitten und in einzelnen Ländern bezeichnen
die grossen Ketzerkriege und Religionskämpfe die Versuche, die
öffentliche Übung ihres Kultus imd ihrer Gemeinde- Verfassung
durchzusetzen.
So trägt diese Gemeinschaft in grossen Zeiträumen und in
vieien Ländern in derselben Weise die Kennzeichen eines Ge-
heimbimdes an sich wie die ältesten Christengemeinden. I^ wurde,
um nur einiges zu erwähnen, eine Anpassung an die Gebräuche
der herrschenden Kirche üblich, wie sie eine religiöse Gemein-
Schaft, sobald sie sich öffentlich bethätigen darf, ihren Angehörigen
niemals gestatten wird und kann. Man hielt es für erlaubt, durch
den Besuch der Messe und durch Handlungen kirchlicher Devotion
den Verdacht der Verfolger von sich abzulenken, wie es ja auch
bei den sog. Waidensem Österreichs, mit denen die böhmischen
Brüder in Verhandlung traten, noch im 15. Jahrhundert (wie
oben bemerkt) üblich war. Für gewisse religiöse Ceremonien, wie
die Lehre Christi sie vorschrieb (z. B. für die Taufe und das
Abendmahl), suchte man symbolische Einkleidungen oder verdeckte
den religiösen Brauch durch die Annahme weltlicher Formen.
Überhaupt nahm der Gebrauch symbolischer Zeichen und Formen
stark zu, und mannigfache altchristliche Symbole, die der römischen
Kirche verloren gegangen waren, erhielten sich hier in Übung.
Auch eine verabredete Bildersprache und geheime Erkennungs-
zeichen (z. B. beim Handgeben) begegnen uns frühzeitig bei
diesen „Ketzern";^) besonders aber wurde es üblich, den Mit-
gliedern bei der Aufnahme einen Brudernamen zu geben, den
in der Regel nur die Wissenden kannten, und der ein wichtiges
Mittel darstellte, imi den Gegnern die Entdeckung der Bimdes-
*) DöUinger, Beiträge II, 254 giebt eine Urkimde über einen Walden-
ser-Prozess von 1387/88 in der Lombardei; darin heisst es: „Frater Antonius
respondit, quod fuerunt duo homines, qui duxerunt eiim ad locum Machia-
rum, quorum unus ei tetigit digitum auriclarem more Valdensium.
Ib. S. 255 : Interrogatus, quomodo Bciebant, ipsam esee haereticam, respondit,
quod ipsa tetigit sibi duos digitos, videlicet in acie digitorum,
dicens ipsa sibi: vos bene veneritis. Ego credo, quod vos estis de seeta
nostra . . . et quia de more ipsorum est, quod mulieres tangunt duos
digitos, et homines digitum auriclarem ad cognoscendum se
ipsos haereticos inter sc."
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186 KeUer, Heft 6 u. 7.
Angehörigen zu erschweren.^) Es war Aufnahme -Brauch^ dass
die Bibel bei dem Evangelium Johannes angeschlagen war; der-
jenige, der die Aufnahme vollzog, verlas die Stelle Joh. 1, 1:
„Im Anfang war das Wort" bis JoL 1, 14 : ^Und das Wort ward
Fleisch und wohnte unter ims" oder auch bis 1, 17 : „Die Gnade
und Wahrheit ist durch Jesum Christum geworden," 2)
Jahrhunderte hindurch sind Südfrankreich und besonders
Oberitalien die Hauptsitze und die Hauptstützpunkte der ausser-
kirchlichen Christengemeinden gewesen. Das damalige Zunftwesen
(sagt DöUinger I, 92) mit seiner engen und organischen Verbin-
dung bot der Verbreitung einer Lehre, die sich einmal in eine
solche Innung eingeschlichen hatte, einen Rückhalt und ein Ver-
breitimgsmittel, und es lag daher nah, dass dort, wo die Gilden,
Werkbruderschaften und Zünfte zu besonderer Kraft und Blüte
gediehen waren (wie es in den grossen städtischen Gemeinwesen
der Lombardei und Venetiens der Fall war), auch die in dieselben
eingedrungenen religiösen Ansichten und Formen zu besonderer
Ausbreitung gelangten.
So gewiss nun aber die romanischen Völker lange die vor-
nehmsten Trager waren, so hat doch der Glaube dieser Christen
niemals irgend eine Spur nationaler Ausschliesslichkeit an sich
getragen wie z. B. der Utraquismus der Böhmen. So sehr sie die
nationale Eigenart und namentlich die Volkssprachen überall
wo sie uns begegnen in ihren Gottesdiensten wie in. den Schulen
pflegten, so sind sie doch nirgends die Träger eines nationalen
Fanatismus gewesen; ihr Streben umfasste die Menschheit, nicht
diese oder jene Kace und Nationalität. So tief und ernst sie von
dem Wunsche diu'chdrungen waren, die Lehre Christi, wie sie sie
fassten, allen Menschen nahe zu bringen, so wollten sie die Herr-
schaft Christi über die Welt doch nicht durch den Arm irgend
einer Nation oder der Staatsgewalt, sondern auf dem Wege
freier Überzeugung erreichen. Der Grundsatz der freien Selbst-
bestimmung, mit dem die Gewissensfreiheit steht und fällt, tritt
uns in allen Abschnitten ihrer Geschichte entgegen. Die Freiheit
*) DöUinger a. 0. I, 215: Interrogatus de nominibus dietorum hae-
reticorum de novo receptorum, dixit, quod in dieta receptione fuenint eis
nomina mutata et uni fuit impositum nomen Petrus et alii Paulus.
*) DöUinger a. 0. II, 5 und Öftor.
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1894. I^ie böhmischen Brüder und ihre Vorläufer. 187
war nach ihrer ÜberzeugUDg die Vorbedingung für das Wachs-
tum des Senfkorns, mit dem Christus das Gottesreich ver-
glichen hatte.
Man würde die innere Übereinstimmung aller ausserkirchlichen
Christen der mittleren Zeiten schon längst viel klarer erkannt
haben, als es der Fall gewesen ist, wenn nicht die Verschieden-
heit der Namen, unter welchen sie erscheinen, den Einblick in
ihr wahres Wesen erschwert hätte.
Der Missbrauch, welcher mit der Erfindung von Sekten-
Namen getrieben worden ist, hat die wahre Geschichte der Brüder
in schlimmster Weise verwirrt und verdunkelt, und es ist eine
sehr schwierige Aufgabe, heute hierin Wandel zu schaffen.
Gerade die Namenfrage aber ist von der grössten Wichtigkeit
und bietet den Schlüssel für Erscheinungen, die sich bisher als
ganz rätselhaft dai^estellt haben.
In meiner Geschichte der Reformation und der älteren Re-
formparteien (1885) habe ich zum ersten Mal nachdrücklich auf
die Wichtigkeit der Namenfrage hingewiesen und unter anderem
dargethan, dass aUe die bekannten Ketzemamen Scheltnamen
waren, welche von den Gemeinden, die man so nannte, stete
zurückgewiesen sind und die etwa wie die Namen Sakramentierer
und Papisten dem Bedürfnis der Streittheologie ihren Ursprung
verdanken. ^)
In allen Jahrhunderten des Mittelalters findet sich die That-
sache, dass diejenigen ausserkirchlichen Religionsgemeinschaften,
welche in den apostolischen Zeiten ihr Vorbild und ihre reinste
^) Sehr bezeichnend für die Sucht, Ketzemamen zu erfinden und sie
als Kampfmittel zu verwerten, sind die Klagen Zwingiis aus der Anfangszeit
der Reformation. So protestiert er in seiner Schrift „Wer Ursache gebe zu
Aufruhr*' 1524 wider seine Gegner, welche „das Gotteswort mit Ketzer-
namen verunwerten" und dem Volke verdächtig machen. Was er damit
meint, erhellt aus einer anderen Schrift vom Jahre 1522, wo er gesagt hatte,
man suche das Evangelium mit Ketzemamen wie hu si tisch etc. zu ver-
unglimpfen. Baur, Zwingli I, 112. — Später hat Zwingli übrigens dasselbe
Kampfmittel gegen seine evangelischen Gegner sehr nachdrücklich in An-
wendung gebracht; er hat den Ketzemamen „Wiedertäufer** in Umlauf gesetzt.
MouatHhefte der CoaieniuB-Gt'scIlschaft. 1894. J3
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188 KeUer, Heft 6 u. 7.
Ausprägung erkannten, sich einfach Christen und Brüder
nannten*) und dass die Wanderprediger, welche sie unter sich
besassen — wir werden auf diese wichtige Eigentümlichkeit zurück-
kommen — den Namen Gottesfreunde oder Gute Leute (boni
homines) trugen; auch sind die Namen „Brüder des Gesetzes
Christi", sowie „evangelische Christen" ^j als selbstgebrauchte
Namen imter ihnen nachweisbar.
Es ist ein ganz ausgesprochener Widerwille, der in allen
ihren Äusserungen gegen Sonder- Namen, sei es, dass sie von
einzelnen Männern, sei es, dass sie von Sonderlehren hergenommen
waren, zu Tage tritt, und selbst der Name Waldenser, der für
sie im späteren Mittelalter am üblichsten wurde, ist erst von der
Zeit an unter ihnen in Aufnahme gekommen, als ,sich die Nach-
kommen der alten „Christen" seit 1538 der reformierten Kirche
angeschlossen hatten^).
*) Bei Eeinerus, Adversus Oatharos etc. heisat es nach einer
Schilderung der Perfecti: „Ceteri, qui sunt sine ordine, inter eos vocantur
Christiani et Christianae". (Max. bibl. Patrura XXV, 278.) — Von den
Ketzern am Rhein heisst es im Jahre 1163: „Primus eorum fuit error, quod
. . . . se solos christianos et veros Catholicos arbi trautes, caeteros onmes,
qui non essent in secta eorum, haereticos, schismaticos et infideles, Deoque
odibiles praedicabant. Fredericq, Corpus Doc. etc. I, 41. — Limborch,
Lib. inquis. Tolos. Amst 1692, S. 360 f. : „Vocabant se illi, qui erant de illa
societatc, f rat res." Ebenda: „Grentes persequebantur eos (d. h. fratres) et
vocabant eos Valdenses et reputabant eos haereticos." Die Aussagen stam-
men aus den Jahren 1307 — 1323. — Dass alle „Patarener", soweit sie nicht
Bischöfe, Diakonen u. s. w. waren, „Christen" hiessen s. bei Döliinger
Beiträge II, 324. Döliinger a. 0.: „Diaconi eliguntur a christianis et
ordinantur ab episcopo" etc.
^ Die Beweise bei Keller, Joh. von Staupitz, Lpz. 1888 S. 103 f. —
Über den hingerichteten Ketzer Albert aus dem Lungau (östlich von Gastein),
der sich im Jahre 1285 einen „evangelischen Lehrer" (Prediger) nannte, siehe
Mon. Germ. Hist. SS. XI, 810.
^ Herzog, Die roman. Waldenser S. 80: „Wir wissen aus den Be-
richten der katholischen Schriftsteller selbst, daas die Waldenser sich diesen
Namen nicht selbst gegeben haben; sie nannten sich Arme, Anne von
Lyon" u. s. w. — Selbst noch im Jahre 1535 wird die Bezeichnung „Wal-
denser" von den provenzalischen Waidensem als nomcn invidiosum ab-
gewiesen. Histor. Zts. 1889 S. 57. — In Frankreich, der Schweiz und den
Niederlanden kommt der Name Vaudois seit etwa 1450 ausschliesslich zur
Bezeichnung von Hexen und Zauberern vor (Vauderie!). Deutsche Zts. für
Geschieh tswi SS. 1890. S. 384 f. — Dass der verketzerte Name „Waldenser**
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1894. I^ie böhmischen Brüder und ihre Vorläufer. 189
Bis zum Ende des Mittelalters, ja bis in die Reformations-
zeit hinein, haben diese Christen die Unterschiede, die unter ihnen
vorhanden waren, meist ledigUch dadiu*ch gekennzeichnet, dass sie
sich nach den Ländern, wo sie ihre Hauptsitze hatten, als „lom-
bardische Brüder^', „romanische Brüder*', „böhmische Brüder*',
„Schweizer Brüder" bezeichneten^).
Es war im Grunde ganz natürlich, dass die herrschende
Kirche und ihre Vertreter den Religionsgemeinschaften, die sie
sich gegenüber fand, den Namen Christen nicht zugestehen
wollte; abgesehen davon, dass sie geneigt war, den Gegnern,
die das Christentum ganz anders verstanden als sie selbst, die
Eigenschaft von Christen überhaupt streitig zu machen, hatte in
jenem Zugeständnis unzweifelhaft eine Beeinträchtigung des eignen
Christen - Namens gelegen. Die Aufbringung neuer Namen
wurde durch diesen Umstand für die Gegner geradezu zum
Bedürfnis.
So begreiflich dies ist, so stark ist für die Geschichts-
schreibung die Nötigung, zur Keimzeichnung der Partei, um die
es sich handelt, einen gemeinsamen Namen in Gebrauch zu
nehmen. In der That ist in bestimmten Epochen jedesmal ein
bestimmter Sekten -Name in überwiegendem Gebrauch gewesen,
und Jahrhunderte lang haben die Namen Manichäer, Kathar.er,
Wal denser alle Sekten zusammenfassend bezeichnet
Für eine Geschichtsschreibung indessen, deren Grundsatz es
ist, die Ketzer wie die Kirchen in gleicher Weise unparteiisch zu
behandeln, ist jeder Sekten-Name unbrauchbar; so wenig sie für
von deren Freunden überall vermieden zu werden pflegte, auch wo man
eine Bezugnahme bestimmt erwarten sollte, hat schon Preger nachgewiesen
(Verhältnis der Taboriten zu den Waldesiem etc. München 1887 S. 106 f.).
^) Von den vielen Beweisstellen, die sich dafür beibringen liessen, soll
hier nur eine erwähnt werden. In einer Handschrift d. Staats-Bibliothek zu
München (Clm. 22363 f. 241) aus dem 15. Jahrh. steht aus gegnerischer
Quelle folgender Bericht: „Imo ipsi Waldenses constituimt monstrum in
natura, qui dicunt, se facere verum corpus (die wahre Gremeinde Christi) et
tamen habent tria capita: aliqm enim suorum hacresiarcharum dicuntur
romani (die französischen Brüder), alü pedemontani (die italischen), alii
vero alemannici, neque aliquis ab altero jurisdictionem sive auctoritatem
suscipit neque alterius se subditum confitetur." Hier nach Preger, Das
Verhältnis d. Taboriten zu d. Waldesiern des 14. Jahrh. 1887. S. 36.
13*
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190 KeUer, Heft 6 u. 7.
die katholische oder protestantische Kirche Naraen gebrauchen
darf, welche diese selbst zurückweisen, ich erinnere nur an die
eben erwähnten Namen Papisten oder Sakramentierer, ^o
wenig ist sie berechtigt, die Ketzer anders zu nennen als diese
sich selbst genannt haben und genannt wissen wollten. Eine un-
parteiische Geschichtsschreibung darf nur solche Namen wählen,
welche die wesentlichen Charakterzüge möglichst treffend zusammen-
fassen, unter den Ketzern selbst wenigstens gelegentlich nach-
weisbar sind und niemandes Rechte beeinträchtigen.
Unter diesen Gesichtspunkten ist für die mittelalterlichen
Ketzer kein Name zutreffender und berechtigter als die Bezeich-
nung altevangelische Gemeinden: denn mit Grund heisst es
in jenem bekannten Artikel der sog. Wiklefiten des 14. Jahr-
hunderts : „Das Evangeliimi ist die alleinige Norm unseres Glaubens
imd Lebens mit Verwerfung der alttestamentlichen (mosaischen)
und nachevangelischen Vorschriften", und die Katharer sagten von
sich aus, dass sie die Beobachtung „der evangelischen imd
apostolischen Wahrheit" sich zur Pflicht gemacht hätten^).
Auf diese Gemeinden pflegt in älteren wie in neueren kirchen-
geschichtlichen Werken katholischer und protestantischer Herkimft
fa.st durchweg derjenige Begriff der Kirche Anwendung zu finden,
welcher im eigenen Hause üblich ist Kirche und Gottesdienst
sind für diese Betrachtungsweise unzertrennliche Begriffe, imd es
erscheint daher bei gegnerischen Berichterstattern allgemein die
Vorstellung, dass die „Häretiker" eine Kirche gebildet hätten, die
nach ihrer Ansicht als wesentliche Kennzeichen ein Lehrgesetz
(Symbol) oder Bekenntnis und bestimmte Sakramente besessen
haben muss. Diese Ansicht trifft nicht zu. Die ausserkirchlichen
Religionsgemeinschaften waren keine Kirche und wollten keine
Kirche im Sinn des alten Bundes oder der römischen Kirche sein;
sie bildeten vielmehr einen Bruderbund oder eine Brüderschaft,
deren GUeder sich zwar im Sinn des Evangeliums als eine Ge-
meinde betrachteten, die aber mehr eine Gesinnungs-Gemein-
schaft als eine Bekenntnis-Gemeinschaft darstellten und
') Dollinger, Beiträge II, 287.
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1894. I^ie böhmischen Brüder und ihre Vorläufer. 191
daher auch den Namen und den Begriff der Kirche nicht auf
ihren Bund anzuwenden pflegten^).
So grossen Nachdruck diese Christen jederzeit auf ein reges
Gemeindeleben legten, so ausgesprochen ist ihre Abneigung gegen
die von Menschen aufgesetzten Symbole und Bekenntnisschriften*)
sowie gegen die Anknüpfung der Heilsvermittlung an Earche oder
Sakramente von jeher gewesen. So sehr ihnen dies von vielen
Seiten verdacht ward, so sicherten diese Auffassungen ihnen doch
den doppelten Gewinn, dass sie der Heuchelei und Verstellung
weniger Vorschub leisteten, und dass sie ihr Gemeindeleben iimer-
halb der Kirchen im Stillen fortzupflanzen im stände waren.
In den Verfolgungszeiten wurde von dieser Möglichkeit, wie
wir sahen, gern Gebrauch gemacht, und unsere römischen Bericht-
erstatter sind voll von Klagen über diese „Füchse", welche nicht
wagten, an die Öffentlichkeit zu treten. Nur wenn sie sich
stark genug fühlten, heisst es, träten sie aus der Verborgenheit
heraus^.
*j Besonders häufig begegnet in den Quellen, welche eine genauere
Kenntnis verraten, der Name Societas sowohl zur Bezeichnung der Einzol-
Greraeinde wie der Gresamt- Gemeinde. 'Vgl. DöUinger, Beiträge II, S. 95.
96. 99. — Die Gegner nannten natürlich die Gemeinden auch nicht Kirchen ;
wohl aber finden sich ausser dem Namen „Sekte" andere merk\\wdige
Bezeichnimgen, nämlich die Namen Schola (Ketzerschule) oder Synagoge.
Ausser den Beweisen, die ich früher beigebracht habe (s. Keller, Job. von
Staupitz, Register s. v. Schule u. Ketzer schule) verweise ich auf Mansi,
Concilia Germaniae P. XXIII S. 244 (Scholae hereticorum in Trier 1231),
auf Hefele, ConciUen-Gesch. V, 909 f. (1234), Deutsche Zt«. f. Gesch. 1889
S. 298 f., Döllinger, Beiträge II, 255.
*) Dies erstreckte sich in den älteren Zeiten — später trat in diesen
wie in anderen Punkten eine Annäherung an die Gnmdsätze und Gewohn-
heiten der herrschenden Kirchen ein — auf alle Lehrgesetze imd Sakra-
mente, über die Stellung zum Symbolum Apostolicum s. die Aussagen bei
Döllinger II, 11. 164. 266; Bibl. Max. Patrum XXV, 266 G und 267 E. Vgl.
zu dieser Frage weitere Beweisstellen bei Keller, Job. v. Staupitz 1888
S. 99 f. u. 343 f. Sicher ist, dass die Waldenser um 1500 das Credo an-
erkennen. Döllinger II, 365. Im 14. Jahrb. imd früher ist der Wider-
spruch dagegen nahezu allgemein; eine vereinzelte Zustimmung beweist so
wenig wie die vereinzelte Übung des Ave Maria, die auch vorkommt.
^ Mansi, Coli. Concüiorum XXII, 232: Invaluit damnata perversitas,
ut jam non in occulto nequitiam suam exerceant, sed errorem publice mani-
festen t. Die Notiz findet sich zum Jahre 1179. In dieser Zeit hatten die
„Ketzer** in Petrus Waldus einen angesehenen Wortführer gefunden. Klagen
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192 KeUer, Heft 6 u. 7.
Man hat wohl gesagt und gemeint, dass dort, wo kein be-
rufsmässiger Geistlicher und keine Sakramente vorhanden waren,
auch keine kirchliche Gemeinde in rechtlichem Sinn vorhanden
gewesen sei; eine kirchliche Gemeinde im Sinn des kanonischen
Rechts war allerdings nicht vorhanden; aber nach den BegriflFen.
und Rechtsanschauungen dieser Richtungen war die Übung des
Sakraments -Kultus eben kein unentbehrliches Kennzeichen einer
christlichen Gemeinde; wo man sie zwang, Taufe und Abendmahl
einzustellen, war das gemeinsame Gebet der einzige, aber auch
ausreichende Kultus^).
Es hing diese Auffassung mit ihren wichtigsten Prinzipien
eng zusammen. Denn ganz im Unterschied von denen, welche
der Ansicht waren, dass die Beziehungen zu Gott nur durch
Priester und Sakramente hergestellt werden, waren sie durch-
drungen von der Überzeugung, dass es einen innerlichen Vei>
kehr der Menschenseele mit Gott giebt, für dessen Herstellung
zwar die Reinheit des Herzens, aber nicht die Sakramente die
Voraussetzung bilden. Mochten im Alten Testament die Begriffe
der Kirche ihre Begründung finden, so waren sie doch der An-
sicht, dass Christus der Welt die höhere Einheit des göttlichen
und des menschlichen Daseins verkündet habe, und dass seitdem
der Zugang zu Gott jedem reinen Herzen offen stehe, das im
Geiste Christi sich ihm naht
Es ist nicht ohne Interesse, zu beobachten, in welcher Weise
die Vertreter der verschiedenen Kirchen imd Religionsgemein-
schaften diese Christen im Lauf der Jahrhunderte beurteilt haben.
Je ablehnender die gesamte Stellung der Beurteiler ist, um so nach-
drücklicher pflegen ihnen von diesen gerade solche Eigentümlich-
keiten beigelegt zu werden, die den Anhängern der letzteren jeweilig
besonders verabscheuenswert erschienen. Dabei ist es denn nicht
zu verwundem, wenn im Laufe der Zeit gerade entgegengesetzte
Urteile und Ansichten zu Tage gebracht sind und Eigenschaften,
über die „Simulatio" der Ketzer, über ihren Kirchenbesuch u. 8. w. bei
Martine, Thes. Anecdot. p. 1782 sowie in d. Max. Bibl. Patrum XXV, 266.
*) Bei den südfranzösischen Waiden sem ruhten die „heiligen Hand-
lungen" lange Zeit vollständig; gleichwohl betrachteten sie sich als christ-
liche Gemeinden. Vgl. den Bericht des Barben Morel v. 13. Oct. 1530 bei
Dieckhoff, Die Waldenser S. 363 ff.
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1894. I^ie böhmischen Brüder und ihre Vorläufer. 193
die sich auszuschliessen pflegen, als allgemeine und wesentliche
Kennzeichen der beurteilten Partei hingestellt werden. Je nach dem
Bedürfnis der Polemik glaubt der eine Kritiker das Wesen der
„Ketzer*' dadurch bestimmen zu können, dass er sie als Pelagianer
und Asketen und ihre Gemeinschaft als einen entarteten Mönchs-
orden bezeichnet, der andere glaubt alles Wesentliche gesagt zu
haben, wenn er sie als Libertiner und freigeistige Lüstlinge hin-
stellt i); der eine wirft ihnen revolutionär^ Tendenzen vor, die auf
den gewaltsamen Umsturz aller staatlichen und sittlichen Ordnung
in der Welt abzielten, der andere erklärt sie für quietistische Mysti-
ker, die in tadelnswerter Weltflucht nur dem eignen Seelenheil
nachtrachten; der eine sieht in der Absonderung von der allgemeinen
Kirche die Verführung des Satans und charakterisiert sie zusammen-
fassend als Luciferianer, der andere glaubt sie genügend gekenn-
zeichnet zu haben, wenn er sie Manichäer oder Arianer nennt. Es
liegt am Tage, dass in allen diesen Urteilen mehr der ablehnende
Standpunkt des Sprechenden als die Kennzeichnung des eigent-
lichen Wesens zum Ausdruck kommt, und dass jeder Versuch
einer gerechten Beiuleilung sich von den theologischen Kunst-
ausdrücken und schematischer Einschachtelung fem halten und
vielmehr die wesentlichen Ideen und Grundsätze im einzelnen
prüfen muss.
Wenn man auf den gemeinsamen Besitz religiöser Über-
zeugungen, welcher bei allen Zweigen dieser Christen und in allen
Jahrhunderten wiederkehrt, das Augenmerk richtet, so wird jedem
Beobachter zunächst die Thatsache auffallen, dass alle diese ausser-
kirchlichen Christen-Gemeinden von dem Streben erfüllt sind, das
Wesen des ursprünglichen Christentums zur Darstellung
zu bringen. Das Vorbild der apostolischen Zeit, wie es in den
Evangelien und Episteln seinen Ausdruck findet 2), ist ihnen die
*) In der Streitschrift des Reinerus Adversus Catharos heisst es
(p. 286): „Sunt in moribus compositi et modesti, cavent a scurrilitate, ver-
boriim levitate, mendacio et juramento, casti sunt et temperati in eibo et
potu." Ähnliche günstige Urteile Hessen sich viele zusammenstellen; natür-
lich gab es auch schlechte Menschen imter ihnen.
*) Döllinger II, 5. 287. — Petrus Venerabilis wirft den „Petro-
brusianem" vor: Nullos vos libros, nullas vos traditiones Ecclesiae ab ecclesia
praeter Evangelium suscipere, sed illi tantiun, hoc est Evangelio, fidcm
vos firmissiraam conservare. Max. Bibl, Patr. XXHI p. 1072.
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194 Keller, Heft 6 u. 7.
oberste Richtschnur für ihr Denken, Thun und Lassen,^) und der
Vorwurf, den sie der römischen Kirche machen, besteht darin,
dass die Päpste eine neue Kirche an die Stelle der alten gesetzt
hätten — eine Kirche, die sich in wichtigen Teilen mehr auf das
alte Testament als auf die Evangelien stütze.
Man weiss, welche Bedeutimg seit dem 3. und 4. Jahrhundert
jene Lehrgesetze und Symbole in der herrschenden Kirche ge-
wonnen hatten, die unter den Namen des apostolischen, nicanischen,
athanasianischen u. s. w. Gesetzeskraft erlangt hatten. Es war ja
sehr naheliegend, dass die Vertreter der Kirche bei den Verhören
bestrebt waren, diese Symbole in die Angeklagten hineinzufragen,
aber es zeigte sich regelmässig, dass sie von den Verhörten über
die B^riffe und Vorstellungen von der Trinität, der Homousie und
Homoiusie u. s. w. wenig erfuhren, was sie befriedigt hätte. Die
Betonung dieser dogmatischen Fragen, wie sie in der Kirche
übKch geworden war, kannten die Verhörten eben nicht, und die
Ablehnung solcher B^riffsbestimmungen lag keineswegs an ihrem
Mangel an Gelehrsamkeit, sondern floss aus der Überzeugung^
dass das Wesen des Christentiuns nicht in der Lehre von der
Trinität und überhaupt nicht in irgend einem System von Glaubens-
Sätzen, sondern in dem Streben nach dem Aufbau des Gottes-
reichs im Sinne Jesu beschlossen liege.
Das Werk Christi bezog sich nach der bei ihnen überwiegend
vertretenen Ansicht nicht bloss auf die Änderung des Verhältnisses
der einzelnen Menschenseele zu Gott, sondern auch auf die Be-
ziehungen von Mensch zu Mensch und auf die Diuxjhdringung
der menschlichen Gesellschaft mit dem Geiste Christi. Sie glaubten,
dass eine Lehre, die die Erreichung der individuellen Seligkeit
im Jenseits zum höchsten Zweckbegriff der christlichen Religion
macht, dem frommen I^oismus wie dem Pharisäismus Thür und
Thore öffiie und das Streben nach der Erreichung des allgemeinen
Heils oder dem Aufbau des Gottesreichs naturgemäss zurückdränge
und abschwäche. Und doch hatte Christus das Keich Gottes als
*) „Es giebt vielleicht keine einzige Schrift aus den secha letzten
Lebensjahren Wiclifs", sagt Loserth (Gott. Gel. Anz. 1880 Nr. 12 S. 497),
,4n denen nicht die unbedingte Fordening der Zurückführung der Kirche
auf den apostolischen Zustand gestellt wurde." — Über die Bedeutung dieser
Forderung in den Taboritenkämpfen s. P reger, über die Verh. der Tabo-
riten etc. 1887 S. 103 ff.
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1894. I^ie böhmischen Brüder und ihre Vorläufer. 195
den vornehmsten Inhalt seiner Botschaft bezeichnet und das
Trachten danach zu den wichtigsten Aufgaben derer gezählt, die
er als seine Jünger erkannte.
Dieses K^ich, dessen Bau sie beginnen wollten, war nach
der Lehre Christi, wie sie sie fassten, in seinen Einrichtungen
denjenigen der Familie gleich, und in ihm gab es keine
andere Zwangsgewalt, als die, welche der Vater gegen seine Kinder
zu üben berechtigt und verpflichtet ist. Es war ein Grundgedanke
ihrer Lehre, dass wahre GUeder der Gemeinde nur die sein könn-
ten, die aus freiem Entschluss und kraft selbständiger Wahl ^) ihr
beigetreten waren; weder Unmündige noch zwangsweise zugetretene
Personen, noch die, die das Gesetz der Bruderliebe offenkundig
brachen, waren volle Glieder der Kirche Christi, wie sie sie ver-
standen.
Diese Grrundsätze machten es ihnen immöglich, irgend eine
Person auf dem Wege der Gewalt, sei es unmittelbar oder diu*ch
die Hilfe des Staates ihrer Kirche zuzuführen, und damit fiel für
sie die Theorie wie die Anwendung des Glaubenszwangs von selbst
hinweg; ja, sie mussten folgerichtig in einer Kirche, die diesen
wesentlichen Teil der Lehre Christi verleugnete, eine Gegnerin
des Christentums, wie sie es fassten, erkennen.
Sie hielten daran fest, dass Christus eine sichtbare Gemein-
schaft behufs Stiftimg des Gottesreichs gegründet habe und die
erziehende und erleuchtende Kraft der Gemeinschaft haben sie
stets betont Aber der Satz, dass die Hoffnung der Seligkeit im
Jenseits an die Zugehörigkeit zu ihrer Kirche oder an irgend eine
äussere Anstalt oder Veranstaltung gebunden sei, lässt sich bei
ihnen als autoritativer Ausspruch nicht nachweisen. 2)
So sehr der Grundsatz, dass die h. Schriften die höchste
Richtschnur für Glauben und Leben bilden, all ihr Denken be-
herrscht, so finde ich doch, dass sie über den Begriff des „Kanons"
wie er seit dem dritten Jahrhundert uns entgegentritt, sich selten
in dem gleichen Sinn wie die römische Kirche ausgesprochen
haben. Wenn hierin, wie in anderen Punkten, im Lauf der Jahr-
*) Die Aufnahme in die Gemeinde erfolgte im 14. Jahrh. in Süd-
frankreich nicht vor dem 18. Lebensjahr; Döllinger, Beiträge IT, 236.
^) S. Preger, a. a. 0. 1887 S. 54.
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196 KeUer, Heft 6 iL 7.
hunderte sich eine Annäherung an die herrschende Theologie voll-
zieht, so tritt in den Auffassungen der frühmittelalterlichen Ketzer
doch noch ein starker Gegensatz klar zu Tage. Nach der Lehre
jener „Gottesfreunde", die man Bogomilen nannte, ruhte das „von
der Weisheit gebaute Haus," d. Il die Gemeinde Christi, auf
sieben Stützen, nämlich den Psalmen, den Propheten, den
Evangelien, apostolischen Schriften, Briefen, der
Apostelgeschichte und der Offenbarung Johannis. ^) Hier
fehlen also die historischen Bücher des alten Testaments, und es
ist deutlich, dass sie darin eben eine Stütze ihres Hauses nicht
erkannten. ^)
Die Berichte der römischen Chronisten erzählen wohl, dass
die „Waldenser" alles „für erfunden halten, was nicht durch den
Text der Bibel bewiesen werden könne;" aber soviel ich sehe,
berufen sich diese Gemeinden, wenigstens in der älteren Zeit, dort
wo sie von ihrer obersten Autorität als Ganzem sprechen, selten
auf die „Bibel", häufig aber auf das „Gesetz Gottes"^) oder die
„Regel Christi" oder das ,JEvangelium" und das „evangelische
Gesetz" oder auch auf die „göttliche Schrift" (scriptura divina)
und das „Neue Testament",^) welches sie, wie die Gegner be-
haupten, wörtlich auswendig können imd bis auf den Buchstaben
beobachtet wissen wollen mit Hintansetziuig wichtiger Teile des
Alten Testaments, der Dekretalen und der Kirchenväter.
Neben diesem sog. „Evangelium expressum" erscheint aber
als Richtschnur ihrer Überzeugungen auch das „Gesetz des
*) Döllinger, Beiträge I, 46.
*) Über die gleiche Ansicht der Priscillianisten vgl. Döllinger a. 0. 55 ;
derselben Meinung waren nach Döllinger I, 83 Petrus v. Bruys und Heinrich
von Toulouse und die Katharer in den slavischen Landern (a. O. I, 243).
Vgl. den Tractatus de heresi Pauperum de Lugduno bei Martine, Thes.
Anecdot. V, 1780. — Bei Ebrard, Contra Waldenses (Gretser, Opp. XII,
135) heisst es: Vestrae orationes execrabiles sunt, quum Moysi legem non
recipiatis.
') Vgl. das Sendschreiben über den Konvent zu Bergamo (abgedruckt
in den Abhdlg. d. K. Bair. Akad. d. Wiss. 1877 S. 234) Nro. 10 u. 13, wo es
heisst, die betr. Frage sei zu bestimmen sccundum Deum et ejus legem.
*) Dass die Paulicianer einen anderen „Kanon" kannten, als die
römische Kirche (ihr Neues Testament enthielt u. a. auch den Brief Pauli
an die Laodicäer, der sich auch in den vorlutherischen deutschen Bibeln
findet), darüber vgl. Döllinger, Beiträge I, 21.
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1894. r^ie böhmischen Brüder und ihre Vorläufer. 197
h. Geistes", d. h. das dem Herzen inoewohnende Gesetz, und
damit tritt schon hier ein Gnmdsatz zu Tage, der später in der
Lehre vom inneren Wort grosse Bedeutung gewinnen sollte.
Es ist kein Zweifel, dass für diese zm^ckgedrängten und
schwer verfolgten Männer die Versuchimg zu allen Zeiten nah ge-
legen hat, sich von der Welt grollend abzuwenden oder aus der Ent-
sagimg, die ihnen aufgezwungen war, eine Tugend zu machen, die
ihnen im Himmel sicherte, was die Erde ihnen vorenthielt In der
That sind weltflüchtige Neigungen unter ihnen häufig aufgetreten,
und es wäre wunderbar, wenn es anders gewesen wäre. Die Frage
ist nur, ob es nicht solche Neigungen in jeder Kirche giebt, und
ob diese „gesetzliche Richtung*' ein wesentliciies oder ein zu-
fälliges Merkmal bildet. Was die erste Frage anbetrifft, so hat
es noch nie eine grössere Religionsgemeinschaft gegeben, die nicht
in den bei ihr üblichen Formen ihre Konvente oder ihre Kon-
ventikel gehabt hätte; selbst die Kirche Luthers, dessen Lehre
der „Weltfluchf' am schärfsten gegenüber steht, hat in ihrem
Schoss zahllose weltflüchtige Gemüter besessen und wird sie stete
besitzen, zumal in den Zeiten und den Ländern, wo äusserer Druck
auf ihren Bekennem lastet Es würde also darauf ankommen,
nachzuweisen, dass die „gesetzliche Richtung** den älteren Evange-
lischen als wesentliches Kennzeichen anklebt, und dieser Nachweis
wird nicht gelingen. Schon unter den sog. Bogomilen findet sich
die Lehre, dass die Gnade Gottes nicht nach den Werken,
sondern nach dem Mass des Glaubens gegeben werde ^), und die
Katharer lehrten, dass jedermann durch und in seinem Glauben
die Seligkeit erwerbe. Über den Begriff des „Gesetzes Christi"
aber finden sich sowohl bei Wiclif , der den Ausdruck oft und
mit Nachdruck gebraucht, 2) wie namentlich bei Joh. von Goch,
so unzweideutige Bestimmungen, dass für den unparteiischen Be-
trachter jede Möglichkeit versch\vindet, aus diesem Wortgebrauch,
auf den wir unten zurückkommen werden, den Vor\vurf der
*) Döllinger, Beiträge I, 50.
^) Wiclif, Sermones etc. London 1880 111,350: „Lex Christi, expressata
in Evangelio (cum sit essentialiter Dens ipse) est per se sufficiens etc., vgl. III,
351. — Sehr eingehend handelt W. über daf* Gesetz Christi in seiner Schrift
De ci\nli Dominio, hrsg. v. R. L. Pooll 1885. Ee heisst darin u. a. : „Es
steht dem Christen nicht zu, dem Gesetz Christi andere Satzungen beizu-
mengen, denn diese sind nur eine Last für die Kirche."
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198 KeUer, Heft 6 u. 7.
„Möncherei" zu begründen. „Gehen wir", sagt G. Lechler, „auf
die ethische Anschauung Gochs über, so fasst er das Evangelium
als sittliches Gesetz auf, und insofern scheint er ganz auf dem
römisch-katholischen Standpunkt zurückgeblieben zu sein. Das ist
aber nur Schein. Sobald wir der Sache näher treten, entdecken
wir hier echt reformatorische Gedanken. Das evangelische
Gesetz (oder das „Gesetz Christi") ist nach Goch ein Gesetz der
Freiheit und hiermit zugleich der Liebe, ein Gesetz des Her-
zens, d. Il der inneren Willensbestimmung und nicht ein Gesetz
der Werke, wie das mosaische."*)
Gleichwohl mag, wie schon bemerkt, eingeräumt werden, dass
für diese Christen die Versuchung nah lag, mehr den Gebotswillen
Gottes, als seinen Heils\villen zu betonen imd das Evangelium oder
den Glauben und seine Bedeutung für das Seelenheil des einzelnen
nicht immer mit dem Nachdruck hervorzuheben, der z. B. bei
Paulus dem Glauben gegeben wird. Indessen ist es ja bekannt
genug, dass die Zurückstellung des Gebotswillens Gottes hinter den
Glauben ebenfalls Versuchungen aller Art mit sich bringt, und
der Satz, dass „gute Werke schädlich sind zur Seligkeit", ist auf
diesem Standpunkt in der Theorie zwar nur vereinzelt, aber in
der Praxis um so häufiger nachweisbar; die Gefahr des Manichäis-
mus ist bei dieser Auffassimg ebenso nahe liegend, wie bei der
andern der Ebionitismus und die Werkgerechtigkeit.
Es ist ein vergebliches Bemühen, das kennzeichnende Merk-
mal dieser Christen in irgend einem Symbol oder Lehrsystem zu
suchen; Glaubensbekenntnisse, von denen wir überhaupt erst am
Ende des 15. Jahrhunderts (und zwar zuerst unter den böhmischen
Brüdern) etwas hören, haben, wo sie aufgestellt wurden, eine ge-
wissenbindende Kraft nicht besessen, sondern nur als Zeugnisse
des Glaubens gegenüber denjenigen staatlichen und kirchlichen
Autoritäten gegolten, die von ihnen Rechenschaft über ihre Mein-
ungen verlangten. Der Anspruch, dass die Seligkeit an diesen
oder jenen Glaubenssatz gebunden sei, ist von ihnen als Gemein-
schaft, soviel ich weiss, niemals erhoben worden. Haben sie aber
keine wesentlichen oder kennzeichnenden Grundsätze, an die sie
0 Joh. von Wiclif, Lpz. 1873. 11, 519.
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1894. I^ie böhmischen Brüder und ihre Vorlauf er. 199
die Mitgliedschaft der Gemeinde bandeD, besessen? Es wäre sehr
verkehrt, dies anzunehmen.
Es ist innerhalb der bestehenden Kirchen ein anerkannter
Säte, dass der Begriff der Kirche einen der wesentlichsten, wenn
nicht den wesentlichsten Teil eines jeden Systems bildet. An-
gesichts dessen ist es doch eine wichtige Thatsache, dass der
Begriff der Gemeinde und die mit ihm zusammenhängenden
Gnmdsätee der Gemeinde- Verfassung in ein und derselben
Gestalt seit den ersten Jahrhunderten bei ihnen wiederkehren, so
dass eben dieser Begriff die Eigenart derjenigen Christen bildet,
die wir unter dem Begriff der altevangelischen Gemeinden zu-
sammenfassen — gleichviel ob sie in den Streitschriften der Gegner
unter den Namen der Gnostiker, Manichäer, Paulicianer, Bogomilen,
Katharer, Waldenser u. s. w. auftreten. Mit dieser Begriffs-
bestimmung wird zugleich ein sicherer Massstab dafür gewonnen,
wie weit die „Keteer** des Mittelalters, deren es ja verschiedene
gegeben hat, als Zweige eines Stammes zu betrachten sind und
wie weit nicht
Im allgemeinen lässt sich der Gemeindebegriff und die Ge-
meinde-Verfassung der altevangelischen Gemeinden daran erkennen,
dass in ihnen dieselben Grundsätee imd dieselben Ordnungen fest-
gehalten sind, wie wir sie heute im Anschluss an die apostolischen
Konstitutionen und die „Lehre der zwölf Apostel" als die Ein-
richtimgen der ältesten Christen-Gemeinden kennen.
Einer der imterscheidenden Sätee, auf die sich ihre Eigen-
art gründet, war die Überzeugung, dass die Worte Christi — die
Herrenwortc — , in denen sie die Norm ihres Glaubens erkannten,
nicht blos Zusagen und Verheissungen oder Regeln des religiösen
und sittlichen Lebens, sondern auch unabänderliche Anweisungen
in Sachen der Gemeinde-Ordnung enthielten. Dass das Neue
Testament an allen den zahlreichen Stellen, wo von den Aposteln,
Bischöfen, Diakonen u. s. w. die Rede ist, eine abgethane alte
Urkunde sei, konnten sie nicht einsehen; sie hielten sich an die
h. Bücher nicht blos in Sachen der Lehre, sondern auch in betreff
der von den ältesten Christen beobachteten und von den Aposteln
nach Christi Weisung angeordneten Gemeinde- Verfassung gebimden.
Es ist in den Schriften dieser Parteien oft von der „rechten
Gemeinde oder Kirche" die Rede; aber wo dieser Ausdruck vor-
kommt, deckt er sieh weder mit dem Begriff der „alleinselig-
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200 KeUer, Heft 6 u. 7.
machenden Kirche" noch der ,^chtgläubigen Gemeinde**, sondern
die rechte Gemeinde ist einfach die, die die Gemeinde-Ordnung
hält, wie sie in den Befehlen Christi und der Apostel gegeben
ist, imd die mit den ältesten Gemeinden durch ununter-
brochene Gemeinschaft oder die rechtmässige Folge der
Bischöfe in thatsächlicher Verbindung geblieben ist
Das war eine rechte und vollkommene Gemeinde, die im Verbände
der altüberlieferten Verfassmig stand und gerundet war.
Der Natiu" der Sache nach kam es dabei nicht sowohl auf
die Beibehaltung gewisser Namen, als auf die Sache an, und in
den Zeiten der Verfolgung blieb auch in diesem Punkte die Mög-
lichkeit offen, weltliche Formen zu finden, sobald nur das Wesen
der Sache gewahrt winde.
Zunächst stand es mm auf Grund der h. Schriften für sie
fest, dass es nicht in Christi Absicht gelegen habe, im Sinn des
Alten Testamentes eine Priesterkirche, noch im Sinn des
Heidentums eine Staatskirche zu begründen, dass er vielmehr
die universitas fratrum (wie sie sagten), d. h. die Gemeinde zur
Trägerin der Verfassung und zur Inhaberin der leitenden Gewalt
bestimmt habe. Unabhängig von ihr und als G^engewicht gegen
demokratische Willkür bestand nur das Kollegium der „Gottes-
freunde", das sich durch Zuwahl ergänzte; alle anderen Stufen der
geistlichen Ämter gingen aus freier Wahl der Gemeinde oder ihrer
Vertreter unter Mitwirkung der Bischöfe hervor.
Während, wie wir sahen, bei diesen Christen in Fragen der
Glaubenslehre grosse Weitherzigkeit herrschte, ist in Sachen der
Organisation eine feste und kunstvolle Gliederung des Ganzen
nachweisbar.
Auf der imtersten Stufe der hierarchischen Ordnung standen
die Beamten der Einzelgeraeinde. Die Stufenleiter begann mit
dem Amt der Diakonen, die von den „Christen" gewählt wurden.
Aus ihrer Zahl gingen die „Ältesten" (Presbyteri) oder „Diener"
(Ministri) hervor, sofern sie mindestens sechs Jahre Diakonen ge-
wesen waren, d. h. die Lehrer und Prediger, die aber das Recht zur
Vollziehung der h. Handlungen in der Regel nicht besassen ^). Die
*j Döllinger II, 129: „Qui presbyter, sie ordinatus, non potest celebrare
mis8am (d. h. daa Abendmalü austeilen), sed soluni audire confesniones, nee
poenas peccatorum remitiere."
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1894. I^e bohmiBchen Brüder und ihre Vorläufer. 201
Mitglieder der früheren Stufen wählen den Bischof oder Senior,
der gelegentlich auch wohl Major genannt wird und der alle
Ritualformeln der gottesdienstlichen Handlungen kennt und übt
Die Bischöfe waren, sofern sie nicht dem gradus apostolicus
(s. unten) angehörten, ebenfalls Beamte der Einzelgemeinde ^) oder
eines Bezirks von Einzelgemeinden.
Aus^rhalb dieser Stufenleiter standen die Beamten der
Gesamtgemeinde, die ein in sich geschlossenes Granze bildeten,
die sog. Gottesfreunde.
Keine Einrichtung dieser Christen ist merkwürdiger, keine
auch ist den Gegnern zu allen Zeiten unverstandlicher und auf-
fälliger gewesen als diese. Die Gottesfreunde besassen ihre
besondere Lebensordnung und ihre besondere Tracht, sie hatten
eine feste „Regel" und strenge Vorschriften in Bezug auf
Fleischgenuss , Ehelosigkeit und Armut; sie waren verpflichtet,
vor dem Eintritt in das Collegium oder die Sodalitat der
Apostel all ihr Gut den Armen zu geben und auf die Gefahr
der Tötung hin die Pflichten ihres Amtes zu erfüllen. Während
die „Brüder** im Fall der Not und des Zwangs im Stillen leben
konnten, mussteu die Apostel als Bekenner und Märtyrer alle
Not und Verfolgung über sich ergehen lassen. Was Wunder,
dass den Gegnern die „Gottesfreunde" als die eigentlichen
Ketzer erschienen, und dass man alle Gewohnheiten und Pflich-
ten dieser Wanderprediger als Sitten und Rechte der ,4iatharer"
und „Waldenser** überhaupt zu betrachten sich gewöhnte. Eine
unglaubliche Verwirrung ist dadurch in den älteren Berichten
entstanden und ohne klare Scheidung und Trennnng des Vei^
schiedenartigen ist hier, wie ich bereits früher betont habe*), kein
sicheres geschichtliches Ergebnis zu erzielen.
Es ist kein Zweifel, dass mancherlei äussere Ähnlichkeit
zwischen dem römischen Mönchtum und dem Apostel-CoUeg dieser
Christen vorhanden war; ebenso gewiss aber ist, dass ein tiefer
*) Episcopus unusquisquc per singula« civitates constituitur, qui viris
et mulieribus suae sectae praeeet, ipsos soeundum arbitrium suum dispoDCDdo
(DöUinger II, 279). — Übrigens werden in den Quellen die Beamten der
Einzelgemeinde öfters mit denen der Gesamtgemeinde zusammengeworfen;
auch bei den letzteren gab es Diakonen und Presbyter (s. unten).
^ Vgl. Keller, Die Reformation etc. 188.5 (Register unter Apostel);
dazu Keller, Johann v. Staupitz 1888 S. 83 f.
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202 KeUer, Heft 6 u. 7.
grundsätzlicher Unterschied bestand, der in ihren besseren Zeiten
den wandernden Predigern völlig klar gewesen sein dürfte.
Wir wissen aus der „Lehre der zwölf Apostel", dass das
zweite Jahrhundert die uralte Einrichtung der wandernden
Apostel noch kannte, dass mithin die Apostel von diesen
Christen als dauernde Einrichtung der Kirche betrachtet wurden.
In der That ist es klar, und die ältesten Ausleger der
h. Schriften haben es wohl gewusst, dass ein bestimmter Unter-
schied zwischen denjenigen Befehlen zu machen ist, welche Christus
an alles Volk gerichtet und denen, die er seinen Jüngern im engeren
Sinne gegeben hat. Anweisungen wie sie Matth. 10, 1 ff., Marc.
6, 7 ff., Luc. 9, 1 ff. und 10, 1 ff. vorliegen, können immöglich für
alle Christen bestimmt sein, imd wir sehen denn auch, dass die
Apostel Christi danach strebten, genau zu erfahren, was Christus
für sie allein gesagt, und was er allem Volke beföhlet hatte.
Nachdem die römische Kirche die alte Gemeinde- Verfassung
und mit ihr zugleich das altchristliche Apostolat au%egeben und
eine der Verfassung des römischen Staates nachgebildete Organi-
sation eingeführt hatte — eben hiermit konstituierte sie sich als
die römische Kirche — war für sie die Möglichkeit verschwunden,
die apostolische Regel, wie sie sich Matth. 10, 1 ff. findet, in der
Weise der älteren Zeiten auszulegen. So wurden aus den be-
treffenden Geboten des Evangeliums die evangelischen Rat-
schläge, die angeblich für alle diejenigen gegeben waren, welche
einen höheren Grad der VoUkonamenheit als die übrigen sich
erwerben wollten. Damit war die Idee des Mönchtums gegeben
und die altchristlichen Grundgedanken verlassen.
Im Gegensatz hierzu hielten die Brüder daran fest, dass die
bezüglichen Anweisungen Christi Befehle seien, die für einen
bestimmten Grad der hierarchischen Ordnung bestimmt waren,
dessen Vertreter jene Pflichten freiwillig auf sich nahmen — nicht
weil sie darin ein gerecht machendes Werk erkannten, sondern
weil die Pflichten des Amtes, welches Christus eingesetzt hatte, es
so mit sich brachten.
Ebenso wie die Festhaltung der uralten Eiiuichtung des
Apostolats ein kennzeichnendes Merkmal der Christen ist, deren
allgemeine Charakteristik wir hier zu geben versuchen, so ist auch
die Lehre von den drei Wegen oder Gesetzen und den drei
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1894. I^ie böhmischen Brüder und ihre Vorläufer. 203
Stufen eine eigenartige, nur hier vorkommende Eigentümlichkeit,
die wir hier freilich nicht im einzelnen erörtern, sondern nur
berühren können.
Die drei Wege oder Gesetze sind das Gesetz der Natur, das
Gesetz Mose imd das Gesetz Christi.^)
Das Gesetz der Natur umfasst die Gebote, die in aller Men-
schen Gewissen sich ankündigen und offenbaren; auch die Heiden
kennen dies Gesetz und die Besseren unter ihnen befolgen es.
Das Gesetz Mose ist nicht in unserem Sinn das „mosaische
Gesetz**, sondern es ist ein anderer Ausdruck für die zehn
Gebote.
Ausser diesen Gesetzen hat Christus seiner Gemeinde noch
besondere Anweisungen gegeben und alle, die derselben als Brüder
angehören, sollen dasselbe erfüllen: Gal. 6, 1 steht geschrieben:
,Jiebe Brüder . . . Einer trage des anderen Last, so werdet Ihr
das Gesetz Christi erfüllen," d. h. das Gesetz der Bruderliebe
in dem Sinn, in welchem es Christus gelehrt und verkündigt hat.
Dieser eigentümliche Ausdruck bildet eines der wichtigsten
Kennzeichen dieser Christen, und welchen Wert sie ihm beilegten,
erhellt aus dem Umstand, dass sie sich, wie wir sahen, noch im
15. Jahrhundert Brüder des Gesetzes Christi nannten.
Es konnte nicht ausbleiben, dass ihre Gegner dieses leicht
misszu verstehende Wort benutzten, lun ihnen die Absicht unter-
zulegen, dass sie aus dem Evangelium und der frohen Botschaft
ein neues Gesetz machten — ein Vorwurf, der in dieser All-
gemeinheit ausgesprochen ganz imrichtig ist und mit ähnlichem
Recht auch Paulus gemacht werden könnte.
Wie sich die Entwicklung der Menschheit in den Stufen
der drei Gesetze vollzieht, so bestimmen sie auch den Entwick-
lungsgang der einzelnen Menschenseele, der durch drei Stufen
oder Grade gekennzeichnet wird.
Über diese Einteilung findet sich die erste bis jetzt be-
kannte ausführliche Nachricht in einem Schreiben des Klerus von
Lüttich an Papst Julius^ II. aus dem Jahre 1145. 2) Dort heisst
es, dass die Sekte der Katharer „abgeteilt sei in Grade"; der
*) Eine Beschreibung findet sich z. B. in der Noble Leyczon; dazu
vgl G. Glanz, Daa Alter der Waldenser-Sekte 1878 S. 25.
*) Abgedruckt bei Fredericq, CJorpus documentorum inquisitionis
Ncerlandicae. Gent 1889 S. 31 f.
Monatshefte der Comenias-Gesellschaft. 1894. ]^4
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204 KeUer, Heft 6 u. 7.
erste Grad umfasse die ,^örer**, der zweite die „Glaubenden", der
dritte die „Christen."*)
In Bezug auf die Namen und die Begriffsbestimmung der
drei Grade begegnen uns mannigfache Schwankungen und Ab-
wandlungen; im allgemeinen aber bezeichnet der erste Grad die-
jenigen Personen, die zur Gemeinde in einem rein äusserlichen
Verhältnis stehen, keinen Anteil an den heiligen Handlungen
besitzen und lediglich die Predigt hören; dies können sowohl
Kinder der Glaubigen wie aussenstehende Personen sein. Der
zweite Grad umfasst diejenigen, die nicht bloss am Gebetskultus,
sondern auch am Sakraments -Kultus der Gemeinde teizunehmen
berechtigt sind, die Glaubenden; der dritte die Christen im
engeren Sinn.
Ebenso wie die Brüder waren auch die Beamten der Einzel-
gemeinde in drei Stufen gegliedert, die, wie wir sahen, in der
Regel als Diakonen, Diener des Worts und Bischöfe be-
zeichnet zu werden pflegten.
Endlich gab es auch unter den Christen, die die „Regel
Christi" angenommen hatten, drei Staffeln, die unter wechselnden
Namen in den Quellen erscheinen. Die Gesamtheit dieses Grades
wird als gradus apostolicus (Döllinger ü, 100. 289) oder gradus
perfectibnalis (II, 98 f.) bezeichnet Mitglieder desselben konnten
nur diejenigen sein, die sich den strengen Vorschriften des aposto-
lischen Lebens unterwarfen und damit in den Grad der Perfecti
eintraten. Die erste Stufe hiess Perfecti Novellani (Döllinger II,
92), die zweite Perfecti Sandaliati (Döllinger a. O.); an der Spitze
des Ganzen stand der Major oder Majoralis. Auch wird dieser
') Haeresis haec diversis dlBtincta est gradibus; habet enim auditores,
qui ad errorem ioitiantur, habet credentes, qui jam decepti sunt, habet
christianos suos; habet sacerdotes, habet et caeteros praelatos sicut et uos.
Hujus haeresis nefandae blasphemiae sunt, quod in baptisino peccata remitti
negat, quod sacramentiun corporis et sanguinis Christi inane reputat, quod
per impositionem pontificalis manus conferri nil asseverat, quod neminem
Bpiritum Sanctum accipere credit nisi bonorum oi)erum praecedentibus meritis,
quod conjugia damnat, quod apud se tantum ecclesiam catholicam esse
praedicat, quod omne juramentum velut crimen judicat. Et tamen, qui hujus
sceleris sectatores sunt sacramentis nostris fictc communicant ad nequitiae
suae velamentum. In dieser Schilderung sind wie gewöhnlich die „Regeln"
der (Jottesfreunde rEhelosigkeit etc.) mit der Lehre der „Christen" zusammen-
geworfen.
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1894. I^ie böhmischen Brüder und ihre Vorläufer. 205
Grad zusammenfassend als Sandaliati oder Magistri bezeichnet^)
imd die erste Stufe heisst Magistri minores, die zweite Magistri
majores oder auch Filii majores und Filii minores, während der
Majoralis Pater heisst
Aus diesem Grade gingen die Beamten der Gesamt-
gemeinde hervor und die Capitula generalia, die von diesen
gehalten zu werden pflegten *), bildeten die höchste Instanz der
Gemeinschaft. Die Hierarchie dieser Grossbeamten ^) hatte natür-
lich mancherlei Ähnlichkeit mit der hierarchischen Ordnimg der
Einzelbeamten und wie der Bischof auch wohl Major hiess, so
wurden die Magistri minores auch wohl Diaconi und die Magistri
majores Presbyteri genannt In der That waren die „Diakonen"
die Diener imd Begleiter der Majores*), besonders auf. ihren
Wanderfahrten imd Reisen, die den vornehmsten Teil ihrer
Thätigkeit bildeten.
Das Wahlsystem der Grossbeamten war, wie es scheint, das-
selbe, wie bei den Einzelbeamten; insbesondere steht es fest, dass
der Majoralis aus der Zahl der Presbyter dieses Grades gewählt
wurde, dass er aber der Handauflegimg eines in gleichem Bange
stehenden Beamten bedurfte. „Nach der Wahl" — so erzählen
*) Dölünger II, 92: Sandaliati sunt iUi, qui sacerdotes, magistri et
rectores dicuntur totius haereticae pravitatis . . . Item sandaliati non tenent
pecuniam et sotulares decollatos seu perforatos super pedes in dictis sandaliis.
Et quodquod per ipsos sandaliatos ordinatur ... ab omnibus inferioribus
irrefragibiliter observatur et eisdem tamquam capitibus obediimt.
*) Dölünger II, 95: Quarte sciendum est, quod praedicti haeretici
perfecti semel in anno in quadragesima vel circa celebrant concilium vel
capitulum generale in aliquo loco Lombardiae vel Provinciae ... In quo
etiam capitulo credentes non admittuntur, nee perfecti haeretici juvenes nee
mulieres quamvis sint perfectae et antiquae ....
^ Dölünger II, 104: Majoralis ubique potest praedicare et alia
sacramenta ministrare sociis suis. Der Name „socii" und „societas" scheint
hier der gebräuchlichste gewesen zu sein.
*) DöHinger II, 289: „Diaconus efficitur de eorum statu .(d. h. des
immittelbar vorher genannten Ordo et gradus apostolorum) cum voto quod
facit paupertatis, castitatis et obedientiae, nee ante receptionem dicti ordinis
aliquis est perfectus in eorum statu, sed alii, qui non ordinantur, vocantur
credentes et amici eorum, a qiiibus etiam recipiunt (seil, perfecti) susten-
tationem; ad diaconum autem pertinet, ministrare tam Majori- quam
Presbyteris nccessaria corporis, non tamen habet potestatem audiendi con-
fessiones."
14*
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206 KeUer, Heft 6 u. 7.
unsere Quellen*) — ,^ieten die Wähler nieder und beteten das
Vater Unser und während des Gebete hielten sie die Hände ver-
schlimgen, so dass jedesmal die Daumenseite der Hand unter dem
Kinn lag/^
Wenn auch in Bezug auf Namen und Zuständigkeit der
Glieder dieser hierarchischen Ordnung bei der Natur unserer
Quellen, denen meist die klare Einsicht in die Zusammenhänge
fehlt und bei dem Dunkel, mit dem die Brüder selbst sich um-
gaben, noch Manches unklar ist, so steht doch fest, dass die
Verfassung sich in neun Stufen aufbaute und dass die oben
geschilderte Teilung zwischen den Beamten der Einzelgemeinde
und der Gesamtgemeinschaft der einzelnen Länder und Stämme
vorhanden war. Sie sind, wie es in einem alten waldensischen
Gedicht heisst, die „Träger des Lichte" und die „Säulen der Kirche",
auf denen der Tempel der Weisheit ruht. Auch kehrt die Idee
der neun Stufen gerade in den bekanntesten Schriften der Partei
an manchen Stellen wieder^).
Von dem unbekannten Verfasser der sog. „deutechen Theo-
logie", deren Zusammenhang mit den älteren religiösen Volksbe-
wegungen des Mittelalters anerkannt ist und schon dadurch be-
wiesen wird, dass sie in Übereinstimmung mit den ,JKetzem" die
Lehre von der Ewigkeit der Höllenstrafen bezweifelt, werden (im
XIV. Kapitel) die drei Stufen folgendermassen beschrieben: „Nun
soU man wissen, dass Niemand kann erleuchtet werden, er sei
denn zuvor gereinigt oder geläutert und geledigt. Auch kann
Niemand mit Gott vereinigt werden, er sei denn zuvor erleuchtet
Und darum giebt es drei Wege: zum ersten die Reinigung,
zum andern die Erleuchtung, zum dritten die Vereinigung.
Die Reinigung gehört dem anfangenden oder büssenden Men-
*) Döllinger II, 111 f.: „Quo facto omnes genua flectunt dicentes
Pater noster; et dum dieunt Pater noster tenent manus junetas positiv
poUicibus sub mento. (Urkunde aus Südfrankreich, Anfang des 14. Jahrb.).
— Diese Verschlingung der Hände war auch bei feierlichen Aufnahme-
Handlungen üblich (Döllinger II, 5), wobei der Leiter des Aufnahme-Aktes
das Evangelium Johannis 1,1 verlas von „In principio" bis „caro factum
est et habitavit in nobis."
^ V. Zezschwitz, Die Katechismen der Waldenser etc. 1893, S. 205 f.
^ z. B. in dem Büchlein „Von den neun Felsen" (s. Keller, Die
Reformation S. 133); auch in einem Strassburger Ekiikt von 1317 gegen die
„Begharden" kehren sie wieder (Reformation 8. 201).
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1894. I^ie böhmischen Bnider und ihre Vorläufer. 207
sehen zu und gesehieht auch auf dreifache Weise Die
Erleuchtung gehört dem zunehmenden Menschen zu und ge-
schieht auch in dreifacher Weise . . . Die Vereinigung betriffit
die vollkommenen Menschen und geschieht auch in dreierlei
Weise "
Dreimal drei Stufen waren es also, die die Grundlage
in der äusseren Verfassung und Ordnung der Brüderschaft bildeten
und die für die einzelne Menschenseele die Leiter der Vollkommen-
heit darstellten. Unzweifelhaft spiegelt sich hierin der Glaube
an die besondere Bedeutimg der Dreizahl, wie ihn schon die älte-
sten Christen kannten.
Diese Dreiteilung ist für die Organisation wie für die
Glaubenslehre der altchristlichen und altevangelischen Gemeinden
aller Jahrhimderte von grundlegender Bedeutimg geworden. Wir
besitzen einen sc^. Waldenser- Katechismus aus dem 15. Jahr-
hundert in böhmischer Sprache, der den Titel führt: „Schrift der
dreierlei Fragen, die ersten für die Anfangenden, die zweiten
für die Fortschreitenden, die dritten für die Vollkommeneren
u. 8. w." Es sind dies drei Katechismen, deren erster unter dem
Namen der „Kinderfragen" ins Deutsche übersetzt und in mehreren
Auflagen als „Katechismus der böhmischen Brüder^' bekannt ge-
worden ist^).
Es trifft sich glücklich, dass es gerade Comenius gewesen
ist, der uns in einer der von ihm herausgebenen Schriften folgende
Darstellung der drei Stufen erhalten hat: ,J)as Volk oder ihre
Zuhörer haben unsere Vorfahren dreifach ... zu teilen gepflegt:
nämlich in die Anfangenden (Incipientes), die Fortschreiten-
den (Proficientes) und die Vollkommenen (Perfecti) oder die
auf dem Weg dahin Begriffenen (s. Hebr. 5, 13; 1. Cor. 2, 6 und
Isid. üb. 2 Eccl. c. 212).«
*) Vgl. Jos. Müller, Die deutschen Katechismen der böhmischen
Brüder (Mon. Germ. Paedagogica IV) 1887 S. 77.
*) Die Stelle findet sich in der zuerst in Lissa (1632) zum Druck be-
förderten Schrift: Ratio disciplinae ordinisque ecclesiastici in Uni täte Fratrum
Bohemorum, die nicht von Comenius verfasst, sondern von der Brüder-Synode
zu Zerawic entworfen worden ist; sie lautet: „Populum seu auditores suos
majores nostri .... trifariam juxta gradus laborum, circa illos iustituendos,
partiri soliti simt: nempe in Incipientes, Proficientes et Perfectos,
sive ad perfectionem tendentes (vid. Hebr. 5, 13 f.; 1. Cor. 2, 6 et Isid. 11^,
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208 KeUer, Heft 6 u. 7.
Der Gedanke, der dieser Einteilung zu Grunde li^t^ ist der,
dass der Mensch der Ejitwickltuig zum Guten fähig und be-
dürftig ist und dass eine Hauptau%abe der christlichen Gemein-
schaft in der Beförderung dieser Entwickelung gelegen ist In
jedem Menschenherzen schlummert nach dieser Anschauung ein
Funke des ewigen Lichts, der, wie verschüttet er auch durch
Sünde und Schuld sein mag, zur reinen Flanmie oder zur inneren
Erleuchtung (wie sie sagten) emporgehoben und entzündet werden
soll und kann.
Der W^ der nach ihrer Auffassung zu dieser Erleuchtung
führte ist oft und vielfach von ihnen beschrieben worden: es ist
der W^, den Christus gegangen ist, der Weg der Demut, der
Nächstenliebe und der Gelassenheit, d. L der leidenswilligen Er-
gebung, die jede persönliche Rache ausschliesst und verbietet.
Aus diesen Auffassungen erklärt sich auch die besondere
Betonung, die sie der Entwicklung und Erziehung der einzelnen
wie der Menschheit beilegten, und die Thatsache, dass die Brüder
seit alten Zeiten sich der EIrziehung und der Erziehungslehre
eifriger angenommen haben als irgend eine 'andere Religionsge-
meinschaft
Tief durchdrungen von dem Wert jeder Menschenseele wie
sie es waren, waren sie erfüllt von dem Streben, den Weg des
Lichtes allen Menschen zu zeigen, gleich\del ob die Irrenden wie
die Heiden nur das „Gesetz der Natur'* oder wie die Juden nur
das „Gesetz Mose" kannten.
Die Ziele, welche sie zimächst im^Kreise der „Brüder" der
Verwirklichung zuführen wollten, galten ihnen im weiteren Sinn
2 Kodes, cap. 21), Incipientes sive Initiales sunt, qui Catechesin et prima
Beligionis elementa discuDt; ut sunt pueri, Pastorum jam curae a Parcntibus
traditi. Nee non adulti ab Idololatris aceedentes vel alias negleeti, qui, si
Ministrorum inter Fratres curae se permittunt, institui prius probarique solent.
(Hebr. 5, v. 11, 12, 13, 14.) Proficientes sunt, qui religionis elementa
jam edocti, in pastoralem curam suscepti ad omnium in Ecclesia mysteriorum
participationem admissi, magis magisque in agnitione voluntatis Dei, ejusque
practica observatione se exercent; atque in ecclesiae ordine se continentes
sanctificationem suam custodiunt (2. CJor. 7, 1; Hebr. 6, 1). Perfectos
appellarunt rerum divinarum cognitione notabiliter auetos inque Fide, Chari-
tate et Spe adeo roboratos, at alios jam quoque illuminare, illisque in ordine
continendis praefici possent (Rom. 15, 14; 1. Cor. 2, 6; Phil. 3, 15). Hier
nach Müller a. O. S. 77.
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1894. I^ie böhmischen Brüder und ihre Vorläufer. 209
auch für die ganze Menschheit. Die Erkenntnis der christlichen
Wahrheit, wie sie sie fassten, sollte ihrem Wunsche nach allen
zugänglich werden, und es ist sehr merkwürdig, dass bei diesen
„Ketzern" durch alle Jahrhunderte hindurch ein ökumenischer, die
ganze Menschheit umfassender Zug nachweisbar ist, der sie in
ihrer grossen Mehrheit über jeden Sektengeist erhob. Seit alten
Zeiten war es ihre Freude gewesen — wir sehen diesen Zug an
allen ernsten Geistern dieser Richtung, auch an Comenius — im
Streite der Parteien mehr das Verbindende als das Trennende
zu betonen; bei allem Nachdruck, mit dem sie ihre Eigenart ver-
treten und festhalten, war ihnen doch eine Weitherzigkeit eigen,
die stets auf das Wesentliche der Religion, nicht auf Nebenpirnkte
gerichtet war; wenn irgend eine Religionsgemeinschaft so sind
gerade sie der Lösung der schwierigen Aufgabe näher gekommen:
religiöse Wärme mit freisinniger Duldimg zu verbinden.
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Friedlich Albert Lange als Philosoph und Pädagog.
Von
O. A. EUissen.
I.
In den zwanziger und dreissiger Jahren unseres Jahrhunderts
stand die Idealphilosophie in der Gestalt des Hegeischen Systems
auf der Höhe ihres Ansehens und hatte in Preussen die Geltung
einer Staatsphilosophie. Philosopheme, in welchen nicht das Sein
durch das Nichtsein gesetzt und das Positive aus der Negation
gewonnen Mrurde, hiessen in offiziellen Erlassen „seicht und ober-
flächlich", ^) und ein ähnliches, wenn auch nicht so unbestrittenes
Ansehen wie Hegel auf dem politisch-historischen Gebiete, genoss
Schelling beim Publikum eine Zeitlang auf dem naturwissenschaft-
lichen. Aber der masslosen Überschätzung folgte rasch eine ebenso
masslose Unterschätzung. Von sehr verschiedenen Seiten erfolgten
die heftigsten Angriffe. Kein Ausdruck war Schopenhauer stark
genug, wenn es galt die Universitätsphilosophie und ihre drei
Koryphäen Fichte, Schelling, Hegel zu verunglimpfen; aber der
letztere mit seiner ,3ierwii't«phy8iognomie" war der bestgehasste,
während Schelling wenigstens eine gewisse Begabung nicht abge-
sprochen wurde. Dieser imigekehrt war die rechte b^te noire für
die jüngeren Vertreter der Naturwissenschaft, die ihrerseits von
dem freundlichen Frankfurter Philosophen als Apothekergehülfen
und Barbiergesellen charakterisiert wurden. Schopenhauer blieb
bekanntlich Jahrzehnte hindurch unbeachtet, während die Chemiker
und Physiologen populär wurden und imter lautem Beifall des
Publikums die „Kelle der Metaphysik" ergriffen, indcss die paten-
*) Lange, Gesch. des Materialismus II, p. 73.
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1894. Friedrich Albert Lange als Philosoph und Pädagog. 211
tierte Baumeisterin schlief oder zu schlafen schien. ^) Rasch folgten
sich in den fünfziger Jahren die Werke von Moleschott (Kreislauf
des Lebens), Vogt (Bilder aus dem Thierleben), Büchner (Kraft
und Stoff); und welche zünftigen Philosophen hätten sich ähnlicher
litterarischer Erfolge rühmen können? Wer nicht mit den Mate-
rialisten ging, war ein wegen seines „Köhlerglaubens" bemitleidens-
werter Obscurant. Jede epochemachende naturwissenschaftliche
Entdeckung wie die Darwinsche Entwicklungslehre und die mecha-
nische Wärmetheorie (die ja erst lange nach ihrer Entdeckung zur
Anerkennung gelangte), komite Büchner mit gutem Recht als Be-
stätigung seines Programms in Anspruch nehmen. Muss also dies
Programm nicht ganz vortrefflich sein?
„Ja und nein" werden wir antworten, wenn wir in drei Worte
fassen wollen, was Friedrich Albert Lange in den zwei Bänden
seiner trefflichen „Geschichte des Materialismus und Kritik seiner
Bedeutung für die Gegenwart" ausführt Der Materialismus ist
eine durchaus berechtigte und höchst brauchbare naturwissen-
schaftliche Maxime — eine Maxime, die denn auch Lange
selbst in Psychologie, Pädagogik und sonst so weit immer möglich
befolgt; aber er erhebe nicht den Anspruch, das letzte Wort der
Philosophie zu sein! In der That macht Lange dem Materialismus
so grosse Zugeständnisse, dass ein Kritiker der Satiuxiay Review
ihn seiner Zeit als „ardent def ender of materialism" bezeichnete.
Schon vor dem Erscheinen seines Hauptwerkes, am 27.
September 1858 schrieb unser Philosoph an seinen Freund Kambli:
„Meine Logik ist die Wahrscheinlichkeitsrechnung, meine Ethik
die Moralstatistik, meine Psychologie ruht durchaus auf der
Physiologie; ich suche mit einem Worte mich nur in exakten
Wissenschaften zu bewegen. Eine Kritik der Psychologie, in
welcher der grösste Teil dieser »Wissenschaft« als Geschwätz imd
Selbstbetrug nachgewiesen würde, und die sich der Tendenz nach
als zweiter grosser Schritt an Kants Kritik der reinen Vernunft
anschliessen sollte, wäre das Buch, das ich am liebsten schreiben
möchte."
Aber so sehr Lange die materialistische Methode billigt
imd befolgt, so entschieden missbilligt er denn doch die materia-
listische Philosophie. Nach ihm widerlegen Kant und die Physio-
») Gesch. des Mat. II, p. 88.
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212 EUissen, Heft 6 u. 7.
logie der Sinnesorgane dieselbe endgültig. — Und die Systeme
der Idealphilosophie? Sie zerstören einander, die Zeit geht über
sie hinweg, sie haben gar keine objektive Geltung, Der Mensch
begreift und versteht immer nur Bruchstücke, nur einzelnes; ver-
sucht er die Welt als Ganzes zu verstehen, so schafft er — ^ Dich-
tungen« Religion, Kirnst, spekidative Philosophie gehören in eine
Gruppe und stehen alle drei mit ihrem Streben nach dem Abso-
luten der schlechthin nur relativistischen Wissenschaft gegenüber.
Nur diese hat einen objektiven, jene haben einen subjektiven
Charakter.
Und so wäre auch hier der Schluss, dass der Mensch auf
sich zurückgewiesen wird. Gegen diese Auffassung der Philosophie
erhob sich öffentlich und brieflich mancher Widerspruch, und ein
Brief von Professor Hülsmann*) veranlasste Lange zu einem aus-
führlichen Schreiben, in welchem er noch einmal den Kern seiner
Ansicht so kurz und klar darlegt, dass wir nichts besseres thun
können, als diesen Brief hier einzuschalten, der ganz gewiss die
Veröffentlichung verdient, welche liange auch, irren wir nicht,
dabei von vornherein im Auge gehabt hat In diesem Briefe also
schreibt unser Philosoph:
„Was heisst es, wenn ich die »Religion« zur Dichtung
mache? Zunächst brauche ich nicht zu erinnern, dass in
dieser Beziehung eine sehr radikale Kritik und eine sehr
tiefgehende Anerkennung Hand in Hand gehen, ja Eins sind;
denn aus meinem ganzen Werk muss zum mindesten so viel
klar werden, dass ich die Dichtung nicht auf einen niedrigeren
Rang setze, sondern umgekehrt, auf einen hohem, als man
gemeiniglich pflegt Ich brauche Ihnen gegenüber nicht an
die kulturgeschichtliche Bedeutung Homers, der Nibelungen,
des griechischen Dramas, des deutschen Liedes zu erinnern.
„Klar ist femer ohne weitere Erläuterung, dass diese
Definition mich in gleichem Grade den Mystikem näher rückt,
in welchem sie mich von den Orthodoxen und Dogmatikem
entfernt
„Ebenfalls leicht einzusehen ist, dass ich von meinem
Standpunkt aus in direktem Gegensatz zu den Rationalisten
*) Abgedruckt in den Philosopliischen Monatsheften von Bergmann,
II. Bd. 1. u. 2. Heft S. 83.
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1894. Friedrich Albert Lange als Phfloftoph und Pädagog. 218
(deren Bestrebungen ich gleichwohl in anderer Hinsicht hoch-
schätze) das Wesentlichste und Wertvollste am Christentum
nicht sowohl in den abstrakten Lehren als vielmehr in der
Verkörperung dieser Lehren und — um mich so auszudrücken
— in der Tragödie desselben finde, dass ich auch durchaus
nicht glaube, — Alles dies liegt im Begriff wahrer Dichtung
— dass eine zersetzende Kritik der angemassten historischen
Geltung die Wirkungslosigkeit oder gar völlige Nichtigkeit
der religiösen Überlieferungen nach sich ziehen müsse.
„Endlich glaube ich das von jedem Leser meiner »Ge-
schichte des Materialimus« erwarten zu dürfen, dass er das
Wort »Dichtung«, wo es in Beziehung auf Religion (und auf
Metaphysik) erscheint, nicht schlechthin in gewöhnlichem, son-
dern in einem etwas weitem Sinne verstehe, sodass darin mit
einer a potiori hergenommenen Bezeichnung eine Geistesfunktion
allgemeiner Art verstanden wird, welche die wesensverwandten
Schöpfungen (mit einer nach der andern Seite neigenden, aber
im Grunde dasselbe meinenden Bezeichnung köimte man sagen
Offenbarungen) von Kunst, Religion und Philosophie zusammen-
fasst. Ich hätte die Hegeische Zusammenfassung im Begriff
des ^Absoluten' beibehalten können, wenn ich nicht dann
sicher eigentliche Missverstandnisse in Folge der an dies Wort
sich anheftenden Ideenassoziationen hätte erwarten müssen.
Die Hernähme des Wortes für den erforderlichen Übergriff
von der Dichtung erfolgte aber auch grade deshalb, weil
sich in diesem Wort in der klarsten unzweideutigsten Weise
die Unabhängigkeit des ideellen Gehaltes der Religion von
der historischen Wahrheit ihrer Überlieferungen ausspricht
Das aber schien mir grade der Punkt, auf welchen es in
imserer Zeit überhaupt imd zumal bei einer Beurteilung des
Materialismus ankommt Dieser hat seine Starke in der Ne-
gation dessen, was wirklich nicht zu behaupten ist, verbunden
mit dem Ignorieren jenes idealen Kerns der Religion, dem
keine Kritik und keine Skepsis etwas anhaben kann, und der
diu*ch eigene innere Lebenskraft unter wechselnder Form des
Mythus und des Dogma weiterlebt
,J)as Schwierige meines Standpunktes, die Unzugäng-
lichkeit für jeden, der sich nicht in ähnlicher Weise gewöhnt
hat, unbefangen und mit rücksichtsloser, weil sorgloser, nichts
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214 EUiBsen, Heft 6 u. 7.
fürchtender Kritik aUes vermeintliche Wissen auf die Wag-
schale zu legen und dabei doch gleichzeitig sich ebenso harm-
los der unmittelbaren Wirkung jeder Art von Dichtung und
Offenbarung, die aus den unergründlichen Tiefen des Geistes-
lebens quellen, hinzugeben, liegt auf einem andern Punkt, und
grade hier habe ich mich auch in meinem Werke vielfach,
bald mit Bildern, bald mit möglichst scharfem Ausdruck ab-
gemüht, mich verständlich zu machen, ohne das beruhigende
Gefühl, es müsse nun gelungen sein.
„Es betrifft die alte Frage: Was ist Wahrheit? Nach
meiner Ansicht ist nicht nur die ,absolute* Wahrheit materiell
unbekannt und hinsichtlich ihrer materiellen Erkennbarkeit
mindestens in unendlicher Feme liegend, sondern es ist auch
in formeller Hinsicht zu fragen, ob jene bruchstückweise, aber
objektive imd mit logischer und mathematischer Sicherheit
fortschreitende Naturerkenntnis (im weitesten Sinne des
Wortes) wirklich allein Anspruch auf den Namen der ,Wahr-
heit* hat
„Ich leugne die Möglichkeit einer ebenso sichern oder
noch gewissem, ebenso objektiven oder noch objektivem Er-
kenntnis auf den Gebieten der Metaphysik und Religion; ich
sehe die vermeintliche Ei^ielung einer solchen diu-ch Ver-
standes- oder Vemunftgebrauch als Selbstäuschung an; aber
ich spreche damit den geistigen Gebilden auf diesem Gebiete
noch nicht jeden Anspruch auf ,Wahrheit' ab. Nicht in
ihrer vermeintlichen Objektivität, sondern in ihrer Subjek-
tivität, in ihrem lautem Hervorquellen aus dem Innersten des
Individuums ak Quintessenz und Gesamtresultat, sowie höchste
Selbstverwirklichimg seines geistigen Seins, liegt ihr Wert
und ihre Wahrheit, wie die Wahrheit der Naturerkenntnis
— die im strengen Sinne aUein Erkenntnis ist — grade
umgekehrt in der Selbstentäusserung des erkennenden Indi-
viduums ruht. Ich will damit bedeutend mehr sagen, als
etwa eine blosse Verallgemeinerung des ästhetischen Begriffs
der ,poetischen Wahrheit*. Ich weiss ja, dass die ganze
Naturerkenntnis mit all ihrer ,Objektivität% mit aU ihrer
(stets relativistisch zu fassenden) Richtigkeit und Sicherheit
doch im letzten Grunde auch nur ein Produkt der geistigen
Organisation des Individuums ist, also derselben
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1894. Friedrich Albert Lange als Philosoph und Pädagog. 215
Quelle entstammt, wie jener KrystaUisationsprozess im
Gemüt, der mis auf dem Wege der Kmistschöpfmag, der
religiösen Ideenerzengung (Offenbanmg) ein Ganzes Vollen-
detes hinstellt
„Die mibekannte wirkliche volle Wahrheit — ich kann
sagen ,die ewige Wahrheit' — denken wir uns als 1) gewiss
und 2) vollendet Unser Geist. zerlegt seiner ursprünglichen
Organisation gemäss diese beiden Elemente und giebt uns
auf dem Wege der Erkenntnis zwar allerdings Gewiss-
heit, aber niu* hinsichtlich der Art, wie ein Bruchstück aus
dem andern folgt, und wie diese Bruchstücke durch die Art
ihres Zusammenhangs, dm-ch das Prinzip ihres Ineinander-
grcifens auf ein unendliches imd dennoch einheitliches Ganze
hindeuten. Die unmittelbare Produktion des Geistes
giebt uns statt dessen die Vollendung, aber freilich nur
auf Kosten der Gewissheit und selbst der Richtigkeit (er-
kenntnismässigen Objektivität) hinsichtlich des Stoffes, in
welchem diese Vollendung sich ausdrückt Sie hat daher
stets niu* den Wert eines Bildes, aber dieser Wert kann
bei richtiger Auffassung seiner ßedeutimg für unser ganzes
Geistesleben nicht leicht hoch genug veranschlagt werden.
„Wir dürfen glauben, können sogar nicht umgehen, zu
glauben, dass wir in diesen Bildern ein fortschreitendes mit
jeder auf höherer Stufe erneuten Produktion wahreres Eiv
fassen der Form des Ewigen und Unendlichen haben, während
uns gleichzeitig die fortschreitende Wissenschaft die Materie
desselben in immer grösserer Ausdehnung erfassen lässt,
wobei immerhin vorbehalten bleibt, dass diese ganze Unter-
scheidung nach Form und Materie nur eine Folge unserer
endlichen Organisation ist"i)
Hatte also Professor Hülsmann, wie sich ergiebt, Einwendun-
gen in Bezug auf die Religion erhoben, so Stadler, der bekannte
damals noch ganz junge Züricher Philosoph in Bezug auf die Ethik.
Er schrieb im Jahre 1875 an Lange, er könne sich vorläufig
davon nicht überzeugen, dass Moral als „beweisende Wissenschaft"
nicht notwendig und nicht möglich sei. Er möchte gern an Stelle
der Begriffsdichtung eine Begriffsverfassung festhalten, eine ethische
'j Hier bricht die im Nachlass befindliche Abschrift des Briefes ab.
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216 EUissen, Heft 6 u. 7.
Konstitution, von welcher er beweisen könne, dass sie für die
menschliche Natiu* unerlässlich, und dass nur eine bestimmte Form
derselben die richtige sei.
Nun haben wir oben gesehen, wie Lange schrieb: „meine
Ethik ist die Moralstatistik." Damit ist aber zusammenzuhalten,
was Lange in seiner Moralstatistik (Voriesungen 1857 — 58) sagt,
dass nämlich diese Wissenschaft statt die Moral aufzuheben, sie
niu* auf eine solidere und breitere Basis setzen solle, als die ge-
meine Erfahrung* gebe. Die sittliche Kraft des Menschen sei
äusserlich imd naturhistorisch betrachtet stets endlich imd habe
einen bestimmten Wert, der sich in den Zahlen der Moralstatistik
handgreiflich darstelle. Das Schuldbewusstsein aber messe sich
gar nicht an dieser empirischen Kraft, sondern an einer idealen,
die grösser gedacht werde als jedes mögliche Hindernis, an dem
kategorischen Imperativ, der seine Gebote stelle, ohne nach der
Möglichkeit ihrer Realisierung zu fragen. Hier giebt sich also
Lange in Bezug auf die Ethik durchaus als Kantianer, wie er ja
in der Erkenntnistheorie bestandig einen modifizierten Kantianis-
mus vertrat Später hat er sich in der Ethik Kant gegenüber
wiederholt auf Schiller berufen und gel^entlich die Äusserung
gethan, Kant und Schiller verhielten sich wie Gesetz und Er-
lösung.*) Was aber das eigentlich Materielle der Ethik betrifft,
so scheint es uns, dass auf den letzten Seiten der Geschichte des
Materialismus mehr Christliches als Schillersches zu finden sei.
Freilich sieht Lange eben in Schillers Gedichten, insbesondere in
dem herrlichen Hymnus „Das Ideal imd das Leben", mehr dem
Christentum Wesensverwandtes, als gewöhnlich darin gefunden wird.
Jedenfalls ist es nach Lange eine Au%abe empirischer
Wissenschaft, dem sittlichen Handeln des Menschen und der
^) CJohen (Kants Begründimg der Ethik p. 288) leugnet den zwischen
Kant und Schiller gewöhnlich angenommenen Gegensatz, der, wie wir sehen,
Lange so gi-oss erscheint, und wünscht, dass aus unseren Litteraturgeschichten
die bequeme Verhältnisbestimmung zwischen Kant und Schiller, nach welcher
der letztere des ersteren Eigorismus ästhetisch gemildert habe, endlich ver-
schwinde. Er beruft sich dabei auf den Brief Schillers an Kant vom 13. Juni
1794; aber im Musenalmanach für das Jahr 1797 finden sich die bekannten
Epigramme „(lewissensscrupel** und „Decisum", die doch bis jetzt meines
Wissens allgemein als eine Ironisierung der Kantischen Tugendlehre betrachtet
worden sind; doch lassen sie sich allenfalls auch als eine Verspottung un-
verständiger Jünger Kants auffassen.
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1894. Friedrich Albert Lange als Philosoph und Pädagog. 217
Menschheit gleichsam entgegenzukommen, ihm die Stätte zu be-
reiten, mag uns nun als ethisches Ideal das pf lichtmässige, das
schöne oder das liebevolle Handeln erscheinen.
Damit haben wir denn auch, wie wir sehen werden, den
Ausgangspunkt für Langes Ansichten über wissenschaftliche Päda-
gogik gewonnen.
n.
Die Pädagogik ist bekanntlich mehr eine Kunst als eine
Wissenschaft und zwar eine Kunst, die mit der des Mimen die
Schwierigkeit und die Vergänglichkeit gemein hat Hier stirbt
der Zauber mit dem Künstler ab. Oder hat Schiller darin Un-
recht? Wohl bleibt kein Werk zimick wie das Gebild des
Meisseis, der Gesang des Dichters; aber der Eindruck, den der
Virtuose macht, kann doch bei den Zeitgenossen ein unvergäng-
licher sein und sie zu Schilderungen veranlassen, diu-ch welche
auch für ferne Zeiten „stat nominis umbra".
Lange muss ein Virtuose in seiner Kunst gewesen sein.
Man hört wohl die Klage, dass die Schule uns den Schiller ver-
leide. Das muss bei ihm nicht der FaU gewesen sein. Auch
nüchterne Natiu'en werden heute nach 30 Jahren warm, wenn sie
sich mit freudiger Rührung der Augenblicke erinnern, da Lange
ihnen das Lied auslegte von der Sehnsucht aus des Thaies
Gründen, die ein feuchter Nebel drückt, und ihnen das schöne
Wunderland deutete, in das niu* Wimder tragen können. Lange
sagt einmal:
„Die höchste Aufgabe der Erziehung ist ohne Zweifel, dem
Kinde das Gute in charaktervoller Form nahe zu bringen;
daher denn auch die ungemeine Überlegenheit des persönlichen
Beispiels über abstrakte Lehren sich erklärt"^)
Dafür nun, dass Lange selbst eine Persönlichkeit war, die
von vornherein auf Jung und Alt den entschiedensten Eindnick
eines bedeutenden Menschen machte, sind in seiner Biographie
manche Zeugnisse angeführt Lange absolvierte sein Probejahr
am Friedrich-Wilhelms-Gjinnasium in Köln. Der Nationalökonom
Professor Lexis war damals in Köln Primaner und hatte als solcher
*) Artikel Seelcnlehre in Schmid« Encyklopädie.
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218 Ellissen, Heft 6 u. 7.
selbst keine Stunde bei Lange, aber lebhaft erinnert er sich, mit
welcher Hochachtung seine Schüler von ihm sprachen, und wie er
schon damals den Eindruck erhielt, dass es keine gewöhnliche
Persönlichkeit seL In dem Osterprogramm 1853 heisst es: „Es
wäre als ein erfreulicher Gewinn anzusehen, wenn Dr. Lange
dauernd an die Anstalt gefesselt werden könnte.** Li der zweiten
Hälfte des Probejahres wurde ihm ein andrer Kandidat zur
Ausbildung anvertraut. Lange selbst verfasste noch als Kandidat
eine Denkschrift über den Turnunterricht, welche ein anerkennendes
Schreiben des Ministers und Langes Berufung nach Berlin zum
Zweck einer Besprechung mit dem Unterrichtsdirigenten der
Zentraltumanstalt veranlasste. Das Probezeugnis, welches Lange
erst im August 1854 erhielt, lautet: „Hatte Herr Dr. Lange schon
während seines Probejahres in allen ihm anvertrauten Lehrobjekten
wohlbegründete Kenntnisse, ein richtiges Urteil und entschiedene
Lehrgaben an den Tag gelegt, mit liebevollem Ernst eine gute
Zucht aufrecht erhalten und sich sowohl das Zutrauen seiner
Schüler als die achtungsvolle Teilnahme aller Lehrer der Anstalt
zu gewinnen gewusst, so hat er im zweiten Jahre seiner AVirk-
samkeit diese guten Eigenschaften in erfreulichster Weise weiter
entwickelt imd sich als einen denkenden und für seinen Beruf
mit Hingebung lebenden Lehrer, der zu den schönsten Hoffnungen
berechtigt, erwiesen."
Auch Wiese hat sich, wie aus einem Brief des Schulrats
Landfermann vom 9. August 1853 an Lange hervorgeht, über
diesen mit besondrer Anerkennung ausgesprochen.
Wir dürfen also sagen: Lange war ein vorzüglicher Lehrer.
Dies kann man bekanntlich sein, ohne dass man ein grosser
Theoretiker der Pädagogik ist Lange selbst hielt auch durchaus
nicht für nötig, dass alle Lehrer theoretisch geschulte Pädagogen
seien; kaum hielt er für bedauerlich, dass so wenige es sind.
„Wer in diesem Sachverhalt," sagt er^), ,4ediglich eine Unvoll-
kommenheit oder gar ein Unglück erblickt, der übersieht eben,
dass ganz dieselben Grundsätze, welche sich in dem philosophi-
schen Kopfe zum Bewusstsein entfalten, unbewusst auch in den
übrigen wirken und walten ; ja dass sogar diesem instinktmässigen
*) In Fleckeisens Jahrbüchern Bd. 78: Das Studium und die
Prinzipien der Gymnasialpädagogik.
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1894. Friedrieh Albert Lange als Philosoph und Pädagog. 219
und rein natürlichen Thun erfahrungsmässig meist eine grössere
Sicherheit und Taktfestigkeit zukommt als dem durch Bewusstsein
vermittelten. Die eine Weise findet an der andern Ferment oder
Korrektiv, und es giebt keinen Stand, der nicht beiderlei Köpfe
zur Erreichung seiner praktischen Ziele bedürfte."
Er selbst freilich beherrschte auch die Theorie und die
Geschichte des Unterrichts und musste sie beherrschen als Dozent
der Pädagogik und als pädagogischer Schriftsteller. Da er als
Privatdozent nach Bonn ging, hatte er mit in erster Linie das
Halten pädagogischer Vorlesungen ins Auge gefasst, aber es wurde
aus diesen nicht viel. Die Philologen waren durch Ritschis
energische Wirksamkeit ganz in Anspruch genommen, und die
Psychologie wurde hier Langes Hauptvorlesung. Später hat er
pädagogische Vorlesungen in Zürich und Marburg gehalten, und
eine umfangreiche schriftstellerische Thätigkeit hat er über ein
Jahrzehnt für die Schmidsche Encyklopädie des Erziehungs- und
Unterrichts Wesens ausgeübt, welcher seine Artikel zur besonderen
Zierde gereichen.
In dem schönen inhaltreichen Auf satze „Seelenlehre" heisst es :
„Man darf nie vergessen, dass in der Pädagogik stets zwei
Faktoren in Frage kommen : • der ethische, welcher uns das
Ziel der erziehenden Thätigkeit giebt und gleichsam den Stil be-
stimmt, in welchem der Erzieher bauen will, und der psycho-
logische, welcher das technische Material beherrschen lehrt"
Leider steht es nun mit der Wissenschaft der Psychologie,
wie gerade dieser ganze Artikel zu zeigen bemüht ist, noch sehr
schwach. Wissenschaftliche Ansätze finden sich aber wenigstens
in der Psychophysik einerseits imd andererseits in der Moral-
statistik, an deren Stelle für das pädagogische Gebiet eine um-
fangreiche Schulstatistik zu treten hätte.
In seinen eigenen Vorlesungen über Psychologie befolgt
Lange eine möglichst „somatische" Methode, d. h. er sucht mög-
lichst viel von der Psychologie auf die Physiologie zurückzuführen,
imd auch die Pädagogik kann sich nach Lange physiologischen
Beobachtungen nicht entziehen, eine Erkenntnis, die ja in der
Forderung der Anstellung von Schulärzten vielfach von einem
andern Gesichtspunkt aus zur Geltung gekommen ist. In seinen
Vorlesungen über Pädagogik (Winter 1871 — 72) macht Lange
ausführliche Mitteilungen über Wachstum, Gewichtszunahme, Zu-
Monatahefte der Comenius-Oesellschaft. 1894. |5
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220 Ellissen, Heft 6 ii. 7.
nähme der Muskelkraft u. dgl. und kommt auf Grund dieser
statistischen Beobachtungen zu folgendem praktischen Resultat:
,yDie im vorigen § dargelegten Verhältnisse der natürlichen
EntMricklung geben für die Erziehung den deutlichen Wink, dass
das Kind bis zum vollendeten 5. Lebensjahre der vollen Sorgfalt
mütterlicher Pflege und häuslicher Erziehung bedarf; das darauf
folgende Alter bis zum 12. hin eignet sich bei abnehmenden und
gleichmassig fortschreitenden Ansprüchen der körperlichen Ent-
wicklung mit schneller Befestigung der Gesundheit vorzüglich für
die allmählich steigenden Ansprüche der Schule, Vom 12. Jahre
an ist unsere gegenwärtige Erziehungsweise wahrscheinlich falsch,
und dürfte es der Natur am besten entsprechen, unter Beschränkung
des gewöhnlichen Schulunterrichts auf das Notwendigste vorzüg-
lich die gymnastische Bildung zu pflegen. Dagegen , eignet
sich wieder das Alter vom 16. bis 20. Jahre bei Knaben, vom
14. oder 15. bis zum 17. oder 18. bei Mädchen vorzüglich für
den höhern Schulunterricht und die spezielle Berufsbildung
und soweit ein solcher nicht allgemein durchführbar ist, für
Unterweisung in den Pflichten des Bürgers und der Hausfrau
neben der speziellen Berufsbildung."
Selbstverständlich wird auch 'im einzelnen die Beachtung
körperlicher Einflüsse nicht fehlen dürfen, so wenig in der häus-
lichen Erziehung als in der Schule. Über den Unverstand mancher
Lehrer und Mütter gegenüber verdrossenen, unlustigen Kindern
finden sich in dem Artikel „Seelenlehre" sehr verständige Be-
merkungen, denen die allgemeinste Beachtung zu wünschen wäre.
Durchaus nicht ist es Langes Meinung, dass hinter der rationellen
körperlichen Erziehung die ethische zurücktreten solle; diese wird
aber nach ihm durch jene gerade gefördert; sie ist schon im
frühesten Kindesalter nicht zu versäumen.
„Nichts ist verderblicher, sagt er, als die Meinung, dass in
den ersten Jahren nur für das körperliche Wohl der Kinder zu
sorgen sei und die eigentliche Erziehung erst später zu erfolgen
habe. Vielmehr soll man schon aus dem Tempo und Ausdruck
des Geschreis imd der Gliederbewegungen eines Säuglings auf die
innere Form seiner Empfindungen und Stimmmigen zu schliessen
suchen, wobei man schon in den frühesten Wochen ^e über-
raschende Bestimmtheit der m^prünglichen Charakteranlage er-
kennen wird. Jeder zäi-tlicho Blick, mit dem einer offenbaren
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1894. Friedrich Albert Lange als Philosoph und Pädagog. 221
Unart begegnet wird, jede stumpfe Gleichgültigkeit gegen die ersten
seelenvollen Äusserungen kindlicher Dankbarkeit und Zuneigung
stört die geistige Entwicklung des Kindes in ihren ersten folgen-
reichen Anfängen.*' (Seelenlehre.)
Und bei dem Zweige des Schulimterrichts , der zunächst
ganz dem körperlichen Wohl gewidmet zu sein scheint, bei dem
Turnen, weist Lange mit Entechiedenheit auch auf dessen geistige
und sittliche Bedeutung hin in der trefflichen Schrift „Leibes-
übungen" (Separatabdruck aus der Encyklopädie) und auch schon
in der oben erwähnten Denkschrift über diesen Gegenstand aus
der Kölner Zeit, aus welcher ein Auszug in der Biographie mit-
geteilt ist.
Lange schrieb nicht nur der gesamten psychologischen, sondern
auch der speziell pädagogischen Litteratur seiner Zeit nicht viel
wissenschaftlichen Wert^) zu, und es wird wohl zuzugeben sein,
dass auf wenigen Gebieten ein redseliger Dilettantismus sich so
breit gemacht hat wie auf pädagogischem. Darum ist der Wert
des Studiums dieser umfangreichen Ldtteratm* problematisch. Aber
auch offizielle Anordnungen zum Besuch pädagogischer Vorlesungen
hielt Lange für verwerflich. (Auch Schrader, Verfassung der
höheren Schulen, 2. Aufl. p. 117, spricht sich ziemlich unumwunden
gegen Universitätsstudien in der Pädagogik aus.)
Für um so wichtiger aber hielt Lange eine praktische An-
leitung wälirend des Vorbereitungsdienstes. Lange selbst war ein
Meister der Disziplin; aber er war weit davon entfernt, solche
Meisterschaft für eine mystische Himmelsgabe zu halten. In
mehreren Artikeln der Encyklopädie (bes. Oppositionsgeist) giebt
er vortreffliche Winke, und im Artikel „Schülerzahl" spricht er
scharf aus, man sollte „streng daran festhalten, dass die Aufrechte
*) Am Schluss der Einleitung zu den Vorlesungen über Pädagogik
ßagt Lange: „Während die Geschichte der Pädagogik in neuerer Zeit sich
einer streng wissenschaftlichen Behandlung sehr genähert hat, schwankt die
Behandlung der Erziehungslehre noch zwischen sehr verschiedenen Ziel-
punkten und Methoden. Die berechtigte Ziu-ückweisung der Metaphysik
und die Fortschritte der anthropologischen und politischen Wissenschaften
sollten jedoch dazu führen, die Pädagogik schon jetzt unter Benutzung der
Staatswissen Schäften, der Physiologie und der neueren empirischen Psycho-
logie zu einer empirischen Wissenschaft von der Volkserziehung
zu machen."
lö*
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222 Elüsßen, Heft 6 u. 7.
erhaltung der Disziplin in grossen wie kleinen Klassen eine lehr-
bare Kunst ist, die jeder Fachmann, möge er nun etwas mehr
oder weniger Naturanlage dazu mitbringen, sich aneignen kann
und soll An der Volksschule hat man diesen Satz längst be-
obachtet, und die Zöglinge guter Seminare bringen es auch durch-
schnittlich so weit, dass sie in jedem Wasser schwimmen können;
an den höheren Schulen dagegen ist die eitle und selbstgefällige
Verachtung aller pädagogischen Regeln und Fertigkeiten leider
noch so vorherrschend, dass es rein dem Zufall überlassen bleibt,
ob sich ein Lehrer in dieser Beziehung das Erforderliche aneignet
oder nichts.
,Seit Lange dies schrieb sind über zwanzig Jahre vergangen,
imd man wird nicht leugnen können, dass es inzwischen besser
geworden ist Interessant ist und wir dürfen auch hier nicht
übergehen, was wir schon in der Biographie Langes (p. 109 f.) mit-
teilten, dass ganz ähnliche Reformen im Vorbereitungsdienst für das
höhere Schulfach, wie sie jüngst zur Durchführung gekommen sind,
reichlich dreissig Jahre früher von Lange beantragt waren in einem
Gutachten „über eine wünschenswerte Modification des Prüfungs-
reglements für das höhere Schulfach". Und wenn Direktor Hutt
in seiner treflflichen Abhandlung „Ziu* Vorbereitung auf das höhere
Schulfach" (Beilage zum 10. Jahresbericht des Realgymnasiums zu
Bernburg) ausreichende Kenntnis der Schulgesetzgebung, der
Rechtsverhältnisse des Lehrerstandes und der Formen des amt-
lichen Verkehrs verlangt, so hat auch er in Lange einen Vor-
gänger, der nachdrücklich ähnliche Forderungen aufstellte.
Auch der Ruf nach grösserer Freiheit im Unterrichtswesen,
wurde von Lange mit Entschiedenheit erhoben. Er erkannte sehr
klar die Schattenseiten des biu-eaukratischen Schematismus gerade
auf diesem Gebiete. Wie vortrefflich ist z. B., was er in dem
Artikel „Oppositionsgeist" sagt:
Jti unserer Zeit der Schulräte und Circularverfügungen, der
vorgeschriebenen Lehrmittel, genehmigten Lehrpläne, höheren Orts
festgesetzten Klassenziele, Reglements, Prüfungsordnungen, In-
spektionen, Gutachten, Berichte u. s. w. ist es der herzlose
Mechanismus, welcher an so vielen Anstalten trotz aller äusseren
Regelung in der jHaltung' der Schulen einen schlimmen Oppo-
sitionsgeist erzeugt. Die bureaukratische Ordnung bringt es leider
mit sich, dass das Schicksal der Lehrer imd die Gimst, welcher
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1894. Friedrich Albert Lange al» Philosoph und Pädagog. 228
sich ganze Anstalten erfreuen, viel zu sehr von den ostensiblen
Resultaten abhangt. Bringen doch ganze Provinzen dem leitenden
Schulrat mehr Ehre ein, wenn alle Anstalten nach dem Schnürchen
geregelt sind und alles handwerksmässig klippt imd klappt, als
wenn so viel Freiheit gelassen wird, dass der Stümper oflFen
stümpern und daneben der ernste denkende Arbeiter in sicherer
Ruhe ein Samenkorn für das Gedeihen kommender Generationen
ausstreuen kann! Je mehr die französische Centralisationswut in
Deutschland eindringt, desto ausgebreiteter und desto gefährlicher
wird auch der Oppositionsgeist werden, der auch dann, wenn er
geschickt imd kräftig niedergehalten wird, immer noch den ganzen
Segen der Erziehung in Fluch zu verwandeln droht." Und in
demselben Artikel heisst es noch: „Der Erzieher, dem die Pflege
einer Menschenseele anvertraut ist, soll sich nicht auf eine herz-
lose Sicherheit in der Handhabung der Amtsgewalt verlassen,
sondern er soU sich fragen, ob er fest im Geist der Wahrheit
und der Liebe steht, imd ob er auch der zarten Keime des Guten
wartet, die in keiner Prüfung, bei keiner Inspektion nachweisbar
und doch in ihrer zukünftigen Entfaltung oft wertvoller sind als
alle ostensiblen Resultate."
Auch im Artikel „Schülerzahl" spricht Lange den Wunsch
aus, „dass den einzelnen Lehrern, sofern sie einen pädagogisch
richtigen Gebrauch davon zu machen wissen, eine grössere Frei-
heit in der Behandlimg der Klasse erlaubt und zugemutet werde,
als sie bis jetzt meist üblich ist".
Weit grössere Freiheit innerhalb ihrer Kreise liesse sich
Direktoren und Lehrern natürlich auch in der staatlichen Schule
gewähren; wie aber Lange in einem Briefe an Dörpfeld vom
4. Dezember 1863 1) ein Programm für das Unterrichtswesen auf
Grund völliger Unabhängigkeit der Schule vom Staat aufstellt,
ist in der Biographie p. 126 ff. mitgeteilt worden. Indem der
Verfasser die betreffende Stelle wieder durchsah, erkannte er
übrigens, dass seine Darstellung auf S. 129 geeignet, ist, das Miss-
verständnis hervorzurufen, als seien die Unterschiede der Dörp-
feldschen und Langeschen Anschauungen grösser als das beiden
Gemeinsame. Das ist nicht der Fall, und es ist hier wohl der
') Er beabsichtigte übrigens auch ein Buch über den Gegenstand zu
schreiben.
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224 Ellißsen, Heft 6 u. 7.
Ort, noch Einiges aus dem dort schon zitierten Briefe Dörpfelds
aus dem Jahre 1890 mitzuteilen. Dörpfeld schreibt:
„Unsere Anschauungen hatten zwei starke Wurzeln gemein-
sam: einmal die freiheitlich gerichteten kirchlichen imd bürger-
lichen Zustande unserer niederrheinischen Heiraath mit ihrer
eigenartigen Geschichte, und sodann unsere beiderseitige Liebe
zur Freiheit'* Auf die in der Biographie mitgeteilte Briefstelle,
wonach Dörpfelds praktische Uberl^img vom Gegebenen, Lange
dagegen von dem abstrakten Begriff der Freiheit ausgegangen sei,
heisst es in dem Briefe weiter:
„Allerdings bestanden auch noch einige andere Differenzen
zwischen uns. Einmal in imseren religiösen Ansichten. Das
hing wieder zmn Teil damit zusammen, dass ich auf dem philo-
sophischem Gebiete aus einem frühem Benekianer ein eifriger
Herbart ianer geworden war, während Lange mit seinem Freunde
Ueberweg (und vielleicht auch durch denselben) — imter dem
Einfluss der Katheder- Philosophie — an Herbart vorbeilief und
in eine andere philosophische Strömung geriet Das hing wieder
damit zusammen, dass ich mir rechtzeitig und fleksig die Schriften
unseres beiderseitigen Landsmannes Dr. Mager (friiher enragierter
Hegelianer, später entschiedener Herbartianer) zu Nutze gemacht
hatte, während Lange dieselben wohl erst spät und mu* unzuläng-
lich kennen gelernt hat Diese Differenzen erwähne ich deshalb,
weil sie es grade bewirkten, dass ich bei den praktischen Über-
legungen den Freiheitsbegriff nicht als Ausgangspunkt, sondern
als Ziel nahm. Hätte Lange schon in den jüngeren Jahren die
Schriften Magers kennen gelernt imd nach Gebühr beachtet —
der die Schweiz weit besser kannte als er — , so würde er später
in Duisburg vor den politischen Verwickehmgen bewahrt geblieben
sein. Übrigens begann zu jener Zeit (1868) das Verhältnis zu
seinen bisherigen politischen Parteigenossen (,4^^ortschritt") sich zu
lockern — wovon auch eine Andeutung in seinem Briefe vor-
kommt — ; mir gab sich diese namentlich darin kund, dass er
damals anfing, auch die Anliegen des vierten Standes (soziale
Frage) schärfer ins Auge zu fassen — , was ich auf Magei's und
Herbarts Anregung schon längst gethan hatte."
Dies bringt uns auf die Frage, was nach Langes Ansicht
Erziehung und Unterrichtswesen zur Besserung der sozialen Zu-
stände leisten können. Hierüber hat sich unser Philosoph besonders
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1894. Friedrich Albert LÄiige als Philosoph und Pädagog. 225
in derjenigen seiner Schriften ansgesprochen , die wohl von allen
die geringste Verbreitung gefunden hat ,^ohn Stuart Mills An-
richten über die soziale Frage und die angebliche Umwälzung der
Sozialwissenschaft durch Carey" 1866. Von unsrer Volksschule
sagt Lange hier p. 75:
„Unsere deutsche Volksschule hat ihren Mittelpunkt
in der religiösen Erziehung, und diese Erziehung ist auf der einen
Seite eben so reich an Elementen, welche das Gemüt bilden, die
Phantasie beleben und das Herz bereichern, als sie auf der andern
Seite eine bestandige Schulung zur Unterwürfigkeit ist^ und zwar
zu einer Unterwürfigkeit gegen Mächte, welche selbst nach diuxjhaus
anderen Grundsätzen handeln, und welche den Einfluss, den sie
dm-ch die allgemeine Schulung der Gemüter gewinnen, haupt-
sächlich ziu* Befestigung einer Hen'schaft verwenden, die mit der
Entwürdigimg der Erwachsenen dasjenige zwiefaltig wieder ver-
dirbt, was mit der Pflege der Jugend gut gemacht wird. Die
Kinder werden fromm, edel und duldend gemacht, damit die
Männer duldend, gemein und frivol werden; ein Kreislauf, der
aus denselben Bedingungen sich immer wieder aufs Neue erzeugt
Unendhch viel Gutes gedeiht hier schliesslich zu übler Wirkung,
weil es mit Üblem ungünstig zusammenwirkt.
Vieles würde von dieser verderblichen Nachwirkung unseres
mit so vielen Vorzügen ausgestatteten Schulwesens verschwinden,
wenn wir ein System völliger Unterrichtsfreiheit hätten, ohne das
Wesen imserer jetzigen Volksschule aufzugeben. Es wäre für die
geistige Freiheit in jeder Beziehung gefährlicher, ein Staatsschul-
wesen, wie etwa das preussische, miter die energische Leitung
eines konstitutionell- monarchisch -deistisch- rationalistischen Schul-
mannes zu stellen, als die Volksschule den Kirchengesellschaften
völlig zurückzugeben — unter der Voraussetzung einer wirklichen
Religions- und Lehrfreiheit."
Lange redet weiterhin der Einführung eines ernstlichen
naturwissenschaftlichen Unterrichte in die Volksschule das Wort
und bemerkt:
„Wenn wir einen Arbeiter nehmen, der seinen Namen mit
drei Kreuzen schreibt, und der dagegen einige richtige und klare
Grundbegriffe von den Gesetzen des Hebels, von der schiefen
Ebene und dem Parallelogramm der Kräfte hat, der die Aus-
dehnung der Körper durch die \A^ärme, die Brechimg des Lichts,
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226 EUißsen, Heft 6 u. 7.
die Expansionskraft der Dämpfe kennt, und wir stellen einen
deutsch geschulten Arbeiter daneben, der von all diesen Dingen
gar nichts weiss, so ist der Vorsprung des ersterea unverkennbar."
Einen einzigen Zweig menschlichen Wissens hält Lange flT
ebenso wichtig wie die Bekanntschaft mit den Naturgesetzen,
die Kenntnis der Landesgesetze und des öfFentlichen Rechts. Den
Unterricht hierin zählt er zu den notwendigsten Forderungen der
nächsten Zukunft. Wann mag wohl diese Zukunft Gegenwart
werden?
Der Vergangenheit des Erziehungswesens hat Lange fort
und fort, am intensivsten als Privatdozent in Bonn, Aufmerksam-
keit und Studium gewidmet Er beabsichtigte damals unter dem
Titel „Beiträge ziu* Geschichte der Pädagogik" eine Reihe von
Monographien über diesen Gegenstand herauszugeben. Der erste
Aufsatz sollte Ludwig Vives und seine Bedeutung schildern. Dies
Projekt kam, wie so viele andere Langes, nicht ziu* Ausführung,
doch waren die damals gemachten Studien, wie wir gleich sehen
werden, keineswegs verloren.
Die Auffordenmg der Buchhandlung von B. G. Teubner,
selbst eine kompendiöse Geschichte der Pädagogik zu schreiben,
lehnte Lange aus Gründen, die in der Biographie (p. 103) an-
geführt sind, ab. In Jahns (Fleckeisens) Jahrbüchern rezensierte
er die einschlägigen Arbeiten von Raumers, Schmidts (über Stimn)
imd Kömers in einem vortrefflichen, heute noch höchst lesens^
werten Aufsatze. Femer lieferte er weiterhin mehrere geschicht-
liche Artikel für die Encyklopädie, so über Calvin, Erasmus,
Errichtung und Erhaltimg der Schulen i), Friedrich den Grossen,
die Schule zu Schlettstadt, vor allem aber über Vives, dessen
Bedeutung für die Geschichte der Pädagogik nach Lange darin
besteht, dass sich in ihm die gesamte Opposition der beginnenden
Neuzeit gegen die pädagogischen Missbräuche des späteren Mittel-
alters konzentriere, und dass sich bei ihm in gleicher Weise die
Keime der wichtigsten Reformen von Sturm bis auf Rousseau
hinab vereinigt und in ein Ganzes verschmolzen finden. Es ist
bezeichnend, dass Vives, wie sich aus den zu Anfang versandten
Programmen und Entwürfen ziu* Encyklopädie ergiebt, ursprünglich
') Dieser wichtige Aufsatz enthält Langes Ansichten über das Ver-
hältnis von Staat und Kirche zur Volksschule.
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1894. Friedrich Albert Lange als Philosoph und Pädagog. 227
gar kein Artikel zugedacht war, während nun der Langesehe Auf-
satz von ungefähr 80 Seiten zu den umfangreichsten Artikehi
derselben gehört. Wir können uns nicht versagen, aus dieser
vortrefflichen Arbeit, die Schmid geradezu als eine neue Ent-
deckung für unsere Zeit bezeichnete, zum Schlüsse das mitzuteilen,
was Lange über das Verhältnis Vives' zu dem Manne sagt, dessen
Namen diese Zeitschrift trägt, und dessen Andenken sie in erster
Linie gewidmet ist.
Nach einer kurzen Bemerkimg über das Verhältnis Ratichs
zu Baco heisst es:
„Bei Comenius wissen wir sicher, dass Bacon grossen Ein-
fluss auf ihn hatte; gleichwohl bezieht sich gerade auch Comenius
auf eine von Vives erhaltene Anregung. Beiläufig sei hier be-
merkt, dass Comenius Vives keineswegs nur seinen Realismus
verdankt, sondern dass er ihn vielfach, namentlich auch in ethi-
schen Fragen, benützt und zitiert Besonders merkwürdig ist
darunter eine Stelle aus dem Anfang des 5. Kapitels der „didactica
magna" (bei Leutbecher, Comenius Lehrkunst S. 29), wo Comenius
entwickeln will, dass der Mensch von Natur zur Gelehrsamkeit,
Tugend und Pietät angelegt sei. Er bemerkt hier, dass er unter
Natur die erste ursprüngliche Anlage verstehe, wie sie vor dem
Sündenfall war, und zu welcher wir wieder zurückkehren müssen.
Dabei beruft er sich auf eine Stelle bei Vives, de concordia et
discordia L 1. (die Stelle findet sich V, S. 201, ed. Mag.), in
welcher es heisst, der Christ sei nichts anderes, als der seiner
Natur wiedergegebene Mensch. In der That redet Vives, wie
nach ihm Comenius, in diesem Sinne öfter von der Naturanlage
des Menschen zum Guten, und wiewohl beide dabei die Lehre
vom Sündenfall und der Erlösung vorbehalten, so liegt darin doch
in etwas eine Vorbereitung des später von Rousseau eingenommenen
Standpunktes."
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Die Kirchenpolitik Friedricli Willielms, des grossen
Kurfürsten/)
Eine Besprechung von Julius Heidemann.
Unter' den rühmlichen Eigenschaften der Fürsten aus dem
Hause Hohenzollem ist als eine der erfreulichsten mit Recht die
Toleranz in religiösen Dingen gepriesen worden. Der grosse Kurfürst
und der grosse König, welche sie in vollem Masse übten, verdankten
ihr einen nicht geringen Teil ihres Ansehens und ihrer Erfolge.
Dabei ist freilich der Ausgangspunkt der Toleranz bei beiden ein
wesentlich verschiedener gewesen. Friedrich 11. betrachtete von dem
Standpunkte seiner Philosophie aus die Dogmen der verschiedenen
Konfessionen als gleich wertvoll oder gleich wertlos; und daher fiel
es ihm nicht schwer, „zwischen Genf und Rom neutral zu bleiben".
Der grosse Kurfürst dagegen stand inmitten erregter konfessioneller
Streitigkeiten, selber lebhaft durchdrungen von der Wahrheit der
reformierten Lehrsätze, welche er auch bei höchst(*r Wertschätzung
der Augustana als den rechten Ausdruck der christlichen Lehre be-
trachtete. Wenn er Duldung gegen Andersgläubige übte, so müssen,
von dem ihm angeborenen Gerechtigkeitsgefühle abgesehen, besondere
Gründe dazu vorhanden gewesen sein. Diese lagen in der Mannig-
faltigkeit der christlichen Konfessionen in den verschiedenen Landes-
teilen seines Kurstaates, in denen Katholiken, Lutheraner und
Reformierte neben einander wohnten. Daraus ergab sich für ihn die
Notwendigkeit, die Parität der Konfessionen zum Ausgangspunkte
seiner Kirche npolitik zu nehmen. Allein gerade die Geltendmachung
der Parität auch für die Reformierten rief in Brandenburg und
Preussen, wo das strenge Luthertum herrschte, Miss trauen und Oppo-
sition bei den Lutheranern hervor, welche er andererseits mit den
Reformierten als ihren Konfessions verwandten zu einer evangelischen
Partei zu vereinigen suchte. Der Versuch scheiterte und es erfolgte
ein scharfer kirchlicher Streit, welchen nach Anlass und Verlauf
eingehend auf Grund langjähriger Forschungen und neuer Archivalien
H. Landwehr in seinem obengenannten Werke dargestellt hat. Der
Verfasser hat dazu die gesamte Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms,
wie er sie als Reichsfürst und als Landesherr geübt, zum Gegen-
stande seiner ErÖrtenmgen gemacht und, indem er uns das Wirken
des toleranten und thatkräftigen Fürsten in grossen Zügen schilderte,
ein Lebensbild desselben von dauerndem Werte geschaffen.
*) Auf Grund archivalischer Quellen von Hugo Landwehr. Berlin,
Ernst Hofmann & Co., 1894.
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1894. I>ie Kirchenpolitik Friedrich Wilhehns etc. 229
Zunächst ist es die verdienstvolle Reichspolitik des Kurfürsten,
mit welcher der Verfasser uns bekannt macht. Als jener 1640 zur
Regierung kam, war die Lage der Evangelischen in Deutschland eine
überaus traurige. Kursachsen, immer von zweifelhafter Haltung
während des Religionskrieges, hatte einseitig 1635 mit dem Kaiser
den Prager Frieden geschlossen, ohne die Aufhebung des Restitutions-
ediktes von 1629 und eine allgemeine Amnestie zu erlangen.
Brandenburg unter Schwarzenbergs Leitung war ihm beigetreten; der
dritte evangelische Kurstiaat, die Pfalz, lag in Trümmern; Hessen,
Braunschweig und Ändere kleine evangelische Länder waren nicht im
Stande, den Evangelischen zu helfen. Da erstand ihnen ein
Retter in Friedrich Wilhelm. Er war es, welcher verhinderte,
dass auf dem Reichstage zu Regensburg 1640 die vagen Bestim-
mungen des Prager Friedens zum Reichsgesetze erhoben wurden; er
setzte es durch, dass im westfälischen Frieden auch die R(»formierten
die Gleichberechtigung mit den Lutheranern zuerkannt erhielten, ob-
gleich die letzteren nicht minder dagegen waren als die Katholiken.
Dann kamen die Zeiten unerhört<^r Bedrückungen und Verfolgungen
der Evangelischen in den katholischen Gebieten, in welchen die
katholischen Fürsten das jus reformandi in Anwendung brachten.
Da war es wiederum Friedrich Wilhelm, welcher mit unermüdlichem
Eifer der Verfolgten sich annahm, hier protestierend, dort Fürbitte
einlegend, den Flüchtigen aber Unterstützung, Hülfe und Aufnahme
in seinem Lande gewährend. Landwehr hat umfangreiche Kapitel
mit Schilderungen der thatkräftigen Fürsorge des grossen Kurfürsten
für seine verfolgten Glaubensgenossen angefüllt, und dennoch kann
seine Darstellung noch ergänzt werden. Um den Evangelischen in
Schlesien, welchen der Kaiser die Kirchen entzogen hatte, die Mög-
lichkeit zu gewähren, an einem evangelischen Gottesdienste teil zu
nehmen, förderten der Kurfürst und seine Mutter, die verwittwete
Kurfürstin Elisabeth Charlotte, den Bau von Grenzkirchen im
Brandenburgischen nahe der schlesischen Grenze, in welchen evan-
gelische Geistliche für die Schlesier Gottesdienst hielten. Von den
23 Grenzkirchen, zum teil nur kleinen Gebäuden, lagen 6 im Ge-
biete von Krossen und Züllichau, über welche die Geschichte des
Landes Stemberg von W. und B. Freier (S. 566 u. fg.) nähere
Angaben enthält. Als endlich in Österreich die Bedrückung der
Evangelischen und in Frankreich die Verfolgung der Reformierten
unter Ludwig XIV. sich steigerten, in England aber Jakob IL
katholisierende Tendenzen verfolgte, da schloss der grosse Kurfürst
1685 mit Holland einen Allianzvertrag, welcher auch die Verteidigung
der Evangelischen ins Auge fasste. Vom Frühjahr 1687 an forderte
er unausgesetzt Wilhelm von Uranien zur Erhebung gegen Jakob II. auf,
deren glücklichen, folgenreichen Ausgang er freilich nicht mehr erlebte.
Von dem Streben, das Wohl der Evangelischen zu fördern,
war auch seine Kirchenpolitik in seinem eigenen Lande beherrscht;
aber hier traten ihm, wie schon angedeutet, Schwierigkeiten entgegen,
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230 Heidemann, Heft 6 u. 7.
die in den eigentümlichen Verhältnissen des Kurstaates begründet
•waren, und deren er nicht vollständig Herr werden konnte. In der
Mark Brandenburg, in Preussen und Pommern hatte dich die Kirchen-
reformadon unter der Führung Wittenbergs vollzogen. Die Be-
völkerung war im strengsten Sinne des Wortes lutherisch gesinnt und
die Augustana und die Konkordienformel bestimmten die Glaubens-
richtung. Katholiken und Calvinisten waren nur in verschwindender
Minderheit vorhanden.*) Während des 16. Jahrh. lebten Kurfürsten,
Stände imd Volk auf Grund der gleichen religiösen Anschauung in
vollem Einvernehmen. Diesen Zustand der Ruhe unterbrach 1613
der Übertritt Johann Sigismunds zur reformierten Kirche, den Berlin
mit einem Aufstande beantwortete. In der That war die Aufregung
der Lutherischen nicht unbegründet, denn der Kurfürst besass das
jus reformandi in seinem Lande, und die Möglichkeit der Anwendung
desselben schien nicht ausgeschlossen zu sein. Indessen Johann
Sigismund dachte nicht an die Anwendung jenes Rechtes, sondern
forderte nur die Gleichberechtigung seiner Konfession neben der
lutherischen; aber der dogmatische Streit der Parteien, welcher nun
entbrannte und mit einer uns heute kaum noch begreiflichen Heftig-
keit geführt wurde, liess es dazu nicht kommen. Selbst der Religions-
krieg drängte ihn nur zurück, aber beendete ihn nicht. Der
Regierungsantritt Friedrich Wilhelms entfachte ihn von neuem be-
sonders in Preussen, wo die politische Opposition der lutherischen
Stände gegen die kurfürstliche Autorität durch ihn ein neues Reiz-
mittel gewann. In Brandenburg, Pommern und den anderen Landes-
teilen wuchsen Unruhe und Unfrieden mit den Jahren. Die Ein-
führung eines reformierten Gottesdienstes, die Anstellung von Beamten
des reformierten Bekenntnisses, ja selbst die Beförderung friedliebender
lutherischer Geistlichen an Stelle übereifriger Persönlichkeiten auf
Grund des Paritätsprinzipes, welches der Kurfürst proklamierte, er-
schienen den Lutheranern als unberechtigte Übergriffe der Calvinisten
in ihren Besitzstand. Der Kurfürst suchte die konfessionellen Gegen-
sätze durch Veranstaltung von Religionsgesprächen, wie das Thonier
vom Jahre 1645 und das Berliner vom Jahre 1662, zu mildem,
erfuhr aber zu seinem Leidwesen die alte Wahrheit, dass religiöse
Disputationen sie nur verschärfen. Als die friedlichen Mittel zur
Versöhnung ohne Erfolg blieben, griff die Regierung, freilich nicht
immer mit dem richtigen Takte, zu amtlichen Verordnungen. So
wurde der Exorcismus bei der Taufe verboten, die Verbindlichkeit
der Konkordienformel für die Theologen aufgehoben und den Stu-
^) Die von Landwehr S. 358 geäusserte Ansicht, dass in den Marken
der römische Glaube keine Anhänger mehr besass, bedarf doch der Ein-
schränkung. Nicht alle Adeligen waren 1539 zmn Luthertiun übergetreten,
unter anderen z. B. nicht Busso und Hans von Bertensieben auf Wolfsburg
in der Altmark. Vergl. Danneil: (Jesch. d. Geschlechtes derer v. d. Schulcn-
burg, I, S. 421.
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1894. I>ie Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms etc. 231
dierenden der Besuch der Universität Wittenberg, des Sitzes der
streng lutherischen Lehre, untersagt. Als die Streitigkeiten dennoch
fortdauerten, erliess der Kurfürst, um wenigstens den äusseren Kirchen-
frieden zu erzwingen, am 16. Sept. 1664 das scharfe Toleranzedikt,
welches den Parteien das gegenseitige Schmähen und Verketzern bei
Strafe verbot und von den Geistlichen einen Revers darüber ver-
langte, dass sie dem Edikte Folge leisten wollten. Damit trat der
kirchliche Streit in eine neue Phase: es entbrannte der Kampf gegen
den Revers, welchen Paul Gerhardts charaktervolle Opposition und
Amtsentsagung für alle Zeiten denkwürdig gemacht haben. Auch
das Edikt führte nicht zum Ziele, entzündete vielmehr in Wahrheit
einen Kampf zwischen Staat und Kirche, der die Gemeinden aufregte
und die Einmischung der Stände herbeiführte, so dass der Kurfürst
sich veranlasst sah, 1668 die Schärfe seines Ediktes zu mildem.
Die Geschichte dieses kirchlichen Streites bildet den Haupt-
gegenstand der Darstellung in Landwehrs Buche. Der Verfasser hat
durch dieselbe wohl für immer die landläufige, durch Herings „Neue
Beiträge" verbreitete Ansicht beseitigt, dass die Lutheraner die eigent-
lichen Friedensstörer gewesen seien ; denn er hat den Nachweis geführt,
dass die Refonnierten nicht minder kampflustig waren als ihre Gegner, i)
Von hervorragendem Einflüsse in dieser Beziehung war der kurfürst-
liche Hofprediger Bartholomäus Stosch, welchem der Verfasser eine
besondere Monographie in den Forschungen zur brandenburgischen
und preussischen Geschichte (VI, 1) gewidmet hat. Stosch war nicht
eigentlich streitlustig, aber ein Hauptvertreter der Vermittlungs-
theologie, welche den scharfkantigen Lutheranern, wie einem Paul
Gerhardt, als Synkretismus erschien. Seine Bestrebungen fanden
eine Stütze an dem Staatsmanne Otto von Schwerin, dessen Bedeutung
als Ratgeber des Kurfürsten Landwehr jedoch nicht eingehend dar-
gelegt hat. Das Nachgeben des Kurfürsten in der Reversfrage hatte
auch zur Folge, dass die Einwirkung jener Männer auf die Kirchen-
politik mehr und mehr zurücktrat. Von allgemeinen Erlassen und
der Veranstaltung von CoUoquien der Geistlichen nahm der Kurfüröt
fortan Abstand. Er entschied die Streitigkeiten zwischen Lutheranern
und Reformierten nur noch von Fall zu Fall auf Grund der be-
stehenden Gesetze, womit er weiter kam. Das Hauptziel seiner
Kirchenpolitik aber, die Versöhnung und Einigung der hadernden
Parteien, hat er nicht erreicht. Erst eine spätere Zeit und eine
andere Geistesentwicklung vermochten die konfessionellen Gegensätze
zu mildern.
') Wir verweisen hier auf die Bemerkungen, die wir zu Landwehi*«
Aufsatz über Stosch in den Nachrichten dieses Heftes gemacht haben.
Die Schriftleitung.
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Deutsche Erziehung/)
Eine Besprechung von Bud. Hoohegger.
Eine mächtige pädagogische Strömung geht durch Deutsch-
land. Wie zu Ende des vorigen Jahrhunderte bekunden alle
Gesellschaftskreise lebhaftes Interesse für pädagogische Fragen,
In den Verhandlungen der Parlamente, im öffentlichen und privaten
Leben, in einer reichen Litteratur, in Hunderten von Flugschriften,
in wissenschaftlichen und politischen Blättern wird über die Er-
ziehung gesprochen und gestritten, man hofft von einer Reform
des Unterrichtes und der Erziehung eine ideale Wiedergeburt
imseres Volkes, täglich tauchen neue Vorschläge zur Umgestaltung
der Erziehungsverhältnisse auf. Den Verfasser bedünkt es, dass
wir Deutschen zwar äusserlich gross geworden sind, aber auf dem
besten Wege seien, innerlich klein zu werden. „Das fachmännische
Spezialistentum verdrängt immer mehr die idealere Allgemein-
bildimg; Uniformienmg und Schabionisierung verhindern die Ent^
faltung kräftiger Sondematuren, die ihren eigenen Weg zu gehen
Waagen; sittliche Charakterlosigkeit, aus körperlichen Ursachen und
natimiotwendiger Vererbung erklärt und entschuldigt, gilt kaum
noch als Schmach, wenn niu* Geld dabei verdient wird. Ein Volk
bleibt aber gross ntu* durch die Erhaltung der Eigenschaften, durch
welche es gross geworden ist So müssen wir uns denn die All-
gemeinbildung, die scharf geschnittenen Individualitäten, die starken
Charaktere unserer Eltern zurückerobern, wollen wir auf der
äusseren Höhe bleiben, auf der wir stehen, denn nur diu*ch innere
Grösse wird äussere erzeugt imd bewahrt" Schnitze entwirft von
diesen Gesichtepunkten aus ein System der Erziehung imd des
erziehenden Unterrichtes. Das Ideal der „Deutechen Erziehung**
besteht nach ihm in der ebenmässigen Vereinigung einer reichen
Allgemeinbildung mit einem festen Charakter in einer
starken und urwüchsig ausgeprägten Individualität Seine
Leitbegriffe und einzelnen Darlegungen stehen unter dem Einflüsse
Herbarte und Zillers, jedoch tritt in Inhalt imd Form auch die
Eigenart imd Selbständigkeit des Verfassers hervor. All die Vor-
züge, welche den übrigen Schriften des bekannten Schriftetellers
eigen sind, kommen auch seinem neuesten Werke zu: strenge
Wissenschaftliclikeit verbunden mit der Gabe, die schwierigsten
Probleme spielend zu behandeln und auch dem Laien verständlich
*) Schultze, Fritz. Deutsche Erziehung. Leipzig, Ernst Günther.
1893. 332 S. 8^
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1894. Deutsche Erziehung. 233
zu machen, feine psychologische Analyse, objektives Urteil, Ver-
ständnis für die Wirklichkeit bei einer durchwegs idealen Welt-
auffassung, glänzende Schreibweise. Das vorliegende Werk birgt
auch einen Schatz von pädagogisch - didaktischen Erfahrungen.
Letztere werden in einer so anschaulichen, anregenden Form ge-
geben, dass dadiu*ch der Praxis mehr gedient ist als durch abstrakte
Theorien, die oft auf Grund eines unhaltbaren psychologischen
und ethischen Systems mit Vernachlässigung der erfahrungsmässig
gegebenen Bedingungen aufgebaut werden. Allerdings zeigen sich
infolge des Mangels einer einheitlichen systematischen Gnmdlegung
manche Ungleichheiten und Widersprüche. Der Verfasser ist z. B.
im Ganzen Anhänger der Ziller'schen Kulturstufen, wonach der
historische Vorgang der Geistesentwicklung auch bei der Ent-
wicklung des Einzelnen einzuhalten wäre, fordert aber in seinem
speziellen Reformplane dem entgegen, dass der sprachliche Unter-
richt in der Stufenfolge Englisch, Eranzösisch, Lateinisch, Griechisch
erteilt werde. Solche Widersprüche würde der Verfasser ver-
mieden haben, wenn er von seinem Standpunkte als Neukantianer
und Anhänger der Entwicklungslehre ein System der Pädagogik
folgerichtig entwickelt hätte. Schultze ist ein durchaus modemer
Denker imd hätte schon deswegen sich an kein älteres, imter
anderen Voraussetzungen entstandenes System anlehnen sollen.
Doch soll durch die Ei-wähnung dieser Schwäche nicht das TreflF-
liche, welches das Werk sonst bietet, geschmälert werden. Schnitzes
Werk zerfällt in folgende Abschnitte: 1. Das Hauptziel aller
erzieherischen Thätigkeit. 2. Die Bedeutung und Pflege der
Individualität des Zöglings. 3. Die angeborenen Anlagen des
Zöglings. 4. Die erworbenen Vorstellungen. 5. Der Begriff der
pädagogischen Regierung. Die leibliche Pflege des Zöglings.
6. Uberbürdung, Bewegung imd Beschäftigung. 7. Die Bestrafung
der Kinder im allgemeinen. 8. Die erzieherischen Strafmittel im
einzelnen. 9. Achtung und Liebe als wirksamste Mittel der Leitung
der Kinder. 10. Die Bildung des Charakters und Gemütes.
11. Der erziehende Unterricht: Methoden, Unterrichtsfächer, Schul-
arten. 12. Die methodische Behandlung eines Lehrstoffes im er-
ziehenden Unterricht Schultze findet den allgemeinen Zweck der
Erziehimg in der harmonischen Ausbildung jJler Fähigkeiten des
Geistes (Verstand, Wille, Gemüt, Gefühl, Phantasie) und ihrer
steten Unterordnung imter den starken Willen eines echt sittlichen
Charakters. Als Gegenstand der Erziehung tritt uns aber nie ein
allgemeiner Typus entgegen, sondern stets eine Lidividualität, so
dass die Erziehung stets indiWdualisierend verfahren muss. Jenes
allgemeine Ziel muss mit kluger Vorsicht in der Individualität
zur Durchführung gebracht werden. Die Erziehimg des Mannes
und der Frau kann z. B. nicht nach einerlei Gesetz erfolgen. Um
der Lidi\ddualität gerecht zu werden, bedarf es einer gründlichen
Erforschung der Eigenart des geistigen Wesens überhaupt wie des
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234 Hochegger, Deutechc Erziehung. Heft 6 u. 7.
einzelnen Zöglings. Um den Kern des Menschen zu erkennen,
muss man die angeborenen Anlagen und die durch Beeinflussung
von aussen erworbenen Vorstellungen in Betracht ziehen. Der
Rest macht den innersten Weseuskem, die eigentliche Individualität
des Menschen aus. Gegenüber der Macht der ererbten Anlagen
und dem individuellen Wesenskem des Ich zeigt sich die Er-
ziehung oft ohnmächtig, doch bilden die angeborenen Anlagen
keineswegs ganz unabänderliche Hindernisse. Der indi\4duelle
Wesenskern ist freilich das Irrationale im Menschen. Die Haupt-
macht der Erziehung liegt in der Beeinflussung durch erworbene
Vorstellungen. Die innere Harmonie der Persönlichkeit, welche
die Erziehung erzielen soll, muss bereits in der Ordnung der
äusseren Lebenshaltung vorgebildet sein. Da erweist sich nament^
lieh eine vernünftige Körperpflege als die Vorbedingung zur Er-
haltimg der äusseren Ordnung. Nie darf auch über der geistigen
die leibliche Ausbildung übersehen werden oder gar auf Kosten
dieser jene erzwungen werden. Nicht bloss aus organischen,
sondern auch aus psychischen Zuständen erwachsen Unordnung
und Störung für die Harmonie der Persönlichkeit Den daraus
sich ergebenden ungeordneten Handlungen begegnen wir durch
Gewaltmassregeln und Strafen. Die wirksamsten Mittel für die
Leitung der Kinder sind jedoch Achtung und Liebe. Ihre Voll-
endung erreicht die Erziehung in der Charakterbildung, d. h. in
der Erreichung eines steten, von sittlichen Grundsätzen geleiteten
Willens. Über der Bildung des Charakters darf aber die des
Gemütes nicht in den Hintergrund gedrängt werden. ,J)as Gemüt
ist der warme Sonnenschein, der sich auf die rauhen Felsen des
Charakters legt, sie erwärmt und mit lieblichem Pflanzenwuchs
bekleidet Gemüt ohne Charakter bedeutet einen Schwächling . . .
Charakter ohne Gemüt einen Starrkopf, ein versteinertes Herz;
Charakter und Gemüt den gefühlswarmen, liebevollen und darum
wahrhaft liebenswürdigen Menschen. Allein aus dieser Verbindung
von Charakter und Gemüt entspringt die rastlos thätige imd er-
folgreich wirkende Menschenliebe." Es sind beherzigenswerte
Worte, die Schnitze den Erziehern und Lehrern zuruft: „Niemals
vergesse man in der Erziehung, dass tausendmal mehr als alle
gelehrten Kenntnisse und alle künstlerischen Fertigkeiten die
lautere sittliche Gesinnung und das liebevolle Gemüt wert ist.
Es steht nicht geschrieben: Selig sind die Wissenden! — auch
nicht: Selig sind die Könnenden! — sondern einzig und allein:
Selig sind, die reinen Herzens sind!" In dem didaktischen TeUe
fasst sich der Verfasser kurz, da er nicht so sehr die Absicht
hatte, in vorliegendem Werk ein Buch für den Lehrer in der
Schide als für den Erzieher in der Familie zu sclu-eiben; doch
entwickelt er immerhin allgemeine Gnmdlagen des erziehenden
Unterrichtes.
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1894. Nachrichten. 235
C. Nachrichten.
Am 14. April 1690 ernannte Kurfürst Friedrich III. von Branden-
burg den von der Universität Leipzig als ,^otorischer Erzbösewicht" ver-
triebenen Christian Thomasius zum kurf. brandenburgischen Rat und
ermächtigte ihn, „sich in unserer Stadt Halle im Herzogthum Magdeburgk
zu setzen und der studirenden Jugend, welche sich allda bei ihm ein-
finden möchte, mit Lectionibus und CoUegiis, wie er bishero zu Leipzigk
gethan, an die Hand zu gehen". Es war der erste Schritt zur Errichtung
der Universität Halle, die am 11. Jnli 16^, dem Geburtstag des Chur-
fürsten, feierlich eröffnet wurde. Dieser erste Schritt kennzeichnet zugleich
die Geistesrichtung, aus der heraus der kühne Entschluss entstand, in der
Nähe von Leipzig, Jena und Wittenberg eine neue Hochschule zu gründen,
— es war der Geist der religiösen Toleranz, wie er den Kurfürsten
und nachmaligen ersten König von Preussen und seine nächste Umgebung,
den Kanzler Frhm. Paul von Fuchs und den Hof- und Domprediger Daniel
Ernst Jablonsky, den Enkel des Ck)menius und Mitbegründer der Kgl.
Akademie der Wissenschaften, beseelte — der Geist, der im Jahre 1691
auch die Berufung des von den Lutheranern aus Dresden verdrängten
Philipp Jacob Spener nach Berlin veranlasste. Keine deutsche Hoch-
schide hat im ersten Jahrhundert ihrer Wirksamkeit mehr für die Ausbrei-
tung der comenianischen Geistesrichtung gethan als die Universität
Halle; nirgends haben die von dem schroffen Confessionalismus der lutheri-
schen Territorien verdrängten und verfolgten Vertreter des Unionsgedankens
eine kräftigere Stütze gefunden als hier, und keine deutsche Hochschule hat
mehr dazu beigetragen, die in äusseren Formen und Formeln verknöchernde
Kirchlichkeit zu lebendigem rehgiösen Empfinden zurückzuführen. In Rück-
sicht auf diese Bedeutung hat gerade die Comenius- Gesellschaft alle Ver-
anlassung, die bevorstehende Jahrhundertfeier der Universität Halle mit
ihren besten Wünschen zu begleiten.
Die „geistigen Begründer der Universität Halle" waren, wie
Wilhelm Sehr ad er in seiner soeben erschienenen Geschichte der Friedrichs-
Universität zu Halle (Berlin, Ferd. Dümmler 1894 I, 8) sagt, Thomasiiis
imd Francke. „Wir empfinden es fast als eine Ironie der Greschichte (sagt
Schrader), dass diese beiden, welche nicht nur die junge Universität, sondern
die Hochschulen überhaupt mit neuer Kraft füllen sollten, um ihres
freien Geistes willen von Leipzig ausgestossen wurden, demselben Leipzig,
dessen Anfänge doch auch einer Befreiung von fremdem Drucke ent-
stammten Die neue Universität ist durch den Kurfürsten Friedrich
von Brandenburg gestiftet; aber diese Universität wäre nicht ohne Thomasius
entstanden, noch ohne Francke zu ihrem gewaltigen Einfluss gediehen."
Monatshefte der Comenius-Gesellsohaft. 1894. -ta
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236 Nachrichten. Heft 6 u. 7.
Sehr merkwürdig ist da« Urteil Frledriehs des Orossen über Tho-
ina8iu8. £r sagt:
„De tou8 le« savaiift, qui ont illustr^ TAlleinagne, Leibniz et Thomasius
rendirent les plus grands Services ä Tesprit homain/^
Oeuvres, 1788, I, 376.
Treitschke, Deutsche Geschichte I, 36 und Wilhelm Röscher
(Preuss. Jahrb. XIV, 28) nennen Leibniz, Thomaslus, Spener und Pafen-
dorf die vier grossen reformatorischen Denker des 17- Jahrhunderts. Wie
kommt es, dass hier Comenius fehlt, der doch auf die drei erstgenannten
so grossen geistigen Einfluss geübt hat? Sehr richtig aber machen beide
neuere Grelehrte auf die Thatsache aufmerksam, dass die vier genannten
grossen Männer, von dem lutherischen Sachsen abgewiesen, in Branden-
burg Aufnahme und einen grossen Wirkimgskreis gefunden haben. ^-
Für das Forschungsgebiet der CG. kommt gerade der brandenburgisch-
preussische Staat neben dem englischen und holländischen in erster
Linie in Betracht.
In den Forschungen zur brandenburgischen und preussischen Ge-
schichte 6, 1 giebt H. Landwehr eine Lebensbeschreibung des kurfürstlichen
Hofpredigers Bartholomaens Stoseh (1604 — 1686). Die brandenburgische
Kirchenpolitik unter Friedrich Wilhelm dem Grossen Kurfürsten ist gerade
für das Forschungsgebiet unserer Gesellschaft von besonderem Interesse, und
in der That berührt der Aufsatz eine Reihe von Fragen, die für unsere
Zwecke wichtig sind. Die Schrift, die auch als Sonderabdruck erschienen
ist*), ist um so wärmer zu begrüssen, als es bisher an Arbeiten über den
merkwürdigen Mann fast ganz fehlt. Stosch war in Beuthen von Männern
des comenianischen Freundeskreises (s. unten) unterrichtet worden und
hatte dann (1626) die Universität Frankfurt a. O. besucht, deren Theologen
damals durchweg der reformierten Lehre zugethan waren und unter denen
hier nur Konrad Bergius, Christoph Pelargus und Benjamin Ursinus genannt
sein mögen. Unter den vielfachen Beziehungen, die Stosch auf seinen zahl-
reichen Reisen anknüpfte, war die zum Grafen Achatius III. von Dohna,
der sich damals unter allen Adligen Ostpreussens durch seine wissenschaftliche
Bildung und seine ernste religiöse Lebensrichtung hervorthat, (s. über ihn
Beiheft 8 zu „Die Dohnas", Berlin 1882 S. 10) für seine spätere Laufbahn
die wichtigste. Im J. 1640 begab sich Stosch, der damals bei dem genannten
Grafen auf Dönhofsstädt (damals Gross- Wolffdorf genannt) weilte, nach Lissa,
um sich von den böhmischen Brüdern zum Geistlichen ordinie-
ren zulassen; dass dieser auffallende Schritt keiner Laune entsprang,
sondern seine Geistesrichtung kennzeichnet, liegt auf der Hand. Dann wurde
er Pfarrer in dem Dönhoff 'sehen Dorfe Pilten in Livland, um durch den
Hofprediger Johann Bergius, den Bruder Konrads, im J. 1644 als Hofprediger
nach Berlin zu kommen. Wir müssen im übrigen an dieser Stelle auf die
interea-^ante Schrift ven^eisen, die namentlich der geistigen Bedeutung von
*) Leipzig, Duncker und Humblot 1893.
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1894. Nachrichten. 237
Stosch, der zugleich einer der hervorragendsten Kanzelredner seiner Zeit war,
vollkommen gerecht wird. LÄndwehr ist bei seinen Veröffentlichungen, wie
er selbst erklärt, vbn dem Bestreben geleitet, „der lutherischen Richtung
gerecht zu werden", der man nach seiner Ansicht bei der Darstellung
dieser Zeiten und Verhaltnisse bisher nicht genügend gerecht geworden ist.
Dies Bestreben ist gewiss zu billigen und zumal bei einem Gelehrten, der
sich selbst zu den Lutheranern zählt, durchaus begreiflich. Wenn er aber
sagt, dass so „herrliche Typen", wie sie sich damals im lutherischen
Lager finden, „vergebens im reformirten Lager gesucht werden", so muss
man doch fragen, ob ihn dies Bestreben nicht hier und da doch dazu verfuhrt
hat, in denselben Fehler zu verfallen, in den die bisherigen Darsteller nach
seiner Ueberzeugung gerathen sind, nämlich den einen Teil der streitenden
Parteien zum Nachteil des anderen zu bevorzugen. Immerhin ist es wert-
voll, dass wir nimmehr auch eine Darstellung besitzen, die uns die Kehrseite
der Ereignisse nicht verschweigt.
In den Unionsbestrebungen des 17. Jahrhunderts, zumal im östlichen
Deutschland, spielt das Gymnasium Sehonfüehiannm zu Beuthen a. 0.,
das vom Freiherm Georg von Schönaich um 1614 gegründet war, keine im-
erhebliche Rolle. Die Anstalt hatte viel Ähnlichkeit in ihrer Einrichtung wie
in ihren Zielen mit der hohen Schule in Herbom, und wenn auch die Ge-
schichte der letzteren durch Gomenius' Aufenthalt von grösserer Bedeutung
für imser Arbeitsgebiet ist, so haben wir doch alle Veranlassung, auch den
berühmten Beuthener Schulen unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden; denn
auaser dem Gymnasium, das mehr den Charakter einer akademischen An-
stalt besass, hatte der genannte Freiherr v. Schönaich auch ein Pädagogium
in Beuthen errichtet. Die Schulen haben viele hervorragende Vertreter der
reformierten Kirche gebildet — die Freiherm von Schönaich waren reformiert—,
unter anderen auch den Mann, der auf die Kirchenpolitik des Grossen Kur-
fürsten lange Zeit den wesentlichsten Einfluss geübt hat, Bartholomaeus Stosch.
Leider fehlt eine Geschichte dieser Schulen, die den Anforderungen der
Neuzeit entspräche. Eine ähnliche Bedeutung besass übrigens in Nord West-
deutschland das Gymnasium illustre, das die Grafen von Bentheim in Burg-
steinfurt errichtet hatten. Bemerkt sei noch, dajss sowohl die Herni von
Schönaich, wie die Professoren den Anstalten (ebenso wie die Oranier in
Herbom und anscheinend auch die Grafen von Bentheim) rege Beziehungen
zu den böhmischen Brüdern besassen, und dass, als Wallensteins Scharen
die Beuthener Schulen schlössen, verschiedene Professoren sich zu den
Brüdem nach Lissa begaben. Von den Beuthener Lehrern ist Georg Vechner
durch seine persönlichen Beziehungen zu Comenius bekannt (vgl. M. H. der
CG. 1892 S. 118 u. 189.3 S. 102); ausser ihm sind aus älterer Zeit Jeremias
Colerus, Adam Liebig, Johannes Scultetus und Martin Fussel, der Sohn des
bekannten brandenburgischen Hofpredigers, zu nennen.
16*
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238
Inhalt neuerer Zeitechriftea.
Heft 6 u. 7.
D. Inhalt neuerer Zeitschrfften.
HUitorlscheii Jalirbuch der
€H»rr«fiS«seU«eliaflU 15. Jahrg. Heft 1.
Auf sfitze : H c h m i t z , Groassiogelbewahrer
Kauffmans und die UniTereität Köln. —
Rattinger, Der Liber provisionum praela-
torum Urbani V. — Kleinen» Beiträge. —
Rezensionen und Referate. — Zeitschriften-
schau. — NoTitätenschau. — Nachrichten.
Heft 2. Aufsätze: Rauschen, Nene
Untersuchungen über die Descriptio der Re-
liquien zu Aachen und St. Denis. — Säg-
mQller, Die Anfänge der diplomatischen
Korrespondenz. — K a y s e r , Johannes Ludwig
Vives (1492-1640). — BQchi, Georg von
Wyss. - Kleinere Beiträge etc.
Bevae teCematloBale de l'ea-
iieti^eiii«Bt. 14. ann^. No. 2: Maurice
Vorn es, L'enseignement de la rt^publique
et la restaiuration des ^tudee r^ligieusep. —
Theodore Reinach, L'histoire grecquc
et la numismatique. — Ck>nseil gto^ral des
facultas de Paris. ~- Rapport h M. Ic ministre
de rinstruction publique et des Beaux-Arts.
— Chronique de l'enseignement. — Nouvelles
et informations. - - Bibliographie.
No. 8: Camillc Bloch, L'instruction
publique dans l'Aude pendant la Revolution.
II. L'instruction secondaire; l'^oole centrale.
— d'Antraignes, Sur la n^cessit^ d'un
enseignement national en Russie. M<?moire
in^^dit. Publik par M. L^onco Pingaud
(Suite). — H. Lemonnier et F. Benoit,
Elements de bibliographie pour Thistoire de
l'art moderne. — Chronique etc.
Archiv für öaterreichisdie Ge*
ikehidite. 80. Bd. 2. Hälfte. 1894: Hanns
Schütter, Die Stellung der Österreichischen
Regierung zum Testamente Napoleon Bona-
parte's. — B. B retholz, Die Übergabe
Mährens an Herzog Albrecht V. Ton Öster-
reich im Jahre 1423. (Beiträge zur Geschichte
der Husitenkriege in Mähren.) — Franz
Ton Krones, Zur Geschichte Ungarns
(1671—1683). Mit besonderer Rücksicht auf
die Thätigkeit und die Geschichte des Jesuiten-
ordens. — Max Droräk, Briefe Kaiser
Leopold I. an Wenzel Euseb, Herzog in
Schlesien zu Sagan , FOrsten von Lobkowitz
(1G57--1674). Nach den Originalen des Fürst-
lich von Lobkowitz'schen Familienarchives zu
Raudniu an der Elbe in B()hmen.
IHltleUunceii de« Terelna für
Oesclilclite d. Deutsdieii In BdhMieii.
82. Jahrg. Heft 2: Hermann Hallwich,
Böhmen, die Heimat Walthers von der Vogel-
weide. — A. P. V. Schlechta-Wssehrd,
Ursprung und Bedeutung der historischen
Bezeichnung zupa und zupan. (Schluss.) —
Joh.Mattn.Klimesch, Geschichtsschreiber
des ehemaligen Cistercienserstifts Goldenkron.
— R. Huyer, Die Budweis - Linzer Pferde-
eisenbahn. — H. L a m b e 1 , Die Aufführungen
des HOritzer Fassionsspiels.
Heft 8: Jul. Lipper t, Die Wyschehmd-
frage. — Joh. Matlh. Klimesch, Ge-
schichtsschreiber des ehemaligen Cistendenserw
Stifts Goldenkron. (Schluss.) - R. Wolkan,
Die Anfänge der Reformation in Joachimsthal.
— H. Lambel, Die AuffÜhnmgen des
HOritzer Passionsspieles. (Schluss.) —Anton
R e b h a n n , Elisabeth Johanna Weston. Eine
vergessene Dichterin des 16. Jahrhunderts. —
Schlesinger, Bemerkung.
Phlloftophlsclie Monatohefle.
80. Bd. Heft 1 u. 2: W. Schuppe, Die
natürliche Weltansicht. — B. Erdmann,
Theorie der Typen - Einteilungen. (I.) — J.
Du hoc. In Sachen der Trieblehre. — K.
Vorländer, Ein bisher noch imentdeckter
Zusammenhang Kants mit Schiller. — Re-
zensionen. — Neu eingegangene Schriften. —
Aus Zeitschriften.
TierlelJalinMicIirlft für wissea»
«ehaftllche Philoftophle. 18. Jahrg.
Heft 2: R. Avenarius, Bemerkungen zum
Begriff des Gegenstandes der Psychologie.
I.Art. — W.Jerusalem, Ghiube und Urteil.
— J. Petzoldt, Einiges zur Grundlegung der
Sittenlehre. 3. Art. (Schluss.) — Anzeige. —
Selbstanzoige. — Philosophische Zdtachriften.
— Bibliographische Mitteilungen.
Imuieii der €lesell«eluift
für deutaebe Eraiebunss- n. Sehnl-
MiUeUn _
inn-
ceseblchte. Jahrg. IV. Heft 1: Otto
Grillnberger. Eine Disziplinarordnung
für Bursisten. — Wilhelm Richter,
Paderbomer Jesuitendramen in den Jahren
1692—1770. — M. Weh r mann, Die Schule
zu Btargard in Pommern unter dem Rektor
Thomas Reddemer (1604—1618). — Hans
Heinisch, Ausgaben der Stadt Regensburg
für ihr Gymnasium PoCticum in den Jahren
16ia-1647. — Franz Brummer, Zur
Schulgeschichte der Stadt Nauen (Provina
Brandenburg). — Holstein, 2 Schrifutficke
zur Hebung des Pädagogiums zu Ufeld und
des hannoverschen höheren Schulwesens aus
dem Jahre 1770. — Geschäftlicher Teil.
Buchdruckerei von Johannes Bredt, Münster i. Westf.
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Monatshefte
der
Oomenius-Gesellschaft-
m. Band. ^ 1894. ^ Heft 8.
Die Anfänge der Universität Halle.
Von
Dr. Waldemar Eaweran.
Der 11. Juli 1694 war ein hoher Festtag für Halle, denn
an diesem Tage, dem Geburtetage ihres kurfürstlichen Stifters,
erhielt die neugegründete Hochschtde ihre feierliche Weihe. Der
Festakt vollzog sich mit all der Pracht und all dem Pomp, die
dem nachmaligen ersten preussischen Konige Bedürfnis waren. Nach-
dem er selbst tags zuvor von 150 berittenen adeligen Studenten
in feierlichem Zuge eingeholt worden war, ging am 11. Juli, einem
Sonntag, in der Domkirche der eigentliche Weiheakt vor sich. Der
Hofprediger Ursinus hielt die Festpredigt über Jesajas 49, 23:
„Und die Könige sollen deine Pfleger imd ihre Fürstinnen deine
Säugammen sein ... da wirst du erfahren, dass ich der Herr bin,
an welchem nicht zu Schanden werden, so auf mich harren,"
worauf der Geheime Rat Paul von Fuchs die Eröffnungsrede
hielt und darin nach des erlauchten Stifters Willen den Kurprinzen
als Rektor, den Professor Bai er als Prorektor der nunmehrigen
Friedrichsuniversität einsetzte. Am nächsten Tage, dem 12. Juli,
folgten in der Marienkirche am Markte die Ehrenpromotionen und
eine Dankrede des Professors Cellarius, während überdies an
beiden Tagen an festlichen Gastereien und Volksbelustigungen kein
Mangel war.
Der 12. Juli ist seitdem als eigentlicher Geburtstag der
Hochschule festgehalten worden, die somit eben jetzt zwei Jahr-
hunderte ihrer ruhmreichen Geschichte vollendet hat Sie selbst
hat sich die wertvollste Festgabe in der in ihrem Auftrage von
Monatshefte der Comenlus-Gesellschaft. 1894. ^n
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240 Kawerau, Heft 8.
dem Kurator der Universität, Herrn Geh. Oberregierungsrat D. Dr.
Wilhelm Schrader verfassten Geschichte der Fridericiana^) dar-
gebracht, einem durchweg aus den Quellen geschöpften, durch
Umfang und Tiefe der Gelehrsamkeit imponierenden Werke, in
dem der Schöpfung des Thomasius das schönste und dauerhafteste
Denkmal errichtet ist Es ist ein monumentales Werk, angebaut
auf einem Material von ausserordentlicher Breite und Tiefe, das
der Verfasser, wohlvertraut mit den Grundbedingungen jeder histo-
rischen Arbeit: der richtigen Wertmessung, dem sichern Blick
für Höhen und Tiefen und dem feinen Gefühl für Abstufungen,
lichtvoll zu gnippieren und anschaulich zu gestalten verstanden
hat Allenthalben tritt aus seinem Bericht der Geschehnisse die
volle geistgesättigte Anschauung der Wirklichkeit hervor und macht
jene Geschehnisse begreiflich, glaubwürdig und überzeugend. Und
es ist ein ebenso reichhaltiges wie glänzendes Kapitel aus der
Geschichte der deutschen Wissenschaft, das sich in den zwei
stattlichen Bänden vor uns aufrollt, und es ist eine lange Reihe
berühmter Gelehrten von Christian Thomasius und August Her-
mann Francke bis zu Schleiermacher und Tholuck, die uns hier
in scharfumrissenen, lebensvollen und farbenreichen Charakter-
bildern vor Augen treten. Aber auch unerquickliche Partien
durchmisst der Verfasser mit gleichem Bedacht und in gleichem
Tempo wie die fruchtreichen und erhebenden und bringt uns nicht
nur deutlich zum Bewusstsein, was fördernd, sondern auch alles
das, was jeweilig hemmend auf die Entwicklung der Universität
einwirkte und ihre Blüte zeitweilig verkümmern liess. Doch ist
es überwiegend ein glänzender Ausschnitt aus der Geschichte
deutscher Kultur und deutschen Geisteslebens, der uns in diesem
Buche geschildert wird, denn es bleibt der Ruhm der hallischen
Hochschule, dass sie, so wechselreich auch ihre Schicksale sich
gestalteten, doch nie aufgehört hat, an der Entwicklung des deut-
schen Geistes erfolgreich mitzuarbeiten und sich allezeit als das
*) Gfescliichte der Friedrichs-Univereitat zu Halle, von D. Dr. Wilhelm
Schrader, Geh. Oberregierungsrat und Univereitätskurator. Zwei Bande^
Berlin, 1894. Einen populären Auszug daraus veranstaltete Prof. Dr. Gustav
Hertzberg: Kurze Übersicht über die Geschichte der Universität zu
Halle a. S. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderte. Halle a. S., 1894. Ausser-
dem verweise ich auf meine, vorzugsweise die Anfänge der Universität be-
handelnde Schrift: Aus Halles Li tteratur leben. Halle 1888.
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1894. Die Anfänge der UniversitÄt Halle. 241
zu bewähren, wozu ihr Schöpfer Thomasius sie bestimmt hatte:
als eine Ahna mater der freien Forschung und des geistigen
Fortschritts; es bleibt ihr Ruhm, dass sie allezeit in ganz beson-
derem Masse an allen Geistesbestrebungen den wärmsten Anteil
genommen und sie aufs Treueste wiedergespiegelt hat, wodurch
sie mehr als die meisten andern deutschen Hochschulen immerdar
auch für die allgemeine Bildungsgeschichte fruchtbar und segens-
reich geworden ist.
Es ist natürlich unmöglich, hier an dieser Stelle von dem
ganzen reichen Inhalt dieser wechselvollen Geschichte auch nur
in knappsten Umrisslinien eine Vorstellung zu geben, doch mag
uns wenigstens bei den Anfängen der Friedrichs-Universität ein
verweilender Blick gestattet sein. Auch liegt ja ohne Frage eben
in diesen ihren Anfängen der Schwerpunkt und der Hauptreiz
ihrer Geschichte, da sie damals als Trägerin eines durchaus neuen
Geistes sich in entschiedenem Gegensatz zu den älteren Univer-
sitäten durchsetzen und behaupten musste, während in der Folge-
zeit natürlich auch sie mehr und mehr das allgemeine Gepräge
deutscher Hochschulen gewann, wodurch ihre Geschichte in ihrem
weiteren Verlaufe den fesselnden Reiz einbüsst, der ihr in jener
ersten Werdezeit eigentümlich ist.
Bekanntlich reichen die Anfänge der jungen Hochschule
über das offizielle Gründimgsjahr hinaus, denn schon im Jahre
1690 hatte Christian Thomasius, den das eifernde Leipzig von
sich gestossen hatte, in Halle seine Vorlesungen eröffiiet und da-
mit den Grund zu der neuen Schöpfung gelegt, die dann vier
Jahre später ihre feierliche Weihe erhalten sollte. Es waren hier,
merkwürdig genug, Professoren und Studenten schon vorhanden,
bevor überhaupt noch „eine gewisse Resolution gefasst worden,
eine Universität zu stabilieren", imd man begreift angesichts dieser
eigentümlichen Entstehung der Fridericiana das bekannte Wort des
Thomasius, dass diese nicht als ein Werk menschlicher Klugheit,
sondern als ein Werk göttlicher Vorsehimg zu betrachten seL
Denn in der That ist es wunderbar genug, wie im Grunde ein
Zufall, oder sagen wir lieber mit ihm die „göttliche Providenz",
entscheidend über den Anfängen dieser Hochschule waltete. Das
altgläubige Leipzig hatte den jungen temperamentvollen Professor,
der selbst ein gutes Leipziger Professorenkind war, weil er den
dortigen Orthodoxen allzu empfindlich ihre Kreise gestört hatte,
17*
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242 Kawerau, Heft 8.
von sich gestossen, so dass er, gebrandmarkt als ^^notorischer Erz-
bösewicht^^, wie ein Flüchtling aus der Heimat hatte entweichen
müssen; da bot dem am Markte müssig Stehenden der Kurfürst
von Brandenburg in seinem Lande eine Heimat, indem er ihm
unterm 14. April 1690 den Ratstitel verlieh und ihm unter Be-
willigung eines ansehnlichen Gehalts gestattete, „sich in Unserer
Stadt Halle im Herzogtum Magdeburg zu setzen und der studi-
renden Jugend, welche sich allda vielleicht bey ihm einfinden
möchte, mit Lectionibus und CoUegiis, wie er bisshero zu Leipzigk
gethan, an die Hand zu gehen." Damit war der Grundstein zu
der neuen Hochschule gelegt, die zwar als ihren Stifter dankbar
den Kurfürsten Friedrich von Brandenburg feiert, aber doch nie
.vergessen wird, dass der eigentliche Anstoss zu dieser einem neuen
Geiste Gestalt und Zusammenhang verleihenden Neuschöpfung in
dem ganz persönlichen Geschick jenes Mannes lag, der als kecker
Neuerer und nicht zuletzt als warmer Verteidiger des vervehmten
Pietisten Francke dem Hass des orthodoxen Leipzigs hatte weichen
müssen, worauf nun ihm, dem obdachlosen Vertreter der Aufklarung,
Kurbrandenburg eine neue Statte der Wirksamkeit eröffnete.
Freilich waren auch eben jetzt und grade auf halUschem
Boden die äusseren und inneren Bedingungen für das Gredeihen
der jungen Hochschule so günstig wie nur möglich: die äusseren
in der Lage der Stadt, in ihrer als Pflegstätte des jungen Adels
dienenden Eitterakademie, in dem geistigen und gewerblichen Auf-
schwimg, den sie durch die Niederlassung der französischen und
pfälzer Reformierten erfahren hatte; die inneren in den sich vor-
bereitenden geistigen Wandlungen, die eine so eigenartige geistige
Schöpfung geradezu zu fordern schienen. Allerdings hatten die
Hallenser selbst zu dem „tollkühnen Unternehmen" nur wenig
Vertrauen, und der Bedenklichkeiten und Zweifel war kein üide.
Während die Stände des Herzogtums — nicht mit Unrecht —
für ihren Geldbeutel fürchteten i), besorgte der städtische Rat von
*) Wenig bekannt und anch bei Schrader nicht erwähnt ist die That-
sache, dass sich der Kurfürst, um die Mittel für die neue Hochschule auf-
zubringen, zeitweilig auch mit dem Gedanken trug, das Kloster U. L. Frauen
in Magdeburg nach Halle zu verlegen und mit der Universität zu ver-
schmelzen, wobei dem fehdelustigen Propst Philipp Muller eine theologische
Professur zugedacht worden war. Die Akten darüber hat G. Herta im
Beiblatt zur Magdeb. Zeitung 1894, S. 229 f. mitgeteilt.
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1894. Die Anfänge der Universität Halle. 243
dem Zuzug imgeberdiger Studenten nichts als Störungen der öffent-
lichen Ordnung, wie nicht minder die verdriesslichsten Kompetenz-
konflikte mit den akademischen Behörden, und selbst der Rektor
des städtischen Gymnasiums stand grollend abseits, weil er sich
wohl durch die neue Universität in seiner wissenschaftlichen Allein-
herrschaft bedroht fühlen mochte — aber Thomasius liess sich
durch alle diese Bedenklichkeiten nicht beirren, sondern schritt
mutig vorwärts in jenem unbeirrbaren Gottvertrauen, von dem sein
ganzes Leben durchleuchtet war. Und der Erfolg sollte den Klein-
mütigen bald genug zeigen, wie begründet sein Vertrauen gewesen
war. „Er (Thomasius) — so schilderte er später selber in einer
„Anrede an seine Feinde" die Anfänge der Akademie^) — „er
kam her nach Halle und fand keinen Auditorem hier . . . Wie
schmählich lachtet Ihr damals Thomasium aus und wie höhnisch
spottetet Ihr seiner. Thomasius aber vertraute Gott und setzte
sich hierher; er warb keine Studenten hierher zu kommen, sondern
notificirte nur seine Ankunft erst privatim seinen Auditoribus
privatissimis, worüber Ihr ein gräulich Lärmen anfinget, hernach
Jedermann publice durch sein Programma, das der Oberhofprediger
Carpzovius ein marktschreierisches Programma schalt Ihr machtet
ihm vor dem Anfang seiner Lectionen durch Eure Creaturen, die
Ihr, wie bekannt, auch in andern Ländern habt, so viel Hinderniss
und Verdruss, als Ihr nur konntet; er fand sehr Wenige, die
ihm zu helfen imd Sr. kmfürstlichen Durchlaucht gnädigste Inten-
tion zu befördern angelegen sein Hessen, ja es waren Etliche so
offenherzig, dass sie ihn fragten, ob er denn bei Anfang seiner
Lectionen etliche Auditores im Vorrath hätte, denn hier in Halle
würde er keinen bekommen. Thomasius aber Hess sich durch
nichts abschrecken, sondern fing seine Lectiones in Gottes Namen
den Montag nach Trinitatis anno 1690 an. Er hatte das erste
mal über fünfzig Auditores und hat sie von da an, so lange er
allein hier und noch keine Resolution von Aufrichtung einer Uni-
versität gefasst gewesen, nie unter zwanzig gehabt ..." Bald
verstummte denn auch der Spott der Leipziger über die verwegene
Gründung, und der giftige Hass, der mit einem wohlfeilen Wort-
witze Carpzows die Universität Halle als die „höllische" anrüchig
zu machen suchte, erwies sich als ohnmächtig; vielmehr mussten
*) Vgl. Aus Halles Litteraturleben. S. 18 f.
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244 Kawerau, Heft 8.
die alten rechtgläubigen Hochschulen bald genug mit Schrecken
wahrnehmen, wie frisch und kräftig die jimge Schwesteranstalt
aufblühte, und wie der von ihr gepflegte Geist bald über den engen
Bezirk der Hörsäle hinausdrang und allenthalben ein neues Leben,
insbesondere ein neues Leben für die evangelische Kirche ent-
stehen liess.
ffierfür waren, wie gesagt, eben jetzt auch alle inneren
Bedingungen in reichstem Masse vorhanden. Es war jetzt am
Ausgange des 17. Jahrhunderts ein kritischer Wendepunkt für
.das geistige Leben eingetreten, da die lähmende Nachwirkung
jener unseligen Zeit, in der in einem Kriegselend ohnegleichen
die beste Volkskraft zerstört und der Wohlstand zerrüttet war,
trotz aller staatlichen Zersplittenmg nachzidassen, die Volksseele
allmählich wieder aufzuathmen begann und allenthaben die Keime
eines neuen geistigen Lebens und einer neuen Bildung ans Licht
drängten. Die warme Sehnsucht eines Spener leimte sich auf gegen
die unfruchtbare Scholastik in der Theologie, mid vor dem Ideen-
reichtimi des grossen Leibniz, in dem der deutsche Geist zum
erstenmale zur Conception eines allgemeinen Weltbildes sich erhob,
musste die nicht minder unfruchtbare Scholastik in der Philosophie
zurückweichen; zugleich war auch, worauf der Geschichtsschreiber
der hallischen Universität nachdrücklich hinweist, für das öffent-
liche Recht das Bedürfnis neuer Gestaltung in der Wissenschaft
durch Grotius und Pufendorf, im Leben durch die Ausbildung
des Fürstenrechts und durch die lebhafteren Berührungen der
Staaten seit dem westfälischen Friedensschlüsse wach geworden:
für diese ganze neue Gedankenbewegung aber reichten die Formen
und Überlieferungen der alten Hochschulen nicht aus, sondern es
bedurfte eben eines völlig neuen Gebildes, das diesem neuen
Geiste Gestalt und Zusammenhang zu geben im stände war.
Doch das wesentlichste Motiv, das zu dem kühnen Ent-
schlüsse führte, hier in der immittelbaren Nähe von Leipzig, Jena
und Wittenberg eine neue Hochschule zu gründen, war kirch-
licher Art, da im eigenen Interesse des Staates die Errichtung
einer neuen lutherischen Universität in der Mitte der kurfürst-
lichen Lande gradezu zu einer Notwendigkeit geworden war.
Frankfurt und Duisburg waren reformiert, jenes seit 1614, dieses
seit Gründtmg der Hochschule im Jahre 1654; das lutherische
Königsberg lag zu weit ab und war überdies nach langen zerrüt-
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1894. I^ie Anfänge der Universität Halle. 245
tenden Streitigkeiten innerlich aufs äusserste geschwächt worden;
80 zogen Wittenberg und Leipzig die Landeskinder an sich, die
beide zu Hochburgen eines engherzigen, streit- und verdanunungs-
süchtigen Luthertums geworden waren. Hier herrschte eine
Theologie, die die religiösen Wahrheiten in ein umfangreiches
Gefüge von Formeln verwandelt hatte, gezimmert von einer neuen
scharfsinnigen, haarspaltenden Scholastik, in der je länger desto
mehr das intellektuelle, das doktrinäre Interesse überwog, während
das religiöse völlig verkümmerte. Sollte der Einfluss dieser so
leidenschaftlichen wie unfruchtbaren Streittheologie gebrochen
werden, so bedurfte das konfessionell gemischte Preussen einer
neuen Universität, die den jungen Studierenden eine Stätte fried-
licher und inniger Gotteserkenntnis zu bieten im stände war, so
bedurfte es einer Hochschule, auf der lutherische Prediger er-
zogen werden konnten, die „nicht so sektiererisch und gegen
anders denkende Bürger kriegerisch und einer reformierten Obrig-
keit abgeneigt" waren, wie die sich meist noch lutherischer als
Luther selbst geberdenden Theologen von Wittenberg. Und es
entsprach ganz der duldsamen Kirchenpolitik des preussischen
Staates, dass er zu diesem Behuf nicht nur den obdachlosen Ver-
tretern der Aufklärung, sondern auch denen des Pietismus seine
Arme öffnete und dieser sonst überall verfolgten und vervehmten
Theologie hier in Halle ein sicheres Asyl bot Schon der Grosse
Kurfürst hatte diese duldsame Kirchenpolitik deutlich genug vor-
gezeichnet i) Wie er in der Reichspolitik überall der Haupt-
vertreter der evangelischen Interessen war, wie er mannhaft für
seine Glaubensgenossen in den österreichischen Erblanden und
in anderen deutschen Gebieten, namentlich in Jülich-Berg, ein-
trat, ja gar eifrig, wenn auch erfolglos, auf eine Allianz aller
evangelischen Mächte hinwirkte, so war auch seine Landespolitik
ganz und gar von dem Bestreben beherrscht, das Wohl der
Evangelischen zu fördern und die konfessionellen Gegensätze nach
Möglichkeit auszugleichen. Nicht zwar, als ob er direkt eine
Unionspolitik verfolgt hätte; wohl aber war seine ganze Kirchen-
politik unverkennbar von dem Motiv geleitet, ein friedliches Ver-
*) Vgl. Hugo Landwehr, Die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms,
des Grossen Kurfürsten. Berlin 1894 und J. Heidemanns Anzeige in
diesen Monatsheften 3, 228 f.
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246 Kawerau, Heft 8.
hältnis zwischen Lutheranern und Reformierten herzustellen imd
auf Grund des von ihm proklamierten Paritätsprinzips den leiden-
schaftlichen Kämpfen der hadernden Parteien ein Ziel zu setzen.
Von dem gleichen Bestreben war auch der nachmalige erste
König von Preusflen erfüllt, der, wie Schrader feinsinnig hervor-
hebt, mit seinem milden kirchlichen Sinne eine unverkennbare
innere Verwandtschaft mit dem unionsfreundlichen Könige Fried-
rich Wilhelm HI. besass, mit dem ihm die stille überzeugte
Glaubenstreue und der Wunsch nach einer Versöhnung der beiden
evangelischen Kirchen gemeinsam war. Es war dabei gewiss
nicht zufällig, dass, worauf neuerdings schon von andrer Seite
hingewiesen worden ist, ^) zu des Kurfürsten nächster Umgebung
neben dem weitherzigen Kanzler Paul von Fuchs auch der Hof-
und Domprediger Daniel Ernst Jablonsky, ein Enkel des
Comenius, gehörte, der von Haus aus jedem schroffen Konfes-
sionalismus abhold und ganz im Geiste seines grossen Ahnen
von friedlichen Unionsgedanken durchdrungen war. Und ganz
aus dieser Geistesrichtung heraus erwuchs der Entschluss, der
die Universität Halle ins Leben rief: eine Universität, durch-
waltet von einem ökumenischen Zuge, der ihre Glieder auch in
dem Streite der Konfessionen über dem Trennenden das Einigende
nicht vergessen liess, die Pflegstätte eines Geistes religiöser Wärme
und weitherziger Duldsamkeit
Eben dadurch bedeutete denn auch die Gründung dieser
Universität eine neue Epoche des deutschen Hochschulwesens,
denn ein neues Prinzip gewann hier unter dem Schutze des hohen-
zollemschen Herrscherhauses sein erstes akademisches Bürger-
recht Die junge Hochschule stand eben von vorneherein in
einem entschiedenen Gegensatze zu den älteren Universitäten;
sie trug ein durchaus modernes Gepräge und verdankte grade
diesem Gegensatze ihr Dasein und ihren Glanz, ihr unvergleich-
lich raschefs Aufblühen und den nicht minder unvergleichlichen
Einfluss, der ihr in ihrer ersten Blütezeit auf das gesamte geistige
Leben des Volkes beschieden war. Der Kurfürst war sich daher
auch der Wichtigkeit dieser neuen Schöpfung voll bewusst; sie
verstärkte Ruf und Einfluss des Staates nach aussen und gab
ihm im Innern Halt imd Festigkeit; sie war in jedem Betracht
*) Monatshefte der Comenius-Gesellschaft. 3, 235.
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1894. I^ie Anfänge der Universität Halle. 247
ein beredtes Zeugnis für die geistige Kraft des frisch aufstrebenden
Staates, der sich nicht lange darnach in ein Königreich wandelte.
Aber so hoch vor auch des Kurfürsten Verdienste um die
Stiftung der hallischen Universität anschlagen müssen — diese
Universität, so bemerkt Schrafler mit Recht, wäre doch nicht
ohne Thomasius entstanden und hätte ohne August Hermann
Francke nicht den gewaltigen Einfluss erlangt, kraft dessen sie
von Anbeginn an alle ihre älteren Schwestern überflügelte. Und
auch in diesem Umstände, dass gleichzeitig jenes frische und
freie Weltkind und der fromme Pietist hier an dieser Stätte
sich zusammenfanden, waltete in der That mehr „göttliche Pro-
videnz" als menschliche Klugheit, und es bleibt eine so über-
raschende wie wunderbare Erscheinung, dass diese auf den ersten
Blick so gegensätzlichen Naturen hier zu einträchtigem Wirken
sich vereinigten, und dass grade in ihrer gemeinsamen Arbeit die
erste und reichste Blüte der jungen Hochschule begründet war.
Auch dem jungen Gottesgelehrten hatten unmittelbar zuvor die
Leipziger Orthodoxen übel mitgespielt, so dass er gleich Thomasius
das Feld hatte räumen müssen. Er hatte sich von Leipzig nach
Erfurt gewandt, aber auch dort hatte der Hass seiner Feinde nicht
eher geruht, als bis der anrüchige Pietist seines Amtes wieder
entsetzt, ja wie ein Verbrecher aus der Stadt vertrieben worden war.
Da traf ihn in Gotha ein Ruf in die Pfarrstelle zu Glaucha bei
Halle, mit deren Annahme sich ihm zugleich die Aussicht auf eine
Thätigkeit an der zu gründenden Hochschule eröffnete; er nahm
in gläubigem Gottvertrauen diesen Ruf an, siedelte in den ersten
Januartagen des Jahres 1692 nach Glaucha über und begann hier,
nicht ohne mancherlei schwere Kämpfe und Anfechtimgen, seine
stille, aber unermesslich segensreiche Wirksamkeit, aus der bald
ein völlig neues Leben für die evangelische Kirche erwachsen sollte.
Auf den ersten Blick ist es in der That ein wunderlicher
Bund zweier geistiger Mächte, der in den beiden anscheinend so
gegensätzlichen Persönlichkeiten des Aufklärers Thomasius und
des frommen Waisenhausstifters verkörpert ist Jener frisch und
keck, ein geschwomer Feind aller Vorurteile und aller Pedanterie;
kein genialer, selbstschöpferischer Geist, aber ein rühriger, uner-
müdlicher Agitator der Aufklärmig; kein beschaulicher Gelehrter,
sondern der Weltmann auch auf dem Katheder; eine ganz auf prak-
tische Thätigkeit gestellte Natur, die unglaubliche Zähigkeit mit
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248 Kawerau, Heft 8.
ebenso grosser Elasticitat in sich vereinigte. Mit starkem Menschen-
verstand paarte sich in ihm ein gesunder Mutterwitz, und seine
kriegerische Natur fühlte sich am wohlsten in der Polemik, in
der seine derb -satirische Schreibart sich am freiesten entfaltete.
Dramatische Bewegung war sein !E3ement, sowohl im mündlichen
Vortrag wie in all seinen Schriften, und wenn er auch später
unter pietistischem Einfluss zur Einsicht in die „Mtelkeit der
satirischen Schreibart" gelangt sein wollte, so blieb sein Stil doch
bis zuletzt „unerfahren in der Traurigkeit" und „zu betrübten und
ernsthaften Sachen ganz ungeschickt". Er war der Vertreter eines
Bildungaideals, das bewusst mit der Renaissance brach, indem es
von den Büchern weg- und auf das Leben hinwies, das huma-
nistische Interesse an den klassischen Sprachen zurückdrängte und
auch für die Wissenschaft das Nützlichkeitsprinzip zur Geltung
brachte. Er war der akademische Vertreter des „honune de cour" ^)
und zugleich der Begründer des wissenschaftlichen Journalismus,
der imbekümmert um die wackelnden Zöpfe der gelehrten Philister
die wissenschaftliche Prosa in Deutschland begründete, nachdem
einhundert und siebzig Jahre zuvor Luther die deutsche Sprache
für den Glauben und Gottesdienst erobert und genau hundert
Jahre nach ihm Opitz als Seitenstück zu der lateinischen Poesie
der Humanisten eine Renaissancedichtung in deutscher Sprache
geschaffen hatte. ^)
Wie anders dagegen August Hermann Francke, dieser
Mann des Gebets, der in einem, man möchte fast sagen verwegenen
Gottvertrauen seine Riesenschöpfungen der Nächstenliebe aus dem
Nichts hervorrief; dieser Priester und Prophet voll heiligen Eifers,
dem nach schweren inneren Kämpfen der Frieden, der höher ist
als alle Vernunft, zu einem unverlierbaren Besitztum geworden
war! Thomasius streitsüchtig, unerschrocken und rücksichtslos,
ein heiter um sich blickendes Weltkind voll lebhaften Tempera-
ments und scharfen Witzes; Francke ganz ein Mann des religiösen
Enthusiasmus und unbeirrbar zäher Glaubenskraft, ganz und gar
durchdrungen von dem Gefühl der Gotteskindschaft, aber dabei
doch fest mit beiden Füssen auf dem Boden der Wirklichkeit
^) Sein Verhältnis zu Gracian ist neuerdings von Karl Borinski in
der Schrift: Baltasar Gracian und die Hoflitteratur in Deutschland, Halle
1894, geistvoll erörtert worden.
*) Vgl. J. Minor in der Viertel] ahrschrift für Litteraturgeschichte 1,5.
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1894. I^ie Anfänge der Universität Halle. 249
stehend und sein Christentum allezeit bethätigend in werkthätiger
Liebe, die sich im Dienst für andere nimmer genug that. Tho-
masius scharf ausgreifend, ein stürmischer Neuerer; Francke als
Mann des Gemütes nur bestrebt, das geistige und religiöse Leben
zu verinnerlichen und zu vertiefen und die durch eine erstarrte
Orthodoxie verschütteten Quellen des Lineniebens wieder auf-
sprudeln zu lassen.
Aber so gegensätzlich ihre Naturen auch erscheinen mögen,
doch gab es zwischen ihnen des Gemeinsamen genug, das ihr
Bündnis für die neu gegründete Hochschule zu unermesslichem
Segen gestaltete. Und nicht nur für die Universität Halle selbst,
sondern für das gesamte geistige Leben Deutschlands, das durch
ihr Zusammenwirkan verjüngt und gekräftigt und auf lange Zeit
hinaus aufs Reichste befnichtet ward. Dieses Gemeinsame lag
nicht nur in der gleichen Negation, d. h. in der gleichen Kampfes-
stellung wider die verknöcherte Orthodoxie und den Gelehrten-
pedantismus ^des 17. Jahrhunderts, sondern auch in den gleich-
artigen positiven Zielen, die den Bahnbrecher der Aufklärung
und die glänzende Lichtgestalt des Pietismus zusammenführten.
Gemeinsam waren ihnen beiden die tiefinnerliche Frömmigkeit,
denn nur Kurzsichtigkeit kann leugnen, dass auch Thomasius eine
religiöse, von schlichtem, felsenfestem Gottvertrauen erfüllte Natur
war, und eben von diesem gemeinsamen Ausgangspunkte aus
strebten sie, wenn auch auf verschiedenen Wegen, doch auch
einem gemeinsamen Ziel zu. Der Aufklärer Thomasius kämpfte
für Freiheit der Wissenschaft von dem Joche der Theologie und
innerhalb der Wissenschaft selbst wider jede scholastische Über-
lieferung; den Pietisten Francke führte die unbefriedigte Sehn-
sucht nach der Versöhnung mit seinem Gotte in den gleichen
Kampf hinein; beide, jener aus Freiheitsliebe, dieser aus einem
ganz persönlichen religiösen Bedürfnis, strebten heraus aus der
Enge und Leere der bisherigen Erkenntnisformeln und lehnten
sich auf wider den Zwang, der mit jedem Autoritätsglauben ver-
.btmden ist „Freiheit erwacht in jeder Brust, wir protestieren all
mit Lust", das war die Parole des Thomasius, mit der er keck
und frohgemut wider die dürre Scholastik zu Felde zog, während
Francke, überzeugt, dass in unsres Vaters Hause viele Wohnungen
sind, das Joch des allein seligmachenden Dogmas zerbrach, das
dem evangelischen Glauben den angeborenen freien Atem ver-
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250 Kawerau, Heft 8.
kümmerte. Und wie Francke einen Glauben wollte, der nicht
blosse Lehre, der nicht nur ein Bekenntnis der Lippen war, son-
dern sich im Leben praktisch bethätigtc, so wollte Thomasius
eine praktische Bethätigung der Wissenschaft und ein Nieder-
werfen der Schranken, die bis dahin Wissenschaft und Leben wie
eine chinesische Mauer von einander getrennt hatten. Beide
bahnten sich somit den Weg von den Hörsälen in das öffentliche
Leben, und wie des Thomasius Gedankenfrische auf dieses um-
gestaltend einwirkte, wie er tapfer und beherzt mit einer Unmenge
alter und durch das Alter geheiligter Vorurteile aufräumte, so
entwand sich durch Franckes Wirksamkeit die Kirche mehr und
mehr den Fesseln der scholastischen Theologie, verjüngte sich in
Lehre und Predigt, befreite das so lange gefesselt gewesene Ge-
fühl und läuterte und adelte die Sittlichkeit
So fand der eine an dem andern seine Ergänzung: Tho-
masius befreite die weltliche Wissenschaft von der Vormund-
schaft der Theologie; Francke flösste dieser Theol(^e selbst ein
neues Leben ein, indem er dem sittlichen Gehalte des Christen-
tums wieder zu seinem Rechte verhalf und durch Erweckimg
eines innigen, in der Liebe sich bewährenden Herzensglaubens
das gesamte kirchliche und religiöse Leben von Grund aus er-
neuerte. Und dieser Aufgabe gegenüber war natürlich die Auf-
klärung des Thomasius allein ohnmächtig, da religiöse Mächte
niu* wiederum durch religiöse Mächte zu überwinden sind. Nicht
theoretisch konnte die Allmacht der orthodoxen Theologie gebrochen
werden; das konnte niu* eine so übermächtige, durch und durch
religiöse Persönlichkeit wie die Franckes, der der verknöcherten
theologischen Scholastik sein praktisches Christentum entgegen-
setzte und durch handgreifliche Beweise des Geistes und der Kraft
den Zusammenbruch jener alten Orthodoxie zum Heile der Kirche
beschleunigte. Weniger freilich als der Professor, denn als der
fromme Stifter des Waisenhauses und all der übrigen „Sieges-
denkmäler des Gottvertrauens und der Menschenliebe", wie denn
überhaupt der eigentliche Schwerpunkt seiner Wirksamkeit nicht
innerhalb, sondern ausserhalb der Fakultät lag. Denn um die
nachlutherische Dogmatik, dieses kunstvolle Produkt einer übei>
aus scharfsinnigen neuen Scholastik, wissenschaftlich zu über-
winden, dazu fehlte es ihm selbst wie dem gesamten Pietismus
an der genügenden wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit, so dass
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1894. I>ie Anfänge der Universität Halle. 251
es ihm überhaupt versagt blieb, dem von ihm verkündeten Herzens-
glauben die entsprechende theologische Ausgestaltung zu geben.
Ja, der von ihm immer wieder betonte Satz, Glauben sei mehr
wert als Wissen, musste sich je länger desto mehr für die theo-
logische Wissenschaft geradezu als verhängnisvoll erweisen, und
es war an Francke selbst ohne Frage die bedenklichste Ein-
seitigkeit, dass er dqn Erwerb theologischer Kenntnisse immer
wieder durch asketische Forderungen einzuengen beflissen war.
Insofern konnte der Pietismus die Theologie unmittelbar nur wenig
fördern, sondern eben nur mittelbar konnte auch sie des Segens
teilhaftig werden, den diese eigentümliche religiöse Bewegung in
Haus und Gemeinde und in unser gesamtes geistiges Leben aus-
strömte. Nur mittelbar, indem der Pietismus gegenüber den in
starre Formeln verwandelten religiösen Wahrheiten wieder und
wieder die Ausprägung des Christentums im Leben betonte, indem
er das verkümmerte religiöse Interesse wieder ziu* Geltimg
brachte und so die streitmüde Christenheit von dem unfrucht-
baren Dogmengezänk ab- und einem innigen, auf eigne Erfahrung
begründeten Herzensglauben zuführte. Er verpflanzte das religiöse
Leben aus den Grenzen des Verstandes auf den Boden des Gemüts,
und wenn auch in der Folgezeit die gewaltsame Steigerung der
Phantasie imd des Gefühlslebens, mit der er die beseligende Er-
fahrung des Christentums erzwingen wollte, nicht ohne bedenk-
liche Folgen blieb, so war doch zunächst diese gesteigerte religiöse
Temperatur für die Kirche von unermesslichem Werte und gegen-
über dem dürr verstandesmässigen Zuge der alten Rechtgläubig-
keit ein Fortschritt, der gar nicht hoch genug zu bewerten ist.
Und diese Wärme sollte auch sobald nicht wieder erlöschen,
auch nicht in der Zeit des Rationalismus, wo immer noch selbst
die schärfste Kritik von warmer Religiosität und Gefühlsinnig-
keit durchleuchtet und allenthalben noch der vom Pietismus er-
weckte sittliche Ernst deutlich erkennbar war.
So sehen wir also hier thatsächlich eine innere Bundes-
genossenschaft zwischen Thomasius und Francke, die für die
Universität) wie für imser ganzes geistiges Leben von heilsamstem
Einfluss gewesen ist Doch auch die wirklich vorhandenen
Gegensätze zwischen beiden mussten sich, worauf Schrader mit
Fug und Recht aufmerksam machte für die junge hallische Hoch-
schule als segensreich erweisen: des Thomasius übersprudelnde
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252 Kawerau, Die Anfänge der Universität Halle. Heft 8.
Keckheit wurde durch die mahnende Stimme Franckes heilsam
gemässigt; während andrerseits die frische Lebens- und Thaten-
lust jenes ein wohlthuendes Gegenmittel gegen die kopfhängerische
Neigung der Pietisten war, die gerne alles irdische Leben als ein
Elend und Jammerthal anzuklagen pflegten.
So brachte die junge Friedrichs -Universität der Wissen-
schaft, der Kirche und dem Staate reiche Frucht und zwar nicht
zuletzt dank der Eigenart, die ihr durch jene beiden Männer,
die als Thorwächter an der Pforte ihrer Geschichte aufragen,
au%eprägt worden ist. Zu des Thomasius innerer Freiheit und
Unbefangenheit, zu seiner ehrlichen Wahrheitsliebe und seinem
rückhaltlosen Wahrheitsmute gesellte sich Franckes tiefinnerliche,
in der Liebe sich bewährende Frömmigkeit, und dieser mehr durch
„göttliche Providenz" als durch „menschliche List" gestiftete Bund
machte von Anbeginn an die Stellung der neuen Hochschule
glücklich und siegverheissend. „Fromm und frei" — dieses Wort
leuchtet gleichsam als Motto über den Anfängen ihrer Geschichte,
und diese Verbindung von warmer, innerlich freier Herzens-
frömmigkeit mit unbefangener Forschung und weitherziger Duld-
samkeit, sie hat die junge Hochschule zu reicher Blüte geführt
und war allemal die innere Voraussetzung ihrer glänzendsten
Epochen. Und sie ist das Zeichen, unter dem die Fridericiana
auch in Zukunft stehen und sich immerdar als ein reicher Segens-
quell für die Wissenschaft, die Kirche und unsere gesamte geistige
Kultur erweisen möge!
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Zu Herders Schriften/)
Von
Beinhold Steig.
1. Zur Überlieferung der Vorlesung „Über die
menschliche Unsterblichkeit".
Die Vorlesung „Über die menschliche Unsterblichkeit" wurde
von Herder in der Freitagsgesellschaft vom 4. November 1791
gehalten; sie erschien gedruckt das Jahr darauf im 4. Bande der
Zerstreuten Blätter.
Als ich 1886 den Text des 16. Bandes der Suphan'schen
Ausgabe bearbeitete, lag nur Herders erste Niederschrift (a) vor, fast
überfüllt mit Korrekturen, Streichungen, Zusätzen. Aus ihr, ergab
sich, war die (ims verlorene) Druckvorlage geflossen, deren in den
Originaldruck übergegangene Fehler zu einem guten Teüe aus a
erkannt imd gebessert werden konnten. Reichliche Proben der
allerfrühesten Gedankenbewältigung wurden in den Noten gegeben.
Ein paar Jahre später fiel mir zufällig im Schauraum der
Königlichen Bibliothek Berlin eine wunderschöne Handschrift Her-
ders in das Auge: sie enthielt die „menschliche Unsterblichkeit."
Wegen ihrer besonderen Schönheit zur allgemeinen Ansicht aus-
gelegt, imd so von dem Hauptstamm der Herder- Papiere abge-
trennt, war sie der Verwertung für den Text der Sämtlichen
Werke entgangen.
Diese Handschrift (b) ist direkt aus a geflossen, wie die
Druckvorlage; b steht also dem diese letztere ersetzenden Original-
druck parallel. Ahnlich liegt das textgeschichtliche Verhältnis bei
den „Ursachen des gesunknen Geschmacks". Nun wäre freilich
durch b die Grundlage des Neudrucks nicht verschoben worden:
man hätte trotzdem vom Text der Zerstreuten Blätter ausgehen
*) Am 25. August 1894 sind 150 Jahre verflossen, seitdem Johann
Gk)ttfried Herder als Sohn des Lehrers Gottfried Herder und dessen zweiter
Ehefrau Anna Elisabeth Pelz zu Mohrungen geboren wurde. Wir haben
es als Pflicht der C. G. betrachtet, diesen Tag nicht vorübergehen zu lassen
ohne des grossen Mannes zu gedenken, indem wir einen Baustein zur näheren
Kenntnis seiner Schriften beitragen. Die Schriftleitung.
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254 Steig, Heft 8.
müssen. Auch in sehwankenden Eigenheiten der Herderischen
Rechtschreibung, Interpunktion wie des Satzgef alles wäre der Hand-
schrift b nicht ohne weiteres zu folgen gewesen. Trotzdem hätte
eine damalige Kenntnis ihrer Eigenart auf die Textgestaltung
eingewirkt Mehrfach bestätigt sie erfreulich aus a in den Text
eingeführte Verbesserungen, in einem Falle wäre die Entscheidung
zuversichtlicher ausgefallen. Indem ich alles bloss Formale über-
gehe, verzeichne ich die irgendwie für den Text wichtig erscheinen-
den Varianten von b:
S. 28^. des kalten Wissens und der noch kälteren Erfahrung
„ 29 Z. 9. das Band einer blühenden, ewigen Sprache
„ 30 ^ kein Zeuxis und ApeUes — die bereits aus a in Note 1
angemerkte Lesart wäre in den Text zu setzen.
„ 311. „Eines Theils'^ fehlt auch in b.
„ 3V. Die Ergänzimg „der eüfte^^ durch b bestätigt
„31^. Die Tafel der Muse ist fast mehr schon beschrieben
— a stimmt dagegen zum Originaldruck.
„ 32 Z 9. Theihiehmungi)
„ 32 Z. 12. in einen fernen Charakter — a stinmit zum
Originaldruck.
„ 32 Z. 20. hinter so vielen andern — a stimmt zum Original-
druck.
365. ist nichts Grab
37^. ehenials eigner jetzt fremder Gedanken — trotz der
Übereinstimmung zwischen a und b ist der Text nicht
zu ändern.
„ 39^ Die Ergänzung „von immer neuer Kraft^ durch b be-
stätigt.
„ 40*. habe ich einmal die Ehre — wie a.
„ 41 Z. 3. steht nur in b: Die Kunst als Bezeichnerin des
Ewigwahren
„ 42^. unserm Ohr
Die Handschrift b, in Quart, ist durch alte Faltimg zu
Taschenformat zusammengelegt; die Königliche Bibliothek erwarb
sie vom Major von Knebel, einem Verwandten Karl Ludwigs.
Allem Anschein nach besitzen wir an ihr jenes Manuskript, das
Herder in der FreitagsgeseUschaft aus der Tasche zog und vorlas,
und das er damals seinem Freunde KHebel überlassen haben mag.
Dass es für die Gesellschaft bestimmt war, beweist die höflich
gewählte Form (40*) „habe ich einmal die Ehre", die zum Druck
in „habe ich einmal die Gelegenheit" verwandelt wurde. Herder
hielt also seiner Zeit die Vorlesung wesentlich so, wie wir sie jetzt
in Suphaus Ausgabe gedruckt vor uns sehen, und die umfassenden
Änderungen der Urschrift a wurden unmittelbar nach der ersten
') Die 2^ile vorher ist „Menge" Druckfehler für „Menschen".
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1894. Zu Herders Schriften. 255
Niederschrift, nicht erst später für die Drucklegung vorgenommen.
Der Handschrift b fehlt die am Schlüsse von a gegebene Hin-
weisung auf Franklins Junto- Fragen (vgl. Bd. 16, 43^. Es ist
daher nicht wahrscheinlich, dass Herder sie — wie nach a allein
geschlossen werden konnte — noch in der Sitzung vom 4. November
1791 zur Sprache brachte; auch Böttiger, in dessen ,4itterarischen
Zuständen" ein genaues, frisch nach der Sitzung niedergeschriebenes
Referat uns aufbewahrt ist, erwähnt der Junto-Fragen nicht
2. Zu dem Gespräch „Iduna, oder der Apfel der
Verjüngung".
Das Gespräch ,Jduna, oder der Apfel der Verjüngung*^ ist
der letzte von Herders Aufsätzen für Schillers Hören (1796). Er
behandelt den Gedanken, welche Bedeutung die nordische Mytho-
logie für die gegenwärtige Poesie gewinnen könne. Alfred spricht
für die nordische Mythologie, Frey gegen sie. Man einigt sich
dahin, dass, unbeschadet der ab überlegen anerkannten griechischen
Mythologie, aus der nordischen zwar nicht das Rohe und uns
Entfernte, wohl aber das Schöne und Ideale einer durch den Apfel
Idunens verjüngten Nachbildung wert und fähig seL
Das Gespräch verläuft in drei Unterredungen. In den beiden
letzten liegt die Hauptkraft der Gedanken. Was Frey in der
zweiten Unterredung (S. W. 18, 494) gegen den poetischen und
sittlichen Gehalt des nordisch -germanischen Lebens einzuwenden
hat, widerlegt Alfred Punkt für Punkt in der dritten Unterredung
(S. 496).^) So wenigstens ist die Abfolge der Gedanken von Herder
angelegt Thatsächlich aber liat eine Verschiebung des Ursprüng-
lichen stattgefunden. Freys Gründe lauten in Kürze:
1. Die Naturdichtungen der Edda beruhen auf einer für
uns unmöglichen Physik.
2. Die Sitten dieser Helden sind nicht für uns, ihr Witz
nicht fein, Gewalt entscheidet Das asotische Helden-
leben ist nicht zu preisen.
3. (diu'ch „oder endlich" eingeleitet:) Die Form dieser Ge-
dichte und Sagen ist nicht zu empfehlen.
4. Desgleichen nicht die allegorische Rätselweisheit der
Buchstaben, noch die imgeheuren Umschreibungen für
Schwert, Schiff, Schlacht etc.
Dagegen Alfred:
1. Bezeichnung des poetisch Verwendbaren aus den Dich-
tungen der Edda.
2. „Du sprachst, Frey, auch gegen die Sitten dieser
Männer" etc.
*) S. W. 18, 496 sind die Namen Alfreds und Freys zu vertauschen.
Monntabefte der Comenius-Oesellschaft. 1891. ]^g
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256 Steig, Hefts.
3. ,^u sprachst weiter, Frey, gegen die Sitten dejr
Weiber" etc.
4. „Du sprachst ferner vom rohen Witz dieser Völker'* etc.
5. ,J)u spottetest über diese Verse und nanntest sie ßuch-
stabenwählerinnen" etc.
6. ,JE}ndlich spottetest Du über das Register von poetischen
Beinamen und künstlichen Umschreibungen der
Dinge" etc.
7. „Geschmack sollen wir von den Nordländern nicht
lernen, Frey" etc.
Es bedarf nur dieser Gegenüberstellung, um zu zeigen, dass
hier keine Ordnung herrscht Alfreds Antworten setzen zu einem
Teile anders geartete und mit andern Stichwörtern versehene
Einwürfe Freys voraus; Freys Einwurf gegen die Sitten der
Weiber fehlt ganz. Handschriftliches, woraus man die Natur der
stattgefundenen Veränderungen ersehen könnte, hat sich zu dem
Hören- Aufsatze nicht erhalten. Unzweifelhaft aber ist in der dritten
Unterredung die ursprüngliche Reihe der Gedanken erhalten, wäh-
rend in der zweiten eine nachträgliche Verkürzung eintrat Ausser-
lich verrät sich dies noch durcn das „endlich" der dritten Frage
Freys (S. 495), das an seiner ursprünglichen Stelle wohl am
Platze war, an seiner gegenwärtigen Stelle aber verfrüht erscheint
Wir haben also, technisch ausgedrückt, von der zweiten
Unterredung eine spätere Redaktion als von der dritten. An sich
bei Herder nicht ohne Beispiel. Sein umarbeitender Eifer nimmt,
nach Ausweis der Handschriften, regelmässig gegen das Ikide hin
ab. In einzelnen Schriften, wie beim „Ursprung", bei der „Offen-
banmg", verbleiben die letzten TeUe gegenüber den ersten auf
einer früheren Stufe der Gestaltung, und kleine Unebenheiten
werden nicht abgeglichen. Mit dem Horen-Aufsatz steht es ähnlich.
Bei der Herrichtung des Druckmanuskripts hatte Herder den
Aufbau des ganzen Gesprächs nicht mehr im Kopfe, die Ände-
rungen wären sonst auch auf die dritte Unterredung auszudehnen
gewesen. Eine Korrektur der Druckbogen hat er schwerlich ge-
lesen. Auch Schiller bemerkte den Kompositionsmangel nicht,
ob er gleich über den Inhalt des Aufsatzes seine 'abweichende
Meinung Herder gegenüber ausführlich begründete.
3. „Nach Ponce de Leon."
In den dritten Band der Adrastea (S. W. 23, 516) legte Herder
die dreistrophige Übersetzung eines spanischen Gedichtes „nach
Ponce de Leon" ein. Eine andre, bisher nicht bekannte Nach-
bildung Herders fand ich im Vaterländischen Museum 1810 (Ham-
burg, bei Fr. Perthes) Heft 5, S. 595, wieder. Sie ist so grund-
verschieden von jener, dass wir fast ein neues Gedicht Herders
vor uns zu haben glauben.
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1894. Zu Herders Schriften. 257
Nach dem Spanischen:
Quando contemplo el Cielo —
Erheb' ich meine Blicke
Zu euch, ihr hellen, schönen HimmelBsteme,
Und wende sie zurücke
Zu meinem Erdenthal, von euch so ferne,
Und fühle hier die göttlichste der Gaben
Tief in Vergessenheit, in Schlaf und Nacht begraben:
Ach Lieb' und Kummer theilen
Mein Herz alsdann mit bangem süssen Sehnen,
Und meine Augen weilen
Entzückt an euch, und leise stille Thranen,
Entrollend auf die trauernd blassen Wangen,
Enthüllen euch mein seufzendes Verlangen.
Ol Sprech' ich, lichte Höhe,
Du Tempel aller HerrUchkeit und Schöne,
Den ich dort glänzen sehe.
Und hör' im Geist den Einklang deiner Töne —
O welch ein Schicksal bannte meine Seele,
Für dich gebohren, fem in diese Erdenhöhle!
Herder.
Voransteht im Vaterländischen Museum ein Gedicht Schön-
boms, dessen Beziehungen zu Friedrich Perthes wie zu Herder
bekannt sind. Es ist daher wahrscheinlich ^ dass die hier mitge-
teilte Übersetzung aus dem Besitze Schönboms herstammt
4. Herder und Gerning.
Im Jahre 1889 erschien das schöne Buch der Frau Henriette
von Bissing über „das Leben der Amalie von ImhofF. Amalie
von Imhoff, eine Verwandte der Frau von Stein, stand in Ver-
kehr mit den grossen Persönlichkeiten der Goethischen Zeit Ihre
Blicke blieben auch auf Weimar gerichtet, als sie es langst ver-
lassen hatte. Aus Heidelberg schrieb sie (S. 279) die ihr wichtige
Bemerkung, dass in dem Taschenbuche für das Jahr 1810 un-
gedruckte Gedichte Herders enthalten seien. Auch den jungen
schwäbischen Dichtem waren diese „Nachlasse von Herder^ be-
merkenswert (Mayer, Uhland 1, 193). Ich ging diesen Spuren nach
und fand das Folgende.
Der Herausgeber des Heidelberger Taschenbuches war der
Ästhetiker Alois Schreiber. In der Vorrede des Jahrganges 1810,
8. VIH, schreibt er: „Nicht ohne Rührung werden die Leser er-
blicken, was ich von Herder, Schiller . . mittheile. Es sind heilige
Gaben der Todten, Blumen von ihren Grabhügeln, die ihren be-
sondern Werth haben durch das Andenken, welches sie erneuem."
18*
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258 Steig, Zu Herders Schriften. Heft 8.
Doch nur ein Gedicht Herders brachte der Ahnanach, wahrschein-
lich rechnete Amalie von Imhoff die tabula votiva betitelten Verse
von Dr. Herder mit hinzu. Jenes eine Gedicht Herders wendet sich
An Gerning.
Weimar 1802.
Seit wir zuerst uns sahn, als uns Venusiums Dichter
Unter der Leier Klang näher und näher verband,
Sind zehn Jahre dahin! Nach zehn durchlebeten Jahren
Scheiden wir hebend und treu, bleiben uns inniger nah.
Glückhcher Freund! (}eneu8s mit der Muse .das Leben, du kannst es!
Lebe den Freunden und dir, lebe den Edelsten froh.
J. G. Herder.
Diese Distichen, zu denen auch Carl Redlich (Goedeke 4,
297) auf anderem Wege gelangte, fehlten bis jetzt den Schriften
Herders. Dagegen sind sechs weitere Gedichte, die die Jahrgange
auf 1811 und 1812 als ungedruckt brachten, nach anderen Vor-
lagen bekannt geworden; wir lernen nur das eine hinzu, dasis die
Strophen „aus dem ItaL des M. Angelo" (S. W. 27, 355) bereits
im Jahre 1779 entstanden sind.
Die Gedichte Herders sind ohne Zweifel von Johann Isaak
von Gerning in die Heidelberger Taschenbücher geliefert worden.
Gerning, ein reicher Frankfurter, aber massiger Poet, gehörte zu
den jüngeren Freunden Herders in seinem Alter. Nach Düntzers
Buche „zur deutschen Litteratur und Geschichte" hätte sich
Gerning Ende 1794 an Herder angeschlossen. Unsre Distichen
verlegen also den Anfang der Bekanntschaft in das Jahr 1792
zurück, als „sie Venusiums Dichter unter der Leier Klang näher
und nsQier verband". Eine handschriftliche Übersetzung der Oden
des Horaz hat sich wirklich im Nachlass Gemings gefunden ; Herder
mag ihm damals schon wie später, als er zur Wende des Jahr-
hunderts sein neues „Carmen saeculare" verfasste, den Text ver-
bessert haben. Die Distichen schrieb Herder wahrscheinlich auf
ein Stammbuchblatt, herzlich froh, dass Gerning im Februar 1802
endlich aus Weimar schied. Ein undatierter Entschuldigungs- und
Abschiedsbrief Herders an Gerning wmrde in den „Blättern zur
Erinnerung an die Feier der Enthüllung des Göthe-Monuments zu
Frankfurt am Main, am 22. Oktober 1844" veröflRentlicht, am
Schlüsse heisst es dort: „Reisen Sie glücklich in Ihr Akademisches
Museum, und leben daselbst herzlich und Musenhaft wohL" Das
ist ein unverkennbarer Anklang an unsre Distichen. Die Datierung
des Briefes wäre somit gewonnen.
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Bemerkungen
der Fürstin von Gallitzin und Bernhard Overbergs
zu einer Abhandlung des Abb6 Marie über Kindererziehung.
Von
Bibliothekar Dr. F. Bahlmann in Münster i. W.
Zwei hervorragende und bekannte Personen sind die Ver-
fasser des hier zum erstenmal veröffentlichten Schriftstückes : die
eine eine hochgeborene Frau, die sich selbst wohl „die Schul-
meisterin Westfalens" nannte, *) die andere ein schlichter Priester,
der aber als „Lehrer der Lehrer der Wohlthäter des ganzen
Münsterlandes** wurde. 2)
Die Fürstin Amalie von Gallitzin^ hatte mit Zustim-
mung ihres Gemahls beschlossen, ihren Aufenthalt von der Haupt-
stadt Haag nach einem stilleren Orte zu verlegen, um sich ganz
der Erziehung ihrer beiden Kinder Marianne (geb. 1769) und
Demetrius (geb. 1770) zu widmen. Von dem ihr befreundeten
Philosophen und Staatsrat Hemsterhuis auf die hervorragenden
Schulreformen des münsterischen Ministers und Generalvikars
Franz v. Fürstenberg aufmerksam gemacht, suchte sie diesen auf
und liess sich im August 1779 dauernd in Münster nieder,*) wo
sie den Unterricht ihrer Kinder zum grossen Teil selbst leitete,
eifrig an ihrer eigenen Fortbildimg arbeitete und an allen päda-
•
*) Vgl H. Herold, Fr. v. Purstenberg u. Bemh. Overberg. Münster
1893, pag. 33—36.
*) VgL die Inschrift des 1828 im Hofe des Priester - Seminars zu
Münster errichteten Overberg-Denkmals.
*) geb. 1748 zu Berlin als Tochter des preuss. General-Feldmarschalls
Reichßgrafen v. Schmettau.
*) Sie wohnte im Winter in dem von ihr angekauften Hause an der
Grünen Gasse (jetzt Nr. 32), im Sommer in dem vom Grafen v. Merveldt
gemieteten Landhause Angelmodde, 1 St. von der Stadt entfernt.
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260 BaMmann, Heft 8.
gogischen Bestrebungen ihrer Umgebung, besonders Fürstenbergs,
den lebhaftesten Anteil nahm.
Der Kaplan Bernhard Overberg (geb. 1754) war von
Fürstenberg im Frühjahr 1783 als Normallehrer nach Münster
berufen worden und unterrichtete dort bis zu seinem Tode (f 1826)
jährlich in den Herbstferien (vom 21. August bis Anfang Novem-
ber) die ihm zugewiesenen Lehrer der Diözese, sowie angehende
Theologen und junge Leute, die sich dem Lehrfache widmen
wollten. Im Jahre 1789 erwählte ihn die zum positiven Glauben
zurückgekehrte Fürstin von Gallitzin zu ihrem geistlichen Vater
und Berater und bewog ihn, in ihrem Hause zu wohnen, das er
erst nach ihrem Tode (f 1806) wieder verliess, als er 1809
B^gens des bischöflichen Priester-Seminars wurde.
Während der siebzehn Jahre, welche Overberg in der Nähe
der Fürstin verbilichte, bestand ein reger wissenschaftlicher Ver-
kehr zwischen beiden. Unter anderem begutachteten sie auch
gemeinschaftlich die Abhandlung über Kindererziehung, welche
der Abb^ Marie, ein in Hamm lebender französischer Emigrant,
dem Frhm. von Landsberg -Velen auf dessen Wunsch 1796 über-
sandt hatte; ihre Bemerkungen darüber*) lauten:
Ce trait6 fait preuve de la litt^rature ^tendue, de r^rudition, de
r^loquence et de la longue pratique de son auteur. II nous semble,
en g^n^ral, excellent On y trouve partout beaucoup de beaut6, de
profondeur et de conformit^ au but, que s'est propos6 rauteiu*. D
n'y a point de doute, que dans tout ce qu'il propose par rapport a
la partie de T^ducation, qui conceme les sciences, 11 ne suppose, que
rMucation physique aie atteint le degr^ de perfection, dont il fait
mention auparavant: car on concevra ais^ment, qu'un enfant, dont
le Corps serait faible, n'est point capable du m^me degr^ d*application
dans ses ^tudes, que celui qui doit ä son ^ducation un corps plus
robuste. II faut donc beaucoup de prudence et im examen bien
refl6chi, pour proportionner de la mani^re la plus convenable, ce qui
est dit dans le trait^, dont nous parlons, sur la partie scientifique
de TMucation au degr6 de force physique qu'auront atteint les
enfants.
Au reste voici les r6f lexions principales, que nous nous sommes
cm Obligo de faire.
') Abschriftlich in der Königl. Paulinischen Bibliothek zu Münster
(Msc. 93), welche auch eine aus der Bibliothek des verstorbenen Pfarrers
Niesert stammende Abschrift der Abhandlung des Abb^ Marie (Msc. 436)
besitzt.
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1894. Bemerkungen der Fürstin von Qallitzin etc. 261
Pag. 8.*) L'auteur dit „Je pr6f6rerai toujours dane uii village
un bon Chirurgien au meilleur maitre d'ßcole." Le Chirurgien prend
soin de la sant^ du corps; le maitre d'^cole de celle de Täme. II
est donc juste de pr^f^rer celui, qui remplit dignement le demier de
ces emplois ä celui, qui ne s'occupe que du premier. A moins qu'on
ne veuille soutenir, que la ßant§ du corps ne soit un objet d'une
plus grande importance que celle de Täme; que Tacquisition des forces
physiques ne soient pr^f^rables a celle de la crainte de Dieu.
Mais peut-^tre Tauteur attache-t-il au mot de maitre d'^cole
d'autres id6es que Celles, que nous y attachons dans le pays de
Münster. — Nous ne saurions souscrire non plus ä Topinion 6nonc6e
peu auparavant qu'il serait nuisible aux enfants de la classe du
peuple d'apprendre autre chose a T^cole qu*ä lire et a ^rire.
Certainement ce serait k tort quon pr^tendrait faire des Docteurs
de tous les enfants. Mais aussi quelle distance n'y a-t-il pas d'un
enfant, qui ne sait que lire et 6crire m^chaniquement a un Docteur!
En v6rit^ un enfant, qui aurait appris autant d'Arithm6tique, qu'il
en faut pour exercer son attention et le mettre en ^tat de savoir
faire les calculs dont chacun peut se trouver dans le cas d'avoir
besoin : im enfant, qui aurait 6t6 instruit assez solidement de Thistoire
et de la morale de la sainte ficriture pour que les grands motifs,
qu' ils fournissent ä rhonune, puissent ^mouvoir sa volonte, et pour
que cet enfant soit en ^tat, comme Texige saint Paul, de rendre compte
a un chacun de la foi, qu'il confesse, et de Tesp^rance qu'il nourrit
dans son coeur, un tel enfant, dis-je, serait encore bien 61oign6 d'^tre
un Docteur! Certainement bien loin d'ötre pr^judiciable ou inutile a
qui que ce soit de savoir ces choses la n^cessit^ d'ßtre bien instruit
de, sa Religion, et Tutilit^ au moins de TArithm^tique se fait sentir
ä tout le monde: et surement Tauteur en demeure d'accord avec nous.
II dit ensuite Pag. 33 2) „La pi^t6 de vos enfants ne doit pas
^tre une pi6t6 de cloitre, encore moins une pi6t6 de b^guines; franche,
sinc^re, gaie et surtout charitable, tels doivent 4ti-e ses principaux
attributs." Mais ces attributs ne doivent-ils pas 6tre les attributs
aussi de la pi6t6 des cloitres? Oserait-on soutenir, que la vraie pi§t6
soit ^trangere a tous les cloitres? En distinguant, comme il faut,
Sans doute, les distinguer, la pi6t6 des pratiques de pi6t6, ne serait-il
pas ä souhaiter, que tous les enfants nourrissent dans leurs coeurs
une pi^t6, teile qu'elle devrait se trouver dans tous les cloitres, et
que, grace a Dieu, eile se trouve encore en effet dans plusieurs?
Les pratiques de pi6t^, en usage dans les cloitres, ne doivent pas ßtre
les m^mes pour les s^culiers, que pour les prätres, j'en conviens,
quoiqu'il y en ait grand nombre, qu'il serait au moins bien utile.
*) Abschrift pag. 13: Je loue l'institution des Cooles normales; mais
je pr^f^rerai . . .
*J Abschrift pag. 56.
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262 Bahlmann, Heft 8.
si non n^ceßsaire d'admettre höre des convente, par exemple celle
d'mterrompre de temps en temps son travail pour se recueilÜr et se
remettre en la pr^sence de Dieu etc.; mais le signe de frapper des
mains, dont se servent les Sup^rieure chez les Peres de la Trappe,
pour en detenniner les moments, ne peut 6tre pratiqu6 avec succ^s,
que dans une compagnie, dont la plupart des membres soient anim^
par le m^e esprit Mais ß'il est vrai, qu'au moins l'esprit du plus
grand nombre des pratiques de cloitre est un esprit de pi^t6, il ne
nous semble pas ä propos de blämer, en pr^sence des enfants et
Sans distinction, la pi6t6 des cloitres: et encore moins de vouloir la
rendre ridicide. On emp^herait, par la, absolument, tout le fruit, que
poiurait produire en eux l'exemple de bons Beligieux. 11 pourrait
m^e se faire, que les enfants de peur de se rendre ridicules, par
Tapparence d'une pi6t6 de cloitre, resisteraient aux mouvements de
la grace, qui les porterait ä la pi^t6, et se toumeraient du c6t6 de
rirr61igion.
L'auteur conseille Pag. 35^) „de faire Clever les enfants hors
de la maison patemelle, aussitöt qu'ils auront dix ou douze ans."
n est ä pr^sumer qu'on ne pourra point suivre ce conseil a la lettre.
Mtus peut-^tre pourrait-on arranger les choses de niani^re a remplir,
du moins en partie, le but que Tauteur parait avoir en vue, en cedant
enti^rement ä Tinstituteur et ä ses Kleves une des parties de la maison,
qu'on jugerait la plus convenable: il y coucherait, y d^jeunerait, j
dinerait etc. avec ses Kleves. On en defendrait Tentr^ ä tout
domestique dont le Service n'y serait pas absolimient n^cessaire. On
ne ferait jamais paraltre les enfants, lorsqu'il y a des ^trangers,
except6 dans quelques occasions bien particulieres. On parerait ainsi
aux dangere, aux quels Tauteur avec raison croit les enfants expos6s
du c6t6 des domestiques, des parents, des toangere etc. Et les
enfants ne perdraient rien du commerce si pr6cieux pour eux avec
leurs parents, si ceux-ci fixaient de certaines heures, auxquels on leur
amenerait leure enfants, pour leur donner leur bßn^diction et leur
dire, ce qu'ils trouveront bon.
L'auteur conseille Pag. 37^) de faire lire aux enfants des le
commencement les meilleurs auteure. II nous parait n^ssaire
d'observer ici, que les auteurs, qui effectivement sont les meilleurs,
ne doivent pas pour cela toujours ßtre considßr^s comme les meilleurs
aussi pour les enfants. Ce qui est destin6 aux enfants doit 6tre
analogue ä leur capacit^ et ä leur goüt: et ce n'est pas toujours le
cas des auteurs, qui ont le plus de valeur intrins^ue. Outre cela
*) Abschrift pag. 60.
•) Abschrift pag. 63: Quintilien conseiUe de faire hre d'abord et tou-
jours aux jeunes gens les meilleurs ^rivains — ego optimoß quidem et statim
et semper — II a grandement raison; car rien n'est plus propre a former le
gout, que la iecture assidue et r^^chie des beaux modales.
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1894. Bemerkungen der Fürstin von Gallitzin etc. 263
quand on fait lire aux enfants ces auteurs, avant qu'ils puissent les
comprendre en quelque fa9on au moins, et avant que d'ötre an 6tat
d'en trouver eux-mömes avec un peu de secours les beaut^, il en
resulte plusieurs inconvenients : 1. Ils s'accoutiunent ä admirer une
chose, non parce qu'ils la trouvent belle, mais parce que d'autres
Tadmirent, c'est-ä-dire, ä admirer ou plutöt ä imiter comme des perro-
quets Tadmiration des autres. 2. Hs perdent-Fenvie de lire ces auteurs
ä un Äge, oü cette lecture pourrait v^ritablenGient leur ^tre utile, parce
qu'ils croient les connaitre assez et qu'ils s'imaginent, qu'ils ne con-
tiennent pas plus de beaut^ et de choses utiles, que Celles qu'ils se
souviennent y avoir trouv^ ci-devant.
L'auteur conseille encore Pag. 37 *) „de faire Studier ä fond par
les enfants Horace lui-möme, quand ils seront en 6tat de Tentendre."
Cependant il dit lui-mdme du mßme Horace Pag. 57 2) ^^mais ne vous
y fiez pas: foenum habet in comu." II faut en conclure, que son
opinion n'est pas, de mettre Horace tout entier entre les mains des
enfants et des jeunes gens, mais qu'il pense avec nous, qu'il sera a
propos d'en faire des extraits, pour les donner aux 61^ves.
L'auteur dit aussi Pag. 37 ^ „faites les Studier aussi et apprendre
par coeur les plus beaux endroits de Virgile, de Salluste, de Tacite etc."
Ceci sera certainement fort utile, pourvu que cela ne se fasse que
bien a propos, tant pour la quantit^ que pour le choix du temps.
Quand on occupe trop la memoire, l'entendement dort; il faut donc
de quelque utilit^ que soit Texercice de la memoire n'en pas trop
faire. Quant ou temps le plus favorable, pour faire apprendre par
coeur aux enfants les plus beaux endroits des auteurs susmention^s,
il semble qu'il ne faudrait point commencer cet exercice, avant que
les enfants n'eussent appris par coeur les endroits pour eux les plus
int^ressants et les plus ais^s ä comprendre et les plus analogues a
leur äge du meilleur de tout les livres, de T^ficriture sainte; et s'il
fallait absolument n^gliger Tun ou Tautre, il serait plus desavantageux
Sans doute pour les enfants, qu'ils n'eussent point la memoire meubl6e
des pr^ceptes des exemples et des v6rit6s admirables contenus dans
les livres saints, que si Ton avait n6glig6 un peu plus de la leur
remplir des auteurs profanes.
L'auteur parait Pag. 47*) trouver les premiers chapitres de la
Genese difficiles pour des enfants. En effet ils le seraient, si on
voulait exiger que leur raison comprenne tout ce qui y est dit; ou
bien encore si on voulait leur faire part des explications mystiques
^) Abschrift pag. 64.
') Abschrift pag. 97 : On le prendrait pour un petit Saint, tant il fait
la chattemite et Socratids madet sermonibusl mais ne vous . . .
*) Abschrift pag. 64.
*) Abschrift pag. 77: Ce n'est pas que rexpUcation des premiers
chapitres de la Grenese soit ais^; tant s'en fauti
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264 Bahlmann, Heft 8.
ou d'autres explications fort recherch^s, que quelques savants ont
hasard^ sur ces chapitres. Mais il n'est ni nfeessaire ni mdme bon
d'en user ainsi. II est m^me impossible d'expliquer enti^rement le
Comment de ce qu'il y a de mysterieux dans ces chapitres; la m^rae
difficult^ se trouve dans tous les mysteres, que Dieu nous a rev616.
Mais si on n'exige des enfants que de bien retenir les faits, qui y
sont 6nonc^s et de les croire comme ils y sont racont^, en soumet-
tant leur raison ä la Foi, comme il est toujours convenable de le
faire ä moins qu'il ne soit bien clair que teile ou teile expression
ne puisse pas ötre prise ä la lettre, toute difficult6 s'^vanouit, et ces
chapitres n'ont rien que d'interessant pour eux. Je ne sais point,
quel droit nous aurions d'en exiger davantage des enfants ? Que les
savants se hasardent de donner, inquirendi causa, comme dit saint
Augustin, des explications savantes, qui s'^loignent du sens litt^ral
a la bonheur; mais elles ne sont pas faites pour les enfants, et
les savants aussi bien que ceux, qui ne le sont pas, 6vitent le plus
surement le danger de s'^carter de la v6rit6, en ne s'61oignant du
sens litt^ral, que lorsqu'il est bien clair, qu'il ne saurait ^tre pris ä
la lettre.
Ce que Tauteur dit Pag. 46 et suivantes^) sur le sublime et
les beaut^s oratoires de la sainte ficriture est surement bien vrai;
mais qu*on aie soin de ne pas trop recommander aux enfants et aux
jeunes gens la sainte Venture par ce cöt6-lä, et de ne point exiter
en eux le d^sir de la lire, sous ce point de vue si toutes fois on
veut, qu'ils en retirent le fruit, que Dieu veut que nous en retirions.
Or, eile nous a 6t6 donn§ pour nous faire parvenir ä la connaissance
de la v6rit6 et au saint amour: mais pour y parvenir il faut que
nous la lisions en vue d'atteindre au but, c'est-ä-dire, en vue d*ac-
qu6rir la connaissance de la v6rit6 et le saint amour. Quiconque
cherche autre chose en ^tudiant la sainte Venture, comme le feraient
les enfants, auxquels on aurait cherch6 ä la rendre interessante en
dirigeant principsdement leur attention sur la beaut^ de Fenveloppe,
sous laquelle eile nous presente la v^rit^, sera 6bloui par cette
enveloppe; s'y arrötera, en l'admirant, et n'appercevra que difficilement
ou peut-^tre m^me n'appercevra-t-il jamais le tr^sor cach^ sous cette
enveloppe. Mais si d'un cöt^ il semble important de diriger en
premier lieu toute Tattention des enfants et des jeunes gens au but
essentiel des saintes ficritures, parce que Thomme surtout ä cet äge
n'est que trop naturellement port^ a amuser son Imagination de ce
qui lui plait plutöt, que de se nourrir de ce qui lui est salutaire;
il n'est pas n^essaire non plus de leur cacher les beaut^s, dont nous
parlons. On peut leur dire, que la sainte Ecriture, mßme prise de
ce cöt^lä, ne le c6de ä aucun Uvre au monde, mais que c'est surtout
par Tavantage inestimable de nous presenter les titres de notre
') Abschrift pag. 76—83.
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1894. Bemerkungen der Fürstin von Gallitzin etc. 265
bonheur et les marques de nous en assurer, qu'elle est pr^cieuse et
pr^ferable a tout autre livre et que la connaissance de la v^rit6 et
Taugmentation de Tamour en nous doit toujours ötre ce que nous
recherchions principalement en la lisant.
La mani^re, dont Tauteur conseille Pag. 50 — 51 ^) de faire
apprendre aux enfants la g^graphie, est excellente. Mais il ne faut
pas s'imaginer que tous les enfants ou möme la plupart seulement
v^rifieront ce que Tauteur dit „laissez les faire, ils auront bientöt
imit6 ce modele." La plupart des enfants doit ötre excit^s et en-
courag^s de diff^rentes manieres, pour aller au bout d'un ouvrage,
qui dure quelque temps, et pour y mettre le soin et Tattention n6-
cessaire.
Pag. 56 — 57*): Je nous semble, que le meilleur usage, qu'on
ppurrait faire de la morale des plus sages philosophes de Tantiquit^
*) Abschrift pag. 86 f.: La g^graphie et la Chronologie passent avec
raison pour les deux yeux de Thistoire. Je conseiUe surtout P^tude de la
g^ographie, non pas conune on la fait apprendre ä la jeunesse dans des Hvres
morteUement ennuyeux, mais en faisant travailler vos enfants eux-m^mes ä
la confection d*un globe terrestre de deux ou de trois pieds de diam^tre.
On leur donnera seulement ce globe en blanc, avec les m^ridiens et les cercles
de latitude trac^ de dix en dix degr^s. Qu'ils aeint avec cela un autre globe
terrestre sous les yeux, enti^rement dessin^ ou grav^; et laissez les faire:
ils auront bientAt imit^ ce modele, et pour peu qu'ils se sentent d'attrait
pour la g^graphie, vous les verrez travailler avec ardeur k cette espfece de
cr^tion.
Les cartes g^ographiques doivent succ^er ä ce premier travail; pro-
posez leur d'abord la carte de leur pays ä faire sur une ^helle di ff freute
de Celle que vous leur aurez mise entre les mains. Demandez leur en suite
Celles des quatre parties du monde. Vous finirez par en obtenir et leur faire
comprendre la protection de la mappemonde; ce qui suffira pour les fairer
dans r^tude de l'histoire et pour leur faire Hre avec fruit jusqu'ä la plus
miserable gazette.
Un atlas g^ographique est un bon meuble d'^ducation; je n'en connais
point de comparable k celui de DanviUe [i. e. J. B. d'Anville f 1782].
*) Abschrift pag. 95 f. : Tous vos soins , tous voe efforts doivent se
bomer alors k en faire im parfait honnöte homme.
L'^tude de la morale peut seul atteindre ce but essentiel, pourvu que
cette ^tude, encore une fois, soit pr^c^d^, accompagn^e et suivie de bons
exemples dans toute Tatmosph^re de FMucation, et que parente, maitres,
condisciples et domestiques soient tous gens de bien.
Or la morale chr^tienne Pemportant infiniment sur celle des plus sages
philosophes de Fantiquit^, on peut k la rigueur pour la premi^re jeunesse
s*en tenir aux pr^ceptes de rfevangile, et dire avec Eousseau „Philosophe,
tes maximes sont belies, mais montre m'en la sanction", en comparant les
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266 Bahlmann, Bemerkungen der Fürstin von GalUtzin etc. Heft 8.
serait d'en mettre las plus beaux endroits sous les yeux des enfants,
pour leur prouver par la, qu'aucune sagesse humaine n'a jamais pu
atteindre ä Tä^vation et ä la simplicit^ du saint Evangile, que les
Philosophes ne nous ont rien dit de vrai et d'mt^ressant, qui ne se
trouve aussi dans le saint Evangile, qu'on trouve dans les Philosophes
des v^t^ entrem^l^s de mensonges, au Heu que le saint ^^vangile
ne contient que la v^rit6 toute pure, qu'enfin les vertus, que le saint
Evangile nous reconunande le plus, parce qu'elles nous sont les plus
necessaires pour parvenir au vrai bonheur et parce que sans elles il
n'existe point d'autres vertus v^ritables, Thumilit^ et la charit6, telles
que le saint Evangile les presentent, [sie!] ^taient des vertus tout ä
fait inconnues aux philosophes.
Auf die Abhandlung des Abb^ Marie*) selbst näher einzu-
geben, verbietet uns leider der Baum. Sie enthält weit mehr,
als die einleitenden Worte des Verfassers „Ce n'est pas un trait^
d'^ducation, que j'ai pr^tendu faire, c'est une simple lettre que
j'adresse a un p^re de famille que j^honore et que j'aime; il m'a
consult^ sur l'^ucation de ses enfants, je voudrais bien lui ^tre
utile*" vermuten lassen.
ouvrages de Pancienne philosophie avec l'^vangile, dont il dit si profond6-
ment, que Tinventeur serait plus pulssant que le h^roe.
Quiconque a d6jä acquis une certaine exp^rience, doit cependant lire
quelques-uns des philosophes les plus renomm^, parmi les Stoiciens sur-
tout. [etc.]
*) in der Abschrift 121 Seiten 4^
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B. Besprechungen.
Natorp) Beligion innerhalb der Grenzen der Humanität.
Ein Kapitel zur Grundlegung der Sozialpädagogik. Freiburg L Br.
u. Leipzig 1894 (120 8.).
Die sehr beachtenswerte Schrift Natorps möchte dem Frieden
dienen, dem Frieden nicht nur zwischen den verschiedenen Bekennt-
nissen, sondern auch zwischen Religiösen und Jrreligiösen; aber der
Verfasser verhehlt sich nicht, dass er einstweilen von beiden Seiten
scharfe Angriffe zu gewärtigen hat. Er ist ein Bürger der Zeiten,
welche kommen werden. Durchaus Optimist in Bezug auf die Zukunft
des Menschengeschlechtes, kann er die bestehenden Zustände weder
auf religiösem noch auf sozialem Grebiet gut finden. Dass die
Menschheit zerrissen ist, sollte nach ihm nicht sein. Die Menschheit
soll eine Einheit sein. Eine solche das ganze Menschendasein
umspannende Gremeinschaft ist aber nur möglich durch die Gemein-
schaft der Bildung. Der Unterschied der Klassen entbehrt auf dem
Gebiet des Bildungswesens jeglichen logischen und sittlichen Rechtes.
Das Ideal des Comenius ist hier das des Verfassers. Harmonische
Ausbildung aller Kräfte wird gefordert. Bildung zur Arbeit, also
physische Bildung soll der gegebene Ausgangspunkt für alle sein.
Mit Recht findet anderseits Natorp das Mass der heute den Arbeitern
im Volksschulunterricht gebotenen geistigen Bildung viel zu gering
und verlangt insbesondere gründlichen naturwissenschaftlich-technischen
und soziologisch -historischen Unterricht, und ein solcher imifasst eben
die wesentliche Grundlage der intellektuellen Bildung für alle. Was
die sittliche Bildung betrifft, so spricht Natorp goldene Worte gegen
die leider noch immer vorherrschende Meinung, „dass sich Moral
einpredigen oder, wenn die Predigt leider wirkungslos verhallt, durch
Zucht und Strafe aufzwingen lasse. Gehorsam, Disziplin, das scheint
fast das vornehmste sittliche Ideal des Zeitalters zu sein. Dass
solche Ansicht von moralischer Erziehung aller edleren Sittenlehre
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268 Besprechungen. Heft 8.
in '8 Gesicht schlägt, kann man nicht wohl übersehen, aber diese
edlere Sittenlehre, denkt man wohl, gelte nur für die Auserlesenen,
für die Massen wird davon einfach abgesehen". Nicht Grehorsam,
sondern Grerechtigkeit ist die Kardinaltugend des Gemeinschafts-
lebens, und sie wird inmier nur durch Einleben in die sittlichen
Formen menschlicher Gremeinschaft, nicht durch Lehre gewonnen.
Aber mit diesen Formen eben steht es noch sehr übel nach Natorp,
und er verhehlt nicht, dass er ihre völlige Umgestaltung erwartet
und für geboten hält — eine Auffassung, die doch in letzter Zeit
wahrhaft reissende Fortschritte zu machen scheint, und der auch die
Kirchen sich nicht mehr völlig verschliessen. Aber auch eine völlige
Umgestaltung eben der Kirchen schwebt Natorp als Ideal vor, doch
eine solche, dass dabei von dem, was der Kern der Religion in ihren
besten Vertretern zu aller Zeit gewesen ist, nichts verloren gehen
solle. Dieser Kern aber ist der Glaube an die unbedingte Realität,
die unüberwindliche Kraft, folglich den unausbleiblichen Sieg des
sittlichen Ideals in der Menschheit; anders ausgedrückt die Begrün-
dung des Reiche^ Gottes auf Erden. Geistreich wird erörtert,
wie das Christentum, durch die Nichtwiederkunft Jesu in seinem
Grundcharakter verändert, zu übertriebener Weltverachtung kam, und
wie erst die Reformation die Welt gleichsam rehabilitiert, wie durch
Luther in Anlehnung an die Gleichstellung der beiden grössten Gebote
das Gebot der Liebe Grottes ganz und gar in die Liebe des Nächsten
gezogen wird. Das ist aber der Punkt, den alle gelten lassen können,
ja müssen. Auch dem Gott über den Wolken will durch Liebe des
Nächsten gedient sein, und auch der irreligiöse, aber gute Mensch
wird die Macht der Liebe als etwas Göttliches empfinden. Darum
können und sollen den Satz „Gott ist die Liebe" wirklich alle Zungen
bekennen. Aber diesem Herrlichsten, das der Greist empfangen,
dränge auch hier fremd und fremder Stoff sich an. Die Wurzel der
Religion sieht Natorp mit Schleiermacher im Gefühl, einem Sonder-
gebiet des Bewusstseins neben Erkenntnis, Wille und schaffender
Phantasie. Schlimm ist es nun, dass die Religion diese Gebiete
beherrschen, ihnen Gesetze vorschreiben will, dass sie — man könnte
sagen: in doppeltem Sinne — transscendent wird. Möchte sie doch
über alle Erfahrung hinausgehen, wenn sie sich nur nicht mit aller
Erfahrung in Widerspruch setzen wollte! Möchte sie sich statt der
Dogmen mit Symbolen begnügen! Dann fielen die Schranken, nicht
nur zwischen den Andersgläubigen, sondern auch für die heute
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1894. Besprechimgen. 269
^Ungläubigen", mindestens für die, welche jetzt aus Religion keine
Religion bekennen, wäre Raum in den Kirchen. Welch ein Ziel
aufs innigste zu wünschen! Aber unerreichbar fem, werden die
meisten hinzufügen. Und doch ist nicht neben andren Erscheinungen
der Widerhall, den v. Egidys naives Büchlein in Tausenden von
Herzen gefunden hat, ein Sympton dafür, dass der Zustand faulen
Friedens, in dem die Mehrheit der Grebildeten mit ihren Kirchen lebt,
je mehr und mehr als unerträglich empfunden wird? Wahrhaftigkeit,
die reine soll uns alle, die welterhaltende erretten. Wahrhaftigkeit
denn vor allem in der Erziehung! Mit überzeugender Kraft schildert
Natorp das Verderbliche des bestehenden dogmatischen Religions-
unterrichts, der bei Unzähligen das Gegenteil des Gewollten bewirkt
und fordert einen undogmatischen, confessionslosen Unterricht. Mit
Recht, bedünkt uns, ist er der Meinung, dass kein Moralunterricht,
wie man ihn in Frankreich eingeführt, den unvergleichlichen Wert
des Evangeliums ersetzen oder erreichen könne; aber nicht der Glaube
an die buchstäbliche geschichtliche Wahrheit, sondern der Glaube an
den sittlichen Wert des Evangeliums sei Seele und Ziel des .Unter-
richts! Viele werden die Möglichkeit solchen Unterrichts bestreiten,
Natorp betont, dass er in England bestehe. Welche befreiende
Wirkung, besonders auch für unzählige Lehrer seine Einführung
haben würde, liegt auf der Hand; aber dass sie in absehbarer Zeit
bei uns erfolgen werde, kann man kaum hoffen. Dass ein Vorschlag
Grosses verspricht, ist ja nach John Stuart Mills bitterwahrer Bemer-
kung für die grossen Realpolitiker schon Grund genug, ihm nicht
näher zu treten. Man soll deshalb doch nicht verzagen. „Der
Realpolitiker behält für den Augenblick Recht, den Ideen folgen die
grossen Zeiträume." Die ideenreiche Schrift Natorps sei denn allen
Freunden der Wahrheit und des Friedens warm empfohlen. Bezie-
hungsvoll erinnert sie im Titel an die vor 100 Jahren erschienene
Schrift der Königsberger Weisen; sie darf daran erinnern.
Einbeck. Dr. O. A. Ellissen.
Comenii Lesnae excidinm und Vindicationis famae et con-
scientiae calumnia tertia et quarta. Herausgegeben von Prof. Dr.
Franz Nesemaim, Oberlehrer am Königl. Gymnasium zu Lissa i. P.
Beilage zum Programim des Königl. Gymnasiums zu Lissa i. P.,
Ostern 1894. Lissa, Buchdruckerei von O. Eisennann.
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270 Besprechungen. Heft 8.
Zwei geschichtliche Quellen von hohem Werte sind durch diese
Arbeit allen denen zuganglich gemacht, welche über die Frage, ob
und in welchem Masse Comenius an dem Unglück von Lissa schuld war,
zur Klarheit kommen wollen. Noch vor zwei Jahren hatte Gindelj,
weiland Professor an der deutschen Universität in Prag und Landes-
archivar von Böhmen (gest. 1893), gegen Comenius die Anklage erhoben,
dass er die Polen gegen die Stadt Lissa aufgereizt habe, indem er,
der Bischof der böhmischen Brüder, von welchen ein grosser Teil
dort Zuflucht gefunden hatte, im schwedisch -polnischen Kriege ein
Beglückwünschungsschreiben an den Sieger, den König von Schweden,
richtete, auch die Prophezeiungen eines Geistlichen der Brüder, der
in den schwedischen Siegen eine Erfüllung derselben erblickte,
während jener Zeit zum Trost der unterdrückten Glaubensgenossen
veröffentlichte (vgl. Monatshefte II, Heft 8 u. 9, 8. 239 ff.). Es ist sehr
zweifelhaft, ob Gindely diese Anklage erhoben haben würde, wenn
er jene beiden nunmehr von Dr. Nesemann herausgegebenen Zeug-
nisse des Comenius über die Sache gekannt hätte. In dem ersten
erzählt Comenius als Augenzeuge die Zerstörung Lissas noch in dem-
selben Jahre 1656, in welchem sie erfolgt war, also noch unter dem
frischen Eindruck des Unglücks, das auch ihm und seiner Familie
alles geraubt hatte. Er hat noch in lebhafter Erinnerung alle die
Umtriebe, Verleumdungen, Verschwörungen, in welchen sich der Hass
der katholischen Polen gegen die Evangelischen, besonders gegen das
aufblühende Lissa schon seit vielen Jahren kimd gegeben. Er erzählt
uns, wie man, während der schwedische König in Preussen weilte,
Jesuiten und Mönche nach allen Richtungen aussandte, um das Volk
gegen die Evangelischen aufzuhetzen, bis es zu blutigen Verfolgungen
an verschiedenen Orten kam imd zuletzt auch zur Zerstörung Lissas.
Das zweite Zeugnis ist so, wie es lateinisch lautet, herausgehoben
aus einer Schrift, in welcher Comenius Ehre und Gewissen verteidigt
gegen die Verleumdungen eines polnischen Professors der Theologie,
Namens Nicolaus Arnold. Zwei von ihnen betreffen nämlich das
Unglück von Lissa; es sind gerade die, auf welche auch Gindely
seine Anklage gegen Comenius stützte. Das Beglückwünschungs-
schreiben an den schwedischen König soll die Fackel zum Brande
von Lissa gewesen sein. Wie war dies möglich, da er ja nur dem
Beispiel der Katholiken folgte, welche bereits Lobgedichte auf den
Sieger veröffentlichten? Zudem kann Comenius beweisen, dass den
polnischen Geistlichen nicht bloss vor der Zerstörung Lissas, sondern
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1894. Beeprechungen. 271
auch noch lange nachher der Verfaßser jenes Beglückwünschungs-
schreibens ganzlich unbekannt gewesen sei, ja noch mehr, dass sie mit
seinem wesentlichen Inhalt einverstanden gewesen bis auf die Forderung
gleichen Rechtes für alle ohne Unterschied des Glaubens. Die zweite
Anschuldigung gründet sich auf die von Comenius veröffentlichten
Weissagungen. Durch sie sollen die Bewohner von Lissa sicher und
sorglos gemacht worden sein. Dagegen macht Comenius geltend,
dass fast niemand in Lissa jene Weissagungen gekannt habe, und
dass er selbst öffentlich wenigstens die Deutschen und Polen zur
Flucht nach dem benachbarten Schlesien angetrieben habe, wo sich
Bekannte und Verwandte ihrer annehmen würden. Für sich und
die Seinigen freilich habe er es fürs Beste geboten, sich in Gottes
Hand zu geben, denn sie hätten niemand gekannt, der für sie, die
Fremden, die Verbannten, eintreten würde. Wir wissen freilich aus
Briefen des Comenius, dass er sich zuletzt doch genötigt sah, sein
Heil in der Flucht zu suchen.
Bei der Herausgabe der beiden Schriftstücke ist mit peinlichster
Sorgfalt zu Werke gegangen. Das gilt nicht bloss von der Her-
stellung des lateinischen Textes, sondern auch von der Fülle histo-
rischer und philologischer Anmerkungen, welche das Verständnis
wesentlich erleichtern.
Hagen (Westf.) Prof. W. Bottichen.
Dem in Lebensbeschreibungen und Einzelschriften auf dem
Gebiete der Comenius - Forschung bisher Geleisteten reihen sich
„Zwei Abhandlnngeu des Johann Arnos Comenius" (Hannover-
Linden 1894) in sehr zweckdienlicher Weise an, deren Übersetzer
Prof. Dr. C. Th. Lion ist. Das von Comenius in seinen Opp. did.
omn. in, p. 758 — 775 gezeichnete Musterbild eines guten Lehrers
möchte der Übersetzer in der ersten der beiden Abhandlungen „Über
die Vertreibung der Trägheit aus den Schulen" der Lehrerwelt
jeglicher Schidgattung zur Nacheiferung vor Augen halten, zugleich
zu seiner Übersetzung durch mancherlei Unrichtigkeiten einer früheren
von J. Beeger und Dr. J. Leutbecher (Leipzig 1874) besorgten
veranlasst Es ist die ernste und mühsame „Hebammenenkunst für
die Geister**, deren Arbeit erfordernde Regeln der für Verwirklichung
seiner Theorien unermüdlich thätige Meister der Didaktik hier in
dieser ersten der beiden Abhandlungen in Anknüpfung an das
bekannte sokratische Bild entwickelt imd neu einschärft. Es handelt
sich ihm um nichts Geringeres als um die Entbindung alles Hohen
Monatshefte der Comenlua-Gesellächaft. 1894. j^q
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272 Besprechungen. Heft 8.
und Guten der noch bildsamen Menschennatur durch die Lehrerhand,
in die er diese Hebanunendienste gelegt sieht, „um glücklich die
schöne Geburt der Weisheit, die gestaltreiche der Beredsamkeit, die
lebensfrische und lebenskraftige der Tugend an's Licht zu fördern".
Die Schule — eine Arbeitsstätte, ein Schauplatz frischer geistiger
Bewegung, der Lehrende — ein Mann von Kenntnissen , von aus-
gedehnter Weite des Gesichtskreises, init regsamer eigener Lebendigkeit
und voller Hingabe an die klar erfasste Berufspflicht die Lernenden
mit sich fortreissend. Das sind die schlichten Forderungen, die
Comenius erhebt, denen er dann noch andere, an die Schul Vorsteher
und an die Eltern gerichtete, anreiht. — „Aus den Schul-Laby-
rinthen Ausgang in's Freie" betitelt sich die zweite von Lion
übersetzte Abhandlung, eine gedrängte Übersicht der das geeignetste
Lehrverfahren erhellenden Pläne und Anschauungen des Comenius, —
daher auch der charakteristische Neben titel: „Mechanisch kon-
struirte Lehrmaschine, um (bei den Lehr- und Lemobliegenheiten)
femer nicht stecken zu bleiben, sondern vorzuschreiten". Als das
Ziel der Schulen bezeichnet Comenius dies, „dass sie den Menschen
seinem Ziele anpassen, d. h. durch alles, was die menschliche Natur
vervollkomnmet, ausbilden", und aus allen Labyrinthen, in die er
das Schulwesen verirrt sieht, zeigt er den einen Ausweg: „Weniges,
aber für das Leben (das diesseitige wie das jenseitige) Notwendiges"
soll die Schule darbieten; „Weniges, aber durch Übungen gut
befestigt; Weniges, aber dessen Nutzanwendung man beherrscht" —
Wir bemerken noch, dass der Phantasie- und Bilderreichtum, der dem
Comenius zu Gebote steht, der dichterische Zug und der plastisch
ausgestaltende Trieb seiner Natur, den er nicht verleugnen kann,
auch seine Neigung zu biblischen Anklängen zumal in der ersten
Abhandlung stark zu Tage tritt Li betreff der Genauigkeit der
Wiedergabe haben wir Grund, dem gerade auf diesem Gebiet be-
währten Übersetzertalente Lions zu vertrauen; wir sind ihm dankbar,
dass er die beiden kleinen und interessanten Schulabhandlungen
einem erweiterten Leserkreise aufs neue zugänglich gemacht hat.
Möge dieser Leserkreis sich finden vor allem innerhalb „der gesamten
Lehrerwelt jeglicher Schulgattung".
Seebach bei Eisenach. K. Mämpel.
Uphues, Goswin K., Über die verBchiedenen Bichtongen
der psychologischen Forschung der Gegenwart. (Introspective
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1894. Besprechungen. 273
und physiologische Psychologie und die Überschätzung der letzteren.)
Vortrag, gehalten in der Versammlung des Lehrervereins zu Halle a. S.,
den 17. April 1894. (Halle 1894.) 11 8.
Die ältere Psychologie ist durchwegs beherrscht vom Substanz-
begriff. Wie man in der Naturwissenschaft die Substanztheorie auf-
gegeben hat und die Naturerscheinungen nicht mehr mit Hilfe von
elektrischen, magnetischen und anderen Vennögen und Kräften er-
klärt, sondern dieselben aus allgemeinen Bewegungsgesetzen ableitet,
so kam man auch in der Psychologie von der Substanzentheorie ab,
welche die Erscheinung des seelischen Lebens als die Äusserungen
einer metaphysischen Seelen Substanz zu erklären trachtet, und be-
schränkt sich auf die Analysis des erfahrungsmässig Gegebenen. Er-
fahrungsmässig gegeben ist uns eine Gruppe zusammengehörender, ein
Ganzes bildender (vergangener, gegenwärtiger, zukünftiger) Bewusst-
seinsvorgänge. Man kann nun die Bewusstseinsvorgänge rein für
sich oder in ihrer Beziehung zum Leibe untersuchen; das erste thut
die introspektive, das letztere die physiologische Psychologie. Die
Vertreter der letzteren behaupten zuweilen, dass nur die physiologische
Psychologie eine wissenschaftliche Erkenntnis gewähre, jedoch mit
Unrecht. Denn die Untersuchung der Abhängigkeit der Bewusstseins-
vorgänge vom Leibe ist ohne vorhergehende Kenntnis und Analyse der
Bewusstseinsvorgänge für sich nicht möglich. Auch ist das Körper-
liche nicht der nächste Gegenstand unserer Erfahrung, sondern ein
Jenseits unseres Bewusstseins. Das unmittelbarste und daher sicherste
Wissen gewähren uns offenbar die Bewusstseinsvorgänge selbst Wenn
wir auch dem Bewusstseinsinhalt und insbesondere der Vorstellung
der Aussenwelt die Realität absprechen wollten, das Vorstellen selbst,
der Bewusstseinsvorgang, liesse sich nicht leugnen. Von den That-
sachen des Bewusstseins aus hat somit alles Wissen seine Begründung
zu erfahren. Wenn wir ein Wissen von unseren eigenen, insbesondere
von den gegenwärtigen Bewusstseinsvorgängen nicht zu gewinnen ver-
möchten, dann müssten wir überhaupt auf die Erlangung desselben
verzichten. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, Berechtigung und
Notwendigkeit der introspektiven Psychologie. Die Untersuchung über
die Grenzen, den Umfang und die Tragweite unseres Erkenntnisver-
mögens hat die introspektive Psychologie zur Voraussetzung. Letztere
ist auch die Grundlage der physiologischen Psychologie und schliesst
diese ein. Denn unser Leib ist für unser Bewusstsein etwas Trans-
cendentes, wir haben von ihm nur Vorstellungen. Insofern handelt
19*
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274 Besprechungen. Heft 8.
es sich auch in der physiologischen Psychologie nur um Untersuchun-
gen über unsere Bewusstseinsvorgänge, die physiologische Psychologie
wird somit zu einem Teil der introspektiven. Sofern man das Trans-
cendente als Vorstellung auffasst, vermag man nicht zu erklären,
wie ein kausaler Zusammenhang zwischen den an sich wirklichen
äusseren Vorgängen und den Bewusstseinsvorgängen stattfindet. „Wenn
wir von einer Entstehung der Bewusstseinsvorgänge aus körperlichen
Vorgängen und umgekehrt reden, so verstehen wir unter den körper-
lichen Vorgängen nicht die Vorstellungen, die wir davon haben, son-
dern wirkliche körperliche Vorgänge, also etwas Transcendentes."
Körperliches und Geistiges stehen nicht in einer derartigen Verbin-
dung, dass eines aus dem anderen hervorgeht, sie bedingen jedoch
einander gegenseitig. Die grosse Verschiedenheit der beiderseitigen
Vorgänge drängt uns anzunehmen, dass ihre Zusanmiengehörigkeit
nicht in ihnen selbst den Grund haben kann, sondern in einem zweiten
über beiden bestehenden Transcendenten. „Dieses zweite Transcendente
ist freilich nur ein Postulat, ein theoretisches, durch unser
Denken gefordertes Postulat, das wir aufstellen, um uns die
Entstehung gewisser Bewusstseinsvorgänge insbesondere
der Empfindungen und weiterhin die Beschaffenheit unseres
Bewusstseins, die Richtung desselben auf das Transcen-
dente und den unaufhaltsamen Drang desselben zum Trans-
cendenten hin zu erklären." Die Theorie des Parallelismus zwischen
körperlichen und seelischen Vorgängen wäre demnach abzuweisen.
Dies in Kürze der Inhalt des verdienstvollen Vortrages von
Uphues; derselbe ist der Ausfluss einer berechtigten Gegnerschaft
gegenüber der herrschenden Überschätzung der physiologischen Rich-
tung der Psychologie. In der Psychologie zumal thut auch erkenntnis-
theoretische Besinnung not, wie sie Uphues übt.
Univ. Czernowitz. R. Hochegger.
Stötzner, Faul, Dr. phil., Beiträge zur Würdigung von
Johann Balthasar Schupps lehrreichen Schriften. Leipzig, Ver-
lag von Richard Richter, 1891. Preis 2,40 Mk.
Stötzner verzichtet auf eine eingehende Darstellung von Schupps
Leben und beginut sein Buch mit einer erspriesslichen Kritik der
seit 1857 merklich zunehmenden Schupplitteratur. Die in den ein-
zelnen Arbeiten sich vorfindenden Irrtümer werden auf Grund selb-
atändiger Forschung und unter Benutzung der gesamUm einschlagenden
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1894. Besprechungen 275
Veröffentlichungen berichtigt. An der Hand der fünf Gesamtausgaben
der lehrreichen Schriften aus den Jahren 1663, 1677, 1684, 1701
und 1719 bespricht er nach einander die von Schupp ursprünglich
lateinisch geschriebenen Traktate, die von ihm selbst veröffentlichten
deutschen, die nach seinem Tode gedruckten und die in den gesammel-
ten Schriften nicht von ihm verfassten. Über seine Quellen und deren
Bearbeitung dim;h ihn, über die Entstehungszeit, den Zweck und die
Bedeutung jeder Schrift und über ihre Beziehungen zur zeitgenössischen
Litteratur verbreitet sich Stötzner mit bewundernswertem Scharfsinn.
Im Anhange befindet sich der von Lambecius stammende Lebenslauf
Schupps. — Nach meiner Meinung ist es Stötzner gelungen, durch
beweiskraftiges Material innerhalb der Reihe sogenannter Schuppscher
Schriften die echten von den unechten zu scheiden und somit einen
wichtigen Beitrag zur Lebensgeschichte eines bedeutenden Mannes des
17. Jahrhunderts zu liefern.
Berlin. R. Aron.
C. Nachrichten.
Zu Crossen a. O. residierte seit 1650 die Mutter Friedrich Wil-
helms, des Grossen Kurfürsten, Elisabeth Charlotte von der Pfalz, die
Tochter des Winterkönigs und Gemahlin Georg Wilhelms, der das Fürstentum
Crossen als Leibgeding überwiesen war. Die Fürstin, die dort oft die Besuche
ihres Sohnes empfing, liess sich das Wohl ihres Fürstentiuns sehr angelegen
sein und widmete namentlich auch der Lateinschule zu Crossen ihre Auf-
merksamkeit. Da ist es nun interessant, dass wenige Jahre nach ihrer
dortigen Niederlassung ein Mann an die Spitze der Schule trat, der uns
an dieser Stelle besonders interessiert — der Konrektor (seit 1654) und spätere
Rektor Gottfiried Rothe (f 14. April 1695), über den Direktor Dr. Friedrich
B erb ig in Crossen in seinen soeben erschienenen „Nachrichten aus Urkunden
der lateinischen Schule zu Crossen" (Wiss. Beilage zum Programm des
Realgymnasiums 1894, II. Teil, S. 15 f.) uns Mitteilungen macht. Der
gelehrte imd friedfertige Rothe hatte seine Vorbildung in der Brüderschule
zu Lissa erhalten und bezeichnet Comenius als seinen Lehrer, den
er in seiner selbstverfassten Lebensbeschreibung einen „weltberühmten Mann"
nennt. Dann war er nach Freistadt in Schlesien gekommen und hier wegen
seiner Religions-Anschauungen vertrieben worden ; in ihm hatte die Kurfürstin
den geeigneten Mann für ihre Schule erkannt, und seine mehr als 40jährige
Wirksamkeit hat ihr Recht gegeben. Es wäre von Wichtigkeit, wenn man
den Einfluss näher untersuchen könnte, den die Brüderschule in Lissa durch
ihre Lehrer und Schüler gewonnen hat; dass auch das s. Z. berühmte
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276 Nachrichten. Heft 8.
Gymnasium Schonaichianum in Beuthen zur Brüderschule Beziehungen
besass, haben wir bereits früher erwähnt (M.H. der CG. 1894, 8. 237).
Ein interessantes Urteil ttber die bl^hmischen Brttder in der Zeit, wo
Comenius seine Laufbahn begann, findet sich in dem soeben erscheinenden
zweiten Bande der „Deutschen Geschichte im Zeitalter der Gegen-
reformation und des dreissigjährigen Krieges" von Moritz Ritter
(Bibliothek deutscher Geschichte, hrsg. von Zwiedineck-ßüdenhorst, Stuttg.,
J. G. Cottas Nachfolger, Lief. 75 ff.). Dort heisst es (II, 271) bei Besprechung
der Lage der Protestanten in Böhmen: „Die G^emeinden beider Teile (der
Lutheraner und der Brüder) blieben in der alten Trennimg bestehen, wobei
diejenigen der Brüder durch den Ernst ihrer Sittenzucht, die Wärme des
Grottesdienstes, die Blüte ihrer niederen imd mittleren Unterrichtsanstalten
weitaus hervorragten. In der gemeinsamen Oberbehörde des Konsistoriums
musste durch Vereinbarung der Stände innerhalb der zwölf Mitglieder eine aus
drei Angehörigen der Brüdergemeinschaft bestehende besondere Abteilung
geschaffen werden; vor dieser und zwar von einem ihr angehörigen Senior
(Bischof) empfingen die Geistlichen der Brüder ihre Ordination. Nicht zur
Milderung der Gregensätze konnte es denn auch dienen, dass der Lehrstreit
über das Abendmahl nach Böhmen übergriff. Während in dieser Frage die
Brüder, dem verwandtschaftlichen Zuge ihres alten Bekenntnisses folgend, sich
mit Vorliebe der calvinischen Lehre zuwandten, hielt sich der andere Teil
der böhmischen Protestanten, wenn auch nicht mit besonderem Eifer, zur
lutherischen Auffassung. Dem Zahlenverhältnis nach waren diese Lutheraner
die weitaus stärkere Partei; die Brüder erscheinen, besonders innerhalb des
Adels, als eine kleine Minorität. Aber einmütig und an Zucht gewöhnt,
wie diese Minderheit war, ging aus ihrer Mitte, wie in Mähren der Herr
von Zerotin, so in Böhmen als der umsichtigste und kräftigste Führer
der protestantischen Partei Wenzel von Budowec hervor. Solchen
Männern gegenüber bildete der lutherische Adel, wenn er auch von den etwa
1400 Familien des böhmischen Adels über 1000 zu den seinigen zählen
mochte, eine hin und her wogende Masse, die gleich ihren österreichischen
Grenossen über ihren G}elagen den Ernst der Sache, über gewaltthätigen
Antrieben das Gebot politischer Zucht übersah; hinterlistige Streber wie
Wenzel Kinsky und kopflose Männer wie Matthias Thum übten in diesem
Kreise schon damals einen bedeutenden Einfluss aus." — Das Rittersche
Buch enthält auch an anderen Stellen Schilderungen und Nachrichten, die
für unser Forschungsgebiet von Wert sind. Wir können die Lesung des
Werkes unseren Mitgliedern umsomehr empfehlen, weil dasselbe unzweifelhaft
zu den bedeutendsten historischen E^cheinungen der jüngsten Zeit zu zählen
ist, und weil jeder, der von comenianischer Geistesrichtung berührt ist, in der
Art der Darstellung und Auffassimg einen verwandten Zug entdecken wird.
In Melle lebte um das Jahr 1660 als fürstlich Osnabrückscher Münz-
meister Hermann v. d. Hardt, der einer niederländischen, nach Deutschland
eingewanderten Familie angehörte. Dessen Sohn Hermann v. d. Hardt (geb.
15. Nov. 1660) gehört zu den Männern, deren Geschichte für uns ein be-
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1894. Nachrichten. 277
sonderes Interesse besitzt. H. v. d. Hardt der Jüngere besuchte die Gym-
nasien zu Osnabrück, Herford, Bielefeld und Coburg und bezog dann die
Universität Jena, wo er sich im Jahre 1683 als Privatdozent niederliess, um
nach 3 Jahren nach Leipzig überzusiedeln. Hier schloss er sich an die
Vertreter des sog. Pietismus an, trat mit A. H. Francke in Beziehung und
lebte einige .Zeit in Dresden in vertrautem Verkehr mit Phil. Jac. Spener.
Im Jahre 1688 nahm er einen Ruf als Geheimsekretär des Herzogs Eudolf
August von Braunschweig an und wurde 1690 Professor der orientalischen
Sprachen in Helmstedt, wo er am 28. Febr. 1746 starb. — Der merkwürdige
Mann hat einen umfassenden Briefwechsel unterhalten, und es ist ein
glücklicher Umstand, dass derselbe erhalten ist. Er ruht in der Hof- und
Landesbibliothek zu Karlsruhe, und Ferdinand Lamey hat im Jahre 1891
bei Ch. Th. Groos in Karlsruhe als Beilage I zum Verzeichnis der Hand-
schriften der genannten Bibliothek eine Übereicht über die Adressaten u. s. w.
unter dem Titel veröffentlicht: „Hermann van der Hardt in seinen
Briefen und seinen Beziehungen zum braunschweigischen Hofe,
zu Spener, Francke und dem Pietismus." — Es sind nicht weniger
als 17 Foliobände, um die es sich hier handelt, und die zur Geschichte des
sog. Pietismus ein reiches Material liefern. Wir nennen aus dem Verzeichnis
der Briefschreiber und Adressaten die Namen : E. Anckelmann, Paul Anton,
Daniel Arvidson, J. W. Bajer, H. Berckau, J. N. Blanck, B. Botsac, Aug.
Wilhelm, Herzog v. Braunschweig, Rudolf August v. Braunschweig, G. H.
BredehoU, J. H. Burckhard, J. B. Carpzov, Colbius, C. Corber, J. C. Depen-
brock, H. J. Ehlers, A. H. Francke, G. B. Gleyner, A. H. Gloxin, J. V.
Grossgebauer, Jo. Jac. Haak, Job. Heinr. Horb, H. Huthmann, Chr. Kort-
hold, C. Lange, J. v. Lautensac, Gottfr. Wilh. Leibniz, J. H. Lerche,
J. H. Leukefeld, W. M. Leukefeld, N. Lindenberg, P. 0. Martini, J. H.
Matthm, Sophie v. Mecklenburg, B. Mejer, C. Möller, H. G. Neuss,
Z. Noltenius, Joh. Wilh. Petersen, J. E. Petersen, Andr. Reinbeck, C. Sagit-
tarius, C. H. Sandhagen, Veit Ludw. v. Seckendorff, P. J. Spener, Frhr.
V. Stain, Joh. E. Thüo, H. Weiss, Eberh. Zeller.
Im Jahre 1894 wird zu Nürnberg ein Erinnerungsfest gefeiert werden,
das uns näher angeht, als es auf den ersten Blick scheint; es ist das 250jäbrige
Stiftungsfest des ^^Biumenordens^^ durch Phil. Harsdörf f er imd Joh. Klaj.
Wir lassen das geringschätzige Urteil, das heute über diese „Sprachgcsell-
schaften". üblich ist, auf sich beruhen ; obwohl es sich nicht ganz mit der That-
sache zu reimen scheint, dass viele hervorragende Männer Mitglieder dieser
Societät oder Akademie an der Pegnitz waren, so mag ja doch sein, dass sie
ihren Grcgnem viele Angriffspunkte boten. Sicher ist, dass gerade solche
Männer, die zu den Gesinnungsgenossen des Comenius zählten, und zwar
nicht nur „Sprachreiniger** Mitglieder gewesen sind, wie denn auch Hars-
dörf fer selbst Comenius innerlich nahe stand. Das feste Gefüge, das der
„Orden" im Jahre 1644 erhalten hat, hat ihm eine mehrhundertjährige Gre-
schichte gesichert. Wir werden auf die Gedenkfeier zurückkommen. Der
eigentliche Gründungstag ist der 28. Oktober.
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278
tnludt neuerer Zeitschriften.
Hefts.
D. Inhalt neuerer Zeltschriften.
Historische ZeltnehrlDU Hentus-
gpgoben von Heinrich v. Sybel und Friedrich
Heinecke. N. F. Bd.B7. Erstes Heft: Hein-
rich T. Sybol, Friedrich der Grosse im
Jahre 1761. — P. Baillou, Karl August,
Goethe und der FQrstenbund. — Denkschriften
Theodor von Bemhardis. III. Zum polnischen
Aufstände von 1863. — Miscellen. — Litteratur-
boricht. — Notizen und Nachrichten. — Er-
klärung. Zweites Heft: B. Koser, Die
proussische Beformf^esetzgcbung in ihrem Ver-
hältnis zur französischen Revolution. — K.
W i 1 1 i c h , Wallensteins Katastrophe. Zweiter
Teil. — Miscellen. — Litteraturbericht. —
Notizen und Nachrichten.
Areitlef Toor Nederiaadache
Kerii||fescitled«itla. 5. deel. Aflevering
1. 1894: R. Fruin, De voorbereiding in de
ballingschap van de Gereformeerde Kerk in
Holland. — L. W. Bakhuizen van den
Brink, Het recht op de kerkelijke goederen
der Hervormde gemeenle le Breedevoort in
1798 bewezen en gebandhaafd. — James de
F r e m c r y , De Naaldwijksche praebenden in de
St. Pancras of Hooglandsche Kerk te Leiden.
— J. M. Wüslenhoff, „Florentil parvum
ot Simplex exercitium" , naer een Berlijnsch
handsehri ft medegedeeld .— W. P. C. Knüttel,
Yeruader-plaatsen der KathoUekcn te 's-Gra-
venhagp in de zeventiende eeuw. — H. C.
ß0SS<^> Brief van D. Bandius aan J. Wten-
bogacrt.
Hlutorliiches Jaiirbacli der
GörresKeseUseliaft. 15. Jahrg. Heft 3,
1894: Aufsätze: v. Funk, Kritische Be-
merkungen zu dogmatischen Reflexionen. —
Falk, Der mittelrheiuische Freundeskreis des
Heinrich von Langenstein. — Weiss, Beiträge
zur Geschichte der Wahl Leopold'« I. —
Kleinere Beiträge: Gietl, Hincmar's
CoUectio de ecclesiis et capellis. — Sauerland,
Eine paderbomer Handschrift des 12. Jahr-
hunderts in der vaticanischen Bibliothek. —
Paulus, Wolf gang Mayer, ein bayerischer
Cistercieuserabt des 16. Jahrhunderts. —
Notizen. — Rec(>nsionen und Referate. —
Zeitschriftenschau. — Novitätenschau. — Nach-
richten. — P. Rösler-Finke, Erklärungen.
Arehlv fllr Oencitlciite der Phl-
10fM>pllle. Bd. \aL Heft 3. 1894: Zeller,
Ammonius Sakkas und Plotin. - Diel s, Aus
dem Leben des Cy nikers Diogenes. — D i 1 1 h e y,
Aus der Zeit der Spinoza-Studien (ioethe's. -
E r d m a n n , Zur Methode der Geschichte der
Philosophie mit besonderer RQcksicht auf die
Metaphysik des Cartesius. — Stein, Daa
erste Auftreten der griechischen Philosophie
unter den Arabern. — Land, Bibbographiache
Bemerkungen.— H Off ding. Die Continuität
im philosophischen Entwicklungsgange Kants.
— Wendland, Jahresbericht Ober die Kirchen-
väter und ihr Verhältnis zur Philoeophie.
Zeltodirm fllr Phllosoplile imd
pliUoM»pliUclie Kritik. N. F. 104. Bd.
Heft 2. 1894: A. Döring, Das Weltsystem
des Parmenides. — Jacob Kolubowsky,
Die Philosophie in Russland. Studie (Schi.)
— Gust. Glogau, Kurze Kennzeichnung
meines philosophischen Standpunktes. —
Ad. Lasson, Jahresbericht Qber Erschei-
nungen der Litteratur in Frankreich aus den
Jahren 1891—93. — Reoensionen und Biblio-
graphie.
Piillosopltlsche Monateliefle.
30. Bd. Heft 3 u. 4. 1894: Lipps, Sub-
jective Kategorien In objectiven Urteilen. —
E r d m a n n , Theorie der Typen-Einteilungen
(ü). — Husserl, Psychologische Stumen
zur elementaren Logik. ~ Litterarischee.
Phllosoplilsche« Jahrbada der
Oörre»c«Mlliicii»ft. 7. Bd. 3. Heft. 1894 :
G u t be r I e t , Über den Ursprung der Sprache.
(Schi.) — Roitz, Die aristotelische Material-
ursache. — Schirotzky, Zu Kants Schrift
„Die Religion innerhalb der Grenzen der
blossen Vernunft". — T. Pesch, AI. Schmid
über die Erkenntnislehre. — Reoensionen etc.
Revae InfemaUoiiale de l'eiuel-
ynemeiit. 14. annfe. No. 6. 1894: An-
toine Pillet, Des modifications qu'ü con-
viendrait d'apporter aux programmes du
doctorat en droit. — Jacques Parmentier,
La litt^rature p^dagogique en Angleterre :
John Brinsley. — Charles Dyob, Un
homme d'^tat spirituel et chevaleresque :
Massimo d'Azeglio.
No. 7. Emile Bourgeois, La r^forme
de ragr(''gation d'histoire. — Gabriel Alix,
Rapport fait ä la facult^ libre de Paris sur U
nSforme des ^tudes de la licence ot du doctorat
en droit. — A. Gazicr, Documenta in^dits
pour servir h l'histoire de l'instniction publi-
que pendantla Pövolution (1794—1801), (Suite).
- La licence des lettres. — (}orrespondance
internationale. — Chronique de l'enseigne-
mcnt. — Nouvelles et informations. — Bib-
liographie.
>»4»»<^
Buehdruekertn von Johannes Bredt, Münster i. Westf.
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Monatshefte
der
Comenius-Gesellschaft
III. Band. -^ 1894. ^ Heft 9 u. 10.
Hans Sachs und die Reformation.
Von
Dr. Alexander Niooladoni
in Linz an der Donau.
Anders spiegelt sich die Welt im Kopfe des Gelehrten,
anders im Herzen des Dichters!
Pflegt der Gelehrte die Strömungen, die eine bestimmte Zeit
bewegen, zusammenzufassen, sie auf ihre Gründe und Veran-
lassungen zurückzuführen, nach einem bestimmten Ziele hin auf
ihnen weiter zu bauen, und sie mithin als ein Ganzes zu betrach-
ten, so interessieren den Dichter die einzelnen Gedanken, ihr
Kommen und Gehen, ilire formelle und inhaltliche Erscheinung,
das Bild der Manigfaltigkeit und Abwechslung.
Hans Sachs, dessen 400 jähriges Geburtsfest wir in diesem
Jahre feiern, hat die gewaltigste Idee, die seine Zeit bewegte, die
Reformation, vom Standpunkte des Dichters aus betrachtet!
Nicht zu jenen Geistern ist er zu zählen, die die religiöse
Bewegung mit in Fluss brachten, ihr Ziel und Richtung gaben oder
sich die Erforschung ihrer Entstehungsgründe und Zwecke ange-
legen sein Hessen, wohl aber finden wir kaum irgendwo die Ein-
drücke der sich drängenden Entwicklungs- Abschnitte der Refor-
mation, der wechselnden Stinmiungen des Volkes lebendiger sich
spiegelnd, als in seinen Schriften, in Versen und in Prosa, in
seinen Sprüchen und Dialogen. Hat ihm auch, sowie der ganzen
Zeit, das Gefühl für Schönheit der Form, wie es einer späteren
Periode, der klassischen, eigen war, gefehlt, so lebt doch in allen
Erzeugnissen seiner Muse ein packendes, di'amatisches Element,
das überall an die Stelle der Schildei'ung die Handlung setzt, der
Monatshefte der Comenius-CJescHschaft. 1891. • 20
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280 Nicoladoni, Heft 9 iL 10.
Sinn für das Naive und Volkstümliche, sowie die Absicht, zu
bilden und zu verbessern, die Tugend zu verherrlichen und das
Laster zu brandmarken. Es war deshalb besonders die sittliche
Seite in der religiösen Bewegung, die ihn anzog, es war die Ver-
breiterung und Vertiefung des Reformationsgedankens im Volke,
was ihm einen bleibenden Platz unter den Förderern der Refor-
mation sichert.
Des Hans Sachs dichterische Begeisterung hat sich ursprüng-
lich an den Eindrücken seiner Wanderjahre im deutschen Vater-
lande, das er als Schustergeselle durchzog, entzündet Erlebtes
imd Beobachtungsergebnisse an Land und Leuten bilden den Inhalt
seiner ersten Gedichte. Schon frühzeitig aber zogen ihn religiöse
Stoffe an.
Seine ersten Versuche dieser Art sind dem Boden seiner
Heimat entsprossen. Sie sind der Dolmetsch der religiösen Re-
gungen und Strömungen des deutschen Volkes in den beiden
ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts, standen demnach zwar
auf dem Standpunkte der katholischen Kirche, verrieten jedoch
nicht undeutlich die mystischen Neigungen ihrer Verfassers.
Das Nürnberg des 16. Jahrhunderts war der Spiegel der
Welt. Alle Fäden, aus denen die Geschichte der damaligen Zeit
gesponnen wurde, liefen hier zusammen. Von Nürnberg sandten
Humanismus, Renaissance und Reformation ihre Strahlen aus.
Viele dieser Strahlen hat unser Dichter aufgefangen und sich an
ihnen sein dichterisches Feuer in der ihm eigenen Weise entzündet
Dadiu-ch hat er zur Bekräftigung und Verbreitung der die Zeit
bewegenden Ideen viel beigetragen. Volkstümlich, ja nicht selten
spiessbürgerlich, geben sich alle Kinder seiner Muse; deshalb
wurden sie aber auch vom Volke verstanden und gesucht
Bereite im Jahre 1523 finden wir unseren Dichter von- der
gewaltigen Persönlichkeit des Wittenberger Mönches mächtig er-
griffen. In einfachen aber zu Herzen gehenden Worten feiert er
Luther als den Apostel der Deutschen und den Lehrer seines
Volkes. Zeit seines Lebens war nunmehr Sachsens ganze schrift-
stellerische Thätigkeit der Anpreisung und volkstümlichen Dar-
stellimg evangelischer Gedanken gewidmet Alle die Kämpfe und
Stürme, welche diese Gedanken im Laufe der nächsten Jahrzehnte
zu bestehen hatten, alle Stimmungen des Volkes, welche diese
Kämpfe begleiteten, finden in Sachsens poetischen und prosaischen
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1894. Han» Sachs und die Reformation. 281
Schriften ihren getreuen Spiegel. Und als es dann galt, das neae
Glaubensbekenntnis gegen die Schläge der alten Kirche zu schützen,
da stand Sachs in den vordersten Reihen der Kämpfer. Aber
auch gegen den Übereifer und die Thorheiten seiner eigenen
Gesinnungsgenossen fand er kräftige Worte der Mahnung, der
Beruhigung und Beschwichtigung. Gegenüber den sich bildenden
Parteiungen erhob er das Panier der Einheit. Diejenigen, die —
insbesondere nach Luthers Tod — mutlos an dem Gelingen der
Reformation verzweifeln wollten, wies er auf Gott und die gött-
liche Sache und ermutigte zum festen Ausharren auf dem als
richtig erkannten Standpunkte." Bis er im Alter von mehr als
70 Jahren. für immer die treuen Augen schloss, ist er ein eifriger
und wirksamer Vorkämpfer der evangelischen Sache geblieben.
Am 31. Oktober 1517 hatte Martin Luther seine Thesen
wider den Ablass an die Thüre der Schlosskirche von Wittenberg
geheftet
Wie andere deutsche Reichsstädte hat auch Nürnberg die
Tragweite dieses Ereignisses vmd der daran sich entzündenden
Kämpfe alsbald begriffen. Der Boden war gerade hier wohl vor-
bereitest „Dort besassen Weiber, Knechte und Handwerker mehr
Kenntnis der Bibel", sagt Heinrich v. Kettenbach, „als anderswo
die Mitglieder der gelehrten Schulen.'^
Seit Beginn des Jahrhunderts stand Joh. v. Staupitz, der
Luther in das Evangelium der deutschen Mystik eingeführt hatte,
in engen Beziehungen zu dem Nürnberger Humanistenkreise. 1512
hat er das erste Mal dort gepredigt und war seither in den ersten
Familien der Stadt ein gern gesehener Gast 1516 war er wieder
in Nürnberg und bereits im Jahre darauf hören wir von einer
Gesellschaft (Sodalitas), die sich nach Staupitz nannte, in der eine
Reihe der vornehmsten Männer, so Christof Scheurl, Anton,
Andreas und Martin Tucher, Hieron^Tuus Ebner, Casp. Nützel,
Hieron. Holzschuher, Sigismund und Christoph Fürer, Lazarus
Spengler, Albrecht Dürer und Wolfgang Hoffmann vereinigt waren.
Dass nicht nur die humanistisch gesinnten Gelehrten imd die
Würdenträger der Stadt, sondern auch der minder gebildete Teil
der Bevolkenmg religiösen Fragen ein lebhaftes Interesse ent-
gegenbrachte, beweist der Umstand, dass bereits im Jahre 1517
20*
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282 Nicoladoni, Heft 9 u. 10.
eine von Casp. Nützel veranstaltete deutsche Übersetzung der
lutherischen Ablassthesen in Nürnberg erschien. Bereits 1518
nennt Christof Scheurl den Wittenberger Mönch den berühmte-
sten Mann Deutschlands, eine Posaune des Evangeliums und einen
Herold der Wahrheit! In Nürnberg hat Willibald Pirkheimer
den ,^ehobelten Eck" verfasst, in Nürnberg erschien die Schutz-
wehr und christliche Antwort des Stadtschreibers Lazarus Speng-
ler, eines der frühesten evangelischen Bekenntnisse.
Hans Sachs nahm an allen diesen Erscheinungen lebhaften
Anteil. Bereits zu Anfang der zwanziger Jahre hat er seiner
eigenen Erklärung zufolge an die 40 lutherische Traktatchen
gesammelt. Von seiner erstaimlichen Kenntnis der Bibel geben
alle seine nach 1523 erschienenen Schriften Zeugnis.
Am Frohnleichnamstag des letztgenannten Jahres, während
der Reichstag in Nürnberg tagte, während dort die Geister scharf
auf einander platzten und die evangelisch Gesinnten aus dem
Verlauf der Verhandlungen neue Hoffnungen für den Sieg ihrer
Sache gewannen, erschien sein erstes von evangelischen Ideen
durchtränktes Gedicht: „Die Wittenbergische Nachtigall**.
Es singt auf 12 mit einem Holzschnitte geschmückten Quartblättem
das Lob des Wittenberger Mönches.
Er vergleicht Luther in einer breit ausgesponnenen, aber
poetischer Schönheiten nicht ermangelnden Allegorie mit der
Nachtigall, die mit der aufsteigenden Sonne ihren Gesang ertönen
lässt imd dadurch die durch den fahlen Schein des Mondes
(der alten Kirche) verfinsterte, den Nachstellungen des Löwen
(des Papstes) und der Wölfe (der Clerisei) preisgegebene Herde
rettet An diese Allegorie reiht sich eine heftige Polemik gegen
den römischen Gottesdienst, gegen die „sogenannten" guten Werken
gegen die Aufführung der Geistlichkeit, die Habsucht der Kirche
und gegen die faulen Haufen der Mönche und Nonnen, die ihre
guten Werke um Geld verkaufen. Das Gedicht seliliesst mit
dem Glaubensbekenntnis des Dichters, welches mit dem Luthers
übereinstimmt.
Darauf, dass sich der wahre Glaube allein in der Liebe
äussert, wird dabei das grösste Gewicht gelegt Der Wert imd
die Bedeutung des Gedichts liegt daiin, dass es, indem es alles
theologische Schulgezänk vermeidet und nur die gemütliche Seite
des neuen Evangeliums betont, so recht dem Gesichtskreis der
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1894. Hans Sachs und die Eeformation. 283
Massen angepasst war. Es hat desshalb auch in kürzester Zeit
weit über Nürnberg hinaus zahh-eiche Verehrer und Freunde
gefimden.
Im Jahre 1524 veröffentlichte Sachs vier Zwiegespräche,
(er selbst spricht von 7 Dialogen, von denen uns jedoch nur 4
gedruckt vorliegen i), die des Dichters damalige Stimmung deutlich
wiederspiegeln. Sie sind in Prosa geschrieben und zählen zu den
bedeutendsten Erscheinungen der volkstümlichen Reformations-
Litteratur. .,Disputation zwischen einem Chorherren und
Schuhmacher, darin das Wort Gottes und ein recht
christlich Wesen verfochten würdt" betitelt sich die erste.
Ein Schuhmacher (der Dichter selbst) verteidigt die Witten-
bergischen Lehren von der Freiheit des Evangeliums, von dem
allgemeinen Christentume, von dem Rechte der Laien auf die
Bibel und von der Nutzlosigkeit der äusseren Werkheiligkeit, des
Fastens, Betens, der Beichte etc. und schliesst mit der Ausführung
des Satzes, dass ein wahrhaft Christgläubiger nur der ist, der
wiedergeboren ist aus dem Wasser und dem Geiste, Gott allein
im Geiste und in der Wahrheit und seinem Nächsten mit den
Werken der Liebe dient.
Die besonnene Milde, die von eingehender Kenntnis der
Bibel zeugende Auffassung und das dramatische, des Humors nicht
entbehrende Gewand, in das der Dichter dieses Zwiegespräch
gekleidet hat, insbesondere aber die schalkhaften Züge, mit denen
er den Schluss ausgestattet hat, hat ihm zahlreiche Freunde in
weiten E^eisen der Bevölkerung verschaffiL
Der zweite Dialog führt den Titel: „Ein gesprech von
den Scheinwerken der Geistlichen und ihren Gelübden.'^
Wie schon der Titel andeutet, richtet sich der Inhalt gegen das
Unwesen der Bettelmönche.
In beweglichen Worten wird diesen vorgestellt, dass Betteln,
Nichtsthun und Kasteien keinen Wert vor dem Herrn haben,
und wird ihnen das Wort der Bibel entgegengehalten : „Im Schweisse
Deines Angesichtes sollst Du Dein Brot essen". Als sprechende
Personen sind wieder Hans der Schuhmacher, dann Peter ein
^) Es wäre sehr erwünscht, zu erfahren, ob sich von den drei anderen
Dialogen keinerlei Spur etwa in Handschriften erhalten hat und die Gründe
zu kennen, die Sachs von der Drucklegung abhielten.
Die Schriftleitung.
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284 Nicoladoni, Heft 9 u. 10.
Bäcker und 2 Barfüssennonche eingeführt Schon in diesem
Dialoge zeigt der lutherisch gesinnte Peter in polternder, ja fana-
tischer Derbheit die Bethätigung seines evangelischen Eifers,
während Hans auf die gegnerischen Gründe geduldig eingeht und
mit Milde und Sanftmut ihre Schwächen darthut und sie mit
Sprüchen aus der Bibel zu widerlegen sucht.
Der Zweck des dritten Dialoges: „Ein argument der
Römischen wider das christlich Häuflein, den Geytz
auch andere öffentliche Laster betreffend", ist, wie schon
die Vorrede sagt, auf die Beleuchtung des Lebenswandels seiner
Gesinnungsgenossen gerichtet.
Weil die Römischen, sagt er dort, auf der Kanzel und
überall sonst auf den verfluchten Geiz — es ist die Habgier und
Geldgier gemeint — und andere Laster, welche bei uns im
Schwange gehen, mit viel Geschrei hinweisen und daraus folgern,
dass unsere Lehre falsch sei, deshalb will er den Lutherischen
in^s Gewissen reden. Würde unser Leben besser, so könnten die
Römischen nichts mehr gegen uns haben.
Die Strafpredigt des Dichters ist voll sittlichen Ernstes*
ein Zeugnis klarer Beurteilung der wirklichen Sachlage und
deutschen Mannesmutes. Die Figuren des Gespräches sind diesmal
der Junker Reichenberger, ein Anhänger Luthers, und sein Grast
Romanus, ein katholischer Priester. Unter dem Geiz, den Romanus
den Evangelischen vorwirft, und dessen Existenz Reichenberger
zugiebt, versteht Romanus den Wucher, das Zinsennehmen, die
Übervorteilung im Handel u. s. w., die mit dem Mangel an Werken
echter christlicher Nächstenliebe Hand in Hand gehen.
Der vierte Dialog betitelt sich: „Ein gesprech eines
Evangelischen Christen mit einem Lutherischen, darin
der ärgerlich Wandel etlicher, die sich Lutherisch nen-
nen, angezeigt und brüderlich gestraft wird."
Während der Zweck dieses Dialoges mit dem des vorigen
vielfach übereinstimmt, sind die Ausführungen desselben insbe-
sondere deshalb interessant, weil sich in ihnen Hans (der evan-
gelisch gesinnte Dichter) gegen den polternden übereifrigen Peter
(den Lutherischen) imd gegen alle diejenigen wendet, die durch
ihr Hetzen gegen die römische Kirche, gegen den äusseren Gottes-
dienst und die guten Werke, Dinge, die für die Beurteilung der
Wahrheit des Glaubens gleichgiltig seien, und durch ihr Schimpfen
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1894. , Hans Sachs und die Reformation. 285
über Papst und Pfaffen die Schwachen abschrecken und aus den
Reihen der Evangelischen vertreiben.
Hans mahnt zur christlichen Milde und Duldung. Nicht
an dem Toben und Schreien gegen äusserliche Dinge, sondern
allein an der Liebe und dem christlichen Lebenswandel in der
Nachfolge Christi seien die wahren Kinder Gottes, die Evan-
gelischen, zu erkennen!
Peter erzählt dem Hans, dass er seinen Schwiegervater aus
dem Hause geworfen habe, weil dieser sich darüber aufhielt, dass
er (Peter) an einem Freitag Schweinebraten gegessen habe. Er
nennt ihn einen Romanisten-Hund.
,J).u hast Unrecht gethan", antwortet Hans, „Du weisst
doch, dass Dein Schwäher evangelischer Freiheit noch unbe-
richtet ist.*^
Peter versucht darauf mit einer Reihe von Bibelsprüchen
zu beweisen, dass das Fleischessen am Freitag keine Sünde sei.
„Du hast Recht*^, sagt Hans, „Fleischessen ist keine Sünde,
aber nicht alles, was erlaubt ist, ist nützlich. Jeder hat zu achten,
dass seine Freiheit nicht zu einem Anstoss für die Schwachen
werde. Es ist viel besser. Du issest kein Fleisch und trinkst
keinen Wein, als dass daran Dein Bruder Anstoss nimmt, sich
ärgert und schwach wird. Nicht, was Dir zuträglich, suche,
sondern was vielen zuträglich ist, dann wirst Du selig werden."
Peter lässt sich nicht bekehren, er häuft Bibelsprüche auf
Bibelsprüche, um darzuthun, dass das Meiden der Fleischspeisen
Götzendienst sei. „Was ist unsere Freiheit nutz", poltert er,
„wann wir sie nicht gebrauchen dürfen?*^
„Sie ist soviel nutz", meint Hans, „dass wir wissen, dass uns
alle Speis unschädlich ist, aber um der Schwachen willen sollen
wir's meiden. Es sind ihrer gar yiqIq, die Fleisch essen am
Freitag aus Frevel, Fürwitz oder Wollust und haben doch keinen
Grund im Glauben und werden zuletzt wanken in ihren Gewissen."
Und als Peter unwillig fragt, wie lang sie denn an der römischen
Kette liegen sollen und ihre christliche Freiheit nicht gebrauchen
dürfen, da mahnt Hans ziu* Geduld.
„Sei zufrieden", spricht er, „dass wir in unserem Gewissen
frei sind von solcher menschlicher Satzung und lass uns um
unserer Mitbürger willen solch äusserliche Dinge tragen, wie
andere Statuten und bürgerliche Sitten; das Reich Gottes ist nicht
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286 Nicoladoni, Heft 9 u. 10.
erstanden aus Trinken, sondern aus Gerechtigkeit, Friede und
Freude im heiligen Geiste. Essen wir, so werden wir nicht besser,
essen wir nicht, nicht schlechter. Würden wir aber das Fleisch,
um unseres Nächsten Unwissenheit zu schonen, nicht gemessen,
dann gehet solche Enthaltsamkeit aus Glauben vmd Liebe und
ist Gott gefällig.«
Er erinnert an die Worte Christi: „Ein neues Gebot gebe
ich Euch, dass ihr Euch liebet untereinander, wie ich Euch ge-
liebet habe. Dabei wird Jedermann erkennen, dass ihr meine
Jünger seid.*^
„Horst Du", fügt Hans diesen Worten bei, „die Liebe ist die
rechte Probe eines Christen und nicht das Fleischessen, denn das
können die Hund und Katzen auch.*'
In wenigen aber treffenden Worten hat der Dichter mit
diesem Zwiegespräch den Kern des evangelischen Christentmns
aus der äusseren Umhüllung losgeschält
Nachdem sich Hans und Peter in betreff des Fleischessens
geeinigt haben, tritt Ulrich, der Schwiegervater, ein.
Hansens Aufforderung, mit ihnen in die Predigt zu gehen,
lehnt jener mit den Worten ab: „Ich wollt eher, dass Euer
Prediger gehängt würde, er ist ein Ketzer. Sagte mir doch mein
Schwiegersohn, der Prediger lehre, man dürfe nicht mehr beten,
nicht den Heiligen dienen, nicht fasten, beichten, wallfahrten,
nicht mehr die Messe hören, keinen Jahrtag stiften, keinen Ab-
lass lösen und es sei kein gutes Werk zur Seligkeit nutze."
„Ei", wendet sich darauf Hans an Peter, ,J)\x thust Unrecht
Du und Deine Gesellen, dass Du den Prediger solches sagen lässt^
aber die Gründe vorenthältst, die er dafür anführt Mit solcher
Art entfernst Du die Einfältigen von der wahren Lehre. Saget
diesen die tröstlichen Worte Christi, die Ihr von dem Prediger
gehört habt, saget ihnen, dass der Tod Christi das einzig Werk
unserer Erlösung und dass Christi Wort allein zu hören sei.
Wenn Ihr solches den Leuten vorsagt, so wird dies die Herzen
der Unwissenden erweichen, dass sie dann auch in die evangelische
Predigt kommen und dadurch werden sie ziu* wahren Erkenntnis
der Wahrheit Gottes gelangen." Dem stimmt auch Meister Ulrich
zu. Wenn man aber, fährt er fort, von den Lutherischen kein
gutes christliches Wort höre, wemi sie nur Mönche und Pfaffen
ausrichten, dann gelüste ihn die lutherische Weise gar nicht
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1894. Hans Sachs und die Reformation. 287
Peter meint, die Mönche luid Pfaffen verdienten es nicht besser,
sie seien verstockte Sünder, mit den Fäusten müsse man drein-
schlagen, mit Gewalt das Unkraut ausreissen.
Hans malmt auch hier zur Geduld und Sanftmut. Er beruft
sich auf den Apostel Paulus als seinen Gewährsmann. Der Weg
der Gewalt gebäre nur Feindschaft, die Ketzer bekehre nur,
wer dem Evangelium Christi nachfolgt und einen christlichen
Wandel führt, wie sichs gebührt Die rechten Kinder Gottes
erkenne man allein an der Liebe. „Peter'^, schliesst Hans seinen
Sermon, „merk' Dir meine Rede um Gottes willen und sag* es
Deinen Mitbrüdem (d. h. den Lutherischen): Wenn sie mich einen
Heuchler und Abtrünnigen heissen, da Kegt mir nicht ein Haar
breit daran, ich habe ihnen die Wahrheit gesagt, welche immer
verfolgt wird von den Gottlosen. Ich wollt, es hätten sie alle
gehört, die sich lutherisch nennen, vielleicht würden sie dann
rechte evangelische Christen werden."
Und darauf Meister Ulrich: „Peter! vde dünkt Dich? Wann
Ihr Lutherischen solch züchtigen und evangelischen Wandel führen
würdet, so hätte Eure Lehre ein besseres Ansehen vor allen
Menschen. Die Euch jetzund „Ketzer'^ nennen, würden zu Euch
,,Chri8ten** sagen. Die Euch jetzt fluchen, würden Euch loben.
Die von Euch jetzt übel reden, würden von Euch wohl sprechen,
die Euch jetzund fliehen, würden Euch heimsuchen, und die Euch
jetzund verachten, würden von Euch lernen! Aber mit dem
Fleischessen, Rumoren, Pfaffenschänden, Hadern, Verspotten, Ver-
achten und allem unzüchtigen Wandel habt Ihr Lutherischen selber
der lutherischen Lehre grosse Verachtung gebracht."
Schliesslich gelingt es den besänftigenden Worten Hans^,
Meister Ulrich zum Anhören der lutherischen Predigt zu bewegen.
Die Personen, die in diesem Dialoge auftreten, charak-
terisieren sich schon durch die logische Darlegung einer in sich
geschlossenen Ansicht und das folgerichtige Festhalten und Ent-
wickeln derselben als Vertreter streng geschiedener Rich-
tungen^).
') Näheres über diese merkwürdige Schrift des Sachs geben wir am
Schluss dieses Heftes unter den „Nachrichten".
Die Schriftleitung.
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288 Nicoladoni, Heft 9 u. 10.
Seit dem Jahre 1524 hat Hans Sachs es aufgegeben, sich
in der bisherigen Weise an den kirchlichen Kämpfen durch selbst-
standige polemische Schriften zu beteiligen. Nicht einmal die
drei weiteren Dialoge, die er bereits geschrieben oder wenigstens
entworfen hatte, sind im Druck erschienen. Abgesehen von etlichen
Reimen und Gedichten sind es meist Arbeiten erbaulichen Inhalts,
die er veröffentlichte.
Im Jahre 1527 Hess der Magistrat der inzwischen lutherisch
gewordenen Stadt Nürnberg dem Meister Sachs sagen, er möge
seines Handwerks und Schuhmachens warten, sich aber hinfüro
enthalten, ,3üchlein oder Reimen" erscheinen zu lassen.
Diese Anweisung lässt erkennen, dass der Rat an dem
,3üchlein" Sachsens kein Gefallen hatte; die nächste Veranlassung
zu dem obrigkeitlichen Einschreiten scheint aber die Herausgabe
einer alten Weissagung in dreissig Bildern gegeben zu haben, die
Osiander veranstaltet und die Sachs mit doppelten Reimpaaren —
„Vierzeilern" — versehen hatte. Das sind die „Reime", auf die
der Ratserlass Bezug nimmt
Die im Jahre 1527 von Osiander besorgte, mit Holz-
schnitten verschiedener Nürnberger Künstler geschmückte Publi-
kation hat den Titel: „Eine wunderliche Weissagung von
dem Bapstumb". Es liegen dem Buche, dem der Herausgeber
Deutungen beifügte, die auf die Reformation Bezug nahmen,
Weissagungen des Abtes Joachim von Floris zu Grunde. Sie
veranschaulichen in Wort und Bild die allmähliche Verweltlichung
des Papsttumes bis zu seinem Untergange. Diese Publikation
gab dem Rate von Nürnberg Ursache zu einer Verwarnung
gegen alle diejenigen, welche sich an der Herausgabe beteiligt
hatten. Das Werk sei geeignet, lautete der Beschluss, den Frieden
unter den Gemeindegenossen in empfindlicher Weise zu stören.
Sachs nahm sich die obrigkeitliche Rüge sehr zu Herzen.
Jahrelang schwieg seine Muse gänzlich; erst im Jahre 1529
veröffentlicht er wieder ein Gedicht religiösen Inhaltes: „Die
sieben Hindemisse,, die den Weg zum Berge Sion versperren".
Unter diese Hindernisse zählt der Dichter auch die weltlichen
Obrigkeiten, welche Gottes Wort Ketzerei schelten und durch
ihre Massregeln und Verfolgungen die Ausbreitung der geistlichen
Lügen befördora.
Hans Sachs sollte die Freude erleben, dass er auf Einladung
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1894. Hans Sachs und die Refoimation. 289
Luthers an der Herausgabe eines evangelischen Gesangbuches
mitwirken konnte. Er verfasste geistliche Lieder, in denen er
in glaubenswarmen und naiven, wenn auch oft holperigen Versen
das Lob der Herrlichkeit Gottes und seines Wortes zum Himmel
sandte.
In zahlreichen, in epischer Breite dahinfliessenden, stets
moralisierenden, aber doch des Mutterwitzes und der Erfindungs-
gabe niemals entbehrenden Erzählungen, Legenden, Anekdoten,
Schwänken und Abhandlungen hat Sachs im Traufe seines langen
Lebens eine schier unzählbare Reihe biblischer Themen umschrieben
und behandelt. Mit den auf dem Titelblatt seiner Gespräche
stehenden Worten, dass sie alle förderlich seien zu Gottes Lob
und Ehre, auch dem Nächsten dienlich zu einem bussfertigen
christlichen Leben, hat er die Natur aller dieser Dichtungen
treffend gekennzeichnet.
Im Jahre 1527 erschien ,^ie Klage Gottes über seinen
Weinberg, verwüstet durch menschliche Lehren und Gebote",
1537 „Die Historie von der erbärmlichen Belagerung und Zer-
störung Jerusalems", 1539 „Die gemarterte Theologie", 1540 „Das
klagende Evangelium" und 1541 ,^Der klagende Waldbruder".
In allen Schriften fasste er seine Betrübnis über die vielen Sekten,
die im Besitze des reinen Evangeliums sein wollen, und über
die scholastischen Haarspaltereien der Theologen in beweglichen
Worten zusammen und mahnt dringend zur Einigkeit.
Ungebeugt ist aber auch das Vertrauen des Dichters in die
Unbesiegbarkeit der lutherischen Sache. Gerade in der schwersten
Zeit der protestantischen Kirchenreformation im imd nach dem
Jahre 1546, nachdem Luther gestorben war, hat er dieser seiner
glaubensstarken Zuversicht in seinem „Epitaphium" oder
>,Klagrede ob der leich Dr. Martin Luther" die rührend-
sten und ergreifendsten Töne geliehen. In dieser besten aller
seiner aUegorischen Dichtungen ruft der Dichter der trauernden
Theologie die Worte zu: „Dawider hilfft kein gewalt noch list;
dich sollen die pforten der hellen nicht überwcltigen noch feilen !"
Auch noch in den letzten Jahren seines Lebens verfolgte
Sachs die keineswegs erfreulichen Ereignisse im religiösen Leben
Deutschlands mit wachsamem Auge. Alle wichtigen Begebnisse,
die verderbenbringenden Zettelimgen der Lutheraner mit den
Katholiken, der schmalkaldische Krieg, der Verrat des Herzogs
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290 Nicoladoni, Hans Sachs u. die Reformation. Heft 9 u. 10.
Moriz von Sachsen und das Konzil von Trient regten ihn zur
schriftstellerischen Thätigkeit an.
Nebst anderen Schriften verfasste er 1546 einen nicht ver-
öffentlichten Dialog, der alle diese Dinge in prosaischer Form
behandelt
Am 19. Januar 1576 ist Hans Sachs gestorben.
Das Werk aber, für welches er Zeit seines Lebens gearbeitet
hat, bKeb bestehen.
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Abälard und Lessing.
Eine religionsgeschichtliche Parallele*).
Von
Karl Mämpel,
Pfarrer in Seebach bei Eisenach.
Den Nathan des zwölften Jahrhunderts haben zwei Kirchen-
historiker, Reuter und Hausrath, die eine kleine Schrift des grossen
Scholastikers genannt, dessen geistiges Bild eine immerhin so
bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem streitbaren und gedanken-
scharfen Dichter der deutschen Aufklärungsporiode aufweist, dass
ich den Lessing der Scholastik überhaupt Peter Abälard nennen
möchte.
Es sind gewiss sehr verschieden geartete Zeitverhältnisse,
deren Söhne die beiden gewesen sind, Peter Abälard und G. E.
Lessing. Und man kann zweifelnd fragen: was haben Dogmen-
geschichte und Emilia Galotti, die von Abälard ausgearbeiteten
Klosterregeln für St Paraklet und die von Lessing aufgestellten
Kunstgesetze des Laokoon, die tiefere Begründung scholastischer
Wissenschaft und die Reformation der Schauspielkunst gemeinsam?
Hat nicht der eine seinen Platz unter den deutschen Klassikern,
auf der Sonnenhöhe allgemeinster Geistesbildung, und sind seine
Streifzüge in das Gebiet der Religionsgeschichte, ihrer Probleme
und Kämpfe nicht etwa nur Episoden, während sich der andere
offenbarungsgläubig ein Leben lang abmüht, die Glaubenslehre
seiner Kirche mit den Mitteln wissenschaftlichen Denkens zu stützen?
Die Antwort auf die Frage, welches Gemeinsame sie den-
noch dicht an einander gerückt uns erscheinen lässt, soll das
') Die Abhandlung verdankt ihr Entstehen, was des erstgenannten
Lebensbildes wegen hier Ijesonders erwähnt sei, hauptsächlich den durch
A. Hausraths farbenreiche Monographie „Peter Abälard" (Leipzig 1893)
gewonnenen Eindrücken, sowie einer alten Hinneigung des Verfassers zu
dem „tapferen Lessing**. M.
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292 Mämpel, Heft 9 u. 10.
Folgende bieten, und wenn wir eine kurze Formidierung dieser
Antwort vorausschicken dürfen, so ist uns das eine gewiss: beide
gehören jener wahrheitsuchenden, durch alle Jahrhunderte ver-
streuten Gemeinde von Geistesfürsten an, welche einem erkenntnis-
mässigen Gottesverlangen (Dei amor intellectualis) über alles sich
verpflichtet und um so eher in ihrem Elemente sich fühlen, je
freier sie die Schwingen dialektischer Bewegungslust des Geistes
in kühnem Aufflug prüfen können.
Wir fürchten jedoch nicht den Schein willkürlichen Spiels
auf uns zu laden, wenn wir auch äussere Zufälligkeiten der Erden-
bahn, die doch zu einem guten Teile mehr als Zufälligkeiten sind,
neben einander halten und in Lessings Lebenserfahrimgen nur eine
Abwandlung jenes anderen Gelehrtenlebens des zwölften Jahr-
hunderts erblicken. Dieselben nicht immer heiteren Schicksals-
stenie leuchten nicht selten den durch Jahrhimderte getrennten
Berufs- und Geistesgefährten, zumal wo ihre gemeinsamen Wege von
der Heerstrasse der Vielen abseits über die Höhen menschlicher
Erkenntnis und des Talentes oder des Genius sie geführt haben.
Ein frühreifer Kopf wird der junge Kamenzer in fast allen
Litteraturgeschichten genannt, und als ein Pferd, das doppeltes
Futter brauche, ist der Fürstenschüler in Meissen seinem Rektor
erschienen. Von der väterlichen Burg in der Bretagne aber nimmt
das Ritterkind des Mittelalters Abschied in dem stolzen Selbst- und
Siegesgefühl, trotz seiner jungen Jahre den gefeierten Häuptern
der Disputierkunst bereits gewachsen und ebenso geistesmächtig
wie an Körpergestalt unansehnlich zu sein. Die ähnliche reiche
Mitgift der Naturen springt in die Augen gleich in den Anfängen
Abälards und Lessings. Sein Geburtsort Palais in der Bretagne,
dann Paris und die verschiedenen Orte der Pariser Umgebung,
Sammelpunkte der gelehrten Jugend, Laon und Soissons, weiter
das Kloster von St. Denis, das stille Waldthal am Flüsschen Ar-
duzon in der Diöcese von Troyes, und dann wieder der in den
atlantischen Ocean vorgeschobene Felsriegel mit der Abtei St
Gildas, hierauf eine erneute Pariser Lehrthätigkeit auf dem Hügel
der heiligen Genovefa, endlich die Kreuzgänge der Benediktiner
von Clüny — das sind die Lebensstationen Abälards, des
Peripatetikers von Palais. Der Leipziger Student Lessing gerät
zunächst in ein Berliner Litteratenleben hinein, dann ist Witten-
berg sein Aufenthalt, hierauf Berlin wieder, Potsdam, Leipzig
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1894. Abalard und Lessing. 293
folgen, er taucht in Breslau als Sekretär eines Generals auf, er
kehrt zum dritten, zum vierten Mal nach Berlin zurück, er wird
der Hamburger Dramaturg, er stirbt als Wolfenbütteler Bibliothekar.
So teilen die verwandten Naturen sich in das gleiche Loos un-
steten Umherziehens, wie rastloser Forschergeist die gleiche tnä-
bende Macht ihres Philosophierens war. Die Entwickelung von
Heloisens und Abälards Roman hat den bekannten tragischen
Verlauf, reich an Schidd und reicher noch an Sühne der Schuld
für die Liebenden; der Zusammensturz seines flüchtigen Eheglücks
an der Seite einer Eva König stimmt Lessing zu dem resignierten
Klagelaut: „er habe es auch einmal so gut haben wollen wie andere
Leute". Der tiefste Schmerz ihres Lebens, der sich in die Seelen
der Denker bohrt, ist mit zwei Frauengestalten verknüpft. „Gratias
ago Deo meo, (juod dignus sum, quem mundus oderit", das Wort
des Hieronymus kann Abalard auf der letzten Seite der Geschichte
seines Unglücks auf sich anwenden, zwei Synoden haben seine
Sätze und Gedanken verdammt, seine eigene Hand hat zu Soissons
eines seiner Bücher den Flammen preisgeben müssen, ewige Kerker-
nacht ist drohend ihm aufgestiegen. Der hierarchischen Gegner-
schaft dort eines Bernhard von Clairvaux und seiner Mönche, die
sich über Abalard entlud, entspricht hier der heilige Zorn des
Hamburger Hauptpastors Göze, dessen volle Schalen sich über
Lessings Haupt ergossen.
Deckt sich, wie wir sehen, das Gewebe des äusseren Lebens-
ganges dort wie hier so ziemlich, so muss in verstärktem Masse
aber von gleich laufenden Gedankenfäden in dem philosophischen
Chai'akterbilde Abälards imd Lessings die Rede sein, und den
breiteren Raum des Bereiches unserer Aufgabe bildet der Nach-
weis dieser vielfachen Hannonie ihrer. Anschauungen, die eigent-
liche religionsgeschichtliche Parallele, die Wiedergabe des über-
einstimmenden Eindrucks, den die theologische Stellungnahme der
beiden um 6 Jahrhundeite aus einander gerückten Kämpfer für
den „Anspruch der menschlichen Vernunft auf ein vernünftiges
Dogma", für die „Rechte des menschlichen Geistes, für Freiheit
und Wahrhaftigkeit" hinterlässt.
,Jch habe es längst für meine Pflicht gehalten, mit eigenen
Augen zu prüfen, (juid liquidum sit in causa Christianorum", hat
Ijessing von sich geschrieben, und (*r ist von dem festen Punkte
selbständigen, ungetrübten Urttnls aus ein scharfer Kritiker der
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294 Mämpel, Heft 9 u. 10.
Kirchenlehre und der rechts und links herrschenden theologischen
Meinungen geworden, ein starker Verächter aller geschwätzigen
Auf klärungsreden um ihn her, wie er ebensowenig den orthodoxen
Systemen einen besseren Geschmack abzugewinnen vermochte.
Er hat in dem bekannten Briefe an seinen Bnider Karl vom
2. Februar 1774 unsere neumodische Theologie als Mistjauche,
die alte Orthodoxie als unreines Wasser gebrandmarkt. „In jungen
Jahren", — so beschreibt Erich Schmidt in seiner vorzüglichen
Lessingbiographie die Taktik seines Helden in dessen theologischem
Feldzuge, — ,^n jungen Jahren, da er alle Schriften für und wider
das Christentum heisshimgrig verschlang, hatte der beweisende
Apologet seinen selbständig prüfenden Sinn in die Arme des
Zweifels gestossen, und der triumphierende Laugner ihn wiederum
angestachelt, das Christentum als Herzenssache zu erhalten. Vor
aUem verhasst war ihm das Schaukeln zwischen Orthodoxie imd
„vernünftiger" Religion. Er selbst stand nach seinem witzigen
Vergleich unter den Gläubigen und Rationalisten, wie er als Dichter
der Minna unter den Sachsen und den Preussen gestanden, für
sich allein, mit eignen Augen forschend, quid liquidum sit in causa
Christianorum." ^)
Man muss sich zurückversetzen in die Zeit, die eines Abä-
lard glänzende Beredsamkeit vom Katheder dringen hörte imd
ihn seine Bücher schreiben sah, während die spitzen Gegensätze
des Realismus und des Nominalismus mit einander rangen, als
noch Klosterluft die Welt erfüllte und die Forschenden an Hand
und Fuss gebunden waren von einer kirchlichen Bevormundimg
aller Wissenschaft, man muss die Tage der alles beherrschenden
Bischofssitze und Kathedralschulen, der Kreuzzüge und der Mystik
vor sich erstehen lassen, dann erst hat man den rechten Mass-
stab gewonnen für die Beurteilung der Einzigartigkeit einer solchen
Persönlichkeit in solcher Zeit. Und wie sehr beide dasselbe ge-
than haben, ein anderes ist es, wenn Lessing, ein anderes, wenn
Abälard mit eigenen Augen prüft So unendlich schwerer es dem
letzterem im Vergleich mit jenem gemacht war, er hat dennoch
diese aus eigenen Mitteln schöpfende Prüfung unternommen mit
einer der Lessing'schen Methode wenig nachstehenden Klarheit
und Ursprünglichkeit des Erkenutnistriebes.
*) E. Schmidt, Lessing, Geschichte meines Lebens und seiner Schriften.
Leipzig 1884 und 1892. 11, 378.
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1894. Abälard und Lessing. 295
Vor seinem Richterstuhle sieht Abälard in einer nächtlichen
Vision den Juden, den Philosophen und den Christen sich zu-
sammenfindeu; und er schreibt, indem er mit der Erzählung dieser
Vision b^nnt, seinen Dialogus inter Philosophum, ludaeum
et Christianum^), das Seitenstück zu Lessings dramatischem Lehr-
gedicht. „Sag mir doch einmal: was für ein Glaube, was für ein
Geset« hat dir am meisten eingeleuchtet?*' — was Sultan Saladin
von Nathan hören will, was Nathan diesem mit der Geschicht<3
von den drei Ringen, jedoch mit Hinausschiebung des letzten
Spruches auf eine sehr spätere Gelegenheit, deutlich zu machen
sucht, dasselbe erörtert Abälards Dialog im Wortgefechte des mit
den vernünftigen, natürlichen Religionswahrheiten der Menschen-
brust ausgerüsteten Philosophen, des im Besitze einer göttlichen
Offenbarungsurkunde sich befindenden Juden und des auf zwei
g(*)ttliche Schriften sich berufenden Christen. Das Gespräch ist
Fragment geblieben, ob dm*ch Verlust und Verstümmelung der
Handschriften, ob infolge davon, dass der Verfasser es unvollendet
Hess, st^ht dahin. Auch ist der Ausgang und die Schlichtung
des Streites, in welchem der Philosoph und der Christ sich in der
Frage über das höchste Gut zuletzt doch einigen, für uns hier
von geringerem Betracht als die letzten Gründe dieser Entschei-
dung und die Kampfesweise, die in dem Dialog für seine Zwecke
gebilligt und gehandhabt wird. Der Vertreter des Christentums
ergreift die dargebotene Hand des Jüngers der Philosophie, und
sie schliessen für den einzuschlagenden Gang ihrer Auseinander-
setzungen den Vertrag, dass sie einmal absehen wollen von
allen massgebenden Stimmen und Gi-ünden von aussen, von
allen Zeugnissen philosophischer Grössen und göttlicher Offen-
barungsträger der Vergangenheit, sie wollen auch in den Fragen
der Religionswissenschaft den Menschen zum Wort kommen
lassen, der unverfälschten Stimme der menschlichen Vernunft
allein Gehör schenken, weil der Mensch, wie er ist, mit dem
Willen nach Wahrheit auch die Kraft, sie zu finden, von Gott
empfangen habe. Vor unsere Seele aber tritt die Gestalt Nathans,
„dem sein Gott von allen Gütern dieser Welt das Kleinst'
und Grösste so in vollem Mass erteilet Das Kleinste:
Reichtum. Und das Grösste: Weisheit." Er besitzt eine Ab-
') Abael. op. ed. Cousin Tom. II. pag. 044 ff.
Monalshc'fte der ComeniiiH-GcsollHcliaft. 1H1>4. 21
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296 Mampel, Heft 9 u. 10.
neigung gegen kalte Buchgelehrsamkeit, er hat seine Tochter Recha
die beste Religion in keinem Wähnen über Gott, wohl aber in
Ergebenheit in Gott finden gelehrt, und er weiss, wie viel andächtig
schw^ärmen leichter als gut handeln ist; wir bewundem immer
wieder die edle innere Klarheit des Denkens in dieser Dichter-
gestalt, den hohen geläuterten Sinn Nathans, der nicht nach Ra9e
und nach Bekenntniszugehörigkeit fragt, der nach dem Menschen-
werte misst, die ihm begegnen: „Wir haben beide uns unser Volk
nicht auserlesen. Sind wir unser Volk? Was heisst denn Volk?
feind Christ und Jude eher Christ und Jude als Mensch? Ah,
wenn ich Einen mehr in Euch gefunden hätte, dem es genügt
ein Mensch zu heissen." Es ist der Lessing^sche Geist der Frei-
heit von allen ererbten Lehrstücken und aller aufgezwungenen
Autorität, der Geist seiner Vorliebe für alles einfach menschlich
Wahre und Hohe, der Geist der Humanität, der auch den Dialog
Abälards diuxjhdringt und ihm das Gepräge einer freien Betrach-
tungsweise der Dinge giebt
,J)enn für den Aufbau des Glaubens fällt weniger ins Ge-
wicht, was thatsächlich wahr ist (quid sit in rei veritate), sondern
was in die Meinung der Menschen eingehen kann (quid in
opinionem possit venire), und die meisten Streitigkeiten erheben
sich über die Lehrsätze der Autorität selbst, so dass über diese
eher als mittelst derselben ein Urteil zu fällen ist"*), —
wir dürfen gewiss in diesem Ausspmche des Christen seines
Dialogs Abälards eigenste Anschauung wahrnehmen, dessen eigen-
tümlichen religionsphilosophischen Standpunkt in seiner Zeit man
darin hat erkennen wollen, dass er vor allem der Verfechter
eines hinreichend motivierten Glaubens gewesen sei In
ihm kämpft durchaus keine etwa verneinende, grundstürzende
Persönlichkeit gegen die Mauern der Kirchenlehre an; wohl
aber hindert ihn in ihrem Schatten die Ruhe zu finden, welche
die anderen dort fanden, seine ausserordentlich kritisch ver-
anlagte Natur. Und es mag sein, dass das wenige, was ilmi
zu einem wirklich reformierenden Eingreifen, zu einer weltge-
schichtlichen Rolle fehlte, der noch tiefere religiöse Ernst, die
Wärme des Gefühls und insbesondere die eiserne Festigkeit der
Thatkraft war. In diesen Stücken blieb ihm sein Schüler aus
*) Abael. op. ed. Cousin. Tom. II. pag. ()73.
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1894. Abälard und Lessing. 297
Italien, der Brescianer Arnold, der geborene Freiheitskämpfer und
Volkstribun, überlegen, — der französische Gelehrte, Studenten-
lehrer und Publicist aber, dessen Stärke eben seine kritische Ader
war, hat kaum einen grösseren Geistesverwandten gehabt, als den
Herausgeber des Wolfenbütteler Fragmentisten und den Schreiber
des Antigöze. Dem „quid sit in rei veritate" gegenüber das Recht
des „quid in opinionem possit venire" hochzuhalten, das war auch
Lessings Sache, Lessings Leidenschaft, der Ansporn seines Ritter-
tums im theologischen Meinungsstreite: ihm können zufällige
Geschichts Wahrheiten nie den ausschlaggebenden Wert von
ewigen, notwendigen Vernunftwahrheiten beanspruchen, nie
ihr Beweis sein.
Abälard hat weiter ein ,,Sic et Non" geschrieben, eine Auf-
zählung widerstreitender patristischer Stellen, sowie aller offen-
kundigen Widersprüche der Kirchenlehre unternommen, ohne damit
die Geltung ihres Inhaltes auflösen zu wollen, vielmehr um in
geistvoller Weise in seinen Vorlesungen *) die Brücke zu schlagen
von hüben nach drüben imd eine geschickte Synthese zu voll-
führen ganz in kirchlich unanstössigem Sinne, der wissenschaftliche
Bearbeiter, nicht der ketzerische Zerstörer des Glaubensgebietes.
Er beruft sich auf Luc. 22, 30, er meint: „Wenn die Christen
dereinst die Welt richten sollen, warum sollten sie nicht auch
über die verschiedenen, widerspruchsvollen Worte der Heiligen
urt<'ilen?", und Abälard betont u. a. in der Vorrede zu diesem
seinem Sic et Non in offener Aussprache, dass nicht alles Prophetie
sei, was die Propheten geschrieben haben, dass der Geist der
Weissagung nicht immer den Propheten innewohnte». Es ist von
hier aus, überhaupt von diesem Gesichtspunkte einer Anerkennung
biblischer, nicht bloss kirchenväterlicher, Kontroversen und Mängel
aus gewiss nur ein Schritt zu den jedem Letzten unter den Ge-
bildeten unserer Tage geläufigen Behauptungen Lessings: „Die
*) Haiisrath a. a. 0. S. 60. Auch war es, was bei Hauf^rath weniger
au8drücklich zum BewusstÄcin kommt, der Zweck der im Sic et Non be-
liebten Methode und der darin zusammengestellten dissonnantia, dass sie
„teneroR lectores ad maximum inquirendae veritatis exercitium provocent
et aeutiores ex inquisitione reddant." Sic et Non (Prolog) pag. 1394 edd.
Migne. Dieses Streben nach genauester Untersuchung und nach einer da-
durch zu erzielenden Schärfe den GoiKtes seiner I^ser ein gewiss echt Les-
sing'scher Zug in Abälard!
21*
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298 Mämpel, Heft 9 u. 10.
Bibel enthält offenbar mehr, als zur Religion gehört .... Folg-
lich sind die Einwürfe gegen den Buchstaben und gegen die Bibel
nicht eben auch Einwürfe gegen den Geist und gegen die Religion.**
Abälard und Lessing — sie haben, jeder in seiner Zeit und auf
seinem Posten, die blinde Anbetung der Tradition in ihrer Dumpf-
heit zu durchbrechen und an deren Stelle die eigene nicht ge-
bundene, selbstgefundene Überzeugung aufzurichten sich bestrebt,
wie sie dem ohne Fesseln sich fortbewegenden Forschergeiste eine
Gasse haben machen wollen, sie waren beide die geschworenen
Feinde geistiger Erstarrung.
In Gottes Plan lag es nach Abälard von Anbeginn an als
letztes Endziel, dass alle Menschen zur Teilnahme an einem gött-
lichen Leben, zu einer Seligkeit gelangen: er wäre ja nicht der
vollkommen Gute, wo nicht sein ganzer Wille gerichtet wäre
auf die Vervollkommnung aller durch ihn. Allen hat Gott
seinen Geist eingehaucht, der Seelen eigentliche Seele und
wahres Leben, die innere Macht, die sie zur Erkenntnis des
Rechten und zum Thun des Guten leitet, allen das natürliche
Sittengesetz gegeben, das auch die Heiden erleuchtete. Es ge-
schah daher die Menschwerdung Gottes und die mit dem Christen-
tum erfolgende Reformation einzig, um die alten Wahrheiten
dieses Sittengesetzes zu erneuen und zu vertiefen, — ad per-
fectam et integram summi boni commendationem, — damit, wie
Abälard weiter ausführt, die klare Erkenntnis des höchsten Gutes
und *des Weges zur Vollendung sich in desto ausgedehnterem
Umfange ausbreite und eine um so lebendigere Gottesliebe in
der Menschheit entfacht werde i).
Es sind wiederum Lessing^sche Gedanken, die wir hier bei
Abälard ausgeprägt finden können. Das Alter der Wahrheit ent-
spricht für beide dem Alter der Welt, dem einen wie dem andern
ist das Christentum wesentlich Reformation des Sittengesetzes,
und so hat Lessing in seinem Bruchstücke „Gedanken über die
Herrnhuter'* die Absicht Christi hauptsächlich darin erkennen
wollen, die Religion in ihrer Lauterkeit wiederherzustellen und sie
zu befähigen zu einem Hervorbringen desto heilsamerer und allge-
meinerer Wirkungen, je enger ihre Grenzen sind, — diese Grenzen
aber sind ihm identisch mit denen des Bereichs der sittlichen
*) Introductio in theol. (Op. ed. Cousin II, 120 ff.)
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1894. Abälard und Leasing. 299
PflichteD, der gottgewiesenen Aufgaben menschlichen Handehis,
der Mensch ist ja zum Handeln da, nicht zum Vernünfteln, das
Wesen und der Wert der Religion geht Lessing auf in ihren sitt-
lichen Wirkungen.
Das Ethische tritt ebenso sehr in den Vordergrund, wenn wir
uns einer Betrachtung der besonderen Gotteslehre Abälards und
Lessings nunmehr weiter zuwenden. Hamack erwähnt mit Nach-
druck in seiner Dogmengeschichte ^) das ethische Interesse, das
Abälard beherrscht habe, sein starkes Interesse für die Moral-
philosophie, das nach seinem Vorgange im 13. Jahrhundert über-
haupt dazu diente, den mystischen Aufriss der Glaubenslehre zu
berichtigen. Eine hohe Zuversicht ist ihm eigen, dass, was im
menschlichen Sittengesetze enthalten ist imd in seinen Forderungen
sich unabweisbar uns aufdrängt, auch das Heilige und Gute in
Gott sei. Wohl ist nach einer gewissen Richtung hin der Gottes-
begriff Lessings anders gefärbt, als der Abälards, und in dieser
anderen mehr ins Pantheistische hinüberspielenden Farbe bietet
sich uns vielleicht das einzige dar, was man als ein wesentlich
unterscheidendes Moment in der Denkart beider Männer hervor-
heben könnte. War Lessing rundweg Spinozist? — es ist viel
über diese Frage hin- und hei^estritten worden seit Lessings,
Mendelssohns und Fr. H. Jacobis Tagen. Man darf jedenfalls
nicht verkennen, dass ein Lessing dem Spinozismus ungleich näher
steht*), als ein Abälard, dem es gerade darauf so sehr ankommt,
den Standpunkt der Immanenz mit dem der Transcendenz zu ver-
einen und die scharfe Linie hervorzuheben, die das kreatürliche
Dasein von dem Wesen der Gottheit in seiner eigentümlichen
ethischen Bestimmtheit trennt. Aber Lessing hat doch eine „Er-
ziehung des Menschengeschlechts" geschrieben, und Lessing
hat gehofft, dass, was erzogen wird, zu etwas erzogen werde, und
er hat den Zweifel daran, dass die Menschheit noch die höchsten
Stufen der Aufklärung und Religion erreichen soll, für Lästerung
erklärt Eine Erziehung, ein Erzieher ohne sittliche Absichten ist
nicht zu denken. Lessing sieht von seiner Höhe aus eine Voll-
kommenheit des Wcltplanes vor sich, deren Verwirklichung, wenn
') Hamack, Lehrbuch d. Dogmengeschichte II, 328 Anm.
') Vgl. Lessings Gespräch mit Jacobi vom Sommer 1780: ,7Ev xai
3iäv\ Ich weiss nichts anders", und vgl. ferner §. 73 der „Erziehung**.
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300 Mämpel, Heft 9 u. 10.
auch in Wellenbewegungen verlaufend, doch auf den einen End-
zweck einer allgemeinen Wirkung des Guten hinausläuft Selbst
die Hamburgische Dramaturgie spiegelt die hohe ethische
Färbung wieder, die der Gottesbegriff in Lessings Vorstellung
und Denken trotz seines ev xal näv am Ende doch gewonnen
hat „Es sei mir erlaubt, den Schöpfer ohne Namen diux;h sein
edelstes Geschöpf zu bezeichnen" — und das höchste Genie
wagt Lessing Gott zu nennen, ein Name für den Unnennbaren,
der gewiss die höchsten sittlichen Gedanken und Werte ihm bei-
misst, und zwar auf die eigentümliche Art, in welcher eben ein
Genie Gedanken zu haben pflegt und sie aus sich hervor-
strömen lässt, und alles wahre Genie ist sittlich in seinen
eigenen schöpferischen Tiefen und wirkt versittlichend in seinem
nach aussen tretenden Schaffen. Lessing weist darauf hin,
— es handelt sich mn Fabel imd Charaktere in Favarts Stück
,ySoliman" 1), — dass die dramatischen Charaktere zu einer Welt
gehören müssen, ,4n welcher Ursachen und Wirkungen zwar in
einer anderen Reihe folgen (als in fieser wirklichen Welt), aber
doch zu eben der allgemeinen Wirkung des Guten abzwecken,
kurz zu der Welt eines Genies, das — (es sei mir erlaubt, den
Schöpfer ohne Namen durch sein höchstes Geschöpf zu bezeich-
nen!) — das, sage ich, um das höchste Genie im kleinen nach-
zuahmen, die Teile der gegenwärtigen "Welt versetzt, vertauscht,
verringert, vermehrt, imi sich ein eigenes Ganze daraus zu
machen, mit dem es seine eigenen Absichten verbindet" Und
einen gleichen Einblick in den tief sittlichen Gehalt der Lessing^-
schen Gottesvorstellungen vergönnt uns die Kunstforderung an den
dramatischen Dichter, die der Hamburger Dramaturg an anderer
Stelle gelegentlich seiner Kritik über Weisses Richard den Dritten
erhebt 2): Das Ganze eines sterblichen Schöpfers solle ein Schatten-
riss vom Ganzen des ewigen Schöpfers sein, alles einzelne Ge-
schehen aber wiu'zle im ewigen unendlichen Zusammenhang aller
Dinge, dem es an Weisheit und Güte, Rundimg und Befriedigung
durchaus nicht fehle. So hat dieser Mann seinen ethischen Gottes-
glauben bezeugt auch mitten im Gange seiner kunstkritischen
Untersuchungen.
*) Vieninddreißsigstes Stück der Dramaturgie..
*) Neunundsiebzigstes Stück der Dramaturgie. Vgl. Schmidt, a. a. O.
XI, 649.
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1894. Abälard und Lessing. 301
Was Abälard anrüchig gemacht und den Anlass gegeben
hat, ihn zu verketÄem, ihn vor zwei Synoden zu schleppen, was
nach Hausraths neuester trefflicher Schilderung dieser Vorgänge
den Adler der Mystik in immer engerem Bogen sein Opfer um-
kreisen und dann auf den Hügel der heiligen Genovefa, auf (ien
dort lehrenden Dialektiker herabstossen liess, war nicht zum wenig-
sten Abälards ketzerische Behauptung, dass der Begriff der All-
macht in Gott doch eine gewisse Einschränkung erfahre. Diese
Einschränkung aber leitet er — ganz in I^ssing'scher Weise — von
Gottes Heiligkeit und von seinem zwecksetzenden Handeln her.
Was im Widerstreite steht mit den Normen einer höchsten Ver-
nunft nnd was seinem heiligen Wesen zuwiderläuft, das schliesst
Gottes Erhabenheit, Gottes Wirksamkeit von sich aus, das beides
kann Gott in keinem Falle thun. Wenn somit Abälard an ver-
schiedenen Orten seiner Introductio imd seiner Theologia
Christiana ausführlich darlegt, dass Gottes Wirken im Weltlaufe
unter so viel Möglichkeiten immer die beste wähle und seine gött-
liche Allmacht nur insofern einer gewissen ethischen Eingrenzung
unterliege, als er nie etwas seinem Wesen Zuwiderlaufendes, nie
etwas Unheiliges sich zum Zwecke setzen könne, und dass Gott,
wo er vielleicht auch einen Menschen gerechter und begabter und
stärker hätte schaffen können und doch das Gegenteil des Ideals
habe eintreten lassen, doch immer seine höheren Zwecke verfolge,
von der Rücksicht auf das Beste des Ganzen, auf die Bestimmung
der Welt in ihrer Totalität geleitet, — auch Lessing ruft: „Geh
deinen unmerklichen Schritt, ewige Vorsehung. Lass mich an dir
nicht verzweifeln. Es ist nicht wahr, dass die kürzeste Linie immer
die geradeste ist Du hast auf deinem ewigen Wege so viel mit-
zunehmen, so viel Seitenschritte zu thun."
Mehr jedoch als alles dieses einzelne, mehr als der Einklang
zahlreichster Gedanken und ihrer Prinzipien überhaupt überzeugt
uns eine von vornherein blutsverwandte Geistesart, die in Abälard
und Lessing Verkörperung gefunden hat, von Recht und Mög-
lichkeit, dem einen dicht bei dem anderen seinen Platz in der
Geschichte des religiösen Geistes und seiner Entwickelung zuzu-
weisen.
Es muss eine hinreissende Persönlichkeit, eine Erscheinung
von akademischer Vornehmheit und von wirkungsvollster Art ge-
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302 Mämpel, Heft 9 u. 10.
wesen sein — dieser König der Dialektik, der auf der Seineinsel
im lateinischen Viertel von Paris Scholaren aller Länder zu seinen
Füssen gesammelt sah, der es verstand, mit umfassender Gelehr-
samkeit, mit Feinheit und Schärfe des Geistes, mit keckem Urteil,
mit Klarheit des Vortrags, mit fliessendem Wort, dessen Anmut
das Kind der Bretagne, den Spross des immer eleganten Francien
verriet, die Gedanken seiner Jünger an die Lehrentwickelung des
Meisters zu fesseln, „Das entlegene Britannien wies seine Söhne
dir zum Unterrichte zu", schreibt Abt Fulco in einem Briefe an
Abälard, und er führt ein ganzes geographisches Register von
Ruhmesblättern auf: aus der Gegend von Anjou seien die Schüler
zugeströmt, „Piktaver, Wasgonen imd Hiberer, Normannien, Flan-
dern, der Theutone und der Sueve, .... die Einwohner von Paris,
wie die der nahen und der fernen Teile Galliens, welche nach
deiner Lehre so sehr dürsteten, als könne nirgends als bei dir
Belehrung gefunden werden" i).
„Jeder Deutsche, wenn er Lessing nennen höret,
fühle Stolz!" — so hat Rückert dem grössten deutschen Genius
zwischen Luther imd Goethe gehuldigt Und noch der letzte der
Lessingbiographen, der in seinen geistigen Ansprüchen so sehr
verwöhnte Erich Schmidt, bekennt, dass immer Ansporn und Segen
es sei, bei diesem Geiste dienend zu hausen 2).
Wir haben nichts philosophisch Abgerundetes, keine abge-
schlossene Weltanschauung vor uns, sei es dass wir nach den
letzten Folgerungen suchen, die Abälard aus seinen leitenden
Sätzen zieht oder vielmehr zu ziehen sich scheut, sei es dass wir
Lessings Gedankengängen folgen. Das Unfertige ihres Gedanken-
aufbaus aber scheint einen doppelten Grund zu haben: den an
der Schwelle der deutschen Sturm- imd Drangperiode Stehenden
machen sein Temperament, sein rastlos schweifender Feuei^eist,
sein nie befriedigter Wahrheitseifer unfähig, ein tadelloses System
aus einem Gusse hinzustellen, ein Ganzes im Reiche des philo-
sophischen Gedankens zu zimmern, — dem Sohne des kirchlichen
Mittelalters ist seine Theologie, der er Rednergabe und Feder
leiht, ein Hemmschuh seiner Philosophie, und darum gelangt
auch der kirchliche Scholastiker zu keiner allseitig lücken- und
0 Epißt. Fulconis, Ab. op. ed. Cous. I, 703—707.
^ Schmidt, a. a. 0. Vorrede pag. IV.
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1894. Abälard und Lessing. 303
widerspruchslosen Weltanschauung. Aber kritische Geister und
kraftvolle Denker sind Abälard und Lessing wie nur wenige ge-
wesen.
Es ist dem einen' jener feinere, einsichtigere Skepticismus
zugeschrieben worden, „der nicht meint, dass man überhaupt nichts
wissen könne, wohl aber bei lebendigem Streben nach Erkenntnis
und bei unermüdlicher geistiger Arbeit doch einsieht, wie vieles
sich überhaupt nicht, wie noch viel mehreres sich nicht leicht
und zur Zeit nicht entscheiden lässt" i). Wie unser Abälard eben
eine Faustnatur war, die von dem Himmel die schönsten Sterne
und von der Erde ihre schönste Lust für sich begehrte, wie nichts
befriedigen mochte die tiefbewegte Brust, so mag er nicht minder
seinen Mephisto an der Seite gehabt haben, der ihn rechtzeitig
über die Ünverdaulichkeit des alten Sauerteigs belehrte und ihn
zu der Erkenntnis führte, dass dieses Ganze nur für einen Gott
gemacht sei, imd dass uns ewig Tag und Nacht bleibe.
Und wie er diese Einsicht in die Unvollkommenheiten
menschlichen Wissens insgemein und so auch menschlichen Wäh-
nens über Gott, die Ahnung, dass der echte Bing vermutlich
verloren ging, mit Lessing teilt, so steht der gelehrteste Kenner
der Schriftsteller des klassischen Altertums und der Kirchen-
väter, den das zwölfte Jahrhundert besessen hat, dem grossen
Polyhistor des achtzehnten fast ebenbürtig nahe. Dass sie selber
Schriftsteller ersten Ranges waren imd auch vielfache Stil-
verwandtschaft zeigen, — Abälards Latein erinnert nicht selten
an das knappe und klare Deutsch Lessings, — berühren wir nur
beiläufig.
Mit einer Mühle hat Lessing sich, seine Bestimmung und
seine Geistesarbeit einmal verglichen : er steht auf seinem Platze,
ganz ausserhalb des Dorfes, auf luftiger Höhe, er kommt zu nie-
mand, er bekümmert sich um niemand, er verbittet sich aber sehr
energisch die Hand, die es gelüstet, den Umlauf der Windmühlen-
flügel zu hemmen, „die nicht stärker ist als der Wind, der mich
umtreibt". Genau dasselbe hätte Abälard von sich bekennen
dürfen. Ahnliches hat er von sich bekannt Er will von rechts
und links ungehindert nur munter seine Lanze brechen für seine
*) Deutsch, P. Abälard, ein krit. Theol, des zweiten Jahrhunderts,
Leipzig 1883, S. 107.
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304 Mämpel, Heft 9 u. 10.
Sache auf dem Turnierplätze philosophischen Scharfsinns. Das
ist seine Lust, mit Ajax über die Gegner alle zu triumphieren:
si quaeritis hujus fortunam pugnae, non sum superatus ab illo.
Er ist in den Augen des Heiligen von Clairvaux der Ketzer, „dem
Gott selbst ein verdächtiger Zeuge ist, und der nichts glauben
will, was er nicht vorher mit der Vernunft untersucht hat." Dem
Winde gehorchen sie, Abälard und Lessing, der sie umtreibt, dem
zwingenden Drange, zu untersuchen, Dunkles zu klären, verwickelte
Probleme zu entwirren, die logischen Konsequenzen eines Ge-
dankens rückhaltlos zu verfolgen^). Keiner darf ihnen ein Halt
zurufen in ihrem Ringen nach einer befriedigenden Lösung der
Welträtsel. Und wir kennen alle das charakteristische Wort
des deutschen Geisteshelden, das nicht minder die Unterschrift
des französischen Scholastikers tragen könnte: er schätzt weniger
hoch den vermeintlichen Wahrheitsbesitz, der ruhig, träge, stolz
macht, er preist die aufrichtige Menscheiunühe, die allein in der
Nachforechung nach der Wahrheit ihr Genüge findet und ihre Kräfte
ei-weitert, worin die immer wachsende Vollkommenheit besteht, er
fällt mit Demut in die linke Hand seines Gottes, die den einzigen
immer regen Trieb nach Wahrheit umschlossen hält, obschon mit
dem Zusatz, mich immer und ewig zu irren, — „und Gott spräche
zu mir: Wähle! ich fiele mit Demut in seine Linke und sagte:
Vater, gieb! die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!"
Seinen 4. Antigöze aber schliesst Lessing fragend: „Weiss
der Herr Hauptpastor wohl, dass selbst in diesen barbarischen
Zeiten" — nämlich vom neunten bis zum fünfzehnten Jahrhundert
— „doch noch mehr Einwürfe gegen die christliche Religion ge-
macht wurden, als die Geistlichen zu beantworten Lust hatten?
Bedenkt er wohl, dass diese Zeiten nicht darum der christlichen
Religion so verderblich wurden, weil niemand Zweifel hatte, son-
dern darum, weil sich niemand damit an das Licht getrauen durfte?
Darum, weil es Zeiten waren, wie der Herr Hauptpastor will, dass
*) Vgl. übrigens obon die ausdrückliche Betonung der Grenzen, die
Abälards Erkenntnistriebe und Geistesarbeit gezogen waren. — Jene Rück-
haltlosigkeit, die doch als Wunsch und Trieb in seiner Natur lag, wurde
eben bei Abälard durch die von der kirchlichen Tradition ihm aufgezwungene
Reserve und die damit verbimdene Furcht vor den Traditionswächteni und
ihren Angriffen einigermafisen beeinträchtigt. Das Tragische in seinem Lebens-
bilde ist, dass dieser freie Geist ein Mann der Kirche war.
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1894. Abälard und Lessing. 305
unsere werden sollen." Und im 7. Antigöze fährt Lessing fort:
„Abälard ist der Mann, den ich oben im Auge hatte, als ich
sagte, dass selbst in jenen barbarischen Zeiten u. s. w." Er be-
dauert, dass uns noch dasjenige Werk des Abälard mangelt, aus
welchem die Religiousgesinnungen desselben hauptsächlich zu er-
sehen sein müssten. Er wünscht sich in den Besitz dieser ver-
lorenen Handschrift, er ruft aus: „Arme Scharteke! Gott führe
dich mir in die Hände, ich lasse dich so gewiss diiicken, so ge-
wiss ich kein Benediktiner bin."
Der Verfasser des Antigöze giebt uns damit selber ein
Recht, ihm die Bundesgenossenschaft mit den Religionsgesinnungen
eines Abälard, wie wir es unternommen haben, zuzuschreiben.
Das Suchen des Menschengeistes nach einer lichtvolleren
Erkenntnis seiner transcendentalen Verankerung in Gott und ihrer
Gesetze dauert fort.
Dieses ernsthafte Suchen wird immer nur mit denselben
wissenschaftlichen Waffen freier Forschung zum Austrag gebracht
werden können, mit denen einst Petrus Abälardus und G. E.
Lessing sich gegürtet hatten, der unglückliche Abälard und der
tapfere Lessing, — umhergeworfene Philosophen, fahrende Ge-
lehrte, kühne, spekulative Naturen beide, Zeugen beide der Ver-
söhnung, zu welcher Christentum und vernünftige Geistcsschulung,
religiöse und sittliche Überzeugung und ungeminderte Freiheit des
Denkens berufen sind, Propheten beide einer fernen Stunde geist-
erfüllter und wahrhaftiger Gottesanbetung, Herolde beide der
anima naturaliter christiana und Wortführer eines den Gedanken
einer Menschheitserziehung rechtfertigenden göttlichen Funkens,
einer göttlichen Anlage in aller Menschennatur, auch der vor-
christlichen, wie der eine von ihnen seinen Nathan vor Saladin
das Rätsel der drei Ringe deuten lässt und den Schiedsspruch
des Richters über den Erbstreit der drei Religionen in den milden
Rat umwandelt, die Kraft des Steines im eignen Ring nach Kräften
zu entfalten zum Beweis seiner Echtheit.
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Comenius, Duraeus, Figulus.
Nach Stammbüchern der Familie Figulus-Jablonski.
Von
F. Sander,
Schulrat der freien Haneestadt Bremen.
In der Nachkommenschaft des Comenius durch seine Tochter
Elisabeth, Gattin seines Pflegsohnes Petrus Figulus Jablonaeus
(Jablonski), deren gegenwärtiges Haupt, Herr M. Jablonski zu
Berlin, Mitglied des Vorstandes der Comenius-Gesellschaft ist,
haben handschriftliche und litterarische Schätze des XVII. und
des XVin. Jahrhunderts sich erhalten, die der vollen Würdigung
und Verwertung noch harren. Das meiste rührt her von Comenius'
bekanntem Enkel Daniel Ernst Jablonski (1660 — 1741), dem
Berliner Theologen, einiges von dessen Bruder Johann Theodor
(1654—1731) und von Daniel Emsts Sohne Paul Ernst (1693—
1757).
Hier soUen uns zunächst nur zwei Stammbücher aus diesem
Familienschatze beschäftigen: das des Stammvaters Petrus Figulus
und das seines Sohnes Johann Theodor, imter denen jenes ältere
an Reichtum imd an Wert des Inhaltes dies jüngere weit überragt
Aus beiden Büchern tritt uns vor allen anderen die hehre
Gestalt des Patriarchen Comenius entgegen. In das Stammbuch
des Petrus Figulus schreibt dessen Pflegvater während des ge-
meinsamen Aufenthaltes in London auf einem Queroktavblatte,
mit dem etwa das letzte Drittel des starken Bandes beginnt,
wie folgt:
Ab UNO, per UNUM, ad UNUM,
OMNES, OMNIA, OMNINO,
ni perire ac evanescere volumus in aetemum.
Hoc tibi crebrae recordationis ergo, ut quo vita et omnia
tua dirigenda sint non inimemor vivas, Petre Figule, quem a puero,
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1894. Comenius, Duraeus, Figulus. 307
propter Patris tui pietatem et de futura tua pietate spem, dilexi
et filii loco habui^ jam adscribo, Londini hospes,
Anno 1641, Octobris 5./15.
Johan. Arnos Comenius. m. p.
Dem Enkel Johann Theodor widmet der greise Grossvater
auf dem zweiten Duodezblatte seines Albums diesen Scheidegruss :
Etiamne cum tua Philotheca me accedis, dilecte nepos, (quem
Patri tuo filia mea Elisabetha primogenitum tulit), ut a me abi-
turus, nee me forte in hac mortali vita conspecturus amplius,
manus et mentis meae monumentum aliquod airferas? Fiat in
noraine Domini. Relinquo Tibi benedictionem, qualem Jacob
senex moribundus dilectissimo inter filios suos Josepho, dicens:
Benedictiones patris tui validae sint prae benedictioni-
bus progenitorum meorum, usque ad fines collium seculi
(Gen. 49, vers. 26). Et admonitionem, qualem Timotheo ex fide
filio suo dedit Paulus: Iuveniles cupiditates fuge, sed
sectare justitiam, fidem, charitatem pacemque cum
Omnibus, qui invocant Christum ex corde puro (2. Tim.
2, 22). Hoc fac, dilecte nepotule, et vives, propitio Tibi aeterno
patre Deo, propter Christum Dominum nostrum: cujus S. Spiritui
Te commendo. V[ale!].
Ita habes avitum votum, avitÄ senili manu expressum
Joh. A. Comenii Moravi, Amsterd. hospitis.
1. Junii, 1669, aetatis 78. m. pp.
Übrigens zeigt die Handschrift nichts Greisenhaftes. Sie
ist besser lesbar und geistvoller, klarer ausgeprägt, als im Jahre
1641.
Vor diesem Eintrage des Grossvaters enthält das Stamm-
buch des Johann Theodor Figulus, wie ihn die eintragenden Freunde
nennen, Jablonski, wie er selbst später zeichnet, einen wortreichen
Abschied des Vaters vom 12. Juli 1668, unterschrieben: „Petrus
Figulus Pastor Ecclae. Reformatae novellae demumque coUigi
coeptae Memmelae in Prussia Ducali. M. p.*' Hiemach werden
die bisher üblichen Angaben über den Jugendgang J. Th. Jab-
lonskis zu berichtigen sein. Das väterliche Wort ist offenbar bei
dem Geschenke des Büchleins, wie jeder unbefangene Leser er-
kennen wird, gemeint als Mitgabe für den bald vierzehnjährigen
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308 Sander, Heft 9 u. 10.
Sohn bei dessen erstem selbständigen Ausflüge aus dem Eltem-
hause. Johann Theodor war demnach gewiss nicht in Amsterdam
bei Comenius erzogen, wie nach Jöchers Angabe im Gelehrten-
lexikon noch R Schwarze in der Allgemeinen deutschen Biographie
berichtet, sondern kam erst jetzt auf längeren Besuch zum Gross-
vater. Am 12. Juli 1668 aus Memel vom Vater feierlieh ent-
lassen, ist er bereits am 27. August (6. September) in Amsterdam
soweit eingerichtet, um Magnus Hessenthaler sein Buch zur Ein-
schrift vorzulegen. Noch am 2. Juni 1669, einen Tag nach Come-
nius, ti'agen in Amsterdam der Mähre Jan Paskowsky und Petrus
Serrarius sich ein, und bereits am 14. Juni eröffnet in Danzig
Johannes Starkius, Scholae Petro-Paidinae Eector, eine ganze Reihe
Danziger Inschriften, unter denen noch mehrere von Lehreren der-
selben Anstalt herrühren. Wahrscheinlich hat Joh. Th. Jablonski den
Winter über (1669 auf 1670), während dessen — am 12. Januar
1670 — sein Vater in Memel starb, die Peter-Paulschule zu
Danzig besucht In Memel schrieb seines Vaters Nachfolger im
Pfarramte D. Paulus Andreas Lubiewski sich am 1. Mai 1670
ein. Von da wird Johann Theodor das Joachimsthalsche Gym-
nasium zu Berlin bezogen haben, dessen Besuch Jöcher zwar auch
1670 beginnen lässt, aber unmittelbar an den Amsterdamer Jugend-
aufenthalt reiht — Nach einem ziemlich bewegten Leben — er
war Lehrer und Erzieher an verschiedenen Fürstenhöfen — und
nach Herausgabe mancher Druckschriften starb Johann Theodor
als preussischer Hof rat und (seit 1700) ständiger Sekretär der
Akademie der Wissenschaften am 28. April 1781 in Berlin. Sein
Stammbuch hat er nach des Vaters Tode nicht weiter gepflegt
Nur ein Frankfurter Studiengenosse hat sich noch eingeschrieben.
Wunderbar reich ist das Stammbuch seines Vaters Petnis
Figulus, ein schwarzer Lederband mit zierlichem Goldschnitte, der
Spur von sechs blauseidenen Schnüren, die es ehedem schlössen,
und der in Gold aufgedruckten Inschrift: „P.[etru8] F.[igulus]
J.[ablonaeus] B.[ohemus] 1636." Vorläufige Übersicht über seinen
Inhalt erschiep bereits in der Beilage zur Allgemeinen (Münchener)
Zeitung vom 13. und 14. Dezember 1892; woraus natürlich hier
einzelnes zu wiederholen sein wird.
Eine kurze Lebensskizze des Petrus Figulus giebt zu An-
fange seines Aufsatzes über Daniel Ernst Jablonski R. Schwarze
in der Allgemeinen deutschen Biographie. Danach ist ^%ulus,
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1894. Comenius, Duraeus, Figulufl. 30Ö
wofür Rhesas Presbyterologie von Ostpreussen als Quelle bezeichnet
wird, aus Jabloni, Jablonka oder Gabel im böhmischen Kreise
Chrudim gebürtig und hat 1627 im Gefolge des Comenius neun-
jährig Böhmen verlassen, um nach Lissa zu siedeln. Es heisst
dort weiter: „Wie Comenius am G}Tnnasium zu Lissa alsbald
seine Lehrthätigkeit wieder aufnahm, so wird Figulus daselbst
seine Schulbildung erhalten haben. Sodaim bereiste er zu weiteren
Studien von 1636 — 1648 (nach Ausweis seines noch erhaltenen
Stammbuches) die berühmtesten Universitätsstädte des protestan-
tischen Europa. Nach Lissa zurückgekehrt, vermählte er sich am
19. Oktober [November?] 1649 mit des Comenius einziger [?]
Tochter Elisabeth, begleitete 1650 seinen Schwiegervater nach
Ungarn, ward 1654 als Prediger nach Danzig voziert, 1657 aber
in die Parochie Nassenhuben-Hochzeit, deren Kirche in jener, das
Pfarrhaus in dieser Ortschaft gelegen war. Unter Zustimmung
des Kammerherm von Prönen als Patrons vereinigte Figulus 1659
seine Gemeinde mit der Brüderunität — eine Verbindung, welche
jedoch nur bis 1709 gedauert hat, — und ward 1662 auf der
Synode zu Mieltßchin zu deren Senior geweiht. 1667 folgte er
einem Rufe des Km^ürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg
als Hofprediger nach Memel und starb daselbst am 12. Januar
1670."
Teils ergänzt, teils berichtigt sind diese Angaben durch die
neuere Comeniusforschung, namentlich die gründliche Biographie
des Comenius von Kvacsala. Wir finden nach ilir Figulus 1642
bei Comenius in Elbing, ferner 1643 und 1649 v(mi Meister ge-
sandt, 1646 mit ihm in Schweden, endlich 1656 samt Familie,
V(m Lorenz de Geer berufen, bei Comenius in Amsterdam. Ausser-
dem fungiert Figulus mehrmals als Mittelsmann zwischen Comenius
und den englischen Freunden, namentlich mit dem Friedensmanne
Johannes Duräus, so besonders 1647; und es erhellt aus Kvac-
salas Zitaten, dass Figulus an Duräus englisch schrieb. Der
Amsterdamer Aufenthalt des Figulus und der Seinen von 1656
bis 1658 wird femer noch bezeugt durch die Widmung einer
Predigt: „Eines rechtschaffenen Christen Emausgang^', von Petrus
Figulus am anderen Ostcrtage 1658 zu St. Petri-Pauli in Danzig
gehalten und bei Christoffel Cunradus in Amsterdam gedruckt,
an „den Wohl-Edlen, Gesti'engen und Vesten, Herrn Laureus de
Geer, Herrn auf üsterby u. s. w. — Vnd den Ehren vesten, Wohl-
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310 Sander, Heft 9 u. 10.
fürnehmen, Grossachtbaren Herrn Antonium de Kuyper, Vor-
nehmen Kauffman in Dantzig, Beyderseits seine hochgeehrten
Herren und sehrgünstigen Beförderer und Wohlthätter*^ Die
Vorrede des Büchleins, das Herr M. Jablonski besitzt, ist (während
eines abermaligen Besuches? bei Abhohmg der Seinigen?) am
28. Januar 1659 in Amsterdam unterschrieben und enthält die
Worte: „Dieses wohlmeinende Werklein wird meinesteils
E. E. Gestrengen zugeschrieben, hiemit vor der Ehrbaren Welt
öfifentlich zu bezeigen, wie ich dem löblichen Hause de Geer und
dann auch insonderheit E. E. Gestrengen wegen ihrer alten und
neuen, an mir und jetzt auch an den Meinigen beschehener, grosser
und unzählbarer VV^ohlthaten, zum höchsten mit alledem, was ich
kann und vermag, pflichtig und schuldig bin, und meine gebühr-
liche Dankbarkeit jederzeit gern zu erkennen zu geben gefliessen."
Wesentlich helleres Licht fällt nun auf die Jugendgeschichte
des Petrus Figulus durch sein Stammbuch. Dass es seinem über-
wiegenden Inhalte nach nicht das eines fahrenden Studenten sei,
zeigt gründlichere Betrachtung bald. Der Schlüssel zu seinem rich-
tigen Verständnisse liegt in folgendem, unscheinbar zwischen den
anderen versteckten Eintrage: „Hebr. 12, 14 (griechischer Wort-
laut; darunter:) Haec pauciila in gratiam ornatissimi optimaeque
sj)ei juvenis, Domini Petri Figuli, sui quondam in peregrinationibus
concordiae ecclesiasticae causa susceptis septennio toto amanuensis
et commilitonis lubens adscripsit Johannes Duraeus principissae
Mariae a concionibus. Hagae Comitis Anno 1643. Octobris 16/26."
Petrus Figulus reiste demnach vor 1643 sieben Jahre
lang als Begleiter und Gehilfe mit dem Friedensapostel
Duräus. Wenn man die Einträge der sieben Jahre von 1636
bis 1643 mit dem vergleicht, was aus dem Wanderleben des
Duräus sonst bekannt ist, der allerdings seit 1641 im Haag als
Hofprediger der mit Wilhelm H. von Oranien vermählten Prin-
zessin Henriette Maria Stuart, Karls I. Tochter, eine kurze Ruhe-
station gefunden hatte, so trifft man fast durchweg Figulus an
des schottischen Theologen Seite.
John Dur}' war 1595 oder 1596 in Edinburg als Sohn eines
presbyterianischen Geistlichen geboren, der später, als Jakob I. in
der reformierten Kirche Schottlands das Bischofsamt wieder ein-
führte, auswanderte und eine Gemeinde gl eichgesinnter Flüchtlinge
in Leiden geistlich bediente. Der Sohn studierte zwar anscheinend
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1894. Comenius, Diiraeus, Piguluß. 311
auf heimischen Universitäten: 1624 hat er in Oxford auf der
Bibliothek gearbeitet, fand jedoch seine erste geistliche Stelle bei
den sog. englischen Adventurers zu Elbing im polnischen Preussen,
das Gustav Adolf von Schweden seit der Eroberung von 1621
besetzt hielt Der dortige schwedische Oberrichter Kaspar Gode-
mann hatte 1628 in einer Schrift versucht, die lutherische und
die kalvinische Abendmahlslehre zu vereinigen, und sein Werk
auch Duraus zur Begutachtung vorgelegt Dieser wurde dadurch
für den Gedanken der Union sämtlicher evangelischer Parteien
so völlig gewonnen, dass er beschloss, ihr fortan sein Leben zu
widmen. Seine ersten Gönner für dies Unterfangen fand er ausser
Godemann an dem grossbritamüschen Gesandten Sir Thomas Rowe
und dem grossen schwedischen Kanzler Axel Oxenstiema, die
1630 in Elbing zusammentrafen. Auf ihren Rat reiste Duräus
zunächst nach England, wo er mit Zustimmung seiner angesehen-
sten Parteigenossen um den Beistand der anglikanischen Bischöfe
warb. Nur wenige Förderer seiner Sache gewann er. Unter ihnen
war zwar der damalige Erzbischof von Canterburj^, George Abot.
Allein dieser edle, milde Prälat hatte teils durch Ungnade des
Königes Karl, teils durch unglückliche Tötung eines Menschen
auf der Jagd fast allen Einfluss verloren. Ausserdem billigten
das Unternehmen nur die Bischöfe Joseph Hall von Exeter und
Johannes Davenant von Salisbury. Dieser hatte bereits selbst
den Vorschlag litterarisch verfochten, das Symbolum Apostolicum
als Grundlage eines allgemeinen Kirchenfriedens zu vei-werten.
Gleichzeitig fand — März 1681 — in Leipzig „bei währendem
der hochlöblichsten und hochlöblichen evangelischen und prote-
stierenden Kurfürsten und Stände hochansehnlichem Konvente"
ein Gespräch zwischen den reformierten Hofpredigeru D. Johann
Bergius von Brandenburg, D. Johann Crocius und Theophilus
Neuberger von Hessen - Kassel einer-, den kursächsischen luthe-
rischen Theologen D. Matthias Hoe von Hohenegg, D. Polykarp
Lyser, D. Heiimch Höpfner andrerseits statt. Man kam zu keiner
vollen Einigimg. Doch woUte man „hoffen und dahin sich durch
fernere, der mehreren friedliebenden Theologen Konferenz, zu-
forderst auch christlicher hoher Obrigkeiten Auktorität bemühen,
damit eine nähere Zusammenhaltung an- und aufgerichtet und durch
solches Mittel die wahre Kirche (jottes erweitert und vermehret,
den Papisten auch die Hoffnung, welche sie bishero wegen fürge-
Monat8liefte der Comenius-Gc»<.'ll8chafl. lvS94. oo
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312 Saoder, Heft 9 u. 10.
gangener Spaltung gehabt, in etwas benommen werden möchte^;
und „inmittels sollten beiderseits Theologi einander christliche
Liebe inskünftige erzeigen; alles treulich und ohne Gefährde". Da
auch Gustav Adolf selbst samt seinem Kanzler Oxenstiema und
seinem Hofprediger D. Matthiä den Unionsbestrebungen günstig
gesonnen war und dies dem schottischen Vermittler bei einer
Begegnung in Nürnberg personlich aussprach, schien des Duraus
Weizen zu blühen. Indes die theologischen Vorurteile der luthe-
rischen Seite standen ihm schroff gegenüber; nur die Hehnstadter
sog. Synkretisten, deren Haupt Georg Calixtus war, ausgenonmien.
Auch traf wohl nicht ganz grundlos den Friedensapostel selbst
der Vorwurf, welchen Vermittler so leicht auf sich laden, dass
er, ganz hingenommen vom christlichen Eifer der Vereinigung,
imter Lutheranern lutherischer, unter Anglikanem bischöflicher
und unter Kalvinisten kalvinischer auftrat, als er eigentlich ver-
antworten konnte. Nach Gustav Adolfs Tode setzte Oxenstiema
auf den Konventen zu Frankfurt a.M. 1633 imd 34 die Unions-
versuche vom politischen Standpunkte aus eifrig fort Duraus
war beidemale zugegen. Dazwischen ging er nach England, wo
sein Gönner Abot gestorben war, und gewann — allerdings gegen
den Preis der bischöflichen Priesterweihe und des Anschlusses
an die anglikanische Kirche — Urlaub, Vollmacht imd Geldmittel
vom mächtigen Erzbischofe Land, sowie Beifall und Beihilfe des
irischen Primas Jakob Ussher von Armagh* und anderer Kirchen-
fürsten. Aber die schwedische Sache in Deutschland erlitt gerade
damals einen furchtbaren Schlag durch die Schlacht bei Nörd-
lingen (4. u. 5. September 1634) und den Prager Separatfrieden
von 1635 zwischen Kaiser und Kursachsen. Dem Duraus hatten
die Gesandten auf dem zweiten Frankfurter Tage vor dem Aus-
einandergehen (14. September 1634) noch versprochen, seine Vor-
schlage ihren fürstlichen und stadtischen Auftraggebern vorzulegen
und für deren Förderung thätig zu sein. Aber es war ein Wechsel
auf unbestimmte Zukunft Duraus beruhigte sich dabei nicht
lange. Im Jahre 1636 unternahm er von den Niederlanden aus
einen neuen Vorstoss — schriftlich und persönlich. Auch die
Unitat der böhmischen Brüder bot er zur Mithilfe auf. Ihre
Synode zu Thom (Juli 1636) beschäftigte sich unter Comenius'
persönlicher Mitwirkung in entgegenkommendem Sinne mit seinen
Anträgen. Besonders beschloss Duräus, — man sagte, auf Rat
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1894. Comenius, Duraeus, Figulus. 313
des Hugo Grotius, den er als schwedischen Gesandten in Frank-
furt kennen gelernt, ^ nach dem lutherischen Schweden zu reisen
und dort in mündlicher Verhandlung sein Heil zu versuchen.
Mit dieser Reise beginnt — soweit das Zeugnis des Stamm-
buches entscheidet — die Gefolgschaft des Petrus Figulus. Seine
Eintrage stimmen bestens zu den geschichtlichen Angaben und ur-
kundlichen Belägen in Karl Jesper Benzelius' ,,Dis8ertatio historico-
theologica de Johanne Duraeo pacificatore celeberrimo" (Helmstädt
1744). Die Verhandlungen liefen seit August 1636 durch ver-
schiedene Stadien, aber trotz des Kanzlers Gunst zuletzt so un-
glücklich, dass am 7. Febniar 1638 auf Antrag des Klerus die
Königin Duraus aus Schweden verbannte. Nur durch Krankheit
ward er noch bis Juni in Stockholm festgehalten. Nicht ganz
scheint Axel Oxenstiema ihm seine Gunst entzogen zu haben,
und treu ergeben blieb ihm Johann Matthiä, später Bischof von
Wexiö und als solcher wegen Kryptokalvinismus 1664 entsetzt
Beide finden sich in Figulus^ Album, — Axelius Oxenstiema aus
dem April des jTahres 1637 mit dem Spruche: Moderata durant,
— in dem fast kein Name der bei den hin- und herflutenden
Verhandlungen beteiligten Männer, selbst der Gegner, wie des
streitbaren Bischofes Johannes Rudbeck von Westeras (Arosia),
fehlt Auch mit dem dänischen Gesandten Petrus Wibe müssen
die Reisenden nach dessen sehr freundlichem und vertraulichem
Eintrage aus Stockholm (Juni 1638) schon dort nähere Beziehungen
geknüpft haben.
Einstweilen ging die Reise nach Lübeck (August 1638) und
über Lübeck nach Hamburg, das einige Jahre hindurch Durys
Hauptquartier gewesen zu sein scheint. Dort traf er Sir Thomas
Rowe, den alten Gönner, der die Verbindung mit England für-
sorglich im Gange erhielt und die Bekanntschaft mit dem dänisch-
deutschen Kanzler Dietloff Reventlow zu Glückstadt vermittelte.
Beide Männer haben sich in das Stammbuch eingetragen, das als
Ertrag manchfacher Reisen der nächsten Jahre aus Hambin^,
Lübeck, Bremen und anderen norddeutschen Städten zahlreiche
Denkblätter aufweist, sowohl von Mitgliedern des böhmisch-
mährischen Refuge, auch den Sozinianem, wie von mehr oder
weniger bekannten und bedeutenden Einheimischen. Die örtliche
Gelehrtengeschichte kann da noch manche Ausbeute finden. Ich
will aus dem nordalbingischen Gebiete nur zwei bedeutende Namen
22*
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314 Sander, Heft 9 u. 10.
nennen: Joachim Jungius (1587 — 1657), den berühmten Rektor
des akademischen Gymnasiums zu Hamburg, und den liederreichen
Eibschwan, Pastor Johannes Rist (1607—1667) zu Wedel. Des
letzteren Gast war Figulus am 13. November 1639. Der red-
selige Poet beschreibt zum Abschiede ein ganzes Blatt des Albiuns
mit Zitaten aus der Bibel und aus Dantes Hölle nebst beigefügter
eigner Übersetzung.
Im Dezember 1639 bmchen Duräus und Figulus zu einer
Reise nach Braunschweig und Hildesheim auf, die jenem später
als eine Art Glanzzeit seines an Täuschungen überreichen Lebens
erschien, und die auch dem jungen Begleiter hochinteressant ge-
wesen sein wird. Der Besuch galt den beiden weifischen Fürsten-
hofen Augusts des Jüngern in Braunschweig und seines Vetters
Georg in Hildesheim, der Stammväter der herzoglich braun-
schweigischen und der späteren Kur- und königlichen Linie. Beide
genossen nicht mit Unrecht den Ruf bedeutender Fürsten: jener
noch heute berühmt als Gründer der Wolfenbütteler Bibliothek
und als Gönner Johann Valentin Andreas wie so manches anderen
Gelehrten jener Tage; dieser damals wohl berühmter durch seine
kriegerische Laufbahn, der er nur zu bald (1641) durch plötzlichen
Tod entrissen ward.
Vor wenigen Jahren erst (1635) hatte man nach dem erb-
losen Tode Friedrich Ulrichs von Braunschweig -Wolfenbüttel in
einer jener unbegreiflichen Teilungen, durch welche Fürsten und
Stände in deutschen Landen ehedem ihre Macht selbst zu schwächen
pflegten, den welfisehen Gesamtbesitz in drei thunlichst gleiche
Lose zerlegt, deren drittes, man meinte damals: bestes, Geoi^
älterer, unstandesgemäss vermählter Bruder Friedrich von Lüne-
burg-Celle inne hatte. Gemeinsam verwaltete das „löbliche hoch-
fürstliche Haus Braunschweig-Lüneburg^^ unter anderem Besitze
die im protestantischen Deutschland hochangesehene Jidiusuniver-
sität zu Hehnstädt Ihr berühmtester Lehrer war damals der
Theolog Georg Calixtus (1586—1656), Abt von Königslutter,
ein weitblickender Mann, der an Einigung der ganzen Kirche
auf Grund der vermeintHchen Lehreinheit des kirchlichen Alter-
tumes (consensus quinquesaecularis) zu denken wagte und zunächst
wenigstens die Pflege eines freundnachbarlichen Einvernehmens
imter Lutheranern und Kalvinisten als Pflicht erkannte. Von
\'ielen angefeindet und verketzert als Haupt der Synkretisteii,
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1894. Comenius, Duraeus, Figulus. 315
hatte er daheim doch Schule gemacht. Eine Schar tüchtiger
jüngerer Theologen umgab und unterstützte ihn mit Verständnis.
Aus ihrer Zahl ragt hervor Justus Gesenius (1601 — 1671), damals
Hofprediger und Konsistorialrat in Hildesheim, später General-
superintendent in Hannover. Den Theologen nahe befreundet
waren tüchtige Staatsmänner wie Dr. Jakob Lampadius, ehedem
Calixts juristischer Amtsgenoss an der Universität, jetzt Ge-
heimer Rat Herzogs Georg, sein Braunschweiger Kollege Dr.
Kipius und David Denicke, mit Gesenius Herausgeber des bis in
unsere Tage benutzten vortrefflichen hannoverschen Kirchengesang-
buches.
Dass von hier aus das Leipziger Gespräch wie die weiteren
von Oxenstierna begünstigten kirchlichen Unionsversuche sorg-
fältig beachtet und nach Kräften gefördert waren, versteht sich
von selbst Dem Duräus waren die Doktoren Lampadius und
Kipius schon 1634 in Frankfurt näher getreten. Ihrem damals
noch lebenden Herzoge Friedrich Ulrich gutachteten sie: „Weil
die Kalvinisten, mit deren Irrtümern wir doch nichts zu schaffen
und selbige verwerfen, uns viel näher kommen und in wenigeren
Artikeln diskrepieren als die Papisten, wird von und mit ihnen
billig der Anfang (der Einung) gemacht und, wie nahe ein Teil
dem anderen treten möge, mit gebührlicher Sorgfalt versucht"
Die Theologie des befreundeten Calixt klingt dabei überall durch.
„Das Fundamentum und via regia ist , dass neben der heiligen
Schrift auf den übereinstimmenden Konsens der werten und un-
zweifelhaften Antiquität, welcher aus den luvten S}Tnbolis erhellet,
das Absehen genommen und dagegen alle den lieben Alten un-
bekannte zum wahren Christentum imnötige, hohe, subtile und
gutes Teiles ganz ungewisse Nebenfragen beiseits gesetzet oder in
die Schulen verwiesen werden." Durch das Unglück der schwe-
dischen Waffen, das schwedisch -französische Bündnis und die
ganze veränderte Weltlage waren diese Interessen freilich auch
hier inzwischen zurückgeschoben worden.
Den Einheitsversuchen neuen Antrieb zu geben, ward Johannes
Duräus 1639 von Herzog August in Braunschweig und Herzog
Georg in Hüdesheim eingeladen. Am 5. Dezember beriet man
in Braunschweig, um die Jahreswende in Hildesheim. Diu^us
erntete alles Lob für sein bisheriges Wirken imd die Zusage, dass
man ihm fortan bestens ziu- Hand gehen und seine christlichen
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316 Sander, Heft 9 u. 10.
Pläne nachdrücklich fördern wollte, wenngleich mit aller Prudenz
und Zirkumspektion, deren Notwendigkeit in jenen geschwinden
und bösen Zeitläuften dem Pektoraltheologen nicht immer so gegen-
wärtig sein mochte, wie den gewiegten Politikern. Nach Duräus'
eigenem späteren Zeugnisse fand er an den weifischen Höfen
und besonders in Hildesheim eine über alles Erwarten huld- und
ehrenvolle Aufnahme. Freien Eingang muss auch überall Petrus
Figulus mit seinem offenen Stammbuche gefunden haben. Die
neuen Braunschweiger imd Hildesheimer Bekannten stehen zahl-
reich darin. Neben Herzog August sein Sohn imd Nachfolger
Rudolf August; alle vier Söhne Herzogs Georg: Christian Ludwig,
später in Celle, dessen holsteinische Witwe Dorothea des grossen
Kurfürsten zweite Gemahlin ward; Georg Wilhelm, später letzter
Herzog in Celle, Gemahl der hugenottischen Eleonore d'Olbreuse
und Vater der unglücklichen Prinzessin von Ahlden; Johann
Friedrich, Herzog von Hannover, der später katholisch gewordene
Gönner Leibniz'; Ernst August, später erster Kurfürst von Han-
nover und Stammvater der englisch -hannoverschen wie durch
seine Tochter Sophie Charlotte und seine Enkelin Sophia Dorothea
der preussischen Könige. Dazu haben alle die genannten be-
deutenden Männer an beiden Höfen, zumal in Hildesheim, dem
jungen dominus possessor mit freundlichen Wünschen und guten
Sprüchen sich gefällig erzeigt Bis zum Februar 1640 blieben die
Reisenden — mit einem kurzen Abstecher nach Hannover — in
Hildesheim und kehrten dann über Celle, wo sie — wohl beide
— nur karge Ausbeute gewannen, und Lünebui^ nach Hamburg
zurück. Dauernde Frucht hat die Anwesenheit des Duräus in
Braunschweig und HUdesheim nicht getragen. Wenngleich die
friedliche Theologie der Calixte, des Vaters und seines Sohnes
Friedrich Ulrich, lange in den Landen beider weifischer Linien
vorherrschte, so war doch für eine wirkliche kirchliche Union die
Zeit noch nicht gekommen. Immerhin bildet diese Reise des
Duräus an die braunschweig-lüneburgischen Höfe ein ansprechen-
des Kapitel in der Vorgeschichte der evangelischen Union und
ist als solches aufgefasst und dargestellt in des jüngeren Calixt
„Via ad pacem" (Helmstädt 1701) imd in Henkes trefflichem
Werke über „Georg Calixt und seine Zeit« (Halle 1853—1860).
Die Leser des Aufsatzes von Radlach im Märzhefte 1893
dieser Zeitschrift über den Aufenthalt des Comenius in Lüneburg
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1894. Comeniuß, Duraeus, Figulos. 317
(1647) ynrd es erfreuen, aus dem Stammbuche seines Pflegsohnes
zu vernehmen, dass dieser bereits sieben Jahre zuvor in derselben
Stadt nicht nur, sondern in demselben Hause freimdliche Auf-
nahme gefunden hat: bei dem frommen buchhändlerischen Brüder-
pare Hans und Heinrich Stern. Hoffentlich geht Radlachs Wunsch
einer würdigen Geschichte ihres Verlagshauses bald in ErfüUung.
Da noch kurz vor 1866 der Name von Stern in Lüneburg persön-
lich vertreten und die 'von Stemsche Druckerei' im Besitze alt-
verbriefter Verlagsrechte (Lüneburger Gesangbuch, Landeskatechis-
mus etc.) war, die Druckerei aqch noch heute unter der alten
Firma fortbesteht, so kann wohl das urkundliche Material noch
nicht unwiederbringlich verstreut sein; und in Lüneburg hatte man
— ehemals wenigstens — regen geschichtlichen Sinn.
Wenig Glück hatte Duräus im weiteren Verlaufe des Jahres
1640 in Dänemark. Christian IV. selbst, damals zwei und sechzig-
jährig und schon über 50 Jahre König, war — so berichtet Benzelius
— dem Friedensgedanken des Schotten geneigt Zum Danke
ziert sein BUdnis den inneren Deckel und der zugehörige Eintrag
aus dem Jahre 1640 das erste Blatt des Albums des jungen Be-
gleiters. Nur glaube ich kaum, dass Name und Wahlspruch
(Regna firmat pietas), in tadelloser Fraktur geschrieben, von des
Monarchen eigener Hand sind. Aber Christian wies vorsichtig
das kirchliche Anliegen an seine lutherischen Theologen, und bei
denen half hier sowenig die königliche Huld, wie in Schweden
die Gunst des Kanzlers. Schon an der Vorfrage, ob Duraus von
allen kalvinistischen Kirchen Vollmacht hätte, scheiterte alles.
Auch dachten die gnesiolutherischen Dänen gar nicht an Entgegen-
kommen ihrerseits. Der einzig mögliche Weg zur Annäherung
war in ihren Augen förmlicher Verzicht der kalvinischen Sakra-
mentarier auf aUe ihre Irrtümer. Kein Beitrag zur Philotheka
des Amanuensis ausser dem huldvollen des Königs lässt auf freund-
lichere Momente dieses dänischen Unternehmens schUessen.
Im Spätherbste 1640 ging die Reise rückwärts über Hamburg
(November, Dezember), Bremen, Oldenburg, Emden nach Groningen.
Duräus und Figulus blieben nun in den Niederlanden bis Juli
1641. Hier — in Franeker, Amsterdam, Haag, Leiden u. s. w. —
hielt dieser die reichste Ernte für seine Autographensammlung.
Es lohnt aber kaum, dem Hin und Her auf dem engen Räume
vermutend nachzuspüren; ich werde die bedeutenderen der in den
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318 Sander, Heft 9 u. 10.
Niederlanden erbeuteten Namen Heber gruppenweise zusammen-
stellen, ohne die Zeitfolge ängstlich zu wahren.
Unter den reformierten Theologen der Zeit traf Figulus in
Groningen den Ostfriesen Heinrich Alting (1583 — 1644). Einst
des Pfalzgrafen und späteren böhmischen Königes Friedrich Hof-
meister, hatte er später auf dessen Wunsch auch seines ältesten
Sohnes Erziehung geleitet In dieser Eigenschaft traf ihn Comenius
1626 am Hofe des Königs im Haag. Seit des Zöglinges Tode
war er zum akademischen Lehramte zurückgetreten. In Franeker
lernte der junge Reisende Johannes Koch oder Coccejus (1603
bis 1669) aus Bremen kennen, dessen Föderaltheologie unter den
Reformierten ebenso berühmt und ebenso umstritten war, wie im
lutherischen Lager Calixts consensus quinquesaecularis. Zu den
beiden eingebürgerten Deutschen trat im Haag der Franzose
Andreas Rivetus (1573 —1651), einst Zierde der Universität Leiden,
dann Erzieher, jetzt väterlicher Vertrauter des Prinzen Wilhelm H.
von Oranien (1620 — 1650), dem er eben die englische Braut ge-
worben hatte. — Heller noch fast als der Rühm der Theologen
strahlte in den damaligen Niederlanden der der Philologen. Figidus
ist an ihnen nicht vorbeigegangen und von ihnen nicht abgewiesen.
Daniel Heinsius (1580 — 1655), der väelbewimderte Polyhistor,
schrieb in sein Buch ,ziun Zeichen seines ganz besonderen Wohl-
wollens' den Seufzer: Quantum est, quod nescimus! Heinsius'
feindlicher Kollege an der Leidener Universität Klaudius Salmaaius
bezeichnet sich stolz als Konsistorialrat des allerchristlichsten
Königes; und doch lautet sein republikanischer Wahlspruch: Könige
und Herren zu haben verdient, wer sich selbst nicht hat! Aus-
führlich variiert der Pfälzer Gerhardus Johannes Vossius (1577 bis
1649) das Thema: Ars longa vita brevds. Man sagt ihm nach, dass
er nur einmal im Leben ein paar Arbeitsstunden seines streng
geregelten Tages versäumt habe: aus Anlass der eigenen Hochzeit.
— Den gelehrten Männern gesellt sich mit zierlicher hebräischer
Inschrift („Der Herr mein Licht !'^ die Kölneiin Anna Maria von
Schurman (1607 — 1678), damals wegen ihrer \delseitigen Begabung,
Gelehrsamkeit, Kunstfertigkeit als eines der Wunder der Zeit
angestaunt Sie sprach, las und schrieb, wie man ihr nachrühmt,
fertig in sieben Sprachen und war bei aller Verehrung, die sie
unter Frauen imd Männern genoss, ein Muster jungfräulicher Be-
scheidenheit und Strenge. Noch ahnte die Vierunddreissigjährige
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1894. Comenius, Duraeus, Figuluß. 319
nicht, dass sie einst als Diotima oder I^eria Jean de Labadies
ihre glänzende Laufbahn in Qual und Unruhe enden und samt ihren
verbannten und gehetzten Freunden bei der geistverwandten fürstr-
lichen Freundin und Schülerin schutzflehend anklopfen sollte, der
Pfalzgrafin Elisabeth, die eben in jenen Jahren gern und oft mit
ihr verkehrte. — Ihr Einfluss hat sich bei der Pfalzgräfin dauern-
der erhalten, als der eines anderen, berühmteren Freundes, dem
wir gleichfalls im Stammbuche des Petnis Figulus begegnen: Ren^
Descartes oder, \^de er selbst sich unterschreibt : Renatus des (krt^s.
Bekanntlich bestand zwischen Cartesius und Comenius kein freund-
liches Verhältnis. Der Franzose scheint von des Mähren hoch-
fliegenden Plänen kaum mehr als oberflächliche Kunde genommen
zu haben; dieser hat des anderen Philosophie stets von sich ge-
wiesen und geradezu bekämpft. Des jungen Figulus Annäherung
dagegen muss der philosophische Einsiedler sehr freundlich auf-
genonunen haben. Sein Spruch klingt geradezu schmeichelhaft
für den jungen Fremdling, dem er am 18. Juli 1641 in Leiden
einschreibt: Philosophandum sed cum paucis! — eine feine Um-
biegung des durch Cicero bewahrten Wortes des Ennius: Philoso-
phari est mihi necesse, sed paucis. Nam omnino haut placet:
degustandum ex ea, non in eam ingurgitandum censeo.
Schon die beiden letzten Namen führten darauf, dass in
jener Zeit die Familie des unglücklichen Friedrichs von Pfalz und
Böhmen in den Niederlanden Obdach und Zuflucht genoss. Er
selbst war 1632 kurz nach Gustav Adolf, seinem Retter, wie er
gehofft hatte, in Mainz, fern von den Seinen, gestorben. Gattin
und Kinder behielten ihre niederländischen Wohnsitze im Haag,
in leiden, in Rhenen. Die Geschichte nennt den Gescheiterten
unbarmherzig spottend den Winterkönig. Den vertriebenen Böh-
men blieb selbstverständlich seine Person und sein Haus ehrwürdig,
seine Sache heilig und ernst. Wie schon Comenius 1626 dem
Könige Friedrich im Auftrage seiner Mutter, der oranischcn Louise
Juliane, die wunderlichen Orakel des Sprottauer Seilers Christoph
Kotter überbracht und ihm dabei als seinem rechtmässigen Könige
gehuldigt hatte, so konnte auch sein Pflegsohn Petrus nicht anders
zu dem kurpfälzischen Hause sich steUen. Friedrichs hoffnungs-
vollen Altesten, Kurprinz Heinrich Friedrich, den der Vater 1629
im Hafen von Amsterdam ertrinken sehen musste, zeigt sein
Album wenigstens im Bilde. Von den übrigen Gliedern des
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320 Sander, Heft 9 u. 10.
Hau8es finden wir folgende durch Namenszug und teilweise durch
Denksprüche vertreten. In einsamer Majestät, wie ihre Art,
zeichnet sich nur mit dem Namen des Winterkönigs Wittwe
„Elizabeth" ein. Der Namenszug ist offenbar dem der Elisabeth
Tudor, der jungfraulichen Königin, nachgebildet und gehört zweifel-
los der Kurfürstin und Königin Elisabeth Stuart an. Karl Ludwig,
der nunmehrige Kurerbe und demnächstige Kurfürst, als solcher
später auch Gönner der Comenischen Lehrart (1617 — 1680), hatte
schon 1639 sein „Dens providebit" eingetragen. Petrus Figulus
wird ihm in Hamburg aufgewartet haben, wo er nach dem Miss-
lingen seines kriegerischen Unternehmens und besonders nach
der Niederlage von Gohfeld (17. Oktober 1638) Zuflucht fand.
Wechsel volle Bilder ruft der Name seines Bruders Ruprecht (1619
bis 1682) oder, wie er selbst schreibt, Rupert vor die Seele. Ge-
fangen bei Gohfeld war er drei Jahre in kaiserlicher Haft zu
Linz, von wo er gegen Urfehde 1641 nach London entlassen ward.
Da ihm das Stanunbuch 1642 vorgelegen hat, wird es dort ge-
wesen sein. In den bald ausbrechenden inneren Kämpfen der
Engländer und Schotten erwarb er im Dienste seines Oheims
Karls L Stuart den Ehrennamen des Kavaliers imd den Ruf eines
wetterfesten Seehelden. Nach 1660 war er Admiral von England:
zugleich bekannt durch seine physikaUschen Forschungen und seine
Uberfühnmg der Schabkunst aus ihrem Geburtslande Hessen in
die neue Heimat. Der Greis Comenius widmete ihm später sein
Unum necessarium. Während Karl Ludwigs und Ruprechts
jüngere Brüder, Moritz, Eduard, Philipp, fehlen: ein abenteuerlich
Völklein! — haben 1641 die drei älteren Schwestern Elizabeth,
Louise, Henriette sich eingeschrieben. Von allen dreien liesse sich
viel sagen. Von der geistvollen und gelehrten Elisabeth (1618 bis
1680), die bereits damals des Glaubens halber des Polenköniges
Wladislav Hand fest und entschieden abgelehnt hatte, wurde
oben angedeutet, wie sie in jungen Jahren mit Descartes philo-
sophierte, mit A. M. Schurman Kunst und Wissenschaft trieb und
dann im Alter als reformierte Äbtissin von Herford mit Hilfe
ihres Vetters, des grossen Kurfürsten, die von Ort zu Ort ge-
scheuchten Labadisten schützte. Louise ist jene Pfalzgräfin Louise
HoUandine, die man einst dem Vetter Friedrich Wilhelm von
Brandenburg als Braut zugedacht hatte, als dieser in Leiden
studierte. Später katholisch geworden, waltete sie bis ins hohe
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1894. Comenius, Duraeiis, Figulus. 321
Alter als Äbtissin zu Maubuisson: eine Prälatin von wunderlich
formlosen, wenn nicht gar ungeistlichen Sitten; in der Malkunst
nicht unbegabte Schülerin Gerhai-d Honthorsts. Henriette heiratete
1650 den Fürsten Sigismund Räköczy von Siebenbürgen, starb
aber nach einer Ehe von wenigen Monaten am 28. September d. J.
in Saros Patak, wie Nikolaus Drabik es vorausgesagt, gerade als
Comenius im Dienste des Fürsten und seiner Mutter Susanna
Lorandfy dort weilte. — Die berühmteste der zahlreichen Kinder-
schar: Sophie (1630 — 1714), später Kurfürstin von Hannover,
Ahnfrau der Könige von Grossbritannien und von Preussen, Leib-
niz' Freundin, war wohl noch zu jung geachtet, um das Stamm-
buch vorgelegt zu erhalten. — Neben der böhmisch -pfälzischen
Dynastie sind endlich auch als nahverwandte das Haus Stuart
durch ein Bildnis Jakobs I. und das Haus Oranien durch Denk-
spruch und Namen Wühelms H. (1626 — 1650, folgte seinem Vater
Friedrich Heinrich 1647) vertreten.
Der August des Jahres 1641 führte Duraus und Figulus
nach London. Dass auch auf dieser Fahrt Figulus in Duräus'
Gefolge reiste, bezeugt, das Stammbuch ergänzend, Comenius' be-
kannter Brief vom 8./18. Oktober 1641 an die heimischen Freunde.
Denn am 21. September d. J. langte dort Comenius an und blieb
die ganze Zeit bis zur gemeinsamen Reise am 10. Juni 1642 mit
Duräus und Figulus vereint. Nach Ausweis seines Stammbuches
ging dieser im Freimdeskreise der beiden 'älteren Männer aus
und ein und durfte seine herrliche Samndung stattlich bereichern.
Unter denen, die während dieses englischen Aufenthalts eigen-
händig als seine Freunde und Gönner sich bekannten, steht billig
voran der ehrliche Makler im damaligen geistigen Leben des
protestantischen Europas Samuel Hardib aus Elbing. Sein Ein-
fluss auf des Comenius^ Lebensgang ist bekannt; hatte er ihn
doch eben nach London berufen. Duräus stand Hartlibs Herzen
gleich nahe. Welcher bedeutende, strebende Mann der Zeit hätte
dem warmen Herzen und dem feinen, umfassenden Verständnisse
des trefflichen Anglo-Borussen femgestanden? Ihm widmete 1644
John Milton seinen Aufsatz „Of Education", zu dem er durch
einen Fremdling, Freund Hartlibs, angeregt zu sein bekennt, ohne
dessen Januis und Didacticis in allem folgen zu können. ,J)ie
Liebe sucht nicht das Ihre^^ — ist das bezeichnende Stichwort,
mit dem der edle Hartlib im Stammbuche des jungen Freundes sich
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322 Sander, Heft 9 u. 10.
einführt. — Neben ihm nenne ich Theodor Haack, den Pfälzer,
der 1645 in London das Collegiiim invisibile oder philosophicum
begründete, woraus 1662 die königliche Gesellschaft zur Be-
förderung der Naturwissenschaft herv^orging. Ich nenne ihn des
sachlichen Zusammenhanges wegen hier, obzwar der Eintrag seines
Namens und seines Sprüchleins erst 1643 bei einer Begegnung in
Amsterdam geschehen ist. Unter den eigentlichen Briten sticht
eine Gruppe friedliebender Prälaten hervor, die meist in vor-
nehmer oder bescheidener Würde sich sehr kiu-z fassen, wie der
greise Thomas Morton (1564 — 1659), Bischof von Durham, und
sein Freund Joseph Hall (1574 — 1656), Bischof von Exeter, der
lakonisch als ,Josephus Exoniensis* sich einzeichnet Mehr Worte
liebt der hochgelehrte Erzbischof von Armagh und anglikanische
Primas von Irland, James Ussher (Jacobus Usserius, 1581 — 1656).
In fester kleiner Perlschrift giebt er aus Anlass seines eben vol-
lendeten sechzigsten Lebensjahres das Wortspiel zum besten: „Qui
senescit et se nescit, miser est." Diese vornehmen Prälaten
stehen fast versteckt im hintern Teile des Stanmibuches. Anders
der grosse Demokrat oder — nach damaligem Ausdrucke —
Rundkopf (round head) John Pym (1584 — 1643), Hampdens un-
zertrennlicher Kampfgenoss in den damaligen inneren Streitigkeiten.
Während des Parlamentes von 1642 (Comitia regni Westmonaste-
riensia), also kurz vor dem gegen ihn erlassenen Haftbefehle, nennt
er sich: „durch Liebe zu Gott und Vaterland über Furcht und
Hoffnung erhaben; für die öffentliche Freiheit Knecht des Volkes,
allen anderen gegenüber frei!" Dass ein paar „Novangli", doch
wolil Angloamerikaner, unter den Einzeichnem sind, findet be-
kanntlich auch im Leben des Coraenius seine Anknüpfung.
Im Juni 1642 reisten Comenius, Duraus und Figulus zu-
sammen von London nach Holland, Comenius und Figulus weiter
durch NorddeutBchland nach Schweden. Das Band zwischen Figulus
und Duräus lockert sich allmählich. Bremen, Hambui^, Lübeck
wurden nach den vorhandenen Einträgen berührt. Dass nach
Kvacsalas Vermutung damals in Hamburg Comenius mit Joachim
Jungius persönlich bekannt geworden, ist sehr wahrscheinlich.
Doch bietet das Stammbuch keinen Beweis dafür, da die Einträge
von Jungius und Tassius, die darin sich finden, bereits aus dem
Spätherbste 1640 datieren. Im August und September wird Figu-
lus durch die Einträge in sein Stammbuch als mit Comenius in
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1894. Comenius, Duraeus, Pigulus. 328
Schweden anwesend nachgewiesen. Dieser schwedische Aufenthalt
knüpfte enger das Band, das beide fortan an das grosse nieder-
ländische Handelshaus van Geer oder de Geer unauflöslich fesseln
sollte. Damals durch seinen Reichtum und seine grossartige Wohl-
thätigkeit weltberühmt, ist das Haus de Geer heute hauptsachlich
dm-ch seine Fürsorge für Lebenswerk und Person des Comenius in
weiteren Kreisen bekannt Zwei Glieder der jüngeren Generation
hatte Figulus bereits in seiner Philotheka stehen, bevor er Schweden
zum zweiten Male betrat In Amsterdam hatten Jidi 1641 Laurent
de Geer, 1642 Emanuel de Geer sich eingeschrieben. Nun traf
er in Schweden, wo die Geers Herrschaften von fürstlichem Um-
fange besassen, zu Stockholm und Orebrö Ludwig, Vater imd
Haupt des Ha\ises, und dessen gleichnamigen Sohn. Eigen be-
rührt des älteren „Louys de Geer", des JYu^ten der Kaufleute
und Grossalmoseniers von Europa, mit fester Hand eingetragener,
schlichter Wahlspruch: „Or la pi^t^ avecq contentement d'esprit
est ung grand gain!" (1. Timoth. 6, 6).
Vom November 1642 bis Juli 1648 hat Figulus laut seines
Stammbuches teils in Lissa, teils in Elbing bei Comenius geweilt
Dann folgte seine dritte, auch aus dem Leben des Ci^omenius be-
kannte schwedische Reise. Er ist in Schweden während des Juli
imd des August zu verfolgen; worauf im September 1643 die
Rückreise über Seeland mit Ruhepausen in Helsingör, Kopenhagen,
Roeskild, Sorö arfolgte. Diesmal fand sich unter den Dänen doch
eine Reihe freundlicher Anknüpfungen. Auch der Bischof von
Seeland, Kaspar Erasmus Brochmaim, ist durch Konterfei und
eigenhändige Widnmng dem Reisenden zu Willen gewesen. In
Roeskild muss das Stammbuch in seinem äusseren Bestände sach-
kundiger Nachliilfe bedurft haben. Wenigstens hat es hier der
Buchbinder Matthias Peters unter Händen gehabt und diese Ge-
legenheit benutzt, um am Schlüsse des Buches dem „Ehrbam
Studioso Theologiae I). Petro Figulo in sein Stammbuch zhu gueter
Gedechtnus" einen schwülstigen, frommen Sermon einzutragen.
Figulus selbst scheint damals nicht zu Comenius zurückgekehrt,
sondern sofort über Hamburg (S(>ptember) und Ostfriesland (Okto-
ber) nach den Niederlanden gereist zu sein, wo er von Oktober
1648 bis April 1644 im Haag wie in Groningen, Franeker, Amster-
dam, Leiden neue B(»iträge für sein Schatzkästlein sammelte. Aus
der damaligen Anwesenheit im Haag stammt der Eintrag des
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324 Sander, Heft 9 u. 10.
Johannes Duraus vom 16./26. Oktober 1643, von der diese Be-
trachtung des seltenen Kleinodes ausging.
Das herzliche Wort des damaligen Hofpredigers Duraus als
ehrenvollen Abschied für seinen jungen Begleiter au deuten, I^
ausser den Worten selbst, namentlich der ausdrucklichen Begren-
zung ihres Verhältnisses auf ein Septeunium, der Umstand nahe,
dass nun wirklich Figulus zunächst den Winter 1643/4 über in
Groningen und den nächsten Winter auf der hugenottischen Uni-
versität zu Saumur als ruhiger akademischer Bürger studiert zu
haben scheint Die Reise von Groningen nach Saumur ging über
Franeker nach Amsterdam und von da zu Schiffe nach Dieppe.
Selbst unterwegs auf dem Meere hatte er seine Philotheka zur
Hand, in der Johannes Henck und Antonius Lodemann als ,comite8
itineris' verzeichnet stehen, ebenso in Dieppe. Landeinwärts ginge
über Ronen und Paris nach Saumur. Hier eröffnet das merk-
würdige Buch uns den Blick in eine ganz neue, aber allem Bis-
herigen durchaus ebenbürtige Welt Es war die Glanzzeit Sau-
murs, dessen Ruhm damals das theologische Dreigestim bildete:
Moise Amyraut (Moses Amyraldus 1596 — 1664), Vertreter der
gemässigten Prädestinationslehre oder des Universalismus hypo-
theticus, Louis Cappel (Ludovicus Cappellus 1585 — 1658), Vater
der wissenschaftlichen Bibelkritik, und Josua La Place (Josue
Placaeus; er selbst schreibt: Placeus, 1606 — 1655), damals viel-
genannter Dogmatiker. Alle drei und mit ihnen eine stattliche
Anzahl anderer damaliger Lehrer und Studenten — darunter Eng-
länder, Schweizer, Deutsche aus Emden, Nürnberg, Danzig etc. -^
haben mit freundlichen Denksprüchen ihre Namen dem Stamm-
buche des jungen Figulus anvertraut, der hier wirklich einmal
Monate lang, vom August 1644 bis Februar 1645, mit Ausnahme
eines Abstechers nach Anjou im September 1644, stillgesessen zu
haben scheint Im Februar freilich brach er schon wieder auf,
lun über Tours, Orleans, Paris und so den alten Weg nach den
Niederlanden zurückzureisen, die ihm schon zur zweiten Heimat
geworden waren.
Besonders ergiebig war auf dieser Rückreise der längere
Aufenthalt zu Paris während des Aprils 1645. Jenen grossen
hugenottischen Namen aus Saumiu* reihten sich hier würdig an
die der hochangesehenen reformierten Geistlichen zu Charenton-
Paris: Jean Daill^ (Johannes Dallaeus 1594—1670), Charles Dr^lin-
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1894. CJomenius, Duraeiis, Figulus. 325
court (1595 — 1669) und Jean Mestrecat Zu einigen in Paris
lebenden Engländern führten unseren Petrus seine und seiner
beiden Gönner, Comenius und Duräus, vielfache Verbindungen
mit dieser Nation. Die mehr und mehr hervortretende Richtung
seiner Studien auf das Alte Testament und die morgenländischen
Sprachen, die auch auf Sohn und Enkel später forterbte, hiess
ihn wohl bei Gabriel Sionita anklopfen, dem syrischen Zöglinge
des Collegium Maronitarum, das Gregor XIII. i. J. 1584 in Rom
gegründet hatte, damals und bis zu seinem Tode (1648) könig-
lichem Professor der orientalischen Sprachen und Mitarbeiter an
der grossen Pariser Polyglottenbibcl. Indes alle diese Namen
verschwinden gegen die zweier grosser Gelehrter und Philosophen,
die gewiss schon dem Figulus als besondere Juwele seiner Samm-
lung erschienen: Hugo Grotius und Pierre Gassendi. Von Hugo
Grotius (1583 — 1645) ist schwer zu sagen, ob Rechts- und Staats-
wissenschaft wegen seiner Begründung des wissenschaftlichen
Natur- und Völkerrechtes oder Theologie und Philologie wegen
seiner vorurteilsfreien, kritischen Bearbeitung biblischer und christr
lieber Fragen ihm mehr zu danken haben. Er lebte damals seit
zehn Jahren als schwedischer Gesandter in Paris. Eben jetzt
stand er im Begriffe, Paris und seinen Posten altersmüde zu ver-
lassen. E> reiste, wie in der Allgemeinen deutschen Biographie
Haelschner berichtet, 1645 von Dieppe zu Schiffe nach Holland,
wo er in Amsterdam und Rotterdam ehrenvolle Aufnahme fand,
dann wieder von Amsterdam zur See nach Hamburg, von da über
Lübeck nach Wismar, um mit Oxenstiema, dem Sohne des Kanz-
lers, zusammenzutreffen und endlich nach Stockholm. Auf der
Rückreise von da nach Lübeck litt er 17. August an der pom-
merschen (Jöcher: kassubischen) Küste Schiffbruch, langte nach
mehrtägiger Landfahrt in offenem Wagen imd bei Regenwetter
am 26. in Rostock an und starb dort am 28. (Jöcher: 18.) August
1645. Er muss fast schon den Fuss im Wagen gehabt haben,
als er, der Bitte des Figulus willfahrend, am 18. April 1645 in
Paris mit zierlicher Hand schrieb: „Ad turbas et motus pessimo
cuique plurima uis, pax et qides bonis artibus indigent. Scribebam
et omnia amicitiae testimonia offerebam lubens — Lutetiae XVTH.
Aprilis MDCXLV. Hugo Grotius R.[eginae] S.[ueeiae] L.[egatus].*^
— Stand Grotius gerade auf dem Sprunge, Paris zu verlassen,
als ihn Figulus mit seinem Stammbuche aufsuchte, so muss wohl
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326 Sander, — Comenius, Duraeus, Figulus. Heft 9 u. 10.
Grassendi (1592 — 1655) die königliehe Professur der Mathematik
in Paris, die der Probst von Digne während des letzten Jahr-
zehntes seines Lebens bekleidete, damals erst eben angetreten
haben. Der berühmte Erneuerer der antiken Atomistik, nach
Jöcher „ein überaus tugendhafter, bescheidener und gelinder Mann^
der sich über nichts erzürnte", schreibt nach einem griechischen,
früher schon ins Stammbuch von einem englischen Arzte einge-
tragenen, also wohl damals beliebten Spruche über Selbstr und
Gotteserkenntnis als Grundlage aller Tugend: „Studiosissimo ami-
cissimoque Juveni Petro Figulo Bohemo discedenti in Patriam[?),
et ob eximiam indolem desiderium sui magnum relinquenti. In
affectus sinceri Pignus [adponebam Lutetiae XIL Apr. A^
MDCXLVJ P. Gassendus m. pr." Es will mir scheinen, als wären
die geklammerten Worte von Figulus selbst, da Gassendi das
Datum zu schreiben vergessen, nachgefügt Die Angabe ist darum
gewiss nicht minder zuverlässig. Ob Gassendis so warm ausge-
sprochene Freundschaft schon von früherer Begegnung in den
Niederlanden stammte oder auf des gemeinsamen Freundes Hartlib
Empfehlung hin so rasch erblüht war, kann ich nicht entscheiden.
Nach dieser Pariser Ernte ist der eingeheimste Schatz von
reichlich 400 Autographen nicht mehr wesentlich bereichert. Nur
einzelne Einschrift^n belegen des Figulus vierten und fünften
schwedischen Aufenthalt (September und Oktober 1646, Oktober
1649), einige andere dazwischen (1647, 1648) sein Weilen in Elbing.
Doch hat noch der jüngste Eintrag (Rodolphus Keller Turicensis.
Holmiae 1. Octobr. 1649) chrimologischen Wert. War Figulus
noch 1. Oktober. 1649 in Stockholm, dann kann er nicht (nach
Kvacsala) am 3. Oktober heimgekehrt, zum Priester geweiht und
kaum am 19. Oktober mit Elisabeth Comenius getraut sein. Statt
Oktober wird es in diesen Angaben heissen müssen: November,
wie denn auch nach anderer Lesart die Hochzeit am Namenstage
der Braut (19. November) stattfand.
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B. Besprechungen und Litteraturbericht.
Krause, K. C. P. Abhandlungen und Einzelsätze über Erziehung
und Unterricht. Aus dem handschriftlichen Nachlasse des Verfassers
herausgegeben von R. Vetter. I. Band. Berlin, Verlag von Emil
Felber, 1894. S. VIII u. 170. 8^.
Krause als Erzieher! Nicht ohne Rührung können wir eines
Mannes gedenken, dessen unablässiges Ringen nach dem Ideale seiner
Zeit nicht verständlich war. Seine gottinnige Seele schaute das „Urbild
der Menschheit", frei von allen Erdenmalen, im himmlischen Gefilde,
wie es uns Schiller im Symbole (vergl. das Ideal und das Leben)
gezeigt hat. Seine trotz widriger Schicksale nicht gebrochene Thatkraft
suchte dieses Urbild herunterzuzwingen, um es im Irdischen lebendig
werden zu lassen, wie es uns Goethe in seiner pädagogischen Provinz
(vergl. Wilhelm Meister's Wanderjahre) in behaglicher Breite schildert.
Mit Recht eröffnet der Herausgeber der pädagogischen Werke
Krause's den ersten Band mit einem Ausschnitte aus dem „Urbild
der Menschheit". Der „Bund für Menschheitbildung", den Krause
zu stiften erstrebte, soll alle umfassen, er soll alle Bildungsanstalten,
als ihm untergeordnet, organisch in sich begreifen bis zur Selbst-
bildung herab, weil jeder eigene Mensch sich selbst vollendet, er soll
ein gereiftes Leben vermitteln als ein Gleichnis der Fülle, Wohl-
ordnung und Schönheit des Weltlebens in Gott. Von diesem Ideale
aus ist Krause's ganzes Wirken zu beurteilen: er war ein Mann,
der „Alles" im tiefsten Grunde in ungebrochener „Harmonie"
erschaute und der dieser Harmonie durch eine umfassende „Organi-
sation" der „Einzelnen" zu wirklichem Leben verhelfen wollte.
Wie dieses Wollen in Thaten lungesetzt werden sollte, zeigt uns
zunächst eine Reihe von Protokollen, die Berlinische Gesellschaft
für Erziehung betreffend (Nr. 6 in diesem Bande). Mit den Professoren
Grashoff, Piamann und Zeune, welche sämtlich praktische Pädagogen
sind, gründet Krause (April 1815) ein Vierer -Kollegium, um für
Erziehung in ihrem ganzen Umfange als Wissenschaft und als Kunst
zu wirken und vor allem auch dem Problem eines ,Elementarbuches*
näherzutreten. Krause^s Übersiede liuig von Berlin nach Dresden
Monatshefte der Comeniua-Oosellschaft. 18Ü1. *)o
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B28 Besprechungen und Litteraturbericht. Heft du. 10.
(Herbst 1815) ist die Veranlassung, dass der kleine Kreis nach einer
kurzen, aber energischen Arbeit zerfällt Ein weiterer Beitrag für
die Art und Weise, wie sich Krause die Verwirklichung seiner Plane
gedacht hat, giebt das Sendschreiben, den würdigen und hochver-
dienten Brüdern Vorstehern des Friedrichstadter Erziehungsinstitutes
in brüderlicher Ergebenheit überreicht (Nr. 8 in diesem Bande).
„Allgemeinmenschliche Bildung" soll die Armenschule zu Friedrichstadt
für Knaben und Mädchen vermitteln, und darum soll sie auch
mit der ganzen übrigen Menschheit in Verbindung gesetzt werden
und zwar sowohl, dass "die Welt Anteil am Institute, als auch, dass
die Kinder und das Institut Anteil an allen Wohlthaten des öffent-
lichen Lebens nehmen (S. 156). Die Zöglinge sollen aller Vorzüge
des aufgeklärten Zeitalters, in welchem sie leben, soweit solches in
den Kräften der Gesellschaft steht, teilhaft werden, das Publikum
soll jederzeit in jeder Weise Zutritt haben und prüfen dürfen, was
geboten wird. Über die Pflichten und Rechte des Direktors und
über andere einzelne Fragen verbreitet sich Krause in eingehender
Weise und schliesst mit der Hoffnung, dass die Menschen, vom
Menschlichen gerührt, was sich vor ihnen fröhlich entfaltet, an der
Anstalt warmen Anteil nehmen und derselben zu neuer Blüte verhelfen
möchten. Besonders charakteristisch für Krause's Stellung innerhalb
der Pädagogik sind auch die beiden sich mit Pestalozzi beschäftigenden
Rezensionen (Nr. 7 in diesem Bande), deren zweite Joseph ßchmid's
Erfahrungen aus Iferten bespricht, und die Bemerkungen zu Froher»
Abhandlung über Deutsche Erziehung (Nr. 4 in diesem Bande).
Das Bild, welches wir von Krause als Erzieher gewinnen, wird
ferner belebt durch eine Reihe von Einzelsätzen über Erziehung und
Unterricht (Nr. 2 in diesem Bande) und durch eine (bereits in den
von P. Hohlfeld und A. Wünsche 1889 herausgegebenen „Philo-
sophischen Abhandlungen" abgedruckte) Arbeit (Nr. 3 in diesem
Bande) „Vom Unterrichte als Ziel der Erziehung".
Schliesslich wird uns noch (Nr. 5 in diesem Bande) eine, aus
dem Jahre 1808 stammende, „Skizze über Bildung (Erziehung und
Ausbildung)" geboten, welche als ein ziemlich vollständiger Entwurf
zu einem Systeme der Pädagogik bezeichnet werden kann. Sie ent-
hält, neben späteren Zusätzen und neueren Ansätzen, folgende
Fünfteilung: I. Idee der Bildung. II. Hauptteile und innere Organi-
sation der Bildung. III. Mittel der Bihlung. IV. Bildungsanstalten.
V. Würdigung des gegenwärtigen Zustandes der Erziehung.
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1894. Besprechungen und Litteraturbericht. .^29
Wir empfehlen das Werk einem weiteren Kreise aufs wärmste. Der
Geist der Hannonie, welcher Krause's ganzes Streben beseelte, machte
ihn auch zum Erzieher im Sinne eines Comenius und eines Pestalozzi.
Er hatte den Glauben an das Ideal und die Zuversicht, da.^s dieser Glaube
wirken könne und müsse. Mag ihm die Nachwelt den Kranz reichen,
den ihm die Mitwelt versagte, indem sie, eins mit ihm in selbstloser
Liebe, an dem grossen Erziehungswerke der Menschheit arbeitet.
Braunschweig. Alex. Wernicke.
Vogel, August. Systematische Darstellung der Pädagogik
Job. Heinrich Pestalozzis mit durchgängiger Angabe der quellen-
mässigen Belegstellen aus seinen sämtlichen Werken. Zweite Auflage.
Mit einem Porträt nach Diogg nebst Facsimile Pestalozzis. Hannover.
Carl Meyer [G. Prior]. 1898. Pädagogische Bibliothek. 10. Band.
Vm u. 276 S. 40.
— Herbart oder Pestalozzi. Eine kritische Darstellung ihrer
Systeme, als Beitrag zur richtigen Würdigung ihres gegenseitigen
Verhältnisses. Zweite Auflage. Hannover. Ebd. 1893. 163 S. 8^.
Der als pädagogischer Schriftsteller bestens bekannte Verfasser
ist begeisterter Anhänger Pestalozzis. Das System des letzteren gilt
ihm als das pädagogische System xax l^ox^v, Pestalc^zzi habe die
Pädagogik auf unvergängliche Grundlagen gestellt. Pestalozzi für
immer! so lautet das Ergebnis der Vogerschen Untersuchung. Her-
barts Bestrebungen haben zwar einen gewaltigen Anstoss zur Ver-
tiefung der pädagogischen Probleme gegeben, Pestalozzis Pädagogik
wurde auch durch sie befruchtet luid gefördert, aber eine Pädagogik
nach seinen Grundsätzen muss nach des Verfassers Worten einem
mechanischen, kalten Schematismus anheimfallen, während Pestalozzis
pädagogische Grundsätze aus dem lebenswarmen ewigen Quell des
Glaubens und der Liebe fliessen. Der Beurteiler obiger Schriften
hat kürzlich in einer Arbeit (Die Bedeutung der Philosophie der
Gegenwart für die Pädagogik. Gotha. Behrend. 1893.) dargethan,
dass die Pädagogik einer erkenntnistheoretischen Besinnung bedürftig
sei. Es gebe kein allgemeingültiges System der Pädagogik, die ein-
zelnen Systeme stehen uimier unter historischen Bedingungen und
können nicht mehr als den Ausdruck* eines bestinnnten Denkers,
Volkes und Zeitalters darstellen. Jene Vergötterung einzelner Systeme,
der Glaube an ihre absolute Geltung ist unberechtigt. Von diesem
Standpunkte aus kann sich der Beurteiler daher zu Vogels Ansicht
nicht bekennen. Er anerkennt jedoch davon abgesehen gerne, dass
23*
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330 Besprechungen und Litteraturbericht. Heft 9 u. 10.
die vorliegenden trefflichen Arbeiten sehr geeignet sind, das Ver-
ständnis Pestalozzis zu fördern und zu verbreiten. Eine quellen-
mässige, systematische Darstellung der Pestalozzischen Anschauungen
that wirklich not, und wir haben Vogel nur zu danken, dass er in
so vorzüglicher Weise die Lücke ausfüllte. Mit feinem Takte wusste
der Verfasser gerade die wesentlichsten Stellen aus Pestalozzis ver-
schiedenen Schriften zu einem einheitlichen Ganzen zu verschmelzen
— eine Arbeit, die grosse Belesenheit und Bienen fleiss zur Voraus-
setzung hat. Vogel schloss sich mit Recht auch im Wortlaute
möglichst an Pestalozzi an, so dass die Zusanmienstellung geradezu
einer Originalschrift des letzteren gleichkommt. Es dürfte nun wohl
keine Darstellung der Pestalozzischen Lehre so geeignet sein in die
Tiefe derselben einzuführen wie die Vogels. Auch die Darstellung
der Grundanschauungen Herbarts ist meist zutreffend, die Kritik
klar, der Vergleich der beiden Systeme wirkt sehr erhellend für die
richtige Auffassung derselben. Der Beurteiler ist überzeugt, dass
auch die neuen Auflagen der zwei Bücher gleich freundliche Aufnahme
finden werden, wie die erste.
Czernowitz. Prof. Hochegger.
Gille, A. Aufgaben und Methode der Pädagogik als Wissen-
schaft. Beilage zum Programm der Lateinischen Hauptschule zu
Halle a. S. Ostern 1891. Leipzig. Verlag von Gustav Fock. 30 S. 4^.
Der Verfasser ist eins mit Wilhelm Dilthey, indem er mit
der hergebrachten Ansicht bricht, dass man ein für alle Zeiten und
Völker gültiges System der Pädagogik schaffen könne. Die Ethik
vermag nämlich das Ziel der Erziehung nie allgemeingültig zu be-
stimmen. Jedes ethische Ideal ist historisch bedingt und begrenzt
Wohl aber vermögen wir nach Gille durch das Studium der Anthro-
pologie, besonders aber der Entwicklungsgeschichte des Menschen-
geschlechtes gewisse Grundwahrheiten des Menschenlebens zu erkennen
und damit einer Bestimmung des Erziehungszieles näherzukommen.
Diesen Bestimmtheiten nachzuspüren, bezeichnet der Verfasser als
seine Aufgabe. Die wichtigste der thatsächlichen Bestimmtheiten ist
die des Selbst -Interesses. Letzteres würde aber zur Auflösung der
Gesellschaft führen, wenn der Mensch nicht gesellschaftlicher Natur
wäre. Die unmittelbarste Folge des geselligen Wesens war die
Erweiterung des selbstischen zum gesellschaftlichen Interesse. Als
dritte thatsächliche Bestimmtheit des Menschen muss nach Gille
diejenige zur religiösen Weltanschauung hingestellt werden. Wo
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1894. Besprechungen und Litteraturbericht. 331
immer wir Menschen treffen, finden wir in irgend einer Form religiöses
Fühlen. Diese drei Bestimmtheiten des menschlichen Wesens bedingen
alle Äusserungen desselben, Kunst, Wissenschaft, Sitten, Recht u. s. w.
In ihnen muss auch eine auf realer Grundlage ruhende Pädagogik
das Ziel der Erziehung suchen. „Diese selbst ist auch ein Produkt
derselben, denn sie ist dem echt sozialen Streben entsprungen, das
künftige Geschlecht besser zu machen. Damit ist die Aufgabe der
Erziehung gekennzeichnet. Sie hat vor allem stets die natürlichen
Bestimmtheiten des Menschen im Auge zu behalten, und da in ihrem
Begriffe ein thätiges Eingreifen liegt, so kann ihr Ziel nur die För-
derung derselben sein." „Förderung und Vervollkommnung der
obigen drei Bestimmtheiten des Menschen ist das Ziel der Erziehung
und zwar, insofern als dieselben umfassend und allgemeingültig sind,
das allein umfassende und allgemeingültige Ziel der Erziehung." Die
Pädagogik muss auch über die Mittel klar sein, wie sie ihr Ziel
erreicht. Die Methode der Pädagogik ergiebt sich scheinbar leicht.
Denn ist die Erziehung nichts anderes, als die körperliche oder
geistige Beeinflussung des menschlichen Wesens, so muss sich aus
den Wissenschaften, welche sich mit dem Menschen in jener doppelten
Hinsicht beschäftigen (Physiologie und Psychologie), die Art der
Beeinflussung ergeben. Da aber sowohl die Physiologie wie die
Psychologie noch so wenig ausgebildet sind, so wäre es um die
Pädagogik schlecht bestellt. Letzterer bleibt nichts anderes übrig,
als sich möglichst auf eigene Füsse zu stellen. „Sichere Resultate
kann die Pädagogik nur erzielen durch die sogenannte „naturwissen-
schaftliche Methode" d. h. durch Beobachtung und Experiment. Ver-
gleichende Beobachtung eines möglichst grossen Bereichs von Menschen,
gross in räumlicher und zeitlicher Ausdehnung, hinsichtlich des Masses
ihrer Thätigkeit, das ist die erste Aufgabe." Gille sucht auch gewisse a
priori sichere methodische Gesichtspunkte für die Pädagogik zu gewinnen.
Die vorliegende Abhandlung zeichnet sich namejitlich auch
durch die gründliche und weitgehende Kenntnis der einschlägigen,
oft ziemlich entlegenen Litteratur aus.
Czernowitz. Prof. Hochegger.
Christoph, Karl, Wolfgang Ratkes (Ratichius) pädagogisches
Verdienst. Inaugural- Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde.
Leipzig 1892. 52 Seiten.
Christoph hat lediglich nach den bereits — besonders von
Gideon Vogt und Jobannes Müller ~ über Ratichius veröffent-
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332 Besprechungen und Litteraturbericht. Heft 9 u. 10.
lichten Arbeiten das pädagogische Verdienst dieses Neuerers einer
Betrachtung unterzogen. Die Abhandlung ist eine geschickte und
fleissige Kompilation, welche wohl im stände ist, über die pädagogi-
schen Bestrebungen eines Ratichius zu orientieren. R. Aron.
Pietro Paolo Vergerio, dem zur evangelischen Sache über-
gegangenen päpstlichen Nuntius und Bischof, über welchen wir in
einem der letzten Hefte das Werk von Hubert verzeichnet haben, ist
neuerdings ein kleines Schriftchen von Adolf Henschel gewidmet:
Petrus Paulus Vergerius. Halle a. S. 1893. In Commissions-
Verlag von Max Niemeyer. (32 S.) Dieses kurze Lebensbild
des merkwürdigen Mannes ist aufgenommen in die vom Verein für
Reformationsgeschichte herausgegebenen „Schriften für das deutsche
Volk" (Nr. 20) und demgemäss populärer Natur. B.
Der wegen seiner Bestrebungen für die Wiedererweckung der
klassischen Studien gefeierte gleichnamige Ahne dieses Vergerio, welcher
unter anderen einen für uns bemerkenswerten Tractat über Kinder-
erziehung geschrieben hat, ist behandelt worden von K. A. Kopp:
„Pietro Paolo Vergerio, der erste humanistische Pädagoge."
Der Aufsatz bildet einen Teil der Festschrift zur Eröffnung des
neuen Cantonschulgebäudes von Luzem. Luzern 1893. B.
Mit dem älteren Vergerio zusanunen lehrte in Padua Giovanni
di Conversino, schriftstellerisch ziemlich unbedeutend, aber von regem
Eifer für die Verbreitung der humanistischen Ideen erfüllt Das
vorigjährige Programm des Kneiphöfischen Stadt-Gymnasiums zu
Königsberg hat eine Abhandlung von Max Lehnerdt gebracht: „Zur
Biographie des Giovanni di Conversino von Ravenna. Ein
Beitrag zur Geschichte des Humanismus in Italien." Dass
die Nachrichten, welche G. Vogt (Wiederbelebung etc. 1859. S. 126 ff.)
über den Magister Giovanni da Ravenna gebracht, auf 2 Männer,
unsern Giovanni und einen Giovanni Malpaghini, zu verteilen sind,
hatten Sabbadini und Klette schon nachgewiesen. Neu liefert Lehnerdt
gegenüber Klette den Beweis, dass ersterer es gewesen, der von 1364
bis 1367 in Petrarcas Hause gelebt hat. Für die von Lehnerdt be-
sorgte neue Bearbeitung von Vogt (Berlin 1893) sind diese Resultate
natürlich verwendet worden (vgl. Bd. 1. S. 212 ff.). B.
Karl Wotke feiert im 1. Heft des 8. Jahrgangs (1894) der
„Oesterreichischen Mittelschule" in einem Aufsatz über „Die päda-
gogischen Grundsätze des Johannes Murmellius" (S. 95 bi^
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1894. Besprechungen und Litteraturbericht. 333
98) diesen Humanisten als den „ersten deutschen Schulmeister", der
für unser Unterrichtswesen geworden sei, was Guarino von Verona
für Italien gewesen ist. B.
Bei der Verpflanzung des Humanismus von Italien nach
Deutschland ist auch auf da«* am Wege liegende Tiroler Land ein
fruchtbares Samenkorn gefallen. Die in seinen Beitragen zur Ge-
schichte der Philologie (Innsbruck 1880) eingeleitete Untersuchung
über die dortige Verbreitung der classischen Studien hat Anton
Zingerle ausgeführt in einem Aufsatz: „Der Humanismus in
Tirol unter Erzherzog Sigmund dem Münzreichen." (In:
Festgruss aus Innsbmck an die 42. Versammlung deutscher Philo-
logen und Schulmänner in Wien. Innsbruck. Wagnerische Buchh.
1893. S. 21 — 42.) Drei Männer lernen wir bei Zingerle kennen, die
unter dem Mäcenate des kunstsinnigen Erzherzogs führend für die
neue Richtung thätig gewesen sind: Bischof Johann Hinderbach von
Trient, Abt Caspar Augsburger von Georgenberg bei Schwaz und
Johann Fuchsmagen aus Hall. B.
Eine gleich liebevolle Betrachtung widmet der verstorbene
K. Hartfelder in einem Aufsatz der Zeitschrift für die Geschichte
des Oberrheins (N. F. 8. 1893. S. 1—33) unter dem Titel „Der
humanistische Freundeskreis des Desiderius Erasmus in
Konstanz" den Gelehrten, welche die Verehrung des Erasmus im
nahen Basel zu Konstanz zusammenführte und einmütig verbunden
hielte bis die hereinbrechenden religiösen Wirren den Kreis zer-
sprengten. Es sind Johann von Botzheim, Johann Jakob Menlis-
hofer, Michael Hummelberg, Johannes Faber und Urbanus Rhegius.
Bei der Bedeutung, die Konstanz in der reformatorischen Bewegung
gewonnen hat, verdienen seine hervorragenden Persönlichkeiten in ihrer
verschiedenen religiösen Stellungnahme besondere Beachtung. B.
Wenn wir von den Pflegern himianistischer Bildung im Re-
naissancezeitalter hören, denken wir mit Recht in erster Linie an
die Philologen von Beruf, aber wir dürfen nicht vergessen, dass auch
die übrigen Gelehrtenklassen vom Zuge der Zeit mitergriffen sind
und das Ihrige beigetragen haben zur Wiederbelebung des klassischen
Altertums. Belehrend in dieser Beziehung ist ein Aufsatz im 20.
Bande der Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und
Neuburg (Augsburg 1893). Max Badlkofer untersucht dort (S. 25
bis 62) „die humanistischen Bestrebnngen der Augsburger
Ärzte im 16. Jahrhundert" und weist zur Erklärung ihres regen
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384 Besprechungen und Litteraturbericht. Heft 9 u. 10.
Eifers für die neue Richtung darauf hin, dass sie, zumal ihre Wissen-
schaft grösstenteils noch auf den Ueberlieferungen der griechischen
und römischen Ärzte beruhte, um ihres eigenen Studiums willen eine
grössere Ausbreitung der alten und eine Erschliessung neuer un-
bekannter Quellen mit Freuden begrüssen mussten. Er berichtet
kurz über das Leben imd Wirken von 10 Ärzten der Stadt, von
denen wir hier nur die Namen aufzählen können. Es sind: 3 Adolf
Occo — Vater, Sohn und Enkel — , Josef Grünpeck, Sigmund
Grimm, Christoph Wirsung, Achilles Priminius Gasser, Jo-
hannes Moibanus, Leonhard Rauwolf und Georg Henisch.
— In demselben Bande derselben Zeitschrift (S. 173 — 227) hat ein
Augsburger Gelehrter geistlichen Standes eingehendere Behandlung
gefunden: ^er Humanist Veit Bild, Mönch bei St. Ulrich.^
Verfasser des Aufsatzes, Dr. Alfred Schröder, bischöfl. Archivar,
konnte für seine Aufzeichnungen aus bester Quelle schöpfen, da
ihm im Archive des bischöflichen Ordinariates Ausgsburg die 3 Bände
umfassenden wichtigen Briefe Bilds zur Verfügung standen, welche
zum grössten Teile noch ungedruckt und für die Biographie ihres
Verfassers bislang nicht in gebührender Weise ausgenutzt worden
sind. 1481 zu Höchstädt geboren, machte Bild seine Studien in
der Vaterstadt und sodann auf der Universität Ingolstadt, wo er
Jakob Locher und Johann Stabius mit Stolz zu seinen Lehrern
zählte. Nachdem er 3 Jahre eine Pfarrschreiberstelle in Augsburg
bekleidet, trat der bis dahin etwas leichtlebige Jüngling, durch ein
Traiungesicht geschreckt, 1503 in dem dortigen Kloster zu St. Ulrich
als Novize ein und legte im folgenden Jahre die bindenden Gelübde
ab. Mit Spalatin und Oekolampad stand er in brieflichem, mit
Peutinger in persönlichem Verkehr. Er starb in der 2. Hälfte des
Jahres 1529. — In den Sprachen trotz allen Eifers ziemlich unbe-
deutend, angesehen als Mathematiker, hat Bild seine Stärke auf
theologischem Gebiete. Obwohl begeistert für Luther, der ihm ein
neuer Elias ist, hat er mit seiner Kirche doch niemals ganz gebrochen.
— Von den zahlreichen ungedruckten Briefen von und an Bild, soweit
sie von Bedeutung sind, giebt Schröder am Schlüsse seiner Arbeit
kurze Regesten. Als Anhang sind 18 der wichtigsten in ihrem voll-
standigen Wortlaut abgedruckt. B,
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C. Nachrichten.
Der Aufsatz von Nicoladoni über ^jHans Sachs und die Kefor-
mation", den wir in diesem Hefte abdrucken, stellt den Dialog des Sachs
vom Jahre 1524 „Ein gesprech eynes Evangelischen Christen mit einem
Lutherischen, daryn der Ergerlich wandel etlicher, die sych Lutherisch
nennen, angezeigt und bruderlich gestraft wirt. Hans Sachss. MDXXIIII.
Secunda Corinth. IV. Lasst uns niemand yrgend ein ergennüss geben auf
das unser ampt nicht verlestert werd, sondern yn allen Dingen lasst uns
beweysen wie die Diener Gottes" — so lautet der genaue Titel — mit
Recht in den Mittelpunkt der Erörterung. Von dieser Schrift, die zweifellos
neben der „Wittenbergischen Nachtigall" die interessanteste imd wichtigste
unter den polemischen Reformationsschriften des Sachs ist, muss die
Beurteilung der Stellung ihren Ausgang nehmen, die Sachs bis zum
Jahre 1525 zur Reformation eingenommen hat. Aber während die „Witten-
bergische Nachtigall" in der älteren imd neueren Litteratur sehr vielfach
besprochen worden ist, auch Neudrucke und Ausgaben zahlreich vor-
liegen, ist der obige Dialog bisher wenig beachtet worden und Ausgaben
desselben sind selten. Ein Exemplar findet sich in der Königl. PauUnischen
Bibliothek zu Münster (2 Bogen 4®). Ein Auszug, der denjenigen Nicoladonis
in wesentlichen Pimkten vervollständigt, findet sich bei Keller, Johann von
Staupitz und die Anfänge der Reformation, Lpz., S. Hirzel 1888 S. 183 ff.
Man weiss, dass Hans 8aeh8 bald nach seinem Tode der Vergessen-
heit und im Laufe des 17. Jahrhunderts wenigstens unter den Vertretern
der kunstgelehrten Dichtimg völliger Missachtung anheim fiel, derart,
dass ein Hamburger Epigrammendichter ihn im Jahre 1702 in einem komischen
Heldengedichte als ersten unter den schlechten Reimern und Schwachköpfen
verhöhnen konnte. Da ist es nun für uns sehr beachtenswert, dass die
Männer, die ihn wieder zu Ehren brachten, Vertreter comenianischer Denkart
waren: Christian Thomasius und Gottfried Herder. Thomasius
sprach es zu Anfang des 18. Jahrhunderts aus, dass Sachs mit Recht den
Titel eines deutschen Homers für sich beanspruchen könne, und Herder war
es, der Göthe auf ihn hinwies, der 1775 das Ehrendenkmal von Hans Sachs
poetischer Sendung stiftete. Hiermit stimmen folgende Thatsachen merk-
würdig überein. Ebenso wie Hans Sachs waren die Meistersinger überhaupt
der Vergessenheit oder völliger Missachtung anheimgefallen. Als nun im
Jahre 1697 Wagenseil in Folge beabsichtigter obrigkeitlicher Massregeln
gegen die in Nürnberg erhaltenen Reste dieser Einrichtung sich veranlasst
sah, die Greschichte der Meistersinger zu untersuchen — W. veröffentlichte
seine Ergebnisse in seinem Buch De Civitate Norimbergepsi Coromentatio,
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336 Nachrichten. Heft 9 u. 10.
Altdorf 1697 — , da war es nach W.'s eigener Aussage (a. a. O. p. 501)
Gotfried Thomasius, der ihm einen Teil des für seine Zwecke erforder-
lichen handschriftlichen Materials aus eigenen Sammlungen zur Verfügung
stellte. — Die einzigen Männer, die sich ausserdem in wohlwollendem Sinne
mit den Meistersingern während des 17. Jahrhunderts beschäftigt haben,
sind die Mitglieder der sog. SprachgeseUschaften gewesen, besonders Geor^T
Philipp HarsdörfTer (t 1658), der Gründer des Pegnesiscben Blumenordens,
der im 4. Teil seiner „Gesprächspiele" der Meistersinger freundhch gedachte.
Unter Hinweis auf den Aufoatz K. Mämpels über Abälard und Lessing,
den wir in diesem Heft veröffentlichen, wollen wir nicht unterlassen, zu
bemerken, dass ein anderes Mitglied der G.G., Oabr. €ompayr6 in Poitiers,
kürzlich eine interessant« Schrift über A. veröffentlicht hat; sie führt den
Titel „Abälard und der Ursprung und die früheste Geschichte der Universi-
täten" (London 1893. 8^ VIII, 206 u. 53 SS.). — Ein anderes neueres
Buch: „Abälards 1121 zu Soissons verurtheilter Tractatus de unitate et
trinitate divina. Aufgefunden und erstmals herausgegeben von Dr. R. Stölzle.
Freiburg i. Br. Herder 1891. XVI u. 101 SS." wird der Mehrzahl unserer
Leser bekannt sein. — Unter den zahlreichen Schülern, die zu A.'s Füssen
gesessen haben, findet sich auch der Name des Arnold von Brescia.
Soeben ist mit Ausgabe des 12. Heftes die seit 1882 im Erscheinen
begriffene Geschichte der Stadt Siegen von Dr. H. von Achenbaeh,
Staatsminister und Oberpräsident in Potsdam, zum Abschluss gekommen.
Die Geschichte, die nach und nach in der „Siegener Zeitung** zum Abdruck
gekommen ist (Druck von W. Vorländer in Siegen), bietet mehr als der
Titel sagt: sie bringt zugleich wichtige Beiträge zur Geschichte, besonders
der Culturgeschichte, der nassau-oranischen Lande überhaupt und hat
bei den nahen Beziehungen dieses Hauses zum Forschungsgebiet der G.G.
auch für uns Interesse. Wir verweisen in dieser Beziehung unter anderem
auf den Abschnitt, der in Heft 6 S. 11 ff. über die Grafenschule, die
hohe Schule und die Kriegsschule handelt. Graf Johann von Nassau
(geb. am 22. Nov. 1536), der Bruder des Prinzen Wilhelm von Oranien, des
Befreiers der Niederlande, und Begründer des ref. Bekenntnisses in den
nassau-oranischen Gebieten (1578), war ein sehr thätiger Beschützer und
Freund des Schulwesens; besonders besassen auch die Volksschulen in
ihm einen eifrigen Förderer. Seine Pläne, eine hohe Schule zu errichten
— sie trat am 1. Juli 1.584 zu Herborn ins Leben — sollen bis in das
Jahr 1566 zurückreichen; es gelang ihm, für die Anstalt hochberühmte
Männer zu gewinnen, und schon in den Jahren 1585 und 1586 studierten
nicht weniger als 15 Reichsgrafen zu Herbom, nämlich Wilhelm und Ludwig
von Sayn -Wittgenstein, Ernst, Philipp, Wilhelm, Beinhard von Solms,
Ernst Casimir imd Ludwig Günther von Nassau, Ludwig und Albert von
Hanau, Eberwein Wirich, Adolph und Arnold Jodocus von Bentheim,
Johann Wilhelm imd Hermann von Wied. Später mehrte sich die Zahl
der Ausländer; aus Schlesien, Böhmen, Mähren, Polen, Ungarn, Schottland
kamen sie — darunter auch Joh. Amos Coraenius. — Das Achenbachsche
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1894. Nachrichten. 887
Werk ist auf Grund sorgfältigster Quellenstudien bearbeitet; der Umfang
dessen, was hier zum ersten Mal aus den Urkunden ans Licht tritt, ist sehr
bedeutend, und es wäre sehr zu bedauern, wenn das Buch nicht durch den
Buchhandel allgemein zugänghch werden sollte.
Herr Professor J. Kvaesala hat seit seiner Übersiedelung an die
Universität Dorpat seine (dornen ius-Studien mit bestem Erfolge fortgesetzt.
Auf grösseren Reisen, die ihn bis nach den Vereinigten Staaten führten, hat
er die von ihm angelegte Brief- und Urkunden-Sammlung sehr er-
heblich bereichert. Dass die Briefsammlung, die Patera im Jahre 1892
herausgegeben hat (s. M.H. der CG. 1892 S. 289), wesentliche Lücken bot,
war bekannt; es ist daher sehr erfreulich, dass Kvacsala noch im Laufe
dieses Jahres den Druck seines Ergänzungsbandes wird beginnen können.
K.'s Biographie des C, die zuerst in deutscher Sprache erschien, wird jetzt
auch ins Russische übersetzt. — Herr Prof. Kvacsala ist der C. G. als Stifter
auf Lebenszeit beigetreten.
Prof. Dr. Frz. von Krön es in Graz veröffentlicht in der von Dr.
G. Steinhausen herausgegebenen „Zeitschrift für Kulturgeschichte" (4. Folge
Bd. II, Heft 1 S. 1—31) eine Studie unter dem Titel „Karl von Zierotiii
und sein Tagebuch vom Jahre 1591", die uns hier wegen der Person des
Verfassers interessiert. Es ist derselbe Karl von Zierotin (geb. am 11. Sep-
tember 1564 zu Brandeis an d. Adler), der durch seine nahen Beziehimgen
zu Comenius bekannt geworden ist (s. M.H. der CG. 1892 S. 20. 22. 196.
201 u. 1893 S. 95), und der im Öffentlichen Leben Mährens eine grosse Be-
deutung gewonnen hat. Er war ein eifriger und einflussreicher Anhänger
der böhmischen Brüder, ebenso wie sein Vetter Friedrich von Zierotin
um dieselbe Zeit der Beschützer der „mährischen Brüder", d. h. der Täufer-
gemeinden in Mähren war (s. u. A. Loserth, der Communismus der
mährischen Wiedertäufer, Wien 1894 S. 68 f.). Karls Vater, Johann von
Zierotin, gründete die berühmt gewordene Brüderschule zu Eibenschütz und
schuf die Druckerei zu Kralitz, an die sich eine neue Li tteratu repoche
Mährens knüpft. An der Brüderschule zu Eibenschütz, wo damals u. a.
der wegen seines „Kryptocalvinismus" aus Wittenberg verdrängte Professor
der Theologie Erasmus Rüdiger wirkte (f 1591), erhielt Karl seine Vor-
bildung und setzte dann seine Studien auf deutschen ref. Hochschulen in
Genf, Basel, Heidelberg fort, wo er u. a. dauernde Freundschaft mit Joh.
Jac. Grj'^naeus (f 1617) anknüpfte. „Der Humanismus (sagt Frz. von Krones
a O. S. 3), welcher die damalige Bildung des mährischen Hocliadels durch-
drang und nährte, beseelte auch unsern Zierotin, ohne die starke religiöse
Empfindung abzuschwächen, welche ihn, den Genossen der Brüdergemeinde,
mit der reformierten Kirche innig befreundete und mit dem Ideale eines
alle Glaubensverwandten umfassenden Bundes erfüllte." Diese
Schilderung passt genau auf den 30 Jahre jüngeren Comenius. Man muss
das Wesen und die Art solch ausgezeichneter Männer studieren, tun zu be-
greifen, wie es möglich war und ist, zugleich Weltbürger zu sein und doch
ein starkes Nationalgefühl zu besitzen, zugleich für die Ejni^ng der ge-
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338 Nachrichten. Heft 9 u. 10.
trennten Bekenntnisse zu wirken und doch ein eifriger Anhänger seiner
besonderen Religionsgemeinschaft zu sein. Es ist ein Verdienst von Krones
und von der Zeitschrift für Kulturgeschichte, dass sie neuerdings die Auf-
merksamkeit weiterer Kreise auf diesen seltenen Mann gelenkt hat. Die
Comenius-Gesellschaft, der ein Nachkomme Karls, Herr Graf Zierotiu
auf Blau da in Mähren, seit ihrer Begründung angehört, wird gern alle
weiteren Bemühungen unterstützen, die Geschichte des berühmten Ge-
schlechtes weiter aufzuhellen.
Wir haben schon früher (s. M.M. der CG. 1894 S. 97) Gelegenheit
genommen, die Schrift von W. Tangermann, Natur und Geist. Speku-
lative Erörterungen zur Erläuterung und Erweiterung kosmologischer und
anthropologischer Begriffe. Gotha, Fr. A. Perthes 1894 (XIV und 94 S.
Preis M. 1.60) den C.Z.G. und CK. sowie den Mitglied- Vereinen der CG.
zur Anschaffung und Besprechung zu empfehlen. Der hochbetagte imd
ehrwürdige Verfasser tritt hier wie in allen seinen Schriften für die sieg-
hafte Macht des Idealismus in die Schranken, den er mit gutem Grund
durch mächtige negative Strömungen unserer Zeit bedroht sieht. Obwohl
Tangermann an sich selbst, ebenso wie Cjmenius, die vielgestaltige Bosheit
der Menschen hinreichend erfahren hat, will er doch, ebenso wie jener, den
Glauben an die Menschen nicht aufgeben und er ist von der Hoffnung
erfüllt (S. XIII), es werde die gegenwärtige, offenbar einseitige Zeitströmung
ihren Lauf vollenden, so dass wieder eine tiefere, edlere und trost-
vollere Welt- und Lebensanschauung in die weitesten Kreise dringt. Freilich
erwartet er diese Erneuerung nicht von den überlieferten Schultheorien,
sondern von Ideen, die die Gemüter der Menschen in ihrer Tiefe ergreifen.
— Wir wiederholen unseren Wunsch, dass unsere Mitglieder und Freunde
sich mit dieser Schrift Tangermanns bekannt machen.
Wir haben bereits früher (s. M.H. der CG. 1894 S. 237 und 275)
an einzelnen Beispielen gezeigt — es wurde namentlich auf das Gymnasium
Schönaichianum in Beuthen imd auf die Lateinschule in Crossen hin-
gewiesen — , wie viel die Schulen Schlesiens, der Lausitz und der Mark den
böhmischen Brüdern imd insbesondere C)menius verdanken. Wir möchten
heute auch auf die Geschichte des Gymnasiums in Lanban hinweisen.
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts reorganisierte die Stadt ihre höhere Schule
und berief zuerst als Kektor den M. Georg Wende und sodann als dessen
Nachfolger M. Gottfried Hoff mann, der aus Plagwitz bei Löwenberg
stammte und das Rektorat der Laubaner Schule 1695 antrat. Hoffmann
gehört« zu den gediegensten Schulmännern jener Zeit; er war im Geist des
Comenius erzogen und befolgte dessen Grundsätze in der Leitung seiner
Anstalt. Sein Ruf als Schulmann verschaffte ihm 1708 einen Ruf nach
Zittau, wo er 1712 starb. (Näheres in der Beilage zum Laubaner Tage-
blatt vom 12. Okt. 1893.) — Es ist erfreulich, dass man in jenen Städten
anfängt, sich der Verdienste dieser Männer zu erinnern, imd wir begrüssen
es, dass die Anstalten (wie z. B. Crossen) ihrem Wunsch, die alten Über-
lieferungen zu pflegen, durch ihren Anschluss an die Comcnius-GeseUschaft
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1894. Nachrichten. 339
Ausdruck geben; hoffentlich werden andere, wie Laub an und Beuthen,
darin hinter den kleineren Anstalten nicht zurückstehen.
Das Antiquariat von Albert Cohn in Berlin (W. Mohrenstr. 53) zeigt
in Kat. 204 einige Schriften an, die für unser Forschungsgebiet von Interesse
sind. Eine kleine Schrift „Lehr-Gesänge von Kristus Nachfolgung** (nach
Thomas von Kempen), erschienen bei Johann Hof mann in Nürnberg 1675,
gewährt Einblick in die religiöse Gedankenwelt, wie sie von Angehörigen
des „Palmenordens** damals gepflegt wurde. Sie beweist zugleich, dass
diese Gesellschaften und Orden sich keineswegs bloss mit der Pflege der
deutschen Sprache und der Poesie beschäftigt haben; die Gesänge sind ver-
fasst von Philipp von Zesen, in Musik gesetzt von dem Mitgenossen der
hfkjhst preiswürdigen „deutschgesinnten Genossenschaft** und Predigern der
„Gremeine Gottes** zu Magdeburg Malachias Siebenhaar, gewidmet dem
Herrn Georg von Schöbel und Rosenfeld, Mitglied der „Fruchtbringenden
Palmengesellschaft** und der „deutschgesinnten Genossenschaft**. — Den
Liedern sind die Noten beigegeben; sie waren also zum praktischen Gebrauch
in den Zusammenkünften bestimmt.
Es ist wiederholt hervorgehoben worden, dass Comenius freundschaft-
liche Beziehungen zu Oeorg Philipp Harsdörlfer (geb. 1. Nov. 1607,
gest. 22. Sept. 1658), dem Gründer des Blumenordens gehabt hat. Weniger
bekannt scheint die Thatsache zu sein, dass auch Philipp von Zeseii
(geb. zu Priorau bei Dessau 8. Okt. 1619), der Gründer der deutschgesinnten
Genossenschaft, zu Comenius und dessen Freundeskreis Beziehungen freund-
schaftlicher Natur besessen haben muss. In dem soeben ausgegebenen
Katalog von M. Spirgatis in Leipzig findet sich folgende Ausgabe des
Vestibulum angezeigt:
Joh. Arnos Co meni Portael der Saecken en Spraecken. Vestibulum
rerum et linguarum. Die Vortühre der Sachen und Sprachen. Amstelo-
dami. Apud Joannem Ravesteinium 1673. 8".
Aus dem Untertitel und der Vorrede ergiebt sich, dass der Veranstalter
der Ausgabe Johannes Seidelius in Amsterdam und Jacob Redinger waren,
dass der Verfertiger der deutschen Übersetzung Philipp von Zesen ge-
wesen ist. Die von Jaeoh Redinger (s. über ihn M.H. der CG. 1893
S. 51 ff. und S. 147) besorgte holländische Ausgabe des Vestibulum erschien
zuerst, soviel mir bekannt ist, im Jahre 1658. Dass die deutsche Über-
setzung erst in der späteren Ausgabe beigefügt ist, ergiebt der Untertitel
durch den Zusatz: Atque nunc Germanica versione donatum opera Philippi
Cacsü a Zesen. Die Zesensche Übersetzung ist übrigens allen zur Beachtung
zu empfehlen, die die Verdeutschung der Schulsprache erstreben.
Es wäre von Interesse, über die persönlichen Beziehungen des Comenius zu
den Führern der deutschen Sprachbewegung weiteres zn erfahren. Vielleicht
ist einer unserer Leser im stände, hierüber nähere Aufklärung zu geben.
Derselbe Katalog von Spirgatis enthält verschiedene Bücher, die für
uns von Interesse sind, z. B. die äusserst seltene zweite englische Ausgabe
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340 Nachrichten. Heft 9 u. 10.
der Porta linguarum trilinguis reserata von ComeniuB, die Joh.
Anchor besorgt und Thomas Cotes sumptibus Michaelis Sparkes London 1633
gedruckt hat (Preis 24 M.). — Auch einige ältere Ausgaben von Seb. Francks
Schriften, nämlich einen seltenen Mülhäuser (im Eis.) Druck von 1561 der
Schrift De arbore scientiae boni et mali und eine Ausgabe der Übersetzung
von Erasmus Encomium Moriae und Agrippas Lob des Esels aus 1696 finden
sich dort. Besonders sei hingewiesen auf die zu Augsburg bei Othmar im
Jahre 1527 erschienene Ausgabe der von Denck und Hätzer veranstalteten
Übersetzung der Propheten, deren Treue und Fleiss von Luther ausdrücklich
anerkannt worden ist (Preis 140 M.).
Die Beste der b^hmisehen Brttder hatten sich seit der Zeit, wo der
Westfälische Friede ihren Untergang als Gemeinschaft besiegelte, meist den
Reformierten angeschlossen, denen eben jener Frieden ein rechtliches
Dasein gesichert hatte. Die Reformierten zeigten sich weitherzig genug, um
den Brüdern auch dann Aufnahme zu gewähren, wenn diese die Anerkennung
streng calvinistischer Grundsätze ablehnten. Die Erneuerung des Andenkens
an Comenius hat nun, wie zu erwarten war, das Bewusstsein der Verwandt-
schaft zwischen den heute noch vorhandenen Reformierten und den Über-
lieferungen der böhmischen Brüder von neuem gestärkt und in ver-
schiedenen Erscheinungen tritt der Wunsch zu Tage, an diese Überlieferungen
wieder anzuknüpfen. Am 13. — 15. März d. J. hat zu Prag der IX. Convent
der böhmischen ev.-ref. Diözese getagt. Der Convent (Synode) fasste mit
Einhelligkeit den Beschluss, auf der nächsten Generalsynode die Wieder-
einführung des Katechismus der Böhmischen Brüder von 1606
und 1608 in den Gebrauch der rcf. Kirche und Schule zu beantragen und'
es scheint alle Aussicht vorhanden zu sein, dass dieser Antrag zur Annahme
gelangt. Femer hat am 3. Mai ds. Js. zu Berlin eine Versammlung der
ev.-ref. Bethlehems -Gemeinde stattgefunden, die beschlossen hat, den An-
spruch auf alle ihr durch Königliche Gnade einst verhehenen Rechte, soweit
sie verloren oder verdunkelt wurden, wieder zu erheben, und unter diesen
Ansprüchen wird an erster Stelle die Forderung erhoben, dass der Gemeinde
ihr ursprünglicher Namen: „ev.-reformierte böhmische Kolonie-Ge-
meinde" wiedergegeben werde. Die Gemeinde ist eben von eingewanderten
böhmischen Brüdeni und Refonnierten gegründet worden, denen der Grosse
Kurfüi-st ein Asyl in seiner Residenz geboten hatte. Dieser war es ja auch,
der im Jahre 1648 die Aufnahme der Reformierten in den Religionsfrieden
durchsetzte imd damit verhinderte, dass ihnen in Deutschland das gleiche
Schicksal widerfuhr wie den Brüdern in Österreich und Polen.
Ad. Harnack hat in seinem Buch über die „Lehre der zwölf Apostel",
Leipzig 1884 S. 269 ff., auf die merkwürdige Verwandtschaft hingewiesen,
die sich zwischen der Kirchen -Verfassung der sog. Waidenser des Mittel-
alters und den in der „Lehre" (Didache) geschilderten altchristlichen Ein-
lichtuugen finden, und betont, dass nach Wiederauffindnng der Didache die
Frage ernstlich erwogen werden müsse, ob bei den Waidensem und deren
Kirchenordnimg nicht vorkatholische Überliefemngen aus alter Zeit eine
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1894. Nachrichten. 341
Rolle gespielt haben (A. a. O. S. 273). Hilgenfeld hat, wohl im Anschluss
an diesen Hinweis, die lateinische Form der Didache, von der O. v. Gebhard
ein Bruchstück auffand und die Prof. Funk später in einer Handschrift des
Klosters Melk wiederentdeckte, die „waldensische Form" genannt (Ztsch.
f. wiss. Theologie 1885 S. 100). Vielleicht wollte Krawutzky, der die
Didache in d. Theol. Quartalschrift 1884 S. 547-607 von römisch-katholischem
Standpunkt aus besprach, etwas Ahnliches andeuten, wenn er sagte, dass
sie in „häretischer Weise" bearbeitet sei. Wie dem auch sein mag, so steht
doch fest, dass es von grossem Interesse wäre, den Beziehungen der Didache
zu den ausserkirchlichen Christen-Gemeinden einmal genauer nachzugehen
und dass diese Aufgabe durchaus in den Rahmen unseres Arbeitsplanes
fallen würde. Vielleicht könnte man dadurch der schwierigen Frage nach
dem Ursprung jener Christen um einen Schritt näher kommen Wir wollen
bei dieser Gelegenheit auf die Schrift von Gotthold Victor Lechler
Urkundenfunde zur Geschichte des christlichen Altertums (Leipzig, A. Edel-
mann 1886), verweisen und bemerken, dass Lechler zu den Begründern der
e.G., bis zu seinem am 26. Dezember 1888 erfolgten Ableben in sehr freund-
lichen Beziehungen stand. Kein neuerer Forscher wäre mehr als Lechler im
stände gewesen, die oben erörterte Frage in die Hand zu nehmen.
Das Antiquariat von Ludwig Rosenthal hat als Katalog 70 eine
Bibliotheca Evangelico-Theologica — bisher sind 10 Hefte mit 18194
Nummern erschienen — herausgegeben, den wir der Aufmerksamkeit unserer
Leser mit dem Bemerken empfehlen, dass er kostenlos gegen Einsendung
des Portos (30 Pfg. in Deutschland) versandt wird. Es sind namentlich
Schriften des 16. bis 18. Jahrhundei-ts darin enthalten; der Katalog ist reich
an Schriften der Kirchenväter, Vorreformatoren und deren G<)gner; Sekten
(Böhmische Brüder, Hussiten, Jansenisten, Quäker, Schwenckfelder, Soci-
uianer, Wiedertäufer etc., Kirchenordnungen, Gesangbücher, Bibeln); exe-
getischer, systematischer und praktischer Theologie. Als besondei-s gelungen
müssen wir einige Abteilungen hervorheben, die von dem Sammelfleisse der
Firma ein Bild liefern, so z. B. enthalten die Nr. 1502— 3166 a Bibelsamm-
lung in allen Sprachen, die ersten lateinischen und deutschen Ausgaben sind
besonders reich vertreten. Nr. 7227—7717 enthalten eine ausführliche Litte-
ratur von und über Erasmus von Rotterdam (und Portraits desselben); Nr.
11390—11626 eine solche von Ulrich von Hütten; Nr. 14479—14997 eine
solche von Luther (als Supplement zum Lutherkatalog Nr. 38); Nr. 15(533
u. f. eine solche über Melanchthon (hierin ein Authographen - Album mit
Melanchthons Beitrag); Nr. 11755—12271 enthält eine reiche Litteratur über
den Jansenismus; Nr. 12354—12568 verzeichnet eine interessante Sammlung
der „Indices librorum prohibitorum" und „Schriften der Inquisition"; Nr.
13031—13187 Kirchenordnungen mid Agenden etc. etc. Bemerkt sei noch,
dass der Katalog nicht in trockener Weise wie die gewöhnlichen Antiquar-
kataloge bearbeitet ist, sondern eine Unmasse von litteraren Notizen, biblio-
graphischen Hinweisen etc. enthält, die ihn dem Bücherliebhaber sowohl als
auch bebonders dem Gelehrten und Forscher interessant machen.
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342
Inhalt neuerer Zeitschriften.
Heft 9 u. 10.
D. Inhalt neuerer Zeitschriften.
Historische Zeltoctarifft. N. F.
Bd. 37. 3. Hoft. AufBätee: Robert Pöhl-
inann, Zur RPflchichtlichen Beurtoilung
Homere. - M. Philippson, Philipp II.
von Spanien und die letzten Lebenajahre
Mnria Stuarts. - Miscellen : B. Gebhardi,
Wilhelm v. Humboldt über die »panischen
('«rtes. — IJttcraturbericht. — Notizen imd
Nachrichten.
AretalT ffir Philosophie. I. Ab-
t<*ilung — Archiv für fJeiichichte der Philo-
sophie. Bd. VIII, Heft 1. N. F. I. Bd.,
Heft 1. 1894: Joh. Uebinger, Der Begriff
docta iguorantia In seiner gescliichtlicbon Ent-
wickUing. — Paul Leuckfeld, Zur logi-
schen I>ehrD von der Induction. Geschichtliche
Untersuchungen. — EmilArleth, Die Lehre
des Annxagoras vom (Jeist und der Seele. —
Jahresbericht Ober sfimtliche Erscheinungen
auf dem (iebiete der (teschichte der Philo-
sophie. I. Die polnische Littoratur zur Ctc-
sciiichte der Philosophie von Dr. Heinrich
von Struve. II. Die deutsche Litteratur
Ober die sokratische, platonische und aristote-
lische Philosophie. 1892. Von E. Zeller. ~
Neueste Erscheinungen auf dem (»ebiete der
tleschichle der Phil^ophie.
Philosophisches Jahrbuch der
OörresgesellMchafU 7. Bd. 4. Heft. 1894:
J. Nassen, Über den platonischen Gottes-
l)egriff. (Forts.) — C. (iutberlet. Über
Messbarkelt psychischer Acte. (Forts.) - T.
Pesch, AI, Schmid Ober die Erkenntnislehre.
fSchl.) - C. Th. Isen krähe, Die Copemi-
kanisehe Hypothese und die StnncstAuschungcn.
- Ri'censionen und Referate. - - Philosophi-
scher Sprechsaal. -- Zeitschriftenschau. --
Miscellen und Nachrichten.
SEeltschrin fllr PhUosophle und
philosophische KriUk. N. F. 1<)5. Bd.
Heft 1. 1894: Wilhelm Enoch, Zur
Systematik des (Jeföhls. A. Döring, Das
Weltsystem des Empedokles. — Johann
Uebinger, I>ie philosophischen Schriften
des Nikolaus Cusanus. II. — A. C. Arm-
strong jun., Die Philosophie in den Ver-
einigten Staaten. Übersetzt von E. Kwnig. ~
Recensionen. ~ Notizen. — Neu eingegangene
Schriften. — Bibliographie. — Aus Zeitschriften.
Mitten u Öftren der Gesellschaft
nir deutsche Erzlehunys- und Nchul-
areschlchte. Jahrg. IV. Heft 2 : P. Bruder,
Das Schulwesen zu Bingen am Rhein wllhrend
des Mittelalters. - R. Hochegger, über
Blockbßcher. — W. Sc hon ecke, LOneburger
Schreib- und R<*chenmeist«'r. — Hans Hei-
ni seh, Instruktion für die Lehrer des Gym-
nasiums in Kegensburg aus dem Jahre 1557.
- E. G e h m 1 i c h , 2 Slimdenpläne der Latein-
schule in Wolkenstein im Erzgebirge aus den
Jahnm löJ« und 170G. - Koldewey, Schul-
ordnungen der Stadt Königslutter. II. Plan
für die Errichtung der Realschule aus dem
Jahre 1745. — B. Kaisser, Bestallungs*
Urkunde fOr den Messner J. Jftger in Neu-
dingen , Olieramt Tuttlingen, aus dem Jahre
1786. Geschäftlicher Teil.
Hell 3: Ernst Voigt, Ein unbe-
kanntes Lehrbuch der Metrik aus dem XI.
Jahrhundert. - Otto Mayer, Zwei Em-
pfehlungsschreiben für den M. Georg Jeger
zur Bewerbung um das Schul-Rektorat der
freien Reichsstadt Esslingen Ton dem Rektor
und einem I^ehrer der Artisten- und Medi-
ziner-Universität in Padua aus dem Jahre 14ö2.
— Friedrich Schmidt, Eine epistola
suasoria des Prinzen Wilhelm von Bayern aus
dem Jahre 1562. Ein Beitrag zur Charak-
teristik Verschiedeneruniversitäten und Länder.
— M. Wehr mann, Die Disputationen am
Pädagogium (akademischen Gymnasium) in
Stettin. - G. Sello, Zur Geschichte der
Schule in Wildeshausen im Herzogtum Olden-
burg vom Mittelalter bia in das 18. Jahr-
hundert nebst urkundlichen Beiträgen aus den
Jahren 1583 und 1584. — Richard Pahner,
Ein Revisionsliericht Ober die im Hallischen
Viertel zu I^ipzig bestehenden Wiukelschulon
und seine weiteren Folgen (1741). - Zur Ge-
schichte der Schulbibel. — Verzeichnis der
im Jahre 1892 erschienenen Veröffentlichungen
zur deutschen Erziehungs- und Schulgeschichte.
- Geschäftlicher Teil.
Revue Internationale de Ten-
selipienient. 14. ann<^. No. 9. (reorges
L a f a y e , I a»8 grecs prufesseurs de po<''sie cbex
les Romains. (146 30 av. J.-C.) (Fin.) - A.
Gasier, Documenta in^ita pour servlr h
l'histoire de l'instruction publique pendant la
n^volution (1794-1802). (Fin.) — Alb. de
Berzeviczy, La question de l'Mucation
physique.
BuUeUn de la »ocl^t^ d'hlstolre
Vaudolse. Nr. 11. Avril-Aoüt 18i>4 (La
Tour, Imprimeric Alpina) : Storia dei Si^ori
di Lusema. Parte la. Mt»dio Evo (P. Ri voi re).
Bibliographie Luigi Amabile, II santo
officio della iuquisizione in Napoli (P. Rivoiro).
— Arturo Muston, (Diovan Luigi Paschale.
- P. Fontana, Docunienti Vaticani contra
Teresia luterana in Italia (D. Jahier). — A.
Bertolotti, Martiri del libero pensiero e
vittime della S. Inquisizione nel sec. lö'* a 17"
(D. Jahier). - - Necrologie. — Bibliothequu et
Archives.
Jahrbuch der Gesellschaft für
die Geschichte des Protestantismus
In Österreich. 15. Jahrg. (1894). Heft II.
Inhalt: Die evangelischen Kirchenordnuugon
Österreichs. Von Prof. Dr. Loesche. — Bei-
träge zur Geschichte des Protestantismus in
Istrien und Triest. Von Dr. E. Schatzmayr.
— Die DurchfOhrung der Gegenreformation in
Fugan im Jahre 1G96. Mitgeteilt von Hugo
Weigol, — Bericht des Central Vorstandes
ül)er das Vereinsjahr 18^)3.
■ »<♦»<■
Buchdruckerei von Johannes Bredt, MOnster i. Westf.
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Personen- und Orts-Eegister
zum dritten Band (1894) der Monatshefte der C. G.
Das Rofp'ntf'r ist im Hinblick auf die Namen geschichtlicher Personen und Ortsnamen bearbeitet.
Die Buchstabon C und K, F und V, I und J sind verbunden.
Abälard, P. 291 ff. 33().
Abot, G. 311. 312.
Achelis, E. C. 100.
Achenbach, H. v. 336.
Acontius Trebiensis, E. 91.
Acquoy, Dr. 157.
Ad albert v. Toscana 181.
Adami, T. 161.
A 1 b e r t i n i , Bruderbischof 46. 50. 53.
54. 59. 71.
Alexander de Villa Dei 158.
Aisted, J. H. 34, 35. 79 ff. 118.
Altdorf 162.
Alting, H. 318.
Altena 16. 17.
Amsterdam 86. 308 ff.
Amyraut, M. 324.
Anchor, J. 340.
Anckelmann, E. 277.
Andrea, J. V. 34. .35. 42. 103. 160.
168. 314.
Angelmodde 259.
Angelo, M. 258.
Anhalt, Kolonie bei Pless 45.
Anjou 302, 324.
Anton, P. 277.
Arminius J. 104.
Arnold, N. 270.
Arnold von Brescia 297. 330.
Aron, R. 275. 3.32.
Arvidson, D. 277.
Ascham, B. 33.
Ascherham 98.
Augsburg 98. 334.
Augsburger, C. 333.
August, Herzog v. Braunschweig
315. 316.
August Wilh., Herzog v. Br. 277.
B.
Baco von Verulam, R 42. 119 ff.
160. 161. 168. 227.
Bacon, F. 31. 33. 34.
Baduel, C. 33.
Bäumker, Wilh. 100.
Bahlmann, P. 259.
Bajer, J. W. 277.
Baier, Prof. 239.
Bailersbach 86.
Barby 47. 50. 52. 55. 63.
i Basedow, J. B. 108. 120. 125. 126.
I 168.
I Basel 337.
Baumann, J. 16.
' Beck, Joe. v. 96.
I Becher, R. 159.
Becker, B. 42. 45. 68.
1 Beeger, J. 158. 271.
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344
Beer, R. 37.
Bentham 152.
Bentheim, Graf von 237.
Bentheim, Ad. v. 336.
Bentteim, A- J. v. 336.
Bentheim, E. W. v. 336.
Benzelius, K. J. 313. 317.
Berbig, F. 275.
Berckau, H. 277.
Bergamo 196.
Bergius, J. 236. 311.
K. 236.
Bergmann, JuL 212.
Berlin 66. 162. 167. 230. 235. 236.
253. 308. 327. 340.
Bernburg 222.
Bernhard von Clairvaux 177 304.
Bertensieben, B. v. 230.
H. V. 230.
Beuthen 236. 237. 276. 338. 339.
Bild, Veit 334.
Bisßing, H. v. 257.
Blanck, J. N. 277.
Bodin, J. 104.
Boehmer 183.
Böhmische Brüder s. Brüder.
Boemer, A. 158.
Bötticher, W. 271.
Böttiger 255.
Bogomilen 176.
Bonn 219. 226.
Borinski, K. 248.
Botsac, B. 277.
Botzheira, J. v. 333.
Bradacius, M. 173.
Braunschweig 314. 315. 316.
BredehoU, G. H. 277.
Bremen 79. 83. 162. 163. 31.3. 317.
322.
Breslau 166.
Bresler, D. 83. 92.
Bright, J. 152.
Brinkmann v. 63. 66. 70.
Brochmann, K. E. 323.
Brüder, Böhmische etc. 38. 39. 45 ff.
81 ff. 98. 100. 101. 118. 156. 102.
171 ff. 189. 236. 237. 270. 275.
312. 340.
Brügel, J. 34. 35.
Brunfels, 0. 160.
Bruno, G. 160.
Bruys, P. v. 176. 196.
Buddensieg, B. 37.
Buddeus, J. F. 171.
Budowec, W. v. 276.
Büchner 16.5. 211.
Bünau, R. v. 161.
Bünderlin, J. 96 ff. 103.
Burckhard, J. H. 277.
Burgsteinfurt 237.
Burkhardt, G. 101.
Burrow, M. 37.
ۥ WL.
Kaemmel, O. 162.
Caesarius v. Heisterbach 177.
Calixt, G. 312. 314. 315. 316. 318.
F. U. 316.
Calixtiner 173.
Kalthoff, A. 163.
Calvin, J. 226.
Kambli 211.
Campanella, T. 34. 160 ff.
Campanus, J. 98.
Campe 168.
Kant, J. 69. 108. 124. 126. 150. 165.
211. 216.
Kapp 111.
Cappel, L. 324.
Karell, L. 41.
Carey 225.
Karl V., Kaiser 157.
Karl August v. Weimar 68.
Karl Ludwig v. d. Pfalz 103.
Karl, Kurprinz v. d. Pfalz 104.
Carlyle, Th. 147 ff.
Carpzow, J. B. 277.
Carpzovius, Oberhofprediger 243.
Cartesius s. Descartes.
Katharer 156. 176. 177. 189. 193. 190.
Kawerau, G. 100. 166.
W. 239.
Keckermann 87.
I Keferstein, H. 163. 164.
1 Ccllarius, Prof. 239.
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345
Keller, Ludw. 1. 35. 171. 175. 181.
188. 191. 201. 200. 335.
Keller, R. .326.
Kemper, O. 164.
Kepler, J. 122. 161.
Kettenbach, H. v. 281.
Chillingworth 104.
Christian IV., König v. Dänemark
317.
Christoph, K. 331.
Kingsley, Ch. 11. 153. 155. 163.
Kinsky, W. 276.
Kipius, Dr. 315.
Klaj, J. 277.
Klette, Th. 332.
Kluckholm, A. v. 102.
Knebel, v.. Major 254.
Cobden, R. 152.
Coccejus, J. (Koch) 318.
Coln 217.
König, E. 293.
Königsberg 66. 244.
Kotz, F. 163.
Cohen, H. 216.
Kohlreif 48.
Cohn, A. 339.
Colbius 277.
Colerus, J. 237.
Compayr^, G. 336.
Condorcet 128 ff.
Constantin, Kaiser 178.
Constanz 98. 333.
Conversino, G. di 332.
Koolhaes 104.
Coornhert 104.
Kopenhagen 323.
Kopp, K. A. 332.
Koranda, W. 171.
Corber, C. 277.
Korthold, C. 277.
Cosenza 161.
Kotter, C. 84. 319.
Cousin 295 ff.
Cranz, D. 173.
Krause, K. C. F. 10. 327. 328. 329.
Krawutzky 341.
Crocius, J. 311.
Krones, F. v. 337.
Crossen a. O. 275. 338.
Kunowitz, Graf v. 81.
Kuyper, A. de 310.
Kvacsala, J. 80 ff. 169. 309. 322.
326. 337.
I>.
Daill^, J. 324.
Danneil 230.
Danzig 83. 308. 309.
Darwin, Ch. 211.
Dauber, H. 80.
Davenant, J. 311.
David von Augsburg 183.
Denck, Joh. 39. 103. 340.
Denicke, D. 315.
Depenbrock, J. C. 277.
Descartes, R. 123. 160. 319. 320.
Deutsch, S. M. 303.
Deventer 85. 157.
Diderot 129.
Dieckhoff 175.
Dieppe 324.
Diesterweg, M. 17.
Dillcnburg 83.
Dilthey, W. 38. 39. 104. 167. 330.
Dissenters 57.
Dittes 169.
Döllinger, J. v. 176 ff.
Dörpfeld, Fr. W. 223. 224.
Dohna, Achatius III. v. 236.
Dordrecht 86.
Drabick, N. 321.
Dr^lincourt, C. 324.
Dresden 235. 277. 327.
Dürer, A. 281.
Duisburg 224. 244.
Dupont de Nemours 129.
Duraeus, J.(Duruy) 306 ff.
Duruy, A. 145.
Dziewicki 37.
E.
Ebersdorf 52.
Ebner, H. 281.
Ebrard 196.
Eck 282.
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— 346
Ehlers, H. J. 277.
Ehwald 40.
Eibenschütz 337.
Elbing 309. 311. 323. 326.
Elisabeth Charlotte, Kurfürstin
104. 229. 275.
Ellissen, O. A. 107. 165. 210. 269.
Emden 317.
Engelhardt, J. G. V. 176.
Engels 149.
Enns 97.
Entfelder, Chr. 103.
Episcopius, N. 104. 171.
Erasmus, D. 39. 40. 114. 115. 159.
160. 226. 333. 341.
Erfurt 247.
Ernst August, Kurfürst von Han-
nover 316.
Ernst Casimir, Graf v. Nassau 336.
F. V.
Faber, J. 333.
Fabri, J. 157.
Vahlen, J. 101.
Valla, L. 101. 102.
Favart 300.
Vechner, G. 237.
Ferdinand I. 98.
Vergerio, P. P., der Ältere 332.
Vergerio, P. P., der Jüngere 89. 332.
Vetter, R. 327.
Fichte, J. G. 10. 108. 123. 13G.
146. 210.
Figulus s. Jablonski.
Virchow, R. 41. 163.
Vives, L. 34.79.86.87.92.226.227.
Floris, J. V. 288.
Vogel, A. 329. 330.
Voigt, G. 331. 332.
Fontanus, J. 78.
Vossius, G. J. 318.
Franck, Seb. 39. 41. 98. 102. 103.
104. 340.
Francke, A. H. 42. 126. 235. 240.
242. 247. 248. 249. 250. 251. 252. 277.
Francke, O. 163. 164.
Francker 83. 317. 318. 323. 324.
Frankfurt a. M. 7. 16. 17. 18. 20.
21. 312. 313.
Frankfurt a. O. 236. 244. 308. 315.
Franz I., König v. Frankreich 33.
Fredericq, P. 157. 188. 203.
Freier, B. 229.
Freier, W. 229.
Freistadt 97. 99. 275.
Freundgen, J. 158.
Frey 255. 256.
Friedensburg, W. 39.
Friedrich III., Kurfürst von Bran-
denburg, spät. König V. Preuseen
235. 242. 246. 247. 309.
Friedrich II., König v. Preussen
45. 104. 226. 228. 236.
Friedrich von Lüneburg-Celle 314.
Friedrich V. von der Pfalz, König
von Böhmen 318. 319.
; Friedrich Ulrich von Braun-
schweig- Wolfenbüttel 314. 315.
Friedrich Wilhelm III., König
j von Preussen 246.
i Friedrich Wilhelm, Kurfürst von
Brandenburg 10. 228. 229. 230. 236.
245. 275. 309. 320. 340.
i Fröbel, F. 167. 168. 328.
Fuchs, P. V. 235. 239. 246.
Fuchsmagen, J. 333.
; Fürer, C. 281.
I Fürer, S. 281.
i Fürstenberg, F. v. 259. 260.
FüBsel, M. 237.
Fulco, Abt 302.
Fulnec 174.
Furniwall, F. J. 37.
' Galiläi 122. 161.
Gallitzin, A. v., Fürstin 259. 260.
i Gallneukirchen 97.
Garve 59.
I Gassendi, P. 325. 326.
! Gasser, A. P. 334.
, Gaucher 33.
Gebhard, 0. v. 341.
I Gcer, E. de 323.
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847
Geer, L. de 309. 823.
Gehmlich, E. 40.
Geiler von Kaisersberg 114.
Genf 228. 337.
Gent 40.
Georg, Herzog v. BraunBchweig 315.
Georg von Podiebrad 172. 175.
Georg WladislauB, König von
Polen 175.
Gerhardt, P. 231.
Gerning, J. J. v. 258.
GeseniuB, J. 315.
Gicseler, J. K. L. 176.
Gilbert 161.
Gille, A. .330. 331.
Gindely, A. 178. 270,
Glanz, G. 20.3.
Glaucha 247.
Gleyner, G. B. 277.
Gloxin, A. H. 277.
Glückstadt 31.3.
Gmunden 97.
Gnadenfeld 42. 77.
Gnadenfrei 4G. 48. 51. 52. 71.
Goch, J. V. 197. 198.
Godemann, K. 311.
Göbel 42.
Gödeke 258.
Görres-Ges. 7.
Goze, Hauptpastor 293.
Goethe, J. W. V. 4. 149. 150. 257.
2.59. 302. ,327. 3.34.
Gohfeld .320.
Goldberg IKi.
Goll, S. 174.
(iotha 40. 102. 247.
Gothcin, E. 160. IGl.
Gracian, B. 248.
Gregor, Bnider 172.
Grein 97.
Grimm, S. .334.
Gröper-I.A8erow 40.
Groningen 317. 318. 323. 324.
Grossgebauer, J. v. 277.
Grotius, H. 104. 244. 313. ,325.
Grünpeck, J. 3.34.
Grynaeus, J. 337.
Guar in o von Verona 40. 333.
Guericke, H. E. F. 176.
Gustav Adolf, König v. Schweden
311. 312. 319.
Gutberleth, M. H. 85. 88. 92. 93.
H.
Haack, Th. 322.
Haag 310. 317. 318. 319. 323.
Haak, J. J. 277.
Häckel 165.
Hals ebner 325.
Hätzer, L. -UO.
Haiger 83.
Hall, J. 311. .322.
Halle 49. 55. 56. 235. 239 ff. 272. 3.30.
Hamburg 163. 313. 314. 317. .320.
322. 323. 325.
Hamilton 118. 119.
Hampdens 322.
Hanau 79. 85.
Hanau, A. v. 336.
Hanau, L. v. 336.
Hannover 315. 316.
Hardt, H. v. d. 276. 277.
Harnack, A. 166. 299. 340.
Harris 37.
Har8dörfer,G.P. 162. 277.336.339.
Hartfelder, K. 160. 333.
Hartlieb, S. 321.
Hausrath, A. 291. 297. 301.
Hegel 108. 112. 12.3. 1()3. 210. 21.3.
Hegius, A. 1.57. 1.58.
Heidelberg 40. 8.3. 257. .337.
Heidemann, J. 228.
Hei neck, H. 40.
Heinrich IV., König von Frank-
reich 33.
Heinrich von Toulouse 176. 196.
Heinsius, D. 318.
Helmstädt 277. 314. 316.
Helsingör 323.
Helvetius 129.
Hei wich, Christoph 42.
Hemsterhuis, Staatsrat 2.59.
Henisch, G. 3.34.
Henschel, A. 332,
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— 348 -
Her hart, J. F. 127. 167. 108. 224.
232. 329. 330.
Herborn 35. 78 ff. 118. 237. 330.
Herder, G. 253.
Herder, J. G. 10. 160. 163. 164.
253 ff. 335.
Hergenröther, J. 181.
Hering 231.
Hermannus, J. J. 81. 90. 91.
Herrnhut 46. 49. 52. 62. 66. 69.
71. 101. 162. 298.
Herold, H. 259.
Hersfeld 85.
Herta, G. 242.
Hertzberg, G. 240.
Herzberg-Fränkel 37.
Herzog, J. J. 176. 188.
Hesenthaler, M. 103. 308.
Hessus, E. 40.
Hildesheim 314. 315. 316.
Hinderbach, J. 333.
Hippel 66.
Hobbes 160.
Hochegger, R. 31. 163. 165. 232.
274. 330. 331.
Hoe von Hohenegg, M. 311.
Höpfner, H. 311.
Host, 8t. 40.
Hoffmann, M. G. 338.
Hoffmann, W. 281.
Hohenheim s. Paracelsus.
Hohlfeld, P. 328.
Holstein, H. 40.
Holtzendorff, F. v. 163.
Holzschuher, H. 281.
Honthorst, G. 321.
Horb, J. H. 277.
Hörn, J. 100. 101.
Huber, F. P. 165.
Hubert, F. 39. 332.
Hubmaier, B. 98.
Hüllemann, Carl 10.3.
Hülsmann, Prof. 212. 215.
Hughes 153.
Hummel, F. 147.
Hummelberg, M. 333.
Hus, J. 37. 171.
Husiten 38.
Hut, J. 98.
Huthmann, H. 277.
Hutt, Director 222.
I Hütten, U. v. 160. 341.
I J.I.
I Jabloni 309.
I Jablonsky, D. E. 235. 246. 306 ff .
Jablonsky, J. T. Figulua 306 ff.
Jablonsky, M. 306 ff.
Jablonsky , P. E. 306. Figulus 306 ff.
Jäckel 96.
Jacob I., König von England 310.
Jacob II., König von England 229.
Jacobi, F. H. 63. 64. 299.
Jahodinskym deMatcze,A. 83.92.
Jahodinskym deMatcze,M.83.92.
Jamnici (Grubenheimer) 172.
Jena 163. 235. 244. 277.
Jesuiten 120. 121.
Ignatius von Loyola 31. 32.
Imhoff, A. V. 257. 258.
Ingolstadt 334.
Innocenz VIII., Papst 181.
Innsbruck 99. 333.
Joachim, Abt 177.
Jöcher 308. 326.
Johann der Altere, Graf v. Nassau-
Katzenellenbogen 78. 79. 91. 336.
Johann Sigismund, Kurfürst von
I Brandenburg 230.
I Johnston, J. 168.
; Israel, A. 34.
Julian, J. 100.
Jungius, J. 42. 314. 322.
Lamey, F. 277.
I Lampadius, J. 315.
I Landfermann, Schulrat 218.
I Landsberg-Velen, Freiherr V. 260.
I Landwehr, H. 228. 229. 230. 231.
1 236. 237. 245.
Lane 37.
Lanecius, J. 81. 82. 94. 95.
Lange, C. 277.
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349 —
Lange, F. A. 107. 108. 127. 105.
210 ff.
La Place, J. 324.
LasitiuB, J. 171.
Latendorf, F. 41.
Lauban 338. 339.
Laud, W., Erzbischof 312.
Lautensac, J. v. 277.
Lea, H. C. 101. 157.
Lechler, G. 198.
Lechler, G. V. 341.
Lefranc, A. 33.
Lehnerdt, M. 332.
Leibniz, G. W. 4. 10. 104. 123. 124
160. 161. 236. 244. 277. 316. 321.
Leiden 317. 318. 319. .^20. 323.
Leipzig 102. 162. 235. 241 ff. 277.
311. 315.
Lembach 97.
Lerche, J. H. 277.
Lessing, G. E. 291 ff. 336.
Lessing, K. 294.
Leukefeld, J. H. 277.
Leukefeld, W. M. 277.
Leutbecher, J. 227. 271.
Liebig, A. 237.
Limborch 188.
Linde, A. v. d. 78. 81. 86. 91.
Lindenberg, N. 277.
Lindner, G. A. 19.
Linz a. Donau 97. 320.
Lion, C. T. 271. 272.
Lissa 101. 207. 236. 237. 269. 270.
271. 275. 309. 323.
Litomil, J. 81. 82.
Locher, J. 334.
Locke, J. 33. 120. 122. 123. 125.
131. 159.
Löwenberg, J. 41.
London 320. 321. 322.
Lorsbach, C. W. 91.
Loserth, J. 37. 96. 99. 167. 194. 337.
Lovosicenus, J. P. 91.
Lubiewski, P. A. 308.
Ludewig, G. 102.
Ludlow 153.
Ludwig XIV., König v. Frankr. 229.
Ludwig Günther, Graf v. Nassau
336.
Lübeck 313. 322. 325.
Lüneburg 317.
Lullus, R. 87.
Luther, M. 38. 39. 60. 61. 73. 97.
116. 117. 118. 120. 141. 197. 268.
280. 281. 282. 289. 302. 334 340. 341.
Luzern 332.
Lyser, P. 311.
M.
Macaulay 121.
Macchiavelli 121.
Mämpel, K. 272. 291. 336.
Magdeburg 242.
Mager, Dr. 224.
Mainz 319.
Malpaghini, G. 332.
Mancini 102.
Manichäer 189.
Mann, F. 40. 163.
Mannl, O. 167.
Marburg 219.
Marie, Abb^ 260. 266.
Martini, P. C. 277.
Matthai, J. H. 277.
Matthew, F. D. 37. 148.
Matthiä, D. 312. 313.
Matthiä, J. 313.
Maurice 11. 153.
Maximilian I., Kaiser 97.
Mecklenburg, S. v., Herzogin 277.
Mejer, B. 277.
Melanchthon, Ph. 40. 73. 115. 116.
117. 120. 341.
Memel 307. 308. 309.
Menlishofer, J. 333.
Menzel, A. 84.
Menzel, J. 84.
Merian, E. 45.
Merveldt, Graf von 259.
Mestrecat, J. 325.
Mieltschin 309.
Mill, J. S. 225. 269.
Milton, J. 33. 321.
Minor, J. 248.
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— 350
Möller, C. 277.
Molirungen 253.
Moibanus, J. 334.
Montaigne, M. de 31. 33. 39. 42.
Morel, G. v. 175. 192.
Moriz, Herzog von Sachsen 200.
Morton, T. 322.
Müller, G. 31. 32. 162.
Müller, J. 100. 207. 208. 331.
Müller, P. 242.
München 99.
Münster (Westf.) 1{>8. 2.')9. 2«0.
Münster, S. 41.
Murmellius, J. l.^S. 332.
Mutian, C. 39.
N.
Natorp, P. 128. 267. 2m, 269.
Nassenhuben 309.
Neander, M. 116.
Neapel 161.
Nebe, A. 78. 79. 86.
Nesemann, F. 269. 270.
Neuberger, T. 311.
Neuenburg 160.
Neuss, G. H. 277.
Newmann, A. H. 38.
Newton, J. 124.
Nicoladoni, A. 96. 97. 98. 279. .3.35.
Nicolaus V., Papst 181.
Nicolsburg 98.
Niomeyer, A. H. 55. .')6.
Niesert, Pfarrer 260.
Niesky 46. 52. 53. 65. 71. 162.
Nördlingen 312.
Noltenius, Z. 277.
Nordhausen 40.
Nürnberg 99. 102. 116. 162. 277.
280. 281. 283. 288. 312. 3.35.
Nützcl, C. 281. 282.
O.
Occo, A. 334.
Oekolampadius 334.
Oerebro 323.
Olevian, C. 79.
Oliveter, R. 17.^).
Opitz, M. 248.
Oslander, A. 288.
Ostia 161.
Overberg, B. 259. 260.
Oxenstierna, A. 311. 312. 313. 315.
Oxenstierna, Sohn 325.
Oxford 311.
Padua 332.
Palmer, Ch. 109. 110. 113.
Par'acelsus, T. 40. 41. 98. 16L
Paris 302. 324. .325. 326.
Pascal, B. 163.
Paskowsky, J. 308.
Pasor, G. 90.
Passau, 99.
Patera, A. 37.
Pauli, C. 45.
Paulicianer 176.
Paulsen, F. 16.
Pelargus, C. 236.
Pelz, A. E. 253.
Perg 97.
Perthes, F. 2.57.
Pestalozzi, J. H. 70. 108. 109. 120.
125. 126. 136. 146. 167. 168. 328.
329. 330.
Petersdorf, H. v. 104.
Petersen, J. E. 277.
Petersen, J. W. 277.
Petrarca 39.
Peutinger, C. 334.
Philanthropinisten 1.59.
Pikarden s. Taboriten.
Pilsen 167.
Pirkheimer, W. 282.
Piscator, Joh. 84. 86. 90. 91.
Pithan, H. 82. 83. 93.
Plitt, H. 69.
Podiebrad, G. v. 172.
Poggiali 101.
Ponce de Leon 256.
Prag 229. 270. 312. 340.
Preger, Wilh. 189. 194. 195.
Prönen, Kammerherr v. 309.
Pufendorf, S. 236. 244.
Pym, J. .322.
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— 351 —
Rabelais 33.
Radlach, O. 316. 317.
Radlkofer, M. 333.
Räköczy, S. Füret 28. 321.
Ramuß, P. 32.
Ratichius, W. 20. 24. 34. 42. 91.
118. 119. 227. 331.
Raumer, J. K. v. 34. 109. 115.
119. 226.
Rauwolf, L. 334.
Reber, J. 103.
Redinger, J. 339.
Redlich, C. 258.
Regensburg 229.
Regenvolsciuß, A. 173.
Reichel, Ch. 53.
Reichling, D. 158.
Reiffenberger, J. 83. 95.
Reinbeck, A. 277.
Reinerus 118. 188. 193.
Reinhardt, K. 10. 16.
Reuss, E. 163.
Reventlow, D. 313.
Rhegius, U. 333.
Rhenen 319.
Rhesa 309.
Riehl, H. W. v. 41.
Rinteln 83.
Risler, J. 45.
Rist, J. 314.
Ritschi, A. 39. 42. 166. 219.
Ritter, M. 276.
Rivetus, A. 318.
Roeskild 323.
Rokycana, Erzbischof 172. 175.
Rom 97. 99. 161. 228.
Röscher, W. 236.
Rosenfeld 339.
Rosenthal, L. 341.
Rostock 325.
Rothe, G. 275.
Rotterdam 325.
Rouen 324.
Rousseau, J. J. 33. 108. 120 125.
126. 129. 168. 226. 227.
Rowe, T. 311. 313.
Rudbeck, J. 313.
Rudolf August, Herzog v. Braun-
schweig 277. 316.
Rüdiger, E. 337.
Rüssel, Lord 148.
H.
Sabbadini 332.
Sachs, H. 279 ff. 335.
Sadoletus, J. 33.
Saggitarius, C. 277.
Saliat, P. 3.3.
Sallwürk, E. v. 31. 32. 33.
Salmasius, K. 318.
Salzmann 168.
Sandberger, K. 31. 34.
Sander, F. .306.
Sandhagen, C. H. 277.
Säros-Patak 28. 103.
Saumur 324.
Sayle 37.
Sayn-Wittgenstein, L. v. 336.
Sayn-Wittgenstein, W. v. 336.
Schcffner, Kriegsrat 66.
Scheibe, L. 79.
Schelling 108. 123. 210.
Schenkel, F. 58.
Scheurl, C. 281. 282.
Schiller, F. v. 4. 216. 217. 255.
256. 257. .327.
I Schlegel 53.
Schlciermacher, J. G. 10. 45 ff.
136. 163. 164. 240. 268.
Schlciermacher, Ch. 46. 52. 53.
55. 70.
Schleiermacher, D. E. 45.
Schlettstadt 226.
Schmettau, Reichsgraf v. 259.
Schmid, G. 31. 33. 34. 86.
Schmid, J. 328.
Schmid, K. A. 31. 217. 219. 227.
Schmidt, C. 176. 226.
Schmidt, E. 294. 302.
Schnabel 37.
Schnürer, F. 167.
Schöbel, G. v. 339.
Schön aich, G., Frhr. v. 237.
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352
Schönborn 257.
Schopenhauer 210.
Schrader, W. 221. 235. 240. 242.
246. 251.
Schramm, R. 162. 163.
Schrautenbach, L. v. 08. 69.
Schreiber, A. 257.
Schröder, A. 334.
Schürer, E. 166.
Schulenburg, v. der 230.
Schulze-Gävernitz, G. v. 148 ff.
Schnitze, Fritz 232. 233. 234.
Schupp, J. B. 274. 275.
Schurmann, A. M. v. 318. 320.
Schwalb, M. 163.
Schwarze, R. 308.
Schwenkfeld, C. v. 117.
Schwerin, O. v. 231.
Scultetus, J. 237.
Seckendorf, V. L. v. 277.
Seideliue, J. 339.
Seitersdorf 45.
Semler, Prediger 126.
Serrariuß, P. 308.
Sibel, C. 79. 80.
Siebenhaar, M. 339.
Siegen 83. 91. 336.
Sigmund der Münzreiche, Erz-
herzog 333.
Sixt, C. H. 39.
Sixtus IV., Papst 181.
Skaltsuni 164. 165.
Smith 131. 148.
Solms, Graf, E. v. 336.
Solms, Graf, P. v. 336.
Solms, Graf, R. v. 336.
Solms, Graf, W. v. 336.
Sophie, Kurfürstin v. Hannover. 321.
Sorö 323.
Spalatin, G. 334.
Spangel*, P. 40.
Spangenberg, A. G. 162.
Spanheim, E. 104.
Spener, P. J. 42. 235. 236. 244. 277.
Spengler, L. 102. 281. 282.
Spinoza 123. 125.
Sprecher, U. v. 63.
I Sprottau 84.
Stabius, J. 334.
Stadius 168.
Stadler 215.
Stage, C. 163.
Stain, Freiherr v. 277.
Starkius, J. 308.
Staupitz, J. V. 103. 175. 181. 188.
191. 201. 281. 335.
Steig, R. 253.
Stein, Frau von 257.
Stein, L. 104.
Steinhausen, G. 337.
Stephan VII., Papst 181.
StephanuB, Bischof 173. 174.
Stern, Hans 317.
Stern, Heinr. 317.
Steubing, J. H. 78. 82. 83.
Steyer 97. 98. 99.
Stockholm 313. 323. 325.
Stölzle, R. 336.
Stötzner, P. 274. 275.
Stosch, B. 231. 236.
Strassburg 98. 160. 163.
Stuart, Prinzessin, H. M. 310.
Stubenrauch 50. 57.
Stuhl-Weissenburg 87.
Sturm, J. 114. 115. 116. 121. 226.
Sudhoff, K. 41.
Suphan, Bemh. 253. 254.
Sydel, M. 40.
T.
Taboriten 37 ff. 171. 172. 189.
Talleyrand 130.
Tangermann, W. 338.
Tassius, Joh. Ad. 322.
Tauler, Joh. 103. 114.
Tausch, E. 102. 103.
Taylor, J. 104.
Telesio, B. 161.
Teubner, B. G. 226.
Thaulow 108.
Thelermenus a Zhörze, D. 81.
Thilo, J. E. 277.
Tholuck 79. 240.
Thomas von Aquino 179.
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— 353 —
Thomasius, Ch. 235. 236. 240. 241.
243. 247. 249. 250. 251. 252. 335. 336.
Thorn 230. 312.
Thurn, M. 276.
Titus, M. 81. 82. 83. 91. 94.
Trient 290.
Trotzendorf 115. 116. 117. 120.
Truhlaf 100.
Tschiersky, v. 70.
Tucher, Andr. 281.
Tucher, Ant. 281.
Tucher, M. 281.
Turgot 129. 131.
TurnoviuB, Senior 171.
V.
Uphues, G. K. 272.
ürsinus, B. 168. 236. 239.
Ussher, J. 312. 322.
W.
Wagenseil 335.
Wal, de 86.
Waldenser 156. 172. 173. 174. 175.
185. 188. 189. 203. 340.
Waldßhut 98.
Waldus, P. 191.
Wallenstein 117. 237.
Wattenbach, W. 41. 163.
Weech, F. v. 103.
Weimar 163. 164. 257.
Weiss, H. 277.
Weisse, M. 100. 101. 300.
Wels 97.
Wende, G. 338.
Werckshagen, C. 162.
Wernicke, A. 329.
Wibe, P. 313.
Wiclif, Joh. 37. 171. 194. 197. 198.
Wied, Graf von, H. 336.
Wied, Graf von, J. W. 336.
Wiedertäufer 97. 98. 187.
Wien 97. 174. 338.
Wiesbaden 80.
Wiese, J. 157. 218. *
Wilhelm der Beiche v. Nassau 90.
Wilhelm II. von Uranien, Prinz
78. 229. 310. 318. 336.
Williams, B. 104.
Wimpfeling, J. 40.
Wirsung, C. 334.
Wiskemann, H. 41.
Wismar 325.
Wittenberg 102. 230. 231. 235.
244. 245. 281. 282. 337.
Wolf 126.
Wolfenbüttel 314.
Wolff, M. V. 102.
Wolkan, B. 100. 101.
Wotke, K 40. 332.
Wünsche, A. 328.
Zeller, E. 277.
Zembsch 50. 52. 65. 71.
Zepper, W. 90. 91.
Zerawic 207.
Zesen, P. v. 339.
Zezschwitz, v. 206.
Zierotin, Herrn von 276.
Zierotin, F. v. 337.
Zierotin, Graf 338.
Zierotin, K. v. 337.
Ziller 232. 233.
Zimmer, F. 78. 79. 90.
Zimmermann, Ph. 17.
Zingerlc, A. 333.
Zinzendorf 45. 46. 50. 63. 68. 69.
73. 77. 162.
Zittau 162. .338.
Zittel, E. 163.
Zoubek, F. 158.
Zürich 219.
Zwiedincck-Südenhorst 276.
Zwingli, U. 39. 97. 187.
BiiohdriickiTfi v<m .Tolianno» Rrp<U, MftnsUT i. W«'»lf.
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